Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung [4 ed.] 9783504384029

Topaktuelle, praxisnahe Darstellung aller Aspekte des Mandats vor und nach dem Erbfall Die Neuauflage dieses bewährten

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Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung [4 ed.]
 9783504384029

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Musterübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
A. Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung
B. Das Mandat vor dem Erbfall – Gestaltung letztwilliger Verfügungen
I. Die lebzeitige Vermögensübertragung
II. Die Formen letztwilliger Verfügungen
III. Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft
IV. Die Vor- und Nacherbschaft
V. Die Auflage
VI. Das Vermächtnis
VII. Das gemeinschaftliche Testament (§§ 2265–2273 BGB)
VIII. Das Behinderten- und Bedürftigentestament
IX. Nichteheliche Partner und das Erbrecht
X. Der minderjährige Erbe
XI. Die Unternehmensnachfolge
XII. Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung
XIII. Landwirtschaftliches Sondererbrecht
XIV. Die Schiedsgerichtsklausel (§ 1066 ZPO)
XV. Der Erbverzicht (§§ 2346–2353 BGB)
XVI. Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht
XVII. Der digitale Nachlass
C. Das Mandat nach dem Erbfall
I. Die gesetzliche Erbfolge
II. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
III. Die Nachlasspflegschaft
IV. Die Erbengemeinschaft
V. Die Haftung des Alleinerben
VI. Der Pflichtteil
VII. Auskunftsansprüche im Erbrecht
VIII. Der Erbschaftsanspruch
IX. Die Testamentsvollstreckung
X. Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis
XI. Erbschaftskauf und Erbteilskauf
XII. Prozessuale Durchsetzung erbrechtlicher Ansprüche
D. Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht
E. Der Erbfall mit Auslandsberührung
Sachregister

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Groll

Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung

Praxis-Handbuch

Erbrechtsberatung begründet von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus Michael Groll Ab der 4. Auflage fortgeführt und herausgegeben von

Rechtsanwalt Dr. Anton Steiner Bearbeitet von

Prof. Dr. Stefan Edenfeld apl. Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Dr. Thomas Endemann Rechtsanwalt und Notar, Münster

Antje Esser Rechtsanwältin, Neu-Ulm

Dr. Oliver Fröhler Notar und Notariatsdirektor, Lörrach, Lehrbeauftragter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Brsg.

Paul Grötsch Rechtsanwalt, München, Fachanwalt für Erbrecht

Anna Holzer Rechtsanwältin, München

Prof. Dr. Peter Kindler o. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Michael Kränzle Regierungsrat, München Lehrbeauftragter an der FHVR in Hof

Dr. Hans-Frieder Krauß Notar, München

Dr. Dr. Robert D. v. Morgen Rechtsanwalt, Hamburg Fachanwalt für Erbrecht

Prof. Dr. Karlheinz Muscheler o. Professor an der Ruhr-Universität Bochum

Prof. Dr. Susanne Nienaber, LL.M. Professorin an der Fachhochschule Bielefeld

Matthias Rösler Rechtsanwalt, München Fachanwalt für Erbrecht

Gerhard Ruby Rechtsanwalt, Villingen-Schwenningen Fachanwalt für Erbrecht und Mediator

Dr. Falk Schulz Rechtsanwalt, Münster Fachanwalt für Erbrecht

Prof. Dr. Andreas Spickhoff o. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Klaus Stein Rechtsanwalt und Steuerberater, Osnabrück

Dr. Anton Steiner Rechtsanwalt, München, Fachanwalt für Erbrecht

Dr. Constanze Trilsch Rechtsanwältin, Dresden, Fachanwältin für Erbrecht

4. neubearbeitete Auflage

2015

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-18063-8 ©2015 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: Schäper, Bonn Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort zur vierten Auflage Einst galt das Erbrecht als „ruhiges“ Rechtsgebiet. Dies hat sich geändert. Zahlreiche Neuerungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung geboten eine komplette Überarbeitung seit der letzten Auflage des Jahres 2010. Allein im Erbschaftsteuerrecht gab es seitdem sechs Änderungsgesetze, als Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2014 wird sich die Änderungsdynamik fortsetzen, wenngleich voraussichtlich begrenzt auf den Übergang von Unternehmensvermögen. Aber auch im formellen und im internationalen Recht hat sich grundlegend Neues ergeben, insbesondere durch das Gerichts- und Notarkostengesetz und die Europäische Erbrechtsverordnung. All dies und natürlich die ständige Fortbildung des Rechts durch Rechtsprechung und Literatur haben die Autoren der vorliegenden Neubearbeitung berücksichtigt. Der wachsenden Bedeutung des digitalen Nachlasses wurde dabei durch ein neues, eigenes Kapitel Rechnung getragen. Den Autoren, dem Verlag und seinen Mitarbeitern möchte ich ganz herzlich für ihren enormen Einsatz danken, zudem für das Vertrauen, das sie mir als neuem Herausgeber entgegengebracht haben. Besonders danken möchte ich auch meinem Vorgänger im Amt des Herausgebers, Herrn Professor Dr. Klaus Michael Groll. Unter seiner Ägide wurde ein Standardwerk geschaffen, dessen Hege und Pflege nunmehr mir anvertraut ist. Möge dem Leser das Handbuch auch weiterhin eine wertvolle Hilfe bei den komplexen Beratungsaufgaben des Erbrechts sein! München, im Januar 2015

Anton Steiner

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Die Normen, welche die Vermögensnachfolge regeln, zählen zu den kompliziertesten, zugleich tückischsten unserer Rechtsordnung. Selbst für den Spezialisten bedeutet die Befassung mit diesem Gegenstand ständige und anspruchsvollste Herausforderung, der Laie ist hier mit selbstgestrickten Gestaltungen ohnehin zum Scheitern verurteilt. Das Handbuch möchte den Leser möglichst umfassend mit den Besonderheiten der Vermögensnachfolge vertraut machen. Das verlangt die Vermittlung einer Fülle von Stoff. Herausgeber und Autoren haben sich im Interesse einer umfassenden Darstellung bemüht, die gesamte relevante Rechtsprechung sowie die maßgeblichen Literaturmeinungen zu berücksichtigen, können aber für die Vollständigkeit keine Gewähr übernehmen. Um die Darstellung aufzulockern und V

Vorwort

um dem Leser den Weg zu ebnen zu ganz typischen Fragestellungen, wurden zahlreiche klassische Beratungssituationen gebildet, deren Behandlung in vielfältige konkrete Beratungshinweise mündet. Die in den Text aufgenommenen Formulierungsvorschläge dienen als Beispiele, sind aber natürlich nicht ohne weiteres auf jeden denkbaren Sachverhalt anwendbar. Sie müssen in Bezug auf die Anforderungen des speziellen Einzelfalles geprüft und ggf. angepasst bzw. ergänzt werden. Zwecks Erleichterung der Stoffsuche orientiert sich die Gliederung des Handbuchs im Wesentlichen an derjenigen des BGB. Der juristische Stoff ist aber nur das eine. Er dient keinem Selbstzweck, sondern dem Leben. Er ist daher untrennbar mit dem Schicksal der beteiligten Personen verbunden. Wo immer sinnvoll, waren wir bemüht, den Zusammenhang zwischen dem Recht einerseits und der Psychologie, Weisheit und Lebenserfahrung andererseits zu erhellen. In kaum einem Rechtsbereich menschelt es so sehr wie gerade beim Thema „Vermögensnachfolge“. Die drei Hauptziele kluger Gestaltung – Gerechtigkeit, Schutz des Vermögens (auch gegenüber dem Fiskus) und vor allem Frieden – wird der Berater nur verwirklichen, wenn er zum einen die Rechtslage durchschaut, zum anderen sich einfühlsam in die ganz individuellen Besonderheiten des Einzelfalls versenkt. Jede gelungene Gestaltung einer Vermögensnachfolge dient nicht nur dem Glück der Beteiligten, sondern liefert zugleich einen wertvollen Beitrag zur Kultur. München, im Juli 2001

VI

Der Herausgeber

Schnellübersicht Seite

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Musterübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVII Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XLVII

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LV

A. Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung . . . . . . . .

1

B. Das Mandat vor dem Erbfall – Gestaltung letztwilliger Verfügungen I. Die lebzeitige Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

II. Die Formen letztwilliger Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

III. Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 IV. Die Vor- und Nacherbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 V. Die Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 VI. Das Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 VII. Das gemeinschaftliche Testament (§§ 2265–2273 BGB) . . . . . . . . . 417 VIII. Das Behinderten- und Bedürftigentestament . . . . . . . . . . . . . . . 472 IX. Nichteheliche Partner und das Erbrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 X. Der minderjährige Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 XI. Die Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 XII. Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung . . . . . . . 788 XIII. Landwirtschaftliches Sondererbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842 XIV. Die Schiedsgerichtsklausel (§ 1066 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 921 XV. Der Erbverzicht (§§ 2346–2353 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936 XVI. Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht . . . . 1032 XVII. Der digitale Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1066

C. Das Mandat nach dem Erbfall I. Die gesetzliche Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093 II. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 1126 VII

Schnellübersicht Seite

III. Die Nachlasspflegschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1216 IV. Die Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1266 V. Die Haftung des Alleinerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1387 VI. Der Pflichtteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1438 VII. Auskunftsansprüche im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1835 VIII. Der Erbschaftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1876 IX. Die Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1899 X. Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis . . . . . . . . . . . . . . 2029 XI. Erbschaftskauf und Erbteilskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2151 XII. Prozessuale Durchsetzung erbrechtlicher Ansprüche . . . . . . . . . . 2165

D. Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 2193 E. Der Erbfall mit Auslandsberührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2333 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2429

VIII

Inhaltsübersicht Seite

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Schnellübersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Musterübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVII Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XLVII

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LV

A. Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung (Steiner)

I. 1. 2. 3. 4.

Der Mandant im Mittelpunkt ganzheitlicher Beratung Erwartungen des Mandanten und Anforderungen an den Berater. Nachlassplanung als erbrechtsübergreifende Aufgabe . . . . . . . Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenprofil und Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

2 5 7 9

II. 1. 2. 3.

Methodik der Nachlassplanung Gestaltungs-, Risiko- und Abwicklungsplanung . . . . . . . . . . . . . . Fünf Arbeitsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Einschränkungen des idealtypischen Arbeitsganges . . . . .

10 10 14

III. 1. 2. 3.

Interessenkollision Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallgruppen der Interessenkollision im erbrechtlichen Mandat . . . . .

15 17 18

IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Haftung Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten, Verschuldensmaßstab . . . . . . . . . . . . . . Haftende Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Haftungsrisiken im Erbrecht . . . . . . . . . . Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . Haftpflichtversicherung und Verhalten im Haftungsfall

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20 20 21 21 22 24 28

Honorargestaltung Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Honorar für Beratung, Gutachten, Mediation . Vergütungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . Außergerichtliche Vertretung. . . . . . . . . . Gerichtliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergütung in Steuersachen . . . . . . . . . . .

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30 32 34 41 45 47 49 50

V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

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IX

Inhaltsübersicht

B. Das Mandat vor dem Erbfall – Gestaltung letztwilliger Verfügungen B. I. Die lebzeitige Vermögensübertragung (Grötsch)

Seite

I. Die vorweggenommene Erbfolge im System der Nachlassplanung 1. Begriff und Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge . . . . . . . . . 2. Fallgruppen und rechtliche Instrumente der Vermögensübertragung . . II. 1. 2. 3. 4.

53 53

Die Vor- und Nachteile lebzeitiger Vermögensübertragung. . . . . . . . Ist der vorgesehene Nachfolger geeignet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kann der Übergeber die Substanz entbehren? . . . . . . . . . . . . . . . . Ist der Übergeber auf die Erträge angewiesen? . . . . . . . . . . . . . . . Entstehen durch die vorweggenommene Erbfolge erhebliche erbschaftsteuerliche Vorteile? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die vorgesehene Maßnahme einkommensteuerneutral? . . . . . . . . Können die für Betriebsvermögen geltenden erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien ausgeschöpft werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind Minderjährige beteiligt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie hoch sind die Kosten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66 67 67

III. 1. 2. 3. 4.

Besonderheiten bei Beteiligung Minderjähriger Durchführung der Zuwendung . . . . . . . . . . Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Minderjährigen . . . . . . . . . . . Sicherung des Einflusses der Übergeber . . . . .

. . . . .

67 68 70 71 72

IV. 1. 2. 3.

Gegenleistungen des Übernehmers Abstandszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichstellungsgelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übernahme von Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73 74 74

V. Versorgung des Übergebers und Dritter 1. Nutzungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederkehrende Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 79

5. 6. 7. 8.

VI. 1. 2. 3. 4.

Rückforderungsrechte und Weiterübertragung Gesetzliche Rückforderungsrechte. . . . . . . Vertragliche Rückforderungsrechte . . . . . . Verpflichtung zur Weiterübertragung . . . . . Verfügungsrechte des Übergebers . . . . . . .

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61 65 66 66 66 66

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84 85 90 93

Die Testierfähigkeit des Erblassers Der Begriff der Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Systematik der Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Schranken der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung der Testierfähigkeit Beweis- und Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 99 . 99 . 108 . 117 . 117

B. II. Die Formen letztwilliger Verfügungen (Esser) I. 1. 2. 3. 4. 5. X

Inhaltsübersicht Seite

II. 1. 2. 3. 4. 5.

Das Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Formen der Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . Die Errichtung des öffentlichen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . Das eigenhändige Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die außerordentlichen Testamentsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . Die inhaltliche Gestaltung der Verfügung von Todes wegen mit Blick auf ihre Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118 119 124 141 161 169

III. 1. 2. 3.

Änderung, Widerruf und Anfechtung der Verfügung von Todes wegen Änderung der Verfügung von Todes wegen. . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Widerruf der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Anfechtung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . 196

IV. 1. 2. 3.

Die Hinterlegung, Ablieferung, Eröffnung des Testaments Die Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Die Ablieferung des Testaments. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Die Eröffnung des Testaments, §§ 2260 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . 213

V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Der Erbvertrag Die Rechtsnatur des Erbvertrags. . . . . . . . . . . . . . Der Erbvertrag in Abgrenzung zum Testament . . . . . Voraussetzungen für den Abschluss eines Erbvertrags . Arten des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aufhebungswirkung des Erbvertrags . . . . . . . . . Die Bindungswirkung des Erbvertrags . . . . . . . . . . Die Beseitigung der Bindungswirkung . . . . . . . . . . Aufhebung und Rücktritt beim Erbvertrag . . . . . . . . Die Verbindung des Erbvertrags mit einem Ehevertrag . Die Form des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung des Erbvertrags auf lebzeitige Verfügungen . . Die Verwahrung des Erbvertrags. . . . . . . . . . . . . .

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216 218 218 219 221 222 225 232 242 243 244 246

VI. Schenkungsversprechen von Todes wegen, § 2301 BGB 1. Das Rechtsgeschäft unter Lebenden in Abgrenzung zu den Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Schenkung von Todes wegen mit Überlebensbedingung, § 2301 Abs. 1 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Das vollzogene Schenkungsversprechen mit Überlebensbedingung, § 2301 Abs. 2 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 VII. Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall 1. Die Vorteile des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall gegenüber Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Einordnung des Vertrags zugunsten Dritter . . . . . 3. Durch die Rechtsprechung anerkannte Einzelfälle von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Steuerrechtliche Beurteilung des Vertrags zugunsten Dritter . . .

. . . 253 . . . 254 . . . 256 . . . 258

XI

Inhaltsübersicht

B. III. Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft (Grötsch)

Seite

I. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II. Checkliste für das erste Beratungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Gestaltungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 IV. Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung, Vermächtnis und Teilungsanordnung (§ 2087 BGB) 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegungshilfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einzelfälle aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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261 263 264 265 266

V. Einsetzung auf einen Bruchteil (§ 2088 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . 268 VI. Erhöhung und Minderung der Bruchteile (§§ 2089, 2090 BGB) . . . . . 268 VII. Unbestimmte Erbteile (§ 2091 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 VIII. Teilweise Einsetzung auf Bruchteile (§ 2092 BGB). . . . . . . . . . . . 270 IX. Gemeinschaftlicher Erbteil (§ 2093 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 X. Anwachsung (§§ 2094, 2095 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 XI. 1. 2. 3. 4. 5.

Die Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB) Regelung unverzichtbar . . . . . . . . . . . Zweifelsfälle aus der Praxis . . . . . . . . . Die Rechtsstellung des Ersatzerben . . . . Die Ersatzerbschaft als Gestaltungsmittel Auslegungsregeln (§§ 2097 ff. BGB) . . . .

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272 273 274 276 278

B. IV. Die Vor- und Nacherbschaft (Edenfeld) Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 I. Anordnung der Vor- und Nacherbschaft durch Verfügung von Todes wegen 1. Notwendiger Inhalt der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . 283 2. Die Gestaltungsfreiheit des Erblassers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 3. Die Auslegung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . 289 II. 1. 2. 3.

Rechtliche Stellung des Vorerben Verfügung über Nachlassgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Der befreite Vorerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

III. Rechtsposition des Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 1. Stellung des Nacherben während der Dauer der Vorerbschaft . . . . . 312 2. Stellung des Nacherben bei Eintritt des Nacherbfalls . . . . . . . . . . 319 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 XII

Inhaltsübersicht

B. V. Die Auflage (Trilsch)

Seite

I. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 II. 1. 2. 3. 4. 5.

Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . .

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329 329 330 331 331

III. Vor- und Nachteile der Auflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 IV. 1. 2. 3. 4.

Inhalt der Auflage Vermögensrechtlicher Inhalt . . . . Nichtvermögensrechtlicher Inhalt . Die Zweckauflage . . . . . . . . . . Grenzen der Auflage . . . . . . . . .

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V. Beschwerter der Auflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 VI. Auflagenbegünstigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 VII. 1. 2. 3. 4.

Vollziehungsberechtigter Erbe . . . . . . . . . . . . Wegfallbegünstigter . . . Testamentsvollstrecker . Behörde . . . . . . . . . .

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VIII. Gestaltungsmöglichkeiten für Auflagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 IX. Unwirksamkeit der Auflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 X. Unmöglichkeit der Vollziehung einer Auflage . . . . . . . . . . . . . . 346 XI. Steuerliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 B. VI. Das Vermächtnis (Nienaber) I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 II. Das Vermächtnis im Verhältnis zu anderen erbrechtlichen Gestaltungsformen 1. Das Vorausvermächtnis und die Teilungsanordnung . . . . . . . . . . 2. Das Vermächtnis und die Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Vermächtnis und die Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung bei nicht eindeutiger letztwilliger Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

352 357 358 358

III. Die Person des Vermächtnisnehmers 1. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch den Erblasser . . . . 361 2. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch Dritte . . . . . . . . 361 XIII

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3. Die Person des Vermächtnisnehmers bei besonderen Vermächtnisarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 IV. 1. 2. 3. 4. 5. V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Die Person des Beschwerten Der Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . Der Begünstigte einer Schenkung von Todes wegen . Mehrere Beschwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wegfall des Beschwerten . . . . . . . . . . . . . .

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Der Vermächtnisgegenstand . . . . . . . . . . . Das Stückvermächtnis. . . . . . . . . . . . . . . Das Verschaffungsvermächtnis . . . . . . . . . . Das Wahlvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . Das Gattungsvermächtnis . . . . . . . . . . . . Das Zweckvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . Das Universalvermächtnis . . . . . . . . . . . . Das Unternehmen als Vermächtnisgegenstand. Das Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . .

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VI. Die Wirksamkeit des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 VII. Der Anfall und die Fälligkeit des Vermächtnisses 1. Der Anfall des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 2. Die Fälligkeit des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 VIII. Die Annahme und die Ausschlagung des Vermächtnisses . . . . . . . 397 IX. Die Sicherung des Vermächtnisanspruchs 1. Die Sicherungsmöglichkeiten ohne besondere Anordnungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 2. Die Sicherungsmöglichkeiten aufgrund besonderer Anordnungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 X. Die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs . . . . . . . . . . . . . . 401 XI. Die Nutzungen und Früchte des Vermächtnisgegenstandes . . . . . . 402 XII. 1. 2. 3. 4.

Die Haftung des Beschwerten Die Haftung des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung des beschwerten Vermächtnisnehmers. . . . . . Die Haftung bei einer Mehrheit von Beschwerten . . . . . . . Die Haftung des Beschwerten bei Vorerfüllung des Erblassers

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403 407 408 409

XIII. Die Haftung des Vermächtnisnehmers 1. Der Verwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 2. Die Haftung des Vermächtnisnehmers für Schulden des Erblassers . . 411 XIV. 1. 2. 3. XIV

Die steuerrechtliche Behandlung des Vermächtnisses Die Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Die Einkommensteuer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Die Besonderheiten beim Nachvermächtnis und beim bedingten Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

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4. Das Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 5. Das Rentenvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 XV. Das Vermächtnis in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 B. VII. Das gemeinschaftliche Testament (§§ 2265–2273 BGB) (Edenfeld) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 I. 1. 2. 3. 4.

Die Errichtung Die Beteiligten. . . . . . . . . . . . . . Die Form . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Errichtungszusammenhang . . . . Die allein gegenseitige Erbeinsetzung

II. 1. 2. 3.

Das gegenseitige gemeinschaftliche Testament Die Gestaltungsmöglichkeiten der Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . 428 Die Trennungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Das Berliner Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437

III. 1. 2. 3.

Die wechselbezüglichen Verfügungen Die Wechselbezüglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . 455 Der Schutz der Endbedachten vor lebzeitigen Verfügungen des überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467

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IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 B. VIII. Das Behinderten- und Bedürftigentestament (Krauß) I. Gestaltungsaufgaben und -ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 II. „Enterbungslösung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 III. „Auflagenlösung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 IV. 1. 2. 3.

Vermächtnislösungen Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Vor- und Nachvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . 480

V. „Klassische“ Erbschaftslösung: Destinatär als Mitvorerbe, Testamentsvollstreckung 1. Gestaltungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begleitende Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sozialrechtliche Wertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zivilrechtliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Variante I der Erbschaftslösung: Destinatär als alleiniger Vorerbe . . . 499 XV

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VII. Variante II der Erbschaftslösung: Destinatär als Mitnacherbe . . . . . 499 VIII. 1. 2. 3.

Das „Bedürftigentestament“ Erbschaftslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 Vermächtnislösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Aufhebung der Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 B. IX. Nichteheliche Partner und das Erbrecht (Krauß)

I. Gesetzliches Erbrecht für nichteheliche Partner und gemeinschaftliche Kinder 1. Erbrecht der nichtehelichen Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 2. Erbrecht der gemeinschaftlichen Kinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 II. 1. 2. 3.

Erbrecht durch letztwillige Verfügung Gestaltungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 Berücksichtigung der familiären und persönlichen Situation . . . . . . 547

III. 1. 2. 3.

Beschränkungen der Testierfreiheit Bindung durch gesetzliche Erbrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 Bindung durch letztwillige Verfügung aus früheren Verbindungen . . 564 „Erbentzug“ wegen nichtehelichen Zusammenlebens? . . . . . . . . . 566

IV. 1. 2. 3. 4.

Lebzeitige Zuwendungen nichtehelicher Partner . . . . . . . . . . . Zivilrichterliche Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche Dritter aufgrund lebensgemeinschaftsbedingter Zuwendungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. §§ 2287 f. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 586 . 588

V. Schenkung- und Erbschaftsteuer unter nichtehelichen Lebensgefährten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 VI. 1. 2. 3.

Erbrecht der eingetragenen Lebenspartner Gesetzliches Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Gewillkürtes Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Schenkung- und Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 B. X. Der minderjährige Erbe (Fröhler)

I. Der Begriff des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 II. 1. 2. 3. 4. XVI

Lebzeitige Zuwendungen mittels vorweggenommener Erbfolge Ausgangsdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinder unter sieben Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sieben- bis siebenzehnjährige Kinder . . . . . . . . . . . . . . . Lediglich-rechtlicher Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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599 599 601 601

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III. Gestaltung durch Verfügung von Todes wegen des beschenkten Minderjährigen 1. Ausgangsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 2. Testament. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 3. Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 IV. Gestaltung durch letztwillige Verfügung zugunsten Minderjähriger 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsrechtsentzug zulasten der Eltern unter Benennung eines Ergänzungspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verwaltungsanordnung gegenüber den Eltern . . . . . . . . . . . . . . 4. Benennung eines Vormundes für die eigenen minderjährigen Kinder . 5. Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis . . . . 6. Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes für minderjährige nicht aus einer Ehe entstammende Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Testamentsvollstreckung bei minderjährigen Erben . . . . . . . . . . .

611 612 613 614 615 616 617

V. Minderjährige Enkelkinder als Nutznießer letztwilliger Pflichtteilsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 VI. Schutz minderjähriger Kinder des erstversterbenden Ehegatten in Patchwork-Familien durch Ausbildungsunterhaltsvermächtnis . . . . 622 VII. Gestaltung durch Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- bzw. Zuwendungsverzichtsvertrag 1. Praktische Relevanz bei Beteiligung Minderjähriger . . . . . . . . . . . 624 2. Ausgangsdifferenzierung nach Verzichtsart . . . . . . . . . . . . . . . . 624 3. Differenzierung nach der Rolle des Minderjährigen . . . . . . . . . . . 634 VIII. Die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinsantrag . 637 IX. Gestaltung durch Erbschaftsausschlagung 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgangsproblematik für die Erbschaftsausschlagung minderjähriger Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Vertretung des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . 4. Genehmigungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Problematik Kontrollvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Besondere örtliche Zuständigkeit zur nachlassgerichtlichen Protokollierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

638 641 641 641 646 647

X. Vermögensverzeichnispflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 XI. Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft als ausschließliche Erfüllung einer Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 XII. Pflichtteilsanspruch und Ergänzungspflegschaft 1. Alleinerbschaft des längstlebenden Ehegatten und Pflichtteilsanspruch des minderjährigen Kindes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 2. Alleinerbschaft des minderjährigen Kindes und Pflichtteilsanspruch des längstlebenden Ehegatten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 XVII

Inhaltsübersicht

B. XI. Die Unternehmensnachfolge (Stein)

Seite

I. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Vorbemerkung Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge Besonderheiten in Familienunternehmen . . . . . . Erfolgsfaktoren für Familienunternehmen . . . . . Konfliktpotential reduzieren . . . . . . . . . . . . . Family Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familienverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. 1. 2. 3.

Einzelunternehmen Nachfolge eines einzelnen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 Nachfolge einer Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 Gesichtspunkte für die Erbeinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708

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658 659 660 660 661 661

III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Personengesellschaft Regelungsgrundsätze für die Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nachfolgeklauseln im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung der Erben bzw. Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten bei der Nachfolge in eine Kommanditbeteiligung . . . Firma, Handelsregisteranmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertragsteuerrechtliche Folgen im Erbfall und bei der Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. 1. 2. 3.

Kapitalgesellschaft Nachfolge in der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 Nachfolge in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 Ertragsteuerrechtliche Folgen im Erbfall und bei der Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776

V. 1. 2. 3.

Fremdgeschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Empirische Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligung des Familienfremden als Gesellschafter .

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. 744

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784 785 785 787

B. XII. Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung (Stein) I. 1. 2. 3.

Grundlagen Motive für die Errichtung einer Stiftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791 Arten der Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794 Die privatrechtliche Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Typologie der häufigsten Stiftungsarten Gemeinnützige Stiftung . . . . . . . . . . Inländische Familienstiftung . . . . . . . Gemeinnützige Familienstiftung. . . . . Doppelstiftung . . . . . . . . . . . . . . . Verbrauchsstiftung . . . . . . . . . . . . . Unternehmensträgerstiftung . . . . . . .

XVIII

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803 804 807 808 809 810

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III. 1. 2. 3.

Steuerrechtliche Fragen Besteuerung der Stiftungserrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 Die laufende Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 Besteuerung der Stiftungsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823

IV. 1. 2. 3. 4.

Ausländische Stiftungen und verwandte Rechtsinstitute Deutsches Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . Erbschaft- und Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Trust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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825 826 827 828 828

V. Alternative Rechtsformen zur Erreichung von Stiftungszielen . . . . . . 836 1. Die Stiftungs-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 2. Die unselbständige Stiftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838 B. XIII. Landwirtschaftliches Sondererbrecht (Ruby) I. Zielsetzungen des Landwirtschaftserbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 845 II. 1. 2. 3.

Verhältnis der Anerbengesetze zum BGB-Landguterbrecht Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 Wann gilt ein Anerbengesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850 Überblick über die regionalen anerbenrechtlichen Sondervorschriften . 850

III. 1. 2. 3. 4.

BGB-Landguterbrecht i.V.m. §§ 13 ff. GrdstVG . . . . . . . . . . . . . Gemeinsame Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB . . . . . . . . . Weitere Voraussetzungen des § 2049 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . Weitere Voraussetzungen des § 2312 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . Vererbung des Landguts bei fortgesetzter Gütergemeinschaft gem. § 1515 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahren auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs aus der Erbengemeinschaft nach §§ 13 ff. GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . . .

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851 854 866 870

. 876 . 882

IV. Anerbengesetze 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 890 2. Vergleichende Darstellung der Anerbenrechte . . . . . . . . . . . . . . . 892 V. Hofübergabe zu Lebzeiten 1. Inhalt des Hofübergabevertrags, insbesondere Altenteil . . . . . . . . . . 908 2. Rechtsnatur des Hofübergabevertrags und Pflichtteil . . . . . . . . . . . 916 B. XIV. Die Schiedsgerichtsklausel (§ 1066 ZPO) (Grötsch) I. Bedeutung des Schiedsgerichts im Erbrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . 921 II. 1. 2. 3.

Anzuwendendes Recht Schiedsrichterliches Verfahren im 10. Buch der ZPO . . . . . . . . . . . 923 Ad-hoc- und institutionelles Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 924 Abgrenzung von anderen Formen der Streitbeilegung . . . . . . . . . . . 925 XIX

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III. 1. 2. 3. 4.

Entscheidungsbefugnisse des Schiedsgerichts Zulässigkeit und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Schiedsklausel . Einsetzung des Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsbefugnisse des Schiedsgerichts und ihre Grenzen . . . Die Person des Schiedsrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. 1. 2. 3.

Die Durchsetzung von Schiedssprüchen Wirkung des Schiedsspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934 Durchsetzung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935 Aufhebung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935

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927 928 929 933

B. XV. Der Erbverzicht (§§ 2346–2353 BGB) (Muscheler) I. 1. 2. 3. 4. 5.

Überblick Begriff, Rechtsnatur und praktische Bedeutung . . . . . . . . Allgemeines zu den drei Arten des Erbverzichts. . . . . . . . Beschränkungsmöglichkeiten beim Erbverzicht i.w.S. . . . . Allgemeine Vorteile des Erbverzichts i.w.S. für den Erblasser Anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. 1. 2. 3.

Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 946 Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 948 Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963

III. 1. 2. 3.

Der isolierte Pflichtteilsverzicht (§ Allgemeines . . . . . . . . . . . . . Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . .

IV. 1. 2. 3.

Der Zuwendungsverzicht (§ Allgemeines . . . . . . . . . Wirkungen . . . . . . . . . . Zweckmäßigkeit . . . . . .

V. 1. 2. 3. VI. 1. 2. 3.

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939 941 941 945 946

2346 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970

2352 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980

Kosten- und Gebührenfragen Notarkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 981 Gerichtsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984 Kostenübersicht über die neben dem Erbverzicht bestehenden Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht . . . . . . . . . . . . . 984 Steuerliche Behandlung des Erbverzichts Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . .

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985 986 987 989

VII. Das Kausalgeschäft zum Erbverzicht 1. Notwendigkeit und Inhalt eines Verpflichtungsgeschäfts (i.d.R. Abfindungsvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 989 2. Wirksamkeit des Kausalgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 994 XX

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3. Folgen eines unwirksamen oder fehlenden Kausalgeschäfts . . . . . . 998 4. Rücktritt vom Kausalgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999 5. Leistungsstörungen beim Kausalgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000 VIII. Verknüpfung des Kausalgeschäfts mit dem Erbverzicht i.w.S. . . . . . 1001 IX. Der Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. 1. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme bei Anbahnung und Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags im Zusammenhang mit anderen Verträgen (v.a. Übergabeverträgen) . . . . . . . . . . . . . . 4. Formerfordernisse, insbesondere stillschweigender Erbverzicht . . X. Vorbereitung und Gestaltung von Erbverzichtsverträgen (Checkliste und Formulierungsvorschläge) 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht . . . . . . . . . 3. Der isolierte Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Zuwendungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. 1. 2. 3. 4. 5.

Beseitigung der Wirkungen des Erbverzichts Aufhebungsvertrag (§ 2351 BGB) . . . . . . . Rücktritt und Widerruf . . . . . . . . . . . . Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . . Sittenwidrigkeit des Erbverzichts . . . . . .

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. . 1003 . . 1003 . . 1007 . . 1009

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. 1014 . 1015 . 1016 . 1018

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. 1018 . 1019 . 1021 . 1022 . 1024 . 1025

B. XVI. Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht (Spickhoff) I. Einleitung: „Patientenverfügungen“ und Erbrecht . . . . . . . . . . . . 1033 II. Der rechtstatsächliche Hintergrund: Medizinische Extremsituationen und juristische Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Intensivbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sterbehilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tod und Todeszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3.

. 1035 . 1036 . 1037 . 1039 . 1040 . 1041

Einwilligungsfähigkeit Der einwilligungsfähige Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1042 Die Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 1043 Der nicht einwilligungsfähige Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1045

IV. Genehmigung des Betreuungsgerichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1046 V. 1. 2. 3.

Die sog. Patientenverfügung Definition, Rechtsnatur, Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1048 Vorsorgeregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051 Verbindlichkeit: Grundsatz und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051 XXI

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4. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht von Betreuer und Bevollmächtigtem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1053 5. Fehlen eines Betreuers oder Bevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . 1054 6. Druckausübung bei der Errichtung von Patientenverfügungen . . . . . 1055 7. Widerruf einer Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1056 VI. 1. 2. 3.

Die Vorsorgevollmacht Gesundheitsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1058 Sonstige persönliche Angelegenheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1059 Vertretung im Vermögensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1060

VII. Die Betreuungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061 VIII. Musterformulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061 B. XVII. Der digitale Nachlass (Holzer) I. Einleitung und Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1066 II. 1. 2. 3. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Rechtliche Grundsätze zum digitalen Nachlass Grundprinzip Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1067 Differenzierung zwischen privaten und vermögensbezogenen Daten? 1068 Gerichtliche Zuständigkeit und anzuwendendes Recht . . . . . . . . . 1071 Die wichtigsten Fallbeispiele E-Mails . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Websites. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Clouds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Online-Bestellungen und Internet-Auktionen . . . . . . . . . . . Vererbbarkeit von Apps, eBooks, Musik- und Videosammlungen Kritische Betrachtung der AGB der Anbieter . . . . . . . . . . . .

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. 1072 . 1078 . 1080 . 1081 . 1082 . 1083 . 1085

IV. Konsequenzen für die Beratungspraxis 1. Die Perspektiven der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1086 2. Digitale Nachlassplanung und Vermögensvorsorge . . . . . . . . . . . 1087

C. Das Mandat nach dem Erbfall C. I. Die gesetzliche Erbfolge (Grötsch) I. Wann tritt die gesetzliche Erbfolge ein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1094 II. Überraschungen und Tücken der gesetzlichen Erbfolge . . . . . . . . . 1095 III. 1. 2. 3. XXII

Das gesetzliche Erbrecht als Verwandtenerbfolge Die gesetzliche Erbfolge als Quelle von Beratungsfehlern . . . . . . . . 1096 Der Begriff des „Verwandten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1096 Die Grundsäulen der Verwandtenerbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . 1098

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IV. Das gesetzliche Erbrecht des nichtehelichen Kindes 1. Das Erbrecht nach der Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1109 2. Das Erbrecht nach dem Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1109 V. 1. 2. 3. VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Das gesetzliche Erbrecht der als Kind Angenommenen Der minderjährig Angenommene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1113 Der volljährig Angenommene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1115 Gestaltungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1116 Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten Grundvoraussetzungen des Ehegattenerbrechts . . . . . . . . . . . Das Ehegattenerbrecht bei Gütertrennung und Gütergemeinschaft Besonderheiten bei der Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . Das Ehegattenerbrecht bei Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . . Das Ehegattenerbrecht bei der Wahl-Zugewinngemeinschaft . . . Tabellarische Übersicht zum gesetzlichen Ehegattenerbrecht . . . Neue Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ehegattenvoraus (§ 1932 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 1117 . 1119 . 1120 . 1120 . 1121 . 1122 . 1122 . 1122

VII. Das gesetzliche Erbrecht des eingetragenen Lebenspartners . . . . . . 1123 VIII. Der Dreißigste (§ 1969 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1124 IX. Das Erbrecht des Staates 1. Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1124 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1125 C. II. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft (Muscheler) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129 II. Motive für eine Ausschlagung 1. Persönliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1134 2. Finanzielle Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1136 III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Ausschlagungsberechtigung Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vererblichkeit des Ausschlagungsrechts . . . . . . . . . Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers . Gesetzliche Ausschlagungsbeschränkungen . . . . . . . Einflussmöglichkeiten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . Verlust des Ausschlagungsrechts durch Annahme . . . .

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. 1148 . 1149 . 1150 . 1152 . 1153 . 1157

IV. Form der Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1162 V. Ausschlagungsfrist 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1165 2. Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1167 VI. Inhalt der Ausschlagungserklärung 1. Die Ausschlagungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1170 2. Bedingte Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1172 XXIII

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3. Teilausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1175 4. Umfang der Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1176 VII. Gesetzliche Stellvertretung 1. Der minderjährige Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1177 2. Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1181 VIII. 1. 2. 3. 4.

Wirkung der Ausschlagung Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wegfall des Zunächstberufenen . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfall an den Nächstberufenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung des Nächstberufenen durch das Nachlassgericht .

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. 1181 . 1182 . 1185 . 1187

IX. Anfechtung 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1188 2. Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1192 X. Besonderheiten bei Annahme und Ausschlagung eines Vermächtnisses 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkungen von Annahme und Ausschlagung . . . . . . . 4. Pflichtteilsberechtigter als Erbe und Vermächtnisnehmer 5. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. 1. 2. 3. 4. XII. 1. 2. 3.

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. 1198 . 1199 . 1199 . 1201 . 1203

Haftung und Ansprüche des Zwischenerben Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche des endgültigen Erben gegen den Zwischenerben . Ansprüche des Zwischenerben gegen den endgültigen Erben . Zurechnung von Handlungen des Zwischenerben . . . . . . .

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. 1203 . 1205 . 1206 . 1206

Der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213 Abschluss des Vertrags nach dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213 Abschluss des Vertrags vor dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1214 C. III. Die Nachlasspflegschaft (Schulz)

I. Einleitung 1. Zweck der Nachlasspflegschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1218 2. Rechtsstellung und Aufgaben des Nachlasspflegers . . . . . . . . . . . 1219 II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. XXIV

Anordnung der Nachlasspflegschaft Sicherungspflegschaft, § 1960 Abs. 1 BGB . . . . . . . . Forderungspflegschaft („Klagepflegschaft“), § 1961 BGB Auswahl des Nachlasspflegers . . . . . . . . . . . . . . . Anordnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verpflichtung des Nachlasspflegers . . . . . . . . . . . . Ende der Nachlasspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 1220 . 1222 . 1223 . 1223 . 1225 . 1225 . 1226

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III. 1. 2. 3.

Sicherung und Verwaltung des Nachlasses Erkenntnismöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1226 Umgang mit Gläubigern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1226 Sicherung und Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . 1227

IV. Ermittlung der Erben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1238 V. Bericht, Vermögensverzeichnis und Rechnungslegung . . . . . . . . . 1239 VI. 1. 2. 3.

Nachlassgerichtliche Genehmigungen Genehmigungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1239 Genehmigungsverfahren/Wirksamkeit/Verfahrenspfleger . . . . . . . 1240 Folgen fehlender Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1240

VII. Vergütung und Aufwendungsersatz 1. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1240 2. Aufwendungsersatz und berufsspezifische Dienstleistungen . . . . . . 1244 VIII. Beendigung der Nachlasspflegschaft 1. Abwicklung bei vermögendem Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . 1244 2. Abwicklung bei überschuldetem Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . 1246 IX. Die Nachlassverwaltung als Unterfall der Nachlasspflegschaft 1. Zweck der Nachlassverwaltung und Rechtsstellung des Nachlassverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anordnungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ende der Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wirkung der Anordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sicherung und Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . 7. Berichtspflicht und Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vergütung des Nachlassverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Beendigung der Nachlassverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 1251 . 1252 . 1253 . 1254 . 1254 . 1255 . 1258 . 1258 . 1259

X. Die Haftung des Nachlasspflegers und Nachlassverwalters . . . . . . . 1261 C. IV. Die Erbengemeinschaft (v. Morgen) I. 1. 2. 3.

Allgemeines Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1271 Typische Interessen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1273 Typische Streitkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1279

II. 1. 2. 3. 4.

Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, Nachlassteilung Grundsatz: Recht auf jederzeitige Auseinandersetzung . . . . Aufschub oder Ausschluss der Erbauseinandersetzung . . . . Wege der Erbauseinandersetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . Materiellrechtliche Grundsätze der Auseinandersetzung . . .

. . . .

. . . .

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. . . .

. 1282 . 1285 . 1294 . 1328

III. Verwaltung des Nachlasses 1. Verwaltung durch Testamentsvollstrecker, insbesondere als Dauertestamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1339 XXV

Inhaltsübersicht Seite

2. Gemeinschaftliche Verwaltung durch die Miterben . . . . . . . . . . . . 1340 3. Lastentragung und Anspruch auf Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1354 4. Sonderfall: Verwaltung von Unternehmensbeteiligungen im Nachlass . 1357 IV. 1. 2. 3. V. 1. 2. 3. 4.

Haftung und Forderungszuständigkeit Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1362 Forderungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1366 Parteifähigkeit der Erbengemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1371 Verfügungen über einen Erbanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pfändung eines Miterbenanteils im Wege der Zwangsvollstreckung. Belastung mit Nießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. 1371 . 1372 . 1380 . 1384 . 1385

C. V. Die Haftung des Alleinerben (Endemann) I. Überblick über die Haftung des Alleinerben . . . . . . . . . 1. Die Haftung mit dem Nachlass und dem Eigenvermögen . . 2. Das Recht, die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten zu verweigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass . . . . . . II. 1. 2. 3. 4.

. . . . . . . 1388 . . . . . . . 1389 . . . . . . . 1389 . . . . . . . 1390

Die Feststellung der Vermögenssituation Die Nachlassverbindlichkeiten und der Umfang der Haftung Das Aufgebotsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Inventarerrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die vorläufigen Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten . . . .

. . . .

. 1392 . 1402 . 1410 . 1417

III. Die dauerhafte Beschränkung der Haftung auf den Nachlass 1. Die haftungsrechtlichen Folgen der Nachlassverwaltung und der Nachlassinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Erbenhaftung nach Beendigung der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 1420 . 1424 . 1429

IV. 1. 2. 3. 4. 5.

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Die Einreden der §§ 1990, 1992 BGB Die Dürftigkeitseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unzulänglichkeitseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erschöpfungseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Überbeschwerungseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Berechnung des Nachlasswertes und die Rangfolge der Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die weiteren Rechtsfolgen der Einreden. . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Geltendmachung der Einreden im Erkenntnisverfahren . . . . . . 8. Die Geltendmachung der Einreden in der Zwangsvollstreckung . . . .

XXVI

. 1431 . 1432 . 1432 . 1433 . 1433 . 1433 . 1435 . 1436 . 1436

Inhaltsübersicht

C. VI. Der Pflichtteil (Rösler)

Seite

I. 1. 2. 3.

Einleitung Stellung der Beteiligten/Pflichtteilsreform für Erbfälle seit 1.1.2010 . . 1446 Zwang zur Geltendmachung des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . 1454 Psychologie und Beratertipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1459

II. 1. 2. 3. 4.

Pflichtteilsanspruch des Enterbten im Grundfall Kreis der Pflichtteilsberechtigten . . . . . . . . . Entstehung des Pflichtteils. . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsquote. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhe des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 1460 . 1465 . 1468 . 1475

III. Ansprüche auf Auskunft, Wertermittlung und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertermittlungsansprüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eidesstattliche Versicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verzug und Folgen falscher Auskunft. . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Checkliste für die Durchsetzung von Auskunftsansprüchen . . . 8. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. 1532 . 1533 . 1556 . 1562 . 1566 . 1567 . 1570 . 1573 . 1575

IV. Pflichtteil trotz Zuwendung des Erblassers, §§ 2305–2307, 1371 Abs. 3 BGB 1. Pflichtteilsanspruch des belasteten Erben oder Nacherben, § 2306 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtteilszusatzanspruch des unzureichend bedachten Erben, § 2305 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtteilsanspruch des Vermächtnisnehmers, § 2307 BGB. . . 4. Taktische Ausschlagung des Ehegatten, § 1371 Abs. 3 BGB? . . 5. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . 1576 . . . .

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. 1586 . 1589 . 1592 . 1594

V. Pflichtteil bei Anrechnung und Ausgleichung von lebzeitigen Zuwendungen 1. Unterschiede zwischen Anrechnungs- und Ausgleichungspflichtteil, §§ 2315, 2316 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Anrechnungspflichtteil, § 2315 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Ausgleichungspflichtteil, § 2316 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammentreffen von § 2315 und § 2316 BGB . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammentreffen von § 2316 BGB und § 2325 BGB . . . . . . . . . .

. 1596 . 1597 . 1605 . 1613 . 1616

VI. Pflichtteilsergänzungsansprüche bei Schenkungen des Erblassers 1. Pflichtteilsergänzung gegen den Erben, § 2325 BGB . . . . . . . . . . . 1618 2. Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten, § 2329 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1687 VII. 1. 2. 3.

Pflichtteil und Gesellschaftsrecht Pflichtteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1694 Pflichtteilsergänzungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1696 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1702 XXVII

Inhaltsübersicht Seite

VIII. 1. 2. 3. 4. IX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Haftung und Verteidigung Haftung für Pflichtteilsansprüche im Außenverhältnis . . . . . . Verteidigung gegen Pflichtteilsansprüche im Außenverhältnis. . Pflichtteilslast im Innenverhältnis, §§ 2320, 2321 BGB . . . . . . Haftung bei Vermächtnissen und Auflagen im Außenverhältnis.

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Vermeidung und Beschränkung von Pflichtteilsansprüchen Pflichtteilsentziehung und Unwürdigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht, § 2338 BGB . . . . . . . . Pflichtteilsverzicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anrechnung oder Ausgleichung, §§ 2315, 2316 BGB . . . . . . . . . Verbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösend bedingte Zuwendungen als Anreiz zum Verzicht . . . . . Flucht in die Pflichtteilsergänzung: Schenkungen und Nutzung von Bewertungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlagerung ins „pflichtteilsfeindliche“ Ausland . . . . . . . . . . . Flucht ins Gesellschaftsrecht und gegenseitige Zuwendungen . . . . Einwirkung auf die Pflichtteilsquote. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsmöglichkeiten verheirateter Erblasser . . . . . . . . . . . Vertrag über den künftigen Pflichtteil, § 311b Abs. 5 BGB . . . . . . Strategien in Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . .

. 1703 . 1703 . 1728 . 1730 . 1734 . 1748 . 1751 . 1759 . 1759 . 1760 . 1760 . 1763 . 1772 . 1772 . 1773 . 1777 . 1777

X. Pflichtteilsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1787 XI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. XII. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Taktik im Pflichtteilsprozess Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Klageart ist gegen wen richtig? . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrenshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitwert, Gerichts- und Anwaltskosten . . . . . . . . . . . . . . Antragsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwangsvollstreckung aus Auskunfts- und Wertermittlungstiteln Pfändung des Pflichtteilsanspruchs, § 852 ZPO . . . . . . . . . .

. . . . . . .

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. 1790 . 1791 . 1796 . 1800 . 1804 . 1808 . 1811

Anhang Nachlassverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preisindizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellen zu § 14 BewG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellarische Länderübersicht über Pflichtteils- und Noterbrechte Pflegestatistik 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Checklisten zur Überprüfung von Immobiliengutachten . . . . . .

. . . . . .

. 1812 . 1815 . 1816 . 1816 . 1830 . 1830

C. VII. Auskunftsansprüche im Erbrecht (Edenfeld) Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1836 I. Auskunftsansprüche des Erben 1. Der Auskunftsanspruch gegen den Erbschaftsbesitzer (§ 2027 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1837 XXVIII

Inhaltsübersicht Seite

2. Der Auskunftsanspruch gegen sonstige Besitzer von Nachlasssachen (§ 2027 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Auskunftsanspruch gegen Hausgenossen des Erblassers (§ 2028 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Auskunftspflicht des vorläufigen gegenüber dem endgültigen Erben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ansprüche gegen den Testamentsvollstrecker (§§ 2215, 2218 BGB) . . 6. Der Anspruch gegen den Scheinerben (§ 2362 Abs. 2 BGB) . . . . . . . 7. Allgemeine Auskunftspflichten (§§ 242, 666 BGB). . . . . . . . . . . .

. 1847 . 1849 . 1852 . 1853

II. 1. 2. 3.

. 1842 . 1844

Auskunftsansprüche unter Miterben . . . . . . . . Der Auskunftsanspruch aus § 2057 BGB . . . . . . Die Ansprüche aus §§ 2027, 2028 BGB . . . . . . . Allgemeine Auskunftspflichten (§§ 242, 666 BGB).

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. 1856 . 1857 . 1859 . 1859

III. 1. 2. 3.

Auskunftsansprüche des Nacherben . Der Anspruch aus § 2121 BGB . . . . Der Anspruch aus § 2127 BGB . . . . Der Anspruch aus § 2130 Abs. 2 BGB

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. 1860 . 1861 . 1863 . 1864

IV. 1. 2. 3. 4.

Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten Auskunftsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auskunftsschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuale Geltendmachung . . . . . . . . . . . . .

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. 1865 . 1866 . 1867 . 1872

Auskunftsansprüche der Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . Der Anspruch gegen den Nachlasspfleger/-verwalter (§ 2012 BGB) Der Anspruch gegen den Fiskus als Erben (§ 2011 S. 2 BGB) . . . . Auskunftspflicht bei der Inventarerrichtung (§ 2003 Abs. 2 BGB) .

. . . .

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. 1873 . 1874 . 1874 . 1875

V. 1. 2. 3.

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VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1875 C. VIII. Der Erbschaftsanspruch (Edenfeld) I. 1. 2. 3.

Bedeutung des Erbschaftsanspruchs . Einzelansprüche des Erben . . . . . . Der erbrechtliche Gesamtanspruch (§ Verhältnis zu den Einzelansprüchen .

II. 1. 2. 3.

Der Herausgabeanspruch gegen den Erbschaftsbesitzer Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1881 Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1884 Prozessuale Aspekte, Auskunftsanspruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1888

III. 1. 2. 3. 4.

. . . . . . . . . . . . . . 2018 BGB) . . . . . . .

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Sekundäre Ansprüche bei Unmöglichkeit der Herausgabe Haftung des gutgläubigen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . Haftung des verklagten Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . Haftung des bösgläubigen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . Haftung des deliktischen Erbschaftsbesitzers. . . . . . . .

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. 1876 . 1877 . 1877 . 1879

. 1890 . 1891 . 1892 . 1892 . 1893 XXIX

Inhaltsübersicht Seite

IV. 1. 2. 3.

Verwendungsansprüche des Erbschaftsbesitzers Ansprüche des gutgläubigen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . . . . . 1894 Ansprüche des bösgläubigen oder verklagten Erbschaftsbesitzers . . . 1897 Ansprüche des deliktischen Erbschaftsbesitzers . . . . . . . . . . . . . 1897

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1897 C. IX. Die Testamentsvollstreckung (Steiner) I. 1. 2. 3.

Plädoyer für die Testamentsvollstreckung Elementarziele des Erblassers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1904 Funktionen der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . 1905 Die Person des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . . . . . . . . 1907

II. Allgemeine Ratschläge für die Amtsführung . . . . . . . . . . . . . . . 1908 III. Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers und Abgrenzung zu anderen Rechtsfiguren (insbesondere Vollmacht) 1. Rechtsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1910 2. Testamentsvollstreckung und trans- sowie postmortale Vollmacht . . 1911 IV. 1. 2. 3. V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Wer kann Testamentsvollstrecker sein? Keine Amtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1912 Mögliche Ausschlusstatbestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1913 Erben, Familienangehörige und gesetzliche Vertreter als Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1916 Arten der Testamentsvollstreckung Ist Testamentsvollstreckung gewollt? . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über die Testamentsvollstreckungsarten . . . . . . . . Die Abwicklungstestamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . Dauer- und Verwaltungstestamentsvollstreckung . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung als differenziertes Gestaltungsmittel (Erweiterungen und Beschränkungen) . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung über Vor- und Nacherbschaft. . . . . . Vermächtnistestamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung und Behindertentestament . . . . . . . Testamentsvollstreckung bei verschwenderischem Pflichtteilsberechtigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 1918 . 1919 . 1920 . 1921

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. 1925 . 1930 . 1933 . 1935

. . . 1935

VI. Der Nachlass vor Beginn der Testamentsvollstreckung 1. Verzögerter Amtsbeginn, Probleme der Handlungsunfähigkeit. . . . . 1935 2. Lösungswege in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1936 VII. 1. 2. 3.

Anordnung und Beginn der Testamentsvollstreckung Die Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1937 Die Ernennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1937 Der Amtsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1939

VIII. Erbschein, Grundbuch, Handelsregister 1. Erbschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1940 XXX

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2. Grundbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1941 3. Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1942 IX. 1. 2. 3. 4. 5.

Das Testamentsvollstreckerzeugnis Legitimationsfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . Was beweist das Testamentsvollstreckerzeugnis? Arten von Testamentsvollstreckerzeugnissen . . Inhalt des Testamentsvollstreckerzeugnisses. . . Erteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 1943 . 1944 . 1944 . 1944 . 1945

X. Pflichtteilsberechtigte und Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . 1945 XI. Rechtsverhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Gerichten 1. Das Rechtsverhältnis zum Nachlassgericht. . . . . . . . . . . . . . . . 1946 2. Das Rechtsverhältnis zum Prozessgericht. . . . . . . . . . . . . . . . . 1947 XII. Aufgaben des Testamentsvollstreckers 1. Allgemeine Umschreibung und Beurteilungsmaßstab für das Handeln des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Was der Testamentsvollstrecker nicht kann . . . . . . . . . . . . 3. Inbesitznahme und Konstituierung des Nachlasses . . . . . . . . 4. Die Pflicht zur Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 6. Erstellung und Durchführung des Auseinandersetzungsplans . . 7. Höchstpersönlichkeit, Auskunfts- und Rechnungslegungspflicht 8. Prozessführung und Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . 9. Herausgabe des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Besonderheiten bei der Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . .

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. 1947 . 1948 . 1949 . 1950 . 1960 . 1961 . 1964 . 1968 . 1970 . 1972

XIII. Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren 1. Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1973 2. Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1974 XIV. 1. 2. 3. 4. 5. XV. 1. 2. 3. XVI. 1. 2. 3. 4. 5.

Testamentsvollstrecker und Steuern Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuern vor dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durch den Erbfall entstandene Steuern (Erbschaftsteuer) . . . . . . Steuern nach dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerliche Geltendmachung des Testamentsvollstreckerhonorars

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. 1974 . 1975 . 1979 . 1984 . 1989

Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen Kennzeichnung des Problems und Weg der Darstellung . . . . . . . . . 1989 Der Abwicklungsvollstrecker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1990 Der Verwaltungsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1990 Mehrere Testamentsvollstrecker Die Frage nach dem Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meinungsverschiedenheiten zwischen Testamentsvollstreckern Notwendige Erhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 1997 . 1997 . 1998 . 1998 . 1998 XXXI

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XVII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Die Haftung des Testamentsvollstreckers Haftung wem gegenüber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für welchen Zeitraum? . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Haftpflichtprozess gegen den Testamentsvollstrecker Haftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Erben für den Testamentsvollstrecker . . . .

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. 1998 . 1999 . 1999 . 2003 . 2003 . 2003 . 2004 . 2004 . 2005

XVIII. Internationale Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . 2006 XIX. 1. 2. 3. XX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Die Beendigung des Amtes Auflistung der Beendigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2007 Kündigung durch den Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . 2007 Entlassung des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . . . . . . . 2008 Die Vergütung des Testamentsvollstreckers Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der Vergütung durch den Erblasser . . . . . . . . . Vergütungsvereinbarung mit den Erben . . . . . . . . . . . . . . Vergütungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhe der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vergütung mehrerer Testamentsvollstrecker . . . . . . . . Vergütung des vermeintlichen Testamentsvollstreckers . . . . Aufwendungsersatz, Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fälligkeit, Vorschuss, Entnahme, Zurückbehaltungsrecht . . . Schuldner der Testamentsvollstreckervergütung . . . . . . . . . Abtretung, Verjährung, Verwirkung, Insolvenz . . . . . . . . . . Steuerliche Behandlung der Testamentsvollstreckervergütung.

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. 2014 . 2014 . 2015 . 2015 . 2016 . 2023 . 2023 . 2024 . 2025 . 2026 . 2027 . 2027

C. X. Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis (Krauß) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2031 I. 1. 2. 3. 4. 5.

Das Mandat im Erbscheinsverfahren Beratungsgegenstand . . . . . . . . . . . . Die Funktion des Erbscheins . . . . . . . Die einzelnen Wirkungen des Erbscheins Die Arten der Erbscheine . . . . . . . . . Beratungsgrundlagen . . . . . . . . . . . .

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. 2032 . 2032 . 2033 . 2035 . 2036

II. 1. 2. 3. 4.

Strategie zur Durchsetzung des Erbrechts Erbrechtliche Mandate. . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung: Erbscheinsverfahren – Zivilprozess . Abwägung: Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . Entbehrlichkeit eines Erbscheins. . . . . . . . . .

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. 2037 . 2038 . 2040 . 2043

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III. 1. 2. 3. 4. 5.

Der Erbscheinsantrag Rechtliche Bedeutung des Erbscheinsantrags . Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Erbscheinsantrags . . . . . . . . . . Informationsaufnahme zum Erbscheinsantrag Einreichen des Erbscheinsantrags . . . . . . .

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. 2049 . 2050 . 2054 . 2062 . 2063

IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Das Erbscheinsverfahren beim Nachlassgericht Gestaltung des Erbscheinsverfahrens . . . . . . . . . . . . Steuerungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . Beweiswürdigung, Feststellungslast . . . . . . . . . . . . . Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussetzung des Erbscheinsverfahrens . . . . . . . . . . . . Vergleich, Mediation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gebühren des Rechtsanwalts im Erbscheinsverfahren

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. 2075 . 2077 . 2081 . 2083 . 2085 . 2086 . 2089

Entscheidungen des Nachlassgerichts zum Erbscheinsantrag Entscheidungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arten der Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Erbscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten, Geschäftswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustellung, Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruch auf Ausfertigung des Erbscheins . . . . . . . . . . .

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. 2090 . 2091 . 2095 . 2099 . 2101 . 2101

Das Erbscheinseinziehungsverfahren (§ 2361 BGB) Beschwerde oder Einziehungsverfahren? . . . . . . Verfahrenseinleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltung des Einziehungsverfahrens . . . . . . . Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Einziehungsentscheidung . . . . . . . . . . . .

V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. VII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

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. 2102 . 2103 . 2103 . 2107 . 2108 . 2109

Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Nachlassgerichts Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdegericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdeanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwaltszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten, Geschäftswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 2111 . 2112 . 2112 . 2114 . 2116 . 2116 . 2118 . 2119 . 2119 . 2121 . 2121 . 2121 . 2121

VIII. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Beschwerdegerichts 1. Zulassungsgebundene Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . 2122 2. Frist, Begründung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2122 XXXIII

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3. 4. 5. 6. IX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Beschwerdegegenstand und -ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprungrechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhörungsrüge (§ 44 FamFG) bei Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Rechtsbeschwerdegericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) Die EU-Erbrechtsverordnung . . . . . . . Zweck des ENZ . . . . . . . . . . . . . . . Antragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des ENZ. . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zum Erbschein . . . . . . . . . Wirkungen des ENZ . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel, Änderung und Widerruf . . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht: Vergleich zum Erbschein . . .

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. 2125 . 2126 . 2126 . 2127 . 2128 . 2133 . 2134 . 2141 . 2144 . 2144 . 2146 . 2147 . 2148

C. XI. Erbschaftskauf und Erbteilskauf (Grötsch) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2151 II. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2153 III. Pflichten der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2153 1. Die einzelnen Pflichten des Verkäufers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2154 2. Die einzelnen Pflichten des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2158 IV. Gefahrübergang, Nutzungen und Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2161 V. Ähnliche Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2162 VI. Steuerliche Aspekte 1. Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2162 2. Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2163 VII. Gestaltungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2163 C. XII. Prozessuale Durchsetzung erbrechtlicher Ansprüche (Grötsch/Rösler) I. 1. 2. 3. 4. 5.

Klage auf Feststellung des Erbrechts Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Objektive Klagenhäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsklausel, örtliche Zuständigkeit und Streitwert . . . . Einstweiliger Rechtsschutz im Erbenfeststellungsverfahren. Der Erbvergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 2166 . 2167 . 2167 . 2169 . 2169

II. Klage auf Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2173 III. Klage auf Vermächtniserfüllung 1. Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2176 XXXIV

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2. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2178 3. Rechtsbehelf gegen die Teilungsversteigerung des Vermächtnisgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2180 IV. 1. 2. 3. V. 1. 2. 3. 4.

Grundbuchberichtigungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhinderung der Eintragung des Scheinerben als Eigentümer

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. 2180 . 2181 . 2181 . 2182

Klagen zum Pflichtteil Die Feststellungsklage . . . . Die Leistungsklagen . . . . . Der Pflichtteilsvergleich. . . Einstweiliger Rechtsschutz .

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. 2183 . 2190 . 2191 . 2191

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V. Klagen auf Auskunft, Rechnungslegung und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2192

D. Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht (Steiner)

I. 1. 2. 3.

Überblick Ziele der Nachfolgeplanung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2198 Erbschaftsteuerreform und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 2199 Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2201

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Das Mandat vor dem Erbfall: Steuerprophylaxe Vermögensstrukturanalyse als Ausgangspunkt: Bewertungsfragen Das Bewertungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Erbschaftsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der richtigen Vermögensstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltung des persönlichen Lebensbereichs . . . . . . . . . . . . . Vorweggenommene Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuergünstige Gestaltungen im Testament . . . . . . . . . . . . .

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. 2202 . 2203 . 2225 . 2251 . 2257 . 2258 . 2277

III. Das Mandat nach dem Erbfall: Optimale Abwicklung 1. Steuerliche Pflichten der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2289 2. Möglichkeiten steuergünstiger Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 2297 IV. 1. 2. 3. 4. 5.

Internationales Erbschaftsteuerrecht Systemüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundzüge des deutschen Internationalen Erbschaftsteuerrechts Gestaltungshinweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ABC der einzelnen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 2307 . 2308 . 2309 . 2315 . 2318

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Inhaltsübersicht

E. Der Erbfall mit Auslandsberührung (Kindler/Kränzle)

I. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Besonderheiten des Erbfalls mit Auslandsberührung Typische Sachverhalte und Beratungssituationen . . . Neuerungen durch die EuErbVO im Überblick . . . . . Funktion und Begriff des Internationalen Privatrechts Grundbegriffe des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung ausländischen Rechts in der Praxis . . . .

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. 2341 . 2343 . 2347 . 2348 . 2351 . 2361

III. Bestimmung des Erbstatuts bei Fehlen einer Rechtswahl 1. Letzter gewöhnlicher Aufenthalt, Art. 21 Abs. 1 EuErbVO . . . . . . . 2363 2. Anknüpfung nach der engsten Verbindung nach Art. 21 Abs. 2 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2371 3. Der gewöhnliche Aufenthalt in der testamentarischen Verfügung . . . 2371 IV. Bestimmung des Erbstatuts bei Rechtswahl 1. Wählbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2372 2. Die Rechtswahl in der Beratungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2375 V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Erbstatut Geltungsbereich, Art. 23 EuErbVO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachlasseinheit/Eingriffsnormen, Art. 30 EuErbVO. . . . . . . . . Rückverweisung nach Art. 34 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . Ordre Public, Art. 35 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf den Todesfall . . . . . . . . . Kommorienten, Art. 32 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fiskuserbrecht und Aneignungsrecht, Art. 33 EuErbVO. . . . . . . Bestimmung und Anpassung des Erbstatuts bei Angehörigen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ausgleich nach Ehegüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Vererbung von Gesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Abgrenzung zum Sachstatut (insb. Vindikationslegat). . . . . . . .

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. 2379 . 2380 . 2381 . 2383 . 2385 . 2387 . 2388

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. 2389 . 2391 . 2396 . 2402

VI. Die Verfügung von Todes wegen 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2405 2. Verfügungen von Todes wegen von mehreren Erblassern bzw. bezüglich mehrerer Beteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2406 VII. Das auf Formfragen anwendbare Recht 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfung des Formstatuts von Testamenten und Erbverträgen ab dem 17.8.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überblick über ausländische Testamentsformen. . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassende Checkliste für die Beratungspraxis . . . . . . . VIII. 1. 2. 3.

Internationales Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das autonome internationale Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . Die internationale Zuständigkeit nach Art. 4 ff. EuErbVO . . . . Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach Art. 39 ff. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 2411 . . 2414 . . 2416 . . 2416

. . . 2417 . . . 2418 . . . 2421 . . . 2426

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2429 XXXVI

Musterübersicht Seite

A. Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung M 1 Einleitung/Strukturierung Beratungsgespräch . . . M 2 Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . . . . . . M 3 Mandatsbeschränkung Steuerrecht . . . . . . . . . M 4 Mandatsbeschränkung ausländisches Recht . . . . M 5 Mandatsbeschränkung Internationales Privatrecht M 6 Haftungsbeschränkung im Einzelfall . . . . . . . . M 7 Haftungsbeschränkung AGB . . . . . . . . . . . . . M 8 Persönliche Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . M 9 Antwort Haftungsverlangen . . . . . . . . . . . . . M 10 Vergütungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . M 11 Mindestvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 9 25 26 26 27 27 28 30 40 41

M 12 Pflichtteilsanrechnungsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 13 Widerruf bei Steueranfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 90

B. Das Mandat vor dem Erbfall – Gestaltung letztwilliger Verfügungen I. Die lebzeitige Vermögensübertragung

II. Die Formen letztwilliger Verfügungen M M M M M M M M M

14 15 16 17 18 19 20 21 22

Pflichtteilsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament. . . . . Jastrow’sche Klausel in einem gemeinschaftlichen Testament . . . Eigenhändiges Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testament mit Feststellung der Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . Gemeinschaftliches Testament mit Schlusserbeneinsetzung . . . . Testamentarische Wiederverheiratungsklausel . . . . . . . . . . . . Testamentarisches Wiederverheiratungsvermächtnis . . . . . . . . Herausgabevermächtnis in einem gemeinschaftlichen Testament . Testamentarische Verpflichtung zur Eintragung einer Auflassungsvormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 23 Widerrufserklärung durch Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114 114 123 155 158 159 159 159 160 187

III. Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft M M M M M

24 25 26 27 28

Ersatzerbenanordnung . . . . . . . . . Ersatzerbenanordnung . . . . . . . . . Mehrere gleichberechtigte Ersatzerben Mehrstufige Ersatzerbschaft . . . . . . Ersatzerbschaft für Bruchteile . . . . .

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272 276 276 276 277

XXXVII

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IV. Die Vor- und Nacherbschaft M 29 Anordnung einer Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament . 292 V. Die Auflage M 30 Zweckauflage eines Heimbewohners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 M 31 Auflage zur Bestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 M 32 Allgemeine Zweckauflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 M 33 Konkrete Zweckauflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 M 34 Auflage für die Katze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 M 35 Auflage für Behinderten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 M 36 Auflage für konkretes Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 M 37 Auflage Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 M 38 Auflage Teilungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 VI. Das Vermächtnis M 39 Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . 354 M 40 Bestimmung der Erbquoten durch eine Teilungsanordnung . . . . . 357 M 41 Vermächtnis zugunsten eines gesetzlichen Erben . . . . . . . . . . . 358 M 42 Gewährleistung einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle sowie Fristvorgabe für die Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers . . 366 M 43 Gewährleistung einer Anwachsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 M 44 Ergänzende Vermächtnisanordnung bei Veräußerung des Vermächtnisgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 M 45 Verschaffungsvermächtnis unter Erhöhung des Erfüllungsdrucks. . 377 M 46 Universalvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 M 47 Gesellschaftsvertragliche einfache Nachfolgeklausel mit Verfügungsmöglichkeit an Vermächtnisnehmer. . . . . . . . . . . . . . 381 M 48 Gesellschaftsvertraglicher Ausschluss der Erben aus der Gesellschaft bei Unterbleiben der Verfügung an Vermächtnisnehmer . . . 382 M 49 Vermächtnis der Gewinn- und Abfindungsansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB bei gescheiterter vermächtnisweiser Übertragung eines Kommanditanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 M 50 Ernennung des Nießbrauchsvermächtnisnehmers zum Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 M 51 Ertragsnießbrauch an Gewinnansprüchen aus Gesellschaftsanteil . 390 M 52 Echter Unternehmensnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 M 53 Rentenvermächtnis mit Wertsicherungsklausel . . . . . . . . . . . . 393 M 54 Bedingtes Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 M 55 Bestimmung der Fälligkeit des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . 397 M 56 Gesamtschuldnerische Haftung im Außen-/Verteilungsmaßstab im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 XXXVIII

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M 57 Ausgleichspflicht des Nachtvermächtnisnehmers hinsichtlich eines Steuernachteils des Vorvermächtnisnehmers . . . . . . . . . . 415 VII. Das gemeinschaftliche Testament (§§ 2265–2273 BGB) M 58 Erbeinsetzung unter Berücksichtigung gleichzeitigen Ablebens . . . 427 M 59 Nießbrauch für überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . 433 M 60 Anordnung Vor- und Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 M 61 Anfechtungsausschluss im gemeinschaftlichen Testament . . . . . 434 M 62 Anordnung befreiter Vorerbschaft im gemeinschaftlichen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 M 63 Grundform Pflichtteilsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 M 64 Grundform Wiederverheiratungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . 436 M 65 Grundformel des Berliner Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 M 66 Einfache Pflichtteilsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 M 67 Pflichtteilsklausel mit Vermächtnisanordnung . . . . . . . . . . . . 442 M 68 Wiederverheiratungsklausel mit Vermächtnislösung . . . . . . . . . 445 M 69 Wiederverheiratungsklausel mit Vor-/Nacherbschaftslösung . . . . 449 M 70 Grundformel des Berliner Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 M 71 Anordnung der Wechselbezüglichkeit im Ehegattentestament . . . 455 M 72 Ausschluss der Anfechtung im Ehegattentestament . . . . . . . . . 464 M 73 Änderungsvorbehalt im Ehegattentestament . . . . . . . . . . . . . 467 VIII. Das Behinderten- und Bedürftigentestament M 74 Bedingtes Vorausvermächtnis (als Vor- und Nachvermächtnis) beim „Behindertentestament“ (als Vorsorge gegen die Werttheorie sowie gegen überleitbare Pflichtteilsansprüche) . . . . . . . . . . . . 487 M 75 Dauertestamentsvollstreckung über den Vorerbenanteil beim „Behindertentestament“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 M 76 Hinweise und vorsorgende Hilfslösung beim Behindertentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 M 77 Bedingte Befreiung von den Vorerbschaftsbeschränkungen und bedingter Wegfall der Testamentsvollstreckung beim Bedürftigentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 M 78 Muster eines „klassischen“ Behindertentestamentes (als Erbvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 IX. Nichteheliche Partner und das Erbrecht M 79 Vaterschaftsanerkennung (notarielle Urkunde) . . . . . . . . . . . . 524 M 80 Gemeinsame Sorgeerklärung nach § 1626a BGB (notarielle Urkunde). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 M 81 Notarielle Gleichstellungsvereinbarung gem. § 10a NEhelG . . . . 532 XXXIX

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M 82 Erbeinsetzung des nichtehelichen Lebenspartners . . . . . . . . . . 537 M 83 Erbeinsetzung des nichtehelichen Lebenspartners (mit Motivangabe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 M 84 Erbeinsetzung des nichtehelichen Partners unter auflösender Bedingung der Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 M 85 Erklärung: Keine Bindung durch frühere Verfügungen . . . . . . . . 541 M 86 Gegenseitige Erbeinsetzung durch Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . 543 M 87 Rücktrittsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 M 88 Verzicht auf Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 M 89 Vorbehalt anderweitiger Testierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 M 90 Einsetzung des Lebenspartners als Alleinerbe . . . . . . . . . . . . . 547 M 91 Erbeinsetzung der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 M 92 Vorbehalt der Bestimmung der Erbquote der Kinder . . . . . . . . . 548 M 93 Einräumung eines Vermächtnisnießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . 548 M 94 Einsetzung eines Partners als Vorerben . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 M 95 Einsetzung der Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 M 96 Einsetzung eines gemeinschaftlichen Kindes als Nacherbe . . . . . 553 M 97 Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenrechts . . . . . . . . . 554 M 98 Vorbehalt der Änderung der Nacherbeneinsetzung . . . . . . . . . . 554 M 99 Zuwendung einer Immobilie im Vermächtniswege . . . . . . . . . . 555 M 100 Anordnung eines Nachvermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 M 101 Zuwendung von Hausrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 M 102 Pflichtteilsverzicht mit Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 M 103 Zuwendungsverzicht gegen Abfindungszahlung . . . . . . . . . . . 566 M 104 Darlehensvertrag zur Investitionsabsicherung unter Lebensgefährten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 M 105 Nutzungsabrede zur Sicherung des Lebensgefährten . . . . . . . . . 582 M 106 Wechselseitige Erwerbsrechte unter Lebensgefährten bei Scheitern der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 M 107 Erwerbende GbR; bewegliche Beteiligungsquoten . . . . . . . . . . . 584 X. Der minderjährige Erbe M 108 Lediglich rechtlich vorteilhafter Rückübertragungsvorbehalt . . . . 604 M 109 Lediglich rechtlich vorteilhafte Anordnung der Pflichtteilsanrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 M 110 Notariell beurkundetes Testament durch Übergabe einer offenen Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 M 111 Benennung eines Pflegers für minderjährige Kinder des Erblassers . 613 M 112 Verwaltungsanordnung zugunsten minderjähriger Kinder gegenüber Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 XL

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M 113 Vormundbenennung für minderjährige Kinder auf den Tod beider Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 M 114 Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis . . . 616 M 115 Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes durch die Mutter für ihre minderjährigen nicht aus einer Ehe stammenden Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 M 116 Anordnung von Vermächtnisvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . 619 M 117 Testamentarische Pflichtteilsbeschränkung des Kindes durch Eltern zugunsten minderjähriger Enkelkinder . . . . . . . . . . . . . 621 M 118 Ausbildungsunterhaltsvermächtnis in Patchwork-Familie. . . . . . 623 M 119 Vertrag über entgeltlichen auflösend bedingten Pflichtteilsverzicht des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 M 120 Vertrag über entgeltlichen auflösend bedingten Zuwendungsverzicht des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 M 121 Aufhebungsvertrag über den entgeltlichen Pflichtteilsverzicht des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 M 122 Ausschlagung einer Erbschaft durch den längstlebenden Elternteil für sich und das Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 M 123 Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung zu einer Erbschaftsausschlagung für das gesetzlich vertretene minderjährige Kind . . . 645 XI. Die Unternehmensnachfolge M 124 Eintragung eines haftungsbeschränkenden Vermerks in das Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 M 125 Inhaberwechsel – registerrechtliche Anmeldung . . . . . . . . . . . 666 M 126 Betriebsverpachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 M 127 Begrenzung des Vorausvermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . 710 M 128 Fortsetzung einer GbR nach Tod eines Gesellschafters . . . . . . . . 714 M 129 Einräumung des Rechts zur Übernahme des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 M 130 Einfache Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 M 131 Nachfolgeklausel Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 M 132 Umwandlungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720 M 133 Nachfolgeklausel: Rechtstellung der Erben . . . . . . . . . . . . . . 721 M 134 Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724 M 135 Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . 726 M 136 Erweiterte rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . 726 M 137 Vermächtnis: Eintrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730 M 138 Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730 M 139 Bestimmung des Gesellschafter-Nachfolgers (I) . . . . . . . . . . . . 759 M 140 Bestimmung des Gesellschafter-Nachfolgers (II) . . . . . . . . . . . . 759 XLI

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M 141 Bestimmung des Gesellschafter-Nachfolgers (III) . . . . . . . . . . . 760 M 142 Ausschluss von Erben von der Gesellschafter-Nachfolge . . . . . . . 760 M 143 Verpflichtung der Erben zur Geschäftsanteilsübertragung . . . . . . 761 M 144 Einziehungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765 M 145 Kaduzierungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 XII. Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung XIII. Landwirtschaftliches Sondererbrecht M 146 Testament mit Drittbestimmung der Teilungsanordnung nach § 2049 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849 M 147 Antrag auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs . . . . . 852 M 148 Ertragswertvereinbarung mit beschränktem Pflichtteilsverzicht . . 875 M 149 Auseinandersetzung bei fortgesetzter Gütergemeinschaft . . . . . . 877 M 150 Übernahmerecht für Landgut zum Ertragswert . . . . . . . . . . . . 881 M 151 Klageantrag zur Übernahme eines geschlossenen badischen Hofguts gegen Ertragswertabfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901 M 152 Hofübergabevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913 XIV. Die Schiedsgerichtsklausel (§ 1066 ZPO) M 153 Bestimmung der Schiedsrichtervergütung . . . . . . . . . . . . . . . 923 M 154 Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 924 M 155 Bestimmung des Umfangs der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . 924 M 156 Bestimmung des Schiedsrichters und Schiedsgutachers bei Personenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926 M 157 Bestimmung des Schiedsrichters und Schiedsgutachers bei Personendiversität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926 M 158 Anordnung eines Schiedsgutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 927 M 159 Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit bei Pflichtteilsansprüchen . 932 M 160 Bestimmung eines Ersatzschiedsrichters . . . . . . . . . . . . . . . . 933 M 161 Bestimmung eines Ersatzschiedsrichters durch Dritte . . . . . . . . 933 M 162 Bestimmung des Testamentsvollstreckers zum Schiedsrichter . . . 934 XV. Der Erbverzicht (§§ 2346–2353 BGB) M 163 Verzicht beim Ableben des Erstversterbenden und Bestehen der angeordneten Vermächtnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963 M 164 Rücktrittsrecht bei Schmälerung der Abfindung (= Vermächtnisgegenstand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1014 M 165 Vermächtnis als Abfindung – Kürzung vermeiden. . . . . . . . . . 1015 M 166 Isolierter Pflichtteilsverzicht berührt nicht gesetzliche Erbfolge . 1016 M 167 Gegenständliche Begrenzung des Pflichtteilsverzichts anlässlich einer Zuwendung an einen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 XLII

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M 168 Schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Verzichtendem und Übernehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 XVI. Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht M 169 Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061 M 170 Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1062 M 171 Betreuungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1065 XVII. Der digitale Nachlass M 172 Vorsorgevollmacht für digitale Angelegenheiten . . . . . . . . . . 1089 M 173 Testamentarische Regelung des digitalen Nachlasses . . . . . . . 1091

C Das Mandat nach dem Erbfall I. Die gesetzliche Erbfolge II. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft III. Die Nachlasspflegschaft M 174 Klagerubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1235 M 175 Entlastungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1245 IV. Die Erbengemeinschaft V. Die Haftung des Alleinerben M 176 Nachfolgeklausel GmbH-Anteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1362 VI. Der Pflichtteil M 177 Ausschlagung nach § 2306 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1580 M 178 Erklärungsfrist gegen pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1592 M 179 Pflichtteilsanrechnung nach § 2315 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 1598 M 180 Letztwilliger Ausschluss der Ausgleichung nach §§ 2050 ff. BGB . 1610 M 181 Fortsetzungsklausel mit Abfindungsausschluss bei Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1695 M 182 Stundungsantrag beim Nachlassgericht, § 2331a BGB . . . . . . . 1716 M 183 Stundungsantrag beim Prozessgericht, § 2331a BGB . . . . . . . . 1716 M 184 Pflichtteilsentziehung, § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . 1742 M 185 Pflichtteilsentziehung, § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB . . . . . . . . . . 1743 M 186 Pflichtteilsbeschränkung bei Überschuldung, § 2338 BGB . . . . . 1750 M 187 Abgeltungsklausel im Pflichtteilsverzichtsvertrag . . . . . . . . . 1755 M 188 Herausgabevermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1778 M 189 Automatische Pflichtteilsklausel mit Jastrow’schem Vermächtnis 1781 M 190 Fakultative Pflichtteilsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1782 XLIII

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M M M M M M

191 192 193 194 195 196

Pflichtteilsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feststellung des Pflichtteils zur Insolvenztabelle . . . . . . . . Pflichtteilsstufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsergänzungsklage gegen Grundstücksbeschenkten . Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung, § 780 ZPO . . . . . . . Zwangsgeldantrag zur Vollstreckung von Auskunft und Wertermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 197 Nachlassverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

1789 1795 1805 1807 1808

. . 1811 . . 1812

VII. Auskunftsansprüche im Erbrecht M M M M M M

198 199 200 201 202 203

Auskunftsklage bzgl. Bestandsverzeichnis . . . . . . . . . . . . Vollstreckungsantrag zur Durchsetzung eines Auskunftstitels Auskunftsklage über Nachlassgeschäfte . . . . . . . . . . . . . Auskunftsklage zur Rechenschaftslegung . . . . . . . . . . . . Auskunftsklage über ausgleichungspflichtige Zuwendungen . Auskunftsklage des Pflichtteilsberechtigten . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

1841 1842 1846 1849 1858 1873

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1918 1922 1923 1924 1924 1927 1927 1928 1928 1928 1929 1929 1931 1938 1938 1938 1939 1939 1991 1992 1995

VIII. Der Erbschaftsanspruch IX. Die Testamentsvollstreckung M M M M M M M M M M M M M M M M M M M M M

204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224

XLIV

Benennung des Testamentsvollstreckers . . . . . . . Anordnung Dauertestamentsvollstreckung . . . . . Auseinandersetzungsverbot . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung für überschuldeten Erben Ehefrau als Testamentsvollstreckerin. . . . . . . . . Erbteilsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschränkte Testamentsvollstreckung . . . . . . . . Zustimmungsbefugnis Dritter . . . . . . . . . . . . . Nacherbenvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . Vermächtnisvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . Beaufsichtigende Testamentsvollstreckung . . . . . Testamentsvollstreckung für Ersatzerben . . . . . . Nacherbenvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckerernennung . . . . . . . . . . Bestimmungsrecht Testamentsvollstrecker . . . . . Benennung Mittestamentsvollstrecker/Nachfolger . Benennung durch Nachlassgericht . . . . . . . . . . Entfall Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . Vollmachtlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Treuhandlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentsvollstreckung Kommanditanteil . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Musterübersicht Seite

X. Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis M 225 Antrag auf Erteilung eines Überweisungszeugnisses nach § 36 GBO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 226 Antrag auf Erteilung eines Erbscheins nach § 2353 BGB . . . . . . M 227 Antrag nach § 2369 Abs. 1 BGB, Abweichungen vom allgemeinen Erbscheinsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 228 Feststellungsbeschluss im streitigen Erbscheinsverfahren . . . . . M 229 Sofortige Beschwerde gegen einen Feststellungsbeschluss im streitigen Erbscheinsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 230 Vorläufiger Erbschein ohne Quotenangabe . . . . . . . . . . . . . . M 231 Anregung zur Einziehung des Erbscheins und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 49 Abs. 1 FamFG . . . . . M 232 Antrag auf Eintragung eines Widerspruchs aufgrund gerichtlichen Verfügungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 233 Antrag auf vorläufige Hinterlegung einer beweglichen Sache während des Einziehungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . M 234 Rechtsbeschwerde gem. §§ 70 ff. FamFG . . . . . . . . . . . . . . . M 235 Antrag auf Ausstellung eines ENZ . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2047 2070 2071 2094 2094 2099 2104 2106 2107 2126 2138

XI. Erbschaftskauf und Erbteilskauf XII. Prozessuale Durchsetzung erbrechtlicher Ansprüche M M M M M M M

236 237 238 239 240 241 242

M 243 M 244 M 245 M 246 M M M M

247 248 249 250

M 251

Antrag auf Feststellung des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Feststellung der Miterbenstellung . . . . . . . . . . . . Antrag auf Herausgabe des Erbscheins . . . . . . . . . . . . . . . . Stufenklage auf Auskunft und Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . Antrag Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klageantrag der Erbteilungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klageantrag (Eigentumsumschreibung und Herausgabe eines Grundstücks). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klageantrag (Feststellung des befristeten Vermächtnisanspruchs) . Einstweilige Verfügung zur Eintragung einer Auflassungsvormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausgabe an Gerichtsvollzieher per einstweiliger Verfügung . . Erlass eines dinglichen Arrestes zur Sicherung eines Geldvermächtnisses (Antrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf negative Feststellung des Pflichtteilsrechts . . . . . . . Antrag auf positive Feststellung des Pflichtteilsentziehungsrechts Negative Feststellung des Pflichtteilsentziehungsrechts (Antrag) . Antrag des Pflichtteilsberechtigten auf positive Feststellung seines Pflichtteilsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag des Erben auf negative Feststellung des Pflichtteilsrechts .

2168 2168 2168 2169 2169 2174 2177 2178 2179 2179 2180 2185 2185 2187 2189 2189 XLV

Musterübersicht Seite

M 252 Antrag des Pflichtteilsberechtigten gegen den zuletzt Beschenkten auf Duldung der Zwangsvollstreckung und positiver Feststellung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen den früher Beschenkten zur Verjährungshemmung, § 2329 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . 2190

D. Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht E. Der Erbfall mit Auslandsberührung M M M M M

253 254 255 256 257

Gewöhnlicher Aufenthalt in der testamentarischen Verfügung . . Vorsorgliche Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testamentarische Rechtswahl mit salvatorischer Klausel . . . . . Testamentarische Rechtswahlklausel nach dem 17.8.2015 . . . . Ausführliche testamentarische Rechtswahlklausel für die (notarielle) Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M 258 Rechtswahlklausel für gemeinschaftliche Testamente/Erbverträge

XLVI

2372 2375 2378 2378 2379 2410

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. Abs. AcP AE AEAO AfA AG AGBG AgrarR AGS AK-BGB AktG AktO ALB ALR Alt. and. AnfG Anh Anm AO ARB 94 Art. ArztR AStG Aufl. AVB

BA BadWüLFGG BayAGGVG BayObLG BayObLGReport BayObLGZ BB

anderer Ansicht alte Fassung Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Anwendungserlass Anwendungserlass zur Abgabenordnung Absetzung für Abnutzung Aktiengesellschaft Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Zeitschrift für das Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes Anwaltsgebühren spezial (Zeitschrift) Alternativkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Aktiengesetz Aktenordnung Allgemeine Lebensversicherungs-Bedingungen Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Alternative anders Anfechtungsgesetz Anhang Anmerkung Abgabenordnung Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 1994 Artikel Arztrecht (Zeitschrift) Außensteuergesetz Auflage Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten Betriebsausgaben Baden-Württembergisches Landesgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes Bayerisches Oberstes Landesgericht Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts Sammlung der Entscheidungen in Zivilsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts Betriebs-Berater (Zeitschrift) XLVII

Abkürzungsverzeichnis

BBEV BE BV BE GrV BE LuF BErzGG BeurkG BewG BFH BFH/NV

BGHSt BGHZ BJM BMF BNotO BR BRAGO BRAO BR-Drucks. BSHG BStBl. BT BT-Drucks. BtG BtPrax BVerfG BVerfGE BWLFGG BWNotZ

BeraterBrief Erben und Vermögen (Zeitschrift) Bewertungserlass Betriebsvermögen Bewertungserlass Grundvermögen Bewertungserlass Land- und Forstwirtschaft Bundeserziehungsgeldgesetz Beurkundungsgesetz Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH (Zeitschrift) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung des Bundesgerichtshofs Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium der Justiz Bundesministerium der Finanzen Bundesnotarordnung Bundesrat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestag Bundestags-Drucksache Betreuungsgesetz Betreuungsrechtliche Praxis (Zeitschrift) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) s. BadWüLFGG Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg

CR c’t

Computer und Recht (Zeitschrift) Magazin für Computertechnik (Zeitschrift)

DÄ DB DBA DGA Die Justiz DJ DNotZ DRiZ DStR DStRE DStZ DtZ

Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift) Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Deutsche Gesellschaft für Agrarrecht Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Deutsche Justiz (Zeitschrift) Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift

BGB BGBl. BGH BGHReport

XLVIII

Abkürzungsverzeichnis

EE EFG EGBGB EGMR Einf EinigsV ErbbauRG ErbBstg ErbGleichG ErbR ErbStB ErbStDV ErbStDVO ErbStG ErbStH ErbStR ERMK EStG EuGH EuGRZ EV EWiR EWR FahrlG FamFG

Erbrecht effektiv (Zeitschrift) Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführung Einigungsvertrag vom 31.8.1990 (BGBl 1990 II 889) Gesetz über das Erbbaurecht Erbfolgebesteuerung (Zeitschrift) Erbrechtsgleichstellungsgesetz Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis, auch Erbrecht Der Erbschaft-Steuer-Berater (Zeitschrift) Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung s. ErbStDV Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Erbschaftsteuer-Hinweis Erbschaftsteuer-Richtlinien Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte Einkommensteuergesetz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift Einigungsvertrag Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäischer Wirtschaftsraum

FPR FR FS

Fahrlehrergesetz Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen Der Familien-Rechts-Berater (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Feststellungserlass Forum Familienrecht (Zeitschrift) folgende Finanzgericht freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zeitschrift) Fußnote Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie (Zeitschrift) Familie, Partnerschaft, Recht (Zeitschrift) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Festschrift

GBl. GBO GbR GewO

Gesetzblatt Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gewerbeordnung

FamGKG FamRB FamRZ FE FF ff. FG fG FGG FGPrax Fn. FPPK

XLIX

Abkürzungsverzeichnis

GewStG GG GKG GmbH GmbHG

GüKG GVBl. GVG

Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Grundstückverkehrsgesetz Großer Senat Grundsteuergesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz

h.M. HandwO HeimG Hereditare HGB HöfeO HRR HRV Hs. HTÜ

herrschende Meinung Handwerksordnung Heimgesetz Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht Handelsgesetzbuch Höfeordnung Höchstrichterliche Rechtsprechung (Zeitschrift bis 1942) Handelsregisterverordnung Halbsatz Haager Testamentsformübereinkommen

i.d.R. i.S.d. i.S.v. i.V.m. INF InsO IntGesR IPR IPRax

in der Regel im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit Die Information über Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Insolvenzordnung Internationales Gesellschaftsrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (Zeitschrift) Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)

GmbHR GNotKG GrdstVG GrS GrStG GRUR-Prax GRUR-RR

IStR JA JFG JhJ Jura JurBüro JuS L

Juristische Ausbildungsblätter (Zeitschrift) Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Das juristische Büro (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis

JW JZ

Juristische Wochenschrift (Zeitschrift, bis 1944) Juristenzeitung

K&R KapCoRiLiG KFR KG KGJ KGReport KindRG KJHG KO KonsG KÖSDI KostO KostRMoG KStG KStZ KWG

Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinien-Gesetz Kommentierte Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Kommanditgesellschaft; auch: Kammergericht Berlin Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung des Kammergerichts Kindschaftsrechtsreformgesetz Kinder- und Jugendhilfegesetz Konkursordnung Konsulargesetz Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Kostenordnung Kostenrechtsmodernisierungsrecht Körperschaftsteuergesetz Kommunale Steuer-Zeitschrift Kreditwesengesetz

LBG LFGG LG LM

Landesbeamtengesetz Landesgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Landgericht Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz Lebenspartnerschaftsgesetz Leitsatz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen Landeswohlfahrtsverbändegesetz

LPartErgG LPartG LS LwVfG LWVG m.w.N. MDR MedR MittBayNot MittRhNotK MMR MoMiG MüKo n.F. NEhelG NJ NJOZ NJW NJWE-FER NJW-RR

mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) Medizinrecht (Zeitschrift) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer MultiMedia und Recht (Zeitschrift) Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch neue Fassung Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht NJW Rechtsprechungs-Report Zivilrecht LI

Abkürzungsverzeichnis

notar nrkr. NWB NWB-EV NZG

Mitteilungsblatt des Deutschen Notarvereins nicht rechtskräftig Neue Wirtschaftsbriefe (Zeitschrift) NWB-Erben + Vermögen (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

OFD OGH OGHZ

Oberfinanzdirektion Oberster Gerichtshof Österreich Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Zivilsachen offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts, Band 1–46, erschienen 1900–1928 (zitiert nach Band, Seite) Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen 1965–1994 (zitiert nach Jahrgang, Seite) Oberverwaltungsgericht

oHG ÖJZ OLG OLGE OLGReport OLGZ OVG PalArch PartGG PBefG PreisKLG PublG RabelsZ RAG RBerG RDG RdL RdLH RG RGBl. RGRK RGWarnR RGZ RIW rkr. RNotZ Rpfleger RpflG LII

Palandt Archiv (www.palandt.beck.de) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Personenbeförderungsgesetz Gesetz über das Verbot der Verwendung von Preisklauseln bei der Bestimmung von Geldschulden Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Rabel Reichsarbeitsgericht Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Recht der Landwirtschaft (Zeitschrift) Rechtsdienst der Lebenshilfe (Zeitschrift) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes mit Nebengesetzten, Kommentar Die Rechtsprechung des Reichsgerichts (Jahr und Nummer der Entscheidung) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft rechtskräftig Rheinische Notar-Zeitschrift (ehemals MittRhNotK) Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Rechtspflegergesetz

Abkürzungsverzeichnis

RVG Rz.

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randziffer

SachenRBerG SchfG SchiedsVfG SGB SGB XII st. Rspr. StAZ Stbg StBGebV StEntlG StEuglG StGB StPO StSenkErgG StSenkG StuW StVergAbG StWi

Sachenrechtsbereinigungsgesetz Schornsteinfegergesetz Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz Sozialgesetzbuch Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe ständige Rechtsprechung Das Standesamt (früher: Zeitschrift für Standesamtswesen) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberatergebührenverordnung Steuerentlastungsgesetz Steuer-Euroglättungsgesetz Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Gesetz zur Ergänzung des Steuersenkungsgesetzes Gesetz zur Reform der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Steuervergünstigungsabbaugesetz Steirische Wirtschaft (Zeitschrift)

TPG

Transplantationsgesetz

Ubg UmwG UmwStG UntStFG UVR

Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift)

VAStrRefG VBVG VersAusglG VersR VIZ VRegV VVG VZ

Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz Versorgungsausgleichsgesetz Versicherungsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Vorsorgeregister-Verordnung Gesetz über den Versicherungsvertrag Veranlagungszeitraum

WEG WertV WK WM WPg WpHG

Wohnungseigentumsgesetz Wertermittlungsverordnung Werbungskosten Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilungen Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz

ZAkDR ZAP

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für die Anwaltspraxis LIII

Abkürzungsverzeichnis

ZBlFG ZD ZErb ZEuP ZEV ZfbF ZFE ZfL ZfSH/SGB ZGB ZGR ZHR ZIP ZNotP ZPO ZVG ZVglRW

LIV

Zentralblatt für die Freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat Zeitschrift für Datenschutz Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Familien- und Erbrecht Zeitschrift für LebensrechtZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Sozialrecht in Deutschland und Europa Zivilgesetzbuch der DDR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für die NotarPraxis Zivilprozessordnung Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

Allgemeines Literaturverzeichnis Weitere Literaturhinweise finden sich jeweils am Anfang der einzelnen Kapitel.

Alternativkommentar zum BGB, Bd. 6, 1990 Bamberger/Roth/Bearbeiter, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Auflage 2012 Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 36. Auflage 2014 Beck’sches Formularbuch Erbrecht, 2. Auflage 2014 Beck’sches Notar-Handbuch, 5. Auflage 2009 Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, 5. Auflage 2013 Bonefeld, Haftungsfallen im Erbrecht, 2. Auflage 2012 Bonefeld/Kroiß/Tanck (Hrsg.), Erbprozess, 4. Auflage 2012 Bonefeld/Wachter, Der Fachanwalt für Erbrecht, 3. Auflage 2014 Brox/Walker, Erbrecht, 26. Auflage 2014 Bumiller/Harders, FamFG/Freiwillige Gerichtsbarkeit, 10. Auflage 2011 Crezelius, Unternehmenserbrecht, 2. Auflage 2009 Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht, 3. Auflage 2014 Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 5. Auflage 2006 Ebeling/Geck, Handbuch der Erbengemeinschaft, Steuerrecht – Zivilrecht (Loseblatt) Ebenroth, Erbrecht, 1992 Erman/Bearbeiter, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 14. Auflage 2014 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Handbuch der Vermögensnachfolge, 7. Auflage 2009 Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo, Höfeordnung, 3. Auflage 1994 Ferid/Firsching/Lichtenberger, Internationales Erbrecht (Loseblatt) Firsching/Graf, Nachlassrecht, 10. Auflage 2014 Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Auflage 2008 Frieser, Fachanwaltskommentar Erbrecht, 3. Auflage 2011 Frieser, Kompaktkommentar Erbrecht, 2007 Frieser/Sarres/Stückemann/Tschichoflos (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Erbrecht, 5. Auflage 2013 Fritz/Bünger, Praxishandbuch Erbrecht (Loseblatt) Frohnmayer, Geschiedenentestament, 2004 Gebel, Betriebsvermögensnachfolge, 2. Auflage 2002 Götzenberger, Optimale Vermögensübertragung: Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Auflage 2010 Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 5. Auflage 2014 Gursky, Erbrecht, 6. Auflage 2010 LV

Allgemeines Literaturverzeichnis

Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, 2008 Heldrich/Eidenmüller, Erbrecht, 4. Auflage 2001 Hopt/Hehl, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage 1996 Hörger/Stephan/Pohl, Unternehmens- und Vermögensnachfolge, 2002 Institut der Wirtschaftsprüfer, Praxis der Unternehmensnachfolge, 4. Auflage 2009 Jauernig/Bearbeiter, BGB, 15. Auflage 2014 Kapp/Ebeling, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt) Kerscher/Krug/Spanke, Das erbrechtliche Mandat, 5. Auflage 2014 Kipp/Coing, Erbrecht, 14. Auflage 1990 Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht, 4. Auflage 2014 Klingelhöffer, Vermögensverwaltung in Nachlasssachen, 2002 Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 7. Auflage 2014 Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis, 2. Auflage 2009 Krug/Rudolf/Kroiß, Anwaltformulare Erbrecht, 4. Auflage 2009 Landsittel, Gestaltungsmöglichkeiten von Erbfällen und Schenkungen, 3. Auflage 2006 Lange/Kuchinke, Lehrbuch des Erbrechts, 5. Auflage 2001 Langenfeld, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen, 6. Auflage 2011 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Auflage 2015 Langenfeld/Gail, Handbuch der Familienunternehmen (Loseblatt) Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Auflage 2009 Leipold, Erbrecht, 20. Auflage 2014 Mayer/Bonefeld/Mayer, Testamentsvollstreckung, 3. Auflage 2010 Mayer/Süß/Tanck/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht, 3. Auflage 2013 Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 16. Auflage 2012 Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (Loseblatt) Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht (Hrsg. Scherer), 4. Auflage 2014 Münchener Kommentar/Bearbeiter, BGB, Erbrecht, 6. Auflage 2013 Münchener Prozessformularbuch Erbrecht (Hrsg. Klinger), 3. Auflage 2013 Münchener Vertragshandbuch, BGB (Hrsg. Herrler), 6. Auflage 2010 Muscheler, Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, 1994 Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 4. Auflage 2011 Ott-Eulberg/Schebesta/Bartsch, Erbrecht und Banken, 2008 Otto, Handbuch der Stiftungspraxis, 2007 Palandt/Bearbeiter, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Auflage 2014 Peter/Crezelius, Gesellschaftsverträge und Unternehmensformen, 6. Auflage 1995 Prütting/Helms, Kommentar zum FamFG, 3. Auflage 2013 LVI

Allgemeines Literaturverzeichnis

Reimann/Bengel/Mayer (Hrsg.), Testament und Erbvertrag, Kommentar, 5. Auflage 2006 RGRK/Bearbeiter, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Auflage 1974/75 Schlüter, Erbrecht, 16. Auflage 2007 Schmidt, K., Gesellschaftsrecht, 4. Auflage 2002 Schmidt, L., Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 33. Auflage 2014 Semrau, Das Unternehmertestament, 2. Auflage 2010 Soergel/Bearbeiter, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Auflage 2000 ff. Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 2. Auflage 2010 Staudinger/Bearbeiter, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bearbeitung 2008 ff. Steiner, Das neue Erbschaftsteuerrecht, 2009 Steiner, Testamentsgestaltung bei kollisionsrechtlicher Nachlassspaltung, 2002 Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 5. Auflage 2005 Süß/Haas, Erbrecht in Europa, 2. Auflage 2008 Tanck/Uricher, Formularbuch Erbrecht, 2. Auflage 2011 Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt) Vorwerk (Hrsg.), Das Prozessformularbuch, 10. Auflage 2015 Vorwold, Unternehmensnachfolge von A–Z, 2001 Weirich, Erben und Vererben, 6. Auflage 2010 Winkler, Der Testamentsvollstrecker nach bürgerlichem Recht, Handelsrecht und Steuerrecht, 20. Auflage 2010 Wöhrmann, Das Landwirtschaftserbrecht, 10. Auflage 2011 Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft, 3. Auflage 2013 Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung, 4. Auflage 2014 Zimmermann, Erbrecht, 4. Auflage 2013 Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, 2. Auflage 2008 Zöller, Zivilprozessordnung, 30. Auflage 2014

LVII

A. Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung Schrifttum: Bonefeld/Bittler, Haftungsfallen im Erbrecht, 2. Aufl. 2012; Bonefeld/Hähn/ Otto, Gebührenabrechnung erbrechtlicher Mandate 2. Aufl. 2011; Bonefeld/Wachter, Der Fachanwalt für Erbrecht, 3. Aufl. 2014; Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2005; Feuerich/Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung, 8. Aufl. 2012; Gerold/ Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 21. Aufl. 2013; Hartung/Römermann, Marketing- und Management-Handbuch für Rechtsanwälte, 1999; Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl. 2012; Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. Aufl. 2014; Hinne u.a., Vereinbarungen mit Mandanten, 2. Aufl. 2008; Kerscher/ Krug/Spanke, Das erbrechtliche Mandat, 5. Aufl. 2014; Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 6. Aufl. 2009; Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 3. Aufl. 2009; Zugehör/Fischer/Vill/Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl. 2011. Rz.

I. Der Mandant im Mittelpunkt ganzheitlicher Beratung 1. Erwartungen des Mandanten und Anforderungen an den Berater . . . 2. Nachlassplanung als erbrechtsübergreifende Aufgabe . . . . . . . . . . 3. Marketing a) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufgabenprofil und Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 9 14 15 21

II. Methodik der Nachlassplanung 1. Gestaltungs-, Risiko- und Abwicklungsplanung . . . . . . . . . . 2. Fünf Arbeitsschritte . . . . . . . . . . . . a) Erfassung des Ist-Zustandes . . aa) Checkliste zur Erfassung der persönlichen Situation bb) Checkliste zu rechtlichen Rahmenbedingungen . . . . cc) Checkliste zur Analyse der Vermögensstruktur . . b) Definition des Soll-Zustandes c) Analyse der rechtlichen Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . d) Ermittlung von Gestaltungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Auswahl und Umsetzung der geeigneten Lösungsvariante . . 3. Praktische Einschränkungen des idealtypischen Arbeitsganges . . .

26 30 31 32 33 34 35 37 38 40 41

III. Interessenkollision 1. Rechtsgrundlagen a) Grundnorm . . . . . . . . . . . . . . . .

42

Rz.

b) Spezialnormen . . . . . . . . . . . . . . c) Sozien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen a) Tätigkeitsverbot . . . . . . . . . . . . b) Pflicht zur Niederlegung . . . . . c) Verlust des Honorars . . . . . . . . d) Parteiverrat . . . . . . . . . . . . . . . . e) Standesrecht . . . . . . . . . . . . . . . f) Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . 3. Fallgruppen der Interessenkollision im erbrechtlichen Mandat a) Ehegattentestament, Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorweggenommene Erbfolge . c) Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . d) Pflichtteilsberechtigte . . . . . . .

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52 53 54 55

IV. Haftung 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten, Verschuldensmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftende Personen . . . . . . . . . . . . . 4. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Typische Haftungsrisiken im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungsbeschränkung durch Eingrenzung der Tätigkeit . . . c) Haftungsbeschränkung durch Einzelvereinbarung . . . . . . . . . d) Haftungsbeschränkung durch allgemeine Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steiner

56 58 61 62 64 70 74 77 79

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e) Persönliche Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . 7. Haftpflichtversicherung und Verhalten im Haftungsfall . . . . . .

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V. Honorargestaltung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Honorar für Beratung, Gutachten, Mediation a) Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergütungsvereinbarung a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Honorar unter der gesetzlichen Vergütung . . . . . . . . bb) Honorar über der gesetzlichen Vergütung . . . . . . . . b) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hinweispflicht . . . . . . . . . . . . . d) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . e) Erfolgshonorar . . . . . . . . . . . . . .

88 93 100 101 102 103 104 107 113 114 123

Rz. f) Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gegenstandswert a) Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . b) Außergerichtliche Tätigkeit . . aa) Mögliche Tätigkeit vor Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) ABC des Gegenstandswerts . . 5. Außergerichtliche Vertretung a) Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgeltungsbereich der Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mehrere Auftraggeber . . . . . . . 6. Gerichtliche Vertretung a) Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgeltungsbereich der Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mehrere Auftraggeber . . . . . . . 7. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vergütung in Steuersachen . . . . .

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I. Der Mandant im Mittelpunkt ganzheitlicher Beratung 1. Erwartungen des Mandanten und Anforderungen an den Berater 1

Beurteilen Sie Ihren Arzt danach, ob er Ihr Röntgenbild besonders gut auswerten kann? Oder danach, dass er sich Zeit für Sie nimmt, Ihrer Schilderung der Beschwerden zuhört und Ihnen die Symptomatik sowie seinen Behandlungsansatz ausführlich erklärt? Rechtliche Kompetenz ist die Basis dessen, was der Mandant erwartet, jedoch in der Regel nicht überprüfen kann. „Weiche Faktoren“, beginnend mit der Freundlichkeit des Sekretariats über die Fähigkeit des Zuhörens bis hin zur Honorartransparenz, sind daher meist die Entscheidungskriterien, nach denen sich die Zufriedenheit des Mandanten richtet. Dieser sucht den Berater mit einem mehr oder minder konkreten Problem auf, zu dem er eine konkrete Problemlösung erwartet. Dabei interessiert ihn, von vielen Beratern zu Unrecht in den Vordergrund gestellt, nicht in erster Linie der häufig komplizierte Weg zur Lösung seines Problems, sondern die Problemlösung selbst. So sehr es geboten ist, den Mandanten über die entscheidenden Weichenstellungen und über damit verbundene Risiken aufzuklären, so sollte am Ende jeder Beratung doch eine konkrete Handlungsempfehlung stehen, wobei es für den Mandanten wiederum in der Regel unerheblich ist, ob dabei rechtliche, steuerliche oder wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen.

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Häufig von entscheidender Bedeutung ist das familienpsychologische Einfühlungsvermögen des Beraters. Oft lässt sich nur durch sorgfältiges und einfühlendes Zuhören feststellen, dass unterschwellig Konflikte zwischen Ehegatten bestehen, die ein Testament errichten wollen, bspw. zu der Frage, wie stark der 2

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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überlebende Ehegatte durch ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag gebunden werden soll. Auch wird das Beratungsgespräch mit einem 50-jährigen Zahnarzt anders ablaufen müssen als mit einer 80-jährigen Witwe, die Zeit ihres Lebens gewohnt war, dass alle Dinge von rechtlicher oder wirtschaftlicher Relevanz durch ihren Mann erledigt wurden. Doch auch wenn jede Beratungssituation verschieden ist und ein individuelles Eingehen auf den Mandanten erfordert, ein gemeinsamer Nenner bleibt: Der Mandant sucht den Rechtsberater auf, weil er spürt, dass er vor einer Problemlage steht, die komplex ist und von ihm allein nicht zu bewältigen ist. Er erwartet daher zu Recht von seinem Berater, dass dieser zunächst Ordnung in seine oft diffusen Überlegungen bringt und ihm konkret bei der Umsetzung seiner Interessen hilft. Das Stichwort Ordnung sollte sich daher wie ein roter Faden durch das Mandatsverhältnis ziehen. Dies beginnt bereits mit dem ersten Kontakt, der meist durch eine telefonische Terminvereinbarung zustande kommt. Dieses erste Telefonat sollte der Anwalt nicht seinem Sekretariat überlassen, da es eine wichtige Filterfunktion hat. Zwei Nebenaspekte sind zu nennen: Zum einen kann der Anwalt wichtige Zeit sparen, indem er bei dem Telefonat entscheidet, ob er überhaupt gewillt ist, das Mandat anzunehmen oder ob er bspw. wegen einer Interessenkollision sogar verhindert ist. Zum anderen kann in dem Telefonat geklärt werden, ob Fristen laufen und deshalb eiliger Handlungsbedarf besteht. Dies betrifft bspw. die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft oder zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. Versäumen es der Anwalt oder sein Sekretariat bei der Terminvereinbarung, den Lauf solcher Fristen zu klären, so kann dies zur Haftung aus culpa in contrahendo führen (s. Rz. 56).

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Der Hauptaspekt, warum der Anwalt seine Termine selbst vereinbaren sollte, ist jedoch folgender: Nur auf diesem Wege kann sichergestellt werden, dass das erste Gespräch für beide Seiten zufriedenstellend verläuft. Der Anwalt kann mit seinem Mandanten klären, welche Unterlagen und Informationen benötigt werden, zugleich kann er sich auf die anstehende Rechtsproblematik vorbereiten. Meist kann auch eingeschätzt werden, welcher Zeitraum für das Gespräch zur Verfügung stehen muss. Häufig wird es sich dabei anbieten, den Mandanten zu bitten, seine Unterlagen vorab zu übersenden, damit der Anwalt sie in Ruhe studieren kann.

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Ein derart vorbereiteter Besprechungstermin läuft bereits deshalb wenig Gefahr „zu zerfasern“, weil bei der telefonischen Vorbereitung bereits das Gesprächsziel festgelegt werden kann. Dies erleichtert es dem Mandanten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Verstärkt wird dieser Effekt, indem der Anwalt sich bereits zu Beginn mit seinem Mandanten über die Struktur des Gesprächs einigt:

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Beratungssituation: Ein älteres, sehr vermögendes Ehepaar, das kinderlos ist, sucht den Anwalt auf, um eine rechtlich und steuerlich möglichst günstige Struktur für seine Vermögensnachfolge zu finden.

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Rz. 6

Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

Der Anwalt könnte das Gespräch bspw. wie folgt einleiten:

M 1 Einleitung/Strukturierung Beratungsgespräch Ich schlage vor, dass wir unser heutiges Beratungsgespräch in drei Abschnitte gliedern: Zunächst möchte ich, damit ich Sie optimal beraten kann, mit Ihnen über Ihre persönliche Situation und über Ihre Vermögensstruktur sprechen. Danach bitte ich Sie, mir im zweiten Schritt zu schildern, welches Ihre vorrangigen Wünsche und Ziele sind. Auf dieser Grundlage kann ich Ihnen dann, drittens, Lösungen empfehlen, mit denen Sie Ihre Ziele und Wünsche verwirklichen können. 6

Eine so vorgegebene Struktur ermöglicht es dem Mandanten, sich mitzuteilen, und zugleich dem Anwalt, seiner Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung nachzukommen, ohne dass das Gespräch ausufert. Gerade eine klare Gliederung des Gesprächs verhindert, dass sich der Mandant „abgeblockt“ fühlt. Beginnt er bspw. bei der Schilderung seiner familiären Situation ausführlich darüber zu sprechen, welche Geschenke seine Kinder bereits erhalten haben, wie undankbar sie sich gezeigt haben und was er trotzdem noch zu übertragen gedenkt, so kann der anwaltliche Berater eingreifen und darauf verweisen, dass bei der Besprechung der familiären Situation die Vermögensverhältnisse zunächst noch zurückgestellt werden. Das darin liegende Versprechen, den entsprechenden Punkt später aufzugreifen, sollte aber, dies ist ein ganz wichtiger Aspekt der Gesprächsführung, unbedingt eingelöst werden.

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Besonders bedeutsam ist das Ende des Gesprächs. Mandantenbefragungen zeigen, dass diese oft den Eindruck haben, Steine statt Brot erhalten zu haben. Sie fühlen sich durch eine Fülle rechtlicher Informationen, die sie nicht einordnen und verarbeiten können, überfordert. (Zum psychologischen Einfühlungsvermögen des Beraters gehört in diesem Zusammenhang auch, dass er – fern jeder Überheblichkeit – Auffassungsgabe und Intelligenz des Mandanten realistisch einschätzt.) Zur Orientierung für den Mandanten, aber auch für den Anwalt selbst ist es unerlässlich, dass das Gespräch, wenn es nicht bei einer Erstberatung bleiben soll, mit einer konkreten Verabredung über das weitere Vorgehen endet. Dies kann bspw. in prozessualen Angelegenheiten die Fertigung eines Schriftsatzentwurfs oder in Beratungsangelegenheiten die Anfertigung eines Testamentsentwurfs sein. Wichtig zur Orientierung des Mandanten ist dabei, dass ihm konkret dargelegt wird, welche weiteren Schritte folgen und mit welchem Zeitrahmen er zu rechnen hat. Termintreue ist dabei ein Kriterium, das für den Mandanten ebenso wichtig wie für den Anwalt oft schwer einzuhalten ist, gleichwohl aber sollte es selbstverständlich sein, dass ins Auge gefasste Termine keinesfalls kommentarlos verstreichen, sondern der Mandant notfalls unaufgefordert eine Zwischennachricht erhält.

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In komplexen Beratungsangelegenheiten bietet sich nicht selten ein Zwischenschritt in Form eines Mandantenschreibens an. In diesem Schreiben werden der Sachverhalt, der Beratungsauftrag und das weitere Vorgehen festgehalten. Dies hat den Vorteil, dass auf beiden Seiten Missverständnissen vorgebeugt wird, dass der Mandant die Möglichkeit hat, seine Angaben zum Sachverhalt in der Form zu überprüfen, wie der Anwalt sie verstanden hat; schließlich ist die schriftliche Niederlegung der Gedanken für den Anwalt auch ein wichtiges Mittel der Selbst- und damit Qualitätskontrolle. 4

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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Rz. 10

Idealtypische Mustergliederung für ein Mandantenschreiben: A. Ausgangssituation I.

Familiäre Situation

II. Rechtliche Rahmenbedingungen – bisherige Verfügungen von Todes wegen – Erb- und Pflichtteilsverzichte – Vereinbarungen zum Güterstand – Verträge zugunsten Dritter (Lebensversicherungen, Bankverfügungen zugunsten Dritter) III. Vermögen und bisherige Schenkungen B. Wünsche des Mandanten und familiäre Besonderheiten – eigene Absicherung für Alter und Pflegebedürftigkeit – Absicherung des überlebenden Ehegatten – gerechte Weitergabe des Vermögens an die nächste Generation – Erhalt des Vermögens in der Familie – Hilfe beim Existenzaufbau der nächsten Generation – Sorge für behinderte Kinder – Vermeidung von Liquiditätsabflüssen durch Pflichtteilsansprüche – Berücksichtigung von Problemen mit Schwiegerkindern – steuergünstige Gestaltung C. Schlagwortartige Analyse der Probleme der derzeitigen Rechts- und Steuersituation D. Wiedergabe des Beratungsauftrags und von Lösungsansätzen E. Vorschläge zum weiteren Vorgehen und zur Honorargestaltung

2. Nachlassplanung als erbrechtsübergreifende Aufgabe Ausgehend von den USA, wo sich das „Estate Planning“ bereits in den fünfziger Jahren als eigenständiges Rechtsgebiet durchgesetzt hat, ist mittlerweile auch in Deutschland der Begriff „Nachlassplanung“ etabliert. Sie lässt sich definieren als ein Maßnahmenbündel, mit dem das Vermögen einer bestimmten Person nach deren Wünschen unter familiären, wirtschaftlichen und steuerlichen Gesichtspunkten optimal auf die nächste oder auch auf weitere Generationen übergeleitet wird. Rechtlich sind dabei alle Gebiete einzubeziehen, die für die Vermögensüberleitung von Bedeutung sind, neben dem Erbrecht insbesondere das Familien- und Steuerrecht, zudem bspw. das Gesellschaftsrecht, das Schuldrecht und das Versicherungsrecht1.

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Systematisch ist die Nachlassplanung dabei ein Teil der privaten Finanzplanung. Auch dies ist ein strategischer Planungsvorgang, der sich zunächst in den USA unter dem Begriff „Financial Planning“ etabliert hat. Hierunter wird der strategische Planungsvorgang verstanden, mit dem das Vermögen einer bestimmten Person oder Familie unter Ertragsgesichtspunkten und in Abstimmung mit den individuellen Bedürfnissen der Beteiligten optimal strukturiert werden soll.

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1 Reimann, ZEV 1997, 129. Steiner

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

Noch weitergehend – und dies wird den Erwartungen des Mandanten am meisten gerecht – kann Nachlassplanung auch als Teil eines Konzepts der persönlichen und finanziellen Vorsorge, also als Vorsorgeplanung verstanden werden.

Beratungssituation: Die Mandantin, eine vermögende Witwe, berichtet, dass sie sich mit ihren beiden Töchtern nicht versteht, der Kontakt sei unwiederbringlich abgerissen. Auf die Möglichkeit angesprochen, dass sie in den vom Pflichtteilsrecht gezogenen Grenzen abweichend von der gesetzlichen Erbfolge testieren könne, erklärt sie, was mit ihrem Vermögen nach ihrem Tod geschehe, sei ihr egal, dies gelte auch unter steuerlichen Gesichtspunkten. Damit ist die Beratungsaufgabe in Bezug auf die finanziellen Aspekte der Vorsorgeplanung erfüllt. In persönlicher Hinsicht ist die Mandantin aber darauf hinzuweisen, dass im Fall ihrer Betreuungsbedürftigkeit das Familiengericht eventuell von den Konflikten mit den Töchtern nichts erfährt und daher eine oder beide Töchter zu Betreuern bestellt werden, mit der Folge, dass diese über ihr persönliches Schicksal, bspw. auch über die Unterbringung in einem Pflegeheim, entscheiden können. Die Mandantin, die fürchtet, dass die Töchter derartige Entscheidungen vorrangig unter pekuniären Gesichtspunkten treffen werden, wird dankbar die Anregung aufgreifen, eine Betreuungsverfügung zu errichten. Dieses Beispiel zeigt, dass finanzielle oder steuerliche Aspekte nicht immer im Vordergrund der Nachlassplanung stehen müssen, ja manchmal sogar ganz zurücktreten. 12

Gestaltungsmittel der Nachlassplanung: – klassische erbrechtliche Gestaltungsmittel, insbesondere Testament und Erbvertrag, Erb- und Pflichtteilsverzicht – Vollmachten, insbesondere Altersvorsorgevollmacht und postmortale Vollmacht – Betreuungsverfügung – Nachfolgeregelungen in Gesellschaftsverträgen – familienrechtliche Gestaltungen, insbesondere Adoption und Eheverträge – Lebens- und Rentenversicherungen – Verträge zugunsten Dritter, insbesondere mit Banken – Schenkungs- und Übergabeverträge (vorweggenommene Erbfolge) – bei Auslandsberührung: Beeinflussung des anwendbaren Rechts, bspw. durch Wahl des Erb- oder Ehegüterrechtsstatuts nach Artikel 15 und 25 EGBGB – Veränderungen der Vermögensstruktur

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Der letztgenannte Gesichtspunkt, Strukturierung des Vermögens des künftigen Erblassers, wird meist vorrangig unter ertrag- und erbschaftsteuerrechtlichen Gesichtspunkten zu sehen sein, bspw. bei der Umschichtung von Privat- in Betriebsvermögen, um die hiermit aus der Sicht der Vermögensnachfolge verbundenen Vorteile zu erlangen. Nicht vergessen werden darf dabei aber, dass der Aufbau einer sinnvollen Vermögensstruktur auch aus zivilrechtlichem Blickwinkel von essenzieller Bedeutung für das Gelingen der Nachfolgeplanung sein kann. 6

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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Rz. 15

Beratungssituation: Ein Unternehmer hat im Laufe seines höchst erfolgreichen Berufslebens ein Konglomerat von Gesellschaften im In- und Ausland aufgebaut. Für all dies ordnet er Testamentsvollstreckung an. In derartigen Fällen stellt sich stets die Frage, ob die Testamentsvollstreckung wegen der bekannten rechtlichen Probleme im Bereich von Personengesellschaften aber auch wegen der Frage, ob sie im Ausland für Auslandsgrundbesitz und Auslandsbeteiligungen anerkannt wird, reibungslos durchgeführt werden kann. Hier bietet es sich im Beispielsfall an, die Unternehmensstruktur nachfolgegerecht zu gestalten, indem die Gesellschaften und der Grundbesitz unter das Dach einer Holding gestellt werden, die als Kapitalgesellschaft vom Testamentsvollstrecker ohne rechtliche Probleme verwaltet werden kann. 3. Marketing a) Zielsetzung Anwaltliches Marketing entspringt der Erkenntnis, dass in Zeiten steigenden Wettbewerbsdrucks auch die anwaltliche Leistung professionell dem potenziellen Mandanten nahegebracht werden muss1. Marketing ist aber mehr als Werbung: Es ist die Kunst, direkt oder indirekt Beziehungen zu potenziellen Klienten anzubahnen, um unternehmerische Ziele zu verwirklichen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei eine realistische Zielsetzung. Ein Einzelanwalt, der bspw. in einer Kanzleibroschüre den Eindruck erweckt, er decke alle Rechtsgebiete von A bis Z ab, wirkt heutzutage unglaubwürdig. Das Marketing eines Erbrechtsspezialisten muss anders aussehen als das des Generalisten, der sich – vergleichbar dem Hausarzt – als Hausanwalt seines Mandanten versteht. Letzterer wird den potenziellen Mandanten realistischerweise signalisieren, dass er sie zwar auch im Bereich des Erbrechts betreut, dass er aber in schwierigeren Fällen, vor allem in steuerlicher Hinsicht, nur koordinierend tätig ist. Ersterer hingegen wird seine Spezialisierung hervorheben und hierbei auch allgemein tätige Kollegen und Steuerberater gezielt ansprechen. Dass es zwischen diesen beiden Extremen viele Differenzierungen gibt, versteht sich von selbst.

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Somit ergeben sich zwei zusammenhängende Fragestellungen: 1. Welche Ausrichtung soll meine Kanzlei haben? 2. Welche Zielgruppe will und kann ich ansprechen? b) Instrumente Aus der Zielsetzung und teilweise auch aus den finanziellen Möglichkeiten des Anwalts ergeben sich die einzusetzenden Marketing-Instrumente: Werbemaßnahmen: Nicht nur aus standesrechtlichen Gründen ist vor marktschreierischen Mitteln zu warnen, gerade im Erbrecht muss die Werbung in be1 Hartung/Römermann, Marketing- und Management-Handbuch für Rechtsanwälte, 1999; Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 1999; Mauer/Krämer, Marketingstrategien für Rechtsanwälte, 2. Aufl. 2001; Schiefer/Hocke, Marketing für Rechtsanwälte, 3. Aufl. 1999; Trimborn v. Landenberg, Anwaltliches Marketing im Erbrecht, ZErb 2000, 225; Unger/Wolf, Erfolgreiches Anwaltsmarketing, 1993. Steiner

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

sonderer Weise vertrauensbildend wirken, da der Mandant in der Regel höchst persönliche familiäre und wirtschaftliche Informationen preisgibt. Am ehesten kann man daher von der Werbung derjenigen Branchen lernen, die ebenfalls von Kompetenz und Vertrauen leben (Banken, Versicherungen, Unternehmensberater). Geeignete Maßnahmen sind je nach Budget: Briefkopfgestaltung mit Hinweis auf Tätigkeitsschwerpunkt; Annoncen in Zeitungen und Zeitschriften; Kanzleibroschüren. 16

Public Relations: Werbemaßnahmen, die in erster Linie konkrete Mandate akquirieren sollen, werden durch Öffentlichkeitsarbeit ergänzt, bei der langfristig an der „Marke“ gearbeitet wird. Bei Anwälten stehen hier schriftstellerische bzw. fachjournalistische Aktivitäten sowie die Vortragstätigkeit im Vordergrund.

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Networking: Hier geht es um den Aufbau von Kontakten, insbesondere zu Multiplikatoren, die Empfehlungen aussprechen: Finanzdienstleister (Versicherungsagenten, Anlageberater etc), Rechtsschutzversicherer, Vermögensplaner und natürlich Steuerberater, in der Literatur genannt werden ferner Bestattungsunternehmen und Leiter von Alten- und Pflegeheimen1.

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Internet: Das Internet spielt auch im Erbrecht eine immer größere Rolle. Mittlerweile ist es fast unverzichtbar, dieses Werbe- und Kommunikationsmittel durch eine gut gestaltete Homepage zu nutzen2.

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Service: Dieser Punkt zielt insbesondere darauf ab, den Mandanten außerhalb der eigentlichen anwaltlichen Leistung zufrieden zu stellen und ihn so als Multiplikator zugunsten des Anwalts zu gewinnen. Hierzu gehören Selbstverständlichkeiten wie Termintreue, schnelle Terminvergabe und allgemeine Erreichbarkeit des Anwalts (zuverlässige Erledigung von Rückrufen!). Hinzu kommen Serviceangebote wie die Ausgabe von Merkblättern zu allgemein interessierenden Fragen, z.B. zum Thema „Patiententestament“. Immer wichtiger, auch außerhalb der Testamentsvollstreckung, wird das Thema „Rundum-Service“. Dies betrifft vor allem den Erben, der mit den Folgen des Erbfalls oft überfordert ist und außer juristischem Rat auch praktische Unterstützung benötigt, bspw. bei der Veräußerung einer Immobilie durch Herstellung des Kontakts zu einem seriösen Immobilienmakler.

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Preispolitik: Es sei die Prognose gewagt, dass die Preisgestaltung künftig mehr und mehr als Marketingmittel in den Vordergrund geraten wird. In erster Linie hängt dies davon ab, welche Zielgruppe angesprochen werden soll. Spricht eine Kanzlei in erster Linie den „Durchschnittsbürger“ an, so kann es lohnend sein, Schwellenängste durch preiswerte Erstberatungsangebote abzubauen. Andererseits muss sich der Unternehmensnachfolgespezialist davor hüten, in den Ruf des „billigen Jakobs“ zu kommen. Beiden Extremen gemein ist jedoch die Notwendigkeit, dem Mandanten das Gefühl zu vermitteln, dass er einen fairen Preis bezahlt. Gerade angesichts der im Verhältnis zum RVG teilweise niedrigeren Notargebühren bedarf das Honorarthema daher einigen Fingerspitzengefühls. Im Gegensatz zum Notar hat der Anwalt Gestaltungsspielraum, den er, bspw. durch die Vereinbarung von Stundenhonorar, nutzen sollte. 1 Trimborn v. Landenberg, ZErb 2000, 225 (227). 2 Strangmeier, Internetpräsenz für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, 2000. 8

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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4. Aufgabenprofil und Qualitätssicherung Der umfassende Charakter der Nachlassplanung fordert mehr als fundierte Kenntnisse im Erbrecht, der Nachlassplaner muss auch weitreichende Kenntnisse im Familienrecht, Gesellschaftsrecht, Versicherungsrecht und vor allem im Erbschaftsteuerrecht besitzen. Hinzu kommt zumindest ein Überblickswissen zum Ertragsteuerrecht sowie zum Recht der Grunderwerbsteuer und der Gewerbesteuer. Auch sollte Verständnis für wirtschaftliche und familienpsychologische Zusammenhänge vorhanden sein. Eher zu eng bemessen ist also der Katalog der besonderen Kenntnisse, den § 14f FAO für den Fachanwalt für Erbrecht aufstellt.

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Um ein optimales Ergebnis zu erreichen, ist, vor allem bei komplexen Vermögensverhältnissen, die Zusammenarbeit mit anderen Beratungsberufen unerlässlich. Sie sollte vom Nachlassplaner aktiv gesucht und koordiniert werden. Dies betrifft in erster Linie den Steuerberater des Mandanten, der dessen steuerliche Verhältnisse am besten kennt. Hinzutreten, je nach Fallkonstellation, der Vermögensanlageberater des Mandanten, der Firmenkundenbetreuer seiner Hausbank, eventuell auch ein Versicherungsfachmann und ein Unternehmensberater, Letzterer vor allem im Bereich der Unternehmensnachfolge, wenn es darum geht, die Unternehmensstruktur auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu optimieren.

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Problempunkte: – Schweigepflicht – Honorarteilung Bei der Zusammenarbeit mit anderen Beratungsberufen ist darauf zu achten, dass der Mandant möglichst bereits zu Anfang des Mandats die Entbindung von der Schweigepflicht ausspricht, damit der nötige Informationsaustausch stattfinden kann. Die Entbindung kann auch stillschweigend oder mündlich erfolgen, je nach Fallgestaltung und Beziehung zum Mandanten kann es sich aber empfehlen, dies schriftlich festzuhalten, bspw. im ersten Anschreiben wie folgt:

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M 2 Schweigepflichtentbindung Wir haben darüber gesprochen, dass Ihr Steuerberater und Ihr Vermögensanlageberater bei der XY-Bank in die Gestaltung einbezogen werden sollen. Diesen Personen gegenüber haben Sie mich von der anwaltlichen Schweigepflicht befreit.

Zur Honorargestaltung ist zu beachten, dass es nach § 27 der Berufsordnung verboten ist, Dritte am wirtschaftlichen Ergebnis anwaltlicher Tätigkeit zu beteiligen. Zieht der Rechtsanwalt daher einen externen Steuerberater hinzu, so ist es nicht statthaft, diesen intern am Honorar des Anwalts zu beteiligen. Am klarsten ist es, stattdessen zu veranlassen, dass direkt zwischen dem Steuerberater und dem Mandanten ein Mandatsverhältnis zustande kommt, das entsprechend abgerechnet wird.

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Qualitätssicherung in der Anwaltspraxis ist in den letzten Jahren geradezu ein Modethema geworden. Auch wenn es hier in formeller Hinsicht zu mancher Übertreibung gekommen ist (nach dem Motto: „Wenn ein Gespräch mit einem

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

Mandanten stattfindet, ist für das Vorhandensein einer geeigneten Räumlichkeit zu sorgen.“), ist das Kernanliegen dennoch berechtigt: Maßnahmen der Qualitätssicherung, die seit jeher intuitiv ergriffen wurden, transparent zu machen, um sie effizienter zu gestalten, indem sie zuverlässig in den Arbeitsalltag integriert werden. Hierzu gehört für den Anwalt die regelmäßige Fortbildung in den maßgeblichen Rechtsgebieten und in der täglichen Arbeit die Benutzung von Checklisten, bspw. zur Sachverhaltserfassung und zu etwaigen Fristproblemen. Hinzu kommt, vor allem im Bereich der Erbschaftsteuerplanung, die EDV-Unterstützung.

II. Methodik der Nachlassplanung 1. Gestaltungs-, Risiko- und Abwicklungsplanung 26

Der Begriff „Testamentsgestaltung“ steht heute beispielhaft für die umfassende Planung der Vermögensnachfolge des Klienten. In den USA hat sich das Estate Planning bereits vor Jahrzehnten zu einem eigenständigen Gebiet in Rechtswissenschaft und Praxis entwickelt, wobei Nachlassplanung wiederum als Teil der privaten Finanzplanung verstanden wird. Dies verdeutlicht, dass es sich um einen Planungsprozess handelt, der alle rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte berücksichtigt, die für den Übergang des Vermögens auf die nächste Generation Bedeutung erlangen können. Im Gegensatz zur forensischen Sichtweise ist der Status quo nur ein Ausgangspunkt, da der Kautelarjurist mögliche Änderungen der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen hat, indem er flexible Lösungen vorsieht, die dies berücksichtigen, sei es in Form von Änderungsvorbehalten, sei es in Form von Alternativlösungen. Wie jeder Planungsprozess unterliegt auch die Nachlassplanung drei Stufen, die naturgemäß eng miteinander verzahnt sind:

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– Im Wege der Gestaltungsplanung wird der normale, „programmgemäße“ Ablauf der Vermögensnachfolge geregelt.

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– Die Risikoplanung berücksichtigt mögliche Entwicklungen der Zukunft, insbesondere etwaige Störfaktoren wie bspw.: Wegfall eines Erben (Ersatzerbschaft), Geltendmachung eines Pflichtteils (Pflichtteilsstrafklausel), Wegfall eines Vermögensgegenstands (Verschaffungsvermächtnis oder Wertersatz).

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– Die Abwicklungsplanung hat eine wesentliche Hilfsfunktion, indem sie sicherstellen soll, dass die inhaltlichen Regelungen, die für den Normal- oder Risikofall vorgesehen sind, möglichst reibungslos und kostengünstig umgesetzt werden, bspw. durch Einsetzung eines Abwicklungstestamentsvollstreckers. Ein weiteres Beispiel bietet der Fall, dass der Nachlass hauptsächlich aus einem Unternehmen oder einer Immobilie besteht. Hier bietet es sich zur vereinfachten Abwicklung meist an, den für das Unternehmen oder die Immobilie vorgesehenen Nachfolger zum Alleinerben zu bestimmen und die übrigen Familienangehörigen durch Vermächtnisse zu bedenken. 2. Fünf Arbeitsschritte

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Idealtypisch ergeben sich fünf Arbeitsschritte, die im praktischen Vorgehen naturgemäß ineinander übergehen: 10

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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– Erfassung des Ist-Zustandes – Definition des Soll-Zustandes – Analyse der juristischen Ausgangssituation – Ermittlung von Gestaltungsvarianten – Auswahl und Umsetzung der geeigneten Gestaltungsvariante a) Erfassung des Ist-Zustandes In einem ersten Schritt sind die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen möglichst vollständig zu erfassen, wobei auch Änderungen zu berücksichtigen sind, die sich bereits abzeichnen oder die realistischerweise zu erwarten sind.

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aa) Checkliste zur Erfassung der persönlichen Situation – Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt des Klienten

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– Familienstand (bzw. Vorhandensein eines Lebensgefährten) – Vorhandensein möglicherweise erb- oder pflichtteilsberechtigter Angehöriger, insbesondere Eltern der Mandanten sowie Kinder einschließlich nichtehelicher und adoptierter Kinder – In Fällen mit Auslandsberührung: Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt der Angehörigen1 – Feststellung des Eheschließungsorts und des erstes ehelichen Wohnsitzes zur Ermittlung des Güterrechtsstatuts – Persönliche Eigenschaften der Beteiligten: Hier geht es um „weiche“ Faktoren, die für die Vermögensnachfolge eine kaum zu überschätzende Rolle spielen wie bspw. die Fähigkeit eines Angehörigen, mit Geld verantwortungsbewusst umzugehen, oder die fachliche Qualifikation eines Ehegatten oder Kindes für die Unternehmensnachfolge. (Hier sollte der Berater nicht einfach die Einschätzung und Bewertung des Mandanten übernehmen, sondern diesen veranlassen, seine Einschätzung durch konkrete Geschehnisse und Erfahrungen zu belegen – oder auch sie kritisch zu reflektieren.) – Bestehen Zweifel an der Testier- oder Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten? Mögliche Änderungen der persönlichen Situation: – Ehekrise oder gar Scheidungswunsch bei einem Beteiligten? – Ernsthafte Erkrankung oder fortgeschrittenes Alter bei einem Beteiligten? – Kinderwunsch bei einem Beteiligten? – Adoptionswunsch?

1 Das hat Bedeutung für die Steuerplanung, zudem müssen in diesen Fällen etwaige Gerichtsstände oder Schutzvorschriften ermittelt werden, die das jeweilige Land für eigene Staatsangehörige kennt. Steiner

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

bb) Checkliste zu rechtlichen Rahmenbedingungen 33

– Existiert ein Ehevertrag oder ein Vertrag mit einem nichtehelichen Lebensgefährten? – Ist eine Bindung durch ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag gegeben? – Besteht ein Vertrag über den Nachlass eines lebenden Dritten nach § 312 BGB? – Ist der Mandant in einen Gesellschaftsvertrag oder eine Eigentümergemeinschaft eingebunden? – Bestehen Verträge zugunsten Dritter, insbesondere Lebensversicherungen? – Bestehen Vollmachten? – Bestehen langfristige vertragliche Bindungen, bspw. Miet- oder Pachtverträge im Unternehmensbereich? – Existieren Schenkungs- oder Übergabeverträge? – Bestehen Pflichtteils- oder Erbverzichtsverträge? cc) Checkliste zur Analyse der Vermögensstruktur

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Gegenwartsbezogen: – Immobilien – Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen – Geld- und Wertpapiervermögen (Zuordnung von Gemeinschaftskonten und -depots) – Land- und forstwirtschaftliches Vermögen – Lebensversicherungen und Bausparverträge – Sonstiges bewegliches Vermögen (Kfz, Hausrat, Antiquitäten) – Auslandsvermögen Vergangenheitsbezogen: – Zuwendungen an Familienangehörige (Schenkungen, Ausstattungen) Zukunftsbezogen: – Veräußerungswunsch – Wunsch zur Auf- oder Übergabe des Unternehmens – Renten- und Altersversorgung des Klienten und seines Ehegatten b) Definition des Soll-Zustandes

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In einem zweiten Schritt werden mit dem Mandanten die Ziele der Nachfolgeplanung festgelegt. Diese bestimmen sich nach seinen individuellen Wünschen, typischerweise stehen sieben Gestaltungsziele im Vordergrund:

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An erster Stelle steht die Versorgung des Ehegatten und der Kinder (oder Enkelkinder), indem der Übergang des Vermögens oder seiner Erträge auf diese Per12

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sonen sichergestellt wird. Als zweites Motiv spielt dabei im Verhältnis der Kinder eine gerechte Verteilung und der Ausgleich von Vorempfängen eine wichtige Rolle. Wenn zum Vermögen ein Unternehmen oder eine bedeutende Immobilie zählt, tritt als drittes Regelungsziel oft die Sicherung der Existenz dieser Vermögenseinheit und ihr Erhalt für die Familie in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang spielt als viertes Regelungsziel unter Liquiditätsgesichtspunkten die Ausschaltung von Störfaktoren wie Pflichtteilsansprüchen und güterrechtlichen Zahlungsansprüchen eine wichtige Rolle. Häufig werden, fünftens, Regelungen gewünscht, die die Beteiligten auch nach dem Erbfall an die Vorstellungen des Erblassers binden, insbesondere durch Vor- und Nacherbschaft oder Dauertestamentsvollstreckung. Sechstens besteht das Ziel, den Familienfrieden zu wahren, indem Streit vermeidende und praktisch durchsetzbare Lösungen gefunden werden. Schließlich sollen, siebtens, die Steuern und Nachlassabwicklungskosten möglichst gering gehalten werden. c) Analyse der rechtlichen Ausgangssituation Wenn der Sachverhalt feststeht und die Ziele des Klienten definiert sind, ist im dritten Schritt festzustellen, wie sich die Vermögensnachfolge im Erbfall ohne kautelarjuristisches Eingreifen ergeben würde:

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– Zivilrechtlicher Übergang des Vermögens auf gesetzliche Erben oder bei bereits existierender testamentarischer Lösung auf die hiernach Begünstigten; Ansprüche des Ehegatten; gesellschaftsrechtliche Nachfolgeklauseln; Bezugsberechtigungen aufgrund von Verträgen zugunsten Dritter (Lebensversicherungen); – Steuerliche Folgen des Erbfalls, insbesondere im Erbschaft- und Einkommensteuerrecht; – Im internationalen Bereich ist zu beachten, dass der potenzielle Erbfall (im Unterschied zur forensischen Tätigkeit) aus der Sicht aller beteiligten Rechtsordnungen zu untersuchen ist, in denen die Zuständigkeit eines Nachlassoder Streitgerichts gegeben sein oder in denen Steuerhoheit bestehen könnte1. d) Ermittlung von Gestaltungsvarianten Im vierten Schritt werden Lösungsvarianten ermittelt, die für die Verwirklichung der definierten Ziele geeignet sind. Hierbei bedient sich der Kautelarjurist der Gestaltungstypen, die für typische Fallgruppen entwickelt wurden2. Diese kautelarjuristischen Gestaltungstypen kombinieren rechtliche Lösungsmodelle und bündeln sie zu einem Maßnahmenpaket, welches die typischen Zielsetzungen des Mandanten bei einem gegebenen Sachverhalt verwirklicht (dass es sich hier1 Zum deutschen internationalen Privatrecht und zum deutschen internationalen Erbschaftsteuerrecht Checklisten bei von Oertzen, ZEV 1995, 167 ff.; Steiner, Testamentsgestaltung in Fällen kollisionsrechtlicher Nachlassspaltung, 2001. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Aufl. 2014, Kap. 1 Rz. 73 ff.; zu Vertragstypen der Grundstückszuwendung s. insbesondere Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2009; Gestaltungsmodelle zur Unternehmensnachfolge s. bspw. Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 5. Aufl. 2005, Kap. F. Steiner

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bei nur um eine Richtschnur handelt, die an die Besonderheiten des jeweiligen Falles anzupassen ist, ist eine pure Selbstverständlichkeit). 39

Als Regelungsinstrumente stehen naturgemäß die klassischen erbrechtlichen Instrumente im Vordergrund: – Testament und gemeinschaftliches Testament, – Erbvertrag, – Erb- und Pflichtteilsverzicht, – Vertrag über den Nachlass eines lebenden Dritten (§ 311b Abs. 5 BGB). Hinzu kommen die Regelungsinstrumente aus dem Schuld-, Familien- und Gesellschaftsrecht: – Schenkungs- und Übergabeverträge, – Eheverträge, – Gesellschaftsverträge, – Regelungen innerhalb einer Eigentümergemeinschaft, – Verträge zugunsten Dritter, – Vollmachten, – Schiedsverträge. e) Auswahl und Umsetzung der geeigneten Lösungsvariante

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Im fünften und letzten Schritt schließlich sind Zielkonflikte zu gewichten, und es wird die vorteilhafteste Gestaltungsvariante (bzw. die vorteilhafteste Kombination von Gestaltungsvarianten) gewählt und umgesetzt. Dabei gilt für den Kautelarjuristen grundsätzlich das Gebot der Wahl des sichersten Weges. 3. Praktische Einschränkungen des idealtypischen Arbeitsganges

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Die vorstehend geschilderten fünf Arbeitsschritte sind in der Praxis naturgemäß eng miteinander verzahnt. Auch unterliegen sie in der Alltagspraxis zahlreichen Einschränkungen: Dies beginnt mit Problemen bei der vollständigen Erfassung des Sachverhalts, bspw. wenn der Kontakt zu (nichtehelichen) Kindern abgerissen ist. Auch sind die Zielvorstellungen der Klienten oft unklar, manchmal auch irrational. Hinzu kommt, dass vor allem in steuerlichen Fragen und in Fällen mit Auslandsberührung die Ermittlung des rechtlichen Status quo häufig mit Unsicherheiten behaftet ist. Gleiches gilt für Fragen im tatsächlichen Bereich, hier bedarf es oft aufwändiger Ermittlungen, bspw. zur Feststellung von Unternehmenswerten. In eilbedürftigen Fällen (schwere Erkrankung) steht die Zeit für eine sorgfältige Prüfung häufig nicht zur Verfügung, auch wird der Klient oft nur bereit sein, ein begrenztes Budget für seine Nachfolgeplanung zur Verfügung zu stellen. All dies zwingt zu Kompromissen, wobei nicht selten auch ein Abweichen vom kautelarjuristischen Grundgebot des sichersten Weges angezeigt ist, bspw. um ambitionierte Wünsche des Klienten zu erfüllen, die ein rechtliches „Restrisiko“ erfordern, oder indem bewusst eine risikoträchtige Lösung gewählt wird, etwa um durch eine Strafklausel, deren Durchsetzbarkeit ungewiss ist, einen potenziellen Anspruchsteller abzuschrecken. 14

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Rz. 43

III. Interessenkollision 1. Rechtsgrundlagen a) Grundnorm „Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.“ Mit diesem Zitat des § 43a Abs. 4 BRAO ist an sich alles gesagt. Konkretisiert und erweitert wird dieses Verbot durch weitere Normen (§§ 45, 46 BRAO, § 3 BORA, Art. 3.2.3 CCBE). Aber wann liegen widerstreitende Interessen vor? In der Literatur findet sich die Aussage, dass Interessenkollision Sachverhaltsidentität voraussetze, diese liege wiederum vor, wenn es sich bei natürlicher Betrachtungsweise um ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis handelt1. Diese Definition ist allerdings oft wenig hilfreich, ja sie verstellt sogar den Blick.

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Beratungssituation: Rechtsanwalt R hat den S in einem Erbfall vertreten und weiß daher, dass dieser erhebliches Vermögen hat. Nunmehr wendet sich Gläubiger G an Rechtsanwalt R wegen der Beitreibung einer Forderung, wobei G vor einem Prozess zurückschreckt, weil er fälschlicherweise befürchtet, dass die Vollstreckungsaussichten gering wären. In der Beratungssituation kann man kaum davon sprechen, dass beide Vorgänge, einerseits der Erbfall, andererseits die Forderungssache, ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis bilden. Dennoch kann es keinen Zweifel geben, dass R gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen würde, wenn er die Vertretung des G übernähme. Beim Aufspüren einer Interessenkollision ist es daher hilfreicher, i.S.d. Kant’schen Imperativs danach zu fragen, ob der frühere Mandant bei objektiver Betrachtung etwas dagegen haben könnte, wenn man ein neues Mandat übernimmt, insbesondere weil die Gefahr der Verletzung einer Verschwiegenheitspflicht bestünde oder weil der neue Mandant Vorteile erlangen könnte aus der Verwertung von Kenntnissen, die bei einem früheren Mandat erworben wurden2. b) Spezialnormen § 45 BRAO konkretisiert Fallgruppen, in denen der Gesetzgeber aufgrund abstrakter Betrachtungsweise davon ausgegangen ist, dass eine Interessenkollision naheliegt. Hiernach darf der Rechtsanwalt nicht tätig werden, – wenn er in derselben Sache als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter bereits tätig geworden ist; – wenn er als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter eine Urkunde aufgenommen hat, deren Rechtsbestand oder Auslegung streitig ist oder aus der die Vollstreckung betrieben wird; – wenn er gegen den Träger des von ihm verwalteten Vermögens vorgehen soll bei Angelegenheiten, mit denen er als Insolvenzverwalter, Nachlassverwal1 Kerscher/Krug/Spanke, § 4 Rz. 10 ff.; MAH Erbrecht/Scherer, § 2 Rz. 1; BGH v. 23.10.1990 – VI ZR 105/90, MDR 1991, 234 = NJW 1991, 1176. 2 Ähnlich MAH Erbrecht/Scherer, § 2 Rz. 2. Steiner

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Rz. 44

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ter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion bereits befasst war; – wenn er in derselben Angelegenheit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit i.S.d. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO bereits beruflich tätig war; dies gilt nicht, wenn die berufliche Tätigkeit beendet ist. § 45 Abs. 2 BRAO untersagt dem Rechtsanwalt ferner das Tätigwerden: – in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war, als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion; – in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt befasst war, außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit i.S.d. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO. § 46 BRAO sieht zudem vor, dass der in einem ständigen Dienstverhältnis stehende Anwalt nicht für seinen Dienstherrn vor Gericht als Rechtsanwalt auftreten darf, zudem ist dem Anwalt die Tätigkeit in einer Sache verboten, in der er als Berater in einem Dienstverhältnis bereits tätig wurde, sowie auch umgekehrt die Tätigkeit als Berater in einem Dienstverhältnis verboten ist, wenn er als Rechtsanwalt in dieser Sache tätig war. In diesen Fällen geht es also nicht um den Schutz des Mandanten vor Interessenkollision, sondern umgekehrt davor, die selbständige Stellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege zu schützen. Aus der Grundnorm des § 43a Abs. 4 BRAO folgt zudem, dass der Anwalt nicht mehr als Interessenvertreter für eine Partei tätig werden darf, wenn er zuvor in derselben Sache als Mediator fungierte. c) Sozien 44

Bei Interessenkollision ist auch allen Sozien ein Tätigwerden verboten (§ 45 Abs. 3 BRAO). Dieses Tätigkeitsverbot gilt zudem für sonstige Rechtsanwälte, die mit dem betroffenen Anwalt gemeinschaftlich den Beruf ausüben, also für freie Mitarbeiter, angestellte Rechtsanwälte und sogar für alle Anwälte in einer bloßen Bürogemeinschaft (§ 3 Abs. 2 und 3 BORA). Eine kaum praxisrelevante Ausnahme regelt § 3 Abs. 2 S. 1 BORA: Wenn sich die betroffenen Mandanten nach umfassender Information mit der Vertretung durch die beruflich verbundenen Anwälte einverstanden erklären, ist dies zulässig, sofern nicht Belange der Rechtspflege entgegenstehen. d) Einwilligung

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Die Einwilligung der von der Interessenkollision betroffenen Mandanten ändert nach herrschender Meinung nichts am Tätigkeitsverbot, ja nicht einmal etwas an der bei Vorsatz gegebenen Strafbarkeit des Parteiverrats nach § 356 StGB1. Der Grund wird darin gesehen, dass die Vorschriften über die Interessenkollision in erster Linie die Ordnungsmäßigkeit der anwaltlichen Berufsausübung sichern2. Ganz so einfach ist es bei näherer Betrachtung aber nicht: Denn das Ein1 Kerscher/Krug/Spanke, § 4 Rz. 3. 2 BGH v. 16.12.1952 – 2 StR 198/51, NJW 1953, 472. 16

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Rz. 49

verständnis der betroffenen Mandanten und die Frage, ob widerstreitende Interessen vorliegen, stehen oft in Wechselbeziehung.

Beratungssituation: Vater und Sohn suchen Rechtsanwalt R auf, um die rechtlich, steuerlich und wirtschaftlich günstigste Lösung für den Übergang des Unternehmens vom Vater auf den Sohn zu finden. Ausdrücklich möchten beide das Mandat erteilen. Als Rechtsanwalt R sie darauf hinweist, dass es zwischen Übergeber und Übernehmer einen Interessengegensatz gibt, erklären beide, dass sie dies nicht so sehen, weil ihnen an einer fairen Lösung gelegen ist, bei der auch die Interessen des jeweils anderen bestmöglich gewahrt werden. In dieser Konstellation wird man nicht von einer Interessenkollision sprechen können, zumal die Sichtweise der Mandanten auch objektiv nachvollziehbar ist. Entsteht allerdings im Laufe des Mandats ein Streit, so ist der Anwalt verpflichtet, das Mandat insgesamt niederzulegen. 2. Rechtsfolgen a) Tätigkeitsverbot Bei Interessenkollision ist dem Anwalt jegliche Tätigkeit verboten, nicht nur die prozessuale oder die außergerichtliche Vertretung, sondern auch jede beratende Tätigkeit1.

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b) Pflicht zur Niederlegung Hat der Anwalt ein Mandat übernommen, welches mit einem früheren kollidiert, so muss er niederlegen, sobald er dies erkennt; hat er mehrere kollidierende Mandate angenommen, müssen alle niedergelegt werden. Dies gilt insbesondere, wenn sich, bspw. bei der Vertretung einer Erbengemeinschaft, im Zuge des Mandats Interessenkonflikte herausstellen.

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c) Verlust des Honorars Der Anwalt verliert jeden Vergütungsanspruch, da der Anwaltsvertrag nichtig ist (§ 134 BGB i.V.m. § 43a Abs. 4 bzw. § 45 BRAO). Bereits gezahltes Honorar kann der Mandant zurückfordern. Dies gilt auch, wenn der Verstoß unabsichtlich geschah oder sich erst im Nachhinein herausstellte, aber zumindest absehbar war2. Ausnahme: Der Anwalt hat den Mandanten bereits bei Abschluss des Anwaltsvertrags auf einen möglicherweise in Zukunft auftretenden Interessenkonflikt hingewiesen3.

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d) Parteiverrat Bei vorsätzlicher Vertretung in „derselben Rechtssache“ macht sich der Anwalt zudem nach § 356 StGB wegen Parteiverrates strafbar. 1 Kerscher/Krug/Spanke, § 4 Rz. 4. 2 Bonefeld/Wachter/Seiler-Schopp, § 11 Rz. 10. 3 BGH v. 19.9.2013 – IX ZR 322/12, FamRZ 2014, 35 m. Anm. Börger = MDR 2013, 1495 = NJW 2013, 3725 (Beratung beider Ehegatten zur Scheidung). Steiner

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e) Standesrecht 50

Bei einem – auch fahrlässigen – Verstoß gegen das Verbot der Interessenkollision besteht die Möglichkeit standesrechtlicher Sanktionen (§ 113 Abs. 1 BRAO). f) Verfahrensrecht

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Ein Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen hat keinen Einfluss auf Gerichtsverfahren, insbesondere kann der Anwalt nicht (analog § 56 Abs. 2 ZPO) zurückgewiesen werden. 3. Fallgruppen der Interessenkollision im erbrechtlichen Mandat a) Ehegattentestament, Erbvertrag

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Im Grundsatz ist es wohl unstrittig, dass der Anwalt beide Ehegatten bei der Errichtung und Gestaltung eines Ehegattentestaments beraten darf, solange zwischen den Ehegatten keine kollidierenden Auffassungen zutage treten. Hier zeigt sich deutlich, dass die Frage der Vertretung widerstreitender Interessen eine Wertungsfrage ist, bei der es auf die konkreten Umstände des Falles ankommt. Denn abstrakt liegen mögliche Interessengegensätze auf der Hand: – das mögliche Interesse des evtl. deutlich jüngeren Ehegatten, nach dem ersten Erbfall noch abweichend für die Schlusserbfolge testieren zu können; – die Frage, ob eine Wiederverheiratungsklausel aufgenommen werden soll; – die Berücksichtigung von Kindern aus früheren Beziehungen. All dies sind mögliche Interessengegensätze, derer sich die Ehegatten u.U. erst während der Beratung bewusst werden. Wenn sich dann ein solcher Interessengegensatz konkretisiert, ist der Anwalt gezwungen, das Mandat für beide Ehegatten niederzulegen.

Beratungshinweis: Hierauf sollte zu Beginn der Beratung in schriftlich dokumentierter Form hingewiesen werden. Noch besser ist es allerdings, von vornherein das Mandat nur für einen Ehegatten zu übernehmen. Auf die in der Literatur vertretene Ansicht, nach entsprechendem Hinweis auf Interessengegensätze dürfe der Anwalt das Mandat fortführen, sollte man sich nicht verlassen, da diese durch Rechtsprechung nicht abgesichert ist1. Beratungssituation: Der Anwalt hat beide Ehegatten bei der Abfassung des Ehegattentestaments beraten. Nach dem Tod des einen Ehegatten sucht ihn der andere Ehegatte, der mittlerweile wieder geheiratet hat, auf und bittet um Beratung, ob er das Testament anfechten kann. Eine solche Beratung ist dem Anwalt wegen der Kollision mit den Interessen des verstorbenen Ehegatten verboten. Bei der Gestaltung eines Erbvertrags für Ehegatten gelten die vorstehenden Grundsätze. Sofern der Erbvertrag mit anderen Personen abgeschlossen werden soll, insbesondere zwischen Eltern und Kindern, wird sich eine Vertretung bei1 Grunewald, AnwBl 2005, 439; Schlosser, NJW 2002, 1376; Grunewald, ZEV 2006, 386. 18

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Rz. 55

der Vertragsparteien wegen der in der Regel auf der Hand liegenden Interessengegensätze verbieten. b) Vorweggenommene Erbfolge Praktisch in jedem Fall der vorweggenommenen Erbfolge ist eine Interessenkollision denkbar, da es aus der Sicht der älteren Generation in der Regel darum geht, Absicherungsmechanismen einzubauen, während die jüngere Generation naturgemäß freie Hand haben möchte. Hier sollte der Anwalt vorab klarstellen, dass er nur eine Seite vertritt (was ihn natürlich nicht hindert, im Rahmen der Beratung dem Mandanten auch die berechtigten Interessen der anderen Generation vor Augen zu führen und hierfür Lösungsmodelle vorzuschlagen; hierzu wird er in der Regel sogar verpflichtet sein).

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c) Erbengemeinschaft Vorsicht ist auch geboten bei der Vertretung von Erbengemeinschaften. Unproblematisch ist hier in der Regel nur der Fall, dass Ansprüche der Erbengemeinschaft gegen Außenstehende durchgesetzt oder Ansprüche von Außenstehenden, bspw. auch von Pflichtteilsberechtigten, abgewehrt werden sollen. Geht es hingegen um die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, so ist ein Interessenkonflikt in nahezu jedem Fall vorprogrammiert, insbesondere wenn die Anwendung von Ausgleichsvorschriften (§§ 2055 bis 2057a BGB) in Frage kommt. Hier muss sich der Anwalt von Anfang an entscheiden, ob er für die Erbengemeinschaft als Schiedsrichter oder Mediator tätig wird oder ob er, wie es der Regelfall sein wird, die Vertretung nur eines der Miterben übernimmt und die anderen darauf verweist, dass sie sich anderweitig vertreten lassen müssen. Zwar wird in der Literatur auch vertreten1, dass die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft, also die Vertretung aller oder mehrerer Miterben, zulässig sei, wenn diese umfassend informiert wurden, dass der Anwalt keine gegensätzlichen Standpunkte vertreten werde, und sie sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt haben, doch erscheint dies kaum praktikabel. Soll der Anwalt dann bspw. einem Miterben eine für ihn günstige Ausgleichsvorschrift verschweigen, nachdem er von einem anderen Miterben über ausgleichspflichtige Zuwendungen erfahren hat?

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d) Pflichtteilsberechtigte Die Vertretung mehrerer Pflichtteilsberechtigter bereitet in der Regel keine Probleme. Eine Ausnahme gilt, wenn einer der Beteiligten auch als Erbe in Betracht kommt oder wenn anrechnungs- oder ausgleichspflichtige Vorempfänge zu berücksichtigen sind (§§ 2315, 2316 BGB)2. Kommt ein Pflichtteilsberechtigter zugleich als Erbe oder Miterbe (und damit Schuldner des Pflichtteilsanspruchs) in Betracht, bspw. wegen möglicher Unwirksamkeit des Enterbungstestaments, so liegt stets eine Interessenkollision vor, die die gemeinschaftliche Vertretung verbietet3. 1 Grunewald, ZEV 2006, 386 (389); kritisch hierzu Offermann-Burckart, ZEV 2007, 151. 2 Kerscher/Krug/Spanke, § 4 Rz. 30; s. auch Kap. C VI Rz. 249 ff. 3 Klinger/Ruby, Form. A I. 3, Anm. 3. Steiner

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Rz. 56

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Beratungshinweis: Derartige Interessenkonflikte stellen sich oft erst im Laufe der Beratung bzw. Vertretung heraus. Um sich abzusichern und den Honoraranspruch nicht zu verlieren, sollte der Anwalt über mögliche spätere Interessengegensätze schriftlich aufklären und darauf hinweisen, dass er in diesen Fällen das Mandat für alle Beteiligten niederlegen muss1.

IV. Haftung 1. Rechtsgrundlagen 56

Anders als die Haftung des Notars (§ 19 BNotO) ist die Haftung des Anwalts gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Es gelten daher die allgemeinen vertraglichen Haftungsgrundsätze. Hiernach haftet der Anwalt für „Kunstfehler“ auf Schadensersatz nach § 280 BGB2. Daneben kommt eine Haftung aus culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) in Betracht, wenn der Anwalt Pflichten verletzt hat, die sich aus einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis ergeben, bspw. wenn er telefonisch mit dem Mandanten einen Termin vereinbart, obwohl es Anhaltspunkte dafür gibt, dass zu diesem Zeitpunkt eine drohende Verjährung bereits eingetreten sein wird3. Ein gesetzlich geregelter Fall der Haftung für vorvertragliches Verschulden findet sich in § 44 BRAO. Hiernach hat der Anwalt, der einen Auftrag ablehnt, den Schaden zu ersetzen, der aufgrund einer schuldhaften Verzögerung der Ablehnung entsteht4.

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In Betracht kommt auch eine Haftung des Anwalts nach § 826 BGB, wenn er Dritten gegenüber falsche Auskünfte erteilt, bspw. über die Tragweite eines Pflichtteilsverzichts mit seinem Mandanten5. 2. Pflichten, Verschuldensmaßstab

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Der Anwalt muss den Mandanten umfassend über die Rechtslage informieren. Hierbei wird vom Anwalt eine lückenlose Kenntnis der Gesetzeslage und der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlangt6. Im Vorfeld ist der Anwalt verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären, indem er die entscheidungserheblichen Informationen beim Mandanten anfordert oder für diesen, bspw. durch Grundbucheinsicht oder Zuziehung von Gerichtsakten, besorgt7.

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Steuerrechtliche Beratung zählt zum Berufsbild des Anwalts (§ 3 Abs. 1 BRAO, § 3 StBerG), zur steuerlichen Beratung ist der Anwalt jedoch nur verpflichtet, wenn dies mit dem Mandanten (auch stillschweigend) vereinbart ist8. Ein derart 1 MAH Erbrecht/Scherer, § 2 Rz. 9. 2 Zugehör, Rz. 2, 1011 ff. 3 Zur ähnlich gelagerten Frage der unverzüglichen Prüfung von Posteingängen: BGH v. 19.2.1957 – VIII ZR 284/56, VersR 1957, 254; BGH v. 7.7.1971 – IV ZB 39/71, VersR 1971, 1022; BGH v. 21.2.1974 – II ZB 13/73, NJW 1974, 861. 4 BGH v. 19.4.1967 – VIII ZR 46/65, NJW 1967, 1567. 5 BGH v. 17.5.1990 – IX ZR 85/89, NJW 1991, 31 (32). 6 BGH v. 29.3.1983 – VI ZR 172/81, MDR 1983, 1011 = NJW 1983, 1665; differenzierend Zugehör, Rz. 584, 603 ff. 7 Zugehör, Rz. 575 ff. 8 Zugehör, Rz. 816. 20

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Rz. 62

umfassendes Mandat liegt nahe, wenn der beauftragte Anwalt Fachanwalt für Steuerrecht oder zugleich Steuerberater ist, ferner wenn steuerrechtliche Gesichtspunkte erkennbar im Vordergrund stehen, wie dies vor allem bei der Unternehmensnachfolge der Fall sein kann. Der Klarheit halber sollte der Rechtsanwalt daher bereits bei Annahme des Mandats schriftlich festhalten, ob er die steuerrechtliche Prüfung übernimmt oder nicht. Im Erbrecht spielt häufig die Frage der Haftung gegenüber Dritten eine Rolle. Die Rechtsprechung bejaht sie aufgrund Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, wenn der Dritte nach dem Inhalt des Vertrags und nach den Grundsätzen von Treu und Glauben in den Schutzbereich des Anwaltsvertrags einbezogen ist, was bei nahen Verwandten des Mandanten in der Regel der Fall ist1. Zu denken ist hier insbesondere an den Fall, dass der Dritte testamentarisch begünstigt werden sollte, diese Begünstigung aufgrund eines fehlerhaften Testamentsentwurfs des Anwalts aber nicht zum Zuge kommt2.

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3. Haftende Personen Bei einer Sozietät haften dem Mandanten alle Sozien, die Vertragspartner geworden sind (§ 52 Abs. 2 S. 1 BRAO). In der Regel wird das Mandat allen Sozien erteilt, insbesondere wenn es sich bei der Sozietät um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelt3. Nach den Grundsätzen der Anscheins- oder Duldungsvollmacht haften auch angestellte Anwälte, die nach außen hin als Mitglieder der Sozietät erscheinen, insbesondere aufgrund von Angaben auf dem Briefbogen, gesamtschuldnerisch mit den Sozien4. Ebenso haften auch die in einer Partnerschaft organisierten Anwälte neben dem Partnerschaftsvermögen gesamtschuldnerisch (§ 8 Abs. 1 PartGG), es sei denn, es liegt eine Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung vor. Die Mitglieder einer Bürogemeinschaft haften nur, wenn sie nach außen wie eine Sozietät auftraten5.

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4. Verjährung Da die Sondervorschrift des § 51b BRAO 2004 aufgehoben wurde (s. hierzu 3. Aufl. Rz. 63), gelten seitdem die Verjährungsvorschriften des BGB. Hiernach unterliegt die Anwaltshaftung der Regelverjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), beginnend mit dem Schluss des Jahres der Anspruchsentstehung und der Kenntnis (Kennenmüssen) des Gläubigers von anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners. Kenntnisunabhängig tritt die Verjährung somit erst nach zehn Jahren ab Schadensentstehung oder nach dreißig Jahren ab der Pflichtverletzung ein (§ 199 Abs. 4 BGB). Gerade für Fehler bei der Testamentsgestaltung besteht daher dreißig Jahre lang ein Haftungsrisiko, weshalb zumindest haftungsbeschränkende Vereinbarungen, besser noch die gesamten 1 BGH v. 11.1.1977 – VI ZR 261/75, NJW 1977, 2073; BGH v. 1.10.1987 – IX ZR 117/86, MDR 1988, 226 = NJW 1988, 200; Zugehör, Rz. 1666 ff. 2 BGH v. 13.7.1994 – IV ZR 294/93, FamRZ 1994, 1173 m. Anm. Bartsch FamRZ 1995, 1339 = ZEV 1994, 358 = NJW 1995, 51, 52; BGH v. 13.6.1995 – IX ZR 121/94, MDR 1995, 1069 = FamRZ 1995, 1127 = NJW 1995, 2551. 3 BGH v. 8.7.1999 – IX ZR 338/97, MDR 1999, 1350 = ZEV 1999, 446. 4 BGH v. 5.11.1993 – V ZR 1/93, MDR 1994, 308 = NJW 1994, 257. 5 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 59. Steiner

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Rz. 63

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Handakten, auch so lange aufbewahrt werden sollten (also über die in § 50 Abs. 2 BRAO vorgeschriebenen fünf Jahre hinaus). 63

§ 202 BGB erlaubt Vereinbarungen zur Verjährung, lediglich eine Abkürzung der Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes wird durch § 202 Abs. 1 BGB untersagt. Verjährungserleichternde Vereinbarungen für Schadensersatzansprüche wegen leichter oder auch grober Fahrlässigkeit sind dagegen grundsätzlich zulässig1. Die Einzelheiten für die Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung sind in Rechtsprechung und Literatur noch nicht geklärt, doch dürften folgende Grundsätze gelten: In erbrechtlichen Mandaten wird, außer in Fällen der Unternehmensnachfolge, in aller Regel ein Verbrauchervertrag i.S.v. § 310 Abs. 3 BGB vorliegen, der der vollen Kontrolle des Rechts zur Regelung Allgemeiner Geschäftsbedingungen unterliegt. Eine Abkürzung der Verjährung auf weniger als ein Jahr würde hiernach ohnehin gegen das Klauselverbot nach § 309 Nr. 8b ff. BGB verstoßen. Zudem greift die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, so dass bspw. die Ansicht vertreten wird, eine Abkürzung der Verjährung der kenntnisunabhängigen Frist von zehn Jahren auf mehr als die Hälfte sei unangemessen und unwirksam2. Keine besonderen Vorschriften gelten für verjährungserleichternde Einzelvereinbarungen, wobei die Rechtsprechung bekanntlich strenge Anforderungen an das Vorliegen einer Individualabrede stellt. Auch unterliegt die Einzelvereinbarung der Prüfung, ob die „strukturelle Unterlegenheit“ des rechtsunkundigen Mandanten von seinem Rechtsberater in sittenwidriger Weise ausgenutzt wurde (§§ 138, 242 BGB)3. 5. Typische Haftungsrisiken im Erbrecht4

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Ausschlagung: Nicht selten wird übersehen, dass mit Ausnahme der in §§ 2306, 2307, 1371 Abs. 3 BGB geregelten Fälle nach Ausschlagung auch kein Pflichtteilsanspruch mehr besteht. Umgekehrt ist im Fall des pflichtteilsberechtigten Erben zu beachten, dass dieser, wenn er testamentarischen Beschränkungen unterliegt, den Pflichtteil nur verlangen kann, wenn er das Erbe ausschlägt. Aufgrund der kurzen Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB besteht hier meist großer Zeitdruck. Gleiches gilt, wenn der Anwalt prüfen muss, ob die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft angefochten werden kann (Anfechtungsfrist nach § 1954 BGB). Vor allem bei erbschaftsteuerlich motivierter Ausschlagung besteht das Risiko, dass ein anderer als der Gewünschte Erbe wird, bspw. wegen konkludenter Ersatzerbenregelung im Testament5.

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Verjährung: Wird eine Klage zur Verjährungsunterbrechung eingereicht, so muss der Anwalt auf rechtzeitige Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses 1 2 3 4

Zugehör, Rz. 1553 ff. Palandt/Ellenberger, § 202 Rz. 16. Zugehör, Rz. 1593 ff. Hierzu anschaulich Bonefeld, Haftungsfallen im Erbrecht, 2. Aufl. 2012; ferner Lang, AnwBl 1983, 166; Wehrberger, AnwBl 1998, 338. 5 Hierzu Mayer, DStR 2004, 1541 ff.

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Rz. 67

achten und den Mandanten eindringlich darauf hinweisen1, dass die Verjährung nicht unterbrochen wird, wenn nicht unverzüglich gezahlt wird2. Auskunftsprozesse ziehen sich oft lange hin, hier kann leicht übersehen werden, dass die reine Auskunftsklage (anders als die Stufenklage) die Verjährung von Pflichtteilsansprüchen nicht unterbricht. Leicht übersehen wird auch, dass Pflichtteilsergänzungsansprüche gegenüber Beschenkten (§ 2329 BGB) binnen drei Jahren ab Eintritt des Erbfalls verjähren, ohne dass es auf den Kenntnisstand des Pflichtteilsberechtigten ankommt (§ 2332 Abs. 2 BGB). Gebot des sichersten Weges: Für die anwaltliche Tätigkeit gilt generell das Gebot, den Mandanten auf den sichersten Weg für die Erreichung seiner Zwecke hinzuweisen. Bspw. hat der Anwalt im Prozess gegen den Erben darauf zu achten, dass (auch in einem Vergleich) der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung nach § 780 Abs. 1 ZPO aufgenommen wird3. Zu prüfen ist auch, ob die Rechtsposition des Mandanten faktisch durch Sicherungsmaßnahmen geschützt werden kann, bspw. durch Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung eines aufschiebend bedingten Vermächtnisanspruches4.

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Wie streng die Rechtsprechung hier sein kann, zeigt auch das Beispiel des Anwalts, der den Mandanten darauf hinwies, dass er ein amtlich verwahrtes Testament persönlich beim Nachlassgericht abholen müsse, dabei aber den Rat unterließ, dass er das hinterlegte Testament auch durch Errichtung eines handschriftlichen Testaments widerrufen kann5.

Beratungshinweis: Besteht zwischen Ehegatten ein Erbvertrag und sucht ein Ehegatte den Anwalt auf, um sich von diesem zu lösen, weil die Ehe gescheitert ist, so genügt nicht der Hinweis auf die Rechtsfolgen der §§ 2279, 2277 BGB, wonach letztwillige Verfügungen zugunsten des Ehegatten unwirksam werden, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt hatte. Der Anwalt ist nach der Rechtsprechung zudem verpflichtet, auf die Möglichkeit der notariell beurkundeten Rücktrittserklärung (§ 2296 BGB) hinzuweisen6. Umfassende Interessenwahrnehmung: Hatte der Anwalt das Mandat, ein Testament zu entwerfen, so muss er dies sinnvoll mit den übrigen Vermögensinteressen des Mandanten koordinieren. Der Anwalt muss bspw. darauf achten, dass Bezugsberechtigungen in Lebensversicherungen der testamentarischen Regelung vorgehen, ebenso wie gesellschaftsrechtliche Nachfolgeklauseln. So hat der BGH einen Anwalt zu Schadenersatz verpflichtet, der übersehen hatte, dass die als Erbin vorgesehene Ehefrau des Mandanten aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Nachfolgeklausel zum Bilanzwert aus der Gesellschaft ausgeschlossen 1 BGH v. 24.9.1974 – VI ZR 82/73, NJW 1974, 2318. 2 Zu § 270 Abs. 3 ZPO: BGH v. 25.11.1985 – II ZR 236/84, NJW 1986, 1347. 3 BGH v. 11.7.1991 – IX ZR 180/90, MDR 1992, 195 = FamRZ 1991, 1286 = NJW 1991, 2839; BGH v. 2.7.1992 – IX ZR 256/91, MDR 1992, 1186 = FamRZ 1992, 1409 = NJW 1992, 2694. 4 Kerscher/Krug/Spanke, § 2 Rz. 117. 5 BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 270/97, ZEV 1999, 357. 6 BGH v. 13.7.1994 – IV ZR 294/93, FamRZ 1994, 1173 m. Anm. Bartsch FamRZ 1995, 1339 = ZEV 1994, 358 = NJW 1995, 51. Steiner

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Rz. 68

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werden konnte1 (der BGH nahm zugleich einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Ehefrau an). 68

Aufklärung über Kostenrisiken: Der Anwalt muss seinen Mandanten darauf hinweisen, dass ein bestimmtes Vorgehen dessen Kostenrisiko erhöht: Bspw. die Erhebung einer Zahlungsklage vor endgültiger Erfüllung des Auskunftsanspruchs oder die Erhebung einer Klage auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, bevor die Teilungsreife gegeben ist2. Es ist der kostengünstigste Weg zu suchen, bspw. kann sich der Anwalt schadenersatzpflichtig machen, wenn er dem Mandanten zur Beantragung eines Erbscheins rät, obwohl zur Legitimation gegenüber der Bank das notarielle Testament nebst Eröffnungsprotokoll genügt hätte3.

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Formvorschriften: Nicht selten werden Formvorschriften übersehen: So ist eine Auseinandersetzungsvereinbarung dann notariell zu beurkunden, wenn Grundstücke oder GmbH-Anteile betroffen sind4. Ein Vergleich über das Erbrecht kann als ein dem Erbschaftskauf ähnliches Geschäft nach den Vorschriften der §§ 2385, 2371 BGB beurkundungspflichtig sein, Gleiches gilt für den sog. Auslegungsvertrag5. 6. Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung a) Übersicht

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§ 52a BRAO sieht drei Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung vor: – schriftliche Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung für den Einzelfall auf die Höhe der Pflichtversicherungssumme von 250 000 Euro (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO), – durch Allgemeine Geschäftsbedingungen im Fall einfacher Fahrlässigkeit auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme, sofern insoweit Versicherungsschutz besteht (§ 51a Abs. 1 Nr. 2 BRAO)6, – Beschränkung der Haftung auf namentlich benannte Mitglieder der Sozietät (§ 51a Abs. 2 BRAGO); bei der Partnerschaftsgesellschaft beschränkt sich die Haftung ohnehin auf den oder die sachbearbeitenden Partner (§ 8 Abs. 2 PartGG).

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Daneben besteht als Viertes die Möglichkeit, die Haftung des Anwalts indirekt einzuschränken, indem der Auftrag auf einen bestimmten Rechtsbereich beschränkt wird. Eine fünfte Möglichkeit der Haftungsbeschränkung ergibt sich 1 BGH v. 13.6.1995 – IX ZR 121/94, MDR 1995, 1069 = FamRZ 1995, 1127 = NJW 1995, 2551. 2 LG Erfurt v. 18.11.1997 – 9 O 4376/96, ZEV 1998, 391. 3 KG Berlin v. 7.4.1995 – 1 W 2401/92, KGReport 1995, 154. 4 Palandt/Weidlich, § 2042 Rz. 10. 5 BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, MDR 1986, 653 = FamRZ 1986, 462 = NJW 1986, 1812; zum Auslegungsvertrag Dressler, ZEV 1999, 289. 6 Nach h.A. verstößt dies nicht gegen die EG-Verbraucherschutz-Richtlinien (abgedruckt in NJW 1993, 1838): Feuerich/Braun, BRAO § 51a Rz. 2; Henssler/Prütting, BRAO § 51a Rz. 87; Heinrichs, NJW 1997, 1407 (1412); Reiff, AnwBl 1997 3 (12); Zugehör, Rz. 448; a.A. von Westphalen, MDR 1997, 989 f.; zu den versicherungstechnischen Anforderungen Zimmermann, NJW 2005, 177 (178). 24

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Rz. 74

durch Wahl der Rechtsform, da bei der Rechtsanwalts-GmbH oder -AG nur die juristische Person und nicht die handelnden Personen haften (§ 13 Abs. 2 GmbHG bzw. § 1 Abs. 1 S. 2 AktG)1. Ferner gibt es seit 2013 die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (§ 8 Abs. 4 PartGG), die Mindestversicherungssumme beträgt dann 2 500 000 Euro (§ 51a Abs. 2 BRAO). Schließlich besteht sechstens noch die Chance, eine Haftungsbeschränkung durch Abreden zur Verjährung zu erreichen, wobei allerdings keine Rechtssicherheit über die mögliche Reichweite solcher Vereinbarungen herrscht (s. Rz. 63). Im Erbrecht hat das Mandat häufig Schutzwirkung zugunsten Dritter, bspw. zugunsten derjenigen, die der Erblasser in einem Testament bedenken will, zu dem der Anwalt berät2. Die genannten Haftungsbeschränkungen greifen auch gegenüber solchen Dritten3.

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Andere Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung gibt es nicht, insbesondere sind nicht zulässig4:

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– die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für telefonische Auskünfte (der entsprechende, bisweilen noch zu sehende Aufdruck auf Briefbögen ist also sinnlos, ganz abgesehen von dem „schlechten Eindruck“), – die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für schwierige Rechtsgebiete, wie bspw. Internationales Privatrecht oder ausländisches Recht, – ein Haftungsausschluss bei Übernahme eines Mandats „in letzter Minute“, – der Haftungsausschluss für grobe Fahrlässigkeit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 51a Abs. 1, 2 BRAO und § 309 Nr. 7 BGB), – ein Haftungsausschluss bei Vorsatz (§ 276 Abs. 2 BGB). b) Haftungsbeschränkung durch Eingrenzung der Tätigkeit Übernimmt der Anwalt das Mandat für ein bestimmtes Rechtsgebiet, so haftet er für die Richtigkeit seiner Arbeitsergebnisse, ohne dass die Möglichkeit zur Haftungsminderung oder zum Haftungsausschluss bestünde. Es steht ihm aber frei, mit dem Mandanten zu vereinbaren, dass er das Mandat nur für bestimmte Rechtsgebiete übernimmt bzw. dass bestimmte Rechtsgebiete von der Bearbeitung ausgenommen werden. Diese Vereinbarung ist formfrei. Aus Beweisgründen sollte sie aber schriftlich fixiert werden, bspw. in einem Schreiben, mit dem die Übernahme des Mandats bestätigt wird.

M 3 Mandatsbeschränkung Steuerrecht Wir haben vereinbart, dass ich die Sache in erbrechtlicher Hinsicht überprüfe. Die Prüfung steuerrechtlicher Fragen ist nicht Gegenstand des Auftrags, dies wird Ihr Steuerberater übernehmen.

1 2 3 4

Hinne u.a., S. 221. BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 270/97, ZEV 1999, 357. Grams, AnwBl 2001, 233. Borgmann/Jungk/Grams, Kap. VIII, Rz. 40. Steiner

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Rz. 75

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Eine derartige Beschränkung des Auftragsumfangs wird auch für ausländisches Recht häufig angezeigt sein.

M 4 Mandatsbeschränkung ausländisches Recht In diesem Erbrechtsfall kommt die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht. Die Prüfung ausländischen Rechts ist nicht Gegenstand des Auftrags. 75a

Zu beachten ist in derartigen Fällen allerdings, dass das deutsche Internationale Privatrecht, auch soweit es in Staatsverträgen festgehalten ist, inländisches Recht ist, für dessen richtige Prüfung der Anwalt haftet, es sei denn, er schließt auch die Bearbeitung dieses Rechtsgebietes aus.

M 5 Mandatsbeschränkung Internationales Privatrecht Der vorliegende Erbrechtsfall wirft Fragen des Internationalen Privatrechts auf. Dieses Rechtsgebiet ist nicht Gegenstand des Auftrags. Der Mandant wird diese Fragen vorab durch das Gutachten eines Universitätsinstituts klären lassen. 76

Durch eine derartige Eingrenzung des Mandats wird auch der Umfang der Sorgfaltspflichten des Anwalts begrenzt. Allerdings besteht die Nebenpflicht, den Auftraggeber vor Gefahren außerhalb des Mandatsgegenstands zu warnen, soweit diese für den Anwalt erkennbar sind1 (werden externe Fachleute hinzugezogen, bspw. ein Steuerberater oder ein ausländischer Anwalt, so sollte der Auftrag nicht in eigenem Namen erteilt werden, da sonst eine Haftung nach § 278 BGB droht). c) Haftungsbeschränkung durch Einzelvereinbarung

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Durch Einzelvereinbarung kann sowohl die Haftung für einfache als auch für grobe Fahrlässigkeit bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme von 250 000 Euro beschränkt werden (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO). Angesichts der Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit ist dies ein erheblicher Gewinn an Rechtssicherheit. Der große Nachteil hingegen ist, dass die Rechtsprechung (zu § 305 BGB) außerordentlich hohe Anforderungen an das Vorliegen einer Vereinbarung im Einzelfall gestellt hat. Entscheidendes Kriterium hierbei ist, dass die Vereinbarung „frei ausgehandelt“ wurde, was bedeutet, dass der Mandant die Möglichkeit haben muss, auf das Ergebnis der Verhandlung einzuwirken2. Es ist fraglich, ob dies noch angenommen werden kann, wenn der Anwalt erklärt, er sei zur Übernahme des Mandats nur bereit, wenn seine Haftung wegen der Schwierigkeit des Falles „durch Einzelvereinbarung“ beschränkt werde3. 1 BGH v. 13.3.1997 – IX ZR 81/96, MDR 1997, 894 = NJW 1997, 2168 (2169). 2 Zugehör, Rz. 480. 3 Vgl. BGH v. 26.2.1992 – XII ZR 129/90, MDR 1992, 771 = NJW 1992, 2283 (2285); dass die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den Anwaltsvertrag jedes Gespräch über die Haftungsbeschränkung zu einem Eiertanz werden lässt, steht auf einem anderen Blatt. 26

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Rz. 79

Somit ergeben sich folgende Empfehlungen:

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– Keinesfalls dürfen vorformulierte Texte verwandt werden! – Die Vereinbarung bedarf der Schriftform (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO). – Gang und Ergebnis der Vereinbarung sollten schriftlich festgehalten werden.

M 6 Haftungsbeschränkung im Einzelfall Wir haben heute über die Übernahme Ihres Erbrechtsfalles gesprochen. Ich habe Sie dabei darüber aufgeklärt, dass die Übernahme dieses Mandats aufgrund des hohen Nachlasswertes von vermutlich über 15 Millionen Euro und der Komplexität der Angelegenheit (u.a. diverse gesellschaftsrechtliche Aspekte der Unternehmensbeteiligungen) für unsere Sozietät ein außergewöhnlich hohes Haftungsrisiko birgt. Wir haben sodann über mehrere Möglichkeiten gesprochen, dieses Haftungsproblem zu lösen, u.a. durch Abschluss einer gesondert zu vergütenden Einzelfallversicherung. Im Ergebnis sind wir dann so verblieben, dass die Haftung unserer Sozietät für dieses Mandat auf den Betrag von 250 000 Euro für Fälle einfacher und grober Fahrlässigkeit beschränkt wird. Dies bedeutet, dass Sie auch dann keinen darüber hinausgehenden Ersatz fordern können, wenn Ihr tatsächlicher Schaden weit höher sein sollte1.

Zu beachten ist, dass derartige Schriftstücke von beiden Parteien zu unterzeichnen sind (126 BGB). d) Haftungsbeschränkung durch allgemeine Vertragsbedingungen Voraussetzung ist, dass der Anwalt eine Versicherung mit einer Deckungssumme von mindestens 1 000 000 Euro unterhält. Die Haftungsbeschränkung gilt nur für Fälle einfacher Fahrlässigkeit (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BRAO). Wegen des für AGB geltenden Transparenzgebots2 muss der Haftungshöchstbetrag konkret beziffert werden, die Übernahme des Gesetzestextes („vierfacher Betrag der Mindestversicherungssumme“) genügt nicht.

M 7 Haftungsbeschränkung AGB Der Anspruch des Auftraggebers auf Ersatz eines fahrlässig verursachten Schadens wird für Fälle einfacher Fahrlässigkeit auf einen Höchstbetrag von einer Million Euro beschränkt. Der Auftraggeber erklärt sich hiermit einverstanden. (Ort, Datum, Unterschrift des Auftraggebers)

1 Dieser Satz trägt der Meinung im Schrifttum Rechnung, die den Anwalt für verpflichtet hält, rechtlich unerfahrene Mandanten über das Ausmaß ihres möglichen Rechtsverlustes aufzuklären, s. bspw. Zugehör, Rz. 481. 2 Palandt/Grüneberg, § 305 Rz. 41. Steiner

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Rz. 80

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Soweit § 52 BRAO keine besonderen Regelungen enthält, gelten die allgemeinen Vorschriften. Die Einbeziehung der Haftungsbeschränkung in den Anwaltsvertrag bestimmt sich daher nach § 305 BGB. Hiernach genügt ein eindeutiger Hinweis auf die AGB, wenn der Mandant von ihnen in zumutbarer Weise Kenntnis nehmen kann und er sich zumindest stillschweigend einverstanden erklärt. Aus Beweisgründen empfiehlt es sich aber, die Geltung der Haftungsbeschränkung schriftlich bestätigen zu lassen, wie es im Muster vorgesehen ist. Da im Schrifttum die Ansicht vertreten wird1, § 305c BGB gebiete es, die vorformulierte Haftungsbeschränkung in einer getrennten Urkunde festzuhalten, sollte vorsichtshalber darauf verzichtet werden, sie mit einer Prozessvollmacht, einer Honorarvereinbarung oder anderen Erklärungen zu verbinden. e) Persönliche Haftungsbeschränkung

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Anwälte einer Sozietät haften gesamtschuldnerisch (§ 52 Abs. 2 S. 1 BRAO). Gleiches gilt für überörtliche Sozietäten und für Scheinsozietäten2 (Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in gemischten Sozietäten sind von der Gesamtschuldnerhaftung allerdings ausgenommen3). § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO gibt die Möglichkeit, individuell oder durch vorformulierte Vertragsbedingungen die persönliche Haftung auf namentlich bezeichnete Mitglieder der Sozietät zu beschränken. Die Haftung der Sozietät an sich (in ihrer Eigenschaft als BGB-Gesellschaft) bleibt daneben bestehen4.

M 8 Persönliche Haftungsbeschränkung Das Mandat in der Erbsache … wird ausschließlich von Herrn Rechtsanwalt … bearbeitet. Die persönliche Haftung für Schadenersatzansprüche wird auf dieses Mitglied der Sozietät beschränkt. (Ort, Datum, Unterschrift des Auftraggebers)

Die Haftungsbeschränkung ist vom Mandanten gegenzuzeichnen, sie darf keine weiteren Erklärungen enthalten (§ 52 Abs. 2 S. 3 BRAO). Für Partnerschaften sieht § 8 Abs. 2 PartGG eine gesetzliche Haftungskonzentration auf diejenigen Partner vor, die den Auftrag bearbeiten. 7. Haftpflichtversicherung und Verhalten im Haftungsfall 82

§ 51 BRAO regelt die gesetzliche Versicherungspflicht des Anwalts. Die Mindestversicherungssumme beträgt 250 000 Euro (§ 51 Abs. 4 BRAO), daneben muss die Anwalts-GmbH eine eigene Haftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme für jeden Schadensfall von 2 500 000 Euro abschließen (§ 59j BRAO), desgleichen die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haf1 2 3 4

Feuerich/Weyland, BRAO, § 51a Rz. 12; a.A. Zugehör, Rz. 501. Borgmann/Jungk/Grams, Kap. VII, Rz. 27; Zugehör, Rz. 403. Zugehör, Rz. 402; BGH v. 24.1.1978 – VI ZR 264/76, NJW 1978, 996. BGH v. 25.6.1992 – I ZR 120/90, MDR 1992, 1086 = NJW 1993, 3037 (3039); Zugehör, Rz. 392.

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Rz. 86

tung (§ 51a Abs. 2 BRAO). Aufgrund der häufig sehr hohen Gegenstandswerte wird der regelmäßig im Erbrecht tätige Anwalt gut beraten sein, wenn er eine höhere Deckung als die gesetzliche Mindestsumme von 250 000 Euro mit seinem Versicherer vereinbart. Für Mandate mit einem außergewöhnlich hohen Risiko besteht die Möglichkeit, mit dem Versicherer gesondert eine höhere Versicherungssumme im Einzelfall zu vereinbaren (Exzedentenversicherung)1. Der Versicherungsschutz bezieht sich auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit des Anwalts. Bei der Übernahme von Nebentätigkeiten sollte im Einzelfall anhand des Versicherungsvertrags und ggf. durch Rücksprache mit dem Versicherer geklärt werden, ob Versicherungsschutz besteht. Soweit die vereinbarte Versicherungssumme die Mindestsumme übersteigt, bestimmt die „Risikobeschreibung für Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten (einschließlich des Rechtsanwalts-Risikos von Anwaltsnotaren)“ u.a. folgende Tätigkeiten als mitversichert, wenn sie nicht überwiegend ausgeübt werden:

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– Testamentsvollstrecker, – Nachlasspfleger, – Nachlassverwalter, – Schiedsrichter, Schlichter, Mediator. Für die Praxis erhebliche Bedeutung hat der Risikoausschluss in § 4 Nr. 1b der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten (AVB). Hiernach umfasst der Versicherungsschutz nicht Haftpflichtansprüche aus Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung mit außereuropäischem Recht.

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Nach Eintritt des Versicherungsfalls hat der Versicherungsnehmer die Obliegenheit, dem Versicherer den Fall unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, schriftlich anzuzeigen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 AVB). Diese Anzeigepflicht sollte sehr ernst genommen werden, da die Versicherungsbedingungen vorsehen, dass bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung von Obliegenheiten der Versicherer nicht zu leisten braucht (§ 6 AVB). Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Anwalt meint, im Ergebnis mache der Mandant zu Unrecht Ansprüche geltend.

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Zu beachten ist ferner, dass nach § 11 AVB alle für den Versicherer bestimmten Anzeigen und Erklärungen in Text- oder Schriftform an die dort jeweils angegebene Adresse zu richten sind, Vertreter sind zur Entgegennahme nicht bevollmächtigt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine derartige Klausel wirksam2. Die sachliche Reaktion auf das Haftpflichtverlangen sollte mit dem Versicherer abgestimmt werden. Bis dahin sollte dem Anspruchsteller nur ein neutraler Zwischenbescheid erteilt werden.

1 Zugehör, Rz. 2164. 2 BGH v. 10.2.1999 – IV ZR 324/97, MDR 1999, 740 (für die entsprechende Klausel in den Lebensversicherungsbedingungen). Steiner

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

M 9 Antwort Haftungsverlangen Mit Bedauern haben wir Ihr Schreiben erhalten, in dem Sie von einem Fehlverhalten unsererseits ausgehen. Selbstverständlich ist uns dies Anlass, den gesamten Vorgang zu überprüfen. Danach werden wir uns baldmöglichst, spätestens aber bis … bei Ihnen melden. 87

Früher enthielt § 5 Abs. 3 Nr. 2 AVB ein Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot, ein Verstoß hiergegen sollte zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen. § 105 VVG verbietet nunmehr eine solche Klausel. Daher regelt § 3 Abs. 3 Nr. 1.2. AVB heute, dass Anerkenntnisse oder Vergleiche, die der Anwalt ohne Zustimmung seines Versicherers abschließt, den Versicherer nur soweit binden, als der Haftpflichtanspruch ohnehin bestanden hätte.

Beratungshinweis: Damit verlagert sich das Risiko des Haftpflichtprozesses in den Deckungsprozess zwischen dem Anwalt und seinem Versicherer, der Anwalt übernimmt das Prozessrisiko seiner Mandanten. Deshalb ist nach wie vor davor zu warnen, Schäden ohne Zustimmung des Versicherers zu regulieren1.

V. Honorargestaltung 1. Allgemeines 88

Das Honorarthema war früher weitgehend tabu. Dies galt nicht nur im Verhältnis zum Anwalt, sondern auch zu anderen Branchen wie bspw. der Bank. („Was es kostet, das kostet es.“) Dies hat sich grundlegend gewandelt. Heute stellt der Mandant (zu Recht) die Frage nach dem Preis, da er Kosten und Nutzen der anwaltlichen Beratung abwägen möchte. Dies stellt den Anwalt vor das Problem, dem Mandanten den Nutzen seiner anwaltlichen Dienstleistung anschaulich zu machen. Dies ist in doppelter Hinsicht ein Transparenzproblem: Die meisten Mandanten haben weder eine Vorstellung von der Kostenstruktur eines Anwaltsbüros noch von dem Zeitaufwand, den der Anwalt tatsächlich für die Mandatsbearbeitung benötigt. Zudem gerät leicht in Vergessenheit, dass nicht nur der konkrete Zeitaufwand des Anwalts zu vergüten ist, sondern auch sein Wissen, das er sich durch Aus- und Fortbildung sowie im Laufe seines Berufslebens erworben hat.

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Diese Schwierigkeiten sollten für den Anwalt Anlass sein, das Honorarthema offensiv anzugehen, indem er vorab ein bestimmtes Vergütungsmodell vorschlägt und dem Mandanten erläutert. Nichts hinterlässt mehr Unzufriedenheit beim Mandanten als das Gefühl, bei der Endabrechnung durch den Anwalt eine böse Überraschung erfahren zu haben.

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Die eben bejahte Frage, ob es sinnvoll ist, das Honorarthema anzusprechen, ist nicht mit der weiteren Frage zu verwechseln, in welchem Umfang der Anwalt zur Aufklärung in Honorarfragen verpflichtet ist: 1 Zugehör, Rz. 2206 ff. 30

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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Rz. 92

– Erkennt der Anwalt, dass der Mandant Anspruch auf Prozesskostenhilfe oder Beratungshilfe haben könnte, muss er hierauf hinweisen (§ 16 BORA)1. – Wünscht der Mandant eine Tätigkeit, die dem Notar vorbehalten ist, muss der Anwalt darauf hinweisen, dass er hierzu nur beraten und einen Entwurf fertigen kann, wobei für die Beurkundung durch den Notar gesonderte Kosten anfallen2; zugleich kann er selbstverständlich auch darauf hinweisen, dass er als Parteivertreter zur einseitigen Wahrung der Interessen seines Mandanten berechtigt und verpflichtet ist, während der Notar dem Neutralitätsgebot unterliegt. – Nach § 49b Abs. 5 BRAO ist der Anwalt verpflichtet, dem Mandanten vor Übernahme des Mandats einen Hinweis zu geben, wenn sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert richten3. Eine Pflicht zur – empfehlenswerten – Dokumentation des Hinweises besteht nicht, dem Anwalt obliegt lediglich darzulegen, in welcher Weise er belehrt hat4. Darüber hinaus besteht keine allgemeine Aufklärungspflicht zur ungefragten Information über die Höhe der nach dem RVG zu erwartenden Kosten5. Ausnahmen kommen in Betracht, wenn der Mandant erkennbar falsche Vorstellungen über die Höhe der Kosten hat oder die beabsichtigte Rechtsverfolgung offensichtlich unwirtschaftlich ist6. Ferner ist der Mandant in der Regel darüber aufzuklären, dass mit der Erstattung von Verkehrsanwaltsgebühren meist nicht gerechnet werden kann7. Maßgebend für das Honorar des Anwalts ist auch in erbrechtlichen Angelegenheiten das RVG.

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Ausnahmen: – zulässige Honorarvereinbarung, – Testamentsvollstreckung, – Nachlassverwaltung, – Schiedsrichteramt. Typischerweise kommen Gebühren für folgende anwaltliche Tätigkeitsfelder in Betracht: – Beratung, – außergerichtliche Vertretung, – gerichtliche Vertretung in allgemeinen Zivilverfahren oder im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1 BGH v. 18.9.1997 – IX ZR 49/97, NJW 1998, 136. 2 Zugehör, Rz. 830. 3 Ein Verstoß gegen die Hinweispflicht kann zu einem Schadensersatzanspruch des Mandanten führen, der den Honoraranspruch mindert oder gar aufhebt, BGH v. 24.5. 2007 – IX ZR 89/06, FamRZ 2007, 1322 = MDR 2007, 1046 = NJW 2007, 2332. 4 BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 105/06, FamRZ 2008, 144 = MDR 2008, 235 = NJW 2008, 371 = AnwBl 2008, 68. 5 BGH v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, MDR 1998, 1313 = NJW 1998, 3486; Zugehör, Rz. 711. 6 BGH v. 18.9.1997 – IX ZR 49/97, NJW 1998, 136; BGH v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, MDR 1998, 1313 = NJW 1998, 3486. 7 OLG Köln v. 12.3.1997 – 17 U 85/96, VersR 1998, 1282 (Ls.). Steiner

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Rz. 93

Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

– Wahrnehmung steuerlicher Angelegenheiten, bspw. Anfertigung der Erbschaftsteuererklärung. Stets wird der Anwalt abwägen müssen, ob die ihm gesetzlich zustehende Vergütung ausreicht oder eine Gebührenvereinbarung erforderlich ist, um das Mandat wirtschaftlich bearbeiten zu können. 2. Honorar für Beratung, Gutachten, Mediation a) Beratung 93

§ 34 Abs. 1 S. 1 RVG definiert Beratung als Erteilung eines mündlichen oder schriftlichen Rats oder einer Auskunft. Hierfür sieht das RVG seit 2006 keine eigenen Gebühren mehr vor. Ganz bewusst soll der Anwalt zu einer Gebührenvereinbarung gedrängt werden. Wird keine Vereinbarung getroffen, so verweist das RVG auf die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, also auf § 612 Abs. 2 BGB, wonach eine angemessene, ortsübliche Vergütung geschuldet wird. Die Kriterien für die Bemessung der Höhe der Vergütung enthält § 14 Abs. 1 RVG (§ 34 Abs. 1 S. 3 RVG). In der Regel wird man auf die ortsüblichen Stundensätze abstellen1.

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In Erbrechtsangelegenheiten ist der Mandant in aller Regel Verbraucher i.S.v. § 13 BGB. Dann ist die Vergütung für eine Beratung auf 250 Euro gedeckelt, für eine Erstberatung sogar auf 190 Euro. Ein erstes Beratungsgespräch ist eine Beratung, die es dem Mandanten ermöglicht, sich einen ersten Überblick über die Rechtslage zu verschaffen. Von einer Erstberatung kann nicht mehr gesprochen werden, wenn das erste Beratungsgespräch aus Gründen, die nicht beim Anwalt liegen, unterbrochen werden muss, um es später fortzusetzen, bspw. weil fehlende Unterlagen beigebracht werden müssen, weil der Sachverhalt noch weiter aufzuklären ist oder weil sich der Anwalt wegen der Schwierigkeit des Beratungsgegenstandes erst in Unterlagen einarbeiten muss oder Berechnungen anzustellen hat. Auch bei schriftlicher Beratung wird der Bereich der Erstberatungsgebühr verlassen.

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Zusätzlich zu der Beratung erhält der Anwalt Auslagen nach VV Teil 7 RVG ersetzt, auch die Postentgeltpauschale nach VV Nr. 7002 RVG, falls tatsächlich Telekommunikationsentgelte beim Anwalt angefallen sind, sei es auch nur in geringer Höhe.

Beratungshinweis: Kommt es infolge der Beratung zu einer Einigung, kann der Anwalt auch die Einigungsgebühr nach VV 1000 ff. RVG abrechnen2. Beispiel: Der Anwalt berät zum Entwurf eines Pflichtteilsverzichtsvertrags. Er rät zu einigen Änderungen, die dann auch umgesetzt werden. Neben der (üblichen oder vereinbarten) Vergütung für die Beratung erhält der Anwalt auch die Einigungsgebühr.

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Wird der Anwalt im Anschluss an die Beratung nach außen hin tätig, ist sowohl die gesetzliche Vergütung für die Beratung als auch die vereinbarte Vergütung auf eine Geschäfts- oder Verfahrensgebühr nach § 34 Abs. 2 RVG anzurechnen. 1 Bspw. 190 Euro: AG Bielefeld v. 2.3.2010 – 4 C 3/09, AGS 2010, 160. 2 AG Neumünster v. 28.4.2011 – 32 C 1273/10, AGS 2011, 475. 32

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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Rz. 100

Beratungshinweis: Die Anrechnung ist dispositiv und sollte daher in der Gebührenvereinbarung ausgeschlossen werden. Die Vergütung für eine Beratung nach dem Gesetz ist wegen der bloßen Bezugnahme auf die ortsübliche Vergütung streitträchtig und wegen der gegenüber Verbrauchern greifenden Deckelung der Vergütungshöhe auf 250 Euro oft unwirtschaftlich. Eine Gebührenvereinbarung ist daher dringend anzuraten. Was dabei vereinbart wird, liegt im Ermessen der Parteien, üblich sind Pauschalen für einzelne Beratungsschritte oder Zeitvergütungen. Die Vereinbarung ist formfrei möglich (§ 3a Abs. 1 S. 3 RVG). Aus Beweisgründen sollte sie dokumentiert werden, bspw. in einem Schreiben an den Mandanten.

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Für die gesetzlich geschuldete Vergütung ist es ein gravierender Unterschied, ob eine Beratungstätigkeit vorliegt, die gegenüber Verbrauchern mit allenfalls 250 Euro abgerechnet werden kann, oder eine Geschäftstätigkeit, die gegenstandswertbezogen ohne Deckelung abgerechnet wird. Damit stellt sich die Frage der Abgrenzung, die insbesondere einen Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit im Erbrecht betrifft, die Gestaltung von Testamenten.

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Allgemein wird die Abgrenzung zwischen Beratung und Geschäftstätigkeit dadurch getroffen, dass sich die Beratung auf Tätigkeiten im Verhältnis zum eigenen Mandanten beschränkt, während die Geschäftstätigkeit auf eine Vertretung nach außen hin gerichtet ist. Sobald der Anwalt auftragsgemäß, also gegenüber Dritten tätig wird, liegt eine Geschäftstätigkeit vor, die als solche zu vergüten ist. Zudem billigt das RVG in Vorbem. 2 Abs. 3 VV RVG die Geschäftsgebühr für die Mitwirkung an der „Gestaltung eines Vertrages“ zu, während das Gesetz früher in § 118 BRAGO von der Mitwirkung bei dem Entwerfen von „Urkunden und Verträgen“ sprach. Nun liegt es auf der Hand, dass der Entwurf eines Testaments typischerweise dem Entwurf eines Vertrags an Schwierigkeit und Arbeitsintensität nicht nachsteht. Auch die damit verbundene Verantwortung ist nicht nur vergleichbar, sondern in vielen Fällen sogar wesentlich höher als bei einem normalen Vertrag. Da es auch nach den Gesetzesmaterialien keinen Grund zu der Annahme gibt, dass es der Gesetzgeber bei der Neuregelung den Gebührenrahmen für die Gestaltung von Testamenten einschränken wollte, ist diese Tätigkeit nach wie vor mit der Geschäftsgebühr zu vergüten1. Allerdings ist eine Vergütungsvereinbarung dringend anzuraten, da in der Rechtsprechung abweichende Auffassungen vertreten werden, die die Gestaltung eines Testaments als bloße Beratungstätigkeit mit höchstens 250 Euro vergütet wissen wollen2. Bspw. billigte das OLG Düsseldorf die Geschäftsgebühr nur für den Entwurf eines wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testaments zu3.

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b) Gutachten Ebenso wie bei Beratungstätigkeiten gibt es auch für die Anfertigung eines Gutachtens keine gesetzlichen Gebühren mehr. Wenn keine Vereinbarung getroffen wird, verweist das Gesetz wiederum auf das Bürgerliche Recht (§ 34 Abs. 1 S. 2 RVG), in diesem Fall auf § 632 Abs. 2 BGB (Werkvertragscharakter). Die Höhe 1 Bonefeld, ZErb 2004, 146 (147). 2 AG Hamburg-Altona v. 6.11.2007 – 316 C 85/07, ZEV 2008, 294. 3 OLG Düsseldorf v. 30.4.2012 – I-24 U 224/11, FamRZ 2013, 727. Steiner

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der Gebühr bemisst sich nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG. Gegenüber Verbrauchern gilt wiederum die Höchstgrenze von 250 Euro. Eine Anrechnung auf nachfolgende Tätigkeiten ist im Gesetz nicht vorgesehen. c) Mediation 101

§ 34 Abs. 1 RVG erfasst auch die Tätigkeit des Anwalts als Mediator. Wird der Anwalt hingegen im Mediationsverfahren als Parteivertreter tätig, gelten die allgemeinen Gebühren für die außergerichtliche oder gerichtliche Vertretung.

Beratungshinweis: Bezieht sich die Mediation auf ein gerichtliches Verfahren, so ist die dortige Tätigkeit mit den Gebühren der Hauptsache abgegolten (§ 19 Abs. 1 S. 1 RVG), wenn keine abweichende Vergütungsvereinbarung getroffen wird1. Wird für die Tätigkeit als Mediator keine Gebührenvereinbarung getroffen, so gelten wiederum die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts (§ 34 Abs. 1 S. 2 RVG), also § 612 Abs. 2 BGB. Anders als bei Beratung und Gutachten ist keine Höchstgrenze von 250 Euro gegenüber Verbrauchern vorgesehen. 3. Vergütungsvereinbarung a) Zulässigkeit 102

Eine klare Vereinbarung über das Honorar dient der Streitvermeidung, wenn bspw. der Gegenstandswert schwer zu bestimmen ist. Aus der Sicht des Anwalts lassen sich viele Mandate auch nicht wirtschaftlich zum gesetzlichen Honorar bearbeiten, oder aber der Aufwand ist im Vorhinein schwer abschätzbar; dann empfiehlt sich ein Stundenhonorar. Im Bereich des Erbrechts stellt sich aufgrund der hier typischerweise hohen Gegenstandswerte häufig auch das umgekehrte Problem: Der Mandant ist zur Erteilung des Auftrags nur bereit, wenn ein niedrigeres Honorar vereinbart wird als das gesetzliche. All diesen Interessen trägt das Gesetz Rechnung, indem es erlaubt, eine vom Gesetz abweichende Vergütung zu vereinbaren. Im Einzelnen gilt: aa) Honorar unter der gesetzlichen Vergütung

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Sofern die Vergütung dennoch in angemessenem Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Anwalts steht, ist eine solche Vereinbarung in außergerichtlichen Angelegenheiten erlaubt (§ 4 Abs. 1 S. 1 RVG). Verboten ist sie hingegen für die gerichtliche Tätigkeit des Anwalts (§ 49b Abs. 1 S. 1 BRAO). Eine Ausnahme gilt bei Vereinbarung eines Erfolgshonorars für ein gerichtliches Verfahren: Hier dürfen die gesetzlichen Gebühren unterschritten werden, wenn zum Ausgleich für den Fall des Erfolgs gleichzeitig eine höhere als die gesetzliche Vergütung vereinbart wird (§ 4a Abs. 1 S. 2 RVG).

Beratungshinweis: Vereinbart ein Anwalt mit seinen Klienten für ein Gerichtsverfahren ein Stundenhonorar, ohne als Mindesthonorar die gesetz1 OLG Rostock v. 5.1.2007 – 8 W 67-68/06, AGS 2007, 126 (343). 34

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lichen Gebühren zu vereinbaren, so ist diese Vereinbarung wegen Verstoßes gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO nichtig, auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass aufgrund der geleisteten Stunden im Ergebnis eine höhere als die gesetzliche Vergütung vereinbart wurde1. bb) Honorar über der gesetzlichen Vergütung Der Anwalt ist nicht verpflichtet, zu den gesetzlichen Gebühren tätig zu werden2. Nach § 3a RVG kann er eine vom Gesetz abweichende höhere Vergütung vereinbaren. Lediglich folgende Beschränkungen sind zu beachten:

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Unangemessen hohe Honorare werden herabgesetzt (§ 3a Abs. 2 RVG). Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars unterliegt den Schranken des § 4a RVG. Wenn dem Mandanten Beratungshilfe bewilligt worden ist, ist eine Vergütungsvereinbarung unzulässig (§ 3a Abs. 4 RVG; § 8 BerHG). Bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe regelt § 3a Abs. 3 S. 1 RVG, dass der Anwalt keine höhere Vergütung vereinbaren darf als die gesetzliche Vergütung eines Wahlanwalts. Hieraus folgt, dass vereinbart werden kann, dass der Mandant die Differenz zwischen den Pflicht- und den Wahlanwaltsgebühren zusätzlich zahlt3.

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Beratungshinweis: Die Honorarvereinbarung kann zu jedem Zeitpunkt abgeschlossen werden, vor Übernahme des Mandats, bei seiner Übernahme oder im Nachhinein. Wurde das Mandat allerdings bereits vom Anwalt akzeptiert und legt dieser im Nachhinein das Mandat nieder, weil der Mandant nicht zum Abschluss einer Vereinbarung bereit ist, so verliert er seinen Anspruch auf das gesetzliche Honorar. Anzuraten ist also der Abschluss spätestens bei Annahme des Mandats. Nichtig sind allerdings Vereinbarungen, die zur Unzeit geschlossen werden, wenn bspw. der Anwalt unmittelbar vor Ablauf einer wichtigen Frist oder vor einem anstehenden Termin den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung verlangt und er ansonsten mit Niederlegung des Mandats droht4.

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b) Form Das Honorar für eine Beratung oder ein Gutachten kann formlos vereinbart werden (§ 34 Abs. 1 S. 1 RVG), anders die Vergütung für sonstige Angelegenheiten: Diese bedarf nach § 3a Abs. 1 S. 1 RVG der Textform (§ 126b BGB). Eine eigenhändige Unterschrift ist nicht mehr erforderlich5, somit kann die Vereinbarung auch bspw. durch wechselseitigen Austausch von E-Mails zustande kommen.

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§ 3a Abs. 1 S. 2 RVG verlangt, die Vereinbarung ausdrücklich als „Vergütungsvereinbarung“ oder in vergleichbarer Weise zu bezeichnen, bspw. als „Honorar-

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AG München v. 10.2.2011 – 223 C 21648/10, AGS 2011, 530. Die Ausnahmen in §§ 48, 49 BRAO spielen für die erbrechtliche Praxis keine Rolle. MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 18. BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 138/11, FamRZ 2013, 950 = MDR 2013, 747 = NJW 2013, 1591. 5 Anders § 4b RVG i.d.F. bis zum 30.6.2008. Steiner

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vereinbarung“1. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht, soll der Begriff „Gebührenvereinbarung“ bedenklich sein, wenn zugleich Vereinbarungen über Auslagen getroffen werden2. 109

Die Vergütungsvereinbarung darf die Auftragserteilung und die nähere Ausgestaltung des Auftrags enthalten, von anderen Vereinbarungen muss sie deutlich abgesetzt sein (§ 3a Abs. 1 S. 2 RVG). Es empfiehlt sich daher, bspw. eine haftungsbeschränkende Vereinbarung in einem gesonderten Schriftstück festzuhalten.

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Völlig getrennt sein müssen Vergütungsvereinbarung und Vollmacht (§ 3a Abs. 1 S. 2 RVG).

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Werden die Formvorschriften nicht eingehalten, so kann der Anwalt keine höhere Vergütung als die gesetzliche verlangen (§ 4b S. 1 RVG). Ergibt sich nach der Vereinbarung eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung, bleibt es dabei, dass der Anwalt an diese unwirksame Vereinbarung zu seinen Ungunsten gebunden ist3. Ein höheres Honorar als das gesetzliche kann er hingegen nicht verlangen. Erfolgte Zahlungen sind nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln (§ 4 Abs. 1 S. 2 RVG), es sei denn der Mandant hätte im Bewusstsein der Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung gezahlt (§ 814 BGB).

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Eine Vergütungsvereinbarung kann auch mit einem Dritten, bspw. einem Verwandten des Vertretenen abgeschlossen werden. Hierfür, wie auch für einen etwaigen Schuldbeitritt, gelten die gleichen Anforderungen, als wenn die Vereinbarung direkt mit dem Mandanten abgeschlossen worden wäre. c) Hinweispflicht

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Der Mandant muss darauf hingewiesen werden, dass ein anderer Beteiligter bei Kostenerstattung nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss (§ 3a Abs. 1 S. 3 RVG). Ein Fehlen dieses Hinweises hat allerdings nicht die Unwirksamkeit der Vereinbarung zur Folge, evtl. hat der Mandant jedoch Schadensersatzansprüche, wenn er auf die Kostenerstattung vertraut hatte.

Beratungshinweis: Nicht vorgeschrieben, aber empfehlenswert ist zudem der Hinweis darauf, dass eine Rechtsschutzversicherung, sofern überhaupt Deckung besteht, nur die gesetzliche Vergütung übernimmt. d) Ausgestaltung 114

Wie die vereinbarte Vergütung geregelt wird, bleibt den Parteien überlassen. Unzulässig ist es lediglich, die Höhe der Vergütung in das Ermessen eines Vertragsteils oder eines Dritten zu stellen (§ 4 Abs. 3 RVG). Die Parteien könnten allenfalls vereinbaren, dass die Höhe der Vergütung in das Ermessen des Vorstands der Rechtsanwaltskammer gestellt wird (§ 4 Abs. 3 S. 1 RVG), was aber unpraktikabel ist und daher in der Praxis wohl nie vorkommt. 1 AG Wolfratshausen v. 23.8.2007 – 1 C 691/07, AGS 2008, 11. 2 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 26 (wegen § 305c BGB). 3 OLG München v. 2.5.2012 – 15 U 2929/11, MDR 2013, 60 = NJW 2012, 3454. 36

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Was die Art des Honorars betrifft, so gibt es zahlreiche Möglichkeiten:

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– ein Pauschbetrag für das gesamte Mandat, – Pauschalbeträge für einzelne Bearbeitungsschritte, – ein prozentualer Aufschlag auf die gesetzlichen Gebühren oder die Vereinbarung eines Steigerungssatzes, – ein Festbetrag zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren, – die Vereinbarung eines höheren Gegenstandswertes, – Stundenhonorar. Wird ein Stundenhonorar vereinbart, so stellt sich naturgemäß die Frage nach der Höhe des angemessenen Stundensatzes. Jeder Anwalt sollte hierzu prüfen, wie hoch die tatsächlichen Kosten einer Leistungsstunde in seiner Kanzlei nach deren Kostenstruktur sind. Die absolute Untergrenze dürfte bei 150 Euro zuzüglich Umsatzsteuer liegen1. Bei speziellen Erbrechtskenntnissen dürfte die Untergrenze bei 200 Euro liegen, die übliche Bandbreite zwischen 250 Euro und 500 Euro, jeweils zuzüglich Umsatzsteuer2. Aus der Sicht des Mandanten ist das Stundenhonorar allerdings eine höchst problematische Bezugsgrenze: So wird ein erbrechtlich versierter Anwalt einen Testamentsentwurf unter Umständen in kurzer Zeit fertigen können, während ein Berufsanfänger hierfür ein Mehrfaches an Zeit benötigt. Der aufgrund eines geringeren Stundensatzes augenscheinlich „billigere“ Anwalt kann im Ergebnis also durchaus teurer kommen. Umgekehrt steht der versierte Erbrechtsspezialist vor dem Problem, dass insbesondere in schwierigen Angelegenheiten und bei hohen Gegenstandswerten seinem speziellen Know-how und dem oft hohen Haftungsrisiko durch ein Stundenhonorar nur wenig Rechnung getragen wird. Dies gilt vor allem dann, wenn der Anwalt bspw. bei der Gründung von Stiftungen und Familiengesellschaften auf Vorkenntnisse und selbst entwickelte Muster zurückgreifen kann, die es ihm erlauben, Einzelfälle sehr schnell zu bearbeiten. Hier bietet es sich an, ein Kombinationsmodell zu vereinbaren, bei dem vorab eine Pauschale für das spezielle Know-how vereinbart und im Übrigen nach Stunden abgerechnet wird.

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Für die Leistung der erbrachten Stunden ist der Anwalt beweispflichtig. Eine genaue Dokumentation ist daher unerlässlich. Klauseln, die die Beweislast umkehren, würden gegen § 309 Nr. 12 BGB verstoßen. Gleiches gilt wohl auch für Klauseln, die in eine ähnliche Richtung gehen, wie bspw. eine Regelung, wonach die abgerechneten Stunden als anerkannt gelten, wenn der Mandant nicht innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht3. Es bietet sich an, das Problem pragmatisch zu lösen, indem in kurzen Zeitabständen über die erbrachten Stunden abgerechnet wird.

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Im Streitfall gilt nach der Rechtsprechung des BGH4, dass zunächst nur der Anfall der Stunden dargelegt und bewiesen werden muss. Eine nähere Differenzie-

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1 Vgl. die Untersuchungen von Franzen, NJW 1988, 1059; NJW 1993, 439; s. auch OLG Schleswig v. 1.8.1994 – 2 W 118/93, MDR 1994, 1048 = FamRZ 1995, 46 = JurBüro 1995, 156. 2 Kerscher/Tanck/Krug, § 6 Rz. 32; s. auch Gerold/Schmidt, § 4 RVG Rz. 86. 3 Gerold/Schmidt/Mayer, § 3a RVG Rz. 57. 4 BGH v. 17.4.2009 – VII ZR 164/07, MDR 2009, 863 = NJW 2009, 2199 (Zeithonorar eines Architekten). Steiner

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rung, bspw. durch Zuordnung zu einzelnen Tätigkeiten oder Tageszeiten, ist grundsätzlich nicht geschuldet. Der Mandant ist darlegungs- und beweispflichtig, wenn er einwenden will, der Anwalt habe unnötig lange gebraucht und daher gegen die vertragliche Nebenpflicht zur wirtschaftlich sinnvollen Geschäftsführung verstoßen. Allerdings trifft den Anwalt eine sog. sekundäre Darlegungslast, wonach er zu Art und Inhalt der abgerechneten Leistungen soviel vortragen muss, dass der Mandant seinen Einwand der Unwirtschaftlichkeit konkretisieren kann. In der Praxis wird daher eine detaillierte Dokumentation der geleisteten Arbeit unerlässlich sein. 119

Bei Vereinbarung eines Stundenhonorars sollte auch der Zeittakt geregelt werden (ansonsten ist minutengenau zu erfassen). In der Rechtsprechung umstritten ist, ob die formularmäßige Vereinbarung einer Abrechnung je angefangene 15 Minuten gegen § 307 BGB verstößt1. Die Literatur sieht teilweise Intervalle von bis zu 30 Minuten als zulässig an2.

Beratungshinweis: Der Zielkonflikt zwischen praktikabler Zeiterfassung „ohne Stoppuhr“ und dem Interesse des Mandanten an genauer Abrechnung sollte aus Beratersicht fair geregelt werden, ohne die Grenzen des Erlaubten auszuloten. Vorzugswürdig ist daher eine Taktung je angefangener fünf, sechs oder zehn Minuten. 120

Meist wird der Anwalt vorformulierte Vergütungsvereinbarungen benutzen. Diese unterliegen der AGB-Kontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Daher ist auf Bestimmtheit und Transparenz der Vereinbarung zu achten. Ein in der Vereinbarung zugleich enthaltenes Empfangsbekenntnis verstößt nicht wegen Umkehr der Beweislast gegen § 309 Nr. 12 BGB und ist daher unbedenklich3.

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Nicht vergessen werden darf eine Vereinbarung über die Auslagen, da diese ansonsten durch die vereinbarte Vergütung mitabgegolten sind4. Es kann auch auf die gesetzlichen Auslagen verwiesen werden.

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Zu regeln ist auch die Umsatzsteuer.

Beratungshinweis: Es sollte der bei Abrechnung jeweils gültige Umsatzsteuersatz vereinbart werden, da sonst der Umsatzsteuersatz bei Abschluss der Vereinbarung gilt5.

1 OLG Schleswig v. 19.2.2009 – 11 U 151/07, AGS 2009, 209 für Wirksamkeit; ebenso LG München I v. 21.9.2009 – 4 O 10820/08, AGS 2010, 284; a.A. OLG Düsseldorf v. 18.2.2010 – I-24 U 183/05, AGS 2010, 109; im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein früheres, gleichlautendes Urteil des OLG Düsseldorf v. 29.6. 2006 – I-24 U 196/04, AGS 2006, 530 hat der BGH diese Rechtsfrage als Frage des Einzelfalls angesehen, BGH v. 5.3.2009 – IX ZR 144/06, AGS 2009, 209. 2 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 42, Fn. 71. 3 BGH v. 19.5.2009 – IX ZR 174/06, FamRZ 2009, 1319 = MDR 2009, 1011. 4 OLG Karlsruhe v. 17.11.1978 – 15 U 111/77, OLGZ 1979, 230. 5 LG München I v. 21.9.2009 – 4 O 10820/08, AGS 2010, 284. 38

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e) Erfolgshonorar Ein Erfolgshonorar1 wird die Ausnahme bleiben. Es ist ohnehin nur unter den engen Voraussetzungen des § 4a RVG zulässig. Für den Anwalt gleicht es einem Vabanquespiel, es sei denn, er übernimmt eine große Zahl solcher Mandate, so dass sich die statistische Wahrscheinlichkeit ausgleichen kann. Eher empfiehlt es sich in Fällen, in denen der Mandant die Kosten der Rechtsverfolgung nicht aufbringen kann, einen Prozessfinanzierer einzuschalten.

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Ein Erfolgshonorar liegt nach § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO vor, wenn die Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird oder der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrags als Vergütung erhalten soll. Kein Erfolgshonorar ist es, wenn sich die gesetzlichen Gebühren ohne weitere Bedingungen lediglich erhöhen, auch bspw. durch die Vereinbarung eines Vielfachen der Einigungsgebühr. Ebenso liegt kein Erfolgshonorar vor, wenn als Vergütung ein Anteil am Erbteil vereinbart wird, wenn lediglich der Erbteil betragsmäßig noch nicht feststeht, an sich aber unstrittig ist2. Zulässig ist es auch, nach Abschluss des Mandats eine Beteiligung am erstrittenen Betrag zu vereinbaren, also ein Erfolgshonorar im Nachhinein3.

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f) Checkliste Checkliste für den Inhalt einer Honorarvereinbarung:

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– Äußeres: Gesondertes Schreiben bzw. gesondertes Blatt (nicht in einer Vollmacht), zumindest aber deutlich abgesetzt von anderen Vereinbarungen – ausdrückliche Bezeichnung als Vergütungsvereinbarung (oder vergleichbar) – Bezeichnung der Vertragsparteien – Gegenstand der Vereinbarung (möglichst konkret) – vereinbartes Honorar (Stundenhonorar, Pauschalvereinbarung etc.) – zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer – Vereinbarung zur Auslagenerstattung – Fälligkeit/Vorschussregelung – Hinweis, dass das Honorar die gesetzlichen Gebühren (möglicherweise) übersteigt und dass eine etwaige Kostenerstattung regelmäßig auf die gesetzlichen Gebühren beschränkt ist – im gerichtlichen Verfahren: Hinweis, dass die Honorarvereinbarung nur gilt, wenn die gesetzlichen Gebühren niedriger sind und dass im Fall des Obsiegens nur die gesetzlichen Gebühren vom Gegner zu erstatten sind g) Muster Nachstehendes Muster einer Stundenhonorarvereinbarung kann nur als Anregung dienen, eine ungeprüfte Übernahme verbietet sich – zu vielfältig sind die möglichen Mandats- und Interessenkonstellationen. 1 Hierzu Teubel/Schons, Erfolgshonorar für Anwälte, 2008. 2 BGH v. 29.4.2003 – IX ZR 138/02, FamRZ 2003, 1096 = MDR 2003, 836. 3 OLG Düsseldorf v. 6.4.2006 – I-24 U 191/05, OLGReport 2007, 20. Steiner

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M 10 Vergütungsvereinbarung Vergütungsvereinbarung1 1. Auftrag Der Mandant hat die Rechtsanwälte mit der außergerichtlichen Vertretung seiner Interessen in der Erbsache … beauftragt2. 2. Vergütung, Auslagen und Umsatzsteuer a) Anstelle der gesetzlichen Gebühren erhalten die Rechtsanwälte ein Stundenhonorar in Höhe von … Euro (in Worten: … Euro) je Arbeitsstunde eines Rechtsanwaltes3. Dieser Stundensatz4 gilt auch für erforderliche Fahrt- und Wartezeiten. b) Angefangene Stunden werden zeitanteilig je angefangene … Minuten abgerechnet. c) Zudem erhalten die Rechtsanwälte ihre Auslagen nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes5, ferner die jeweils geltende Umsatzsteuer. 3. Leistungserbringung Die Vergütung nach Nr. 2 fällt an, unabhängig welcher der für die Sozietät tätigen Rechtsanwälte sie erbringt, sie fällt auch an, soweit die Rechtsanwälte einen anderen Anwalt als Vertreter einschalten6. 4. Vorschüsse Die Rechtsanwälte können angemessene Vorschüsse verlangen. 5. Abrechnung und Fälligkeit Die Rechtsanwälte rechnen über ihre Tätigkeit monatlich/zum Ende eines Quartals/in angemessenen Zeitabständen ab. Mit Zugang der Abrechnung wird die jeweils abgerechnete Vergütung fällig. 6. Keine Anrechnung a) Eine etwa für eine frühere Beratung angefallene oder vereinbarte Vergütung wird auf die hier unter Nr. 2 vereinbarte Vergütung nicht angerechnet7. 1 § 3a Abs. 1 S. 2 RVG schreibt diese oder eine vergleichbare Bezeichnung vor. 2 Anders als früher dürfen nach § 3a Abs. 1 S. 2 RVG auch die Auftragserteilung und die genaue Ausgestaltung des Mandats in der Vergütungsvereinbarung enthalten sein. 3 Zusätzlich kommt auch die gesonderte Vereinbarung eines Stundensatzes für Hilfskräfte in Betracht, bspw. für Recherchearbeiten oder das Sortieren umfangreicher Belegunterlagen. 4 Selbstverständlich kann hierfür auch ein reduzierter Satz vereinbart werden. 5 Auch hier sind abweichende Vereinbarungen möglich, bspw. für Kilometergeld oder Kopien. 6 Besonders bei Einzelanwälten empfiehlt sich der Hinweis auf Vertreter nach § 5 RVG (wegen des Transparenzgebotes [§ 307 BGB] sollte dann der Gesetzestext in der Vereinbarung zitiert werden), ansonsten gilt die vereinbarte Vergütung nur für in Person erbrachte Leistungen, KG v. 16.11.1999 – 21 U 4354/98, AGS 2000, 143. 7 Ohne diese Klausel fände eine Anrechnung nach § 34 Abs. 2 RVG statt. 40

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b) Eine Anrechnung der hier unter Nr. 2 vereinbarten Vergütung auf die gesetzliche oder vereinbarte Vergütung in einem späteren gerichtlichen Verfahren wird ebenfalls ausgeschlossen1. 7. Hinweise für den Mandanten2 Die Rechtsanwälte weisen auf folgendes hin: a) die hier vereinbarte Vergütung kann die gesetzliche Vergütung übersteigen, b) in Fällen der Kostenerstattung müssen eine gegnerische Partei, ein Verfahrensbeteiligter oder die Staatskasse regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten, c) eine Rechtsschutzversicherung bezahlt in erbrechtlichen Angelegenheiten regelmäßig keine anwaltliche Vertretung, und wenn doch, dann allenfalls bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren.

Beratungshinweis: Soll die Vergütungsvereinbarung (auch) für gerichtliche Tätigkeiten gelten, so ist wegen des Verbots der Unterschreitung der gesetzlichen Vergütung (§ 49b Abs. 1 S. 1 BRAO) als Mindesthonorar zu vereinbaren: M 11 Mindestvergütung Für Tätigkeiten vor Gericht sind mindestens die gesetzlichen Gebühren und Auslagen geschuldet.

4. Gegenstandswert a) Gerichtsverfahren Die Wertfestsetzung durch das Gericht ist für Anwalt und Mandant bindend, sofern diese keine abweichende Vergütungsvereinbarung getroffen haben (§ 32 Abs. 1 RVG i.V.m. § 63 GKG, § 55 FamGKG und § 79 GNotKG). Gegen die Wertfestsetzung kann der Anwalt aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, wenn sein Gebühreninteresse an der Beschwerde mehr als 200 Euro beträgt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat (§ 32 Abs. 2 RVG i.V.m. § 68 GKG, § 59 FamGKG, § 83 GNotKG). Das Verfahren über die Wertbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Eine Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und daher nicht zugelassen.

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Falls in dem gerichtlichen Verfahren kein Wert festgesetzt wird, kann der Anwalt Festsetzung beantragen (§ 33 Abs. 1 RVG) und gegen eine seiner Auffas-

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1 Diese Klausel dient der Klarstellung, da nach dem RVG ohnehin nur die Anrechnung der Geschäftsgebühr vorgesehen ist und die vereinbarte Vergütung dem nicht gleichzusetzen ist, OLG München v. 24.4.2009 – 11 W 1237/09, FamRZ 2009, 1783 = AGS 2009, 379, ebenso OLG Frankfurt v. 16.2.2009 – 18 W 355/08, AnwBl. 2009, 310; OLG Stuttgart v. 21.4.2009 – 8 WF 32/09, FamRZ 2009, 1346 = AGS 2009, 214 (unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung des Senats). 2 Die Hinweise a) und b) sind nach § 3a Abs. 1 S. 3 RVG geboten, der Hinweis c) ist nicht erforderlich, aber zweckmäßig, damit der Mandant nicht enttäuscht wird. Steiner

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sung nach zu niedrigere Wertfestsetzung aus eigenem Recht innerhalb von zwei Wochen eine fristgebundene Beschwerde einlegen (§ 33 Abs. 3 RVG). b) Außergerichtliche Tätigkeit 129

Hier unterscheidet § 23 RVG, ob die Tätigkeit des Anwalts auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte: aa) Mögliche Tätigkeit vor Gericht

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Könnte die Anwaltstätigkeit auch vor Gericht stattfinden, so gelten nach § 23 Abs. 1 S. 3 RVG für die Ermittlung des Gegenstandswertes die für die Gerichtsgebühren geltenden Vorschriften des GKG, des FamGKG oder des GNotKG. bb) Sonstige Angelegenheiten

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Nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens kann bspw. der Entwurf eines Erbvertrags oder eines Erbauseinandersetzungsvertrags sein. In diesen Fällen verweist § 23 Abs. 3 RVG auf die Wertvorschriften des GNotKG, insbesondere §§ 48, 52, 102 GNotKG. Findet sich auch dort keine passende Vorschrift, so ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu schätzen, gibt es für eine Schätzung keine ausreichenden Anhaltspunkte oder ist der Gegenstand nicht vermögensrechtlicher Art, so ist der Gegenstandswert 5 000 Euro, nach Lage des Falles auch höher oder niedriger, höchstens aber 500 000 Euro. c) ABC des Gegenstandswerts

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• Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft: Maßgebend ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers und somit sein Anteil am Nachlass1. Bezieht sich der Verteilungsstreit nur auf einzelne Vermögensgegenstände, so ist der Streitwert nur aus dem Wert dieser Gegenstände zu ermitteln2. Wird umgekehrt auf Feststellung der Unzulässigkeit der Erbauseinandersetzung geklagt, so ist das Interesse des Klägers am Fortbestand der Erbengemeinschaft zu schätzen3.

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• Ausgleichung: Streitwert ist der Betrag, um den sich der Erbanteil des Klägers bei Durchführung der Ausgleichung erhöht4.

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• Auskunftsklage: Der Gegenstandswert bemisst sich nach dem Interesse des Klägers an der Offenlegung der Tatsachen. Dieses wiederum bemisst die Rechtsprechung regelmäßig nach einem Bruchteil des voraussichtlichen Wertes des Hauptanspruchs (ein Fünftel bis ein Viertel hieraus)5. Wehrt sich der Beklagte in der Berufung gegen seine Verurteilung zur Auskunft, so ist sein Aufwand für deren Erteilung nach den Grundsätzen der Zeugenentschädigung zu schätzen6. 1 BGH v. 24.4.1975 – III ZR 173/72, NJW 1975, 1415; Anders/Gehle, Streitwertlexikon, 4. Aufl. 2002, Erbrechtliche Streitigkeiten, Rz. 2. 2 BGH v. 17.3.1969 – III ZR 156/68, NJW 1969, 1350. 3 Kerscher/Krug/Spanke, § 5 Rz. 33. 4 BGH v. 14.7.1956 – IV ZB 64/56, FamRZ 1956, 347. 5 Schneider/Herget, Rz. 672, 3880. 6 BGH v. 1.10.2008 – IV ZB 27/07, ZEV 2009, 38. 42

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• Ausschlagung: Für den Gegenstandswert ist das Interesse des Ausschlagenden zu schätzen, also das Haftungsrisiko, dem er durch die Ausschlagung entgeht1. Bei überschuldetem Nachlass ist in der Regel ein Wert von 1 000 Euro anzusetzen2.

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• Erbenhaftung: Der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung hat in erster Instanz keinen Einfluß auf den Streitwert; wird der Vorbehalt aber mit einem Rechtsmittel angegriffen, so richtet sich der Gegenstandswert nach dem Unterschied zwischen der Vollstreckungschance mit oder ohne Vorbehalt3.

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• Erbschein: Der Gegenstandswert für die Gebühren eines Anwalts, der einen Miterben im Erbscheinserteilungsverfahren vertritt, bemisst sich nach dem Erbteil, den der Antragsteller beansprucht, hierbei ist der Wert des Netto-Nachlasses zugrunde zu legen4. Bei Verfahren auf Einziehung des Erbscheins entscheidet der Wert des reinen Nachlasses, § 40 Abs. 1 Nr. 3 GNotKG, bei Teilerbscheinen nach der betroffenen Quote.

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• Erbunwürdigkeitsklage: Maßgebend ist der Wert der Beteiligung des Beklagten am Netto-Nachlass5. Nach anderer Ansicht entscheidet der Wert, um den der Kläger durch das Ausscheiden des Beklagten aus der Erbengemeinschaft bessergestellt wird6.

138

• Erbvertrag: Der Gegenstandswert für den Entwurf eines Erbvertrags bemisst sich in der Regel nach dem Nettowert des Vermögens, über das verfügt wird7. Ausnahmen ergeben sich, wenn nur über einen Teil des Nachlasses verfügt wird oder wenn sich die Beratung des Anwalts auch auf die Verbindlichkeiten bezieht. Der Streitwert bei Feststellung der Unwirksamkeit des Rücktritts von einem Erbvertrag bemisst sich nach dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Vertrags8.

139

• Feststellung der Erbberechtigung: Die Rechtsprechung nimmt bei positiven Feststellungsklagen meist einen Abschlag von 20 % vor9.

140

• Grundstücksübertragung: Wenn ein Miterbe gegen die anderen Miterben auf Zustimmung zur Auflassung eines Nachlassgrundstückes an sich selbst klagt (aufgrund Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnisses), richtet sich der Streitwert nach dem Wert des Grundstücks abzüglich des gesamthänderischen Anteils des Klägers, da er diesen Anteil auch bei einem Misserfolg der Klage behalten kann10.

141

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Kerscher/Krug/Spanke, § 5 Rz. 35. OLG Saarbrücken v. 2.2.2011 – 5 W 14/11, ZEV 2011, 657. Schmidt/Madert, Rz. 205. BGH v. 30.9.1968 – III ZB 11/67, NJW 1968, 2234. BGH v. 20.10.1969 – III ZR 208/67, NJW 1970, 197; Schneider/Herget, Rz. 1771, 3897. BGH v. 10.7.1959 – V ZR 30/59, MDR 1959, 922; MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 96. Madert/von Seltmann, Rz. 576. OLG Celle v. 15.12.1961 – 7 W 66/61, NJW 1962, 540. Zöller/Herget, § 3 ZPO Rz. 3899 „Feststellungsklagen“; OLG Köln v. 27.5.1979 – 2 U 127/77, JurBüro 1979, 1704. OLG Celle v. 22.11.1968 – 10 W 75/68, NJW 1969, 1355. Steiner

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Rz. 142

Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

142

• Leistung an die Erbengemeinschaft: Klagen auf Leistung seitens eines Miterben an die Erbengemeinschaft werden mit dem Wert der Forderung bemessen, der sich nach Abzug der Erbquote des Beklagten von der geforderten Leistung ergibt1. Begehrt der Kläger umgekehrt Leistung seitens der Erbengemeinschaft an sich, so bemisst sich der Streitwert nach dem Wert der Forderung abzüglich der Erbquote des Klägers2.

143

• Nacherbe: Bei der Klage auf Zustimmung zur Löschung eines Nacherbenvermerks ist ein Bruchteil des Grundstückswerts, je nach Interesse des Klägers, zwischen einem Zehntel und einem Drittel anzusetzen3. Bei Verkaufsabsicht kann auch der volle Grundstückswert maßgeblich sein4.

144

• Nachlasspfleger: Der Geschäftswert für das Verfahren zu seiner Entlassung liegt bei einem Zehntel des Reinnachlasswertes5.

145

• Nichtigkeit Testament: Wird auf Feststellung der Nichtigkeit eines Testaments geklagt, so ist für den Gegenstandswert maßgeblich, was der Kläger hierdurch zu gewinnen hat6. Gleiches gilt für die Klage auf Feststellung einer bestimmten Auslegung des Testaments.

146

• Pflichtteilsanspruch: Anzusetzen ist bei der Stufenklage der höchste der verbundenen Ansprüche (§ 44 GKG), dabei ist der Leistungsanspruch zunächst auf der Grundlage des Vorbringens des Anspruchstellers zu schätzen7. Ist der Anspruch nur der Höhe nach streitig, bestimmt sich der Streitwert nach dem Differenzbetrag.

147

• Rechnungslegung: Anzusetzen ist ein Bruchteil des Hauptsacheanspruchs8, im Rechtsmittelverfahren ist der Gegenstandswert nach dem zu erwartenden Zeit- und Kostenaufwand der Rechnungslegung zu schätzen9.

148

• Stufenklage: Maßgeblich ist der höchste Anspruch, in der Regel also der Zahlungsanspruch (§ 44 GKG)10.

149

• Testament: Der Gegenstandswert für die Anfertigung eines Testamentsentwurfs oder für die Beratung zu einem Testament bestimmt sich nach dem Nettonachlass (§ 102 GNotKG). Wird in dem Testament nur über einen Teil des Vermögens verfügt, bspw. weil nur ein Vermächtnis ausgesetzt wird, ist Gegenstandswert der Wert dieses Teils11. Strittig ist allerdings, ob der Anwalt für diese Tätigkeiten überhaupt eine Wertgebühr in Ansatz bringen kann oder ob § 34 RVG eingreift. 1 BGH v. 23.2.1972 – IV ZR 95/71, NJW 1972, 909; BGH v. 7.11.1966 – III ZR 48/66, NJW 1967, 443. 2 BGH v. 23.2.1972 – IV ZR 95/71, NJW 1972, 909. 3 OLG Bamberg v. 9.1.2012 – 1 W 58/11, FamRZ 2012, 1001 = ZEV 2012, 549. 4 OLG Celle v. 5.10.1994 – 3 U 84/94, OLGRep. 1995, 109. 5 OLG München v. 30.12.2008 – 31 Wx 151/08, MDR 2009, 294 = FamRZ 2009, 1436 = ZErb 2009, 97. 6 BGH v. 17.10.1956 – IV ZR 270/56, NJW 1956, 1877. 7 Madert/von Seltmann, Rz. 370. 8 BGH v. 30.4.1962 – V ZR 29/61, NJW 1962, 1248. 9 OLG Naumburg v. 6.7.2007 – 10 U 27/07. 10 OLG Karlsruhe v. 22.10.2008 – 12 W 72/08, ZEV 2009, 40. 11 Madert/von Seltmann, Rz. 614. 44

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

A

Rz. 156

• Testamentsvollstrecker: Beim Streit um seine Ernennung ist seine zu erwartende Vergütung maßgeblich1. Geht es hingegen um seine Entlassung, so setzt die Rechtsprechung ein Zehntel des reinen Nachlasswertes an2.

150

• Vermächtnis: Bei Klagen auf Vermächtniserfüllung bestimmt sich der Streitwert nach dem Verkehrswert des Vermächtnisgegenstands, bei wiederkehrenden Leistungen nach den Multiplikatoren in § 9 ZPO3. Der volle Verkehrswert ist auch maßgeblich, wenn sich die Klage nur gegen einen Miterben richtet4.

151

• Vorerbschaft: Bei Streitigkeiten um die Rechte des Vorerben ist zu berücksichtigen, dass seine Stellung schwächer ist als die eines Vollerben, weshalb vom Gegenstandswert ein Abschlag zu machen ist5.

152

5. Außergerichtliche Vertretung a) Gebühren6 Für die außergerichtliche Vertretung erhält der Anwalt die Geschäftsgebühr nach VV 2300 RVG mit einem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5. Die Gebühr setzt voraus, dass der Anwalt nach außen hin tätig wird oder damit beauftragt ist, bei der Gestaltung eines Vertrags mitzuwirken (2.3 Abs. 3 VV RVG). Ob die Mitwirkung beim Entwurf eines Testaments Geschäftstätigkeit ist, ist strittig.

153

Der Gebührenrahmen wird nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG konkretisiert, also nach Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auftraggebers und dem besonderen Haftungsrisiko des Anwalts. Die Gebührenfestsetzung durch den Anwalt ist gerichtlich voll nachprüfbar, nach der Rechtsprechung des BGH besteht kein Toleranzbereich7.

154

Die Geschäftsgebühr ist nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte, höchstens jedoch mit 0,75 auf die Gebühren eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Wirkt der Anwalt bei einer Einigung mit, so erhält er die Einigungsgebühr, die bei der Einigung über nicht gerichtsanhängige Gegenstände 1,5 beträgt (VV 1000 RVG). Ergänzend regelt das RVG in der seit 1.8.2013 geltenden Fassung, dass eine Einigungsgebühr auch bei einer Vereinbarung über die Erfüllung einer unstreitigen Forderung unter gleichzeitigem vorläufigen Verzicht auf Titulierung oder Vollstreckungsmaßnahmen anfällt (Zahlungsvereinbarung gem. Anmerk. Abs. 1 S. 1 Nr. 2 zu VV 1000 RVG). Eine solche Einigung wird allerdings nicht mit dem Wert der Hauptsache bewertet, sondern lediglich mit 20 Prozent (§ 31b RVG).

155

Wenn der Anwalt auftragsgemäß Zahlungen über sein Konto abwickelt oder er Schecks oder Kostbarkeiten weiterleitet, kann er hierfür die Hebegebühren nach VV 1009 RVG berechnen.

156

1 2 3 4

Kerscher/Krug/Spanke, S. 116. BayObLG v. 13.8.1985 – 1 Z 10/85 FamRZ 1986, 104. Schneider/Herget, Rz. 6300. OLG Nürnberg v. 16.3.2012 – 12 W 444/12, FamRZ 2012, 1752 = MDR 2012, 978 = ZEV 2013, 203. 5 BGH v. 10.5.1989 – IVa ZR 126/88, FamRZ 1989, 958 (im Fall: Abschlag von 25 %). 6 Zu Notarkosten im Erbrecht Bormann, ZEV 2013, 425. 7 BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 273/11, FamRZ 2012, 1134 = MDR 2012, 810. Steiner

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Rz. 157

Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

b) Abgeltungsbereich der Gebühren 157

Nach § 15 Abs. 1 RVG gelten die Pauschalgebühren des RVG die gesamte Tätigkeit des Anwalts in derselben Angelegenheit ab. Ein und dieselbe Angelegenheit liegt unter drei Voraussetzungen vor: – innerlich zusammenhängende Beratungs- oder Streitgegenstände, – einheitlicher Auftrag, – Bearbeitung in einem gemeinsamen zeitlichen und sachlichen Rahmen.

158

Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, so handelt es sich um verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten, die getrennt abzurechnen sind. Liegt hingegen nur eine Angelegenheit vor, werden die verschiedenen Gegenstandswerte addiert (§ 22 Abs. 1 RVG). Dies ist bspw. der Fall, wenn Eltern kurz nacheinander versterben und ein Kind den Anwalt beauftragt, Pflichtteilsansprüche für jeden Nachlass durchzusetzen. Auch ist nur eine Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn gegeben, wenn der Anwalt von den Erben mit der Veräußerung eines Nachlasswertes beauftragt wird und er in der Folge mit mehreren Kaufinteressenten verhandelt1.

159

Zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten liegen hingegen vor, wenn der Anwalt den Mandanten zunächst im Erbscheinsverfahren und dann bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft vertritt2. c) Mehrere Auftraggeber

160

Unsicherheiten treten in der Praxis häufig auf, wenn mehrere Auftraggeber beteiligt sind. Hier ist zu unterscheiden: Liegen verschiedene Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne vor, so ist für jeden Auftraggeber getrennt abzurechnen. Handelt es sich um dieselbe Angelegenheit, so ist weiter zu unterscheiden: – Bei Gegenstandsgleichheit erhöht sich die Geschäfts- oder Prozessgebühr nach § 7 Abs. 1 RVG, VV 1008. – Bei Gegenstandsverschiedenheit werden die Gegenstandswerte nach § 22 Abs. 1 RVG addiert.

Beratungshinweis: Eine Kumulation dieser Gebührenerhöhungssysteme ist nicht zulässig! Der gleiche Gegenstand liegt vor, wenn der Rechtsanwalt für mehrere Auftraggeber wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses tätig wird. Diese Gegenstandsgleichheit liegt in Erbsachen bspw. vor, wenn der Anwalt Gesamtgläubiger oder Gesamtschuldner vertritt. 161

Gegenstandsverschiedenheit ist bspw. in folgenden Fällen gegeben: – Vertretung mehrerer Pflichtteilsberechtigter gegenüber den Erben3, 1 OLG Hamm v. 15.11.2012 – 28 U 32/12, AGS 2013, 323 (Nichtzulassungsbeschwerde abgelehnt BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 312/12). 2 LG Hannover v. 8.6.1995 – 16 O 158/94, MDR 1995, 1076. 3 OLG Köln v. 24.11.1993 – 17 W 326/93, JurBüro 1994, 730; OLG München v. 25.1. 1990 – 11 W 3362/89, MDR 1990, 560. 46

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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Rz. 164

– Vertretung mehrerer Vermächtnisnehmer bei Durchsetzung ihrer Vermächtnisansprüche1. Beispiel: Der Anwalt vertritt drei Mandanten, die als Erbengemeinschaft eine Forderung des Nachlasses geltend machen.

Es handelt sich um denselben Gegenstand, die Geschäftsgebühr erhöht sich um zweimal 0,3, die Mittelgebühr beträgt somit 1,9. Beispiel: Der Anwalt hat den Auftrag, vier Pflichtteilsberechtigte gegenüber der Erbengemeinschaft zu vertreten.

Es liegt ein und dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 1 RVG vor, jeder Pflichtteilsanspruch bildet aber einen eigenen Gegenstand, weshalb die Werte zu addieren sind (§ 23 Abs. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG). Hieraus bemisst sich die Geschäftsgebühr, eine Erhöhung nach VV 1008 RVG scheidet aus. 6. Gerichtliche Vertretung a) Gebühren In Erbsachen erhält der Anwalt für die Vertretung vor Gericht die allgemein hierfür vorgesehenen Gebühren, insbesondere nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG, also nach den Nummern 3100 ff. VV RVG, insbesondere die 1,3-Verfahrensgebühr nach VV 3100 RVG und die Terminsgebühr nach VV 3104 RVG in Höhe von 1,2, des weiteren bei Abschluss eines Vergleichs die Einigungsgebühr nach VV 1000 RVG. All dies gilt auch bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

162

In der Berufungsinstanz beträgt die Verfahrensgebühr 1,6 (VV 3200 RVG). Für das nachlassgerichtliche Beschwerdeverfahren sah das Gesetz ursprünglich nur eine Verfahrensgebühr von 0,5 vor, da diese Verfahrensart nicht in den Katalog der berufungsähnlichen Verfahren aufgenommen worden war. Die Rechtsprechung hatte eine Schließung dieser Lücke durch Analogie abgelehnt2. Diese Lücke wurde mit Wirkung ab 1.8.2013 geschlossen, so dass seitdem auch im nachlassgerichtlichen Beschwerdeverfahren die Verfahrensgebühr 1,6 beträgt. Die Terminsgebühr beträgt 1,2, die Einigungsgebühr 1,3, da das Beschwerdeverfahren auch hier einem Berufungsverfahren gleichgestellt ist (Anm. Abs. 1 zu VV 1004 RVG).

163

Für das Verfahren der Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG) gelten seit 1.8.2013 ebenfalls die Gebühren eines Revisionsverfahrens (Vorbemerk. 3.2.2 Nr. 1a VV RVG).

164

1 Gerold/Schmidt, VV 1008, Rz. 77. 2 OLG München v. 7.3.2006 – 32 Wx 23/06, 32 Wx 26/06, NJW-RR 2006, 1727; OLG Schleswig v. 4.4.2006 – 9 W 40/06, AGS 2006, 478; LG Bamberg v. 19.9.2006 – 3 T 172/05, AGS 2006, 595; LG Heidelberg v. 25.10.2006 – 6 T 76/06, AGS 2007, 399. Steiner

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Rz. 165

Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

b) Abgeltungsbereich der Gebühren 165

Hier gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 16 bis 19 RVG, die regeln, wann eine oder mehrere Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne gegeben sind. Insbesondere gilt jeder Rechtszug als eigene Angelegenheit. Zwei verschiedene Angelegenheiten liegen auch dann vor, wenn der Anwalt zunächst im Erbscheinsverfahren und anschließend im Verfahren auf Einziehung des Erbscheins tätig wird1.

166

Setzen Erben den vom Erblasser begonnenen Rechtsstreit fort, so liegt nur eine Angelegenheit vor. Des weiteren liegt nur eine Angelegenheit vor, wenn ein Anwalt zunächst eine Erbengemeinschaft und später im Verfahren nur noch einen einzelnen Miterben vertritt2. c) Mehrere Auftraggeber

167

Wenn der Anwalt für mehrere Mandanten in derselben Angelegenheit tätig wird, ist für die Ermittlung der Gebühr, ebenso wie bei außergerichtlicher Tätigkeit, zu differenzieren: – bei Gegenstandsgleichheit erhöht sich die Verfahrensgebühr um 0,3 je Auftraggeber; – bei Gegenstandsverschiedenheit werden die einzelnen Werte addiert, eine Gebührenerhöhung findet nicht statt.

168

Derselbe Gegenstand liegt vor bei: – der Vertretung einer Erbengemeinschaft, gleich ob Aktiv- oder Passivprozess3; dies gilt insbesondere auch, wenn ein vom Erblasser begonnener Rechtsstreit für mehrere Erben fortgeführt wird4, auch dies ist ein Fall der Gegenstandsgleichheit, der den Mehrvertretungszuschlag nach VV 1008 RVG auslöst5; – Vertretung mehrerer Erben im Erbscheinsverfahren6.

169

Gegenstandsverschiedenheit liegt dagegen vor, wenn – mehrere Pflichtteilsberechtigte vertreten werden7; – mehrere Erbprätendenten vertreten werden, die sich gegen eine Feststellungsklage wehren8. 1 LG Mannheim v. 2.5.2012 – 4 O 15/11, AnwBl 2013, 149. 2 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 106. 3 MAH Erbrecht/N. Schneider, § 2 Rz. 98; BGH v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/05, FamRZ 2007, 41 = MDR 2007, 340 = NJW 2006, 3715. 4 OLG Düsseldorf v. 2.7.1996 – 10 W 58/96, MDR 1996, 1300 = 1300 m.w.N. (unter Aufgabe der früheren Senatsrechtsprechung); OLG Hamm v. 28.6.1993 – 23 W 243/93, JurBüro 1994, 730. 5 LG München I v. 5.2.2009 – 16 T 22419/08, ZEV 2009, 311 (zur Vertretung mehrerer Miterben im Erbscheinseinziehungsverfahren). 6 LG München I v. 5.2.2009 – 16 T 22419/08, ZEV 2009, 311; OLG München v. 7.3. 2006 – 32 Wx 23/06, ZEV 2006, 366. 7 OLG Köln v. 24.11.1993 – 17 W 326/93, JurBüro 1994, 730; OLG München v. 25.1. 1990 – 11 W 3362/89, MDR 1990, 560. 8 OLG Hamm v. 14.3.1994 – 23 W 2/93, AGS 1994, 41. 48

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Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

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Rz. 173

7. Rechtsschutz Nach § 2k ARB1 besteht Beratungsrechtsschutz im Familien- und Erbrecht, ansonsten ist der Versicherungsschutz in diesem Bereich ausgeschlossen (§ 3 Abs. 2g ARB). Voraussetzung ist, dass die Beratung durch einen Rechtsanwalt erfolgt und dass die Beratung nicht im Zusammenhang mit einer weiteren kostenpflichtigen Tätigkeit des Anwalts steht. Nach den Bedingungen beschränkt sich die Leistung der Rechtsschutzversicherung somit ausschließlich auf den Beratungsbereich. Allerdings bieten einzelne Rechtsschutzversicherer einen weitergehenden Rechtsschutz auch in Erbsachen an, so dass dies im Einzelfall anhand des konkreten Versicherungsvertrags geprüft werden muss.

170

Wurde der Mandant zunächst nur beraten und kommt es später zu einer weitergehenden Tätigkeit, so führt dies nach h.M. zum rückwirkenden Wegfall des Beratungsrechtsschutzes, wenn die Voraussetzungen einer Anrechnung vorliegen2.

171

Beratungshinweis: Da dies für den Laien ein sehr überraschendes Ergebnis ist, sollte der Anwalt ihn hierauf hinweisen, bevor er weitergehend tätig wird. Für den Anspruch auf Versicherungsschutz genügt es nicht, dass eine versicherbare Leistung (Beratungsrechtsschutz) vorliegt. Hinzu kommen muss der Eintritt des Versicherungsfalls, dies ist nach der Definition in § 4 ARB eine Änderung der Rechtslage beim Versicherungsnehmer oder bei einer mitversicherten Person durch ein bestimmtes Ereignis. Dies ist bspw. der Fall, wenn sich der Versicherungsnehmer zu den Folgen eines eingetretenen Erbfalls beraten lässt. Hingegen wird ein Versicherungsfall verneint, wenn sich der Versicherungsnehmer bei Erstellung oder Änderung eines Testaments beraten lässt3. Erfahrungsgemäß erbringen die Versicherer hier aber häufig Kulanzleistungen.

172

Die Besorgung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung oder die Korrespondenz hierüber ist beim Anwalt eine gesonderte Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG, die nach VV 2300 abgerechnet werden kann4. Diese Kosten wiederum erhält der Versicherungsnehmer vom Rechtsschutzversicherer nicht erstattet, da keine Deckung für die Interessenwahrnehmung gegen den eigenen Rechtsschutzversicherer besteht. Eine Ausnahme besteht unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes bei Verzug des Rechtsschutzversicherers, wenn dieser die Deckungszusage zu Unrecht abgelehnt hat5. Da die Abrechnung als gesonderte Angelegenheit für den Laien überraschend ist, muss der Mandant hierauf vorab hingewiesen werden6.

173

1 Zitiert wird nachfolgend die Fassung v. 1.1.2012 (ARB 2012). 2 Böhme, § 25 ARB 75 Rz. 14; Harbauer, vor § 21 ARB 75 Rz. 154 f.; Prölss/Martin, § 25 ARB 75 Rz. 19. 3 AG Frankfurt a.M. v. 9.2.1989 – 31 C 2893/88 – 17, VersR 1989, 839; Harbauer, vor § 21 ARB 75 Rz. 164; Prölss/Martin, § 3 ARB 94 Rz. 16. 4 Gerold/Schmidt, § 19 RVG Rz. 27. 5 LG München I v. 1.3.1990 – 26 O 24064/88, JurBüro 1993, 163; Enders, JurBüro 2002, 25. 6 LG Zwickau v. 22.9.2005 – 6 S 68/05, AGS 2005, 525. Steiner

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Rz. 174

Vermögens- und Nachlassplanung in der Beratung

8. Vergütung in Steuersachen 174

Für die Hilfeleistung in Steuersachen verweist § 35 RVG auf §§ 23–39 sowie §§ 10 und 13 StBGebV. Im Einzelnen ergibt sich hierbei Folgendes:

175

– Anfertigung der Erbschaft- oder Schenkungsteuererklärung: Hier kann nach § 24 Abs. 1 Nr. 12 bzw. Nr. 13 StBGebV eine Wertgebühr zwischen 2/10 und 10/10 der vollen Gebühr nach Tabelle A zur StBGebV abgerechnet werden. Gegenstandswert ist bei der Erbschaftsteuererklärung der Wert des Erwerbs von Todes wegen vor Abzug von Schulden und Lasten, mindestens aber 16 000 Euro. Bei der Schenkungsteuererklärung ist der Rohwert der Schenkung, ebenfalls mindestens 16 000 Euro, maßgeblich. Für die Bewertung sind die Steuerwerte (§ 12 ErbStG) entscheidend, nicht etwa abweichende Verkehrswerte.

176

– Bedarfsbewertung bei Grundbesitz (§§ 138 ff. BewG): Die StBGebV sieht die Möglichkeit zur Abrechnung der Zeitgebühr nach § 13 S. 1 Nr. 2 StGebV vor (30 Euro bis 70 Euro je angefangene halbe Stunde). Für den Anwalt empfiehlt sich daher die Vereinbarung eines höheren, angemessenen Stundenhonorars. Für die Anfertigung einer Erklärung zur Feststellung nach dem Bewertungsgesetz oder dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz erhält der Anwalt 1/20 bis 18/20 der Gebühr nach Tabelle A, bemessen nach dem erklärten Wert, jedoch mindestens nach einem Wert von 25 000 Euro.

177

– Ermittlung des steuerfreien Zugewinnausgleichs: Hierzu sieht § 24 Abs. 2 StBGebV eine eigene Gebühr mit einem Rahmen zwischen 5/10 bis 15/10 der vollen Gebühr nach Tabelle A vor. Gegenstandswert ist der ermittelte Zugewinn, mindestens 12 500 Euro. Diese Tätigkeit kann neben der Anfertigung der Erbschaftsteuererklärung abgerechnet werden.

178

– Prüfung des Erbschaft- oder Schenkungsteuerbescheids: § 28 StBGebV verweist auf die Zeitgebühr nach § 13 S. 1 Nr. 1 StBGebV (30 bis 70 Euro je angefangene halbe Stunde). Auch hier sollte also ein angemessenes Pauschal- oder Stundenhonorar vereinbart werden.

179

– Einspruch gegen Steuerbescheide: Hier greift die Geschäftsgebühr von 0,5 bis 2,5 nach VV 2300. Gegenstandswert der Abrechnung ist der Betrag, um den die Steuer herabgesetzt werden soll, also das Einspruchsziel. Kommt es später zum Verfahren vor dem Finanzgericht, so entstehen zusätzlich die Gebühren nach VV 3200 ff. RVG. Die vorhergehende Geschäftsgebühr ist auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits anzurechnen (Vorbemerk. 3 Abs. 4 VV RVG).

180

Ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist eigenständig und löst gesonderte Gebühren aus (§ 17 Nr. 4 RVG). Dies gilt bspw. für das Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung.

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B. Das Mandat vor dem Erbfall – Gestaltung letztwilliger Verfügungen I. Die lebzeitige Vermögensübertragung Schrifttum: Breithaupt, Vorbehaltsnießbrauch als Gestaltungsinstrument bei der vorweggenommenen Erbfolge, Erbfolgebesteuerung 2009, 67; Brüggemann, Übertragung eines KG-Anteils unter Nießbrauchsvorbehalt oder gegen Versorgungsleistungen, ErbBstg 2009, 99; Brüggemann, (Teil-)entgeltliche Vermögensübertragung gegen wiederkehrende Leistungen, ErbBstg 2010, 123; Brüggemann, Zuwendung des Familienheims unter Lebenden, ErbBstg 2010, 210; Brüggemann, Grundstücksübertragungen: Keine Übernahme von Verbindlichkeiten bei Nießbrauchsvorbehalt; ErbBstg 2011, 195; Brüggemann, Schenkungsteuerliche (Nicht-)Anerkennung von Kettenschenkungen, ErbBstg 2013, 70; Carlé/Fuhrmann/Strahl, Vorweggenommene Erbfolge, 2013; Esskandari, Grundstücksübertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt und der frühe Tod, ErbStB 2013, 149; Geck, Die unentgeltliche lebzeitige Übertragung von Anteilen an gewerblich geprägten Personengesellschaften nach der Erbschaftsteuerreform, ZEV 2009, 601; Geck, Die steuerlichen Rahmenbedingungen der vorweggenommenen Erbfolge 2003 – 2013 – Ein Rückblick auf ereignisreiche Jahre, ZEV 2013, 169; Geck, Der Rentenerlass IV zur Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen – Schwerpunkte und Bewertung aus Sicht der Beratungspraxis, ZEV 2010, 161; Gemmer, Unternehmensnachfolge: So wählen Sie die richtige Gestaltung, EE 2009, 23; Götz, Nießbrauchsvorbehalt bei unentgeltlicher Zuwendung von verschontem Vermögen, EE 2009, 203; Götz, Nach Wegfall des § 25 ErbStG: Nießbrauch als Gestaltungsinstrument wieder interessant, EE 2009, 109; Götz, Lebzeitige Übertragung des Familienheims zwischen Ehegatten, EE 2011, 82; Götz, Schenkungsteuerliche Risiken im Hinblick auf den Quotennießbrauch bei Mitunternehmeranteilen?, ZEV 2013, 430; Goetze, Der lebzeitige Nießbrauch an Grundstücken des Privatvermögens im Steuerrecht, RNotZ 2013, 147; Götzenberger, Optimale Vermögensübertragung: Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Aufl. 2009; Halaczinsky, Immobilien verschenken und vererben nach Inkrafttreten der Erbschaftsteuerreform, ZErb 2009, 21; Hochheim/Wagenmann, Der Vorbehaltsnießbrauch am Kommanditanteil und die Mitunternehmerschaft; ZEV 2010, 109; Ivens, Rückforderung geschenkter Personengesellschaftsanteile, ZErb 2010, 286; Jülicher, Neue Gestaltungen um das eigengenutzte Familienheim (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a–c ErbStG), ZErb 2009, 222; Jülicher, Grundstücksschenkung unter Nießbrauchsvorbehalt, ZEV 2012, 71; Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis, 2. Aufl.; Landsittel, Gestaltungsmöglichkeiten von Erbfällen und Schenkungen, 3. Aufl. 2006; Langenfeld, Der Pool – ein Vertragstyp der Vergemeinschaftung, ZEV 2010, 17; Lasa, Die stille Beteiligung als Gestaltungsmittel der Vermögensnachfolge, ZEV 2010, 433; Mayer, Der Übergabevertrag in der anwaltlichen und notariellen Praxis, 2. Aufl. 2001; Neufang/ Merz, Einkommen- und erbschaft- bzw. schenkungsteuerrechtliche Folgen bei Wegfall des Nießbrauchs, DStR 2012, 939; Peters, Die Lebensversicherung als Instrument für Zuwendungen an Dritte auf den Todesfall – oder: Es lebe das römische Recht!, ZErb 2010, 165; Plitz, Die verunglückte Rückabwicklung einer Schenkung: der größte anzunehmende Unfall, ZEV 2009, 70; Roth, Nießbrauchsvorbehalt an Immobilien bei vorweggenommener Erbfolge, NJW-Spezial 2011, 295; Scheuber/Roth, Wertersatz bei Rückabwicklung einer Grundstücksschenkung, NJW-Spezial 2009, 567; Schimpfky, Steuerorientierte Gestaltung der Nachfolge bei privatem Immobilienvermögen, ZEV 2013, 662; Siebert, So wird der Vorbehaltsnießbrauch besteuert, EE 2010, 176; Siebert, Der Nießbrauch – ein wichtiges Gestaltungsinstrument in der Praxis, EE 2012, 98; Stöckel, Übertragung von Grundbesitz an Verwandte der Steuerklassen II und III, NWB 2009, 838; Theissen/Steger, Grundstücksschenkungen unter Nießbrauchsvorbehalt Grötsch

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Lebzeitige Vermögensübertragung

nach der Erbschaftsteuerreform – Darstellung anhand von Beispielsfällen, ErbStB 2009, 158; Weber/Schwind, Vertragliche Ausgestaltung von Poolvereinbarungen unter Berücksichtigung des neuen Erbschaftsteuerrechts, ZEV 2009, 16; Wegmann, Grundstücksüberlassung, 2. Aufl. 1999; Welker, Die Lebensversicherung im Erbfall, NWB 2012, 2403. Rz.

I. Die vorweggenommene Erbfolge im System der Nachlassplanung 1. Begriff und Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge . . . . . . 2. Fallgruppen und rechtliche Instrumente der Vermögensübertragung a) Geld- und Wertpapierschenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verträge zugunsten Dritter . . . c) Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unternehmen und Familiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Vor- und Nachteile lebzeitiger Vermögensübertragung . . . . .

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1. Ist der vorgesehene Nachfolger geeignet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kann der Übergeber die Substanz entbehren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ist der Übergeber auf die Erträge angewiesen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entstehen durch die vorweggenommene Erbfolge erhebliche erbschaftsteuerliche Vorteile? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ist die vorgesehene Maßnahme einkommensteuerneutral? . . . . . . 6. Können die für Betriebsvermögen geltenden erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien ausgeschöpft werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Sind Minderjährige beteiligt? . . . . 8. Wie hoch sind die Kosten? . . . . . . III. Besonderheiten bei Beteiligung Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Abstandszahlungen . . . . . . . . . . . . 2. Gleichstellungsgelder . . . . . . . . . . 3. Übernahme von Schulden . . . . . .

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V. Versorgung des Übergebers und Dritter 3 7 8

37 38 39

40 41

42 43 44 45

1. Durchführung der Zuwendung . . 46 a) In-sich-Geschäft . . . . . . . . . . . . 46a b) Gerichtliche Genehmigung . . 51 2. Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Haftung des Minderjährigen . . . . 58 4. Sicherung des Einflusses der Übergeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

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Rz.

IV. Gegenleistungen des Übernehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Nutzungsvorbehalte a) Nießbrauch aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . bb) Steuerliche Hinweise . . . . b) Wohnrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederkehrende Leistungen . . . . a) Leibrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dauernde Last . . . . . . . . . . . . . . c) Pflegeverpflichtungen . . . . . . . d) Steuerliche Behandlung der wiederkehrenden Leistungen . aa) Als Sonderausgaben abziehbare Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . bb) Entgeltliche Vermögensübertragung gegen wiederkehrende Leistungen . . . . cc) Unterhaltsleistungen . . . . dd) Pflegeverpflichtungen . . .

72 79 83 85 86 87 89 90 94 95 96 97

VI. Rückforderungsrechte und Weiterübertragung 1. Gesetzliche Rückforderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragliche Rückforderungsrechte a) Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Gestaltung . . . . . . . c) Steuerliche Folgen . . . . . . . . . . aa) Einkommensteuerliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht . . . cc) Steuerklausel . . . . . . . . . . . 3. Verpflichtung zur Weiterübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfügungsrechte des Übergebers

98 102 103 107 108 111 114 118 123

Lebzeitige Vermögensübertragung

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Rz. 4

I. Die vorweggenommene Erbfolge im System der Nachlassplanung 1. Begriff und Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge Unter vorweggenommener Erbfolge werden Vermögensübertragungen verstanden, die bereits zu Lebzeiten an Personen erfolgen, die ansonsten den entsprechenden Vermögensgegenstand von Todes wegen erhalten hätten. Kennzeichnend für den Begriff der vorweggenommenen Erbfolge sind also drei Elemente:

1

– Vermögensübertragung zu Lebzeiten – auf zukünftige Erben (meist Abkömmlinge) – im Vorgriff auf die Erbfolge Anders als bei Verfügungen von Todes wegen ist bei der vorweggenommenen Erbfolge keine einseitige Anordnung möglich, sie ist stets nur im Konsens zwischen dem künftigen Erblasser und dem vorgesehenen Nachfolger möglich. Dank der gestiegenen Lebenserwartung der Bevölkerung hat die vorweggenommene Erbfolge im Vergleich zur Ausgangslage bei Schaffung des BGB erheblich an Bedeutung gewonnen, da sie es ermöglicht, die Nachfolgegeneration bereits zu Lebzeiten des Erblassers in den (partiellen) Genuss des Familienvermögens kommen zu lassen. Die Entscheidung hierfür wird der Übergebergeneration maßgeblich dadurch erleichtert, dass die kautelarjuristische Praxis zu ihren Gunsten zahlreiche Absicherungsmechanismen entwickelt hat, insbesondere durch Nutzungs- und Rückforderungsvorbehalte. Vorweggenommene Erbfolge und Übertragung von Todes wegen berühren sich in den Fällen, in denen der Zuwendende den Zuwendungsgegenstand auf seinen Todesfall aufschiebend befristet überträgt1.

2

2. Fallgruppen und rechtliche Instrumente der Vermögensübertragung a) Geld- und Wertpapierschenkung Die Geldschenkung unterliegt in der Regel keinen besonderen rechtlichen Anforderungen, meist wird sie ohne schriftlichen Vertrag formlos vereinbart und durch Handschenkung oder Überweisung ausgeführt. Typisches Merkmal dieses Vertragstypus ist es, dass der Zuwendende den Geldbetrag und auch die Erträge hieraus nicht mehr benötigt, weshalb in der Regel keine Absicherungsmechanismen wie Nutzungs- oder Rückforderungsvorbehalte veranlasst sind. Behält sich der Schenker jedoch den Nießbrauch vor, so bleibt er Eigentümer des Geldes (§ 1067 Abs. 1 BGB), und auch die Erträge aus einer Anlage des Geldes sind ihm einkommensteuerlich zuzurechnen2.

3

Gerade bei der Geldschenkung spielt die steuerliche Motivation häufig eine entscheidende Rolle: Die gem. § 14 ErbStG im 10-Jahres-Rhythmus anfallenden Freibeträge sollen ausgenutzt werden. In diesem Zusammenhang stellt sich vor allem bei Eheleuten das Problem der „Kettenschenkung“.

4

1 Ausführlich hierzu Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 4. Aufl. 2011, § 4. 2 Zu den zivil- und steuerrechtlichen Fragen des Nießbrauchs an Geld- und Wertpapiervermögen Steiner, ErbStB 2007, 249 (273). Grötsch

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Rz. 4a

Lebzeitige Vermögensübertragung

Beratungssituation: V schenkt seinem Sohn 400 000 Euro und seiner Ehefrau weitere 200 000 Euro mit der Maßgabe, dass diese das Geld an den Sohn weiterverschenkt. Erhält jemand eine Zuwendung, die er aufgrund einer getroffenen Abrede an einen Dritten weitergeben muss, liegt schenkungsteuerrechtlich nur eine Zuwendung aus dem Vermögen des ursprünglichen Schenkers an den Dritten vor1. Im Beispielsfall liegt daher eine Schenkung von 600 000 Euro seitens des V an seinen Sohn vor. Das Ziel, auch den im Verhältnis zur Mutter bestehenden Freibetrag auszunutzen, ist damit gescheitert (zu Möglichkeiten, dem zu entgegnen, s. Kap. D Rz. 150 f.). 4a

Ertragsteuerlich ist die Schenkung von Geld oder Wertpapieren ein neutraler Vorgang. Dies gilt auch für die Abgeltungsteuer: Werden Wertpapiere auf das Depot eines anderen übertragen, fingiert § 43 Abs. 1 Satz 4 EStG zwar eine Veräußerung, doch kann der bisher Berechtigte seiner Bank mitteilen, dass der Vorgang unentgeltlich ist. Dann unterbleibt der Kapitalertragsteuerabzug, und die Bank ist lediglich verpflichtet, den Depotübertrag dem Finanzamt zu melden (§ 43 Abs. 1 Satz 5 und 6 EStG).

5

Geldschenkungen unter Auflagen sind in der Praxis verhältnismäßig selten, mit Ausnahme der Auflage, das Geld zum Erwerb eines Grundstücks zu verwenden. Dies führt, wenn die Immobilie genau bezeichnet ist, in schenkungsteuerrechtlicher Hinsicht zur Anwendung der Grundsätze der mittelbaren Grundstücksschenkung, deren praktische Bedeutung durch die Erbschaftsteuerreform 2009 allerdings stark eingeschränkt wurde2 (s. Kap. D Rz. 161 ff.).

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In der Öffentlichkeit kaum bekannt ist die Anrechnungsbestimmung des § 2315 Abs. 1 BGB. Hiernach hat sich ein Pflichtteilsberechtigter eine lebzeitige freigebige Zuwendung des Erblassers dann auf seinen Pflichtteil anrechnen zu lassen, wenn der Erblasser dies bei der Zuwendung bestimmt hat. Laien übersehen häufig, dass diese Anrechnungsbestimmung spätestens mit Ausführung der Zuwendung erfolgen muss3. Die Anrechnungsbestimmung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die keiner Form unterliegt, sie kann auch stillschweigend erfolgen. Aus Beweisgründen sollte sich der Zuwendende vom Empfänger aber schriftlich bestätigen lassen, dass dieser von der Anrechnungsbestimmung Kenntnis genommen hat.

M 12 Pflichtteilsanrechnungsbestimmung S erhält von V eine Zuwendung in Höhe von … Euro. Diese muss er sich auf seinen evtl. Pflichtteil nach dem V anrechnen lassen. (Ort, Datum, Unterschriften von S und V)

1 BFH v. 30.11.2011 – II B 60/11, FamRZ 2012, 548 = ErbStB 2012, 100 = ZEV 2012, 562. 2 Steiner, Das neue Erbschaftsteuerrecht, 2009, Rz. D 16 ff. 3 Das Vorhaben, eine nachträgliche Anrechnungsbestimmung durch letztwillige Verfügung zuzulassen (BT-Drucks. 16/8954), wurde nicht Gesetz, s. Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts v. 24.9.2009, BGBl. I, S. 3142. 54

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Lebzeitige Vermögensübertragung

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Rz. 7b

Eine Ausstattung nach § 1624 BGB ist keine Schenkung i.S. der §§ 516 ff. BGB. Lediglich auf den übermäßigen Teil einer Ausstattung ist Schenkungsrecht anwendbar1. b) Verträge zugunsten Dritter Verträge zugunsten Dritter, insbesondere Lebensversicherungen, sind beliebte und wirtschaftlich bedeutende Gestaltungsmittel, um nahe Angehörige für den Fall des Todes eines Familienmitglieds wirtschaftlich abzusichern und um Liquiditätsvorsorge für zu erwartende Pflichtteils- und Erbschaftsteuerbelastungen zu treffen. Bei der reinen Risikolebensversicherung wird die Versicherungssumme nur bei Tod der versicherten Person fällig, bei einer Todesfall- und Erlebensversicherung wird sie hingegen nach einem bestimmten Zeitablauf, in jedem Fall aber bei Tod des Versicherten fällig. Das Recht des für den Todesfall Bezugsberechtigten ist dabei auflösend bedingt durch den Eintritt des Erlebensfalls.

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Die kapitalbildende Lebensversicherung ist somit sowohl ein Gestaltungsmittel der Vermögensanlage zu Lebzeiten als auch der vorweggenommenen Erbfolge. Nur wenn kein Bezugsberechtigter benannt ist, fällt die Versicherungssumme in den Nachlass2. Ist dagegen ein Bezugsberechtigter benannt, erwirbt dieser – sofern er widerruflich eingesetzt ist – mit dem Erbfall ein unmittelbares Forderungsrecht gegen die Versicherung, § 159 Abs. 2 VVG. Ist er unwiderruflich eingesetzt, erwirbt er die Forderung schon mit der Einsetzung, § 159 Abs. 3 VVG. In beiden Fällen fällt die Forderung nicht in den Nachlass. Bis zum Erwerb des Forderungsrechts kann der Versicherungsnehmer den Bezugsberechtigten auswechseln. Nach § 332 BGB, der neben § 159 VVG ergänzende Anwendung findet3, könnte die Auswechslung des Bezugsberechtigten theoretisch sogar noch durch Verfügung von Todes wegen geschehen, dies wird durch § 13 Abs. 4 ALB 2008 allerdings verhindert, weil eine Änderung des Bezugsberechtigten erst dann wirksam wird, wenn sie dem Versicherer vom Versicherungsnehmer angezeigt wurde4. Ein Testament, welches die Erklärung über eine Änderung oder den Widerruf der Bezugsberechtigung enthält, muss daher dem Versicherer noch zu Lebzeiten des Versicherungsnehmers bekannt gemacht werden5. Damit der Bezugsberechtigte die Leistung behalten darf, bedarf es, wie stets bei Verträgen zugunsten Dritter, eines rechtlichen Grundes im Valutaverhältnis; meist wird dies eine Schenkung sein.

7a

Auch bei sonstigen Verträgen zugunsten Dritter, bei denen die Leistung nach dem Tod des Erblassers erfolgen soll, wird gem. § 331 Abs. 1 BGB vermutet, dass der Dritte sein Forderungsrecht erst mit dem Tod des Erblassers erwirbt. Deshalb kann bei einem Vertrag zugunsten Dritter mit einer Bank der Kontoinhaber die Rechtsstellung des Dritten in der Regel ohne dessen Zustimmung jederzeit noch ändern, sei es, weil er sich dieses stillschweigend vorbehalten hat (§ 328 Abs. 2 BGB), sei es auch einfach durch Kündigung des Deckungsverhältnisses

7b

1 Palandt/Götz, § 1624 Rz. 2. 2 Prölss/Martin/Schneider, § 159 VVG Rz. 11; BGH v. 8.5.1996 – IV ZR 112/95, FamRZ 1996, 935 = MDR 1996, 818 = ZEV 1996, 263. 3 Palandt/Grüneberg, § 332 Rz. 1. 4 Prölss/Martin/Schneider, § 159 VVG Rz. 8. 5 Prölss/Martin/Schneider, § 159 VVG Rz. 8. Grötsch

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Rz. 7c

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mit der Bank oder dadurch, dass das Spar- oder Girokonto durch Abhebungen oder Umbuchungen reduziert wird. 7c

Damit der Begünstigte die Leistung der Bank behalten darf und nicht wegen ungerechtfertigter Bereicherung an die Erben herausgeben muss, bedarf es eines Rechtsgrundes im Valutaverhältnis1. Hat der Begünstigte an dem Vertrag zugunsten Dritter mitgewirkt oder wurde ihm dieser vor dem Tod des Kontoinhabers von diesem mitgeteilt, dann wird der Schenkungsvertrag in der Regel durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen sein (§§ 151, 145 BGB). Andernfalls kann der Rechtsgrund noch nach dem Tod des Bankkunden dadurch zustande kommen, dass die Bank aufgrund eines postmortalen Übermittlungsauftrages das Schenkungsangebot dem Begünstigten nach dem Tod des Kontoinhabers mitteilt (§§ 130 Abs. 2, 153, 151 BGB). Allerdings wird das Schenkungsangebot unwirksam, wenn der Begünstigte zuvor oder gleichzeitig einen Widerruf der Erben des Bankkunden erhält. Damit entsteht das berühmte Problem der Wettlaufsituation2. Dieser kann auf mehreren Wegen begegnet werden3: – Der sicherste Weg ist der, dass der Dritte das Schenkungsangebot bereits zu Lebzeiten des Kontoinhabers annimmt. Aus psychologischen Gründen ist dieser Weg aber oft nicht gewollt, weil der Begünstigte zu Lebzeiten des Kontoinhabers noch nicht von der geplanten Begünstigung erfahren soll. – Die Zuwendung kann durch parallele letztwillige Verfügung abgesichert werden, in der dem Begünstigten durch Vermächtnis das Kontoguthaben zugewandt wird. – Der Kunde kann gegenüber der Bank auf das Recht zum Widerruf des Schenkungsangebots verzichten (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB), was dann auch gegenüber den Erben wirkt4. Ein solcher Widerrufsverzicht belässt dem Kontoinhaber die Möglichkeit, das Deckungsverhältnis mit der Bank aufzuheben oder zu Lebzeiten frei über das Guthaben zu verfügen, da sich das unwiderrufliche Schenkungsangebot nur auf das Guthaben bezieht, welches am Todestag noch vorhanden ist. – Umstritten ist, ob der Erbenwiderruf auch durch eine Selbstkontrahierungsklausel ausgeschlossen werden kann, bei der der Bankkunde den Schenkungsvertrag bereits zu Lebzeiten mit sich selbst und als Vertreter des Begünstigten abschließt. Er handelt dabei als Vertreter ohne Vertretungsmacht, der Beschenkte kann dies nach dem Tod des Versprechensempfängers mit Rückwirkung genehmigen (§ 184 Abs. 1 BGB). Die Erben haben wegen § 178 Satz 1 BGB keine Widerrufsmöglichkeit5.

7d

Ehegatten unterliegen häufig der Fehlvorstellung, bei einem Gemeinschaftskonto falle das gesamte Guthaben beim Tod eines von ihnen automatisch an den anderen. Richtig ist zwar, dass im Regelfall des Oder-Kontos der überlebende Teil als Gesamtgläubiger im Sinne von § 428 BGB über das Konto ver1 2 3 4 5

Palandt/Grüneberg, § 331 Rz. 4 f. m.w.N. Gubitz, ZEV 2006, 333. Nieder/Kössinger, § 4 Rz. 52. OLG Celle v. 20.12.1995 – 3 U 275/94, WM 1996, 851. Lösungsansatz von Bühler, NJW 1976, 1727 (1728); bejahend Gubitz, ZEV 2006, 333 (336); ablehnend Muscheler, WM 1994, 921 (934).

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Rz. 10

fügen kann1, erbrechtlich unproblematisch ist dies allerdings nur, wenn er zugleich Alleinerbe des verstorbenen Teils wird. Andernfalls verbleibt den Erben die hälftige Ausgleichsforderung nach der Auslegungsregel des § 430 BGB. Soll dies ausgeschlossen werden, so muss der Anteil des Kontoguthabens durch Vermächtnis bzw. Vorausvermächtnis oder durch Vertrag zugunsten Dritter dem überlebenden Ehegatten zugewiesen werden. Nicht unproblematisch ist auch die Anlegung eines Sparkontos auf den Namen des zu begünstigenden Dritten unter dem Vorbehalt einer Verfügungsbefugnis bis zum Tod. Denn allein durch die Anlage des Sparbuchs auf den Namen des Dritten geht die Forderungsinhaberschaft noch nicht auf ihn über2, vielmehr handelt es sich dann nur um eine Vorbereitungshandlung; damit der Dritte das Forderungsrecht im Todesfall erwirbt, bedarf es wiederum eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall3.

7e

Soll ein Wertpapierdepot im Wege des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall übergehen, so stellt sich die Schwierigkeit, dass dingliche Rechte nach st. Rspr. nicht im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter übertragen werden können4. Möglich ist aber ein Vertrag mit der Bank zugunsten Dritter, mit dem für den Dritten ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung der Wertpapiere begründet wird5.

7f

c) Immobilien Da viele Bürger einen großen Anteil ihres Vermögens in Immobilien angelegt haben, verwundert es nicht, dass die Übergabe von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge wirtschaftlich eine erhebliche Bedeutung hat. Typischerweise wird dies mit Nutzungs- und Rückforderungsvorbehalten zugunsten der Übergebergeneration verbunden. Rechtlich am einfachsten gestaltet werden kann dabei die Übergabe einer Immobilie im Ganzen. Häufig entspricht dies aber nicht den Wünschen der Übergebergeneration, entweder weil mehrere Übernehmer bedacht werden sollen oder weil sich der Übergeber einen Teil des Eigentums zurückbehalten möchte. Hier bieten sich folgende Lösungen an:

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– Übertragung von Bruchteilseigentum, typischerweise verbunden mit Absicherungsmaßnahmen6, die verhindern, dass der Übernehmer bei Streitigkeiten die Verwaltung des Grundbesitzes behindern oder gar die Teilungsversteigerung betreiben kann.

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– Begründung und Übergabe von Wohnungseigentum: Diese Lösung bietet sich an, wenn es um die teilweise Übergabe eines Grundstücks geht, das mit einem Mehrfamilienhaus oder mit mehreren Häusern bebaut ist. Die Aufteilung in Wohnungseigentum sichert in diesem Fall eine Struktur, die es erlaubt, die einzelnen Teile als weitgehend unabhängige wirtschaftliche Einhei-

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Hierzu Werkmüller, ZEV 2000, 440. BGH v. 18.1.2005 – X ZR 264/02, NJW 2005, 980. BGH v. 2.2.1994 – IV ZR 51/93, FamRZ 1994, 625 = NJW 1994, 931. Palandt/Grüneberg, vor § 328 Rz. 9 m.w.N. Staudinger/Jagmann, vor § 328 ff. Rz. 56. In Frage kommen insbesondere von §§ 744 f. BGB abweichende Vereinbarungen über die Verwaltung und der Ausschluss der Aufhebung der Gemeinschaft (§ 1010 BGB). Grötsch

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Rz. 11

Lebzeitige Vermögensübertragung

ten zu verwalten. Zum Schutz gegen das Eindringen Familienfremder werden häufig Vorkehrungen wie bspw. ein Vorkaufsrecht getroffen. 11

– Familienpool: Die Einbringung der Immobilien in eine Grundstücksverwaltungsgesellschaft bürgerlichen Rechts bietet sich bei größeren Vermögen an1. Durch Nutzungs- und Geschäftsführungsvorbehalte kann sich der Übergeber lebenslang den Ertrag und die Verwaltungsbefugnis der Objekte vorbehalten. Durch Kündigungs- und Fortsetzungsklauseln kann des Weiteren sichergestellt werden, dass nur Abkömmlinge Mitgesellschafter werden, so dass das Gesellschaftsvermögen in der Familie bleibt.

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Der Nutzungsvorbehalt des Übergebers kann in diesem Zusammenhang auf verschiedenen Wegen verwirklicht werden2. Möglich sind: – Bestellung eines Eigentümernießbrauchs am Grundbesitz, bevor dieser in die Gesellschaft eingebracht wird oder – Bestellung eines Nießbrauchs an den Geschäftsanteilen der übernehmenden Abkömmlinge, oder – Regelung der Gewinnverteilung, die von den Beteiligungsverhältnissen abweicht3.

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Einen besonderen Vertragstypus bildet im Rahmen von Grundstückszuwendungen die Ausstattung (§ 1624 BGB). Diese hat aus der Sicht der Beteiligten den Vorteil, dass sie nicht der Pflichtteilsergänzung nach § 2325 BGB unterliegt, soweit sie nicht als übermäßig im Sinne von § 1624 Abs. 1 BGB anzusehen ist4.

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Als weiterer Vertragstyp hat sich in der kautelarjuristischen Praxis die gestufte Übergabe an Kinder und Schwiegerkinder herausgebildet. Hintergrund ist, dass das Schwiegerkind häufig hälftiger Miteigentümer an dem übergebenen Grundbesitz werden soll, sei es aus psychologischen Gründen, sei es weil es erhebliche Kosten für Bebauung oder Renovierung investiert. Dabei verbietet es sich aus schenkungsteuerrechtlichen Gründen wegen des geringen Freibetrags von nur 20 000 Euro, dass die Eltern das hälftige Miteigentum direkt dem Schwiegerkind zuwenden. Stattdessen bietet es sich an, dass in der ersten Stufe die Eltern das gesamte Grundstück ihrem Kind unter Ausnutzung der Freibeträge von jeweils 400 000 Euro zuwenden und dass sodann das Kind in der zweiten Stufe seinem Ehegatten das hälftige Miteigentum unter Ausnutzung des Ehegattenfreibetrags von 500 000 Euro als ehebedingte Zuwendung überträgt5. Eine Gestaltungsvariante, die den Ehegattenfreibetrag unberührt lässt, ist es, stattdessen das Grundstück erst zu bebauen und dann das hälftige Miteigentum an dem so entstandenen „Familienwohnheim“ nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG steuerfrei auf den 1 Formulierungsbeispiel bei Langenfeld/Günther, Kap. 10 Rz. 15; Landsittel, S. 733. 2 Hierzu mit Formulierungsmustern Schindhelm/Stein, ErbStB 2003, 405; Steiner, ErbStB 2005, 279; Steiner, ErbStB 2006, 31. 3 Zu ertragsteuerlichen Problemen Mutter, ZEV 2007, 512. 4 Langenfeld/Günther, Kap. 7 Rz. 49. 5 Langenfeld/Günther, Kap. 9 Rz. 1. 58

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Rz. 17

Ehepartner zu übertragen. Dem Scheidungsrisiko kann bei dieser Gestaltungsvariante durch Rückforderungsrechte des Kindes bzw. der Eltern Rechnung getragen werden1.

Beratungshinweis: Bei dieser Gestaltung ist darauf zu achten, dass keine sog. „Kettenschenkung“ vorliegt, bei der der Erwerb des Zwischenerwerbers und dessen Weitergabe an den Letztbeschenkten steuerlich nicht anerkannt wird. Wenn das Kind jedoch nicht zur Weiterschenkung verpflichtet ist und die Eltern die Weitergabe des Miteigentumsanteils am Grundstück auch nicht veranlasst haben, ist regelmäßig nicht von einer Zuwendung der Eltern an das Schwiegerkind auszugehen, auch wenn die Eltern wissen und damit einverstanden sind, dass das Kind die Immobilie unmittelbar im Anschluss an die Schenkung weiterschenkt2. Insbesondere bei erheblichen Altersunterschieden zwischen Ehegatten spielt auch die ehebedingte Zuwendung von Grundbesitz eine wirtschaftlich erhebliche Rolle. Sie unterliegt grundsätzlich als freigebige Zuwendung unter Lebenden nach § 7 Abs. 1 ErbStG der Schenkungsteuer, wobei eine wichtige Ausnahme für das Familienwohnheim gilt, dessen Erwerb steuerfrei gestellt ist (s. Kap. D Rz. 77a).

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d) Unternehmen und Familiengesellschaften Für die Übergabe an die nächste Generation gibt es grundsätzlich drei Modelle3:

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– Weitergabe des (Einzel-)Unternehmens an den Nachfolger im Ganzen (Modell Erbhof). – Übergabe von Anteilen an einem Familienunternehmen, z.B. in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft, wobei die Leitungsmacht typischerweise für eine Übergangszeit beim Übergeber bleibt. – Stiftungsunternehmen, vor allem in Gestalt der Doppelstiftung, bei der die Familienstiftung eine geringe Beteiligung und eine gemeinnützige Stiftung den größeren Teil der Beteiligung an dem Unternehmen hält, die Leitungsmacht aber bei der Familienstiftung konzentriert ist. Wenn sich Eltern entscheiden, Kinder am Unternehmen zu beteiligen, kommen grundsätzlich alle Gesellschaftsformen des Handelsrechts auch für eine Familiengesellschaft in Betracht4: – Typisch stille Gesellschaft: Die Begründung einer typisch stillen Beteiligung zugunsten der Abkömmlinge erfolgt häufig aus einkommensteuerrechtlichen Gründen: Der typisch stille Gesellschafter erzielt Einkünfte aus Kapitalver1 Im Einzelnen Langenfeld/Günther, Kap. 9 Rz. 3 f. 2 BGH v. 30.11.2011 – II B 60/11, ZEV 2012, 562; BFH v. 18.7.2013 – II R 37/11, FamRZ 2013, 1802 = ErbStB 2013, 335 = ErbBstg 2013, 273; Brüggemann, ErbBstg 2013, 70. 3 Einteilung nach Reuter, ZGR 1991, 468. 4 S.a. Hübner-Weingarten, ZEV 1999, 81; Rund, DStR 2000, 265; die Beteiligung an einer GbR ist hingegen problematisch, da nach der Rspr. des BGH (v. 27.7.1999 – II ZR 371/98, NJW 1999, 3483, bestätigt durch Urt. v. 24.11.2004 – XII ZR 113/01, MDR 2005, 460) dort keine generelle Haftungsbeschränkung mehr möglich ist. Grötsch

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mögen, es können die einkommensteuerrechtlichen Grundfreibeträge sowie der Sparerfreibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG ausgeschöpft werden („Familiensplitting“), weshalb häufig bereits Minderjährige als stille Gesellschafter (auch durch Umbuchen des Kapitalkontos, also ohne zusätzlichen Liquiditätseinsatz) beteiligt werden; (dies erfordert bei Verlustbeteiligung eine Pflegerbestellung und die familiengerichtliche Genehmigung1). Zu beachten ist, dass der Gewinn i.d.R. höchstens 15 % des geschenkten Nominalkapitals erreichen darf, damit das Modell einkommensteuerlich anerkannt wird2. Bemessungsgrundlage für die Schenkungsteuer ist der Nominalbetrag der stillen Einlage. Da durch die stille Gesellschaft nur eine Forderung gegen das Unternehmen entsteht, nicht aber eine Unternehmensbeteiligung stattfindet, finden die Vergünstigungen der §§ 13a, 19a ErbStG keine Anwendung. 18

– Atypisch stille Beteiligung: Im Unterschied zur typisch stillen Gesellschaft entsteht eine Mitunternehmerschaft, da der atypisch stille Gesellschafter an den stillen Reserven einschließlich des Firmenwertes schuldrechtlich beteiligt ist3. Einkommensteuerlich entstehen daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Schenkungsteuerlich ist der geschenkte Unternehmensanteil Bemessungsgrundlage, die Privilegien der §§ 13a, 19a ErbStG finden Anwendung4.

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– Offene Handelsgesellschaft: Überträgt ein bisheriger Gesellschafter seine Gesellschaftsbeteiligung ganz oder teilweise auf eine andere Person, so gilt der dem Kapitalanteil entsprechende Anteil am Betriebsvermögen als geschenkt (§ 12 Abs. 5 i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 4 ErbStG). Dies gilt nach § 7 Abs. 5 ErbStG auch, wenn der Erwerber bei Auflösung der Gesellschaft oder bei seinem Ausscheiden nur den Buchwert erhält.

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– Kommanditgesellschaft: Die Kommanditgesellschaft, ggf. in Form der GmbH & Co. KG, ist für viele Unternehmerfamilien die ideale Rechtsform, da sie es ermöglicht, die jüngere Generation als Kommanditisten (mit der immanenten Haftungsbegrenzung) zu beteiligen, während der älteren Generation die Leitungsmacht aufgrund der Komplementärstellung vorbehalten bleibt. Da die Kommanditisten lediglich ein Widerspruchsrecht für außergewöhnliche Geschäfte haben, droht hierbei nur ein geringes Blockadepotenzial. In einem zweiten Schritt kann dann die Stellung des Komplementärs auf den vorgesehenen Nachfolger übertragen werden, während die übrigen Kinder entsprechend ihrer Erb- oder Pflichtteilsquote beteiligt werden. 1 BFH v. 9.7.1987 – IV R 95/85, NJW 1988, 1343; H 15.9 (4) EStH 2008; Schmidt/ Wacker, § 15 EStG Rz. 773. 2 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 776, 785; H 15.9 (3) EStH 2008. 3 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 343; zu den Gestaltungsmöglichkeiten. Hecht, ZEV 2004, 105. 4 Bayer. Staatsmin. d. Fin. v. 23.3.2009, 34 – S 3811 – 035 – 11256/09, DStR 2009, 908 unter Aufgabe der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung (zu deren Kritik Wälzholz, ZEV 2007, 369); Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 75 f.; zur Rechtslage vor der Erbschaftsteuerreform 2009 BFH v. 16.1.2008 – II R 10/06, FamRZ 2008, 987 (nur LS) = ErbStB 2008, 133 = BStBl. 2008 II, 631 m. Anm. Hübner, ZEV 2008, 254; s.a. Geck, ZEV 2001, 180; Jülicher, DStR 2001, 769; Mößlang, DStR 2001, 575; M. Söffing, ZEV 2001, 207; Ebeling, DB 2001, 768. 60

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Bei der Vertragsgestaltung ist allerdings sorgfältig darauf zu achten, dass keine Vertragsklauseln vorgesehen werden, die dazu führen, dass die Mitunternehmerstellung eines schenkungsweise aufgenommenen Kommanditisten in Frage gestellt wird1. Gefährlich sind hierbei bspw. Klauseln folgenden Inhalts: – jederzeitiger Ausschluss zum Buchwert2 – jederzeitige Verpflichtung zur unentgeltlichen Rückübertragung – einseitiges Kündigungsrecht der Eltern (zum Buchwert)3 – Ausschluss der Informations- und Widerspruchsrechte gem. §§ 164, 166 HGB4 – Nießbrauchsvorbehalt, sofern Nießbraucher die Gesellschafterrechte wahrnimmt und vorsorglich Stimmrechtsvollmacht erhält5.

Beratungshinweis: Auch für die unentgeltliche Übertragung eines Teils an einem Mitunternehmeranteil gilt § 6 Abs. 3 EStG: die Übertragung, ggf. nebst anteiligem Sonderbetriebsvermögen, erfolgt steuerneutral. Soweit der Übergeber Sonderbetriebsvermögen zurückbehält, kommt es nicht zu einer (steuerbaren) Entnahme, da er weiterhin – wegen der zurückbehaltenen Quote – Mitunternehmer bleibt. Wird das Sonderbetriebsvermögen insgesamt oder überproportional auf den Übernehmer eines Teils des Mitunternehmeranteils übertragen, so gilt laut Finanzverwaltung bis zur Quote des übertragenen Teilanteils § 6 Abs. 3 und für den überschießenden Teil des Sonderbetriebsvermögens § 6 Abs. 5 EStG mit der dort vorgesehenen Veräußerungssperrfrist.6 Anders die Rspr.7: So soll allein § 6 Abs. 3 EStG anwendbar sein, nicht § 6 Abs. 5 EStG. Zudem soll § 6 Abs. 3 S. 1 EStG gelten, nicht § 6 Abs. 3 S. 2 EStG, wenn der Gesamtwert der übertragenen Wirtschaftsgüter den Wert des gesamten quotal mit zu übertragenden Sonderbetriebsvermögens abdeckt. Eine Behaltensfrist gilt dann nicht.

II. Die Vor- und Nachteile lebzeitiger Vermögensübertragung Beratungssituation: Der Mandant ist unschlüssig, ob er seine Kinder bereits jetzt an seinem Vermögen beteiligen soll. Die Entscheidung zu lebzeitiger Vermögensübertragung setzt eine Einzelfallbetrachtung voraus, bei der Vor- und Nachteile für den konkreten Sachverhalt abgewogen werden. Häufig ist festzustellen, dass, auch in der Vorstellung der Laien, steuerliche Motive zu sehr im Vordergrund stehen. Diese haben ohne Zweifel ihre Berechtigung, eine vorweggenommene Erbfolge ist aber nur gerechtfertigt, 1 2 3 4 5

Überblick bei Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 750–761. BFH v. 29.4.1981 – IV R 131/78, BStBl. 1981 II, 663. BFH v. 6.7.1995 – IV R 79/94, BStBl. 1996 II, 269. Vgl. BFH v. 10.11.1987 – VIII R 166/84, BStBl. 1989 II, 758. Vgl. BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, FamRZ 2009, 696 = ErbStB 2009, 107 = ErbBStg. 2009, 57. 6 Schnitter, EStB 2005, 28, 29; BMF-Schreiben v. 3.3.2005 – IV B 2 – S 2241 – 14/05, FR 2005, 391. 7 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, ErbStB 2012, 352 = ZEV 2012, 685. Grötsch

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wenn sie in ein familiäres und wirtschaftliches Gesamtkonzept passt. Idealtypisch lassen sich ihre Vor- und Nachteile wie folgt zusammenfassen: Vorteile: 22

– „Geben mit warmer Hand“: Die Nachfolgegeneration wird zu dem Zeitpunkt bedacht, zu dem sie es benötigt, dies betrifft insbesondere Fälle der Ausstattung (Hausbau, Existenz- und Familiengründung). Angesichts der demografischen Entwicklung, bei der die Erblasser- wie auch die Erbengeneration immer älter wird, hat dieser Gesichtspunkt in den letzten Jahrzehnten verstärkt an Bedeutung gewonnen.

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– Nachfolgerbindung: Vor allem im Unternehmensbereich ist es ein nicht zu unterschätzender Vorteil, dass der Übergeber bei der vorweggenommenen Erbfolge entscheiden kann, wann er die nachfolgende Generation in die Verantwortung nimmt und sie so an das Unternehmen bindet. Dies vermeidet das „Prinz-Charles-Syndrom“ und trägt so erheblich zur Motivation der nachfolgenden Generation bei. Erfahrungsgemäß wird auch das Verantwortungsgefühl deutlich gesteigert, wenn zum richtig gewählten Zeitpunkt bereits Vermögen und damit Verantwortung übertragen wird.

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– Stufenweises Vorgehen: Anders als im Erbfall muss die vorweggenommene Erbfolge nicht nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip erfolgen. Sowohl bei Privatvermögen als auch im Unternehmensbereich ist es möglich, die nächste Generation schrittweise zu beteiligen, wobei der Übergeber zunächst beobachten kann, ob der Übernehmer verantwortungsvoll mit dem übertragenen Vermögen umgeht (Testphase).

25

– Entlastung der älteren Generation: Für viele wird die Verwaltung des Vermögens, insbesondere von Grundbesitz und von Unternehmen, mit zunehmendem Alter zu einer schwer zu tragenden Last. Hiervon befreit die lebzeitige Übergabe auf die nächste Generation.

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– Dauernde Versorgung: Wenn der Übergeber krankheits- oder altersbedingt nicht mehr in der Lage ist, das Unternehmen fortzuführen, stellt die Liquidation des Unternehmens, ganz abgesehen davon, dass sie aus emotionalen Gründen meist höchst unerwünscht ist, finanziell oft keine attraktive Alternative dar (Einkommensbesteuerung der Unternehmensaufgabe, Sozialplanlasten, verhältnismäßig geringer Verkaufserlös). Hier bietet die Übergabe an die nächste Generation gegen Versorgungsleistungen dem Übergeber die Möglichkeit, sich indirekt die Ertragskraft des Unternehmens auch in Zukunft zunutze zu machen.

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– Reduzierung der Pflichtteilsbelastung: Wird frühzeitig übertragen, so kann die Abschmelzungsregelung des § 2325 Abs. 3 BGB zur völligen oder teilweisen Reduktion des Pflichtteils führen. (Unter der Voraussetzung, dass das übergebene Vermögen tatsächlich aus dem Bereich des Übergebers wirtschaftlich ausgegliedert wird, es dürfen also keine zu weit reichenden Nutzungsund Rückforderungsvorbehalte vorgesehen werden.)1 Im Unternehmensbereich besteht ferner die Möglichkeit, das Pflichtteilsrisiko zumindest zu mindern, indem zwischen dem Erblasser und seinem vor1 BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, MDR 1994, 1015 = FamRZ 1994, 885 = ZEV 1994, 233. 62

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gesehenen Nachfolger eine Fortsetzungsklausel im Gesellschaftsvertrag vereinbart wird, die einen allseitigen Abfindungsausschluss vorsieht. Hierzu hat der BGH die Auffassung vertreten, dass, da nicht feststeht, wer zuerst verstirbt, ein derartiger Vertrag Wagnischarakter hat und deshalb keine Schenkung vorliegt, die zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen führen würde1. Allerdings muss man beachten, dass diese Rspr. in der Kommentarliteratur in Frage gestellt wird2. Zur Pflichtteilsreduzierung trägt bei der vorweggenommenen Erbfolge auch bei, dass aufgrund des Niederstwertprinzips (§ 2325 Abs. 2 BGB) der Übernehmer für Wertzuwächse, die das übergebene Unternehmen erfährt, keine Pflichtteilsergänzungsansprüche fürchten muss. Ebenso sind Gewinne, die sich ansonsten beim Übergeber pflichtteilserhöhend angesammelt hätten, von Pflichtteilsergänzungsansprüchen frei. – Entlastung bei der Erbschaftsteuer: Hier besteht bei der vorweggenommenen Erbfolge zunächst die Möglichkeit, die persönlichen Freibeträge und ggf. den Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 2 ErbStG im 10-Jahres-Rhythmus auszuschöpfen. Auch kann die Steuerprogression gemindert werden. Ferner sind aufgrund der Stichtagsbesteuerung Wertzuwächse, die der Übernehmer nach Übertragung erzielt, erbschaftsteuerfrei, ebenso Gewinne, die er aus dem übertragenen Vermögensgegenstand erzielen kann (s. auch Kap. D Rz. 145 ff.).

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– Entlastung bei der Einkommensteuer: Häufig können bei der vorweggenommenen Erbfolge auch Ersparnisse im Bereich der Einkommensteuer erzielt werden. Zu nennen ist zunächst die Fallgruppe, bei der Vermögen auf die nachfolgende Generation, evtl. sogar auf Minderjährige, übertragen wird, um den Grundfreibetrag3 zu nutzen und eventuelle weitere Erträge lediglich einer geringeren Steuerprogression zu unterwerfen. Dies ist häufig auch bei der Übertragung gegen Versorgungsleistungen ein erheblicher Gesichtspunkt.

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Als weiterer Aspekt tritt im Unternehmensbereich hinzu, dass es bei der vorweggenommenen Erbfolge wesentlich einfacher ist, der Aufdeckung stiller Reserven vorzubeugen als bei den Unwägbarkeiten einer Erbauseinandersetzung. – Planbarkeit: Ein kaum zu überschätzender Vorteil der vorweggenommenen Erbfolge ist ihre Planbarkeit. Jede noch so vorausschauende Testamentsgestaltung steht vor dem Problem, dass sie für einen zukünftigen, ungewissen Zeitpunkt planen muss. Ändern sich bis dahin die rechtlichen, steuerlichen oder tatsächlichen Rahmenbedingungen, so ist stets ungewiss, ob der Erblasser in der Lage sein wird, dem rechtzeitig vor seinem Tod Rechnung zu tragen. Demgegenüber kann die vorweggenommene Erbfolge von exakten Rahmenbedingungen ausgehen. Angesichts einer sich ständig wandelnden Steuergesetzgebung und Steuerpraxis ist dies vor allem im steuerlichen Bereich ein wertvoller Gesichtspunkt, bedenkt man zumal, dass im Unternehmensbereich für den Nachlass eine Gesamtsteuerbelastung in der Größenordnung bis zu 70 Prozent, bestehend aus latenten Einkommensteuern, Solidaritäts1 BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, FamRZ 1981, 653 = NJW 1981, 1956. 2 MüKo.BGB/Lange, § 2325 Rz. 34. 3 § 32a Abs. 1 EStG, bei Kapitalerträgen kommt der Sparer-Pauschbetrag nach § 20 Abs. 9 EStG hinzu. Grötsch

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zuschlag, Kirchensteuer und Erbschaftsteuer droht. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Bedeutung der Planungssicherheit im wirtschaftlichen Bereich, so kann für die vorweggenommene Erbfolge nicht nur ein Zeitpunkt gewählt werden, bei dem bspw. die Bilanzwerte des Unternehmens erbschaftsteuerlich günstig sind, sondern es kann auch das konjunkturelle Umfeld berücksichtigt werden, ebenso wie es von erheblichem Wert ist, wenn der Unternehmensnachfolger planmäßig mit Kunden, Lieferanten und Kreditinstituten vertraut gemacht wird. Nachteile: 31

– Verlust an Einfluss: Jede Vermögensübergabe bringt für den Übergeber einen Verlust an Macht und Einfluss mit sich. Insbesondere bei Unternehmen besteht das psychologische Problem, dass der Übergeber nicht damit fertig wird, zum „alten Eisen“ zu gehören. Dieses nicht zu unterschätzende Problem kann zumindest eingeschränkt werden, indem der Erfahrungsschatz des Übergebers auch künftig in die Unternehmensführung eingebracht wird, bspw. in einem Beirat oder durch einen Beratervertrag.

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– Gefahr des Undanks: Es ist eine schlichtweg zu konstatierende Tatsache, dass Dankbarkeit ein Gefühl ist, das oft nur kurz anhält. Mit wachsendem Zeitablauf vergrößert sich die Gefahr, dass die Nachfolgegeneration Nutzungsund Einflussvorbehalte der älteren Generation nur noch als lästig betrachtet. Menschliche Enttäuschungen können hier zu Familientragödien führen, wie es bspw. bei der Familie Benteler der Fall war. Hier verurteilte der BGH den Sohn zur Rückgabe der Beteiligung wegen groben Undanks, da er Vater und Onkel mit falschen Anschuldigungen aus der Firma drängen wollte1. Die Mutter nahm sich angesichts der langjährigen Streitigkeiten das Leben.

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– Versorgungsrisiko: Juristisch lässt sich die Versorgung der übergebenden Generation, also in der Regel des Firmeninhabers und seiner Frau, durch die Vereinbarung von Nutzungsvorbehalten oder Versorgungsleistungen in der Regel problemlos absichern. Dies hilft aber nichts, wenn der Nachfolger das Unternehmen herabwirtschaftet und dadurch die wirtschaftliche Grundlage der Versorgung wegfällt. Angesichts der in vielen Branchen anzutreffenden geringen Eigenkapitalausstattung von Unternehmen ist der in diesem Zusammenhang immer wieder gehörte Rat, Unternehmer sollten darauf achten, auch ausreichend Privatvermögen aufzubauen, theoretisch ebenso richtig wie praktisch nutzlos. Mindern lässt sich dieses Risiko letztlich nur durch eine gestufte Übergabe mit ausreichender „Testphase“.

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– Prognoserisiko: Der vorgenannte Gesichtspunkt ist Teil des Prognoserisikos, das sich bei der vorweggenommenen Erbfolge auf den Übergeber verlagert. Während bei der Testamentsgestaltung die nachfolgende Generation das Risiko hat, dass sich die Prognosen, die der Gestaltung zugrunde lagen, im Erbfall nicht bewahrheiten, geht der Übergeber bei der vorweggenommenen Erbfolge das Risiko ein, dass sich die Dinge in wirtschaftlicher oder menschlicher Hinsicht nicht so entwickeln, wie er es erwartet. Dieses Risiko kann durch Rückforderungsvorbehalte zwar begrenzt, aber nicht völlig ausgeschlossen werden.

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– Verlust der Vermögenssubstanz: Nutzungsvorbehalte und Versorgungsleistungen ändern nichts daran, dass sich der Übergeber seiner Vermögenssub1 BGH v. 2.7.1990 – II ZR 243/89, MDR 1991, 127 = NJW 1990, 2616. 64

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stanz entledigt hat. Eine Übergabe des betreffenden Werts kommt daher nur in Betracht, wenn der Übergeber sicher sein kann, dass er oder sein Ehegatte auch bei unvorhergesehenen Ereignissen wie bspw. einer langen Pflegebedürftigkeit die Vermögenssubstanz nicht benötigen wird. Andernfalls sollte von der Übergabe abgesehen werden, da Widerrufsvorbehalte regelmäßig kein geeignetes Absicherungsinstrument bilden. Im Unternehmensbereich gefährden selbst enumerativ gestaltete Widerrufsklauseln die Kreditfähigkeit des Übernehmers, ganz zu schweigen von einem freien Widerrufsvorbehalt, der zudem dazu führt, dass der Übergeber nach wie vor als wirtschaftlicher Eigentümer im Sinne des Einkommensteuerrechts angesehen wird1. Entscheidungshilfen: Die Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme der vorweggenommenen Erbfolge ist naturgemäß so komplex, dass sich der Entscheidungsweg nicht in ein starres Schema pressen lässt. Dennoch gibt es eine Reihe von Prüfsteinen, die vor jeder Maßnahme der vorweggenommenen Erbfolge zu erörtern sind:

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(1) Ist der vorgesehene Nachfolger geeignet? (2) Kann der Übergeber die Substanz entbehren? (3) Ist der Übergeber auf die Erträge angewiesen? (4) Entstehen durch die vorweggenommene Erbfolge erhebliche erbschaftsteuerliche Vorteile? (5) Ist die vorgesehene Maßnahme einkommensteuerneutral? (6) Können die für Betriebsvermögen geltenden erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien ausgeschöpft werden? (7) Sind Minderjährige beteiligt? (8) Wie hoch sind die Kosten? 1. Ist der vorgesehene Nachfolger geeignet? Diese Frage hat drei Facetten:

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– Verhältnis zum Übergeber: Bestehen tief greifende familiäre Konflikte, so vergrößert sich die Gefahr, dass diese bei einer lebzeitigen Vermögensübertragung aufbrechen. – Umgang mit Geld: Wenn der vorgesehene Nachfolger zu verschwenderischem oder unüberlegtem Umgang mit Geld neigt, empfiehlt sich meist eine testamentarische Lösung, die die Substanz des Vermögens bei gleichzeitiger Versorgung erhält, bspw. Vor- und Nacherbfolge mit Dauertestamentsvollstreckung. – Unternehmerische Qualitäten: Im Unternehmensbereich steht und fällt die Nachfolgefrage mit der unternehmerischen Qualifikation des auserkorenen Nachfolgers. Naturgemäß fällt es Eltern schwer, ihre Kinder objektiv zu beurteilen. Eine Unternehmensnachfolge sollte erst durchgeführt werden, wenn der Nachfolger seine Eignung objektiv unter Beweis gestellt hat, hierzu gehö1 H 15.9 (1) EStR 2008; BFH v. 16.5.1989 – VIII R 196/84, BStBl. 1989 II, 877; s.a. Jülicher, DStR 1998, 1977. Grötsch

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ren in der Regel ein fachspezifischer Abschluss und die mehrjährige Bewährung im eigenen oder besser noch in fremden Unternehmen. Sollten diese Kriterien nicht erfüllt sein, so müssen meist andere Wege der Unternehmensfortführung gesucht werden, bspw. durch Umwandlung der Unternehmensform und durch Fremdgeschäftsführung. 2. Kann der Übergeber die Substanz entbehren? 38

Hier sollten strenge Maßstäbe angelegt werden. Besteht die Gefahr, dass der Übergeber auf den Verzehr der Substanz des Vermögenswertes angewiesen sein kann, bspw. bei langjähriger Krankheit und Pflegebedürftigkeit, so spricht dies in aller Regel gegen eine vorweggenommene Erbfolge. 3. Ist der Übergeber auf die Erträge angewiesen?

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Wenn diese Frage bejaht wird, kommt eine vorweggenommene Erbfolge nur unter Vereinbarung von Nutzungsvorbehalten oder Versorgungsleistungen in Betracht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese für den Übernehmer auch langfristig wirtschaftlich tragbar sein müssen, insbesondere für den Fall, dass sich die Erträge verschlechtern. 4. Entstehen durch die vorweggenommene Erbfolge erhebliche erbschaftsteuerliche Vorteile?

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Bei langfristiger Planung können die persönlichen Freibeträge und der Betriebsvermögensfreibetrag mehrfach ausgeschöpft werden. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, liegt ein erheblicher Vorteil der vorweggenommenen Erbfolge auch darin, drohenden Verschärfungen des Erbschaftsteuerrechts zuvorzukommen. 5. Ist die vorgesehene Maßnahme einkommensteuerneutral?

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Diese Frage betrifft in erster Linie das Betriebsvermögen, bei dem in der Regel darauf zu achten sein wird, dass keine Entnahmetatbestände verwirklicht werden, bspw. bei der isolierten Übertragung von Betriebsgrundstücken. Aber auch im privaten Bereich hat dieser Gesichtspunkt seit der Verschärfung der Besteuerungsvorschriften über private Veräußerungsgewinne an Bedeutung gewonnen, bspw. bei der Übertragung von Grundstücken, die der Übergeber noch nicht länger als zehn Jahre in seinem Eigentum hat. Gegenleistungen des Übernehmers können hier zu einem steuerbaren Veräußerungsgewinn führen1. Auch kann bei ungeschickter Gestaltung Abschreibungspotenzial verloren gehen2. 6. Können die für Betriebsvermögen geltenden erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien ausgeschöpft werden?

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Die für den Übergang von Betriebsvermögen geltenden Privilegien (§§ 13a, 19a ErbStG) können im Regelfall auch bei der vorweggenommenen Erbfolge genutzt 1 Kieser, ZERB 2000, 215 (220 f.). 2 Bspw. in Zusammenhang mit einem Zuwendungsnießbrauch an den Ehegatten des Veräußerers, s. Wegmann, Rz. 298 f. 66

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Rz. 45

werden. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12. 2014 besteht jedoch die Gefahr, dass der Gesetzgeber diese Privilegierungen rückwirkend bis zum 17.12.2014 abschwächt oder aufhebt1. 7. Sind Minderjährige beteiligt? Die Beteiligung Minderjähriger führt bei der Verwaltung von Grundbesitz und Unternehmen langfristig zu Komplikationen, da in vielen Fällen Pflegerbestellung und familiengerichtliche Genehmigungen erforderlich sind. Die vorweggenommene Erbfolge wird sich bei Minderjährigen daher in der Regel auf die Übertragung von Kapitalvermögen zur Ausschöpfung steuerlicher Freibeträge und zur Sicherstellung der Ausbildung beschränken, im Unternehmensbereich allenfalls auf stille Beteiligungen oder Kommanditanteile2. Dabei ist stets zu beachten, dass gerade bei Minderjährigen die Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschätzt werden kann. Das Erbrecht bietet in Form der Dauertestamentsvollstreckung, die auch über die Volljährigkeit hinausgehen kann, hier meist sachgerechtere Lösungen.

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Bei der Risikoplanung darf auch der Fall nicht vergessen werden, dass bei der vorweggenommenen Erbfolge der Übernehmer unvorhergesehen früh verstirbt. Für diesen Katastrophenfall muss durch Rückforderungsklauseln, besser aber noch durch geeignete letztwillige Verfügungen des Übernehmers, Vorsorge getroffen werden. 8. Wie hoch sind die Kosten? Die Kosten der Konzeption einer vorweggenommenen Erbfolge und einer entsprechenden Testamentsgestaltung werden sich in der Regel die Waage halten. Zu beachten sind jedoch die erheblichen Kosten, die für die Durchführung der vorweggenommenen Erbfolge anfallen können, insbesondere Notar- und Grundbuchgebühren.

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III. Besonderheiten bei Beteiligung Minderjähriger Sofern größere Vermögenswerte betroffen sind, ist Minderjährigkeit eines Beteiligten wegen der damit verbundenen Komplikationen per se ein Gesichtspunkt, der gegen die vorweggenommene Erbfolge spricht. Vier Problemkreise stehen dabei im Vordergrund: – die wirksame Durchführung der Zuwendung – die Verwaltung des zugewandten Vermögens – die Haftungsbeschränkung des Minderjährigen – die Sicherung des Einflusses der Übergeber.

1 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, ZEV 2015, 7; näher hierzu Kap. D Rz. 7c ff. 2 Hübner-Weingarten, ZEV 1999, 81. Grötsch

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Rz. 46

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1. Durchführung der Zuwendung 46

Es stellen sich zwei Fragen: Sind die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen wegen des Verbots des In-sich-Geschäfts verhindert und bedarf es daher der Bestellung eines Ergänzungspflegers? Bedarf es (zusätzlich) der familiengerichtlichen Genehmigung? Werden hier Fehler gemacht, so droht zivilrechtlich die Unwirksamkeit des jeweiligen Rechtsgeschäfts und – in der Regel schlimmer – die steuerliche Nichtanerkennung1. a) In-sich-Geschäft

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Eltern können ihr Kind bei Rechtsgeschäften mit sich selbst nicht vertreten (§§ 181, 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 2 BGB). § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB (i.V.m. § 1629 Abs. 2 BGB) erstreckt dieses Verbot auf Rechtsgeschäfte mit Verwandten in gerader Linie, also insbesondere mit Großeltern. Dieses Vertretungsverbot gilt jedoch nicht, wenn mit dem Rechtsgeschäft für den Minderjährigen lediglich ein rechtlicher Vorteil verbunden ist, da dann der Schutzzweck nicht tangiert wird2. Da der Begriff des lediglich rechtlichen Vorteils unscharf ist, verwundert es nicht, dass sich hierzu eine teilweise verworrene und unübersichtliche Rspr. entwickelt hat3.

Beratungshinweis: Wenn Einkunftsquellen übertragen werden, sollte im Zweifel stets Ergänzungspflegschaft (§ 1909 BGB) beantragt werden, da ansonsten die steuerliche Anerkennung des Rechtsgeschäfts gefährdet ist. Einzelne Fallgruppen: 47

Die Schenkung von Geld oder Wertpapieren ist lediglich rechtlich vorteilhaft, anderes gilt aber, wenn die Schenkung mit Auflagen verbunden wird, wie beispielsweise der Verpflichtung zur Rückgewähr des Geldes als Darlehen an die Eltern4.

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Die Zuwendung eines Grundstücks wird als lediglich rechtlich vorteilhaft gesehen, auch wenn dies unter Nießbrauchs- oder Wohnrechtsvorbehalt geschieht5. Allerdings gelten erhebliche Einschränkungen, die in der Praxis meist doch die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig machen: So gilt der Erwerb eines vermieteten Grundstücks wegen des damit verbundenen Eintritts in das Mietverhältnis (§ 571 BGB) als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft6. Auch die Schen1 BFH v. 13.7.1999 – VIII R 29/97, BStBl. 2000 II, 386; v. 27.4.2005 – II R 52/02, BStBl. 2005 II, 892; v. 7.6.2006 – IX R 4/04, NJW 2006, 37; v. 22.2.2007 – IX R 45/06, FamRZ 2007, 1323 = ErbStB 2007, 239. 2 Teleologische Reduktion des Wortlauts des § 181 BGB, vgl. Palandt/Ellenberger, § 181 Rz. 9; Palandt/Götz, § 1795 Rz. 13. 3 Übersicht bei Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 2–7. 4 BFH v. 23.6.1976 – I R 140/75, NJW 1977, 456; v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415. 5 BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415; Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 4. 6 Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 4; BGH v. 3.2.2005 – V ZB 44/04, FamRZ 2005, 1738 = MDR 2005, 562 = NJW 2005, 1430; BayObLG v. 5.12.2002 – 2 Z BR 108/02, BayObLG v. 5.12.2002 – 2Z BR 108/02, NJW 2003, 1129; a.A. (zu Recht) Everts, ZEV 2004, 231. 68

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Rz. 51

kung von Wohnungseigentum wird in der Rspr. als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft angesehen1. Vom Verbot des In-sich-Geschäfts erfasst ist schließlich auch der Erwerb beschränkter dinglicher Rechte wie bspw. eines Erbbaurechts oder eines Zuwendungsnießbrauchs, da damit bspw. Erhaltungspflichten verbunden sind2. Der Erwerb von Gesellschaftsbeteiligungen wird in der Rspr. als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft angesehen, da hiermit ein Bündel von Rechten und Pflichten verbunden ist. Dies gilt auch für die Zuwendung einer stillen Beteiligung, wenn hiermit eine Verlustbeteiligung verbunden ist3.

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Schenkungen, die an eine Auflage oder einen vertraglichen Rückforderungsvorbehalt gekoppelt sind, werden von der herrschenden Meinung ebenfalls als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft eingestuft4. Gleiches soll gelten, wenn die Schenkung mit einer Bestimmung zur Pflichtteilsanrechnung nach § 2315 BGB verbunden ist (sehr zweifelhaft)5.

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Beratungshinweis: Bedarf es nach vorstehenden Grundsätzen der Ergänzungspflegschaft und sind mehrere Minderjährige beteiligt, so ist darauf zu achten, dass jeder Minderjährige durch einen eigenen Pfleger vertreten sein muss, da auch der Ergänzungspfleger dann dem Verbot des In-sich-Geschäfts (§ 181 Alt. 2 BGB) unterliegt6. b) Gerichtliche Genehmigung Zu beachten ist in einem zweiten Prüfungsschritt, dass zahlreiche im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge auftretende Rechtsgeschäfte bei Beteiligung Minderjähriger der gerichtlichen Genehmigung bedürfen. Für Rechtsgeschäfte der Eltern als gesetzliche Vertreter ihres Kindes folgt dies, wenn sie nicht ohnehin verhindert sind (oben a), aus § 1643 BGB, zuständig für die Genehmigung ist das Familiengericht7. Für den Ergänzungspfleger folgt das Genehmigungserfordernis aus § 1915 BGB, zuständig ist ebenfalls das Familiengericht8. In beiden Fällen verweist das Gesetz im Wesentlichen auf den für den Vormund geltenden Katalog genehmigungspflichtiger Geschäfte in §§ 1821 f. BGB. Die wichtigsten Fallgruppen hieraus sind:

1 BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, NJW 2010, 3643; OLG München v. 6.3.2008 – 34 Wx 14/08, ErbStB 2008, 229 = ZEV 2008, 246; OLG Hamm v. 23.5.2000 – 15 W 119/00, FGPrax 2000, 176. 2 BFH v. 13.5.1980 – VIII R 75/79, NJW 1981, 141. 3 Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 4. 4 Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 6; BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415; OLG Köln v. 10.11.1997 – 14 Wx 10/97, FamRZ 1998, 1326 = ZEV 1998, 110; a.A. (zu Recht) Jülicher, ZEV 1998, 285 (286). 5 Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026). 6 Reimann, DNotZ 1999, 183; Palandt/Götz, § 1909 Rz. 6. 7 Bis zur Änderung des Kindschaftsrechts durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz v. 16.12.1997 (BGBl. I, 2942) war allein das Vormundschaftsgericht für die Erteilung der Genehmigung zuständig. 8 Lohse/Triebel, ZEV 2000, 338. Grötsch

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Die Verfügung über Grundstücke oder Rechte an Grundstücken, hierzu gehört auch die Bestellung von Grundpfandrechten (§ 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB)1. Genehmigungsbedürftig ist ferner als auf den (teil-) entgeltlichen Erwerb gerichteter Vertrag die gemischte Schenkung eines Grundstücks (§ 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB)2.

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Soll im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht ausgesprochen werden, so bedarf dies der Genehmigung nach § 2347 BGB.

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Das Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger3 hat die Diskussion darüber neu angefacht, ob bei der Schenkung von Gesellschaftsbeteiligungen an Minderjährige eine gerichtliche Genehmigung (nach § 1822 Nr. 3 BGB) erforderlich ist4. Entscheidend ist jeweils die Einzelfallgestaltung5. So ist etwa die Schenkung eines Kommanditanteils an Minderjährige genehmigungsbedürftig, wenn die KG ein Erwerbsgeschäft betreibt6, nicht jedoch, wenn die KG nur vermögensverwaltend tätig ist7. Auch die Begründung einer stillen Gesellschaft wird als genehmigungspflichtig angesehen, wenn der Minderjährige an den Verlusten der Gesellschaft beteiligt wird8.

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Im Hinblick auf die Haftung von Vorgesellschaftern wird die Beteiligung an der Gründung von Kapitalgesellschaften als genehmigungspflichtig angesehen9. Die Schenkung der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, insbesondere die Schenkung von GmbH-Anteilen, sieht die Rspr. (in Abweichung von der formalen Betrachtung, die § 1822 BGB zugrunde legt) dann als genehmigungspflichtig an, wenn hiermit ein Unternehmerrisiko verbunden ist, insbesondere beim Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile einer Einmann-GmbH10. Der BGH hat in diesem Zusammenhang bei der schenkweisen Übertragung von GmbH-Anteilen ein Genehmigungserfordernis aus § 1822 Nr. 10 BGB hergeleitet, wenn der Minderjährige für den Fehlbetrag einer noch nicht voll eingezahlten Einlage einstehen muss11. 2. Verwaltung

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Grundsätzlich unterliegen Eltern bei der Verwaltung des Vermögens ihrer Kinder keinen Einschränkungen. Dies gilt natürlich auch für Vermögen, das sie dem Minderjährigen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen haben. Geld ist nach den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung anzulegen (§ 1642 BGB); das Erfordernis der mündelsicheren Geldanlage wurde 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

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Palandt/Götz, § 1821 Rz. 10. Palandt/Götz, § 1821 Rz. 15. BGBl. 1998 I, 2487. Überblicksdarstellungen bei Damrau, ZEV 2000, 209 und Lohse/Triebel, ZEV 2000, 337; s.a. Ivo, ZEV 2005, 193; Rust, DStR 2005, 1943. Einzelfälle bei Palandt/Götz, § 1822 Rz. 9, 10; MüKo.BGB/Wagenitz, § 1822 Rz. 14. OLG Frankfurt v. 27.5.2008 – 20 W 123/08, FamRZ 2009, 620 = ErbStB 2009, 41. OLG München v. 6.11.2008 – 31 Wx 76/08, FamRZ 2009, 623 = ErbStB 2009, 42 = ZEV 2008, 609; OLG Jena v. 22.3.2013 – 2 Wf 26/13, ZEV 2013, 521. Palandt/Götz, § 1822 Rz. 9. Kurz, NJW 1992, 1800. Palandt/Götz, § 1822 Rz. 6. BGH v. 20.2.1989 – II ZR 149/88, BGH v. 20.2.1989 – II ZR 148/88, MDR 1989, 610 = FamRZ 1989, 605 = NJW 1989, 1926; hiergegen Damrau, ZEV 2000, 211.

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1979 abgeschafft1. Auch bei Gesellschaftsbeteiligungen ist die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für die laufende Verwaltung der Beteiligung in der Regel nicht erforderlich, da nach höchstrichterlicher Rspr. gewöhnliche Gesellschafterbeschlüsse, die die laufende Geschäftsführung betreffen, nicht unter § 181 BGB fallen2. Minderjährige Gesellschafter können daher dabei durch ihre Eltern vertreten werden. Anderes gilt jedoch für Beschlüsse, die satzungsändernden Charakter haben, hier können Eltern die minderjährigen Gesellschafter nicht vertreten3. Bei der Verwaltung von Immobilien ist zu beachten, dass die Bestellung von Grundpfandrechten als genehmigungsbedürftig angesehen wird (§ 1821 Abs. 1 Nr. 1 und 4 BGB)4. Von praktisch erheblicher Bedeutung ist ferner § 1822 Nr. 5 BGB: Der Abschluss von Miet- oder Pachtverträgen ist genehmigungspflichtig, wenn das Vertragsverhältnis länger als ein Jahr nach dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes fortdauern soll und nicht innerhalb eines Jahres nach Volljährigkeit des Kindes von diesem gekündigt werden kann. Entsprechendes gilt bei unbefristeten Mietverträgen nach umstrittener Ansicht auch dann, wenn das Kündigungsrecht zwar besteht, durch Sozialklauseln wie die §§ 556a, 564b BGB aber stark eingeschränkt ist5.

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3. Haftung des Minderjährigen Das BVerfG hatte mit Beschluss vom 13.5.1986 entschieden, dass die Möglichkeit einer unbegrenzten Verpflichtung von Kindern bei der Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Minderjähriger nicht vereinbar ist und daher der Gesetzgeber in diesem Bereich einen effektiven Minderjährigenschutz bereitstellen muss6. Diesem Regelungsauftrag ist der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger vom 25.8.1998, welches am 1.1.1999 in Kraft trat, in einer Weise nachgekommen, die auch Bedeutung für Übertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge hat7. Das Problem des Minderjährigenschutzes wird zweispurig gelöst:

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– durch die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung bei Volljährigkeit und – durch ein außerordentliches Kündigungsrecht bei Volljährigkeit. Nach § 1629a Abs. 1 BGB kann der volljährig Gewordene seine Haftung auf den Bestand des beim Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens beschränken. Beruft er sich hierauf, so finden aufgrund einer Rechtsfolgenverweisung die §§ 1990, 1991 BGB entsprechende Anwendung8. 1 2 3 4 5 6

Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge v. 18.7.1979, BGBl. I 1061. Palandt/Ellenberger, § 181 Rz. 11. Palandt/Ellenberger, § 181 Rz. 11a; Lohse/Triebel, ZEV 2000, 339. Palandt/Götz, § 1821 Rz. 10. Palandt/Götz, § 1822 Rz. 15. BVerfG v. 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, MDR 1986, 728 = FamRZ 1986, 769 = NJW 1986, 1859. 7 BGBl. 1998 I, 2487. 8 Zu Einzelheiten s. Behnke, NJW 1998, 3078; Klumpp, ZEV 1998, 409; Christmann, ZEV 1999, 416; Reimann, DNotZ 1999, 179. Grötsch

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Rz. 59

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Die zweite Möglichkeit der Haftungsbeschränkung betrifft Gesellschaftsbeteiligungen. Das außerordentliche Kündigungsrecht der Gesellschafter nach § 723 Abs. 1 Satz 3 BGB wurde durch das Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger dahin erweitert, dass ein minderjähriger Gesellschafter grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab Kenntniserlangung von seiner Gesellschafterstellung kündigen kann, wenn er das 18. Lebensjahr vollendet hat. Diese Vorschrift gilt via §§ 105 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB auch für die vollhaftenden Gesellschafter in einer oHG oder KG1. Dieses Sonderkündigungsrecht kann nicht ausgeschlossen oder den gesetzlichen „Vorschriften zuwider beschränkt“ werden (§ 723 Abs. 3 BGB). Dabei ist zu beachten, dass auch Kündigungsfolgenvereinbarungen eine unzulässige Beschränkung darstellen, wenn sie die Entscheidung zur Kündigung durch wirtschaftliche Nachteile gravierend erschweren2; dies betrifft insbesondere Klauseln, die zu einer Abfindung deutlich unter dem Verkehrswert führen.

Beratungshinweis: Bei Familiengesellschaften müssen Abfindungsregelungen auf ihre Vereinbarkeit mit § 723 BGB überprüft werden; zudem muss die Gesellschaft das Kündigungsrisiko bei ihrer Liquiditätsplanung berücksichtigen. 4. Sicherung des Einflusses der Übergeber 60

Meist sind die Übergeber zugleich auch gesetzliche Vertreter des Minderjährigen, so dass sie bis zur Volljährigkeit ohnehin mit den oben unter 2. genannten Einschränkungen über die Verwaltung des übertragenen Vermögens entscheiden. Ist dies nicht der Fall, bspw. weil Großeltern an ihre Enkelkinder übertragen oder weil ein geschiedener Ehegatte, der nicht das Sorgerecht hat, an die Minderjährigen überträgt, so besteht die Möglichkeit, die Vermögensverwaltung des gesetzlichen Vertreters auszuschließen (§§ 1638, 1909 BGB). Das Kind erhält in diesem Fall einen Ergänzungspfleger, der vom Zuwendenden benannt werden kann (§ 1917 BGB). Dabei kann der Zuwendende auch sich selbst benennen3. Nach §§ 1915, 1917 Abs. 3 BGB können dem Pfleger bindende Verwaltungsanordnungen vorgegeben werden.

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Das größere Problem bildet die Frage, was bei Eintritt der Volljährigkeit geschehen soll. Einem 18-Jährigen die Disposition über erhebliche Vermögenswerte zu eröffnen, wird von vielen, nach Ansicht des Verfassers zu Recht, als verfrüht angesehen. Das Erbrecht bietet hier die Möglichkeit der Dauertestamentsvollstreckung (bekanntlich sogar auf Lebzeiten des Bedachten), dem steht im Bereich der vorweggenommenen Erbfolge kein vergleichbares Instrument gegenüber. Einen effektiven Ersatz bilden hier oft gesellschaftsrechtliche Lösungen, nicht nur im Unternehmensbereich, sondern auch indem bspw. Immobilien des Privatvermögens in eine Familiengesellschaft eingebracht werden. Das Gesellschaftsrecht ermöglicht es dabei, den volljährig Gewordenen in die gesellschaftsrechtlichen Entscheidungsprozesse einzubinden, bspw. durch Vereinbarung beteiligungskonträrer Stimmrechte4. 1 2 3 4

Habersack, FamRZ 1999, 2; Lohse/Triebel, ZEV 2000, 342. Palandt/Sprau, § 723 Rz. 7; Glöckner, ZEV 2001, 49. Palandt/Götz, § 1917 Rz. 1. Allerdings sind bei Kommanditisten Vertragsklauseln zu meiden, die einkommensteuerrechtlich die Mitunternehmerschaft in Frage stellen, s. oben Rz. 20.

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Rz. 66

Außerhalb des Gesellschaftsrechts besteht die Möglichkeit, die Schenkung mit Auflagen zu verknüpfen (§ 525 BGB), bspw. der Auflage, die erhaltene Vermögenssubstanz nur mit Zustimmung des Übergebers anzugreifen. Effektiv wird eine derartige Auflage dadurch, dass sie mit einem Rückforderungsvorbehalt sanktioniert wird. Bei Immobilien kann dieser durch eine Rückauflassungsvormerkung gesichert werden.

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Zusammenfassend ergeben sich bei Beteiligung Minderjähriger folgende Grundsätze:

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– Als Instrument der vorweggenommenen Erbfolge bietet sich die Schenkung von Geld oder Wertpapieren an. – Die Übertragung von Gesellschaftsbeteiligungen kommt in der Regel nur dann in Betracht, wenn damit noch keine unternehmerische Funktion verbunden ist. – Die Übertragung von Immobilien empfiehlt sich meist nur, wenn damit erhebliche sonstige, insbesondere steuerliche Vorteile verbunden sind.

IV. Gegenleistungen des Übernehmers Wenn es sich bei dem zu übergebenden Vermögensgegenstand um das wesentliche Vermögen des Übergebers handelt, wie bspw. einer wertvollen Immobilie oder einem Familienunternehmen, wird er, um einen Kapitalstock zu erhalten, meist auf eine Abstandszahlung Wert legen. Weiterhin stehen Gegenleistungen zur Abfindung nicht bedachter Erben, insbesondere von Geschwistern des Zuwendungsempfängers, zur Diskussion. Schließlich werden mit einer Immobilie oder einem Unternehmen in der Regel Restverbindlichkeiten verbunden sein, die übernommen werden sollen.

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1. Abstandszahlungen Wird ein Vermögensgegenstand bewusst unter Wert hergegeben, so liegt eine gemischte Schenkung vor1. Das Rechtsgeschäft zerfällt in zwei Bestandteile, einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen. Für jeden der beiden Teile sind die jeweils geltenden Vorschriften anzuwenden. Dies kann zivilrechtlich schwierige Probleme hervorrufen, insbesondere beim Schenkungswiderruf. Nach der Trennungstheorie erstreckt sich das Widerrufsrecht nur auf den Schenkungsteil der gemischten Schenkung. Ist Gegenstand der gemischten Schenkung ein einheitlicher Gegenstand, bspw. ein Grundstück oder ein Unternehmen, so kommt es darauf an, ob der Schenkungscharakter bei der gemischten Schenkung überwiegt2. Um hier Auslegungsproblemen vorzubeugen, sollten die Folgen eines Schenkungswiderrufs kautelarjuristisch ausdrücklich geregelt werden.3

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Zur Schonung der Liquidität des Übernehmers wird häufig Ratenzahlung vereinbart. Hier sind die Punkte Verzinsung oder Wertsicherung sowie Vererblichkeit der Raten zu regeln. Auch ist die Absicherung der Zahlungen, bspw. durch Hypothek oder Grundschuld, zu erörtern. Einkommensteuerlich ist zu bedenken,

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1 Palandt/Weidenkaff, § 516 Rz. 13. 2 BGH v. 23.5.1959 – V ZR 140/58, NJW 1959, 1363. 3 Ausführlich Langenfeld/Günther, Kap. 3, Rz. 821 ff. Grötsch

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Rz. 67

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dass der entgeltliche Teil der gemischten Schenkung zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn führen kann, insbesondere auch im privaten Bereich, wenn die Spekulationsfrist auf Seiten des Übergebers nicht gewahrt ist1; beim Erwerber entstehen vice versa insoweit Anschaffungskosten2. 2. Gleichstellungsgelder 67

Regelmäßig will der Erblasser seine Kinder wirtschaftlich gleich bedenken. Daher finden sich in Vereinbarungen über die Zuwendung von Unternehmen oder Immobilien häufig Bestimmungen über Zahlungen des Übernehmers an seine Geschwister. Dies sind keine direkten Leistungen des Übernehmenden an die weichenden Erben, sondern Teile der Leistung an den Übergeber und damit im Verhältnis zwischen Übergeber und den weichenden Erben Ausstattung oder Zuwendung in vorweggenommener Erbfolge.

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Bei der Übertragung von Betriebsvermögen ist zu bedenken, dass die Vereinbarung über Abfindungszahlungen an Dritte einen steuerpflichtigen Veräußerungsvorgang begründet. Gleiches gilt bei Grundbesitz aus dem Privatvermögen, wenn die 10-jährige Spekulationsfrist auf Seiten des Übergebers noch nicht abgelaufen ist. In jedem Fall entstehen auf Seiten des Erwerbers nach den Grundsätzen des teilentgeltlichen Geschäfts Anschaffungskosten, die ihm steuerlich erwünschte Abschreibungsmöglichkeiten eröffnen3. 3. Übernahme von Schulden

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In der Regel will sich der Übergeber mit der Zuwendung, insbesondere bei Übertragung von Grundbesitz oder Unternehmen, zugleich von den mit dem Zuwendungsgegenstand zusammenhängenden Restschulden befreien4. Es wird daher vereinbart, dass der Übernehmer mit schuldbefreiender Wirkung in diese Schuldverhältnisse eintritt. Dies bedarf nach § 415 BGB der Genehmigung des Gläubigers. Den Beteiligten ist zu empfehlen, den Gläubiger vorab zu befragen, ob er bereit ist, die Genehmigung zu erteilen. Wird die Genehmigung verweigert, so kann vereinbart werden, dass die Schuld im Innenverhältnis im Wege der Erfüllungsübernahme vom Übernehmer zu tragen ist (§ 415 Abs. 3 BGB).

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Bei der Grundstückszuwendung unter Nießbrauchsvorbehalt wird in der Regel der Übergeber die Grundpfanddarlehen für die Dauer des Nießbrauchs weiterhin verzinsen und tilgen, da ihm auch die Einnahmen zur Verfügung stehen und ansonsten kein Schuldzinsenabzug mehr möglich wäre. Hier sollte klargestellt werden, dass der Übernehmer befristet auf den Wegfall des Nießbrauchs, also in der Regel auf den Tod des Übergebers, verpflichtet ist, die Schulden zu übernehmen. Auf diesem Weg wird sichergestellt, dass die Schulden nicht in den Nachlass fallen und damit nicht von sonstigen Erben zu tragen sind5. 1 2 3 4 5

Beispiele bei Tiedtke/Wälzholz, ZEV 2000, 293. Wegmann, Rz. 498. BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. 1990 II, 847. Wegmann, Rz. 450 ff. Der Übergang der Verbindlichkeiten bei Wegfall des Nießbrauchs führt auf Antrag zu einer Berichtigung des ursprünglichen Schenkungsteuerbescheides (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. §§ 6 Abs. 2, 5 Abs. 2 BewG).

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Rz. 72

Beratungssituation: V will ein vermietetes Mehrfamilienhaus seinem Sohn S übertragen. Der gemeine Wert der Immobilie beträgt 1 000 000 Euro. Zur Finanzierung der Anschaffungskosten hatte V ein Darlehen aufgenommen, welches noch mit 500 000 Euro valutiert. Der kapitalisierte Wert eines Vorbehaltsnießbrauchs zugunsten von V läge bei 300 000 Euro. V überlegt, ob er sich entweder einen Nießbrauch vorbehalten soll oder sich von S eine regelmäßige Rente zahlen lässt. Bei der Übertragung unter Vorbehaltsnießbrauch müssten die Verbindlichkeiten bei V verbleiben, da nur er als Nießbraucher weiterhin Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung hat und im Gegenzug die Schuldzinsen als Werbungskosten abziehen kann. Der steuerpflichtige Erwerb des S betrüge daher unter Berücksichtigung von § 13c ErbStG: 90 % aus 1 000 000 Euro = abzüglich 90 % der Nießbrauchslast =

900 000 Euro 270 000 Euro 630 000 Euro.

Bei einer Übertragung gegen Versorgungsleistungen würde S hingegen die Verbindlichkeiten und damit auch den Schuldzinsenabzug übernehmen, da er in diesem Fall die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Die Übernahme der Verbindlichkeiten wäre dann sofort und nicht erst bei Wegfall des Nießbrauchs bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bereicherung abzugsfähig (ebenfalls wegen § 13c ErbStG mit 90 %). Unter der Voraussetzung, dass der kapitalisierte Wert der Versorgungsrente ebenfalls bei 300 000 Euro liegen würde, ergäbe sich eine erbschaftsteuerliche Bereicherung von 180 000 Euro: 90 % aus 1 000 000 Euro = abzgl. 90 % der übernommenen Verbindlichkeiten = abzgl. 90 % des Kapitalwerts der Versorgungsrente =

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900 000 Euro 450 000 Euro 270 000 Euro 180 000 Euro.

V. Versorgung des Übergebers und Dritter 1. Nutzungsvorbehalte a) Nießbrauch aa) Allgemeines Der Nießbraucher hat das Recht, sämtliche Nutzungen des belasteten Gegenstands oder Rechts zu ziehen (§ 1030 BGB). Die Möglichkeit, sich den Nießbrauch vorzubehalten, erleichtert der übergebenden Generation regelmäßig den Entschluss zur vorweggenommenen Erbfolge. Vor allem bei der Übertragung von Immobilien ist ein Vorbehaltsnießbrauch daher häufig, möglich ist er aber auch im Unternehmensbereich. Beim einzelkaufmännischen Unternehmen ist dabei zu beachten, dass der Nießbrauch nicht durch einen einheitlichen Rechtsakt bestellt werden kann, sondern dass er an sämtlichen zu dem Unternehmen gehörenden Gegenständen und Rechten einzeln begründet werden muss1. Bei Anteilen an Personengesellschaften ist der Vorbehalt eines Nießbrauchs grund1 MüKo.BGB/Pohlmann, § 1085 Rz. 17. Grötsch

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sätzlich zulässig. Voraussetzung ist, dass nach dem Gesellschaftsvertrag die Übertragung von Anteilen an der Gesellschaft zugelassen ist1. Da fraglich ist, ob der Gesellschaftsvertrag zudem die Belastung eines Geschäftsanteils mit einem Nießbrauch ausdrücklich zulassen muss, sollte in der Praxis stets der sichere Weg gewählt werden und eine entsprechende Modifikation des Gesellschaftsvertrags angestrebt werden2. Eine Alternative zum Nießbrauch bildet die Bestellung von Unterbeteiligungen. 73

Bei Geschäftsanteilen einer GmbH ist die Bestellung eines Nießbrauchs grundsätzlich zulässig, etwaige Beschränkungen nach der Satzung (§ 15 Abs. 5 GmbHG) sind aber zu beachten, insbesondere wenn diese für die Abtretung von Geschäftsanteilen besondere Voraussetzungen vorsieht oder die Veräußerung von Geschäftsanteilen ausschließt. Diese Beschränkungen erstrecken sich analog auch auf die Bestellung eines Nießbrauchs3. Die Verpflichtung zur Einräumung des Nießbrauchs am GmbH-Anteil kann formfrei eingegangen werden, die dingliche Belastung selbst bedarf der notariellen Beurkundung (§ 1069 Abs. 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 GmbHG). Die Obliegenheit zur Anmeldung nach § 16 GmbHG ist zu beachten.

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Sollen mehrere Personen nießbrauchsberechtigt sein, insbesondere bei vorweggenommener Erbfolge die übergebenden Eltern, so ist die Bestellung einer Gesamtgläubigerschaft der Nießbrauchsberechtigten die Regel (§ 428 BGB). Dies bewirkt ohne weiteres, dass der überlebende Nießbrauchsberechtigte den Nießbrauch ungeschmälert weitergenießt.

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Die Einräumung einer Gesamtgläubigerschaft führt steuerlich zur Annahme eines Zuwendungsnießbrauchs, wenn der Ehegatte nicht zugleich Miteigentümer des übergebenen Vermögens ist4. Soll dies beim Zeitpunkt der Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge verhindert werden, so kann anstelle der Gesamtgläubigerschaft der Weg gewählt werden, dass der Nießbrauch zunächst nur dem Eigentümer-Ehegatten und erst ab seinem Tode dem NichteigentümerEhegatten zustehen soll (aufschiebend bedingter Nießbrauch)5. Eine weitere, etwas flexiblere Alternative besteht darin, dem Nichteigentümer-Ehegatten lediglich einen Anspruch auf Bestellung eines definierten Nießbrauchs zum Zeitpunkt des Erbfalls des Eigentümer-Ehegatten einzuräumen und diesen Anspruch durch eine Vormerkung zu sichern.

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Wenn nicht alle Nutzungen des zu übergebenden Vermögens vorbehalten bleiben sollen, kann zum Bruchteils- oder Quotennießbrauch gegriffen werden. Der Unterschied besteht darin, dass beim Bruchteilsnießbrauch ein ideeller Miteigentumsanteil mit einem Nießbrauch belastet ist, beim Quotennießbrauch 1 2 3 4

MüKo.BGB/Pohlmann, § 1068 Rz. 31. MüKo.BGB/Pohlmann, § 1068 Rz. 33 ff. Baumbach/Hueck/Fastrich, § 15 GmbHG Rz. 52. Der entscheidende Unterschied liegt in der AfA-Befugnis: Diese steht dem Vorbehaltsnießbraucher (also dem früheren Eigentümer) weiterhin zu, während sie beim Zuwendungsnießbrauch sowohl dem Nießbrauchsberechtigten als auch dem Eigentümer verloren geht, Nießbrauchserlass v. 30.9.2013 (BStBl. I 2013, 1184) Tz. 20, 24, 42. 5 Mit dem Vorversterben des Eigentümer-Ehegatten (Eintritt der aufschiebenden Bedingung) ist dies nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ein schenkungsteuerrelevanter Zuwendungsvorgang. 76

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Rz. 79a

hingegen der gesamte Vermögenswert, allerdings nur entsprechend der Quote. In der Praxis macht dies kaum einen Unterschied. Durch den Nießbrauch behält der Übergeber die Verwaltung des Vermögens, also bspw. auch die mit der Verwaltung eines Grundstücks verbundene Arbeit. Will er sich die Option offen halten, sich hiervon zu befreien, so kann ein Rentenwahlrecht vereinbart werden, nach dem er verlangen kann, dass ihm anstelle des Nießbrauchs eine Rente gezahlt wird, bspw. bemessen nach dem Durchschnitt der letzten 3-Jahres-Netto-Erträge1.

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Sofern mit dem „Störfaktor“ Pflichtteil gerechnet werden muss, sollte beachtet werden, dass die Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt in der Regel nicht die 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB in Lauf setzt, da der BGH hierfür fordert, dass sich der Erblasser des verschenkten Gegenstands auch wirtschaftlich entäußert hat2.

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bb) Steuerliche Hinweise Bei Beteiligung Minderjähriger empfiehlt es sich aus Sicht der Praxis, immer einen Pfleger hinzuzuziehen, da nach Auffassung der Finanzverwaltung zumindest bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung die Bestellung des Nießbrauchs ohne Mitwirkung eines Ergänzungspflegers einkommensteuerlich nicht anzuerkennen ist3. Anderes gilt nach der Rspr. des BFH aber, wenn das Familiengericht die Pflegerbestellung für entbehrlich gehalten hat4.

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Beratungshinweis: Vorsorglich sollte die Bestellung eines Ergänzungspflegers beantragt werden. Einkommensteuerlich sind Einkünfte aus Kapitalvermögen beim Vorbehaltsnießbrauch dem Nießbrauchsberechtigten zuzurechnen5. Gleiches gilt für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß BMF-Schreiben vom 30.9.2013 (Nießbrauchserlass)6. Hiernach erzielt grundsätzlich der Nießbrauchsberechtigte die Einkünfte nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn er das Grundstück durch Vermietung nutzt, ihm die volle Besitz- und Verwaltungsbefugnis zusteht, er die Nutzungen tatsächlich zieht und es verwaltet. Der Vorbehaltsnießbraucher kann in diesem Fall auch die AfA für das Gebäude wie zuvor schon als Eigentümer in Anspruch nehmen. Werbungskosten sind abziehbar, sofern der Nießbrauchsberechtigte sie nach dem Vereinbarten zu tragen hat und tatsächlich trägt.

Beratungshinweis: Außergewöhnliche Aufwendungen muss der Nießbrauchsberechtigte nach dem Gesetz (§ 1043 BGB) nicht tragen. Dies gilt bspw. für eine aufwändige Dachsanierung. Der Nießbraucher kann diese 1 Langenfeld/Günther, Kap. 3 Rz. 48 mit Formulierungsbeispiel. 2 BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, MDR 1994, 1015 = FamRZ 1994, 885 = ZEV 1994, 233. 3 BMF-Schreiben v. 30.9.2013, Nießbrauchserlass, BStBl. I 2013, 1184, Tz. 4. 4 BMF-Schreiben v. 30.9.2013, Nießbrauchserlass, BStBl. I 2013, 1184, Tz. 5; s. auch BFH v. 13.7.1999 – VIII R 29/97, DStRE 1999, 937. 5 Schmidt/Weber-Grellet, § 20 EStG Rz. 176; Stuhrmann, DStR 1998, 1406. 6 BStBl. I 2013, 1184. Grötsch

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Kosten daher steuerlich nicht geltend machen, ebenso wenig der Eigentümer, der keine Einnahmen aus V und V erzielt. Es sollte daher vereinbart werden, dass der Nießbrauchsberechtigte auch außergewöhnliche Lasten zu tragen hat1. 80

Beim Zuwendungsnießbrauch kann der Nießbrauchsberechtigte im Unterschied zum Vorbehaltsnießbrauch nach Auffassung der Finanzverwaltung für Gebäude keine AfA abziehen und auch auf das Nießbrauchsrecht keine AfA vornehmen2. Dies ist ein gravierender Nachteil, der immer dann bedacht werden muss, wenn im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge ein Nießbrauchsrecht nicht zugunsten des Übertragenen vorbehalten, sondern, bspw. aus Gleichstellungsgründen einem Dritten, etwa einem anderen Kind des Übertragenden, zugewandt werden soll.

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Problematisch kann auch die Übertragung von Betriebsvermögen unter Nießbrauchsvorbehalt sein. Bei Anteilen an Personengesellschaften führt dies dazu, dass die Begünstigungen der §§ 13a, 19a ErbStG nicht gewährt werden, wenn der Bedachte nicht Mitunternehmer wird3. Dieses Risiko kommt allerdings nur in Ausnahmefällen in Betracht, bspw. wenn der Schenker seinen Vorbehaltsnießbrauch auch auf außerordentliche Erträge erstreckt und er sich das Stimmrecht auch für außergewöhnliche Entscheidungen vorbehält.4

Beratungshinweis: Die Mitunternehmerstellung kann nicht allein dadurch gestärkt werden, dass nur ein Quotennießbrauch (von bspw. 95 %) bestellt wird. Denn behält sich der Schenker bei der freigebigen Zuwendung einer Beteiligung den Nießbrauch zu einer bestimmten Quote hiervon einschließlich der Stimm- und Mitverwaltungsrechte vor und vermittelt daher der mit dem Nießbrauch belastete Teil der Beteiligung dem Erwerber für sich genommen keine Mitunternehmerstellung, können für diesen Teil die Steuervergünstigungen nicht beansprucht werden5. 82

Bei der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften besteht dieses Problem, soweit das notwendige Quorum von 25 Prozent überschritten wird, nicht, da hier für die Begünstigung keine Mitunternehmerschaft nötig ist. Seit 1.1.2009 kann (wegen des Entfalls des Abzugsverbots in § 25 a.F. ErbStG) die kapitalisierte Nießbrauchslast bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Steuer vom Substanzerwerb abgezogen werden6. Jedoch findet § 10 Abs. 6 S. 4 ErbStG Anwendung: Der Abzug des Nießbrauchs ist nur mit dem Betrag zulässig, der dem Verhältnis zwischen dem ursprünglichen Wert des Betriebsvermögens und seinem Wert nach Anrechnung der Vergünstigungen nach § 13a ErbStG entspricht7. 1 Wegmann, Rz. 285. 2 BMF-Schreiben v. 30.9.2013, Nießbrauchserlass, BStBl. I 2013, 1184, Tz 19, 20. 3 BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, FamRZ 2009, 696 = ErbStB 2009, 107 = DStR 2009, 321; Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 144; krit. hierzu Ebeling, DB 1999, 611 (612). 4 Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 144 ff. 5 BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, ErbStB 2013, 243 = DStR 2013, 1380. 6 Gestaltungsansätze bei Breithaupt, ErbBStg. 2009, 67. 7 So schon zum alten Recht BFH v. 6.7.2005 – II R 34/03, ErbStB 2005, 304 = BStBl. 2005 II, 797. 78

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Rz. 85

Beratungssituation: V möchte seinem Sohn helfen und auf den im Jahr 2008 vorbehaltenen Nießbrauch verzichten. Vorsicht ist geboten, da die Finanzverwaltung mit Billigung des BFH den Verzicht auf den Nießbrauch auch in Altfällen aus der Zeit vor 2009 als neue selbstständige Zuwendung behandelt1. Neben dem Wegfall der Steuerstundung (§ 25 Abs. 1 S. 2 a.F. ErbStG) droht also eine weitere erhebliche Zahlungslast, sofern der Kapitalwert des Nießbrauchs zum Zeitpunkt des Verzichts höher ist als zum Zeitpunkt der ursprünglichen Schenkung. V sollte daher zunächst prüfen, ob sein Ziel anstatt durch Verzicht auch anders erreicht werden kann, bspw. durch Gewährung eines Darlehens an den Sohn.

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b) Wohnrecht Speziell bei Wohnimmobilien kann nach § 1093 BGB als beschränkte persönliche Dienstbarkeit das Recht bestellt werden, ein Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu benutzen. Auf dieses Wohnungsrecht finden weitgehend die Vorschriften über den Nießbrauch Anwendung. Die Abgrenzung zum Nießbrauchsrecht ergibt sich daraus, dass das Wohnungsrecht seinen Hauptzweck im Wohnen hat, während der Nießbrauch zur umfassenden Nutzung eines Vermögensgegenstands, insbesondere auch von Gegenständen oder Rechten, die nicht Wohnimmobilien sind, berechtigt.

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Ebenso wie beim Nießbrauch ist der Eigentümer nicht verpflichtet, eine außergewöhnliche Ausbesserung des Grundstücks oder Gebäudes auf seine Kosten vorzunehmen. Im Unterschied zum Nießbrauch trägt der Eigentümer allerdings im Verhältnis zum Wohnungsberechtigten die öffentlichen und privaten Lasten des Grundstücks wie Brandversicherung, Grundsteuer und Zinsen bei Grundpfandrechten2. Da das Wohnungsrecht des § 1093 BGB nach h.M. mit Zerstörung des Gebäudes erlischt3, gebietet es kautelarjuristische Vorsicht, ergänzend dem Wohnungsberechtigten den schuldrechtlichen Anspruch auf Neubestellung eines entsprechenden Wohnungsrechts in einem neuen Gebäude zu geben und diesen Anspruch durch eine sog. Brandvormerkung zu sichern4. Einkommen- wie erbschaftsteuerlich gelten für das Wohnungsrecht weitgehend die Regelungen zum Nießbrauch analog, als sog. Duldungs- oder Nutzungsauflage minderte das dem Veräußerer oder seinem Ehegatten vorbehaltene Wohnrecht in Steuerfällen bis 31.12.2008 wegen des Abzugsverbots nach § 25 ErbStG die schenkungsteuerliche Bemessungsgrundlage nicht5; seit 1.1.2009 ist sein Kapitalwert hingegen bei der Ermittlung der Steuer vom Wert der übertragenen Immobilie abzuziehen.

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2. Wiederkehrende Leistungen Durch den Vorbehaltsnießbrauch sichert sich der Übergeber auch weiterhin den Ertrag des übergebenen Vermögens, zugleich behält er aber auch die Mühen der 1 H E 2 ErbStH mit Berechnungsbeispiel; BFH v. 17.3.2004 – II R 3/01, ErbStB 2004, 176 = BStBl. 2004 II, 429. 2 § 1047 BGB ist in § 1093 Abs. 1 S. 2 BGB nicht für anwendbar erklärt. 3 MüKo.BGB/Joost, § 1093 Rz. 23 m.w.N. 4 Langenfeld/Günther, Kap. 4, Rz. 58. 5 Meincke, 14. Aufl., § 25 ErbStG Rz. 10. Grötsch

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Rz. 86

Lebzeitige Vermögensübertragung

Verwaltung und das Risiko des Schwankens der Einkünfte. Wenn dies nicht gewollt ist, kann zur vorweggenommenen Erbfolge gegen Vereinbarung von wiederkehrenden Leistungen gegriffen werden. a) Leibrente 86

Bei der Verpflichtung des Zuwendungsempfängers, dem Übergeber lebenslang eine Rente zu zahlen, handelt es sich regelmäßig um eine Leibrente im Sinne von § 759 BGB. Rechtstechnisch beruhen die Rentenansprüche auf einem Rentenstammrecht, aus dem sie als Rechtsfrüchte nach § 99 Abs. 2 BGB fließen. Die dingliche Sicherung erfolgt bei Immobilien durch Bestellung einer Rentenreallast nach §§ 1105 ff. BGB. Regelmäßig wird eine Wertsicherung vereinbart. Eine Verbraucherpreisindexklausel, die die Wertsicherung automatisch sicherstellt, ist nach § 3 Abs. 1 PreisklG zulässig. Ein Leistungsvorbehalt, der für das Ausmaß der Änderung des geschuldeten Betrages einen Ermessensspielraum lässt, ist nach § 1 Nr. 1 PreisklG ohne weiteres zulässig, wegen des damit verbundenen Streitpotenzials aber nicht empfehlenswert. b) Dauernde Last

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Die dauernde Last ist ein Produkt des Steuerrechts, im BGB ist sie nicht vorgesehen. Im Unterschied zur Rente ist sie dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Leistungen nicht betragsmäßig gleich bleiben oder lediglich wertgesichert sind, sondern nach § 323 ZPO der Abänderung unterliegen. Dadurch bringt die dauernde Last für die Beteiligten Risiken mit sich, da die Höhe der Leistungspflicht sowohl von der Bedürftigkeit des Berechtigten als auch von der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten abhängt.

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Die dauernde Last kann bei Grundstücken ebenfalls durch Eintragung einer Reallast gesichert werden, wobei allerdings wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes nur der Ausgangsbetrag (mit Indexierung) durch Reallast gesichert werden kann und der zugehörige Anpassungsvorbehalt nur schuldrechtlich vereinbart wird1. c) Pflegeverpflichtungen

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Die Übernahme von Pflegeverpflichtungen ist bei landwirtschaftlichen Hofübergaben typischer Bestandteil der vorweggenommenen Erbfolge (Altenteilsvertrag, vgl. Art. 96 EGBGB)2. Unabhängig vom Altenteil kann eine Pflegeverpflichtung auch mit einem Wohnungsrecht im Sinne von § 1093 BGB gekoppelt und durch Reallast abgesichert werden3. d) Steuerliche Behandlung der wiederkehrenden Leistungen

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Erbschaftsteuerlich ergibt sich aus der Vermögensübergabe gegen wiederkehrende Leistungen eine gemischte Schenkung4. Zur Klärung der einkommensteuerlichen Folgen dient folgende 1 2 3 4

Wegmann, Rz. 396. Ausführlich Langenfeld/Günther, Kap. 4, Rz. 76 ff. Langenfeld/Günther, Kap. 4 Rz. 102. BFH v. 14.4.1989 – II R 37/87.

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Lebzeitige Vermögensübertragung

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Rz. 93

Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob es aus einkommensteuerlichen Gründen klüger ist, eine Mietimmobilie oder einen Betrieb an seine Tochter lebzeitig zu übertragen. Spielt es dabei eine Rolle, ob eine dauernde Last oder eine Leibrente als Gegenleistung vereinbart wird? Ziel aus Sicht der Gestaltungspraxis ist es in der Regel, die Unterschiede in der Steuerprogression zwischen übergebender und übernehmender Generation optimal zu nutzen. Die übergebende Generation unterwirft die Einnahmen der Besteuerung, weil sie einen geringeren Steuersatz hat, die übernehmende Generation erhält die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs.

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Rechtslage bis 31.12.2007

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Zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von wiederkehrenden Leistungen hatte sich im Laufe der Jahrzehnte eine umfangreiche und teilweise widersprüchliche Rspr. angesammelt. Mit zwei Beschlüssen vom 12.5.2003 hatte der Große Senat des BFH versucht, unter dieses Thema einen Schlussstrich zu ziehen1. Die Quintessenz hieraus fasste die Finanzverwaltung (nolens volens) im sog. Dritten Rentenerlass zusammen2. Der BFH hatte den Anwendungsbereich des Sonderausgabenabzugs nahezu auf alle Vermögensübertragungen im Generationenverbund ausgeweitet, bis hin zu Grundstücks-, Wertpapier- und sogar Geldübertragungen. Mit dem Jahressteuergesetz 2008 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Sonderausgabenabzugs hingegen deutlich eingeschränkt. Für Übergabeverträge aus der Zeit bis 31.12.2007 gelten jedoch die alten großzügigen Regelungen des Dritten Rentenerlasses fort (§ 52 Abs. 23g EStG)3. Rechtslage seit 1.1.2008

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Für Übergabeverträge ab 1.1.2008 wurde die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs auf den Bereich der Unternehmensnachfolge begrenzt. Die Finanzverwaltung reagierte hierauf mit dem sog. Vierten Rentenerlass4, der den Dritten Rentenerlass ergänzt. Demnach können die wiederkehrenden Leistungen unter bestimmten Voraussetzungen als sog. „Versorgungsleistungen“ beim Verpflichteten als Sonderausgaben abziehbar und beim Berechtigten steuerpflichtig sein (vgl. Rz. 94). Liegen dagegen wiederkehrende Leistungen im Austausch mit einer Gegenleistung vor, wird auf eine nichtsteuerbare oder steuerbare Vermögensumschichtung und einen Zinsanteil abgestellt (vgl. Rz. 95). Bloße Unterhaltsleistungen dürfen dagegen nicht abgezogen werden (vgl. Rz. 96).

1 BFH v. 12.5.2003 – GrS 1/00 und 2/00, FamRZ 2003, 1747 = ErbStB 2003, 343, BStBl. 2004 II, 95, 100. 2 BMF-Schreiben v. 16.9.2004 – IV C 3 – S 2255 – 354/04, BStBl. 2004 I, 922, hierzu Heinrichshofen, ErbStB 2004, 335; Hipler, ZEV 2004, 412. 3 Einschränkung: Die Neuregelung gilt auch für Altverträge, bei denen das übertragene Vermögen nur deshalb ausreichenden Ertrag bringt, weil ersparte Aufwendungen hinzugerechnet werden (wiederum mit der Ausnahme des Nutzungsvorteils eines zu eigenen Zwecken vom Vermögensübernehmer genutzten Grundstücks). Hier wurde keine Fortgeltung angeordnet, weil diese Fallgruppe bereits im Rentenerlass von der Begünstigung ausgenommen war (BStBl. 2004 I, 922, Tz. 21). 4 BMF-Schreiben v. 11.3.2010 – IV C 3 – S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227, ZEV 2010, 212. Grötsch

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Rz. 94

Lebzeitige Vermögensübertragung

aa) Als Sonderausgaben abziehbare Versorgungsleistungen 94

Unter folgenden Voraussetzungen sind die Versorgungsleistungen beim Verpflichteten als Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbar und beim Berechtigten nach § 22 Nr. 1b EStG steuerpflichtig1: – die Versorgungsleistungen stehen im Zusammenhang mit der Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft, die eine Tätigkeit im Sinne der §§ 13, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder des § 18 Abs. 1 EStG ausübt, der Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs oder der Übertragung eines mindestens 50%igen Anteils an einer GmbH, wenn der Übergeber als Geschäftsführer tätig war und der Übernehmer diese Tätigkeit nach der Übertragung übernimmt; – der Übernehmer erhält nach dem Willen der Beteiligten wenigstens teilweise eine unentgeltliche Zuwendung. Bei der Übertragung auf Angehörige spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die wiederkehrenden Leistungen unabhängig vom Wert des übertragenen Vermögens nach dem Versorgungsbedürfnis des Berechtigten und nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bemessen worden sind. Bei einer Übertragung unter Fremden besteht dagegen eine nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung, dass bei der Übertragung von Vermögen Leistung und Gegenleistung kaufmännisch gegeneinander abgewogen sind und somit keine teilunentgeltliche Zuwendung vorliegt; – das übertragene Vermögen muss ausreichend Ertrag erbringen, um die Versorgung des Übergebers aus dem übernommenen Vermögen zumindest zu einem Teil zu sichern. Ein Anhaltspunkt für ein rein entgeltliches Rechtsgeschäft und somit für den Wegfall des Sonderausgabenauszugs kann sich daraus ergeben, dass die wiederkehrenden Leistungen auf Dauer die erzielbaren Erträge übersteigen; schichtet der Übernehmer das überlassene Vermögen in nicht ausreichend ertragbringende Wirtschaftsgüter um, sind die wiederkehrenden Leistungen auch dann nicht als Sonderausgaben abziehbar, wenn die Beteiligten die geschuldeten Versorgungsleistungen an die Erträge der neu erworbenen Vermögensgegenstände anpassen2; veräußert der Übernehmer das überlassene Vermögen und wendet er den Erlös einem Dritten zu, ohne hierfür einen Gegenwert zu erhalten, sind die wiederkehrenden Leistungen nicht mehr als Sonderausgaben zu behandeln3; – die Versorgungsleistungen müssen lebenslang, auf die Lebenszeit des Empfängers, gezahlt werden; – als Empfänger der Versorgungsleistungen kommen in erster Linie der Übergeber des Vermögens im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in Betracht, jedoch auch dessen Ehegatte und die gesetzlich erb- und pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge des Übergebers sowie der Lebenspartner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Sind dagegen Geschwister des Übernehmers Empfänger der wiederkehrenden Leistungen, besteht die widerlegbare Vermutung, dass 1 BMF-Schreiben v. 11.3.2010 – IV C 3 – S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227, ZEV 2010, 212. 2 BFH v. 18.8.2010 – X R 55/09, FamRZ 2011, 562 = ErbStB 2011, 65 = Erbfolgebesteuerung 2011, 59. 3 BFH v. 8.12.2010 – X R 35/10, ErbStB 2011, 124 = Erbfolgebesteuerung 2011, 93. 82

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Lebzeitige Vermögensübertragung

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Rz. 96

diese nicht versorgt, sondern gleichgestellt werden sollen. Nicht zum Generationennachfolgeverbund gehörende Personen, wie etwa der Lebensgefährte, Mitarbeiter im Betrieb, können nicht Empfänger von Versorgungsleistungen sein. – die gegenseitigen Rechte und Pflichten müssen klar und eindeutig sowie rechtswirksam vereinbart und ernsthaft gewollt sein und die Leistungen wie vereinbart auch tatsächlich erbracht werden. Als wesentlicher Inhalt des Übertragungsvertrags müssen der Umfang des übertragenen Vermögens, die Höhe der Versorgungsleistungen und die Art und Weise der Zahlung vereinbart sein. Änderungen können nur dann steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie zukünftig gelten und von den Vertragsparteien schriftlich fixiert worden sind. Nötig ist zudem, dass die Änderungen auf ein langfristig verändertes Versorgungsbedürfnis oder die veränderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zurückgehen. Werden die Versorgungsleistungen willkürlich ausgesetzt, so dass die Versorgung des Übergebers gefährdet ist, sind spätere Zahlungen nicht mehr als Sonderausgaben abziehbar1. Ist eines dieser Kriterien nicht erfüllt, kommen ein Sonderausgabenabzug beim Übernehmer sowie die Versteuerung der wiederkehrenden Leistung beim Übergeber nicht in Betracht. bb) Entgeltliche Vermögensübertragung gegen wiederkehrende Leistungen Sofern die Voraussetzungen für die Qualifizierung als als Sonderausgaben abziehbare Versorgungsleistungen nicht erfüllt sind, enthalten wiederkehrende Leistungen im Austausch mit einer Gegenleistung bis zur Grenze der Angemessenheit eine nichtsteuerbare oder steuerbare Vermögensumschichtung in Höhe ihres Barwerts (Tilgungsanteil) und einen Zinsanteil. Der Zinsanteil kann beim Zahlungsverpflichteten zu Betriebsausgaben oder Werbungskosten führen, beim Berechtigten kann er zu versteuern sein. Der Tilgungsanteil kann beim Verpflichteten zu abschreibungsfähigen Anschaffungskosten und beim Berechtigten zu steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnen führen2.

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cc) Unterhaltsleistungen Bloße Unterhaltsleistungen sind auf Seiten des Verpflichteten nach § 12 Nr. 2 EStG nicht abzugsfähig und werden auf Seiten des Berechtigten nicht besteuert. Diese Fallgruppe ergibt sich durch negative Abgrenzung von den übrigen Fallgruppen, es handelt sich um eine Art Auffangtatbestand. Ist etwa der Tilgungsanteil einer wiederkehrenden Leistung höher als der Wert des übertragenen Vermögens, ist Entgeltlichkeit nur in Höhe des angemessenen Kaufpreises anzunehmen. Der übersteigende Betrag ist eine Zuwendung im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG. Ist der Barwert der wiederkehrenden Leistung jedoch mehr als doppelt so hoch wie der Wert des übertragenen Vermögens, liegt insgesamt eine Zuwendung im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG vor3.

1 BFH v. 15.9.2010 – X R 13/09, FamRZ 2011, 112 = ErbStB 2011, 66 = ZEV 2011, 98. 2 4. Rentenerlass, Rz. 65 ff. 3 4. Rentenerlass, Rz. 66. Grötsch

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Rz. 97

Lebzeitige Vermögensübertragung

Beratungssituation: Ist in der Beratungssituation gewünscht, die Steuerprogression, wie unter Rz. 91 geschildert, zu nutzen, bietet es sich an, nicht die Mietimmobilie, sondern den Betrieb zu übertragen, da nur dann der Sonderausgabenabzug beim Übernehmer möglich ist. Ob die Versorgungsleistung variabel oder dauerhaft festgelegt ist, spielt für die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit keine Rolle mehr. dd) Pflegeverpflichtungen 97

Schenkungsteuerlich handelt es sich um eine zunächst nur aufschiebend bedingte Last. Bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit und Erbringung der Pflegeleistungen wird der Schenkungsteuerbescheid berichtigt, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO. Maßgebend für die Kapitalisierung der Pflegeleistungen sind dabei die sozialrechtlichen Pauschalvergütungen1, alternativ der tatsächliche Aufwand in Verbindung mit einem Stundenlohn für ungelernte Pflegekräfte i.H.v. 15 Euro2.

Beratungshinweis: Vorsicht: Wird die Pflegeverpflichtung als Gegenleistung vereinbart, ist die Übertragung insoweit Leistungsentgelt, das der Einkommensteuer unterliegt3. Die schenkungsteuerliche Abzugsfähigkeit hat dann erhebliche einkommensteuerliche Nachteile. Insbesondere bei langer Pflegedauer kann der einkommensteuerliche Nachteil die schenkungsteuerlichen Vorteile bei weitem überwiegen.

VI. Rückforderungsrechte und Weiterübertragung Beratungssituation: Der Mandant fürchtet die Unwägbarkeiten der Zukunft und schreckt daher vor einer vorweggenommenen Erbfolge zurück; er fragt, ob er von Gesetzes wegen ausreichend abgesichert ist. 1. Gesetzliche Rückforderungsrechte 98

Von Gesetzes wegen gibt es bei Schenkungen drei schenkungsspezifische Rückforderungstatbestände: – Nichtvollzug einer Auflage (§ 527 BGB), – Notbedarf des Schenkers (§ 528 BGB), – Grober Undank (§ 530 BGB).

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Zudem sind die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Trennungen von Lebensgemeinschaften zu berücksichtigen, etwa bei ehebedingten Zuwendungen4, bei Schenkungen an den Lebensgefährten5 oder das Schwieger1 OFD Erfurt v. 9.7.2002, DStR 2002, 1305; Halaczinsky, ZErb 2003, 130; Berechnungsbeispiel bei Moench/Albrecht, Erbschaftsteuer, 2. Aufl. 2009, Rz. 580. 2 FG München v. 21.6.2012 – 4 K 2552/09, n.v. 3 ErbStR 2011, E 13.5. 4 BGH v. 17.1.1990 – XII ZR 1/89, MDR 1990, 716 = FamRZ 1990, 600 = WM 1990, 856. 5 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, MDR 2008, 1275 = ErbStB 2008, 325 = FamRZ 2008, 1822; BGH v. 25.11.2009 – XII ZR 92/06, MDR 2010, 445 = FamRZ 2010, 277. 84

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Rz. 102

kind1. Auch Ansprüche wegen Zweckverfehlung, § 812 Abs. 1 Satz 2, Alt. 2 BGB, kommen in Betracht2. Diese gesetzlichen Rückforderungsrechte sind aus der Sicht der kautelarjuristischen Praxis ungeeignet, teilweise sogar ein echter Störfaktor: Nach § 527 BGB kann der Schenker bei Nichtvollziehung einer Auflage die Herausgabe des Geschenks nach bereicherungsrechtlichen Vorschriften verlangen. Dies führt zur Rückabwicklung sämtlicher gezogener Nutzungen und sämtlicher Verwendungen, soweit nicht Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) eingetreten ist. Dabei kann das Geschenk nur insoweit zurückgefordert werden, als es zur Vollziehung der Auflage hätte verwendet werden müssen. All dies ist nicht praktikabel und sollte daher vertraglich ausdrücklich abbedungen werden, was zulässig ist3.

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Die Rückforderungsvorschrift des § 528 BGB, nach der der Schenker die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften des Bereicherungsrechts fordern kann, wenn er seinen angemessenen Unterhalt4 nicht mehr bestreiten oder seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht mehr nachkommen kann, hat auf sozialrechtlichem Gebiet erhebliche praktische Bedeutung erlangt, da die Sozialbehörde diesen Anspruch nach § 93 SGB XII überleiten kann. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Übergeber in ein Pflegeheim kommt. Die Unterbringungskosten dort liegen regelmäßig bei mehr als 2 500 Euro monatlich, teilweise sogar bei über 4 000 Euro. Hiervon übernimmt die Pflegeversicherung nach § 43 SGB XI in der Regel lediglich einen Teil. Da nach herrschender Ansicht § 528 BGB nicht abbedungen werden kann, müssen die Beteiligten mit dem Risiko der sozialrechtlichen Überleitung leben5.

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2. Vertragliche Rückforderungsrechte a) Tatbestände

Beratungssituation: Der Mandant möchte sein Mietshaus übergeben, aber dennoch „das Heft in der Hand behalten“. Durch die Aufnahme vertraglicher Rückforderungsrechte können Risiken der vorweggenommenen Vermögensübertragung minimiert werden, zugleich erleichtert dies dem Übergeber den Entschluss zur Übergabe. Als Auslösetatbestand für ein vertragliches Rückforderungsrecht kommt zunächst das freie Ermessen des Veräußerers in Betracht. Obwohl dies naturgemäß dem Veräußerer sehr sympathisch sein kann, ist hiervon regelmäßig abzuraten, da derartige Klauseln gegenüber dem Erwerber unfair sind und zudem steuerliche und pflichtteils1 BGH v. 21.7.2010 – XII ZR 180/09, NJW 2010, 2884; BGH v. 3.2.2010 – XII ZR 189/06, MDR 2010, 932 = FamRZ 2010, 958 (m. Anm. Wever FamRZ 2010, 1047) = ErbStB 2010, 201. 2 BGH v. 21.7.2010 – XII ZR 180/09, NJW 2010, 2884; BGH v. 3.2.2010 – XII ZR 189/06, MDR 2010, 932 = FamRZ 2010, 958 (m. Anm. Wever FamRZ 2010, 1047) = ErbStB 2010, 201. 3 Palandt/Weidenkaff, § 527 Rz. 1. 4 Zur Auslegung dieses Begriffs BGH v. 11.7.2000 – X ZR 126/98, FamRZ 2001, 21 = MDR 2001, 94 = ZEV 2000, 455; BGH v. 5.11.2002 – X ZR 140/01, NJW 2003, 1384. 5 BGH v. 28.10.1997 – X ZR 157/96, FamRZ 1998, 155 = MDR 1998, 955 = NJW 1998, 537; MüKo. BGB/Koch, § 528 Rz. 18; Hörlbacher, ZEV 1995, 202 (204). Grötsch

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Rz. 103

Lebzeitige Vermögensübertragung

rechtliche Probleme aufwerfen können1. Stattdessen hat sich in der kautelarjuristischen Praxis ein Kanon von enumerativen Rückforderungstatbeständen herausgebildet: – Tod des Erwerbers vor dem Veräußerer, – Tod des (kinderlosen) Erwerbers vor seinen Geschwistern, – Veräußerung oder Belastung des übergebenen Vermögens durch den Erwerber ohne Zustimmung des Veräußerers, – Insolvenz des Erwerbers oder Zwangsvollstreckung in das übergebene Vermögen, – Vereinbarung von Gütergemeinschaft durch den Erwerber, wenn das Empfangene nicht zum Vorbehaltsgut erklärt wird (§ 1416 BGB), – Geltendmachung von Zugewinnausgleichsansprüchen gegen den Beschenkten bzw. generell Ehescheidung des Erwerbers zu Lebzeiten des Veräußerers, auf diesem Wege soll das übergebene Vermögen dem Zugewinnausgleich insgesamt entzogen werden, also auch für Wertsteigerungen, die mehr als inflationsbedingt sind, – Notbedarf des Veräußerers, – Grober Undank des Erwerbers. Die beiden letztgenannten Tatbestände decken sich mit der gesetzlichen Regelung. Indem sie vertraglich vereinbart werden, können jedoch die Modalitäten der Rückabwicklung abweichend vom Gesetz geregelt werden.

Beratungshinweis: In den Katalog der Rückforderungstatbestände aufgenommen werden sollte auch der Fall, dass der Erwerber dauernd geschäftsunfähig wird (nachgewiesen bspw. durch das Attest zweier Fachärzte). b) Rechtliche Gestaltung 103

Das Rückforderungsrecht kann als auflösende Bedingung nach § 158 BGB gestaltet werden, bei Grundstücken wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Auflassung (§ 925 Abs. 2 BGB) allerdings nur im Hinblick auf den schuldrechtlichen Vertrag. Da sich der Veräußerer regelmäßig die Entscheidung über die Rückforderung vorbehalten möchte, ist die mit der auflösenden Bedingung verbundene Automatik meist nicht zweckmäßig.

Beratungshinweis: Zu klären ist, ob das Rückforderungsrecht mit dem Tod des Übergebers erlischt oder ob es auf Dritte (bspw. den Ehegatten des Übergebers oder dessen andere Kinder) übergeht2. 1 Zwar ist der Vermögensübergang schenkungsteuerlich trotz der Möglichkeit des Widerrufs anzuerkennen (BFH v. 16.5.1989 – VIII R 196/84, NJW 1990, 1750), jedoch werden die steuerbaren Einkünfte einkommensteuerlich weiterhin dem Übergeber zugerechnet; auch können Gläubiger des Übergebers das Widerrufs- und Rückforderungsrecht pfänden; zudem wird bei freiem Widerrufsvorbehalt die Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB nicht in Gang gesetzt, Palandt/Weidlich, § 2325 Rz. 28. 2 Formulierungsbeispiel bei Wegmann, Rz. 191. 86

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Lebzeitige Vermögensübertragung

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Rz. 108

Ebenso wie bei Eintritt einer auflösenden Bedingung erfolgt im Fall des Widerrufsvorbehalts die Abwicklung rückwirkend in Anwendung der bereicherungsrechtlichen Vorschriften. Ähnliches gilt bei Vereinbarung eines Rücktrittsrechts nach §§ 346 ff. BGB. Durch den Rücktritt wandelt sich das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Die empfangenen Leistungen sind nach den §§ 346, 348 BGB zurückzugewähren1.

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Die Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses, also der Ersatz der vom Beschenkten gemachten Aufwendungen und die Herausgabe der von ihm gezogenen Erträge, ist in der Praxis, vor allem nach Jahren, meist nur schwer durchzuführen. Sie sollte nicht dem Bereicherungsrecht oder den §§ 346 ff. BGB überlassen bleiben, da die gesetzliche Regelung unspezifiziert und streitträchtig ist. Vielmehr sollte im Einzelnen geregelt werden, was zu erstatten ist, insbesondere im Fall der gemischten Schenkung. Nach Möglichkeit sollte die Regelung der Einfachheit halber so aussehen, dass der Beschenkte die zwischenzeitlich gezogenen Erträge behalten darf und ihm umgekehrt seine auf den Gegenstand gemachten Verwendungen nicht zu ersetzen sind2.

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Bei Grundstücken kann der Rückgewähranspruch durch Rückauflassungsvormerkung gesichert werden. Eine wesentliche Abwicklungserleichterung bringt es mit sich, wenn der Übergeber für den Fall des Vorversterbens unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB unwiderruflich zur Rückauflassung bevollmächtigt wird3.

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c) Steuerliche Folgen Es ist zu unterscheiden zwischen den Steuerfolgen, die bereits die Vereinbarung eines Rückforderungsrechts nach sich ziehen können und den steuerlichen Folgen, die bei Durchführung der Rückabwicklung eintreten.

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aa) Einkommensteuerliche Folgen Der freie Widerrufsvorbehalt führt dazu, dass die Finanzverwaltung Einkünfte aus dem übergebenen Vermögen nicht dem Beschenkten zurechnet, sondern aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise nach wie vor dem Schenker. Diese Gefahr besteht auch bei enumerativ gestalteten Rückforderungsrechten, wenn der Schenker den Eintritt des Rückforderungsfalles willentlich beeinflussen kann4. Bei gewerblichen Einkünften führt dies insbesondere dazu, dass dem Beschenkten die Mitunternehmerstellung versagt wird. Bei der Prüfung, ob eine Beteiligung nach § 17 EStG steuerverstrickt ist, ist die weitere Folge eines zu weit gehenden Rückforderungsvorbehalts, dass dem Schenker die Anteile nach wie vor bei der Feststellung seiner Beteiligungsquote zugerechnet werden5.

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Jülicher, ZEV 1998, 201 ff. Einzelheiten bei Langenfeld/Günther, Kap. 3, Rz. 107 ff. Langenfeld/Günther, Kap. 3, Rz. 104 ff. mit Formulierungsbeispielen. Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 757; BFH v. 27.1.1994 – IV R 114/91, FamRZ 1994, 1382 = ZEV 1994, 318; BFH v. 30.5.2006 – IV B 168/06, BFH/NV 2006, 1828. 5 Schmidt/Wacker, § 17 EStG Rz. 54. Grötsch

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Maßstab dafür, ob ein Widerrufsvorbehalt schädlich ist oder nicht, bildet die Frage, ob sein Eintritt unwahrscheinlich ist und ob seine Voraussetzungen vom Schenker bei vernünftiger Betrachtungsweise nach freiem Belieben herbeigeführt werden können1. Hierzu vertritt der BFH (zu Recht) die Ansicht, dass reine Scheidungsklauseln unschädlich sind, da der Schenker im Regelfall nicht wegen einer bloßen Meinungsverschiedenheit hinsichtlich eines Schenkungsgegenstands die Scheidung herbeiführen werde, um diesen zurückzuerhalten2.

Beratungshinweis: Der freie Widerrufsvorbehalt ist zu vermeiden. Im Übrigen ist aus steuerlicher Sicht bei der Auswahl von Rückforderungsrechten darauf zu achten, dass diese hinsichtlich ihres Eintritts unwahrscheinlich sind (Stichwort: Bloße Risikoprophylaxe) und der Schenker ihre Voraussetzungen nicht einseitig herbeiführen kann. 110

Die Rückabwicklung des Schenkungsvorgangs führt, wenn rückwirkend Erträge zurückverlangt und im Gegenzug Aufwendungsvergütung begehrt wird, zu erheblichen Problemen. Fest steht, dass dies für Veranlagungszeiträume, die bereits bestandskräftig abgeschlossen sind, keine einkommensteuerlichen Konsequenzen hat. Inwieweit die Beteiligten hieraus Einwendungen gewinnen können, bspw. der Beschenkte den Einwand der teilweisen Entreicherung wegen der von ihm entrichteten Einkommensteuer, ist streitig3. Auch dies spricht dafür, die Folgen der Rückabwicklung vertraglich so zu regeln, dass dem Beschenkten die Erträge verbleiben und er umgekehrt keine Erstattung seiner Aufwendungen verlangen kann. bb) Folgen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht

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Erbschaft- und schenkungsteuerlich ist selbst die Schenkung unter freiem Widerrufsvorbehalt anzuerkennen4. Erhebliche Nachteile können bei Vereinbarung von Rückforderungsrechten aber entstehen, wenn sich die einkommensteuerliche Betrachtung im Bereich des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts widerspiegelt. Dies ist bei der Wertermittlung von Betriebsvermögen der Fall. Sofern der Beschenkte aufgrund zu umfangreicher Rückforderungsrechte nicht Mitunternehmer wird, erhält er auch kein Betriebsvermögen im Sinne des § 12 Abs. 5 ErbStG. In der Folge führt dies zur Versagung der Begünstigung nach § 13a ErbStG5.

Beratungshinweis: Bestehen wegen vereinbarter Rückforderungsrechte (oder aus sonstigen Gründen) Zweifel daran, ob der Beschenkte Mitunternehmer wird, kann ein zusätzliches Rückforderungsrecht für den Fall vereinbart werden, dass die Mitunternehmerstellung tatsächlich von der Finanzver1 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 757; BFH v. 27.1.1994 – IV R 114/91, FamRZ 1994, 1382 = ZEV 1994, 318; BFH v. 30.5.2006 – IV B 168/06, BFH/NV 2006, 1828. 2 BFH v. 4.2.1998 – XI R 35/97, DStR 1998, 636 = BStBl. II 1998, 542. 3 Jülicher, DStR 1998, 1977 (1981). 4 BFH v. 13.9.1989 – II R 67/86, DStR 1989, 780 = BStBl. II 1989, 1034; Meinke, § 7 ErbStG Rz. 53; Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 54. 5 H E 13b.5 ErbStH 2011; Gebel, DStR 1996, 1385 (1387); Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 110; a.A. Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 21; Köhler, DStR 1997, 1553 (1554). 88

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waltung nicht anerkannt wird. Die Schenkung kann dann steuerunschädlich nach § 29 ErbStG rückgängig gemacht werden1. Die Rückschenkung ist im Schenkungsteuerrecht nicht privilegiert, sondern begründet grundsätzlich einen eigenständigen Schenkungsteuervorgang2. Anders ist dies, wenn die Rückgabe wegen eines vertraglich vereinbarten Rückforderungsrechts erfolgt. Hier handelt es sich nicht um eine freiwillige Zuwendung, sondern um die Erfüllung einer vertraglichen Pflicht.

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Beratungshinweis: Es ist darauf zu achten, dass die Rückgabe erst erfolgt, wenn der Schenker die nach dem Schenkungsvertrag hierfür erforderliche Gestaltungserklärung abgegeben hat. Besondere Bedeutung hat die Vereinbarung eines vertraglichen Rückforderungsrechts für den Fall des Vorversterbens des Beschenkten, da § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG den Rückfall ansonsten nur steuerfrei stellt, wenn Eltern oder Voreltern von Todes wegen das zurückerhalten, was sie ihren Kindern bzw. Kindeskindern geschenkt haben. Bekanntlich vertritt der BFH hierzu eine sehr enge Auslegung, nach der bspw. Surrogate oder Erträge nicht von der Vorschrift erfasst sind3. Die Rückgabe aufgrund des Rückforderungsrechts an den Schenker ist nicht nur selbst steuerfrei, sie führt nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zudem zur Erstattung der bereits gezahlten Steuer4. Vom Erstattungsbetrag wird allerdings der Betrag abgezogen, der der Nutzungsdauer des Beschenkten entspricht, wenn er die Erträge des Schenkungsgegenstands behalten darf (§ 29 Abs. 2 ErbStG).

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cc) Steuerklausel Auch bei größter Sorgfalt lassen sich die schenkungsteuerlichen Folgen einer lebzeitigen Vermögensübertragung nicht immer genau vorhersagen. Dafür sorgen bei vielen Vermögensgegenständen, insbesondere Immobilien und Betriebsvermögen allein schon die Unsicherheiten der neuen Bewertung zum Verkehrswert. Böse Überraschungen können daher in vielen Fallkonstellationen auftreten.

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Ein Irrtum über die schenkungsteuerlichen Folgen eines Rechtsgeschäfts kann nach § 313 BGB zum Rücktritt wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtigen5. Eine solche Rückabwicklung der Schenkung führt nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zum Erlöschen der Steuer mit Wirkung für die Vergangenheit. Die Feststellungslast für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage trägt der Steuerpflichtige. Er muss nachweisen, dass bei Abschluss des Rechtsgeschäfts die Parteien davon ausgingen, dass keine (oder eine wesentlich geringere) Schenkungsteuer anfallen würde und dass dieser Gesichtspunkt für sie erkennbar maßgebende Bedeutung

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1 Kamps, ErbStB 2003, 69 mit Formulierungsbeispielen. 2 Anders das Grunderwerbsteuerrecht: § 16 GrEStG. 3 BFH v. 22.6.1994 – II R 1/92, BStBl. 1994 II, 656; BFH v. 22.6.1994 – II R 13/90, BStBl. 1994 II, 759; Jülicher, DStR 1998, 1977 (1982), wenigstens reicht nach R E 13.6 ErbStR 2011 aber „Art und Funktionsgleichheit“ von zugewendetem und rückfallendem Vermögensgegenstand. 4 Zum Problem des Rückforderungsrechts des Alleinerben Holland, ZEV 2000, 356. 5 FG Rheinland-Pfalz v. 23.3.2001 – 4 K 2805/99, DStRE 2001, 765; Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 41 ff.; Wachter, ZEV 2002, 176. Grötsch

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hatte1. Gelingt dieser Nachweis nicht, so wird die Rückabwicklung einer Schenkung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zum „größten anzunehmenden Schenkungsteuerunfall“: Es bleibt nicht nur bei der angefallenen Steuer für die ursprüngliche Schenkung, sondern die Rückabwicklung gilt als neue Schenkung, für die wiederum Schenkungsteuer anfällt2.

Beratungshinweis: Um wenigstens das Risiko einer steuerpflichtigen Rückschenkung auszuschließen, kann die Rückübertragung unter dem ausdrücklichen Vorbehalt erfolgen, dass sie als steuerfrei anerkannt wird3. 116

Um nicht auf die steuerlich gefährliche Rückabwicklung nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage angewiesen zu sein, empfiehlt es sich, im Zweifelsfall in den Schenkungsvertrag eine Steuerklausel aufzunehmen.

M 13 Widerruf bei Steueranfall Die Parteien gehen davon aus, dass für die heutige Schenkung keine Schenkungsteuer anfällt. Sollte dies wider Erwarten doch der Fall sein, so kann der Schenker die Schenkung durch einseitige Erklärung gegenüber dem Beschenkten widerrufen. Die Widerrufserklärung muss binnen einen Monats nach Bestandskraft des Schenkungsteuerbescheides abgesandt werden.

Beratungshinweis: Wichtig ist, dass das Widerrufsrecht dem Schenker eingeräumt wird. Wird es dem Beschenkten eingeräumt, so führt dies nicht zum Erlöschen der Steuerschuld nach § 29 ErbStG4. 117

Das vertragliche Rückforderungsrecht kann nicht nur für den Fall begründet werden, dass mit überhaupt keinem Anfall von Schenkungsteuer gerechnet wird. Die Rückforderungstatbestände können auch andere Fallgruppen erfassen, bspw. ein Widerrufsrecht für den Fall, dass das zuständige Finanzamt Schenkungsteuer von mehr als … Euro festsetzt oder das geschenkte Wirtschaftsgut für Zwecke der Schenkungsteuer mit mehr als … Euro bewertet oder für die Zuwendung die Begünstigungen für Betriebsvermögen nach § 13a, b und § 19a ErbStG nicht gewährt5. 3. Verpflichtung zur Weiterübertragung

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Die Vereinbarung einer Verpflichtung zur Weiterleitung an einen Dritten ist ein Unterfall des Rückforderungsrechts. Die hierbei vereinbarten Tatbestände (Vorversterben etc.) entsprechen regelmäßig denen des Rückforderungsrechts. Der Unterschied besteht darin, dass der Schenkungsgegenstand nicht an den Schenker zurückfällt, sondern im Wege des Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) weitergeleitet wird6. Für Weiterleitungsklauseln gilt daher weitgehend das zu 1 2 3 4 5 6

FG Berlin-Bdb. v. 22.4.2008 – 14 V 14016/08, DStRE 2008, 1339. Piltz, ZEV 2009, 70. Wachter, ZEV 2002, 176 (179). Piltz, ZEV 2009, 70 (72). Formulierungsbeispiele bei Wachter, ZEV 2002, 176 (180). Jülicher, ZEV 1998, 202 (205).

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den Rückforderungsrechten Gesagte (Rz. 102 ff.). Insbesondere führt eine Weiterleitungsklausel, deren Eintritt im Belieben des Schenkers steht, dazu, dass die Einkünfte und das wirtschaftliche Eigentum nach wie vor dem Schenker zugerechnet werden1. Bei Anteilen an Personengesellschaften wird der Beschenkte folglich nicht Mitunternehmer und kann daher bereits deshalb nicht von den Begünstigungen für Betriebsvermögen profitieren. In Zusammenhang mit den Begünstigungen nach §§ 13a, 19a ErbStG ist noch Folgendes zu beachten: Wird dem Beschenkten vom Schenker auferlegt, den Schenkungsgegenstand bei Eintritt eines bestimmten aufschiebend bedingten Ereignisses, z.B. dem Tod des Beschenkten, weiterzuleiten, so führt dies erbschaftsteuerlich zu einem auflösend bedingten Erwerb des Beschenkten und zu einem aufschiebend bedingten Erwerb des Letzterwerbers vom Schenker im Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung2. In diesen Fällen erhält der Beschenkte (Zwischenerwerber) zunächst die Begünstigungen des § 13a ErbStG, die dann bei Eintritt des Ereignisses auf den Letzterwerber übergehen3. Für Weitergabeverpflichtungen in Schenkungsverträgen hingegen, die dazu führen, dass Erstschenkung und Weiterleitung zeitlich eng zusammen liegen, wird es bei der bisherigen Regelung der Finanzverwaltung bleiben, wonach die Begünstigungen nur dem Letzterwerber zu gewähren sind (R 61 Abs. 1 S. 4 ErbStR 2003)4.

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Beratungssituation: Der verwitwete V schenkt seinen Kindern S und T jeweils Vermögen im Steuerwert von einer Mio. Euro. Da beide kinderlos sind, wird zwischen S und T zugleich ein Erbvertrag abgeschlossen, in dem sich diese gegenseitig zu Erben einsetzen. Verstirbt S, so kommt es (gleich bleibende Wertverhältnisse unterstellt) zu folgender Besteuerung: (1) Schenkung von V, jeweils an S und T: Erwerb 1 000 000 Euro abzüglich Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ./. 400 000 Euro steuerpflichtiger Erwerb 600 000 Euro 15 % hieraus nach § 19 ErbStG 90 000 Euro (S und T gesamt 180 000 Euro) (2) Erbschaft des T von S: 1 000 000 Euro Erwerb5 ./. 20 000 Euro abzüglich Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steuerpflichtiger Erwerb 980 000 Euro 30 % hieraus nach § 19 ErbStG 294 000 Euro (3) Gesamtsteuerbelastung von T: 384 000 Euro (4) Gesamtsteuerbelastung von S und T: 474 000 Euro 1 Schmidt/Wacker, § 15 EStG Rz. 757; Jülicher, DStR 1998, 1977 (1980). 2 Troll/Gebel/Jülicher, § 13a ErbStG Rz. 91. 3 Dies entspricht dem alten Recht, vgl. R 61 Abs. 1 ErbStR 2003; Jülicher, DStR 1998, 1977 (1985); Troll/Gebel/Jülicher, § 13a ErbStG Rz. 91. 4 Troll/Gebel/Jülicher, § 13a ErbStG Rz. 93. 5 Um der vereinfachten Darstellung willen wird unterstellt, dass S die bei der Schenkung von V anfallende Steuer aus sonstigem Vermögen aufbringen konnte. Grötsch

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Die bessere Alternative: Hätte V mit seinen Kindern im Schenkungsvertrag vereinbart, dass die Schenkung beim Tod eines Kindes an den Geschwisterteil herauszugeben ist, so wäre die erbschaftsteuerrechtliche Rechnung selbst dann günstiger, wenn der Weiterleitungsfall binnen zehn Jahren nach der Schenkung stattfindet und der überlebende Geschwisterteil daher im Verhältnis zum Vater nicht erneut den Freibetrag von 400 000 Euro hat. (1) Schenkung von V an T: Steuer (wie oben): (2) Erwerb des T kraft Weiterleitungsklausel (von V): Erwerb plus Vorschenkung (§ 14 ErbStG)

90 000 Euro

1 000 000,00 Euro 1 000 000,00 Euro 2 000 000,00 Euro abzüglich Freibetrag ./. 400 000 Euro steuerpflichtiger Erwerb 1 600 000 Euro 19 % hieraus 304 000 Euro ./. 90 000 Euro abzüglich bei der Vorschenkung gezahlter Steuer Von T noch zu zahlende Steuer 214 000 Euro (3) Gesamtsteuerbelastung von T: 304 000 Euro (4) Gesamtsteuerbelastung von S und T: Da die Besteuerung des S zumindest teilweise entfällt1, § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ErbStG, kommt es zu einer erheblichen Vergünstigung.

Beratungshinweis: Der beschenkte Zwischenerwerber bzw. im Fall der Weiterleitung wegen Versterbens des Zwischenerwerbers dessen Erben sollten stets Antrag auf Erstattung der bei der Zwischenschenkung gezahlten Steuern stellen2. 122

Zwar ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auch auf vertragliche Weiterleitungsfälle anzuwenden ist. Doch sprechen die besseren Gründe für die Anwendung des § 29 ErbStG: So gilt § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG jedenfalls für gesetzliche Herausgabeansprüche an Dritte (Herausgabeanspruch des Nacherben bei beeinträchtigenden Verfügungen des Vorerben, § 2113 BGB3). Zudem leitet nach der Rspr. des BFH der Letzterwerber seinen Erwerb vom ursprünglichen Schenker her4. Außerdem bildet die Vereinbarung einer Weiterleitungsklausel strukturell einen Unterfall der Rückforderung5. Somit erlischt die vom Zwischenerwerber ursprünglich gezahlte Steuer mit Wirkung für die Vergangenheit, jedoch beschränkt durch die verbleibende Besteuerung des Zwischenerwerbers wie bei einem Nießbraucher für den Zeitraum, in dem ihm die Nutzungen des zugewendeten Vermögens zugestanden haben (§ 29 Abs. 2 ErbStG)6. 1 2 3 4 5 6

Nach der hier vertretenen Ansicht s. den im Text folgenden Beratungshinweis. Jülicher, DStR 1998, 1977, 1984; Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 15. BFH v. 24.5.2000 – II R 62/97, ZEV 2001, 77. BFH v. 17.2.1993 – II R 72/90, FamRZ 1994, 1382 = BStBl. 1993 II, 523. Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 17. Troll/Gebel/Jülicher, § 29 ErbStG Rz. 122.

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Beratungshinweis: Beim selbstgenutzten Familienheim würde eine Weiterleitungsklausel in dem Vertrag, mit dem ein Ehegatte das Familienheim dem anderen geschenkt hat, zugunsten der Kinder nach dem Tod des längstlebenden Ehepartners stets zum Verlust der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG führen, da diese Befreiung nur für einen Erwerb von Todes wegen gilt, während der Erwerb aufgrund einer Weiterleitungsklausel in einem Schenkungsvertrag als Erwerb unter Lebenden gilt1. 4. Verfügungsrechte des Übergebers Vor allem bei Grundstücksübertragungen mit Nießbrauchsvorbehalt stellt sich die Frage, ob sich der Übergeber Verfügungsrechte vorbehalten kann. Hier ist zunächst eine Vollmacht denkbar, nach der der Nießbrauchsberechtigte den Zuwendungsgegenstand auf eigene Rechnung verkaufen und belasten kann. Hiervon ist aber abzuraten, da davon auszugehen ist, dass in diesem Fall die Übergabe steuerlich nicht als Schenkung anerkannt würde2. Zivilrechtlich möglich und schenkungsteuerrechtlich unbedenklich ist hingegen die Vollmacht zur Veräußerung des Nießbrauchsgrundstücks für Rechnung des Grundstückseigentümers. Dies führt dazu, dass der Kaufpreis nach § 1075 Abs. 2 BGB in das Eigentum des Nießbrauchers übergeht und nach Beendigung des Nießbrauchs Wertersatz zu leisten ist (§§ 1075 Abs. 2, 1067 BGB).

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Beratungssituation: V möchte seinem Sohn S ein Mietshaus unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen. Aus einkommensteuerlichen Gründen3 und mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des S soll vereinbart werden, dass V weiterhin alle Lasten zu tragen hat, also auch die Kosten für außerordentliche Ausbesserungen und Erneuerungen am Haus. V möchte sich jedoch für den Fall absichern, dass größere Aufwendungen (bspw. für eine Dachsanierung) nicht aus Rücklagen finanziert werden können. Häufig möchte sich der Übergeber die Möglichkeit vorbehalten, das Grundstück weiterhin als Kreditsicherheit zu verwenden. Für diesen Fall besteht zum einen die Möglichkeit, dass der Übergeber vor Übergabe eine Eigentümergrundschuld bestellt und das Grundstück mit dieser Belastung weitergibt, zum anderen kann schuldrechtlich vereinbart werden, dass der Übernehmer verpflichtet ist, eine Realbürgschaft zu leisten, zusammen mit einer in der Höhe begrenzten, unwiderruflichen Belastungsvollmacht für den Übergeber4. Letzteres ist meist der einfachere Weg. Wenn zugleich durch Rückauflassungsvormerkung gesichert ist, dass der Übernehmer das Grundstück nicht ohne Zustimmung des Übergebers belasten kann, muss der Übergeber bei diesem Weg auch nicht befürchten, dass die Realbürgschaft wegen vorrangiger anderweitiger Belastungen wirtschaftlich sinnlos wird5. 1 Troll/Gebel/Jülicher, § 15 ErbStG Rz. 174. 2 Langenfeld/Günther, Kap. 3 Rz. 38. 3 Der Werbungskostenabzug steht nur dem offen, der Einkünfte aus V und V hat, also nur dem Nießbraucher. 4 Langenfeld/Günther, Kap. 3 Rz. 40 ff. 5 Weitere Vorschläge („Gutsabstandsgeld“ und Ersetzungsbefugnis durch Leibrente oder dauernde Last) bei Wegmann, Rz. 288. Grötsch

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II. Die Formen letztwilliger Verfügungen Schrifttum: Bengel, Zum Verzicht des Erblassers auf Anfechtung bei Verfügung von Todes wegen, DNotZ 1984, 132; Brox, Der Bundesgerichtshof und die Andeutungstheorie, JA 1984, 549; Dippel, Zur Auslegung von Wiederverheiratungsklauseln in gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen, AcP 177, 349; Esser, Die Testamentsvollstreckung, Schriftenreihe des Deutschen Forums für Erbrecht, Band 3; Horn/Kroiß/ Seitz, „Testamentsfälschung“: Das Schriftgutachten im Erbscheinsverfahren, ZEV 2013, 24; Liessem, Anwendungsmöglichkeiten und Vorteile der Schenkung von Todes wegen gegenüber erbrechtlichen Lösungen, BB 1989, 862; Mayer, Der Rechtsirrtum und seine Folgen im bürgerlichen Recht, 1989; Nolting, Inhalt, Ermittlung und Grenzen der Bindung beim Erbvertrag, 1985; Nieder, Das Behindertentestament, NJW 1994, 1264; Rosemeier, Beginn der Frist zur Anfechtung letztwilliger Verfügungen, ZEV 1995, 124; Rossak, Folgen des verfassungswidrigen Ausschlusses Mehrfachbehinderter von jeglicher Testiermöglichkeit für die notarielle Praxis, ZEV 1999, 254; Siebert, Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegenüber dem Beschenkten, ZEV 2013, 241; Storz, Zivilrechtliche Auswirkungen des erbrechtlichen Auslegungsvertrages, ZEV 2008, 308; Zimmer, Vorsorgevollmachten im Erbrecht, ZEV 2013, 307. Rz.

I. Die Testierfähigkeit des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Testierfähigkeit . . 2. Die Systematik der Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingeschränkte Testierfähigkeit Minderjähriger, § 2229 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Minderjährige vor Erreichen des 16. Lebensjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Minderjährige nach Erreichen des 16. Lebensjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Testierunfähigkeit bei Geistesstörung, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung, § 2229 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . c) Eingeschränkte Testierfähigkeit und faktische Testierunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Voraussetzung der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit bei Abschluss eines Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Eingeschränkte Testierfreiheit aufgrund Höferechts . 3. Schranken der Testierfreiheit . . . a) Gesetzliche Schranken der Testierfreiheit aa) Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . bb) §§ 134, 138 BGB . . . . . . . . 94

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1 2 3 5 6 9

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28 32 35 38 39

Rz.

cc) Potestativbedingungen . . . dd) Rechtsfolgen bei sittenwidrigen Bedingungen . . . ee) Verwirkungsklauseln . . . . ff) Klauseln in gemeinschaftlichen Testamenten . . . . . gg) Veräußerungsverbote . . . . hh) Rechtsfolgen von Verwirkungsklauseln . . . . . . . . . . ii) § 14 HeimG a.F. . . . . . . . . . b) Vertragliche Schranken . . . . . . 4. Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung der Testierfähigkeit 5. Beweis- und Verfahrensfragen . . .

44

II. Das Testament . . . . . . . . . . . . . . . .

65

1. Die Formen der Verfügungen von Todes wegen a) Formstrenge im Erbrecht . . . . aa) Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auslegung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Restriktive Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . dd) Umdeutung . . . . . . . . . . . . b) Die Formen ordentlicher Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das öffentliche Testament gem. § 2232 BGB . . bb) Das eigenhändige privatschriftliche Testament, § 2247 BGB . . . . . . . . . . . . .

45 46 47 48 49 50 53 57 59

67 77 78 80 81 83 84 87

B II

Formen letztwilliger Verfügung Rz. c) Die außerordentlichen Testamentsformen . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Die Errichtung des öffentlichen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Die Errichtung durch Erklärung zur Niederschrift des Notars, § 2232 S. 1, 1. Hs. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 aa) Die Niederschrift . . . . . . . 94 bb) Angaben über die Person des Testierers . . . . . . . . . . . 102 cc) Zeugen der Beurkundung 112 dd) Die persönliche Erklärung des Testierers . . . . . . 121 ee) Die Aufklärungspflichten des Notars . . . . . . . . . . . . . . 125 ff) Die Genehmigung der Niederschrift (1) Vorlesen . . . . . . . . . . . . . . . 132 (2) Genehmigung der Niederschrift . . . . . . . . . . . . . . . 135 (3) Unterschrift des Testierers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 gg) Die Verwahrung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . 147 hh) Registrierung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . .148a b) Ausschluss eines Notars . . . . . 149 aa) Vorschriften, durch deren Verletzung die Verfügung insgesamt unwirksam wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Vorschriften, durch deren Verletzung die Verfügung teilweise unwirksam wird 153 cc) Vorschriften, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Verfügung führen . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Errichtung und Übergabe einer offenen Schrift aa) Die offene Schrift . . . . . . . 157 bb) Pflichten des Notars . . . . . 166 d) Errichtung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer verschlossenen Schrift . 170 e) Kostenregelungen nach dem GNotKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 f) Die Haftung des Notars . . . . . . 175 3. Das eigenhändige Testament . . . . 177 a) Der Testierwille des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Eigenhändigkeit der Niederschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Rz.

c)

d)

e) f)

g) h)

i)

aa) Zwingende Formvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sprache und Schriftzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bezugnahme auf andere Schriftstücke . . . . . . . . . . . dd) Lesbarkeit und Zusammengehörigkeit der einzelnen Schriftstücke des Testaments . . . . . . . . . . . . . Äußere Form des Testaments aa) Bezeichnung . . . . . . . . . . . . bb) Abgeschlossene Erklärung cc) Mehrere Blätter . . . . . . . . . Unterschrift des Erblassers . . . aa) Form und Zweck der Unterschrift . . . . . . . . . . . . bb) Die Unterschrift auf einem Briefumschlag . . . . cc) Wirkung der fehlenden Unterschrift . . . . . . . . . . . . Erfordernis von Zeit- und Ortsangaben bei Errichtung des Testaments . . . . . . . . . . . . . Nachträge zum Testament . . . aa) Streichungen und Rasuren bb) Berichtigungen innerhalb des Textes, oberhalb der Unterschrift . . . . . . . . . . . . cc) Nachträge auf demselben Blatt, aber unterhalb der Unterschrift . . . . . . . . . . . . dd) Nachträge auf einem anderen Blatt . . . . . . . . . . . Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . . Das eigenhändige gemeinschaftliche Testament, § 2267 BGB aa) Die Form des gemeinschaftlichen Testaments . bb) Die Wiederverheiratungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das gleichzeitige oder äußerlich gemeinschaftliche Testament . . . . . . . . . dd) Gegenseitige (reziproke) gemeinschaftliche Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Wechselbezügliche (korrespektive oder abhängige) gemeinschaftliche Testamente . . . . . . . . Die Verwahrung eigenhändiger Testamente . . . . . . . . . . . Esser

194 199 202

209 211 212 213 214 215 219 224 225 227 228 229 231 234 237

239 252 253 254

255 256

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95

B II

Formen letztwilliger Verfügung Rz.

4. Die außerordentlichen Testamentsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Bürgermeistertestament, § 2249 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen für die Errichtung . . . . . . . . . . . . . . bb) Die mitwirkenden Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Errichtung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Unschädliche Formverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Unheilbare Formverstöße ff) Die Verschließung . . . . . . gg) Gültigkeitsdauer . . . . . . . . b) Das Drei-Zeugen-Testament, § 2250 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen des Testaments . . . . . . . . . . . . . bb) Die Zeugen . . . . . . . . . . . . . cc) Errichtung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Folgen von Formverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Beschränkte Gültigkeitsdauer des Testaments . . . . c) Das Seetestament, § 2251 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die inhaltliche Gestaltung der Verfügung von Todes wegen mit Blick auf ihre Auslegung . . . . . . . . a) Grundsätze der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Auslegung einseitiger Verfügungen . . . . . . . . . bb) Die Auslegung einseitiger Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Erbvertrag . . . . . . . . . . (2) Das gemeinschaftliche Testament . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegungsmethoden . . . . . . . aa) Auslegung des Wortlauts (erläuternde Auslegung) . . bb) Die Andeutungstheorie . . cc) Die Folge von Falschbezeichnungen . . . . . . . . . . dd) Auslegungsbeispiele aus der Rechtsprechung . . . . . c) Beachtung äußerer Umstände für die Auslegung . . . . . . . . . . . 96

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Esser

259 260 261 266 273 277 281 284 285 291 292 294 297 298 299 300 305 307 308

312 313 316 318 319 324 327 330 331

Rz. d) Der maßgebende Zeitpunkt . . 334 e) Die wohlwollende Auslegung i.S.d. § 2084 BGB . . . . . . . . . . . 335 f) Die ergänzende Auslegung aa) Begriff der ergänzenden Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 340 bb) Die Ergänzung des Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 cc) Auslegung vor Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 dd) Keine zeitlichen Grenzen der ergänzenden Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 ee) Wichtige Anwendungsfälle der ergänzenden Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 351 (1) Einsetzung eines Ersatzerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 (2) Wegfall des eingesetzten Ehegatten und Wiederheirat des Erblassers . . . . . 354 (3) Auswirkung der Ehescheidung auf den Bestand des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . .355a (4) Veränderungen der Vermögenslage des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 (5) Tatsächliche Veränderungen an einem vermachten Gegenstand . . . . 361 (6) Änderung der Rechtslage . 362 (7) Geldentwertung und Währungsänderung . . . . . . 363 (8) Freistellungsklauseln bei gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten und Änderungsvorbehalte in Erbverträgen . . . . . . . . . . . . 364 g) Auslegung und Prozessrecht . 365 h) Der Auslegungsvertrag . . . . . . 371 III. Änderung, Widerruf und Anfechtung der Verfügung von Todes wegen 1. Änderung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Widerruf der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur und Wirksamkeitsvoraussetzungen des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arten des Widerrufs . . . . . . . . . aa) Widerruf durch Testament, § 2254 BGB . . . . . . .

376 383 387 391 393

B II

Formen letztwilliger Verfügung Rz. bb) Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde, § 2255 BGB . . . . . . . . . . . . . cc) Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung . . . . . . . . . . . . dd) Widerruf durch ein neues, widersprechendes Testament, § 2258 BGB . . . . . . . ee) Widerruf gemeinschaftlicher Testamente (1) Widerruf einseitiger Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . (2) Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen . . . . . . c) Aufhebung und Rücktritt vom Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . d) Wirkung des Widerrufs . . . . . . e) Beseitigung des Widerrufs . . . . aa) Der Widerruf des Widerrufs, § 2257 BGB . . . . . . . . bb) Die Anfechtung des Widerrufs, §§ 2078 ff. BGB . . 3. Anfechtung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung zwischen Anfechtung und Widerruf . . . . b) Anfechtung einseitiger Verfügungen von Todes wegen, §§ 2078–2083 BGB . . . . . . . . . . c) Anfechtungsgründe . . . . . . . . . aa) Anfechtung wegen Irrtums über die Erklärungshandlung oder die Erklärungsbedeutung, § 2078 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . (1) Erklärungsirrtum, § 2078 Abs. 1, 2. Alt. BGB . . . . . . (2) Inhaltsirrtum, § 2078 Abs. 1, 1. Alt. BGB . . . . . . bb) Anfechtung wegen Drohung, § 2078 Abs. 2 BGB . cc) Anfechtung wegen Irrtums im Beweggrund (Motivirrtum), § 2078 Abs. 2 BGB . dd) Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten, § 2079 BGB ee) Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten durch Kausalitäts- bzw. Erheblichkeitsprüfung . . .

402

416 422

429 431 436 437 438 439 442 451 456 459 461

462 463 464 469 473 481

484

Rz.

d) e) f) g) h)

ff) Verzicht auf das Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . . . gg) Bestätigung eines anfechtbaren Testaments . . . . . . . Anfechtungsberechtigung . . . . Die Form der Anfechtung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungsfrist . . . . . . . . . . . . Wirkung der Anfechtung . . . . Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . .

489 493 497 504 507 512 517

IV. Die Hinterlegung, Ablieferung, Eröffnung des Testaments 1. Die Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . 520 a) Das Verfahren der besonderen amtlichen Verwahrung aa) Sinn und Zweck der besonderen amtlichen Verwahrung . . . . . . . . . . . . 523 bb) Annahme zur Verwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 b) Zuständigkeit für die besondere amtliche Verwahrung . . . 527 c) Rückgabe des Testaments . . . 531 2. Die Ablieferung des Testaments . 535 a) Gegenstand der Ablieferung . . 536 b) Die Pflicht zur Ablieferung . . 539 c) Zuständigkeiten für die Ablieferung . . . . . . . . . . . . . . . . 542 3. Die Eröffnung des Testaments, §§ 2260 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 545 a) Die Eröffnung durch das Nachlassgericht . . . . . . . . . . . . 546 aa) Gegenstand der Eröffnung . 547 bb) Das Eröffnungsverfahren . 550 cc) Zuständigkeit für die Eröffnung . . . . . . . . . . . . . . 554 b) Eröffnung durch ein anderes Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 aa) Das Eröffnungsverfahren . 556 bb) Zuständigkeit für die Eröffnung . . . . . . . . . . . . . . 557 c) Nichtigkeit eines Eröffnungsverbots, § 2263 BGB . . . . . . . . . 560 d) Eröffnungsfrist für Testamente, § 351 FamFG . . . . . . . . . . . . 562 e) Möglichkeit der Einsichtnahme oder der Erteilung einer Abschrift eines eröffneten Testaments, § 357 FamFG 564 aa) Voraussetzungen für die Einsichtnahme und Abschrifterteilung . . . . . . . . . 565 bb) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . 568 Esser

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97

B II

Formen letztwilliger Verfügung Rz.

V. Der Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsnatur des Erbvertrags . 2. Der Erbvertrag in Abgrenzung zum Testament . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen für den Abschluss eines Erbvertrags . . . . . 4. Arten des Erbvertrags a) Der einseitige Erbvertrag . . . . . b) Der zweiseitige oder gemeinschaftliche Erbvertrag . . . . . . . c) Mehrseitige Erbverträge . . . . . d) Erbverträge zugunsten des Vertragspartners oder eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unterscheidung des Erbvertrags nach Art der Zuwendung f) Entgeltlicher oder unentgeltlicher Erbvertrag . . . . . . . . . . . . 5. Die Aufhebungswirkung des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Bindungswirkung des Erbvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Beseitigung der Bindungswirkung a) Der Abänderungsvorbehalt . . . b) Beseitigung durch Anfechtung, § 2281 BGB . . . . . . . . . . . aa) Die Selbstanfechtung des Erblassers (1) Das Anfechtungsrecht des Erblassers . . . . . . . . . . . (2) Gründe der Anfechtung . . (3) Form und Frist der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . (4) Folgen der Anfechtung . . . bb) Anfechtung durch Dritte bei Erbverträgen, § 2285 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschränkung in guter Absicht, § 2289 Abs. 2 BGB . . 8. Aufhebung und Rücktritt beim Erbvertrag a) Die Aufhebung des Erbvertrags durch die Vertragsparteien . . . aa) Aufhebung durch Vertrag, § 2290 BGB . . . . . . . . . . . . . bb) Aufhebung durch Testament, § 2291 BGB . . . . . . . cc) Aufhebung durch gemeinschaftliches Testament, § 2292 BGB . . . . . . . . . . . . . b) Der Rücktritt vom Erbvertrag aa) Der Rücktrittsvorbehalt, § 2293 BGB . . . . . . . . . . . . . 98

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Esser

569 570 577 581 586 587 589 590 591 592 596 602 617 625

626 630 636 641 645 654

655 656 671 679 684 685

Rz. bb) Die gesetzlichen Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . (1) Der Rücktritt nach § 2294 BGB . . . . . . . . . . . . . (2) Der Rücktritt nach § 2295 BGB . . . . . . . . . . . . . cc) Die Form des Rücktritts, §§ 2296, 2297 BGB (1) Der Rücktritt zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden, § 2296 BGB (2) Der Rücktritt nach dem Tod des anderen Vertragschließenden, § 2297 BGB 9. Die Verbindung des Erbvertrags mit einem Ehevertrag . . . . . . . . . . 10. Die Form des Erbvertrags . . . . . . . 11. Wirkung des Erbvertrags auf lebzeitige Verfügungen . . . . . . . . . a) Schutz des Vertragserben, § 2287 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz des vertragsmäßigen Vermächtnisnehmers, § 2288 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Die Verwahrung des Erbvertrags .

694 695 701

709 713 717 721 730 732 739 744

VI. Schenkungsversprechen von Todes wegen, § 2301 BGB 1. Das Rechtsgeschäft unter Lebenden in Abgrenzung zu den Verfügungen von Todes wegen . . . . . 2. Schenkung von Todes wegen mit Überlebensbedingung, § 2301 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . a) Das Schenkungsversprechen . b) Die Überlebensbedingung . . . . c) Rechtsfolgen des Schenkungsversprechens . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das vollzogene Schenkungsversprechen mit Überlebensbedingung, § 2301 Abs. 2 BGB . . a) Der Leistungsvollzug i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . b) Einzelfälle vollzogener Schenkungen i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB aa) Schenkung eines Grundstücks und anderer Rechte daran . . . . . . . . . . . . bb) Schenkung von Wertpapieren . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schenkung von Bankund Sparkassenguthaben . dd) Erlass einer Schuld . . . . . .

747 751 752 757 761 763 764

769 771 772 777

Formen letztwilliger Verfügung

Rz. 3

B II

Rz. VII. Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 1. Die Vorteile des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall gegenüber Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 2. Dogmatische Einordnung des Vertrags zugunsten Dritter . . . . . . 786 3. Durch die Rechtsprechung anerkannte Einzelfälle von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall a) Zuwendungen von Bankkonten und Sparguthaben . . . . 793

Rz. b) Zuwendung von Wertpapierdepots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuwendung von Bausparund Ansparverträgen . . . . . . . . d) Zuwendung von Lebensversicherungen . . . . . . . . . . . . . e) Gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelungen . . . . . . . . 4. Steuerrechtliche Beurteilung des Vertrags zugunsten Dritter . . . . . .

796 797 798 803 804

I. Die Testierfähigkeit des Erblassers Voraussetzung für die wirksame Errichtung einer Verfügung von Todes ist die Testierfähigkeit des Erblassers.

1

1. Der Begriff der Testierfähigkeit Die Testierfähigkeit ist die Fähigkeit eines Menschen, ein Testament rechtswirksam zu errichten, zu ändern und aufzuheben. Die Testierfähigkeit ist von Amts wegen zu prüfen und muss bei Errichtung des Testaments vorliegen.

2

Der Erblasser ist testierfähig, wenn er eine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung und dem Inhalt seiner letztwilligen Verfügung hat1. Er muss sich über die Tragweite seiner Anordnungen und ihrer Auswirkungen bezüglich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aller Betroffenen ein klares Urteil bilden können2 und die Fähigkeit besitzen, frei von Einflüssen Dritter zu entscheiden, sowie eine Abwägung der Gründe, die für und gegen seine Verfügungen sprechen, durchführen können3. Die Testierfähigkeit ist somit eine den Besonderheiten des Erbrechts entsprechende Art der Geschäftsfähigkeit. 2. Die Systematik der Testierfähigkeit Als Unterfall der Geschäftsfähigkeit ist die Testierfähigkeit losgelöst von den §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 1 BGB in § 2229 BGB geregelt. Diese Norm definiert nicht den Kreis der Testierfähigen, sondern benennt den Kreis derjenigen, die nicht testierfähig sind. Weitere Einschränkungen der Testierfähigkeit sieht das Gesetz in §§ 2247, 2233 BGB vor. Eine nach Schwierigkeitsgrad des Testaments 1 OLG Hamm v. 9.11.1988 – 15 W 198/87, FamRZ 1989, 437 (439). 2 St. Rspr., vgl. BGH v. 29.1.1958 – IV ZR 251/57, FamRZ 1958, 127 (127); OLG Hamm v. 9.11.1988 – 15 W 198/87, FamRZ 1989, 437 (439). 3 BayObLG v. 20.12.1985 – BReg. 1Z 81/85; BayObLG v. 20.12.1985 – BReg.1 Z 81/85, FamRZ 1986, 728 (730). Esser

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3

B II

Rz. 4

Formen letztwilliger Verfügung

abgestufte Testierfähigkeit gibt es nicht. Die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder sie fehlt ganz1. 4

Die uneingeschränkte Testierfähigkeit i.S.d. BeurkG wurde durch die Neufassung der §§ 22 ff. BeurkG für hör-, sprach-, seh- und schreibbehinderte Erblasser wesentlich verbessert. a) Eingeschränkte Testierfähigkeit Minderjähriger, § 2229 Abs. 1 BGB

5

Der Erblasser ist eingeschränkt testierfähig i.S.v. § 2229 Abs. 1 BGB mit Vollendung des 16. Lebensjahres. Bei der Berechnung des Zeitpunktes ist gem. § 187 Abs. 2 S. 2 BGB der Tag der Geburt mitzuzählen. aa) Minderjährige vor Erreichen des 16. Lebensjahres

6

Ein Minderjähriger, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist nicht testierfähig. Ein durch ihn errichtetes Testament ist nichtig. Dies gilt auch dann, wenn der Erbfall erst nach Erreichen der für die Testierfähigkeit maßgeblichen Altersgrenze eintritt. Denn allein durch die Entscheidung, das Testament nicht zu vernichten, wird das Testament nicht wirksam.

Beratungshinweis: Errichtet der Erblasser im Alter von 14 Jahren ein eigenhändiges privatschriftliches Testament und verstirbt er mit 19 Jahren, ist das Testament nichtig. Zu Beginn der erbrechtlichen Beratung daher immer die Testierfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung prüfen. 7

Die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter kann die Nichtigkeit nicht beseitigen. Abgesehen davon, dass das Gesetz eine solche Möglichkeit nicht vorsieht, ließe sich dies auch nicht mit dem Prinzip der Höchstpersönlichkeit der Testamentserrichtung vereinbaren. Die Errichtung eines Testaments durch einen gesetzlichen Vertreter ist daher nicht möglich2.

8

Ein wegen Unterschreitens der Altersgrenze des § 2229 Abs. 1 BGB an sich nichtiges Testament kann durch den Testierer nach Erreichen der Altersgrenze jedoch dadurch genehmigt werden, dass dieser in einem formwirksam errichteten Testament auf das nichtige Testament verweist oder dieses ein zweites Mal unterschreibt3. bb) Minderjährige nach Erreichen des 16. Lebensjahres

9

Ein Minderjähriger, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, ist beschränkt testierfähig. Er kann durch mündliche Erklärung oder Übergabe einer offenen Schrift zur Niederschrift einer Urkundsperson ein Testament errichten, §§ 2229 Abs. 1, 2233 Abs. 1 BGB. Hierzu bedarf er gem. § 2229 Abs. 2 BGB nicht der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter. Der Minderjährige kann das Testament nur in den Formen errichten, in denen ihm eine Amtsperson beratend zur Seite steht. Die Errichtung eines privatschriftlichen Testaments, die Übergabe einer 1 OLG München v. 14.8.2007 – 31 Wx 16/07, FamRZ 2007, 2009 = ZEV 2008, 37, 39 (m.w.N.). 2 Soergel/Mayer, § 2229 Rz. 4. 3 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 37; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2229 Rz. 6. 100

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 14

verschlossenen Schrift oder ein Drei-Zeugen-Testament durch mündliche Erklärung sind daher für den 16- bis 18-Jährigen nicht möglich1. Dagegen ist ein Nottestament vor dem Bürgermeister gem. § 2249 Abs. 1 S. 4 BGB ebenso gültig, wie das Nottestament vor drei Zeugen, sofern die Voraussetzung des § 2233 Abs. 1 BGB (Übergabe einer offenen Schrift) gegeben ist.

10

b) Testierunfähigkeit bei Geistesstörung, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung, § 2229 Abs. 4 BGB Die Testierunfähigkeit wegen Geistesstörung, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung ist in § 2229 Abs. 4 BGB geregelt. Sie liegt vor, wenn:

11

– der Testierer im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit oder einer Bewusstseinsstörung unterliegt oder geistesschwach ist und – er deswegen unfähig ist, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung zu verstehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Eine Geistesstörung oder Geistesschwäche umfasst alle zumindest vorübergehend bestehenden geistig-seelischen Anomalien von einigem Gewicht. Ein klares Unterscheidungskriterium zwischen Geistesstörung und Geistesschwäche gibt es nicht2. Die Geistesschwäche als leichterer Grad der Geisteskrankheit3 erfordert, ebenso wenig wie die Geistesstörung, keinen Dauerzustand wie in § 104 Nr. 2 BGB normiert.

12

Da § 2229 Abs. 4 BGB keine medizinischen Fachbegriffe verwendet4, führt nicht jede Geisteskrankheit zur Testierunfähigkeit. Vielmehr muss der Zustand des Betreffenden bewirken dass dieser seine Angelegenheiten nicht mehr selbstständig zu besorgen vermag5.

13

Nicht ausreichend ist eine bloße unkluge und kurzsichtige Handlungsweise oder die ungenügende Erkenntnis der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite des Erklärten6. Ebenso wenig reicht eine bloße Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit für die Annahme einer Testierunfähigkeit aus, solange sich die äußeren Einflüsse nur in einem nachvollziehbaren Rahmen auf die Handlungen des Erblassers auswirken7. Auch aus einem hohen Grad von Psychopathie, querulatorischer Veranlagung oder sonst abnormen Persönlichkeitsstrukturen kann nicht ohne Weiteres auf die Testierunfähigkeit geschlossen werden8. Rauschgiftsucht bewirkt im Regelfall ebenfalls keine Testierunfähigkeit9.

14

1 MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 7; MüKo.BGB/Hagena, § 2233 Rz. 6. 2 MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 13 ff.; anders Nieder, Rz. 331, 336, der Geistesschwäche als leichteren Grad der Geisteskrankheit sieht und bei der Geistesstörung i.S.d. § 104 Nr. 2 BGB davon ausgeht, dass regelmäßig die ganze Persönlichkeit des Testierers erfasst ist. 3 RG v. 6.10.1930 – IV 583/29, RGZ 130, 69 (71). 4 Nieder, Rz. 331. 5 MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 21 ff. 6 MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 21. 7 Nieder, Rz. 331. 8 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 23. 9 Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 9. Esser

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101

B II

Rz. 15

Formen letztwilliger Verfügung

Beispiele für das Vorliegen von Testierunfähigkeit wegen Geistesschwäche oder Geistesstörung sind Demenz bei Parkinson-Syndrom, arteriosklerotische Demenz, Demenz vom Alzheimer Typ, senile Demenz, Schwachsinn, hirnorganische Syndrome, schizophrenieartige Psychosen, Depressionen mit manischen Vorstellungen während der manischen bzw. depressiven Phase1, paranoide Wahnvorstellungen, insbesondere auch bezüglich einer als Erbe in Betracht kommenden Person, selbst wenn diese nicht zu den gesetzlichen Erben zählt2, krankhafte Eifersucht, psychotische Wahnvorstellungen u.a.3.

15

Bei Altersdemenz ist zu beachten, dass Testierunfähigkeit nur aufgrund der Gesamtverfassung und des Gesamtbildes der Person zur Zeit der Testamentserrichtung bejaht werden kann, während normale Alterserscheinungen, wie Vergesslichkeit, die Testierfähigkeit nicht ausschließen4.

15a

Eine Bewusstseinsstörung i.S.v. § 2229 Abs. 4 BGB entspricht der Bewusstlosigkeit nach § 105 Abs. 2 BGB5. Für die Annahme der Testierunfähigkeit ist nicht erforderlich, dass die Sinnestätigkeit eingestellt ist und das Bewusstsein für die Außenwelt völlig fehlt6. Es genügt vielmehr, dass eine erhebliche Bewusstseinstrübung besteht, die das Erkennen vom Inhalt und Wesen der eigenen Handlung ganz oder zumindest in einer bestimmten Richtung aus-schließt7. Zu beachten ist, dass eine Gedächtnisschwäche nicht mit einer Bewusstseinsstörung gleichgesetzt werden kann. Hat der Erblasser bei einer vorliegenden Merkfähigkeitsstörung dennoch die Fähigkeit behalten, sachlich zu denken und zu urteilen, ist daher auch die Testierfähigkeit gegeben8. Beispiele für eine Bewusstseinsstörung sind Volltrunkenheit, Drogeneinfluss, hochgradiges Fieber, Hypnose, Suggestion, nervöse Erschöpfung, manische und depressive Phasen und epileptische Anfälle9.

15b

Eine im Zustand der Bewusstseinsstörung errichtete Verfügung von Todes wegen kann ebenfalls bei klarem Bewusstsein nachgenehmigt werden10. Wird sie es nicht, so bleibt die Verfügung von Todes wegen nichtig. Beispiel: Der volltrunkene Erblasser G verfasst ein Testament, welches er zwei Tage später, in nüchternem Zustand, nochmals durch seine erneute Unterschrift mit Angabe des Datums als seinen letzten Willen bestätigt.

1 von Braunbehrens/Dose, ErbBStG 2001, 23, 28. 2 BayObLG v. 21.7.1999 – 1Z BR 122/98, FamRZ 2000, 701 = NJW-RR 2000, 6 (8). 3 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 22; Nieder, Rz. 331 m.w.N.; MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 17. 4 Nieder, Rz. 331; Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 7. 5 Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 24; Nieder, Rz. 328. 6 Nieder, Rz. 333. 7 Palandt/Ellenberger, § 105 Rz. 2. 8 MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 20. 9 Nieder, Rz. 333. 10 MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 25 ff. 102

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B II

Rz. 19

Bei wechselnden Zuständen des Erblassers ist eine Testamentserrichtung in einem lichten Augenblick (lucidum intervallum) möglich1. Anders als bei § 104 Nr. 2 BGB ist es hier unerheblich, ob die Störung der Geistestätigkeit dauernd oder nur vorübergehend ist2. Der Zustand des lichten Augenblicks ist jedoch nachzuweisen, was in der Regel schwer sein dürfte und ein nervenärztliches Sachverständigengutachten erforderlich macht3.

16

Erklärt der Testierer seinen letzten Willen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte mündlich vor einem Notar oder übergibt er eine Schrift und erleidet im Anschluss an die Erklärung bzw. Übergabe einen Schlaganfall oder eine sonstige Bewusstseinseintrübung, muss sich die Testierfähigkeit nur noch auf die Genehmigung oder Ablehnung des Vorgelesenen erstrecken. Es genügt also, wenn der Erblasser noch die Bedeutung des Verlesenen verstehen kann und in seiner Entschlussfähigkeit frei ist, auch wenn er den Inhalt des Testaments nun nicht mehr bestimmen könnte4. Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Testaments ist jedoch, dass ein gewisser zeitlicher Zusammenhang zwischen Erklärung und Beurkundung des Testaments besteht5.

17

Von den Fällen der wechselnden Geisteszustände ist das Problem der partiellen Testierunfähigkeit zu unterscheiden: In Anlehnung an die partielle Geschäftsunfähigkeit gibt es nach einer Mindermeinung6 in der Literatur auch eine partielle Testierunfähigkeit. Krankhafte Störungen des Erblassers wirken sich demnach nur auf einzelne, gegenständlich abgrenzbare Lebensbereiche aus. Letztwillige Verfügungen sollen daher nur bezüglich der Lebensbereiche unwirksam sein, auf die sich die krankhafte Störung bezieht, im Übrigen jedoch wirksam.

18

Beispiel: Der krankhaft eifersüchtige Erblasser C enterbt seine Ehefrau, da er vermutet, sie habe ein Verhältnis mit dem Nachbarn N. Im Übrigen setzt er seine Kinder zu Alleinerben ein. Nur die Verfügung bezüglich der Ehefrau ist nach dieser Auffassung nichtig, das Testament kann im Übrigen jedoch wirksam sein.

Die überwiegende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung geht jedoch zu Recht davon aus, dass, im Gegensatz zur Geschäftsfähigkeit, die Testierfähigkeit nur in vollem Umfang vorliegen oder insgesamt ausgeschlossen sein kann7. Selbst wenn sich krankhafte Störungen des Erblassers nur auf einzelne Lebensbereiche auswirken, so wirken doch die einzelnen Verfügungen darüber hinaus, 1 BGH v. 1.7.1959 – V ZR 169/58, BGHZ 30, 294. 2 Soergel/Mayer, § 2229 Rz. 10. 3 BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 206/82, FamRZ 1984, 1003 (1004); Nieder, Rz. 342; anders Reimann in Dittmann/Reimann/Bengel, § 2229 Rz. 22, der die Beweislast für die Testierunfähigkeit und das Nichtvorliegen eines lichten Augenblicks dem auferlegt, der aus der Unwirksamkeit des Testaments Rechtsfolgen für sich ableitet. 4 BGH v. 1.7.1959 – V ZR 169/58, BGHZ 30, 294. 5 BGH v. 1.7.1959 – V ZR 169/58, BGHZ 30, 294 (297 f.). 6 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2229 Rz. 16. 7 BGH v. 13.5.1959 – V ZR 151/58, BGHZ 30, 112 (117); BayObLG v. 31.1.1991 – BReg. 1Z 37/90, MDR 1991, 539 = FamRZ 1991, 990 = NJW 1992, 248 f., unter ausdr. Aufgabe von BayObLG v. 22.10.1984 – BReg. 1Z 53/84, FamRZ 1985, 539; Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 2; Staudinger/Baumann, BGB Rz. 10; Nieder, Rz. 337; a.A. Erman/ Kappler/Kappler, § 2229 Rz. 7. Esser

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Rz. 20

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so dass die Testierfähigkeit zur Vermeidung von Abgrenzungsproblemen nur einheitlich beurteilt werden kann. Die partielle Testierfähigkeit führt daher zwangsläufig zur völligen Testierunfähigkeit, wenn die Voraussetzungen des § 2229 Abs. 4 BGB vorliegen. Auch eine nach Krankheitsgraden abgestufte relative Testierunfähigkeit ist daher abzulehnen1. 20

Die erforderliche Einsichtsfähigkeit ist gegeben, wenn der Erblasser in der Lage ist, sich über die Auswirkungen seiner Anordnungen für die Betroffenen und ihre sittliche Berechtigung ein klares Urteil zu bilden und unbeeinflusst zu handeln2. Ist der Erblasser nicht fähig, sich über die Tragweite seiner Erwägungen und Willensentschlüsse ein klares Urteil zu bilden und frei von Einflüssen Dritter zu handeln, liegt Testierunfähigkeit vor.

21

Die Beteiligung Dritter führt dann nicht zum Fehlen der erforderlichen Einsichtsfähigkeit, wenn die Entscheidung zur Umsetzung von Vorschlägen bewusst und kraft eigenen Entschlusses durch den Erblasser erfolgt3. Nicht unter § 2229 Abs. 4 BGB fallen Fälle, in denen Testierfähige durch Gewalt oder Drohung ein Testament errichten4.

22

Nachdem das Rechtsinstitut der Entmündigung abgeschafft wurde, kann ein Testament nicht mehr wegen Entmündigung des Erblassers unwirksam sein, sofern es nach dem 1.1.1992 errichtet wurde. Ein von einem Entmündigten vor dem 1.1.1992 errichtetes Testament bleibt jedoch auch nach diesem Zeitpunkt unwirksam, da sich die Testierfähigkeit nach dem zur Zeit der Testamentserrichtung geltenden Recht richtet5. In diesem Fall muss der Erblasser das Testament neu errichten.

22a

Die Bestellung eines Betreuers (§ 1896 BGB) wirkt sich nicht auf die Testierfähigkeit des Betreuten aus. Aus der Betreuungsbedürftigkeit kann und darf nicht auf eine Testierunfähigkeit geschlossen werden. Die Beurteilung der Testierfähigkeit richtet sich auch im Falle der angeordneten Betreuung ausschließlich nach den Regeln des § 2229 Abs. 4 BGB. Für den Betreuten besteht die Vermutung der vollen Testierfähigkeit6. Ein Betreuter kann sich aller Testamentsformen bedienen und ein Testament jederzeit widerrufen. Zwar ist ein eingesetzter Betreuer in seinem Aufgabenbereich gem. § 1902 BGB gesetzlicher Vertreter des Betreuten. Für den Betreuten kann er jedoch weder eine Verfügung von Todes wegen errichten, was sich aus § 2064 BGB und § 2274 BGB ergibt, noch kann sich ein etwa angeordneter Einwilligungsvorbehalt auf Verfügungen von Todes wegen erstrecken (vgl. § 1903 Abs. 2 BGB)7.

22b

Die Testierfähigkeit wird durch das Nachlassgericht beurteilt. Nähere Ermittlungen sind von Amts wegen durchzuführen, wenn der beurkundende Notar 1 BGH v. 13.5.1959 – V ZR 151/58, BGHZ 30, 112 (117). 2 Nieder, Rz. 334. 3 BayObLG v. 2.11.1989 – BReg.1a Z 52/88, FamRZ 1990, 318 = NJW-RR 1990, 202 (203); Dittmann/Reimann/Bengel, § 2229 Rz. 17. 4 Dazu Dittmann/Reimann/Bengel, § 2229 Rz. 17. 5 Brox, Rz. 91. 6 OLG Hamm v. 20.5.2003 – 15 W 393/01, FamRZ 2004, 659. 7 Brox, Rz. 91; MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 11. 104

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Rz. 23

seine Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Testierenden in einem Vermerk in den testamentarischen Anordnungen zum Ausdruck gebracht hat1. Hierzu können die Akten aus dem früheren Entmündigungs-/Vormundschaftsverfahren, jetzt aus dem Betreuungsverfahren, als Grundlage für die Entscheidung beigezogen werden. Die in den Akten enthaltenen Stellungnahmen und Gutachten, die sich nicht unbedingt mit der Geschäfts- und Testierfähigkeit des Betreuten befassen müssen, sind für das Nachlassgericht jedoch nicht bindend2. Immer wieder versuchen Erben oder Angehörige nach dem Tod des Erblassers, durch Einsichtnahme in Krankenakten Anhaltspunkte über die Testierfähigkeit des Verstorbenen zum Zeitpunkt der Errichtung eines Testaments zu erhalten. Zum Einsichtsrecht der Erben gibt es weder eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, noch wird an den Nachlassgerichten einheitlich verfahren. Der BGH hat Erben und Angehörigen kein originäres Einsichtsrecht zugesprochen, sondern geht lediglich von einem vom Verstorbenen abgeleiteten Einsichtsrecht aus3. Dem Einsichtsrecht der Erben steht die ärztliche Schweigepflicht und der auch postmortal bestehende Persönlichkeitsschutz des Verstorbenen gegenüber.

22c

Soweit nicht bereits in Vorsorgevollmachten oder dem Testament selbst eine Entbindung von der Schweigepflicht aufgenommen wurde und die Einsichtnahme in Krankenakten verweigert wird, kann im Nachlassverfahren versucht werden, Einsicht zu erhalten. Fordern die Gerichte nicht von sich aus die Krankenunterlagen an, sollte der anwaltliche Berater hier einen Hinweis geben. Weiter hat der Richter die Möglichkeit, den behandelnden Arzt als sachverständigen Zeugen gem. § 29 FamFG i.V.m. § 414 ZPO zu hören. Zwar hat der Arzt ein Zeugnisverweigerungsrecht. Da jedoch die Feststellung der Testierfähigkeit im Interesse des Erblassers ist, wird eine mutmaßliche Befreiung gem. § 385 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 29 Abs. 2 FamFG angenommen4. Alternativ bleibt sonst nur, einen unabhängigen Arzt als Gutachter zu beauftragen.

22d

c) Eingeschränkte Testierfähigkeit und faktische Testierunfähigkeit Für leseunfähige (§ 2233 Abs. 2 BGB), sprachbehinderte, hör- und sehbehinderte Menschen (§§ 22 bis 24 BeurkG) gelten dieselben Regelungen hinsichtlich ihrer Testierfähigkeit. Aufgrund ihrer Behinderung sind sie jedoch von bestimmten Testamentsformen ausgeschlossen. Man spricht, ebenso wie bei Minderjährigen, von eingeschränkter Testierfähigkeit. – Nach § 2233 Abs. 2 BGB kann ein Erblasser, der nach seinen Angaben oder nach Überzeugung des Notars nicht lesen kann, ein Testament nur durch mündliche Erklärung vor einem Notar, nicht ein eigenhändig geschriebenes und unterzeichnetes Testament errichten, § 2247 Abs. 4 BGB. – Auch der Schreibunfähige kann ein eigenhändiges Testament gem. § 2247 Abs. 1 BGB nicht errichten. Ein Blinder ist daher in seiner Testierfähigkeit 1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 16.1.2013 – I-3 Wx 27/12. Soergel/Mayer, § 2229 Rz. 19; Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 5. BGH. v. 23.11.1982 – VI ZR 222/79, MDR 1983, 298 = NJW 1983, 328. BGH v. 4.7.1984 – IVa ZB 18/83, BGHZ 91, 392 (399, 400) = MDR 1984, 919 = FamRZ 1984, 994. Esser

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Rz. 24

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eingeschränkt, da Blindenschrift den Anforderungen des § 2247 Abs. 1 BGB nicht genügt1. – Ein Erblasser, der nicht hinreichend sprechen kann, ist uneingeschränkt zur Errichtung eines eigenhändigen Testaments in der Lage. Ein öffentliches Testament kann er nach Wegfall des Erfordernisses einer mündlichen Erklärung (§ 2233 Abs. 3 a.F. BGB) mit den erweiterten Möglichkeiten des BeurkG (Gebärdensprachdolmetscher, Zuziehung eines Verständigungshelfers) errichten. 24

Der früher geltende Ausschluss stummer und schreibunfähiger Erblasser von der Testierfähigkeit verstieß nach der Entscheidung des BVerfG gegen die Erbrechtsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Verbot, Behinderte zu benachteiligen (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG)2, mit der Folge, dass die damals geltenden §§ 2232, 2233 BGB, § 31 BeurkG auf letztwillige Verfügungen schreib- und sprechunfähiger Personen für nicht anwendbar erklärt wurden. Der frühere § 2233 Abs. 3 BGB wurde durch Art. 25 Abs. 1 Nr. 24 des OLGVertrÄndG vom 23.7.2002 daher aufgehoben. Gleichzeitig wurde § 2233 Abs. 2 BGB neu gefasst.

24a

Bis zum In-Kraft-Treten dieser neuen gesetzlichen Regelung konnten Personen, die weder schreiben noch sprechen können, vor einem Notar nur dann testieren, wenn sie gem. § 2229 BGB testierfähig waren und die Verfahrensregeln gem. §§ 22 bis 26 a.F. BeurkG für die Beurkundung von Willenserklärungen Minderjähriger gewahrt worden sind.

25

Seit Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung in § 2233 Abs. 2 BGB kann ein leseunfähiger Erblasser ein Testament durch eine Erklärung gegenüber dem Notar errichten. Die Erklärung muss nicht mehr mündlich sein. Der Erblasser muss lediglich hinreichend klar seinen Testierwillen zum Ausdruck bringen. Dies kann auch durch eine konkludente Genehmigung der Niederschrift nach § 13 Abs. 1 S. 1, 1. Hs. BeurkG über die Erklärung des letzten Willens i.S.d. § 2232 S. 1, 1. Var. BGB, z.B. durch Gebärden oder Zeichen wie Kopfnicken oder Kopfschütteln, erfolgen.3 Der Notar hat die erweiterten Möglichkeiten der §§ 22–24, 32 BeurkG, welche die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen bei Beurkundungen regeln.

26

Trat der Erbfall vor der Entscheidung des BVerfG vom 19.1.1999 ein, so ist aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit eine Berufung auf die Verfassungswidrigkeit der §§ 2232, 2233 BGB, § 31 BeurkG nicht möglich, wenn sich der im Testament Bedachte nicht auf die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften berufen und der sonst Berufene zudem auf die Rechtslage vertraut hat4. 1 Nieder, Rz. 338. 2 BVerfG v. 19.1.1999 – 1 BvR 2161/94, FamRZ 1999, 985 = ZEV 1999, 14; dazu Rossak, ZEV 1999, 254 ff. 3 OLG Hamm v. 11.10.2012 – I-15 W 265/11, FamRZ 2013, 1424. 4 Vgl. Rossak, ZEV 1999, 254 (256), der mit Hinweis auf seinen Aufsatz in MittBayNot 1991, 193 (195) aus Gründen des abstrakten Vertrauensschutzes eine Berufung auf die Verfassungswidrigkeit vor 1991 ablehnt, da dort erstmals eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung der §§ 2232, 2233 BGB, § 31 BeurkG verlangt wurde. 106

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Rz. 31

Die faktische Testierunfähigkeit kann weiter bei Personengruppen vorliegen, denen auch mithilfe einer gem. § 24 BeurkG hinzugezogenen Vertrauensperson die Verständigung nicht möglich ist, wie es etwa bei blinden oder sonst leseunfähigen Taubstummen der Fall sein kann1. Gegen diese Einschränkung bestehen auch nach der Entscheidung des BVerfG keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da die genannte Entscheidung die §§ 22 bis 26 BeurkG ausdrücklich als unbedenkliche Übergangsregelungen benennt.

27

d) Voraussetzung der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit bei Abschluss eines Erbvertrags Anders als beim Testament knüpft das Gesetz beim Erbvertrag nicht an die Testierfähigkeit des Erblassers, sondern an seine Geschäftsfähigkeit (§ 2275 Abs. 1 BGB). Nach §§ 2, 104, 105 und 106 BGB ist unbeschränkt geschäftsfähig jeder Volljährige, der nicht geschäftsunfähig ist. Von den in § 2275 Abs. 2 und 3 BGB normierten Ausnahmefällen abgesehen, kann ein Mensch zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr also keinen Erbvertrag als Erblasser abschließen.

28

Nach § 2275 Abs. 2 BGB kann ein Erblasser mit seinem Ehegatten einen Erbvertrag schließen, auch wenn er nur beschränkt geschäftsfähig ist. Der Erblasser benötigt in diesem Fall die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Ist der gesetzliche Vertreter auch Vormund, ist daneben die Zustimmung des Familiengerichts erforderlich. Für Verlobte gilt § 2275 Abs. 2 BGB entsprechend (§ 2275 Abs. 3 BGB). Da für das Verlöbnis keine volle Geschäftsfähigkeit, sondern nur die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich ist, kann ein Erbvertrag auch zwischen Verlobten geschlossen werden, von denen der eine jünger ist als 16 Jahre. Damit kann ein Erbvertrag von einem Verlobten geschlossen werden, der kein Testament errichten könnte.

29

Auch einen Aufhebungsvertrag nach § 2290 BGB kann der Erblasser, ebenso wie den Erbvertrag, nur persönlich schließen (§ 2290 Abs. 2 S. 1). Der (nachträglich) geschäftsunfähige Erblasser kann einen Aufhebungsvertrag daher gar nicht schließen. Zur Aufhebung bedarf der beschränkt geschäftsfähige Erblasser weder der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters (§§ 106, 2290 Abs. 2 S. 2 BGB) noch der Genehmigung durch das Gericht. Von den Ausnahmefällen des § 2275 Abs. 2, 3 BGB abgesehen kann der Erblasser jedoch auch keinen neuen Erbvertrag schließen. Ist für den Erblasser ein Betreuer bestellt, kann das Betreuungsgericht gem. § 1903 Abs. 2 BGB keinen Einwilligungsvorbehalt für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags anordnen.

30

Für den Erbvertragspartner, der nicht zugleich Erblasser ist, gelten bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags die allgemeinen Regeln über die Geschäftsfähigkeit, die gesetzliche Vertretung und die gewillkürte Vertretung gem. §§ 104 ff., 164 ff. BGB. Gleiches gilt für den Abschluss eines Erbvertrags. Ist der Erbvertragspartner geschäftsunfähig, kann sein gesetzlicher Vertreter für ihn handeln (§§ 1626, 1793 BGB). Ist er beschränkt geschäftsfähig, kann der Erbvertragspartner einen Aufhebungsvertrag nur mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters abschließen, soweit der Minderjährige durch den Aufhebungsvertrag nicht ledig-

31

1 Vgl. Rossak, „Folgen des verfassungswidrigen Ausschlusses Mehrfachbehinderter von jeglicher Testiermöglichkeit für die notarielle Praxis“, ZEV 1999, 254 (255). Esser

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B II

Rz. 32

Formen letztwilliger Verfügung

lich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Steht der Erbvertragspartner unter Vormundschaft oder erfasst die Aufhebung den Aufgabenkreis eines Betreuers, ist zudem die betreuungsgerichtliche Genehmigung erforderlich. e) Eingeschränkte Testierfreiheit aufgrund Höferechts 32

Eine Beschränkung der Testierfreiheit aufgrund des Höferechts der Länder (s. hierzu ausführlich Kap. B XIII) ist nicht mehr möglich. Zwar bestehen gem. Art. 64 Abs. 1 EGBGB die in den einzelnen Ländern historisch gewachsenen Regelungen über das Anerbenrecht weiter. Art. 64 Abs. 2 EGBGB bestimmt jedoch ausdrücklich, dass die Landesgesetze das Recht des Erblassers, über das dem Anerbenrecht unterliegende Grundstück von Todes wegen zu verfügen, nicht beschränken.

33

Soweit die als partielles Bundesrecht geltende und somit Art. 64 EGBGB nicht unterfallende Höfeordnung der Britischen Besatzungszone1 Einschränkungen der Testierfreiheit in den Ländern Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen vorsieht, sind diese durch das Änderungsgesetz zur Höfeordnung2 jedoch nur noch geringfügig, da seither die Hofeigenschaft aufgehoben werden kann.

34

Landesrechtliche Sonderregelungen über das Anerbenrecht, die mit Art. 14 GG vereinbar sind, gibt es nur in vier Bundesländern: Bremen (HöfeG), Hessen (Hessische LandesgüterO), Rheinland-Pfalz (HöfeO) und Baden-Württemberg (jeweils eigene für Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, wovon die württembergischen Vorschriften am 31.12.2000 außer Kraft getreten sind)3. 3. Schranken der Testierfreiheit

35

Das Erbrecht wird vom Grundsatz der Testierfreiheit beherrscht. Danach kann jeder Erblasser nach freiem Ermessen über sein Vermögen verfügen4. Das Erbrecht folgt fünf grundsätzlichen Prinzipien, die zum Teil auch verfassungsrechtlich garantiert werden: – Das Vermögen des Erblassers wird wieder in private Hand gelegt (Privaterbfolge). – Sofern der Erblasser nicht anders verfügt, geht sein Vermögen auf seine Familie über (Familienerbrecht). – Der Erblasser kann weitgehend frei verfügen (Testierfreiheit). – Der Erbe erwirbt ohne seine Mitwirkung (Vonselbsterwerb). – Das Erbe geht als Ganzes über (Gesamtrechtsnachfolge).

36

Die Testierfreiheit als Bestandteil der Erbrechtsgarantie ist verfassungsrechtlich verankert und untersteht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG5. Sie umfasst 1 2 3 4 5

In Kraft seit 24.4.1947. In Kraft seit 1.7.1976. Vgl. dazu näher Palandt/Weidlich, Art. 64 EGBGB Rz. 2. BGH v. 2.12.1998 – IV ZB 19/97, FamRZ 1999, 580 = MDR 1999, 360. BGH v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89, BGHZ 111, 36 (39) = MDR 1990, 906 = FamRZ 1990, 730.

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Rz. 39

das Recht auf Bestimmung des Vermögensnachfolgers, auf rechtliche und wirtschaftliche Aufteilung des Vermögens, auf Einsetzung mehrerer Erben und Bestimmung ihrer Anteile sowie auf Vornahme sonstiger testamentarischer Verfügungen. Die Testierfreiheit betrifft somit unmittelbar die inhaltliche Gestaltung des Testaments1. Der deutsche Erblasser, dessen zu vererbendes Vermögen sich ausschließlich in Deutschland befindet, kann jedoch eine Rechtswahl für die Erbfolge oder erbrechtlichen Ansprüche nicht frei treffen. Eine solche Wahlmöglichkeit besteht nur im Fall des Art. 25 Abs. 2 EGBGB, der dem ausländischen Erblasser ermöglicht, für im Inland belegenes unbewegliches Vermögen in Form einer Verfügung von Todes wegen deutsches Recht zu wählen. Die Rechtswahl gilt nur hinsichtlich des in der Bundesrepublik belegenen unbeweglichen Vermögens. Der Begriff des unbeweglichen Vermögens ist hier i.S.d. deutschen Rechts zu verstehen2.

37

Immobilienvermögen im Ausland führt i.d.R. zu einer Nachlassspaltung. Die Folge ist, dass für das im Ausland befindliche Vermögen ausschließlich das dortige Recht gilt. So kennt das Erbrecht Floridas z.B. ein eigenhändiges Testament nur in der Form des Zwei-Zeugen-Testaments. Der BGH hält das nach deutschem Recht errichtete Testament auch bezüglich des in Florida vorhandenen Vermögens für rechtswirksam3. Es muss jedoch damit gerechnet werden, dass das Testament wegen Formmangels in Florida nicht anerkannt wird und dadurch den Erben Verfügungsmöglichkeiten vor Ort erheblich erschwert werden.

37a

Aus diesem Grund muss bei der Errichtung eines Testaments mit Auslandsbezug immer das jeweils geltende Landesrecht berücksichtigt werden.

37b

a) Gesetzliche Schranken der Testierfreiheit aa) Pflichtteilsrecht Die Testierfreiheit wird beschränkt durch das Pflichtteilsrecht, §§ 2303 ff. BGB. Diese durch Art. 6 GG legitimierten sozialstaatlichen Vorschriften sichern den nächsten Angehörigen des Erblassers einen Mindestanteil an seinem Vermögen4 (s. Kap. C VI).

38

bb) §§ 134, 138 BGB Auch die §§ 134, 138 BGB beschränken die Testierfreiheit des Erblassers. Die Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen gem. § 138 BGB kann nur in besonderen Ausnahmefällen bejaht werden, da sie einen erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie des Erbrechts darstellt5. Grund1 Palandt/Weidlich, § 1937 Rz. 3. 2 Palandt/Thorn, Art. 25 EGBGB Rz. 7. 3 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 135/03, MDR 2004, 1423 = FamRZ 2004, 1562 = NJW 2004, 3558. 4 BGH v. 2.12.1998 – IV ZB 19/97, FamRZ 1999, 580 = MDR 1999, 360 (361). 5 BGH v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89, BGHZ 111, 36 (39) = MDR 1990, 906 = FamRZ 1990, 730. Esser

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Rz. 40

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sätzlich ist die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts gegeben, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt1. 40

Was unter dem Begriff der „guten Sitten“ gem. § 138 Abs. 1 BGB zu verstehen ist, richtet sich nach der Werteordnung des Grundgesetzes, normiert in den Grundrechten2, die über § 138 BGB in das Privatrecht hineinwirken3. Einer der früher häufigen Fälle sittenwidriger Verfügungen von Todes wegen war das sog. Geliebtentestament. Beispiel: Der verheiratete M, Vater zweier Kinder, setzt seine langjährige Geliebte L zur Alleinerbin seines beträchtlichen Vermögens ein.

41

Die frühere Rechtsprechung ging davon aus, dass die Sittenwidrigkeit eines Geliebtentestaments bereits deswegen angenommen werden konnte, weil zwischen dem Zuwendenden und der Bedachten ein außereheliches Liebesverhältnis bestand4. Die heutige Rechtsprechung5 nimmt jedoch eine Sittenwidrigkeit des Geliebtentestaments nur noch dann an, wenn die Zuwendung ausschließlich dazu dient, geschlechtliche Hingabe zu belohnen oder zu fördern. Da die Beweislast für die sittenwidrige Zweckbestimmung denjenigen trifft, der sich auf die Sittenwidrigkeit beruft – und im Gegensatz zur alten Rechtsprechung auch nicht mehr die Unsittlichkeit eines Verhältnisses vermutet wird, wenn zwischen Erblasser und Bedachter eine sexuelle Beziehung bestand6 – ist die Nichtigkeit von Geliebtentestamenten nach § 138 BGB heute praktisch kaum mehr denkbar7.

Beratungshinweis: Trifft der Erblasser eine Anordnung zugunsten einer der Familie bis dato unbekannten Geliebten, kann es empfehlenswert sein, die außereheliche Beziehung zur Vermeidung späterer Streitigkeiten in der letztwilligen Verfügung zu offenbaren und achtenswerte Motive (z.B. Hilfe in einer besonderen Lebenssituation durch die Geliebte) herauszustellen. 41a

Als nicht sittenwidrig wurde auch eine Anordnung festgestellt, durch die ein Erblasser mit dem Ziel, einen (Adoptiv-)Sohn möglichst weitgehend von der Teilhabe an seinem Vermögen auszuschließen, den vom Sohn abstammenden Enkel als Vorerben eingesetzt und den Eintritt der Nacherbfolge u.a. an die Bedingung geknüpft hat, dass der enterbte Sohn Pflichtteilsansprüche geltend macht8. Der als Vorerbe eingesetzte Enkel sah hierin eine Sittenwidrigkeit, da man den enterbten Vater in einen Gewissenskonflikt versetzt und man weiter 1 RG v. 15.10.1912 – VII ZR 231/12, RGZ 80, 219 (221); BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228 (232). 2 BGH v. 2.12.1998 – IV ZB 19/97, FamRZ 1999, 580 = MDR 1999, 360 (361). 3 BVerfGE 7, 198 (206); BGH v. 9.2.1978 – III ZR 59/76, BGHZ 70, 313 (324). 4 RG v. 16.5.1941 – VII 143/40, RGZ 166, 395 (399); alte Sichtweise des BGH noch BGH v. 26.2.1968 – III ZR 38/95, NJW 1968, 932 ff. 5 Seit BGH v. 31.3.1970 – III ZB 23/68, BGHZ 53, 369. 6 BGH v. 31.3.1970 – III ZB 23/68, BGHZ 53, 369 (379). 7 Zur Frage der Sittenwidrigkeit der Erbeinsetzung eines Lebenspartners unter Übergehung von nahen Angehörigen vgl. BayObLG v. 24.7.2001 – 1Z BR 20/01, NJW-FER 2001, 295. 8 OLG Hamm v. 11.1.2005 – 15 W 391/03, ZEV 2006, 167. 110

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Rz. 44

in sittenwidriger Weise das sich aus § 1618a BGB ergebende Rücksichtnahmegebot im Eltern-Kind-Verhältnis verletzt habe. Die Gerichte lehnten eine Sittenwidrigkeit ab, da nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen eine solche angenommen werden könne. Der Entscheidungskonflikt des Vaters habe hier nicht in einem solchen Umfang bestanden, dass ihn eine Entscheidung in unerträglicher Weise belasten oder aber das zwischen ihm und seinem Sohn bestehende Verhältnis in nicht mehr hinnehmbaren Maße beeinträchtigen konnte. Im speziellen Fall sei der Familienverbund durch das Verhältnis des Sohnes zum Erblasser bereits so empfindlich gestört gewesen, dass sich ein Gewissenskonflikt bereits vom GrundS. her nicht ergeben habe. Auch bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften wird bei einer Verfügung von Todes wegen zugunsten des Partners kein Verstoß gegen die guten Sitten angenommen.

42

Beim Behindertentestament liegt keine Sittenwidrigkeit vor, wenn durch Verfügung von Todes wegen ein behindertes Kind auf Lebenszeit zusätzlich zu den Leistungen des Sozialamts mit laufenden Einkünften bedacht wird, der Nachlass aber dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen ist1. Auch wenn der Aufwendungsersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nicht durchgesetzt werden kann, weil durch Vor- und Nacherbenbestimmungen oder die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers nach dem Tod des Behinderten dessen Erbteil dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen wird, stellt dies keine sittenwidrige Regelung dar2 (s. Kap. B VIII Rz. 12 ff.)

43

Beratungssituation: Für den Erbteil des behinderten Kindes wird Dauertestamentsvollstreckung bis zum Tod angeordnet. Der Testamentsvollstrecker erhält vom Erblasser die Anweisung, dem Behinderten aus den Erträgen des Erbteils Zuwendungen zu machen, die in der Höhe so zu berechnen sind, dass sie möglichst nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden3. Ebenso wird nicht die Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen angenommen, wenn Eltern ihrem behinderten Kind nur einen unwesentlich über der Pflichtteilsquote liegenden Erbteil hinterlassen, auch wenn das Kind infolge dieser Anordnung finanziell fast ausschließlich auf öffentliche Unterstützung angewiesen ist4.

43a

cc) Potestativbedingungen Immer wieder verbindet ein Erblasser mit einer Verfügung von Todes wegen Potestativbedingungen, also Bedingungen, deren Eintritt oder Nichteintritt vom Willen des Bedachten abhängt. Grundsätzlich sind solche Potestativbedingungen zulässig, wie sich auch aus § 2075 BGB ergibt. Potestativbedingungen sind jedoch immer dann unstreitig sittenwidrig, wenn das Verhalten, zu dem der Be1 BGH v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89, BGHZ 111, 36 (39) = MDR 1990, 906 = FamRZ 1990, 730. 2 BGH v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92, BGHZ 123, 368 = MDR 1994, 591 = FamRZ 1994, 162. 3 S.a. Esser, Die Testamentsvollstreckung, S. 21. 4 Nieder, Das Behindertentestament, NJW 1994, 1264 (1266). Esser

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B II

Rz. 44a

Formen letztwilliger Verfügung

dachte veranlasst werden soll, seinerseits gesetz- oder sittenwidrig ist. Eine Bedingung, die z.B. die Zuwendung von einer strafbaren Handlung abhängig macht, ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Auch der Versuch des Erblassers, durch seine Zuwendung auf bestimmte Entscheidungen des Bedachten Einfluss zu nehmen, kann gegen die guten Sitten verstoßen. Entscheidend für die Abgrenzung ist, ob eine gegen die guten Sitten verstoßende Verknüpfung von Mittel und Zweck vorliegt, d.h., ob der Erblasser durch wirtschaftlichen Anreiz in einer gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten des Bedachten zu erkaufen versucht1. Daher ist immer jeder Einzelfall zu untersuchen. 44a

Bedingungen, die sich auf die Verwaltung des vererbten Vermögens beziehen, widersprechen im Allgemeinen nicht den guten Sitten. Beispiel: Die Bedingung, einen bestimmten Gesellschaftsvertrag abzuschließen, ist ebenso möglich wie die Vorgabe, im Falle einer Heirat Gütertrennung zu vereinbaren oder das ererbte Vermögen vom Zugewinnausgleich auszuschließen. Möglich ist auch die Anordnung der Testamentsvollstreckung für die Dauer der Zugehörigkeit des Erben zu einer bestimmten, umstrittenen Sekte2.

Beratungshinweis: Bedingungen sollten sich auf die Verwaltung des vererbten Vermögens beziehen. Hintergrund der Bedingung sollte eine nachvollziehbare, vernünftige Sorge um die sinnvolle Nutzung und Bewahrung des Vermögens sein. 44b

Bedingungen, die zu dem zugewandten Vermögen keinen unmittelbaren Bezug haben, sind in der Regel sittenwidrig. Hierzu zählt z.B. die Einflussnahme auf die Berufswahl oder den Wohnsitz des Bedachten, soweit sich keine vernünftige sachliche Rechtfertigung aus dem Zugewendeten ergibt.

44c

Ein Verstoß gegen die guten Sitten ist anzunehmen, wenn die Bedingung in keiner Beziehung zu dem zugewendeten Vermögen steht. Beispiel: Ein- oder Austritt aus einer politischen Partei, Wechsel der Konfession, Heirat einer bestimmten Person, Scheidung vom derzeitigen Ehegatten.

44d

Die sog. Wiederverheiratungsklausel hingegen, wonach der zunächst zum Alleinerben eingesetzte überlebende Ehegatte bei Wiederheirat auf den gesetzlichen Erbteil zu beschränken ist und den Abkömmlingen ihren Erbteil zukommen zu lassen hat, ist jedoch regelmäßig wirksam3. Sollte jedoch die Wiederverheiratungsklausel den überlebenden Ehegatten dahin gehend beschränken, dass er nicht einmal den Pflichtteil verlangen oder behalten kann, wäre diese Klausel sittenwidrig4.

1 2 3 4

Staudinger/Otte, § 2074 Rz. 34 ff., MüKo.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 21. OLG Düsseldorf v. 2.3.1988 – 3 Wx 290/87, NJW 1988, 2615. MüKo.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 25. Soergel/Linz, § 2074 Rz. 27.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 46d

dd) Rechtsfolgen bei sittenwidrigen Bedingungen Ist eine Bedingung unwirksam, weil der Erblasser mit ihr in unzulässiger Weise in die Freiheitsrechte des Bedachten eingreifen wollte, bleibt die Zuwendung ohne die Bedingung aufrechterhalten1.

45

ee) Verwirkungsklauseln Von Verwirkungsklauseln spricht man, wenn der Erblasser demjenigen, der gegen seinen letzten Willen vorgeht, androht, er solle nichts oder nur den Pflichtteil erhalten. Verwirkungsklauseln werden auch Strafklauseln, privatorische oder kassatorische Klauseln genannt. Zweck der Klauseln ist es, die Verwirklichung des letzten Willens zu sichern und Streitigkeiten unter den Hinterbliebenen zu verhindern.2

46

Beispiel: Sollte mein Sohn H gegen das Vermächtnis zugunsten der Haushälterin Anneliese vorgehen, die mein Diamantkollier erhalten soll, wird er hiermit von der Erbfolge ausgeschlossen.

Eine Verwirkungsklausel kann nicht nur mit z.B. Enterbung für den Fall des Vorgehens gegen eine Verfügung verbunden sein. Sie kann auch auf die Abgabe einer Erklärung dahin gehend gerichtet sein, dass der Erbe die Anordnungen des Erblassers anerkennt.

46a

Beratungshinweis: Unklare Formulierungen wie „Wer Streit anfängt …“ oder „wer damit nicht einverstanden ist …“ können dazu führen, dass man nur schwer erkennen kann, was tatsächlich Voraussetzung für die Verwirkung ist. Zu unbestimmte Formulierungen könnten daher für unwirksam erklärt werden. Auf eine klare und bestimmte Formulierung des unerwünschten Verhaltens sowie der Rechtsfolge ist daher zu achten. Von der Verwirkungsklausel sind neben dem konkreten Angriff der bestimmten Anordnung auch Angriffe auf die Gültigkeit des Testaments überhaupt umfasst.

46b

Wird die Unechtheit, ein Formmangel oder die Testierunfähigkeit des Erblassers für das gesamte Testament festgestellt bzw. mit Erfolg geltend gemacht, wirkt die Klausel nicht, da sie ebenfalls von der Nichtigkeit umfasst ist. Beschränkt sich die erfolgreich geltend gemachte Nichtigkeit nur auf einen Teil des Testaments, ist die Verwirkungs- oder Strafklausel ebenfalls nicht anzuwenden3. Ähnliches gilt für die erfolgreiche Anfechtung eines Testaments oder eine bestimmte Auslegung des letzten Willens. Erfolgreiche Angriffe gegen Verfügungen von Todes wegen sind daher nicht von einer Verwirkungsklausel erfasst.

46c

Problematisch in der Beurteilung sind unbegründete Angriffe gegen die Gültigkeit eines Testaments. Abzustellen ist hier auf das Verschulden des Angreifenden. Der Erblasser hat ein berechtigtes Interesse daran, schuldhafte und unbegründete Angriffe gegen seinen letzten Willen mit einer Strafe zu belegen. Geht

46d

1 Staudinger/Otte, § 2074 Rz. 66; MüKo.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 28. 2 Birk, DNotZ 1972, 284 (286). 3 MüKo.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 35. Esser

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B II

Rz. 47

Formen letztwilliger Verfügung

ein Bedachter daher wider besseres Wissen oder fahrlässig, also ohne Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht1, gegen das Testament vor, verwirkt er sein Erbrecht. Die Strafklausel ist aber dann nichtig, soweit sie auch für den Fall gelten soll, dass der Betroffene nach seiner Überzeugung und hinreichend sorgfältiger Prüfung die Unechtheit, Nichtigkeit, Anfechtung oder eine bestimmte Auslegung geltend macht2. ff) Klauseln in gemeinschaftlichen Testamenten 47

In gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen wird häufig die Formulierung gewählt, dass die zum Schlusserben nach dem zweitversterbenden Ehegatten bestimmten Erben auch beim zweiten Erbfall nur den Pflichtteil erhalten sollen, wenn sie bereits beim ersten Erbfall den Pflichtteil geltend machen.

M 14 Pflichtteilsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament Verlangt eines unserer Kinder nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil, erhält es, ebenso wie seine Abkömmlinge, auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur den Pflichtteil. 47a

Die Gültigkeit dieser Klausel ist unbestritten3. Um zu verhindern, dass der im ersten Erbgang den Pflichtteil geltend Machende mehr als den Pflichtteil erhält, kann dem Schlusserben ein Vermächtnis in Höhe des gesetzlichen Erbteils zugewandt werden, das mit dem Tod des zweiten Ehegatten fällig wird (sog. Jastrow’sche Klausel)4.

M 15 Jastrow’sche Klausel in einem gemeinschaftlichen Testament Das Kind, das den Pflichtteil nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils nicht gefordert hat, erhält aus dem Nachlass des Erstversterbenden ein Geldvermächtnis im Wert des gesetzlichen Erbteils. Dieses Vermächtnis wird aus dem Vermögen des Erstversterbenden, aber erst nach dem Tod des Längerlebenden bezahlt.

gg) Veräußerungsverbote 48

Der Erblasser kann einem Erben oder Vermächtnisnehmer durch eine Auflage verbieten, einen bestimmten Nachlassgegenstand zu veräußern. Veräußert der Bedachte den Gegenstand dennoch, entfällt hierdurch die Zuwendung. Allerdings bleibt die Wirksamkeit der Veräußerung hiervon unberührt5, da dem Be1 OLG Dresden v. 16.2.1999 – 7 W 1571/98, Rpfleger 1999, 276 (277). 2 MüKo.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 37. 3 BayObLG v. 20.3.1990 – BReg.1a Z 65/88, MDR 1990, 723 = MDR 1991, 156 = FamRZ 1990, 1158 = BayObLGZ 1990, 58, 60; Lübbert, NJW 1988, 2706 (2707); Staudinger/ Otte, § 2074 Rz. 64. 4 Dittmann/Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag, 4. Aufl., Teil E Rz. 104 ff., MüKo.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 41. 5 Staudinger/Otte, § 2074 Rz. 63. 114

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 50

dachten die Verfügungsbefugnis nicht entzogen werden kann (vgl. § 137 S. 1 BGB) und der Eintritt der auflösenden Bedingung nicht zum rückwirkenden Wegfall der Zuwendung führt (vgl. § 158 Abs. 2 BGB)1. Bewirkt die Veräußerung jedoch die Nacherbfolge, können die Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB eintreten. hh) Rechtsfolgen von Verwirkungsklauseln Gem. § 158 Abs. 2 BGB entfällt die unter einer auflösenden Bedingung stehende Zuwendung, wenn der Tatbestand der Verwirkungsklausel erfüllt ist. Liegt eine auflösend bedingte Erbeinsetzung vor, tritt notwendigerweise die Nacherbfolge ein, selbst wenn der Erblasser dieses nicht ausdrücklich verfügt hat. Nacherben sind die übrigen Erben, wenn der Erblasser dies ausdrücklich bestimmt hat oder wenn es aus dem Testament im Wege der Auslegung hervorgeht. Der Erblasser kann aber auch Dritte zu Nacherben berufen. Hat der Erblasser keine ausdrücklichen testamentarischen Anordnungen getroffen, werden diejenigen Personen zu Nacherben, die zu gesetzlichen Erben berufen wären, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt des Bedingungseintritts verstorben wäre, § 2104 BGB2. Grundsätzlich ist wohl davon auszugehen, dass nach dem Zweck der Strafklausel nicht nur der Erstbedachte, sondern auch seine Abkömmlinge durch die Verwirkung enterbt sein sollen3.

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Beratungshinweis: Im Testament sollte unbedingt klargestellt werden, wer nach dem Eintritt der Bedingung Nacherbe werden soll. ii) § 14 HeimG a.F. Eine gesetzlich normierte Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers war das Zuwendungsverbot des § 14 des inzwischen durch landesrechtliche Vorschriften abgelösten HeimG4. Nach der Rechtsprechung zu dieser Vorschrift5 war es dem Träger des Heims, seinem Leiter und dessen Angehörigen, den Beschäftigten und sonstigen Mitarbeitern (auch dem Pförtner!6) untersagt, sich über das für die Unterbringung, Beköstigung und Pflege der Bewohner vereinbarte Entgelt hinaus Geld oder geldwerte Leistungen versprechen oder gewähren zu lassen, soweit es sich nicht um geringwertige Aufmerksamkeiten handelt7. Eine letztwillige Verfügung, die sich über diese Zuwendungsverbote hinwegsetzte, war nichtig nach § 134 BGB. Das Verbot der Zuwendung von Geld oder geldwerten Vorteilen an einen Heimträger über das vertragliche Entgelt hinaus schloss auch die Wirksamkeit eines Vermächtnisses eines Angehörigen aus, wenn nach dessen Annahme der Heimvertrag fortbestand8. 1 2 3 4 5 6 7 8

MüKo.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 43. MüKo.BGB/Leipold, § 2074 Rz. 44. Kipp/Coing, § 80 I 4; Strobel, MDR 1980, 363 (364). BGH v. 9.2.1990 – V ZR 139/88, MDR 1990, 610 = FamRZ 1990, 616 = NJW 1990, 1603 (1604); BayObLG v. 28.6.1991 – BReg.1a Z 3/90, FamRZ 1991, 1354 = NJW 1992, 55 (56). In der Fassung des Änderungsgesetzes v. 23.4.1990. OLG Frankfurt v. 29.1.2001 – 20 W 71/99, FamRZ 2001, 1172 = NJW 2001, 1504 = ZEV 2001, 364. Ausf. Darstellung mit vielen Beispielen in Nieder, Rz. 254. OLG München v. 20.6.2006 – 33 Wx 119/06, FamRZ 2007, 212 = NJW 2006, 2642. Esser

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B II

Rz. 51

Formen letztwilliger Verfügung

51

War der Heimträger eine GmbH, welche das Pflegeheim von einer Stiftung nur gemietet hatte, verstieß die Erbeinsetzung dieser Stiftung dann nicht gegen § 14 HeimG, wenn keine besondere persönliche Verflechtung zwischen der GmbH und der Stiftung bestand1.

52

Mittlerweile wurde das HeimG durch landesrechtliche Regelungen in allen Bundesländern abgelöst (Baden-Württemberg: Gesetz für unterstützende Wohnformen, Teilhabe und Pflege (WTPG), Bayern: Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoqG), Berlin: Wohnteilhabegesetz (WTG), Brandenburg: Brandenburgisches Pflege- und Betreuungswohngesetz (BbgPBWoG), Bremen: Bremisches Wohn- und Betreuungsgesetz (BremWoBeG), Hamburg: Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz (HmbWBG), Hessen: Hessisches Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen (HGBP), Mecklenburg-Vorpommern: Einrichtungenqualitätsgesetz (EQG), Niedersachsen: Niedersächsisches Heimgesetz (NHeimG), Nordrhein-Westfalen: Wohn- und Teilhabegesetz (WTG), Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG), Saarland: Landesheimgesetz Saarland (LHeimGS), Sachsen: Betreuungs- und Wohnqualitätsgesetz, SachsenAnhalt: Wohn- und Teilhabegesetz (WTG-LSA), Schleswig-Holstein: Selbstbestimmungsstärkungsgesetz (SbStG), Thürgen: Thüringer Gesetz über betreute Wohnformen und Teilhabe). Keines der landesrechtlichen Gesetze enthält ein ausdrückliches Zuwendungsverbot, wie dies bereits bei § 14 HeimG festzustellen war. Allerdings erging das Landesrecht vor dem Hintergrund der gefestigten Rechtsprechung, welche die Regelung aus dem HeimG auf Testamente anwendete. Durch die inhaltsgleiche Übernahme wird dieses noch bekräftigt.2 b) Vertragliche Schranken

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Eine vertragliche Beschränkung der Testierfreiheit ist gem. § 2302 BGB grundsätzlich nicht möglich; eine entsprechende Verpflichtung, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben, ist nichtig.

54

Eine vertragliche Beschränkung der Testierfreiheit ist jedoch insoweit möglich, als sich der Erblasser durch Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments oder Abschluss eines Erbvertrags bindet, wie sich aus § 2289 BGB und § 2271 BGB ergibt.

55

Über seinen Wortlaut hinaus wird § 2302 BGB entsprechend auf testamentarische Auflagen des Erblassers zur Beschränkung der Testierfreiheit anderer angewendet, etwa die Beschwerung des Bedachten mit der Verpflichtung, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben3.

56

Dagegen ist die Verknüpfung der Zuwendung mit einer Bedingung grundsätzlich zulässig, weil durch sie nur die Zuwendung, nicht jedoch die Testierfreiheit beschränkt wird. In solchen Fällen kann jedoch ein Verstoß gegen §§ 134, 138 BGB vorliegen4. 1 2 3 4

BayObLGZ 2003, 136 (139 f.). Roth, Tagungsbericht zum 3. Bochumer Erbrechtssymposium, ZEV 2012, Heft 9, S. X. Palandt/Weidlich, § 2302 Rz. 3. Palandt/Weidlich, § 2074 Rz. 4.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 61

Beispiel: Erblasser R hinterlässt seinem Sohn sein Haus mit der Auflage, dass die Versorgung seiner beiden Hunde gewährleistet sein muss. Diese Bedingung ist zulässig.

4. Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung der Testierfähigkeit Die Testierfähigkeit des Erblassers muss bei Errichtung des Testaments gegeben sein. Unerheblich ist, ob der Erblasser zu irgendeinem Zeitpunkt vor oder nach der Testamentserrichtung testierunfähig gewesen ist1. Folglich sind auch solche Verfügungen von Todes wegen wirksam, die von Testierunfähigen wegen geistiger Insuffizienz i.S.d. § 2229 Abs. 4 BGB in lichten Augenblicken errichtet werden2.

57

Bei einer notariellen Testamentserrichtung muss die Testierfähigkeit während der Abgabe der Erklärungen gegenüber dem Notar vorliegen. Bei der Verlesung und mündlichen Genehmigung des notariell erstellten Testaments genügt es, wenn der Testierer noch allgemein die Bedeutung des Testaments verstehen kann und in seiner Entschlussfähigkeit frei ist3.

58

Beratungshinweis: Obwohl der Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig gilt, empfiehlt es sich, die Testierfähigkeit bei Anhaltspunkten möglicher altersbedingter Testierunfähigkeit ärztlich bescheinigen zu lassen. 5. Beweis- und Verfahrensfragen Die Testierunfähigkeit bildet die Ausnahme. Der Erblasser gilt daher bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig. Beweispflichtig für die mangelnde Testierfähigkeit ist derjenige, der sie im Prozess behauptet4. Das Gericht muss völlige Gewissheit über die Testierunfähigkeit haben5. Die Umstände oder Verhaltensweisen, die auf einen Mangel der Testierfähigkeit hindeuten, sind wegen der Tragweite umfangreich und sorgfältig zu ermitteln6.

59

Im Erbscheinsverfahren ist die Testierfähigkeit gem. § 2358 BGB, § 26 FamFG von Amts wegen zu prüfen, wenn für den Beweis der pauschal behaupteten Testierunfähigkeit des Erblassers Umstände aufgrund von objektivierbaren Tatsachen oder Hilfstatsachen7 dargelegt werden, die an der Testierfähigkeit zweifeln lassen8.

60

Zur Feststellung der Testierunfähigkeit des Erblassers ist regelmäßig ein Gutachten von einem fachkundigen ärztlichen Sachverständigen, vorzugsweise einem Arzt für Nervenkrankheiten, erforderlich (ein Allgemeinmediziner genügt die-

61

1 2 3 4 5

Nieder, Rz. 341. Nieder, Rz. 341. BGH v. 1.7.1959 – V ZR 169/58, BGHZ 30, 294; MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 3. BayObLG v. 3.8.1989 – BReg.1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346 (1347). OLG Frankfurt v. 15.11.1995 – 20 W 144/94, FamRZ 1996, 970 = NJW-RR 1996, 1159; Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 11. 6 OLG Frankfurt v. 22.12.1997 – 20 W 264/95, FamRZ 1998, 1061 = NJW-RR 1998, 870; OLG Frankfurt v. 15.11.1995 – 20 W 144/94, FamRZ 1996, 970 = NJW-RR 1996, 1159. 7 OLG Düsseldorf v. 1.6.2012 – I-3 Wx 273/11, FamRZ 2013, 159. 8 OLG Hamm v. 13.3.1989 – 15 W 40/89, OLGZ 1989, 271 (274). Esser

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B II

Rz. 62

Formen letztwilliger Verfügung

sen Anforderungen nicht1). Dem Sachverständigen sind alle Anknüpfungstatsachen vorzulegen, und diese sind durch ihn auszuwerten. 62

Wegen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ist das Gericht jedoch nicht an das Ergebnis des Gutachtens gebunden und muss verbleibenden Zweifeln weiter nachgehen, bspw. durch Einholen eines Obergutachtens oder Beauftragung eines Sachverständigen mit überlegenen Forschungsmitteln2. Wird das Vorliegen eines lichten Augenblicks medizinisch für möglich gehalten, ist dessen eventuelles Vorliegen sorgfältig zu prüfen und aufzuklären3.

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Ein Anscheinsbeweis für die Testierunfähigkeit besteht, wenn diese unmittelbar vor oder nach der Testamentserrichtung festgestellt wird. Das setzt voraus, dass das Nachlassgericht nicht von wechselnden Zuständen des Erblassers ausgeht, sondern eine anhaltende Testierunfähigkeit annimmt4. Bereits die ernsthafte Möglichkeit eines lichten Intervalls erschüttert jedoch den Anscheinsbeweis. Die Darlegungs- und Beweislast für die Möglichkeit einer Testierfähigkeit trägt derjenige, der Rechte aus dem Testament herleitet5. Bei verbleibenden, nicht behebbaren Zweifeln ist grundsätzlich von der Testierfähigkeit des Erblassers auszugehen6.

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Im Verfahren der Rechtsbeschwerde nach § 70 FamFG können die Tatsachenfeststellung und die Beweiswürdigung nur insoweit geprüft werden, als Gesetzesverletzungen i.S.v. § 72 FamFG in Rede stehen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Sachverhalt nicht gem. § 26 FamFG hinreichend erforscht wurde oder bei der Erörterung der Entscheidungsgründe gem. § 69 FamFG wesentliche Umstände unberücksichtigt geblieben sind7. Eine Entscheidung kann jedoch nicht deshalb mit der Beschwerde angegriffen werden, weil die Folgerungen des Gerichts nicht die einzig möglichen oder nicht zwingend gewesen sind. Es genügt, wenn sich der Schluss des Gerichts, nach Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände unter Beachtung feststehender Denkgesetze und Erfahrungssätze, als eine sachentsprechende Beurteilung darstellt8.

II. Das Testament 65

Das Testament ist die einseitige Verfügung des Erblassers von Todes wegen. Die in der Willenserklärung „Testament“ angeordneten Rechtsfolgen treten erst mit dem Tod des Erblassers ein. Ein Testament kann alle oder auch nur einige der im Erbrecht möglichen Verfügungen und Anordnungen enthalten. Dies sind die Erbeinsetzung, das Vermächtnis, Auflagen, die Anordnung der Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnungen sowie weitere sonstige Anordnungen. 1 BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 206/82, FamRZ 1984, 1003. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2229 Rz. 10 m.w.N. 3 BayObLG v. 1.8.1979 – BReg.1 Z 16/79, FamRZ 1980, 505 = BayObLGZ 1979, 256 (261 ff.). 4 OLG Köln v. 26.8.1991 – 2 Wx 10/91, FamRZ 1992, 729 = NJW-RR 1991, 1412; Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 11. 5 BayObLG v. 28.12.1993 – 1Z BR 85/93, FamRZ 1994, 1137 = ZEV 1994, 303. 6 Erman/Kappler/Kappler, § 2229 Rz. 9. 7 Soergel/Mayer, § 2229 Rz. 40. 8 BayObLG v. 22.10.1984 – BReg.1 Z 53/84, FamRZ 1985, 539 (540). 118

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 70

Das Gesetz sieht folgende Testamentsformen vor:

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– das öffentliche Testament (§ 2232 BGB) und – das eigenhändige Testament (§ 2247 BGB) als ordentliche Testamentsformen (§ 2231 BGB) sowie – die in §§ 2249–2251 BGB geregelten außerordentlichen Testamentsformen. – die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments, in dem Ehegatten und gleichgeschlechtliche Lebenspartner gemeinsam und mit gewissen Formerleichterungen über ihr Vermögen verfügen können, § 2265 BGB1. 1. Die Formen der Verfügungen von Todes wegen a) Formstrenge im Erbrecht Im Gegensatz zu schuldrechtlichen Rechtsgeschäften unterliegen die Verfügungen von Todes wegen einem strengen Formzwang. Da letztwillige Verfügungen ihre Wirkung erst nach dem Tod des Erblassers entfalten, soll hierdurch sichergestellt werden, dass der letzte Wille unmissverständlich feststeht2 – dies auch um Erbstreitigkeiten zu verhindern. Zudem soll durch den Formzwang gewährleistet werden, dass die letztwillige Verfügung als ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft tatsächlich vom Erblasser selbst stammt (Identitätsfunktion). Dies gilt für die ordentlichen Testamente (§§ 2231, 2247) und den Erbvertrag (§ 2776) ebenso wie für die außerordentlichen Testamentsformen. Gerade die Testamentsformen, die für die Fälle einer besonderen Notlage des Erblassers vorgesehen sind, zeigen, dass bestimmte zwingende Formvorschriften zum Schutz des Testierenden unverzichtbar sind.

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Die Formstrenge im deutschen Erbrecht soll zum einen die Durchsetzung der grundrechtlich geschützten Gestaltung der Erbfolge sichern, zum anderen, trotz des Todes des Erblassers, Gewissheit über Geltung und Inhalt seines letzten Willens bringen3. Der tatsächliche Wille des Erblassers soll offensichtlich gemacht und möglichst deutlich zum Ausdruck gebracht werden4.

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Der Erblasser soll aufgrund der Formvorschriften vor übereilten und unbedachten Handlungen geschützt werden, da jede Formvorschrift, insbesondere natürlich die Schriftform gem. § 2247 BGB, ihn dazu zwingt, seinen letzten Willen zu überdenken (Schutz- und Warnfunktion)5.

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Daneben sollen die Formvorschriften für Rechtsklarheit sorgen. Der Erblasser wird durch sie gezwungen, seinen letzten Willen zu präzisieren, gegebenenfalls sogar juristischen Beistand zu suchen, damit Streitigkeiten bei Eintritt des Erb-

70

1 MüKo.BGB/Musielak, § 2265 Rz. 1. 2 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242 (246) = MDR 1981, 736 = FamRZ 1981, 662 = NJW 1981, 1737; BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80, MDR 1981, 736 = FamRZ 1981, 767 = NJW 1981, 1736. 3 Dittmann/Reimann/Bengel, Vor § 2229 Rz. 2. 4 Palandt/Weidlich, § 2231 Rz. 1. 5 Staudinger/Baumann, § 2231 Rz. 17; MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 1; Ebenroth, Rz. 193. Esser

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B II

Rz. 71

Formen letztwilliger Verfügung

falls vermieden werden können (Beweissicherungsfunktion, Kundbarmachungsfunktion). 71

Der Formzwang dient somit auch der Rechtssicherheit. Die Verfügung von Todes wegen muss als solche förmlich manifestiert werden, damit erkennbar wird, wann der Bereich der Vorerwägung verlassen und derjenige der Verfügung erreicht wird (Rechtssicherheitsfunktion)1.

72

Für das öffentliche Testament und den Erbvertrag gilt die gesetzliche Verankerung von Prüfungs-, Beratungs- und Belehrungspflichten durch den Notar. Neben die Erfüllung der sonstigen Formvoraussetzungen tritt hier noch das Beurkundungsverfahren mit den damit verbunden Formerfordernissen hinzu.

73

Ein Durchbrechen der Formstrenge stellt die sog. formlose Höfeerbbestimmung im Bereich der HöfeO dar (§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 HöfeO)2.

74

Der Verstoß gegen eine Formvorschrift löst unterschiedliche Folgen aus, abhängig davon, ob es sich um eine Soll- oder um eine Mussvorschrift handelt.

75

Ein Verstoß gegen zwingende Formvorschriften macht die Verfügung von Todes wegen nach § 125 S. 1 BGB nichtig. Auch wenn der mögliche Wille des Erblassers feststeht, kann der Formmangel nicht geheilt werden3.

75a

Soweit ein Verstoß gegen eine sog. Mussvorschrift bezüglich der Errichtung oder der äußeren Form der Verfügung von Todes wegen gegeben ist, wird die Nichtigkeit auch nicht durch wohlwollende Auslegung i.S.v. § 2084 BGB beseitigt, da diese Vorschrift bei Formmängeln grundsätzlich nicht anwendbar ist. Die Anwendung des § 2084 BGB setzt vielmehr voraus, dass bereits eine wirksame Verfügung festgestellt wurde4.

Beratungshinweis: Jede Art von Testament muss nach § 2074 BGB vom Erblasser persönlich und gem. § 2229 im Zustand der Testierfähigkeit errichtet werden5. Durch Verstoß gegen eine dieser Vorschriften wird die letztwillige Verfügung unheilbar nichtig. 76

Wird eine Sollvorschrift nicht beachtet, führt dies nicht zur Nichtigkeit der ganzen Verfügung. Bereits das Testamentsgesetz von 1938 hatte das erklärte Ziel, unnötige Formstrenge zu vermeiden, sofern nur eine zuverlässige Wiedergabe des Willens des Erblassers sichergestellt ist. Das BeurkG, welches 1970 in Kraft getreten ist, hat viele Vorschriften, die bisher zwingender Natur waren, zu Sollvorschriften umgestaltet, um die Konsequenzen eines Formverstoßes gering zu halten6. 1 Staudinger/Baumann, § 2231 Rz. 17. 2 BGH v. 14.5.1987 – BLw 2/87, BGHZ 101, 57 = MDR 1987, 932 = FamRZ 1987, 937 (61) = NJW 1988, 710. 3 BGH v. 12.3.1981 – IVa ZR 111/80, MDR 1981, 829 = FamRZ 1981, 651 = NJW 1981, 1900 (1901). 4 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 7. 5 Staudinger/Baumann, § 2231 Rz. 20. 6 Dittmann/Reimann/Bengel, vor § 2229 Rz. 4. 120

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 79

Beratungshinweis: Fehlt die Angabe des Datums oder die Bezeichnung des Orts der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen, ist das für deren Wirksamkeit grundsätzlich unschädlich. Nach § 2247 Abs. 5 BGB kommen Ortsund Zeitangaben jedoch besondere Beweisfunktionen zu (s. auch Rz. 225). aa) Heilung Die Nichtigkeit des Testaments kann durch Neuerrichtung beseitigt werden. Auch die Bestätigung nach § 141 BGB kann nur durch Neuerrichtung erfolgen, da § 141 BGB die erneute Vornahme des Rechtsgeschäfts voraussetzt1. Harder lässt es aber z.B. für ein im Zustand der Testierunfähigkeit errichtetes Testament genügen, wenn der nun wieder testierfähige Erblasser das Testament gem. § 141 Abs. 1 BGB durch eine spätere Erklärung, die dann nicht der zunächst gewählten Testamentsform zu entsprechen braucht, bestätigt2.

77

Beratungshinweis: Hat der Erblasser im Zustand der Testierunfähigkeit ein Testament errichtet, das er in einem späteren lichten Moment durch Hinzufügen einer entsprechenden Erklärung bestätigt, wird hierdurch das zunächst nichtige Testament wirksam. bb) Auslegung des Testaments Soweit es sich um Verstöße gegen den Errichtungsvorgang oder die äußere Form der Verfügung von Todes wegen handelt, kann die Nichtigkeit der Verfügung nicht durch Auslegung gem. § 2084 BGB geheilt werden, da diese Vorschrift bei Formmängeln grundsätzlich nicht anwendbar ist3. Die Abgrenzung zwischen letztwilligen Verfügungen und unverbindlichen Erklärungen erfolgt ausschließlich nach § 133 BGB; es ist dabei der Rechtsbindungswille des Erblassers zu ermitteln4.

78

Beispiel: Ist unklar, ob der Erblasser ein Testament oder nur einen Entwurf angefertigt hat, ist § 133 BGB und nicht § 2084 BGB anwendbar.

Steht aber fest, dass der Erblasser eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgegeben hat und bestehen lediglich Zweifel hinsichtlich der Natur des Rechtsgeschäfts, so kann nach h.M. § 2084 BGB entsprechend zur Anwendung kommen5. Hinsichtlich der inhaltlichen Auslegung eines formgültigen, aber unklaren Testaments wird § 2084 BGB angewendet, mit der von der Rechtsprechung gemachten Einschränkung, dass der Wille des Erblassers zumindest andeutungsweise aus dem Text hervorgehen muss (Andeutungstheorie)6. 1 Staudinger/Baumann, § 2231 Rz. 21. 2 Soergel/Mayer, § 2229 Rz. 21. 3 Dittmann/Reimann/Bengel, Abschnitt A Rz. 79; Nieder, Rz. 1045; Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 3. 4 Ebenroth, Rz. 409; Jauernig/Stürner, § 2084 Rz. 7. 5 Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 3; BGB-RGRK/Johannsen, § 2084 Rz. 2, 26. 6 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 28 ff.; a.M. Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 9, der dagegen einwendet, dass dadurch diejenigen Erblasser bevorzugt werden, die viel und unklar schreiben, im Gegensatz zu denjenigen, die sich knapp ausdrücken. Esser

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79

B II

Rz. 80

Formen letztwilliger Verfügung

cc) Restriktive Gesetzesauslegung 80

Auch die Rechtsprechung hat in den zurückliegenden Jahren durch eine restriktive Auslegung der gesetzlichen Vorschriften, insbesondere beim eigenhändigen Testament, die Folgen von Verstößen gegen Formvorschriften gemildert1. Dies aber nur insoweit, als hierdurch nicht erhebliche Nachteile für den Rechtsverkehr entstehen oder eine Verfälschung des Willens des Erblassers zu befürchten ist2. dd) Umdeutung

81

Bei Formnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen kann gegebenenfalls eine Umdeutung nach § 140 BGB in eine andere Testamentsform oder in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden die Nichtigkeit beseitigen, wenn die Verfügung alle wesentlichen Merkmale des anderen Rechtsgeschäft aufweist und dieses auch dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht3. Zweck der Umdeutung ist es, dem auf ein bestimmtes wirtschaftliches Ergebnis gerichteten erklärten Willen des Testierers zum Erfolg zu verhelfen, obwohl sich der eingeschlagene rechtliche Weg als unzulässig erweist4. Die Umdeutung verfolgt das gleiche Ziel wie die Auslegung, wodurch die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann und u.U. auch offen bleibt.

82

Auf eine klare dogmatische Abgrenzung sollte man jedoch nicht verzichten, denn während durch die Auslegung unbestimmte oder unklare inhaltliche Gestaltungen des Testaments beseitigt werden, ist im Falle der Umdeutung die gewollte rechtliche Qualifikation der Erklärung nicht unbestimmt oder unklar, sondern entweder schon nach dem nicht auslegungsfähigen Wortlaut oder jedenfalls nach den zur Auslegung heranzuziehenden Umständen nicht möglich. Somit wird die nicht geeignete, aber gewollte rechtliche Gestaltung durch eine andere ersetzt. b) Die Formen ordentlicher Testamente

83

Das Gesetz sieht zwei gleichwertige Formen des ordentlichen Testaments vor: Das öffentliche, zur Niederschrift eines Notars errichtete Testament und das private eigenhändige Testament. Es ist grundsätzlich möglich, beide Testamentsformen miteinander zu verbinden. Jedes Testament kann durch eine in anderer Form errichtete letztwillige Verfügung geändert werden. Das gilt auch für die Nottestamente. aa) Das öffentliche Testament gem. § 2232 BGB

84

Es kann gem. § 2232 BGB durch mündliche Erklärung zur Niederschrift eines Notars oder durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift an diesen errichtet werden. Die Vorschriften des BGB (§§ 2231 Nr. 1, 2232 BGB) werden 1 Kipp/Coing, ErbR, § 19 IV 3. 2 OLG Hamm v. 7.8.1959 – 15 W 268/59, Rpfleger 1959, 379. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 121 ff.; Staudinger/Otte, § 2084 Rz. 4 ff.; BGH v. 16.8.1987 – IVa ZR 74/86, NJW-RR 1987, 1410. 4 BGH v. 13.11.1963 – V ZR 56/62, BGHZ 40, 218 (222); MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 114. 122

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 87

durch die Bestimmungen des BeurkG und des BetrG ergänzt. Das Beurkundungsverfahren ist insbesondere in den §§ 1–11, 13, 16–18, 27–35 BeurkG geregelt. Die Vorteile des öffentlichen Testaments gegenüber dem eigenhändigen Testament sind:

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– Ein öffentliches Testament kann, im Gegensatz zum eigenhändigen Testament, auch von einer minderjährigen Person (ab 16 Jahren) errichtet werden (§§ 2229 Abs. 1, 2233 Abs. 1, 2247 Abs. 4 BGB)1. – Es dient dem Schutz des Erblassers vor Beeinflussung und übereilten Entschlüssen. – Das öffentliche Testament erhöht die Rechtssicherheit des Erblassers. – Es hat gem. §§ 415, 418 ZPO als Urkunde eine erhöhte Beweiskraft2. – Es erbringt vollen Beweis für den beurkundeten Vorgang, auch hinsichtlich des Zeitpunkts, des Orts, der Anwesenheit von Urkundspersonen und des Inhalts der Erklärung sowie deren Vollständigkeit, nicht jedoch für deren Richtigkeit3. Der Gegenbeweis ist nach § 415 Abs. 2 ZPO zulässig. – Das öffentliche Testament schützt durch die amtliche Verwahrung gem. § 34 BeurkG vor unbefugten Veränderungen. – Es vermeidet fast ausnahmslos Formfehler. – In Verbindung mit den Eröffnungsprotokollen erspart es zum Nachweis der Erbfolge gegenüber dem Grundbuchamt sowie dem Handels- und Schiffsregister die Vorlage eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstreckerzeugnisses, vgl. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO4. Aber: Das öffentliche Testament ersetzt nicht das Fortsetzungszeugnis nach § 1507 BGB, mit dem auf Antrag des überlebenden Ehegatten das Nachlassgericht die Fortsetzung der Gütergemeinschaft bescheinigt.

86

bb) Das eigenhändige privatschriftliche Testament, § 2247 BGB Das eigenhändige privatschriftliche Testament nach § 2247 BGB schreibt und unterschreibt der Erblasser selbst, ohne die Hilfe eines Notars.

M 16 Eigenhändiges Testament Ich, Marlies Müller, geborene Herzog, geboren am 26.5.1930, setze hiermit meine Nichte Susanne Liebig zur alleinigen Erbin meines gesamten Vermögens ein. Ulm, den 15.10.2014 Unterschrift 1 Palandt/Weidlich, § 2229 Rz. 2. 2 MüKo.BGB/Hagena, § 2231 Rz. 18. 3 OLG Frankfurt v. 26.2.1990 – 20 W 66/90, Rpfleger 1990, 290; MüKo.BGB/Hagena, § 2231 Rz. 19. 4 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2231 Rz. 5. Esser

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87

B II 88

Rz. 88

Formen letztwilliger Verfügung

Die Vorteile des eigenhändigen Testaments sind: – Es entstehen keine Notarkosten. Bedient sich der Testierende der Beratung durch einen Rechtsanwalt, kann er mit diesem ein Honorar frei vereinbaren (was mit einem Notar nicht möglich ist). – Das eigenhändige Testament ist leichter abzuändern und aufzubewahren. – Es kann schnell und an jedem Ort errichtet werden. c) Die außerordentlichen Testamentsformen

89

Sie sind zulässig in Notlagen, die befürchten lassen, dass ein Erblasser stirbt, ehe er ein eigenhändiges oder ein notarielles Testament errichten kann. Die Nottestamente haben jedoch nur eine eingeschränkte Geltungsdauer (s. Rz. 285 ff.).

90

Bei den außerordentlichen Testamentsformen wird unterschieden zwischen: – dem Konsulartestament (§§ 1, 2 KonsG), – dem Nottestament vor einem Bürgermeister (§§ 2249, 2250 Abs. 1 BGB), – dem Drei-Zeugen-Testament (§ 2250 BGB) und – dem Seetestament (§§ 2251, 2250 Abs. 3 BGB) sowie den nicht mehr möglichen Formen des – Verfolgtentestaments (zwischen 30.1.1933 und 8.5.1945) und des – Militärtestaments (bis 28.8.1946). Die Bestimmungen für das Verfolgten- und das Militärtestament haben nur noch für die während ihrer Geltung errichteten Testamente Gültigkeit. 2. Die Errichtung des öffentlichen Testaments

91

Ein öffentliches Testament wird entweder durch Erklärung des Erblassers vor einem Notar oder durch Übergabe einer offenen oder geschlossenen Schrift an den Notar, verbunden mit der Erklärung, dass diese den letzten Willen des Erblassers enthalte, errichtet, § 2232 BGB.

92

Die Errichtung eines öffentlichen Testaments ist in § 2232 BGB nicht vollständig beschrieben. Sie setzt sich vielmehr zusammen aus der Verhandlung, der Niederschrift (vgl. §§ 8, 9, 30 BeurkG), dem Vorlesen und Genehmigen, dem Unterschreiben der Urkunde (vgl. § 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG) und dem Abschluss durch die Unterschrift des Notars (§ 13 Abs. 3 BeurkG) sowie der sonstigen Mitwirkenden (z.B. Zeugen, zweiter Notar, §§ 22 Abs. 2, 24 Abs. 1 S. 3, 25 S. 2 BeurkG)1. a) Die Errichtung durch Erklärung zur Niederschrift des Notars, § 2232 S. 1, 1. Hs. BGB

93

Nach § 2232 S. 1, 1. Hs. BGB kann ein Erblasser zur Niederschrift eines Notars ein Testament errichten, indem er dem Notar seinen letzten Willen erklärt. 1 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2232 Rz. 4. 124

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 99

Gem. § 20 BNotO, § 1 BeurkG sind hierfür ausschließlich die Notare zuständig. Zum Notar im Landesdienst s. § 21 Bad. WürttLFGG. Gem. §§ 10, 11 BNotO ist Amtsbezirk des Notars im Landesdienst der jeweilige Oberlandesgerichtsbezirk. Sein Amtsbereich ist der Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat. Dem Notar wird ein bestimmter Ort als Amtssitz zugewiesen. aa) Die Niederschrift Über die Verfügung von Todes wegen ist eine Niederschrift aufzunehmen (§ 8 BeurkG). Diese ist grundsätzlich in deutscher Sprache (§ 5 Abs. 1 BeurkG) zu errichten. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Notar der anderen Sprache kundig ist (§ 5 Abs. 2 BeurkG).

94

Die Aufnahme einer Niederschrift über die Verhandlung ist Teil der Testamentserrichtung und hat zwingend durch den Notar zu erfolgen. Fehlt die Niederschrift oder verstößt sie gegen die im Folgenden näher bezeichneten Formvorschriften, ist die Verfügung von Todes wegen nach § 125 BGB nichtig. Zu den zwingenden Formvorschriften zählen gem. § 9 Abs. 1 BeurkG die Bezeichnung des Notars und der Beteiligten sowie die Erklärungen der Beteiligten.

95

Bei der Testamentserrichtung durch Übergabe einer Schrift muss die Schrift vorliegen. Die Niederschrift muss nach § 30 Abs. 1 S. 1 BeurkG einen Vermerk über die Übergabe der Schrift enthalten.

96

Die Niederschrift muss in Gegenwart des Notars, nicht unbedingt von ihm selbst, vorgelesen und vom Erblasser genehmigt werden. Es genügen auch schlüssige Handlungen, wie z.B. ein Kopfnicken1. Zudem muss die Niederschrift vom Erblasser eigenhändig unterschrieben werden (§ 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG). In der Niederschrift sollte ein Vermerk enthalten sein, dass dieses geschehen ist (§ 13 Abs. 1 S. 2 BeurkG).

97

Wurde die Niederschrift durch die Beteiligten eigenhändig unterschrieben, wird vermutet, dass sie in Gegenwart des Notars vorgelesen oder, soweit erforderlich, den Beteiligten zur Durchsicht vorgelegt und von diesen genehmigt wurde (§ 13 Abs. 1 S. 3 BeurkG). Der Erblasser kann verlangen, dass ihm die Niederschrift zur Durchsicht vorgelegt wird (§ 13 Abs. 1 S. 4 BeurkG). Ist der Erblasser hörbehindert, muss ihm die Niederschrift gem. § 23 BeurkG vorgelegt werden.

98

Ein Verstoß gegen sog. Sollvorschriften lässt die Wirksamkeit der Niederschrift unberührt. Sollvorschriften sind die Niederschrift betreffende Protokollvorschriften, insbesondere die darin enthaltenen Angaben über:

99

– Ort und Tag der Verfügung, § 9 Abs. 2 BeurkG, – die Testierfähigkeit des Erblassers, § 28 BeurkG, – Zweifel an der Wirksamkeit der beabsichtigten Verfügung, dem Inhalt der Belehrung des Notars und der eventuellen Erklärung von Beteiligten, § 17 BeurkG, 1 RG v. 25.9.1924 – IV 25/24, RGZ 108, 403; BayObLG v. 9.7.1965 – BReg.2 Z 20/65, NJW 1966, 56. Esser

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B II

Rz. 100

Formen letztwilliger Verfügung

– Hinweise auf eine etwa bestehende Genehmigungspflicht, § 18 BeurkG, – die Zuziehung von Zeugen, von einem zweiten Notar oder einer Vertrauensperson, §§ 22, 24, 25, 29 BeurkG, – die Feststellung über die Vorlage der Niederschrift bei hörbehinderten Beteiligten, 23 BeurkG, – den Hinweis darauf, dass die Niederschrift vorgelesen, unterschrieben und genehmigt wurde, § 13 Abs. 1 S. 2 BeurkG. 100

In der Niederschrift kann auch auf andere notarielle Beurkundungen verwiesen werden, deren Regelungen Inhalt des Testaments werden sollen (ersetzende Verweisung oder ergänzende Bezugnahme)1. Die in Bezug genommenen Dokumente müssen der Niederschrift nicht beigefügt oder den Beteiligten vorgelesen werden, wenn hierauf ausdrücklich verzichtet wird (§ 13a BeurkG). Der Inhalt der Dokumente, auf die Bezug genommen wurde, gehört durch die Verweisung zum Inhalt der Niederschrift. § 9 Abs. 1 S. 3 BeurkG stellt Karten, Zeichnungen oder Abbildungen den Schriftstücken gleich.

101

Zur näheren Identifizierung, Erläuterung oder Verdeutlichung dessen, was in der Niederschrift selbst zumindest in Andeutungen enthalten ist, kann, ohne dass es hierfür einer besonderen Form bedürfte, auf bestehende Tatsachen oder Rechtsverhältnisse (z.B. frühere Testamente) verwiesen werden (unechte Verweisung; hinweisende oder erläuternde Bezugnahme)2. Ein notarielles Testament, welches eine Erbeinsetzung enthält, ohne die bedachten Personen wenigstens andeutungsweise zu nennen oder sonst zu bestimmen, ist jedoch nach § 125 S. 1 BGB in jedem Fall nichtig3.

Beratungshinweis: Schreibt der Erblasser in seinem Testament nur von „meinen Erben“, ohne diese weiter zu benennen, oder wenigstens auf die gesetzlichen Erben zu verweisen, so dass diese nach § 2066 BGB zu bestimmen wären, ist die letztwillige Verfügung nichtig. bb) Angaben über die Person des Testierers 102

Nach den §§ 10, 11, 28 BeurkG stellt der Notar zunächst die Person des Erblassers und seine Testierfähigkeit fest. Der Notar hat den Testierer in der Niederschrift so genau zu bezeichnen, dass Zweifel und Verwechslungen ausgeschlossen sind (§ 10 BeurkG). Ergänzt wird diese Vorschrift durch § 25 BNotO.

103

Der Notar hat die Beteiligten i.S.v. § 6 Abs. 2 BeurkG so genau festzustellen, dass Verwechslungen ausgeschlossen sind. Der Notar kann die Personalien entweder durch persönliche Kenntnis, oder durch Vorlage eines Ausweises mit Lichtbild, dessen Gültigkeit zu überprüfen ist, feststellen. Wird der Testierende durch Dritte (Erkennungs- oder Nämlichkeitszeuge) vorgestellt, so ist deren Glaubwürdigkeit zu prüfen. Regelmäßig kommen hierfür nur solche Personen 1 Soergel/Mayer, § 13a BeurkG Rz. 3. 2 Soergel/Mayer, § 13a BeurkG Rz. 3; Winkler, BeurkG, § 13a Rz. 29 ff. 3 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80, BGHZ 80, 246 = MDR 1981, 736 = FamRZ 1981, 767 (251) = NJW 1981, 1736 (1737); BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242 (246) = MDR 1981, 736 = FamRZ 1981, 662 = NJW 1981, 1737. 126

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 109

in Betracht, die nicht an der Niederschrift beteiligt sind und zu dem Betreffenden nicht in näheren verwandtschaftlichen Beziehungen stehen1. Grundsätzlich sind Vor- und Nachnamen, Geburtsnamen, Geburtsdatum, Wohnort sowie Staatsangehörigkeit der Beteiligten anzugeben2. Die Staatsangehörigkeit ist wegen Art. 25 EGBGB festzustellen, wonach die Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates unterliegt, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Notar die Staatsangehörigkeit jedoch nur dann aufzunehmen, wenn die Umstände des Einzelfalls (z.B. ausländischer Akzent) dazu Anlass geben3.

104

Kann sich der Notar keine Gewissheit über die Identität der Person verschaffen, so ist er gem. § 4 BeurkG nicht verpflichtet, die Beurkundung abzulehnen. Der Notar kann, wenn der Erschienene darauf besteht, die Beurkundung vornehmen. Er sollte jedoch die mangelnde Feststellung der Identität des Erblassers in der Urkunde vermerken, § 10 Abs. 2 BeurkG, und versuchen, die Personalien nachträglich festzustellen4. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann zu einer Schadenersatzpflicht des Notars führen5.

105

Eine Pflicht zur Ablehnung der Beurkundung besteht nur dann, wenn der Notar zur Überzeugung gelangt, dass die erschienene Person ihre wahre Identität in unredlicher Absicht verschleiern will6 oder dass der Erblasser nicht testierfähig ist (§ 11 BeurkG).

106

Wurde die Personenidentität durch den Notar festgestellt und in der Niederschrift vermerkt, dient die Feststellung nach § 415 Abs. 1 ZPO als Beweis dafür, dass die beurkundete Erklärung von der als erschienen festgestellten Person abgegeben worden ist7. Der Gegenbeweis ist gem. § 415 Abs. 2 ZPO zulässig.

107

Nach § 28 BeurkG soll der Notar bei der Beurkundung von Verfügungen von Todes wegen seine Wahrnehmung über die erforderliche Geschäftsfähigkeit des Erblassers in der Niederschrift vermerken8. Mittel und Ergebnisse der Prüfung sowie Zweifel in Bezug auf die Identität oder die Testierfähigkeit des Erblassers sollen ebenfalls in die Niederschrift aufgenommen werden.

108

Der Notar soll die Familienverhältnisse des Testierers ermitteln. Hierdurch können die gesetzliche Erbfolge und bestehende Pflichtteilsansprüche bestimmt und ein damit verbundener weiter gehender Beratungs- und Aufklärungsbedarf festgestellt werden. Die Aufnahme dieser Auskünfte in der Niederschrift dient gleichzeitig dem Schutz des Notars vor späteren haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen, z.B. mit übergangenen Erben.

109

1 Nieder, Rz. 1049. 2 Staudinger/Firsching, § 10 BeurkG Rz. 4; Dittmann/Reimann/Bengel, § 10 BeurkG Rz. 4. 3 Grader, DNotZ 1959, 563 (566 f.); Nieder, Rz. 406. 4 Dittmann/Reimann/Bengel, § 10 BeurkG Rz. 12. 5 MüKo.BGB/Hagena, § 2231 Rz. 12. 6 Soergel/Mayer, § 10 BeurkG Rz. 8; a.A. Riedel/Feil, § 10 BeurkG Rz. 9. 7 LG Berlin v. 14.12.1962 – 84 T 4/62, NJW 1962, 125; DNotZ 1963, 250. 8 Nieder, Rz. 1052. Esser

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B II

Rz. 110

Formen letztwilliger Verfügung

110

Soweit Anhaltspunkte hierfür bestehen, sollte auch festgestellt werden, ob Auslandsgrundbesitz vorliegt, da einige Länder (z.B. Frankreich und England) bei der Vererbung des unbeweglichen Nachlasses Belegenheitsrecht anwenden, was über die Vortrittsklausel des Art. 3 Abs. 3 EGBGB zur Anwendung fremden Erbrechts für den Auslandsgrundbesitz und damit zur Nachlassspaltung führt1.

111

Sofern Auslandsberührung besteht, sollte der deutsche Anknüpfungspunkt nach Art. 25, 26 EGBGB festgestellt werden, wenn zwischen den betreffenden Staaten kein Staatsvertrag geschlossen wurde, da der Staatsvertrag in jedem Fall gem. Art. 3 Abs. 2 EGBGB den Vorrang hat.

111a

Auslandsberührung ist gegeben, wenn: – der Erblasser eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit hat, – er im Ausland lebt, – sich Nachlassgegenstände im Ausland befinden oder – eine Verfügung von Todes wegen im Ausland errichtet wurde oder errichtet werden soll.

Beratungshinweis: Für die Errichtung eines öffentlichen Testaments durch den Notar müssen genaue Angaben über die Person des Erblassers sowie der sonstigen Beteiligten gemacht werden. Dazu zählen Vor- und Nachname, Geburtsname, Geburtsort, Geburtsdatum, Wohnort und Staatsangehörigkeit. Entsprechende Dokumente zur Feststellung der Identität sind mitzuführen. Daneben sollten Informationen über die sonstigen Familienverhältnisse bereitgehalten sowie ggf. Informationen über einen vorhandenen Auslandsbezug mitgeteilt werden. cc) Zeugen der Beurkundung 112

Auf Verlangen des Beteiligten (bei mehren Erblassern ist die Zustimmung aller erforderlich)2 soll der Notar bei der Beurkundung bis zu zwei Zeugen oder einen weiteren Notar zur Überwachung der Beurkundung hinzuziehen (§ 29 BeurkG). Die Zuziehung von Zeugen ist insbesondere dann ratsam, wenn Einwendungen gegen die Testierfähigkeit oder die freie Willensentschließung des Erblassers zu erwarten sind. Beispiel: Der pflegebedürftige 89-jährige Erblasser wird für die Abänderung seiner letztwilligen Verfügung von seinem Enkel, der nunmehr Alleinerbe werden soll, aus dem Pflegeheim abgeholt und zum Notar gebracht.

113

Ein Zeuge oder ein zweiter Notar muss nach § 25 BeurkG beim Vorlesen und bei der Genehmigung hinzugezogen werden, wenn der Erblasser nach seinen Angaben oder nach Überzeugung des Notars seinen Namen nicht schreiben kann. Hier muss, damit das Testament wirksam ist, die Niederschrift von den Zeugen oder dem weiteren Notar unterschrieben werden. Die Unterschrift des Schreibzeugen ersetzt dann die des Erblassers. Fehlt die Unterschrift, so ist das Testament nichtig. 1 BGH v. 8.7.1982 – III ZR 103/80, BGHZ 84, 352 = MDR 1982, 912. 2 Winkler, § 29 BeurkG Rz. 5. 128

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 118a

Wird lediglich der Vermerk über die Schreibunfähigkeit und über die Zuziehung der Zeugen in der Niederschrift vergessen oder ist der Vermerk falsch abgefasst, beeinträchtigt dies die Wirksamkeit der Beurkundung im Übrigen nicht1.

114

Vermag der Erblasser nach seinen Angaben oder nach Überzeugung des Notars nicht hinreichend zu hören oder zu sprechen und sich auch nicht schriftlich zu verständigen, soll der Notar dies gem. § 24 Abs. 1 BeurkG in der Niederschrift feststellen. Wird eine solche Feststellung in der Niederschrift getroffen, so muss zur Beurkundung eine Vertrauensperson hinzugezogen werden, die sich mit dem behinderten Erblasser verständigen kann.

115

Der Notar soll wenigstens einen Zeugen oder einen zweiten Notar hinzuziehen, wenn der Erblasser nach eigenen Angaben oder nach der Überzeugung des Notars nicht hinreichend hören, sprechen oder sehen kann (§ 22 Abs. 1 BeurkG). Der Erblasser hat die Möglichkeit, hierauf zu verzichten, was in der Niederschrift vermerkt werden sollte.

115a

Die beteiligten Zeugen oder der zweite Notar sollen die Niederschrift mitunterschreiben (§ 29 S. 2 BeurkG). Auch der Wunsch des Erblassers, keine Zeugen oder einen Notar zu beteiligen, sollte vermerkt werden, da so zumindest dokumentiert wird, dass der Notar die Problematik angesprochen hat2.

116

Beratungshinweis: Hält der Notar die Zuziehung eines Zeugen oder eines zweiten Notars für wünschenswert, bspw. weil die Testier- oder Geschäftsfähigkeit des Erblassers fraglich ist, sollte er die Beteiligten auf diese Möglichkeit, auch aus haftungsrechtlichen Gründen, hinweisen. Gegen den Willen des Testierenden darf der Notar jedoch keine Zeugen hinzuziehen3. Zwei Zeugen oder ein weiterer Notar dürfen – auch auf Verlangen des Erblassers – dann nicht an der Beurkundung teilnehmen, wenn bereits ein zweiter Notar wegen § 22 BeurkG (hör-, sprach- oder sehbehinderte Beteiligte) oder § 25 BeurkG (Schreibunfähige) daran beteiligt ist. Nach der Systematik des Gesetzes ersetzt der Notar zwei Zeugen. Nimmt jedoch aufgrund §§ 22, 25 BeurkG bereits ein Zeuge an der Beurkundung teil, darf ein weiterer Zeuge oder ein zweiter Notar nach § 29 BeurkG hinzugezogen werden, wenn sich die Beteiligung des Zeugen nicht mehr rückgängig machen lässt4.

117

Ist ein Ausländer an der Beurkundung beteiligt, kann der Notar mehrere Zeugen hinzuziehen, um dadurch eine wirksame Beurkundung auch nach ausländischem Recht sicherzustellen. Zwar wird § 29 BeurkG hierdurch verletzt. Da es sich jedoch um eine Soll-Vorschrift handelt, beeinträchtigt dieses die Wirksamkeit der Beurkundung im Übrigen nicht5.

118

Ist der Erblasser der deutschen Sprache nicht mächtig und hat der Notar nicht die erforderlichen Sprachkenntnisse, um die Niederschrift zu übersetzen, muss

118a

1 2 3 4 5

Dittmann/Reimann/Bengel, § 25 BeurkG Rz. 2. Winkler, § 29 BeurkG Rz. 11. Nieder, Rz. 1053; Dittmann/Reimann/Bengel, § 29 BeurkG Rz. 6. Dittmann/Reimann/Bengel, § 29 BeurkG Rz. 7. Staudinger/Firsching, § 29 BeurkG Rz. 10. Esser

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B II

Rz. 119

Formen letztwilliger Verfügung

gem. § 16 BeurkG ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Als Dolmetscher sind kraft Gesetzes diejenigen Personen ungeeignet, die auch als Notar nach §§ 6, 7 BeurkG von der Beurkundung auszuschließen sind. Hierbei handelt es sich analog um den Dolmetscher selbst, seinen Ehegatten oder früheren Ehegatten, den Lebenspartner oder früheren Lebenspartner, eine Person, die mit dem Dolmetscher in gerader Linie verwandt ist oder war oder ein Vertreter, der für eine der vorgenannten Personen handelt. 119

Die Auswahl der Zeugen oder eines zweiten Notars erfolgt durch den Notar, da er nur dem Grunde nach an den Wunsch, Zeugen zu beteiligen, gebunden ist. Der Notar kann statt der vorgeschlagenen Zeugen, auch ohne das ausdrückliche Verlangen der Beteiligten, einen weiteren Notar hinzuziehen. Dies folgt aus Nr. 25205 KV-GNotKG. Wünschen die Beteiligten jedoch die Hinzuziehung eines zweiten Notars, ist der beurkundende Notar an diesen Wunsch gebunden, da die Teilnahme eines weiteren Notars aufgrund seiner beruflichen Qualifikation und seiner Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 18 BeurkG) Vorteile gegenüber „einfachen“ Zeugen hat1. Für den Ausschluss von Zeugen und dem zweiten Notar gilt § 26 BeurkG.

120

Die mitwirkenden Personen haben am gesamten Beurkundungsakt teilzunehmen. Die Personen haben körperlich anwesend und sich der Beteiligung am Akt bewusst zu sein. Der Notar muss sich dessen bewusst sein, dass die anwesenden Personen als Zeugen zugezogen werden wollen2. Die zugezogenen Personen sollen gem. § 29 S. 2 BeurkG die Niederschrift unterschreiben. Bei diesen hinzugezogenen Personen dürfen, wie beim Notar, keine Mitwirkungsverbote oder Ausschlussgründe nach §§ 3, 6, 26, 27 BeurkG vorliegen. dd) Die persönliche Erklärung des Testierers

121

Das Gesetz verlangt aus Sorge um eine eindeutige Übermittlung des Willens des Erblassers, dass der Testierer seinen letzten Willen persönlich erklärt (§ 2064 BGB). Die Kundgebung hat gegenüber dem Notar als Verhandlungsführer und nicht gegenüber anderen zu erfolgen3. Eine Erklärung am Telefon kann dabei nur den Charakter einer Vorbesprechung haben.

122

Nicht erforderlich ist, dass der Erblasser seine Erklärung als Ganzes im Zusammenhang vorbringt. Es reicht aus, dass er seinen Willen während der Unterhaltung mit dem Notar nach und nach formuliert4. Ausreichend ist auch, wenn der Notar den Testamentsentwurf vorliest und der Erblasser die einzelnen Verfügungen durch einfaches „Ja-Sagen“ bestätigt5.

123

Ausreichend i.S.v. § 2232 BGB sind auch schlüssige Handlungen in nonverbaler Form, wie das kommentarlose Unterschreiben, ein stummes Kopfnicken oder Gebärden6. 1 2 3 4 5 6

Jansen, § 22 BeurkG Rz. 8 f. Dittmann/Reimann/Bengel, § 22 BeurkG Rz. 7. MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 4. Brox, Erbrecht, Rz. 107. Ebenroth, Rz. 201; BGH v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79 (84). MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 9.

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B II

Rz. 128

Für schreib- und sprechunfähige Personen hat sich die Situation mit dem BVerfG-Beschluss vom 19.1.19991 erheblich verbessert. In der seit dem 1.8.2002 geltenden Fassung des § 2232 BGB hat der Gesetzgeber den Mündlichkeitsgrundsatz beim öffentlichen Testament für alle Testierenden aufgegeben, um auch diesem Personenkreis entsprechend der Erbrechtsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Benachteiligungsverbot für Behinderte (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) die Möglichkeit des Testierens zu eröffnen.

124

ee) Die Aufklärungspflichten des Notars Das BeurkG enthält eine Reihe von Formvorschriften, die unmittelbar an den beurkundenden Notar gerichtet sind.

125

Von besonderer Bedeutung ist dabei die amtliche Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars gem. § 17 BeurkG2. Der Notar hat den Willen der Beteiligten zu erforschen, den Sachverhalt zu klären und die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Akts zu belehren. Er soll darauf achten, dass Irrtümer und Zweifel vermieden und unerfahrene, ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden. Die Prüfungspflicht des Notars verlangt somit die sorgfältige Erforschung und klare, unzweideutige Niederlegung des mündlich erklärten letzten Willens des Erblassers3.

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Die Prüfungspflicht (nicht nur des Notars) umfasst dabei:

127

– die Testierfähigkeit des Erblassers (§§ 11, 28 BeurkG) , 4

– die Aufklärung des Sachverhalts sowie die Erörterung rechtlicher Bedenken5, – die Erläuterung, Ergänzung und Berichtigung der Erklärung sowie die Ermittlung der möglicherweise bestehenden Bindung an frühere Verfügungen von Todes wegen und Erbverträge sowie die Anpassung des letzten Willens an frühere letztwillige Verfügungen. Die Belehrungspflicht des Notars besteht, soweit eine Belehrung erforderlich ist, um den Willen der Beteiligten rechtswirksam, wahrheitsgemäß und vollständig niederzulegen. Der Erblasser soll insbesondere über folgende Punkte belehrt werden: – die rechtliche Tragweite des Rechtsgeschäfts gem. § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG6, – die Bedeutung der zu beurkundenden Erklärung7, auch hinsichtlich der für die Beteiligten nicht erkennbaren Auswirkungen, möglichen Gefahren aus der Erklärung und nachteilige Folgen. 1 BVerfG v. 19.1.1999 – 1 BvR 21616/94, ZEV 1999, 147. 2 Huhn/v. Schuckmann, § 17 BeurkG Rz. 4 ff.; zu den öffentlichen und sozialen Funktionen des Notars Baumann, MittRhNotK 1996, 1 ff. 3 BGH v. 20.4.1971 – VI ZR 225/69, VersR 1971, 740; Soergel/Mayer, § 17 BeurkG Rz. 1. 4 BGH v. 10.7.1961 – III ZR 99/60, VersR 1961, 921. 5 BGH v. 15.1.1962 – III ZR 177/60, NJW 1962, 586. 6 Hinweis auf Risiken s. OLG Schleswig v. 15.3.1971 – 3 U 62/70, VersR 1972, 179. 7 Soergel/Mayer, § 17 BeurkG Rz. 4. Esser

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Rz. 129

Formen letztwilliger Verfügung

Daneben bestehen noch eine allgemeine Belehrungspflicht und eine erweiterte betreuende Beratungspflicht (vgl. § 24 BNotO). Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Beratung durch den Notar immer dann erforderlich, wenn einer Partei wirtschaftlicher Schaden droht, den sie nicht zu erkennen vermag und für dessen Abwendung entsprechende Sicherungsmaßnahmen durch den Notar zu besorgen sind1.

Beratungshinweis: Im Wege der vorweggenommenen Erbfolge will H seiner Tochter ein Haus schenken. Das Haus ist der einzige Vermögensgegenstand des H. Der beurkundende Notar sollte hier, auch aus steuerrechtlichen Gründen, auf die Aufnahme einer Rückübertragungsklausel hinweisen. Fehlt es an einer Rückübertragungsklausel, stellt die Rückübertragung eines Geschenks in der Regel erneut eine steuerpflichtige Schenkung dar, für welche der Beschenkte die Steuer zu entrichten hat! 130

Des Weiteren hat der Notar eine Belehrungspflicht über das Pflichtteilsrecht. Schließt der Erblasser einen Abkömmling oder den Ehegatten aus, so hat der Notar den Testierer darüber zu belehren, dass gesetzlich bestimmte Pflichtteilsansprüche bestehen2.

130a

Auch auf das Pflichtteilsrecht eines nichtehelichen Kindes gegenüber seinem Vater ist hinzuweisen, wenn der Notar Anhaltspunkte für einen entsprechenden Sachverhalt sieht. Ein Vermerk über die Belehrung sollte in die Niederschrift zum einen aus haftungsrechtlichen Gründen, zum anderen, um eine Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten gem. § 2079 BGB zu verhindern, aufgenommen werden, da die Anfechtung auch bei einem Rechtsirrtum über das Pflichtteilsrecht eines dem Erblasser bekannten Berechtigten zulässig ist3.

131

Daneben zählt es zu den Pflichten des Notars, festzustellen, ob Bindungen des Erblassers an andere Verfügungen von Todes wegen bestehen. Es genügt die Nachfrage des Notars, ob gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge vorhanden sind, aus denen sich Verpflichtungen ergeben könnten4. Nur soweit der Notar Zweifel an der Rechtswirksamkeit der letztwilligen Verfügung aufgrund fehlender Testierfreiheit hat, besteht eine weitergehende Aufklärungs- und Belehrungspflicht5. ff) Die Genehmigung der Niederschrift (1) Vorlesen

132

Die gesamte Niederschrift muss gem. § 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG in Gegenwart des Notars vorgelesen, genehmigt und unterschrieben werden6. Das zwingend vorgeschriebene Vorlesen kann nicht durch lautes Diktat ersetzt werden. Sinn die1 BGH v. 23.3.1971 – VI ZR 177/69, BGHZ 56, 26; BGH v. 24.2.1976 – II ZR 118/74, DNotZ 1976, 629. 2 Dittmann/Reimann/Bengel, § 17 BeurkG Rz. 10. 3 Palandt/Weidlich, § 2079 Rz. 4. 4 Reithmann/Albrecht, Rz. 1114. 5 BGH v. 20.7.1973 – VI ZR 145/71, Rpfleger 1974, 59. 6 BayObLG v. 20.7.1973 – BReg. Z 34/73, BayObLGZ 1973, 213. 132

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B II

Rz. 136

ser Vorschrift ist es, dem Erblasser vor Genehmigung der Niederschrift die erneute Gelegenheit zu geben, den Inhalt der Niederschrift zu überprüfen1. Vorzulesen sind gem. § 9 Abs. 1 S. 3, § 13 Abs. 1 BeurkG auch solche Schriftstücke, auf welche die Niederschrift verweist oder die ihr beigefügt sind. Zeichnungen oder Abbildungen, auf die in der Urkunde verwiesen wird, sind ihr förmlich beizufügen (§ 9 Abs. 1 S. 3 BeurkG) und dem Testierer anstelle des Vorlesens zur Durchsicht vorzulegen (§ 13 Abs. 1 BeurkG). Handelt es sich bei dem Schriftstück, auf welches verwiesen wurde, um eine andere notarielle Niederschrift, kann gem. § 13a BeurkG auf das Vorlesen und Beifügen verzichtet werden2.

133

Das Vorlesen ist auch durch eine Hilfsperson möglich, muss aber in Gegenwart des Notars und der Beteiligten erfolgen3. Wird das Vorlesen unterlassen, so leidet die Verfügung von Todes wegen an einem unheilbaren Formfehler, der zur Nichtigkeit des Testaments führt4. Auf Verlangen soll das Testament dem Testierer vor der Genehmigung auch zur Durchsicht vorgelegt werden (§ 13 Abs. 1 S.4 BeurkG). Dem hörbehinderten Erblasser muss die Niederschrift gem. § 23 BeurkG zur Durchsicht und Prüfung vorgelegt werden.

134

(2) Genehmigung der Niederschrift Nach dem Vorlesen muss die Niederschrift in Gegenwart des Notars und eventuell eines Zeugen (§ 25 S. 1 BeurkG) oder einer Vertrauensperson (§ 24 BeurkG) vom Erblasser genehmigt werden. Die Genehmigung muss erkennbar zum Ausdruck gebracht werden. Nur der Testierer kann die Niederschrift genehmigen, nicht auch die Überwachungsperson, da diese nur Mittler- bzw. Kontaktfunktion ausübt5.

135

Genehmigung bedeutet, der Erblasser muss sein Einverständnis mit dem Inhalt der Niederschrift erklären. Die Form der Genehmigung ist nicht vorgeschrieben. Die Genehmigung kann nicht nur durch ausdrückliche Erklärung, sondern auch in jeder anderen unmissverständlichen Weise zum Ausdruck gebracht werden, wie durch Zeichen oder Gebärden, insbesondere z.B. durch Kopfnicken oder widerspruchslose Unterzeichnung. Voraussetzung ist, dass diese Zeichen über den Genehmigungswillen keinen Zweifel lassen6. Das einfache Anhören mit unbewegter Miene reicht jedoch nicht7. Notwendig ist in jedem Fall die Unterschrift des Testierers.

136

1 2 3 4

MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 95. Palandt/Weidlich, § 2232 Rz. 6. Winkler, § 13 BeurkG Rz. 5, 8. BayObLG v. 20.7.1979 – BReg.1 Z 119/78, MDR 1980, 56 = FamRZ 1980, 505 = Rpfleger 1979, 458 (459). 5 Winkler, § 13 BeurkG Rz. 43. 6 Winkler, § 13 BeurkG Rz. 41; Burkart, DNotZ 1989, 588. 7 BayObLG v. 31.8.1965 – BReg. 1b Z 45/65, BayObLGZ 1965, 341 (346) = NJW 1966, 563. Esser

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B II

Rz. 137

Formen letztwilliger Verfügung

(3) Unterschrift des Testierers 137

Die Niederschrift ist sodann vom Testierer eigenhändig und in Gegenwart des Notars und der Beteiligten zu unterschreiben (§ 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG). Grundsätzlich hat der Erblasser mit dem Vor- und Familiennamen zu unterschreiben1.

138

Die Unterschrift mit einem Handzeichen ist nicht möglich, da § 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG im Gegensatz zu § 126 Abs. 1 BGB diese Möglichkeit nicht vorsieht. Die Unterschrift muss jedoch nicht lesbar sein. Es genügt ein die Unterschrift kennzeichnender individueller Schriftzug mit charakteristischen Merkmalen2.

139

Wurde mit dem Vor- und Familiennamen unterschrieben, genügt es, wenn der Vorname ohne Unterstützung geschrieben und beim Nachnamen Schreibhilfe geleistet wurde3. Der Erblasser kann bei der Unterschrift durch einen Dritten unterstützt werden. Der Dritte darf jedoch nur behilflich sein; die Unterschrift muss noch individuell vom Erblasser herrühren4.

140

Wird die Niederschrift eigenhändig durch den Erblasser unterschrieben, wird nach § 13 Abs. 1 S. 3 BeurkG vermutet, dass sie in Gegenwart des Notars vorgelesen, soweit notwendig zur Durchsicht vorgelegt und von den Beteiligten genehmigt wurde.

141

Stellt sich die Schreibunfähigkeit erst beim Versuch zu unterschreiben heraus, reicht es, den Schreibzeugen hinzuzuziehen (§ 25 S. 1 BeurkG). Die Niederschrift muss dann jedoch in Anwesenheit des Schreibzeugen erneut vorgelesen und genehmigt werden5.

142

Schreiben i.S.d. § 25 S. 1 BeurkG stellt ausschließlich auf das Schreiben des eigenen Namens ab. Es bedeutet aber nicht, dass der Erblasser darüber hinausgehende Schreib- oder auch Lesefähigkeiten haben muss6. Daher sind Analphabeten und Blinde, die nur ihren Namen schreiben können, schreibfähig i.S.d. § 25 BeurkG7.

143

Der im Falle des § 25 BeurkG zugezogene Zeuge oder zweite Notar muss, auch wenn ein Fall der Zuziehung nach § 22 oder § 29 BeurkG gegeben ist, die Niederschrift unterschreiben (vgl. § 25 S. 2 BeurkG).

144

Stirbt der Testator oder wird er testierunfähig, bevor er selbst oder der gem. § 25 BeurkG zugezogene Schreibzeuge für ihn unterschrieben hat, ist das Testament nichtig, da ein zwingendes Merkmal der Niederschrift gem. § 25 BeurkG fehlt8.

145

Problematisch sind die Fälle, in denen der Notar oder die Zeugen bei Tod des Erblassers noch nicht unterschrieben haben. Einigkeit besteht dahin gehend, dass Notare und Zeugen die Urkunde nicht in Gegenwart des Erblassers unter1 2 3 4 5 6 7 8

Nieder, Rz. 1062. MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 121. MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 120; Nieder, Rz. 1062. BayObLG v. 15.1.1987 – BReg. 1Z 62/86, Rpfleger 1987, 358. Dittmann/Reimann/Bengel, § 25 BeurkG Rz. 9. Dittmann/Reimann/Bengel, § 25 BeurkG Rz. 4. Soergel/Mayer, § 25 BeurkG Rz. 1. BGH v. 30.10.1956 – V ZB 17/59, BGHZ 31, 136.

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B II

Rz. 148b

schreiben müssen, anders als die Schreibzeugen. Sie können dies auch noch nachholen, wenn der Erblasser verstorben oder testierunfähig geworden ist1. Umstritten ist jedoch, innerhalb welcher zeitlicher Grenzen der Notar seine Unterschrift nachholen darf. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, die jedoch insoweit übereinstimmen, als der letzte mögliche Termin die Eröffnung des Testaments ist2. Nach § 35 BeurkG ersetzt bei nach dem 1.1.1970 errichteten Verfügungen von Todes wegen die Unterschrift des Notars auf dem Testamentsumschlag seine fehlende Unterschrift unter der Niederschrift3. Fehlt auch diese, ist die Beurkundung unwirksam.

146

gg) Die Verwahrung des Testaments Der Notar soll das Testament nach § 34 BeurkG in einen Umschlag geben und diesen mit dem Prägesiegel verschließen. Auf dem Umschlag wird der Erblasser seiner Person nach näher bezeichnet und angegeben, wann das Testament errichtet worden ist. Diese Aufschrift unterschreibt der Notar. Nicht notwendig ist, dass dieses in Gegenwart des Erblassers geschieht4. Wie der Testamentsumschlag auszusehen hat, ist im Muster von Anlage 1 der bundeseinheitlichen AV über die Benachrichtigungen in Nachlasssachen i.d.F. v. 30.11.1979 festgelegt5.

147

Der Notar hat weiter zu veranlassen, dass das Testament unverzüglich in besondere amtliche Verwahrung gebracht wird (§ 34 BeurkG). Für die besondere amtliche Verwahrung sind die Amtsgerichte nach §§ 344 Abs. 1 FamFG sachlich zuständig. Ein Anspruch des Notars, seine Ablieferungspflicht stets durch Einreichen des beurkundeten Testaments bei dem Amtsgericht erfüllen zu können, in dessen Bezirk sich sein Amtssitz befindet, lässt sich aus dem Gesetz nicht ableiten6. In Baden-Württemberg sind die Notariate nach § 1 Abs. 1, 2 LFGG für die besondere amtliche Verwahrung zuständig, wobei sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Amtssitz des Notars richtet. Ein Verstoß gegen § 34 BeurkG beeinträchtigt nicht die Wirksamkeit der Beurkundung.

148

hh) Registrierung des Testaments Der beurkundende Notar ist zur Meldung des Testaments nach § 34a Abs. 1 S. 1 BeurkG bei dem seit 1.1.2012 eingerichteten Zentralen Testamentsregister (ZTR) verpflichtet. Hierin sind alle erbfolgerelevanten Urkunden in notarieller oder gerichtlicher Verwahrung registriert, für welche im Sterbefall die staatliche Verantwortung besteht, sie auch zu eröffnen. Das neu eingerichtete Register soll in verfahrensrechtlicher Hinsicht die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Erbrechts und der Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 S. 1, Fall 2 GG) sicherstellen.

148a

Die Registrierung dient sowohl einer geordneten Nachlassabwicklung als auch der schnellen Umsetzung des letzten Willens des Erblassers. Primär soll das Auf-

148b

1 2 3 4 5 6

Dittmann/Reimann/Bengel, § 13 BeurkG Rz. 48, 49. Dittmann/Reimann/Bengel, § 13 BeurkG Rz. 52. Dittmann/Reimann/Bengel, § 35 BeurkG Rz. 2 ff. Winkler, § 34 BeurkG Rz. 7. Fordstecker, DNotZ 1980, 65. OLG Brandenburg v. 19.6.2007 – 3 Wx 4/07, ZEV 2008, 288. Esser

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B II

Rz. 149

Formen letztwilliger Verfügung

finden der amtlich verwahrten erbfolgerelevanten Urkunden gesichert werden, weshalb das ZTR die Verwahrstellen im Sterbefall benachrichtigt. Hieraufhin werden die erbfolgerelevanten Urkunden eröffnet und an das Nachlassgericht abgeliefert. Weiter sollen über die Verwahrangaben hinaus weitere Informationen zur Verfügung gestellt werden, die zur schnelleren Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Nachlassgerichts erforderlich sind. b) Ausschluss eines Notars 149

Es gibt gesetzlich normierte Fälle, in denen der Notar von der Beurkundung einer Willenserklärung ausgeschlossen ist. Beurkundet der Notar die Willenserklärung dennoch, so ist diese Verfügung von Todes wegen ganz oder teilweise unwirksam. aa) Vorschriften, durch deren Verletzung die Verfügung insgesamt unwirksam wird

150

Für die Beurkundung von Verfügungen von Todes wegen hat § 6 BeurkG die §§ 2234, 2276 a.F. BGB abgelöst. Danach darf der Notar keine Verfügungen von Todes wegen beurkunden, bei denen als Erblasser folgende Personen beteiligt sind (§ 6 Abs. 1 BeurkG): – er selbst (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG), – sein derzeitiger Ehegatte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BeurkG), – sein Lebenspartner (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BeurkG), – ein mit ihm in gerader Linie Verwandter (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 BeurkG) oder – ein Vertreter, der für eine der genannten Personen handelt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG).

151

Gegenüber den §§ 2234, 2276 a.F. BGB ist der in § 6 Abs. 1 BeurkG aufgezählte Katalog eingeschränkt worden. So führt bspw. die Beteiligung eines früheren Ehegatten nicht mehr zur Unwirksamkeit der Verfügung. Eine Beurkundung, die entgegen § 6 BeurkG vorgenommen wurde, ist immer insgesamt unwirksam. Insbesondere können die an der Beurkundung Beteiligten nicht auf die Anwendung der Vorschrift verzichten.

152

Die Unwirksamkeit der Urkunde kann jedoch nur in dem Verfahren geltend gemacht werden, in dem die Urkunde verwendet werden soll. Ob die Unwirksamkeit der beurkundeten Verfügung von Todes wegen auch die Unwirksamkeit der gegenständlichen Willenserklärung zur Folge hat, ist nach materiellem Recht zu beurteilen. Zu prüfen ist hier, ob die Verfügung von Todes wegen auch ohne die öffentliche Beurkundung wirksam wäre1. bb) Vorschriften, durch deren Verletzung die Verfügung teilweise unwirksam wird

153

An die Stelle der §§ 2235, 2276 a.F. BGB ist § 7 BeurkG i.V.m. § 27 BeurkG getreten. Eine entgegen § 7 BeurkG vorgenommene Beurkundung ist jedoch im Ge1 Jansen, § 6 BeurkG Rz. 11. 136

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Rz. 159

gensatz zu einer entgegen § 6 BeurkG vorgenommenen nicht insgesamt unwirksam, sondern nur insoweit, als sie darauf gerichtet ist, einer der dort genannten Personen einen rechtlichen Vorteil zu verschaffen. Danach dürfen infolge der Beurkundung keinen rechtlichen Vorteil erlangen:

154

– der Notar selbst (§ 7 Nr. 1 BeurkG), – sein derzeitiger oder früherer Ehegatte (§ 7 Nr. 2 BeurkG), – sein derzeitiger oder früherer Lebenspartner (§ 7 Nr. 2a BeurkG) oder – Personen, die mit dem Notar in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren (§ 7 Nr. 3 BeurkG). Rechtlicher Vorteil i.S.d. § 7 BeurkG ist alles, was die Rechtsstellung des Betreffenden verbessert1. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung ist nach § 27 BeurkG ein rechtlicher Vorteil insbesondere die Ernennung zum Testamentsvollstrecker und das Bedenken in einer Verfügung von Todes wegen.

155

cc) Vorschriften, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Verfügung führen Der Notar soll nach § 3 Abs. 1 BeurkG keine Verfügung von Todes wegen beurkunden, an der als Testierer Personen i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BeurkG in ihren Rechten und Pflichten unmittelbar betroffen sind. Die hier aufgeführten Ausschließungsgründe führen nicht zur Unwirksamkeit der Beurkundung. Gleichwohl ist der Notar an § 3 BeurkG gebunden, da es sich hierbei um eine zwingende Amtspflicht handelt2.

156

c) Errichtung und Übergabe einer offenen Schrift aa) Die offene Schrift Nach § 2232 BGB kann ein öffentliches Testament zur Niederschrift eines Notars auch dadurch errichtet werden, dass der Erblasser dem Notar eine offene Schrift mit der Erklärung übergibt, dass diese Schrift seinen letzten Willen enthält. Der Notar hat gem. § 30 Abs. 1 S. 1 BeurkG in der Niederschrift die Übergabe der Schrift festzuhalten und die Schrift der Niederschrift beizufügen.

157

Die Schrift muss, im Gegensatz zum eigenhändigen Testament, nicht vom Erblasser selbst geschrieben werden (§ 2232, S. 2, 2. Hs.)3. Auch ein mit Schreibmaschine oder am Computer verfasstes Schriftstück erfüllt die an eine offene Schrift gestellten Voraussetzungen. Entscheidend ist lediglich, dass es sich um eine für Dritte lesbare schriftliche Aufzeichnung handelt.

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Zudem muss auch die offene Schrift im Beurkundungstermin nicht mitverlesen werden.

159

1 Dittmann/Reimann/Bengel, § 7 BeurkG Rz. 5; RG v. 4.3.1916 – V 404/15, RGZ 88, 147, 155, 172. 2 BGH v. 25.5.1984 – V ZR 13/83, MDR 1985, 132 = DNotZ 1985, 231. 3 Ebenroth, Rz. 202. Esser

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B II

Rz. 160

Formen letztwilliger Verfügung

Beratungshinweis: Die Errichtung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer offenen Schrift eignet sich insbesondere für solche Fälle, in denen das Testament von einem anderen Rechtskundigen als dem Notar, bspw. von einem Rechtsanwalt, verfasst wurde, oder auch für die Protokollierung umfangreicher, im Vorfeld bereits ausführlich besprochener Verfügungen von Todes wegen. Die Form des öffentlichen Testaments bietet sich auch dann an, wenn Zeugen zugezogen werden müssen, die jedoch vom Inhalt der letztwilligen Verfügung nichts erfahren sollen1. 160

Im Gegensatz zur Errichtung durch Übergabe einer geschlossenen Schrift nimmt der Notar hier jedoch noch Kenntnis vom Inhalt der Schrift, was insbesondere zu Rechtsbelehrungspflichten des Notars gegenüber dem Testierenden führt.

161

Für Minderjährige zwischen 16 und 18 Jahren ist nach § 2233 Abs. 1 BGB die Errichtung eines Testaments nur durch Übergabe einer offenen Schrift oder durch mündliche Erklärung möglich. Auch wer das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat, aber nicht hinreichend sprechen kann, muss durch Übergabe einer offenen Schrift testieren.

162

Voraussetzung für die Errichtung eines Testaments durch Übergabe einer offenen Schrift ist die mündliche Erklärung des Erblassers, die Schrift enthalte seinen letzten Willen (§ 2232 Abs. 1 BGB), wobei es auf den gewählten Wortlaut nicht ankommt2. Es genügt, wenn er die Worte „Das ist mein Testament“ nachspricht3 oder die Frage danach mit „Ja“ beantwortet4.

163

Nach h.M. muss der Erblasser in der Lage sein, die Schrift zu entziffern. Unerheblich ist, ob die Schrift mit Schreibmaschine, in Stenografie oder in sonstiger Weise hergestellt ist. Die Abfassung in fremder Sprache oder in ungewöhnlichen Schriftzeichen (Chiffrieren) ist ebenfalls zulässig, sofern nur der Erblasser die Verfügung versteht und lesen (nicht notwendig schreiben) kann5.

164

Der Erblasser muss den Inhalt kennen6, da bei Unkenntnis des Inhalts – trotz Beachtung der erforderlichen Form – kein erklärter letzter Wille des Erblassers vorliegt.

164a

Nach beiden Ansichten genügt jedoch, wenn der Erblasser die Kenntnis von seiner letztwilligen Verfügung dem Notar bestätigt bzw. die Möglichkeit der Einsichtnahme hat.

165

Der Notar jedoch muss die Schrift nicht verstehen, § 30 S. 4 BeurkG. Sie kann daher auch in einer Sprache verfasst sein, die der Notar nicht beherrscht7. Die Schrift muss mit Willen des Erblassers in die Hand des Notars gelangen8. 1 2 3 4 5 6 7 8

Haegele, Rpfleger 1969, 414 (416 f.). Brox, Rz. 108. RG v. 25.9.1924 – IV 25/24, JW 1925, 357 ff. Brox, Rz. 108; Ebenroth, Rz. 202; MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 107. Soergel/Mayer, § 2232 Rz. 17; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2232 Rz. 17. Palandt/Weidlich, § 2232 Rz. 6; MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 24. MüKo.BGB/Hagena, § 2232 Rz. 19, Dittmann/Reimann/Bengel, § 2232 Rz. 16. RG v. 25.9.1924 – IV 25/24, JW 1925, 357 ff.; RG v. 3.2.1936 – IV 139/35, RGZ 150, 189; Staudinger/Baumann, § 2232 Rz. 35.

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 172

bb) Pflichten des Notars Der Notar soll von dem Inhalt der offenen Schrift Kenntnis nehmen, soweit er die Sprache, in der diese verfasst wurde, beherrscht (§ 30 S. 4 BeurkG). Über Fehler und mögliche negative Folgen der Verfügung hat er gem. § 17 BeurkG zu belehren (§ 30 S. 4 BeurkG).

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Er ist verpflichtet, die Anordnungen des Erblassers auf ihre Rechtswirksamkeit hin zu prüfen. Auftretenden Zweifeln hat er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nachzugehen. Bestehen mehrere rechtlich zulässige Möglichkeiten, den Willen des Erblassers zu verwirklichen, hat der Notar dem Testierenden die sicherste und praktikabelste zu empfehlen. Soweit er von der Unwirksamkeit der Anordnung überzeugt ist, hat er seine Mitwirkung zu verweigern. Für Schäden, die einem Bedachten aus Unklarheiten des Testaments oder versäumter Belehrung entstehen, kann sich der Notar schadenersatzpflichtig machen.

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Nach § 30 S. 2 BeurkG hat der Notar die ihm übergebene Schrift so zu kennzeichnen, dass sie nicht verwechselt werden kann. Die Kennzeichnung kann dabei entweder durch angebrachte Zeichen oder durch ihre Beschreibung im Protokoll erfolgen. Die übergebene Schrift soll nach § 30 S. 5 BeurkG der Niederschrift beigefügt werden. Sie wird durch die Übergabe jedoch nicht Teil der Niederschrift und muss daher auch nicht vorgelesen werden.

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Wie bei dem durch mündliche Erklärung errichteten Testament soll der Notar auch bei der offenen Schrift gem. § 34 Abs. 1 BeurkG die Niederschrift und das übergebene Schriftstück in einen Testamentsumschlag versiegeln und unverzüglich in die besondere amtliche Verwahrung bringen.

169

d) Errichtung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer verschlossenen Schrift Bei der Errichtung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer verschlossenen Schrift wird das verschlossene Schriftstück gem. § 2232 BGB dem Notar durch den Erblasser mit der Erklärung übergeben, dass es seinen letzten Willen enthalte. Wie bereits bei der offenen Schrift hat der Notar auch hierüber eine Niederschrift zu verfassen. Die Niederschrift muss die Feststellung enthalten, dass die Schrift übergeben wurde. Ebenso sollte die verschlossene Schrift so gekennzeichnet werden, dass eine Verwechslung ausgeschlossen ist. Die übergebene geschlossene Schrift ist sodann der Niederschrift beizufügen (§ 30 BeurkG).

170

Der Vorteil der verschlossenen Schrift ist, dass der letzte Wille des Erblassers auch gegenüber dem Notar geheim gehalten wird. Denn während dieser von dem Inhalt einer offenen Schrift Kenntnis nehmen soll, darf er es bei einer verschlossenen Schrift ohne den Willen des Erblassers nicht1.

171

Der Erblasser verzichtet damit auf eine Rechtsbelehrung. Der Notar ist jedoch berechtigt, den Erblasser über den Inhalt der Schrift zu befragen und ihn auf mögliche Bedenken hinzuweisen2. Es empfiehlt sich, in die Niederschrift die Be-

172

1 Brox, Rz. 109. 2 Winkler, § 30 BeurkG Rz. 10. Esser

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B II

Rz. 172a

Formen letztwilliger Verfügung

lehrung des Erblassers darüber aufzunehmen, dass durch seine eventuell fehlenden Rechtskenntnisse die mit dem Testament verfolgten Ziele möglicherweise nicht erreicht werden können. Wurde der Hinweis nicht in der Niederschrift aufgenommen, kann hierauf jedoch keine Haftung des Notars gestützt werden1.

Beratungshinweis: Der Notar sollte in der Niederschrift auch die Versicherung des Erblassers festhalten, dass er den beurkundenden Notar weder bedacht noch zum Testamentsvollstrecker ernannt hat, da die Unwirksamkeit einer solchen Verfügung oder Ernennung nach § 27 BeurkG unabhängig davon eintritt, ob der Notar davon Kenntnis hatte2. 172a

Im Übrigen folgt die Testamentserrichtung durch Übergabe einer verschlossenen Schrift entsprechend der einer Errichtung durch Übergabe einer offenen Schrift. e) Kostenregelungen nach dem GNotKG

173

Das Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (Kostenordnung) ist durch Gesetz vom 23.7.2013 (BGBl. I, S. 2586) mit Wirkung zum 1.8.2012 aufgehoben worden. Für das notarielle Testament wird eine volle Gebühr nach dem Geschäftswert (§ 102 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 S. 1, 2, Nr. 21200 KV-GNotKG), allerdings mindestens 60,00 Euro erhoben. Im Falle eines gemeinschaftlichen Testaments gem. §§ 2265 ff. BGB sieht das Gesetz eine doppelte Gebühr vor (§ 102 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2, S. 1, 2, Nr. 21100 KV-GNotKG), mindestens 120,00 Euro. Der Geschäftswert bemisst sich in beiden Fällen nach dem vorhandenen Vermögen des Erblassers, soweit dieser über den gesamten Nachlass verfügt. Verbindlichkeiten werden vom Aktivvermögen bis zur Hälfte des Aktivvermögens abgezogen. Soll die Verfügung von Todes wegen nicht den gesamten Nachlass betreffen, so ist die wirtschaftliche Bedeutung der konkreten Verfügung zu berücksichtigen.

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Hinzu kommen noch die Dokumentenpauschale (Nr. 32001 KV-GNotKG), sonstige Auslagen (Nr. 32011, 32015 KV-GNotKG) und Umsatzsteuer (Nr. 32014 KV-GNotKG). Im Rahmen der sonstigen Auslagen nach Nr. 32105 KV-GNotKG sind seit dem 1.1.2012 insbesondere die Kosten für die Registrierung im Zentralen Testamentsregister bei der Bundesnotarkammer zu berücksichtigen. Die Bundesnotarkammer erhebt hierfür einmalig eine Gebühr in Höhe von 15,00 Euro je Registrierung, die sämtliche Kosten der Registrierung, eventueller Berichtigungen, Ergänzungen und Folgeregistrierungen sowie der Benachrichtigung im Sterbefall abdecken. Optional kann der Notar eine Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen entweder in voller Höhe (Nr. 32004 KV-GNotKG) oder eine Pauschale in Höhe von 20 % der Gebühren, begrenzt auf 20,00 Euro (Nr. 32005 KV-GNotKG), verlangen. f) Die Haftung des Notars

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Der Notar haftet gem. § 19 BNotO für Amtspflichtverletzungen persönlich, unmittelbar und unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen. Dies gilt auch, soweit die Pflichtverletzungen von seinen Mitarbeitern verursacht worden sind. 1 Nieder, Rz. 1072; Boehmer, DNotZ 1940, 144 f. 2 Nieder, Rz. 1072. 140

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 181

Die Haftung des Notarvertreters und des Notarverwesers ist in den §§ 46, 57 BNotO geregelt. Pflichtverletzungen der Notare im baden-württembergischen Bezirksnotariat (§§ 114, 115 BNotO) unterliegen der Staatshaftung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB1. Das Land haftet nun auch bei Pflichtverletzungen der Notare im Landesdienst uneingeschränkt subsidiär. Die Rückgriffshaftung der staatlichen Notare bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstößen ist in § 96 Abs. 2 LBG geregelt.

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3. Das eigenhändige Testament Neben dem notariellen Testament sieht das Gesetz in § 2247 BGB die Form des eigenhändigen Testaments vor. In diesem errichtet der Erblasser sein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung. Soweit durch den Erblasser überhaupt ein Testament errichtet wird, ist diese Form der Errichtung immer noch die am häufigsten gewählte.

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Zu beachten ist, dass Minderjährige oder Leseunfähige nach § 2247 Abs. 4 BGB kein eigenhändiges Testament errichten können.

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Der Vorteil eines eigenhändigen Testaments ist seine bequeme, jederzeit mögliche Errichtung, ohne dass dadurch Kosten entstehen. Der Erblasser kann sein Testament selbst ändern und so auf plötzliche Veränderungen der persönlichen Verhältnisse unmittelbar reagieren. Zudem muss er bei einer in der Form des eigenhändigen Testaments errichteten letztwilligen Verfügung seine Vermögensund Familienverhältnisse einem Dritten gegenüber nicht offenlegen.

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Beratungshinweis: Der Nachteil des eigenhändigen Testaments ist die Verfälschungs- und Untergangsgefahr sowie die Gefahr der Unterdrückung oder der Unauffindbarkeit. Zudem besteht die Gefahr, insbesondere infolge mangelnder Kenntnisse über das Erbrecht, dass fehlerhafte Anordnungen von Todes wegen errichtet werden, die in ihrer Umsetzung gerade nicht den letzten Willen des Erblassers erreichen: Fehlende Beachtung des Pflichtteilsrechts, mehrdeutige Formulierungen, nicht berücksichtigte Vorabschenkungen und insbesondere auch die oft übersehene steuerrechtliche Optimierung der letztwilligen Verfügung lassen das eigenhändige Testament häufig zum Gegenstand erbrechtlicher Auseinandersetzungen werden. Gerade beim eigenhändigen Testament sollte daher nicht auf die fachliche Beratung bei der Gestaltung der letztwilligen Verfügung durch einen Rechtsanwalt verzichtet werden.

180

Ein bestimmter Inhalt ist für die Wirksamkeit des eigenhändigen Testaments nicht vorgeschrieben. Es genügt, wenn das Schriftstück eine nach dem Tod des Erblassers zu beachtende Willenserklärung enthält2.

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1 Schippel, BNotO, § 19 BeurkG Rz. 114. 2 BayObLG v. 20.12.1985 – 1Z 81/85, FamRZ 1986, 730. Esser

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B II

Rz. 182

Formen letztwilliger Verfügung

a) Der Testierwille des Erblassers 182

Das Testament ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Es ist nur wirksam, wenn der Erblasser bei seiner Errichtung einen ernsthaften Testierwillen hatte1. Ob dieser vorliegt, ist oft zweifelhaft. Er liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der Erblasser bewusst war, dass seine Äußerung eine rechtsverbindliche Erklärung des letzten Willens darstellt und wenn der Wille des Erblassers, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten, vorhanden gewesen ist (rechtsverbindliche Willenserklärung)2. Ein Testament, das der Erblasser ohne das Bewusstsein errichtet hat, dass es sich hierbei um eine Verfügung von Todes wegen handelt, ist daher unwirksam.

183

Der Erblasser muss auch eine rechtsverbindliche Anordnung für den Fall seines Todes treffen wollen (Wille zur Rechtsverbindlichkeit)3. Deshalb reicht eine Erklärung, die keine auf den Tod bezogene Verfügung enthält, nicht aus. Der Erblasser muss seine Erklärung ernstlich wollen (ernstlicher Wille). Beispiel: So ist z.B. bei einer Niederschrift auf ein Tischtuch oder einen Bierdeckel der ernstliche Testierwille erheblich in Frage gestellt. Ebenso bei einem Testament, das in Form eines Briefes an einen Dritten verfasst wurde. Kein sicher feststellbarer Testierwille soll auch dann vorliegen, wenn auf einem eigenhändig geschriebenen und unterzeichneten Notizzettel die Aufforderung, „anliegende“ Unterlagen dem Notar zu geben, „damit der Erbschein für Dich ausgestellt werden kann“4 steht. Sowohl die äußere Form, als auch die Handlungsanweisung sprächen gegen einen Testierwillen.

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Ein geheimer Vorbehalt hinsichtlich der letztwilligen Verfügung ist nach § 116 S. 1 BGB unbeachtlich. Die Nichtigkeit eines Testaments nach § 116 S. 2 BGB oder § 117 BGB kommt nicht in Betracht, da es an einem Erklärungsempfänger (nicht empfangsbedürftige Willenserklärung!) fehlt, der den Vorbehalt kennt oder der mit der Abgabe einer Willenserklärung zum Schein einverstanden ist5. Deshalb fordert das Verkehrsinteresse, dass an der einmal in Verkehr gebrachten ernsthaften Willenserklärung des Erblassers, die als letztwillige Verfügung verstanden werden durfte, festgehalten wird6.

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Ein Testament ist jedoch dann nichtig, wenn es vom Erblasser in der Erwartung errichtet wurde, die fehlende Ernsthaftigkeit werde erkannt. Beispiel: Erblasser T errichtet im Rahmen einer Silvesterparty auf einem Stück Papier ein Testament, in dem er seine Tischdame zur Alleinerbin einsetzt.

1 BayObLG v. 7.4.1989 – BReg.1a Z 9/88, MDR 1989, 821 = FamRZ 1989, 1124 = NJW-RR 1989, 1092; Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 5. 2 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 15. 3 MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 5. 4 OLG München v. 25.9.2008 – 31 Wx 42/08, ZEV 2008, 596 f. 5 OLG Frankfurt v. 8.2.1993 – 27 U 124/91, FamRZ 1993, 858 (860); Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 21. 6 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 21. 142

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 188a

Ob der erforderliche Testierwille vorliegt, ist Tatfrage und erfordert eine Prüfung der Erklärung einschließlich aller Nebenumstände entsprechend § 133 BGB1. Deshalb müssen auch Umstände, die außerhalb der Urkunde liegen, sowie die allgemeine Lebenserfahrung beachtet werden. Liegt ein äußerlich formgültiges und inhaltlich vollständiges eigenhändiges Testament vor, so spricht die tatsächliche Vermutung dafür, dass der Erblasser seinen letzten Willen niederlegen wollte, er also Testierwillen hatte2.

186

Die Eigenhändigkeit des Testaments soll dazu dienen, Vorüberlegungen und Entwürfe von der endgültigen letztwilligen Verfügung abzugrenzen. Bestehen daher Zweifel, ist die Eigenhändigkeit der Errichtung ein Indiz dafür, dass es sich um ein formwirksam errichtetes Testament nach § 2247 Abs. 1 BGB handelt und nicht um einen unverbindlichen Entwurf.

187

Beratungshinweis: Eine Willenserklärung, die auf einem abgerissenen Zettel festgehalten wurde oder in einem Schuhkarton verwahrt wird, ist im Zweifel der Entwurf einer letztwilligen Verfügung und kein formwirksam errichtetes eigenhändiges Testament. Regelmäßig zweifelhaft ist der Testierwille bei Brieftestamenten und als „Entwurf“ bezeichneten Notizen. Zwar kann selbstverständlich auch ein Brief ein eigenhändiges Testament enthalten3. Da dies jedoch nicht der „normale“ Weg für die Errichtung eines Testaments ist, kann der Brief nur als eigenhändiges Testament angesehen werden, wenn unzweifelhaft nachgewiesen wird, dass ein ernsthafter Testierwille des Erblassers vorlag und es sich nicht nur um ein unverbindliches Schreiben mit Informationscharakter handeln sollte4. Da der Testierwille bei einem Brief zunächst zweifelhaft erscheint, muss er sich aus den Umständen des Einzelfalles ergeben5. Ein eigenhändiges Testament in Briefform ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Testierer ein besonderes Interesse daran haben konnte, sich gerade dieser Art der Übersendung an den Empfänger zu bedienen, um seinem letzten Willen zur Durchsetzung zu verhelfen.

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Beispiel: Die Errichtung eines Testaments in Form eines Briefes könnte gewählt werden, wenn die Gefahr besteht, dass ein Dritter das Testament verschwinden lassen will.

Bei allen Briefen oder anderen Schriftstücken, die nicht den üblichen Anforderungen an ein eigenhändiges Testament entsprechen, sind daher besonders strenge Voraussetzungen an den Nachweis eines vorhandenen Testierwillens zu stellen6. Ist ein Testierwille nicht abschließend nachweisbar, trägt derjenige die Feststellungslast, der Rechte aus dem Schriftstück ableitet7. 1 BayObLG v. 21.7.1970 – 1a Z 108/69, BayObLGZ 1970, 173; BayObLG v. 5.2.1992 – BReg.1 Z 28/91, FamRZ 1992, 1206. 2 Soergel/Mayer, § 2247 Rz. 7; Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 19. 3 BayObLG v. 16.10.1980 – BReg.1 Z 52/80, FamRZ 1981, 402. 4 BayObLG v. 28.12.1979 – BReg.1 Z 75/79, MDR 1980, 403 = Rpfleger 1980, 189 (190); MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 24. 5 OLG Brandenburg v. 9.9.1997 – 10 Wx 9/97, FamRZ 1998, 985 (986). 6 Nieder, Rz. 1075. 7 Palandt/Weidlich, § 2247 BGB Rz. 17; KG v. 6.11.1990 – 1 W 2992/90, MDR 1991, 348 = FamRZ 1991, 486 = OLGZ 1991, 144. Esser

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B II 189

Rz. 189

Formen letztwilliger Verfügung

Ein mit „Entwurf“ überschriebenes, aber im Übrigen formgültiges Schriftstück kann als Testament wirksam sein, wenn nachgewiesen wird, dass der Erblasser es mit dem ernstlichen Willen verfasst hat, es bis zur Abfassung einer endgültigen Urkunde als vollumfänglich wirksame letztwillige Verfügung zu betrachten1. Beispiel: Der Erblasser hält konkrete, nachvollziehbare und formgerecht aufgesetzte Verfügungen in einem z.B. als „Entwurf meines Testaments“ bezeichneten Schriftstück fest, welches er später als offene Schrift einem Notar im Rahmen des Beurkundungstermins übergeben möchte.

190

Maßgeblich für die Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist der Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments2. Problematisch wird die Feststellung des Testierwillens bei nachträglichen Änderungen und Ergänzungen sowie bei einem lückenhaften Testament. Ist die nachträgliche Änderung offensichtlich vom Testierwillen gedeckt, so ist sie wirksam. Beispiel: In Ergänzung zu meinem am 17.11.2000 in Fulda errichteten Testament vermache ich meiner Tochter A neben unserem Segelboot auch meine Uhren-Sammlung.

191

Fehlt der Testierwille bei der Errichtung des Testaments, so reicht es bei späteren Änderungen aus, wenn der zunächst fehlende Testierwille im Zeitpunkt der Änderung oder Ergänzung vorhanden ist, soweit er sich dann auch auf den gesamten Text erstreckt.

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Bei einer Lücke im Testament, z.B. der Name des Erben wurde ausgelassen, ist die Verfügung grundsätzlich unwirksam. Wirksam ist die Verfügung nur dann, wenn trotz der Auslassung ein Testierwille zweifelsfrei festgestellt werden kann. Verfügungen, die sich nicht auf den lückenhaften Text beziehen, bleiben wirksam. b) Eigenhändigkeit der Niederschrift

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Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines privatschriftlichen eigenhändigen Testaments sind die eigenhändige Niederschrift durch den Erblasser und die eigenhändige Unterschrift3. Der Erblasser muss den gesamten Wortlaut des Testaments selbst mit der Hand schreiben. Diese zwingenden Formerfordernisse können nicht umgangen werden, bspw. indem Dritte hierfür durch den Erblasser beauftragt werden4 und für diesen ein Testament niederschreiben. aa) Zwingende Formvorschrift

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Durch die Eigenhändigkeit soll die Echtheit der Urkunde aufgrund der individuellen Merkmale, welche die Handschrift eines jeden Menschen aufweist, nach1 BayObLG v. 21.7.1970 – 1a Z 108/69, BayObLGZ 1970, 173 = NJW 1970, 2300. 2 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242 = MDR 1981, 736 = FamRZ 1981, 662; BayObLG v. 23.5.1995 – 1Z BR 128/94, FamRZ 1996, 123 = NJW 1996, 133 f. 3 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, Handbuch der Vermögensnachfolge, Rz. 231. 4 BayObLG v. 30.11.1989 – BReg.1a Z 28/89, FamRZ 1990, 441 (442). 144

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 198

gewiesen werden1. Der Erblasser muss die gesamte Testamentserklärung eigenhändig geschrieben haben (§ 2247 Abs. 1 BGB). Ist dies nicht der Fall, so ist das Testament nichtig. Ein mit der Maschine geschriebenes und vom Erblasser nur unterschriebenes Testament ist ebenso unwirksam errichtet worden wie eine nach Diktat des Erblassers durch eine dritte Person errichtete Niederschrift, die der Erblasser unterzeichnet hat. Auch die Verweisung auf Urkunden, die nicht der Testamentsform genügen, ist unzulässig. Andererseits kann eine Durchschrift, die mittels Kohlepapier oder Blaupause entsteht, formwirksam sein. Hier ist jedoch eine sorgfältige Prüfung der Echtheit geboten2. Möglich ist auch, dass der Erblasser beim Schreiben seines Testaments von einem Dritten unterstützt wird, z.B. durch Halten des Arms oder der Hand. Eine bloße Unterstützung durch Dritte kann so lange angenommen werden, wie die Schriftzüge des Erblassers von seinem Willen abhängig sind und durch ihn bestimmt werden3. Jeder darüber hinausgehende Einfluss auf die Schreibleistung des Testierenden führt zur Unwirksamkeit des Testaments, selbst wenn die niedergelegte Erklärung dem tatsächlichen Willen des Erblassers entspricht.4

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Da der objektive Inhalt der Verfügung von einem Dritten zu ermitteln ist, muss der Text lesbar sein5. Ein nicht lesbares Testament ist nichtig und bleibt es auch, selbst wenn im Nachhinein seine Bedeutung anhand von Zeugenaussagen nachvollzogen werden kann6. Ein Erblasser, der nicht schreiben kann, hat daher auch nicht die Möglichkeit, ein eigenhändiges Testament zu errichten7.

196

Das Erfordernis der Eigenhändigkeit kann nicht durch Zeugen oder andere Hilfsund Beweismittel ersetzt werden. Auch durch Auslegung kann die zwingende Formvorschrift der Eigenhändigkeit nicht nachträglich konstruiert werden. Der Begriff eigenhändig ist jedoch nicht buchstäblich zu verstehen: Behinderte können bspw. auch mit Prothese, einem Fuß oder ihrem Mund ein Schreibwerkzeug führen und so ihre letztwillige Verfügung schreiben.

197

Unzulässig sind dagegen Hilfsmittel, wie Schreibmaschine, Computer, Stempel, Fotokopien etc., da es hier an dem nötigen individuellen Schriftzug fehlt. Auch die inhaltliche Bezugnahme eines eigenhändigen Textteils, der lediglich der Feststellung der Urheberschaft dienen soll, aber keine letztwilligen Verfügungen enthält, auf einen vorangestellten maschinenschriftlichen Textteil reicht für die Wahrung der Testamentsform des § 2247 Abs. 1 BGB nicht aus8.

197a

Ist die Eigenhändigkeit strittig, kann das Gericht einen Schriftvergleich anordnen, selbst Augenschein durchführen oder ein Sachverständigengutachten einholen9.

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1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 3.2.1967 – III ZB 14/66, BGHZ 47, 68 (70). BGH v. 3.2.1967 – III ZB 14/66, BGHZ 47, 68 (69 ff.). BGH v. 3.2.1967 – III ZB 14/66, BGHZ 47, 68 (71). OLG Hamm v. 2.10.2012 – 15 W 231/12, FamRZ 2013, 1069. OLG Hamm v. 27.6.1991 – 15 W 116/91, Rpfleger 1991, 419 (420) = NJW-RR 1991, 1352 = FamRZ 1992, 356. OLG Hamm v. 27.6.1991 – 15 W 116/91, FamRZ 1992, 356. MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 14. OLG Hamm v. 10.1.2006 – 15 W 414/05, FamRZ 2006, 1484 = FGPrax 2006, 168. BayObLG v. 10.9.1985 – BReg.1 Z 49/85, FamRZ 1985, 1286 = NJW-RR 1986, 494. Esser

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B II

Rz. 199

Formen letztwilliger Verfügung

bb) Sprache und Schriftzeichen 199

Gleichgültig sind das Schreibmaterial, die Sprache oder die Schriftart (Druckbuchstaben, Kurzschrift), solange der Inhalt der letztwilligen Verfügung nur mit den üblichen Mitteln nachvollzogen werden kann. Das Testament muss verständlich sein und eine ernst gemeinte Erklärung des letzten Willens enthalten1. Allerdings müssen Schriftzeichen verwendet werden. Ein Pfeildiagramm erfüllt die Voraussetzungen eines eigenhändig geschriebenen Testaments nicht2.

200

Das eigenhändige Testament kann in jeder lebenden oder toten Sprache geschrieben werden, die der Erblasser hinreichend beherrscht und lesen kann3. Nach einer anderen Auffassung soll es ausreichen, wenn der Erblasser das Testament von einer Vorlage in einer ihm fremden Sprache abschreibt4. Dieser sehr umstrittenen Auffassung kann nicht gefolgt werden, da ein bspw. durch einen Dolmetscher übersetztes Testament wenigstens Interpretationsfehler enthalten kann.

201

Strittig ist, ob ein in Blindenschrift geschriebenes Testament wirksam ist. Nach der h.M. kann ein in Blindenschrift geschriebenes Testament nicht wirksam sein, da diese Punktschrift nicht die geforderten individuellen Merkmale einer Handschrift aufweist5. Ebenso können Schreibunfähige kein eigenhändiges Testament errichten. In diesen Fällen ist ein öffentliches Testament durch Übergabe einer Schrift nach § 2232 S.1 BGB möglich6.

201a

Zwar ist grundsätzlich unerheblich, auf welchem Material das Testament geschrieben wird7, doch kann aus der Wahl des Materials auch auf die Ernsthaftigkeit des Testierwillens geschlossen werden8. cc) Bezugnahme auf andere Schriftstücke

202

Da das eigenhändige Testament gem. § 2247 Abs. 1 BGB vom Erblasser selbst geschrieben werden muss, kann auch nur auf eigenhändig geschriebene und unterschriebene oder sich in der besonderen amtlichen Verwahrung befindliche öffentliche Testamente und den Erbvertrag Bezug genommen werden. Nur diese Formen letztwilliger Verfügungen unterliegen nicht den typischen Fälschungsgefahren maschinell geschriebener Dokumente9.

203

Nimmt der Text Bezug auf Anlagen, die der letztwilligen Verfügung beigefügt werden, so ist hinsichtlich deren Wirksamkeit wie folgt zu unterscheiden:

204

Dienen die Bezugnahmen der näheren Erläuterung der testamentarischen Bestimmungen, z.B. der Hinweis auf einen Katasterplan, so ist die Verweisung un1 2 3 4 5 6 7 8 9

Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 24 ff. OLG Frankfurt v. 11.2.2013 – 20 W 542/11, FamRZ 2013, 1423. MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 12; Soergel/Mayer, § 2247 Rz. 13. Lange/Kuchinke, § 19 III Rz. 42. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 7; a.A. Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 31; RGRKBGB/Kregel, § 2247 Rz. 30; Lange/Kuchinke, § 20 IV 1c. MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 13. MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 13. Nieder, Rz. 1078. BayObLG v. 6.7.1990 – BReg.1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404 (1405); Grundmann, AcP 187 (1987), 429 (468); MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 20.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 207

problematisch, da es sich lediglich um eine weitere Konkretisierung des formgültig erklärten wirklichen Willens des Erblassers handelt1. So muss etwa ein bereits existierender Plan nicht eigenhändig vom Testator erneut gezeichnet werden2. Dasselbe gilt für eine maschinenschriftlich erstellte Auflistung der im eigenhändig geschriebenen Testament bereits erwähnten Vermögensgegenstände3. Es genügt, wenn der Erblasser in einem privatschriftlichen Testament über sein gesamtes Vermögen verfügt und dieser Urkunde eine Maschinen geschriebene Anlage mit näheren Erläuterungen beifügt4.

205

Beratungssituationen: (1) Die Erblasserin hat ein formwirksames eigenhändiges Testament errichtet. In diesem Testament nimmt sie Bezug auf eine maschinengeschriebene, mit Kennziffern versehene Aufstellung ihrer Schmuckstücke, die sie ihren Töchtern und Enkelinnen zukommen lassen möchte. Im Testament führt sie nur noch die entsprechenden Nummern auf. (2) Setzt der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung „die in beigefügter Liste aufgeführten lebenden Verwandten“ als Schlusserben ein, kann bei der Auslegung der letztwilligen Verfügung im Hinblick darauf, welche Personen mit dem gewählten Ausdruck bedacht sein sollen, eine dem Testament beigelegte Liste verwertet werden, selbst wenn die Liste als solche nicht der vorgeschriebenen Testamentsform entspricht5. Eine solche Bezugnahme ist formunwirksam, wenn die räumlich im Anschluss an das unterschriebene Testament abgefasste „Liste“ nicht unterschrieben ist.6 Bezieht sich der Erblasser auf ein Testament, welches durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung unwirksam geworden ist, wird der Form nur dann genügt, wenn es sich um ein eigenhändiges Testament handelt, das den hierfür geltenden Formerfordernissen entspricht7.

206

Werden aber Erben durch die Bezugnahme auf ein nicht eigenhändig geschriebenes Schriftstück eingesetzt oder Vermächtnisse auf diese Weise zugewandt, kann das nach den Grundsätzen der §§ 2085, 139 BGB die Nichtigkeit der gesamten letztwilligen Verfügung bewirken8. Gleiches gilt, wenn sich aus der Bezugnahme überhaupt erst der Testierwille des Erblassers ergibt9.

207

1 BGH v. 29.5.1980 – IVa ZR 26/80, MDR 1980, 831 = Rpfleger 1980, 337; BayObLG v. 10.7.1979 – 1Z 28/79, BayObLGZ 79, 215. 2 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 74. 3 OLG Zweibrücken v. 11.1.1989 – 3 W 177/88, MDR 1989, 741 = NJW-RR 1989, 1413 = FamRZ 1989, 900. 4 MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 20. 5 OLG Hamm v. 1.10.2002 – 15 W 164/02, FamRZ 2003, 1325 = NJW 2003, 2391 = ZEV 2003, 417. 6 OLG München v. 7.10.2010 – 31 Wx 161/10, FamRZ 2011, 502. 7 OLG Zweibrücken v. 11.1.1989 – 3 W 177/88, MDR 1989, 741 = FamRZ 1989, 900 = NJW-RR 1989, 1413; BayObLG v. 6.7.1990 – BReg. 1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404 = NJW-RR 1990, 1481. 8 Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 8. 9 OLG Hamm v. 27.6.1991 – 15 W 116/91, FamRZ 1992, 356, m. Anm. Musielak. Esser

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B II 208

Rz. 208

Formen letztwilliger Verfügung

Tritt bei einem gemeinschaftlichen eigenhändigen Testament ein Ehegatte der formnichtigen (weil nicht unterschriebenen) Haupterklärung des anderen Ehegatten bei, führt die unterschriebene Beitrittserklärung nicht zur Heilung des Formmangels und stellt keine zulässige Bezugnahme dar1. Das gemeinschaftliche Testament wäre insgesamt unwirksam. Die Umdeutung nach § 140 BGB in ein formwirksames Einzeltestament ist gerade bei Beitrittserklärungen in der Regel auch nicht möglich. dd) Lesbarkeit und Zusammengehörigkeit der einzelnen Schriftstücke des Testaments

209

Unlesbare Teile des Testaments machen die dort enthaltenen Verfügungen unwirksam2. Ist das gesamte Testament bereits bei Errichtung objektiv völlig unlesbar, so liegt keine Erklärung im Rechtssinn vor; das Testament ist nichtig und bleibt es auch dann, wenn seine Bedeutung durch Umstände außerhalb der Urkunde ermittelt werden könnte3. Ist die Urkunde lediglich vom Erblasser verschlüsselt worden und kann sie durch einen Code außerhalb der Urkunde entschlüsselt werden, so ist der Wille des Testierers objektiv erkennbar schriftlich niedergelegt und damit formwirksam erklärt worden i.S.v. § 2247 Abs. 1 BGB4.

209a

Wird ein Testament nachträglich unlesbar, so berührt dies seine Wirksamkeit nicht. Entscheidend ist aber natürlich, dass die Verfügungen als solche noch nachvollziehbar bleiben.

210

Ein privatschriftliches Testament kann auf mehreren losen Blättern, von denen nur das Letzte unterschrieben ist, deren Zusammengehörigkeit jedoch zweifelsfrei feststeht, ausgearbeitet werden5. Die mechanische Verbindung der Blätter ist nicht erforderlich6. Der Zusammenhang kann sich auch aus dem Inhalt, dem Schreibmittel oder dem Material ergeben. Nicht erforderlich ist ein zeitlicher Zusammenhang, solange die Blätter nur inhaltlich ein Ganzes bilden7. Ist das der Fall, so stehen Widersprüchlichkeiten im Regelungsgehalt der Verfügung der Wirksamkeit des Testaments nicht entgegen8. c) Äußere Form des Testaments aa) Bezeichnung

211

Das Schriftstück muss nicht die Bezeichnung Testament, letzter Wille oder einen ähnlichen Titel erhalten. Auch ein Schriftstück, das anders bezeichnet wurde, kann als Testament anerkannt werden, wenn es als solches zu erkennen ist.

1 2 3 4 5 6

BayObLG v. 29.11.1968 – 1a Z 87/68, BayObLGZ 1968, 311. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 9. OLG Hamm v. 27.6.1991 – 15 W 116/91, FamRZ 1992, 356. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 9. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 12. BayObLG v. 6.9.1990 – 1a Z 75/89, FamRZ 1991, 370 (371); BGH v. 24.9.1997 – XII ZR 234/95, MDR 1998, 31 m. Anm. Sternel = NJW 1998, 58 (60). 7 BayObLG v. 21.7.1970 – 1a Z 108/69, BayObLGZ 1970, 173 (178). 8 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 53.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 216

bb) Abgeschlossene Erklärung Ein Testament setzt eine in sich abgeschlossene, durch den Erblasser unterschriebene Erklärung voraus. Daher ist ein bloßer Entwurf, auch wenn er den sonstigen Voraussetzungen des § 2247 BGB entspricht, kein formwirksam errichtetes Testament.

212

cc) Mehrere Blätter Das Testament kann sich aus mehreren, nicht miteinander verbundenen Blättern zusammensetzen, solange ein inhaltlicher Zusammenhang erkennbar ist1. Es reicht die Unterschrift auf dem letzten Blatt2.

213

d) Unterschrift des Erblassers Die eigenhändige Unterschrift des Erblassers ist ein zwingendes Formerfordernis des privatschriftlichen Testaments, § 2247 Abs. 1 BGB.

214

aa) Form und Zweck der Unterschrift Die Erklärung des Erblassers muss eigenhändig unterschrieben werden, ein Faksimile oder ein Stempel genügen nicht. Sie soll erkennen lassen, wer die Erklärung geschrieben hat und klarstellen, dass mit ihr eine rechtsverbindliche Erklärung abgeschlossen wird. Die Unterschrift soll den Vornamen und den Familiennamen des Erblassers enthalten (§ 2247 Abs. 3 S. 1 BGB). Nach § 2247 Abs. 3 S. 1 BGB genügt jedoch jede Unterzeichnung in anderer Weise, die keinen Zweifel an der Identität des Erblassers aufkommen lässt, z.B. Spitznamen, Kosenamen, Familienstellung3. Darunter fallen auch Initialen und Abkürzungen, nicht jedoch Handzeichen oder bloße Schnörkel4.

215

Beispiel: Unterzeichnet die Erblasserin K nicht mit ihrem vollen Vor- und Nachnamen, sondern mit „Mutter“, wie sie von Mann und Kindern immer genannt wird, ist die Unterschrift dennoch hinreichend klar und lässt keine Zweifel an ihrer Identität aufkommen.

Vereinzelt wird in der Literatur angenommen, dass die Zeichnung durch Anfangsbuchstaben nicht wirksam sei, da diese Art der Unterschrift nicht zweifelsfrei erkennen lassen würde, dass der Erblasser sein Testament endgültig abschließen wollte5. Da aber in der Regel anhand weiterer Merkmale des Testaments festgestellt werden kann, ob ein bloßer Entwurf oder ein letztwillige Verfügung verfasst worden ist, und es auch dem Sinn des Gesetzes entspricht, die Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen nicht an bloßen Formalien scheitern zu lassen, ist eine solche Unterzeichnung nach der h.M. wirksam6.

1 2 3 4 5 6

BayObLG v. 6.9.1990 – 1a Z 75/89, FamRZ 1991, 370 (371). BayObLG v. 1.7.1988 – 1a Z 1/88, FamRZ 1988, 1211 (1212); Kipp/Coing, § 26 I 2b. BayObLG v. 28.12.1979 – BReg.1 Z 75/79, MDR 1980, 403 = Rpfleger 1980, 189. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 10. BGB-RGRK/Kregel, § 2247 Rz. 17. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 10. Esser

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B II

Rz. 217

Formen letztwilliger Verfügung

217

Die Unterschrift muss, im Gegensatz zum Text, nicht leserlich sein. Unterschreibt der Testierer aber mit einer Buchstabe nfolge oder einem Kürzel, welche keine Beziehung zum Namen erkennen lässt und die der Erblasser auch üblicherweise nicht verwendet, so bestehen, selbst wenn die Identität des Testierers feststeht, Zweifel an seinem Testierwillen1.

218

Die Unterschrift muss den Wortlaut des Testaments abschließen, also unter dem Text stehen. Die Unterschrift ist der Abschluss der Testamentserrichtung, so dass sie grundsätzlich an den Schluss der Urkunde gehört. Sie garantiert die ernsthafte und abschließende Willensbildung des Erblassers2. Sie muss sich bei vernünftiger Betrachtung auf den gesamten Text beziehen. Die häufig verwendete Selbstbezeichnung zu Beginn oder im Verlauf des Textes (z.B. „Hiermit erkläre ich, Hans Schnell, meinen letzten Willen.“) genügt nicht, da dieses nach der h.M. keine Unterschrift i.S.v. § 2247 Abs. 1 BGB darstellt3.

218a

Die Selbstbezeichnung des Erblassers am Schluss der Urkunde (z.B. „Ich, Hans Schnell, habe dieses Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben.“) genügt als Unterschrift nur dann, wenn der Erblasser mit diesem Vermerk die Urkunde endgültig abschließen und damit seine Unterschrift leisten wollte4.

218b

Setzt sich das Testament aus mehreren Bogen zusammen, genügt die Unterschrift auf dem letzten Bogen, selbst wenn die Bogen nicht miteinander verbunden sind5. bb) Die Unterschrift auf einem Briefumschlag

219

Unterschiedlich beantwortet bleibt die Frage, ob die Unterschrift auf einem Briefumschlag, in dem sich das Testament befindet, den Formerfordernissen des § 2247 BGB genügt. Die Unterschrift auf dem verschlossenen Umschlag ist dann ausreichend, wenn sie sich eindeutig auf den Inhalt des Umschlags bezieht, also eine äußere Fortsetzung der innen liegenden Erklärung gegeben ist6.

220

Problematisch ist die Unterschrift auf einem unverschlossenen Umschlag, in dem sich das Testament befindet. Nach einer Ansicht genügt diese Unterschrift grundsätzlich nicht den Erfordernissen des § 2247 BGB, da es sich hierbei um eine nur vorläufige, ungeschützte und jederzeit aufhebbare Verbindung handelt7. Nach anderer Ansicht ist ein Verschließen des Umschlags nicht erforderlich, da ja auch bei einem mehrseitigen Testament eine mechanische Verbindung nicht gefordert wird und das Verschließen des Umschlags auch im Nachhinein durch Dritte erfolgt sein kann8. 1 2 3 4 5 6

Dittmann/Reimann/Bengel, § 2247 Rz. 21. BayObLG v. 12.8.2002 – 1Z BR 66/02, ZEV 2003, 26 m.w.N. Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 11. BayObLG v. 29.11.1968 – 1a Z 87/68, BayObLGZ 1968, 311; Haegele, JurBüro 1968, 3. MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 34; Soergel/Mayer, § 2247 Rz. 28. OLG Frankfurt v. 14.6.1971 – 6 W 191/71, NJW 1971, 1811 (1812); BayObLG v. 1.7. 1988 – BReg.1a Z 1/88, NJW-RR 1989, 9; BGH v. 30.10.1985 – IVa ZR 26/84, MDR 1986, 208 = FamRZ 1986, 156 = NJW-RR 1986, 494 (495); BayObLG v. 12.8.2002 – 1Z BR 66/02, ZEV 2003, 26. 7 OLG Hamm v. 14.3.1986 – 15 W 423/85, FamRZ 1986, 728; a.A. BayObLG v. 27.5. 1986 – 1Z 7/86, Rpfleger 1986, 294. 8 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2247 Rz. 23 m.w.N. 150

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 225

Die auf einem verschlossenen Umschlag geschriebene Unterschrift reicht nicht aus, wenn die Unterschrift auf dem Umschlag selbst keine eigenständige Bedeutung hat, sondern Teil einer weiteren Erklärung ist. Sie ersetzt dann nicht mehr allein die Unterschrift unter dem Text, sondern kann sich auch ausschließlich auf die weitere Anweisung beziehen, so dass der nicht unterschriebene Text formunwirksam ist1. Hier kommt es jedoch auf den Einzelfall an und die Feststellung, dass zwischen dem Text auf dem Umschlag und den innen liegenden Blättern ein so enger innerer Zusammenhang besteht, dass die zugefügte Unterschrift nach dem Willen des Erblassers und der Verkehrsauffassung als die geforderte äußere Fortsetzung und Abschluss der einliegenden Erklärung beurteilt werden kann2.

221

Beratungshinweis: Verneint wurde jedoch die Wirksamkeit eines Testaments, wenn sich auf dem Umschlag die unterschriebene Erklärung „Nach meinem Tod öffnen“ oder „Hier befindet sich mein Testament“ befindet3. Teilweise wird auch auf eine Unterscheidung zwischen verschlossenen und unverschlossenen Umschlägen verzichtet mit dem Hinweis darauf, dass ein Testament auch auf verschiedenen Materialien errichtet werden kann, ohne dass es hierdurch formunwirksam ist. Stellt sich die Erklärung auf dem Umschlag als Fortsetzung der im Umschlag enthaltenen Niederschrift dar, schließt die Unterschrift auf dem Umschlag das darin befindliche Testament ab4. Ob aber dies der Fall ist, sei Tatfrage, worüber die Verkehrsauffassung zu entscheiden habe5. So sollen z.B. dicht beschriebene Blätter im Umschlag ein Indiz für die Wirksamkeit der darauf befindlichen Unterschrift sein.

222

Die Unterschrift dient neben der Handschrift als Beweis für die Echtheit und Urheberschaft des Textes6. Zudem ist sie der räumliche Abschluss der Verfügung und damit ein Schutz vor nachträglichen Zusätzen und zur Abgrenzung der letztwilligen Verfügung von bloßen Vorentwürfen7.

223

cc) Wirkung der fehlenden Unterschrift Fehlt die Unterschrift, so ist das Testament unwirksam. Eine Heilung dieses Formfehlers ist nicht möglich.

224

e) Erfordernis von Zeit- und Ortsangaben bei Errichtung des Testaments Nach § 2247 Abs. 2 BGB soll der Erblasser bei Errichtung des Testaments Ort und Zeit der Errichtung angeben. Da § 2247 Abs. 2 BGB aber nur eine Sollvorschrift ist, hat die Nichtbeachtung keine Auswirkung auf die Wirksamkeit des Testaments. Aus der fehlenden Angabe über Ort und Zeit der Errichtung der 1 MüKo.BGB/Hagena, § 2247 Rz. 26, Dittmann/Reimann/Bengel, § 2247 Rz. 23. 2 Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 12; BayObLG v. 2.3.1982 – 1Z 129/81, BayObLGZ 1982, 132 f. 3 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2247 Rz. 23 m.w.N. 4 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 101. 5 OLG Düsseldorf v. 8.11.1971 – 3 W 105/71, NJW 1972, 260. 6 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2247 Rz. 19; Lange/Kuchinke, § 20 III 3a. 7 Lange/Kuchinke, § 30 III 3b; Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 13. Esser

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225

B II

Rz. 226

Formen letztwilliger Verfügung

letztwilligen Verfügung können sich jedoch Zweifel an seiner Wirksamkeit ergeben, wenn bspw. der Erblasser testierunfähig geworden ist und nicht mehr festgestellt werden kann, ob das Testament noch im Zustand der Testierfähigkeit errichtet worden ist. Die Darlegungs- und Beweislast für die Wirksamkeit des Testaments hat nach § 2247 Abs. 5 BGB dann derjenige, der sich darauf beruft1.

Beratungshinweis: Zur Vermeidung nachträglich auftretender Probleme ist daher dringend anzuraten, jede eigenhändige letztwillige Verfügung mit der Angabe des Ortes und des Datums ihrer Errichtung zu versehen. 226

Die letztwillige Verfügung muss nicht einheitlich und zusammenhängend errichtet werden2. Die Errichtung kann sich auch über längere Zeit erstrecken und an verschiedenen Orten erfolgen3. Nach der h.M. ist es für die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung ohne Bedeutung, in welcher zeitlichen Reihenfolge die einzelnen Bestandteile des Testaments niedergeschrieben worden sind4. f) Nachträge zum Testament

227

Da das Testament nicht zeitlich zusammenhängend errichtet werden muss, sind nachträgliche Veränderungen jederzeit möglich5. Keine Bedenken bestehen bei Berichtigungen von Schreibfehlern, Rechenfehlern und anderen offenkundigen Unrichtigkeiten, wenn sich diese aus dem Zusammenhang des Testaments oder aus den Umständen der Errichtung des Testaments ohne Weiteres ergeben. aa) Streichungen und Rasuren

228

Eigenhändige Durchstreichungen oder Rasuren des Erblassers sind zulässig, selbst wenn sie der Errichtung nachfolgen. Sie beeinträchtigen allerdings u.U. die Beweiskraft der Urkunde, § 419 ZPO. Da der Erblasser jedoch nach § 2255 BGB den Inhalt des gesamten Testaments durch Streichungen widerrufen kann, muss dieses auch bei einzelnen Verfügungen des Testaments möglich sein. bb) Berichtigungen innerhalb des Textes, oberhalb der Unterschrift

229

Nachträge zu einem eigenhändigen Testament, die von der Unterschrift des Erblassers räumlich gedeckt sind, müssen, auch wenn sie sachliche Verfügungen enthalten, nicht gesondert unterschrieben werden. Ausreichend ist, wenn die Auslegung ergibt, dass diese Nachträge entsprechend dem Willen des Erblassers durch die vorhandene Unterschrift umfasst sein sollen und das äußere Erscheinungsbild der Annahme nicht entgegensteht6. Sie sind somit ohne erneute Unterschrift wirksam, wenn sie vom Testator eigenhändig geschrieben wurden. Das gilt auch dann, wenn die Veränderungen zu einer nachträglichen sachlichen Änderung des Testaments führen. 1 Baumgärtel/Strieder, § 2247 BGB Rz. 9. 2 BGH v. 1.7.1959 – V ZR 169/58, BGHZ 30, 294; BayObLG v. 6.9.1990 – 1a Z 75/89, FamRZ 1991, 370 (371). 3 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 46. 4 Planck/Strecker, § 2247 BGB Anm. II 5. 5 RG v. 13.12.1926 – IV 520/26, RGZ 115, 111 (114). 6 BayObLG v. 4.12.1985 – BReg.1 Z 90/85, FamRZ 1986, 835; Stumpf, FamRZ 1992, 1131 (1132). 152

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 233

Widerspricht ein formunwirksamer Nachtrag einer in einem formwirksam errichteten Testament angeordneten Verfügung, kann in dieser Hinzufügung auch der Widerruf des bis dahin wirksamen Testaments liegen1. Möglich ist, dass durch die nicht unterschriebene Hinzufügung das bisher wirksame Testament zum Entwurf einer neuen Verfügung von Todes wegen wird, welche erst wieder mit der Unterschrift zum Nachtrag formwirksam ist2. Ein nicht unterschriebener Zusatz reicht nicht, um ein widerrufenes Testament wieder in Kraft zu setzen3.

230

cc) Nachträge auf demselben Blatt, aber unterhalb der Unterschrift Grundsätzlich ist für Nachträge auf demselben Blatt der bisherigen formwirksamen Verfügung von Todes wegen die Form des § 2247 BGB erforderlich, d.h. eine gesonderte, den Text abschließende Unterschrift. Eine gesonderte Unterschrift ist nicht notwendig, soweit die Auslegung des Testaments ergibt, dass auch der Nachtrag von der vorhandenen Unterschrift nach dem Willen des Testierers gedeckt sein soll4. Der Zusatz ist auch dann wirksam, wenn er inhaltlich in einem so engen Bezug zum vorhergehenden Text steht, dass dieser erst mit dem Zusatz sinnvoll wird.

231

Beratungshinweis: Wurde der im Testament genannte Name eines Begünstigten gestrichen und mittels einer Verweisung auf den unter der Unterschrift stehenden Vermerk klargestellt, dass dort der nunmehr Begünstigte bezeichnet wird, ist dieser Nachtrag wirksam5. Enthält jedoch der nach der älteren Unterschrift stehende Zusatz eine weitere selbständige Verfügung, wird diese nur durch eine erneute Unterschrift wirksam6.

232

Beispiel: Im Testament wurde A als Alleinerbe benannt. Darauf folgt ein eigenhändiger, aber nicht unterschriebener Nachsatz: „A soll nicht mehr Alleinerbe sein. Stattdessen setze ich B ein.“ Der Nachtrag ist zwar grundsätzlich unwirksam, kann aber als Widerruf des Testaments ausgelegt werden.

Genügen die angefügten Nachträge nicht der Form des § 2247 BGB, besteht dennoch die Möglichkeit, sie zur Hilfe der Auslegung dessen zu verwenden, was im formwirksamen Testament selbst bereits verfügt wurde7. 1 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2247 Rz. 28. 2 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 59. 3 BayObLG v. 3.12.1998 – 1Z BR 164/97, BayObLGZ 1998, 314 (319) = FamRZ 1999, 817 = NJW-RR 1999, 446 (447). 4 BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083 (1084); BayObLG v. 5.6.1992 – 1Z BR 21/92, MDR 1992, 1156 = FamRZ 1992, 1353 = NJW-RR 1992, 1225 (1226). 5 BayObLG v. 9.12.1985 – BReg.1 Z 90/85, FamRZ 1986, 835 (836); sehr weitgehend OLG Frankfurt v. 13.2.1995 – 20 W 394/94, DNotZ 1996, 56 = NJW-RR 1995, 711; krit. dazu Leipold, JZ 1996, 287 (289); vgl. auch BGH v. 30.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1975, 1083 (1084). 6 OLG Köln v. 3.9.1993 – 2 Wx 23/93, MDR 1993, 1210 = NJW-RR 1994, 74 (75) = FamRZ 1994, 330. 7 BGH v. 25.10.1966 – III ZR 47/64, NJW 1966, 201 (202); Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 59. Esser

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B II

Rz. 234

Formen letztwilliger Verfügung

dd) Nachträge auf einem anderen Blatt 234

Ergänzungen auf einem neuen Blatt wirken wie eine neue letztwillige Verfügung und müssen, da sie in keinem räumlichen Zusammenhang mit dem bereits unterzeichneten Testament stehen, vom Erblasser ebenfalls unterzeichnet werden1.

235

Verändert der Erblasser eine Anlage, auf die im Testament hingewiesen wird, oder tauscht er diese aus, wird die Veränderung wie ein Nachtrag behandelt2. Beinhaltet die Anlage lediglich Erläuterungen, ist sie nicht formbedürftig.

236

Das bisher wirksame Testament kann, zusammen mit der nicht unterschriebenen Hinzufügung, Entwurf einer neuen Verfügung von Todes sein, die erst mit der Unterschrift des Nachtrags formwirksam wird3. Umstritten ist, ob auch ein nicht unterschriebener Zusatz ausreichen kann, um ein derart widerrufenes Testament wiederum in Kraft zu setzen. Nach der h.L. ist dies nicht möglich4.

236a

Formwirksam ist ein Testament auch dann, wenn der Testierende eigenhändig die Fotokopie eines von ihm eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Testaments ändert, wenn der im vorhandenen Original und auf dessen Kopie niedergelegte Text ein einheitliches Ganzes bildet5. Voraussetzung ist, dass die Anforderungen an ein gültiges Testament auch bei der Änderung erfüllt sind. Die Änderungen müssen eigenhändig vorgenommen und mit Ort, Datum und Unterschrift versehen worden sein, so dass der Testierwille eindeutig zum Ausdruck kommt. Für einen verbindlichen Testierwillen spricht insbesondere auch die Korrektur des Datums. Unschädlich ist es, wenn die Niederschrift auf mehreren, nicht miteinander verbundenen Blättern erfolgt, sofern diese inhaltlich ein Ganzes sind und eine einheitliche Willenserklärung enthalten. g) Beweisfragen

237

Derjenige, der sich auf ein Testament beruft, ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung darlegungs- und beweispflichtig für die Wirksamkeit der Verfügung. Er hat die Echtheit der Unterschrift, die Eigenhändigkeit des Textes und den Testierwillen des Erblassers zu beweisen, sofern und soweit dies bestritten wird6. Dabei ist zu beachten, dass äußerlich formwirksame Testamente eine tatsächliche Vermutung dahin gehend enthalten, dass sie in dieser Form und mit diesem Inhalt vom Erblasser verfasst worden sind7.

238

Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatsachengerichts, zu entscheiden, ob die Beweiserhebung durch formlose Ermittlung im Wege des Freibeweises (§ 26 1 BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083 (1084); Stumpf, FamRZ 1992, 1131 (1134). 2 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2247 Rz. 27. 3 Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 59. 4 Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 11; BayObLG v. 5.6.1992 – 1Z BR 21/92, BayObLG v. 5.6.1992 – 1Z BR 21/92, MDR 1992, 1156 = FamRZ 1992, 1353 = BayObLGZ 1992, 181 (182) = NJW-RR 1992, 1225 (1226); BayObLG v. 3.12.1998 – 1Z BR 164/97, BayObLGZ 98, 314 (319) = FamRZ 1999, 817 = NJW-RR 1999, 446 (447). 5 OLG München v. 25.10.2005 – 31 Wx 72/05, ZEV 2006, 33. 6 Baumgärtel/Strieder, § 2247 BGB Rz. 9. 7 Baumgärtel/Strieder, § 2247 BGB Rz. 2. 154

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 239

FamFG) oder durch eine förmliche Beweisaufnahme (§ 29 FamFG) erfolgt. Die Richtigkeit eigenhändiger Zeit- und Ortsangaben wird grundsätzlich vermutet1. Hinterlässt der Erblasser jedoch mehrere Testamente mit unterschiedlichen Inhalten, besteht für keines von ihnen eine tatsächliche Vermutung dahin gehend, dass eines von ihnen den letzten Willen des Erblassers enthält2.

M 17 Testament mit Feststellung der Testierfähigkeit Testament Ich, Marlies Müller, geb. Graf, geboren am 26.5.1930, treffe hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte die folgenden letztwilligen Verfügungen: Meinen Gesellschaftsanteil an der Müller und Seif Gesellschaft bürgerlichen Rechts vererbe ich meinem Enkel Sebastian Müller. Für den Fall seines vorzeitigen Ablebens sollen seine Abkömmlinge den Gesellschaftsanteil erhalten. Mein Haus in der Karl-Gerhard-Str. 5, 89250 Senden, Fl. Nr. 207/10, eingetragen im Grundbuch zu Senden, Blatt Nr. 5, mit dem gesamten Inventar vererbe ich meiner Enkelin Annika Müller. Ausgenommen sind unten stehende Vermächtnisse. Für den Fall ihres vorzeitigen Ablebens sollen ihre Abkömmlinge das Haus erben. Sollte mein Bruder Hans mich überleben, vererbe ich ihm das auf meinem Konto Nr. 123 345 bei der Großbank, BLZ 200 00 01, befindliche Vermögen. Sollte mein Bruder vor mir versterben, soll auch dieses Vermögen zu gleichen Teilen an meine beiden Enkel Paul und Annika gehen. Meiner Nichte Annelore Stein vermache ich meine Sammlung ostfriesischer Teetassen. Meinem Neffen David Stein vermache ich meinen Weinkeller und mein Auto. Ulm, den 23.9.2014 Unterschrift

h) Das eigenhändige gemeinschaftliche Testament, § 2267 BGB aa) Die Form des gemeinschaftlichen Testaments Eine Formerleichterung für die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments gewährt § 2267 BGB. Diese gilt nur für Ehegatten und gleichgeschlechtliche Lebenspartner i.S.v. § 10 Abs. 4 LPartG. § 2267 BGB gilt eingeschränkt für Verlobte, nicht jedoch für sonstige nichteheliche Lebensgefährten. Nach § 2267 BGB ist es ausreichend, wenn ein Ehegatte oder Lebenspartner das Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichtet und der andere Ehegatte oder Lebenspartner diese Verfügung eigenhändig unterzeichnet. Die früher vorgeschriebene Beitrittserklärung ist heute nicht mehr erforderlich. Wird das Testament in einer anderen Form errichtet, beurteilt sich seine Wirksamkeit nach § 2247 BGB3. 1 BayObLG v. 10.8.1990 – 1a Z 84/88, FamRZ 91, 237. 2 BayObLG v. 7.4.1989 – 1a Z 9/88, NJW-RR 89, 1092. 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2267 Rz. 17. Esser

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239

B II

Rz. 239a

Formen letztwilliger Verfügung

Beratungshinweis: Schreibt jeder Ehegatte/Lebenspartner auf demselben Blatt Papier nur die seinen Nachlass betreffenden Verfügungen auf, handelt es sich nicht um ein gemeinschaftliches Testament, da keine gemeinsamen Regelungen getroffen worden sind, sondern um zwei selbstständige eigenhändige Testamente i.S.v. § 2247 Abs. 1 BGB. 239a

Für ein gemeinschaftliches Testament ist es nicht ausreichend, dass Ehegatten/ Lebenspartner in getrennten Urkunden am selben Tag und Ort im Wesentlichen inhaltsgleiche Verfügungen treffen. Soweit die Testamente nicht ausdrücklich Bezug auf das jeweils andere nehmen, muss sich durch die Auslegung der Verfügungen sowie etwaig bestehender Ergänzungen ergeben, dass es sich um ein gemeinschaftliches Testament handelt1. Für ein gemeinschaftliches Testament spricht die übereinstimmende Wahl der Gestaltung, die zeigt, dass die Ehegatten/Lebenspartner in Kenntnis und in Absprache des jeweils anderen gehandelt haben.

240

§ 2267 BGB regelt lediglich die erleichterte Form des gemeinschaftlichen Testaments. Im Übrigen muss aber auch das gemeinschaftliche Testament entsprechend § 2247 BGB von beiden Ehegatten/Lebenspartnern eigenhändig unterschrieben werden. Aus der Verfügung muss sich unmissverständlich ergeben, dass die letztwillige Anordnung für den Nachlass beider Ehegatten/Lebenspartner getroffen werden soll2.

241

Den Formerfordernissen ist auch dann Genüge getan, wenn das gemeinschaftliche Testament durch einen Ehegatten in der „Ich-Form“ verfasst, dann aber von beiden Ehegatten/Lebenspartnern unterschrieben wurde3.

242

Ob die vorliegende letztwillige Verfügung ein gemeinschaftliches Testament darstellt, ist im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln4. Ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament kann jedenfalls dann nicht erstellt werden, wenn auch nur ein Ehegatte/Lebenspartner minderjährig ist oder nicht lesen kann (§ 2247 Abs. 4 BGB). In diesem Fall ist nur ein öffentliches Testament möglich.

243

Bei der Unterschrift beider Ehegatten/Lenespartner sind die Formerfordernisse des § 2247 BGB zu beachten, d.h., die Verfügung muss grundsätzlich mit dem Vor- und Familiennamen unterschrieben werden5 (vgl. Rz. 214 ff.). Aber auch hier gilt, dass andere Unterzeichnungsformen wirksam sind, wenn die Urheberschaft und die Ernsthaftigkeit des Willens der Unterzeichnenden feststehen.

244

Der mitunterzeichnende Ehegatte/Lebenspartner soll angeben, wann und wo er den Text mitunterschrieben hat. Fehlt diese Angabe, so ist § 2247 Abs. 5 BGB entsprechend anzuwenden. Nach § 2267 BGB sind die Unterschriften beider Ehegatten/Lebenspartner gleichwertig, so dass es auf ihre Reihenfolge nicht an1 OLG München v. 23.7.2008 – 31 Wx 34/08, ZEV 2008, 485 ff. 2 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2267 Rz. 19. 3 BayObLG v. 8.6.1993 – 1Z BR 95/92, FamRZ 1994, 193 = BayObLGZ 1993, 240; MüKo.BGB/Musielak, § 2267 Rz. 10; Kipp/Coing, § 33 II 2; krit. dazu Haegele, Rpfleger 1972, 404. 4 BayObLG v. 9.6.1959 – 1Z 211/58, BayObLGZ 1959, 199 = NJW 1959, 1969. 5 RGRK/Johannsen, § 2267 Rz. 13; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2267 Rz. 22. 156

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 249

kommt. Der mitunterzeichnende Ehegatte/Lebenspartner kann seine Unterschrift auch erst später unter die letztwillige Verfügung setzen1. Aus dem Wesen des gemeinschaftlichen Testaments folgt aber, dass jeder Ehegatte/Lebenspartner die Mitwirkung des anderen kennen und billigen muss2. Deshalb genügt eine vorab erteilte Blankounterschrift nicht3. Die fehlende Unterschrift muss spätestens bis zum Tod des anderen Ehegatten/Lebenspartners nachgeholt werden. Ein Beitritt, der erst nach längerer Zeit erfolgt, ist unschädlich, solange im Zeitpunkt des Beitritts der Wille des ersttestierenden Ehegatten/Lebenspartners zur gemeinschaftlichen Testierung weiterhin besteht.4

245

Möglich ist auch, dass die Ehegatten/Lebenspartner den Text abwechselnd schreiben und dann unterzeichnen. Es müssen jedoch sämtliche Verfügungen von den Unterschriften gedeckt sein. Unterhalb der Unterschrift des mitunterzeichnenden Ehegatten/Lebenspartners dürfen keine weiteren Anordnungen angefügt werden.

246

Ein Testament, in dem ein Ehegatte/Lebenspartner zunächst seine Verfügungen und dann die des Ehegatten/Lebenspartners unterschreibt, erfüllt weder die Voraussetzungen des § 2267 BGB noch die des § 2247 BGB und ist daher nichtig5. Die Erblasser haben hier außer Acht gelassen, dass Voraussetzung für die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung zum einen die Einhaltung der erforderlichen Form der Errichtung ist und zum anderen ein Errichtungszusammenhang gegeben sein muss. Im oben geschilderten Fall ist zwar der Errichtungszusammenhang gegeben, das zwingende Formerfordernis der Unterzeichnung der gemeinschaftlichen Erklärung durch beide Ehegatten/Lebenspartner wurde jedoch nicht eingehalten6.

247

Zusätze, die der Unterschrift des mitunterzeichnenden Ehegatten/Lebenspartners beigefügt werden und durch die das Einverständnis mit dem Inhalt der gemeinschaftlichen Erklärung zum Ausdruck gebracht wird, sind nicht erforderlich, schaden aber auch nicht7. Deshalb bleibt es für die Formgültigkeit ohne Wirkung, wenn ein solcher Zusatz nicht von dem unterschreibenden Ehegatten/Lebenspartner, sondern von dem anderen handschriftlich hinzugefügt worden ist8.

248

Die Umdeutung formnichtiger gemeinschaftlicher Testamente in wirksame Einzeltestamente ist grundsätzlich nach § 140 BGB möglich9. Voraussetzung ist,

249

1 Lange/Kuchinke, § 24 III 2b; Staudinger/Kanzleiter, § 2267 Rz. 17. 2 Lange/Kuchinke, § 22 III 2a; Kipp/Coing, § 33 II 2; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2267 Rz. 19 ff. 3 OLG Hamm v. 19.10.1992 – 15 W 235/92, MDR 1993, 355 = FamRZ 1993, 606 = NJW-RR 1993, 269 (270). 4 Beitritt nach sechs Jahren: OLG München v. 1.12.2011 – 31 Wx 249/10, FamRZ 2012, 581. 5 Rötelmann, NJW 1957, 876; Erman/Kappler/Kappler, § 2267 Rz. 3; MüKo.BGB/Musielak, § 2267 Rz. 20. 6 BGH v. 28.1.1958 – V BLW 52/57, NJW 1958, 547. 7 BayObLG v. 8.6.1993 – 1Z BR 95/92, FamRZ 1994, 193 = NJW-RR 1993, 1157 (1158). 8 MüKo.BGB/Musielak, § 2267 Rz. 12; a.A. bezüglich der vom Schreiber der Haupterklärung stammenden Beitrittserklärung OLG Hamm v. 1.10.1971 – 15b W 112/71, OLGZ 1972, 139 = NJW 1972, 770. 9 Palandt/Weidlich, § 2267 Rz. 4. Esser

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B II

Rz. 250

Formen letztwilliger Verfügung

dass die Verfügung den Formerfordernissen des § 2247 BGB genügt und die Umdeutung dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht1.

Beratungshinweis: Ein von einem Ehegatten vollständig niedergeschriebenes und unterzeichnetes Testament wird – z.B. infolge des plötzlichen Todes des anderen Ehegatten – nicht mehr unterzeichnet. Die letztwillige Verfügung des überlebenden Ehegatten kann in ein formwirksames eigenhändiges Testament umgedeutet werden. 250

Eine Umdeutung in ein Einzeltestament ist praktisch nur für die Haupterklärung möglich, nicht jedoch für die Beitrittserklärung des Ehegatten/Lebenspartners, da diese in der Regel den Formerfordernissen des § 2247 BGB nicht genügen dürfte2. Die Umdeutung eines vom anderen Ehegatten/Lebenspartner nicht unterzeichneten gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament ist möglich, aber erfordert die Feststellung, dass nach dem Willen des Testierenden seine Verfügung auch unabhängig vom Beitritt des anderen gelten sollte.3

251

Das gemeinschaftliche Testament hat die letztwilligen Verfügungen beider Ehegatten/Lebenspartner zum Inhalt, seien es wechselbezügliche i.S.v. § 2270 BGB oder einseitige4. In dem gemeinschaftlichen Testament kann jeder Ehegatte/Lebenspartner jede Verfügung treffen, die er auch durch ein Einzeltestament hätte treffen können5.

M 18 Gemeinschaftliches Testament mit Schlusserbeneinsetzung Gemeinschaftliches Testament Wir, Lisa Denk, geb. Honold, geboren am 26.5.1930, und Heinz Denk, geboren am 13.2.1933, beide wohnhaft zur Zeit der Aufsetzung dieses gemeinschaftlichen Testaments in der Lerchenstraße 19 in Hamburg, verfügen das Folgende: Hiermit setzen wir uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere beiden gemeinsamen Kinder, David Denk und Jan Denk. Datum Unterschriften

bb) Die Wiederverheiratungsklausel 252

Um den Schlusserben den Nachlass des erstversterbenden Ehegatten auch für den Fall zu erhalten, dass der überlebende Elternteil nochmals heiratet und hierdurch neue Pflichtteilsansprüche eines hinzutretenden Ehegatten entstehen, können so genannte Wiederverheiratungsklauseln in ein gemeinschaftliches Testament aufgenommen werden. Ziel ist es, den Schlusserben, in der Regel 1 2 3 4 5

MüKo.BGB/Musielak, § 2265 Rz. 7. Palandt/Weidlich, § 2267 Rz. 4. OLG München v. 23.4.2014 – 31 Wx 22/14, FamRZ 2014, 1662. Dittmann/Reimann/Bengel, Vor §§ 2265 ff. Rz. 42. Planck/Greif, Vor §§ 2265 ff. BGB Anm 4.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 252d

also den Kindern, den Nachlass des Erstversterbenden und auch die Teilhabe am Nachlass des Längerlebenden zu sichern. Eine oft gewählte Formulierung stellt eine Kombination aus Voll- und Vorerbschaft dar. Dabei ist die Vollerbschaft auflösend bedingt, endet also mit der Wiederverheiratung des Längerlebenden. Die Vorerbschaft hingegen ist aufschiebend bedingt, setzt also mit der Wiederverheiratung ein.

M 19 Testamentarische Wiederverheiratungsklausel Heiratet der längerlebende Ehegatte nach dem Tod des Erstversterbenden nochmals, ist er nur als Vorerbe eingesetzt. Der Nacherbfall tritt mit der Wiederverheiratung des längstlebenden Ehepartners ein.

Alternativ hierzu ist auch die Anordnung eines Wiederverheiratungsvermächtnisses möglich.

252a

M 20 Testamentarisches Wiederverheiratungsvermächtnis Der überlebende Ehepartner hat im Falle seiner erneuten Heirat den Nachlass an unsere gemeinsamen Kinder Jan und Heidi herauszugeben.

Die vorgenannten Wiederverheiratungsklauseln schränken den überlebenden Ehegatten oder Partner in besonderer Weise bezüglich der zukünftigen Verfügung über das gemeinsame, aber auch über sein eigenes Vermögen ein.

252b

Statt einer Vor- und Nacherbschaft sowie der auflösend bedingten Vollerbschaft können durch die Ehepartner aufschiebend bedingte Vermächtnisse für den Fall einer Wiederheirat angeordnet werden. Die Vermächtnisse müssen hinreichend genau beschrieben, die Vermächtnisnehmer klar benannt werden.

252c

Oft ist es gerade im Interesse der Ehepartner, insbesondere für die gemeinsame Immobilie eine Regelung zu treffen, die verhindert, dass ein neuer Ehepartner Zugriff erhält. Diese Anordnung kann in einem Herausgabevermächtnis getroffen werden.

252d

M 21 Herausgabevermächtnis in einem gemeinschaftlichen Testament Heiratet der länger lebende Ehepartner nochmals, hat dieser unseren gemeinsamen Kindern Doris und Hans unser Anwesen in der Elbchaussee 25, Hamburg, zu gleichen Teilen zu Eigentum zu übertragen. Zu übertragen ist sowohl der von dem Längstlebenden ererbte Miteigentumsanteil des Erstversterbenden als auch der ihm schon vor dem Erbfall gehörende Miteigentumsanteil. Mit Fälligkeit des Vermächtnisses haben unsere gemeinsamen Kinder die noch im Grundbuch eingetragenen Sicherheiten zu übernehmen. Eine erneute Valutierung der Grundschulden durch den länger Lebenden ist ausgeschlossen.

Esser

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B II 252e

Rz. 252e

Formen letztwilliger Verfügung

Darüber hinaus besteht gerade zur Sicherung von Immobilienvermögen gem. § 883 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, Übereignungspflichten im Grundbuch zu verankern. In einem gemeinschaftlichen Testament kann dieses durch eine Auflage angeordnet werden.

M 22 Testamentarische Verpflichtung zur Eintragung einer Auflassungsvormerkung Zur Sicherung der Übereignungsverpflichtung des länger Lebenden gegenüber unseren gemeinsamen Kindern Doris und Hans ist auf seine Kosten eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch einzutragen.

cc) Das gleichzeitige oder äußerlich gemeinschaftliche Testament 253

Das sog. gleichzeitige gemeinschaftliche Testament fasst inhaltlich unterschiedliche und voneinander unabhängige Einzelverfügungen der Ehegatten nur äußerlich in einem gemeinschaftlichen Testament zusammen. Der Vorteil ist, dass die Ehegatten die Formerleichterungen der §§ 2266, 2267 BGB nutzen können und vom Offenheitsprinzip des § 2272 BGB profitieren1. dd) Gegenseitige (reziproke) gemeinschaftliche Testamente

254

Beim gegenseitigen gemeinschaftlichen Testament setzen sich die Ehegatten gegenseitig zu Erben ein oder bedenken denselben Dritten. Die Verfügungen sind jedoch nicht voneinander abhängig und nicht wechselbezüglich i.S.d. § 2270 Abs. 1 BGB. ee) Wechselbezügliche (korrespektive oder abhängige) gemeinschaftliche Testamente

255

Wechselbezügliche Verfügungen der Eheleute/Lebenspartner sollen in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängig sein, entsprechend § 2270 Abs. 1 BGB. Nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB sind die gegenseitigen Verfügungen im Zweifel wechselbezüglich, also bedingen sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig. Die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen muss aber nicht unbedingt gegeben sein. Ebenso wenig müssen wechselbezügliche Verfügungen unbedingt gegenseitig sein.

255a

Wechselbezügliche Verfügungen können zu Lebzeiten der Ehegatten/Lebenspartner nur durch Zustellung einer notariell beurkundeten Erklärung (§§ 2271 Abs. 1, 2296 BGB) widerrufen werden. Es ist anerkannt, dass gem. § 2268 Abs. 2 BGB die Verfügungen gemeinschaftlich testierender Ehegatten trotz späterer Auflösung der Ehe bei entsprechendem Willen vollinhaltlich aufrechterhalten bleiben können2.

1 MüKo.BGB/Musielak, Vor § 2265 Rz. 15 ff.; Nieder, Rz. 811. 2 BayObLG v. 23.5.1995 – 1Z BR 128/94, FamRZ 1996, 123 = NJW 1996, 133. 160

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 259

Der BGH hat Eheleuten auch die Möglichkeit eröffnet, über die Dauer der Ehe hinaus zu testieren. Entscheidend ist, ob ein entsprechender Fortgeltungswille bei Testamentserrichtung vorlag1.

255b

Beratungshinweis: Bei der Gestaltung von letztwilligen Verfügungen sind die erbrechtlichen Folgen einer Trennung und Scheidung exakt zu regeln. Bereits mit Einleitung des Scheidungsverfahrens müssen letztwillige Verfügungen überprüft und angepasst werden. Ebenso muss das Bezugsrecht in Verträgen, z. B Lebensversicherungen, zugunsten eines Partners ggf. widerrufen werden. Gleiches gilt für Bankvollmachten, Vorsorgevollmachten, Betreuungs- und Patientenverfügungen. i) Die Verwahrung eigenhändiger Testamente Auch ein eigenhändiges Testament kann vom Erblasser in die besondere amtliche Verwahrung gegeben werden, § 2248 BGB, um es vor Unterdrückung, Fälschungen oder Verlust zu schützen. Eine besondere amtliche Verwahrung kann auch aufgrund einer Vorsorgevollmacht verlangt werden2. Durch die Verwahrung wird jedoch das eigenhändige Testament nicht zu einem öffentlichen Testament, sondern bleibt eine Privaturkunde3. Durch die Rückgabe des eigenhändigen Testaments aus der amtlichen Verwahrung wird es daher auch nicht widerrufen (§ 2256 Abs. 3 BGB). Die Rückgabe ist ohne Einfluss auf die Wirksamkeit des Testaments.

256

Die Rückgabe darf nach § 2256 Abs. 2 S. 2 BGB nur an den Erblasser persönlich erfolgen, wobei eine ausreichende Überprüfung der Identität und der Testierfähigkeit zu gewährleisten ist. Die Übersendung des Testaments an den Erblasser durch die Post ist unzulässig4.

257

Das eigenhändige gemeinschaftliche Testament kann nur von beiden Ehegatten zusammen aus der besonderen amtlichen Verwahrung zurückgenommen werden (§ 2272 BGB). Jeder Ehegatte kann jedoch jederzeit, auch ohne Zustimmung des anderen Ehegatten, Einsicht in das Testament verlangen und sich eine Abschrift erteilen lassen5.

258

4. Die außerordentlichen Testamentsformen Als Nottestamente werden die sog. außerordentlichen Testamente bezeichnet. Zu ihnen zählen die Verfügungen von Todes wegen nach §§ 2249–2251 BGB. Sie können nur aus besonderem Anlass errichtet werden, stehen den ordentlichen Testamentsformen im Rang aber nicht nach.

1 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 187/03, MDR 2004, 1421 = FamRZ 2004, 1565 = NJW 2004, 3113. 2 OLG München v. 25.6.2012 – 31 Wx 213/12, FamRZ 2013, 156. 3 MüKo.BGB/Hagena, § 2248 Rz. 5. 4 Vgl. MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 7. 5 MüKo.BGB/Musielak, § 2272 Rz. 4. Esser

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B II

Rz. 260

Formen letztwilliger Verfügung

a) Das Bürgermeistertestament, § 2249 BGB 260

Es gehört als Nottestament zu den außerordentlichen Testamentsformen. Da der Bürgermeister als Urkundsperson an die Stelle des Notars rückt (vgl. § 2256 Abs. 1 BGB, § 344 Abs. 1 Nr. 2 FamFG) steht dieses Testament dem öffentlichen gleich, ist aber gem. § 2252 Abs. 1 BGB in seiner Gültigkeit auf die Dauer von drei Monaten beschränkt. Die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde (§ 415 ZPO) hat hier nur die ordnungsgemäße Niederschrift. aa) Voraussetzungen für die Errichtung

261

Ein Nottestament zur Niederschrift des Bürgermeisters am Aufenthaltsort des Erblassers unter Mitwirkung zweier Zeugen ist unter folgenden Voraussetzungen zulässig: Der Bürgermeister muss die Besorgnis haben, dass der Erblasser früher sterben werde, als die Errichtung eines Testaments vor einem Notar möglich ist (Todesbesorgnis nach § 2249 Abs. 1 BGB). Die Besorgnis muss der Bürgermeister als Urkundsperson haben, nicht die anderen Beteiligten, etwa die Zeugen oder der Erblasser. Das pflichtgemäße Ermessen des Bürgermeisters allein ist maßgebend.

262

Die Todesgefahr muss nicht objektiv vorliegen. Allerdings muss der Bürgermeister nach pflichtgemäßer Prüfung wenigstens subjektiv von ihrem Bestehen überzeugt sein, andernfalls ist das Testament nichtig, da die Beurkundungszuständigkeit des Bürgermeisters fehlt.

263

Lehnt der Bürgermeister die Testamentserrichtung ab, weil er die Besorgnis des plötzlichen Todes nicht teilt, liegt darin keine dienstliche Verfehlung, selbst wenn die Gefahr eines plötzlichen Todes tatsächlich bestanden hat.

264

Der Besorgnis des vorzeitigen Ablebens steht die Besorgnis des Eintritts einer bis zum Tod fortdauernden Testierunfähigkeit gleich1.

265

Auch Ehegatten können ein gemeinschaftliches Testament (nicht jedoch einen Erbvertrag) als Nottestament vor dem Bürgermeister errichten, wenn die Todesbesorgnis nur bei einem Ehegatten vorliegt und beide Ehegatten während der gesamten Dauer der Verhandlung anwesend sind (§ 2266 BGB). Dabei ist zu beachten, dass sich die Fiktion der Nichterrichtung des § 2252 BGB nach Ablauf von drei Monaten nicht nur auf den Ehegatten bezieht, in dessen Person die Voraussetzungen des § 2249 BGB vorlagen, sondern auf beide2. bb) Die mitwirkenden Personen

266

Zuständig ist der Bürgermeister (sachliche Zuständigkeit) der Gemeinde, in der sich der Erblasser gerade aufhält (örtliche Zuständigkeit). Der Wohnsitz des Erblassers ist ohne Bedeutung.

267

Wer Bürgermeister i.S.v. § 2249 BGB ist, bestimmt sich nach den Ländergemeindeordnungen. Gem. § 2249 Abs. 5 BGB kann aber bei Nachweis eines Verhinderungsgrundes auch der gesetzliche Vertreter des Bürgermeisters die Beurkun1 BGH v. 15.11.1951 – IV ZR 66/51, BGHZ 3, 372 = NJW 1952, 181. 2 Soergel/Mayer, § 2252 BGB Rz. 3; MüKo.BGB/Hagena, § 2249 BGB Rz. 4, vgl. aber MüKo.BGB/Musielak, § 2266 Rz. 3, 4. 162

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 273

dung rechtswirksam vollziehen. Der Vertreter soll dabei in der Niederschrift angeben, worauf er seine Vertretungsmacht stützt. Fehlt die Vertretungsmacht, ist das Testament nichtig, wobei an eine Aufrechterhaltung der letztwilligen Verfügung in Form des Drei-Zeugen-Testaments zu denken ist1. Eine Verletzung der örtlichen Zuständigkeiten des Bürgermeisters durch Überschreiten des Amtsbezirks hat seit der Neuregelung durch das BeurkG auf die Wirksamkeit des Nottestaments keinen Einfluss mehr (§ 2249 Abs. 1 S. 4 BGB)2.

268

Der Bürgermeister muss aber anwesend sein, mit dem Erblasser verhandeln und dessen letzten Willen entgegennehmen. Nach §§ 7, 27 BeurkG ist der Bürgermeister ausgeschlossen, wenn er selbst oder sein Ehegatte durch das Testament bedacht bzw. als Testamentsvollstrecker ernannt werden oder sonst einen rechtlichen Vorteil erlangen soll.

269

Ferner müssen zwei Zeugen hinzugezogen werden, die während der gesamten Verhandlung gleichzeitig anwesend sind3. Eine getrennte Beurkundung mit jeweils einem Zeugen ist unwirksam4. Zeuge kann nach § 2249 Abs. 1 S. 3 BGB nicht sein, wer bedacht oder als Testamentsvollstrecker eingesetzt werden soll.

270

Entsprechend den Ausführungen für das öffentliche Testament hat ein Verstoß gegen die Zuwendungsbeschränkungen nach der allgemeinen Meinung nicht die Unwirksamkeit des gesamten Testaments zur Folge, sondern nur der Verfügungen, welche die Zuwendungen an den Zeugen bzw. seine Einsetzung als Testamentsvollstrecker enthalten5, was der Verweisung in Abs. 1 S. 3 auf die §§ 7, 27 BeurkG entnommen werden kann. Dies verdient auch insoweit Zustimmung, als §§ 7, 27 BeurkG in den Fällen, in denen die Urkundsperson ausgeschlossen ist, nur die partielle Unwirksamkeit der Verfügung vorsehen, während die Zuziehung eines ausgeschlossenen Zeugen die Verfügung insgesamt unwirksam macht. Ob man darüber hinaus §§ 7, 27 BeurkG entnehmen kann, dass auch der durch § 7 BeurkG erweiterte Personenkreis zur Vermeidung einer partiellen Unwirksamkeit nicht als Zeuge zugelassen werden darf6, erscheint zweifelhaft. Eine entsprechende Anweisung ist § 2249 Abs. 1 S. 3, 2. Halbs. BGB nicht zu entnehmen und eine Erweiterung wäre auch mit sachlichen Erwägungen nicht zu begründen7. Mitwirkungsverbote ergeben sich jedoch aus § 26 BeurkG, insbesondere dessen Abs. 1 Nr. 3 und 4 sowie Abs. 2.

271

Der Zeuge muss die Niederschrift unterschreiben (§ 2249 Abs. 1 S. 5 BGB).

272

cc) Errichtung des Testaments Die Errichtung erfordert hinsichtlich aller wesentlichen Teile die ständige Anwesenheit des Bürgermeisters und der beiden Zeugen. Ist dies nicht der Fall, so ist das Testament nichtig. 1 2 3 4

Dittmann/Reimann/Bengel, § 2249 Rz. 6. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2249 Rz. 6. BGH v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79 (87). Staudinger/Baumann, § 2249 Rz. 43; a.A. KG v. 22.3.1956 – 1 W 258/56, NJW 1957, 953 (954). 5 MüKo.BGB/Hagena, § 2249 Rz. 22; Soergel/Mayer, § 2249 Rz. 10. 6 So von der Reck, S. 89. 7 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2249 Rz. 10. Esser

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B II

Rz. 274

Formen letztwilliger Verfügung

274

Es kann sowohl durch persönliche Erklärung als auch durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift errichtet werden (§§ 2249 Abs. 1 S. 4, 2232 BGB). Der Bürgermeister hat bei der Errichtung grundsätzlich dieselben Beurkundungsvorschriften anzuwenden wie der Notar. Im Einzelnen sind vom Bürgermeister die in § 2249 Abs. 1 S. 4 BGB aufgeführten Vorschriften kraft ausdrücklicher gesetzlicher Verweisung einzuhalten.

275

Ist der Erblasser minderjährig, sprach- oder leseunfähig, so gelten die Vorschriften des § 2233 BGB entsprechend.

276

Der Bürgermeister hat über die Testamentserrichtung eine Niederschrift in deutscher Sprache zu errichten, ohne die das Testament nicht wirksam ist1. Die Niederschrift muss in Anwesenheit aller Mitwirkenden dem Erblasser vorgelesen und von diesem genehmigt werden. Danach ist sie vom Erblasser, vom Bürgermeister und von den beiden Zeugen zu unterschreiben. Ist der Erblasser schreibunfähig, ersetzt die entsprechende Feststellung seine Unterschrift (§ 2249 Abs. 1 S. 6 BGB). dd) Unschädliche Formverstöße

277

Nach § 2249 Abs. 6 BGB sind nicht nur Verstöße gegen bloße Sollvorschriften, sondern auch gegen Mussvorschriften (zwingende Protokollierungsvorschriften) beim Bürgermeistertestament unschädlich, soweit sie im Zusammenhang mit der Abfassung der Niederschrift unterlaufen sind und wenn zweifelsfrei feststeht, dass das Testament eine zuverlässige Wiedergabe der Er-klärung des Erblassers enthält2. Dafür beweispflichtig ist, wer sich auf die Wirksamkeit des Testaments beruft.

277a

Nach dem Zweck des Gesetzes ist § 2249 Abs. 6 BGB weit auszulegen3, damit die Durchsetzung eines von der Rechtsordnung nicht missbilligten Willens des Erblassers nicht aufgrund formaler Hindernisse scheitert4. Der Formverstoß darf jedoch nicht den materiellrechtlichen Erfordernissen zuzurechnen sein5. Ausgehend von der Annahme, dass ein Bürgermeister nicht über dieselbe Sach- und Fachkenntnis wie ein Notars verfügt, soll auch die Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen entsprechend weniger streng geprüft werden und dem Erblasser in einer entsprechenden Notsituation nicht zum Nachteil gereichen.

277b

Zu den unschädlichen Formverstößen gehören z.B. die Mangelhaftigkeit der Bezeichnung des Erblassers und der mitwirkenden Personen oder ein Mangel in der Art der Abgabe der Erklärung durch den Erblasser.

278

Ferner sind nach der Rechtsprechung unter anderem folgende Formverstöße unschädlich: – die fehlende Feststellung der Todesbesorgnis in der Niederschrift6, 1 Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 9. 2 Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 11. 3 BGH v. 4.4.1962 – 2 U ZR 110/60, BGHZ 88, 37; BGH v. 1.6.1970 – III ZB 4/70, BGHZ 54, 89. 4 MüKo.BGB/Hagena, § 2249 Rz. 32. 5 Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 11. 6 Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 11. 164

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 283

– die fehlende Angabe über Ort und Zeit der Verhandlung, – fehlende Angaben über Identitätsnachweise der Beteiligten, – die fehlende Angabe der Überzeugung des Bürgermeisters, dass der Erblasser schreiben kann, – die fehlende Bezeichnung der mitunterzeichnenden Zeugen als solche, – das Verfassen der Niederschrift in der Ich- statt in Protokollform1, – die Überschreitung des Amtsbezirks durch den Bürgermeister, § 2 BeurkG. In den genannten Fällen ist der Errichtungsakt formgerecht erfolgt, die Protokollierung aber war unvollständig. Der Beweis, dass die nicht protokollierten Umstände dennoch vorlagen, kann dann auch durch außerhalb des Testaments liegende Beweismittel erbracht werden2. Die Beweislast dafür, dass ein unter Verstoß gegen die Formvorschriften errichtetes Nottestament die Wiedergabe der Verfügungen des Erblassers enthält, trifft denjenigen, der sich auf dessen Rechtswirksamkeit beruft.

279

Dies gilt jedoch nur für Mängel bei der Abfassung der Niederschrift. Ist eine solche vor dem Ableben des Testierers aber nicht vorhanden, ist das Nottestament unheilbar nichtig3. Eine nachträgliche Niederschrift der mündlichen Erklärung des Erblassers ist nicht mehr möglich4.

280

ee) Unheilbare Formverstöße Dagegen ist die Nichtbeachtung der zwingenden materiellen Erfordernisse über den Errichtungsakt unheilbar, soweit es sich hierbei um Mussvorschriften handelt.

281

Zu den Verstößen, die zur Nichtigkeit des Testaments führen, zählt nach der Rechtsprechung:

282

– das Fehlen der mündlichen Erklärung des letzten Willens durch den Erblasser oder die Übergabe einer Schrift, – die fehlende Todesbesorgnis, – das Erstellen der Niederschrift erst nach dem Ableben des Erblassers oder eine fehlende Niederschrift, – die fehlende Vorlesung oder Genehmigung der Niederschrift durch den Erblasser, – ein Verstoß gegen die dauernde Anwesenheitspflicht des Erblassers, der Zeugen und des Bürgermeisters5. Umstritten ist insbesondere, ob auch die Unterschriften der hinzugezogenen Zeugen Teil des Errichtungsaktes sind, so dass ihr Fehlen das Nottestament 1 2 3 4 5

BGH v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79 (89). MüKo.BGB/Hagena, § 2249 Rz. 32. Staudinger/Baumann, § 2249 Rz. 38. KG v. 11.7.1940 – 1 Wx 253/40, ZAkDR 1941, 101. Palandt/Weidlich, § 2249 Rz. 11. Esser

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B II

Rz. 284

Formen letztwilliger Verfügung

nach § 2249 Abs. 6 BGB unheilbar nichtig macht. Jedenfalls zu Lebzeiten des Erblassers können diese Unterschriften und auch die Unterschrift des Bürgermeisters noch nachgeholt werden. Zweifelhaft ist jedoch die Situation nach dem Ableben des Erblassers. Unstreitig kann jedenfalls die Unterschrift der Urkundsperson, also des Bürgermeisters, in diesem Fall nicht mehr nachgeholt werden1. ff) Die Verschließung 284

Das Nottestament ist nach der Beurkundung durch den Bürgermeister in einen Umschlag zu geben, zu versiegeln und unverzüglich in die amtliche Verwahrung des zuständigen Amtsgerichts, bzw. in Baden-Württemberg des zuständigen Notars, zu übergeben (§ 2249 Abs. 1 S. 4 BGB, § 34 BeurkG). gg) Gültigkeitsdauer

285

Gem. § 2252 wird das Nottestament nach Ablauf von drei Monaten ungültig, sofern der Erblasser zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstorben ist. Das Testament gilt dann als rückwirkend nicht errichtet.

286

Ein Ehegattentestament bleibt als gemeinschaftliches Testament voll wirksam, wenn einer der Testierer innerhalb der drei Monate verstirbt2. Leben nach Ablauf der Frist noch beide Ehegatten, tritt das Nottestament außer Kraft3.

287

Unwirksam wird auch ein durch das Nottestament ausgesprochener Widerruf eines früheren Testaments4. Die durch das Nottestament aufgehobene letztwillige Verfügung tritt nach Ablauf der drei Monate wieder in Kraft.

288

Für die Fristberechnung wird der Tag der Testamentserrichtung nicht mitgerechnet (§ 187 BGB, vgl. auch § 188 Abs. 2 und 3 BGB).

289

Die Frist endet mit Ablauf des Tages des dritten Monats, dessen Zahl dem Tag entspricht, an dem das Testament errichtet worden ist.

290

Beginn und Lauf der Frist sind gehemmt, solange der Erblasser außerstande ist, ein Testament vor einem deutschen Notar zu errichten (§ 2252 Abs. 2 BGB). Beispiel: Infolge einer lang anhaltenden Krankheit, verbunden mit einem mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt, ist es dem Erblasser nicht möglich, ein Testament vor Ablauf der drei Monate vor einem Notar zu errichten. Das Nottestament bleibt wirksam.

290a

Der Bürgermeister soll den Erblasser auf die beschränkte Gültigkeitsdauer des Testaments hinweisen und dies in der Niederschrift vermerken (§ 2249 Abs. 3 S. 2 BGB).

1 2 3 4

MüKo.BGB/Hagena, § 2249 Rz. 33; Erman/Kappler/Kappler, § 2249 Rz. 6. Staudinger/Baumann, § 2252 Rz. 11. Allg. M., Kipp/Coing, § 33 Ia; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2266 Rz. 3. Soergel/Mayer, § 2252 Rz. 3.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 295

b) Das Drei-Zeugen-Testament, § 2250 BGB Das Drei-Zeugen-Testament zählt ebenfalls zu den Nottestamenten und wird durch eine mündliche Erklärung an drei Zeugen errichtet.

291

aa) Voraussetzungen des Testaments Die Voraussetzungen des Drei-Zeugen-Testaments ergeben sich aus § 2250 BGB. Danach muss sich der Erblasser an einem Ort aufhalten, der durch außergewöhnliche Umstände so abgesperrt ist, dass er ein Testament vor einem Notar nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten errichten kann (§ 2250 Abs. 1 BGB). Ein nur subjektiver Notstand genügt dabei nicht1. Ausreichend ist jedoch, wenn der Erblasser in so naher Todesgefahr ist bzw. die bloße Besorgnis seines bevorstehenden Todes besteht2, dass er voraussichtlich weder ein ordentliches öffentliches noch ein Bürgermeistertestament rechtzeitig errichten kann.

292

Beispiel: K erleidet einen schweren Unfall im Hochgebirge und wird dabei schwer verletzt. Aus Besorgnis um den plötzlichen Tod vor Eintreffen der Rettungswacht errichtet K ein Drei-Zeugen-Testament unter Mitwirkung seiner drei Bergkameraden.

Der Todesgefahr steht dabei, ebenfalls wie im Falle des § 2249 Abs. 1 BGB, die Gefahr dauernder Testierunfähigkeit gleich3. Auch beim Drei-Zeugen-Testament muss die Gefahr entweder tatsächlich oder zumindest nach pflichtgemäßer Ermessensüberzeugung aller drei Zeugen gegeben sein4. Die Feststellung der Todesgefahr oder einer dauernden Testierunfähigkeit muss nicht in der Niederschrift enthalten sein. Liegt aber weder eine objektive noch subjektive Todesgefahr vor, ist das Nottestament nichtig5.

293

bb) Die Zeugen Die Zeugen treten bei dieser Testamentsform an die Stelle der Amtsperson und übernehmen deren Beurkundungsfunktion6. Alle drei Zeugen müssen zur Mitwirkung bereit sein und die Verantwortung für die richtige Wiedergabe des Erblasserwillens übernehmen7. Die zulässige Anwesenheit einer sonst unbeteiligten Person genügt nicht für die Wahrung der Form.

294

Das Testament ist nur gültig, wenn die Zeugen während des gesamten Errichtungsvorgangs anwesend sind8. Eine Ausnahme besteht, wenn zunächst der Entwurf des Nottestaments angefertigt und danach die mündliche Erklärung des letzten Willens, zumindest durch ein deutliches „Ja“ des Erblassers zum Entwurf, sowie die Verlesung und Genehmigung der Testamentsniederschrift in ei-

295

1 2 3 4 5 6

Palandt/Weidlich, § 2250 Rz. 2. LG Freiburg v. 19.3.2003 – 4 T 187/02, ZEV 2003, 370. BGH v. 15.11.1951 – IV ZR 66/51, BGHZ 3, 372 (373). BGH v. 15.11.1951 – IV ZR 66/51, BGHZ 3, 372. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2250 Rz. 4. BGH v. 1.6.1970 – III ZB 4/70, BGHZ 54, 89 = NJW 1970, 161; MüKo.BGB/Hagena, § 2250 Rz. 10. 7 BGH v. 24.11.1971 – IV ZR 230/69, NJW 1972, 202. 8 BGH v. 1.6.1970 – III ZB 4/70, BGHZ 54, 89. Esser

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B II

Rz. 296

Formen letztwilliger Verfügung

nem Vorgang zusammengefasst werden. In diesem Fall müssen alle drei Zeugen erst mit Abgabe der Willenserklärung durch den Erblasser bis zur Genehmigung der Niederschrift dauernd anwesend sein1. 296

Gem. § 2250 Abs. 3 S. 2 BGB finden auf die Zeugen die Ausschlussgründe des § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BeurkG mit der Folge der Unwirksamkeit der Verfügung, des § 7 BeurkG mit der Folge einer teilweisen Unwirksamkeit und die Mitwirkungsverbote des § 26 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 BeurkG als Sollvorschrift Anwendung. Nach § 27 BeurkG sind begünstigte Personen, die somit nicht als Zeugen auftreten dürfen, solche, die in der Verfügung von Todes wegen bedacht oder zum Testamentsvollstrecker ernannt werden sollen2. cc) Errichtung des Testaments

297

Die Errichtung eines Drei-Zeugen-Testaments kann nur durch eine mündliche Erklärung des Erblasserwillens gegenüber den drei Zeugen erfolgen, nicht jedoch durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift3. Über die mündliche Erklärung des Erblassers muss noch zu dessen Lebzeiten eine Niederschrift angefertigt werden. Diese muss dem Erblasser vorgelesen und von ihm genehmigt werden. Kann der Erblasser schreiben, muss er die Niederschrift eigenhändig unterschreiben (§ 2250 Abs. 3 BGB, §§ 8, 13 Abs. 1 BeurkG). Ist er schreibunfähig, wird seine Unterschrift durch die Feststellung der Schreibunfähigkeit ersetzt (§ 2250 Abs. 3, § 2249 Abs. 1 S. 5, 6 BGB). dd) Folgen von Formverstößen

298

Durch die Verweisung in § 2250 Abs. 3 S. 2 BGB auf § 2249 Abs. 1 und 2 BGB sind beim Drei-Zeugen-Testament, wie auch beim Bürgermeistertestament, alle bei der Abfassung der Niederschrift unterlaufenden Formfehler unschädlich. Schädlich sind nur die Fehler, die den Errichtungsakt als solchen betreffen: – z.B. die Anwesenheit von nur zwei Zeugen, – die fehlende Aufnahme einer Niederschrift, – das unterlassene Verlesen der Niederschrift sowie – die nicht erfolgte Genehmigung und – die fehlende Unterzeichnung der Niederschrift durch den Erblasser. ee) Beschränkte Gültigkeitsdauer des Testaments

299

Auch das Drei-Zeugen-Testament ist gem. § 2252 BGB nur drei Monate gültig, wenn der Erblasser nicht zuvor verstirbt. Im Übrigen s. hierzu Rz. 285 ff. c) Das Seetestament, § 2251 BGB

300

Das Seetestament nach § 2251 BGB ist eine außerordentliche Testamentsform, jedoch kein Nottestament, da es keine Notlage voraussetzt. 1 OLG Zweibrücken v. 2.10.1986 – 3 W 145/86, MDR 1987, 142 = NJW-RR 1987, 135. 2 OLG Frankfurt v. 20.3.1981 – 20 W 792/80, MDR 1981, 673 = Rpfleger 1981, 303. 3 Palandt/Weidlich, § 2250 Rz. 6. 168

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 307

Voraussetzung für die Errichtung eines Seetestaments ist eine Seereise, also jede Seefahrt außerhalb eines inländischen Hafens. Eine Seereise i.S.d. § 2251 BGB ist daher auch die Küstenfahrt. Der Aufenthalt in einem ausländischen Hafen zählt dabei zur Reise, wenn der Erblasser an Bord bleibt. Der Erblasser muss sich an Bord eines deutschen Schiffes befinden. Die Errichtung des Seetestaments erfolgt nach § 2250 Abs. 3 BGB durch mündliche Erklärung vor drei Zeugen. Die Errichtung durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift ist nicht möglich. Die Niederschrift muss in einer Sprache erfolgen, die sowohl der Erblasser als auch die Zeugen verstehen.

301

Wie auch bei den anderen außerordentlichen Testamentsformen sind die gesetzlichen Vorschriften für den Ausschluss der Zeugen, ebenso die Pflicht zum Vorlesen, Genehmigen und Unterschreiben der Niederschrift zu beachten.

302

Formfehler werden, entsprechend dem Verweis auf § 2250 Abs. 3 BGB und § 2249 Abs. 6 BGB, wie bereits ausgeführt behandelt.

303

Das Seetestament hat ebenfalls eine dreimonatige Gültigkeitsdauer, mit der Sonderregelung des § 2252 Abs. 3 BGB, wonach bei Antritt einer erneuten Seereise vor dem Ablauf der Frist, die Frist mit der Wirkung unterbrochen wird, dass nach Beendigung der neuen Reise die volle Drei-Monats-Frist erneut zu laufen beginnt.

304

5. Die inhaltliche Gestaltung der Verfügung von Todes wegen mit Blick auf ihre Auslegung Der Erblasser kann in einer Verfügung von Todes wegen entsprechend dem Grundsatz der Testierfreiheit den oder die Erben nach seinem Willen frei bestimmen. Hat der Wille des Erblassers in der Verfügung von Todes wegen nur unvollständig Ausdruck gefunden oder kann der wahre Wille des Erblassers nicht zweifelsfrei festgestellt werden, wird die Erklärung des Erblassers anhand bestimmter Grundsätze, die insbesondere von der Rechtsprechung entwickelt wurden, ausgelegt.

305

Ziel der Auslegung ist die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte, nicht aber die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens1. Mithilfe der Auslegung soll der Wortsinn des Erblasserwillens ermittelt werden2. Dabei kann jedoch nur der Wille ausgelegt werden, der formwirksam Inhalt der letztwilligen Verfügung geworden ist3.

306

a) Grundsätze der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen Bei der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen ist zu unterscheiden zwischen einseitigen Testamenten und Erbverträgen bzw. gemeinschaftlichen Testamenten. 1 BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, MDR 1993, 151 = FamRZ 1993, 318 = NJW 1993, 256. 2 BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, MDR 1993, 151 = FamRZ 1993, 318 = NJW 1993, 256. 3 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 26, 28 ff. Esser

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307

B II

Rz. 308

Formen letztwilliger Verfügung

aa) Die Auslegung einseitiger Verfügungen 308

Abweichend von den allgemeinen Grundsätzen der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist es bei der Auslegung einseitiger Testamente, also dem Einzeltestament, einseitigen Verfügungen im Erbvertrag und nicht wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament, unerheblich, wie die Erklärung nach dem Empfängerhorizont zu verstehen ist: Es gibt keine Person, deren Vertrauen geschützt werden muss1. Auch der im Testament Bedachte ist nicht maßgeblicher Erklärungsempfänger der einseitigen testamentarischen Verfügung2. § 157 BGB und auch § 242 BGB finden demnach keine Anwendung bei der Auslegung der letztwilligen Verfügung3. Maßgeblich ist allein der wirkliche Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung und nicht der objektive Sinn der Erklärung4.

309

Die wichtigsten Grundsätze der Testamentsauslegung leiten sich aus ihrem Ziel ab, den rechtlich geltenden Inhalt der Verfügung von Todes wegen festzustellen5. Die Auslegung einer testamentarischen Verfügung darf sich daher nicht auf die Deutung des Wortlauts der Erklärung beschränken6, sondern muss insbesondere auch – die außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Umstände beachten und – bedenken, dass ausschließlich der Erblasserwille durch den Inhalt der Testamentsurkunde zum Ausdruck gebracht worden ist7.

310

Außerhalb der Urkunde liegende Umstände können bspw. die Bildung und berufliche Stellung des Erblassers, Schriftstücke des Erblassers, widerrufene oder formunwirksame Testamente, Herkunft und Höhe des Vermögens oder auch Aussagen von bei der Testamentserrichtung beteiligten Personen sein8.

311

Die Auslegung geht der den Erblasserwillen vernichtenden Anfechtung nach §§ 2278 ff. BGB vor, da durch die Auslegung der wahre Wille des Erblassers verwirklicht werden kann, während durch die Anfechtung die Verfügung von Todes wegen vernichtet wird und die – vom Erblasser oft nicht gewünschte – gesetzliche Erbfolge eintritt9. bb) Die Auslegung einseitiger Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten

312

Wie bereits unter Rz. 308 dargestellt, werden auch einseitige Verfügungen im Erbvertrag (vgl. § 2299 Abs. 1 BGB) und nicht wechselbezügliche Verfügungen 1 2 3 4 5 6

v. Lübtow, ErbR Bd. 1, S. 272. Otte, ZEV 1995, 408 (410). Dippel, AcP 177, 349 (355) m.w.N. Palandt/Ellenberger, § 133 Rz. 13. MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 1. BGH v. 27.2.1985 – IVa ZR 136/83, BGHZ 94, 36 = MDR 1985, 652 = FamRZ 1985, 587 (38) = NJW 1985, 1554; BayObLG v. 16.11.1993 – 1Z BR 73/93, FamRZ 1994, 853 (854) = DNotZ 1994, 399. 7 BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 = MDR 1983, 293 = FamRZ 1983, 383; Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 26; Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 15. 8 Nieder, Rz. 1101 m.w.N. 9 Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 1; Brox, Rz. 196 m.w.N.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 317

in gemeinschaftlichen Testamenten nur unter Berücksichtigung des Erklärendenhorizonts, nicht jedoch unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts ausgelegt. (1) Der Erbvertrag Im Gegensatz zum Testament ist bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen, die zum Abschluss eines Erbvertrags nach § 2278 Abs. 1 BGB abgegeben werden, aus Gründen des Vertrauensschutzes die letztwillige Verfügung aus Sicht des Vertragspartners auszulegen, sofern ein übereinstimmender Wille der Parteien nicht festgestellt werden kann. Es finden die üblichen Regeln über die Vertragsauslegung Anwendung, so dass neben § 133 BGB auch § 157 BGB für die Auslegung im Gegenseitigkeitsverhältnis stehender Verfügungen herangezogen wird1.

313

Zu beachten ist bei der Auslegung eines Erbvertrags zudem, ob der Erbvertrag entgeltlichen Charakter hat, er also mit einem Rechtsgeschäft verbunden ist, und welcher der Vertragspartner sich gegebenenfalls zu einer Leistung verpflichtet hat2.

314

Weiterhin finden auf Erbverträge gem. § 2279 BGB bezüglich des zulässigen Inhalts, der notwendigen Bestimmtheit und der Auslegung die Vorschriften für Testamente entsprechende Anwendung.

315

(2) Das gemeinschaftliche Testament Wie beim Erbvertrag auch ist bei wechselbezüglichen Verfügungen nach § 2270 Abs. 1 BGB in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament der Empfängerhorizont des anderen Ehegatten für die Auslegung entscheidend, wenn ein übereinstimmender Wille nicht festgestellt werden kann. Der überlebende Ehegatte muss die Möglichkeit haben, sich bei seinen Verfügungen auf diejenigen des anderen einzustellen und umgekehrt3. Bevor auf den Empfängerhorizont des anderen Ehegatten abgestellt wird, muss jedoch die Feststellung eines übereinstimmenden Willens gescheitert sein. Dabei ist insbesondere eine vom üblichen Sprachgebrauch abweichende Ausdrucksweise der Ehegatten so auszulegen, wie es dem Verständnis der Ehegatten entsprochen hat4.

316

Jeder Ehegatte muss seine Anordnungen so gelten lassen, wie sie der Partner anhand der ihm erkennbaren Umstände verstehen durfte5. Der Empfängerhorizont des Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament ist nur dann nicht beachtlich, wenn keine wechselbezüglichen Verfügungen vorliegen; hier gilt uneingeschränkt das bereits für einseitige Testamente Ausgeführte6.

317

1 BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, MDR 1989, 523 = FamRZ 1989, 496 = NJW 1989, 2885; BayObLG v. 22.7.1996 – 1Z BR 76/96, FamRZ 1997, 123 = NJW-RR 1997, 7. 2 Brox, Rz. 220 f. 3 BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, MDR 1993, 151 = FamRZ 1993, 318 = NJW 1993, 256; a.A. Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 51, der bei nicht feststellbarem gemeinsamen Willen nach dem objektiven Erklärungsinhalt auslegen will. 4 Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 51. 5 Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 140. 6 Brox, Rz. 224. Esser

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B II

Rz. 318

Formen letztwilliger Verfügung

b) Auslegungsmethoden 318

Die Rechtsprechung des BGH hat für die Auslegung der Verfügungen von Todes wegen unterschiedliche Methoden entwickelt, die in der folgenden Reihenfolge dazu dienen, den wirklichen, realen Willen des Erblassers zu erforschen. aa) Auslegung des Wortlauts (erläuternde Auslegung)

319

Ausgangspunkt für die Auslegung von einseitigen Testamenten ist, wie bereits dargestellt, § 133 BGB1. Danach ist das Ziel der Auslegung der tatsächliche Wille des Erblassers. Die erläuternde Auslegung geht vom Wortlaut der letztwilligen Verfügung des Erblassers aus. Zunächst ist also der tatsächliche, wortwörtliche Inhalt der Verfügung von Todes wegen festzustellen und erst dann ist zu erforschen, was der Erblasser mit seinen Worten wirklich sagen wollte. Durch den Wortlaut der Erklärung sind der Auslegung keine Grenzen gesetzt, vielmehr dient er als Anhaltspunkt für die Erforschung des tatsächlich Gewollten2.

320

Was der Erblasser erklären wollte, richtet sich somit nach seinem subjektiven Verständnis hinsichtlich der von ihm verwendeten Begriffe3. Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung setzt voraus, dass Umstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Erklärende einen vom üblichen Sprachgebrauch abweichenden Sinn mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte4. Der Wille des Erblassers muss durch den Inhalt der Erklärung gestützt werden, damit am Ende des Auslegungsprozesses der tatsächliche Wille des Erblassers steht5.

321

Zur Erforschung des Erblasserwillens müssen auch Umstände herangezogen werden, die außerhalb des Testaments liegen, die aber bei der Ermittlung des wahren Willens des Verfügenden hilfreich sein könnten. Zwar wird durch die erläuternde Auslegung der Willensverwirklichung des Erblassers der Vorrang vor dem Wortlaut der Verfügung eingeräumt, jedoch begründet ein eindeutiger Wortlaut die widerlegbare Vermutung, dass der Erklärungsinhalt auch den tatsächlichen Willen des Erblassers wiedergibt und der Wortlaut folglich objektiv zu verstehen ist6.

322

Auch die Fälle der sog. falsa demonstratio, also der Falschbezeichnungen in Testamenten, werden mithilfe der erläuternden Auslegung gelöst7.

1 BGH, LM § 2078 BGB Nr. 3; MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 4; Kipp/Coing, § 21 II. 2 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242 = MDR 1981, 736 = FamRZ 1981, 662 (245 f.); BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, MDR 1993, 151 = FamRZ 1993, 318 = NJW 1993, 256; BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 (45 f.) = MDR 1983, 293 = FamRZ 1983, 383. 3 BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 = FamRZ, 1987, 475; Palandt/ Weidlich, § 2084 Rz. 1. 4 BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80, BGHZ 80, 246 (250) = MDR 1981, 736 = FamRZ 1981, 767; BayObLG v. 9.12.1985 – BReg.1 Z 90/85, FamRZ 1986, 835. 5 BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475; BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, MDR 1993, 151 = FamRZ 1993, 318 = NJW 1993, 256; BayObLGZ 1994, 377 (378). 6 Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 14. 7 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 18; Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 5; Nieder, Rz. 1109. 172

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 328

Ist die Erklärung von einem Notar beurkundet worden, spricht eine gewisse Vermutung dafür, dass der objektive Erklärungsinhalt dem Willen des Erblassers entspricht, wobei auch notarielle Testamente, ebenso wie privatschriftliche, grundsätzlich der Auslegung zugänglich sind1. Dies gilt auch dann, wenn Rechtsbegriffe unrichtig verwendet werden2, denn anderenfalls könnte aus der notariellen Urkunde geschlossen werden, dass ein Notar im Beratungsgespräch stets alle klärenden Fragen stellt und keine Hinweise unterlässt.

323

bb) Die Andeutungstheorie Ist der tatsächliche Wille des Erblassers mithilfe der erläuternden Auslegung ermittelt worden und widerspricht dieser dem eindeutigen Wortlaut der letztwilligen Verfügung, ist zu prüfen, ob der durch die Auslegung ermittelte Wille des Erblassers formgerecht erklärt worden ist3.

324

Nach der Andeutungstheorie muss der maßgebliche Wille des Erblassers in der Testamentsurkunde irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise, zum Ausdruck gekommen sein. Nicht erforderlich ist, dass bereits das Ergebnis der Testamentsauslegung angedeutet wird. Es genügt, wenn aus dem Testament erkennbar ist, wie die Willensrichtung des Erblassers gewesen ist4.

325

In der Literatur wird die Andeutungstheorie teilweise völlig abgelehnt5 und gefordert, dass der ermittelte Wille stets wirksam und auch ohne Andeutung zu beachten sei. Diese Ansicht ist im Interesse der Rechtssicherheit abzulehnen, da der Auslegung einer letztwilligen Verfügung klare Grenzen gesetzt werden müssen. Ohne die Andeutungstheorie wären einer freien Interpretation des letzten Willens Tür und Tor geöffnet mit der Gefahr, dass einem nicht vorhandenem Erblasserwillen zum Erfolg verholfen wird.

326

cc) Die Folge von Falschbezeichnungen Oft benutzt der Erblasser einen Begriff scheinbar klar und eindeutig, verbindet mit seinen Worten jedoch einen anderen als den objektiven Sinn. Fälle der sog. falsa demonstratio geschehen insbesondere beim Gebrauch von Rechtsbegriffen durch juristisch Ungeschulte, die nach der Vorstellung des Laien einen anderen als den tatsächlich zutreffenden Sinn haben. Diese Begriffe sind nach der Rechtsprechung auslegungsfähig, sofern sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende sie mit einem anderen Sinn verbunden hat6.

327

Eine falsa demonstratio ist auch dann gegeben, wenn der Erblasser, seinen Gepflogenheiten entsprechend, bspw. einen Erben mit einem falschen Namen oder einen vermachten Gegenstand mit einem anderen Ausdruck bezeichnet.

328

1 2 3 4

Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 2 m.w.N. OLG Saarbrücken v. 6.1.1994 – 5 W 119/93-70, NJW-RR 1994, 844 (845 f.). Schlüter, § 17, Die Auslegung der Verfügungen von Todes wegen, II 2, Rz. 192. BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 = MDR 1983, 293 = FamRZ 1983, 383 (47); BGH v. 27.2.1985 – IVa ZR 136/83, MDR 1985, 652 = FamRZ 1985, 587 = NJW 1985, 1554 (1555); Erman/M. Schmidt, § 2084 Rz. 3; Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 28 ff.; Nieder, Rz. 1108. 5 Brox, Rz. 197; Brox, JA 1984, 549 (555). 6 Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 16. Esser

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B II

Rz. 329

Formen letztwilliger Verfügung

Beispiel: Der Erblasser bezeichnet seine Ehefrau als „Mutti“, den Weinkeller als „Bibliothek“.

329

In den Fällen der sog. verschlüsselten Ausdrucksweise1 wählt der Erblasser bewusst eine objektiv unrichtige Bezeichnung, die jedoch nur vom Standpunkt des insoweit nicht maßgeblichen Betrachters falsch ist2. Die „Andeutung“ des wirklichen Willens ist in den Fällen der falsa demonstratio in der Falschbezeichnung selbst zu sehen, denn ob eine Andeutung vorhanden ist, richtet sich nach dem Standpunkt des Erklärenden und dessen besonderem Sprachgebrauch, nicht aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder dem Verständnis des Bedachten3. dd) Auslegungsbeispiele aus der Rechtsprechung

330

Für eine Reihe von Begriffen hat die Rechtsprechung festgestellt, dass sie auslegungsfähig sind, also u.U. nicht klar abgeleitet werden kann, was hiermit gemeint ist. Unter anderem wurde dies für folgende Begriffe festgestellt: – die Bezeichnung „Kinder“ mit der Folge, dass auch Adoptivkinder darunter fallen können, falls kein gegenteiliger Wille feststellbar ist4 oder aber die Erbberechtigung eines nichtehelichen Kindes nicht gewollt ist5; – die Formulierung „unser gemeinsames Ableben“ mit der Folge, dass damit auch der Fall gemeint sein kann, dass die Eheleute aufgrund des gleichen Unfallereignisses nacheinander sterben6; – die Zuwendung der „Wohnung“, die auch die in der Wohnung vorhandenen Wertgegenstände wie Schmuck und Hausrat umfassen kann7; – „Vor- und Nacherbe“ die auch bedeuten können, dass Schlusserbe gemeint ist oder aber Vollerbe des längstlebenden Ehegatten8.

330a

Besondere Schwierigkeiten treten bei der Auslegung nicht vollständig vorliegender Testamente auf, also soweit die Urschrift einer Testamentsurkunde insgesamt oder in Teilen fehlt. Das BayObLG hat festgestellt, dass in diesen Fällen alle zulässigen Beweismittel zur Ermittlung des Willen des Erblassers heranzuziehen sind9. An den Nachweis der Erbeinsetzung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen10. Beweispflichtig ist, entsprechend den allgemein geltenden Grundsätzen, wer Ansprüche aus dem Testament behauptet.

330b

Zur Abgrenzung zwischen Erb- und Vermächtnisanordnung hat das BayObLG entschieden, dass, wenn der Nachlass aus einem oder mehreren Hauptgegenständen (wie z.B. Grundstücken) besteht und die übrigen Nachlasswerte erheb1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 34. Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 33. Nieder, Rz. 1109; Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 35. OLG Düsseldorf v. 10.12.1987 – 3 Wx 477/97, FamRZ 1998, 1206. BGH v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 246 = NJW 1981, 1736. OLG Stuttgart v. 10.3.1982 – 8 W 224/81, FamRZ 1982, 1136 f.; BayObLG v.18.12. 2003 – 1Z BR 130/02, ZEV 2004, 200 f. BayObLG v. 29.6.1994 – 1Z BR 125/93, FamRZ 1994, 1554 = ZEV 1994, 377. BayObLG v. 19.9.1988 – BReg.1a Z 40/88, FamRZ 1989, 99 (101). BayObLG v. 23.12.1985 – BReg. 1Z 97/85, FamRZ 1986, 1043. OLG Köln v. 30.4.1993 – 2 Wx 56–57/92, FamRZ 1993, 1253 = NJW-RR 1993, 970.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 335

lich hinter dem Hauptgegenstand zurückbleiben, in der Zuwendung eines solchen Hauptgegenstands auch eine Erbeinsetzung gesehen werden kann, wohingegen die Zuwendung kleinerer Werte ein Vermächtnis darstellen kann1. Dabei darf sich die Auslegung eines Testaments nicht nur auf ein dem Willen des Erblassers entsprechendes Ergebnis in der Nachlassverteilung beschränken. Sie muss vielmehr auch die Anordnung juristischer Laien so umsetzen, dass das Verteilungsergebnis auch in konkret nicht eingetretenen Geschehensabläufen dem Willen des Erblassers entsprochen hätte2. c) Beachtung äußerer Umstände für die Auslegung Die Beachtung äußerer Umstände für die Auslegung bedeutet, dass alle zugänglichen Umstände, die außerhalb des Testaments liegen, ebenfalls zur Ermittlung des tatsächlichen Willens des Erblassers auszuwerten sind3. Dies können bspw. Äußerungen in Briefen und gegenüber Familienangehörigen oder anderen Personen anlässlich der Testamentserrichtung sein. Auch Erklärungen in früheren Testamenten können helfen, den wirklichen Erblasserwillen zu erforschen, besonders dann, wenn die neue Verfügung nur zur Ergänzung oder Präzisierung des früheren Inhalts dienen sollte4.

331

Das persönliche Verhältnis zu den bedachten Personen kann Rückschlüsse auf den Willen des Testierers zulassen, ebenso wie der Bildungsstand des Erblassers, seine berufliche Stellung oder auch örtliche Besonderheiten5.

332

Äußerungen nach der Testamentserrichtung können ebenfalls herangezogen werden, jedoch nur soweit sie nicht auf eine Absicht, das Testament zu ändern, hindeuten6.

333

d) Der maßgebende Zeitpunkt Der maßgebende Zeitpunkt für die Feststellung des subjektiven Willens des Erblassers ist der Errichtungszeitpunkt7. Unbeachtlich ist folglich, wenn sich der Erblasserwillen nach diesem Zeitpunkt ändert8.

334

e) Die wohlwollende Auslegung i.S.d. § 2084 BGB Lässt der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zu, so ist gem. § 2084 BGB im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die durch den Testierer gewählte Verfügung Erfolg haben kann. Die Regelung ergänzt die allgemeinen Auslegungsregeln für den seltenen Fall, dass bei einer 1 2 3 4 5 6 7

BayObLG v. 12.3.2002 – 1Z BR 14/01, FamRZ 2002, 1745 = NJW-RR 2002, 873 ff. BayObLG v. 16.3.2005 – 1Z BR 77/04, FamRZ 2006, 226 = ZEV 2006, 182. Erman/M. Schmidt, § 2084 BGB Rz. 5. Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 68. Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 75. Erman/M. Schmidt, § 2084 Rz. 5. BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 (233) = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52; BayObLG v. 7.11.1988 – BReg.1a Z 39/88, FamRZ 1989, 325 = NJW-RR 1989, 326 (327). 8 RG v. 2.11.1933 – IV. B 43/33, RGZ 142, 171 (175); BayObLG v. 13.4.1995 – 1Z BR 32/95, FamRZ 1995, 1446 = NJW-RR 1996, 1351. Esser

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335

B II

Rz. 336

Formen letztwilliger Verfügung

mehrdeutigen Anordnung eine Auslegungsmöglichkeit zur Unwirksamkeit der Verfügung führen würde. 336

Können mehrere Auslegungen zum selben Ziel führen, so ist in Anwendung des § 2084 BGB die für den Bedachten kostengünstigste und mit den wenigsten Umständen verbundene Auslegung zu wählen1. Beispiel: Die Einsetzung aller Tierschutzvereine in deutschen Städten mit mehr als 20 000 Einwohnern lässt zwei Auslegungsmöglichkeiten zu: Entweder sind die Tierschutzvereine (und alle Mitglieder, soweit die Vereine keine juristischen Personen sind) Erben nach Bruchteilen, so dass eine unüberschaubare Miterbengemeinschaft entsteht. Oder der Dachverband der Vereine soll Erbe sein, mit der Auflage, das Vermögen entsprechend zu verteilen2.

336a

Da die zweite Möglichkeit die praktikablere ist, führt die Anwendung der wohlwollenden Auslegung zu der Annahme, dass der Erblasser den Dachverband als Erben einsetzen wollte.

337

Entsprechend anwendbar ist § 2084 BGB, wenn unstreitig eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Erblassers vorliegt, deren rechtliche Natur aber zweifelhaft ist. Dieses ist bspw. dann der Fall, wenn unklar ist, ob die Erklärung eine letztwillige Verfügung oder eine Schenkung unter Lebenden bzw. eine testamentarische Anordnung oder eine widerrufliche Vollmacht auf den Todesfall ist3.

338

§ 2084 BGB ist nicht anwendbar, wenn die Frage zu klären ist, ob überhaupt eine letztwillige Verfügung des Erblassers vorliegt oder nur ein unverbindlicher Wunsch, eine unverbindliche Mitteilung oder eine Ankündigung, wie es etwa in Form eines Briefes möglich ist4. Diese Zweifel betreffen den Testierwillen und sind daher als Fragen der Auslegung nur über § 133 BGB zu beantworten.

339

Auch fehlende zwingende Formerfordernisse, wie bspw. die fehlende Unterschrift unter dem eigenhändigen Testament, lassen sich nicht mithilfe des § 2084 BGB ersetzen5. f) Die ergänzende Auslegung aa) Begriff der ergänzenden Auslegung

340

Während die erläuternde Auslegung des Wortlauts an den wahren Willen des Erblassers anknüpft, findet die ergänzende Auslegung Anwendung, wenn der hy1 Brox, Rz. 202; Kipp/Coing, § 21 V b; Erman/M. Schmidt, § 2084 BGB Rz. 8; Palandt/ Weidlich, § 2084 BGB Rz. 15. 2 Kipp/Coing, § 21 V b. 3 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, MDR 1988, 845 = FamRZ 1988, 945 = NJW 1988, 2731 (2732); Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 16; a.A. Soergel/Stein, § 1937 Rz. 2; Erman/M. Schmidt, § 2084 Rz. 9; Bork, JZ 1988, 1059 (1063). Nach der Gegenansicht ist die Anwendung des § 2084 BGB mit dem Zweck des § 2301 BGB unvereinbar, die Umgehung der Erbrechtsvorschriften zu verhindern. Im Zweifel eine Verfügung von Todes wegen anzunehmen, würde jedoch eine Umgehung des § 2301 BGB bedeuten. 4 Erman/M. Schmidt, § 2084 Rz. 8 m.w.N. 5 OLG Hamm v. 16.3.1993 – 15 W 135/92, FamRZ 1994, 188; BayObLG v. 4.3.1983 – BReg. 1Z 127/82, FamRZ 1983, 836. 176

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 344

pothetische Erblasserwillen ermittelt werden muss, also planwidrige Lücken des Testaments zu schließen sind1. Solche Lücken können entstehen, wenn zwischen der Errichtung des Testaments und dem Eintritt des Erbfalls eine gewisse Zeitspanne liegt, innerhalb deren sich die Verhältnisse grundlegend ändern. Auch können bereits bei Errichtung des Testaments Umstände vorgelegen haben, die dem Erblasser nicht bekannt gewesen sind, bei dessen Kenntnis er aber andere Verfügungen getroffen hätte. Während sich die erläuternde Auslegung am Sinn der Erklärung orientiert und dadurch der vom Erblasser gewollten Rechtsfolge zur Durchsetzung verhilft, führt die ergänzende Auslegung zu Rechtsfolgen, die dem Wortlaut der Verfügung weder ausdrücklich noch dem Sinn nach zu entnehmen sind.

341

bb) Die Ergänzung des Testaments Die Ergänzung des Testaments im Wege der ergänzenden Auslegung erfolgt in drei Schritten: Zunächst ist das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke zu prüfen. Dabei ist zu klären, welche Ziele und welche Motivationen den Erblasser bei seinen Anordnungen leiteten.

342

Beispiel: Der Erblasser kann bei Errichtung seiner letztwilligen Verfügung die Alterssicherung seiner Ehefrau oder die gerechte Aufteilung des Vermögens zwischen den Bedachten als bestimmendes Kriterium der Gestaltung gewünscht, dieses Ziel aber mit den getroffenen Verfügungen nicht erreicht haben. Hier besteht eine planwidrige Regelungslücke.

Ist das Ziel des Erblassers definiert und findet sich keine entsprechende Regelung im Testament, so ist eine Lücke vorhanden. Kann festgestellt werden, dass der Erblasser diese Lücke zur Erreichung seines Ziel geschlossen hätte, ist die Regelungslücke planwidrig.

342a

Die Lücke ist nun zu schließen. Hierfür ist der hypothetische Wille des Erblassers zu ermitteln, den er gehabt hätte, wenn ihm im Zeitpunkt der Testamentserrichtung die nicht bedachten Umstände bekannt oder bewusst gewesen wären.

343

Es ist immer von der Person des Erblassers auszugehen und aus dessen Sicht ist die Lücke zu schließen. Der Auslegende hat sich hierfür gedanklich in den Zeitpunkt der Testamentserrichtung zurückzuversetzen und von dort aus die sich aus damaliger Sicht entwickelnde Zukunft vorzustellen2. Der hypothetische Wille des Erblassers kann sich dabei sowohl aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergeben als auch aus außerhalb des Testaments liegenden Umständen.

344

Beispiel: Der 1989 verstorbene Erblasser hatte umfangreiches Immobilienvermögen in der früheren DDR. Nach der Wiedervereinigung wurden die Immobilien an die Erben rückübertragen. In seinem 1988 errichteten Testament sind für diese Vermögensgegenstände keinerlei Verfügungen getroffen worden, da der Erblasser nicht mit einer Wiedervereinigung rechnete. Die entstandene Regelungslücke ist durch ergänzende Auslegung zu schließen. 1 v. Lübtow, ErbR Bd. 1, S. 294; Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 34; Nieder, Rz. 1113. 2 Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 8. Esser

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B II

Rz. 344a

Formen letztwilliger Verfügung

344a

Von allen denkbaren Möglichkeiten, wie die planwidrige Lücke geschlossen werden kann, ist diejenige auszuwählen, welche am besten geeignet ist, den mit dem hypothetischen Erblasserwillen angestrebten Erfolg zu verwirklichen1. Dabei kommt es auf den Willen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an, nicht etwa auf einen späteren Willen2.

345

Strittig ist, ob auch bei der ergänzenden Auslegung besondere Grenzen zu berücksichtigen sind. Während die Rechtsprechung mittels der Anhalts- oder Andeutungstheorie darum bemüht ist, die ergänzende Auslegung einzuschränken, lehnt die Literatur diese Beschränkungen entschieden ab3.

346

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass für das erzielte Ergebnis auch in der Testamentsurkunde zumindest ein Anhaltspunkt gegeben sein muss. Zu beachten ist, wie bei der erläuternden Auslegung, dass auch hier die Andeutungstheorie gilt4. Der hypothetische Wille muss in der Testamentsurkunde in irgendeiner Form eine Stütze finden. Gefordert wird eine aus dem Testament erkennbare Willensrichtung des Erblassers5, die sich aus seinen Zielen und Motivationen ergeben muss.

347

Dieser Ansicht wird entgegengehalten, dass ein Anhaltspunkt im Rahmen einer ergänzenden Auslegung schon deshalb im Testament nicht gefunden werden kann, weil andernfalls bereits im Wege der erläuternden Auslegung der mutmaßliche Wille des Erblassers ermittelt worden wäre.

348

Übereinstimmend stellen jedoch beide Ansichten fest, dass die Ergänzung einer letztwilligen Verfügung nur zulässig ist, wenn hierfür Anhaltspunkte in der Willensrichtung des Erblassers bestehen, die sich anhand des Testaments, aufgrund von Umständen außerhalb des Testaments oder aus der allgemeinen Lebenserfahrung feststellen lassen6. Keinesfalls darf die ergänzende Auslegung jedoch in der Art vorgenommen werden, dass dem Erblasser ein Wille unterstellt wird, der „vernünftig“ gewesen wäre. cc) Auslegung vor Anfechtung

349

Nach der Auffassung von Rechtsprechung7 und Schrifttum8 geht die Auslegung der Anfechtung vor, da die Auslegung den Willen des Erblassers verwirklicht, während ihn die Anfechtung entsprechend § 142 BGB vernichtet.

Beratungshinweis: In Zweifelsfällen sollte, mit Blick auf die für die Anfechtung geltenden Fristen, zumindest hilfsweise die Anfechtung der letztwilligen Verfügung erklärt werden. 1 2 3 4 5 6 7

Nieder, Rz. 1116. BGH v. 23.1.1963 – V ZR 82/61, NJW 1963, 1150 (1151). MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 80. Erman/M. Schmidt, § 2084 Rz. 7. Palandt/Weidlich, § 2084 Rz. 10. MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 81. BayObLG v. 5.12.1966 – BReg. 1a Z 32/66, BayObLGZ 1966, 390 (394); BayObLG v. 27.6.1997 – 1Z BR 240/96, FamRZ 1997, 1509 = BayObLGZ 1997, 197 (201 f.) = ZEV 1997, 339 (340). 8 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 10; Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 1; Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 6 f. 178

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 355

dd) Keine zeitlichen Grenzen der ergänzenden Auslegung Das Gericht ist bei der Ergänzung des Erblasserwillens weder gegenständlich noch zeitlich beschränkt. Derjenige, der sich auf Veränderungen beruft, die sich aus der ergänzenden Auslegung ergeben, kann sich so lange darauf berufen, wie Rechte in der gewählten Verfahrensart geltend gemacht werden können. Die Ausschlussfristen für die Irrtumsanfechtung sind nicht anwendbar. Grenzen setzt hier der Gedanke des allgemeinen Rechtsmissbrauchs entsprechend § 242 BGB1.

350

ee) Wichtige Anwendungsfälle der ergänzenden Auslegung Die Rechtsprechung wendet die ergänzende Auslegung nur zurückhaltend an, was auf die Schwierigkeit der Ermittlung eines hypothetischen Erblasserwillens und die damit verbundenen Unsicherheiten zurückzuführen ist. Es haben sich aber einige Fallgruppen herausgebildet, bei denen regelmäßig die ergänzende Auslegung herangezogen wird.

351

(1) Einsetzung eines Ersatzerben Ein anerkannter und typischer Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung betrifft die Berufung von Ersatzerben, wenn die bedachte Person vor Eintritt des Erbfalls stirbt. Da die Regelung des § 2069 BGB als Sonderregelung für die Abkömmlinge des Erblassers nicht analog auf den Wegfall anderer eingesetzter Erben angewendet werden kann2, entsteht bei Wegfall der Bedachten in anderen als den dort genannten Fällen eine planwidrige Lücke.

352

Findet sich im Testament ein Anhaltspunkt dafür, dass der Erblasser eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des ursprünglich Bedachten gewünscht hätte (Zuwendung an den Stamm des ursprünglichen Erben), so ist eine dahin gehende ergänzende Auslegung möglich3.

353

(2) Wegfall des eingesetzten Ehegatten und Wiederheirat des Erblassers Die ergänzende Auslegung ist im Hinblick auf eine Auswechslung des Zuwendungsempfängers grundsätzlich zurückhaltend anzuwenden.

354

Insbesondere bei Wegfall des eingesetzten Ehegatten und Wiederheirat des Erblassers, der nach erneuter Eheschließung keine neue letztwillige Verfügung getroffen hat, ist die Annahme einer Erbeinsetzung des zweiten Ehegatten weder nach § 2071 BGB noch im Wege der ergänzenden Auslegung möglich. Dies gilt sowohl bei der namentlichen Einsetzung als auch bei einer unpersönlichen und mehrdeutigen Bezeichnung des Bedachten, wie z.B. „mein Mann“4. Im ersten Fall kommt die erläuternde Auslegung schon wegen der namentlichen Benennung des ersten Ehegatten nicht zu dem Ergebnis, der zweite Ehegatte könne an

355

1 BayObLG v. 27.6.1997 – 1Z BR 240/96, ZEV 1997, 339 (341) = FamRZ 1997, 1509; Schlüter, § 17, Die Auslegung der Verfügungen von Todes wegen, II 3, Rz. 193; a.A. Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, S. 151. 2 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, NJW 1973, 240 (242). 3 Palandt/Weidlich, § 2069 Rz. 9. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 98; Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 108. Esser

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B II

Rz. 355a

Formen letztwilliger Verfügung

die Stelle des Ersten getreten sein1. Und auch im zweiten Fall ermöglicht die objektiv neue Situation keine ergänzende Auslegung, sondern verlangt eine neue Verfügung des Erblassers. (3) Auswirkung der Ehescheidung auf den Bestand des Erbvertrags 355a

Strittig diskutiert wird die Auswirkung einer Ehescheidung auf die erbvertragliche Erbeinsetzung von Abkömmlingen. Das LG München hatte entschieden, dass durch die Ehescheidung zwar die wechselbezüglichen Vermächtnisse und auch die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers unwirksam geworden seien. Das gelte allerdings nicht für die Erbeinsetzung der Kinder. Der hypothetische Wille des Erblassers gehe weiter dahin, die gemeinsamen Kinder aus erster Ehe auf jeden Fall als Erben nach dem Erstversterbenden einzusetzen. Das OLG hob diese Entscheidung auf und verwies die Sache zurück an das Nachlassgericht2. Nach § 2279 Abs. 2 BGB gelten die Vorschriften des § 2077 BGB auch für den Erbvertrag zwischen Ehegatten. Nach § 2077 Abs. 1 BGB ist die letztwillige Verfügung infolge der Auflösung der Ehe unwirksam geworden, wenn nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser sie auch für diesen Fall getroffen hätte. Im Wege der Auslegung kommt das OLG zu dem Schluss, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der Erblasser und seine frühere Ehefrau, hätten sie die spätere Scheidung bedacht, auch für diesen Fall die Einsetzung der Kinder als Erben nach dem Erstversterbenden aufrecht erhalten wollten, insbesondere deswegen, weil im Erbvertrag geregelt worden war, dass der Überlebende in seiner Verfügung unter Lebenden und von Todes wegen frei sein sollte.

355b

In der Praxis der Vertragsgestaltung bedeutet dies, dass der rechtliche Berater auf mögliche Folgen einer Ehescheidung hinzuweisen und mit besonderer Sorgfalt die Gestaltung der Bindungswirkung in einem Erbvertrag zu definieren hat. (4) Veränderungen der Vermögenslage des Erblassers

356

Hatte der Erblasser falsche Vorstellungen von seiner Vermögenslage im Zeitpunkt des Erbfalls, weil sich seine Vermögensverhältnisse nach der Testamentserrichtung verändert haben, kann ebenfalls die ergänzende Auslegung in Betracht kommen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten, da grundsätzlich eine Vermögensveränderung die Verfügung von Todes wegen nicht berührt3.

357

Jedoch können Teilungsanordnungen und Bestimmungen der Erbquoten durch eine Veränderung der Vermögenslage beeinflusst werden4.

358

Hat der Erblasser eine Bestimmung der Erbquote vorgenommen, wird die Erbeinsetzung auch dann nicht in Frage gestellt, wenn der Erblasser nach Testamentserrichtung weiteres erhebliches Vermögen erhält5. 1 2 3 4 5

Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 108. OLG München v. 8.2.2008 – 31 Wx 68/07, FamRZ 2008, 1118 = ZEV 2008, 290 ff. Soergel/Loritz, § 2084 Rz. 43; Nieder, Rz. 1120. Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 96; Nieder, Rz. 1120. Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 6; BGH v. 16.10.1996 – IV ZR 349/95, FamRZ 1997, 349 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 392; BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246 = NJW-RR 1995, 1096.

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 362

Insbesondere können aber Zuwendungen von Einzelgegenständen oder Vermögensgruppen ohne die Bestimmung einer Erbquote als Erbeinsetzung nach Bruchteilen, verbunden mit einer Teilungsanordnung i.S.v. § 2048 BGB, ausgelegt werden, wenn der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung damit nahezu über sein gesamtes Vermögen verfügt hat1. Die Erbquoten sind dann anhand des wirtschaftlichen Wertverhältnisses der zugewandten Vermögensgruppen zum gesamten Nachlass zu ermitteln2.

359

Eine andere Möglichkeit ist, dass die ergänzende Auslegung zu dem Ergebnis führt, dass der Erblasser nur über den Bruchteil seines Vermögens verfügen, im Übrigen aber die gesetzliche Erbfolge eintreten lassen wollte, entsprechend § 2088 BGB. Dies ist dann der Fall, wenn der Erblasser durch Zuwendung einzelner Gegenstände oder Vermögensgruppen die Bedachten zwar zu Erben einsetzen wollte, ihnen objektiv aber nur einen Bruchteil seines Vermögens zugewandt hat3. Die zugewandten Gegenstände sind dann in Bruchteile des Nachlasses umzudeuten, i.d.R. entsprechend ihrem Anteil am Wert des hinterlassenen Vermögens4. Im Wege der Auslegung ist hier nicht nur zu ermitteln, ob der Erblasser die Zuwendungsempfänger zu Erben einsetzen wollte, sondern auch, ob sie alleinige Erben werden sollten oder nur zu einem Bruchteil. Sollten die Bedachten als alleinige Erben eingesetzt werden, sind ihre Erbteile gem. § 2089 verhältnismäßig zu erhöhen. Sollten sie nur zu einem Bruchteil als Erben eingesetzt werden, tritt hinsichtlich des übrigen Nachlasses die gesetzliche Erbfolge ein5.

360

(5) Tatsächliche Veränderungen an einem vermachten Gegenstand Gehört der vermachte Gegenstand im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr zum Nachlass, sind vor der ergänzenden Auslegung die gesetzlichen Auslegungsregeln nach §§ 2169, 2170 und 2173 BGB anzuwenden. Nach der h.M. kann jedoch § 2169 Abs. 3 BGB im Fall der Veräußerung des vermachten Gegenstands weder direkt noch entsprechend angewandt werden6. Im Wege der ergänzenden Auslegung kann man jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass der Erlös des verkauften Gegenstands, soweit er sich noch im Nachlass befindet, oder der Wert des veräußerten Gegenstands als vermacht anzusehen ist7.

361

(6) Änderung der Rechtslage Hat sich die Rechtslage zwischen Testamentserrichtung und Erbfall so verändert, dass eine ursprünglich vorgesehene Rechtsfolge aufgrund dieser Rechtsänderung nicht mehr erreicht werden kann, ist der Verfügung – unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks – im Wege der ergänzenden Auslegung 1 Nieder, Rz. 1120. 2 BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396. 3 BayObLG v. 19.3.1998 – 1Z BR 82/97, FamRZ 1998, 1334 = BayObLGZ 1998, 76 (79 f.). 4 BayObLG v. 24.6.1998 – 1Z BR 46/98, FamRZ 1999, 62. 5 Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 6. 6 BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 238/56, BGHZ 22, 357; Staudinger/Otte, § 2169 Rz. 16; Palandt/Weidlich, § 2169 Rz. 8. 7 BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 = MDR 1983, 293 = FamRZ 1983, 383. Esser

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362

B II

Rz. 363

Formen letztwilliger Verfügung

ein anderer Inhalt zu geben, soweit dieser dem hypothetischen Willen des Erblassers entspricht1. Beispiel: Das neu eingeführte Erbrecht des nichtehelichen Kindes, die Einführung des Erbrechts eines adoptierten Kindes, die Einführung des BGB in den neuen Bundesländern, die Einführung der Zugewinngemeinschaft, der Erlass der HöfeO oder eine Währungsumstellung stellen eine Änderung der Rechtslage dar, die eine ergänzende Auslegung erforderlich machen kann.

(7) Geldentwertung und Währungsänderung 363

Eine zwischen Testamentserrichtung und Erbfall eingetretene Geldentwertung kann im Rahmen der ergänzenden Auslegung zur Anpassung eines Geldvermächtnisses, einer Geldrente oder eines vom Erblasser festgelegten Übernahmepreises, welcher von einem Miterben zu zahlen ist, führen2. (8) Freistellungsklauseln bei gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten3 und Änderungsvorbehalte in Erbverträgen4

364

Grundsätzlich müssen Freistellungsklauseln und Änderungsvorbehalte bereits ausdrücklich im gemeinschaftlichen Testament bzw. im Erbvertrag aufgenommen werden. Darüber hinaus gestattet die Rechtsprechung aufgrund ergänzender Auslegung ein Abweichen von der letztwilligen Verfügung5. Beispiel: Der überlebende, aufgrund eines Erbvertrags gebundene Ehepartner hat nach dem Tod des Erstverstorbenen unerwartet ein erhebliches Vermögen erworben. Über dieses kann der Überlebende, auch ohne dass entsprechende Klauseln und Vorbehalte in den Erbvertrag aufgenommen worden sind, anderweitig verfügen.

g) Auslegung und Prozessrecht 365

Ziel der Auslegung ist es, den rechtlich verbindlichen Inhalt der Verfügung von Todes wegen festzustellen. Die Auslegung selbst ist im erbrechtlichen Verfahren daher keine Tatsachenfeststellung, sondern eine richterliche Tätigkeit im Bereich der Rechtsanwendung6. Dies gilt sowohl für die einfache (erläuternde) als auch für die ergänzende Auslegung. Die Auslegung der Verfügung ist Aufgabe des Richters im Erbscheins- oder im Prozessverfahren. Der Richter hat dabei die allgemeinen, geschriebenen und ungeschriebenen, Auslegungsgrundsätze anzu1 2 3 4 5

MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 77, 78, 104. Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rz. 97 m.w.N. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 19. Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 8. Gemeinschaftliches Testament: OLG Zweibrücken v. 28.10.1991 – 3 W 34/91, FamRZ 1992, 608 = NJW-RR 1992, 587; Erbvertrag: BayObLG v. 9.11.1995 – 1Z BR 31/95, FamRZ 1996, 898; OLG Köln v. 10.9.1993 – 2 Wx 34/93, MDR 1994, 71 = NJW-RR 1994, 651. 6 BGH v. 18.1.1978 – IV ZR 181/76, WM 1978, 377 (378); MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 1422. 182

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 370

wenden und die, soweit einschlägig, besonderen gesetzlichen Auslegungsregeln zu beachten1. Einen unmittelbaren Beweis des Auslegungsergebnisses gibt es nicht, so dass das Gericht nicht an eine übereinstimmende Auslegung durch die Parteien gebunden ist. Das Gericht kann also, unabhängig von den streitenden Bedachten, eine eigene Auslegung des Testaments vornehmen.

366

Ausnahme: Die übereinstimmende Auslegung durch die Parteien ist als rechtsgeschäftliche Einigung über eine der Parteidisposition unterliegende Rechtsfolge zu betrachten2. Die Beteiligten können die Auslegung des Testaments nicht durch einen Vertrag mit unmittelbarer dinglicher Wirkung festlegen, sondern sich nur schuldrechtlich in einem notariell zu beurkundenden Auslegungsvertrag dazu verpflichten, ein bestimmtes Ergebnis herbeizuführen3.

367

Auch wenn der Richter große Zweifel hat, ob die Auslegung dem wirklichen Willen des Erblassers entspricht, muss er eine Entscheidung treffen4. Bei nicht behebbaren Zweifeln muss der Richter eine Entscheidung treffen, die, von allen denkbaren Auslegungen, nach den überwiegend dafür sprechenden Gründen dem hypothetischen Erblasserwillen am Nächsten kommt. Entsprechend der durch Auslegung gebildeten Überzeugung, für welche Interpretation der getroffenen Verfügungen die überwiegenden Gründe sprechen, muss sich der Richter dabei unter Umständen mit einem durch Wortlaut und Umstände nur naheliegenden, mutmaßlichen Erblasserwillen begnügen5.

368

Im Revisionsverfahren (§ 561 Abs. 2 ZPO) oder bei der Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG) ist die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Auslegung nicht voll überprüfbar, sondern nur soweit bei der Feststellung der Tatsachen ein Verstoß gegen verfahrensrechtliche Normen, z.B. das Beweisrecht, in Betracht kommt. Die Auslegung ist daraufhin zu prüfen, ob sie dem klaren Wortlaut und Sinn des Testaments widerspricht6. Sie ist dann rechtsfehlerhaft, wenn dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und der auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Willen des Erblassers gestützt werden kann7.

369

Von den Parteien wird vor Gericht zumeist ausgeführt, dass eine in Frage kommende andere Auslegung überhaupt nicht erwogen wurde8 oder vom Gericht ein wesentlicher Umstand übersehen worden ist9.

370

1 MüKo.BGB/Leipold, § 2084 Rz. 144; vor § 2064 Rz. 8. 2 OLG Frankfurt v. 9.10.1989 – 20 W 306/89, OLGZ 1990, 15 = MDR 1990, 56. 3 BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, MDR 1986, 653 = FamRZ 1986, 462 = NJW 1986, 1812 (1813); OLG Frankfurt v. 9.10.1989 – 20 W 306/89, OLGZ 1990, 15 = MDR 1990, 56. 4 Erman/M. Schmidt, § 2084 BGB Rz. 11. 5 Nieder, Rz. 1122. 6 BayObLG v. 31.8.1990 – BReg.1a Z 60/89, FamRZ 1996, 636 = NJW-RR 1991, 6 (7). 7 BGH v. 24.2.1993 – IV ZR 239/91, BGHZ 121, 357 = MDR 1993, 878 = FamRZ 1993, 946 = NJW 1993, 2168. 8 BayObLG v. 29.6.1994 – 1Z BR 125/93, FamRZ 1994, 1554 = ZEV 1994, 377. 9 BayObLG v. 7.7.1989 – BReg.1a Z 45/88, FamRZ 1989, 1211 = NJW-RR 1989, 1286. Esser

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B II

Rz. 371

Formen letztwilliger Verfügung

h) Der Auslegungsvertrag 371

Ist die letztwillige Verfügung in der Bestimmung der Bedachten oder der Zuwendungen nicht eindeutig, haben die Beteiligten (z.B. Erben, Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigte) die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Vertrags zu einigen. Bei diesen Verträgen handelt es sich entweder um einen Vergleich i.S.d. § 779 BGB oder um einen gesetzlich nicht normierten Feststellungs- bzw. Auslegungsvertrag1.

372

Durch den Auslegungsvertrag werden jedoch nur schuldrechtliche Verpflichtungen der Vertragsparteien zueinander begründet, eine dingliche Wirkung auf die eingetretenen Erbrechtsfolgen entfaltet er nicht2.

373

Mithilfe notarieller Erbteilsübertragungsverträge gem. § 2033 BGB oder durch Einzelübertragungsakte kann die schuldrechtlich vereinbarte Stellung der Beteiligten auch weitgehend dinglich angenähert werden3. Schuldrechtliche Vereinbarungen über den Abschluss notarieller Erbteilsübertragungsverträge oder die Durchführung von Einzelübertragungsakten fallen unter § 2385 BGB und bedürfen daher gem. § 2371 BGB auch der notariellen Beurkundung.

374

Der Auslegungsvertrag bedarf keiner notariellen Form, soweit er nur Vermächtnisse, Teilungsanordnungen oder ausschließlich die Erbauseinandersetzung i.S.v. 2042 BGB ohne die Vereinbarung einer abweichenden Nachlassbeteiligung betrifft, sofern nicht andere Formvorschriften wie § 313 BGB einschlägig sind.

375

Das Gericht ist an den außergerichtlichen Vergleich oder einen Auslegungsvertrag im Zivilprozess oder im Erbscheinsverfahren jedoch nicht gebunden4. Es wird den einverständlichen Erklärungen aller Beteiligten über die Auslegung der letztwilligen Verfügung jedoch eine gewisse Indizwirkung zumessen, da die Beteiligten in der Regel am besten mit den Vorstellungen und Wünschen des Erblassers vertraut sind5.

III. Änderung, Widerruf und Anfechtung der Verfügung von Todes wegen 1. Änderung der Verfügung von Todes wegen 376

Die Änderung einer Verfügung von Todes wegen durch den Erblasser mithilfe von Nachträgen oder Zusätzen ist grundsätzlich möglich, muss jedoch den Formerfordernissen des § 2247 BGB entsprechen (vgl. Rz. 194 ff.).

377

Werden nur Schreibfehler und ähnliche offensichtliche Unrichtigkeiten der Urkunde berichtigt oder Klarstellungen vorgenommen, ist dies jederzeit und ohne 1 BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, MDR 1986, 653 = FamRZ 1986, 462 = NJW 1986, 1812. 2 BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, MDR 1986, 653 = FamRZ 1986, 462 = NJW 1986, 1812 (1813). 3 Nieder, Rz. 1123. 4 BayObLG v. 19.9.1988 – BReg.1a Z 40/88, FamRZ 1989, 99. 5 Lange/Kuchinke, § 34 IV 3c. 184

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 383

erneute Unterschrift durch den Testierer möglich1, da diese Korrekturen keine inhaltliche Veränderung darstellen. Streichungen sind ebenfalls ohne Unterschrift möglich, auch wenn sie das Testament inhaltlich verändern, da es sich dabei nicht um das „Errichten“ einer Erklärung i.S.d. § 2247 Abs. 1 BGB handelt2, sondern die Streichung nur einen Widerruf darstellt, der nach § 2255 BGB durch bloße schlüssige Handlung möglich ist.

378

Das Formerfordernis der eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Erklärung gem. § 2247 Abs. 1 BGB ist ohne neue Unterschrift durch den Erblasser gewahrt, wenn nachträgliche inhaltliche Veränderungen oder Ergänzungen auf der Testamentsurkunde nach dem festgestellten Willen des Erblassers von der alten Unterschrift gedeckt sind und das räumliche Erscheinungsbild der Urkunde dem nicht entgegensteht3.

379

Wird außerhalb des Textes eine Berichtigung vorgenommen, die neue Verfügungen, zum Beispiel die Auswechslung eines Vermächtnisnehmers, enthält, muss diese Berichtigung den Formerfordernissen des § 2247 BGB entsprechen4. Außerhalb des Textes steht eine Veränderung dann, wenn sie sich unterhalb des durch Unterschrift abgeschlossenen Testaments befindet. In diesen Fällen ist die erneute Unterschrift des Erblassers zwingend erforderlich, ansonsten ist die außerhalb der Urkunde vorgenommene Berichtigung unwirksam.

380

Nur in Ausnahmefällen kann auch eine ohne die gesonderte Unterschrift des Erblassers legitimierte Ergänzung unterhalb des Textes wirksam sein. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn der ursprüngliche Text ohne die Ergänzung lückenhaft oder nicht durchführbar wäre und deshalb der wirkliche Wille des Erblassers nur anhand beider Texte ersichtlich wird5. Dazu muss nach Auslegung des Testaments feststehen, dass die Änderungen entsprechend dem Willen des Erblassers von der Unterschrift gedeckt sein sollen. Im Zweifel ist der Zusatz jedoch unwirksam6.

381

Wird auf einem gesonderten Schriftstück eine Änderung verfügt, muss die Anordnung stets gesondert unterzeichnet werden, da der erforderliche räumliche Zusammenhang fehlt und die Änderung daher als neue Verfügung zu betrachten ist. Auch bei einer inhaltlichen Anknüpfung an die ursprüngliche Urkunde sind diese Formerfordernisse zwingend zu erfüllen7.

382

2. Widerruf der Verfügung von Todes wegen Aus dem Prinzip der Testierfreiheit folgt, dass der Erblasser gem. § 2253 Abs. 1 BGB die Möglichkeit hat, getroffene Verfügungen von Todes wegen jederzeit ganz oder teilweise ohne Begründung zu widerrufen. Da der Testierer nicht an 1 2 3 4 5 6 7

Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 56, 61; Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 14. Erman/Kappler/Kappler, § 2247 BGB Rz. 11. BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083 (1084). Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 56. OLG Frankfurt v. 13.2.1995 – 20 W 394/94, NJW-RR 1995, 711. Staudinger/Baumann, § 2247 Rz. 65. BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083; Erman/Kappler/Kappler, § 2247 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2247 Rz. 14. Esser

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185

383

B II

Rz. 384

Formen letztwilliger Verfügung

seine rechtsgeschäftlichen Erklärungen im Testament gebunden ist, hat der im Testament Bedachte eine bloße tatsächliche Erwerbsaussicht, die jedoch erst mit dem Tod des Erblassers rechtliche Wirksamkeit erlangt. 384

Ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen aufzuheben oder nicht aufzuheben, ist gem. § 2302 BGB nichtig.

385

Bei gemeinschaftlichen Testamenten gilt § 2253 BGB ebenfalls, mit den für wechselbezügliche Verfügungen bestehenden Ausnahmen des § 2271 BGB.

386

Nur durch Erbvertrag ist eine Bindung des Erblassers hinsichtlich wechselbezüglicher Verfügungen möglich. a) Rechtsnatur und Wirksamkeitsvoraussetzungen des Widerrufs

387

Der Widerruf ist ein Rechtsgeschäft, eine negative letztwillige Verfügung1, die durch ein Widerrufstestament (§ 2254 BGB), oder durch eine schlüssige Handlung (§ 2255 BGB, Vernichtung oder Veränderung der Urkunde) erklärt werden kann.

388

Die Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der amtlichen Verwahrung wird nach § 2256 BGB als Widerruf in Form einer letztwilligen Verfügung fingiert2.

389

Der Widerruf ist daher in jeder gesetzlich vorgesehenen Form eine letztwillige Verfügung und erfordert die Testier- und Widerrufsfähigkeit des Verfügenden (§ 2229 BGB). Ein gem. §§ 1896 ff. BGB unter Betreuung stehender Erblasser kann daher jederzeit sein Testament widerrufen, sofern er nicht gem. § 2229 Abs. 4 BGB testierunfähig ist3.

390

Der Widerruf muss nicht die Form des widerrufenen Testaments haben, sondern kann nach Maßgabe der in den §§ 2254 bis 2256, 2258 BGB geregelten Widerrufsmöglichkeiten erfolgen. Er muss aber in jedem Fall durch den Erblasser persönlich erklärt werden (§ 2064 BGB), so dass er nicht in einem Prozessvergleich erfolgen kann4. b) Arten des Widerrufs

391

Das Gesetz unterscheidet folgende Arten des Widerrufs: – durch Testament (§ 2254 BGB), – durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde (§ 2255 BGB), – durch Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB) und – durch ein neueres Testament abweichenden Inhalts (§ 2258 Abs. 1 BGB). 1 2 3 4

Nieder, Rz. 1033. Staudinger/Baumann, § 2256 Rz. 3. MüKo.BGB/Hagena, § 2229 Rz. 11. MüKo.BGB/Hagena, § 2254 Rz. 6, Rz. 2 m.w.N.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 396

Neben den gesetzlich vorgesehenen Widerrufsmöglichkeiten besteht keine Möglichkeit, durch schlüssiges Verhalten ein Testament zu widerrufen, wie etwa durch Billigung des Verlustes der Testamentsurkunde1. Ein Widerruf durch schlüssige Handlung ist nur unter den Voraussetzungen des § 2255 BGB möglich.

392

aa) Widerruf durch Testament, § 2254 BGB Der Widerruf kann nach § 2254 BGB durch ein neues formgültiges Testament erfolgen. Dabei muss er den Formerfordernissen eines Testaments entsprechen, bedarf aber nicht derselben Form wie das zu widerrufende Testament. Ein öffentliches Testament kann daher auch durch ein eigenhändiges widerrufen werden und umgekehrt2. Das Widerrufstestament kann auch als Nottestament (Achtung! Beschränkte zeitliche Geltung!) oder Brieftestament errichtet werden, nicht jedoch als bloßer Entwurf.

393

Beratungshinweis: Wird das Widerrufstestament als Nottestament errichtet, ist darauf zu achten, dass ein Nottestament nur für die Dauer von drei Monaten ab Errichtung Geltung hat. Nach Ablauf der drei Monate lebt daher das vorangegangene Testament wieder auf. Es ist daher unbedingt darauf zu achten, ein ordentliches Testament mit unbeschränkter Geltungsdauer vor Ablauf der drei Monate aufzusetzen. Der rechtswirksame Widerruf eines sich in amtlicher Verwahrung befindlichen Testaments ist auch dann gegeben, wenn der Erblasser den Widerruf auf einer Testamentsabschrift handschriftlich vermerkt, mit Orts- und Datumsangabe versieht und eigenhändig unterschreibt, selbst wenn der Zuatz erst in Verbindung mit der Abschrift zu verstehen ist3.

394

Es kann sich bei der neuen letztwilligen Verfügung um ein reines Widerrufstestament handeln, das außer dem Widerruf keine weiteren letztwilligen Verfügungen enthält4.

395

Der ausdrückliche Widerruf eines alten Testaments kann jedoch auch in einem neuen Testament neben weiteren neuen Verfügungen enthalten sein.

396

M 23 Widerrufserklärung durch Testament Hiermit widerrufe ich, Wolfgang Herbst, mein am 12.6.2001 errichtetes eigenhändiges Testament und verfüge stattdessen, dass die gesetzliche Erbfolge gelten soll. Hamburg, den 28.7.2014 Unterschrift

1 2 3 4

MüKo.BGB/Hagena, § 2253 Rz. 2, § 2254 Rz. 4; Soergel/Mayer, § 2254 Rz. 3. Palandt/Weidlich, § 2254 Rz. 1. BGH v. 25.10.1965 – III ZR 47/64, NJW 1966, 201. OLG Frankfurt v. 22.9.1949 – 2a W 7/49, NJW 1950, 607. Esser

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B II

Rz. 397

Formen letztwilliger Verfügung

397

Wird der Widerruf der alten Verfügung von Todes wegen nicht ausdrücklich in einem neuen Testament erklärt, kann ein entsprechender Wille des Erblassers durch Auslegung ermittelt werden. Die Problematik, was gelten soll, wenn das später errichtete Testament keine ausdrückliche Widerrufserklärung enthält, regelt § 2258 BGB. Während bei § 2254 BGB der Widerruf mit Widerrufsbewusstsein erfolgt, ist ein ausdrücklicher Aufhebungswille bei § 2258 BGB nicht erforderlich1.

398

Entscheidend für die Abgrenzung zwischen § 2254 BGB und § 2258 BGB ist, ob der Widerrufswille in der Erklärung Ausdruck gefunden hat, wobei der Widerruf gem. § 2254 BGB nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden muss2. Zur Klärung der Frage, ob der Testierende bewusst von der früheren Regelung Abstand genommen hat, ist das Testament auszulegen, wobei auch außerhalb des Testaments liegende Umstände herangezogen werden können3.

399

Enthält das Testament keine ausdrückliche Widerrufserklärung und ist ein Aufhebungswille auch nicht im Rahmen einer Auslegung oder Umdeutung erkennbar, beurteilt sich die Rechtslage nach § 2258 BGB bzw. § 2289 BGB.

400

Auch der bedingte Widerruf einer Verfügung von Todes wegen ist möglich. Der Erblasser erklärt, dass sein Testament nur dann wirksam sein soll, wenn vom ihm vorgegebene Bedingungen eintreten. Diese Bedingungen sind sog. Verwirkungsklauseln nach Maßgabe der §§ 2074 bis 2076 BGB4. Werden durch die Bedingungen nur einzelne Verfügungen widerrufen, hat das die Unwirksamkeit der übrigen Anordnungen nur dann zur Folge, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Erblasser die weiteren Regelungen ohne die unwirksame Verfügung nicht treffen wollte. Beispiel: Sollte mein Sohn heiraten, vererbe ich ihm mein Haus in der Toskana. Heiratet mein Sohn nicht, fällt das Haus an die Volkshochschule Ulm.

401

Ebenso kann sich der Widerruf auf einzelne testamentarische Anordnungen des Erblassers beschränken. bb) Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde, § 2255 BGB

402

Der Widerruf eines Testaments kann nach § 2255 BGB durch schlüssige Handlung, nämlich durch Vernichtung oder Veränderungen der Urkunde durch den Erblasser, erfolgen. Die Handlung des Erblassers erfordert objektiv eine körperliche Veränderung der Urkunde und subjektiv die Absicht des Testierers, die alte Verfügung aufzuheben5. Praktisch hat diese Form des Widerrufs daher insbesondere für das eigenhändige Testament eine besondere Bedeutung.

1 2 3 4 5

Erman/Kappler/Kappler, § 2254 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2258 Rz. 1. MüKo.BGB/Hagena, § 2254 Rz. 4. Erman/Kappler/Kappler, § 2254 Rz. 2. MüKo.BGB/Hagena, § 2253 Rz. 4; § 2254 Rz. 8. BGH v. 16.9.1959 – V ZR 20/59, NJW 1959, 2113.

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 408

Der testierfähige Erblasser muss die Testamentsurkunde persönlich verändert oder vernichtet haben, da nur er eine wirksame Verfügung von Todes wegen erstellen oder widerrufen kann. Ein Widerruf durch die Vernichtung des Testaments, bei der sich der Erblasser eines Dritten als Werkzeug bedient, ist nur dann wirksam, wenn der Erblasser dem Dritten keinen Entschluss- oder Handlungsspielraum belassen hat und der Auftrag zu Lebzeiten des Erblassers ausgeführt wurde1.

403

Die Voraussetzung der Persönlichkeit ist auch dann gegeben, wenn sich der Erblasser dabei eines Dritten bedient, der im Auftrag und mit Willen des Erblassers zu dessen Lebzeiten als unselbstständiges Werkzeug die Vernichtung vornimmt2. Auch andere mechanische Handlungen zur Veränderung des Testaments wie Streichungen durch einen Dritten im Auftrag des Erblassers in dessen Gegenwart sind wirksam3. Der Dritte darf bei der Veränderung oder Vernichtung nur als Werkzeug, nicht jedoch als gesetzlicher Vertreter oder Bevollmächtigter des Erblassers mit eigener Entschlussfreiheit handeln. In diesem Fall liegt kein wirksamer Widerruf vor4. Das gilt nicht nur für die Vernichtung, sondern auch für Veränderungen am Testament.

404

Die nachträgliche Genehmigung der Vernichtung durch einen Dritten ist nicht möglich, da § 185 Abs. 2 BGB nicht auf tatsächliche Handlungen anwendbar ist5.

405

Das Vernichten der Urkunde kann durch Zerreißen, Verbrennen oder die sonstige eigenhändige Zerstörung der Testamentsurkunde geschehen. Liegt keine Substanzvernichtung vor, kann nach einer Ansicht auch eine „ideelle“ Vernichtung angenommen werden6.

406

Beispiel: Der Erblasser wirft das Testament in den Papierkorb oder behandelt es wie Altpapier.

Nach anderer Auffassung ist nur bei einem Eingriff in die körperliche Substanz der Urkunde eine Vernichtung gegeben, so dass allein das Wegwerfen noch keinen Widerruf darstellt, sondern zusätzliche Umstände auf eine Aufhebungsabsicht hinweisen müssen, wie etwa das Zerknittern der Urkunde7.

407

Die Veränderung der Urkunde kann durch Ausradieren, Durchstreichen, Einreißen, Einschneiden, Herausreißen und Unleserlichmachen vorgenommen werden8. Wird durch die Veränderung nur eine teilweise Aufhebung vorgenommen und zugleich eine neue Verfügung von Todes wegen getroffen, muss die Formvorschrift des § 2247 BGB eingehalten werden, wobei eine neue Unterschrift nur dann entbehrlich ist, wenn die Änderung nach dem festgestellten Willen des

408

1 2 3 4 5 6 7 8

OLG München v. 11.4.2011 – 31 Wx 33/11, NJW-RR 2011, 945. BayObLG v. 10.2.1992 – BReg.1 Z 57/91, FamRZ 1992, 1350 (1351). Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 5. Vgl. dazu Schmidt, Der Widerruf des Testaments durch Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde, MDR 1951, 321 (323); BayObLG v. 10.2.1992 – BReg.1 Z 57/91, FamRZ 1992, 1350 (1351). Nieder, Rz. 1035; Soergel/Mayer, § 2255 Rz. 11; Schlüter, § 16 II 2a, Rz. 186. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 3; Palandt/Weidlich, § 2255 Rz. 8. MüKo.BGB/Hagena, § 2255 Rz. 5, 7 m.w.N. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 3 m.w.N. Esser

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B II

Rz. 409

Formen letztwilliger Verfügung

Erblassers von der Unterschrift gedeckt ist und das räumliche Erscheinungsbild der Urkunde dem nicht entgegensteht1. 409

Auch kann die Veränderung in Form eines Ungültigkeits- oder Entwertungsvermerks vorgenommen werden, wenn für jedermann dadurch sofort zu erkennen ist, dass die Verfügung nicht mehr wirksam sein soll2. Ein derartiger Vermerk muss nicht gesondert unterschrieben sein3.

Beratungshinweis: Ist über dem Text, am Textrand oder quer über den Text durch den Erblasser „annulliert“, „ungültig“, „widerrufen“, „verbrennen“ vermerkt worden, reicht dieses aus, damit das Testament seine Wirksamkeit verliert. 410

Wird nur der Umschlag mit einem Ungültigkeitsvermerk versehen, so liegt ein wirksamer Widerruf vor, wenn der Vermerk den Formerfordernissen des Testaments entspricht4. Ist der Vermerk auf dem Umschlag „jetzt vollständig ungültig“ nicht gesondert unterschrieben, so muss durch Auslegung geklärt werden, ob Testament und Umschlag als einheitliche Urkunde angesehen werden können: Ein wirksamer Widerruf liegt dann vor, wenn die Aufschrift auf dem Umschlag derart mit dem Testament in einem innerem Zusammenhang steht, dass der Vermerk nach dem Willen des Erblassers als Fortsetzung der Testamentsurkunde betrachtet werden kann5.

411

Der Erblasser muss mit Aufhebungsabsicht handeln. Es besteht gem. § 2255 S. 2 BGB die widerlegbare Vermutung für eine solche Absicht, wenn der Erblasser die Urkunde vernichtet oder verändert hat. Die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB knüpft nur an die Widerrufshandlung an. Es besteht jedoch keine Vermutung dahin gehend, dass bei Unauffindbarkeit des Testaments der Erblasser das Testament vernichtet hat6 oder dass die Vernichtung oder Veränderung vom Erblasser selbst vorgenommen wurde7.

412

Die Beweislast und im Erbscheinsverfahren die Feststellungslast für die Vernichtung oder Veränderung des Testaments obliegt demjenigen, der sich auf den Widerruf beruft8. Die Beweisanforderungen an die Vernichtung oder Veränderung durch den Erblasser sind hier nicht sehr hoch, wenn die Schrift sich im Gewahrsam des Erblassers befunden hat und Einwirkungen Dritter nicht ernstlich in Betracht kommen9.

413

Steht fest, dass das Testament durch den Erblasser oder in dessen Auftrag durch einen Gehilfen vernichtet wurde, greift die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB, die durch den Gegenbeweis des testamentarisch Bedachten entkräftet werden kann, der Erblasser habe keine Widerrufsabsicht gehabt. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083 (1084). Palandt/Weidlich, § 2255 Rz. 6. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 3. MüKo.BGB/Hagena, § 2255 Rz. 7. MüKo.BGB/Hagena, § 2255 Rz. 7; BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/73, NJW 1974, 1083 (1084). BayObLG v. 23.12.1985 – BReg. 1Z 97/85, FamRZ 1986, 1043. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 7. Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 7; Nieder, Rz. 1035. OLG Hamm v. 8.7.1974 – 15 Wx 42/74, NJW 1974, 1827.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 419

Beratungshinweis: Kann der testamentarisch Bedachte den Nachweis erbringen, der Erblasser habe in der irrigen Annahme der Formgültigkeit eines neueren Testaments die alte Verfügung von Todes wegen vernichtet, behält das alte Testament seine Wirksamkeit1. Ist das Testament nicht mehr auffindbar, zufällig vernichtet oder beiseite geschafft worden, wird die Wirksamkeit des Testaments nicht berührt, solange der Inhalt rekonstruierbar ist2, denn allein eine formlose Billigung des Verlusts stellt ohne Widerrufshandlung keinen Widerruf dar3.

414

Beweispflichtig für die formwirksame Errichtung und den zu rekonstruierenden Inhalt der Verfügung ist derjenige, der aus dem Testament Rechte für sich ableitet4.

415

cc) Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung Gem. § 2256 Abs. 1 S. 1 BGB gilt ein vor einem Notar oder nach § 2249 BGB errichtetes Testament als widerrufen, wenn die in amtliche Verwahrung genommene Urkunde dem Erblasser zurückgegeben wird.

416

Die Widerrufswirkung tritt kraft Gesetzes ein, so dass es unerheblich ist, ob der Erblasser die Wirkung kannte oder Widerrufsabsicht hatte (Widerrufsfiktion)5. Der Widerruf nach § 2256 BGB wirkt endgültig. Die Wirkung des Widerrufs kann daher nicht dadurch beseitigt werden, dass das zurückgegebene öffentliche Testament erneut in die besondere amtliche Verwahrung gegeben oder durch Testament widerrufen wird6.

417

Beratungshinweis: Nach erfolgtem Widerruf ist eine neue, formwirksame Verfügung von Todes wegen zu errichten. Wegen der kraft Gesetzes eintretenden Widerrufswirkung „soll“ gem. § 2256 Abs. 1 S. 2 BGB der Erblasser bei der Rückgabe über die Folgen der Rückgabe belehrt werden. Die Belehrung soll auf der Urkunde vermerkt und sodann aktenkundig gemacht werden, dass die Rückgabe und die Belehrung geschehen sind. Die Belehrung ist dabei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Widerruf, jedoch kann bei unterbliebener Belehrung ein Schadenersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung gegeben sein.

418

Der Erblasser kann die Rückgabe jederzeit verlangen, § 2256 Abs. 2 S. 1 BGB. Ohne das Rückgabeverlangen tritt die Widerrufswirkung nicht ein. Wird das Testament zur Einsicht oder versehentlich zugesendet, liegt keine Rücknahme vor7.

419

1 2 3 4

Soergel/Mayer, § 2255 Rz. 14. BayObLG v. 23.12.1985 – BReg. 1Z 97/85, FamRZ 1986, 1043 (1044). Erman/Kappler/Kappler, § 2255 Rz. 8. BayObLG v. 23.12.1985 – BReg. 1Z 97/85, FamRZ 1986, 1043 (1044); MüKo.BGB/ Hagena, § 2255 Rz. 15. 5 Nieder, Rz. 1036. 6 Palandt/Weidlich, § 2256 Rz. 1. 7 MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 5 und 7. Esser

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B II

Rz. 420

Formen letztwilliger Verfügung

420

Das Testament darf nur an den Erblasser persönlich zurückgegeben werden, § 2256 Abs. 2 S. 2 BGB, bei einem gemeinschaftlichen Testament kann die Rückgabe gem. §§ 2256, 2272 BGB nur an beide Ehegatten erfolgen. Die persönliche Rückgabe ist Wirksamkeitsvoraussetzung für den Widerruf.

421

Gem. § 2248 BGB kann auch ein eigenhändiges Testament in die besondere amtliche Verwahrung gegeben werden. Die Rückgabe des eigenhändigen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung ist jedoch gem. § 2256 Abs. 3 BGB kein Widerruf. Seit dem 1.1.2012 wird eine erfolgte Rücknahme von erbfolgerelevanten Urkunden aus der amtlichen Verwahrung im ZTR gebührenfrei erfasst, unabhängig von einer Widerrufswirkung der Rückgabe. Dies gilt selbst dann, wenn zu der betroffenen Urkunde noch keine Registrierungen vorhanden sind. dd) Widerruf durch ein neues, widersprechendes Testament, § 2258 BGB

422

Nach § 2258 Abs. 1 BGB wird durch die Errichtung eines neuen, formgültigen Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht. Einer entsprechenden Willenserklärung des Erblassers bedarf es hierfür nicht. Ein Widerspruch zum früheren Testament besteht dann, wenn die Verfügungen sich gegenseitig wegen objektiv-sachlicher Unvereinbarkeit ausschließen1. Dies ist unter Umständen durch Auslegung zu ermitteln, wobei nicht der Wortlaut, sondern der Sinn der Verfügung maßgeblich ist und auch Umstände außerhalb des Testaments herangezogen werden können, um den Willen des Erblassers herauszufinden2. Soweit die Testamente inhaltlich identisch sind, beruht die Erbfolge dann regelmäßig auf beiden Testamenten3.

423

Die Auslegung kann aber auch ergeben, dass der Erblasser die alte Verfügung insgesamt widerrufen wollte. Das ist dann anzunehmen, wenn der Erblasser mit der späteren Verfügung von Todes wegen eine abschließende oder zumindest hinsichtlich eines Teils abschließende Regelung treffen wollte4. In diesem Falle liegt dann aber ein Widerruf nach § 2254 BGB vor (vgl. dazu Rz. 393 ff.).

424

Dagegen ist es für den Widerruf nach § 2258 BGB ohne Belang, ob der Erblasser beim Verfassen des neuen Testaments an die alte Verfügung gedacht hat, da keine Widerrufsabsicht (wie bei § 2254 BGB) erforderlich ist5.

425

Der Umfang der Aufhebung des Testaments gilt nur „insoweit“, als das frühere Testament mit dem späteren in Widerspruch steht. Liegt kein Widerspruch, sondern nur eine Ergänzung vor, gelten beide Verfügungen nebeneinander6. 1 BGH v. 7.11.1984 – IVa ZR 77/83, MDR 1985, 471 = FamRZ 1985, 175 = NJW 1985, 969 (969 f.). 2 MüKo.BGB/Hagena, § 2258 Rz. 4. 3 BayObLG v. 15.11.1988 – BReg.1a Z 55/88, FamRZ 1989, 441 (442). 4 BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 188/80, MDR 1982, 38 = FamRZ 1981, 1173 = NJW 1981, 2745 (2746); BayObLG v. 13.6.1990 – BReg.1a Z 54/88, FamRZ 1990, 1281 (1283); BayObLG v. 21.5.1996 – 1Z BR 49/96, FamRZ 1997, 247 (248). 5 BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 188/80, MDR 1982, 38 = FamRZ 1981, 1173 = NJW 1981, 2745. 6 Erman/M. Schmidt, 13. Aufl., § 2258 Rz. 2. 192

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 431

Aufhebende Wirkung kommt nur solchen Testamenten zu, die gültig, also formwirksam errichtet worden sind1, ansonsten liegt kein wirksamer Widerruf nach § 2258 Abs. 1 BGB vor. Dabei kann die Errichtung des neuen Testaments in den Formen der §§ 2254 bis 2256 BGB geschehen.

426

Liegen mehrere Testamente vor, ist zunächst festzustellen, welches Testament zuletzt errichtet wurde. Ist dies nicht möglich, sind die sich widersprechenden Verfügungen unwirksam. Ebenso verhält es sich, wenn widersprüchliche Testamente gleichen Alters vorliegen2. Insoweit gilt dann die gesetzliche Erbfolge.

427

Nach § 2258 Abs. 2 BGB wird im Falle des Widerrufs eines später errichteten Testaments im Zweifel das frühere Testament in gleicher Weise wieder wirksam, als ob es nicht aufgehoben worden wäre3. Diese widerlegbare Auslegungsregel gilt nicht, wenn das frühere Testament nach §§ 2255, 2256 BGB widerrufen wurde, und ist auch dann nicht anwendbar, wenn ein entsprechender mutmaßlicher Wille des Erblassers im Zeitpunkt des Widerrufs nicht feststellbar ist4. § 2258 Abs. 2 BGB findet auch dann keine Anwendung, wenn das jüngere Testament aus anderen Gründen als einer Aufhebung wirkungslos ist5.

428

ee) Widerruf gemeinschaftlicher Testamente (1) Widerruf einseitiger Verfügungen Jeder Ehegatte kann einseitige, d.h. nicht wechselbezügliche Verfügungen i.S.v. § 2270 BGB jederzeit auch nach dem Tod des anderen Ehegatten wie ein einseitiges Testament allein und frei widerrufen. Dies kann entweder durch ein Widerrufstestament (§ 2254 BGB), ein widersprechendes Testament (§ 2258 BGB) oder gem. § 2255 BGB durch Vernichtung oder Veränderung der Urkunde geschehen6.

429

Ein Ehegatte kann jedoch nicht durch Rücknahme des gemeinschaftlichen öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung i.S.v. § 2256 BGB seine einseitigen testamentarischen Anordnungen widerrufen. Hierfür bedarf es gem. § 2272 BGB der Zustimmung des anderen Ehegatten7.

430

(2) Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen Durch neue einseitige Verfügungen von Todes wegen können zu Lebzeiten beider Ehegatten wirksam errichtete wechselbezügliche Verfügungen nicht aufgehoben werden, wohl aber durch den einseitigen Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB, der gem. § 2296 Abs. 2 BGB notariell beurkundet werden muss.

1 2 3 4 5 6 7

Nieder, Rz. 1037; Soergel/Mayer, § 2258 BGB Rz. 4. Erman/Kappler/Kappler, § 2258 Rz. 3; MüKo.BGB/Hagena, § 2258 Rz. 8. OLG Hamm v. 10.6.1983 – 15 W 16/82, Rpfleger 1983, 401. Erman/Kappler/Kappler, § 2258 Rz. 4; MüKo.BGB/Hagena, § 2258 Rz. 9. Nieder, Rz. 1037. Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 3, 4. Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 6. Esser

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193

431

B II

Rz. 432

Formen letztwilliger Verfügung

432

Wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament können zu Lebzeiten beider Ehegatten auch durch Errichtung eines neuen gemeinschaftlichen Testaments nur durch ausdrückliche Erklärung in einer letztwilligen Verfügung (§ 2254 BGB) oder durch widersprechende Verfügungen in einem neuen Testament (§ 2258 Abs. 1 BGB) widerrufen werden. Zudem können wechselbezügliche Verfügungen durch Erbvertrag und, bei einem öffentlichen Testament, durch gemeinsame Rücknahme aus der besonderen öffentlichen Verwahrung widerrufen werden1.

433

Das Widerrufsrecht erlischt gem. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB mit dem Tod des anderen Ehegatten. Der Überlebende kann seine Verfügung dann nur noch aufheben, indem er das ihm Zugewendete ausschlägt. Nach § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB ist auch nach Annahme der Zuwendung eine Aufhebung in den Fällen der §§ 2294, 2336 BGB möglich.

434

Der einseitige Widerruf nach § 2271 Abs. 1 BGB ist anfechtbar gem. § 2078 Abs. 1 BGB2. Seine Wirkung kann aber nicht gem. § 2257 BGB durch den Widerruf des Widerrufs beseitigt werden3.

435

Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen durch beide Ehegatten gemeinsam kann in allen Widerrufsformen geschehen4: – durch gemeinschaftliches, widerrufendes Testament (§ 2254 BGB), – durch einverständliches Vernichten, Verändern oder sonstige schlüssige Widerrufshandlung (§ 2255 BGB), – durch gemeinschaftliche Rücknahme des gemeinschaftlichen öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2256 Abs. 1 BGB) und – durch widersprechendes späteres Testament (§ 2258 Abs. 1 BGB). c) Aufhebung und Rücktritt vom Erbvertrag

436

Ebenso wie einseitige Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten können einseitige Verfügungen in Erbverträgen jederzeit vom Testierer frei und ohne Kenntnis durch den Vertragspartner gem. §§ 2254, 2255, 2258 BGB widerrufen werden (s. im Übrigen Rz. 655 ff.). d) Wirkung des Widerrufs

437

Durch den Widerruf werden die in der widerrufenen Verfügung von Todes wegen getroffenen Regelungen unmittelbar beseitigt und erlangen keine Wirksamkeit mehr.

1 2 3 4

MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 3; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2271 Rz. 7. Nieder, Rz. 1043; Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 4. Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 26. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 2.

194

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 445

e) Beseitigung des Widerrufs Die Beseitigung des Widerruf kann bei einem Widerruf nach § 2254 BGB, und nur dort, durch erneuten Widerruf (§ 2257 BGB) erfolgen. Dagegen ist die Anfechtung des Widerrufs gem. §§ 2078 ff. BGB bei allen Widerrufsarten möglich.

438

aa) Der Widerruf des Widerrufs, § 2257 BGB Ein durch Testament gem. § 2254 BGB erfolgter Widerruf kann nach § 2257 BGB ebenfalls widerrufen werden. Die gesetzliche Auslegungsregel des § 2257 BGB sieht vor, dass dadurch die ursprüngliche Verfügung wieder wirksam wird1. Das frühere Testament wird nur dann nicht wieder wirksam, wenn der Wille des Erblassers im Zeitpunkt des Widerrufs positiv feststellen lässt, die Wirksamkeit des früheren Testaments nicht wieder herzustellen2. Die Wirkung des testamentarischen Widerrufs wird durch den zweiten Widerruf rückwirkend beseitigt.

439

Diese widerlegbare Vermutung gilt nicht, wenn ein gegenteiliger Wille des Erblassers feststellbar ist. Das frühere Testament bleibt dann widerrufen und es tritt die gesetzliche Erbfolge ein, wenn nicht in dem zweiten Widerruf eine neue Verfügung von Todes wegen getroffen wurde3.

440

Auf die §§ 2255, 2256 BGB ist die Vorschrift nicht anwendbar, da hier der Widerruf endgültig wirkt4. Der Erblasser kann die widerrufenen letztwilligen Verfügungen nur durch eine formgerechte Neuerrichtung wieder aufleben lassen5.

441

bb) Die Anfechtung des Widerrufs, §§ 2078 ff. BGB Jede Art von Widerruf, also nicht nur der durch Testament gem. § 2254 BGB oder § 2258 BGB erfolgte, kann nach §§ 2078 ff. BGB durch die Anfechtungsberechtigten (also nicht durch den Erblasser!) angefochten werden6.

442

Anfechtungsberechtigt ist gem. § 2078 Abs. 1 BGB derjenige, welchem die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zustatten kommt.

443

Voraussetzung für die Anfechtung ist ein beachtlicher Irrtum i.S.d. § 2078 Abs. 1 BGB. Dieser ist gegeben, wenn der testierfähige Erblasser eine Erklärung dieses Inhalts, also einen Widerruf, überhaupt nicht abgeben wollte.

444

Keine Anfechtung nach § 2078 Abs. 1 BGB ist notwendig, wenn der Widerruf durch schlüssige Handlung gem. § 2255 BGB erfolgte. Das durch den Irrtum bedingte Fehlen der Widerrufsabsicht lässt bereits den Widerrufstatbestand nach § 2255 BGB entfallen7.

445

1 2 3 4

Nieder, Rz. 1040. OLG Köln v. 8.2.2006 – 2 Wx 49/05, FamRZ 2006, 731 = NJOZ 2006, 2152. Palandt/Weidlich, § 2257 BGB Rz. 1. BayObLG v. 5.6.1992 – 1Z BR 21/92, MDR 1992, 1156 = FamRZ 1992, 1353 = NJW-RR 1992, 1225. 5 BayObLG v. 6.7.1990 – BReg.1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404; Erman/Kappler/Kappler, § 2257 BGB Rz. 1. 6 BayObLG v. 22.12.1960 – BReg. 1Z 8/60, MDR 1961, 505; MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 10; Palandt/Weidlich, § 2256 Rz. 2; Kipp/Coing, § 31 II 3. 7 Lange/Kuchinke, § 23 III 2b. Esser

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B II

Rz. 446

Formen letztwilliger Verfügung

446

Erfolgt der Widerruf hingegen durch Rücknahme aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB), ist die Rücknahme als Rechtsgeschäft unter Lebenden und mit Blick auf die damit verbundene Widerrufswirkung nach §§ 2078 Abs. 2, 2080 BGB anfechtbar, wenn geltend gemacht wird, dass dem Erblasser die Bedeutung der Rücknahme als Widerruf nicht bekannt war1. Die h.M. geht hier von einem Inhaltsirrtum aus2.

447

Im Fall eines Widerrufs nach § 2256 BGB ist zu beachten, dass der fehlende Aufhebungswille des Erblassers keinen Anfechtungsgrund hinsichtlich des Widerrufs darstellt, sondern einen Irrtum über die Wirksamkeit des später errichteten Testaments beinhaltet3.

448

Wird ein Testament in der irrigen Annahme aus der besonderen amtlichen Verwahrung genommen, ein neueres Testament sei wirksam errichtet, kann eine Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB in Betracht kommen, wenn das zurückgenommene Testament mit dem unwirksamen neuen Testament fast inhaltsgleich ist, da in diesem Fall noch der wahre Wille des Erblassers verwirklicht wird4. Auch wenn der Erblasser irrig davon ausging, er könne die Folgen des Widerrufs nach § 2256 BGB durch erneuten Widerruf wieder beseitigen, kann wegen Motivirrtums nach § 2078 Abs. 2 BGB angefochten werden5.

449

Eine Anfechtung des Widerrufs wegen Motivirrtums oder widerrechtlicher Drohung gem. § 2078 Abs. 2 BGB ist ebenfalls bei jeder Art von Widerruf denkbar. Dabei muss der Motivirrtum im Zeitpunkt des Widerrufs bestanden haben.

450

Die Anfechtungserklärung muss form- und fristgerecht erfolgen: Die Anfechtungsfrist beträgt gem. § 2082 BGB ein Jahr vom Zeitpunkt der Kenntnis des Anfechtungsgrundes an. Die Erklärung muss, soweit sie die Erbeinsetzung betrifft, gegenüber dem Nachlassgericht abgegeben werden, § 2081 BGB. Die Anfechtung bei Vermächtnissen ist entsprechend § 143 BGB gegenüber dem Vermächtnisnehmer bzw. gegenüber den durch das Vermächtnis Beschwerten zu erklären6. Die begründete, form- und fristgerecht erklärte Anfechtung durch den hierzu Berechtigten führt zur Nichtigkeit des Widerrufs von Anfang an (§ 142 BGB). 3. Anfechtung der Verfügung von Todes wegen

451

Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen ist in den §§ 2078 bis 2083 BGB geregelt. Diese Regelungen knüpfen an die allgemeinen Vorschriften über die Anfechtung einer Willenserklärung (§§ 119 ff. BGB) an.

452

Während der Widerruf einer letztwilligen Verfügung jederzeit durch den Erblasser erfolgen kann, geben die Anfechtungsregeln der §§ 2078 ff. BGB Dritten, denen 1 BayObLG v. 6.7.1990 – BReg.1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404 = NJW-RR 1990, 1481. 2 BayObLG v. 6.7.1990 – BReg.1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404 (1405); MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2256 BGB Rz. 2. 3 MüKo.BGB/Hagena, § 2256 Rz. 11. 4 Soergel/Mayer, § 2256 Rz. 11. 5 BayObLG v. 6.7.1990 – BReg.1a Z 30/90, FamRZ 1990, 1404 = NJW-RR 1990, 1481. 6 BayObLG v. 22.12.1960 – BReg.1 Z 8/60, BayObLGZ 1960, 490 (495); MüKo.BGB/Leipold, § 2081 Rz. 12. 196

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 458

die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zugute kommt (§ 2080 Abs. 1 BGB), die Möglichkeit, Verfügungen von Todes wegen zu beseitigen. Im Gegensatz zu den §§ 119 ff. BGB stellen die §§ 2078 ff. BGB jedoch nicht auf das Schutzbedürfnis eines Erklärungsempfängers ab, da es bei einer letztwilligen Verfügung weder einen Erklärungsempfänger noch andere schutzbedürftige Personen gibt. Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen ist daher in weiterem Umfang als bei anderen Rechtsgeschäften zugelassen1. Deshalb enthalten die §§ 2078 ff. BGB auch keinen Anspruch auf Ersatz eines Vertrauensschadens (§ 2078 Abs. 3 BGB).

453

Etwas anderes gilt nur für Erbverträge, deren Anfechtung das Gesetz in den §§ 2281 ff. BGB gesondert regelt, sowie für wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten, auf die die §§ 2281 ff. BGB entsprechend anwendbar sind (s. Rz. 625 ff.).

454

Des Weiteren berechtigt, abweichend von § 119 Abs. 2 BGB, bereits ein bloßer Motivirrtum des Erblassers zur Anfechtung der letztwilligen Verfügung2. Die Anfechtung nach §§ 2078 ff. BGB setzt nicht voraus, dass sich in der Verfügung selbst ein Anhaltspunkt für den Willensmangel findet3.

455

a) Abgrenzung zwischen Anfechtung und Widerruf Der Widerruf steht, im Gegensatz zur Anfechtung, nur dem Erblasser zu und kann deshalb nur bis zu seinem Tod ausgeübt werden. Der Erblasser kann, im Gegensatz zur Anfechtung durch Dritte, seine letztwillige Verfügung völlig grundlos widerrufen (§ 2253 BGB).

456

Da die Auslegung (auch die ergänzende) den wahren Willen des Erblassers zur Geltung bringt und dazu führt, dass die Erbfolge eintritt, die der Erblasser wollte oder bei richtiger Bewertung der Umstände gewollt hätte, geht sie der Anfechtung vor, da diese die Verfügung von Todes wegen vernichtet und somit zur vom Erblasser häufig ungewollten gesetzlichen Erbfolge führt4.

457

Voraussetzung für eine Anfechtung ist, dass der wahre Inhalt der Verfügung zuvor klargestellt, also gegebenenfalls gem. §§ 133, 2084 BGB der reale oder hypothetische Wille des Erblassers ermittelt wurde5. Für das Verhältnis der ergänzenden Testamentsauslegung zur Anfechtung wegen Motivirrtums bedeutet dies, dass, ganz i.S.d. § 2084 BGB, nach einem dem irrtumsfreien, wirklichen oder hypothetischen Willen des Erblassers entsprechenden Auslegungsergebnis zu suchen ist und, wenn ein solches gefunden werden kann, die Anfechtung ausgeschlossen ist6. Der Vormarsch der ergänzenden Auslegung hat damit zum Zurückweichen der Anfechtung geführt.

458

1 2 3 4 5

Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 4. OLG Köln v. 25.5.90 – 2 Wx 6/90, FamRZ 1990, 1038 (1040). BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246 (247). KG v. 15.6.1971 – 1 W 14/71, NJW 1971, 1992; BayObLG v. 27.6.1997 – 1Z BR 240/96, NJW-RR 1997, 1438; anders Schubert, JA 1980, 257 (258); die von Schubert erhobenen Einwände gegen diesen Vorrang überzeugen nicht (s. Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 7). 6 Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 6. Esser

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B II

Rz. 459

Formen letztwilliger Verfügung

b) Anfechtung einseitiger Verfügungen von Todes wegen, §§ 2078–2083 BGB 459

Dritte können einseitige Verfügungen von Todes wegen auch in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten nach Eintritt des Erbfalls anfechten, wenn ihnen die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zugute kommen würde (§ 2080 Abs. 1 BGB)1.

460

Bei der Irrtumsanfechtung ist derjenige anfechtungsberechtigt, auf den sich der Irrtum bezieht (§ 2080 Abs. 2 BGB), und bei Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) nur derjenige, der übergangen wurde (§ 2080 Abs. 3 BGB). c) Anfechtungsgründe

461

Das Erbrecht kennt nur die Anfechtung wegen widerrechtlicher Bestimmung des Erblassers zur Errichtung einer Verfügung durch Drohung (§ 2079 Abs. 2 BGB), die mit dem allgemeinen Anfechtungstatbestand des § 123 BGB übereinstimmt, und die Anfechtung wegen Irrtums des Erblassers (§§ 2078 Abs. 1, 2, 2079 BGB). Gegenüber § 119 BGB wurde die Anfechtung wegen Irrtums im Erbrecht so erweitert, dass auch falsche Vorstellungen über die künftige Entwicklung zur Anfechtung berechtigen. aa) Anfechtung wegen Irrtums über die Erklärungshandlung oder die Erklärungsbedeutung, § 2078 Abs. 1 BGB

462

§ 2078 Abs. 1 BGB berücksichtigt die gleichen Irrtumsfälle wie § 119 Abs. 1 BGB und ist an ähnliche Voraussetzungen wie die allgemeine Irrtumsanfechtung geknüpft. (1) Erklärungsirrtum, § 2078 Abs. 1, 2. Alt. BGB

463

Beim Irrtum über die Erklärungshandlung ist schon das äußere Erklärungsverhalten des Erblassers nicht von seinem Willen getragen. Der Erblasser wollte entweder eine Verfügung von Todes wegen überhaupt nicht oder jedenfalls nicht so wie geschehen errichten. Beispiel: Der Erblasser verschreibt sich bei der Errichtung seines eigenhändigen Testaments. Der bei einem gemeinschaftlichen Testament mitunterzeichnende Ehegatte irrt über den Wortlaut der unterzeichneten Erklärung.

(2) Inhaltsirrtum, § 2078 Abs. 1, 1. Alt. BGB 464

Beim Irrtum über die Erklärungsbedeutung (Inhaltsirrtum) muss sich der Erblasser über die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung getäuscht haben. Der Erblasser wollte zwar eine Erklärung in dieser Handlungsform abgeben, irrt aber über den rechtlichen Gehalt, mit dem die von ihm errichtete Verfügung Geltung erlangt2. 1 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, MDR 1985, 827 = NJW 1985, 2025 = FamRZ 1985, 806. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 BGB Rz. 18. 198

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 468

Der Inhaltsirrtum kann sowohl ein Tatsachen- als auch ein Rechtsirrtum sein. Ein Rechtsirrtum liegt allerdings nur dann vor, wenn er sich auf wesentliche Rechtsfolgen und damit auf die Rechtsnatur der anzufechtenden Willenserklärung bezieht1, nicht jedoch der Irrtum über die nicht erkannten und nicht gewollten mittelbaren Nebenwirkungen2. Ein Irrtum über solche Nebenwirkungen ist kein Inhaltsirrtum, sondern ein Motivirrtum3 und kann deshalb nur über § 2078 Abs. 2 BGB angefochten werden.

465

Irrtümer über die Folgen der Verfügung von Todes wegen, die kraft Gesetzes eintreten, ohne dass sie vom Willen des Erblassers umfasst sein müssen, sind unbeachtlich (naturalia negotii)4. Auch der Irrtum über die Identität einer Person (error in persona) und der Irrtum über die Identität (error in objecto) und die Bedeutung des Geschäftsgegenstands oder die Identität des Geschäftstyps (error in negotio) sind Erklärungsirrtümer i.S.d. § 2078 Abs. 1, 2. Alt. BGB.

466

Beispiele für einen Inhaltsirrtum i.S.v. § 2078 Abs. 1, 1. Alt. BGB sind Irrtümer über:

467

– die rechtliche Bedeutung der Vor- und Nacherbschaft, – die Bindungswirkung des Erbvertrags5, – den Personenkreis, der nach der gesetzlichen Erbfolge erben soll (z.B. wenn darüber geirrt wird, dass nichteheliche Kinder nicht zu den Erben gehören). Voraussetzung für die Anfechtung der Verfügung von Todes wegen ist gem. § 2078 Abs. 1 BGB neben der Abweichung des Erklärungstatbestandes oder der Erklärungsbedeutung vom subjektiven Willen des Erblassers, dass der testierfähige Erblasser bei Kenntnis der Sachlage die Erklärung nicht abgegeben hätte (Kausalitäts- oder Erheblichkeitsprüfung)6. Es genügt, wenn der Irrtum für die Abgabe der Erklärung wesentlich mitbestimmend war. Die Verkehrssitten sind unerheblich. Maßgebend ist allein die wirkliche Absicht des Erblassers entsprechend seiner subjektiven Denk- und Anschauungsweise7. Gesetz- und sittenwidrige Vorstellungen sind nicht zu berücksichtigen8. Der Irrtum muss so gewichtig sein, dass er der Verfügung ihre innere, auf dem Willen des Erblassers beruhende Rechtfertigung nimmt9.

1 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 BGB Rz. 19, 20; OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, MDR 1981, 1017 = FamRZ 1981, 1202 = OLGZ 1982, 41 (47). 2 Nieder, Rz. 779. 3 BayObLG v. 29.10.1987 – BReg.1 Z 2/87, MDR 1988, 320 = FamRZ 1988, 324 = BayObLGZ 1987, 356 = NJW 1988, 1270; BayObLG v. 16.3.1995 – 1Z BR 82/94, FamRZ 1996, 59 = NJW-RR 1995, 904 (906). 4 Schlüter, § 19 III 2b, Rz. 233. 5 BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430 = NJW-RR 1997, 1027. 6 Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 3; Nieder, Rz. 780. 7 BGH v. 29.11.1951 – IV ZR 71/51, BGHZ 4, 91 (95); KG v. 1.12.1975 – 12 V 117/75, FamRZ 1977, 271 (273). 8 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 21. 9 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 21. Esser

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468

B II

Rz. 469

Formen letztwilliger Verfügung

bb) Anfechtung wegen Drohung, § 2078 Abs. 2 BGB 469

Nach § 2278 Abs. 2 BGB ist eine Anfechtung zulässig, wenn der Erblasser zu seiner Verfügung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Die Rechtswidrigkeit der Drohung kann sich aus dem angewandten Mittel, dem mit ihr verfolgten Zweck oder aus dem Verhältnis zwischen Mittel und Zweck ergeben1. Beispiel: Die Drohung des Neffen gegenüber dem Erblasser, er werde ihn nicht mehr wie bisher pflegen, wenn er ihn nicht als Alleinerbe einsetzt, kann auch dann rechtswidrig sein, wenn der Drohende gar nicht zur Pflege verpflichtet ist, da sein Verhalten darauf abzielt, den Erblasser in eine konkrete Notsituation zu bringen2.

470

Dagegen ist die Beeinflussung des Erblassers durch fortgesetztes aufdringliches Bitten oder durch Widerspruch gegen die von ihm beabsichtigte Verfügung3 nicht ausreichend. Ob der Bedachte selbst oder ein Unbeteiligter die Drohung tätigt, spielt bei § 2078 Abs. 2 BGB, im Gegensatz zu § 123 Abs. 2 BGB, keine Rolle4. Geht die Drohung aber vom Begünstigten aus, ist er zugleich erbunwürdig gem. § 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB.

471

Führt jemand dem Erblasser gewaltsam die Hand, fehlt es bereits an einer zurechenbaren Willenserklärung, so dass es einer Anfechtung nicht bedarf.

472

Verursacht die arglistige Täuschung eines Dritten beim Erblasser einen Motivirrtum, so ist ein Anfechtungstatbestand nach § 2078 Abs. 2 BGB gegeben5. cc) Anfechtung wegen Irrtums im Beweggrund (Motivirrtum), § 2078 Abs. 2 BGB

473

Im Gegensatz zu § 119 Abs. 2 BGB ist nach § 2078 Abs. 2 BGB auch ein Motivirrtum beachtlich. Hierdurch soll der wahre Wille des Erblassers stärker berücksichtigt werden als sonst im rechtsgeschäftlichen Verkehr üblich6. Anfechtbar ist danach jede letztwillige Verfügung, zu welcher der Erblasser durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes bestimmt worden ist7. Dies gilt sowohl für die Anfechtung von Testamenten als auch für die Anfechtung von Erbverträgen und bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten. Beim Erbvertrag und beim bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testament ist die Anfechtbarkeit jedoch nur nachvollziehbar, wenn man sie als Ausdruck einer von vornherein eingeschränkten Bindungswirkung begreift8.

474

Nicht jede Fehlvorstellung des Erblassers von bestimmten Umständen reicht für eine Anfechtung aus. Vielmehr können nur besonders schwerwiegende Um1 2 3 4 5 6 7 8

Brox, Rz. 230. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 43. Nieder, Rz. 781. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 45. Lange/Kuchinke, § 26 III 5; MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 30. OLG Köln v. 25.5.1990 – 2 Wx 6/90, FamRZ 1990, 1038 (1039). Schlüter, § 19 III 2c, Rz. 234. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 22.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 479

stände ein Anfechtungsrecht begründen, die gerade diesen Erblasser unter Berücksichtigung seiner ihm eigenen Vorstellungen mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren1. Strittig ist, ob der Erblasser von den die Anfechtung begründenden Umständen eine positive Fehlvorstellung gehabt haben muss oder ob bloßes Nichtwissen genügt. Nach der h.M. muss der Erblasser von den vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Umständen, die eine Anfechtung begründen sollen, bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung eine positive irrtümliche Vorstellung gehabt haben2. Dabei ist zwischen Irrtum und Nichtwissen zu unterscheiden, da der hypothetische Wille des Erblassers bei der Anfechtung, im Gegensatz zur Auslegung, nicht zu berücksichtigen ist3.

475

Der BGH hat seine Rechtsprechung hinsichtlich der sog. unbewussten Vorstellungen4 dahin gehend konkretisiert, dass die eine Anfechtung begründenden Umstände in der Vorstellungswelt des Erblassers ohne nähere Überlegung so selbstverständlich sind, dass er sie zwar nicht konkret im Bewusstsein hat, aber doch jederzeit abrufen und in sein Bewusstsein holen kann5. Der vom Erblasser bei Errichtung seiner letztwilligen Verfügung erwartete und vorgestellte Umstand muss nicht in der Person des Erblassers selbst oder des Bedachten liegen. Es kann auch ein von den Beteiligten unabhängiger Grund sein, wie z.B. eine erhebliche Veränderung der wirtschaftlichen Situation6 oder eine erneute Heirat.

476

Die Umstände können objektiver oder subjektiver Art sein und in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft liegen7. Der Irrtum kann Personen, Gegenstände, politische und wirtschaftliche Verhältnisse sowie Rechtsverhältnisse betreffen.

477

Der Motivirrtum i.S.d. § 2078 Abs. 2 BGB umfasst auch den durch arglistige Täuschung herbeigeführten Irrtum. Auf eine gesetzliche Normierung eines dem § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB entsprechenden Anfechtungstatbestandes konnte daher verzichtet werden.

478

Beispiele für Irrtümer i.S.v. § 2078 Abs. 2 BGB sind:

479

– enttäuschte Erwartungen über das künftige Verhalten des Bedachten gegenüber dem Erblasser8, – die Annahme, zwischen Erblasser und Bedachtem bestehe ein bestimmtes Verwandschaftsverhältnis, 1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412. BGH v. 31.10.62 – V ZR 129/62, NJW 1963, 246 (247) = FamRZ 1963, 85. BGH v. 31.10.62 – V ZR 129/62, NJW 1963, 246 (247). BGH v. 27.5.1971 – III ZR 53/68, WM 1971, 1153 (1154); OLG Hamm v. 17.1.1994 – 15 W 96/93, FamRZ 1994, 849 = ZEV 1994, 109 (111). MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 26 ff.; Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 5 ff.; BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 28 f. BGH v. 21.3.1962 – V ZR 157/61, FamRZ 1962, 256; BGH v. 16.3.83 – IVa ZR 216/81, FamRZ 1983, 898 = WPM 1983, 567; BayObLG v. 22.4.1971 – 1Z 108/70, BayObLGZ 1971, 147 (149). BGH v. 29.11.1951 – IV ZR 71/51, BGHZ 4, 91; BGH v. 31.10.1962 – V ZR 129/62, NJW 1963, 246; BayObLG v.12.11.2001 – 1Z BR 134/00, ZEV 2002, 190. Esser

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201

B II

Rz. 480

Formen letztwilliger Verfügung

– die Annahme, der gemeinsame Nachlass der Eheleute werde auf die Abkömmlinge übergehen, was infolge der Wiederheirat des Überlebenden nicht eintritt, – die Dauer des Streits zwischen dem Erblasser und seinem Sohn1, – ein bereits gezeugtes Kind werde lebend zur Welt kommen. 480

Die Umstände, deren Eintritt oder Nichteintritt der Erblasser erwartet hatte, müssen nicht von seinem Willen abhängen, sie können aber, wie eine erneute Heirat oder die Geburt eines Kindes, auch durch ihn verursacht werden2. Nach der h.M. darf der Anfechtungsgrund jedoch nicht unter Verstoß des Grundsatzes von Treu und Glauben durch den Erblasser geschaffen werden3. dd) Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten, § 2079 BGB

481

Nach § 2079 BGB kann die Anfechtung auch darauf gestützt werden, dass der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten (§ 2303 BGB) übergangen hat. Dabei handelt es sich um einen gesetzlich besonders hervorgehobenen Fall des Motivirrtums.

482

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 2079 BGB ist, dass – der Pflichtteilsberechtigte bei Eintritt des Erbfalls gelebt hat oder zumindest bereits gezeugt war (§ 1923 BGB), – dem übergangenen Pflichtteilsberechtigten nichts aus dem Nachlass zugewandt worden ist und er auch nicht ausdrücklich enterbt wurde4, – der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten als Träger des Pflichtteils bei der Errichtung der Verfügung nicht kannte bzw. der Pflichtteilsberechtigte erst nach Errichtung der Verfügung geboren oder sonst pflichtteilsberechtigt geworden ist (z.B. durch Heirat, § 2303 Abs. 2 BGB)5.

483

Wird der Pflichtteilsberechtigte nach Errichtung des Testaments bekannt und ändert der Erblasser dennoch nicht das alte Testament ab, ist die Anfechtung i.d.R. ausgeschlossen, denn der Anfechtungsgegner kann nun beweisen, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Irrtum des Erblassers und dem Übergehen des Pflichtteilsberechtigten fehlt6. ee) Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten durch Kausalitäts- bzw. Erheblichkeitsprüfung

484

Voraussetzung der Anfechtung nach § 2078 Abs. 1 und Abs. 2 BGB ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Irrtum und der Verfügung (Erfordernis der Kausalität)7. Die Anfechtbarkeit nach Abs. 1 setzt voraus, dass der Erblasser 1 OLG Köln v. 25.5.1990 – 2 Wx 6/90, FamRZ 1990, 1038. 2 Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 15 f. 3 BGH v. 29.11.1951 – IV ZR 71/51, BGHZ 4, 91; BGH v. 4.7.1962 – V ZR 206/60, FamRZ 1962, 426 f.; Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 7; Soergel/Loritz, § 2078 Rz. 16. 4 BayObLG v. 21.12.1993 – 1Z BR 49/93, FamRZ 1994, 1066 (1067). 5 BayObLG v. 26.5.1983 – 1Z 82/82, FamRZ 1983, 952. 6 Erman/M. Schmidt, § 2078 BGB Rz. 13; Damrau, BB 1970, 467 (471). 7 BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246; Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 28; Soergel/Loritz, § 2078 Rz. 24; Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 9. 202

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B II

Rz. 489

die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben hätte. Durch die Verweisung in Abs. 2 auf Abs. 1 wird zudem vorausgesetzt, dass der Erblasser durch den Irrtum oder die Drohung zu der Verfügung bestimmt worden ist. Im Gegensatz zu § 119 Abs. 1 BGB kommt es hier aber nur auf den subjektiven Standpunkt des Erblassers an, nicht aber auf einen objektiven Maßstab1. Ob der Erblasser „bei verständiger Würdigung des Falles“ durch einen objektiven Dritten ebenso verfügt hätte, ist unerheblich, denn die letztwillige Verfügung rechtfertigt keinen Vertrauensschutz2.

485

Die irrige Vorstellung muss nicht der alleinige Grund für die Verfügung gewesen sein. Es reicht aus, wenn sie bestimmend oder jedenfalls nicht wegdenkbar für die Entschließung des Erblassers gewesen ist (Motivbündel)3.

486

Der BGH4 verlangt, dass der Umstand, der die Fehlvorstellung des Erblassers begründet hat, nicht nur eine Ursache, sondern der bewegende Grund für den geäußerten letzten Willen gewesen sein muss. Deshalb können nur die für den Erblasser besonders schwerwiegenden Umstände von erheblichem Gewicht, die gerade diesen Erblasser aufgrund seiner ihm eigenen Vorstellung mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu verfügen, die Anfechtung begründen (subjektive Erheblichkeit). Der Wille des Erblassers selbst soll im Mittelpunkt stehen, nicht die nachträgliche Spekulation über ihn.

487

Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Erblasser die Verfügung nach Kenntnis der Umstände willentlich bestehen lässt5. Der Ursachenzusammenhang zwischen dem Willensmangel und der Verfügung des Erblassers wird von der h.M. mithilfe der Äquivalenztheorie und des hypothetischen Erblasserwillens durch die Frage ermittelt, ob der individuelle Erblasser die Verfügung ohne die unzutreffende Vorstellung oder bei Kenntnis der Sachlage nicht getroffen hätte6.

488

Beratungshinweis: Der Erblasser sollte immer die wesentlichen Verfügungsmotive im Testament angeben, um so den Erben oder eventuellen dritten Personen nach dem Erbfall den Nachweis zu erleichtern, dass die niedergelegten Beweggründe auch tatsächlich für die Testamentserrichtung bestimmend gewesen sind7. Hierzu können zählen: Elternhaus soll in jedem Fall im Eigentum der Familie bleiben; bestimmte Firmenteile dürfen nicht voneinander getrennt werden; bestimmte Erben sollen bestimmte Erbteile unbedingt erhalten. ff) Verzicht auf das Anfechtungsrecht Da die Anfechtung ausgeschlossen ist, wenn feststeht, dass der Erblasser die Verfügung auch bei Kenntnis der Sachlage getroffen hätte (§§ 2078 Abs. 1, 2079 1 2 3 4 5 6 7

KG v. 1.12.1975 – 12 U 1117/75, FamRZ 1977, 271 (273). Schlüter, § 19 III 2d, Rz. 235. Lange/Kuchinke, § 35 IV 1, Rz. 78; RGRK/Johannsen, § 2078 Rz. 50. BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412 (1413). BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246 (248 f.). Nieder, Rz. 791 m.w.N. BGH v. 14.1.1965 – III ZR 131/63, NJW 1965, 584. Esser

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B II

Rz. 490

Formen letztwilliger Verfügung

S. 2 BGB), soll der Erblasser bereits im Erbvertrag oder im gemeinschaftlichen Testament auf sein künftiges Anfechtungsrecht ganz oder teilweise verzichten können1. Durch den Vorausverzicht schließt der Erblasser die Anfechtung der Verfügung wegen solcher Tatsachen aus, mit denen er bei Ausspruch des Verzichts rechnen konnte2. Dieser Vorausverzicht wirkt auch gegenüber anfechtungsberechtigten Dritten. 490

Voraussetzung ist nach h.M. aber, dass sich dieser Vorausverzicht nur auf einen konkret möglich erscheinenden Anfechtungsgrund (z.B. Pflichtteilsübergehung) bezieht und nicht generell auf jeden möglichen Anfechtungsgrund. Das Anfechtungsrecht kann daher nicht für solche Umstände ausgeschlossen werden, die für den Testierenden bei Abschluss des Erbvertrags oder Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments nicht vorhersehbar gewesen sind, sondern nur hinsichtlich der Tatsachen, mit denen er vernünftigerweise rechnen musste3.

491

Da die Aufhebungswirkung bei der Wechselbezüglichkeit beschränkt werden kann, ist auch ihr ausdrücklicher Ausschluss nur für den Fall der Selbstanfechtung durch den Erblasser nach § 2281 Abs. 1 BGB möglich4. Mit Einschränkungen ist die Annahme eines Anfechtungsverzichts auch durch Auslegung zu ermitteln5. Ein nachträglicher formloser Verzicht ist unwirksam6

492

Da im Erbvertrag oder im gemeinschaftlichen Testament ein Verzicht auf ein künftiges Anfechtungsrecht nach §§ 2078, 2079 BGB regelmäßig kein gesondertes Rechtsgeschäft unter Lebenden ist, sondern Inhalt der Verfügung von Todes wegen, kann er auch vertragsmäßig gem. § 2278 Abs. 2 BGB, bzw. wechselbezüglich gem. § 2270 Abs. 3 BGB, vereinbart werden7. Generell muss der beurkundende Notar die Beteiligten nicht über die Anfechtbarkeit der Verfügungen von Todes wegen belehren8. Wegen der Tragweite dieses Anfechtungsrechts für bindende Verfügungen von Todes wegen ist jedoch zu empfehlen, die Beteiligten vor allem auf die Möglichkeit des Anfechtungsverzichts hinzuweisen9. gg) Bestätigung eines anfechtbaren Testaments

493

Das Erbrecht selbst enthält keine Vorschriften über die Bestätigung eines anfechtbaren Testaments. In entsprechender Anwendung des § 144 BGB erlischt das Anfechtungsrecht durch formlose einseitige Bestätigung des Anfechtungs1 BGH v. 10.1.1983 – VIII ZR 231/81, MDR 1983, 661 = NJW 1983, 2247 (2249); MüKo. BGB/Musielak, § 2281 Rz. 16 und § 2271 Rz. 37; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 29, § 2281 Rz. 7. 2 Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 20, § 2271 Rz. 73; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2281 Rz. 24; Palandt/Weidlich, § 2281 Rz. 2. 3 Soergel/Wolf, § 2281 Rz. 7; Staudinger/Otte, § 2079 Rz. 11; MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 17. 4 BGH v. 3.7.1964 – V ZR 57/62, NJW 1964, 2056. 5 Staudinger/Otte, § 2079 Rz. 11. 6 Bengel, DNotZ 1984, 132 (138 f.). 7 Bengel, DNotZ 1984, 132 (139 f.). 8 Nieder, Rz. 792; Reithmann/Albrecht, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, Rz. 1105 ff. 9 Reithmann/Albrecht, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, Rz. 1105 ff. 204

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Rz. 500

berechtigten, obwohl er nicht der Erklärende ist1. Der einseitige Verzicht auf die Gestaltungs- und Einrederechte ist ebenso wenig wie ihre Geltendmachung von der Zustimmung des Anfechtungsgegners abhängig, weil dessen schutzwürdige Interessen nicht berührt werden2. Der Erblasser ist selbst nicht zur Anfechtung berechtigt und hat daher auch kein Recht zur Bestätigung einer anfechtbaren letztwilligen Verfügung, so dass § 144 BGB für ihn nicht anwendbar ist3. Er kann den Anfechtungsgrund nur durch eine erneute, formwirksam errichtete, letztwillige Verfügung beseitigen, in der er den Willen äußert, die anfechtbare Verfügung aufrechtzuerhalten4. Eine inhaltliche Wiederholung ist nicht notwendig. Die Bestätigung der Verfügung durch den Erblasser kann im Einzelfall Indiz dafür sein kann, dass er ohne den Willensmangel bei der Errichtung ebenso verfügt hätte5. Das bloße Unterlassen des Widerrufs reicht jedoch nicht aus. Die ursprünglich gewählte Testamentsform muss nicht eingehalten werden, § 144 Abs. 2 BGB6.

494

Das Anfechtungsrecht aller gem. §§ 2080, 2285 BGB Anfechtungsberechtigten erlischt nach dem Tod des Erblassers in entsprechender Anwendung des § 144 BGB bei allen Verfügungen von Todes wegen durch formlose, einseitige und weder annahme- noch empfangsbedürftige Bestätigung, ohne dass es eines vertraglichen Verzichts bedarf7.

495

Das Anfechtungsrecht kann durch folgende Rechtshandlungen des Anfechtungsberechtigten erlöschen:

496

– den Vorausverzicht, – die Bestätigung der anfechtbaren letztwilligen Verfügung oder – durch vertraglichen Verzicht. d) Anfechtungsberechtigung Der Kreis der anfechtungsberechtigten Personen ergibt sich aus § 2080 BGB.

497

Obwohl Erklärender, ist der Erblasser grundsätzlich nicht anfechtungsberechtigt, da er sein Testament jederzeit widerrufen und so Unklarheiten über die Wirksamkeit seiner Verfügung ausschließen kann. Nur beim Erbvertrag und bei einem gemeinschaftlichen Testament steht dem Erblasser nach § 2281 BGB, bzw. § 2281 BGB entsprechend, ein Selbstanfechtungsrecht zu (s. hierzu Rz. 625 ff.).

498

Nach § 2080 Abs. 1 BGB ist nach dem Erbfall jeder, dem die Vernichtung der Verfügung unmittelbar zugute kommt, anfechtungsberechtigt.

499

Bei einseitigen Verfügungen von Todes wegen sind Dritte nach dem Erbfall anfechtungsberechtigt, wenn ihnen die Aufhebung der Verfügung unmittelbar zu-

500

1 v. Lübtow, Bd. 1, S. 337; Brox, Rz. 237. 2 Schlüter, § 19 VI, Rz. 246. 3 OLG Hamm v. 8.12.1993 – 15 W 294/93, FamRZ 1994, 1062 (1065) m.w.N.; Soergel/ Loritz, § 2080 Rz. 1; Kipp/Coing, § 24 VII. 4 Kipp/Coing, § 24 VII 1; Bengel, DNotZ 1984, 132 (134). 5 BayObLG v. 7.1.1975 – 1 ZS BReg 1Z 100/74, Rpfleger 1975, 242. 6 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 51. 7 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 52; Nieder, Rz. 793. Esser

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Rz. 501

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gute kommen würde (§ 2080 Abs. 1 BGB). So können auch Ersatzerben (§ 2096 BGB) oder gesetzliche Erben eine Erbeinsetzung, der Vorerbe die Einsetzung eines Nacherben (und umgekehrt), der Beschwerte die Anordnung eines Vermächtnisses oder einer Auflage und der durch ein früheres Testament eingesetzte Erbe die Einsetzung eines anderen Erben in einem späteren Testament anfechten. Unter mehreren Anfechtungsberechtigten kann jeder mit Wirkung für alle anfechten1. 501

Bei der Irrtumsanfechtung kann nur derjenige die Verfügung anfechten, auf den sich der Irrtum bezieht (§ 2080 Abs. 2 BGB). Bei der Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) ist nur dieser zur Anfechtung berechtigt (§ 2080 Abs. 3 BGB).

502

Das einmal entstandene Anfechtungsrecht ist vererblich, jedoch nicht übertragbar oder pfändbar2. Seine Ausübung kann aber demjenigen überlassen werden, der ein eigenes Interesse an der Anfechtung hat.

503

Testamentsvollstrecker und Nachlasspfleger können nur die Anordnungen des Erblassers anfechten, die ihre Befugnisse einschränken. e) Die Form der Anfechtung durch Dritte

504

Die Anfechtungserklärung durch Dritte kann schriftlich oder zu Protokoll gegenüber dem Nachlassgericht (§ 2081 BGB) abgegeben werden3. Sie ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und wird erst mit Zugang beim örtlich und sachlich zuständigen Nachlassgericht wirksam (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Sie muss nach h.M. weder das Wort „Anfechtung“ enthalten noch müssen gesetzliche Bestimmungen genannt werden4. Es muss jedoch der eindeutige Willen zu erkennen sein, dass die Verfügung so vernichtet werden soll, als habe sie nie bestanden5. Die Anfechtungserklärung muss daher die betroffene Verfügung erkennen lassen und zum Ausdruck bringen, dass ein Mangel des Erblasserwillens geltend gemacht wird6. Nicht ausreichend ist daher das Bestreiten der Testierfähigkeit7.

505

Die Anfechtung muss nach h.M. nicht begründet werden8. Eine Gegenmeinung verlangt, zum Schutz der Interessen des Betroffenen (Anfechtungsgegners), wenigstens eine ungefähre Angabe des Lebenssachverhaltes, welcher der Anfechtung zugrunde liegt9. 1 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, MDR 1985, 827 = FamRZ 1985, 806 = NJW 1985, 2025 (2026). 2 Palandt/Weidlich, § 2080 Rz. 4. 3 Palandt/Weidlich, § 2081 Rz. 2. 4 BayObLG v. 3.8.1989 – BReg.1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346 = BayObLGZ 1989, 327 (330); BayObLG v. 11.6.1991 – 1Z 31/91, FamRZ 1992, 226. 5 BayObLG v. 11.6.1991 – BReg.1 Z 31/91, FamRZ 1992, 226; LG Gießen v. 14.1.1992 – 7 T 251/91, FamRZ 1992, 603. 6 BayObLG v. 3.8.1989 – 1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346. 7 BayObLG v. 3.8.1989 – 1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346 (1347). 8 BayObLG v. 3.8.1989 – 1a Z 56/88, FamRZ 1989, 1346 = BayObLGZ 1989, 327 (330); BayObLG v. 11.6.1991 – BReg.1 Z 31/91, FamRZ 1992, 226. 9 Staudinger/Otte, § 2082 Rz. 12. 206

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B II

Rz. 508

Für die Anfechtung von Erbverträgen durch Dritte nach dem Tod des Erblassers gilt ebenfalls § 2081 BGB1, ebenso für die Anfechtung von gemeinschaftlichen Testamenten durch Dritte2.

506

f) Anfechtungsfrist Die Anfechtung kann nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen (§ 2082 Abs. 1, 2 BGB). Auf den Lauf der Frist finden die §§ 203, 206, 207 BGB entsprechende Anwendung (§ 2082 Abs. 2 S. 2 BGB). Der Fristbeginn setzt die Kenntnis vom Erbfall, von den anfechtungsbegründenden Tatsachen und der anzufechtenden letztwilligen Verfügung voraus3, ferner die Kenntnis des Irrtums oder der Drohung und des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Irrtum bzw. der Drohung und der letztwilligen Verfügung. Fehlvorstellungen des Anfechtungsberechtigten rein tatsächlicher Art hindern somit den Lauf der Anfechtungsfrist4.

507

Beratungshinweis: Die irrtümliche Annahme, die Unterschrift des Erblassers sei gefälscht, oder die Unkenntnis von der den Anfechtungsberechtigten benachteiligenden Aufhebung des Testaments durch Vernichtung (§ 2255 BGB) hindern den Beginn des Fristlaufs. Strittig ist jedoch, inwieweit auch ein Rechtsirrtum die Kenntnis vom Anfechtungsgrund ausschließt5. Nach der wohl h.M.6 kann ein Rechtsirrtum den Fristbeginn nur dann hinausschieben, wenn er die Unkenntnis einer die Anfechtung begründenden Tatsache zur Folge hat. Es genügt jedoch nicht, wenn es sich nur um die rechtsirrtümliche Beurteilung des Anfechtungstatbestandes handelt.

Beratungshinweis: Beim gemeinschaftlichen Testament wird die Anfechtungsfrist nicht gehemmt, wenn der gebundene Erblasser nach seiner Wiederheirat die Bindung und/oder seine Anfechtungsmöglichkeit nach §§ 2281, 2079 BGB nicht kennt7. Dagegen beginnt die Frist nicht, wenn er das gemeinschaftliche Testament für ungültig oder seinen neuen Ehegatten für nicht pflichtteilsberechtigt hält8.

1 Staudinger/Kanzleiter, § 2285 Rz. 3. 2 Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 82. 3 BayObLG v. 14.9.1994 – 1Z BR 29/94, Rpfleger 1995, 162 = FamRZ 1995, 1024 = ZEV 1995, 105 (106). 4 H.M., Soergel/Loritz, § 2082 Rz. 3; MüKo.BGB/Leipold, § 2082 Rz. 7. 5 S. dazu Rosemeier, ZEV 1995, 124; Dirk, Beginn der Frist zur Anfechtung letztwilliger Verfügungen; eingehend J. Mayer, Der Rechtsirrtum und seine Folgen im bürgerlichen Recht, 1989. 6 RG v. 11.12.1930 – IV B 27/30, RGZ 132, 1 (4); BGH v. 3.12.1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79 (80); BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430 = NJW-RR 1997, 1027 = ZEV 1997, 377 (380); Staudinger/Kanzleiter, § 2283 Rz. 8; Palandt/Weidlich, § 2082 Rz. 4; krit. MüKo.BGB/Leipold, § 2082 Rz. 5; Rosemeier, ZEV 1995, 124 (129). 7 BGH v. 3.12.1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79 (80); BayObLG v. 3.12.1990 – BReg. 1a Z 70/88, NJW-RR 1991, 454; BayObLG v. 14.9.1994 – 1Z BR 29/94, FamRZ 1995, 1024 = ZEV 1995, 105 (107). 8 Gutachten in DNotI-Report 1998, 78. Esser

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B II

Rz. 509

Formen letztwilliger Verfügung

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Kann sich der überlebende wiederverheiratete Ehegatte ohne weitere Gedächtnishilfe nicht mehr an die bindende Schlusserbeneinsetzung erinnern, beginnt die Anfechtungsfrist nach §§ 2079 S. 1, 2082 Abs. 1, 2 BGB nicht zu laufen1. In solchen Fällen soll nach dem BayObLG2 dem Anfechtungsgegner eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu Hilfe kommen.

510

Beim gemeinschaftlichen Testament kann die Anfechtungsfrist frühestens mit dem ersten Erbfall und der Kenntnis des Anfechtungsgrundes beginnen. Wird jedoch die Schlusserbeneinsetzung i.S.d. §§ 2269 Abs. 1 BGB angefochten, beginnt die Frist erst mit dem zweiten Erbfall, da insoweit immer nur die Verfügung des zweitverstorbenen Ehegatten Wirksamkeit erlangen kann3.

511

Das Anfechtungsrecht erlischt ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Anfechtungsgrundes mit dem Ablauf von 30 Jahren seit dem Erbfall (§ 2082 Abs. 3 BGB).

Beratungshinweis: Wird durch die anfechtbare letztwillige Verfügung die Verpflichtung zu einer Leistung begründet, wie z.B. bei einem Vermächtnis (§ 2174 BGB) oder der Auflage (§ 2194 BGB), bleibt dem Verpflichteten auch nach dem Ablauf der Ausschlussfrist des § 2082 ein Leistungsverweigerungsrecht erhalten (§ 2083 BGB). g) Wirkung der Anfechtung 512

Die form- und fristgerecht von dem dazu Berechtigten erklärte Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen führt rückwirkend zu deren Nichtigkeit (§ 142 Abs. 1 BGB)4. Die Nichtigkeit erfasst aber im Zweifel, mit Ausnahme des § 2079 BGB, nicht das gesamte Testament (§ 2085 BGB), sondern immer nur die angefochtenen Verfügungen des Erblassers5 und diese auch nur soweit, als anzunehmen ist, dass der Erblasser sie bei Kenntnis der Sachlage nicht getroffen hätte6. Die vom Irrtum unbeeinflussten anderen Verfügungen des Testaments lässt die Anfechtung dagegen unberührt (§ 2085 BGB).

513

Die von nur einem von mehreren Berechtigten erklärte Anfechtung wirkt absolut und kommt auch den übrigen Berechtigten zugute7.

514

Soweit durch die Anfechtung nicht ein älteres Testament wieder in Kraft gesetzt wird oder spätere Verfügungen des Überlebenden trotz § 2271 Abs. 2 BGB wirksam werden, ersetzt die gesetzliche Erbfolge die unwirksam gewordenen testamentarischen Verfügungen. 1 BayObLG v. 14.9.1994 – 1Z BR 29/94, Rpfleger 1995, 162 = FamRZ 1995, 1024 = ZEV 1995, 105. 2 BayObLG v. 14.9.1994 – 1Z BR 29/94, FamRZ 1995, 1024 = ZEV 1995, 105 (106) = Rpfleger 1995, 162; krit. Leipold, ZEV 1995, 99. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 2082 Rz. 10. 4 Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 10. 5 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, MDR 1985, 827 = NJW 1985, 2025 (2026) = FamRZ 1985, 806. 6 BayObLG v. 22.4.1971 – 1Z 108/70, BayObLGZ 1971, 147 (150) = NJW 1971, 1565. 7 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, MDR 1985, 827 = NJW 1985, 2025 = FamRZ 1985, 806. 208

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 520

Da die letztwillige Verfügung keinen Vertrauensschutz rechtfertigt, ist der Anfechtende im Gegensatz zur Regelung des § 122 BGB nicht zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet (§ 2078 Abs. 3 BGB).

515

Die Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB vernichtet nach h.M. grundsätzlich, im Gegensatz zu § 2078 BGB, das gesamte Testament, weil die Berücksichtigung eines weiteren Erben alle Erbteile verschieben würde1. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum durch die Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB z.B. auch die Anordnungen der Testamentsvollstreckung, eine Enterbung oder ein Vermächtnis, welches nur einen Miterben belastet, vernichtet werden sollen. Die Verfügungen, die den gesetzlichen Erbteil des Anfechtungsberechtigten nicht schmälern, sollen nach einer Mindermeinung nicht gem. § 2079 BGB anfechtbar sein. Nach dieser Ansicht soll die Verfügung nur in dem Umfang vernichtet werden, der erforderlich ist, um dem Anfechtungsberechtigtem zu seinem gesetzlichen Erbteil zu verhelfen2.

516

h) Beweisfragen Derjenige, der sich auf die Anfechtung beruft, trägt die Darlegungs- und Beweisbzw. Feststellungslast für ihre Voraussetzungen3. Der Nachweis des Irrtums des Erblassers kann mit allen Beweismitteln geführt werden, auch mit seinen eigenen, nachgewiesenen mündlichen Äußerungen4. Der Anfechtende muss aber auch die Kausalität (Erheblichkeit) zwischen dem Irrtum und der letztwilligen Verfügung beweisen5.

517

Die – an sich nicht erforderliche – Angabe von Gründen durch den Erblasser in der letztwilligen Verfügung hat eine Vermutung dahin gehend zur Folge, dass diese Gründe für den Erblasser maßgebend waren6.

518

Die Beweis- bzw. Feststellungslast für den Ausschluss eines entstandenen Anfechtungsrechts durch Zeitablauf trägt nach h.M. der Anfechtungsgegner7.

519

IV. Die Hinterlegung, Ablieferung, Eröffnung des Testaments 1. Die Hinterlegung Die besondere amtliche Verwahrung steht Testamenten und Erbverträgen (§ 2300 BGB) offen. Testamente, die vor einem Notar errichtet wurden, sind von diesem unverzüglich in die besondere amtliche Verwahrung zu bringen (§ 34

1 Planck/Flad, § 2079 Anm 3; Kipp/Coing, § 24 IV 1b. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 2079 Rz. 22; Erman/M. Schmidt, § 2079 Rz. 5. 3 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, MDR 1985, 827 = FamRZ 1985, 806 = NJW 1985, 2025 (2026). 4 Palandt/Weidlich, § 2078 Rz. 11; Baumgärtel/Strieder, § 2078 BGB Rz. 1 m.w.N. 5 BayObLG v. 22.4.1971 – 1Z 108/70, BayObLGZ 1971, 147 (150); Baumgärtel/Strieder, § 2078 BGB Rz. 2 m.w.N. 6 BGH v. 14.1.1965 – III ZR 131/63, NJW 1965, 584; Baumgärtel/Strieder, § 2078 BGB Rz. 2. 7 Baumgärtel/Strieder, § 2283 BGB; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2283 Rz. 6. Esser

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520

B II

Rz. 521

Formen letztwilliger Verfügung

Abs. 1 S. 4 BeurkG). In der Urkundensammlung verbleibt nur ein Vermerkblatt. Zum Vollzug s. § 16 Abs. 1 BNotO1. 521

Gleiches gilt wegen der Verweisung in § 2249 Abs. 1 S. 4 BGB auch für das nach § 2249 errichtete Testament und durch § 11 KonsG für Testamente, die von Konsularbeamten errichtet wurden.

522

Für letztwillige Verfügungen gem. §§ 2250, 2251 BGB fehlt eine entsprechende Verpflichtung. Solche Testamente sind, wie auch jene nach § 2247 BGB, nur nach § 2248 BGB auf Verlangen des Erblassers in die besondere amtliche Verwahrung zu nehmen. Eine Verletzung der Verwahrungspflichten hat auf die Wirksamkeit der Testamentserrichtung keinen Einfluss. a) Das Verfahren der besonderen amtlichen Verwahrung aa) Sinn und Zweck der besonderen amtlichen Verwahrung

523

Der Zweck der besonderen amtlichen Verwahrung ist die Sicherung der letzten Erklärungen des Erblassers durch den Erhalt der Urkunde und deren Schutz vor Veränderung, Unterdrückung sowie die Geheimhaltung des Inhalts. bb) Annahme zur Verwahrung

524

Bei öffentlichen Testamenten hat die Urkundsperson das Testament nach dem Verschließen in die besondere amtliche Verwahrung zu geben (§ 34 BeurkG; § 2249 Abs. 1 S. 4 BGB). Die Ablieferung des Testaments braucht nicht persönlich zu erfolgen. Das Testament wird vom Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2 RPflG) und dem Verwahrungsbeamten entgegengenommen. In Baden-Württemberg sind die Notariate hierfür zuständig (§§ 1 Abs. 1, 38, 46 Abs. 3 LFGG).

525

Die Annahmeverfügung des Rechtspflegers ist nach § 27 AktO dem Verwahrungsbeamten in Urschrift vorzulegen. Auf der Grundlage der Annahmeverfügung trägt der Urkundsbeamte die Annahme in das Verwahrungsbuch ein und verschließt die Urkunde im Testamentsschrank. Die Annahme zur Verwahrung wird auf der Annahmeverfügung bestätigt (§ 27 Abs. 5 S. 2 AktO)2. Gem. § 346 Abs. 3 FamFG soll dem Erblasser ein Hinterlegungsschein erteilt werden.

526

Bei der Annahme der Urkunde besteht keine Pflicht zur Überprüfung der Wirksamkeit des Testaments von Seiten des Rechtspflegers. Aber auch ohne eine Prüfungspflicht ist es sein „nobile officium“, auf Bedenken hinsichtlich der Formwirksamkeit aufmerksam zu machen3. Dies gilt insbesondere bei privat schriftlichen Testamenten. Zu beachten ist hier, dass eine Amtspflicht auch dann verletzt wird, wenn Auskünfte unrichtig erteilt werden, auf die kein Anspruch besteht. Der Beamte hat die Amtspflicht, die Auskunft, die er dem Bürger erteilt, richtig, klar, unmissverständlich und vollständig zu erteilen, damit der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann4. Verweigert der Rechtspfleger die Annahme, können sowohl der Testierer als auch die Urkundsperson Beschwerde einlegen. 1 2 3 4

Abgedruckt bei Weingärtner, Ziff. 110 sowie bei Firsching/Graf, Anh. 8. In der in Bayern geltenden Fassung abgedruckt bei Firsching/Graf, Anh. 5. MüKo.FamFG/Muscheler, § 346 Rz. 7. BGH v. 24.6.1993 – III ZR 43/92, MDR 1994, 724 = NJW 1993, 3204 (3205).

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 533

b) Zuständigkeit für die besondere amtliche Verwahrung Gem. § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG sind im ganzen Bundesgebiet sachlich das Amtsgericht und dort funktionell der Rechtspfleger zuständig (§ 3 Nr. 2c RPflG). In Baden-Württemberg sind gem. §§ 1 Abs. 1, 2, 38, 46 Abs. 3 LFGG, Art. 147 Abs. 1 EGBGB die Notariate zuständig. Diese Landesregelungen werden durch die §§ 7, 11 bis 19 der 1. Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des LFGG vom 5.5.1975 und die AV vom 30.6.1975 ergänzt1.

527

Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 344 FamFG. Danach ist bei öffentlichen Testamenten grundsätzlich der Errichtungsort maßgebend. Verlangt der Erblasser, dass die Verwahrung bei einem anderen Amtsgericht erfolgen soll, so ist dem ohne Weiteres nachzukommen, falls kein offensichtlicher Missbrauch vorliegt.

528

Konsulartestamente sind beim Amtsgericht Schöneberg in Berlin zu hinterlegen, falls der Erblasser kein anderes Amtsgericht bestimmt hat (§ 11 Abs. 2 KonsG).

529

Die Hinterlegung bei einem örtlich unzuständigen Gericht nimmt dem Testament nicht den Charakter der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2 Abs. 3 FamFG). Das unzuständige Gericht wird aber das Testament weiterleiten. Das für den inländischen Geburtsort des Erblassers zuständige Standesamt (sonst Amtsgericht Schöneberg in Berlin) ist von der erfolgten Verwahrung zu benachrichtigen. Es verständigt seinerseits das Gericht vom Tod des Erblassers2.

530

c) Rückgabe des Testaments Die Rückgabe des Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung erfolgt entweder durch Rückgabe an den Testierer (§ 2256 Abs. 2 BGB), was bei öffentlichen Testamenten als Widerruf gilt (§ 2256 Abs. 1 S. 1 BGB), oder nach dem Tod des Erblassers zur Eröffnung (§§ 2260 ff. BGB). Das Verfahren der Rückgabe ist ebenfalls in § 2256 BGB geregelt, so dass auch sie vom Rechtspfleger verfügt und vom Urkundsbeamten im Verwahrungsbuch vermerkt wird. Keine Herausgabe des Testaments ist die Einsicht in die letztwillige Verfügung.

531

Der Erblasser ist über die Rechtsfolgen und Wirkungen der Rückgabe zu belehren (§ 2256 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Belehrung ist auf der Testamentsurkunde, die sich bis zu 30 Jahre in amtlicher Verwahrung befindet (§ 27 Nr. 9 AktO), zu vermerken3. Es ist eine Niederschrift aufzunehmen (§ 27 Nr. 9 AktO). Die Rückgabe eines nach § 2248 BGB verwahrten eigenhändigen Testaments ist ohne Einfluss auf dessen Wirksamkeit, § 2256 Abs. 3 Hs. 2 BGB.

532

Ein gemeinschaftliches Testament kann nur aufgrund eines Antrags beider Ehegatten in die besondere amtliche Verwahrung gebracht und zurückgenommen werden (§ 2272 BGB)4. Einsicht kann aber jeder Ehegatte allein ohne Zustim-

533

1 Die Justiz 1975, 201 und 304. 2 S. dazu die bundeseinheitlichen Bekanntmachungen der Länder über Benachrichtigungen in Nachlasssachen und die bundeseinheitl. Anordnungen über Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi), 2. Teil XBVII, abgedruckt in Weingärtner, Ziff. 270. 3 Soergel/Mayer, § 2256 Rz. 6. 4 Staudinger/Baumann, § 2258b a.F. Rz. 23, 26. Esser

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B II

Rz. 534

Formen letztwilliger Verfügung

mung des anderen nehmen. Nach Ableben eines Ehepartners ist eine Rücknahme unzulässig1. 534

Der Erbvertrag wird, falls die Vertragschließenden dies nicht ausgeschlossen haben, in besondere amtliche Verwahrung genommen (§ 2277 BGB, § 34 Abs. 2 BeurkG). Jeder Vertragschließende erhält dabei einen Hinterlegungsschein (§ 2277 BGB). Die Rücknahme ist nur auf Antrag beider Parteien möglich (§ 45 BeurkG). Sie darf aber nur an den Notar selbst und nicht an die Beteiligten erfolgen, mit Ausnahme, die Urkunde findet im Ausland Verwendung (§ 25 Abs. 2 BNotO). 2. Die Ablieferung des Testaments

535

Wer ein Testament, welches nicht in amtliche Verwahrung gebracht wurde, im Besitz hat, ist verpflichtet, es unverzüglich, nachdem er vom Tod des Erblassers Kenntnis erlangt hat, an das Nachlassgericht abzuliefern (§ 2259 Abs. 1 BGB). Die zwingende Vorschrift gilt auch für Erbverträge, § 2300 BGB. Die Verpflichtung dient der Erhaltung und Sicherstellung nicht verwahrter Verfügungen von Todes wegen sowie der Vorbereitung der Eröffnung. Die Ablieferungspflicht liegt daher im öffentlichen Interesse, so dass gegenteilige Weisungen des Erblassers2 oder Absprachen zwischen den Beteiligten3 von ihrer Erfüllung nicht entbinden. a) Gegenstand der Ablieferung

536

Abzuliefern sind, ohne Ausnahme, alle Schriftstücke, die sich nicht in Verwahrung des Nachlassgerichts befinden und die sich äußerlich oder ihrem Inhalt nach als letztwillige Verfügung des Erblassers darstellen, ohne Rücksicht darauf, ob sie als solche sachlich oder formell gültig, offen oder verschlossen sind4. Die Wirksamkeit des Testaments ist für die Ablieferungspflicht ohne Bedeutung5, da auch ein formunwirksames Testament für die Auslegung oder die Anfechtung eines weiteren Testaments wichtig sein kann. Auch widerrufene und beschädigte Testamente sind abzugeben6. Gleiches gilt für Nottestamente, die durch Zeitablauf nichtig wurden (§ 2252 BGB), und für aufgehobene Erbverträge7. Testamente von Ausländern sind ebenfalls abzuliefern8.

537

Abzuliefern sind die Urschriften der Verfügungen von Todes wegen9. Abschriften und Ausfertigungen sind dann abzuliefern, wenn die Urschrift nicht ausgehändigt werden kann. Strittig ist, ob auch unbeglaubigte Abschriften der Pflicht des § 2259 BGB unterfallen. Das wird jedoch ganz überwiegend verneint10, weil sie ein Testament nicht ersetzen und nicht zu eröffnen sind.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Staudinger/Baumann, § 2258b a.F. Rz. 16. BayObLG v. 19.1.1988 – BReg.1 Z 65/87, FamRZ 1988, 658 (660). Staudinger/Baumann, § 2259 Rz. 18. Palandt/Weidlich, § 2259 Rz. 2. BayObLG v. 19.1.1988 – BReg.1 Z 65/87, FamRZ 1988, 658 (659). Soergel/Mayer, § 2259 Rz. 2; MüKo.BGB/Hagena, § 2259 Rz. 8. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2259 Rz. 5. Soergel/Mayer, § 2259 Rz. 5. Soergel/Mayer, § 2259 Rz. 2, 6. Staudinger/Baumann, § 2259 Rz. 9.

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 545

Die Ablieferung hat unverzüglich (§ 121 BGB) nach Kenntnis vom Tod des Erblassers zu erfolgen, muss aber nicht persönlich geschehen.

538

b) Die Pflicht zur Ablieferung Nach § 2259 Abs. 1 BGB ist der unmittelbare Besitzer (§ 857 BGB) des Testaments oder des Erbvertrags zur Ablieferung verpflichtet.

539

Die Pflicht zur Ablieferung nach Abs. 2 trifft alle Behörden mit Ausnahme der Gerichte. Erfasst werden damit die Urkundspersonen, soweit sie ihrer Verpflichtung aus § 34 Abs. 1 S. 4 BeurkG nicht nachgekommen sind oder eine solche Pflicht erst nach dem Tod des Erblassers besteht (vgl. § 34 Abs. 3 S. 2 BeurkG). Die Ausnahme von der Ablieferungspflicht hinsichtlich der Gerichte ist zu beschränken auf die zur Eröffnung des Testaments zuständigen Verwahrungsgerichte1.

540

Erhält das Nachlassgericht Kenntnis davon, dass jemand im Besitz eines Testaments ist, kann es zur Durchsetzung der Ablieferung Zwangsmittel einsetzen (Zwangsgeld: §§ 358, 35 Abs. 1 FamFG, unmittelbaren Zwang nach § 90 Abs. 1 FamFG). Für das Verfahren nach §§ 2259 BGB, 358, 35 Abs. 1, 2 FamFG ist der Rechtspfleger zuständig (§ 3 Nr. 2c RPflG).

541

c) Zuständigkeiten für die Ablieferung Sachlich zuständig ist das Amtsgericht als Nachlassgericht. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht am Wohnsitz des Erblassers.

542

Fehlt es an einem inländischen Wohnsitz, so hat sich die örtliche Zuständigkeit nach dem inländischen Ort des Aufenthalts des Erblassers zu richten (§ 343 Abs. 1 FamFG). Fehlt auch dieser, so ist das Amtsgericht Berlin-Schöneberg zuständig (§ 343 Abs. 2 FamFG).

543

Für Ausländer ist jedes Gericht, in dessen Bezirk sich Nachlassgegenstände befinden, hinsichtlich aller im Inland befindlichen Nachlassgegenstände örtlich zuständig (§ 343 Abs. 3 FamFG). Aber auch wenn sich keine Nachlassgegenstände im Inland befinden, besteht dennoch eine Ablieferungspflicht2. Wird die Pflicht nicht erfüllt, so kann jeder, der ein rechtliches Interesse an der Einsicht in das zu eröffnende Testament hat, gegen den Besitzer auf Ablieferung an das Nachlassgericht klagen3. Der einfachere Weg dürfte jedoch die Mitteilung entsprechender Tatsachen an das Nachlassgericht sein, verbunden mit der Anregung, von Amts wegen tätig zu werden, umso die Ablieferung zu erzwingen. Auch Schadenersatzansprüche sind möglich.

544

3. Die Eröffnung des Testaments, §§ 2260 ff. BGB Das Verfahren über die Eröffnung von Testamenten ist in den §§ 2260 ff. BGB geregelt. 1 MüKo.BGB/Hagena, § 2259 Rz. 19. 2 MüKo.BGB/Hagena, § 2259 Rz. 15. 3 Staudinger/Baumann, § 2259 Rz. 17. Esser

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545

B II

Rz. 546

Formen letztwilliger Verfügung

a) Die Eröffnung durch das Nachlassgericht 546

Das Nachlassgericht hat gem. § 2260 Abs. 1 S. 1 BGB zur Eröffnung eines in seiner Verwahrung befindlichen Testaments Termin zu bestimmen, sobald es von dem Tod des Erblassers Kenntnis erlangt. aa) Gegenstand der Eröffnung

547

Die Eröffnung erfolgt von Amts wegen. Es ist jedes als Testament abgelieferte Schriftstück zu eröffnen, das angeblich vom Erblasser stammt. Unerheblich ist, ob die Schrift sachlich oder formell wirksam ist und ob sie offen oder verschlossen abgegeben wurde. Gegenstand der Eröffnung ist die Urschrift.

548

Bei gemeinschaftlichen Testamenten sind gem. § 349 Abs. 1 FamFG die Verfügungen des überlebenden Ehegatten, soweit sie sich sondern lassen, weder zu verkünden noch sonst zur Kenntnis der Beteiligten zu bringen.

549

Die Eröffnung setzt in der Regel die Ausschlagungsfrist nach § 1944 BGB in Gang, wenn nicht der Erbe erst später die notwendige Kenntnis von seiner Einsetzung erhält (Näheres s. Kap. C II). bb) Das Eröffnungsverfahren

550

Nach Erlangen der Kenntnis vom Tod des Erblassers hat das Nachlassgericht gem. § 348 Abs. 1 S. 1 FamFG die in seiner Verwahrung befindliche Verfügung von Todes wegen zu eröffnen. § 348 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 FamFG sieht ausdrücklich eine Eröffnung ohne Terminsbestimmung vor. Als gleichrangige Alternative kann das Nachlassgericht zur Eröffnung der Verfügung von Todes wegen nach § 349 Abs. 2 S. 2 FamFG einen Termin bestimmen.

551

Zu dem Termin erfolgt nach § 348 Abs. 2 S. 1 FamFG die Ladung der gesetzlichen Erben und der sonstigen Beteiligten. Beteiligte i.S.v. 348 FamFG unter Berücksichtigung von § 7 Abs. 2 FamFG sind diejenigen, deren Rechtslage durch die Verfügungen des Erblassers unmittelbar beeinflusst wird, bspw. Erben, Empfänger von Auflagen, Vermächtnisnehmer und Testamentsvollstrecker, nicht jedoch die Nachlassgläubiger.

552

Im Termin erfolgt die Eröffnung und Verkündung des Testaments gem. § 348 Abs. 2 FamFG.

553

Über die Eröffnung ist nach § 348 Abs. 1 FamFG eine Niederschrift aufzunehmen. Bei verschlossenen Testamenten ist zu vermerken, ob der Verschluss unversehrt war. In der Praxis wird die Niederschrift regelmäßig durch einen Stempelaufdruck auf der Originalurkunde ersetzt. Nach Eröffnung bleibt das Testament offen bei den Nachlassakten, außer im Fall des § 349 Abs. 2 S. 2 FamFG. cc) Zuständigkeit für die Eröffnung

554

Zuständig für die Eröffnung ist das Nachlassgericht. Das sachlich zuständige Nachlassgericht ist gem. § 23a Abs. 2 Nr. 2 GVG das Amtsgericht. In BadenWürttemberg ist auch das verwahrende Notariat zuständiges Nachlassgericht, §§ 1, 38 LFGG. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem letzten 214

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 562

Wohnsitz oder Aufenthalt des Erblassers, § 343 Abs. 1 FamFG. Funktionell zuständig ist der Rechtspfleger gem. § 3 Nr. 2c RPflG. b) Eröffnung durch ein anderes Gericht Hat ein anderes Gericht als das Nachlassgericht das Testament in amtlicher Verwahrung, eröffnet dieses Gericht gem. § 2261 S. 1 BGB das Testament.

555

aa) Das Eröffnungsverfahren Das Eröffnungsverfahren erfolgt in gleicher Weise wie die Eröffnung beim Nachlassgericht nach § 2260 BGB.

556

bb) Zuständigkeit für die Eröffnung Die Eröffnung obliegt dem verwahrenden Amtsgericht, welches die Eröffnung als eigenständige Aufgabe wahrnimmt und diese unabhängig davon zu erfüllen hat, ob es sich um eine besondere amtliche Verwahrung i.S.d. §§ 346 FamFG, 34 BeurkG oder die einfache amtliche Verwahrung gehandelt hat.

557

In Baden-Württemberg ist das verwahrende Notariat, das auch Nachlassgericht ist, für die Eröffnung zuständig. Ein Notariat, das das Testament lediglich verwahrt, nicht aber Nachlassgericht ist, ist nicht für die Eröffnung zuständig1.

558

Das Verwahrungsgericht ist nur für die Eröffnung zuständig, alle anderen Verfahrensschritte obliegen dem Nachlassgericht.

559

c) Nichtigkeit eines Eröffnungsverbots, § 2263 BGB Nach dem Tod des Erblassers muss geklärt werden, wer Erbe geworden ist. Gem. § 2263 BGB ist daher eine Anordnung des Erblassers nichtig, die es verbietet, das Testament alsbald nach seinem Tod zu eröffnen.

560

Ebenfalls unbeachtlich ist das Verbot der Ablieferung (§ 2259 BGB), der Benachrichtigung (§ 348 FamFG), der Einsicht (§ 357 FamFG) sowie die Anordnung, die Wohnung des Erblassers nicht zu öffnen2. Die Unwirksamkeit des Eröffnungsverbots berührt im Zweifel die Wirksamkeit der übrigen Verfügungen nicht (§ 2085 BGB). Hat der Erblasser jedoch grundsätzlich verboten, das Testament zu eröffnen, kann dies als Widerruf auszulegen sein.

561

d) Eröffnungsfrist für Testamente, § 351 FamFG Gem. § 351 S. 1FamFG sind bei einem Testament, das sich seit mehr als 30 Jahren in amtlicher Verwahrung befindet, von der verwahrenden Stelle Ermittlungen darüber anzustellen, ob der Erblasser noch lebt. Führen die Ermittlungen nicht zur Feststellung des Fortlebens des Erblassers, ist das Testament nach § 351 S. 2 zu eröffnen. 1 Staudinger/Baumann, § 2261 Rz. 8. 2 Palandt/Weidlich, § 2263 Rz. 1. Esser

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562

B II 563

Rz. 563

Formen letztwilliger Verfügung

Die Eröffnungsfrist des § 351 FamFG gilt auch für gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge. e) Möglichkeit der Einsichtnahme oder der Erteilung einer Abschrift eines eröffneten Testaments, § 357 FamFG

564

Wer ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, ist gem. § 357 FamFG berechtigt, ein eröffnetes Testament einzusehen sowie unter Heranziehung von § 13 Abs. 3 FamFG eine beglaubigte Ablichtung der Verfügung von Todes wegen ausgehändigt werden. aa) Voraussetzungen für die Einsichtnahme und Abschrifterteilung

565

Das Recht auf Einsichtnahme und Abschrifterteilung setzt die Eröffnung des Testaments voraus. Vor der Eröffnung kann nur der Erblasser selbst Einsicht nehmen.

566

Ein rechtliches Interesse liegt vor, wenn die erstrebte Kenntnis der eröffneten Verfügung von des Todes wegen zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist, diese also auf die rechtlichen Beziehungen des Einsichtnehmerns einwirkt und eigene Rechte des Antragstellers unmittelbar verändert oder zumindest verändern kann1.

567

Bei Ablehnung kann der Antragsteller Beschwerde nach § 58 FamFG einlegen. bb) Zuständigkeit

568

Zuständig ist das Gericht, bei dem sich das Testament befindet, also regelmäßig das Nachlassgericht (s. auch Rz. 554). Ausnahmsweise kann das verwahrende Gericht des § 350 FamFG zuständig sein (s. Rz. 555 ff.), wenn es die Urschrift noch nicht gem. § 344 Abs. 6 FamFG an das Nachlassgericht übersandt hat.

V. Der Erbvertrag 569

Der Erbvertrag ist die vertragsmäßige, d.h. die mit einer Bindungswirkung nach § 2289 BGB ausgestattete Erbeinsetzung und die vertragsmäßige Anordnung von Vermächtnissen oder Auflagen (§§ 1941, 2278 BGB)2. 1. Die Rechtsnatur des Erbvertrags

570

Der Erbvertrag ist ein einheitliches, abstraktes, unentgeltliches Rechtsgeschäft von Todes wegen. Gleichzeitig ist er ein echter Vertrag, der eine besondere erbrechtliche Bindung des Erblassers an seine vertragsmäßigen Verfügungen von Todes wegen begründet3. Die Besonderheit des Erbvertrags liegt in seiner Doppelnatur als Verfügung von Todes wegen und Vertrag. Nach heute h.M. ist der 1 MüKo.FamFG/J. Mayer, § 357 Rz. 5. 2 Palandt/Weidlich, § 1941 BGB Rz. 5. 3 Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 3; Dittmann/Reimann/Bengel, Vor §§ 2274 ff. BGB Rz. 4. 216

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 575

Erbvertrag ein einheitliches Rechtsgeschäft, bestehend aus einem echten, abstrakten Vertrag1 und gleichzeitig einer Verfügung von Todes wegen2. Aus seiner Natur als echter Vertrag ergibt sich die Bindung des Erblassers und die damit verbundene Einschränkung seiner Testierfreiheit (vgl. § 2289 BGB). Insoweit unterscheidet sich der Erbvertrag vom Testament. Insbesondere ist bei ihm die freie Widerrufbarkeit ausgeschlossen3.

571

Als Verfügung von Todes wegen gelten für den Erbvertrag weitgehend die gesetzlichen Vorschriften über letztwillige Zuwendungen und Auflagen entsprechend (vgl. § 2279 Abs. 1 BGB). Der Erblasser verfügt auch beim Erbvertrag nicht in dem Sinne, dass er eine unmittelbare Rechtsänderung bewirkt. Schuldrechtliche Verpflichtungen werden durch den Erbvertrag nicht begründet. Der Vertragspartner, der die Willenserklärung des Erblassers annimmt, geht damit nicht die Verpflichtung ein, die Erbschaft oder das Vermächtnis anzunehmen, wenn er selbst im Erbvertrag bedacht ist. Er kann die Zuwendung jederzeit ausschlagen4. Der im Erbvertrag bedachte Erbe oder Vermächtnisnehmer erwirbt, wie beim Testament, vor dem Tod des Erblassers weder einen künftigen Anspruch noch eine rechtlich gesicherte Anwartschaft, sondern lediglich eine tatsächliche Aussicht5.

572

Rechte und Pflichten des erbrechtlich Bedachten entstehen erst mit dem Erbfall. Soweit sie schuldrechtlicher Art sind, richten sie sich nicht gegen den Erblasser, sondern gegen den Erben oder Dritte, z.B. den Erbschaftsbesitzer (§ 2018 BGB)6. Dieses ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen einem Erbvertrag und einem Rechtsgeschäft unter Lebenden.

572a

Kein Erbvertrag, sondern ein Vertrag unter Lebenden ist daher ein Rechtsgeschäft, das den Vollzug des Vertrags bis zum Tod hinauszögert, aber dennoch mit sofortiger Wirkung rechtliche Pflichten erzeugt7.

573

Auch ein Erbschaftskaufvertrag, durch den sich der Erbe verpflichtet, nach dem Erbfall die ihm angefallene Erbschaft auf den Käufer zu übertragen (§§ 2371 ff. BGB), ist kein Erbvertrag.

574

Verträge über den Nachlass noch lebender Dritter, die nach § 311b Abs. 4 BGB nichtig sind, unterscheiden sich von Erbverträgen dadurch, dass an ihnen der Erblasser nicht beteiligt ist und sie nur einen schuldrechtlichen, nicht aber erbrechtlichen Inhalt aufweisen8. Die Umdeutung eines unwirksamen Erbvertrags in ein Testament ist grundsätzlich möglich9.

575

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (207). MüKo.BGB/Musielak, Vor § 2274 Rz. 3; Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 4. Brox, Rz. 144. Kipp/Coing, § 87 I. BGH v. 19.1.1954 – V ZB 28/53, BGHZ 12, 115 (118); BayObLG v. 28.11.1952 – BReg. 1Z 216/52, BayObLGZ 1952, 289; Brox, Rz. 144. Dittmann/Reimann/Bengel, Vor §§ 2274 ff. Rz. 11. BGH v. 1.6.1983 – IVa ZR 35/82, MDR 1984, 30 = FamRZ 1983, 897 = NJW 1984, 46 (47). Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 13. Dittmann/Reimann/Bengel, Vor §§ 2274 ff. Rz. 19. Esser

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B II 576

Rz. 576

Formen letztwilliger Verfügung

Schenkungen von Todes wegen nach § 2301 BGB sind keine Erbverträge. Für sie gelten nach § 2301 Abs. 1 BGB die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen. 2. Der Erbvertrag in Abgrenzung zum Testament

577

Sowohl das Testament als auch der Erbvertrag können als Verfügungen von Todes wegen nur vom Erblasser persönlich errichtet werden (§§ 2274, 2064 BGB). Auf vertragsmäßige Zuwendungen und Auflagen finden zudem die für letztwillige Zuwendungen und Auflagen geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung (§ 2279 Abs. 1 BGB). Auch sind einseitige Verfügungen, die in einem Erbvertrag enthalten sind, nach Testamentsrecht zu beurteilen (§ 2299 BGB).

578

Das Besondere am Erbvertrag in Abgrenzung zum Testament ist jedoch die Bindung des Erblassers an seine vertragsmäßigen Verfügungen. Während das Testament grundsätzlich nach den §§ 2253 ff. BGB widerrufen werden kann, sind die vertragsmäßigen Verfügungen eines Erbvertrags grundsätzlich nach § 2289 Abs. 1 S. 2 unwiderruflich. Hinzu kommen unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit des Erblassers, bei den Formvorschriften und bei der Anfechtung, die bei einem Erbvertrag durch den Erblasser im Wege der Selbstanfechtung vorgenommen werden kann (§§ 2275, 2276, 2281 ff., 2229, 2265 ff. BGB)1.

579

In der Bindungswirkung nähern sich wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten jedoch nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten in ihrer Rechtsfolge den vertragsmäßigen Verfügungen in Erbverträgen an.

580

Erbverträge, die unwirksam sind, können nach § 140 BGB in ein gemeinschaftliches Testament oder ein einseitiges Testament umgedeutet werden, wenn die entsprechenden Wirksamkeitsvoraussetzungen gegeben sind. Enthält eine als Erbvertrag bezeichnete letztwillige Verfügung keine einzige vertragsmäßige Bestimmung, so ist sie tatsächlich ein Testament. Eine Umdeutung nach § 140 BGB ist dann nicht notwendig. 3. Voraussetzungen für den Abschluss eines Erbvertrags

581

Der Erblasser kann einen Erbvertrag nur persönlich schließen, § 2274 BGB. Eine Stellvertretung ist nicht möglich. Der Erblasser kann sich bei Abschluss eines Erbvertrags auch nicht durch einen gesetzlichen Vertreter oder durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen2. Ein Verstoß gegen das Vertretungsverbot hat die Nichtigkeit des Erbvertrags zur Folge.

582

Erblasser i.S.v. § 2274 BGB ist nur, wer vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen trifft (vgl. auch §§ 1941, 2278 BGB)3. Die Beratung des Erblassers und ein Beistand bei Vertragsschluss wird durch § 2274 BGB selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Der andere Vertragspartner hingegen kann sich, soweit er nicht 1 Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 11. 2 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2274 Rz. 2. 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2274 Rz. 5; Soergel/Wolf, § 2274 Rz. 4. 218

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 586

selbst Verfügungen trifft, vertreten lassen1. Die Aufnahme einseitiger Verfügungen durch den Vertragspartner in den Erbvertrag lässt diesen nicht zum Erblasser i.S.v. § 2274 BGB werden (vgl. § 2299 BGB). Bei Abschluss eines Erbvertrags muss der Erblasser unbeschränkt geschäftsfähig sein, § 2275 Abs. 1 BGB, da er sich vertragsmäßig bindet. Die Testierfähigkeit allein reicht nicht. Erbverträge Geschäftsunfähiger oder beschränkt Geschäftsfähiger sind nichtig, § 105 BGB. Eine Heilung des Mangels tritt auch nicht bei Wegfall der Beschränkung ein. Unter den Voraussetzungen des § 140 BGB kann der nichtige Erbvertrag jedoch in ein Testament umgedeutet werden2.

583

Für Erbverträge zwischen Eheleuten (§ 2275 Abs. 2 BGB) und Verlobten (§ 2275 Abs. 3 BGB) reicht die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Erblassers. Ebenso im Falle eingetragener Lebenspartnerschaften. Die Ausnahme wurde ins Gesetz aufgenommen, da häufig der Erbvertrag mit einem Ehevertrag verbunden wird. Sie gilt jedoch auch, wenn nur ein Erbvertrag geschlossen wird.

584

Auch die Eheleute/Lebenspartner müssen den Erbvertrag persönlich schließen, und der gesetzliche Vertreter muss dem Abschluss zustimmen. Die erforderliche Zustimmung richtet sich nach §§ 108, 182–184, 1822 BGB. Sie kann formlos erfolgen und ist auch nachträglich möglich3. Schon aus haftungsrechtlichen Gründen wird der Notar ohne Nachweis der Einwilligung die Beurkundung jedoch verweigern, vgl. § 2276 Abs. 1 BGB, §§ 11, 18, 28 BeurkG. Fehlt die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter, ist die Genehmigung durch den Erblasser nach Erlangen der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit nach § 108 Abs. 3 BGB möglich, solange der Vertragspartner nicht verstorben ist.

584a

Auf Partner, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammenleben, finden die Abs. 2 und 3 keine Anwendung.

585

4. Arten des Erbvertrags a) Der einseitige Erbvertrag Von einem einseitigen Erbvertrag wird gesprochen, wenn nur ein Vertragspartner (der Vertragserblasser) eine oder mehrere vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen trifft. Der andere Vertragspartner nimmt diese Erklärung lediglich an, ohne dass er vertragsmäßig über sein Vermögen letztwillig verfügt. Der Vertrag ist auch dann einseitig, wenn der Vertragspartner ebenfalls einseitige Verfügungen von Todes wegen vornimmt oder sich schuldrechtlich durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden verpflichtet4. Beispiel: Der andere Vertragschließende verpflichtet sich im Erbvertrag zur Leistung von Unterhalt an den Erblasser. 1 Allg. Meinung, vgl. Staudinger/Kanzleiter, § 2274 Rz. 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2274 Rz. 2. 2 Staudinger/Kanzleiter, § 2275 Rz. 3. 3 Palandt/Weidlich, § 2275 Rz. 1. 4 Brox, Rz. 152. Esser

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586

B II

Rz. 587

Formen letztwilliger Verfügung

b) Der zweiseitige oder gemeinschaftliche Erbvertrag 587

Wird ein Erbvertrag von zwei Personen geschlossen und treffen beide Vertragsteile vertragsmäßige Verfügungen entsprechend §§ 2278, 2298 BGB, spricht man von einem zweiseitigen oder gemeinschaftlichen Erbvertrag. Die Erblasser können sich entweder gegenseitig bedenken oder zugunsten eines Dritten verfügen. Bedenken sich die Vertragspartner gegenseitig, handelt es sich um einen gegenseitigen, reziproken Erbvertrag.

588

Wird in einen gegenseitigen Erbvertrag zwischen Ehegatten/Lebenspartnern die Bestimmung aufgenommen, dass nach dem Tod des Letztversterbenden der beiderseitige Nachlass an Dritte, bspw. die Abkömmlinge, fallen soll, oder ist ein Vermächtnis angeordnet, das nach dem Tod des zuletzt Verstorbenen zu erfüllen ist, gelten nach § 2280 BGB die durch § 2269 BGB für gemeinschaftliche Testamente aufgestellten Auslegungsregeln entsprechend1. c) Mehrseitige Erbverträge

589

Ein Erbvertrag kann auch vertragsmäßige Verfügungen von drei und mehr Personen enthalten. In diesem Falle spricht man von einem mehrseitigen Erbvertrag2. Im Zweifel ist anzunehmen, dass jeder Vertragspartner gegenüber allen anderen gebunden ist, so dass der Vertrag nur von allen Beteiligten gemeinsam nach § 2290 BGB aufgehoben werden kann. Ist einer von ihnen gestorben, kann der Erbvertrag überhaupt nicht mehr aufgehoben werden3. Der Erblasser kann auch nicht mit den Erben eines verstorbenen Vertragsbeteiligten einen Vertrag zur Aufhebung des Erbvertrags schließen4. Der Rücktritt vom Erbvertrag nach §§ 2293 ff. BGB muss allen Vertragsparteien gegenüber erklärt werden, § 2296 Abs. 2 BGB. d) Erbverträge zugunsten des Vertragspartners oder eines Dritten

590

Der Erblasser kann in einem Erbvertrag vertragsmäßige Verfügungen zugunsten anderer Vertragspartner oder zugunsten eines Dritten treffen. Trotz der üblichen Bezeichnung „Erbvertrag zugunsten Dritter“ ist hier streng auf die Trennung zum Vertrag zugunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB zu achten, da diese Vorschriften hier nicht anwendbar sind (s. auch Rz. 778 ff.). e) Unterscheidung des Erbvertrags nach Art der Zuwendung

591

Je nach Art der im Erbvertrag verfügten Zuwendungen kann zwischen Erbeinsetzungsverträgen, Erbvermächtnisverträgen und Erbauflageverträgen unterschieden werden, §§ 1941 Abs. 1, 2278 Abs. 2 BGB5.

1 2 3 4 5

MüKo.BGB/Musielak, Vor § 2274 Rz. 25. Staudinger/Kanzleiter, Vor §§ 2274 ff. Rz. 21. Dittmann/Reimann/Bengel, Vor §§ 2274 ff. Rz. 36. Kipp/Coing, § 39 I 4. MüKo.BGB/Musielak, Vor §§ 2274 ff. Rz. 28.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 598

f) Entgeltlicher oder unentgeltlicher Erbvertrag Ein entgeltlicher Erbvertrag ist ein einheitliches, zusammengesetztes Rechtsgeschäft, welches aus einem Erbvertrag mit einer vertragsmäßigen Zuwendung und einem Verkehrsgeschäft besteht, in dem sich der Vertragspartner mit Blick auf die erbvertraglichen Verfügungen zur Erbringung von Leistungen an den Erblasser verpflichtet1.

592

Beispiel: Der Vertragserbe verpflichtet sich zur Betreuung des Erblassers im Alter oder im Krankheitsfall.

Es wird hierdurch jedoch kein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung geschaffen. Der Erbvertrag ist ein abstraktes, unentgeltliches Geschäft und kein schuldrechtlicher, gegenseitiger Vertrag2.

593

Für den Fall der Aufhebung der Verpflichtung des Vertragserben oder der Unwirksamkeit des Verkehrsgeschäfts gibt § 2295 BGB dem Vertragserblasser das Recht, von seiner vertragsmäßigen Verfügung zurückzutreten.

594

Ein unentgeltlicher Erbvertrag liegt vor, wenn der Bindung des Erblassers an seine vertragsmäßigen Verfügungen keine Gegenleistung des Vertragspartners gegenübersteht3. Ist der Vertragspartner nur beschränkt geschäftsfähig, kann er nach § 107 BGB den Vertrag selbst abschließen, da er lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt.

595

5. Die Aufhebungswirkung des Erbvertrags Nur durch einen wirksam abgeschlossenen Erbvertrag, der bis zum Eintritt des Erbfalls wirksam bestehen bleibt, der nicht wirksam angefochten oder durch Rücktritt beseitigt bzw. durch Vertrag aufgehoben wird, können frühere letztwillige Verfügungen des Erblassers aufgehoben werden4.

596

Durch den Abschluss eines Erbvertrags werden frühere letztwillige Verfügungen des Erblassers aufgehoben, soweit durch sie das Recht des Vertragserben beeinträchtigt würde, § 2289 Abs. 1 S. 1 BGB. Nur wechselbezügliche Verfügungen in vorangegangenen gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen können nicht aufgehoben werden, §§ 2271, 2289 Abs. 1 S. 2 BGB (vgl. Rz. 422 ff.). Wurde der neue Erbvertrag jedoch von denselben Vertragspartnern geschlossen und ist er Ersatz des früheren gemeinschaftlichen Testaments oder Vertrags, liegt nach § 2290 BGB eine Aufhebung vor.

597

Im Erbvertrag enthaltene einseitige Verfügungen i.S.v. § 2299 BGB haben nur die Wirkung eines widersprechenden Testaments gem. § 2258 BGB, da für sie § 2289 BGB auch nicht entsprechend gilt5. Werden in dem Erbvertrag vom Erblasser einseitige Anordnungen getroffen, welche die vertragsmäßigen Verfügun-

598

1 2 3 4 5

Dittmann/Reimann/Bengel, Vor §§ 2274 ff. Rz. 40. BayObLG v. 28.1.1998 – 1Z BR 162/97, BayObLGZ 1998, 22 (25). Brox, Rz. 155. MüKo.BGB/Musielak, § 2289 Rz. 4. MüKo.BGB/Musielak, § 2289 Rz. 5; Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 2. Esser

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B II

Rz. 599

Formen letztwilliger Verfügung

gen einschränken, sollen die vertragsmäßigen Verfügungen von vornherein nur einen eingeschränkten Inhalt erhalten; auch der Vertragspartner kann die Erklärungen des Erblassers nur in diesem Sinne verstehen1. 599

600

Die Aufhebungswirkung eines Erbvertrags ist weit stärker als die eines widersprechenden Testaments. Durch § 2258 BGB hat ein später errichtetes Testament insoweit aufhebende Wirkung, als es mit dem früheren in Widerspruch steht. § 2289 Abs. 1 BGB stellt jedoch darauf ab, ob das Recht des durch den Vertrag Bedachten aufgrund des früheren Testaments beeinträchtigt wird. Im Falle einer Beeinträchtigung wird die frühere Verfügung unwirksam2. Bei einem später errichteten Testament i.S.v. § 2258 BGB ergibt sich der möglicherweise vorliegende Widerruf früherer Verfügungen durch die Auslegung der neueren Anordnung. Bei einem Erbvertrag ergibt sich hingegen der möglicherweise gewollte Fortbestand der früheren Regelung nur durch Auslegung dieser. Grundsätzlich wird die frühere Verfügung jedoch nur im Falle einer Beeinträchtigung aufgehoben. Beispiele: – Der in einer früheren letztwilligen Verfügung zum Vermächtnisnehmer eingesetzte Bedachte soll lt. Erbvertrag Alleinerbe werden. Das alte Testament schränkt die Verfügung des Erbvertrags nicht ein und bleibt wirksam. – Die in einem früheren Testament auf den Pflichtteil gesetzte Tochter soll aufgrund einer vertragsmäßigen Verfügung Alleinerbin werden. Das frühere Testament schränkt die Verfügung ein und ist daher unwirksam. – Die in einem früheren Testament zur Alleinerbin eingesetzte Tochter wird aufgrund des Erbvertrags auf den Pflichtteil gesetzt. Das alte Testament schränkt die vertragsmäßige Regelung nicht ein, § 2289 Abs. 1 S. 1 BGB lässt sie weiter bestehen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die im Erbvertrag getroffene Anordnung einen Widerruf der früheren testamentarischen Regelung beinhaltet (§§ 2299, 2253, 2258 BGB), soweit sie mit ihr unvereinbar ist3.

601

Der Erblasser ist nicht verpflichtet, den Widerruf früherer testamentarischer Anordnungen in einen Erbvertrag ausdrücklich aufzunehmen. Der Widerruf kann sich auch durch Auslegung ergeben4. Im Interesse einer eindeutigen Rechtslage empfiehlt es sich jedoch für den Erblasser, vorangegangene letztwillige Verfügungen ausdrücklich zu widerrufen. 6. Die Bindungswirkung des Erbvertrags

602

Nur ein im Zeitpunkt des Erbfalls wirksamer Erbvertrag entfaltet eine Bindungswirkung nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB. Verfügungen von Todes wegen, die der vertraglich gebundene Erblasser nach Abschluss der Beurkundung errichtet, sind als Folge der Bindungswirkung des Erbvertrags unwirksam, soweit das Recht eines vertragsmäßig Bedachten durch sie beeinträchtigt wird, § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB.

1 BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (216); MüKo.BGB/Musielak, § 2289 Rz. 5. 2 Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rz. 3. 3 Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rz. 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2289 Rz. 11. 4 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2289 Rz. 9. 222

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 607

Der Erblasser hat jedoch die Möglichkeit, sich im Erbvertrag das Recht für eine abweichende Verfügung ausdrücklich oder stillschweigend vorzubehalten1. Abs. 1 S. 2 stellt sicher, dass der Erblasser nicht in seiner Testierfreiheit eingeschränkt wird, schließt aber die Anwendbarkeit des § 2258 BGB aus.

603

Entscheidend für die Frage, ob der vertragsmäßig Bedachte durch eine spätere Verfügung von Todes wegen beeinträchtigt wird, ist auch hier eine rechtliche Betrachtungsweise2. Soweit eine spätere Verfügung das vertragsmäßige Erbrecht des Bedachten beeinträchtigt, ist sie daher nicht deswegen wirksam, weil sie für den Bedachten wirtschaftlich günstiger ist3. Nach einer anderen Ansicht genügt die wirtschaftliche Beeinträchtigung für die Unwirksamkeit späterer Verfügungen von Todes wegen4. Zulässig sind jedoch alle Verfügungen, die dem vertragsmäßig Bedachten nachträglich einen erbrechtlichen Vorteil bringen oder zumindest rechtlich neutral sind.

604

Regelmäßig ist die Einschränkung der Erbquote des Vertragserben durch nachträgliche letztwillige Verfügungen unwirksam.

605

Beratungshinweis: Der durch Vertrag zum alleinigen Vorerben eingesetzte Erbe kann stattdessen nicht zu einem kleineren Bruchteil zum Vollerben eingesetzt werden, auch wenn dies wirtschaftlich wertvoller ist. Auch die nachträgliche Einsetzung zum alleinigen Vollerben des im Erbvertrag zum alleinigen Vorerben eingesetzten Bedachten ist jedenfalls dann nicht möglich, wenn im selben Erbvertrag, was die Regel sein dürfte, auch die Nacherbeneinsetzung vertraglich geregelt wurde. Beim Ehegattenerbvertrag/Lebenspartnererbvertrag ist die nachträgliche Verbesserung der Stellung des Ehepartners/Lebenspartners zulasten anderer, ebenfalls vertraglich Bedachter durch einseitige Verfügungen nicht möglich5. Ein Ehegatte/Lebenspartner kann jedoch bei gegenseitiger vertraglicher Erbeinsetzung noch zu Lebzeiten des anderen Ehegatten/Lebenspartner einseitig für den Fall neu testieren, dass der andere zuerst verstirbt, da in diesem Fall keine Beeinträchtigung des vertraglich Bedachten mehr besteht6.

606

Keine Beeinträchtigung einer vertragsmäßigen Verfügung liegt vor, wenn sich die spätere Verfügung auf einen anderen Gegenstand bezieht oder über denselben Gegenstand dasselbe bestimmt wird. Auch wenn die spätere letztwillige Verfügung nur für den Fall getroffen wurde, dass die vertragsmäßige unwirksam ist, liegt keine Beeinträchtigung des vertragsmäßig Bedachten vor7.

607

Beratungshinweis: Trifft der Erblasser in einer späteren Verfügung von Todes wegen Anordnungen bezüglich eines den Bruchteil des Vertragserben 1 2 3 4 5

Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 8. Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rz. 14; MüKo.BGB/Musielak, § 2289 Rz. 16. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2289 Rz. 23. Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 4; Soergel/Wolf, § 2289 Rz. 3; Nieder, Rz. 713. BayObLG v. 29.6.1961 – BReg. 1Z 13/61, BayObLGZ 1961, 207 (211) = NJW 1961, 1866 (116); Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 5. 6 Staudinger/Kanzleiter, § 2289 Rz. 17; Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 5. 7 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2289 Rz. 29; Planck/Greiff, § 2289 Anm 3a. Esser

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B II

Rz. 608

Formen letztwilliger Verfügung

nicht betreffenden Teils seines Vermögens oder über ein Haus, hinsichtlich dessen im Erbvertrag keine vertragsmäßigen Verfügungen getroffenen wurden, ist keine Beeinträchtigung einer vertragsmäßigen Verfügung gegeben. 608

Die nachträgliche Anordnung erbrechtlicher Beschränkungen und Beschwerungen stellt grundsätzlich eine unzulässige Beeinträchtigung des vertragsmäßig Bedachten dar. So ist die nachträgliche Anordnung einer Nacherbschaft, einer Auflage und eines Vermächtnisses unwirksam. Auch wenn der Gegenstand eines Vermächtnisses nachträglich verändert wird, ist diese Anordnung unwirksam1.

609

Beeinträchtigt wird der Vertragserbe immer durch die nachträgliche Anordnung einer Testamentsvollstreckung. Auch durch die nachträgliche Erweiterung der Befugnisse des Testamentsvollstreckers wird in die Rechtsstellung des Erben eingegriffen, so dass die Verfügung unwirksam ist2. Die nachträgliche einseitige Anordnung der Testamentsvollstreckung über den Nachlass ist grundsätzlich auch dann unwirksam, wenn der Vertragserbe vor oder nach dem Erbfall zustimmt3. Nur in Ausnahmefällen kann die nachträgliche einseitige Ernennung eines Testamentsvollstreckers durch ergänzende Auslegung gerechtfertigt werden, was jedoch die Annahme eines entsprechenden Änderungsvorbehalts voraussetzt4. Die Rechte eines Nießbrauchsvermächtnisnehmers werden durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung grundsätzlich nicht beeinträchtigt, wenn es sich nicht um eine Vermächtnisvollstreckung nach § 2223 BGB handelt5.

610

Die nachträgliche Auswechslung der Person des Testamentsvollstreckers ist grundsätzlich keine unzulässige Beeinträchtigung des Vertragserben, da hierdurch nicht zusätzlich in die Rechte des Erben eingegriffen wird. Etwas anderes ist nur dann anzunehmen, wenn es den Vertragschließenden gerade auf die Person des Testamentsvollstreckers, z.B. hinsichtlich seiner besonderen Qualifikation oder eines besonderen Vertrauensverhältnisses, ankam6.

611

Nachträgliche Bestimmungen zur Höhe der Vergütung des Testamentsvollstreckers sind jedenfalls dann zulässig, wenn sie eine Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben des § 2221 BGB beinhalten.

612

Die nachträgliche Bestimmung einer echten Teilungsanordnung ist keine unzulässige Beeinträchtigung des Vertragserben. § 2289 BGB schützt nur das Vertrauen des Vertragserben in den rechtlichen Bestand der bindenden Verfügung, nicht aber die Erwartung, dass bestimmte Nachlassgegenstände später tatsächlich im Nachlass enthalten sind, wie sich auch aus § 2286 BGB ergibt. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass die durch die Teilungsanordnung möglicherweise 1 Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 5 m.w.N. 2 OLG Köln v. 22.8.1990 – 2 Wx 31/90, FamRZ 1990, 1402 (1403); OLG Frankfurt v. 18.1.1993 – 4 U 173/91, WM 1993, 803 (804). 3 OLG Hamm v. 18.9.1995 – 15 W 248/95, FamRZ 1996, 637 = MittBayNot 1996, 44 (46); Kipp/Coing, § 38 II 2. 4 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2289 Rz. 33. 5 Kipp/Coing, § 38 Rz. 7. 6 Lange/Kuchinke, § 25 VI 2a. 224

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 617

entstehenden unterschiedlichen Wertzuteilungen durch eine entsprechende Ausgleichungspflicht der Begünstigten beseitigt werden1. Die nachträgliche Anordnung von Vorausvermächtnissen ist jedoch unwirksam, da hier die Höhe der Nachlassbeteiligung tatsächlich verändert wird2.

613

Zulässig ist die nachträgliche Anordnung familienrechtlicher Regelungen durch den Erblasser. Hierzu zählen der Entzug des Verwaltungsrechts gegenüber dem gesetzlichen Vertreter (§ 1638 BGB), die Erklärung zum Vorbehaltsgut (§ 1418 Abs. 2 Nr. 2 BGB) oder die Anordnung der Vermögensverwaltung durch die Eltern oder den Vormund (§§ 1639, 1909 BGB). Diese Anordnungen sind keine unzulässigen Beeinträchtigungen i.S.d. §§ 2289 Abs. 1 BGB, da diese Vorschrift den Erben nur vor Verfügungen von Todes wegen schützt. Hiervon zu unterscheiden sind familienrechtliche Bestimmungen, die nur der Form nach in einer letztwilligen Verfügung erklärt werden, eigentlich aber die Regelung familienrechtlicher Belange zum Inhalt haben3.

614

Die Erteilung einer postmortalen Vollmacht verstößt ebenfalls nicht gegen § 2289 Abs. 1 BGB. Ihrer Rechtsnatur nach ist die postmortale Vollmacht eine den Vorschriften über die Bevollmächtigung unter Lebenden unterliegende Willenserklärung und daher nicht von § 2289 Abs. 1 BGB erfasst. Hat der Erblasser jedoch auf das Recht zum Widerruf der postmortalen Vollmacht ausdrücklich verzichtet, liegt nunmehr die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers vor, so dass § 2289 BGB wieder eingreift4.

615

Die vertragsmäßige Bindung des Erblassers nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB bezieht sich ausschließlich auf die vertragsmäßigen Verfügungen. Einseitige Verfügungen des Erblassers im Erbvertrag entsprechend § 2299 BGB kann er jederzeit durch einseitige oder vertragliche Verfügungen von Todes wegen widerrufen oder ändern.

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7. Die Beseitigung der Bindungswirkung a) Der Abänderungsvorbehalt Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit kann sich der Erblasser in dem Erbvertrag das Recht vorbehalten, später abweichende Verfügungen von Todes wegen zu treffen, insbesondere beschränkende oder beschwerende Anordnungen wie die Ernennung eines Nacherben oder eines Testamentsvollstreckers sowie die Anordnung von Vermächtnissen und Auflagen5. Die Vertragspartner sind frei in der inhaltlichen Gestaltung des Vorbehalts. Seine Grenzen findet der Vorbehalt dort, wo durch ihn das Wesen des Erbvertrags und der vertragsmäßigen Verfügungen inhaltlos werden würde6. 1 BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56; BGH v. 2.12.1981 – IVa ZR 252/80, MDR 1982, 557 = FamRZ 1982, 370 = NJW 1982, 441 f. 2 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2289 Rz. 35. 3 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2289 Rz. 36. 4 Staudinger/Reimann, Vor §§ 2197 ff. Rz. 62 ff., 69 (71). 5 BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204. 6 MüKo.BGB/Musielak, § 2278 Rz. 14; BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (208). Esser

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B II 618

Rz. 618

Formen letztwilliger Verfügung

Strittig ist, wie weit ein Vorbehalt gehen darf. Der BGH1 verlangt, dass zumindest eine den Erblasser bindende Verfügung enthalten sein muss, schließt den Totalvorbehalt also aus. In der Literatur wird z.T. die Auffassung vertreten, dass der Totalvorbehalt, also die Möglichkeit des Erblassers, sämtliche vertragsmäßigen Verfügungen zu beseitigen, möglich sein soll2. Diese Auffassung ist schon deswegen abzulehnen, weil hierdurch zum einen die Unterscheidung zwischen den anderen Testamentsformen und dem Erbvertrag aufgehoben wird. Zum anderen ist gerade für diese Rechtsfolge der Rücktrittsvorbehalt nach § 2293 BGB gesetzlich vorgesehen. Für den Rücktrittsvorbehalt sieht das Gesetz in den §§ 2293, 2296 Abs. 1, 2 BGB strenge Formvorschriften vor, die ins Leere laufen würden, wenn man dem Erblasser durch die Vereinbarung eines Totalvorbehalts die Möglichkeit ihrer Umgehung einräumen würde. Jeder Vorbehalt, der das Wesen des Erbvertrags jedoch nicht verändert, ist zulässig.

Beratungshinweis: Dem Erblasser kann durch eine vertragliche Regelung freigestellt werden, die Verteilung des Nachlasses unter den Abkömmlingen zu verändern, mit der gleichzeitigen Beschränkung, dass ausschließlich Abkömmlinge zu bedenken sind. 619

Der Erblasser kann sich vorbehalten, über einen bestimmten Bruchteil seines Vermögens oder einen bestimmten Gegenstand später anders zu verfügen. Auch kann der Erblasser, der in einem Erbvertrag mit seinem Ehegatten/Lebenspartner oder seinem Verlobten die Abkömmlinge vertragsmäßig zu Erben berufen hat, in einer späteren einseitigen Verfügung von Todes wegen die Erbquote der Abkömmlinge zugunsten des Ehepartners ändern, wenn er sich eine solche Anordnung vertraglich vorbehalten hat3.

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Der Vorbehalt ist Teil des Erbvertrags und muss in der Form des § 2276 BGB erfolgen4. Der Erblasser behält durch den Vorbehalt seine Testierfreiheit, soweit die Regelung reicht, da es grundsätzlich dem Willen der Parteien unterliegt, den Umfang der Bindung festzulegen.

621

Nicht erforderlich ist, dass der Vorbehalt im Erbvertrag ausdrücklich vereinbart wurde. Es genügt, wenn der Vorbehalt in irgendeiner Bestimmung des Erbvertrags wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck gekommen ist und dieser Bestimmung im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB entnommen werden kann, wie die Parteien den Vertrag übereinstimmend verstanden haben.

622

Die Auslegung obliegt im Streitfall den Gerichten der Tatsacheninstanz5. Entsprechend den Grundsätzen der ergänzenden Auslegung können bei der Auslegung auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden. 1 BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (208). 2 v. Lübtow, Bd. 1, S. 427; Lange/Kuchinke, § 25 VI 4. 3 BayObLG v. 29.6.1961 – BReg. 1Z 13/1961, BayObLGZ 1961, 207 (211); Staudinger/ Reimann, § 2289 Rz. 21. 4 BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204; OLG Köln v. 10.9.1993 – 2 Wx 34/93, MDR 1994, 71 = NJW-RR 1994, 651 (653); Palandt/Weidlich, § 2289 Rz. 8. 5 BayObLG v. 9.11.1995 – 1Z BR 31/95, FamRZ 1996, 898 (899). 226

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 628

Der Vorbehalt muss für seine Wirksamkeit jedoch eindeutig bestimmt sein. Es muss sich aus ihm ableiten lassen, welche Einschränkungen durch nachträgliche Verfügungen des Erblassers vollzogen werden können und welche Grenzen hierfür gelten1. Dies geschieht in Abgrenzung zur einseitigen Verfügung. Ist es dem Erblasser überlassen, in welchem Sinn und Umfang die vom Vorbehalt erfassten Verfügungen geändert werden dürfen, besteht für den Erblasser keine Bindung an diese Verfügungen und es handelt sich hierbei nicht um eine vertragsmäßige, sondern um eine einseitige Verfügung2.

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Beratungshinweis: Die Formulierung „Dem überlebenden Ehegatten/Lebenspartner steht das Recht zu, die Bestimmungen für den zweiten Todesfall abzuändern, wenn sich die Verhältnisse ändern“ gibt den für den zweiten Erbfall geltenden Anordnungen den Charakter einseitiger Verfügungen. Durch Auslegung kann man jedoch auch zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich hierbei um einen Rücktrittsvorbehalt i.S.v. §§ 2293, 2297 BGB handelt. Ist ein Vorbehalt unwirksam, beurteilt sich nach § 2085 BGB i.V.m. § 2279 Abs. 1 BGB, ob die Verfügung, auf die er sich bezieht, wirksam bleibt. Ist danach die Nichtigkeit der vertragsmäßigen Verfügung anzunehmen, führt das nach § 2298 Abs. 1, 2 S. 1 BGB zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags, wenn nicht die Vertragspartner einen anderen Willen hatten, was durch Auslegung zu ermitteln ist.

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b) Beseitigung durch Anfechtung, § 2281 BGB Die Anfechtung ist beim Erbvertrag in weiterem Umfang zugelassen als beim Testament. Beim Testament ist der Erblasser, obwohl Erklärender, im Gegensatz zu §§ 119, 123 BGB grundsätzlich nicht anfechtungsberechtigt, weil er sein Testament widerrufen und so Unklarheiten und Streit über die Wirksamkeit seiner Anfechtung ausschließen kann3. Anfechtungsberechtigt nach § 2080 BGB kann daher nur derjenige sein, welchem die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zustatten kommt, also ausschließlich ein Dritter. Beim Erbvertrag hat jedoch insbesondere der Erblasser selbst das Recht zur Anfechtung (§ 2281 BGB), während das Anfechtungsrecht für Dritte erschwert ist (§ 2285 BGB).

625

aa) Die Selbstanfechtung des Erblassers (1) Das Anfechtungsrecht des Erblassers Beim Erbvertrag (§ 2281 BGB) und beim gemeinschaftlichem Testament ist die Selbstanfechtung durch den Erblasser nach §§ 2281, 2282 und 2283 BGB möglich, soweit er seine Verfügungen nicht mehr einseitig widerrufen kann.

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Einseitige Verfügungen können vom Erblasser jederzeit und ohne Grund widerrufen (§§ 2299 Abs. 2, 2253, 2254, 2258 BGB) oder durch Aufhebungsvertrag mit dem Vertragspartner aufgehoben werden (§§ 2299 Abs. 2, 2290 BGB).

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Vertragsmäßige Verfügungen sind jedoch ab Vertragsschluss bindend, soweit der Rücktritt nicht vorbehalten wurde oder kein gesetzlicher Rücktrittsgrund vorliegt.

628

1 BGH v. 8.1.1958 – IV ZR 219/57, BGHZ 26, 204 (209). 2 MüKo.BGB/Musielak, § 2278 Rz. 23. 3 Schlüter, § 19 IV 1, Rz. 238. Esser

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B II 629

Rz. 629

Formen letztwilliger Verfügung

Sie können aber nach § 2281 Abs. 1 BGB vom Erblasser selbst angefochten werden, wenn Anfechtungsgründe i.S. der §§ 2278, 2279 BGB gegeben sind. Erblasser und damit Anfechtungsberechtigter i.S.d. § 2281 Abs. 1 BGB ist nur derjenige, der selbst vertragsmäßige Verfügungen trifft. Bei einem zweiseitigen Erbvertrag steht daher jedem Vertragspartner ein Anfechtungsrecht nach § 2281 BGB zu, jeweils aber nur bezüglich der eigenen Verfügungen. Die Unwirksamkeit der Verfügungen des anderen ergibt sich nach vollzogener Anfechtung aus § 2298 Abs. 1 BGB1. (2) Gründe der Anfechtung

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Hinsichtlich der Gründe für die Anfechtung eines Erbvertrags kann weitestgehend auf die Ausführungen unter s. Rz. 451 ff. verwiesen werden.

631

Der Tatbestand des § 2079 BGB (Anfechtung durch Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten) wird durch § 2281 Abs. 1, 2. Hs. BGB dahin gehend modifiziert, dass der Pflichtteilsberechtigte nur den Anfechtungszeitpunkt, nicht jedoch den Erbfall erleben muss. Fällt der Pflichtteilsberechtigte nach erfolgter Anfechtung weg, bleibt die Anfechtung dennoch wirksam2. Beispiel: Der Erblasser ficht einen Erbvertrag am 10.5.2014 wegen Übergehung seines Sohnes an. Am 30.6.2009 verstirbt der Sohn. Der Erblasser verstirbt am 28.8.2014. Die Anfechtung des Erbvertrags nach § 2281 Abs. 1 BGB bleibt dennoch wirksam. Ist die Anfechtung erfolgreich und hat der Erblasser vor seinem Versterben ein neues Testament errichtet, wird dieses wirksam.

632

Die Erweiterung des § 2079 BGB soll sicherstellen, dass der Erblasser durch Beseitigung der Bindungswirkung das Recht wiedererhält, die Verteilung seines Nachlasses neu zu ordnen, um hierbei auch den hinzugekommenen Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen. Zugleich wird dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit genommen, die Verfügung von Todes wegen anzufechten3.

633

Die Möglichkeit der Anfechtung schwächt die bindende Wirkung von Erbverträgen, und analog auch die gemeinschaftlicher Testamente, erheblich ab. Durch sie wird jedoch der wahre Wille des Erblassers geschützt, da nach erfolgter Anfechtung neue Verfügungen unbeschränkt getroffen werden können. Der Schutz der Willens- und Testierfreiheit des Erblassers ist Rechtfertigung der weitgehenden Anfechtungsmöglichkeit4.

634

Auch die Anfechtung wegen Motivirrtums (§ 2078 Abs. 1 BGB) ist nach § 2281 Abs. 1 BGB möglich, wodurch die Anfechtungsgründe mit denen bei der Testamentsanfechtung übereinstimmen und weit über die Anfechtung von Willenserklärungen nach den Regeln des allgemeinen Teils des BGB hinausgehen. Die Bindungswirkung vertragsmäßiger Verfügungen in Erbverträgen und wechselbezüglicher Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten steht von vorn1 2 3 4

MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 4. BGH v. 3.11.1969 – III ZR 52/69, NJW 1970, 279. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2281 Rz. 17. MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 7 f.; Nieder, Rz. 794.

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 638

herein unter einer clausula rebus sic stantibus und ist daher prinzipiell schwächer als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden1. Ebenso wie bei der Anfechtung einseitiger Verfügungen lässt die Rechtsprechung auch bei der Selbstanfechtung neben einer Enttäuschung über die positiven, wirklichen Vorstellungen des Erblassers, die Enttäuschung der sog. unbewussten, selbstverständlichen Vorstellungen zu. Für den Beweis unbewusster selbstverständlicher Vorstellungen genügt nach Auffassung des BGH2 nicht, von der Lebenserfahrung oder einem Anscheinsbeweis auszugehen. Maßgebend sollen, zum Schutz der grundsätzlichen Bindung des Erblassers an Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten, immer die besonderen Umstände des Einzelfalles sein3.

635

Beispiel: Zu den selbstverständlichen Erwartungen und unbewussten Vorstellungen zählen z.B. die Annahmen, die Währungs- und Wirtschaftsverhältnisse würden sich nicht wesentlich ändern, eine nichteheliche Lebensgemeinschaft werde auch in Zukunft weiter bestehen4, eine Nichte (Vermächtnisnehmerin) werde nicht versuchen, ihrem Sohn (dem Erben) das Leben zu nehmen5, der Bedachte werde nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Sekte den Nachlass einer vernünftigen Verwendung entziehen6.

Ein Anwendungsfall der Selbstanfechtung wegen Motivirrtums sind Störungen der Gegenleistung bei entgeltlichen Erbverträgen, so genannten Verpfründungsverträgen7.

635a

(3) Form und Frist der Anfechtung Der Erblasser kann seine Verfügungserklärung nur persönlich anfechten (§ 2282 Abs. 1 BGB). Der beschränkt geschäftsfähige Erblasser bedarf hierfür nicht der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter. Für einen geschäftsunfähigen Erblasser kann dagegen nur ein gesetzlicher Vertreter die Anfechtung der Verfügung erklären; steht der Erblasser unter elterlicher Sorge oder Vormundschaft, ist die Genehmigung des Familiengerichts erforderlich, ist der gesetzliche Vertreter ein Betreuer, die des Betreuungsgerichts, § 2282 Abs. 2 BGB.

636

Die Anfechtung nach §§ 2078 ff., 2281 BGB bedarf aus Gründen der Beweissicherung der notariellen Beurkundung, § 2282 Abs. 3 BGB.

637

Die Anfechtungsfrist beträgt ein Jahr, § 2082 Abs. 1 BGB. Die Anfechtungsfrist beginnt, wenn der Anfechtungsberechtigte vom Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt, oder, im Fall der Drohung, bei Beendigung der Zwangslage (§ 2283 Abs. 1, 2 BGB)8.

638

1 2 3 4 5 6 7 8

MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 8; Nolting, S. 93 f. BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412 (1413). Nolting, S. 82 f. RG, LZ 1923, 603. BGH, LM § 2205 Nr. 8 = FamRZ 1962, 256, 258. OLG München v. 13.1.1981 – 17 U 3742/80, NJW 1983, 2577. Stürzebecher, NJW 1988, 2717. BayObLG v. 3.12.1990 – BReg. 1a Z 70/88, NJW-RR 1991, 454 (455). Esser

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B II

Rz. 639

Formen letztwilliger Verfügung

639

Ist der Vertragspartner bereits vor Anfechtung der Verfügung verstorben, kann der Erblasser die zugunsten eines Dritten getroffene vertragsmäßige Verfügung nur noch durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht anfechten, § 2281 Abs. 3 BGB.

640

Das Anfechtungsrecht des Erblassers geht nicht auf seine Erben über. Soweit der Erblasser jedoch bei Eintritt des Erbfalls sein Anfechtungsrecht noch nicht verloren hat, entsteht es für die durch den Wegfall des vertragsmäßig Bedachten unmittelbar Begünstigten (§§ 2285, 2080 ff. BGB). (4) Folgen der Anfechtung

641

Wird ein anfechtbarer Erbvertrag oder eine anfechtbare einzelne Verfügung in ihm form- und fristgerecht angefochten, ist der Erbvertrag oder die einzelne Verfügung nach § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Ob diese Nichtigkeit auch andere, mit dem Erbvertrag verbundene Verträge erfasst, entscheidet sich nach dem Willen der Vertragschließenden1.

642

Auch bei Erbverträgen gilt, dass die ergänzende Auslegung der Anfechtung stets vorgeht und daher zunächst zu prüfen ist, ob nicht mit ihren Mitteln dem Willen des Erblassers Geltung verschafft werden kann.

643

Ein Schadenersatzanspruch bei Anfechtung des Erbvertrags durch Dritte ist nach § 2078 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Umstritten ist, ob dies auch bei einer Selbstanfechtung durch den Erblasser gelten soll. Nach einer Ansicht2 soll der Vertragspartner den Ersatz seines Vertrauensschadens verlangen können. Dieser Auffassung steht eine andere Ansicht entgegen, die sich auf die ausdrückliche Verweisung in §§ 2279 Abs. 1, 2281 BGB auf § 2078 Abs. 3 BGB stützt3. Entscheidend scheint jedoch zu sein, dass der durch Erbvertrag Bedachte keine Erbanwartschaft, sondern eine bloße Erbaussicht erlangt und daher auch kein Vertrauensschaden geltend gemacht werden kann4.

644

Der Erblasser kann die anfechtbare Verfügung durch eine formlose (§ 144 Abs. 2 BGB), nicht empfangsbedürftige Erklärung bestätigen5. Die Bestätigung kann nur durch den Erblasser persönlich erfolgen (§ 2284 S. 1 BGB) und setzt seine volle Geschäftsfähigkeit voraus (§ 2284 S. 2 BGB). bb) Anfechtung durch Dritte bei Erbverträgen, § 2285 BGB

645

§ 2285 BGB gilt nur für vertragsmäßige Verfügungen i.S.d. § 2278 Abs. 2 BGB, nicht jedoch für einseitige Verfügungen.

646

Durch § 2285 BGB wird das Anfechtungsrecht Dritter von dem des Erblassers abhängig gemacht. Es bleibt durch § 2285 BGB die Entscheidung des Erblassers, ob 1 MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 18. 2 Palandt/Weidlich, § 2281 Rz. 10; Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 37; Soergel/Wolf, § 2281 Rz. 6. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 2078 Rz. 50; MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 21; Veit, NJW 1993, 1556. 4 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2281 Rz. 49. 5 Palandt/Weidlich, § 2284 Rz. 2. 230

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 652

er von seinem höchstpersönlichen Recht der Anfechtung seiner Verfügung von Todes wegen, aus Gründen, die ihm zu Lebzeiten bekannt geworden sind, Gebrauch machen möchte, oder nicht1. Bestätigt der Erblasser (§ 2084 BGB) hingegen den anfechtbaren Erbvertrag oder lässt er die Ausschlagungsfrist verstreichen (§ 2283 BGB), ist er weiter an ihn gebunden und die Mängel des Erbvertrags werden, auch mit Wirkung gegenüber den anfechtungsberechtigten Dritten, geheilt2. Ist das Anfechtungsrecht des Erblassers nicht durch Bestätigung (§ 2284 BGB), Fristversäumnis (§ 2283 BGB), Verzicht oder rechtsmissbräuchliches Herbeiführen des Anfechtungsgrundes durch den Erblasser erloschen, entsteht es für den Dritten mit dem Tod des Erblassers und richtet sich grundsätzlich nach Testamentsrecht3. Anfechtungsberechtigt sind auch andere Vertragschließende (Vertragsgegner), wenn sie selbst Begünstigte i.S.d. § 2080 Abs. 1 sind.

647

Die Anfechtung einer vertragsmäßigen Erbeinsetzung und einer Auflage ist durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht vorzunehmen (§ 2081 Abs. 1, 3 BGB)4. Die Anfechtung einer vertragsmäßigen Verfügung anderer Art, insbesondere bei Vermächtnissen, richtet sich gegen denjenigen, der durch die Verfügung unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat, also den Bedachten oder Begünstigten, nicht jedoch den Vertragsgegner oder dessen Erben5.

648

Die Anfechtung bedarf keiner besonderer Form. § 2282 Abs. 3 BGB gilt nur für die Anfechtung durch den Erblasser6.

649

Die Anfechtungsfrist für Dritte bemisst sich nach § 2082 BGB i.V.m. § 2279 BGB, nicht nach § 2283 BGB, der nur für die Anfechtung durch den Erblasser gilt7. Sie beginnt mit dem Eintritt des Erbfalls neu zu laufen, auch wenn sie für den Erblasser bereits zum Teil verstrichen war8. Bei Fristablauf für den Erblasser ist auch das Anfechtungsrecht des Dritten erloschen.

650

War der Erblasser aus mehreren Gründen zur Anfechtung berechtigt, so kann das Anfechtungsrecht aus dem einen Grund vor Eintritt des Erbfalls bereits erloschen sein, während es aus dem anderen Grunde zur Zeit des Erbfalls noch fortbesteht. Der Dritte kann dann auch nur aufgrund des zweiten Anfechtungsgrundes ein Anfechtungsrecht geltend machen9.

651

Wurde gegen den Erblasser rechtskräftig festgestellt, dass ein von ihm geltend gemachtes Anfechtungsrecht nicht besteht, ist das Anfechtungsrecht i.S.v. § 2285 BGB nach der herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie10 nicht erloschen11.

652

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

MüKo.BGB/Musielak, § 2285 Rz. 1. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2285 Rz. 1. Palandt/Weidlich, § 2285 Rz. 1. Staudinger/Kanzleiter, § 2285 Rz. 3. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2285 Rz. 4. Palandt/Weidlich, § 2282 Rz. 2. BGH v. 3.11.1969 – III ZR 52/67, DNotZ 1970, 167. MüKo.BGB/Musielak, § 2285 Rz. 3. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2285 Rz. 5. Zöller/Vollkommer, Vor § 322 ZPO Rz. 17 ff. Erman/Kappler/Kappler, § 2285 BGB Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2285 Rz. 2; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2285 Rz. 7. Esser

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B II

Rz. 653

Formen letztwilliger Verfügung

Der Dritte kann daher auch auf denselben Sachverhalt gestützt seine Anfechtung des Erbvertrags erklären1. 653

Bei einseitigen Verfügungen ist § 2285 BGB nicht anwendbar, da auch der Erblasser (aufgrund seines unbeschränkten Widerrufsrechts) einseitige Verfügungen nicht anfechten kann. Für Dritte gelten hier die §§ 2078 ff. BGB unmittelbar. c) Beschränkung in guter Absicht, § 2289 Abs. 2 BGB

654

Der Erblasser kann den Erwerb eines durch Vertrag bedachten pflichtteilsberechtigten Abkömmlings nach § 2289 Abs. 2 BGB einseitig beschränken, wenn infolge einer regelrechten Verschwendungssucht oder einer erheblichen Überschuldung des Bedachten das Erbe erheblich gefährdet ist. Der Erblasser kann hier durch Anordnung einer Nacherbschaft oder eines Nachvermächtnisses zugunsten der gesetzlichen Erben des Abkömmlings eine Beschränkung des pflichtteilsberechtigten Vertragserben herbeiführen. Auch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung ist denkbar. § 2289 Abs. 2 BGB stellt daher eine weitere Ausnahme von der Bindungswirkung des Erbvertrags dar. 8. Aufhebung und Rücktritt beim Erbvertrag a) Die Aufhebung des Erbvertrags durch die Vertragsparteien

655

Durch die Bindungswirkung der vertragsmäßigen Verfügungen wird der Vertragspartner vor der einseitigen Veränderung der Anordnungen durch den Erblasser geschützt. Die übereinstimmende Aufhebung der vertragsmäßigen Verfügung durch beide Vertragsparteien ist jedoch möglich. Ist in einer vertragsmäßigen Verfügung ein Dritter bedacht, ist dessen Zustimmung zur Aufhebung nicht erforderlich. aa) Aufhebung durch Vertrag, § 2290 BGB

656

Die Vertragsparteien können den Erbvertrag durch einen gegenläufigen Vertrag („actus contrarius“), einen Aufhebungsvertrag i.S.v. § 2290 BGB, aufheben. Da der Aufhebungsvertrag der Wiedererlangung der Testierfreiheit dient, kann der Erblasser nach § 2302 BGB nicht wirksam auf sein Recht der Vertragsaufhebung verzichten2.

657

Gegenstand des Aufhebungsvertrags können sowohl der Erbvertrag im Ganzen als auch einzelne, in ihm enthaltene, vertragsmäßige Verfügungen sein3. Eine vertragsmäßige Verfügung, durch die ein Vermächtnis oder eine Auflage angeordnet ist, kann vom Erblasser auch durch Testament aufgehoben werden, wenn der andere Vertragschließende dem zustimmt, § 2291 Abs. 1 S. 1 BGB. Einseitige Verfügungen des Erblassers können wahlweise einseitig nach § 2299 Abs. 2 BGB oder durch Vertrag gemeinsam mit vertragsmäßigen Verfügungen aufgehoben werden, § 2299 Abs. 2 S. 2 BGB.

1 MüKo.BGB/Musielak, § 2285 Rz. 6 m.w.N. 2 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2290 Rz. 4. 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2290 Rz. 2. 232

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 664

Ein von Ehegatten abgeschlossener Vertrag kann auch durch ein gemeinschaftliches Testament (s. Rz. 679 ff.) der Vertragschließenden nach § 2292 BGB aufgehoben werden.

658

Vertragspartner des Aufhebungsvertrags können nur die Personen sein, die den Erbvertrag geschlossen haben, § 2290 Abs. 1 S. 1 BGB. Bei einem mehrseitigen Erbvertrag ist der Erblasser im Zweifel gegenüber sämtlichen Ver-tragspartnern gebunden, so dass ein Aufhebungsvertrag nur unter Mitwirkung aller Vertragsparteien geschlossen werden kann.

659

Nach dem Tod eines Vertragspartners ist die Aufhebung des Vertrags nicht mehr möglich, § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB. Stirbt der durch den Erbvertrag Bedachte vor dem Erblasser, tritt insoweit wieder Testierfreiheit ein, wenn von den Vertragspartnern keine Ersatzberufung vereinbart wurde1. Ist die Aufhebung des Vertrags aufgrund des Todes eines Vertragspartners nicht mehr möglich, kann der Erblasser die Bindungswirkung des Erbvertrags nur noch durch Anfechtung nach § 2281 Abs. 2 oder durch Rücktritt nach § 2297 BGB beseitigen.

660

Der im Erbvertrag bedachte Dritte, der nicht Vertragspartner ist, hat kein Recht zur Mitwirkung am Aufhebungsvertrag2, auch nicht soweit die Aufhebung der zu seinen Gunsten geschlossenen vertragsmäßigen Verfügungen geregelt wird. Mit dem Dritten kann lediglich ein Erbverzichtsvertrag nach § 2352 S. 2 BGB geschlossen werden. Dritter kann hier auch derjenige sein, der bei Abschluss des Erbvertrags mitgewirkt hat.

661

Beispiel: Ehegatten setzten ihre Kinder als Erben des Überlebenden ein, § 2280 BGB. Die Kinder sind Dritte, soweit es sich um ihre Erbeinsetzung handelt. Auch nach dem Tod eines Elternteils kann daher mit ihnen ein Erbverzichtsvertrag geschlossen werden, selbst wenn sie den Erbvertrag mit unterzeichnet haben.

Verhindert der Dritte arglistig die Aufhebung des Vertrags, muss er sich so behandeln lassen, als sei sie erfolgt3.

662

Mit dem bedachten Vertragspartner kann kein Erbverzichtsvertrag geschlossen werden. Das Gesetz sieht hierfür die Möglichkeit des Aufhebungsvertrags vor, der den strengeren Formvorschriften unterliegt4.

663

Der Erblasser kann den Aufhebungsvertrag nur persönlich schließen, § 2290 Abs. 2 S. 1 BGB. Er muss den Vertrag in allen Teilen selbst schließen und kann sich nicht eines Vertreters oder eines Boten bedienen5. In einem Prozessvergleich kann ein Aufhebungsvertrag nur geschlossen werden, wenn der Erblasser persönlich anwesend ist6. Im Anwaltsprozess müssen die notwendigen Erklä-

664

1 2 3 4 5 6

Soergel/Wolf, § 2290 Rz. 8. Staudinger/Kanzleiter, § 2290 Rz. 8; Kipp/Coing, § 39 I 4. Palandt/Weidlich, § 2290 Rz. 2. MüKo.BGB/Musielak, § 2290 Rz. 5. MüKo.BGB/Musielak, § 2290 Rz. 6. Soergel/Wolf, § 2290 Rz. 5, ebenso bei einem gemeinschaftlichen Testament, geschlossen bei Anwesenheit der Ehegatten im Termin, vgl. OLG Bremen v. 1.8.2012 – 5 W 18/12, FamRZ 2013, 661 = DNotI-Report 2012, 178. Esser

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B II

Rz. 665

Formen letztwilliger Verfügung

rungen daher sowohl vom Erblasser selbst als auch von seinem Anwalt abgegeben werden. 665

Der geschäftsunfähige Vertragspartner bedarf zur Aufhebung des Erbvertrags der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter. Der in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkte Erblasser kann den Aufhebungsvertrag selbstständig, ohne Mitwirkung oder Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters und ohne familiengerichtliche Genehmigung schließen, da er durch diesen von seiner erbrechtlichen Bindung befreit wird1. Ist für den Erblasser ein Betreuer bestellt worden, bedarf der betreute Erblasser nach § 1903 Abs. 2 BGB auch dann nicht der Einwilligung seines Betreuers zum Abschluss des Aufhebungsvertrags, wenn ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden ist.

666

Nach § 2290 Abs. 4 BGB bedarf der Aufhebungsvertrag der für den Erbvertrag in § 2276 BGB vorgeschriebenen Form. Er muss zur Niederschrift eines Notars bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Parteien geschlossen werden. Wird ein Aufhebungsvertrag über einen Erbvertrag zwischen Ehegatten oder Verlobten geschlossen und war der Erbvertrag mit einem Ehevertrag in derselben Urkunde verbunden, so genügt die Form des Ehevertrags, § 2276 Abs. 2 BGB, §§ 1408, 1410 BGB.

667

Schließen die Parteien, zwischen denen bereits ein Erbvertrag besteht, einen neuen Erbvertrag, der dem bisherigen widerspricht, ist § 2258 BGB zwar nicht anwendbar, den zweiten Erbvertrag wird man jedoch zugleich als Aufhebungsvertrag des ersten i.S.v. § 2290 BGB ansehen können2.

668

Der Aufhebungsvertrag bewirkt, dass der aufgehobene Erbvertrag oder die aufgehobenen vertragsmäßigen Verfügungen außer Kraft treten. Verliert der gesamte Erbvertrag durch Aufhebungsvertrag seine Wirksamkeit, so sind hiervon im Zweifel auch die einseitigen Verfügungen der Vertragsparteien betroffen, § 2290 Abs. 3 BGB. Werden nur einzelne vertragsmäßige Verfügungen aufgehoben, bleiben die übrigen bestehen.

669

Der Aufhebungsvertrag kann seinerseits durch Vertrag aufgehoben werden. Hierdurch werden die ursprünglichen vertragsmäßigen Verfügungen wieder in Kraft gesetzt3.

670

Die Anfechtung des Aufhebungsvertrags kann durch den nicht vertragschließenden Dritten nur nach §§ 119 ff. BGB erfolgen. Der Erblasser kann den Aufhebungsvertrag entsprechend § 2281 BGB anfechten4. Auch die Beseitigung des Aufhebungsvertrags durch Anfechtung stellt den Erbvertrag wieder her, §§ 2257, 2279 Abs. 1 BGB.

1 2 3 4

Dittmann/Reimann/Bengel, § 2290 Rz. 17. MüKo.BGB/Musielak, § 2290 Rz. 7. Staudinger/Kanzleiter, § 2290 Rz. 19; Palandt/Weidlich, § 2290 Rz. 4. Palandt/Weidlich, § 2290 Rz. 4; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2290 Rz. 9, der zunächst entsprechende Anwendung der §§ 2281 ff. i.V.m. §§ 2078 ff. annimmt und nur, soweit sich ein Anfechtungsrecht hieraus nicht ergibt, die §§ 119 ff. anwenden will.

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 677

bb) Aufhebung durch Testament, § 2291 BGB Einzelne vertragsmäßige Verfügungen, durch die ein Vermächtnis oder eine Auflage vertragsmäßig angeordnet worden sind, können in der vereinfachten Form des § 2291 BGB durch Testament aufgehoben werden, nicht jedoch die Erbeinsetzung.

671

Das Aufhebungstestament i.S.d. § 2291 BGB ist der Form nach ein Testament, für das die Bestimmungen des Widerrufstestaments (§ 2254 BGB) gelten. Strittig ist, ob es nach seiner Rechtsnatur ein Vertrag ist. Zum Teil1 wird die Ansicht vertreten, dass das notwendige Zusammenwirken der Parteien, die Zustimmung des Vertragsgegners zur Aufhebung, für einen Vertragstypus sprechen. Nach anderer Ansicht2 ist das Aufhebungstestament die einseitige Anordnung des Erblassers und die Zustimmung nur eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, von der die Wirksamkeit des Testaments abhängt3.

672

Das Aufhebungstestament kann in jeder zulässigen Testamentsform, also auch als Not- oder Seetestament, errichtet werden, wenn die entsprechend geltenden Voraussetzungen erfüllt sind. Durch das Aufhebungstestament kann die vertragsmäßige Verfügung entweder ausdrücklich widerrufen werden oder mittelbar durch neue widersprechende Verfügungen4.

673

Voraussetzung für die Wirksamkeit des Aufhebungstestaments ist, dass der andere Vertragspartner ihm zustimmt, § 2291 Abs. 1 S. 2 BGB. Der Vertragspartner kann seine Zustimmung vorher erteilen (Einwilligung) oder nach Errichtung des Testaments (Genehmigung)5.

674

Die Zustimmung ist kein höchstpersönliches Recht und kann daher auch durch einen Vertreter erklärt werden. Für den Geschäftsunfähigen oder den in seiner Geschäftsfähigkeit Beschränkten gilt dasselbe wie beim Aufhebungsvertrag (s. Rz. 665). Die Zustimmung zur Aufhebung eines vertragsmäßigen Vermächtnisses oder einer Auflage kann auch schon im Voraus im Erbvertrag erklärt werden6. Nach dem Tod des Vertragspartners kann die Zustimmung nicht mehr erteilt werden, insbesondere auch nicht von seinen Erben7.

675

Die Zustimmungserklärung des Vertragspartners bedarf der notariellen Beurkundung, § 2291 Abs. 2, 1. Halbs. BGB. Sie ist, einmal erklärt, unwiderruflich, § 2291 Abs. 2, 2. Hs. BGB. Sie kann auch nicht bis zur Errichtung des Aufhebungstestaments widerrufen werden8.

676

Die wirksame Aufhebung beseitigt nur die sie betreffende vertragsmäßige Verfügung. Als mittelbare Folge kann hierdurch auch eine vertragsmäßige Erbeinsetzung wegfallen. Daraus kann die Unzulässigkeit des Aufhebungstestaments

677

1 2 3 4 5 6 7 8

Palandt/Weidlich, § 2291 Rz. 1; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2291 Rz. 2. MüKo.BGB/Musielak, § 2291 Rz. 2. Staudinger/Kanzleiter, § 2291 Rz. 3. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2291 Rz. 3. Kipp/Coing, § 39 II. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2291 Rz. 6. Palandt/Weidlich, § 2291 Rz. 2. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2291 Rz. 11. Esser

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B II

Rz. 678

Formen letztwilliger Verfügung

jedoch nicht hergeleitet werden1, da § 2291 BGB nur die bewusste, unmittelbare Aufhebung der vertragsmäßigen Erbeinsetzung ausschließt. Ansonsten wäre die Anwendbarkeit des § 2291 BGB erheblich eingeschränkt und kaum mehr von praktischer Relevanz. 678

Das Aufhebungstestament kann durch den Erblasser nach den §§ 2253 ff. BGB bis zur Zustimmung des Vertragspartners widerrufen werden. Hierdurch wird die vertragsmäßige Verfügung wieder wirksam. Nach Erteilung der Zustimmung kann das Aufhebungstestament nur mit der Zustimmung des anderen Vertragschließenden und in der Form des § 2291 Abs. 2 BGB widerrufen werden. cc) Aufhebung durch gemeinschaftliches Testament, § 2292 BGB

679

Ein von Ehegatten/Lebenspartnern geschlossener Erbvertrag kann durch ein gemeinschaftliches Testament ganz oder teilweise wieder aufgehoben werden. Die Vorschrift des § 2292 BGB ist nur anwendbar, wenn die Vertragspartner bereits bei Abschluss des Erbvertrags miteinander verheiratet gewesen sind bzw. eine eingetragene Lebenspartnerschaft vorlag. Nach h.M. ist die Vorschrift aber auch anzuwenden, wenn die Vertragschließenden bei Abschluss des Erbvertrags miteinander verlobt, zur Zeit der Aufhebung aber miteinander verheiratet gewesen waren2. § 2292 BGB soll auch dann angewendet werden, wenn die Beteiligten bei Abschluss des Erbvertrags noch nicht in familienrechtlicher Beziehung zueinander standen, sie jedoch bei Errichtung des gemeinschaftlichen Aufhebungstestaments Ehegatten/Lebenspartner sind3.

680

Das gemeinschaftliche Ehegatten-/Lebenspartnertestament kann in jeder der in den §§ 2265 ff. BGB mit §§ 2231 bis 2233, 2247, 2249 ff. BGB zugelassenen Formen errichtet werden, also als ordentliches öffentliches, privates (eigenhändiges) Testament oder als Nottestament.

681

Beide Ehegatten/Lebenspartner müssen testierfähig sein, wenn sie beide als Vertragserblasser handeln und ihre vertragsmäßigen Verfügungen aufheben4. Für den Ehegatten/Lebenspartner, der im Erbvertrag nicht Erblasser gewesen ist, gilt durch die Verweisung in § 2292, 2. Hs. BGB auf § 2290 Abs. 3 BGB, dass der beschränkt Geschäftsfähige der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter und gegebenenfalls auch der Genehmigung durch das Familien- oder Betreuungsgericht bedarf5. Die nachträgliche Genehmigung nach Erlangen der Geschäftsfähigkeit behebt den Mangel, aber nur solange der andere Vertragschließende lebt6.

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Ein minderjähriger Erblasser kann nur durch ein öffentliches Aufhebungstestament die Wirkung des Erbvertrags beseitigen, § 2247 Abs. 4 BGB. 1 Soergel/Wolf, § 2290 Rz. 9; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2291 Rz. 12. 2 BayObLG v. 6.11.1995 – 1Z BR 56/95, FamRZ 1996, 566 = BayObLGZ 1995, 383 (386) = NJW-RR 1996, 457. 3 BayObLG v. 6.11.1995 – 1Z BR 56/95, FamRZ 1996, 566 = BayObLGZ 1995, 383 (386) = NJW-RR 1996, 457; Palandt/Edenhofer, § 2292 Rz. 1; MüKo.BGB/Musielak, § 2292 Rz. 2. 4 BayObLG v. 6.11.1995 – 1Z BR 56/95, FamRZ 1996, 566 = BayObLGZ 1995, 383 (386) = NJW-RR 1996, 457. 5 Palandt/Weidlich, § 2292 Rz. 2. 6 MüKo.BGB/Musielak, § 2292 Rz. 3. 236

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 690

Der Erbvertrag wird nicht durch einseitigen Widerruf des Aufhebungstestaments wieder wirksam. Durch einen neuen Erbvertrag, einen Vertrag nach § 2290 BGB oder ein neues gemeinschaftliches Testament kann die Wirkung des gemeinschaftlichen Aufhebungstestaments jedoch beseitigt werden1.

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b) Der Rücktritt vom Erbvertrag Der Vertragserblasser kann sich einseitig, ohne Zustimmung des Vertragspartners, von der Bindung des Erbvertrags lösen, wenn ihm im Erbvertrag ein Rücktrittsrecht nach § 2293 BGB vorbehalten ist oder gesetzliche Rücktrittsrechte nach §§ 2294 ff. BGB eingreifen. Im Gegensatz zur Anfechtung nach § 2281 BGB, die den Erbvertrag entsprechend § 142 BGB rückwirkend von Anfang an nichtig macht, wirkt der Rücktritt nur für die Zukunft.

684

aa) Der Rücktrittsvorbehalt, § 2293 BGB Der Vorbehalt muss im Erbvertrag selbst oder in einem Nachtrag zum Erbvertrag enthalten sein. Er unterliegt dem Willen der Parteien und kann für den ganzen Erbvertrag oder nur für einzelne vertragsmäßige Verfügungen, unbeschränkt oder auf bestimmte Fälle beschränkt, bedingt oder befristet erklärt werden2.

685

Ist der Vorbehalt in einem Nachtrag zum Vertrag erklärt worden, gilt hierfür § 2290 Abs. 2, 3 BGB, nicht § 2275 BGB, so dass auch ein beschränkt geschäftsfähiger Erblasser den Nachtrag ohne Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter abschließen kann3.

686

Hat sich der Erblasser ein Rücktrittsrecht vorbehalten, sichert es nur ihm persönlich das Recht zu, durch einseitige Erklärung seine vertragsmäßigen Verfügungen außer Kraft zu setzen. Seinen Erben steht dieses Recht nicht zu.

687

Dem Erblasser steht es frei, von dem Erbvertrag oder der vertragsmäßigen Verfügung ganz oder nur teilweise zurückzutreten. Die Ausübung des Rücktrittsrecht bedarf der Form des § 2296 Abs. 2 BGB (zu Lebzeiten des Vertragspartners) oder des § 2297 BGB (nach dem Tod des Vertragspartners).

688

Beim gegenseitigen Erbvertrag bestimmt sich die Form nach § 2298 Abs. 2 S. 2, 3 BGB. Danach erlischt das Rücktrittsrecht mit dem Tod des anderen Vertragserblassers. Der Überlebende kann jedoch, wenn er das ihm durch Vertrag Zugewendete ausschlägt, seine Verfügung durch Testament aufheben.

689

Der Rücktritt kann, da es sich um ein Gestaltungsrecht handelt, nicht unter einer Bedingung erklärt werden4. Hat sich der Erblasser den Rücktritt für den Fall vorbehalten, dass der Vertragspartner einer Pflicht (z.B. zur Pflege) nicht nachkommt, so kann der Grundsatz von Treu und Glauben es erfordern, dass der Rücktritt erst nach einer erfolglosen Abmahnung zulässig ist5.

690

1 2 3 4

Palandt/Weidlich, § 2292 Rz. 3. Palandt/Weidlich, § 2293 Rz. 2. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2293 Rz. 9. BGH v. 21.3.1986 – V ZR 23/85, BGHZ 97, 264 (267) = MDR 1986, 835 = FamRZ 1986, 969. 5 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2293 Rz. 17; Palandt/Weidlich, § 2293 Rz. 3. Esser

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237

B II

Rz. 691

Formen letztwilliger Verfügung

691

Der Rücktritt wirkt nach h.M. soweit der Vorbehalt reicht, und beseitigt die davon betroffenen vertragsmäßigen Verfügungen des Ausübenden. Bei einem Rücktritt vom ganzen Erbvertrag treten im Zweifel auch die einseitigen Verfügungen, die in einem Erbvertrag enthalten sind, außer Kraft, § 2299 Abs. 3 BGB.

692

Der einmal erklärte Rücktritt ist grundsätzlich unwiderruflich. Der erklärte Rücktritt kann nur im Falle der Ausübung nach § 2297 BGB (durch Testament) widerrufen werden. In diesem Falle tritt die frühere vertragsgemäße Verfügung wieder in Kraft.

693

Sind bei Eheleuten/Lebenspartnern Erb- und Ehevertrag in einer gemeinsamen Urkunde miteinander verbunden, kann jeder Ehegatte/Lebenspartner unter den Voraussetzungen der §§ 2293 ff. BGB von den im Erbvertrag getroffenen vertragsmäßigen Verfügungen zurücktreten, ohne dass hiervon die weitere Geltung des Ehevertrags betroffen ist1. bb) Die gesetzlichen Rücktrittsrechte

694

Ein gesetzliches Rücktrittsrecht wird dem Vertragserblasser nach § 2294 BGB und § 2295 BGB eingeräumt. (1) Der Rücktritt nach § 2294 BGB

695

Nach § 2294 BGB hat der Erblasser ein Rücktrittsrecht, wenn aufgrund von Verfehlungen des Bedachten dem Erblasser ein Festhalten an dem Erbvertrag nicht zugemutet werden kann und der Bedachte wegen seines Verhaltens auch keiner „Belohnung“ bedarf2. Der Bedachte kann dabei sowohl Vertragspartner, als auch unbeteiligter Dritter sein. Die Verfehlungen des § 2294 BGB entsprechen den in den §§ 2333 bis 2335 BGB genannten Pflichtteilsentziehungsgründen. Hinsichtlich der Erheblichkeit der Rücktrittsgründe wird nach der Person des Bedachten unterschieden.

696

Für beachtenswerte Verfehlungen von Abkömmlingen gilt § 2333 BGB. Eine schwere vorsätzliche Verfehlung ist dann anzunehmen, wenn sie nach ihrer Natur und nach der Begehungsweise eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zum Ausdruck bringt und deswegen eine besondere Kränkung des Erblassers bedeutet3. Für Verfehlungen von Eltern gegenüber dem Erblasser findet § 2334 BGB Anwendung. Verfehlungen des Ehegatten/Lebenspartners des Erblassers werden entsprechend § 2335 BGB beurteilt. Für nicht pflichtteilsberechtigte Bedachte wird § 2333 BGB herangezogen, da diese insoweit den Abkömmlingen gleichgestellt werden.

697

Nur Verfehlungen, die nach dem Abschluss eines Erbvertrags begangen worden sind, berechtigten den Vertragserblasser zum Rücktritt. Frühere Verfehlungen des Bedachten, die dem Erblasser bekannt gewesen sind, sind unbeachtlich. Waren sie dem Erblasser nicht bekannt, können sie die Anfechtung des Erbvertrags nach § 2078 Abs. 2 BGB, §§ 2281 ff. BGB begründen, nicht aber einen Rücktritt. 1 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2293 Rz. 24. 2 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2294 Rz. 1. 3 BGH v. 29.5.1985 – IVa ZR 248/83, MDR 1986, 208 = FamRZ 1985, 919 = NJW-RR 1986, 371 (372). 238

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 703

Unerheblich ist, wenn sich der Bedachte nach Erklärung des Rücktritts, aber vor Eintritt des Erbfalls „bessert“, da § 2336 Abs. 4 BGB nicht anwendbar sind. Hat der Erblasser dem Bedachten seine Verfehlung verziehen, kann er vom Vertrag aus diesem Grunde nicht mehr zurücktreten. Ein zu Recht erklärter Rücktritt wird durch nachträgliche Verzeihung jedoch nicht berührt1.

698

Das Rücktrittsrecht nach § 2294 BGB steht nur dem Erblasser zu, nicht dem Vertragspartner, und geht nach dem Tod nicht auf die Erben über. Im Voraus kann auf das gesetzliche Rücktrittsrecht nicht verzichtet werden2. Die Angabe des Rücktrittsgrundes ist zu Lebzeiten des Erblassers keine Wirksamkeitsvoraussetzung, jedoch aus Gründen der Streitvermeidung, insbesondere nach seinem Tod, empfehlenswert3.

699

Mit der Rücktrittserklärung wird die vom Rücktritt erfasste vertragsmäßige Verfügung unwirksam. Der wirksam erklärte Rücktritt kann grundsätzlich nicht widerrufen werden. Weder eine nachträgliche Besserung des Bedachten noch eine nachträgliche Verzeihung durch den Erblasser beseitigen die Wirkung des Rücktritts4.

700

(2) Der Rücktritt nach § 2295 BGB Bei einem sog. entgeltlichen Erbvertrag, also wenn ein Erbvertrag mit einem anderen Vertrag verbunden ist, kann der Vertragserblasser nach § 2295 BGB von einzelnen vertragsmäßigen Verfügungen oder dem ganzen Erbvertrag zurücktreten, wenn die Verpflichtung zur Leistung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wurde.

701

Voraussetzung ist, dass der andere Vertragschließende eine wiederkehrende Leistung, z.B. Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Erblasser, übernommen hat5. Die Pflicht zu dieser Leistung muss sich aus einem Rechtsgeschäft ergeben, d.h. eine gesetzliche Pflicht (z.B. eine gesetzliche Unterhaltspflicht) reicht hierfür nicht aus6. Die Leistungspflicht muss weder in einer mit dem Erbvertrag verbundenen Urkunde übernommen worden sein noch müssen beide Verträge eine rechtliche Einheit bilden7. Ist der Bestand der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung, auch stillschweigend, zur Bedingung für die Wirksamkeit des Erbvertrags gemacht worden, führt die Aufhebung der Verpflichtung automatisch nach § 158 Abs. 2 BGB zur Unwirksamkeit des Erbvertrags, so dass für die Anwendung des § 2295 BGB kein Raum bleibt8.

702

Der Zusammenhang zwischen dem Erbvertrag und dem Rechtsgeschäft wird durch den vom Erblasser verfolgten Zweck hergestellt. Nur wenn diese innere, durch die subjektive Einstellung des Erblassers geschaffene Verbindung zwi-

703

1 2 3 4 5 6 7 8

Dittmann/Reimann/Bengel, § 2294 Rz. 6. Staudinger/Kanzleiter, § 2294 Rz. 7. MüKo.BGB/Musielak, § 2294 Rz. 4. MüKo.BGB/Musielak, § 2294 Rz. 5. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2295 Rz. 1. Erman/Kappler/Kappler, § 2295 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 2295 Rz. 2. Erman/Kappler/Kappler, § 2295 Rz. 3; Soergel/Wolf, § 2295 Rz. 1. Esser

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239

B II

Rz. 704

Formen letztwilliger Verfügung

schen einer vertragsmäßigen Verfügung und der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung des Bedachten besteht, kann sich ein Rücktrittsrecht nach § 2295 BGB ergeben1. Der Bedachte muss den Zusammenhang kennen, aber nicht ausdrücklich zustimmen. 704

Die Verpflichtung des Bedachten muss zu Lebzeiten des Erblassers aufgehoben worden sein. Dem Aufheben der Verpflichtung steht der nachträgliche Wegfall, bspw. durch Rücktritt, Bedingungseintritt, nachträgliche Unmöglichkeit oder Kündigung aus wichtigem Grund, gleich2.

705

Schlechterfüllung, Verzug oder Nichterfüllung berechtigten den Erblasser nicht zum Rücktritt nach § 2295 BGB, da die Verpflichtung zur Leistung unverändert besteht. In diesem Fall kann eine Anfechtung nach § 2078 BGB i.V.m. § 2281 BGB möglich sein, wenn nicht die vertragsmäßige Zuwendung des Erblassers durch die korrekte Erfüllung der Leistungspflicht durch den Bedachten auflösend bedingt ist3.

706

Nur eine bestehende Verpflichtung kann aufgehoben werden. War die Verpflichtung, durch die das Rechtsgeschäft begründet worden ist, nichtig, kann § 2295 BGB nicht angewendet werden. Das gesetzliche Rücktrittsrecht nach § 2295 BGB steht allein dem Erblasser zu. Ein formnichtiges Vertragsangebot zur Aufhebung eines Erbvertrags kann in die Erklärung des Rücktritts nach § 2295 BGB umgedeutet werden4.

707

Das Rücktrittsrecht des § 2295 BGB ist auf die vertragsmäßige Verfügung beschränkt, die der Erblaser mit Rücksicht auf die rechtsgeschäftliche Verfügung getroffen hat5. Enthält der Erbvertrag daneben noch andere vertragsmäßige Verfügungen, beurteilt sich deren Wirksamkeit nach den §§ 2085, 2279 Abs. 1 BGB.

708

Der Bedachte kann bereits erbrachte Leistungen vom Erblasser nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern. cc) Die Form des Rücktritts, §§ 2296, 2297 BGB (1) Der Rücktritt zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden, § 2296 BGB

709

Zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden kann der Erblasser nach § 2296 BGB vom Vertrag zurücktreten. Der Rücktritt ist ein höchstpersönliches Recht des Erblassers und muss von diesem persönlich erklärt werden. Nach dem Tod des Erblassers geht sein Rücktrittsrecht nicht auf die Erben über. Die Erklärung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die als solche unwiderruflich ist und nicht unter einer Bedingung erfolgen kann.

710

Die Erklärung nach § 2296 BGB bedarf nach Abs. 2 S. 2 zwingend der Form der notariellen Beurkundung. Der beschränkt Geschäftsfähige bedarf nach Abs. 1 1 MüKo.BGB/Musielak, § 2295 Rz. 3. 2 OLG Karlsruhe v. 22.1.1997 – 13 U 9/95, FamRZ 1997, 1180 = NJW-RR 1997, 708 (709). 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2295 Rz. 5 m.w.N. 4 Palandt/Weidlich, § 2295 Rz. 2. 5 Staudinger/Kanzleiter, § 2295 Rz. 13. 240

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 715

S. 2 nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters; der Geschäftsunfähige kann nicht vom Erbvertrag zurücktreten. Die Willenserklärung muss, wenn sie in Abwesenheit des anderen Vertragschließenden abgegeben wurde, diesem bzw. dessen gesetzlichen Vertreter (§ 131 BGB) in Urschrift oder als Ausfertigung der notariellen Urkunde zugehen, § 130 BGB. Bei mehreren Vertragschließenden muss jedem Beteiligten die Urschrift bzw. die Ausfertigung der notariellen Urkunde zugehen. Der Zugang einer einfachen Abschrift genügt der Formvorschrift des § 2296 BGB nicht, auch wenn sie durch einen Rechtsanwalt, Notar oder Gerichtsvollzieher beglaubigt wurde1. Der wirksame Zugang der Rücktrittserklärung muss vor dem Tod des Erklärenden erfolgt sein, ansonsten ist der Rücktritt unwirksam2.

711

Durch den wirksamen Rücktritt werden die vertragsmäßigen Verfügungen des Zurücktretenden immer, die des anderen Vertragschließenden aber nur bei vorbehaltenem Rücktritt aufgehoben, § 2298 Abs. 2, 3 BGB. Einseitige Verfügungen des Erblassers treten ebenfalls außer Kraft3. Bei einem teilweisen Rücktritt beurteilt sich die Wirksamkeit der übrigen Verfügungen nach §§ 2279, 2085 BGB.

712

(2) Der Rücktritt nach dem Tod des anderen Vertragschließenden, § 2297 BGB Nach dem Tod des Vertragschließenden kann der Rücktritt nur noch in der Form des § 2297 BGB erfolgen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 2297 BGB ist, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung aufgrund eines Vorbehalts nach § 2293 BGB oder aufgrund eines gesetzlichen Rücktrittsrechts nach §§ 2294, 2295 BGB zum Rücktritt berechtigt ist. Unerheblich ist, ob das Rücktrittsrecht bereits zu Lebzeiten des anderen Vertragschließenden entstanden ist4.

713

Der Rücktritt nach § 2297 BGB ist nur zulässig, wenn der oder die Vertragspartner des Erblassers verstorben sind. Solange von mehreren Vertragspartnern noch einer lebt, ist der Rücktritt in der Form des § 2297 BGB ausgeschlossen und kann nur nach § 2296 Abs. 2 BGB erklärt werden5. Der Erblasser muss die vertragsmäßige Verfügung nicht ausdrücklich aufheben, sondern kann dies auch durch eine neue widersprechende Verfügung tun oder indem er im Erbvertrag enthaltene Regelungen in einem neuen Testament wiederholt, andere dabei aber unerwähnt lässt6.

714

Erklärt der Erblasser aufgrund einer Verfehlung des Bedachten i.S.d. § 2294 BGB den Rücktritt, muss der Erblasser die Vorschrift des § 2336 Abs. 2 bis 5 BGB beachten7. Der Grund der Entziehung muss noch zur Zeit der Errichtung des Testaments bestehen und ist darin anzugeben, § 2336 Abs. 2 BGB. Im Streitfall muss der Erblasser den Entziehungsgrund beweisen, § 2336 Abs. 3 BGB, und da-

715

1 2 3 4 5 6 7

MüKo.BGB/Musielak, § 2296 Rz. 6 m.w.N. BGH v. 19.10.1967 – III ZB 18/67, BGHZ 48, 374 (377). Palandt/Weidlich, § 2296 Rz. 4. Staudinger/Kanzleiter, § 2297 Rz. 4; Erman/Kappler/Kappler, § 2297 BGB Rz. 2. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2297 Rz. 7. OLG Köln v. 31.8.1992 – 2 Wx 36/92, FamRZ 1993, 242 = NJW-RR 1992, 1418 (1419). Palandt/Weidlich, § 2297 Rz. 2. Esser

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B II

Rz. 716

Formen letztwilliger Verfügung

bei auch Rechtfertigungsgründe, die der Bedachte vorträgt, widerlegen1. Nach der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 2336 Abs. 4 BGB wird der Rücktritt des Erblassers dann unwirksam, wenn sich der Bedachte zur Zeit des Erbfalls von dem kritisierten Lebenswandel dauernd abgewendet hat2. 716

Das Testament, durch das der Erblasser die vertragsmäßigen Verfügungen aufgehoben hat, kann von diesem widerrufen werden. Durch den Widerruf wird die aufgehobene Verfügung wieder als vertragsmäßige wirksam3. 9. Die Verbindung des Erbvertrags mit einem Ehevertrag

717

Nach § 2276 Abs. 2 BGB genügt für einen Erbvertrag zwischen Ehegatten, Lebenspartnern oder Verlobten, der mit einem Ehevertrag (§ 1408 BGB) in derselben Urkunde verbunden ist, die für den Ehevertrag nach § 1410 BGB, §§ 1–26 BeurkG vorgeschriebene Form. Ist bei einem Ehe- und Erbvertrag eine für den Ehevertrag wesentliche Formvorschrift nicht beachtet, ist zunächst nach § 125 BGB nur der Ehevertrag nichtig. Für ihn reicht die Form des Erbvertrags nicht4. Zweifelhaft ist, ob eine wirksame Anfechtung oder eine Nichtigkeit des Erbvertrags aus anderem Grunde auch die Nichtigkeit des Ehevertrags zur Folge hat und umgekehrt. Dies ist zunächst eine Frage der Auslegung. Im Zweifel ist die Nichtigkeit wohl zu verneinen, da die Verträge nicht notwendig eine rechtliche Einheit i.S.v. § 139 BGB darstellen5.

718

Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Formerleichterung des § 2276 Abs. 2 BGB ist, dass die Eheleute oder Lebenspartner einen Ehevertrag i.S.d. § 1408 BGB abschließen. Als Erbvertrag i.S.v. § 2276 Abs. 2 BGB soll nach h.M. auch die mit einem Ehevertrag verbundene Vereinbarung von Verlobten oder Eheleuten gelten, wonach in ihrer Ehe das gesetzliche Güterrecht Anwendung findet6. Nach anderer Ansicht ist zumindest die Vereinbarung einer vom gesetzlichen Güterstand abweichenden Regelung notwendig7.

719

Wird durch Auflösung des Verlöbnisses der von den Verlobten geschlossene Ehevertrag unwirksam, gilt dies auch für den damit verbundenen Erbvertrag, soweit in ihm nichts anderes bestimmt wurde, §§ 2279 Abs. 2 i.V.m. 2077 BGB. Stirbt einer der Verlobten, bleibt der Erbvertrag, der ja auf den Todesfall abgeschlossen wird, in der Regel wirksam.

720

Die vertragsmäßige Zuwendung an den Ehegatten oder Verlobten ist unwirksam, wenn: – die Ehe vor dem Tod des Ehegatten oder Verlobten aufgelöst worden ist, – die Voraussetzungen für die Scheidung gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt (§§ 622 Abs. 2 S. 2, 253 Abs. 1 ZPO) oder ihr zugestimmt hat, 1 2 3 4 5 6 7

MüKo.BGB/Musielak, § 2297 Rz. 4; Soergel/Dieckmann, § 2336 Rz. 4. Soergel/Wolf, § 2297 Rz. 5. Staudinger/Kanzleiter, § 2297 Rz. 9; MüKo.BGB/Musielak, § 2297 Rz. 5. Palandt/Weidlich, § 2276 Rz. 10; Staudinger/Kanzleiter, § 2276 Rz. 7. Soergel/Wolf, § 2276 Rz. 15; BGH v. 19.12.1958 – IV ZR 136/58, BGHZ 29, 129 (131 f.). Staudinger/Kanzleiter, § 2276 Rz. 9. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2276 Rz. 28.

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 727

– der Erblasser begründeten Antrag auf Aufhebung der Ehe erhoben hatte, – das Verlöbnis vor dem Tod des Erblassers aufgelöst worden ist. 10. Die Form des Erbvertrags Nach § 2276 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein Erbvertrag nur vor einem Notar bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile geschlossen werden. Die Voraussetzung der Beurkundung für die Wirksamkeit des Erbvertrags ist Ausdruck der im deutschen Erbrecht geltenden Formstrenge. Die für den Abschluss des Erbvertrags gebotene Mitwirkung des Notars soll darüber hinaus sicherstellen, dass der Erbvertrag wirksam zustande kommt, der Erblasser sachkundig beraten wird und dass dem Erblasser die besondere Bindungswirkung des Erbvertrags im Gegensatz zum eigenhändigen oder auch öffentlichen Testament bewusst gemacht wird1.

721

Die Errichtung des Erbvertrags erfordert die öffentliche Beurkundung. Eine private Niederlegung ist ausgeschlossen. Die private Willenserklärung kann nur in Form einer Schrift des Erblassers Grundlage eines Erbvertrags sein. Unerheblich ist, ob die Schrift von ihm oder von einem Dritten, bspw. dem Rechtsanwalt, verfasst worden ist. Sie kann dem Notar offen oder geschlossen übergeben werden mit der Erklärung, die Schrift enthalte seinen letzten Willen, §§ 2276, 2232 BGB.

722

Für die Beurkundung sind fast ausschließlich die Notare zuständig. Neben den Notaren können nur die besonders ermächtigten deutschen Berufskonsuln und Konsularbeamten einen Erbvertrag für deutsche Staatsangehörige beurkunden, §§ 1, 2, 10, 11 Abs. 1, 18–21, 24 KonsG.

723

Ein dem Nottestament vergleichbares Institut für Notlagen sieht das Recht des Erbvertrags nicht vor.

724

Bei der Beurkundung müssen die Vertragserblasser persönlich anwesend sein. Der Vertragspartner, der keine vertragsmäßigen Verfügungen von Todes wegen trifft, muss nicht am Beurkundungsakt teilnehmen2.

725

Im Gegensatz zu einem Testament kann ein Erbvertrag auch in einem durch den Erblaser persönlich geschlossenen (§ 2274 BGB) Prozessvergleich beurkundet werden, oder in einem Vergleich eines Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit3.

726

Die Erklärung des letzten Willens kann mündlich oder durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift geschehen. Dabei müssen die Vertragschließenden ihren Willen nicht in derselben Weise erklären. Die Regel wird jedoch sein, dass die Vertragserblasser ihren Willen in einer gemeinsamen Schrift niederlegen und diese dem Notar übergeben. Bei Minderjährigen, Leseunfähigen und Stummen muss § 2233 BGB beachtet werden.

727

1 MüKo.BGB/Musielak, § 2276 Rz. 1. 2 Staudinger/Kanzleiter, § 2276 Rz. 3; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2276 Rz. 4. 3 BGH v. 5.10.1954 – V BLw 25/54, BGHZ 14, 381. Esser

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B II

Rz. 728

Formen letztwilliger Verfügung

728

Da für den Erbvertrag die Form des öffentlichen Testaments vorgeschrieben ist, kann hinsichtlich des Beurkundungsverfahrens auf die Ausführungen in Rz. 94 ff. verwiesen werden.

729

Auf die Formerleichterungen für Verlobte, Lebenspartner und Ehegatten wurde bereits in den Rz. 717 ff. hingewiesen. 11. Wirkung des Erbvertrags auf lebzeitige Verfügungen

730

Die Auswirkungen des Erbvertrags sind ausschließlich erbrechtlicher Natur. Durch den Abschluss eines Erbvertrags wird der Erblasser nicht in seinem Recht beschränkt, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen, § 2286 BGB. Es gilt der Grundsatz der lebzeitigen Entscheidungsfreiheit des Erblassers1. Weder der Vertragspartner noch der in der vertragsmäßigen Verfügung Bedachte sind gegen Verfügungen des Erblassers unter Lebenden grundsätzlich geschützt2.

731

Um Missbrauch zu unterbinden, gibt das Gesetz in den §§ 2287 f. BGB dem vertragsmäßig Bedachten nach dem Tod des Erblassers gewisse Ausgleichs- und Herausgabeansprüche, wenn Zuwendungen des Erblassers in der Absicht erfolgt sind, den Bedachten zu beeinträchtigen. a) Schutz des Vertragserben, § 2287 BGB

732

Bei einer Schenkung des Erblassers in Beeinträchtigungsabsicht kann der Vertragserbe nach dem Erbfall gem. § 2287 BGB gegen den Beschenkten einen Bereicherungsanspruch geltend machen. Dieser verjährt in drei Jahren vom Anfall der Erbschaft an.

733

Unter den Begriff der Schenkung nach § 2287 BGB fällt jede Art der Schenkung, also auch die Pflicht- und Anstandsschenkung (§ 534 BGB)3, die sog. gemischte Schenkung4, bei der die Zuwendung teils entgeltlich und teils unentgeltlich vorgenommen wird, die verschleierte Schenkung5 und die Ausstattungsschenkung6. Keine Schenkung ist jedoch die Vereinbarung eines unentgeltlichen schuldrechtlichen Wohnrechts.

734

Auch die sog. unbenannte, ehebedingte oder ehebezogene Zuwendung ist eine Schenkung i.S.d. § 2287 BGB, soweit sie objektiv unentgeltlich ist7. Die Gleichsetzung der unbenannten Zuwendung mit einer Schenkung hielt der BGH für notwendig, um zu verhindern, dass der Erblasser am Nachlass vorbei erhebliche 1 BGH v. 3.11.1993 – IV ZR 36/93, BGHZ 124, 35 (38) = MDR 1994, 175 = FamRZ 1994, 165. 2 Brox, Rz. 158. 3 Staudinger/Kanzleiter, § 2287 Rz. 15 mit dem Hinweis, dass in diesem Falle regelmäßig wohl keine Beeinträchtigungsabsicht vorliegen dürfte. 4 OLG Köln v. 14.9.1995 – 2 W 125/95, FamRZ 1996, 251 = NJW-RR 1996, 327. 5 Brox, Rz. 158; Erman/Kappler/Kappler, § 2287 Rz. 3. 6 Staudinger/Kanzleiter, § 2287 Rz. 4. 7 BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167 = NJW 1992, 564; BGH v. 27.9. 1995 – IV ZR 217/93, NJW-RR 1996, 133. 244

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 740

Teile seines Vermögens zum Nachteil von Pflichtteilsberechtigten und Vertragserben durch Rechtsgeschäft unter Lebenden anderen Personen zuleitet1. Es muss eine objektive Beeinträchtigung des Vertragserben vorliegen. Die Beeinträchtigung muss zu einer Vermögensminderung des Nachlasses führen, ohne dass diese dem Vertragserben zugute kommt. Der Vertragserbe hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass ein bestimmter Gegenstand im Nachlass erhalten bleibt. Vermögensminderungen, die auch bei einem rechtmäßigen Verhalten des Erblassers zu einer Verringerung des künftigen Nachlasses geführt hätten, sind nicht vom Schutzbereich des § 2287 BGB erfasst2. Die Schenkung muss vom Erblasser in der Absicht gemacht worden sein, den Vertragserben zu beeinträchtigen. Deshalb scheiden von vornherein alle Schenkungen aus dem Anwendungsbereich des § 2287 BGB aus, die der Erblasser zugunsten des Vertragserben vornimmt3.

735

Beratungshinweis: Ein Erblasser, der zur Sicherstellung der Versorgung seines vertragsmäßig bedachten, behinderten Sohnes eine Schenkung an zur Pflege bereite Angehörige vornimmt, handelt nicht in Beeinträchtigungsabsicht. In der Begünstigung des Beschenkten liegt daher gleichzeitig immer eine Beeinträchtigung des Vertragserben.

736

Liegt eine Schenkung in Beeinträchtigungsabsicht vor, die nach Abschluss des Erbvertrags vollzogen wurde, erwirbt der Vertragserbe mit dem Anfall der Erbschaft einen Bereicherungsanspruch gegen den Beschenkten. Der Beschenkte muss das Erlangte herausgeben, auch wenn er von dem Erbvertrag und der Beeinträchtigungsabsicht des Schenkenden nichts gewusst hat. Wusste der Beschenkte davon, so haftet er verschärft nach § 819 BGB4.

737

Schuldner des Anspruch ist ausschließlich der Beschenkte, nicht jedoch der Erblasser oder ein anderer Miterbe5.

738

b) Schutz des vertragsmäßigen Vermächtnisnehmers, § 2288 BGB Der vertragsmäßige Vermächtnisnehmer wird durch § 2288 BGB geschützt. Wurde die Erfüllung eines Vermächtnisses vom Erblasser in Beeinträchtigungsabsicht ganz oder teilweise unmöglich gemacht, kann der Bedachte vom Erben Erfüllung und Wertersatz verlangen. Solange es dem Erben möglich ist, trotz der Beeinträchtigungshandlung des Erblassers das Vermächtnis zu erfüllen, geht der Anspruch auf Leistung des vermachten Gegenstands (§ 2174 BGB)6.

739

Die Regelungen des § 2288 BGB beziehen sich in erster Linie auf Stückvermächtnisse. Aber auch auf Gattungsvermächtnisse finden sie Anwendung. Hat der Erblasser eine Gattungssache aus seinem ihm gehörenden Vorrat vermacht und dann in Benachteiligungsabsicht die Leistung aus diesem Vorrat unmöglich

740

1 2 3 4 5 6

BGH 27.11.1991 – IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167 (174 f.). Dittmann/Reimann/Bengel, § 2287 Rz. 34; Brox, Rz. 158. BGH v. 23.4.1986 – IVa ZR 97/85, FamRZ 1986, 980 = NJW-RR 1987, 2. Dittmann/Reimann/Bengel, § 2287 Rz. 32, 87; Brox, Rz. 158. MüKo.BGB/Musielak, § 2287 Rz. 20. MüKo.BGB/Musielak, § 2288 Rz. 5. Esser

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245

B II

Rz. 741

Formen letztwilliger Verfügung

gemacht oder bei einem Geldvermächtnis erhebliche Teile seines Vermögens beiseite geschafft1, hat der Erbe für Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung zu sorgen. Nur wenn ihm dies nicht möglich ist, hat er den Wert zu ersetzen. Wertverluste, die an dem Vermächtnis infolge der Schädigungshandlung des Erblassers aufgetreten sind, hat der Erbe auszugleichen. 741

In den Fällen des § 2288 Abs. 2 BGB (Veräußerung oder Belastung des Vermächtnisgegenstands) wandelt sich das Stückvermächtnis in ein Verschaffungsvermächtnis, auf das § 2170 Abs. 2 BGB entsprechend anzuwenden ist. Der Erbe wird demnach nur dann von seiner Verschaffungspflicht frei, wenn er zur Verschaffung nicht in der Lage oder die Verschaffung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist. Ist die Veräußerung oder Belastung des Vermächtnisgegenstands schenkweise vorgenommen, hat der Erbe ebenfalls den Gegenstand zu verschaffen oder Wertersatz nach § 2287 BGB zu leisten, § 2288 Abs. 2 S. 2 BGB.

742

Anspruchsberechtigt ist der mit einem wirksamen vertragsmäßigen Vermächtnis Bedachte. Auf Vermächtnisse, die nur durch einseitige Verfügung angeordnet worden sind, findet § 2288 BGB keine Anwendung.

743

Anspruchsverpflichtet sind der Erbe oder die Erbengemeinschaft2, auch wenn nur einer der Erben oder ein Vermächtnisnehmer mit dem Vermächtnis beschwert ist3. 12. Die Verwahrung des Erbvertrags

744

Der Erbvertrag wird nach § 2277 BGB in die besondere amtliche Verwahrung genommen, soweit nicht beide Vertragsparteien übereinstimmend das Gegenteil verlangen, § 34 Abs. 2 BeurkG. Ein solcher Wunsch wird im Zweifel dann angenommen, wenn der Erbvertrag mit einem anderen Vertrag in derselben Urkunde verbunden wird. Über die Inverwahrungnahme erhält jede Partei einen Hinterlegungsschein (§ 2277 BGB).

745

Der Erbvertrag wird nur auf Antrag beider Parteien aus der besonderen amtlichen Verwahrung herausgegeben. Seit der am 1.8.2002 in Kraft getretenen Neufassung des § 2300 Abs. 2 BGB kann der Erbvertrag aus der amtlichen oder notariellen Verwahrung an die Vertragschließenden mit der Wirkung des § 2256 BGB (Widerruf) herausgegeben werden, sofern er ausschließlich letztwillige Verfügungen enthält4. Nach Eintritt des Erbfalls ist der Erbvertrag an das Nachlassgericht abzuliefern, wo er zur Verwahrung verbleibt, § 34 Abs. 3 S. 2 BeurkG.

746

Die Kosten der Verwahrung betragen nach Nr. 12100 KV-GNotKG 75,00 Euro. Für die Herausgabe aus der besonderen amtlichen Verwahrungfällte eine 0,3Gebühr an. Der Geschäftswert bestimmt sich nach § 102 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 S. 1, 2 GNotKG. 1 BGH v. 4.4.1990 – IV ZR 344/88, BGHZ 111, 138 (140 f.) = MDR 1990, 907 = FamRZ 1990, 872 = NJW 1990, 2063. 2 BGH v. 24.1.1958 – IV ZR 234/57, BGHZ 26, 274 (279 f.); Palandt/Weidlich, § 2288 Rz. 2. 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2288 Rz. 9. 4 Staudinger/Baumann, § 2258b Rz. 26. 246

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 752

VI. Schenkungsversprechen von Todes wegen, § 2301 BGB 1. Das Rechtsgeschäft unter Lebenden in Abgrenzung zu den Verfügungen von Todes wegen Die Schenkung unter Lebenden, geregelt in den §§ 516 ff. BGB, und die Zuwendung durch Verfügung von Todes wegen stimmen insoweit überein, als durch beide Rechtsgeschäfte Gegenstände einem anderen unentgeltlich zugewendet werden. Zwar ist die Schenkung auf den Todesfall kein eigenes Rechtsinstitut, jedoch bestehen für beide Rechtsgeschäfte unterschiedliche Regelungen, weshalb eine genaue Abgrenzung unbedingt notwendig ist.

747

Hat der Schenker die Schenkung zu seinen Lebzeiten durch Leistung des zugewendeten Gegenstands an den Beschenkten vollzogen, § 2301 Abs. 2 BGB, finden hierauf die für die gewöhnliche Schenkung geltenden Vorschriften der §§ 516 ff. BGB Anwendung. Soweit nicht die Eigenart der Schenkung, z.B. bei Übertragung eines Grundstücks, eine besondere Form erfordert, muss der Schenker keine besonderen Formerfordernisse beachten.

748

Wird die Schenkung jedoch nur versprochen, zu Lebzeiten des Schenkers aber nicht vollzogen, finden nach § 2301 Abs. 1 S. 1 BGB die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen Anwendung. Da das Schenkungsversprechen nach § 518 Abs. 1 BGB einen Vertrag erfordert, muss sie der für den Erbvertrag geforderten Form des § 2276 BGB entsprechen.

749

Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen vollzogener und nicht vollzogener Schenkung ist, ob der Schenker sein Vermögen sofort und unmittelbar mindert. Trifft das Vermögensopfer den Schenker selbst, liegt eine Schenkung unter Lebenden vor. Trifft das Vermögensopfer jedoch die Erben, handelt es sich um eine Schenkung auf den Todesfall1.

750

2. Schenkung von Todes wegen mit Überlebensbedingung, § 2301 Abs. 1 BGB Ein Schenkungsversprechen nach § 2301 Abs. 1 BGB steht unter der Bedingung, dass der Beschenkte den Schenker überlebt. Es soll erst nach dem Tod des Verfügenden erfüllt werden. Ist nur die Erfüllung des Versprechens bis zum Tod des Schenkers hinausgeschoben worden, hat der Beschenkte aber schon zu Lebzeiten des Schenkers einen Anspruch aus dem Versprechen, sind die Vorschriften für Schenkungen unter Lebenden (§§ 516 ff. BGB), nicht die von Todes wegen, anwendbar2.

751

a) Das Schenkungsversprechen § 2301 BGB gilt nur für Schenkungen, nicht für entgeltliche Geschäfte auf den Todesfall3. Schenkung ist nach § 516 BGB eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, wenn beide Teile darüber einig 1 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 2. 2 BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 34/83, MDR 1985, 126 = NJW 1985, 1553; Staudinger/ Kanzleiter, § 2301 Rz. 14. 3 BGH v. 12.11.1952 – IV ZB 93/52, BGHZ 8, 23 (31). Esser

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B II

Rz. 753

Formen letztwilliger Verfügung

sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgen soll1. Unentgeltlich ist eine Zuwendung, der nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts keine Gegenleistung gegenübersteht.

Beratungshinweis: Ein Vertrag, in dem jemand einer Altenpflegerin für den Fall, dass sie ihn bis zu seinem Tod pflegt, eine bestimmte Summe Geld verspricht, ist keine Schenkung auf den Todesfall, sondern ein gegenseitiger entgeltlicher Vertrag unter Lebenden, der keiner besonderen Form bedarf. 753

Das Schenkungsversprechen ist Teil eines Vertrags, durch den eine Leistung schenkweise versprochen wird, § 518 BGB. Eine Schenkung, die sofort vollzogen wird, ist daher kein Schenkungsversprechen i.S.v. § 2301 Abs. 1 BGB. Auch der Erlass einer Schuld, selbst wenn nach § 161 BGB aufschiebend bedingt, ist eine sofort vollzogene Schenkung, da der Schenker über die Forderung nicht weiter verfügen kann. Das Versprechen des schenkungsweisen Erlasses auf den Todesfall ist dagegen ein Befreiungsvermächtnis ohne dingliche Wirkung gem. § 2173 BGB2.

Beratungshinweis: Ein durch den Erblasser formlos eingeräumtes Wohnrecht auf Lebenszeit, das auch aus anderen Gründen (z.B. wegen seiner Langfristigkeit) nicht wirtschaftlich einer Weggabe der Substanz nahe kommt, ist keine Schenkung i.S.d. § 2301 BGB, sondern Leihe i.S.d. § 598 BGB3. 754

Das selbstständige Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis nach §§ 780, 781 BGB, das unter der Bedingung des Überlebens des Bedachten schenkweise erteilt wird, ist in § 2301 Abs. 1 S. 2 BGB einem gleichartigen Schenkungsversprechen ausdrücklich gleichgestellt.

755

Die nur versprochene Schenkung ist schon nach § 518 Abs. 1 BGB formbedürftig. Durch ihre Gleichstellung mit den Verfügungen von Todes wegen untersteht sie (§ 2276 BGB) auch den Vorschriften über den Erbvertrag4. Die Schenkung von Todes wegen bedarf danach der notariellen Beurkundung bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Vertragsteile. Der Schenker kann den Vertrag gem. § 2274 BGB nur persönlich schließen.

756

Nachdem das einseitige Versprechen einer Schenkung auf den Todesfall nach Ansicht des Gesetzgebers zumeist eine letztwillige Verfügung i.S.v. § 2247 BGB ist, wird die Erklärung des Schenkers, eine Schenkung machen zu wollen, die der Beschenkte bis zum Eintritt des Erbfalls noch nicht angenommen hat, in der Regel durch Auslegung als letztwillige Verfügung in der Form eines eigenhändigen Privattestaments aufrechtzuerhalten sein, §§ 130, 140, 2084 BGB. b) Die Überlebensbedingung

757

Das Schenkungsversprechen des § 2301 Abs. 1 BGB muss unter der Bedingung erteilt worden sein, dass der Beschenkte den Schenker überlebt. Eine unbedingte 1 2 3 4

Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 5; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2301 Rz. 10. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 6. BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 34/83, MDR 1985, 126 = NJW 1985, 1553. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 4; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2301 Rz. 5; Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 6; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 5, der die für eine einseitige Erklärung genügende Form des § 2247 BGB ausreichen lassen will.

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 761

Schenkung oder eine Schenkung unter anderer Bedingung ist immer eine Schenkung unter Lebenden1. Die Bedingung kann eine aufschiebende oder auflösende2 sein. Sie muss nicht förmlich oder ausdrücklich erklärt werden und kann sich auch aus dem Sinn des Geschäfts oder den Umständen ergeben. Zulässig ist es, die Bedingung mit der Beschränkung auf einen bestimmten Fall des Ablebens zu verbinden. Auch wenn der Schenker die Bedingung des Überlebens nicht ausdrücklich formuliert hat, kann sie sich aus den Umständen, dem Sinn der Schenkung, der Interessenlage des Schenkers ergeben3. Abzustellen ist bei der Erforschung der Interessenlage des Schenkenden auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen der unbedingten Schenkung, deren Erfüllung auf den Todesfall aufgeschoben ist, und dem Schenkungsversprechen mit Überlebensbedingung. Während nämlich bei der unbedingten Schenkung der Anspruch auf die Erben des Beschenkten übergeht, wird die Schenkung mit Überlebensbedingung durch den Tod des Verfügenden hinfällig. Die Interessenlage spricht daher für eine Schenkung mit Überlebensbedingung, wenn der Schenker gerade dieser bestimmten Person für die Zeit nach seinem Tod eine Zuwendung verspricht und dafür auch besondere Gründe gerade in der Person des Begünstigten hat4.

758

Bei der Prüfung der Überlebensbedingung soll der Tatrichter nach Rechtsprechung des BGH nicht „engherzig“ verfahren5. Maßgeblich ist stets der individuelle Wille des Erblassers bzw. des Schenkers. Im Einzelfall ist dieser durch Auslegung nach § 133 BGB zu ermitteln. Führt diese Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist auch der Rechtsgedanke des § 2084 BGB heranzuzie-hen, also im Zweifel die Auslegung zu wählen, bei der der Wille des Erblassers Erfolg hat6.

759

Ohne die Überlebensbedingung liegt ein reines Rechtsgeschäft unter Lebenden vor, das der Form des § 518 BGB bedarf und bereits zu Lebzeiten des Schenkers einen Rechtsanspruch entstehen lässt, der bei Vorversterben des Beschenkten auf dessen Erben übergeht.

760

c) Rechtsfolgen des Schenkungsversprechens In seiner Rechtsfolge ist das Schenkungsversprechen i.S.v. § 2301 Abs. 1 BGB den Verfügungen von Todes wegen gleichgestellt. Zu Lebzeiten des Schenkers hat der Versprechensempfänger, wie der erbrechtlich Bedachte, keine gesicherte Rechtsposition, insbesondere keinen Anspruch gegen den Schenker und auch kein Anwartschaftsrecht7. Das formgerechte Schenkungsversprechen ist bei Eintritt des Erbfalls als Vermächtnis (wenn es sich auf einen Einzelgegenstand be1 Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 10. 2 Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 3; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2301 Rz. 18; Soergel/ Wolf, § 2301 Rz. 3; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 9. 3 BGH v. 12.11.1986 – IVa ZR 77/85, BGHZ 99, 97 = MDR 1987, 300 = FamRZ 1987, 273 (101) = NJW 1987, 840. 4 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, MDR 1988, 845 = FamRZ 1988, 945 = NJW 1988, 2731 (2732); Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 10. 5 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, MDR 1988, 845 = FamRZ 1988, 945 = NJW 1988, 2731 (2732). 6 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 36/87, MDR 1988, 845 = FamRZ 1988, 945 = NJW 1988, 2731 (2732). 7 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 14. Esser

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761

B II

Rz. 762

Formen letztwilliger Verfügung

zieht) oder als Erbeinsetzung (wenn es sich auf das gesamte Vermögen oder einen Bruchteil hiervon bezieht, § 2087 BGB) zu behandeln1. 762

Der Schenker ist jedoch an das in Form eines Erbvertrags gegebene Versprechen gebunden und kann sich nur durch Anfechtung, Aufhebung oder Rücktritt nach §§ 2281, 2290, 2293 ff. BGB von ihm befreien. Die Schenkung widerrufen nach §§ 530 ff. BGB kann er dagegen nicht. 3. Das vollzogene Schenkungsversprechen mit Überlebensbedingung, § 2301 Abs. 2 BGB

763

Auch die Schenkung des § 2301 Abs. 2 BGB steht unter der Bedingung, dass der Beschenkte den Schenker überlebt. Nach § 2301 Abs. 2 BGB finden auf diese Schenkung von Todes wegen jedoch die Vorschriften über die Schenkung unter Lebenden (§§ 516 ff. BGB) Anwendung, wenn der Schenker noch zu seinen Lebzeiten die Schenkung durch Leistung des zugewendeten Gegenstands vollzieht. Die Schenkung erfordert dann grundsätzlich keine besondere Form. Das der Schenkung vorausgegangene Versprechen, das nicht in der Form des § 518 Abs. 1 BGB abgegeben wurde, wird durch das Bewirken der versprochenen Leistung wirksam2.

763a

Die sofort vollzogene Schenkung kann, wie die Schenkung unter Lebenden, nach §§ 530 ff. BGB widerrufen werden. Sie unterliegt jedoch nicht den Regelungen des Rücktritts, die für den Erbvertrag Anwendung finden. a) Der Leistungsvollzug i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB

764

Die schenkweise versprochene Leistung ist vollzogen i.S.d. § 2301 Abs. 2 BGB, wenn der Schenker alles getan hat, was von seiner Seite aus zum Erwerb des Gegenstands durch den Beschenkten erforderlich ist, so dass die Vermögensverschiebung ohne sein weiteres Zutun eintreten kann3. Beispiel: Zur wirksamen Übertragung eines Vermögensgegenstands ist nur noch eine behördliche Genehmigung erforderlich, alle anderen Voraussetzungen sind bereits erfüllt.

765

Für den Vollzug genügt es, wenn der Berechtigte ein Erwerbs- oder Anwartschaftsrecht erhalten hat, das sich bei Eintritt der Bedingung zwangsläufig zum Vollrecht entwickelt. Das verschaffte Anwartschaftsrecht mehrt als gesicherte Rechtsposition bereits das Vermögen des Beschenkten und mindert das des Schenkers noch zu Lebzeiten4.

766

Aus dem Zweck der §§ 130 Abs. 2, 153 BGB ist der Vollzug der Schenkung auch dann anzunehmen, wenn der Beschenkte bis zum Erbfall trotz aller erforderlichen 1 Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 7. 2 BGH v. 12.11.1986 – IVa ZR 77/85, BGHZ 99, 97 = MDR 1987, 300 = FamRZ 1987, 273 (101) = NJW 1987, 840. 3 BGH v. 23.2.1983 – IVa ZR 186/81, BGHZ 87, 19 = MDR 1983, 472 = FamRZ 1983, 476 (26); Dittmann/Reimann/Bengel, § 2301 Rz. 33. 4 BGH v. 30.11.1977 – IV ZR 165/76, NJW 1978, 423 (424); Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 10. 250

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 771

Erfüllungshandlungen des Schenkers noch kein Anwartschaftsrecht erwerben konnte, weil ihm die Willenserklärung des Schenkers erst nach dessen Ableben zugegangen ist und erst dann durch Annahme zum Rechtserwerb geführt hat1. Stirbt der Schenker, bevor ein von ihm beauftragter Dritter, z.B. ein Treuhänder, Bevollmächtigter oder ein Bote, die ihm übertragene Erfüllungshandlung ausführen konnte, ist der Vollzug der Schenkung dennoch anzunehmen, wenn der Schenker den Dritten unwiderruflich beauftragt hat2.

767

In Zweifelsfällen kommt es auch hier auf die Interessenlage des Schenkers an. Hat der Schenker mit der Leistung ein fühlbares Opfer gebracht, ist der zugewendete Gegenstand aus dem Vermögen des Schenkers ausgeschieden und hat der Beschenkte zumindest eine gewisse dingliche Anwartschaft erworben, ist ein Vollzug i.S. der Vorschrift anzunehmen3.

768

b) Einzelfälle vollzogener Schenkungen i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB aa) Schenkung eines Grundstücks und anderer Rechte daran Wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Auflassung nach § 925 Abs. 2 BGB kann die Übereignung eines Grundstücks nicht mit einer Überlebensbedingung verknüpft werden. Das Problem des Vollzugs der bedingten Eigentumsübertragung stellt sich hier insoweit nicht.

769

Die Schenkung anderer Rechte an einem Grundstück, z.B. das eines Nießbrauchs, ist hingegen vollzogen, wenn sich Schenker und Beschenkter über den Übergang des Rechts einig sind, der Schenker die Eintragungsbewilligung erteilt hat und der Beschenkte den Antrag auf Eintragung gestellt hat4. Nach anderer Auffassung soll der Vollzug der Schenkung bereits eingetreten sein, wenn der Schenker an die Einigung nach § 873 Abs. 2 BGB gebunden ist5. Geht man mit dem BGH davon aus, dass für die Annahme des Vollzugs der Schenkung zu Lebzeiten des Schenkers ausreicht, dass der Schenkende alles getan hat, was zum Rechtsübergang des Schenkungsgegenstands durch ihn getan werden konnte und der endgültige Rechtsübergang nun nur noch von dem Verhalten des Beschenkten, Dritter oder von Ereignissen abhängt, reicht die Bindung des Schenkers nach § 873 Abs. 2 BGB für den Vollzug der Schenkung i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB aus.

770

bb) Schenkung von Wertpapieren Für den Vollzug einer Schenkung von Wertpapieren lässt die Rechtsprechung die Übergabe der Mäntel ausreichen, auch wenn die Zinsscheine nicht übergeben wurden und der Schenker sich den Zinsgenuss bis zu seinem Tod vorbehält6. 1 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 23; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2301 Rz. 38. 2 Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 26; MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 23; Palandt/ Weidlich, § 2301 Rz. 10. 3 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2301 Rz. 34. 4 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 26. 5 Kipp/Coing, § 81 III 1c; Schlüter, Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf den Todesfall, § 56 II 2b bb (3), Rz. 1251. 6 Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 27. Esser

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B II

Rz. 772

Formen letztwilliger Verfügung

Eine vollzogene Schenkung i.S.d. § 2301 Abs. 2 BGB ist auch dann anzunehmen, wenn der Schenker mittels eines undatierten, als letztwillige Verfügung gedachten und der betreffenden Person übergebenen Briefs dieser mitteilt, dass alle bei ihr deponierten Wertpapiere und Gelder jetzt in ihrem Eigentum stehen und auf das eigene Konto gebucht werden sollen. Auch durch Abtretung eines Herausgabeanspruchs des Schenkers an den Bedachten wird eine Schenkung vollzogen i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB1. cc) Schenkung von Bank- und Sparkassenguthaben 772

Eine aufschiebend bedingte und damit vollzogene Schenkung ist auch bei der schenkweisen Abtretung eines Bankguthabens für den Zeitpunkt des Ablebens des Gläubigers in Verbindung mit Erteilung einer Bankvollmacht anzunehmen. Für die schenkweise Abtretung eines Sparkassenguthabens reicht die mündliche Erklärung des Schenkenden „wenn mir etwas passiert, ist für dich gut gesorgt“2, wobei im Streitfall der Nachweis dieser Schenkung durch den Begünstigten zu erbringen ist, was bei einer mündlichen Erklärung ein Problem sein dürfte.

773

Der Vollzug i.S.v. § 2301 Abs. 2 BGB ist auch dann anzunehmen, wenn der Erblasser Mitinhaber eines so genannten „Oder-Kontos“ ist und dem anderen Mitinhaber bereits zu Lebzeiten die Mitverfügungsbefugnis über den gesamten jeweiligen Bestand eingeräumt wurde3.

774

Bei der Abtretung von Postsparguthaben war vor dem 1.1.1999 die formlose Abtretung wegen eines Verstoßes gegen das bis dahin geltende Postgesetz (§ 23 Abs. 4 S. 3 PostG) nach § 125 BGB nichtig4.

775

Weist hingegen der Erblasser seine Bank an, nach seinem Tod ein Sparguthaben an einen Dritten auszuzahlen, erlangt dieser im Todesfall einen Anspruch nur dann, wenn der Bankkunde es ihm durch Vertrag zugunsten Dritter zuwenden wollte und diese Rechtsfolge auch vom Vertragswillen der Bank umfasst worden ist5 (hierzu s. Rz. 794 ff.).

776

Die schenkweise Hingabe eines Schecks wird nach Ansicht des BGH6 erst vollzogen und wirksam, wenn der Scheck durch den Empfänger, auch nach dem Tod des Ausstellers, eingelöst wird. dd) Erlass einer Schuld

777

Auch der Erlass einer Schuld unter Vorbehalt des Zinsgenusses auf die Lebenszeit des Schenkers ist eine vollzogene Schenkung, weil schon der schenkweise Erlass seine Vollziehung in sich trägt7. 1 2 3 4

Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 27. Staudinger/Kanzleiter, § 2301 B Rz. 28. BGH v. 16.4.1986 – IVa ZR 198/84, FamRZ 1986, 982 (983). BGH v. 5.3.1986 – IVa ZR 141/84, MDR 1986, 737 = FamRZ 1986, 672 = NJW 1986, 2107 (2108). 5 BGH v. 19.10.1983 – IVa ZR 71/82, MDR 1984, 296 = FamRZ 1984, 781 = NJW 1984, 480. 6 BGH v. 12.4.1978 – IV ZR 68/77, NJW 1978, 2027. 7 RG v. 17.1.1903 – I 286/02, RGZ 53, 296. 252

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 782

VII. Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall Unentgeltliche Zuwendungen auf den Todesfall können auch durch den sog. Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall vorgenommen werden. Der zwischen dem Versprechenden und dem Versprechensempfänger (dem Erblasser) geschlossene Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall ist ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, bei dem die Parteien anstelle des Vertragspartners einen Dritten als Gläubiger der Leistung bestimmen. Den Inhalt der Leistung können die Parteien frei bestimmen1.

778

Typische Anwendungsfälle sind die schenkweise Begünstigung eines Dritten in Lebensversicherungsverträgen, Bausparverträgen und Sparverträgen. Der Dritte erwirbt hier erst nach dem Tod des Versprechensempfängers einen Anspruch.

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1. Die Vorteile des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall gegenüber Verfügungen von Todes wegen Wie im Folgenden noch näher dargestellt wird, erwirbt der Dritte erst im Zeitpunkt des Todes des Versprechensempfängers das ihm aufgrund Vertrags Zugewendete. Die Forderung selbst fällt aber, und das ist das Entscheidende, nicht in den Nachlass2.

780

Auch wenn eine Schenkung aufgrund Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall im Widerspruch zu bindenden Verfügungen in einem Erbvertrag oder einem gemeinschaftlichen Testament steht, ist die unentgeltliche Zuwendung dennoch wirksam3. Die Bindungswirkung des Erbvertrags wird dadurch faktisch außer Kraft gesetzt. Die Erben sind auf die Herausgabeansprüche nach § 2287 BGB angewiesen, wobei dieser Anspruch ausgeschlossen ist, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Interesse an der Schenkung hatte4.

781

Beratungshinweis: Ein lebzeitiges Interesse des Erblassers könnte die Sicherung von Pflegeleistungen, die durch Dritte, also nicht durch Familienangehörige, erbracht werden, sein. Problematischer ist dies im Falle von Verträgen/Schenkungen zugunsten naher Familienangehöriger, da hier wohl in der Regel eine sittlich-moralische Verpflichtung zur Pflege anzunehmen ist. Der BGH5 schränkt den Schutz des Vertragserben aus § 2287 BGB jedoch gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten, der auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet hat, ein, soweit die Rechte des Erblassers aus § 2351 BGB reichen. Da der Erbverzicht nach § 2351 BGB jederzeit wieder aufgehoben werden kann und der Verzichtende dadurch erbrechtlich dieselbe Stellung wie vor dem Erbverzicht einnimmt, also als Pflichtteilsberechtigter jedenfalls den Pflichtteil beanspruchen kann, reicht der Schutz des § 2287 BGB für den Vertragserben auch nicht bis in den Pflichtteil hinein. 1 2 3 4 5

Schlüter, § 56 III 2a, Rz. 1259. BGH v. 14.7.1952 – IV ZR 74/52, BGHZ 7, 134. BGH v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8 (14 ff.). BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (350). BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (269) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995. Esser

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B II

Rz. 783

Formen letztwilliger Verfügung

783

Von besonders großer praktischer Bedeutung ist hier die Schenkung von Todes wegen in Verbindung mit dem Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall. Durch den Vertrag wird das Besitzverhältnis des Dritten zum zugewendeten Gegenstand gestärkt und gleichzeitig dem Vertrags-, Schluss- und Nacherben erschwert, das gesamte Vermögen des Verstorbenen zu erwerben. Soweit dem Vertrags-, Schluss- oder Nacherben Vermögenswerte des Erblassers überhaupt nicht bekannt sind, erfahren sie auf diesem Wege auch möglicherweise nie von deren Existenz1.

784

Die Schenkung und der Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall ermöglichen es dem Erblasser zudem, Personen Teile seines Vermögens zukommen zu lassen, die nicht seine gesetzlichen Erben sind. Das Verfahren ist, im Gegensatz zu den Verfügungen von Todes wegen, formfrei, und bei Banken bzw. Versicherungsunternehmen vollzieht es sich häufig auf vorgefertigten Formularen. Dadurch ist der Vertrag zugunsten Dritter auch deutlich kostengünstiger als die Errichtung, Hinterlegung und dann Eröffnung eines Testaments.

785

Soweit ein Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall vorliegt, verzichten Banken und Lebensversicherungen zudem auf die Vorlage eines Erbscheins. 2. Dogmatische Einordnung des Vertrags zugunsten Dritter

786

Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Verträgen zugunsten Dritter, die in den §§ 328 ff. BGB geregelt sind, hat der Versprechende bei einem Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall seine Leistung an den begünstigten Dritten erst mit dem Tod des Versprechensempfängers zu erbringen. Die Zulässigkeit dieser Verträge, die eigentlich der Wertung des § 2301 BGB widersprechen, wird in § 331 BGB vorausgesetzt2. Der Vertrag nach § 331 BGB ist daher, obwohl er den Erwerb vom Tod des Versprechensempfänger abhängig macht, keine Verfügung von Todes wegen, sondern ein Rechtsgeschäft unter Lebenden. Vor dem Tod des Versprechensempfängers entsteht nicht einmal eine Anwartschaft des Dritten, sondern lediglich die Erwartung eines künftigen Rechtserwerbs3.

787

Der Beschenkte erwirbt aufgrund des Vertrags zugunsten Dritter mit dem Tod des Schenkers zwar nicht dinglich Eigentum an den ihm zugewendeten Gegenständen, aber einen schuldrechtlichen Anspruch, den der Versprechende ihm gegenüber zu erfüllen hat4.

788

Wie bei jedem Vertrag zugunsten Dritter sind auch hier die Rechtsbeziehungen zwischen dem Versprechenden und dem Versprechensempfänger einerseits (das Deckungsverhältnis) und zwischen dem Versprechensempfänger und dem begünstigten Dritten andererseits (das Valutaverhältnis) voneinander zu unterscheiden. Auch wenn das sog. Valutaverhältnis in seinen Zielen und Wirkungen eigentlich einer Verfügung von Todes wegen entspricht, kann nach ständiger

1 2 3 4

Liessem, BB 1989, 862 (864). Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 42; Schlüter, § 56 III 1a, Rz. 1257. OLG Frankfurt v. 22.2.1989 – 17 U 291/87, NJW-RR 1990, 968. BGH v. 29.1.1964 – V ZR 209/61, BGHZ 41, 95 (96); Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 42.

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Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 792

Rechtsprechung des BGH1 durch einen Vertrag zugunsten Dritter ohne die Einhaltung der für Verfügungen von Todes wegen vorgeschriebenen Form dem Dritten ein schuldrechtlicher Anspruch für den Zeitpunkt des Todes des Versprechensempfängers, also des Erblassers, zugewendet werden. Verträge zugunsten Dritter i.S.v. § 331 BGB unterliegen daher grundsätzlich nicht den für Verfügungen von Todes wegen geltenden Formvorschriften. Der Rechtserwerb des Dritten muss durch einen Rechtsgrund im Valutaverhältnis gerechtfertigt sein. Nur wenn in dem Verhältnis zwischen dem Begünstigten und dem Erblasser ein rechtlicher Anspruch für die Vermögensverschiebung besteht, darf der Dritte den erworbenen Anspruch gegen den Versprechenden oder die zu dessen Erfüllung bewirkte Leistung als den Gegenstand der Zuwendung behalten. Andernfalls hat er sie an die Erben nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung, § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, herauszugeben2.

789

Der Rechtsgrund für eine unentgeltliche Verfügung ist in der Regel eine Schenkung, für deren Wirksamkeit ein nach § 518 Abs. 1 BGB formwirksam erteiltes Schenkungsversprechen Voraussetzung ist. Der Formmangel des Schenkungsversprechens wird durch Erwerb des Leistungsanspruchs nach § 518 Abs. 2 BGB geheilt. Weiß der Beschenkte von der beabsichtigten Schenkung nichts oder ist sonst zu Lebenszeiten des Schenkers noch kein Schenkungsvertrag abgeschlossen worden, liegt im Vertrag zugunsten Dritter ein Schenkungsangebot an den Beschenkten, das dieser nach dem Tod des Schenkers, regelmäßig nach § 151 BGB oder stillschweigend durch Entgegennahme des Geschenks, annehmen kann3.

790

Ist das Schenkungsangebot dem Begünstigten zum Zeitpunkt des Todes des Schenkers noch nicht zugegangen, kann der Erbe des Schenkers das Angebot nach § 130 Abs. 1 S. 2 BGB widerrufen. Diese vom BGH4 vertretene Auffassung ist durchaus umstritten, da sie zu einem Wettlauf zwischen Erben und Versprechendem führt, dessen Ausgang eher zufällig als von einem rechtlichen Anspruch getragen ist5. Die Erben sind danach berechtigt, den Versprechenden, also bspw. das Versicherungsunternehmen oder die Bank, anzuweisen, das noch nicht zugegangene Schenkungsversprechen nicht zu übermitteln. Der Auftrag des Kunden, so die Rechtsprechung, könne jederzeit widerrufen werden.

791

Mit Wirkung für seine Erben kann der Erblasser den Widerruf nur ausschließen, wenn er auch für ihn selbst zu Lebzeiten gilt6. Dem Verlangen des Dritten auf Leistung kann dann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden7.

792

1 BGH v. 29.1.1964 – V ZR 209/61, BGHZ 41, 95 (96); BGH v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8 (12 f.); BGH v. 12.5.1993 – IV ZR 227/92, MDR 1993, 769 = FamRZ 1993, 1059 = NJW 1993, 2171 (2172). 2 Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 17; BGH v. 26.11.1975 – IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8 (12 f.). 3 Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 42 m.w.N. 4 BGH v. 30.10.1974 – IV ZR 172/73 (Hamm), NJW 1975, 382 ff. 5 MüKo.BGB/Gottwald, § 331 Rz. 10. 6 MüKo.BGB/Gottwald, § 331 Rz. 8. 7 Dittmann/Reimann/Bengel, § 2301 Rz. 62; Palandt/Weidlich, § 2301 Rz. 19. Esser

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255

B II

Rz. 793

Formen letztwilliger Verfügung

3. Durch die Rechtsprechung anerkannte Einzelfälle von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall a) Zuwendungen von Bankkonten und Sparguthaben 793

Das formlose Versprechen einer Bank gegenüber einem Kunden, nach seinem Tod einem Dritten eine bestimmte Geldsumme zu zahlen, ist ein wirksamer Vertrag zugunsten Dritter1.

794

Weist jemand seine Bank an, nach seinem Tod ein Sparguthaben an einen Dritten auszuzahlen, erlangt dieser im Todesfall einen Anspruch auf das Guthaben nur dann, wenn der Bankkunde es ihm zuwenden wollte und diese Rechtsfolge vom Vertragswillen der Bank umfasst war2. Nach Ansicht des BGH sind jedoch bei der Frage, ob eine solche Zuwendung auch vom Vertragswillen der Bank mit umfasst ist, keine strengen Anforderungen zu stellen, weil die Bank es dem Kunden überlässt, wen er als den Berechtigten bestimmen will.

795

Nicht ausreichend soll hingegen die bloße Anlegung eines Kontos auf den Namen eines Dritten sein3, insbesondere dann nicht, wenn der Anlegende sich die Verfügungsbefugnis vorbehält4. Im Fall des Todes des Kontoführenden ist jedoch zu prüfen, ob nicht bezüglich des bei seinem Ableben verbleibenden Guthabens eine Verfügung zugunsten des Dritten auf den Todesfall vorliegt5. b) Zuwendung von Wertpapierdepots

796

Der Inhaber eines Wertpapierdepots kann durch Vertrag mit der verwahrenden Bank auf den Zeitpunkt seines Todes den Anspruch eines Dritten auf Übereignung der Wertpapiere begründen6. Ein vom Erblasser mit einer Bank abgeschlossener Treuhandvertrag mit der Anweisung an die Bank, nach seinem Tod die Wertpapiere zu verkaufen und den Erlös an einen Begünstigten zu zahlen, bedarf auch dann nicht der Form des § 2301 BGB, wenn es sich um eine schenkweise Zuwendung handelt7. c) Zuwendung von Bauspar- und Ansparverträgen

797

Wird in einem Bausparvertrag für den Todesfall ein Dritter unentgeltlich begünstigt, ist hierin in der Regel eine schenkweise Zuwendung an den Dritten auch hinsichtlich der einbezahlten Sparraten des Bausparers zu sehen8. d) Zuwendung von Lebensversicherungen

798

Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Zuwendung von Versicherungssummen aus Lebensversicherungsverträgen. Sofern kein Bezugsberechtigter be1 RG v. 25.2.1915 – Rep. III 368/15, RGZ 88, 137. 2 BGH v. 19.10.1983 – IVa ZR 71/82, MDR 1984, 296 = FamRZ 1984, 781 = NJW 1984, 480. 3 BGH v. 9.11.1966 – VIII ZR 73/64, BGHZ 46, 198. 4 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 40. 5 BGH v. 9.11.1966 – VIII ZR 73/64, BGHZ 46, 198 (202). 6 BGH v. 29.1.1964 – V ZR 209/61, BGHZ 41, 95. 7 Staudinger/Kanzleiter, § 2301 Rz. 46. 8 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 41; Dittmann/Reimann/Bengel, § 2301 Rz. 72. 256

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Esser

Formen letztwilliger Verfügung

B II

Rz. 801

nannt ist oder die Bezugsberechtigung vor dem Erbfall widerrufen wurde, gehören die Lebensversicherungsverträge zum Vermögen des Erblassers und fallen damit in den pflichtteilsrelevanten Nachlass1. Der Erbe kann nicht die Erbschaft ausschlagen und davon unabhängig die Auszahlung der Versicherungssumme geltend machen2.

Beratungshinweis: Der Erbe eines überschuldeten Nachlasses kann die Erbschaft nur insgesamt annehmen oder insgesamt ausschlagen, wenn kein Bezugsberechtigter benannt wurde und die Lebensversicherung somit Teil des Nachlasses ist. Im Sonderfall der „kreditsichernden“ Lebensversicherung gehört nach dem BGH3 trotz Benennung eines Bezugsberechtigten der Anspruch auf die Versicherungssumme in Höhe der gesicherten Schuld zum Nachlass des Versicherungsnehmers und muss wie die gesicherte Schuld bei der Pflichtteilsberechnung berücksichtigt werden.

798a

Wurde ein Bezugsberechtigter benannt, liegt ein Vertrag zugunsten Dritter vor. Wie bei allen Schenkungen auf den Todesfall, die als Rechtsgeschäfte unter Lebenden zu behandeln sind, erwirbt der Begünstigte den Anspruch auf die Lebensversicherung im Todesfall unmittelbar und nicht über den Nachlass (s. Rz. 778 ff.)4. Die Zuwendung von Lebensversicherungsverträgen an Dritte ist in den §§ 330, 331 BGB, §§ 166, 167, 180 VVG geregelt.

799

Bei einer Kapitallebensversicherung ist der Teilhabeanspruch des Pflichtteilsberechtigten und daher nicht die Bereicherung des Beschenkten, sondern der Entreicherungsgegenstand beim Erblasser maßgebend.5 Bei einer widerruflichen Bezugsberechtigung ist das der Liquidationswert, also in der Regel der Rückkaufwert i.S.v. § 169 VVG6. Insofern bleiben neben subjektiven Faktoren des Erlassers oder seines Todes7 auch die vom Erblasser bezahlten Prämien unberücksichtigt8 oder die zur Auszahlung gelangende Versicherungssumme9, die aber die absolute Wertobergrenze darstellt10.

800

Auswirkungen hat dies auf den Schutz des Vertragserben nach § 2287 BGB sowie für die Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO, § 3 f. AnfG. Die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB beginnt auch nicht bereits mit der bloßen Schenkungshandlung, sondern erst mit dem Eintritt des Leistungserfolgs bzw. der Ausgliederung

801

1 Palandt/Weidlich, § 1922 Rz. 39. 2 BGH v. 8.2.1960 – II ZR 136/58, BGHZ 32, 44 (47). 3 BGH v. 8.5.1996 – IV ZR 112/95, FamRZ 1996, 935 = MDR 1996, 818 = NJW 1996, 2230. 4 Staudinger/Kanzleiter, § 2301 BGB Rz. 49; Palandt/Grüneberg, § 331 Rz. 2. 5 Palandt/Weidlich, § 2325 Rz. 13. 6 Palandt/Weidlich, § 2325 Rz. 13. 7 BGH v. 28.4.2010 – IV ZR 73/08, FamRZ 2010, 1248 m. Anm. Walker = MDR 2010, 870 = FamRZ 2010, 1071 = NJW 2010, 3232. 8 Frühere Rechtsprechung, s. OLG Stuttgart v. 13.12.2007 – 19U 140/07, FamRZ 2008, 822. 9 OLG Oldenburg v. 23.2.2010 – 12 U 68109, ZErb 2010, 119. 10 Palandt/Weidlich, § 2325 Rz. 13. Esser

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257

B II

Rz. 802

Formen letztwilliger Verfügung

des Schenkungsgegenstands aus dem Vermögen des Erblassers1. Fristbeginn für Ergänzungsansprüche bei Lebensversicherungen ist daher der Vollzug des Zuwendungsaktes2. Im Ergebnis bedeutet dies, dass im Falle der Auszahlung einer Lebensversicherung an seit Vertragsabschluss bezugsberechtigte Dritte der Vertragserbe oder Pflichtteilsberechtigte nur hinsichtlich der einbezahlten Prämien Rechte geltend machen kann, nicht jedoch bezüglich der Versicherungssumme selbst, die ja insbesondere im Fall der Risikolebensversicherung den wesentlichen Vermögenswert darstellt. 802

Wird die Bezugsberechtigung des Dritten jedoch erst nach Abschluss des Versicherungsvertrags begründet, gilt nach h.M. die Versicherungssumme als zugewendet, da diese ursprünglich einmal zum Vermögen des Versicherungsnehmers zählte, mit den entsprechend weitreichenden Konsequenzen für das Pflichtteilsrecht, die Rechte des Vertragserben aus § 2287 BGB und das Anfechtungsrecht.

Beratungshinweis: Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten ist im Fall von Scheidungen immer zu empfehlen, alle bestehenden Bezugsberechtigungen für den früheren Ehegatten zu widerrufen, da die Bezugsberechtigung für den Fall der Ehescheidung nicht auflösend bedingt ist3. e) Gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelungen 803

Nachfolgeregelungen in Gesellschaftsverträgen fallen grundsätzlich nicht unter § 2301 BGB, selbst wenn der Anteil des verstorbenen Gesellschafters unentgeltlich an die anderen Gesellschafter oder Dritte fällt. Nach zutreffender Auffassung des BGH4 sind mit der Nachfolge in den Anteil einer Gesellschaft Pflichten verbunden, die nicht mit einem Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall übertragen werden können. 4. Steuerrechtliche Beurteilung des Vertrags zugunsten Dritter

804

Fällt der Vollzug einer Schenkung von Todes wegen mit dem Tod des Schenkenden zusammen, handelt es sich hierbei steuerrechtlich i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 2, 4 ErbStG um einen Erwerb von Todes wegen. Steuerschuldner i.S.d. § 20 ErbStG ist, im Gegensatz zur Schenkung unter Lebenden, nicht der Erbe als Rechtsnachfolger des Schenkenden, sondern allein der Erwerber5. Hat der Erblasser die Entrichtung der vom Erwerber geschuldeten Steuer einem anderen auferlegt oder hat der Schenker die Steuer übernommen, bleibt der Erwerber dennoch Steuerschuldner. Durch die dem Erwerber zusätzlich zugute kommende Leistung des Erblassers erhöht sich die Steuerschuld zudem. Die Berechnung des Steuermehrbetrags ergibt sich aus § 10 Abs. 2 ErbStG6. Bei Verträgen zugunsten Dritter müssen Banken und Versicherungen dem Finanzamt nur den Bezugsberechtigten, nicht jedoch den Erben mitteilen, soweit an diesen keine Leistung erfolgt. 1 BGH v. 17.9.1986 – IVa ZR 13/85, BGHZ 98, 226 = MDR 1987, 126 = FamRZ 1986, 1197; BGH v. 6.5.1987 – IVa ZR 41/86, MDR 1987, 913 = NJW 1988, 138. 2 Dittmann/Reimann/Bengel, Abschnitt E, Rz. 274. 3 BGH v. 17.9.1975 – IV ZA 8/75, NJW 1976, 290 f. 4 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (230 f.). 5 Troll/Gebel/Jülicher, § 20 ErbStG Rz. 16. 6 Troll/Gebel/Jülicher, § 20 ErbStG Rz. 20. 258

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Esser

III. Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft Schrifttum: Bartz, Erbeinsetzung oder Vermächtnis, Diss. Köln, 1972; Brüggemann, Gegenseitige Erbeinsetzung von Ehegatten und Benennung von Nichten/Neffen als Schlusserben, ErbBstg 2011, 99; Eidenmüller, Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung, JA 1991, 150; Lindemann, Erben nach Gegenständen, DNotZ 51, 215; Loritz, Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis, NJW 1988, 2697; Mathern, Einzelzuwendungen von Todes wegen, DNotZ 1963, 450; Mathern, Einzelzuweisungen auf den Todesfall, BWNotZ 1965, 1; Mayer, Gewillkürte Erbfolge, FPR 2011, 247; A. Möller, Ersatzerbfolge oder Nacherbfolge?, Erbrecht effektiv 2007, 46; A. Möller, Abgrenzung Erbeinsetzung und Vermächtnis, Erbrecht effektiv 2008, 182; G. Möller, Zuwendung eines Sparguthabens, Erbrecht effektiv 2007, 21; G. Möller, Auslegung: Erbeinsetzung oder Vermächtnis?, Erbrecht effektiv 2007, 169; Nieder, Die ausdrücklichen oder mutmaßlichen Ersatzbedachten im deutschen Erbrecht, ZEV 1996, 241; Otte, Lässt das Erbrecht des BGB eine Erbeinsetzung auf einzelne Gegenstände zu?, NJW 1987, 3164; Schäfer, Die Mindestanforderungen an die Bestimmtheit des Erblasserwillens bei der letztwilligen Verfügung, BWNotZ 1962, 188; Schlüter, Abgrenzungsfragen: Vermächtnis – Teilungsanordnung – Erbeinsetzung, ErbR 2011, 233; Schrader, Erb- und Nacherbeneinsetzung auf einzelne Nachlassgegenstände, NJW 1987, 117; Sommer/Kerschbaumer, „Echte“ und „überquotale“ Teilungsanordnungen – Zivil- und steuerrechtliche Probleme, ZEV 2004, 13; Staats, Anwachsung oder Erhöhung bei Wegfall eines „gesetzlichen Erben“, ZEV 2002, 11; Steiner, Ertragsteuerliche Folgen von Erbeinsetzung, Vermächtnis und Teilungsanordnung, ErbStB 2005, 17; Wendelstein, Gegenständliche Verteilung des Nachlasses im Testament, BWNotZ 1966, 274. Rz.

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Checkliste für das erste Beratungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gestaltungsempfehlungen . . . . . . IV. Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung, Vermächtnis und Teilungsanordnung (§ 2087 BGB) 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegungshilfen . . . . . . . . . . . . . . 4. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . 5. Einzelfälle aus der Praxis . . . . . . .

1

Rz.

VII. Unbestimmte Erbteile (§ 2091 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 VIII. Teilweise Einsetzung auf Bruchteile (§ 2092 BGB) . . . . . . . . . . . . . 3 IX. Gemeinschaftlicher Erbteil (§ 2093 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 8 11 13 14

V. Einsetzung auf einen Bruchteil (§ 2088 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Erhöhung und Minderung der Bruchteile (§§ 2089, 2090 BGB) .

16

X. Anwachsung (§§ 2094, 2095 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 19 20 23

XI. Die Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB) 1. Regelung unverzichtbar . . . . . . . . 2. Zweifelsfälle aus der Praxis . . . . . 3. Die Rechtsstellung des Ersatzerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ersatzerbschaft als Gestaltungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auslegungsregeln (§§ 2097 ff. BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 28 29 30 40

I. Allgemeines Der Gesetzgeber hätte sich die §§ 2087 ff. BGB weitgehend ersparen können, wenn die Bürger sachverständigen Rat suchen und vernünftige und vollständige Grötsch

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B III

Rz. 2

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

letztwillige Verfügungen hinterlassen würden. Das Gegenteil ist bekanntlich oft der Fall, so dass die Auslegungs- und Ergänzungsregeln der §§ 2087 ff. BGB dort (und nur dort) helfen müssen, wo sich der Erblasserwille nicht ermitteln lässt. Was der Erblasser wirklich gewollt hat, ist also vorab zu eruieren. Nur wenn dies nicht gelingt, ist auf die §§ 2087 ff. BGB zurückzugreifen. Der Berater hilft jedoch nicht nur im Erbfall, wenn es u.a. darum geht, den letzten Willen zu erforschen, sondern steht dem Mandanten auch vor dessen Tod im Rahmen der Gestaltung der letztwilligen Verfügung zur Seite. Nur wenn der Berater die §§ 2087 ff. BGB kennt, überblickt er den Regelungsbedarf und schließt von vornherein alle denkbaren Lücken. Dann muss im Erbfall nicht spekuliert werden, was der Erblasser wohl gewollt haben mag, und dann entgeht man auch der Gefahr, dass die Anwendung der genannten gesetzlichen Regelungen den wirklichen Willen des Erblassers konterkarieren. Ein Handbuch soll Orientierung beim ersten Zugriff schaffen. Gerade die Erbeinsetzung offenbart jedoch eine so komplexe Kasuistik, dass hier nur die Grundlinien erfasst werden können. Dabei empfiehlt es sich, die Darstellung der Reihenfolge der gesetzlichen Vorschriften folgen zu lassen.

II. Checkliste für das erste Beratungsgespräch Beratungssituation: Der Mandant verfügt über Immobilien- und Barvermögen. Im Falle seines Todes sollen sowohl seine Ehefrau als auch seine drei Söhne am Nachlass teilhaben. Er hat auch einige Freunde, denen er etwas zukommen lassen möchte. Welche Fragen wird der Berater stellen? 2

– Welche Vermögensgegenstände sind vorhanden? – Welchen Verkehrswert haben sie? – Welche wirtschaftlichen Erwägungen sind maßgebend? – Wer soll welchen Gegenstand bzw. welche Erbquote erhalten? – Wer soll welche Mitsprache- (Mitverwaltungs)rechte haben? – Ist eine Erbengemeinschaft gewünscht und sinnvoll? – Wie alt sind die Zuwendungsempfänger? – Wie ist das Verständnis zwischen ihnen, wie der Charakter der Beteiligten? – Welche Ausbildung, welchen Beruf haben sie? – Wie ist die Beziehung zu den Schwiegerkindern? – Wer soll Erbe, wer Vermächtnisnehmer sein? – Kommt Teilungsanordnung in Betracht? – Soll bei der Zuwendung unterschiedlicher Werte ein Geldausgleich erfolgen (Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnis)? – Soll alles endgültig festgelegt werden, oder bleiben z.B. noch gewisse postmortale Bestimmungsrechte (etwa bzgl. Vermächtnissen oder Testamentsvollstreckung)? – Was soll gelten, wenn ein eingesetzter Erbe oder Vermächtnisnehmer vorverstirbt, ausschlägt oder für erbunwürdig erklärt wird? 260

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

B III

Rz. 4

III. Gestaltungsempfehlungen Die konkrete Gestaltung hängt im Wesentlichen von den Antworten auf die unter II. gestellten Fragen ab. Wenn (zutreffend) immer wieder darauf verwiesen wird, dass ca. 90 Prozent der letztwilligen Verfügungen unwirksam, widersprüchlich, unklar oder unvernünftig sind, so liegt das nicht zuletzt daran, dass man auf Musterlösungen zurückgreift, die den Besonderheiten des Einzelfalls nicht gerecht werden. Entweder werden die unter II. aufgezählten Fragen überhaupt nicht gestellt oder aus den Antworten nicht die richtigen Konsequenzen gezogen. Die Praxis beweist leider, dass sich Fehlgestaltungen nicht auf Details beschränken, sondern das Grundsätzliche der Konstruktion betreffen. Viele Testamente befassen sich über Seiten hinweg mit sehr speziellen Regeln über einen Armreif oder eine Kuckucksuhr, und doch begegnen sich die Beteiligten im Erbfall trotz der Schreibarbeit des Erblassers total zerstritten vor Gericht, weil schon das Gerüst der letztwilligen Verfügung falsch konzipiert ist.

3

Folgende Gestaltungs- und Formulierungsgrundregeln müssen Berater und Testator beachten:

3a

– Keine Lücken lassen, – äußerste terminologische Klarheit, d.h. präzise Formulierung von Allein- und Miterbschaft, Vor- und Nacherbschaft, Voll- und Schlusserbschaft, Ersatzerbschaft, Einsetzung auf einen Bruchteil, Teilungsanordnung (mit Wertausgleich), Vermächtnis, Vorausvermächtnis (ohne Wertausgleich) oder Nießbrauchsvermächtnis, – Nachlass gegenständlich verteilen, d.h. zugleich: Erbengemeinschaft soweit wie möglich vermeiden bzw. entschärfen, – Erbengemeinschaft in der Regel nicht sinnvoll bei: größerem Vermögen, Immobilienvermögen, Unternehmen, Auslandsvermögen, zerstrittener Familie, zu jungen, unwilligen oder unfähigen Kindern. – Liegen die Dinge wie im vorigen Punkt und ist Erbengemeinschaft ausnahmsweise sinnvoll, kann sich Dauer- oder Verwaltungstestamentsvollstreckung empfehlen. – Können Pflichtteile vermutlich nicht in Geld ausgezahlt werden, kann der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten, die er nicht in der Erbengemeinschaft sehen will, Vermächtnisse in Form von Gegenständen in Höhe des Pflichtteilswerts zuwenden (allerdings nur unbeschadet ihres Ausschlagungsrechts, § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB). – Sollen z.B. Schwiegerkinder oder nachfolgende Ehepartner nichts von dem erben, was ursprünglich vom Erblasser stammt, bedarf es der Vor- und Nacherbschaft.

IV. Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung, Vermächtnis und Teilungsanordnung (§ 2087 BGB) 1. Grundsätze Eine Nachfolge (mit unmittelbarer rechtlicher Wirkung) in Einzelgegenstände kennt unser Recht nicht. Der Erbe ist Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers, Grötsch

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B III

Rz. 5

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

als Alleinerbe allein, als Miterbe in Gesamthandsgemeinschaft zu einem Bruchteil. Der Vermächtnisnehmer ist nicht Erbe, sondern besitzt gegen den Nachlass nur einen schuldrechtlichen Anspruch. Der Vorausvermächtnisnehmer besitzt ebenfalls einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Nachlass, ist aber zugleich Miterbe, steht also auf beiden Seiten. Das Vorausvermächtnis ist ein Extra und wird auf den Erbteil nicht angerechnet. Die Teilungsanordnung gewährt dem einzelnen Miterben dagegen nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Auseinandersetzung des Nachlasses mit der Maßgabe, dass der Betreffende den für ihn bestimmten Gegenstand im Rahmen der Erbauseinandersetzung erhält. Der Wert des per Teilungsanordnung zugewiesenen Gegenstands wird dabei auf seinen Erbteil angerechnet. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist hierbei, ob der Erblasser den Bedachten durch die Zuweisung wertmäßig begünstigen wollte, ihm den Gegenstand also neben dem Erbteil zukommen lassen wollte (dann Vorausvermächtnis), oder ob der Erblasser lediglich sicherstellen wollte, dass der Bedachte einen bestimmten Gegenstand erhält, wertmäßig aber nicht mehr als seine Erbquote erhalten sollte (näher hierzu Kap. B VI Rz. 30). Weichen die Werte des speziell Zugewandten von der gesetzlichen oder festgelegten Erbquote ab, hat bei einer Teilungsanordnung (im Gegensatz zum Vorausvermächtnis) ein Wertausgleich (in der Regel in Geld) stattzufinden1. Jeder Miterbe kann auf Kosten des Nachlasses Wertgutachten durch Sachverständige verlangen2. Leider lassen viele Testamente diese klarstellenden Begriffe vermissen. Beispiel:

5

Das Testament des Erblassers lautet: „Wenn ich einmal sterbe, soll mein Vermögen wie folgt verteilt werden: Mein Sohn Hans bekommt mein Haus, Sohn Peter das Auto, Tochter Ulrike meinen Schmuck. Unterschrift: E.“

Ein klassisches Laientestament: Die meisten Gegenstände des Nachlasses sind nicht erfasst, kein Wort dazu, wer (mit welchem Anteil) Erbe, wer Vermächtnisnehmer sein, kein Wort dazu, wer für etwaige Nachlassverbindlichkeiten aufkommen soll. Beispiel:

6

Das Testament des Erblassers lautet: „Mein Vermögen vermache ich meiner Tochter Rosemarie. Meine Schwester Christine erbt meinen Pkw.“

Auch dies ein Testament aus der Laienfeder: Derjenigen, die nahezu alles erhalten soll, wird etwas „vermacht“, diejenige, die nur einen Gegenstand erhält, „erbt“. Beispiel:

7

Wortlaut des Testaments: „Mein Sohn Karl-Heinz erhält die Hälfte meines Vermögens. Den Rest sollen sich meine vier Geschwister teilen.“

Auch dies ist eine höchst unpräzise Regelung. In allen hier skizzierten Beratungssituationen bedarf es per Auslegung der Klärung, wer was erhält, wer für die Abwicklung des Nachlasses zuständig und wer Rechtsnachfolger des Erblassers ist, zudem, wer für die Verbindlichkeiten einzustehen hat, schließlich auch, 1 OLG Frankfurt v. 5.10.2007 – 3 U 272/06, ZErb 2008, 166; OLG Koblenz v. 13.10. 2005 – 5 U 451/05, FamRZ 2006, 292. 2 LG Nürnberg-Fürth v. 25.1.2000 – 10 O 8569/99, NJWE-FER 2000, 261. 262

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Grötsch

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

B III

Rz. 9

wen welche Steuerpflicht trifft (was ebenfalls mit dem Status zusammenhängt). Die Antworten folgen aus § 2087 BGB, wenn auch nur im Grundsatz. Folgende Kernaussagen können getroffen werden:

7a

– Entscheidend ist der Wille des Erblassers. § 2087 BGB greift nur ein, wenn dieser Wille nicht zu ermitteln ist1. – Wer den gesamten Nachlass erhält, ist Erbe, auch wenn er nicht als solcher bezeichnet wurde. – Auch wer auf einen Bruchteil gesetzt wurde, ist Erbe (drittes Beispiel: KarlHeinz ist also Erbe, fraglich ist der Status der vier Geschwister). Einsetzung auf den Bruchteil ist nach allgemeiner Meinung auch dann gegeben, wenn der Erblasser sog. Vermögensgruppen bildet, etwa in der Weise, dass einer das Immobilienvermögen erhält, der andere die Wertpapiere, ein Dritter sämtliche Urheberrechte2. – Wer einzelne Gegenstände erhält, ist Vermächtnisnehmer. – Die Auslegung klebt nicht am Wortlaut (zweites Beispiel). Es kann jemand Erbe sein, dem etwas „vermacht“ wurde, umgekehrt kann derjenige, der nur einzelne Gegenstände aus dem Nachlass erhält, Vermächtnisnehmer sein, auch wenn er als „Erbe“ bezeichnet wurde3. 2. Ausnahmen Folgte man dem Wortlaut des § 2087 Abs. 2 BGB, wären im ersten Beispiel des vorigen Abschnitts (Rz. 5) alle Empfänger nur Vermächtnisnehmer. Das ist jedoch nicht der Fall. Zum einen gibt es keinen erbenlosen Nachlass, zum anderen gilt nach allgemeiner Auffassung derjenige als Erbe, dem wertmäßig der Hauptgegenstand zugewendet wurde4, in der Beratungssituation also Hans, es sei denn, der Wert des Schmucks läge weit über dem des Hauses. Diese Sichtweise gilt insbesondere dann, wenn der Hauptgegenstand eine Immobilie ist5 oder wenn einzelne Gegenstände an mehrere Personen verteilt werden sollen und der Erblasser zugleich bestimmt hat, dass ein anderer das „übrige Vermögen“ erhält (wenn dieses wertmäßig deutlich über dem jeweiligen Wert der anderen Gegenstände liegt)6. Hans ist also Alleinerbe, die anderen sind Vermächtnisnehmer.

8

Hat ein Gegenstand gegenüber anderen Gegenständen, die weiteren Personen konkret zugewendet wurden, wertmäßig keine herausragende Bedeutung, so

9

1 BGH v. 22.3.1972 – IV ZR 134/70, FamRZ 1972, 561; BayObLG v. 25.6.1990 – BReg. 1a Z 69/89, FamRZ 1990, 1399; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 1; § 2087 BGB enthält eine Auslegungsregel, keine gesetzliche Vermutung. 2 BGH v. 16.10.1996 – IV ZR 349/95, FamRZ 1997, 349 = MDR 1997, 260; BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BR 107/96, FamRZ 1997, 1177 = ZEV 1997, 517. 3 Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 2; Klinger/Scheuber, NJW-Spezial 2008, 135. 4 BGH v. 19.1.1972 – IV ZR 1208/68, DNotZ 1972, 500; BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 6; OLG Brandenburg v. 18.6. 2008 – 13 U 77/07, OLGReport 2009, 12; Möller, Erbrecht effektiv 2008, 182 und 2007, 169; OLG München v. 21.5.2007 – 31 Wx 120/06, ZEV 2007, 383. 5 Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 6. 6 BayObLG v. 4.4.2002 – 1Z BR 19/01, NJW-RR 2002, 1232. Grötsch

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B III

Rz. 10

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder handelt es sich um Vorausvermächtnisse oder um Teilungsanordnung, je nachdem, was dem Erblasserwillen mehr entspricht. Entscheidend ist, dass hier mehrere Personen zu Erben eingesetzt wurden, wiederum entgegen dem Gesetzeswortlaut, nach dem es sich um reine Vermächtnisse handeln würde. 10

Eine weitere Ausnahme von der Regel des § 2087 Abs. 2 BGB wird gebildet, wenn ein Gegenstand ausdrücklich vermächtnisweise zugewendet wurde, er jedoch den Hauptwert des Nachlasses bildet. Der Empfänger ist dann in der Regel Erbe. 3. Auslegungshilfen

11

Lässt sich der Erblasserwille nicht anders ermitteln, greift § 2087 BGB ein. Aus den bisherigen Ausführungen folgt: Wer den größten Brocken erhält, ist unabhängig vom Wortlaut des Testaments in der Regel Erbe, wenn die den anderen Personen zugewendeten Gegenstände wertmäßig von sehr untergeordneter Bedeutung sind. Hat das im Testament so genannte „Vermächtnis“ den größten Wert, kann der Empfänger dennoch Erbe sein. Sind mehrere Personen Erben, weil zwischen den konkreten Zuwendungen keine großen Wertunterschiede bestehen, handelt es sich um Vorausvermächtnisse oder Teilungsanordnung. Mit der Entscheidung für eines von beiden ist aber noch nichts Endgültiges über die Erbquoten gesagt. Sie können sich, wenn der Erblasser dazu nichts bestimmt hat, nach dem Wert der konkreten Zuwendungen richten, Maßstab kann aber auch das Verhältnis der gesetzlichen Erbquoten sein. Im Zweifel gilt: Die Erbquoten richten sich nach den zugewendeten Werten1.

12

Ermöglichen die Werte keine klare Entscheidung, ob jemand Erbe oder Vermächtnisnehmer ist, dienen als weitere Auslegungshilfen folgende Gesichtspunkte: – Wie stark hat sich der Erblasser die Rolle des Zuwendungsempfängers vorgestellt? Soll dieser nur etwas aus dem Nachlass erhalten oder als Rechtsnachfolger in die Stellung des Erblassers eintreten? Hierbei geht es nicht nur um die Vermögensnachfolge, also die Fortsetzung der wirtschaftlichen Stellung, sondern auch um psychologische Aspekte, z.B. die geistig-seelischen Strukturen der Familie. Je mehr der Erblasser im Bedachten seinen Nachfolger sieht, je mehr er ihn am Schicksal des Nachlasses teilhaben lassen will, desto mehr spricht für den Erbenstatus2. – Für diesen spricht es auch, wenn der Empfänger die Belastungen des Nachlasses tragen, insbesondere für die Nachlassverbindlichkeiten einstehen soll3. Das kann selbst dann gelten, wenn nach deren Erfüllung kein nennenswerter Vorteil verbleibt oder dem Erben nicht der größte Teil des Nachlasses verbleibt4. Im Einzelfall kann der Vermächtnisnehmer also sogar besser dastehen als der Erbe. 1 OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – I-3 Wx 56/13, ErbBstg 2014, 10. 2 Lange/Kuchinke, § 27 II 2a; Klinger/Roth, NJW-Spezial 2008, 39. 3 BayObLG v. 27.8.1985 – BReg. 1Z 20/85, FamRZ 1986, 604; BayObLG v. 9.12.1985 – BReg. 1Z 90/85, FamRZ 1986, 835; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 4. 4 Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 4; BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 135/03, MDR 2004, 1423 = FamRZ 2004, 1562 = NJW 2004, 3558. 264

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

B III

Rz. 13a

– Erbe und nicht Vermächtnisnehmer ist schließlich, wem die Aufgabe zufällt, den Nachlass abzuwickeln, wozu auch die Organisation und Finanzierung der Beerdigung zählen1. Bleibt die Waagschale in der Schwebe, sollte pragmatisch ausgelegt werden. Im Zweifel verdient die Auslegung den Vorzug, wonach einer Erbe ist, die anderen Vermächtnisnehmer. Tendenziell ist es immer von Vorteil, es nicht mit einer Erbengemeinschaft zu tun zu haben. 4. Maßgeblicher Zeitpunkt

Beratungssituation: Das Testament lautet: „Universalerbin ist meine Schwägerin Antonia. Etwaiges Bargeld erhält mein Bruder Carl.“ Nach dem Tod des Erblassers beantragt Carl einen Erbschein, der ihn als Alleinerbe ausweist. Begründung: Zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments sei neben fast wertlosem Hausrat nur geringes Bargeld vorhanden gewesen. Dann habe der Erblasser jedoch ein Sparguthaben in Höhe von 50 000 Euro gebildet. Dies verkörpere im Zeitpunkt des Todes wertmäßig nahezu den gesamten Nachlass. Ist Carl Erbe, obwohl der Erblasser ausdrücklich Antonia zur „Universalerbin“ bestimmt hatte? Die Antwort hängt davon ab, an welchen Zeitpunkt die Auslegung anknüpft: Testamentserrichtung oder Erbfall? Allgemein entscheiden die Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Sie gelten auch für das dann bei seinem Tod vorhandene Vermögen. Nachträgliche Veränderungen (Mehrung oder Verringerung) lassen also die Erbeinsetzung und die mit ihr verbundenen Quoten unberührt2, ebenso wenig tritt bezüglich des nach Testamentserrichtung eingetretenen Vermögenszuwachses gesetzliche Erbfolge ein3. Im Beispielsfall ist also davon auszugehen, dass Antonia Alleinerbin ist.

13

Etwas anderes kann in folgenden Fällen gelten: Wenn für den Erblasser bei Errichtung des Testaments, in dem er die Erbquoten durch Zuweisung seines gesamten Vermögens per Einzelgegenständen an die Erben bestimmte, im Vordergrund stand, den Bedachten gerade die ihnen zugewiesenen Gegenstände zukommen zu lassen, kann auf den Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt werden4. Eine weitere Ausnahme: Die Verringerung des Vermögens zwischen Testamentserrichtung und Erbfall beruht darauf, dass bereits eine lebzeitige Schenkung an den testamentarisch Bedachten erfolgte. Hier ist an eine Anrechnung auf den per Teilungsanordnung zufließenden Wert zu denken5. Eine Berücksichtigung von Vermögensänderungen kann im Rahmen der Auslegung auch dann geboten sein, wenn der Erblasser Verschiebungen seines Vermögens bereits bei Testamentserrichtung erkennbar in seine Dispositionen einbezogen hat. Das gilt etwa,

13a

1 BayObLG v. 9.12.1985 – BReg. 1Z 90/85, FamRZ 1986, 835. 2 BGH v. 22.3.1972 – IV ZR 134/70, FamRZ 1972, 561; BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BReg. 107/96, FamRZ 1997, 1177 = NJW-RR 1997, 517; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 7. 3 BayObLG v. 9.12.1985 – BReg. 1Z 90/85, FamRZ 1986, 835. 4 OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – I-3 Wx 56/13, ErbBstg 2014, 10. 5 BGH v. 16.10.1996 – IV ZR 349/95, FamRZ 1997, 349 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 392; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 7. Grötsch

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B III

Rz. 14

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

wenn sich der Erblasser eine gesonderte Regelung z.B. für sein ausländisches Vermögen vorbehalten hat, was auch seine lebzeitige Verfügungen umfasst1. 5. Einzelfälle aus der Praxis 14

– Zuwendung einer Immobilie (wenn sie den wesentlichen Wert des Nachlasses bildet): Empfänger ist Alleinerbe2. Das gilt auch bei Zuwendung des Immobilienvermögens und des nach Abzug von Geldzuwendungen verbleibenden übrigen Vermögens3. – Empfänger wurde bestimmt zum „Alleinerben der Wohnung“, die allerdings nur gemietet war: Dennoch Einsetzung als Alleinerbe, wenn sich in ihr das Hauptvermögen des Erblassers befand4. – Zuwendung von „Haus mit Inhalt“: Dann Vermächtnis, wenn es sich nicht um den wesentlichen Nachlass handelt5. – Zuwendung eines Geldbetrags: In der Regel Vermächtnis, es sei denn, der Nachlass erschöpft sich darin im Wesentlichen6. – Die Zuwendung des gesetzlichen Erbteils kann im Einzelfall „Quotenvermächtnis“ sein (Zahlung eines dem Bruchteil entsprechenden Barerlöses)7. – Wurde ein Erbe eingesetzt und angeordnet, ein bestimmter Gegenstand falle ihm nicht zu, ist dies ein Vermächtnis zugunsten der gesetzlichen Erben8. – Divergieren bei Vermögensgruppen die errechneten Erbteile und die vom Erblasser ausdrücklich angegebenen, können im Einzelfall die tatsächlichen Wertverhältnisse für die Erbquoten maßgeblich sein9. – Enthält das Testament nur eine Verfügung in Bezug auf einen geringen Vermögensanteil, z.B. einen bestimmten Geldbetrag, handelt es sich insoweit um ein Vermächtnis, für den Rest gilt gesetzliche Erbfolge10. – Die Zuwendung des Pflichtteils ist in der Regel keine Erbeinsetzung (§ 2304 BGB). – Soll der Ehepartner gemäß dem Testament über den Nachlass lebzeitig und von Todes wegen frei verfügen können und sollen andere Verwandte das erhalten, worüber der überlebende Ehepartner bis zu seinem Tod nicht lebzeitig oder letztwillig verfügt hat, dann ist er beim Tod des ersten Ehepartners Al1 BayObLG v. 4.12.1997 – 1Z BReg. 112/97, RPfleger 1998, 201. 2 BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BReg. 107/96, FamRZ 1997, 1177; BayObLG v. 7.9. 2004 – 1Z BR 66/04, FamRZ 2005, 1202. 3 BayObLG v. 22.2.2005 – 1Z BR 94/04, OLGReport 2005, 766. 4 BayObLG v. 29.6.1994 – 1Z BReg. 125/93, FamRZ 1994, 1554. 5 BayObLG v. 22.6.1990 – BReg. 1a Z 9/90, FamRZ 1990, 1401; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 8 (so auch BayObLG v. 26.4.2002 – 1Z BR 34/01, OLGReport 2003, 15). 6 BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BReg. 107/96, FamRZ 1997, 1177; OLG Naumburg v. 27.6.2006 – 10 Wx 3/06, FamRZ 2007, 943. 7 BGH v. 25.5.1960 – V ZR 57/59, NJW 1960, 1759; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 8. 8 Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 9. 9 BGH v. 17.2.1960 – V ZR 144/58, LM, § 2084 Nr. 12; Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 9. 10 BayObLG v. 3.5.1990 – BReg. 1a Z 81/89, FamRZ 1990, 1156. 266

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

B III

Rz. 14

leinerbe, die Verwandten sind Vermächtnisnehmer1, sofern nicht von bedingter Vor- und Nacherbschaft auszugehen ist2. – Wendet der Erblasser einer Person eine Erbschaft zu, die ihm selber zugefallen war, handelt es sich in der Regel um ein Vermächtnis3. – Der Nießbrauch am Nachlass oder an einem Teil davon ist in der Regel Vermächtnis4. – Mangels Bestimmtheit nichtige Erbeinsetzung bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Vermächtnisnehmer Ersatzerbe wird.5 – Gehört der vermächtnisweise zugewendete Gegenstand zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht zum Nachlass, kann dies ein Verschaffungsvermächtnis sein (§ 2170 BGB),6 welches sich auch auf ein Recht, z.B. ein Wohnrecht7 oder ein Ankaufsrecht,8 beziehen lässt. – Die Verteilung des gesamten Nachlasses an zwei Personen ohne ausdrückliche Erbeneinsetzung kann bedeuten, dass der eine Erbe, der andere Vermächtnisnehmer ist.9 – Erfolgte die Erbeinsetzung nach Bruchteilen entsprechend den zugewendeten Werten, tritt bezüglich der übrigen Gegenstände nicht gesetzliche Erbfolge ein10. – Bezeichnet der Erblasser in seinem Testament drei Personen als „Erben“ und wendet ihnen jeweils bestimmte Gegenstände zu, die den Nachlass erschöpfen, kann dies (entgegen § 2087 Abs. 2 BGB) eine Erbeinsetzung auf den Bruchteil sein (die Höhe des Bruchteils richtet sich nach dem Wert der Zuwendungen)11. – Verteilt der Erblasser nahezu sein ganzes Vermögen nach Gegenständen und Vermögensgruppen auf eine Person und deren Enkel, so handelt es sich (entgegen § 2087 Abs. 2 BGB) um eine Erbeinsetzung mit Teilungsanordnung (die Erbquoten richten sich nach den zugewendeten Werten)12. – Benennt der Erblasser mehrere Personen als Erben und wendet ihnen den Nachlass nicht erschöpfende Gegenstände zu, so ist dennoch einer von ihnen Alleinerbe, wenn er laut Testament für den Ausgleich fälliger Nachlassverbindlichkeiten und für die Organisation der Bestattung zuständig sein soll. Die anderen sind dann Vermächtnisnehmer13. 1 OLG Bremen v. 14.10.1955 – 1 W 290/55, DNotZ 1956, 149. 2 BayObLG v. 3.8.2001 – 1Z BR 101/00, FamRZ 2002, 274 = NJW-RR 2001, 1588. 3 Staudinger/Otte, § 2087 Rz. 20; BayObLG v. 2.3.1998 – 1Z BR 130/97, FamRZ 1998, 1262. 4 Soergel/Loritz, § 2087 Rz. 21. 5 OLG München v. 29.9.2000 – 21 U 2369/00, FamRZ 2001, 940. 6 Grziwotz, MDR 2002, 10. 7 OLG Bremen v. 29.9.2000 – 5 U 39/2000, ZEV 2001, 401. 8 BGH v. 27.6.2001 – IV ZR 120/00, MDR 2001, 1296. 9 BayObLG v. 22.2.2001 – 1Z BR 70/00, FamRZ 2001, 1252. 10 BayObLG v. 28.12.1999 – 1Z BR 137/99, BayObLGReport 2000, 16. 11 OLG Celle v. 19.7.2002 – 6 W 82/02, MDR 2003, 89. 12 BayObLG v. 8.5.2003 – 1Z BR 124/02, OLGReport 2003, 339. 13 BayObLG v. 14.12.2000 – 1Z BR 95/00, ZEV 2001, 240. Grötsch

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B III

Rz. 15

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

– Setzt jemand 38 Personen ausdrücklich zu „Erben“ ein, kann es dennoch geboten sein, nur einen von ihnen als (Allein-)Erben, die anderen als Vermächtnisnehmer zu betrachten1. – Erhalten laut Testament vier Töchter und sechs Enkel des Erblassers je den gleichen Geldbetrag und den Rest ein anderer, so ist Letzterer Alleinerbe, und die Erstgenannten sind Vermächtnisnehmer, wenn das Restvermögen den Wert jeder einzelnen anderen Zuwendung erheblich übersteigt2. – Bestimmt der Erblasser zwei Personen namentlich zu Erben zu je 40 Prozent und verfügt, dass der Restnachlass für Grabpflege verwendet werden soll, so gilt für diese 20 Prozent nicht etwa gesetzliche Erbfolge, sondern die beiden Personen sind Erben zu je ein Halb, zugleich mit einer Grabpflegeauflage belastet3.

V. Einsetzung auf einen Bruchteil (§ 2088 BGB) Beratungssituation: Das Testament vom 1.5.1985 lautet: „Zum Alleinerben meines Vermögens in der Bundesrepublik setze ich meinen Sohn Kurt ein.“ Wer ist Erbe des Vermögens in der früheren DDR? 15

Entscheidend ist wieder der Wille des Erblassers. Was wollte er? Sollte Kurt bewusst nur das Vermögen in der Bundesrepublik erhalten oder hat der Erblasser sein DDR-Vermögen vielleicht übersehen oder wollte er die Nachfolge insoweit erst später regeln? Nur wenn sich das alles nicht klären lässt, greift § 2088 Abs. 1 BGB ein: Das DDR-Vermögen geht an die gesetzlichen Erben (aber wohl nicht anteilig an Kurt, wenn er zu ihnen zählt4). Gleiches würde gelten, wenn der Erblasser mehrere Erben unter Beschränkung eines jeden auf einen Bruchteil eingesetzt hätte und die Bruchteile das Ganze nicht erschöpfen, § 2088 Abs. 2 BGB. Gesetzliche Erbfolge bezüglich des Restes tritt gem. § 2088 BGB auch dann ein, wenn der Erblasser den Bedachten durch Zuwendung einzelner Gegenstände zum Erben einsetzen wollte, diese jedoch nicht den ganzen Nachlass erfassen. Aber nochmals zur Klarstellung: Wenn sich z.B. ein Erblasserwille des Inhalts ermitteln lässt, dass der benannte Erbe trotz nicht vollständiger Aufzählung der Gegenstände im Testament dennoch alles erhalten sollte, dann kommt § 2088 BGB überhaupt nicht zum Zuge.

VI. Erhöhung und Minderung der Bruchteile (§§ 2089, 2090 BGB) Beratungssituation: Wortlaut des Testaments: „Zu meinen Erben setze ich ein meine Töchter Dita (1/ 2), Waltraud (1/ 5) und Ulrike (1/ 5).“ Wer erbt das nicht genannte restliche Zehntel? 16

Wieder herrscht der Erblasserwille. Ist ihm zu entnehmen, dass die drei Töchter nur diese 9/10 erben sollten, tritt für das letzte Zehntel gesetzliche Erbfolge ein. Soll jedoch niemand außer ihnen erben, gilt § 2089 BGB. Die Bruchteile werden 1 2 3 4

BayObLG v. 12.3.2002 – 1Z BR 14/01, FamRZ 2002, 1745 = NJW-RR 2002, 873. BayObLG v. 4.4.2002 – 1Z BR 19/01, NJW-RR 2002, 1232. BayObLG v. 29.1.2003 – 1Z BR 42/02, ZEV 2003, 241. Palandt/Weidlich, § 2088 Rz. 1.

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

B III

Rz. 18

verhältnismäßig (also auf der Basis 5:2:2) erhöht, so dass sich mit Rücksicht auf den neuen Nenner 9 folgende Quoten ergeben: Dita 5/9, Waltraud und Ulrike je 2/9. Nach dem gleichen Prinzip wird verfahren, wenn die Summe der vom Erblasser gebildeten Bruchteile 100 % übersteigt. Dann erfolgt eine verhältnismäßige Minderung, § 2090 BGB.

VII. Unbestimmte Erbteile (§ 2091 BGB) Beratungssituation: Zunächst hatte der Erblasser sein Testament wie folgt formuliert: „Meine Freunde A (1/ 2), B (1/4), C (1/ 8) und D (1/ 8) werden meine Erben.“ Später strich er die Quoten in den Klammern, ließ den Text im Übrigen aber unverändert. Wie ist die Erbfolge? Die Lösung folgt aus § 2091 BGB: Alle vier Freunde erben je ein Viertel, da der Erblasser die Erbquoten letztlich nicht festgelegt hat. Dann nämlich sind die Erben zu gleichen Teilen eingesetzt.

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Da § 2091 BGB immer wieder falsch angewendet wird, hier die wichtigsten Grundsätze1:

18

– § 2091 BGB kommt nur zum Zuge, wenn mehrere Erben eingesetzt wurden und sich der wirkliche Wille des Erblassers bzgl. der Quoten nicht ermitteln lässt, weil sie weder ausdrücklich noch mittelbar bestimmt sind2. – § 2091 BGB greift nicht ein, wenn sich die Erbfolge aus der direkten oder analogen Anwendung der §§ 2066 bis 2069 BGB oder aus den tatsächlichen Umständen ergibt3. § 2091 BGB ist nur ein Notnagel. – § 2091 BGB kommt zur Anwendung, wenn sich der Erblasser die Bestimmung der Quoten noch vorbehalten hatte (§ 2086 BGB), dann jedoch untätig blieb. – Gleiches gilt, wenn die Quoten zunächst festgelegt, dann jedoch gestrichen wurden (Beratungssituation)4, oder wenn die Formulierung unsinnig ist (Beispiel aus der Rechtsprechung: „Als Erben setze ich ein meinen Bruder und dessen Tochter, meine Nichte, zum gesetzlichen Erbteil.“)5. – Bei der Formulierung „Erben sind meine Frau und meine Kinder“ dürfte die gesetzliche Erbfolge zum Zuge kommen (Stammprinzip), so dass § 2091 BGB keine Anwendung findet. – Sind ausdrücklich Geschwister verschiedener Kinder eingesetzt, gelten Kopfteile gem. § 2091 BGB. – Bei namentlicher Nennung gesetzlicher Erben ohne Erbteile gilt ebenfalls § 2091 BGB, nicht § 2066 BGB, sofern die vorrangige Auslegung nichts anderes ergibt6. 1 2 3 4 5 6

Palandt/Weidlich, § 2091 Rz. 1. BGH v. 6.12.1989 – IV a ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396. KG v. 19.1.2012 – 8 U 171/10, NotBZ 2012, 174. Soergel/Loritz, § 2091 Rz. 2. RGRK/Johannsen, § 2091 Rz. 1. OLG Frankfurt v. 3.9.1993 – 20 W 344/93, FamRZ 1994, 327. Grötsch

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B III

Rz. 19

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

VIII. Teilweise Einsetzung auf Bruchteile (§ 2092 BGB) Beratungssituation: Das Testament lautet: „A ist Erbe zu 1/ 3, B zu 1/ 8 . D und E erhalten den Rest.“ Erbfolge? 19

1/4 ,

C zu

Über 17/24 hat der Erblasser verfügt, den Rest, also 7/24, teilen sich gem. § 2092 BGB D und E hälftig. Wenn die konkret bestimmten Bruchteile 100 % erreichen oder sogar übersteigen, erfolgt, sollten weitere Erben eingesetzt sein, eine verhältnismäßige Rückrechnung gem. §§ 2092, Abs. 2, 2090 BGB.

IX. Gemeinschaftlicher Erbteil (§ 2093 BGB) Beratungssituation: Wortlaut des Testaments: „Zu meinen Erben setze ich meine Neffen A, B, C und D ein. A und B erhalten meine Firma, C und D mein Mietshaus.“ Handelt es sich bei den beiden Blöcken um gemeinschaftliche Erbteile? 20

§ 2093 BGB regelt nur die Rechtsfolgen eines gemeinschaftlichen Erbteils, nicht, wann ein solcher überhaupt vorliegt. Das muss per Auslegung ermittelt werden. Entscheidend ist, ob der Erblasser die betreffenden Erben im Verhältnis zu den übrigen Erben enger miteinander verknüpfen wollte1 und die Erbeinsetzung diesen Willen in irgendeiner Form ausdrückt. Anhaltspunkte können sich aus der räumlichen Anordnung der Benannten im Testament, der Zusammenfassung mehrerer Erben unter einen Gliederungspunkt, der Beziehung der Bedachten untereinander oder aus der Erbeinsetzung mehrerer auf denselben Nachlassgegenstand ergeben2. In der Beratungssituation dürfte es sich um solche Bruchteile handeln.

21

Rechtsfolgen eines gemeinschaftlichen Erbteils sind: – Anwendbarkeit der §§ 2089 bis 2092 BGB, – Anwachsung gem. § 2094 Abs. 1 S. 2 BGB innerhalb der Gruppe, – Ersatzberufung zunächst innerhalb der Gruppe, § 2098 Abs. 2 BGB.

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Zudem gilt trotz gemeinschaftlichen Erbteils Folgendes3: – Die Mitglieder des Bruchteils bilden keine Untererbengemeinschaft. – Kein Vorkaufsrecht der betreffenden Bruchteilsgemeinschaftserben vor den anderen Miterben (§ 2037 BGB). – Keine abweichenden Besonderheiten bei Abstimmungen im Rahmen der Nachlassverwaltung. – Die Mitglieder des gemeinschaftlichen Erbteils können jeweils nur über ihren eigenen Erbteil verfügen. Umgekehrt kann auch nur dieser ge- oder verpfändet werden. – Über den Umfang der Haftung (§§ 2059 Abs. 1, 2060 BGB) entscheidet nur der auf den Einzelnen entfallende Bruchteil. 1 BayObLG v. 31.5.1976 – BReg. 1Z 32/76, MDR 1976, 933. 2 Staudinger/Otte, § 2093 Rz. 1; MüKo.BGB/Rudy, § 2093 Rz. 2. 3 MüKo.BGB/Rudy, § 2093 Rz. 3. 270

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

B III

Rz. 24

X. Anwachsung (§§ 2094, 2095 BGB) Beratungssituation: Erblasser E, ein Witwer, hat zwei Söhne A und B, mit denen er jedoch zerstritten ist. In seinem Testament setzte er zunächst seine Freunde X, Y und Z zu je einem Drittel zu Erben ein. Später strich er den Namen des Z, ohne sonst eine Änderung vorzunehmen. E stirbt. Wie ist die Erbfolge? Die Anwachsung ist die aufgrund des Wegfalls eines letztwillig eingesetzten Miterben eintretende Vergrößerung des einem anderen Miterben zugewendeten Erbteils. Fällt also einer der eingesetzten Erben vor (Tod, Zuwendungsverzicht, Totgeburt einer als Erbe eingesetzten Leibesfrucht, auch nach dem Erbfall, Eintritt einer auflösenden oder Ausfall einer aufschiebenden Bedingung) oder nach dem Erbfall (Ausschlagung, Erbunwürdigkeitserklärung, Anfechtung) weg, kann Anwachsung gem. § 2094 BGB stattfinden, das heißt: Der frei gewordene Erbteil geht nicht an die gesetzlichen Erben, sondern an die übrigen Testamentserben im Verhältnis ihrer Quoten. Das Gesetz unterstellt, dass dies dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht.

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Hat der Erblasser nicht über den gesamten Nachlass verfügt, tritt Anwachsung nur ein, wenn mehrere Erben auf einen gemeinschaftlichen Erbteil gem. § 1093 BGB eingesetzt sind und einer dieser Erben wegfällt, § 2094 Abs. 1 S. 2 BGB, § 2094 Abs. 2 BGB. Andernfalls erhöht sich die Erbquote der gesetzlichen Erben, die neben den testamentarisch eingesetzten Erben berufen sind.

23a

Anwachsung findet nicht statt:

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– Wenn dem Testament ein entgegenstehender Wille zu entnehmen ist, also der Erblasser die Anwachsung per letztwilliger Verfügung gem. § 2095 Abs. 3 BGB zumindest konkludent1 ausgeschlossen hat, – wenn der Erblasser die Einsetzung einzelner Erben selber widerrufen hat (Beratungssituation), Grund: Es dürfte am Willen fehlen, abschließend zu verfügen2, – wenn die Erbeinsetzung von Anfang an nichtig war3, zumindest sofern der Grund der Nichtigkeit einem auf Anwachsung gerichteten mutmaßlichen Willen des Erblassers entgegensteht4, – bei Einsetzung von Ersatzerben (§ 2099 BGB), auch in den Fällen der §§ 2069, 2102 Abs. 1 BGB, – beim Tod eines Mitnacherben zwischen Erbfall und Nacherbfall, dessen Anwartschaft vererblich ist (die Vererblichkeit des Nacherbenrechts ist vorrangig gegenüber der Anwachsung)5. Beim Tod eines Mitnacherben, dessen Anwartschaftsrecht nicht vererblich ist, kann jedoch Anwachsung eintreten6. 1 2 3 4 5 6

Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 10. BayObLG v. 30.9.1992 – BReg. 1Z 72/91, FamRZ 1993, 736. Palandt/Weidlich, § 2094 Rz. 2; a.A. KG v. 7.5.1956 – 1 W 871/56, NJW 1956, 1523. Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 2094 Rz. 5, Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 3. Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 4. Grötsch

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B III

Rz. 25

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

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Fällt ein Mitvorerbe vor (oder nach dem Erbfall mit Rückwirkung auf den Erbfall) weg, ist die Anwachsung durch die gem. § 2099 BGB vorrangige Ersatzberufung gem. §§ 2102 Abs. 1, 2105 Abs. 1 BGB ausgeschlossen1, sofern die Ersatzerbenregelungen nicht abbedungen sind. Stirbt ein Vorerbe zwischen Erbfall und Nacherbfall, ist die Anwachsung ausgeschlossen, denn durch den Tod des Vorerben bleibt der bereits eingetretene Erbanfall an ihn unberührt. Deshalb geht der Erbteil des Vorerben bis zum Nacherbfall auf seine Erben über. Dies gilt jedoch nicht, sofern die übrigen Vorerben auch für die Zeit bis zum eigentlichen Nacherbfall als Nacherben auf den Erbteil des verstorbenen Mitvorerben berufen sind, wiederum belastet mit der Nacherbschaft2.

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Rechtsnatur des angewachsenen Erbteils: Er bildet mit dem ursprünglichen eine Einheit. Ausnahme: § 2095 BGB.

XI. Die Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB) 1. Regelung unverzichtbar 27

Nicht selten lebt der eingesetzte Erbe beim Tod des Erblassers nicht mehr.

Beispiel: Vater und Sohn verunglücken zusammen. Der Sohn, der Erbe werden sollte, stirbt eine Stunde vor dem Vater. Der Wunscherbe kann aber auch nach dem Erbfall wegfallen, z.B. durch Ausschlagung, Erbunwürdigkeitserklärung oder Anfechtung. Schließlich erfolgt ein Wegfall bei Nichtigkeit oder Widerruf der Erbeinsetzung. Es bedeutet einen schweren Beratungsfehler, wenn der Mandant nicht auf die Möglichkeit der Ersatzerbenregelung (Gleiches gilt für den Ersatzvermächtnisnehmer, § 2190 BGB) hingewiesen wird. Denn bei Wegfall des auserkorenen Erben könnte der Nachlass gem. den §§ 2069, 2094, 2102 BGB einen vom Willen des Erblassers vollkommen abweichenden Weg nehmen. Also: Keine letztwillige Verfügung ohne Ersatzerbenregelung (insbesondere bei Nacherbschaft nicht)! Die Formulierung ist einfach:

M 24 Ersatzerbenanordnung Hiermit setze ich meinen Neffen Kevin zu meinem Alleinerben ein, ersatzweise meinen Neffen Robin.

Vorsicht: Durch die Formulierung „Ersatzerben will ich heute ausdrücklich nicht benennen“ ist die Anwendung des § 2069 BGB nicht zwingend ausgeschlossen3. Soll auch diese Regelung sicher nicht zur Anwendung kommen, ist eine klarstellende Klausel zu empfehlen.

1 Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 5. 2 Staudinger/Otte, § 2094 Rz. 5. 3 OLG München v. 4.3.2009 – 31 Wx 73/08, FamRZ 2009, 1250 = ZEV 2009, 239. 272

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B III

Rz. 28

2. Zweifelsfälle aus der Praxis Bei richtiger Wortwahl könnte alles so einfach sein. Da diese jedoch häufig vernachlässigt wird, finden sich in vielen letztwilligen Verfügungen höchst unklare Regelungen: – Oft ist es zweifelhaft, ob der eingesetzte Nacherbe auch Ersatzerbe sein soll. Ist der Erblasserwille nicht zu ermitteln, bejaht § 2102 Abs. 1 BGB diese Frage. – Bleiben Zweifel, ob der Erblasser den Bedachten zum Ersatzerben oder Nacherben einsetzen wollte, entscheidet dies § 2102 Abs. 2 BGB zugunsten der Ersatzerbschaft. – Ist nicht feststellbar, ob der Erblasser Nacherbfolge wollte, bedeutet Einsetzung als Ersatzerbe nicht zugleich diejenige als Nacherbe1. Wollte der Erblasser Nacherbschaft, schließt die Verwendung des Begriffs „Ersatzerbe“ Nacherbfolge nicht aus2. – Steht die Ersatzerbschaft selbst unter einer echten Bedingung, findet § 2096 BGB keine Anwendung3. – Bei Einsetzung einer zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch nicht gezeugten Person kann es sich nur um Nacherbschaft handeln, §§ 1923, 2101 Abs. 1, 2106 Abs. 2 BGB. – Hat der Erblasser nicht ausdrücklich Ersatzerbfolge verfügt, kann sie sich nach allgemeiner Auffassung dennoch per Auslegung ergeben, z.B. wenn er eine ihm besonders nahestehende Person eingesetzt hat und davon auszugehen ist, dass er etwa deren Abkömmlinge zu Erben bestimmt hätte, wenn ihm der Gedanke gekommen wäre, der von ihm benannte Erbe könnte wegfallen4, etwa auch bei der Einsetzung des langjährigen Lebensgefährten5. Entscheidend ist dabei, ob die Zuwendung nur dem Weggefallenen persönlich zukommen sollte oder dieser vom Erblasser als erster seines Stammes bzw. seiner Familie angesehen wurde6. Die nötige Andeutung im Testament kann sich schon aus der Einsetzung des Bedachten ergeben. Strittig ist, ob Letzteres auch gilt, wenn der Ehegatte des nahestehenden Alleinerben als Ersatzerbe in Betracht kommt7. – Fallen neben dem als Erben eingesetzten auch sämtliche ausdrücklich benannten Ersatzerben weg, kann sich die weitere Ersatzerbenberufung auch durch ergänzende Testamentsauslegung ergeben8. 1 RG v. 4.1.1932 – IV 284/31, HRR 32 Nr. 1055; vgl. dazu auch OLG Hamm v. 11.12. 2006 – 15 W 94/06, FamRZ 2007, 939 = ZErb 2007, 191, wo Ersatz-, nicht Nacherbeneinsetzung angenommen wird (Testament: „Sollte meine Frau ebenfalls sterben, so gilt Folgendes“). 2 BGH v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LM Nr. 1 zu § 2096 BGB. 3 Palandt/Weidlich, § 2096 Rz. 5. 4 BayObLG v. 16.5.1988 – BReg. 1Z 47/87, MDR 1988, 866 = FamRZ 1988, 986 = NJW 1988, 2744; Palandt/Weidlich, § 2096 Rz. 1. 5 OLG Düsseldorf v. 30.7.2012 – 3 Wx 247/11, ZEV 2012, 662. 6 OLG München v. 13.4.2011 – 31 Wx 31/11, FamRZ 2011, 1692. 7 Für die Notwendigkeit einer weitergehenden Andeutung: OLG München v. 19.12. 2012 – 31 Wx 372/12, FamRZ 2013, 1067 = MDR 2013, 350; dagegen: OLG Schleswig v. 10.6.2013 – 3 Wx 15/13, FamRZ 2014, 693. 8 OLG Köln v. 10.11.2008 – 2 Wx 38/08, FamRZ 2010, 502 = ZEV 2009, 241. Grötsch

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Rz. 29

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– Hat der Erblasser einen Ersatzerben bestimmt, der nicht Abkömmling ist, genießt diese Bestimmung im Regelfall gegenüber der Rechtsfolge des § 2069 BGB Vorrang1. – Abkömmlinge von zu Erben eingesetzten, aber vorverstorbenen Geschwistern können Ersatzerben sein-2. – Abkömmlinge von bei Testamentserrichtung bereits verstorbenen einzelnen Geschwistern sind nicht Ersatzerben, wenn zugleich Geschwister des vorverstorbenen Ehegatten zu Erben eingesetzt waren3. – § 2270 Abs. 2 BGB gilt nur dann für einen Ersatz-Schlusserben, wenn der Wille der Eheleute auf seine Einsetzung gerichtet war4. – Die Erbeinsetzung des nichtehelichen Sohnes des Ehemanns der Erblasserin kann dahin auszulegen sein, dass im Falle des Vorversterbens des Bedachten dessen Abkömmlinge Ersatzerben sein sollen5. 3. Die Rechtsstellung des Ersatzerben 29

Welche Rechte besitzt der Ersatzerbe? Es ist wie folgt zu unterscheiden: – Vor dem Erbfall hat der Ersatzerbe wie jeder potentielle Erbe keine Rechte. – Nach dem Erbfall, aber vor dem Wegfall des Erstberufenen (der den Erblasser überlebt hat, aber z.B. ausschlägt) wird vielfach dargestellt, der Ersatzerbe erwerbe ein Anwartschaftsrecht, das, wenn kein entgegenstehender Wille des Erblassers vorhanden ist, vererbt und übertragen werden könne6. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen: Denn die oft herangezogene Parallele zum Ersatznacherben besteht nicht. So hat letzterer ein Rechtsverhältnis zum Vorerben. Der Ersatzerbe hat aber kein Rechtsverhältnis zum Erben. Auch unterscheidet sich die Ersatzerbenstellung nicht von der Position des nächstberufenen gesetzlichen Erben, für den aber auch keine Anwartschaft angenommen wird. Die Rechte des Ersatzerben ergeben sich allein daraus, dass der Erstbedachte mit Rückwirkung zum Erbfall wegfällt und der Ersatzerbe somit zum Zeitpunkt des Erbfalls Erbe wird. Verstirbt der Ersatzerbe zwischen Erbfall und Wegfall des Erstbedachten, geht also nicht die Ersatzerbenstellung bzw. die „Anwartschaft“ auf die Erben des Ersatzerben über, sondern die ihm aufgrund der Rückwirkung des Wegfalls des Erstberufenen angefallene Erbschaft selbst7. 1 2 3 4

So auch MüKo.BGB/Rudy, § 2096 Rz. 8. BayObLG v. 8.8.2003 – 1Z BR 16/03, ErbBStg 2004, 109. BayObLG v. 15.11.2000 – 1Z BR 116/00, FamRZ 2001, 515 = ZEV 2001, 152. BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, MDR 2002, 456 = FamRZ 2002, 747 = ZEV 2002, 150 (mit teilw. abl. Anm. Otte), abw. von BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277 und BGH v. 28.3.2001 – IV ZR 245/99, MDR 2001, 939 = FamRZ 2001, 993 = ZEV 2001, 237; wie die erstgenannte BGH-Entscheidung auch BayObLG v. 9.1.2004 – 1Z BR 95/03, OLGReport 2004, 173 sowie OLG Hamm v. 7.10.2003 – 15 W 78/03, FamRZ 2004, 1065 = ZErb 2004, 171; OLG München v. 20.4.2010 – 31 Wx 83/09, FamRZ 2010, 1846 = ZErb 2010, 157; OLG Schleswig v. 25.6.2010 – 3 W 13/10, FamRZ 2011, 66. 5 BayObLG v. 4.8.2004 – 1Z BR 44/04, ZEV 2005, 528. 6 BayObLG v. 20.10.1960 – BReg. 1Z 213/59, BayObLGZ 60, 407, 410; Palandt/Weidlich, § 2096 Rz. 4; a.A. OLG Hamm v. 3.4.1970 – 15 W 496/69, NJW 1970, 1606. 7 Staudinger/Otte, § 2096 Rz. 14.

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

B III

Rz. 29b

Der Ersatzerbe muss jedenfalls den Tod des Erblassers erleben, mindestens bereits gezeugt sein. Ein Recht, auf den Nachlass Einfluss zu nehmen, besteht vor dem Wegfall des Erstberufenen noch nicht. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft sind jedoch schon möglich1, auch ist der Ersatzerbe schon anfechtungsberechtigt (§ 2080 BGB)2. Der Zuwendungsverzicht gem. § 2352 BGB erfasst seit der für alle Erbfälle ab dem 1.1.2010 geltenden Neufassung des § 2352 S. 3 BGB sämtliche Ersatzerben, unabhängig ob ausdrücklich genannt oder über § 2069 BGB bestimmt, unabhängig davon, ob der Verzichtende für sein Erbrecht eine Abfindung erhalten hat3. Er wird nicht in den Erbschein aufgenommen, es sei denn, er ist Ersatznacherbe4. – Nach dem Erbfall und nach Wegfall des Erstberufenen: Der Ersatzerbe wird unmittelbarer Rechtsnachfolger des Erblassers, auch bei Wegfall des zunächst eingesetzten Erben erst nach dem Tod des Erblassers, etwa durch Ausschlagung. Das Erbe wird rückwirkend auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers angetreten. Der Ersatzerbe ist also nicht Nachfolger des Erstberufenen, der nie Erbe gewesen sein darf. Im Grundsatz, d.h., wenn der Erblasser nichts Anderes bestimmt hat, tritt der Ersatzerbe in die für den Erstberufenen vorgesehene Erbenposition ein. Das bedingt die Übernahme aller Rechte des Erstberufenen, aber auch aller Pflichten, als da sind:

29a

– Erfüllung von Vermächtnissen und Auflagen – Erfüllung von Pflichtteilen und Ausgleichspflichten gem. § 2051 Abs. 2 BGB – Bindung an Teilungsanordnungen

Beratungssituation: Das Testament hat folgenden Wortlaut: „Hiermit setze ich meine Söhne A und B zu meinen Erben zu je 1/ 2 ein. Ersatzerbin ist jeweils meine Nichte Christine. B erhält als Vorausvermächtnis mein Klavier.“ Der Erblasser stirbt, B schlägt die Erbschaft und das Vermächtnis aus. Christine begehrt das Klavier allein für sich. A, mit dem sie nun eine Erbengemeinschaft bildet, verweigert dies mit der Begründung, sie spiele im Gegensatz zu B kein Klavier, der Erblasser hätte es ihr daher niemals zukommen lassen wollen. Wem steht das Klavier zu? Ansprüche aus Vermächtnissen gehen nicht ohne weiteres auf den Ersatzerben über. Zum einen ist zu klären, ob die Ausschlagung auch das Vermächtnis umfasst. Ist dies der Fall, ist entscheidend, ob der Erblasser den Ersatzerben auch als Ersatzvermächtnisnehmer bestimmen wollte5. Das bedeutet für die Beratungssituation wohl, dass die Ersatzerbin keinen Anspruch auf das Klavier besitzt. Lässt sich der Wille des Erblassers nicht ermitteln, erhält der Ersatzerbe das Vorausvermächtnis, da er im Grundsatz dieselbe Position einnimmt wie der Erstberufene.

1 2 3 4 5

RG v. 9.11.1912 – IV 187/12, RGZ 80, 377 (382); MüKo.BGB/Rudy, § 2096 Rz. 10. MüKo.BGB/Rudy, § 2096 Rz. 10. MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2352 Rz. 12 ff. BayObLG v. 20.10.1960 – BReg. 1Z 213/59, BayObLGZ 60, 407 (410). Staudinger/Otte, § 2096 Rz. 15. Grötsch

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B III 29c

Rz. 29c

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Der Ehegattenvoraus steht dem Ersatzerben nicht zu1, er kann aber Gegenstand eines Ersatzvermächtnisses sein2. 4. Die Ersatzerbschaft als Gestaltungsmittel

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Nie wird der Wille des Menschen ernster genommen, als wenn es um seinen „Letzten Willen“ geht. Deshalb sollte man die Chance nutzen. Mit einer klugen letztwilligen Verfügung kann man vor allem folgende Ziele verwirklichen: Schutz des Vermögens, gerechte Verteilung, juristische Unanfechtbarkeit, Friedenstiftung und Steuerersparnis. Einige dieser Ziele können verfehlt werden, wenn der Nachlass an die falschen Personen geht. Das kann jedoch geschehen, wenn ein eingesetzter oder gesetzlicher Erbe vor oder nach dem Tod des Erblassers wegfällt. Hier liefert das Recht mit der Ersatzerbschaft ein taugliches Instrument, den Nachlass in die richtige Richtung zu lenken bzw. unliebsame Vermögensnachfolger auszuschließen.

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An folgende Gestaltungsmöglichkeiten ist zu denken: Will der Erblasser z.B. seinen Sohn A zum Alleinerben einsetzen, auf jeden Fall aber vermeiden, dass dessen Sohn B anstelle des A erbt, so besteht wegen § 2069 BGB (B wäre Ersatzerbe) dringender Handlungsbedarf. Das Testament könnte lauten:

M 25 Ersatzerbenanordnung Zu meinem Alleinerben setze ich meinen Sohn A ein. Ersatzerbe für A ist meine Schwester Ruth. 32

Möglich ist auch die Einsetzung mehrerer Ersatzerben nebeneinander:

M 26 Mehrere gleichberechtigte Ersatzerben Hiermit setze ich meinen Bruder Peter zu meinem Alleinerben ein, ersatzweise meine Nichten Verena und Andrea.

In diesem Fall wären die Nichten gemeinschaftliche Ersatzerbinnen und zwar, da nichts Gegenteiliges erkennbar ist, zu gleichen Teilen (§ 2091 BGB). 33

Die Ersatzerben können auch nacheinander eingesetzt sein, so dass der zuletzt genannte Ersatzerbe nur zum Zuge kommt, wenn der zunächst berufene Ersatzerbe wegfällt:

M 27 Mehrstufige Ersatzerbschaft Zu meinem Alleinerben setze ich meinen Bruder Peter ein, ersatzweise meine Cousine Isolde, wiederum ersatzweise meine Schwägerin Helga.

Helga wird nur dann Erbin, wenn sowohl Peter als auch Isolde wegfallen. 1 MüKo.BGB/Rudy, § 2096 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2096 Rz. 7. 2 Staudinger/Otte, § 2096 Rz. 15. 276

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Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

B III

Rz. 38

Gelegentlich findet sich die Formulierung: „Ersatzerben sind die Ehefrauen der Erben oder die Kinder.“ Hier hätte man sich mehr Klarheit gewünscht, es dürften aber primär die Ehefrauen und erst bei deren Wegfall die Kinder Ersatzerben sein.1

34

In der Bestimmung der Person des Ersatzerben ist der Erblasser frei. Ersatzerben können sein ein Miterbe, ein gesetzlicher Erbe oder ein beliebiger Dritter.

35

Der Ersatzerbe kann auch nur auf einen Bruchteil des Nachlasses berufen sein:

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M 28 Ersatzerbschaft für Bruchteile Hiermit setze ich meine Mutter Rosemarie zu meiner Alleinerbin ein. Ersatzerbin zu 1/ 2 ist meine Schwester Christine, im Übrigen gilt gesetzliche Erbfolge.

Der Erblasser kann auch für mehrere Miterben einen Ersatzerben bestellen: „Zu meinen Erben setze ich ein meine Freunde Wolfgang, Gustav und Giacomo zu gleichen Teilen. Zum Ersatzerben bestimme ich meinen Vetter Richard.“

37

Der Erblasser hätte präziser formulieren sollen, denn es ist offen, ob zunächst Anwachsung unter den drei Erstberufenen erfolgen soll (mit der Folge, dass alle drei weggefallen sein müssen, bevor Richard erbt) oder ob Richard bereits Ersatzerbe für den erstwegfallenden Erben wird. Gibt es für den Erblasserwillen keine konkreten Anhaltspunkte, dürfte (ganz abgesehen vom Grundgedanken des § 2099 BGB) Letzteres gelten, weil der Erblasser im Normalfall nicht davon ausgegangen sein wird, dass alle drei Erstberufenen nicht zum Zuge kommen2. Weitere Gestaltungsmöglichkeit ist die, dass der Erblasser die Rechtsposition des Ersatzerben gegenüber der des Erstberufenen verbessern oder verschlechtern kann, auch über die in Rz. 36 geschilderte Möglichkeit hinaus, wo er den Ersatzerben nur einen geringeren Erbteil zukommen ließ. Beispiel für Verschlechterung: „Zu meiner Alleinerbin setze ich meine Tochter Charlotte ein, ersatzweise meinen Onkel Walter. Wird Walter Erbe, belaste ich ihn mit einem Barvermächtnis zugunsten der Klinik X in Höhe von 5 000 Euro.“ Beispiel (1) für Verbesserung: „Zu meinem Alleinerben setze ich meine Tante Eva ein. Ich beschwere sie mit einem Barvermächtnis zugunsten meiner Schwester Waltraud in Höhe von 3 000 Euro. Ersatzerbin ist meine Nichte Friederike. Wird sie Erbin, entfällt das vorgenannte Vermächtnis.“ Beispiel (2) für Verbesserung: „Zu meinen Erben setze ich meine Söhne Klaus und Peter je zur Hälfte ein. Im Wege der Teilungsanordnung bestimme ich, dass Klaus meine Eigentumswohnung in Weilheim erhält, Peter diejenige in Rosenheim. Ersatzerbe jeweils für Klaus und Peter ist mein Bruder Fritz. Wird er Erbe anstelle einer meiner Söhne, entfällt die Teilungsanordnung.“ 1 BayObLG v. 26.1.1999 – 1Z 44/98, ZEV 1999, 227. 2 So auch Schopp, MDR 1978, 10. Grötsch

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B III 39

Rz. 39

Erbeinsetzung und Ersatzerbschaft

Der Berater muss mit dem Mandanten besprechen, ob Ersatzerbschaft wirklich für jeden Wegfallsgrund gelten soll, sie kann nämlich auch auf bestimmte Fälle oder nur einen einzigen Fall beschränkt sein, was ggf. per Auslegung zu ermitteln ist. So kann Ausschluss der Ersatzerbschaft z.B. gewollt sein, wenn ein Mitnacherbe die Erbschaft ausschlägt und den Pflichtteil verlangt und als Ersatznacherben die Abkömmlinge dieses Nacherben berufen waren. Teilweise wird angenommen, dass es zur Ersatzerbschaft nur bei Pflichtteilsverzicht des Erstberufenen komme, weil sonst der Stamm eine ungerechtfertigte Bevorzugung erführe, was jedoch wegen § 2320 Abs. 2 BGB nur eingeschränkt zutrifft1. Gleiches gelte, wenn sich der Nacherbe den Verzicht auf den Erbteil abfinden lasse. Andere bejahen auch in einem solchen Fall den Eintritt der Ersatzerbfolge2. Die Unklarheiten zeigen, wie gründlich der Erblasser die Vermögensnachfolge planen und wie viele Eventualitäten er berücksichtigen muss. 5. Auslegungsregeln (§§ 2097 ff. BGB)

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Der Erblasser kann die Ersatzerbschaft auf bestimmte Wegfallgründe beschränken. Hat er dies getan, ohne dass klar ist, ob er eine solche Beschränkung wirklich wollte, kommt es gem. § 2097 BGB zur Ersatzerbschaft auch bei Vorliegen der nicht ausdrücklich von ihm genannten Wegfallgründe. Hat also z.B. der Erblasser bestimmt, dass B Ersatzerbe wird, wenn der erstberufene Erbe A vorverstirbt, unterstellt das Gesetz, dass der Erblasser den B auch dann zum Ersatzerben bestimmen wollte, wenn A die Erbschaft ausschlägt, § 2097 BGB.

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Eine weitere Auslegungsregel enthält § 2098 BGB:

Beratungssituation: Laut Testament wurden A zu 1/ 2, B zu 1/ 3 und C zu 1/ 6 zu Erben eingesetzt. Zugleich wurde bestimmt, dass alle gegenseitig Ersatzerben sein sollen. oder: Der Erblasser bestimmt in seinem Testament A, B und C zu Erben mit den Quoten gemäß der vorigen Beratungssituation. Zugleich ordnet er an, dass, sollte A (und nur er) wegfallen, B und C an seine Stelle als Ersatzerben treten. In beiden Beratungssituationen richten sich die Ersatzerbenquoten gem. § 2098 BGB nach dem Verhältnis ihrer Erbteile, nicht dagegen erben die Bedachten gem. § 2091 BGB zu gleichen Teilen. 42

Wenn der Erblasser mehrere Erben gegenseitig als Ersatzerben einsetzt und zugleich bestimmt, dass einige von ihnen einen gemeinschaftlichen Erbteil erhalten, dann gehen letztere in Bezug auf diesen Erbteil den anderen als Ersatzerben vor, § 2098 Abs. 2 BGB.

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Bestimmt der Erblasser einen Ersatzerben, schließt er damit, was er gem. § 2094 Abs. 3 BGB darf, die Anwachsung aus, § 2099 BGB. Sie ist auch ausgeschlossen im Falle der Ersatzerbfolge des § 2069 BGB, es sei denn, der Erblasser hat die Folge des § 2069 BGB ausgeschlossen. Nur wenn auch der Ersatzerbe wegfällt, findet Anwachsung statt. 1 OLG München v. 26.10.2011 – 31 Wx 30/11, FamRZ 2012, 478 = MDR 2011, 1424. 2 Zum Streitstand: Staudinger/Otte, § 2096 Rz. 7 ff. 278

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IV. Die Vor- und Nacherbschaft Schrifttum: Bengel, Die Pflichtteilsproblematik beim Tod des Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls, ZEV 2000, 388; Coing, Die unvollständige Regelung der Nacherbfolge, NJW 1975, 521; Custodis, Zur Berechtigung des Vorerben, über Gesamtgutsgegenstände zu verfügen, in: Notar und Rechtsgestaltung. Jubiläums-Festschrift des Rheinischen Notariats (1998), 163; Damrau, Beweisprobleme bei Vor- und Nacherbschaft, ZERB 2003, 281; Damrau, Der Zeitpunkt des Nacherbfalls, wenn der Vorerbe wegfällt und der Nacherbe noch nicht geboren ist, ZEV 2004, 19; Diederichsen, Ersatzerbfolge oder Nacherbfolge, NJW 1965, 671; Dillmann, Verfügungen während der Vorerbschaft, RNotZ 2002, 1; Dumoulin, Nacherbenzustimmung zur Grundstücksüberlassung vom Vorerben an Nacherben, DNotZ 2003, 571; Edenfeld, Lebenslange Bindungen im Erbrecht?, DNotZ 2003, 4; Edenfeld, Auslegungsprobleme bei Wünschen des Erblassers: Erbenbindung oder moralischer Appell?, ZEV 2004, 141; Harder, Unentgeltliche Verfügungen und ordnungsgemäße ordnungsmäßige Nachlassverwaltung des Vorerben, DNotZ 1994, 822; Hartmann, Das sog. Behindertentestament – Vor- und Nacherbschaftskonstruktion oder Vermächtnisvariante?, ZEV 2001, 89; Hartmann, Das Vorvermächtnis mit Vorerbschaftswirkung, ZEV 2007, 458; Heeg, Alternativen zur Nacherbeneinsetzung: Ist die erbrechtliche Auflage ein geeignetes Instrument zur Erbschaft(steuer)planung?, DStR 2007, 89; Heider, Die Befugnis des Vorerben zu unentgeltlichen Verfügungen über Nachlassgegenstände, ZEV 1995, 1; Jülicher, Erbschaftsteuerliche Gestaltungsüberlegungen im Vergleich: Vorerbschaft und Nacherbschaft bzw. -vermächtnis und Weiterleitungsklauseln zugunsten Dritter …, ZEV 2003, 350; Kanzleiter, Ermächtigung des Vorerben zu Schenkungen aus dem Nachlass?, in: Festschrift für Schippel (1996), 287; Keim, Erbauseinandersetzung zwischen Vor- und Nacherben durch Freigabe aus der Nacherbenbindung?, DNotZ 2003, 822; Keim, Die Vollmacht über den Tod hinaus bei Vor- und Nacherbschaft, DNotZ 2008, 175; Ludwig, Gegenständliche Nachlassspaltung bei Vor- und Nacherbschaft, DNotZ 2001, 102; Mayer, Der superbefreite Vorerbe? – Möglichkeiten und Grenzen der Befreiung des Vorerben, ZEV 2000, 1; Meincke, Rechtsgestaltung zwischen Vorerbfall und Nacherbfall, Festschrift Klaus Korn (2005), 573; Muscheler, Konsolidation bei Übertragung der Nacherbenanwartschaft auf den Vorerben, ZEV 2012, 289; Muscheler, Schadensersatz bei befreiter Vorerbschaft, ZEV 2012, 389; Michalski, Die Vor- und Nacherbschaft in einen OHG (KG)- und GmbH-Anteil, DB 1987 Beilage 16; Musielak, Zur Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts eines Nacherben, ZEV 1995, 5; Najdecki, Teilungsversteigerung bei Vor- und Nacherbschaft, DNotZ 2007, 643; Reimann, Die vorweggenommene Nacherbfolge, DNotZ 2007, 579; Ricken, Die Verfügungsbefugnis des nicht befreiten Vorerben, AcP 202 (2002), 465; Sarres, Auskunftspflichten bei Vor- und Nacherbschaft, ZEV 2004, 56; Schneider, Vor- und Nacherbschaft im Steuerrecht, ErbBstg 2006, 54; Seifert, Vor- und Nacherben bei der Erbschaftsteuer, BB 1965, 200; Werkmüller, Bankrechtliche Probleme der Vor- und Nacherbschaft, ZEV 2004, 276. Rz.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anordnung der Vor- und Nacherbschaft durch Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendiger Inhalt der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . 2. Die Gestaltungsfreiheit des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stärkung der Rechte des Vor- oder Nacherben . . . . . . . .

1

6 7 12 13

Rz.

b) Staffelung der Nacherbfolge . . c) Einsatz von Bedingungen und Befristungen . . . . . . . . . . . . d) Ausschöpfung des zeitlichen Rahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Auslegung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung des Erblasserwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Auslegungsregeln für die Vor- und Nacherbfolge

14

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Edenfeld

16 19 22 23 30

B IV

Rz. 1

Vor- und Nacherbschaft Rz.

II. Rechtliche Stellung des Vorerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfügung über Nachlassgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfügungsbeschränkungen bei Grundstücken (§ 2113 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfügungsbeschränkungen bei Schenkungen (§ 2113 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz des guten Glaubens (§ 2113 Abs. 3 BGB) . . . . . . . . . d) Verfügungsbeschränkungen bei Grundstücksrechten (§ 2114 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltung des Nachlasses . . . . . a) Recht und Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nutzungen und Erhaltungskosten der Erbschaft . . . . . . . . .

Rz.

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c) Prozessführung des Vorerben . d) Haftung des Vorerben . . . . . . . 3. Der befreite Vorerbe . . . . . . . . . . . .

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III. Rechtsposition des Nacherben . .

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42 56 63 66 67 68 73

1. Stellung des Nacherben während der Dauer der Vorerbschaft . . . . . . a) Das Anwartschaftsrecht des Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechte gegenüber dem Vorerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellung des Ersatznacherben 2. Stellung des Nacherben bei Eintritt des Nacherbfalls . . . . . . . . . . . a) Wirkungen der Nacherbfolge . b) Gegenstand der Nacherbfolge c) Rechte des Nacherben gegenüber dem Vorerben . . . . . . . . . . d) Schutz des Nacherben vor den Eigengläubigern des Vorerben

86 87 99 106 111 112 119 124 127

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 132

Vorbemerkung 1

Nach § 2100 BGB kann der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen einen Erben in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem ein anderer Erbe geworden ist (Nacherbe). Mit dem Erbfall fällt die Erbschaft zunächst dem Vorerben an. Erst mit einem vom Erblasser letztwillig vorgesehenen Ereignis (im Zweifel dem Tod des Vorerben, § 2106 Abs. 1 BGB) tritt der Nacherbfall ein. Der Vorerbe hört auf, Erbe zu sein, und die Erbschaft fällt dem Nacherben an, § 2139 BGB. Das entscheidende Merkmal der Vor- und Nacherbschaft ist den an der Testamentserrichtung Beteiligten nicht immer geläufig: Vor- und Nacherbe beerben beide, wenn auch zeitlich nacheinander, den Erblasser1. Der Nacherbe ist Erbe und Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht etwa des Vorerben. Nur erbschaftsteuerrechtlich wird der Nacherbe im Grundsatz so behandelt, als stamme das Vermögen vom Vorerben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Jeder von ihnen hat ein ungeteiltes, zeitlich beschränktes Erbrecht. Sie sind keine Miterben im Sinne der §§ 2032 ff. BGB. Der Verstorbene wird nicht von mehreren gleichzeitig, sondern nacheinander beerbt. Auch unter mehreren Nacherben besteht vor dem Nacherbfall keine Erbengemeinschaft. Sind mehrere Personen gleichzeitig zu Vorerben berufen, sind sie bis zum Nacherbfall Miterben. Die beteiligten Nachlässe sind streng zu trennen:

Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau testamentarisch zur Vorerbin und die gemeinsamen Kinder zu Nacherben eingesetzt. Der Nacherbfall soll mit dem Ableben der Frau eintreten. Die Ehefrau hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Wenige Monate nach dem Tod des Man1 Allgemeine Meinung: Erman/M. Schmidt, § 2100 Rz. 8; Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 10. 280

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nes verstirbt auch die Frau. Die Kinder fragen, wie sie ihre Eltern beerbt haben. Mit dem Tod des Mannes ist die Ehefrau seine alleinige Vorerbin geworden, mit ihrem Ableben ist der Nacherbfall eingetreten, § 2139 BGB. Die Kinder haben den Vater und nicht etwa ihre Mutter als Vorerbin beerbt. Dieser Erbgang betrifft freilich nur den Nachlass des Mannes. Die Kinder haben kraft gesetzlicher Erbfolge auch ihre Mutter beerbt, §§ 1924 Abs. 1, 1930 BGB. Mit dem Tod der Frau erben sie gleichzeitig kraft gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge. Sie sind sowohl Nacherben ihres Vaters als auch Vollerben ihrer Mutter. Es handelt sich um zwei verschiedene Nachlässe. Sie sind gesondert zu verwalten, auseinander zu setzen (§ 2042 BGB) und zu versteuern (§ 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG). Es werden nicht ein, sondern zwei Erbscheine erteilt: Einer nach dem Mann und einer nach der Frau. Die Vor- und Nacherbschaft gewinnt vor allem beim gemeinschaftlichen Testament (§§ 2265 ff. BGB) praktische Bedeutung (dazu Kap. B VII Rz. 42 ff., 86 ff.). Nach der Trennungslösung setzen sich die Eheleute gegenseitig zu Vorerben und den Dritten zum Nacherben ein. Mit dem Tod des ersten Ehegatten wird der Überlebende nicht Vollerbe, sondern nur Vorerbe. Der Dritte – zumeist die gemeinsamen Kinder – wird Nacherbe und zugleich Ersatzerbe des Überlebenden. Der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten verschmilzt nicht mit dem Vermögen des überlebenden Ehepartners. Der Überlebende wird zwar Eigentümer der Nachlassgegenstände, vererbt sie aber nicht selbst. Tritt mit dem Tod des überlebenden Ehegatten der Nacherbfall ein, erhalten die Kinder nicht eine, sondern zwei Vermögensmassen: Das Vermögen des erstverstorbenen Ehegatten erwerben sie als Nacherben, das des zuletzt Versterbenden als Vollerben. Der Nachlass der Eheleute wird nicht einheitlich übertragen, sondern aufgespaltet. Anders als nach dem Einheitsprinzip (§ 2269 Abs. 1 BGB) wird nicht nur der längerlebende Ehegatte beerbt, sondern auch der Erstverstorbene im Rahmen der Nacherbschaft.

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Für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft können gute Gründe bestehen:

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– Der Erblasser erreicht, dass sein Vermögen zunächst dem Vorerben (z.B. seinem Ehegatten) zugewendet wird und dieser daraus Nutzungen ziehen kann, ohne die Substanz anzugreifen. Die Rechtsstellung des Vorerben ähnelt, obwohl er bis zum Nacherbfall Eigentümer der Nachlassgegenstände wird, der eines Erbschafts-Nießbrauchers (§ 1089 BGB). Die Vorerbschaft ermöglicht eine wirtschaftliche Absicherung auf (Lebens-)Zeit. Die Versorgung des überlebenden Ehegatten ist das in der Praxis oft ausschlaggebende Motiv. – Ist der vorgesehene endgültige Rechtsnachfolger zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht erzeugt, kann er nicht Erbe sein, § 1923 BGB. Er kann jedoch als Nacherbe eingesetzt werden, § 2101 Abs. 1 BGB. Ist der Nacherbe schon erzeugt, aber noch nicht zur Vermögensverwaltung in der Lage, kann er auf Zeit von der Erbschaft fern gehalten werden. Der Vorerbe fungiert für ihn wie ein Verwaltungstestamentsvollstrecker, §§ 2205, 2209 BGB. Entsprechendes gilt, wenn der vorgesehene Erbe zeitlich befristet (bis zum Erreichen eines bestimmten Alters, Berufsabschluss) vom Nachlass ferngehalten werden soll. – Der Erblasser stellt sicher, dass der Nachlass möglichst ungeschmälert mit einem bestimmten Ereignis (Tod oder Wiederheirat des Vorerben, StudienEdenfeld

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abschluss des Nacherben, Unternehmensnachfolge) seinen weiteren (Nach-) Erben zufällt. Alles, was der Vorerbe aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts oder als Ersatz für einen Erbschaftsgegenstand kraft Gesetzes oder mit Mitteln des Nachlasses durch Rechtsgeschäft erwirbt, bleibt dem Nacherben erhalten. Es fällt als Surrogat in den Nachlass, § 2111 BGB. Der Vorerbe ist zur ordnungsmäßigen Nachlassverwaltung verpflichtet (§§ 2116 ff. BGB) und in seiner Dispositionsbefugnis beschränkt, §§ 2112 ff. BGB. Bei überschuldetem Vorerben ist der Nachlass gegen dessen Eigengläubiger geschützt, § 2115 BGB. Das Vermögen kann in den zeitlichen Grenzen des § 2109 BGB in der Familie zusammengehalten werden. 4

Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft hat auch Nachteile: – Sie ist ein kompliziertes Rechtsinstitut. Die Trennung der Vermögensmassen ist juristischen Laien schwer vermittelbar und kann während der Dauer der Vorerbschaft zu verwaltungstechnischen Problemen führen. – Die mit der Vorerbschaft verbundenen Verfügungsbeschränkungen des Vorerben (§§ 2112 ff. BGB) und Kontrollrechte des Nacherben stellen eine erhebliche Belastung für den Vorerben dar. Die verbindliche Festlegung des Nacherben verhindert, dass der Vorerbe auf nachträgliche Veränderungen reagieren kann. Das ist namentlich bei der Unternehmensnachfolge zu beachten. – Die Belastungen des Vorerben erschweren den Rechtsverkehr. So werden unternehmerische Entscheidungen behindert, wenn eine Gesellschaftsbeteiligung zum Nachlass gehört und unklar ist, ob die Verfügung des Vorerben darüber unentgeltlich und damit unzulässig ist (§ 2113 Abs. 2 BGB; Rz. 60).

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Ob die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft für die Beteiligten im Einzelfall günstig ist, hängt von zahlreichen Aspekten wie den familiären Verhältnissen, Art und Umfang des Vermögens und steuerrechtlichen Aspekten ab (vgl. für die Vor- und Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament Kap. B VII Rz. 44 ff.)1. Sowohl Vor- als auch Nacherbe sind steuerrechtlich Erbe, § 6 Abs. 1 und 2 ErbStG. Erbschaftsteuerrechtlich kann darum anstelle der Vor- und Nacherbschaft ein Nießbrauchsvermächtnis ratsam sein (Rz. 25). Letztwillige Verfügungen lassen nicht immer erkennen, ob eine Vor- und Nacherbschaft gewollt ist. Für den Berater wirft das zum Teil schwierige Gestaltungs- und Auslegungsfragen auf, mit denen sich die drei folgenden Abschnitte – Anordnung der Vor- und Nacherbschaft durch Verfügung von Todes wegen (Rz. 6 ff.), – Rechtliche Stellung des Vorerben (Rz. 40 ff.), – Rechtsposition des Nacherben (Rz. 85 ff.) beschäftigen.

1 Zur Abwägung Frank, MittBayNotK 1987, 231; Langenfeld/Fröhler, 2. Kap. Rz. 24 ff.; Mayer, ZEV 2000, 1 (2). Zur Besteuerung des Letzterwerbs bei mehreren Erwerben eines Nacherben vom Vorerben BFH v. 3.11.2010 – II R 65/09, FamRZ 2011, 215 = ZEV 2011, 95 m. Anm. Kobor. 282

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I. Anordnung der Vor- und Nacherbschaft durch Verfügung von Todes wegen Die Vor- und Nacherbschaft tritt nicht kraft Gesetzes ein. Sie setzt eine Verfügung von Todes wegen (Testament, Erbvertrag) voraus, in der der Erblasser Vor- und Nacherben „einsetzt“, § 2100 BGB. Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft hat einen notwendigen Inhalt (Rz. 7 ff.), bietet aber auch vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten (Rz. 12 ff.). Die inhaltliche Ausformung kann die Frage aufwerfen, ob eine Vor- und Nacherbfolge gewollt ist. In diesem Fall ist die Verfügung von Todes wegen unter Hinzuziehung der gesetzlichen Auslegungsregeln auszulegen (Rz. 22 ff.).

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1. Notwendiger Inhalt der Verfügung von Todes wegen

Beratungssituation: Der Erblasser hat das erste Kind, das seine Tochter bekommen wird, testamentarisch zu seinem Erben eingesetzt. Als er bei einem Autounfall ums Leben kommt, hat seine erst 20-jährige Tochter noch keine Kinder. Sie fragt, wer ihren Vater beerbt hat. Der Erblasser hat

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– den Vorerben, – den Nacherben und – den Nacherbfall grundsätzlich selbst zu bestimmen. Er darf die Entscheidung nicht in das freie Ermessen eines Dritten, z.B. eines Testamentsvollstreckers, stellen, § 2065 Abs. 2 BGB. Er muss die Person des Vor- und Nacherben und den Zeitpunkt bzw. das Ereignis des Nacherbfalls bezeichnen. Ordnet er an, dass seine gesetzlichen Erben Vor- bzw. Nacherben sein sollen, beruht auch diese Erbeinsetzung auf einer Verfügung von Todes wegen, für die die Auslegungsregel des § 2066 BGB gilt. Inwieweit der Erblasser eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet hat, welche Personen berufen sind, wann und in welchem Umfang der Nacherbfall eintritt, ist nicht immer einfach und durch Auslegung der letztwilligen Verfügung nach allgemeinen Grundsätzen (§ 133 BGB) zu ermitteln1. Die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB kommen erst zum Zuge, wenn über den Willen des Erblassers ernsthafte Zweifel bestehen (Rz. 22 ff.). Der Erblasser muss erstens einen oder mehrere Vorerben bestimmen. Der Vorerbe wird Rechtsträger der Erbschaft zwischen Erbfall und Nacherbfall und kann über die zu ihr gehörenden Gegenstände verfügen, § 2112 BGB. Hat der Verstorbene eine Nacherbfolge angeordnet, aber keinen Vorerben bestimmt, ist die Verfügung von Todes wegen unvollständig. Vorerben sind dann die gesetzlichen Erben des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls (§§ 2105 Abs. 1, 1924 ff. BGB; Rz. 35). Das Gleiche gilt, wenn die Persönlichkeit des Erben durch ein erst nach dem Erbfall eintretendes Ereignis bestimmt wird oder wenn die Einsetzung einer 1 OLG Hamm v. 11.12.2006 – 15 W 94/06, FamRZ 2007, 939; OLG München v. 25.7. 2006 – 31 Wx 39/06, FamRZ 2007, 767; OLG München v. 16.4.2007 – 31 Wx 109/06; zum erforderlichen Rechtsbindungswillen des Erblassers bei Anordnung einer Vorund Nacherbschaft Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff. Edenfeld

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zur Zeit des Erbfalls noch nicht erzeugten natürlichen Person oder noch nicht entstandenen juristischen Person als Erbe nach § 2101 BGB als Nacherbeinsetzung anzusehen ist, § 2105 Abs. 2 BGB. 9

Der Erblasser muss zweitens einen oder mehrere Nacherben bestimmen. Der Nacherbe wird mit dem Nacherbfall endgültiger Rechtsträger der Erbschaft und kann über die zu ihr gehörenden Gegenstände verfügen, §§ 1922, 2100 BGB. Hat der Verstorbene angeordnet, dass eine Person nur bis zum Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses (Vor-)Erbe sein soll, aber keinen Nacherben bestimmt, ist die Verfügung von Todes wegen unvollständig. Nacherben sind im Zweifel die gesetzlichen Erben des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls mit Ausnahme des Fiskus (§§ 2104, 1924 ff. BGB; Rz. 34). Während Erbe nur sein kann, wer beim Erbfall lebt (§ 1923 Abs. 1 BGB) oder zumindest erzeugt ist (§ 1923 Abs. 2 BGB), kann zum Nacherben auch berufen werden, wer beim Erbfall noch nicht erzeugt ist, § 2101 Abs. 1 S. 1 BGB. Er muss lediglich zur Zeit des Nacherbfalls erzeugt sein, §§ 2108 Abs. 1, 1923 Abs. 2 BGB. Ihm wird für die Zeit bis zum Eintritt der Nacherbfolge ggf. ein Pfleger bestellt, § 1913 S. 2 BGB. Das Nacherbenrecht fällt ihm mit seiner Geburt rückwirkend auf den Erbfall an. Entsprechendes gilt, wenn eine juristische Person, die erst nach dem Erbfall entsteht, zum Nacherben berufen wird, § 2101 Abs. 2 BGB.

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Der Erblasser muss drittens den Zeitpunkt oder das Ereignis bestimmen, mit dem der Nacherbfall eintreten soll. Auch diese Entscheidung darf er keiner anderen Person, etwa dem Vorerben, überlassen, § 2065 BGB. Hat der Verstorbene eine Nacherbfolge angeordnet, ohne Zeitpunkt oder Ereignis zu bestimmen, mit dem die Nacherbfolge eintreten soll, ist die Verfügung von Todes wegen unvollständig. § 2106 Abs. 1 BGB schließt diese Lücke: Die Erbschaft fällt dem Nacherben mit dem Tod des Vorerben an (dazu Rz. 36). Ist die Einsetzung einer noch nicht erzeugten Person als Erbe nach § 2101 Abs. 1 BGB als Nacherbeinsetzung anzusehen, fällt die Erbschaft dem Nacherben mit dessen Geburt an, § 2106 Abs. 2 S. 1 BGB. Im Fall des § 2101 Abs. 2 BGB ist dies die Entstehung der juristischen Person.

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In der obigen Beratungssituation sind die Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB sowohl zur Ermittlung des Vor- und Nacherben als auch des Nacherbfalls heranzuziehen. Das bislang weder geborene noch erzeugte Enkelkind kann den Erblasser nicht sofort beerben, § 1923 BGB. Nach der Auslegungsregel des § 2101 Abs. 1 BGB ist es jedoch mit seiner testamentarischen Einsetzung als Erbe zum Nacherben berufen. Nacherbe kann auch werden, wer zur Zeit des Erbfalls nicht erzeugt ist. Der Enkel muss allein zur Zeit des Nacherbfalls erzeugt sein, §§ 2108 Abs. 1, 1923 Abs. 2 BGB. Seine Einsetzung als Nacherbe wäre nur unwirksam, wenn sich durch Auslegung ermitteln ließe, dass der Erblasser keine Nacherbschaft gewollt hat, § 2101 Abs. 1 S. 2 BGB. Da das Testament hierfür keine Anhaltspunkte enthält, stellt sich die weitere Frage, wer zwischenzeitlich Vorerbe wird. Eine letztwillige Anordnung (§ 1937 BGB) fehlt. Vorerben sind daher nach § 2105 Abs. 1 BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls. Sie bleiben bis zum Eintritt des Nacherbfalls seine Erben. Der Zeitpunkt des Nacherbfalls ist ebenfalls nicht ausdrücklich angeordnet. Er tritt mit der Geburt des ersten Kindes der Tochter ein, § 2106 Abs. 2 S. 1 BGB.

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2. Die Gestaltungsfreiheit des Erblassers Der Erblasser legt Gegenstand und Umfang der Nacherbfolge fest. Sie braucht sich nicht auf die gesamte Erbschaft zu erstrecken, sondern kann auch in einer bestimmten Erbteilsquote angeordnet sein. Der Alleinvorerbe wird hinsichtlich eines Bruchteils der Erbschaft durch die Nacherbeneinsetzung beschränkt1. Die Nacherbfolge an einzelnen Nachlassgegenständen (Immobilien, Gesellschaftsbeteiligungen etc.) ist unzulässig. Davon abgesehen darf der Erblasser den Inhalt der Nacherbfolge frei gestalten und so das weitere Schicksal des Nachlasses nach seinen Wünschen bestimmen. Dafür stehen ihm folgende Mittel zur Verfügung, die nach Belieben miteinander kombiniert werden können:

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a) Stärkung der Rechte des Vor- oder Nacherben Das Gesetz normiert in den §§ 2113 ff. BGB Beschränkungen und Verpflichtungen des Vorerben, die den Nacherben schützen. Der Erblasser kann den Vorerben nach § 2136 BGB von einzelnen Verfügungsbeschränkungen und Verpflichtungen befreien, um dessen Verfügungsmacht und Verwaltungsbefugnis zu stärken (befreiter Vorerbe; Rz. 81 ff.). Umgekehrt kann er die Stellung des Vorerben schwächen, indem er ihn durch Auflagen bindet (§§ 1940, 2192 ff. BGB) oder eine Testamentsvollstreckung während der Dauer der Vorerbschaft anordnet (Vorerbentestamentsvollstrecker, §§ 2205, 2209, 2211 BGB). Auch der Nacherbe kann Testamentsvollstrecker sein. Der Erblasser darf einen Testamentsvollstrecker ferner zu dem Zweck ernennen, dass dieser bis zum Eintritt des Nacherbfalls die Rechte des Nacherben ausübt und dessen Pflichten erfüllt, § 2222 BGB. Eine solche Nacherbentestamentsvollstreckung ist angezeigt, wenn der Vorerbe im Interesse des (z.B. minderjährigen) Nacherben wirksam beaufsichtigt werden soll. Zulässig ist auch, dass sich die Testamentsvollstreckung nur auf den Nacherben ab Eintritt der Nacherbfolge oder auf die gesamte Zeit der Vor- und Nacherbschaft erstreckt, §§ 2199 Abs. 2, 2210 BGB2. Näheres Kap. C IX Rz. 53 ff.

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b) Staffelung der Nacherbfolge Der Erblasser muss zwar den Zeitpunkt bzw. das Ereignis bestimmen, mit dem die Nacherbfolge eintritt. Das heißt aber nicht, dass der Nacherbe die Erbschaft auf Dauer behält. Dem Erblasser steht es frei, eine sich anschließende weitere Nacherbschaft anzuordnen. Die zeitliche Staffelung ist trotz der missverständlichen Formulierung des § 2100 BGB („einen“ Erben) zulässig3. Durch die gestaffelte Nacherbfolge wird der erste Nacherbe zugleich wieder Vorerbe des zweiten Nacherben. Auch der zweite Erbe beerbt den Erblasser und nicht etwa den ersten Nacherben (Rz. 1)4. Tritt der zweite Nacherbfall mit dem Tod des ersten Nacherben ein (§ 2106 Abs. 1 BGB), geht das Vermögen nicht auf die Erben des ersten 1 BGH v. 24.10.1979 – IV ZR 31/78, MDR 1980, 294 = NJW 1980, 1276; Soergel/Harder/ Wegmann, Vor § 2100 Rz. 8. 2 Zu den einzelnen Fallgestaltungen beim Zusammentreffen von Nacherbeneinsetzung und Testamentsvollstreckung Erman/M. Schmidt, § 2222 Rz. 1; MüKo.BGB/ Zimmermann, § 2222 Rz. 1. 3 BayObLG v. 12.7.1994 – 1Z BR 148/93, FamRZ 1995, 124 (126); Edenfeld, ZEV 2004, 141 (143); Kipp/Coing, S. 277. 4 BayObLG v. 21.11.1989 – BReg. 1a Z 56/89, FamRZ 1990, 320 = NJW-RR 1990, 199 (200); Edenfeld, ZEV 2004, 141 (143); Soergel/Harder/Wegmann, Vor § 2100 Rz. 11. Edenfeld

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Nacherben, sondern auf den zweiten Nacherben über. In den zeitlichen Grenzen des § 2109 BGB (Rz. 19) kann auch ein Dritter oder vierter Nacherbe eingesetzt werden. Anders als in anderen Rechtsordnungen ist die Zahl der Nacherbfolgen hier zu Lande nicht beschränkt1. 15

Die Rechtsnachfolger können nicht nur nacheinander, sondern auch nebeneinander eingesetzt werden. Der Erblasser darf anordnen, dass einem Vorerben mehrere Nacherben folgen oder einem einzigen Nacherben mehrere Vorerben als Erbengemeinschaft (§§ 2032 ff. BGB) vorangehen. Bei der Nachfolgeplanung ist ferner zu bedenken, dass der Nacherbe durch vorzeitigen Tod oder Ausschlagung der Erbschaft wegfallen kann. Die Anordnung der Nacherbfolge wird gegenstandslos, der Vorerbe wider Erwarten zum Vollerben. Der Erblasser beugt dem dadurch vor, dass er einen Ersatznacherben beruft, der beim Wegfall des Nacherben an dessen Stelle tritt, § 2096 BGB. Eine schlüssige Berufung zu Ersatzerben kann sich aus § 2069 BGB für die Abkömmlinge des verstorbenen Nacherben ergeben, falls der Nacherbe seinerseits Abkömmling des Erblassers ist (Rz. 97). c) Einsatz von Bedingungen und Befristungen

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Ein beliebtes Gestaltungsmittel ist die bedingte (§§ 158, 2074, 2075 BGB) oder befristete (§ 163 BGB) Vor- und Nacherbschaft2. Für die Vorerbschaft ist die auflösende Befristung oder Bedingung begriffsnotwendig. Der Erblasser bestimmt den Zeitpunkt oder das Ereignis, zu dem der Nacherbfall eintreten soll, § 2106 Abs. 1 BGB. Er kann den Nacherben aufschiebend befristet (z.B. der Nacherbfall soll 15 Jahre nach dem Erbfall eintreten) oder aufschiebend bzw. auflösend bedingt (z.B. Tod oder Wiederheirat des Vorerben, Berufsabschluss des Nacherben) einsetzen. Dass derartige Bedingungen zulässig sind, wird in §§ 2108 Abs. 2 S. 2, 2074 BGB vorausgesetzt. Der Erblasser darf den Eintritt der Vorerbschaft davon abhängig machen, dass der Vorerbe bestimmte Voraussetzungen (Volljährigkeit, Berufsabschluss o. Ä.) erfüllt. Liegen sie nicht vor, wird der Nacherbe schon mit dem Erbfall Erbe, es sei denn, der Erblasser hat einen Ersatzvorerben bestimmt, § 2096 BGB.

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Auch der Nacherbe kann auflösend oder aufschiebend bedingt bzw. befristet eingesetzt sein, §§ 158, 163, 2074, 2075 BGB. Gängige Formeln sind Tod, Wiederheirat und Berufsabschluss des Berufenen. Manche Erblasser versuchen Einfluss auf das Verhalten des Nacherben zu nehmen, indem sie den Eintritt des Nacherbfalls an seine Kinderlosigkeit, „gute Führung“ oder die (Nicht-)Vornahme einer bestimmten Handlung knüpfen. Das wird gemeinhin als zulässig angesehen3. Im Hinblick auf das beeinträchtigte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Erben ist die Testierfreiheit des Erblassers jedoch beschränkt. Die „Herrschaft aus dem Grabe“ hat Grenzen4. Der Erblasser darf den Eintritt der Nacherbschaft 1 Zur zeitlichen Erbenbindung im BGB und anderen europäischen Staaten Edenfeld, DNotZ 2003, 4 (7 ff.). 2 Vgl. etwa BayObLG v. 2.2.2004 – 1Z BR 43/03, ZEV 2005, 27 zum Eintritt des Nacherbfalls wegen Nichteinhaltung einer testamentarisch angeordneten Bauverpflichtung. 3 MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 12; Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 6. 4 Näher Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935 (1999), S. 575 ff. 286

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allerdings davon abhängig machen, dass der Vorerbe nicht anderweitig letztwillig über die Erbschaft verfügt1. Hierin ist kein Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB zu sehen, auch wenn sich der Vorerbe durch die Gestaltung seiner letztwilligen Verfügung zum Vollerben machen kann. Bedenklich wird es, wenn der Vorerbe Einfluss auf die Wahl desjenigen erhält, dem die Erbschaft endgültig zufällt, etwa durch die Klausel, der Vorerbe dürfe aus mehreren Nacherben eine Person zum alleinigen Nacherben ernennen oder die Erbquoten nachträglich ändern. Die herrschende Meinung hält aber auch das für zulässig2. Häufigster Anwendungsfall der bedingten oder befristeten Vor- und Nacherbschaft ist die Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament (dazu Kap. B VII Rz. 86 ff.). Nach der Einheitslösung wird der überlebende Ehegatte mit dem Tod seines Ehepartners Vollerbe, § 2269 Abs. 1 BGB. Die Kinder sind hinsichtlich des gesamten elterlichen Nachlasses Schlusserben. Das gilt so lange, bis der überlebende Ehegatte wieder heiratet. In diesem Fall verliert er seine Alleinerbenstellung. Sie ist auflösend bedingt durch die Eingehung einer neuen Ehe, §§ 2075, 158 Abs. 2 BGB. Zugleich ist aufschiebend bedingt eine Vor- und Nacherbfolge angeordnet, §§ 2074, 158 Abs. 1 BGB. Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, treten beide Bedingungen ein. Tritt der Nacherbfall nicht erst mit dem Tod des Vorerben, sondern schon mit der Wiederheirat ein, werden die Kinder sofort mit der Wiederheirat endgültige Erben des verstorbenen Elternteils, § 2139 BGB. Zur Umgehung der Wiederverheiratungsklausel durch Verzicht auf die Eheschließung (nichteheliche Lebensgemeinschaft) Rz. 37.

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d) Ausschöpfung des zeitlichen Rahmens Die postmortale Herrschaft des Erblassers ist nicht grenzenlos. Seine „kalte Hand“ soll die Erben nicht ewig, sondern nur über die mittlere zeitliche Dauer einer Generation binden. Darum bestimmt § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB, dass die Einsetzung eines Nacherben mit dem Ablauf von dreißig Jahren nach dem Erbfall unwirksam wird, wenn nicht zuvor die Nacherbfolge eingetreten ist. Die Bindung der Nacherben kann auch bei gestaffelter Nacherbfolge die Gesamtfrist von 30 Jahren grundsätzlich nicht überschreiten. Nach Ablauf der Frist wird der Nachlass frei. Der Vorerbe darf als Vollerbe verfügen. Allerdings macht § 2109 Abs. 1 S. 2 BGB davon eine Ausnahme, durch die die Dreißigjahresfrist ähnlich wie in den Fällen der §§ 2044 Abs. 2 S. 2, 2163, 2210 S. 2 BGB erheblich überschritten werden kann. Die Nacherbeinsetzung bleibt auch nach Ablauf der Dreißigjahresfrist wirksam, wenn die Nacherbfolge für den Fall angeordnet ist, dass in der Person des Vorerben oder des Nacherben ein bestimmtes Ereignis eintritt, und derjenige, in dessen Person das Ereignis eintreten soll, zur Zeit des Erbfalls lebt, § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB. Nur bei juristischen Personen, die keines 1 BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (36 f.); BGH v. 14.7.1972 – V ZR 124/70, BGHZ 59, 220 (222); OLG Oldenburg v. 6.11.1990 – 5 U 50/90, MDR 1991, 539 = FamRZ 1991, 862 = NJW-RR 1991, 646; OLG Hamm v. 24.8.1999 – 15 W 218/99, FamRZ 2000, 446 = ZEV 2000, 197 (198); Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 6. 2 BGH v. 14.7.1972 – V ZR 124/70, BGHZ 59, 220 (222); OLG Oldenburg v. 6.11.1990 – 5 U 50/90, MDR 1991, 539 = FamRZ 1991, 862 = NJW-RR 1991, 646; OLG Hamm v. 24.8.1999 – 15 W 218/99, FamRZ 2000, 446 = ZEV 2000, 197 (198) m. Anm. Loritz; a.A. Brox, Festschrift für Bartholomeyczik (1973), S. 41, 52 f.; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 13. Edenfeld

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natürlichen Todes sterben, bleibt es bei der dreißigjährigen Frist, § 2109 Abs. 2 BGB. Damit lassen sich in der Praxis jahrzehntelange Bindungen erzielen:

Beratungssituation: Der Erblasser bestimmt im Jahr 1936, dass sein Sohn zeitlebens Vorerbe und sein Enkel Nacherbe sein soll. Der Erblasser verstirbt 1940. Sein Sohn ist zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt. Dieser stirbt Anfang 2000 und hinterlässt einen 15 Jahre alten Enkel. Die Dreißigjahresfrist endete 1970. Nach der Grundregel des § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB konnte später kein Nacherbfall mehr eintreten; der bisherige Vorerbe wurde Vollerbe. Dennoch trat Anfang 2000 der Nacherbfall ein. Er beruht auf der gesetzlichen Ausnahme. Der Sohn lebte zur Zeit des Erbfalls (1940). Die Nacherbfolge ist für den Fall angeordnet, dass in seiner Person der Tod als bestimmtes Ereignis eintritt, § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB. Die Nacherbfolge erfasst damit auch noch die nächste Generation. Die Dreißigjahresfrist verdoppelt sich auf 60 Jahre. Wird der Enkel 70 Jahre alt1, setzt sich der Erblasserwille von 1936 bis ins Jahr 2055 durch. Die Auswirkungen der Vor- und Nacherbfolge dauern weit über 100 Jahre. Eine derart langfristige „Herrschaft aus dem Grabe“ ist bedenklich2. 20

Der Erblasser kann die jahrzehntelange Bindung noch verstärken, indem er mehrere Nacherbfolgen hintereinander staffelt und zusätzlich eine Testamentsvollstreckung anordnet:

Beratungssituation: Der Erblasser setzt im Jahr 1959 den jeweils ältesten Sohn der folgenden Generation zum Erben auf Lebenszeit ein. Dieser wird jeweils nur Vorerbe. Die Nacherbfolge soll so lange dauern, wie es das Gesetz zulässt, mindestens aber 30 Jahre nach dem Erbfall. Der Nacherbfall tritt jeweils ein, wenn ein Vorerbe stirbt. Zugleich ordnet der Erblasser eine umfassende Testamentsvollstreckung (§§ 2209, 2222 BGB) nebst Erbteilungsverbot an. Sie soll die gesamte Zeit der Vor- und Nacherbschaft überdauern. Jeder Testamentsvollstrecker ernennt vor seinem Tod einen Nachfolger. Als der Erblasser 1962 stirbt, hinterlässt er einen Sohn und einen soeben geborenen Enkel. Der Sohn verunglückt 1983. Der Enkel erkundigt sich, ob er nach Ablauf der Dreißigjahresfrist (1992) Vollerbe geworden ist. Die Frage ist zu verneinen. Der Sohn starb 1983. Der 1. Nacherbfall trat innerhalb der Dreißigjahresfrist ein, die testamentarische Anordnung ist schon deshalb wirksam, § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Enkel ist Nacherbe. Er ist aber zugleich wiederum Vorerbe, weil er zur Zeit des Erbfalls lebte. Für den Fall seines Ablebens ist eine weitere Nacherbschaft verfügt. Damit tritt auch nach Ablauf der Dreißigjahresfrist der 2. Nacherbfall ein, § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB. Erst der Urenkel wird letzter Nacherbe. Er ist nach dem Erbfall (1962) geboren, die zeitliche Koexistenz mit dem Erblasser fehlt. Sein Tod löst keinen weiteren Nacherbfall mehr aus. Bei langer Lebensdauer der Beteiligten (2. Nacherbfall um das Jahr 2040) erstreckt sich die zeitliche Bindung bis ins 22. Jahrhundert. 1 Er muss als letzter Nacherbe nicht zur Zeit des Erbfalls gelebt haben. Es genügt, wenn er bei Eintritt des ihn betreffenden Nacherbfalls gezeugt ist, §§ 2101 Abs. 1, 2108, 1923 Abs. 2 BGB. 2 Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 12 ff. 288

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 23

B IV

Hinzu kommt, dass der Testamentsvollstrecker während der gesamten Vor- und Nacherbschaft den Nachlass verwaltet, §§ 2205, 2209 BGB. Er nimmt die Rechte der Nacherben gegenüber den Vorerben wahr, § 2222 BGB. Die Vorerben sind in ihrer Verfügungsbefugnis beschränkt, § 2211 BGB. Die Testamentsvollstreckernachfolge ist gesichert. Es können so lange neue Testamentsvollstrecker ernannt werden, wie sie mit dem Erblasser zeitlich koexistieren, § 2210 S. 2 BGB1. Diese zulässige2 Kombination von allgemeiner Dauervollstreckung und Nacherbentestamentsvollstreckung verschafft dem Verwalter eine enorme Machtfülle. Er ist Treuhänder des Familienbesitzes und beaufsichtigt die zur Erbfolge Berufenen. Sowohl Vor- als auch Nacherben haben keine Möglichkeit, sich über den Erblasserwillen hinwegzusetzen. Da der Testamentsvollstrecker an das Erbteilungsverbot gebunden ist (§§ 2044 Abs. 1, 2204 Abs. 1 BGB), bleibt der Nachlass als Ganzes erhalten. Keiner der Erben wird zu Lebzeiten je über das ihm angefallene Vermögen verfügen. Noch der 3. Erbengeneration sind die Hände gebunden. Sie ist wie ihre Vorgänger Nießbraucherin eines fremd verwalteten Sondervermögens. Eine derart langfristige „Herrschaft der kalten Hand“ ist bedenklich3.

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3. Die Auslegung der Verfügung von Todes wegen Ob und in welchem Umfang eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet ist, welche Personen berufen sind und wann der Nacherbfall eintritt, lässt sich nicht immer leicht feststellen. Der Wille des Erblassers muss vorrangig durch Auslegung der letztwilligen Verfügung nach allgemeinen Grundsätzen ermittelt werden, § 133 BGB (Rz. 23 ff.)4. Erst wenn der maßgebliche Inhalt der Verfügung nicht zweifelsfrei feststeht, kommen die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB zum Zuge (Rz. 30 ff.).

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a) Ermittlung des Erblasserwillens

Beratungssituation: Der Sohn der Erblasserin legt ein Testament seiner Mutter vor, in dem es heißt: „Mein Sohn erbt das Wohnhaus. Er darf es nur an seine Abkömmlinge übergeben und nicht letztwillig darüber verfügen.“ Wie ist der letzte Wille zu beurteilen, wenn das Hausgrundstück den wesentlichen Teil der Erbschaft ausmacht? Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft wird nicht allein nach der Formulierung der letztwilligen Verfügung bestimmt. Der Wortlaut ist nur eines von mehreren Auslegungskriterien. Selbst wenn in einem notariellen Testament die Worte „Vor- und Nacherbe“ verwendet werden, spricht das nicht zwingend für 1 § 2199 Abs. 2 BGB verschafft dem Erblasser nicht das Recht, die Dauervollstreckung durch stete Nachfolgerernennung zu verewigen. Auch der jeweilige Testamentsvollstrecker muss zum Zeitpunkt des Erbfalls gelebt haben, MüKo.BGB/Zimmermann, § 2210 Rz. 6; Soergel/Damrau, § 2210 Rz. 2; Kipp/Coing, S. 396 f.; a.A. BGB-RGRK/ Kregel, § 2210 Rz. 2: Der Nachfolger muss innerhalb der Dreißigjahresfrist ernannt sein. 2 BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, BGHZ 127, 360 (363) = MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 m. Anm. Skibbe, ZEV 1995, 69; Staudinger/Reimann, § 2222 Rz. 4, 18. 3 Edenfeld, DNotZ 2003, 4 (12 ff.). 4 Zum erforderlichen Rechtsbindungswillen des Erblassers bei Anordnung einer Vorund Nacherbschaft Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff. Edenfeld

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B IV

Rz. 24

Vor- und Nacherbschaft

eine Vor- und Nacherbfolge. Es kann im Einzelfall auch eine Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB), Testamentsvollstreckung (§§ 2205, 2209 BGB) oder ein Berliner Testament (§ 2269 BGB; Rz. 27) gemeint sein. Andersherum kann eine Vor- und Nacherbfolge auch dann gewollt sein, wenn der Erblasser diese Ausdrücke nicht verwendet1. Entscheidend ist, dass er sein Vermögen zwei oder mehr Personen zeitlich nacheinander zuwenden will2. Der zunächst Berufene kann durchaus eine freie Stellung haben, § 2136 BGB. Es braucht nicht gewährleistet zu sein, dass der spätere Erbe noch Vermögenswerte im Nachlass vorfindet. Die Nacherbeneinsetzung setzt allerdings einen Rechtsbindungswillen des Erblassers3 voraus. Die zum Ausdruck kommende Erwartung, die Erbschaft werde in seinem Sinne weitervererbt werden, genügt nicht. Der moralische Appell macht den Dritten nicht zum Nacherben. Hält sich der Erbe an den Wunsch des Erblassers, wird der Dritte Erbe des Erben und nicht – wie im Fall der Nacherbfolge (Rz. 1) – Erbe des Erblassers. 24

In der obigen Beratungssituation wollte die Erblasserin erreichen, dass ihr Sohn den Grundbesitz nur bis zu seinem Ableben nutzen und nicht frei darüber verfügen können soll. Das Vermögen soll letztlich den Enkeln zukommen. Dieser im Testament zum Ausdruck gelangten Vorstellung wird am ehesten die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft gerecht4. Auch in folgenden Fällen hat die Rechtsprechung eine Nacherbeinsetzung angenommen: – Einsetzung zum „Alleinerben“, wenn sich aus der letztwilligen Verfügung eine nacherbenähnliche Bindung ergibt5. In der Regel ist mit Begriffen wie „Universal-“, „Haupt-“ oder „Vollerbe“ jedoch keine Vorerbschaft gemeint, solange der Erblasser nicht auf einzelne Rechtsfolgen der §§ 2100 ff. BGB Bezug nimmt. – Einsetzung zum „Ersatzerben“6. Rechtsunkundigen ist der Unterschied zwischen Ersatz- und Nacherbschaft oft nicht geläufig. Vor allem bei einer bedingten Erbeinsetzung (Rz. 16) ist häufig eine Nacherbfolge (mit)gemeint. Nur wenn zweifelhaft bleibt, ob jemand als Ersatz- oder Nacherbe eingesetzt ist, gilt er als Ersatzerbe, § 2102 Abs. 2 BGB. – Einsetzung als „Schlusserbe“, wenn der zunächst Berufene nach seiner Rechtsmacht nur Vor- und nicht Vollerbe ist (Rz. 27) – Verbot, den Nachlass an andere als die angegebenen Personen („Blutsverwandte“; „leibliche Abkömmlinge“) weiterzuvererben7. Dabei ist zu beachten, dass der Erblasser dem Vorerben nicht die Auswahl des Nacherben überlassen darf (§ 2065 Abs. 2 BGB; Rz. 17). 1 KG v. 17.10.1986 –1 W 732/85, OLGZ 1987, 1 f.; Staudinger/Avenarius, § 2100 Rz. 14. 2 BGH v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LM Nr. 1 zu § 2100 BGB; zur gleichzeitigen Vollund Vorerbschaft OLG Celle v. 4.10.2012 – 6 W 180/12, FamRZ 2013, 660 = ZEV 2013, 40 m. Anm. Weidlich. 3 Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff.; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 7; Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 2. 4 Vgl. BayObLG v. 30.12.1985 – BReg. 1Z 96/85, FamRZ 1986, 608; BayObLG v. 13.12. 1989 – BReg. 1a Z 78/89, FamRZ 1990, 562; Soergel/Harder/Wegmann, § 2100 Rz. 8. 5 RG v. 3.4.1939 – IV 165/38, RGZ 160, 109 (111); BayObLG v. 8.2.1966 – BReg. 1a Z 64/65, NJW 1966, 1223. 6 BGH v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LM Nr. 1 zu § 2100 BGB. 7 BayObLG v. 22.8.1958 – BReg. 1Z 156/57, BayObLGZ 1958, 226. 290

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 27

B IV

Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung zwischen Vorerbschaft und Nießbrauch (§ 1089 BGB), weil der Vorerbe dem Nießbraucher wirtschaftlich nahesteht. Auch hier entscheidet nicht die vom Erblasser verwendete Terminologie. Ausschlaggebend für die Vorerbschaft ist, dass der Bedachte mit gewissen Einschränkungen eigenverantwortlicher Herr des Nachlasses wird. Soll er dagegen keine nennenswerte Verwaltungs- oder Verfügungsmacht über den Nachlass ausüben, liegt regelmäßig ein Nießbrauchsvermächtnis vor1.

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Für den Erblasser spielen nicht selten erbschaftsteuerliche Erwägungen eine Rolle: Beim Nießbrauch ergibt sich nur ein einziger Erbfall. Der Nachlass wird auf den oder die Erben und den Nießbraucher verteilt. Sie profitieren von mehrfachen Freibeträgen und günstigeren Steuersätzen. Anders ist es bei der Vor- und Nacherbschaft. Der Vorerbe gilt als Vollerbe, § 6 Abs. 1 ErbStG. Er hat die Erbschaftsteuer aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten, § 20 Abs. 4 ErbStG, ohne dass die für ihn in der Nacherbschaft liegende Beschränkung steuerlich berücksichtigt wird. Der Nacherbe hat den Nachlass als vom Vorerben stammend nochmals zu versteuern, § 6 Abs. 2 ErbStG. Diese steuerrechtlichen Konsequenzen sind im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. So kann der Wunsch des Erblassers, den wiederholten Anfall von Erbschaftsteuer bei der Vor- und Nacherbschaft zu vermeiden, für ein Nießbrauchsvermächtnis sprechen2. Er liegt gerade bei größeren Erbschaften nahe.

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Auch beim gemeinschaftlichen Testament entstehen oft Abgrenzungsprobleme (dazu unten B VII Rz. 30 ff.). Die Ehegatten bedenken sich gegenseitig und bestimmen, dass der Nachlass des Überlebenden an einen Dritten – meist die gemeinsamen Kinder – fällt. Hier muss durch Auslegung ermittelt werden, ob der überlebende Ehegatte Vollerbe (§ 2269 BGB) oder nur Vorerbe sein soll.

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Beratungshinweis: Um Unsicherheiten über die Schluss- oder Nacherbenstellung der Kinder zu vermeiden, sollte aus der Testamentsgestaltung eindeutig hervorgehen, dass eine Vor- und Nacherbfolge im Sinne der §§ 2100 ff. BGB beabsichtigt ist. Bezeichnen sich die Ehegatten in ihrem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament als „Vorerben“ und ihre gemeinsamen Kinder als „Nacherben“, ist damit nicht unbedingt die Vor- und Nacherbschaft gewollt3. Laien verstehen diese Begriffe oft dahin gehend, dass damit jeder gemeint ist, der vor oder nach jemand anderem erbt. Es kann auch eine doppelte Vollerbschaft beabsichtigt sein, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, dass das Vermögen der Eheleute als wirtschaftliche Einheit erhalten bleiben und der längerlebende Partner von Bindungen zugunsten späterer Erben frei sein soll. Umgekehrt kann in der Einsetzung als „Schlusserbe“ auch eine Einsetzung als Nacherbe liegen. Bei begründeten Zweifeln an der richtigen Verwendung der Rechtsbegriffe gilt die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB. Sie führt zum Berliner Testament. 1 BGH v. 14.6.1951 – IV ZR 10/50, LM Nr. 2 zu § 2100 BGB; BayObLG v. 7.11.1980 – 1Z 64/80, RPfleger 1981, 64; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 10. 2 BayObLG v. 1.4.1960 – BReg. 1Z 81/59, NJW 1960, 1765; Palandt/Weidlich, § 2100 Rz. 3; Petzold, BB 1975 Beilage 6, S. 5 ff. 3 BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277 (278); BayObLG v. 7.8.1990 – BReg. 1a Z 32/90, MDR 1990, 1118 (1119); OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 153/95, FamRZ 1996, 1567 = ZEV 1996, 310 (311); Erman/Kappler/Kappler, § 2269 Rz. 9. Edenfeld

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B IV 28

Rz. 28

Vor- und Nacherbschaft

Die Grundformel für eine Vor- und Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament lautet:

M 29 Anordnung einer Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben des erstversterbenden Ehegatten und zugleich Erben des Längerlebenden sind beim Tod des Letztversterbenden (Nacherbfall) unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Stirbt eines unserer Kinder nach dem Tod des Ersten, aber vor dem zweiten Ehegatten, treten seine Abkömmlinge an seine Stelle. 29

Rechtliche Konsequenz: Verstirbt der erste Ehepartner, darf der Überlebende als Vorerbe über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen, sofern sich nicht aus den Beschränkungen der §§ 2113 bis 2115 BGB ein anderes ergibt (§ 2112 BGB; Rz. 40 ff., 127 ff.). Nach § 2113 Abs. 1 BGB sind Verfügungen des Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück bei Eintritt des Nacherbfalls insoweit unwirksam, als sie das Recht der Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Ferner darf der überlebende Ehegatte grundsätzlich nichts aus dem Nachlass seines verstorbenen Partners verschenken, § 2113 Abs. 2 BGB. Die Verwirklichung von Grundpfandrechten unterliegt Beschränkungen, § 2114 BGB. Hinzu kommen Verwaltungs-, Auskunfts- und Sorgfaltspflichten des Vorerben, §§ 2116 ff. BGB. Den zur Nacherbfolge berufenen Abkömmlingen wird die Vermögensmasse weitgehend erhalten. Sie erlangen mit dem Tod des ersten Ehegatten ein vererbliches und veräußerliches Anwartschaftsrecht1. Die Einsetzung der Kinder als Nacherben enthält im Zweifel ihre Einsetzung als Ersatzerben, § 2102 BGB (Rz. 31)2. b) Gesetzliche Auslegungsregeln für die Vor- und Nacherbfolge

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Lässt sich der Erblasserwille nicht zweifelsfrei feststellen, kommen die gesetzlichen Auslegungsregeln der Vor- und Nacherbfolge (§§ 2101 ff. BGB) zur Anwendung. Setzt der Erblasser eine zur Zeit des Erbfalls noch nicht erzeugte Person als Erben ein (vgl. die Beratungssituation vor Rz. 7), ist die Verfügung von Todes wegen eigentlich unwirksam. Nach § 1923 BGB ist nur derjenige erbfähig, der im Zeitpunkt des Erbfalls lebt oder zumindest erzeugt ist. Die Auslegungsregel des § 2101 Abs. 1 S. 1 BGB erhält die letztwillige Verfügung durch Umdeutung in eine Nacherbfolge aufrecht: Der noch nicht Erzeugte wird Nacherbe. Er muss lediglich zur Zeit des Nacherbfalls erzeugt sein, §§ 2108 Abs. 1, 1923 Abs. 2 BGB. Ihm kann für die Zeit bis zum Eintritt der Nacherbfolge ein Pfleger bestellt werden, § 1913 S. 2 BGB. Seine Einsetzung als Nacherbe ist nur unwirksam, wenn sich durch Auslegung ermitteln lässt, dass der Erblasser keine Nacherbschaft gewollt hat, § 2101 Abs. 1 S. 2 BGB. Vorerben werden nach § 2105 Abs. 1 1 BGH v. 9.6.1983 – IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367 (369) = MDR 1983, 839 = FamRZ 1983, 809, 882; BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456. 2 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (174); RG v. 11.3.1942 – IV B 5/42, RGZ 169, 38 (39); BGH v. 28.10.1998 – IV ZR 275/97, ZEV 1999, 26. Zur Auslegung, wenn die gemeinsamen Abkömmlinge als „Nacherben des Letztversterbenden“ eingesetzt sind, MüKo.BGB/Grunsky, § 2102 Rz. 3. 292

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 34

B IV

BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls (Rz. 35). Der Nacherbfall tritt im Zweifel mit der Geburt des Nacherben ein (§ 2106 Abs. 2 S. 1 BGB; Rz. 36). Der Vorerbe wird endgültiger Erbe, wenn der Bedachte nicht mehr geboren werden kann oder die Frist des § 2109 BGB abgelaufen ist. Entsprechendes gilt für die Erbeinsetzung einer juristischen Person, die erst nach dem Erbfall zur Entstehung gelangt, § 2101 Abs. 2 BGB. § 2102 Abs. 1 BGB bestimmt, was gelten soll, wenn der zuerst Berufene nicht Erbe wird, weil er die Erbschaft ausschlägt oder vorverstirbt. Das Gesetz vermutet, dass der Erblasser den als Nacherben Eingesetzten im Zweifel auch als Ersatzerben einsetzen will. § 2102 Abs. 2 BGB trägt dem Umstand Rechnung, dass die Position des Ersatzerben schwächer ist als die des Nacherben. Der erstberufene Erbe ist im Zweifel nicht mit einer Nacherbschaft belastet. Zur Stellung des Ersatznacherben Rz. 106 ff.

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Beratungssituation: Der Erblasser hat seinen Bruder zum Vorerben und seine Nichte zur Nacherbin eingesetzt. Er verstirbt Anfang 2010. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Bruder schon zwei Jahre tot. Die Nichte fragt, ob und in welchem Umfang sie ihren Onkel beerbt hat. Der Erblasser hat seinen Bruder überlebt. Dieser kann nicht mehr Vorerbe werden, § 1923 Abs. 1 BGB. Die Vor- und Nacherbfolge ist hinfällig. Der Wegfall des Vorerben bedeutet jedoch nicht, dass auch die Nichte nicht mehr erbt. Die Einsetzung als Nacherbe enthält im Zweifel die Einsetzung als Ersatzerbe, §§ 2102 Abs. 1, 2096 BGB. Die Nichte tritt als Ersatzerbin an die Stelle des vorverstorbenen Vorerben. Sie wird nicht Nacherbin, sondern mit dem Erbfall Vollerbin ihres Onkels. In letztwilligen Verfügungen findet sich gelegentlich die laienhafte Formulierung, dass der Erbe die Erbschaft mit dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses an einen anderen „herauszugeben“ habe. § 2103 BGB deutet das als Vor- und Nacherbfolge. Die Auslegung kann auch hier zu einem anderen Ergebnis führen. So fehlt es bei der Anordnung der „sofortigen“ Herausgabe an einer zumindest vorübergehenden Vorerbenstellung. Die Verfügung ist widersprüchlich, kann aber als sofortige Erbeinsetzung des Dritten verbunden mit der Ernennung des Erstberufenen zum Testamentsvollstrecker zu werten sein1.

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Die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge setzt voraus, dass der Erblasser einen Vor- und Nacherben einsetzt (Rz. 8 f.). Hat er es unterlassen, seine Rechtsnachfolger näher zu bestimmen, und bleibt die Willenserforschung ergebnislos, droht die Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung. Um das zu vermeiden, muss die fehlende Benennung des Vor- oder Nacherben ersetzt werden. Die §§ 2104, 2105 BGB ermöglichen eine konstruktive Vor- bzw. Nacherbfolge. Sie kommt in Betracht, wenn zumindest ein Bedachter feststeht. Sonst ist die Verfügung unwirksam.

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Hat der Erblasser angeordnet, dass der Erbe nur bis zum Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses Erbe sein soll, ohne festzulegen, wer alsdann die Erbschaft erhält, so ist nach § 2104 S. 1 BGB anzunehmen, dass als Nacherben

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1 Palandt/Weidlich, § 2103 Rz. 2; Soergel/Harder/Wegmann, § 2103 Rz. 2. Edenfeld

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B IV

Rz. 35

Vor- und Nacherbschaft

diejenigen eingesetzt sind, welche die gesetzlichen Erben des Erblassers sein würden, wenn er zur Zeit des Eintritts des Zeitpunkts oder des Ereignisses gestorben wäre. Die unvollständige Verfügung wird dahin gehend ergänzt, dass die gesetzlichen Erben Nacherben sind. Der Fiskus gehört nicht dazu, § 2104 S. 2 BGB. Es handelt sich um eine gewillkürte Erbeinsetzung. An der Nacherbeneinsetzung fehlt es auch, wenn jemand zwar zunächst ernannt ist, die Ernennung aber durch durchstreichen (§ 2255 BGB) widerrufen wird, sofern die Nacherbfolge nicht insgesamt widerrufen werden sollte1. Für die Auslegungsregel ist dagegen kein Raum, wenn der Erblasser zwar einen Nacherben eingesetzt hat, diese Einsetzung aber wegen Formfehlers oder erfolgreicher Testamentsanfechtung unwirksam ist. Der Fall, dass dem Nacherben die Erbschaft nicht anfällt, kann dem anfänglichen Fehlen der Nacherbenberufung nicht gleichgesetzt werden2. Die Anwendbarkeit des § 2104 BGB ist ferner zweifelhaft, wenn es der Erblasser unter Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB dem Vorerben überlassen hat, den Nacherben zu bestimmen (vgl. Rz. 7)3. Das ergibt sich schon daraus, dass der vom Erblasser benannte Personenkreis selten mit den gesetzlichen Erben übereinstimmt. 35

Hat der Erblasser angeordnet, dass der eingesetzte Erbe die Erbschaft erst mit dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses erhält, ohne festzulegen, wer bis dahin Erbe ist, so sind nach § 2105 Abs. 1 BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers Vorerben (vgl. die Beratungssituation vor Rz. 7). Dadurch wird eine unserem Erbrecht fremde „ruhende Erbschaft“ vermieden. Der Nachlass wird trotz fehlender Vorerbenbestimmung zwischen Erbfall und Nacherbfall nicht herrenlos. Der Anwendungsbereich der Vorschrift entspricht weitgehend dem des § 2104 BGB, wobei auch der Fiskus gesetzlicher Erbe (§§ 1936, 1942 Abs. 2 BGB) und damit Vorerbe sein kann. Der Kreis der gesetzlichen Erben richtet sich nach dem Zeitpunkt des Erbfalls4. Bis zum Eintritt des Nacherbfalls hinzukommende Personen werden nicht Mitvorerben, selbst wenn sie beim Vorhandensein zur Zeit des Erbfalls zu den Vorerben gehört hätten. Stirbt ein nach § 2105 Abs. 1 BGB zum Vorerben Berufener nach dem Erbfall, geht die Vorerbenstellung auf seine Erben über. § 2105 Abs. 2 BGB enthält die zu § 2101 BGB notwendige Ergänzung.

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Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft setzt ferner voraus, dass der Erblasser bestimmt, wann der Nacherbfall eintreten soll (Rz. 10). Hat er das versäumt und lässt sich sein wirklicher Wille nicht mehr ermitteln, füllt § 2106 Abs. 1 BGB die entstandene Lücke aus. Dem Nacherben fällt die Erbschaft mit dem Tod des Vorerben an. Der Erblasser darf die Entscheidung keiner anderen Person (Vorerbe, Testamentsvollstrecker etc.) überlassen, § 2065 BGB5. Tut er es gleichwohl, muss durch Auslegung erforscht werden, ob der Tod des Vorerben maßgeblich oder die Nacherbfolge unwirksam sein soll. Davon abgesehen hat der Erblasser Gestaltungsfreiheit (Rz. 12 ff.). § 2106 Abs. 2 BGB enthält die zu § 2101 BGB notwendige Ergänzung (vgl. die Beratungssituation vor Rz. 7). 1 BayObLG v. 5.3.1991 – BReg. 1a Z 13/90, FamRZ 1991, 1114. 2 H.M.: BGH v. 22.1.1986 – IVa ZR 90/84, MDR 1986, 653 = FamRZ 1986, 462 = NJW 1986, 1812; MüKo.BGB/Grunsky, § 2104 Rz. 3. 3 So auch MüKo.BGB/Grunsky, § 2104 Rz. 3a gegen OLG Hamm v. 6.7.1995 – 15 W 172/95, MDR 1995, 1237 = FamRZ 1996, 378 = NJW-RR 1995, 1477. 4 Erman/M. Schmidt, § 2105 Rz. 5; Palandt/Weidlich, § 2105 Rz. 1. 5 BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, BGHZ 15, 199; Erman/M. Schmidt, § 2106 Rz. 3. 294

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 39

B IV

Führt der Nacherbe den Nacherbfall – etwa durch Tötung des Vorerben – treuwidrig herbei, fällt ihm die Erbschaft in entsprechender Anwendung des § 162 Abs. 2 BGB nicht an1. Wem die Erbschaft endgültig verbleibt, muss durch Testamentsauslegung geklärt werden. Umgekehrt tritt der Nacherbfall auch dann ein, wenn der Vorerbe dessen Eintritt wider Treu und Glauben verhindert, § 162 Abs. 1 BGB analog. Dabei ist allerdings Zurückhaltung geboten. Verzichtet der überlebende Ehegatte zur Umgehung der Wiederverheiratungsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament auf die erneute Eheschließung (als vorgesehener Nacherbfall, Rz. 18) und geht stattdessen eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft ein, greift § 162 BGB in aller Regel nicht. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur, wenn die Auslegung der Wiederverheiratungsklausel ergibt, dass der Nacherbfall mit jeder neuen Partnerschaft unabhängig von der Eheschließung eintreten soll2.

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Hat der Erblasser einem Abkömmling, der zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung keinen Abkömmling hat oder von dem der Erblasser zu dieser Zeit nicht weiß, dass er einen Abkömmling hat, für die Zeit nach dessen Tod einen Nacherben bestimmt, so ist nach § 2107 BGB anzunehmen, dass der Nacherbe nur für den Fall eingesetzt ist, dass der Abkömmling ohne Nachkommenschaft stirbt. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Erblasser den Nachlass regelmäßig in der Familie halten und die künftigen Nachkommen eines von ihm bedachten (Enkel-)Kindes nicht zugunsten Dritter vom Familienvermögen ausschließen will. Hinterlässt der Vorerbe Abkömmlinge, entfällt die Nacherbeneinsetzung. Der Vorerbe wird rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erbfalls Vollerbe und kann den Nachlass an seine Abkömmlinge weitervererben. Der Wegfall der Nacherbfolge im Interesse der Abkömmlinge des Vorerben setzt nicht voraus, dass sie den Vorerben tatsächlich beerben und den Nachlass des Erblassers erhalten3. Es muss aber sichergestellt sein, dass die Nacherbschaft nicht auch für den Fall angeordnet ist, dass der Vorerbe eigene Nachkommen hinterlässt. Der Erblasserwille geht vor4.

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§ 2110 BGB enthält Auslegungsregeln über den Umfang des Nacherbenrechts. Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser dem Nacherben im Zweifel den gesamten Nachlass zukommen lassen will. Der Nacherbe rückt in die volle Position des Vorerben ein. Hat dieser von dem Wegfall eines Miterben profitiert (§§ 1935, 2094, 2096 BGB), kommt das auch dem Nacherben zugute, § 2110 Abs. 1 BGB. Ein dem Vorerben zugewandtes Vorausvermächtnis (§§ 2150, 2174 BGB) unterliegt hingegen im Zweifel nicht der Nacherbschaft, § 2110 Abs. 2 BGB. Es bleibt im Vermögen des Vorerben, weil er den Gegenstand unabhängig von seinem Erbteil bekommen hat. Dem Erblasser ist es unbenommen, den Nacherben als Nach- oder Ersatzvermächtnisnehmer einzusetzen, §§ 2190, 2191 BGB. Steht die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge nach Inhalt und Umfang fest, ist die rechtliche Stellung des Vor- und Nacherben zu ermitteln.

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1 BGH v. 10.6.1968 – III ZR 67/66, NJW 1968, 2051; Erman/M. Schmidt, § 2106 Rz. 1. 2 MüKo.BGB/Grunsky, § 2106 Rz. 1. 3 BGH v. 24.10.1979 – IV ZR 31/78, MDR 1980, 294 = NJW 1980, 1276 (1277); Palandt/ Weidlich, § 2107 Rz. 2. 4 BGH v. 8.7.1981 – IVa ZR 177/80, MDR 1982, 38 = FamRZ 1981, 1173 = NJW 1981, 2743 (2744); BayObLG v. 25.4.1991 – BReg. 1a Z 72/90, FamRZ 1991, 1234 = NJW-RR 1991, 1094; BayObLG v. 9.3.1992 – BReg. 1Z 51/91, NJW-RR 1992, 839 (840); OLG Nürnberg v. 22.10.2012 – 14 W 31/12, FamRZ 2013, 660 = NJW-RR 2013, 330. Edenfeld

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B IV

Rz. 40

Vor- und Nacherbschaft

II. Rechtliche Stellung des Vorerben Beratungssituation: Nach dem Tod ihres Mannes legt die Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament vor, in dem es heißt: „Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben des erstversterbenden Ehegatten und zugleich Erben des Längerlebenden sind beim Tod des Letztversterbenden unsere Kinder zu gleichen Teilen“ Die Mandantin erkundigt sich, was sie nun zu beachten habe. 40

Mit dem Erbfall ist der Nachlass der Ehefrau als Vorerbin angefallen. Sie wird Rechtsnachfolgerin ihres Mannes und hat die Erbschaft wie ein Vollerbe zu versteuern, § 6 Abs. 1 ErbStG. Die Erbschaftsteuer ist aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten, § 20 Abs. 4 ErbStG, ohne dass die in der Nacherbschaft bestehende Beschränkung steuerlich berücksichtigt werden kann (Rz. 26). Erst mit dem letztwillig vorgesehenen Ereignis (Tod des Vorerben, § 2106 Abs. 1 BGB) tritt der Nacherbfall ein. Die Frau hört auf, Vorerbin zu sein, und die Erbschaft fällt den Kindern als Nacherben an, § 2139 BGB. Im Zeitraum zwischen Erbfall und Nacherbfall stellt sich die Frage, inwieweit sie den Nachlass zu ihren Gunsten verwerten kann. Immerhin sind die Kinder endgültige Erben. Der Vorerbe soll lebzeitige Nutzungen aus der Erbschaft ziehen (§ 2111 Abs. 1 BGB), die Substanz aber den gemeinsamen Abkömmlingen erhalten bleiben. Mit dieser Zielsetzung regeln die §§ 2112 ff. BGB die Befugnisse des Vorerben im Verhältnis zu den Nacherben. Zwischen beiden besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis1. Es verpflichtet den Vorerben zur ordnungsmäßigen Behandlung des Nachlasses im Interesse der Nacherben, § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Vorerbenstellung wird durch die beschränkte Verfügungsbefugnis über den Nachlass (Rz. 41 ff.) und die Rechte und Pflichten während der Nachlassverwaltung (Rz. 67 ff.) geprägt. Für den befreiten Vorerben gelten Besonderheiten (§ 2136 BGB; Rz. 81 ff.). 1. Verfügung über Nachlassgegenstände

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Mit dem Erbfall wird der Vorerbe – wenn auch nur auf Zeit – Rechtsnachfolger des Erblassers. Er ist Eigentümer (§ 1922 BGB) und Besitzer (§ 857 BGB) der zum Nachlass gehörenden Sachen sowie Inhaber der vererblichen Rechte. Nach § 2112 BGB ist er berechtigt, über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände zu verfügen. Zum Schutz der Nacherben fällt jedoch alles das, was der Vorerbe durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erwirbt, kraft dinglicher Surrogation in den Nachlass, sofern der Erwerb dem Vorerben nicht als Nutzung gebührt (§ 2111 Abs. 1 S. 1 BGB; Rz. 120). Damit er den Nachlass nicht durch Verfügungen aufzehrt, unterliegt er ferner den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB (Rz. 42 ff.). Kann der Vorerbe wirksam verfügen, heißt das nicht, dass er es im Innenverhältnis zu den Nacherben auch darf. Läuft die Verfügung den Grundsätzen der ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses zuwider, macht er sich schadenersatzpflichtig, §§ 2130, 2131 BGB. Zum Schutz des Nacherben vor den Eigengläubigern des Vorerben vgl. § 2115 BGB (Rz. 127 ff.).

1 Ebenroth, Rz. 582; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 19. 296

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 45

B IV

a) Verfügungsbeschränkungen bei Grundstücken (§ 2113 Abs. 1 BGB)

Beratungssituation: In der Beratungssituation vor Rz. 40 benötigt die Mandantin dringend Geld zur Sanierung des Hauses. Sie fragt, ob sie das Hausgrundstück mit einer kreditsichernden Grundschuld belasten oder die wertvolle Münzsammlung ihres Mannes, für die sie keine Verwendung mehr hat, veräußern darf. Nach § 2113 Abs. 1 BGB ist die Verfügung des Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück bei Eintritt der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. Der Gesetzgeber betrachtet Grundstücksgeschäfte als besonders gefährlich. Sie sollen nicht ohne die Zustimmung des Nacherben wirksam sein, es sei denn, der Erblasser hat den Vorerben von der Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB befreit (§ 2136 BGB; Rz. 81).

42

Das Gesetz legt den rechtlichen Verfügungsbegriff zugrunde. Darunter fallen alle dinglich wirkenden Übertragungen, Belastungen, Inhaltsänderungen und die Aufgabe eines Grundstücksrechts. Dazu gehören auch die Bewilligung einer Vormerkung, die Bestellung eines Erbbaurechts und der Rangrücktritt bei einem Grundpfandrecht. Dass die Gegenleistung nach § 2111 BGB in den Nachlass fällt, ist unerheblich. Die Beeinträchtigung bestimmt sich allein nach rechtlichen und nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die Veräußerung oder Belastung eines Grundstücks ist selbst dann unwirksam, wenn der Vorerbe dafür einen angemessenen oder günstigen Preis erzielt. Die Eingehung schuldrechtlicher Verbindlichkeiten wird von §§ 2112, 2113 Abs. 1 BGB nicht berührt. Der Vorerbe kann sich ohne Zustimmung des Nacherben wirksam zur Verfügung über ein Nachlassgrundstück verpflichten1. Bleibt die Zustimmung des Nacherben aus, haftet der Vorerbe dem Vertragspartner nach den schuldrechtlichen Vorschriften. Der Vorerbe kann das Grundstück auch vermieten oder verpachten. Der Nacherbe ist an den vom Vorerben geschlossenen Vertrag gebunden, darf ihn allerdings unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist kündigen, §§ 2135, 1056 BGB.

43

Die Verfügung des Vorerben muss sich auf ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück beziehen. Die Verfügungsbeschränkung gilt für alle im Grundbuch eintragungsbedürftigen dinglichen Rechte einschließlich des Erbbaurechts (§ 11 ErbbauRG) und des Wohnungseigentums (§ 1 WEG). Schuldrechtliche Ansprüche und die Berechtigung zur Verfügung über bewegliche Sachen werden von § 2113 Abs. 1 BGB nicht erfasst2.

44

Streitig ist, ob die Vorschrift auch dann eingreift, wenn das Grundstück Bestandteil eines Gesamthandsvermögens (BGB-Gesellschaft, OHG, KG, eheliche Güter- oder Miterbengemeinschaft) ist. Hier ist zu unterscheiden: Wird allein über den Gesamthandsanteil verfügt, wird das dazugehörige Grundstück nur mittelbar betroffen. § 2113 Abs. 1 BGB ist schon deshalb nicht anwendbar, weil der Verfügungsbegriff rechtlich zu verstehen ist. Es kommt nicht darauf an, ob das

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1 BGH v. 14.7.1969 – V ZR 122/66, NJW 1969, 2043 (2045); Erman/M. Schmidt, § 2113 Rz. 9. 2 Zur Löschung des Hofvermerks bei Vor- und Nacherbschaft BGH v. 16.4.2004 – BLw 27/03, MDR 2004, 1061 = FamRZ 2004, 1196. Edenfeld

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B IV

Rz. 46

Vor- und Nacherbschaft

Grundstück wirtschaftlich im Wesentlichen den Gesamthandsanteil ausmacht. Verfügungen über Gesellschaftsanteile fallen nicht unter die Verfügungsbeschränkung, selbst wenn das Gesellschaftsvermögen vorwiegend aus Grundstücken besteht1. 46

Nach herrschender Auffassung2 greift § 2113 Abs. 1 BGB ebenso wenig ein, wenn über das gesamthänderischer Bindung unterliegende Grundstück selbst verfügt wird. Der überlebende Ehegatte kann bei fortgesetzter Gütergemeinschaft über ein zum Gesamtgut gehörendes Grundstück verfügen (§§ 1487 Abs. 1, 1422 BGB), auch wenn er nur Vorerbe des verstorbenen Ehegatten ist und die gemeinsamen Kinder als Nacherben nicht zugestimmt haben. Im Rahmen der Auseinandersetzung einer Miterbengemeinschaft (§§ 2042 ff. BGB) kann einem Miterben ein Grundstück ohne Zustimmung des für einen anderen Miterben benannten Nacherben übertragen werden. In einer OHG oder KG können die Gesellschafter über ein Gesellschaftsgrundstück verfügen, auch wenn einer von ihnen der Nacherbfolge unterliegt. Dem ist unter Zugrundelegung des Verfügungsbegriffs zuzustimmen: Gegenstand der Nacherbfolge ist der Gesamthandsanteil und nicht jeder zum Gesamthandsvermögen zählende Gegenstand. Weder der zum Vorerben berufene Gesamthänder noch sein Nacherbe haben Rechte an einzelnen Sachen. § 2113 Abs. 1 BGB schützt den Nacherben vor dinglichen Rechtsgeschäften des Vorerben, rechtfertigt aber nicht den Eingriff in Rechte Dritter. Wären die übrigen Gesamthänder von der Zustimmung des Nacherben abhängig, würde ihre Verfügungsmacht blockiert, obwohl nur ein Gesamthänder nacherbschaftlich beschränkt ist.

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Rechtsfolge des § 2113 Abs. 1 BGB ist die Unwirksamkeit der Verfügung, soweit sie das Recht des Nacherben beeinträchtigt oder vereitelt. Sie ist zeitlich auf den Eintritt des Nacherbfalls hinausgeschoben. Verfügungen des Vorerben über Grundstücke oder Grundstücksrechte sind bis zu diesem Zeitpunkt wirksam. Sie tragen den Keim künftiger Ungültigkeit in sich, wenn der Nacherbe nicht eingewilligt hat, § 183 BGB. Mit Eintritt des Nacherbfalls wird die Verfügung auch ohne Zutun des Nacherben von selbst unwirksam. Die Unwirksamkeit ist keine relative im Sinne von § 135 BGB, die sich auf das Verhältnis zwischen Vor-, Nacherben und Erwerber beschränken würde. Das Wort „insoweit“ in § 2113 Abs. 1 BGB hat sachliche, keine personelle Teilwirkung. Die Verfügung wird wie in § 161 BGB gegenüber jedermann absolut unwirksam.

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Die Unwirksamkeit kann von jedem Betroffenen und nicht nur vom Nacherben geltend gemacht werden. Sie erfasst allein das dingliche Rechtsgeschäft (z.B. Eigentumsübertragung nach §§ 873, 925 BGB) und nicht auch das Kausalgeschäft (z.B. Kaufvertrag). Bei mehreren Mitnacherben darf jeder von ihnen die Unwirksamkeit geltend machen, § 2039 BGB. Entsteht schon vor dem Erbfall Streit über die Wirksamkeit der Verfügung des Vorerben, kann der Nacherbe gegen ihn oder den beteiligten Dritten Feststellungsklage nach § 256 ZPO erheben3. Bei 1 Erman/M. Schmidt, § 2113 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2113 Rz. 2. 2 BGH v. 12.2.1964 – V ZR 59/62, NJW 1964, 768; BGH v. 10.3.1976 – V ZB 7/72, NJW 1976, 893; BGH v. 15.3.2007 – V ZB 145/06, MDR 2007, 887 = FamRZ 2007, 1015 = NJW 2007, 2114; BayObLG v. 25.10.1995 – 2Z BR 61/95, ZEV 1996, 65; MüKo.BGB/ Grunsky, § 2113 Rz. 3 f.; a.A. Kanzleiter, ZEV 1996, 66; K. Schmidt, FamRZ 1976, 683. 3 RG v. 4.2.1933 – V 379/32, RGZ 139, 343 (347); BGH v. 14.7.1969 – V ZR 122/66, BGHZ 52, 269 (271). 298

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 51

B IV

gutgläubigem Erwerb des Dritten (§ 2113 Abs. 3 BGB; Rz. 63) kann er auf Feststellung der Ersatzfähigkeit des Schadens gegen den Vorerben klagen. Der Schadenersatzanspruch steht ihm erst nach Eintritt des Nacherbfalls zu. Die Verfügung muss das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Vereitelung ist die vollständige Rechtsentziehung, Beeinträchtigung, Beschränkung oder Belastung. Sie bestimmt sich jeweils nach rechtlichen und nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Keine Beeinträchtigung liegt vor, wenn die Verfügung – z.B. die Bestellung eines zeitlich begrenzten Nießbrauchs – den Nachlass nur für die Dauer der Vorerbschaft berührt. Maßgeblich ist der Eintritt des Nacherbfalls. Wirkt die Verfügung über den Zeitraum der Vorerbschaft hinaus, kommt es nicht darauf an, ob sich die Gegenleistung in der Erbschaft befindet. Die Verfügung ist unwirksam, wenn sie der Nacherbe nicht nachträglich genehmigt (Rz. 52).

49

Schwierigkeiten entstehen, wenn der Vorerbe eine Verfügung vornehmen will, um eine Nachlassverbindlichkeit zu erfüllen. Man denke an die Erfüllung eines Vermächtnisses (§ 2174 BGB), einer Auseinandersetzungsanordnung (§ 2048 BGB) oder einer vom Erblasser herrührenden Verpflichtung, etwa zur Übereignung eines bereits verkauften Grundstücks. Einerseits ist der Vorerbe als Erbe dem Dritten gegenüber zur Erfüllung verpflichtet (§ 1967 Abs. 1 BGB), andererseits darf er die Rechte des Nacherben nicht beeinträchtigen. Die Behandlung dieser Fälle ist streitig.

50

Die Literatur1 nimmt zum Teil an, dass die Verfügung auch bei Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit unwirksam ist. Der Nacherbe müsse die Möglichkeit haben, den Bestand und die Fälligkeit der Verbindlichkeit zu überprüfen. Er sei allenfalls aus § 2120 BGB zur Zustimmung verpflichtet. Bei einem Vermächtnis oder einer Teilungsanordnung könne die Auslegung der letztwilligen Verfügung ergeben, dass der Vorerbe zu ihrer Erfüllung von der Verfügungsbeschränkung befreit sei.

50a

Überwiegend2 geht man davon aus, dass die Verfügung wegen des Wegfalls der Verbindlichkeit rechtlich nicht nachteilig ist. Der Gläubiger einer gegen den Nachlass gerichteten Forderung könne deren Erfüllung jederzeit durchsetzen, nach Eintritt des Nacherbfalls auch gegen den Nacherben. Rechte des Nacherben seien daher nicht beeinträchtigt. Aus § 2120 S. 1 BGB könne nicht gefolgert werden, dass der Gesetzgeber die Wirksamkeit derartiger Verfügungen von der Zustimmung des Nacherben abhängig machen wolle. Sie seien auch ohne dessen Billigung wirksam.

50b

Der herrschenden Meinung ist zuzustimmen. Die Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit ist keine Beeinträchtigung der Rechte des Nacherben, sondern bei einer Vermächtnis- oder Auseinandersetzungsanordnung vom Erblasser beabsichtigt. Die Auslegung der letztwilligen Verfügung wird regelmäßig ergeben, dass der Vorerbe die Verpflichtung erfüllen und der Nacherbe sie nicht blockieren soll. § 2113 Abs. 1 BGB dient dem Schutz des Nacherben vor dem Vorerben,

51

1 Brox, Rz. 350; Ebenroth, Rz. 564, MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 13. 2 OLG Hamm v. 19.9.1994 – 15 W 205/94, FamRZ 1995, 961 = NJW-RR 1995, 1289; Erman/M. Schmidt, § 2113 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 2113 Rz. 5. Edenfeld

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B IV

Rz. 52

Vor- und Nacherbschaft

darf sich aber nicht zulasten Dritter auswirken, wenn der Nacherbe mit Eintritt des Nacherbfalls für die Nachlassverbindlichkeit einzustehen hat, § 1967 Abs. 1 BGB. § 2120 S. 1 BGB, der den Nacherben zur Einwilligung in eine Verfügung des Vorerben verpflichtet, wenn sie zur Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten erforderlich ist, verfolgt nur den Zweck, späteren Streit über das Bestehen der Nachlassverbindlichkeit und die Erforderlichkeit der Verfügung auszuschließen. Obwohl die Vorschrift die Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten erwähnt, ist die Interessenlage hier eine andere, weil sowohl Vor- als auch Nacherbe vom Nachlassgläubiger zur Erfüllung gezwungen werden können. In der Praxis führt die Gegenansicht ohnehin meist zum gleichen Ergebnis. Die Begleichung einer fälligen und durchsetzbaren Nachlassschuld gehört zur ordnungsmäßigen Verwaltung im Sinne des § 2120 S. 1 BGB. 52

Weil die Verfügung nicht nichtig, sondern nur insoweit unwirksam ist, als sie bei Eintritt des Nacherbfalls das Recht des Nacherben vereitelt oder beeinträchtigt, kann ihr der Nacherbe durch seine Zustimmung Wirksamkeit verleihen, § 185 BGB1. Die Zustimmung wird als vorherige Einwilligung (§§ 183, 185 Abs. 1 BGB) oder als nachträgliche Genehmigung (§§ 184 Abs. 1, 185 Abs. 2 BGB) erteilt. Unter den Voraussetzungen des § 2120 BGB ist der Nacherbe zur Zustimmung verpflichtet. Bei mehreren Nacherben müssen alle zustimmen, bei einer mehrfachen Nacherbfolge müssen auch die weiteren Nacherben zustimmen. Die Zustimmung des Ersatznacherben ist vor dem Ersatznacherbfall nicht notwendig2. Der minderjährige Nacherbe bedarf der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters, der seinerseits die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts einholen muss, § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Vorerbe, ist § 181 BGB zu beachten.

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Eine ohne Zustimmung vorgenommene Verfügung ist auch in den weiteren Fällen des § 185 Abs. 2 BGB (der Verfügende erwirbt den Gegenstand, wird von dem Berechtigten beerbt oder haftet für die Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkt) wirksam. Das gewinnt praktische Relevanz, wenn der Vorerbe durch Übertragung des Nacherbenrechts auf seine Person das Grundstück zu freiem Eigentum erwirbt (Rz. 88), der Nacherbe unbeschränkt haftender Erbe des Vorerben wird oder die Nacherbfolge endgültig wegfällt3. Anders als bei der Zustimmung entfällt die Unwirksamkeit der Verfügung nicht rückwirkend (§ 184 Abs. 1 BGB), sondern für die Zukunft4. § 185 Abs. 2 BGB greift nicht ein, wenn die Verfügung zugunsten eines mehrerer Mitnacherben getroffen wird, die alle den Vorerben beerben. Hier bleibt die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs (§ 2113 Abs. 3 BGB; Rz. 63 ff.).

54

In der obigen Beratungssituation (vor Rz. 42) stellt die Belastung des Hausgrundstücks mit einer Sicherungsgrundschuld eine die Rechte der Nacherben beeinträchtigende Verfügung im Sinne des § 2113 Abs. 1 BGB dar. Sie ist ohne Zu1 RG v. 30.2.1907 – V 14/07, RGZ 65, 214 (219); BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115; Brox, Rz. 350. 2 BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115; Palandt/Weidlich, § 2113 Rz. 7; Heider, ZEV 1995, 1 (2 ff.). 3 Vgl. RG v. 19.1.1925 – IV 474/24, RGZ 110, 94; OLG München v. 9.7.1969 – 12 U 1277/69, FamRZ 1971, 93 (94); MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 17. 4 Soergel/Harder/Wegmann, § 2113 Rz. 8. 300

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 57

B IV

stimmung der Kinder selbst dann unwirksam, wenn die Ehefrau des Erblassers dafür einen angemessenen oder sogar günstigen Kredit zur Sanierung des Hauses erzielt. Auf den sinnvollen Verwendungszweck kommt es nur insoweit an, als die Kinder nach § 2120 BGB zur Zustimmung verpflichtet sind. Die Bank kann die Sicherungsgrundschuld gutgläubig erwerben, wenn kein Nacherbenvermerk (§ 51 GBO) zugunsten der Kinder im Grundbuch eingetragen ist, §§ 2113 Abs. 3, 892 BGB. Die Berechtigung der Mandantin zur entgeltlichen Verfügung über bewegliche Sachen (Münzsammlung) wird durch die §§ 2113 bis 2115 BGB nicht eingeschränkt. Für die Beurteilung der rechtlichen Verfügungsbefugnis kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsstellung der Nacherben durch die Belastung des Grundstücks wirtschaftlich stärker betroffen wäre als durch den Verkauf der Münzen. Die Ehefrau kann die zum Nachlass ihres Mannes gehörige Münzsammlung übereignen. Zur Vermeidung einer Schadenersatzpflicht gegenüber ihren Kindern muss sie die Grundsätze der ordnungsmäßigen Verwaltung (keine Veräußerung unter Wert) beachten, §§ 2130, 2131 BGB. Vorsichtshalber sollte sie die Zustimmung ihrer Kinder zur geplanten Maßnahme einholen.

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b) Verfügungsbeschränkungen bei Schenkungen (§ 2113 Abs. 2 BGB)

Beratungssituation: In der Beratungssituation vor Rz. 40 ist die Mandantin der Auffassung, dass das Patenkind des Verstorbenen bei der Erbnachfolge zu kurz kommt. Sie fragt, ob sie dem Kind die CD-Sammlung ihres Mannes überlassen darf. Der Stamm der Erbschaft soll dem Nacherben zukommen und nicht durch Schenkungen des Vorerben geschmälert werden. Unentgeltliche Verfügungen über Nachlassgegenstände werden den Verfügungen über Grundstücke gleichgestellt, § 2113 Abs. 2 S. 1 BGB. Anders als § 2113 Abs. 1 BGB erstreckt sich die Verfügungsbeschränkung nicht nur auf Grundstücke, sondern erfasst Erbschaftsgegenstände jeglicher Art, d.h. auch bewegliche Sachen, Forderungen und Gesellschaftsanteile. Ebenfalls anders als im Fall des § 2113 Abs. 1 BGB kann der Erblasser den Vorerben von der Beschränkung des § 2113 Abs. 2 BGB nicht befreien (§ 2136 BGB; zur Vermächtnislösung Rz. 81). Anstandsschenkungen sind von der Unwirksamkeit ausgenommen, § 2113 Abs. 2 S. 2 BGB.

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Der Verfügungsbegriff ist derselbe wie in § 2113 Abs. 1 BGB (Rz. 43). Die Verfügung ist unentgeltlich, wenn der Vorerbe einen Wert aus dem Nachlass hergibt, ohne dass die eingetretene Schmälerung der Erbschaft durch eine gleichwertige Gegenleistung ausgeglichen wird (objektives Kriterium). Ferner muss der Vorerbe wissen oder bei ordnungsmäßiger Verwaltung des Nachlasses (§ 2130 BGB) erkennen können, dass die Gegenleistung kein vollwertiges Entgelt darstellt (subjektives Kriterium)1. Angesichts der Regelung des § 2138

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1 BGH v. 24.9.1971 – V ZB 6/71, BGHZ 57, 84 (90); BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, MDR 1984, 293 = FamRZ 1984, 258 = NJW 1984, 362 (364); BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 147/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 258 = NJW 1984, 366 (367); BGH v. 24.10. 1990 – IV ZR 296/89, MDR 1991, 419 = FamRZ 1991, 188 = NJW 1991, 842 f.; OLG Braunschweig v. 11.11.1993 – 4 W 13/93, FamRZ 1995, 443 (445); Soergel/Harder/ Wegmann, § 2113 Rz. 17. Edenfeld

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B IV

Rz. 58

Vor- und Nacherbschaft

Abs. 2 BGB ist mitunter zweifelhaft, ob die fahrlässige Unkenntnis des unzulänglichen Ausgleichs ausreicht. Denkbar ist hier, dass die Verfügung wirksam und der Vorerbe dem Nacherben schadenersatzpflichtig ist. Die unentgeltliche Verfügung ist wirksam, wenn sie ausnahmsweise den Grundsätzen ordnungsmäßiger Nachlassverwaltung entspricht. Man denke an den Verzicht auf eine praktisch nicht durchsetzbare Forderung oder einen nahezu unverkäuflichen, aber kostenträchtigen Gegenstand. 58

Aus dem Sinn und Zweck der Erbschaftserhaltung für den Nacherben folgt, dass die Gegenleistung in den Nachlass und nicht an Dritte (z.B. an einen von mehreren Nacherben ohne Anrechnung auf seinen Nacherbteil) fließen muss. Aufgrund der dinglichen Surrogation nach § 2111 BGB ist das grundsätzlich der Fall. Verwendet der Vorerbe die Gegenleistung für eigene Zwecke, lässt das die Wirksamkeit der Verfügung unberührt. Etwas anderes gilt, wenn es nach der Art der Gegenleistung ausgeschlossen ist, dass sie dem Nacherben zugute kommt. Lässt sich der nicht befreite Vorerbe eine für seinen persönlichen Gebrauch bestimmte Leistung (z.B. Zahlung einer Leibrente gegen Verkauf eines Grundstücks oder Übertragung eines Gesellschaftsanteils) gewähren, ist die Verfügung unentgeltlich. Im Gegensatz zum befreiten Vorerben ist er nicht berechtigt, Erbschaftsgegenstände für sich zu verwenden, §§ 2134, 2136 BGB1. Bei befreiter Vorerbschaft hängt die Gleichwertigkeit der Gegenleistung von der Rentenhöhe und der verbleibenden Lebenserwartung des Vorerben ab. In der obigen Beratungssituation ist die Weggabe der nachlasszugehörigen CD-Sammlung durch die Mandantin mangels adäquater Gegenleistung des Patenkindes von der Zustimmung der Nacherben abhängig, sofern nicht die Voraussetzungen einer Anstandsschenkung vorliegen.

59

Gemischte Schenkungen sind ebenfalls der Verfügungsbeschränkung unterworfen. Teilweise unentgeltliche Verfügungen werden wie unentgeltliche behandelt2. Dem Nacherben steht nicht nur ein Anspruch auf Zahlung der Wertdifferenz zu. Das entspricht dem Schutzzweck des § 2113 Abs. 2 BGB. Beruft sich der Nacherbe auf die Unwirksamkeit und verlangt er mit Eintritt des Nacherbfalls von dem Erwerber die Berichtigung des Grundbuchs, ist dessen Gegenleistung in die Rückabwicklung des Geschäfts einzubeziehen. Der Dritte ist Zug um Zug zur Herausgabe verpflichtet3. Sonst würde die Rechtsstellung des Nacherben über die Sicherung des Nachlasswerts hinaus verbessert.

60

Verfügt der Vorerbe über einen zum Nachlass gehörigen Gesellschaftsanteil, wirft die Feststellung der Unentgeltlichkeit erfahrungsgemäß besondere Schwierigkeiten auf.

Beratungssituation: Der Erblasser war OHG-Gesellschafter. Für den Fall seines Todes sieht der Gesellschaftsvertrag den Eintritt der Erben in die OHG vor. Dies sind seine Ehefrau als Vorerbin und seine Tochter als Nach1 BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47 (51 f.); OLG Hamm v. 8.10.1990 – 15 W 194/90, FamRZ 1991, 113 (115); MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 23. 2 BGH v. 15.2.1952 – V ZR 54/51, BGHZ 5, 173 (182); BGH v. 2.10.1952 – IV ZR 24/52, BGHZ 7, 274 (279); Erman/M. Schmidt, § 2113 Rz. 17. 3 BGH v. 10.10.1984 – IVa ZR 75/83, MDR 1985, 300 = FamRZ 1985, 64 = NJW 1985, 382; BGH v. 30.5.1990 – IV ZR 83/89, FamRZ 1990, 1344. 302

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 62

B IV

erbin. Als die OHG dringende Investitionen tätigen muss, hat die Ehefrau nicht die nötigen Geldmittel. Der Gesellschaftsvertrag wird daher abgeändert. Die Mitgesellschafter übernehmen den finanziellen Beitrag der Vorerbin, wofür ihre Beteiligung in einen unvererblichen Kommanditanteil umgewandelt wird. Die Tochter fragt, ob sie mit Eintritt des Nacherbfalls Kommanditistin wird. Sowohl die Zustimmung des Vorerben zur Änderung des Gesellschaftsvertrags, durch die in seine Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird, als auch sein freiwilliges Ausscheiden aus der Gesellschaft kann eine unentgeltliche Verfügung über den Gesellschaftsanteil darstellen. Die Gesellschaftsbeteiligung zielt zwar nicht auf den Leistungsaustausch, Rechte und Pflichten stehen jedoch in einem Wertverhältnis. Dessen Veränderung zuungunsten des Vorerben wirkt sich auf die Position des Nacherben aus. Die Verfügung ist folglich nur wirksam, wenn ein gleichwertiges Äquivalent in den Nachlass fließt, § 2113 Abs. 2 BGB. Scheidet der Vorerbe freiwillig ohne objektiv vollwertige Abfindung aus der Gesellschaft aus, ist eine zumindest teilweise Unentgeltlichkeit anzunehmen. In die gesellschaftsvertragliche Abfindungsregelung müssen alle vermögenswerten Bestandteile der Gesellschaft (laufende Geschäfte, stille Reserven, „good will“ etc.) einbezogen sein1. In der obigen Beratungssituation rückt die Tochter in die Kommanditistenstellung der Mutter ein, wenn die Vererblichkeit des Kommanditanteils (§ 177 HGB) durch die Abänderung des Gesellschaftsvertrags nicht wirksam ausgeschlossen worden ist. Der vertragliche Ausschluss der Vererblichkeit könnte eine unentgeltliche Verfügung zugunsten der Mitgesellschafter sein. Dafür spricht, dass die Tochter bei Eintritt des Nacherbfalls weder den ursprünglichen OHG-Anteil ihres Vaters noch den verbliebenen Kommanditanteil erhält. Andererseits dient die Vertragsänderung der Entwicklung des Unternehmens und kommt im Ergebnis dem Nachlassvermögen zugute. Der BGH2 hält § 2113 Abs. 2 BGB nach seinem Sinn und Zweck, eine Wertminderung des Nachlasses ohne Gegenleistung zu verhindern, nicht für anwendbar. Die Änderung des Gesellschaftsvertrags sei keine unentgeltliche Verfügung, wenn sie entweder die Mitgliedschaftsrechte aller Gesellschafter gleichermaßen treffe oder die anderen Gesellschafter nur bei Abänderung zu zusätzlichen Leistungen bereit seien. Vorliegend hat die Vorerbin der einseitigen Änderung zulasten ihres Gesellschaftsanteils zugestimmt, weil die übrigen OHG-Gesellschafter ihrerseits zusätzliche Leistungen für die Stärkung des Unternehmens erbringen. Die Vertragsänderung ist damit wirksam, die Kommanditbeteiligung unvererblich. Die Tochter wird mit Eintritt des Nacherbfalls nicht Kommanditistin. Ihr bleibt der schuldrechtliche Anspruch gegen die Kommanditgesellschaft, §§ 738 BGB, 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB.

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Rechtsfolge ist wie im Fall des § 2113 Abs. 1 BGB die Unwirksamkeit der Verfügung, sofern es sich nicht um eine Anstandsschenkung handelt, § 2113 Abs. 2

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1 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, MDR 1984, 293 = FamRZ 1984, 258 = NJW 1984, 362; Harder, DNotZ 1994, 822, 825; MüKo.BGB/Grunsky, § 2113 Rz. 22a; Paschke, ZIP 1985, 129 ff. 2 BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177 = MDR 1981, 206 = FamRZ 1981, 35; dazu Harder, DNotZ 1994, 822; Lutter, ZGR 1982, 108. Edenfeld

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Rz. 63

Vor- und Nacherbschaft

S. 2 BGB. Beeinträchtigt oder vereitelt die Verfügung das Recht des Nacherben, ist ihre Wirksamkeit von seiner Zustimmung abhängig, § 185 BGB. Im Übrigen gilt das unter Rz. 47 Gesagte. Besonderheiten bestehen insofern, als der Erblasser den Vorerben von der Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 2 BGB nicht befreien kann, § 2136 BGB. Auch der befreite Vorerbe ist nicht befugt, unentgeltlich über Grundstücke oder Grundstücksrechte zu verfügen. Stellt er einen Eintragungsantrag beim Grundbuchamt (§ 13 GBO), muss er nachweisen, dass seine Verfügung entgeltlich ist. Weil ihm das mit den Beweismitteln des Grundbuchrechts kaum gelingt, lassen sich Zweifel an der Wirksamkeit der Verfügung meist nur dadurch ausräumen, dass der Vorerbe die Zustimmungserklärung des Nacherben in der Form des § 29 GBO beibringt. In der Praxis geht das Grundbuchamt der Frage der Unentgeltlichkeit erst nach, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Unentgeltlichkeit vorliegen1. c) Schutz des guten Glaubens (§ 2113 Abs. 3 BGB)

Beratungssituation: In der Beratungssituation vor Rz. 40 wird die Ehefrau des Erblassers als Eigentümerin des Hausgrundstücks im Grundbuch eingetragen. Die Einsetzung der Kinder als Nacherben ist im Grundbuch versehentlich nicht vermerkt. Vier Jahre nach dem Tod ihres Mannes veräußert die Frau das Grundstück an einen Immobilienmakler, der von der Vor- und Nacherbschaft nichts weiß. Kurz darauf stirbt sie. Die Kinder verlangen Grundbuchberichtigung. 63

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§ 2113 Abs. 1 und 2 BGB bewahrt die Nacherben vor Verfügungen des Vorerben. Dessen Vertragspartner ist jedoch bei Unkenntnis der Vor- und Nacherbfolge nicht minder schützenswert. Dem trägt § 2113 Abs. 3 BGB Rechnung: Die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, finden entsprechende Anwendung. Das sind die §§ 892, 893 BGB bei Grundstücken, die §§ 932 ff., 1032, 1207 BGB bei beweglichen Sachen und die §§ 2365 ff. BGB beim Erbschein. Der gute Glaube muss sich darauf beziehen, dass der betreffende Gegenstand nicht zu einer der Nacherbfolge unterliegenden Erbschaft gehört bzw. dass der Vorerbe nach § 2136 BGB von den Beschränkungen des § 2113 Abs. 1 BGB befreit ist. Der Erwerber erwirbt das Recht auch dem Nacherben gegenüber. Der gute Glaube an die Entgeltlichkeit der Verfügung ist nicht geschützt. Hat der Erwerber das Recht unentgeltlich gutgläubig erworben (§ 2113 Abs. 2, 3 BGB), haftet er dem Nacherben bereicherungsrechtlich, § 816 Abs. 1 S. 2 BGB.

Beratungshinweis: Bei Grundstücksgeschäften des Vorerben scheitert der gutgläubige Erwerb regelmäßig schon daran, dass die Verfügungsbeschränkung aus dem Grundbuch zu ersehen ist. Mit der Eintragung des Vorerben als Eigentümer wird das Recht des Nacherben von Amts wegen eingetragen (Nacherbenvermerk, § 51 GBO). Für den lastenfreien Erwerb nach § 2113 Abs. 3 BGB bleiben die Fälle, in denen der Vorerbe als Berechtigter eingetra1 Vgl. OLG Hamm v. 2.5.1969 – 15 W 113/69, NJW 1969, 1492; Soergel/Harder/Wegmann, § 2113 Rz. 27 f.; zur Notwendigkeit der Zustimmung auch des Nachnacherben zu unentgeltlichen Verfügungen des Vorerben OLG Zweibrücken v. 12.1.2011 – 3 W 195/10, FamRZ 2011, 1430 = ZEV 2011, 321. 304

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 66

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gen und der Nacherbenvermerk fälschlich nicht eingetragen oder gelöscht worden ist. Hieraus folgt zugleich, dass er nicht ohne Zustimmung des Nacherben und eines etwaigen Ersatznacherben gelöscht werden darf. Stimmen diese der Löschung zu, verzichten sie allein auf ihren Schutz vor gutgläubigem Erwerb, nicht auf ihr Nacherbenrecht. Bei irrtümlicher Löschung haben sie bis zum Eintritt des Nacherbfalls einen Anspruch auf Wiedereintragung. Im Übrigen bewirkt der Nacherbenvermerk keine Grundbuchsperre1. Verfügungen, die der Vorerbe unter Verstoß gegen § 2113 Abs. 1, 2 BGB trifft, werden eingetragen. In der obigen Beratungssituation sind die Kinder mit dem Tod ihrer Mutter Nacherben geworden, §§ 2106 Abs. 1, 2139 BGB. Als Eigentümer können sie von jedem, der zu Unrecht im Grundbuch eingetragen ist, Grundbuchberichtigung verlangen, § 894 BGB. Die ihnen zugefallene Erbschaft könnte allerdings durch die Übereignung des Grundstücks geschmälert sein. Zwar scheitert die Verfügung der Vorerbin nach §§ 873, 925 BGB an § 2113 Abs. 1 BGB; der gutgläubige Immobilienmakler kann sich aber auf § 2113 Abs. 3 BGB berufen. Die Verfügungsbeschränkung ist ihm gegenüber nur wirksam, wenn sie aus dem Grundbuch ersichtlich oder ihm positiv bekannt ist, § 892 Abs. 1 S. 2 BGB. Hier waren die Mutter als Eigentümerin und das Nacherbenrecht der Kinder unter Verstoß gegen § 51 GBO nicht eingetragen. Dem Makler sind die testamentarischen Umstände nicht bekannt gewesen. Er hat das Eigentum an dem Grundstück gutgläubig erworben. Die Kinder haben keinen Anspruch aus § 894 BGB. Es kommt allenfalls eine Haftung des Grundbuchamts wegen des fehlenden Nacherbenvermerks in Betracht.

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d) Verfügungsbeschränkungen bei Grundstücksrechten (§ 2114 BGB) Zieht der Vorerbe eine Hypothekenforderung, Grund- oder Rentenschuld ein, verfügt er über ein Grundstücksrecht. Die Verfügungsbeschränkung des § 2113 BGB greift jedoch nicht ein, weil § 2114 S. 1 BGB davon eine Ausnahme macht: Gehört eine Hypothekenforderung, eine Grundschuld oder eine Rentenschuld zur Erbschaft, steht deren Kündigung und Einziehung dem Vorerben zu. Die Zustimmung des Nacherben ist nicht erforderlich. Das gilt sowohl für das dingliche Recht als auch für die gesicherte persönliche Forderung einschließlich der prozessualen Geltendmachung. Zum Schutz des Nacherben ist das Einziehungsrecht eingeschränkt. Der Vorerbe kann es ohne Zustimmung des Nacherben nur so geltend machen, dass er Hinterlegung des Kapitals für sich und den Nacherben verlangt. Zahlungen an ihn sind dem Nacherben gegenüber nur wirksam, wenn dieser zugestimmt hat (§ 2114 S. 2 BGB) oder eine Befreiung nach § 2136 BGB vorliegt. Bei mehreren Nacherben müssen alle zustimmen. Andernfalls ist die Zahlung unwirksam und befreit den Schuldner gegenüber dem Nacherben nicht2. § 2114 BGB stärkt die Position des Vorerben ausschließlich im Hinblick auf die Kündigung und Einziehung eines Grundpfandrechts. Auf andere Verfügungen bleibt § 2113 BGB uneingeschränkt anwendbar, § 2114 S. 3 BGB. 1 RG v. 3.9.1935 – III 36/35, RGZ 148, 385 (392); BayObLG v. 30.1.1991 – BReg. 2Z 1/91, BWNotZ 1991, 142 f.; Ebenroth, Rz. 566. 2 BGH v. 4.12.1969 – III ZR 31/68, WM 1970, 221 (223); Erman/M. Schmidt, § 2114 Rz. 3. Edenfeld

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Vor- und Nacherbschaft

2. Verwaltung des Nachlasses 67

Bis zum Eintritt des Nacherbfalls ist der Vorerbe Erbe. Er hat das Recht und die Pflicht, den Nachlass ordnungsmäßig zu verwalten. Das folgt aus § 2130 Abs. 1 BGB. Danach hat der Vorerbe nach Eintritt des Nacherbfalls dem Nacherben die Erbschaft in dem Zustand herauszugeben, der sich bei einer bis zur Herausgabe fortgesetzten ordnungsmäßigen Verwaltung ergibt. Darüber hinaus hat der Vorerbe auf Verlangen Rechenschaft abzulegen, § 2130 Abs. 2 BGB. a) Recht und Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung

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Die ordnungsmäßige Verwaltung des Nachlasses bestimmt sich vorrangig nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der Vorerbe soll den Wert der Erbschaft im Interesse des Nacherben möglichst erhalten und vermehren. Immaterielle Gesichtspunkte wie die Pflege der Familientradition und die Bewahrung historisch bedeutender Bestandteile der Erbschaft können hinzutreten. Recht und Pflicht des Vorerben zur ordnungsmäßigen Verwaltung umfassen insbesondere

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– die Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten, §§ 1967 ff. BGB. Sie ist eine typische und legitime Verwaltungshandlung des Vorerben. Dazu gehört die Begleichung noch offener Forderungen gegen den Erblasser oder die Erfüllung von Vermächtnissen, §§ 2147, 2174 BGB. Trifft der Vorerbe zur Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit eine Verfügung, ist darin keine Beeinträchtigung der Rechte des Nacherben im Sinne von § 2113 BGB zu sehen (Rz. 51).

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– die Eingehung neuer Verpflichtungen. Begründet der Vorerbe eine neue Verbindlichkeit, muss er nicht erkennbar im Namen oder für den Nachlass handeln. Er haftet mit seinem Eigenvermögen, sofern er die Haftung nicht durch Haftungsbeschränkungsvertrag auf den Nachlass beschränkt. Der Nachlass und damit auch der Nacherbe (nach Eintritt des Nacherbfalls, § 2144 BGB) haften nur, soweit der Vorerbe die Verbindlichkeit vom Standpunkt eines sorgfältigen Verwalters fremden Vermögens in ordnungsmäßiger Verwaltung des Nachlasses (§ 2120 BGB) eingegangen ist1. So ist die Ordnungsmäßigkeit einer Kreditaufnahme zu bejahen, wenn Nachlassverbindlichkeiten befriedigt werden müssen oder Reparaturen an Nachlassgegenständen notwendig sind. Lässt sich die Tilgung nicht aus den Erbschaftserträgen, sondern nur aus der Nachlasssubstanz bestreiten, kann das einer ordnungsmäßigen Verwaltung entgegenstehen. Zur ordnungsmäßigen Verwaltung eines Unternehmens gehört es, vorhandene Marktchancen wahrzunehmen, den Geschäftsbereich an die Absatzentwicklung anzupassen und ggf. zu expandieren.

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– die Anlegung von Geld und die Verwaltung von Wertpapieren. Verfügbares Geld hat der Vorerbe mündelsicher anzulegen (§§ 1806 ff. BGB), wenn es nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft dauernd anzulegen ist, § 2119 BGB. Für die Verwaltung von Wertpapieren und Buchforderungen legt das Gesetz dem Vorerben besondere Pflichten auf. Auf Verlangen des Nacherben muss er besonders verkehrsgängige Papiere hinterlegen (§ 2116 BGB), Inhaberpapiere umschreiben (§ 2117 BGB) und Sperrvermerke in Schuldbücher eintragen lassen (§ 2118 BGB). 1 BGH v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, BGHZ 32, 60 (64); BGH v. 31.1.1990 – IV ZR 326/88, BGHZ 110, 176 = MDR 1990, 521 = FamRZ 1990, 511 (179); OLG Oldenburg v. 28.3. 1994 – 13 U 181/93, NJW 1994, 2772. 306

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 74

B IV

Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung, insbesondere zur Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten, eine Verfügung erforderlich, die der Vorerbe nicht mit Wirkung gegen den Nacherben vornehmen kann, so ist der Nacherbe dem Vorerben gegenüber zur Einwilligung verpflichtet (§§ 2120 S. 1, 183 BGB; Rz. 51). Der Sinn dieser Regelung besteht darin, dem Vorerben die Verwaltung des Nachlasses zu ermöglichen. Er soll Dritten gegenüber nachweisen können, dass die Erfüllung nicht am Widerstand des Nacherben scheitert, und vor späteren Schadenersatzforderungen des Nacherben sicher sein. Letzteres setzt voraus, dass der Vorerbe dem Nacherben alle relevanten Umstände der geplanten Verfügung durch Vorlage von Vertragsunterlagen, Angabe des Verwendungszwecks aufgenommener Darlehen etc. korrekt mitteilt. Bei einer Kreditaufnahme zulasten des Nachlasses kann es zur Ordnungsmäßigkeit der Nachlassverwaltung gehören, dass ein Treuhänder eingeschaltet wird, ohne dessen Zustimmung der Vorerbe nicht über die Kreditmittel verfügen kann1.

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b) Nutzungen und Erhaltungskosten der Erbschaft Der Vorerbe ist Eigentümer des Nachlasses und hat bis zum Eintritt des Nacherbfalles eine dem Nießbraucher ähnliche Stellung. Ihm stehen die Nutzungen der Erbschaft zu. Sie fallen in sein Vermögen (§§ 2111 Abs. 1 S. 1, 100, 101 BGB)2. Gehören Gesellschaftsanteile oder ein Unternehmen zum Nachlass, lassen sich die dem Vorerben zustehenden Nutzungen oft nur schwer bestimmen. Maßstab ist auch hier § 2130 BGB. Der Vorerbe hat seine Beteiligung in ordnungsmäßig verwaltetem Zustand herauszugeben. Bei einem Unternehmen verbleibt ihm nicht der Brutto-, sondern der nach Abzug der Steuern ermittelte Reingewinn, wie er sich aus der Jahresbilanz ergibt. Bei Anteilen an einer Kapitalgesellschaft stehen ihm die ausgeschütteten Dividenden und sonstige Erträgnisse zu3. Zieht der Vorerbe Übermaßfrüchte aus der Erbschaft, gewährt § 2133 BGB dem Nacherben einen Wertersatzanspruch.

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Als Ausgleich für den Anfall der Nutzungen hat der Vorerbe die gewöhnlichen Erhaltungskosten zu tragen, § 2124 Abs. 1 BGB. Das sind die üblichen Ausbesserungs- und Erhaltungs- (nicht aber Wertsteigerungs-)Kosten, auf Erbschaftsgegenstände anfallende Steuern und Versicherungsprämien sowie die Zinsen für Nachlassverbindlichkeiten. Bei einem Unternehmen muss der Vorerbe für die laufenden Betriebskosten (Rohstoffe, Löhne, Werbungskosten, Steuern) aufkommen. Dadurch, dass diese Kosten in die Bilanz eingehen, darf der Nacherbe allerdings nicht mehr erhalten, als ihm nach den §§ 2111, 2124 BGB zusteht4. Sonstige Aufwendungen darf der Vorerbe aus der Erbschaft bestreiten, § 2124 Abs. 2

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1 BGH v. 31.1.1990 – IV ZR 326/88, BGHZ 110, 176 (177 ff.) = MDR 1990, 521 = FamRZ 1990, 511; BGH v. 10.2.1993 – IV ZR 274/91, MDR 1993, 656 = FamRZ 1993, 801 = NJW 1993, 1582. 2 BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177 (188) = MDR 1981, 206 = FamRZ 1981, 35; BGH v. 3.6.1981 – IVa ZR 195/80, BGHZ 81, 8 (12) = MDR 1981, 917; BGH v. 29.6.1983 – IVa ZR 57/82, MDR 1984, 30 = FamRZ 1983, 1018 = NJW 1983, 2874 (2875); Palandt/Weidlich, § 2111 Rz. 7. 3 Baur, JZ 1958, 465 ff.; Ebenroth, Rz. 596; Soergel/Harder/Wegmann, § 2111 Rz. 13. 4 Zum Umfang der Erhaltungskosten BGH v. 24.1.1973 – IV ZR 140/71, FamRZ 1973, 187; BGH v. 7.7.1993 – IV ZR 96/92, FamRZ 1993, 1311 (1312); MüKo.BGB/Grunsky, § 2124 Rz. 2 f.; Voit, ZEV 1994, 138 ff. Edenfeld

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B IV

Rz. 75

Vor- und Nacherbschaft

S. 1 BGB. Dazu zählen die Kosten eines Rechtsstreits, es sei denn, dieser bezieht sich ausschließlich auf die Nutzungen des Vorerben. Bestreitet der Vorerbe die sonstigen Aufwendungen aus seinem Vermögen, ist ihm der Nacherbe bei Eintritt der Nacherbfolge ersatzpflichtig, § 2124 Abs. 2 S. 2 BGB. Der Erblasser kann den Vorerben im Wege eines Vermächtnisses zugunsten des Nacherben verpflichten, die Grundpfandrechte aus den an sich dem Vorerben zustehenden Nutzungen der Erbschaft zu tilgen mit der Folge, dass Erstattungsansprüche aus § 2124 Abs. 2 BGB insoweit nicht geltend gemacht werden können1. Zur Geltendmachung von Ansprüchen des Vorerben auf Aufwendungsersatz in der Nachlassinsolvenz s. § 329 InsO i.V.m. §§ 323, 324 Abs. 1 Nr. 1, 326 Abs. 2, 3 InsO. c) Prozessführung des Vorerben 75

Als Rechtsträger des Nachlasses ist der Vorerbe uneingeschränkt zur Prozessführung über Erbschaftsgegenstände und Nachlassverbindlichkeiten berechtigt. Die aktive oder passive Prozessführung stellt keine Verfügung über das streitbefangene Recht dar. Für den Prozessgegner stellt sich die Frage, ob sich die Rechtskraft des Urteils auch auf den Nacherben erstreckt. § 325 Abs. 1 ZPO greift nicht ein, weil der Nacherbe nicht Rechtsnachfolger des Vorerben, sondern des Erblassers ist (Rz. 1). Der Nacherbe ist nur an ein dem Erblasser gegenüber ergangenes Urteil gebunden. Will der Kläger eine nicht allein den Vorerben, sondern auch den Nacherben bindende Entscheidung, muss er diesen mitverklagen. Unter den Voraussetzungen des § 326 ZPO entfaltet ein vor Eintritt der Nacherbfolge rechtskräftig gewordenes Urteil, das im Streit zwischen dem Vorerben und einem Dritten über eine Nachlassverbindlichkeit oder einen der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand ergangen ist, ausnahmsweise Rechtskraftwirkung für und gegen den Nacherben. Die Vorschrift unterscheidet zwei Fallgestaltungen:

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– Ist das Urteil über eine Nachlassverbindlichkeit oder einen der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand zugunsten des Vorerben ergangen, wirkt das Urteil auch für den Nacherben, § 326 Abs. 1 ZPO. Ein ungünstiges Urteil bindet ihn nicht.

Beratungssituation: Der Vorerbe hat ein rechtskräftiges Urteil auf Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 50 000 Euro, das der Erblasser dem Beklagten gewährt hatte, erstritten. Nach Eintritt des Nacherbfalls fragt der Nacherbe, wie er gegen den weiterhin säumigen Schuldner vorzugehen hat. Das Urteil entfaltet nicht nach § 325 Abs. 1 ZPO, wohl aber nach § 326 Abs. 1 ZPO Rechtskraftwirkung für den Nacherben. Er muss den säumigen Darlehensnehmer des Erblassers nicht noch einmal verklagen. Er kann die dem Vorerben erteilte vollstreckbare Ausfertigung des Urteils auf sich umschreiben lassen (§§ 728 Abs. 1, 727 ZPO) und daraus die Zwangsvollstreckung betreiben. 77

– Ist das Urteil zuungunsten des Vorerben ergangen und betraf es eine Nachlassverbindlichkeit, bindet es den Nacherben nicht. Nur wenn das für den Vorerben ungünstige Urteil einen der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand betrifft und der Vorerbe über ihn ohne Zustimmung des Nacherben verfügen konnte, wirkt das Urteil gegen den Nacherben, § 326 Abs. 2 ZPO. Das 1 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 140/03, MDR 2004, 1422 = FamRZ 2004, 1567. 308

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 80

B IV

ist etwa der Fall, wenn der Vorerbe nach § 2136 BGB befreit war (Rz. 81) oder der Nacherbe der Verfügung oder Prozessführung zugestimmt hat, § 185 BGB. Ist der Vorerbe zur Herausgabe eines Nachlassgegenstands verurteilt und wirkt das Urteil gegen den Nacherben, kann eine Vollstreckungsklausel auch gegen ihn erteilt werden, §§ 728 Abs. 1, 727 ZPO. Eine im Wege der Zwangsvollstreckung gegen den Vorerben getroffene Verfügung ist nach Maßgabe des § 2115 BGB gegenüber dem Nacherben wirksam (Rz. 127 ff.). Tritt während des anhängigen Rechtsstreits zwischen dem Vorerben und dem Dritten der Nacherbfall ein, wird das Verfahren unterbrochen, wenn der Vorerbe über den der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand ohne Zustimmung des Nacherben verfügen konnte, § 242 ZPO. Obwohl der Nacherbe Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht des Vorerben ist, wird er prozessual wie dessen Rechtsnachfolger behandelt, § 239 Abs. 1 ZPO. Tritt der Nacherbe in den Prozess ein, ergeht das Urteil gegen ihn. Sonst berührt ihn das Urteil mangels gesetzlichen Übergangs der Parteistellung nicht. Das führt regelmäßig zur einseitigen Erledigungserklärung in der Hauptsache. War der Vorerbe durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, setzt das Gericht das Verfahren auf Antrag aus, § 246 ZPO.

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d) Haftung des Vorerben Lässt der Vorerbe im Rahmen der Nachlassverwaltung die erforderliche Sorgfalt vermissen, können die Nacherben schon während der Dauer der Vorerbschaft nach §§ 2127 ff. BGB gegen ihn vorgehen. Mit Eintritt des Nacherbfalls entsteht ein Schadenersatzanspruch, § 2130 Abs. 1 BGB. Der Vorerbe hat in Ansehung der Verwaltung für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, § 2131 BGB. Für grobe Fahrlässigkeit haftet er immer, § 277 BGB. Verwendet er Erbschaftsgegenstände eigennützig für sich, ist er nach Eintritt des Nacherbfalls zum Wertersatz und bei schuldhaftem Verhalten zum Schadenersatz verpflichtet, § 2134 BGB. Veränderungen oder Verschlechterungen von Erbschaftssachen, die durch die ordnungsmäßige Benutzung herbeigeführt werden, hat er nicht zu vertreten, § 2132 BGB.

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Beratungssituation: Der Vorerbe verwaltet den Nachlass schlecht. Er veräußert Gegenstände und macht Dritten großzügige Schenkungen, ohne sich mit den Nacherben abzustimmen. Sein nicht zur Erbschaft gehörendes Eigenvermögen hat er verbraucht. Die Nacherben fürchten um ihre Erbschaft und erkundigen sich, was sie gegen den Vorerben unternehmen können. Besteht Grund zu der Annahme, dass der Vorerbe durch seine Verwaltung die Rechte des Nacherben erheblich verletzt, ist der Nacherbe berechtigt, von dem Vorerben Auskunft über den Bestand der Erbschaft zu verlangen, § 2127 BGB (dazu Kap. C VII Rz. 83 ff.). Der Nacherbe kann Sicherheitsleistung begehren, wenn durch das Verhalten des Vorerben oder seine ungünstige Vermögenslage die Besorgnis einer erheblichen Verletzung der Rechte des Nacherben begründet wird, § 2128 Abs. 1 BGB. Ist der Vorerbe rechtskräftig zur Sicherheitsleistung verurteilt, können die Nacherben ferner verlangen, dass dem Vorerben die Verwaltung der Erbschaft entzogen und einem Verwalter übertragen wird, §§ 2128 Abs. 2, 1052 BGB. Damit verliert der Vorerbe nicht nur sein Verwaltungsrecht, sondern zugleich das Recht, über Erbschaftsgegenstände zu verfügen, § 2129 Edenfeld

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B IV

Rz. 81

Vor- und Nacherbschaft

Abs. 1 BGB. Gutgläubige Dritte werden wie im Fall des § 2113 Abs. 3 BGB (Rz. 63) geschützt, § 2129 Abs. 2 BGB. Zu den Rechten des Nacherben während der Dauer der Vorerbschaft Rz. 99 ff.; zu seinen Rechten nach Eintritt des Nacherbfalls Rz. 124 ff. 3. Der befreite Vorerbe 81

Nach § 2136 BGB kann der Erblasser den Vorerben von den Beschränkungen und Verpflichtungen des § 2113 Abs. 1 und der §§ 2114, 2116 bis 2119, 2123, 2127 bis 2131, 2133, 2134 BGB befreien. Das ermöglicht die flexible Gestaltung der Vor- und Nacherbfolge1. Von der Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 2 BGB kann der Erblasser den Vorerben nach dem Wortlaut des § 2136 BGB nicht befreien (Rz. 62). Auch der befreite Vorerbe ist nicht befugt, unentgeltlich über Grundstücke oder Grundstücksrechte zu verfügen. Die Praxis umgeht diese fehlende Befreiungsmöglichkeit mit einer Vermächtnislösung2: Der Nacherbe wird mit einem Vermächtnis dahin gehend beschwert, dass er bestimmten unentgeltlichen Verfügungen des Vorerben zuzustimmen hat. Da der betreffende Nacherbe verpflichtet ist, den durch die Verfügung herbeigeführten Erfolg hinzunehmen, beeinträchtigt ihn die unentgeltliche Verfügung des Vorerben gem. § 2113 Abs. 2 BGB nicht.

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Die Befreiung des Vorerben verschafft ihm eine selbstständige, von Kontrollund Zustimmungsrechten des Nacherben weitgehend unabhängige Stellung. Sie wird von Amts wegen im Grundbuch eingetragen (§ 51 GBO), hat jedoch Grenzen. Der Vorerbe bleibt Treuhänder des Nacherben und ist über § 2113 Abs. 2 BGB hinaus nicht von allen Beschränkungen und Verpflichtungen der §§ 2113 ff. BGB befreit. Er muss die gewöhnlichen Erhaltungskosten tragen (§ 2124 Abs. 1 BGB), auf Verlangen ein Nachlassverzeichnis mitteilen (§ 2121 BGB; dazu Kap. C VII Rz. 76 ff.) und den Grundsatz der Surrogation (§ 2111 BGB; Rz. 120) sowie seine Schadenersatzpflicht bei Minderung des Nachlasses in Benachteiligungsabsicht (§ 2138 Abs. 2 BGB) beachten. Seine Eigengläubiger sind bei Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber der Vorerbschaft auch im Fall des § 2136 BGB beschränkt (§ 2115 BGB; Rz. 127 ff.). Soweit der Erblasser den Vorerben nicht befreien kann, darf er die Rechte des Nacherben nicht dadurch schmälern, dass er den Vorerben zum Testamentsvollstrecker des Nacherben (§ 2222 BGB) beruft.

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Die Befreiung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen (vgl. § 2137 BGB)3. Sie ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung zu ermitteln. Es können auch außerhalb der letztwilligen Verfügung liegende Umstände hinzugezogen werden, wenn die Befreiung in der Urkunde andeutungsweise zum Ausdruck kommt.

Beratungssituation: Der Erblasser hat seinen Ehegatten zum Vorerben und entferntere Verwandte zu Nacherben eingesetzt. Der Ehegatte, der wesentlich zum Erwerb des Vermögens beigetragen und mit einer Vollerbenstellung gerechnet hat, fragt, ob er jetzt zumindest befreiter Vorerbe ist. 1 Zu den Gestaltungsmöglichkeiten und -grenzen Mayer, ZEV 2000, 1 (2 ff.). 2 OLG Düsseldorf v. 14.6.1999 – 3 Wx 104/99, ZEV 2000, 29 (30) m. krit. Anm. Wübben; Kipp/Coing, § 51 III 1b; Mayer, ZEV 1996, 104 (105); Müller, ZEV 1996, 179 (180); Staudinger/Avenarius, § 2136 Rz. 7; ablehnend MüKo.BGB/Grunsky, § 2136 Rz. 9. 3 BayObLG v. 29.11.1991 – BReg. 1Z 12/91, FamRZ 1992, 728 (729). 310

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 84

B IV

Die Rechtsprechung1 hat in dieser Konstellation eine stillschweigende Befreiung bejaht: Handele es sich bei dem Vorerben um eine dem Erblasser nahestehende Person (z.B. der Ehegatte) und bei dem Nacherben mangels anderer naher Verwandter um einen entfernten Verwandten, sei die schlüssige Befreiung von den gesetzlichen Beschränkungen anzunehmen, wenn die nahestehende Person wesentlich zum Vermögenserwerb des Erblassers beigetragen habe. Auch sonst spielen die verwandtschaftliche Nähe und der Wille, das Familienvermögen zusammenzuhalten, für die Auslegung eine große Rolle. Je mehr die Vorerbschaft darauf beruht, dass der Vorerbe zeitlebens ein sicheres Auskommen haben soll, desto eher liegt die Annahme nahe, dass er zu diesem Zweck den Stamm des Nachlasses angreifen darf. Die bloße Einsetzung zum „alleinigen Vorerben“ spricht dagegen noch nicht für eine Befreiung, weil auch der nicht befreite Vorerbe Alleinerbe ist2. Wird der Nacherbe auf dasjenige eingesetzt, was von der Erbschaft bei Eintritt des Nacherbfalls übrig ist, gilt diese Einsetzung auf den Überrest nach § 2137 Abs. 1 BGB als Befreiung im Sinne von § 2136 BGB. Das Gleiche ist im Zweifel anzunehmen, wenn der Vorerbe zur freien Verfügung über die Erbschaft berechtigt sein soll, § 2137 Abs. 2 BGB. Zu der Frage, ob der überlebende Ehegatte bei einer Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament befreiter Vorerbe ist, vgl. Kap. B VII Rz. 58. Die Befreiung kann personell und gegenständlich sein. Sie kann sich auf bestimmte Personen (einer von mehreren Vorerben, Ersatzvorerbe, Erbe des Vorerben), auf einzelne Erbschaftsgegenstände (z.B. Unterscheidung von Privat- und Geschäftsvermögen) oder auf einzelne Geschäfte beziehen3. Des Weiteren ist es zulässig, die Befreiung von dem Eintritt einer oder mehrerer Bedingungen (§§ 158, 2074, 2075 BGB) abhängig zu machen4. So können die Wirkungen des § 2136 BGB für den Fall angeordnet werden, dass der Vorerbe wirtschaftlich in Bedrängnis gerät und den Stamm der Erbschaft angreifen muss oder dass der Nacherbe aufgrund seiner finanziellen Stellung auf die Erbschaft nicht mehr angewiesen ist. Da umgekehrt auch letztwillige Beschränkungen auferlegt werden können, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen, eröffnet das in der Praxis vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten5. Sie sind namentlich beim Unternehmertestament von Bedeutung.

III. Rechtsposition des Nacherben Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau testamentarisch zur Vorerbin und die gemeinsamen Kinder zu Nacherben eingesetzt. Der Nacherbfall soll mit dem Ableben der Frau eintreten. Die Ehefrau hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Wenige Monate nach dem Tod des Mannes verstirbt auch die Frau. Die Kinder fragen, wie sie ihre Eltern beerbt haben. 1 BayObLG v. 28.10.1960 – BReg. 1Z 39/60, BayObLGZ 1960, 432 (437). 2 BGH v. 4.12.1969 – III ZR 31/68, FamRZ 1970, 192; Brox, Rz. 369; Palandt/Weidlich, § 2136 Rz. 5. 3 MüKo.BGB/Grunsky, § 2136 Rz. 7 f. 4 BayObLG v. 10.7.1984 – BReg. 1Z 4/84, FamRZ 1984, 1272; Erman/M. Schmidt, § 2136 Rz. 1. 5 Mayer, ZEV 2000, 1 (3 ff.) mit zahlreichen Formulierungsbeispielen. Edenfeld

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B IV 85

Rz. 85

Vor- und Nacherbschaft

Mit dem Tod des Mannes ist die Ehefrau seine alleinige Vorerbin geworden, mit ihrem Ableben der Nacherbfall eingetreten, § 2139 BGB. Die Kinder haben in ihrer Eigenschaft als Nacherben den Vater und nicht etwa ihre Mutter als Vorerbin beerbt (Rz. 1). Nur erbschaftsteuerrechtlich werden sie so behandelt, als stamme das Vermögen von der Mutter, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Dieser Erbgang betrifft allerdings nur den Nachlass des Mannes. Die Kinder haben kraft gesetzlicher Erbfolge auch ihre Mutter beerbt, §§ 1924 Abs. 1, 1930 BGB. Mit dem Tod der Frau erben sie gleichzeitig kraft gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge. Sie sind sowohl Nacherben ihres Vaters als auch Vollerben ihrer Mutter. Es handelt sich um zwei verschiedene Nachlässe, die gesondert zu verwalten, auseinander zu setzen (§ 2042 BGB) und zu versteuern sind (§ 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG; Rz. 26). Die Stellung der Nacherben hängt davon ab, wann sie ihre Rechte geltend machen. Zu unterscheiden sind der Zeitraum der Vorerbschaft (Rz. 86 ff.) und die Zeit nach Eintritt des Nacherbfalls (Rz. 111 ff.): 1. Stellung des Nacherben während der Dauer der Vorerbschaft

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Der Nacherbe wird zwar erst mit dem Nacherbfall Erbe (§ 2139 BGB). Er erlangt jedoch schon mit dem Erbfall eine so sichere Aussicht auf die Erbenstellung, dass von einem Anwartschaftsrecht gesprochen werden kann (Rz. 87 ff.). Die Wirkung der Anwartschaft äußert sich darin, dass der Nacherbe gegenüber dem Vorerben bestimmte Sicherungsrechte erhält (Rz. 99 ff.). Dazu gehören Zustimmungsrechte zu bestimmten Verfügungen (§ 2113 BGB), Rechte auf Auskunft (§ 2127 BGB), Sicherheitsleistung (§ 2128 BGB) oder Mitteilung des Inventars (§ 2121 BGB). Die Prozessführung des Vorerben über Erbschaftsgegenstände und Nachlassverbindlichkeiten bindet ihn nur ausnahmsweise (Rz. 75 ff.). a) Das Anwartschaftsrecht des Nacherben

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Mit dem Erbfall erwirbt der Nacherbe ein bedingtes oder befristetes Erbrecht in Gestalt eines Anwartschaftsrechts auf Eintritt in die Erbenposition1. Der Nacherbe kann vor Eintritt des Nacherbfalls – nicht des Erbfalls (§ 311 Buchstabe b BGB) – darüber verfügen, sofern der Erblasser die Übertragbarkeit nicht ausgeschlossen hat. Das Nacherbenrecht wird von Amts wegen als Verfügungsbeschränkung des Vorerben in Abteilung II des Grundbuchs eingetragen (§ 51 GBO), um den nacherbschaftsfreien Erwerb Dritter zu verhindern (§ 2113 Abs. 3 BGB; Rz. 64). Kann der Nacherbe noch nicht namentlich bezeichnet werden (§§ 2101 Abs. 1, 2106 Abs. 2 BGB), muss er durch anderweitige Merkmale so umschrieben werden, dass keine Unklarheiten über die Verfügungsbeschränkung des Vorerben auftreten können. Voraussetzung ist stets, dass auch der Vorerbe eingetragen ist. Ein isolierter Nacherbenvermerk ist unzulässig.

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Die Übertragung des Nacherbenrechts vor Eintritt der Nacherbfolge ist nach herrschender Meinung2 selbst dann zulässig, wenn das Nacherbenrecht nach 1 RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (168); BGH v. 9.6.1983 – IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367 (369) = MDR 1983, 839 = FamRZ 1983, 809, 882; BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456; BayObLG v. 29.11.1991 – BReg. 1Z 12/91, BayObLG v. 29.11.1991 – BReg.1 Z 12/91, FamRZ 1992, 728 (729); Erman/M. Schmidt, § 2100 Rz. 10. 2 Lange/Kuchinke, § 28 VII 3e; MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 27; Soergel/Harder/ Wegmann, § 2100 Rz. 11. 312

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 91

B IV

§§ 2108 Abs. 2 S. 2, 2074 BGB aufschiebend bedingt ist. Die Übertragbarkeit hängt nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Nacherbfalls ab. Das entspricht dem wirtschaftlichen Interesse des Nacherben: Er kann den Wert seiner Erbaussicht vor dem Nacherbfall durch Veräußerung oder Kreditsicherung nutzen. Anders als der Vorerbe hat er noch keine Rechte an einzelnen Nachlassgegenständen. Ebenso wie im Fall des § 2033 BGB besteht ein gesteigertes Interesse an der Verkehrsfähigkeit des Erblasservermögens. Aus der entsprechenden Anwendung des § 2033 Abs. 1 S. 2 BGB resultiert, dass die Verfügung der notariellen Beurkundung (§ 128 BGB) bedarf. Für das zugrunde liegende Kausalgeschäft gilt die Form der §§ 2371, 2385 BGB1. Mitnacherben und Vorerben steht ein Vorkaufsrecht zu, § 2034 BGB. Mit der Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts tritt der Erwerber in die Rechtsstellung des Nacherben ein, ohne selbst Nacherbe zu sein. Er wird nicht in den Erbschein nach dem Erblasser aufgenommen, darf die Anwartschaft aber weiterveräußern. Vor dem Eintritt des Nacherbfalls übt er die Rechte des bisherigen Nacherben aus, nach dem Nacherbfall erlangt er ohne Durchgangserwerb die Rechtsstellung des Erben. Ist der Vorerbe auf die Zustimmung des Nacherben angewiesen (z.B. nach § 2113 BGB), muss diese vom Erwerber erteilt werden. Wird das Nacherbenrecht auf den Vorerben übertragen, ist dieser sogleich Vollerbe. Die Abfindung des Nacherben ist von ihm nach § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG zu versteuern. Der Vorerbe seinerseits kann sie nicht als Erwerbskosten (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG) absetzen. Zu beachten ist, dass in der Verfügung des Nacherben oft die schlüssige Annahme der Erbschaft liegt, so dass sie der Erwerber nicht mehr ausschlagen kann, § 1943 BGB. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, die Annahme der Erbschaft wegen Irrtums des Nacherben anzufechten, § 1957 Abs. 1 BGB. Mit dem Nacherbfall haftet der Erwerber für die Nachlassverbindlichkeiten. Anders als im Fall des § 2382 Abs. 1 BGB haftet der Veräußerer nicht mit.

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Das Anwartschaftsrecht kann durch die Gläubiger des Nacherben gepfändet und verwertet werden. Gegenstand der Pfändung ist das Nacherbenrecht und nicht der künftige Herausgabeanspruch gem. § 2130 Abs. 1 BGB. Die Pfändung erfolgt durch Pfändungsbeschluss nach § 857 Abs. 1 ZPO. Sind Mitnacherben vorhanden, muss er auch ihnen zugestellt werden. Ob der Beschluss dem Vorerben als Drittschuldner (§ 857 Abs. 2 ZPO) zugestellt werden muss, ist streitig2. Schlägt der Nacherbe die Nacherbschaft aus, wird die Pfändung gegenstandslos. Das gepfändete Nacherbenrecht wird durch Versteigerung (§ 857 Abs. 5 ZPO) oder freihändigen Verkauf (§ 844 ZPO) verwertet, wobei Mitnacherben und Vorerbe kein Vorkaufsrecht haben. Tritt nach der Pfändung, aber vor der Verwertung, der Nacherbfall ein, setzt sich das Pfändungspfandrecht am Herausgabeanspruch (§ 2130 Abs. 1 BGB) und an den Nachlassforderungen, nicht an den Nachlasssachen fort. In der Insolvenz des Nacherben gehört das Nacherbenrecht zur Insolvenzmasse, vgl. §§ 329 ff. InsO.

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Das Anwartschaftsrecht fällt weg, wenn der Nacherbe die Erbschaft ausschlägt. Dazu ist er nicht erst nach Eintritt des Nacherbfalls, sondern schon mit dem

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1 RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (169); Palandt/Weidlich, § 2108 Rz. 6; Soergel/Harder/Wegmann, § 2100 Rz. 12. 2 Bejahend MüKo.BGB/Grunsky, § 2100 Rz. 32, verneinend Brox, Rz. 346. Edenfeld

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B IV

Rz. 92

Vor- und Nacherbschaft

Erbfall berechtigt, §§ 2142 Abs. 1, 1946 BGB. Das gilt auch, wenn er unter aufschiebender Bedingung oder Befristung oder als weiterer Nacherbe berufen ist. Die Erbschaft verbleibt dann im Zweifel dem Vorerben, § 2142 Abs. 2 BGB. Die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB beginnt erst mit dem Anfall der Erbschaft durch den Nacherbfall, §§ 2139, 2142 Abs. 1 BGB. Der Nacherbe darf den Nacherbfall abwarten. Wegen der drohenden Verjährung des Pflichtteilsanspruchs (§§ 2306 Abs. 2, 2332 BGB) kann er aber gehalten sein, vor dem Nacherbfall auszuschlagen1. Das Ausschlagungsrecht des Nacherben ist von dem des Vorerben unabhängig. 92

Schlägt der Nacherbe die Erbschaft vor dem Nacherbfall wirksam aus (§§ 1944 ff. BGB), wird sein Anwartschaftsrecht rückwirkend beseitigt. Erfolgt die Ausschlagung nach dem Eintritt der Nacherbfolge, gilt der Anfall der Erbschaft an ihn als nicht erfolgt, § 1953 Abs. 1 BGB. Der Vorerbe wird Vollerbe, falls der Erblasser nichts anderes bestimmt hat, § 2142 Abs. 2 BGB. Maßgeblich ist der durch Auslegung zu ermittelnde Erblasserwille, nicht der Wunsch des Nacherben, gegen den Willen des Verstorbenen zugunsten des Vorerben auszuschlagen. So wird der Vorerbe nicht Vollerbe, wenn der Erblasser eine Ersatznacherbfolge (§§ 2096, 2102 BGB) angeordnet hat, diese vermutet wird (§ 2069 BGB) oder eine Anwachsung unter Mitnacherben nach § 2094 Abs. 1 BGB eintritt, es sei denn, der Erblasser hat die Anwachsung ausgeschlossen, § 2094 Abs. 3 BGB. Schlägt der Nacherbe die Erbschaft aus, um den Pflichtteil zu erlangen (§ 2306 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB), entspricht es gewöhnlich nicht dem Willen des Erblassers, dass die Erbschaft an die Abkömmlinge des Nacherben als Ersatznacherben fällt. Sie verbleibt dem Vorerben, sofern der Erblasser im Testament nichts anderes bestimmt2. Treten weder Ersatznacherbfolge noch Anwachsung ein, wollte der Erblasser jedoch ausschließen, dass der Vorerbe bei Ausschlagung des Nacherben zum Vollerben wird, fällt das Nacherbenrecht den gesetzlichen Erben des Erblassers zu (§ 2104 BGB; Rz. 34). Ist die Rechtslage nach § 2142 Abs. 2 BGB unklar und soll der Vorerbe auf jeden Fall Vollerbe werden, ist anstelle der Ausschlagung die Übertragung der Nacherbenanwartschaft auf den Vorerben ratsam (Rz. 88).

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Über die Annahme der Erbschaft durch den Nacherben sagt § 2142 BGB nichts. Es ist jedoch anerkannt3, dass der Nacherbe die Erbschaft bereits mit dem Erbfall und nicht erst mit dem Nacherbfall annehmen kann, § 1946 BGB. Die Annahme kann schlüssig erfolgen. So wird in der Verfügung über das Nacherbenrecht meist die konkludente Annahme der Erbschaft zu sehen sein. Die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten, die nur das Anwartschaftsrecht sichern sollen (Auskunftsverlangen nach § 2127 BGB; Zustimmung zu einer Verfügung des Vorerben nach §§ 2113, 2120 BGB), reicht nicht aus. Dass der Nacherbe die Anwartschaft nach der Annahme der Erbschaft nicht mehr durch Ausschlagung beseitigen kann, gewinnt praktische Bedeutung 1 RG v. 5.1.1905 – Rep. IV 320/04, RGZ 59, 341 (346); BGB-RGRK/Johannsen, § 2142 Rz. 6. Zum Beginn der Ausschlagungsfrist des Nacherben OLG München v. 2.12. 2010 – 31 Wx 67/10, FamRZ 2011, 678 = ZEV 2011, 318. 2 OLG Frankfurt v. 25.8.1970 – 6 W 244/70, OLGZ 1971, 208; Erman/M. Schmidt, § 2142 Rz. 4. 3 RG v. 9.12.1912 – Rep. IV 187/12, RGZ 80, 377 (380); BayObLG v. 22.6.1966 – BReg. 1b Z 12/66. BayObLGZ 1966, 227 (230); Erman/M. Schmidt, § 2142 Rz. 1. 314

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Vor- und Nacherbschaft

Rz. 95

B IV

– für den Erwerber der Anwartschaft (Rz. 89). Er kann sicher sein, dass die Nacherbschaft nicht mehr durch Ausschlagung des Nacherben erlischt. – für die Pfändungsgläubiger (Rz. 90). Sie sind davor geschützt, dass die Nacherbschaft als Vollstreckungsobjekt verloren geht. Stirbt der Nacherbe im Zeitraum zwischen Erbfall und Nacherbfall, stellt sich die Frage nach der Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts.

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Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau testamentarisch zur Vorerbin und die beiden gemeinsamen Kinder zu Nacherben eingesetzt. Der Nacherbfall soll mit dem Ableben der Frau oder ihrer Wiederheirat eintreten. Im letzteren Fall soll die Frau mit dem Pflichtteil abgefunden werden und die Erbschaft an die Kinder herausgeben. Einige Monate nach dem Tod des Mannes kommt das älteste Kind bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Als die Ehefrau wenig später erneut heiratet, hält sich das überlebende Kind aus erster Ehe für den Alleinerben des Vaters und verlangt den Nachlass von seiner Mutter heraus. Diese weigert sich. Sie sei als gesetzliche Erbin ihres verstorbenen Kindes zur Hälfte am Nachlass ihres Mannes beteiligt. Für die Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts ist in erster Linie der Wille des Erblassers maßgeblich. Er kann die Vererblichkeit durch Verfügung von Todes wegen ganz oder teilweise ausschließen, § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB. Wenn kein Ersatznacherbe (§ 2096 BGB) bestimmt ist, wird der Vorerbe mit dem Tod des Nacherben Vollerbe. Die Beschränkung der Vererblichkeit auf einen Teil der Erben des Nacherben ermöglicht es dem Erblasser, die Vererbung nur innerhalb eines bestimmten Personenkreises, z.B. den Familienangehörigen, zuzulassen1. Gehören die Erben des Nacherben dem Personenkreis an, fällt ihnen der Nachlass zu. Die Vererblichkeit kann auch an eine zeitliche Grenze geknüpft sein. Setzt der Erblasser mehrere Mitnacherben in der Weise ein, dass die Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts ausgeschlossen ist, wächst der Anteil eines zwischen Erb- und Nacherbfall wegfallenden Mitnacherben den anderen Mitnacherben im Verhältnis ihrer Anteile an, § 2094 BGB. Anders ist es, wenn eine ausdrückliche oder schlüssige Ersatzberufung für den fortgefallenen Nacherben festgestellt wird. Sie geht der Anwachsung vor, § 2099 BGB. Lässt sich durch Auslegung der Verfügung von Todes wegen kein eindeutiges Ergebnis erzielen, greift die Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB ein. Danach ist das Anwartschaftsrecht des Nacherben im Zweifel vererblich. Es geht auf die gesetzlichen oder testamentarischen Erben über, deren Rechtsstellung wiederum vererblich ist, § 1922 BGB. Da der Nacherbe den Nacherbfall nicht mehr zu erleben braucht, geht das Anwartschaftsrecht auch beim Tod des Nacherben im Augenblick des Nacherbfalls auf seine Erben über. Die Auslegungsregel gilt nicht, wenn eine aufschiebend bedingte Nacherbeneinsetzung vorliegt, §§ 2108 Abs. 2 S. 2, 2074 BGB. Erbschaftsteuerrechtlich ist zu beachten, dass ein steuerpflichtiger Erwerb erst mit dem Nacherbfall eintritt. Stirbt der Nacherbe vor dem Nacherbfall, geht sein Anwartschaftsrecht als zunächst nicht steuerpflichtiger Erwerb auf seine Erben über, § 10 Abs. 4 ErbStG. 1 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (173); BGH v. 23.1.1963 – V ZR 82/61, NJW 1963, 1150; Brox, Rz. 345; Erman/M. Schmidt, § 2108 Rz. 4. Edenfeld

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B IV

Rz. 96

Vor- und Nacherbschaft

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In der obigen Beratungssituation bestehen zwei Möglichkeiten: Ist das Nacherbenrecht des verstorbenen Kindes nach § 2108 Abs. 2 BGB auf die Mutter als gesetzliche Erbin (§ 1925 Abs. 1 BGB) übergegangen, ist sie zur Hälfte am Nachlass ihres ersten Ehemannes beteiligt. Dagegen wird das überlebende Kind aus erster Ehe mit der Wiederheirat der Mutter (Eintritt des Nacherbfalls) Alleinerbe seines Vaters, wenn ihm der Erbteil des verstorbenen Mitnacherben angewachsen ist, § 2094 BGB. Entscheidend ist der Wille des Erblassers. Hat er das Nacherbenrecht vererblich ausgestaltet, geht die Vererblichkeit (zugunsten seiner Ehefrau) der Anwachsung (zugunsten seines überlebenden Abkömmlings) vor. Vorliegend dürfte ein Ausschluss der Vererblichkeit anzunehmen sein. Zwar fehlt die ausdrückliche Anordnung des verstorbenen Ehemannes für den Fall, dass eines seiner Kinder vor der Ehefrau stirbt. Das Testament lässt aber erkennen, dass die Ehefrau im Fall ihrer Wiederheirat nicht mehr als Erbin am Nachlass beteiligt, sondern nur noch Pflichtteilsberechtigte sein soll. Der Nacherbenanteil des verstorbenen Kindes ist dem überlebenden Kind aus erster Ehe angewachsen, § 2094 BGB. Es ist Alleinerbe seines Vaters.

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Bei der Berufung eines Abkömmlings zum Nacherben ergeben sich auch deshalb Probleme, weil das Verhältnis von vererblichem Nacherbenrecht und schlüssiger Berufung eines Ersatznacherben (§§ 2069, 2096 BGB; Rz. 15, 106 ff.) nicht einfach zu bestimmen ist:

Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau zur Vorerbin und seinen Sohn zum Nacherben eingesetzt. Zwei Jahre nach dem Tod des Erblassers stirbt auch der Sohn. Er hinterlässt eine Ehefrau sowie zwei Kinder. Nach dem Tod der Vorerbin fragen die Überlebenden, ob und in welcher Höhe sie geerbt haben. Wäre das mit dem Erbfall erworbene Nacherbenrecht des Sohnes vererblich (§ 2108 Abs. 2 BGB), wäre es mit seinem Tod auf die gesetzlichen Erben übergegangen, § 1922 BGB. Die Ehefrau des Sohnes könnte die Hälfte (§§ 1931 Abs. 1, 1371 Abs. 1 BGB), seine Kinder könnten jeweils ein Viertel (§ 1924 Abs. 1, 4 BGB) beanspruchen. Nach Eintritt des Nacherbfalls (Tod der Vorerbin, § 2106 Abs. 1 BGB) hätten sie den Erblasser mit diesen Erbquoten beerbt. Anders wäre es, wenn die beiden Kinder des Sohnes nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB – sie sind Abkömmlinge des Nacherben – zu Ersatznacherben berufen wären. Dann würden nur sie und nicht auch ihre Mutter erben. 98

Über das Verhältnis der §§ 2069, 2108 Abs. 2 BGB zueinander lässt sich keine generelle Aussage treffen. Nimmt man an, dass die Ersatzberufung der Vererblichkeit vorgeht, fällt der Nachlass allein den Abkömmlingen zu. Er bleibt in der Familie des Erblassers. Geht man von einer Vererbung des Nacherbenrechts aus, können auch familienfremde Personen (hier die Schwiegertochter) zu den Erben des Nacherben gehören. Maßgeblich ist wiederum der Wille des Erblassers1. Es kommt darauf an, ob er eine Ersatzberufung oder die Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft gewollt hat. Angesichts der Gefahr, dass der Nachlass Familienfremden zufällt, wird es oft seinem Willen entsprechen, dass die Abkömm1 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (174); RG v. 11.3.1942 – IV B 5/42, RGZ 169, 38 (39); BayObLG v. 30.9.1993 – 1Z BR 9/93, FamRZ 1994, 783 = NJW-RR 1994, 460; Musielak, ZEV 1995, 5 (6 f.). 316

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 102

B IV

linge des Nacherben Ersatzberufene sind und die Nacherbenanwartschaft unvererblich ist1. Andererseits ist die Vererblichkeit nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Nacherbe ein Abkömmling des Erblassers ist. In der obigen Beratungssituation bedeutet das: Ein Wille des Erblassers, die Vererblichkeit zulasten seiner Schwiegertochter auszuschließen, lässt sich nicht feststellen. Das Nacherbenrecht seines Sohnes insgesamt vererblich. Mit dem Tod der Vorerbin ist der Erblasser zur Hälfte von seiner Schwiegertochter und zu je einem Viertel von seinen Enkeln beerbt worden. b) Rechte gegenüber dem Vorerben Die Rechtsstellung des Nacherben ist bereits vor Eintritt des Nacherbfalls geschützt. Das äußert sich in den Verfügungsbeschränkungen des Vorerben (§§ 2113 ff. BGB; Rz. 42 ff.) und in seiner Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses (§§ 2116 ff. BGB; Rz. 67 ff.). Die Prozessführung des Vorerben bindet den Nacherben nur ausnahmsweise (§ 326 ZPO; Rz. 75). Der Nacherbe hat vor Eintritt des Nacherbfalls Auskunfts-, Prüfungs- und Mitbestimmungsrechte:

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§ 2121 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet den Vorerben, dem Nacherben auf Verlangen ein Verzeichnis der zur Erbschaft gehörenden Gegenstände mitzuteilen. Von dieser Pflicht kann ihn der Erblasser nicht befreien, § 2136 BGB. Das Verzeichnis hat Kontrollfunktion für den Nacherben und schafft die Beweisgrundlage für spätere Auseinandersetzungen mit dem Vorerben über dessen ordnungsmäßige Verwaltung des Nachlasses, die Pflicht zur Herausgabe des Nachlasses nach Eintritt des Nacherbfalls (§ 2130 Abs. 1 BGB) und die Feststellung seiner Haftung (§§ 2131 ff. BGB; Rz. 79). Zu den Einzelheiten des Auskunftsanspruchs Kap. C VII Rz. 40 ff.

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Die Verzeichnispflicht wird nach Maßgabe des § 2121 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 3 BGB erfüllt: Das Verzeichnis muss mit der Angabe des Tages der Aufnahme versehen und vom Vorerben unterzeichnet sein. Dieser hat die Unterzeichnung auf Verlangen öffentlich beglaubigen zu lassen. Zur Vermeidung von Manipulationen kann der Nacherbe verlangen, bei der Aufnahme des Verzeichnisses hinzugezogen zu werden. Der Vorerbe ist berechtigt und auf Verlangen des Nacherben verpflichtet, das Verzeichnis durch die zuständige Behörde oder durch einen zuständigen Beamten oder Notar aufnehmen zu lassen. Sind Auseinandersetzungen mit dem Nacherben absehbar, wird er an der amtlichen Aufnahme des Verzeichnisses selbst interessiert sein, zumal die Kosten der Erbschaft zur Last fallen, § 2121 Abs. 4 BGB.

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Der Nacherbe hat ferner das Recht, den Zustand der zur Erbschaft gehörenden Sachen auf seine Kosten durch Sachverständige feststellen zu lassen, § 2122 BGB. Auch diese Befugnis hat Kontrollfunktion für den Nacherben und schafft die Beweisgrundlage für spätere Auseinandersetzungen mit dem Vorerben. Von der entsprechenden Duldungspflicht kann der Vorerbe nicht befreit werden, § 2136 BGB. Die Geltendmachung des Anspruchs ist auf einzelne Gegenstände beschränkbar. Sie umfasst auch die in die Erbschaft gelangten Surrogate (§ 2111 BGB; Rz. 120).

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1 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (173); RG v. 11.3.1942 – IV B 5/42, RGZ 169, 38 (42); BGH v. 23.1.1963 – V ZR 82/61, NJW 1963, 1150; OLG Oldenburg v. 23.2.2010 – 12 U 75/09, ZEV 2010, 635. Edenfeld

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B IV 103

Rz. 103

Vor- und Nacherbschaft

Ist eine erhebliche Verletzung der Rechte des Nacherben zu befürchten, gewähren ihm die §§ 2127 bis 2129 BGB während der Dauer der Vorerbschaft zusätzliche Rechte: – Könnte der Nacherbe nur den einmaligen Auskunftsanspruch des § 2121 BGB geltend machen, wären sein Anwartschaftsrecht und sein Herausgabeanspruch nach dem Eintritt der Nacherbfolge (§ 2130 Abs. 1 BGB) unzureichend geschützt. § 2127 BGB verschafft dem Nacherben darum während der Dauer der Vorerbschaft eine Kontrollmöglichkeit. Er kann von dem Vorerben Auskunft über den Bestand der Erbschaft verlangen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Vorerbe durch seine Verwaltung die Rechte des Nacherben erheblich verletzt. Der Anspruch zielt auf Auskunft über den aktuellen Nachlassbestand. Dazu gehört nicht nur der gefährdete Gegenstand, sondern die gesamte Erbschaft einschließlich der Surrogate (§ 2111 BGB; Rz. 120). Mit jedem neuen Grund, der eine Verletzung der Nacherbenrechte vermuten lässt, ist das Rechtsschutzbedürfnis im Sinne des § 2127 BGB zu bejahen. Zu den Einzelheiten des Auskunftsanspruchs Kap. C VII Rz. 83 ff.

104

– Der Nacherbe kann Sicherheitsleistung begehren, wenn durch das Verhalten des Vorerben oder seine ungünstige Vermögenslage die Besorgnis einer erheblichen Verletzung der Rechte des Nacherben begründet wird, § 2128 Abs. 1 BGB. Das Verhalten des Vorerben muss mit seiner Erbschaftsverwaltung zusammenhängen. Verschulden ist nicht erforderlich. Eine Gefährdung der Rechte des Nacherben durch die ungünstige Vermögenslage des Vorerben ist bspw. zu bejahen, wenn die Gläubiger des Vorerben in Nachlassgegenstände zu vollstrecken drohen. § 2115 BGB ändert daran nichts. Ist der Vorerbe rechtskräftig zur Sicherheitsleistung verurteilt, kann der Nacherbe verlangen, dass ihm die Verwaltung der Erbschaft entzogen und einem Verwalter übertragen wird, §§ 2128 Abs. 2, 1052 BGB.

105

– Wird dem Vorerben die Verwaltung der Erbschaft nach §§ 2128 Abs. 2, 1052 BGB entzogen, verliert er neben der Verwaltungsbefugnis das Recht, über Erbschaftsgegenstände zu verfügen, § 2129 Abs. 1 BGB. Gutgläubige Dritte werden wie im Fall des § 2113 Abs. 3 BGB (Rz. 63) geschützt, § 2129 Abs. 2 BGB. c) Stellung des Ersatznacherben

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§ 2102 Abs. 1 BGB bestimmt, was gelten soll, wenn der zuerst Berufene nicht Erbe wird, weil er die Erbschaft ausschlägt oder vorverstirbt. Das Gesetz vermutet, dass der Erblasser den als Nacherben Eingesetzten im Zweifel auch als Ersatzerben einsetzen will. § 2102 Abs. 2 BGB trägt dem Umstand Rechnung, dass die Position des Ersatzerben schwächer ist als die des Nacherben (Rz. 31). Für den Fall, dass der Nacherbe nicht Erbe wird, kann der Erblasser einen Ersatznacherben einsetzen. Dieser muss beim Nacherbfall erzeugt sein, § 1923 BGB. Andernfalls wird er zweiter Nacherbe (§ 2101 Abs. 1 S. 1 BGB; Rz. 30). Der in erster Linie Berufene kann vor dem Erbfall, während der Zeit der Vorerbschaft oder nach dem Nacherbfall wegfallen. Stirbt der Nacherbe zwischen dem Erbund dem Nacherbfall, muss die Vererblichkeit des Nacherbenrechts (§ 2108 Abs. 2 BGB) von der schlüssigen Berufung eines Ersatznacherben (§§ 2069, 2096 BGB) abgegrenzt werden (Rz. 97 f.).

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Die Rechtsstellung des Nacherben wird durch die Anordnung einer Ersatznacherbschaft nicht berührt. Der Ersatznacherbe hat mit Eintritt des Erbfalls eine ei318

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gene, übertragbare Anwartschaft1. Weil die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Ersatznacherbfolge wesentlich geringer ist als die für den Eintritt der Nacherbfolge, ist die Position des Ersatznacherben gegenüber dem Vorerben nicht in gleichem Umfang gesichert wie die des Nacherben: – Der Nacherbe kann über sein Anwartschaftsrecht (Rz. 87 ff.) auch ohne Zustimmung des Ersatznacherben verfügen und es auf den Vorerben oder einen Dritten übertragen. Die Stellung des Ersatznacherben wird dadurch nicht beeinträchtigt. Tritt der Ersatznacherbfall ein, ist die Verfügung dem Ersatznacherben gegenüber unwirksam, wenn er ihr nicht zugestimmt hat. Der Erwerber der Anwartschaft verliert seine Stellung in dem Moment, in dem der Nachlass an den Ersatznacherben fallen sollte2. Aus diesem Grund wird der Ersatznacherbenvermerk im Grundbuch nicht gelöscht, wenn der Nacherbe sein Anwartschaftsrecht überträgt.

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– Der Ersatznacherbe wird nicht nur ins Grundbuch, sondern auch in den Erbschein des Vorerben aufgenommen3. Schließlich steht beim Vorerbfall fest, dass der Vorerbe möglicherweise durch eine Ersatznacherbschaft beschränkt ist. Ohne den Ersatznacherbenvermerk könnten sich Dritte nach dem Wegfall des Nacherben auf das unbeschränkte Erbrecht des Vorerben berufen, § 2365 BGB.

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– Der gewöhnliche Ersatzerbe (§ 2096 BGB) hat vor dem Ersatzerbfall keine Rechte am Nachlass des Erben. Folglich hat auch der Ersatznacherbe vor dem Wegfall des Nacherben grundsätzlich keine Kontroll-, Sicherungs- und Zustimmungsrechte. Der Vorerbe benötigt in den Fällen der §§ 2113, 2114 BGB (Rz. 42 ff.) allein die Zustimmung des Nacherben, nicht auch die des Ersatznacherben4. Er schuldet ihm vor Eintritt des Ersatznacherbfalls weder ein Verzeichnis der Erbschaftsgegenstände (§ 2121 BGB) noch Auskunft (§ 2127 BGB) oder Sicherheitsleistung (§ 2128 BGB). Im Einzelfall kann es ratsam sein, auch den Ersatznacherben zustimmen zu lassen oder ihm die gewünschte Auskunft zu erteilen.

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2. Stellung des Nacherben bei Eintritt des Nacherbfalls Mit dem Nacherbfall realisiert sich das Anwartschaftsrecht des Nacherben. Er erwirbt die Erbschaft kraft Gesetzes vom Erblasser (§ 1922 BGB; Rz. 1). Mit dem Eintritt der Nacherbfolge hört der Vorerbe auf, Erbe zu sein, und fällt die Erbschaft dem Nacherben an, § 2139 BGB. Der Nacherbe darf sie ausschlagen, wenn er sie nicht vorher angenommen hat, §§ 2142, 1942 ff. BGB. Führt der Nacherbe den Nacherbfall wider Treu und Glauben herbei (z.B. durch Tötung des Vorerben), kann er sich nicht auf den Eintritt berufen (§ 162 Abs. 2 BGB; Rz. 37). Hat es der Vorerbe den Nachlassgläubigern gegenüber versäumt, den Eintritt des Nacherbfalls beim Nachlassgericht anzuzeigen, wird das durch die Anzeige des Nacherben ersetzt, § 2146 Abs. 1 S. 2 BGB. 1 BayObLG v. 29.11.1991 – BReg. 1Z 12/91, FamRZ 1992, 728 (729); OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 3 Wx 80/09, FamRZ 2010, 1771 = ZEV 2010, 574 m. Anm. Hartmann; Haegele, Rpfleger 1967, 161 (165); MüKo.BGB/Grunsky, § 2102 Rz. 9. 2 BayObLG v. 27.5.1970 – BReg. 2Z 16/70, NJW 1970, 1794; OLG Hamm v. 3.4.1970 – 15 W 496/69, NJW 1970, 1606; MüKo.BGB/Grunsky, § 2102 Rz. 8. 3 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (173); Palandt/Weidlich, § 2102 Rz. 6. 4 RG v. 8.11.1934 – IV B 51/34, RGZ 145, 316 (321); BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115; Palandt/Weidlich, § 2102 Rz. 5. Edenfeld

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a) Wirkungen der Nacherbfolge 112

Die Wirkungen der Nacherbfolge ergeben sich aus den §§ 2139 bis 2146 BGB. Der Nacherbe erwirbt automatisch das Eigentum an allen Erbschaftsgegenständen. Er wird Gläubiger der Nachlassforderungen und Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten, § 2144 BGB. Durch den Anfall der Erbschaft an den Nacherben werden das Grundbuch und der Erbschein des Vorerben unrichtig. War ein Nacherbenvermerk (§ 51 GBO) im Grundbuch eingetragen, genügt zur Umschreibung nicht die Bewilligung des Vorerben oder der Nachweis des Nacherbfalls. Der Nacherbe muss die Erbnachfolge durch einen sein Nacherbenrecht bezeugenden Erbschein nachweisen1. Der Erbschein des Vorerben wird vom Nachlassgericht eingezogen, § 2361 BGB. Der Nacherbe kann vom Vorerben Herausgabe des unrichtig gewordenen Erbscheins an das Nachlassgericht verlangen, §§ 2363 Abs. 2, 2362 Abs. 1 BGB.

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Der unmittelbare Besitz an den Nachlasssachen geht nicht immer kraft Gesetzes (§ 857 BGB) vom Vorerben auf den Nacherben über. Vielmehr ist zu differenzieren: Hatte der Vorerbe die tatsächliche Sachherrschaft (§ 854 Abs. 1 BGB) begründet, bleibt der Besitz dem noch lebenden Vorerben auch mit Eintritt des Nacherbfalls. Ist der Nacherbfall der Tod des Vorerben, geht der Besitz auf dessen Erben über, § 857 BGB. Der Besitz muss durch Herausgabe der Erbschaft an den Nacherben übertragen werden, § 2130 Abs. 1 BGB. Nur wenn der Vorerbe den unmittelbaren Besitz noch nicht tatsächlich (§ 854 BGB), sondern allein über § 857 BGB erworben hatte, geht dieser automatisch auf den Nacherben über.

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Der Nacherbe ist Erbe und Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht etwa des Vorerben. Nur erbschaftsteuerrechtlich wird der Nacherbe im Grundsatz so behandelt, als stamme das Vermögen vom Vorerben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Eine vom Erblasser erteilte, über seinen Tod hinauswirkende und nicht widerrufene (§ 168 BGB) Vollmacht bleibt auch dem Nacherben gegenüber bestehen. Dagegen erlischt die vom Vorerben erteilte Vollmacht, weil der Nacherbe nicht sein Rechtsnachfolger ist, es sei denn, der Nacherbe hat der Bevollmächtigung zugestimmt. Tritt der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben ein (§ 2106 Abs. 1 BGB), sind die beteiligten Nachlässe streng zu trennen (s. dazu die Beratungssituation vor Rz. 85). Sie sind gesondert zu verwalten, auseinander zu setzen (§ 2042 BGB) und zu versteuern (§ 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG). Es werden nicht ein, sondern zwei Erbscheine erteilt: einer nach dem Erblasser und einer nach dem Vorerben.

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Mit dem Erbfall erlöschen die zwischen dem Erblasser und dem Vorerben bestehenden Rechtsverhältnisse, § 1922 BGB. Vereinigen sich Gläubigerrecht und Schuld in einer Person, tritt Konfusion, vereinigen sich Recht und Belastung in einer Person, tritt Konsolidation ein. Angesichts der Nacherbfolge handelt es sich jedoch nur um ein vorübergehendes Ruhen. Mit dem Nacherbfall leben die erloschenen Rechtsverhältnisse wieder auf (§ 2143 BGB), wenn der Nachlass nicht vorher durch Testamentsvollstreckung, Nachlassverwaltung oder -insolvenz vom Eigenvermögen des Vorerben getrennt und dieselbe Rechtswirkung er1 H.M.: BGH v. 26.5.1982 – V ZB 8/81, BGHZ 84, 196 = MDR 1982, 839; Soergel/Harder/Wegmann, § 2139 Rz. 10. 320

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zielt worden ist, § 1976 BGB1. Der Nacherbe erhält ohne rechtsgeschäftliche Neubegründung dieselben Rechte und Pflichten gegenüber dem Vorerben, als hätte er die Erbschaft im Zeitpunkt des Nacherbfalls vom Erblasser erhalten. Da der Vorerbe Rechtsträger des Nachlasses ist, kann er während der Vorerbschaft gegen Ansprüche seiner Eigengläubiger mit Nachlassforderungen aufrechnen, § 389 BGB. Mit dem Nacherbfall schuldet er dem Nacherben nicht nur Wertersatz, § 2134 BGB. Die Aufrechnung wirkt sich als unentgeltliche Verfügung über die Nachlassforderung aus, weil der Gegenwert nicht dem Nachlass, sondern dem Eigenvermögen des Vorerben zugeflossen ist. Sie wird gem. § 2113 Abs. 2 BGB (Rz. 56 ff.) unwirksam. Der Nacherbe wird Gläubiger der Nachlassforderung, der Eigengläubiger kann sich wieder an den Vorerben halten. Umgekehrt darf der Vorerbe gegen die Forderung eines Nachlassgläubigers mit einer Forderung seines Eigenvermögens aufrechnen. Er berichtigt dadurch unter Mehrung des Nachlasses eine Nachlassschuld aus seinem Eigenvermögen. Der Nacherbe ist ihm mit Eintritt der Nacherbfolge zum Ersatz verpflichtet, § 2124 Abs. 2 S. 2 BGB. Entsprechendes gilt, wenn der Nachlassgläubiger gegen eine Forderung des Eigenvermögens des Vorerben aufrechnet. Hier ist der Nacherbe nach § 2125 Abs. 1 BGB ersatzpflichtig. Zur Aufrechnung durch Eigengläubiger des Vorerben gegen eine Nachlassforderung Rz. 131.

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Mit dem Eintritt der Nacherbfolge hört der Vorerbe auf, Erbe zu sein, und fällt die Erbschaft dem Nacherben an, § 2139 BGB. Davon erfährt der Vorerbe jedoch häufig nicht sofort. § 2140 S. 1 BGB schützt ihn dadurch, dass seine Verfügungsbefugnis fortbesteht: Der Vorerbe ist auch nach Eintritt der Nacherbfolge in gleichem Umfang wie zuvor zur Verfügung über Nachlassgegenstände berechtigt, bis er vom Eintritt des Nacherbfalls Kenntnis erlangt oder ihn kennen muss. Das Verfügungsrecht erlischt bei einfacher Fahrlässigkeit. Die Regelung ist auf schuldrechtliche Verträge über Nachlassgegenstände entsprechend anwendbar2. Dritte können sich auf die Fortdauer der Berechtigung nicht berufen, wenn sie den Eintritt der Nacherbfolge bei Vornahme des Rechtsgeschäfts kennen oder kennen müssen, § 2140 S. 2 BGB.

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Prozessual unterbricht der Nacherbfall die zwischen dem Vorerben und Dritten anhängigen Verfahren, §§ 239, 242, 246 ZPO. Dazu sowie zur Rechtskrafterstreckung auf den Nacherben (§ 326 ZPO) Rz. 75 ff.

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b) Gegenstand der Nacherbfolge Die Erbschaft geht in dem Zustand auf den Nacherben über, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Nacherbfalls befindet. Gegenstand und Umfang der Nacherbfolge legt in erster Linie der Erblasser fest. Das gehört zu seiner inhaltlichen Gestaltungsfreiheit (Rz. 12). Daneben enthält § 2110 BGB Auslegungsregeln über den Umfang des Nacherbenrechts (Rz. 39). Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser dem Nacherben im Zweifel den gesamten Nachlass zukommen lassen will. Der Nacherbe rückt in die volle Position des Vorerben ein. Hat dieser von dem Wegfall eines Miterben profitiert (§§ 1935, 2094, 2096 BGB), kommt das auch dem Nacherben zugute, § 2110 Abs. 1 BGB. Ein dem Vorerben zugewand1 BGH v. 1.6.1967 – II ZR 150/66, BGHZ 48, 214; Palandt/Weidlich, § 2143 Rz. 2. 2 BGB-RGRK/Johannsen, § 2140 Rz. 3; Erman/M. Schmidt, § 2140 Rz. 1. Edenfeld

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tes Vorausvermächtnis (§§ 2150, 2174 BGB) unterliegt hingegen im Zweifel nicht der Nacherbschaft, § 2110 Abs. 2 BGB. Es bleibt im Vermögen des Vorerben, weil er den Gegenstand unabhängig von seinem Erbteil bekommen hat. Dem Erblasser ist es unbenommen, den Nacherben als Nach- oder Ersatzvermächtnisnehmer einzusetzen, §§ 2190, 2191 BGB. Soll das Vorausvermächtnis dem Nacherben nicht zufallen, ist das im Erbschein zu vermerken, damit der Erbschein keine unzutreffende Beschränkung des Vorerben ausweist. 120

Zur Erbschaft des Nacherben gehören auch die Surrogate, § 2111 Abs. 1 S. 1 BGB. Dem Ersatzerwerb unterliegt alles, was der Vorerbe aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Erbschaftsgegenstandes oder durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erwirbt, sofern ihm der Erwerb nicht als Nutzung gebührt (§§ 100, 101 BGB; Rz. 73). Zur Erbschaft gehört ferner, was der Vorerbe dem Inventar eines erbschaftlichen Grundstücks einverleibt, § 2111 Abs. 2 BGB. Das entspricht den §§ 2019, 2041 BGB und ist maßgeblich für die Aufteilung des Nachlasses zwischen Vor- und Nacherben. Die Surrogation verhindert, dass die Substanz des Nachlasses während der Dauer der Vorerbschaft zulasten des Nacherben geschmälert wird. Das Surrogat fällt mit dinglicher Wirkung in den Nachlass1. Tritt an seine Stelle ein weiteres Surrogat, gehört auch dieses zur Erbschaft (sog. Kettensurrogation). Dritte, die einen Gegenstand an den Vorerben persönlich übertragen wollen, genießen grundsätzlich keinen Vertrauensschutz. Davon macht nur § 2111 Abs. 1 S. 2 BGB für den gutgläubigen Schuldner einer durch Rechtsgeschäft erworbenen, erbschaftszugehörigen Forderung eine Ausnahme2.

Beratungssituation: Der Vorerbe hat für seinen persönlichen Gebrauch einen neuen Pkw gekauft. Den Kaufpreis hat er aus Mitteln des Nachlasses beglichen. Dabei ging er irrtümlich davon aus, dass es sich um Mittel aus seinem Eigenvermögen handelt. Nach dem Eintritt des Nacherbfalls verlangt der Nacherbe Herausgabe des Pkw. 121

§ 2111 Abs. 1 S. 1 BGB unterscheidet drei Fälle der Surrogation: – Zur Erbschaft gehört erstens, was der Vorerbe aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts erwirbt, § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB. Damit ist der Erwerb kraft Gesetzes z.B. nach den §§ 937, 946 ff., 984 BGB gemeint. – Zur Erbschaft gehört zweitens, was der Vorerbe als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Erbschaftsgegenstandes erwirbt, § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB. Hierunter fallen deliktische Schadenersatzansprüche, Bereicherungsansprüche wegen Verlusts eines Erbschaftsgegenstands und Ansprüche auf Versicherungsleistungen, Enteignungsentschädigungen oder Lastenausgleich3. 1 BGH v. 21.11.1989 – IVa ZR 220/88, BGHZ 109, 214 (217) = MDR 1990, 318 = FamRZ 1990, 288; MüKo.BGB/Grunsky, § 2111 Rz. 3. Zur Grundbuchberichtigung auf den Nacherben nach Eintritt des Nacherbfalls OLG Hamm v. 11.6.2002 – 15 W 170/02, FamRZ 2003, 484 = ZEV 2003, 31. 2 Zur Leistung an den Vertreter des Vorerben nach Eintritt des Nacherbfalls KG v. 21.11.2001 – 23 U 9309/99, ZEV 2003, 110. 3 BGH v. 16.12.1965 – III ZR 98/64, BGHZ 44, 336; Palandt/Weidlich, § 2111 Rz. 4; Soergel/Harder/Wegmann, § 2111 Rz. 3. 322

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– Zur Erbschaft gehört drittens, was der Vorerbe durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erwirbt, § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB. Diese sog. Mittelsurrogation ist der praktisch wichtigste Fall. Art und Zweckmäßigkeit des Vertrags, Angemessenheit der Gegenleistung und Willensrichtung des Vorerben sind unerheblich. Eine Absicht, für die Erbschaft zu handeln, ist nicht notwendig. Auch wenn der Vorerbe die eingesetzten Mittel gutgläubig für Eigenvermögen hält, fällt das Surrogat in den Nachlass. Maßgeblich ist allein, dass der Erwerb objektiv mit Nachlassmitteln erfolgt. Das Surrogat kann nicht in gegenseitigem Einvernehmen mit dem Geschäftspartner vom Nachlass ausgeschlossen werden. In der obigen Beratungssituation liegt eine Mittelsurrogation vor. Der Vorerbe hat mit Mitteln der Erbmasse einen Vermögensgegenstand rechtsgeschäftlich erworben. Auf seine subjektive Vorstellung kommt es nicht an. Ausschlaggebend ist allein, dass er das Rechtsgeschäft abgeschlossen und in diesem Zusammenhang objektiv Nachlassmittel aufgewendet hat. Der Pkw gehört kraft dinglicher Wirkung zum Nachlass, § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB. Der Nacherbe kann ihn vom Vorerben herausverlangen, § 2130 Abs. 1 BGB.

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Besondere rechtliche und praktische Schwierigkeiten ergeben sich, wenn der Erwerb aus vermischten Nachlass- und Eigenmitteln des Vorerben erfolgt. Häufigster Fall ist die Weiterführung eines Wertpapierdepots, Bank- oder Girokontos des Erblassers. Ist der Kontostand beim Nacherbfall höher als beim Erbfall, liegt kein einheitlicher Surrogationsgegenstand vor. Es muss für jede einzelne Position geklärt werden, ob sie aus dem freien Vermögen des Vorerben oder dem Nachlass herrührt1. Sind Erben hinsichtlich eines Gesamthandanteils zusätzlich Nacherben, so kann bei einer Erbauseinandersetzung zwischen ihnen und dem Vorerben der auf den Vorerben übertragene Nachlassgegenstand mit Mitteln der Erbschaft im Sinne des § 2111 Abs. 1 BGB erworben worden sein2.

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c) Rechte des Nacherben gegenüber dem Vorerben Mit dem Eintritt der Nacherbfolge hat der Vorerbe dem Nacherben die Erbschaft in dem Zustand herauszugeben, der sich bei einer bis zur Herausgabe fortgesetzten ordnungsmäßigen Verwaltung ergibt, § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB. Daneben hat der Nacherbe Ansprüche aus §§ 985, 894 BGB, die sich auf die einzelnen Erbschaftsgegenstände beziehen. Bestreitet der Vorerbe den Eintritt des Nacherbfalls, tritt der Erbschaftsanspruch nach § 2018 BGB hinzu3. Der Anspruch aus § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB zielt auf Herausgabe der gesamten Erbschaft, so wie sie dem Vorerben angefallen war, einschließlich der Erhöhung (§ 1935 BGB), Anwachsung (§ 2094 BGB) und der Surrogate (§ 2111 BGB; Rz. 120). Sind Gegenstände aus der Erbmasse ausgeschieden, tritt an die Stelle des Herausgabeanspruchs der Schadenersatzanspruch, § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Vorerbe hat ein Zurückbehaltungsrecht, soweit die Verwaltung des Nachlasses mit Kosten 1 BGH v. 10.10.1995 – XI ZR 263/94, BGHZ 131, 60 = FamRZ 1996, 103 = MDR 1996, 274; Krampe, ZEV 1996, 63; MüKo.BGB/Grunsky, § 2111 Rz. 1b, 7a. 2 BGH v. 3.12.1958 – V ZR 98/57, BGHZ 40, 115, 122 ff.; BGH v. 13.10.2000 – V ZR 451/98, MDR 2001, 157 = FamRZ 2001, 220 = ZEV 2001, 19. 3 H.M.: Soergel/Harder/Wegmann, § 2130 Rz. 6; Brox, Rz. 360; a.A. Ebenroth, Rz. 606. Edenfeld

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verbunden war und er vom Nacherben Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann, §§ 2124 bis 2126 BGB. 125

Hat der Vorerbe im Rahmen der Nachlassverwaltung die erforderliche Sorgfalt vermissen lassen, entsteht mit Eintritt des Nacherbfalls ein Schadenersatzanspruch, § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Vorerbe hat in Ansehung der Verwaltung für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, § 2131 BGB. Für grobe Fahrlässigkeit haftet er immer, § 277 BGB. Verwendet er Erbschaftsgegenstände eigennützig für sich, ist er nach Eintritt des Nacherbfalls zum Wertersatz (§ 2134 S. 1 BGB) und bei schuldhaftem Verhalten zum Schadenersatz verpflichtet, §§ 2134 S. 2, 280, 249 ff. BGB. Veränderungen oder Verschlechterungen von Erbschaftssachen, die durch die ordnungsmäßige Benutzung herbeigeführt werden, hat der Vorerbe nicht zu vertreten, § 2132 BGB. Bis zur Grenze des § 2138 Abs. 2 BGB ist die Befreiung durch den Erblasser möglich, § 2136 BGB. Näher zur Haftung des Vorerben Rz. 79.

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Dem Nacherben sind der Zustand der Erbschaft und der Inhalt seines Herausgabeanspruchs oft nicht bekannt. Er kann darum vom Vorerben Rechenschaft verlangen (§ 2130 Abs. 2 BGB; dazu näher Kap. C VII Rz. 87 ff.). Der Vorerbe muss eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben enthaltende Rechnung mitteilen und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, diese vorlegen, § 259 Abs. 1 BGB. Die Mitteilung beschränkt sich auf den herauszugebenden Stamm der Erbschaft1. Sie umfasst nicht die dem Vorerben zustehenden Nutzungen (§ 2111 Abs. 1 S. 1 BGB; Rz. 120). Hat der Vorerbe bereits nach § 2121 BGB oder § 2127 BGB Auskunft erteilt (Rz. 100 ff.), darf er darauf bei der Rechenschaftslegung Bezug nehmen. Zwischenzeitliche Veränderungen sind anzugeben.

Beratungshinweis: Der Berater sollte darauf aufmerksam machen, dass statt der ausführlichen Rechnungslegung die Vorlage eines Bestandsverzeichnisses verlangt werden kann, weil der Herausgabeanspruch nach § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB auf einen Inbegriff von Gegenständen zielt, § 260 Abs. 1 BGB. Die Pflicht zur eidesstattlichen Versicherung besteht in beiden Fällen, §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB. d) Schutz des Nacherben vor den Eigengläubigern des Vorerben 127

Während der Dauer der Vorerbschaft ist der Vorerbe Eigentümer und Besitzer des Nachlasses. Das bietet seinen Eigengläubigern Vorteile. Sie nutzen die mit dem Erbfall gesteigerte Haftungsmasse und vollstrecken, bevor der Vorerbe seine Rechtsposition mit dem Eintritt des Nacherbfalls wieder verliert. Andererseits soll die Erbschaft dem Nacherben mit dem Nacherbfall möglichst ungeschmälert zufallen. Die Rechte der Eigengläubiger des Vorerben, sich wegen ihrer Forderungen aus dem Nachlass zu befriedigen, sind daher beschränkt. Haftungsgrundlage ist lediglich das Eigenvermögen des Vorerben. Das gilt sowohl für die Zwangsvollstreckung als auch für die Aufrechnung.

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Die Vollstreckung der Eigengläubiger des Vorerben in Nachlassgegenstände beurteilt sich nach § 2115 S. 1 BGB: Die Verfügung über einen Erbschaftsgegen1 Erman/M. Schmidt, § 2130 Rz. 5; Palandt/Weidlich, § 2130 Rz. 6. 324

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stand, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Insolvenzverwalter erfolgt, ist im Fall des Eintritts der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben beeinträchtigt oder vereitelt. Dass dies nur für die Eigengläubiger des Vorerben gilt, ergibt sich aus § 2115 S. 2 BGB: Die Verfügung ist unbeschränkt wirksam, wenn der Anspruch eines Nachlassgläubigers oder ein an einem Erbschaftsgegenstand bestehendes Recht geltend gemacht wird, das im Fall des Eintritts der Nacherbfolge dem Nacherben gegenüber wirksam ist.

Beratungssituation: Ein Kreditinstitut erkundigt sich, ob es während laufender Vorerbschaft in den vom Vorerben verwalteten Nachlass vollstrecken darf. Die Bank legt zwei rechtskräftige Titel vor. Im Ersten ist der Erblasser zur Zahlung von 10 000 Euro verurteilt; im Zweiten der Vorerbe zur Rückzahlung eines Darlehens i.H.v. 20 000 Euro, das er nach dem Erbfall zu persönlichen Zwecken aufgenommen hat. Die Unwirksamkeit nach § 2115 S. 1 BGB erfasst alle im Wege der Zwangsvollstreckung ergangenen Verfügungen zur Befriedigung von Geldforderungen. Entsprechendes gilt, wenn die Zwangsverfügung durch den Insolvenzverwalter erfolgt. Auf den Erbschaftsgegenstand (bewegliches oder unbewegliches Vermögen, Forderungen, Rechte) kommt es nicht an. Die Unwirksamkeit ist absolut. Sie wirkt gegenüber jedermann1. Bis zum Eintritt des Nacherbfalls bleibt die Zwangsverfügung wirksam (ähnlich §§ 2113, 2114 BGB; Rz. 42 ff.). Weil vorher nicht feststeht, ob der Nacherbfall eintritt oder die Erbschaft endgültig dem Vorerben verbleibt, beschränkt sich die Vollstreckung der Eigengläubiger des Vorerben auf die Sicherung ihrer Ansprüche durch Pfändung (§§ 804, 829, 846 f., 857 f., 930 ZPO) oder Eintragung einer Sicherungshypothek (§§ 866 ff. ZPO). Die Verwertung durch Veräußerung oder Überweisung der beschlagnahmten Erbschaftsgegenstände ist unzulässig. Der Nacherbe kann der Verwertung durch Klage widersprechen, § 773 ZPO. Anders als bei § 2113 Abs. 3 BGB (Rz. 63) scheidet der gutgläubige Erwerb Dritter mangels rechtsgeschäftlichen Erwerbs aus.

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In der obigen Beratungssituation ist zu differenzieren: In Bezug auf das gegen den Erblasser erlangte Urteil über 10 000 Euro ist das Kreditinstitut Nachlassgläubiger. Die Vollstreckung gegen den Vorerben in den Nachlass ist nach § 2115 S. 2 BGB unbeschränkt wirksam. Der Nacherbe ist nicht schutzwürdig. Nach Eintritt des Nacherbfalls müsste er selbst für die Nachlassverbindlichkeit einstehen, § 1967 BGB. Vor Eintritt des Nacherbfalls ist er verpflichtet, der Verfügung zur Berichtigung der Nachlassverbindlichkeit zuzustimmen, § 2120 BGB. Anders verhält es sich hinsichtlich des Titels über 20 000 Euro. Hier ist die Bank Eigengläubigerin des Vorerben. § 2115 S. 1 BGB greift ein. Die Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung ist im Fall des Eintritts der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben beeinträchtigt oder vereitelt. Es muss mit einer Widerspruchsklage der Nacherben (§§ 773 S. 2, 771 ZPO) gerechnet werden. Von der Vollstreckung ist abzuraten.

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1 BGH v. 8.7.1960 – V ZB 8/59, BGHZ 33, 76 (86); Palandt/Weidlich, § 2115 Rz. 4. Zur wirksamen Teilungsversteigerung durch den Vorerben BGH v. 16.7.2004 – IXa ZB 330/03, BGHReport 2004, 1660 (1661). Edenfeld

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Vor- und Nacherbschaft

Die Aufrechnung durch Eigengläubiger des Vorerben ist gesetzlich nicht geregelt. Es ist aber anerkannt1, dass der Nacherbe die Aufrechnung der Gläubiger, denen gegen den Vorerben eine von seiner Erbenstellung unabhängige persönliche Forderung zusteht, gegen Nachlassforderungen nicht hinzunehmen braucht. Er wäre bei Eintritt des Nacherbfalls geschädigt, weil eine § 1977 Abs. 2 BGB vergleichbare Regelung zur Beseitigung der Aufrechnungswirkung fehlt.

Beratungssituation: In der Beratungssituation unter Rz. 128 fragt die Bank, ob sie, anstatt wegen der Darlehensforderung über 20 000 Euro in den Nachlass zu vollstrecken, gegen eine Forderung des Vorerben aus positiver Forderungsverletzung wegen verspätet ausgeführter Aktienkäufe aufrechnen kann. Fraglich ist schon, ob die notwendige Gegenseitigkeit der Forderungen vorliegt, § 387 BGB. Sieht man den Nachlass in der Hand des Vorerben als Sondervermögen an, können Eigengläubiger des Vorerben – hier die Bank – mangels Gegenseitigkeit nicht aufrechnen. Hierfür sprechen die §§ 2111, 2113 ff. BGB. Die Unzulässigkeit der Aufrechnung rechtfertigt sich jedenfalls aus einer Analogie zu §§ 2115 S. 1, 394 BGB, 773 ZPO: Mit der Aufrechnung würden sich die Eigengläubiger des Vorerben ebenso wie im Fall des § 2115 BGB aus dem Nachlass befriedigen, obwohl der Erbschaftsgegenstand nicht der Haftung für ihre Forderung gewidmet ist. Er soll letztlich dem Nacherben zufallen. Zu sonstigen Aufrechnungskonstellationen Rz. 116.

IV. Zusammenfassung 132

Der Erblasser kann durch Verfügung von Todes wegen einen Erben in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem ein anderer Erbe geworden ist (Nacherbe). Mit dem Erbfall fällt die Erbschaft zunächst dem Vorerben an. Erst mit einem vom Erblasser letztwillig vorgesehenen Ereignis (im Zweifel dem Tod des Vorerben, § 2106 Abs. 1 BGB) tritt der Nacherbfall ein. Der Vorerbe hört auf, Erbe zu sein, und die Erbschaft fällt dem Nacherben an, § 2139 BGB. Vorund Nacherbe beerben beide – zeitlich nacheinander – den Erblasser. Auch der Nacherbe ist Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht etwa des Vorerben. Nur erbschaftsteuerrechtlich wird der Nacherbe im Grundsatz so behandelt, als stamme das Vermögen vom Vorerben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Praktische Bedeutung gewinnt die Vor- und Nacherbschaft vor allem beim gemeinschaftlichen Testament, §§ 2265 ff. BGB.

133

Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft bietet zahlreiche Vorteile: – Der Erblasser erreicht, dass sein Vermögen zunächst dem Vorerben (z.B. seinem Ehegatten) zugewendet wird und dieser daraus Nutzungen ziehen kann, ohne die Substanz anzugreifen. Die Rechtsstellung des Vorerben ähnelt, obwohl er bis zum Nacherbfall Eigentümer der Nachlassgegenstände wird, der eines Erbschafts-Nießbrauchers (§ 1089 BGB). Die Vorerbschaft ermöglicht eine wirtschaftliche Absicherung auf (Lebens-)Zeit. Die Versorgung des überlebenden Ehegatten ist das in der Praxis oft ausschlaggebende Motiv. 1 RG v. 3.7.1912 – Rep. I 262/11, RGZ 80, 30 (33); Palandt/Weidlich, § 2115 Rz. 1. 326

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Edenfeld

Vor- und Nacherbschaft

Rz. 134

B IV

– Ist der vorgesehene endgültige Rechtsnachfolger zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht erzeugt, kann er nicht Erbe (§ 1923 BGB), aber als Nacherbe eingesetzt sein, § 2101 Abs. 1 BGB. Ist der Nacherbe schon erzeugt oder geboren, aber nicht zur Vermögensverwaltung in der Lage, kann er zeitlich befristet (bis zum Erreichen eines bestimmten Alters, Berufsabschluss etc.) von der Erbschaft fern gehalten werden. Der Vorerbe fungiert für ihn wie ein Verwaltungstestamentsvollstrecker. – Der Erblasser stellt sicher, dass der Nachlass möglichst ungeschmälert mit einem bestimmten Ereignis (Tod oder Wiederheirat des Vorerben, Studienabschluss des Nacherben, Unternehmensnachfolge) dem Nacherben zufällt. Alles, was der Vorerbe aufgrund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts oder als Ersatz für einen Erbschaftsgegenstand kraft Gesetzes oder mit Mitteln des Nachlasses durch Rechtsgeschäft erwirbt, bleibt als Surrogat erhalten. Das Vermögen kann in den zeitlichen Grenzen des § 2109 BGB an die Familie gebunden werden. Dagegen sind die Nachteile abzuwägen:

134

– Die Vor- und Nacherbschaft ist ein kompliziertes Rechtsinstitut. Die Trennung der Vermögensmassen ist juristischen Laien schwer vermittelbar und kann während der Dauer der Vorerbschaft zu verwaltungstechnischen Problemen führen. – Die mit der Vorerbschaft verbundenen Verfügungsbeschränkungen des Vorerben (§§ 2112 ff. BGB) und Kontrollrechte des Nacherben stellen eine erhebliche Belastung für den Vorerben dar. Die verbindliche Festlegung des Nacherben verhindert, dass der Vorerbe auf nachträgliche Veränderungen reagieren kann. Das ist namentlich bei der Unternehmensnachfolge zu beachten. – Die Belastungen des Vorerben erschweren den Rechtsverkehr. So werden unternehmerische Entscheidungen behindert, wenn eine Gesellschaftsbeteiligung zum Nachlass gehört und unklar ist, ob die Verfügung des Vorerben darüber unentgeltlich und damit unzulässig ist (§ 2113 Abs. 2 BGB). Ob die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft im Einzelfall ratsam ist, hängt neben der Zielsetzung des Erblassers von zahlreichen weiteren Aspekten wie den familiären Verhältnissen, Art und Umfang des Vermögens und steuerrechtlichen Aspekten ab. Für den Berater wirft das interessante, aber zum Teil recht schwierige Gestaltungs- und Auslegungsfragen auf. Da sowohl Vor- als auch Nacherbe steuerrechtlich Erbe sind (§ 6 Abs. 1 und 2 ErbStG), ist daran zu denken, dass ein Nießbrauchsvermächtnis günstiger sein kann.

Edenfeld

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327

V. Die Auflage Schrifttum: Edenfeld, Auslegungsprobleme bei Wünschen des Erblassers: Erbenbindung oder moralischer Appell?, ZEV 2004, 141; Engelmann, Letztwillige Verfügungen zugunsten Verschuldeter oder Sozialhilfeempfänger, 2001; Götz, Erbschaftsteuerliche Risiken bei testamentarischen Auflagen, die Haustiere des Erblassers zu pflegen, ZEV 2012, 649; Heeg, Alternativen zur Nacherbeneinsetzung: Ist die erbrechtliche Auflage ein geeignetes Instrument zur Erbschaft(steuer)planung?, DStR 2007, 89; Horn/Kroiß, Testamentsauslegung – Strategien bei unklaren letztwilligen Verfügungen, 2012; Wochner, Die unselbständige Stiftung, ZEV 1999, 125; Tanck, § 2318 III BGB schützt nur den „Pflichtteilsberechtigten“, ZEV 1998, 132; Vorwerk, Geldzuwendung durch erbrechtliche Auflage, ZEV 1998, 297; Zacher-Röder, Die bedingte Erbeinsetzung als Alternative zum sog. „Drei-Zügel-Testament“, ZEV 2008, 277. Rz.

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Testamentsvollstreckung . . . . . . . III. Vor- und Nachteile der Auflage . . IV. Inhalt der Auflage 1. Vermögensrechtlicher Inhalt . . . . 2. Nichtvermögensrechtlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Zweckauflage . . . . . . . . . . . . . 4. Grenzen der Auflage . . . . . . . . . . .

3 8 12 15 19

Rz.

V. Beschwerter der Auflage . . . . . . . .

32

VI. Auflagenbegünstigter . . . . . . . . . .

36

VII. Vollziehungsberechtigter . . . . . . . 42a 1. Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wegfallbegünstigter . . . . . . . . . . . . 3. Testamentsvollstrecker . . . . . . . . 4. Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 45 46 47

21 VIII. Gestaltungsmöglichkeiten für Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

IX. Unwirksamkeit der Auflage . . . . .

58

X. Unmöglichkeit der Vollziehung einer Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

XI. Steuerliche Auswirkungen . . . . . .

63

22 23 24 27

I. Allgemeines 1

Mit der Auflage kann der Erblasser gem. §§ 1940, 2192 bis 2196 BGB seinem Erben oder Vermächtnisnehmer ein bestimmtes Tun oder Unterlassen aufgeben. Das setzt nicht notwendigerweise voraus, dass es sich um einen konkret abgegrenzten Gegenstand handelt, der weitergegeben wird, und dass es überhaupt um einen Vermögensvorteil geht. Mittelpunkt der Auflage ist es, dass der Beschwerte in einer bestimmten Weise handeln oder etwas unterlassen muss. In der Praxis sollte man mit der Verwendung der Auflage bei der Testamentsgestaltung sorgsam umgehen und sie auch wirklich nur dort einsetzen, wo sie sinnvoll und angebracht ist. Der Vorteil, der aber zugleich ein Nachteil der Auflage sein kann, ist, dass dem Verpflichteten etwas aufgegeben wird, ohne dass einer evtl. begünstigten Person ein Recht auf diese Leistung zugewandt wird.

2

Ein evtl. Auflagenbegünstigter hat anders als ein Vermächtnisnehmer kein einklagbares Recht, vom Erben die geschuldete Leistung zu verlangen. Insofern 328

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Auflage

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Rz. 9

kann eine falsch eingesetzte Auflage ein stumpfes Schwert sein, so dass der Berater vorher abklären muss, ob im ganz konkreten Fall der Wille des Erblassers statt mit einer Auflage ggf. mit einem anderen Instrument, wie Vermächtniseinsetzung oder Ähnlichem, besser erreicht werden kann.

II. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten 1. Auflage Anders als eine Bedingung oder ein Wunsch muss eine Auflage erfüllt werden und ist damit rechtlich verpflichtend für den Beschwerten. Zu erfüllen ist die Auflage immer durch den Erben oder Vermächtnisnehmer.

3

Gegenstand einer Auflage ist anders als beim Vermächtnis die Verpflichtung zu einer Leistung, ein Tun oder Unterlassen.

4

Bei der Auflage steht der Pflicht des Beschwerten kein Rechtsanspruch eines evtl. Begünstigten der Auflage gegenüber. Es ist nicht einmal notwendig, dass es einen solchen Begünstigten überhaupt gibt, da hier die Verpflichtung zu einer Leistung, ein Tun oder Unterlassen, im Vordergrund steht. Die Bestimmung derjenigen Person, die eventuell durch eine Auflage begünstigt wird, kann bei der Zweckauflage im Ermessen des Verpflichteten liegen. Grenze dafür, was dem Verpflichteten aufgegeben werden kann, bildet hier lediglich die Sittenwidrigkeit.

5

Im gemeinschaftlichen Testament von Ehegatten kann die Auflage gemäß § 2270 Abs. 3 BGB wechselbezüglich sein.

6

Sieht das Testament keine weitere Regelung vor, ob etwa eine andere Person beim Wegfall eines Begünstigten diese erhalten soll, ist eine solche Begünstigung nicht vererblich. Dies rührt daher, dass zum einen kein Rechtsanspruch auf die Auflage besteht und es sich zum anderen um ein höchstpersönliches Recht handelt. Der Erblasser kann jedoch für den Wegfall des Begünstigten einen Ersatzbegünstigten benennen1. Das Testament kann entweder einen konkreten Ersatzbegünstigten nennen, oder aber die Erben des ursprünglich Begünstigten nachrücken lassen2.

7

2. Vermächtnis Ebenso wie bei der Auflage besteht eine rechtliche Verpflichtung für den Erben, das Vermächtnis zu erfüllen. Die Erfüllung erfolgt wie bei der Auflage immer durch den Erben bzw. bei einem Untervermächtnis auch durch einen Vermächtnisnehmer oder beim Nachvermächtnisnehmer durch den Vorvermächtnisnehmer. Anders als bei Auflage oder Bedingung steht der Pflicht zur Leistung des Erben das Recht des Vermächtnisnehmers auf Leistung gegenüber3.

8

Im Gegensatz zur Auflage muss der Erblasser beim Vermächtnis den Vermächtnisnehmer entweder konkret bestimmt oder ihn konkret bestimmbar bezeichnet haben.

9

1 Staudinger/Otte, § 2192 Rz. 25. 2 Vorwerk, ZEV 1998, 298. 3 KG v. 29.5.1997 – 22 U 8110/95, ZEV 1998, 306. Trilsch

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Rz. 10

Auflage

10

Die Grenze für die Aussetzung eines Vermächtnisses bildet wie bei Auflage und Bedingung die Sittenwidrigkeit. Auch das Vermächtnis kann wechselbezüglich im Ehegattentestament gem. § 2270 Abs. 3 BGB festgelegt werden.

11

Vererblich ist das Vermächtnis bzw. der Teil des Vermächtnisses, der bis zum Tod des Berechtigten fällig war, wenn er zum Zeitpunkt des Erbfalles am Leben war. War der Berechtigte schon vor dem Erbfall verstorben, ist das Vermächtnis gem. § 2160 BGB unwirksam. Der Erblasser kann aber ausdrücklich gem. §§ 2190, 2097 bis 2099 BGB oder stillschweigend gem. § 2069 BGB einen Ersatzvermächtnisnehmer berufen haben, oder es kann gem. § 2158 BGB zur Anwachsung kommen, wenn andere Vermächtnisnehmer denselben Gegenstand erhalten sollen.

11a

Bei der Abgrenzung, ob ein Vermächtnis oder eine Auflage vom Erblasser gewollt war, kommt es insbesondere darauf an, ob der Erblasser den Zugriff Dritter verhindern wollte und ob die Verwirklichung eines Zwecks im Vordergrund stand1. Dritte können z.B. Gläubiger des Auflagenbegünstigten sein, die keine Möglichkeit erhalten sollen, etwaige Zuwendungen an den Auflagenbegünstigten zu pfänden. Die Verwirklichung eines Zwecks ist z.B. gegeben, wenn der Erblasser im Testament zum Ausdruck gebracht hat, dass das Nachlassgrundstück gemeinnützigen Zwecken gewidmet werden soll2. 3. Bedingung

12

Hier ist es dem Erben oder Vermächtnisnehmer freigestellt, ob er eine Bedingung erfüllen will oder nicht, was dann die entsprechend im Testament festgelegten rechtlichen Konsequenzen hat. Je nachdem, ob es sich um eine aufschiebende oder eine auflösende Bedingung handelt, kann der Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung zu den im Testament genannten Folgen führen. Die Herbeiführung einer Bedingung kann man einem Erben oder Vermächtnisnehmer auferlegen.

13

Bei der Bedingung, die ein Erbe oder Vermächtnisnehmer erfüllen soll, gibt es keine Pflicht zur Leistung. Ein Recht, das sich aus der Erfüllung der Bedingung herleitet, kann erst dann eingefordert werden, wenn die Bedingung auch tatsächlich durch den Verpflichteten erfüllt wurde3. Das bedeutet, dass die Gegenleistung von einer Bedingung abhängig ist, deren Erfüllung im Belieben des Verpflichteten steht.

14

Grenze für eine Bedingung bildet auch hier wieder die Sittenwidrigkeit.

14a

Gegebenenfalls können Bedingung und Auflage in einem Testament kombiniert vorkommen. So kann der Erblasser zur Sicherung der Erfüllung einer Auflage eine Bedingung verwenden. Eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis können unter die auflösende oder aufschiebende Bedingung gestellt werden, dass der Erbe oder Vermächtnisnehmer die im Testament genannte Auflage erfüllt4. 1 Horn/Kroiß, § 5 Rz. 59 ff. 2 BGH v. 24.2.1993 – IV ZR 239/91, NJW 1993, 2168. 3 Ausnahmsweise genügt das Bemühen um die Herbeiführung des Erfolges, BayObLG v. 10.12.1985 – Reg 1Z 59/85, BayObLG v. 10.12.1985 – BReg.1 Z 59/85, FamRZ 1986, 606. 4 Langenfeld/Fröhler, Kap. 3, Rz. 303. 330

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Auflage

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Rz. 21

4. Wunsch Ein Wunsch des Erblassers begründet, anders als die Auflage, keine rechtliche Verpflichtung, diesen Wunsch zu erfüllen. Es handelt sich hierbei vielmehr um einen Rat oder eine Empfehlung des Erblassers, bei dem es rein im Ermessen des Erben oder Vermächtnisnehmers steht, ob er diesem Wunsch Folge leisten wird oder nicht. Anders als bei der Auflage oder dem Vermächtnis hat der Wunsch keinen Verpflichtungscharakter1.

15

Im Testament kann der Erblasser jeder beliebigen Person gegenüber einen Wunsch äußern. Diese Person braucht nicht einmal in irgendeiner Form im Testament bedacht zu sein. Gegenstand eines Wunsches ist ebenso wie bei der Auflage und beim Vermächtnis eine bestimmte Leistung, ein Tun oder ein Unterlassen. Auch hier kann wie bei der Auflage die Bestimmung einer Person, die durch den Wunsch begünstigt wird, im Ermessen des durch den Wunsch Angesprochenen liegen.

16

Im Gegensatz zu Auflage, Vermächtnis oder Bedingung ist dem Wunsch nicht durch Sittenwidrigkeit eine Grenze gesetzt. Da es im freien Ermessen des Angesprochenen liegt, ob er den Wunsch erfüllt oder nicht, ist es denkbar, dass auch ein sittenwidriger Wunsch vom Erblasser geäußert wird. Da der Wunsch keine rechtliche Verpflichtung aussprechen kann, ist es die freie Entscheidung des Angesprochenen, wenn er einem sittenwidrigen Wunsch folgt.

17

Gem. § 2270 Abs. 3 BGB ist es anders als bei Auflage und Vermächtnis nicht möglich, einen Wunsch wechselbezüglich im Ehegattentestament auszusprechen. Da keine Rechtspflicht zur Erfüllung eines Wunsches besteht, ist auch eine eventuelle Begünstigung aus einem Wunsch heraus nicht vererblich, es sei denn, der Erblasser hat dies bei der Formulierung des Wunsches ausdrücklich so bestimmt.

18

5. Testamentsvollstreckung Die Verpflichtung für den Testamentsvollstrecker, in der vom Erblasser gewünschten Weise zu verfahren, ist wie Auflage und Vermächtnis für den Testamentsvollstrecker rechtlich bindend.

19

Grenze für das, was einem Testamentsvollstrecker aufgegeben werden kann, bildet wiederum die Sittenwidrigkeit.

20

Der Testamentsvollstrecker ist verpflichtet, im Testament angeordnete Auflagen zu erfüllen, sofern der Erblasser keine davon abweichenden Anordnungen erlassen hat.

20a

III. Vor- und Nachteile der Auflage Vorteile:

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– Kein unmittelbar Berechtigter erforderlich (z.B. auch an Tiere oder nicht rechtsfähige Personenkreise sind Zuwendungen möglich); – Auswahl des Begünstigten durch Dritte möglich (Zweckauflage); 1 OLG Koblenz v. 24.4.1986 – 6 U 87/86, NJW-RR 1986, 1039; Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff. Trilsch

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Rz. 22

Auflage

– Einflussmöglichkeit auf Verhalten eines Bedachten; – Bedachter steht möglicherweise nicht unter Druck eines evtl. Begünstigten; – geeignet für erbrechtliche Anordnungen, die nicht vermögensrechtliche Vorteile bringen, z.B. Teilungsverbot; – zeitlich unbegrenzt wirksam, z.B. im Rahmen einer unselbständigen Stiftung (eine juristische Person erhält ein Erbteil bzw. Vermächtnis unter der Auflage, dieses Vermögen auf Dauer zu Stiftungszwecken zu verwenden). Nachteile: – Kein unmittelbarer Berechtigter vorhanden; – nicht vom Begünstigen erzwingbar, gegen den Willen des Beschwerten unter Umständen schwer durchsetzbar (Abhilfe kann Testamentsvollstrecker schaffen); – wird dem Beschwerten meist erst mit zeitlicher Verzögerung bekannt gegeben, bei Auffinden des Testaments bzw. bei Testamentseröffnung. Wurden im Wege der Auflage Beerdigungsmodalitäten festgelegt, Verfügungen über Organentnahmen oder Übergabe des Körpers an die Anatomie getroffen, ist es zu spät, wenn der Beschwerte dies erst nach der Beerdigung erfährt. Deshalb sollten solche Verfügungen separat geregelt und vorab dem Beschwerten oder einem Bestatter übergeben werden; – bei Nichterfüllung kein Schadenersatzanspruch für Begünstigten; – Zuwendung aus Auflage an Pflichtteilsberechtigten wird diesem nicht auf seinen Pflichtteil angerechnet.

IV. Inhalt der Auflage 1. Vermögensrechtlicher Inhalt 22

Es ist möglich, mittels Auflage einem Begünstigten einen Vermögensvorteil zuzuwenden. Es kann sich dabei um Geld- oder Sachleistungen handeln. In der Beratung ist aber immer zu prüfen, ob der Mandant tatsächlich den Vermögensvorteil im Wege einer Auflage zuwenden will oder ob nicht ein Vermächtnis angebrachter ist. Beim Vermächtnis hat der Begünstigte einen unmittelbar einklagbaren Rechtsanspruch, wogegen er einen solchen bei der Auflage nicht hat. Dies kann aber auch von Vorteil sein, weil dadurch der Beschwerte u.U. nicht unter einem solchen Druck steht. Beispiele für vermögensrechtliche Auflagen können die Zuwendung eines konkreten Geldbetrages sein, die Zuwendung eines abgrenzbaren Geldbetrages bei einem bestimmten Prozentsatz des Nettonachlasses in Geld oder die Übertragung einer Beteiligung an einem Unternehmen1. Werden vermögensrechtliche Werte weitergegeben, so hat die Auflage dann immer einen konkret Begünstigten. Ein Begünstigter kann dabei jede natürliche oder juristische Person sein oder auch eine Personengruppe.

1 Heeg, DStR 2007, 89. 332

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Rz. 26

2. Nichtvermögensrechtlicher Inhalt Mit einer Auflage kann der Erblasser den Beschwerten zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen veranlassen. Er kann ihm dabei all das aufgeben, was auch Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages sein könnte. Derartige Auflagen sind bspw. denkbar bei Anordnungen zur Grabpflege, zur Versorgung von Haustieren, zur Art und Weise der Fortführung eines Betriebes oder zur Vereinbarung eines bestimmten Güterstandes. Auch ein Verbot der Erbauseinandersetzung ist eine Auflage mit nichtvermögensrechtlichem Inhalt.

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3. Die Zweckauflage Gemäß § 2193 BGB kann der Erblasser eine Zweckauflage verfügen. Normalerweise gilt im Erbrecht äußerst streng der Grundsatz, dass der Erblasser nicht Dritten die Bestimmung einer Person überlassen kann, die im Erbfall Zuwendungen erhalten soll (§ 2065 Abs. 2 BGB). Bei der Auflage in Form der Zweckauflage entfernt sich das BGB selbst recht weit von diesem Grundsatz1. Der Zweckauflage genügt es, dass der Erblasser hinreichend bestimmt anordnet, welchem Zweck die Auflage dienen soll. Es bleibt dann dem Beschwerten im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens überlassen, welche konkrete Leistung er in Erfüllung dieser Auflage erbringt. Ob es dabei einen Auflagenbegünstigten gibt, hängt davon ab, wie der Erblasser die Auflage konkret formuliert hat. Es hängt vom Wortlaut sowie Willen des Erblassers ab, ob eine vermögensrechtliche oder eine nicht vermögensrechtliche Auflage gemeint war. Denkbar ist aber auch, dass sie beides beinhaltet und dass der Verpflichtete auswählen kann. Hat bspw. der Erblasser verfügt, dass der Beschwerte jedes Jahr zu Weihnachten behinderten Menschen eine Freude machen soll, so muss dies nicht zwingend eine vermögensrechtliche Auflage sein. Denkbar ist, dass der Beschwerte eine Geldzuwendung an eine geeignete Behinderteneinrichtung macht. Es wäre aber auch möglich, dass er sich mit aktivem Handeln an der Ausgestaltung einer Weihnachtsfeier beteiligt, indem er die Feier selbst organisiert, ohne Geld oder Sachwerte zu leisten.

24

Die Zweckauflage sollte man nur dort einsetzen, wo der Erblasser davon ausgehen kann, dass der Beschwerte diese Auflage tatsächlich auch so erfüllen wird, wie der Erblasser selbst sich das vorstellt. Auf der einen Seite ist es ein Vorteil, dass der Beschwerte hier relativ freie Hand hat, wie er diese Auflage konkret erfüllen will. Andererseits kann dies aber auch ein Nachteil werden, wenn es im o.g. Beispiel im freien Ermessen des Beschwerten steht, ob er z.B. zu Weihnachten 2 500 Euro oder 25 Euro an das Behindertenheim spendet. Befürchtet der Erblasser, dass sich der Beschwerte um die Erfüllung der Auflage drücken wird, sollte entweder die Auflage konkreter formuliert oder ein konkretes Vermächtnis ausgesetzt werden.

25

Die Zweckauflage ist besonders dafür geeignet, eine unselbständige Stiftung zu errichten, da der Inhalt der Leistung sehr offen gestaltet werden kann2. Dabei wird einer natürlichen Person ein Vermögenswert übertragen und gleichzeitig die Auflage erteilt, einen bestimmen Zweck zu fördern. Der Beschwerte ist damit flexibel, wie er konkret den Zweck erfüllen wird und kann entsprechende Ausgaben im Bedarfsfall vornehmen.

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1 Palandt/Weidlich, § 2193 Rz. 1. 2 Wochner, ZEV 1999, 125. Trilsch

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Rz. 27

Auflage

4. Grenzen der Auflage 27

Die Auflage findet ihre Grenzen dort, wo entweder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, die nicht Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages sein können, oder wo sittenwidrige Ziele verfolgt werden. Möglich sind auch Auflagen, in denen dem Beschwerten ein Verhalten aufgegeben wird, das ihn selbst unmittelbar betrifft1. Dies wäre bspw. der Fall, wenn dem Beschwerten aufgegeben werden soll, keinen Alkohol mehr zu trinken, keine Glücksspiele zu tätigen oder Geld in einer bestimmten Form anzulegen. Will der Erblasser diesen Zweck erreichen, wäre eine Erbeinsetzung unter einer Bedingung sinnvoller, ggf. gekoppelt mit Testamentsvollstreckung. Auf diese Art und Weise kann besser und sicherer gewährleistet werden, dass entsprechend dem Willen des Erblassers der Bedachte nur dann etwas aus dem Nachlass erhält, wenn er tatsächlich von Alkohol und Glücksspielen ablässt. Es ist möglich, dass der Erblasser eine Auflage zum Vorteil des Beschwerten anordnet2.

28

Will der Erblasser einem Beschwerten aufgeben zu heiraten, so ist das nicht unbedingt sittenwidrig, kann aber nicht Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages sein. Hier wäre es angebracht, wenn der Erblasser dies tatsächlich so wünscht, dass dieser Wunsch als Bedingung formuliert wird. Mittels einer Auflage ist das nicht möglich. Weiterhin ist es auch ausgeschlossen, jemanden dazu zu bestimmen, dass er eine letztwillige Verfügung mit einem ganz konkreten Inhalt errichten muss. Wünscht der Erblasser dies, so ist die Auflage das falsche Mittel und es sollte überlegt werden, ob ein ähnlicher Effekt nicht mit der Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge erzielt werden kann.

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Als sittenwidrig wäre es einzustufen, wenn der Erblasser dem Beschwerten mittels Auflage aufgäbe, gesetzeswidrig zu handeln und zum Beispiel eine Straftat zu begehen. Selbstverständlich kann niemandem mit einer Auflage aufgeben werden, eine Steuerhinterziehung oder eine Körperverletzung zu begehen. Nicht sittenwidrig ist eine Auflage, wenn die Zuwendung eines Heimbewohners an einen Dritten geht und im Rahmen einer Zweckauflage das Heim mittelbar begünstigen kann. Da der Zuwendungsempfänger bei der Erfüllung der Zweckauflage mehrere Alternativen zur Erfüllung hat, verstößt eine solche Auflagebegünstigung des Heimes nicht gegen das Verbot von § 14 HeimG3.

Beratungssituation: Der Mandant ist Heiminsasse des Städtischen Altenpflegeheimes der Stadt D. Er ist bedenkenlos testierfähig und möchte dem Heim eine große Geldsumme zur Verfügung stellen, damit die Sanitäranlagen erneuert werden können. Er befürchtet aber, damit gegen das Verbot in § 14 HeimG zu verstoßen. 29a

Der Mandant sollte in seinem Testament die Stadt D. entweder als Alleinerben oder Vermächtnisnehmer für die dem Heim zugedachte Summe einsetzen. Die Erbeinsetzung bzw. Aussetzung des Vermächtnisses wird verbunden mit einer Auflage an die Stadt D., dieses Geld für soziale Zwecke zu verwenden, wie zum Beispiel die Verbesserung der Einrichtung und Ausstattung der Pflegeheime der 1 MüKo.BGB/Leipold, § 1940 Rz. 4; MüKo.BGB/Schlichting, § 2192 Rz. 1. 2 Palandt/Weidlich, § 2192 Rz. 1. 3 BayObLG v. 22.2.2000 – 1Z BR 147/99, FamRZ 2000, 1395 = NJW 2000, 1959. 334

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Rz. 32

Stadt. Da der Zweck hier nur allgemein vorgegeben wurde, liegt auch kein Umgehungstatbestand vor, der gegen § 14 HeimG verstößt.

M 30 Zweckauflage eines Heimbewohners

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Meine Heimatstadt D. erhält ein Vermächtnis i.H.v. 400 000 Euro. Gleichzeitig erteile ich der Stadt D. die Auflage, dieses Geld für soziale Zwecke zu verwenden und älteren, hilfsbedürftigen Bürgern der Stadt Unterstützung zukommen zu lassen, bspw. durch Verbesserung der Ausstattung der Pflegeheime der Stadt, unabhängig von deren Trägerschaft, oder durch Unterstützung karitativer Hilfsdienste.

In der Literatur ist umstritten1, ob es sittenwidrig ist, mittels einer Auflage dem Erben oder Vermächtnisnehmer aufzugeben, einen bestimmten Beruf zu ergreifen oder nicht zu ergreifen, eine bestimmte Religion anzunehmen, in eine bestimmte Partei einzutreten, ganz allgemein zu heiraten, nie zu heiraten oder sich scheiden zu lassen. Bevor sich die Frage der Sittenwidrigkeit einer Auflage stellt, sollte geprüft werden, ob das auferlegte Verhalten überhaupt Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages sein kann oder nicht. Kann es dies nicht, scheidet eine Auflage von vornherein aus. Zu prüfen wäre dann aber die Frage, ob die Klausel u.U. als Bedingung auszulegen wäre. Falls ja, müsste auch hier die Sittenwidrigkeit geprüft werden. Das Ergebnis hängt vom Einzelfall ab.

30

Denkbar ist auch die Verknüpfung einer Auflage mit einer Bedingung in einer Wohlverhaltensklausel2. Der Verwirkungsfall kann dann gegeben sein, wenn ein im Testament bestimmtes Wohlverhalten gegenüber dem Erblasser oder einer ihm nahestehenden Person verletzt wird. Eine Wohlverhaltensklausel mit Auflage ist z.B. in der Form denkbar, dass der Erbe einer konkret bezeichneten Person das gesamte Tischlerwerkzeug aus dem Nachlass aushändigen soll unter der aufschiebenden Bedingung, dass diese Person tatsächlich den Beruf eines Tischlers ergreift. Auch eine Auflage an den Sohn des Erblassers wäre denkbar, dass dieser in geeigneter Form seine Schwester unterstützen soll unter der aufschiebenden Bedingung, dass diese sich scheiden lässt.

31

V. Beschwerter der Auflage Mit einer Auflage können sowohl Erben als auch Vermächtnisnehmer beschwert werden. Unter den Begriff „Erben“ fallen dabei auch Miterben3 oder nach Eintritt der Nacherbfolge der Nacherbe. Ist dem Testament nicht eindeutig zu entnehmen, wer Beschwerter sein soll, so ist im Zweifelsfall der Erbe beschwert. Nicht möglich ist es jedoch, eine Person, die in gar keiner Weise eine Zuwendung vom Erblasser erhalten soll, mit einer Auflage zu beschweren. Bspw. kann nicht der Erblasser seinen einen Sohn zum Alleinerben einsetzen und dem anderen nichts zuwenden, aber ihn mit einer Auflage zu einem bestimmten Tun 1 Grundsätzlich zustimmend: Palandt/Weidlich, § 2192 Rz. 3; dagegen: bei Eheschließung MüKo.BGB/Leipold, § 1940 Rz. 5. 2 Staudinger/Otte, § 2074 Rz. 15, 72 3 Z.B. im Rahmen einer konkreten Anweisung des Erblassers zur Auseinandersetzung zwischen den Miterben, Zacher-Röder, ZEV 2008, 277. Trilsch

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Rz. 32a

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oder Unterlassen zwingen. Eine solche Auflage wäre unwirksam oder es wäre im Wege der Auslegung zu erwägen, ob evtl. der erbende Sohn Beschwerter sein soll. 32a

Die Erfüllung der Auflage ist nachrangig im Verhältnis zum Pflichtteil und kann deshalb den Pflichtteil nicht schmälern. Nach § 2318 BGB kann die Erfüllung einer Auflage – ebenso wie beim Vermächtnis – anteilig vom Erben gekürzt werden, so dass Erbe und ein Auflagenbegünstigter die Pflichtteilslast verhältnismäßig tragen.

33

Verstirbt der Beschwerte der Auflage, so gilt § 2161 BGB. Meist müssen seine Erben aber nicht die Erfüllung dieser Auflage übernehmen, da aufgrund des höchstpersönlichen Charakters dieser Verpflichtung dies nur den unmittelbar Beschwerten betroffen hat1. Auch wenn der Vorerbe zur Erfüllung der Auflage verpflichtet war und nicht der Nacherbe, so kann beim Eintritt der Nacherbfolge das bis dahin Versäumte nicht vom Nacherben verlangt werden.

34

Hat der Beschwerte jedoch die Erbschaft ausgeschlagen oder ist er vor Eintritt des Erbfalles verstorben, so fällt damit die Auflage nicht automatisch weg. Gem. § 2192 i.V.m. § 2161 BGB bleibt die Auflage aufrechterhalten, sofern nicht ein abweichender Wille des Erblassers anzunehmen ist. Der neue Beschwerte ist dann derjenige, dem der Wegfall des Beschwerten zugute kommt. Ist also bspw. ein Vermächtnisnehmer mit einer Auflage beschwert worden und dieser vor Eintritt des Erbfalls verstorben, so wäre zunächst zu prüfen, ob das Testament einen Ersatzvermächtnisnehmer vorsieht. Sieht das Testament keinen Ersatzvermächtnisnehmer vor, so würde dem Erben der Wegfall des Vermächtnisnehmers zugute kommen, so dass dann der Erbe der neue Beschwerte der Auflage wäre. Auch hier ist wieder im Einzelfall zu prüfen, ob dies dem Willen des Erblassers entspricht.

35

Ist ein Erbteil mit Vermächtnissen und Auflagen beschwert, so kann der Erbe, wenn er zugleich Pflichtteilsschuldner ist, gem. §§ 2318, 2322 BGB die Vermächtnisse und Auflagen kürzen. Damit trägt gewissermaßen auch ein Auflagenbegünstigter im Verhältnis zum Erben die Last des Pflichtteils mit2.

VI. Auflagenbegünstigter 36

Die Auflage gibt in erster Linie dem Erben oder Vermächtnisnehmer ein bestimmtes Tun oder Unterlassen auf, es muss aber nicht notwendigerweise einen Auflagenbegünstigten geben. Wurde bspw. dem Erben aufgegeben, ein bestimmtes Grabmal oder eine Büste zu errichten, so gibt es keinen Begünstigten. Häufig wird es aber entsprechend dem Willen des Erblassers eine oder mehrere begünstigte Personen geben. Es ist dabei denkbar, dass der Erblasser im Testament eine konkrete Person als Begünstigten benennt. Denkbar ist aber auch, dass der Erblasser sehr viel allgemeiner von einem nicht konkret bestimmbaren Kreis von Begünstigten spricht, wie bspw. „Obdachlose“ oder „bedürftige Menschen“.

1 Palandt/Weidlich, § 2192 Rz. 2. 2 MüKo.BGB/Schlichting, § 2318 Rz. 1; Tanck, ZEV 1998, 132. 336

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Wenn es einen oder mehrere Begünstigte gibt, so haben diese keinen Anspruch auf Vollziehung der Auflage gegen den Verpflichteten. Ein Ausschlagungsrecht oder ein Verzicht auf eventuelle Zuwendungen und Vorteile aus der Auflage ist für den Berechtigten nicht möglich1. Dies ist aber eher ein theoretisches Problem, denn in aller Regel bringt die Vollziehung der Auflage für den Begünstigten Vorteile, so dass im Normalfall eine Ausschlagung kein Thema für ihn sein wird.

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Da die §§ 2339 und 2345 BGB lediglich die Unwürdigkeit eines Erben, Vermächtnisnehmers oder Pflichtteilsberechtigten regeln und diese gesetzlichen Regelungen nicht für die Auflage gelten, ist es nicht möglich, in analoger Anwendung eine „Auflagenunwürdigkeit“ herbeizuführen. Dies kann jedoch im Einzelfall zu ungerechtfertigten Ergebnissen führen, wenn bspw. ein Auflagenbegünstigter versucht hat, den Erblasser zu töten. Hier wäre der Verpflichtete berechtigt, von der Erfüllung der Auflage abzusehen.

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Gibt es einen konkreten Begünstigten, so kann diesem die Begünstigung aus der Auflage nur zuteil werden, wenn er zum Zeitpunkt des Erbfalles noch am Leben ist. Ist ein Begünstigter jedoch vor dem Erbfall weggefallen, so ist im Wege der Auslegung zu prüfen, ob eventuell ein anderer oder eine andere Personengruppe begünstigt sein könnte. Ist ausnahmsweise durch den Erblasser gewünscht, dass auch der Erbe des Begünstigten durch die Auflage begünstigt sein soll, so muss dies ausdrücklich im Testament angeordnet werden2.

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Bei der Formulierung der Auflage kann der Erblasser dem Berechtigten auch gewisse Rechte einräumen. Bspw. kann der Erblasser eine Wahlauflage formulieren, bei der der Berechtigte ein gewisses Mitspracherecht und eine Auswahlmöglichkeit hat, in welcher Form ihm eine Zuwendung gemacht werden soll. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Berechtigte etwa einen unmittelbaren Anspruch auf diese Leistung hat. Er kann dennoch keinen Druck auf den Verpflichteten ausüben, sondern bleibt auf die Mitwirkung eines Vollziehungsberechtigten angewiesen3.

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Hat der Erblasser den Begünstigten nicht konkret benannt, so kann er dennoch einen unbestimmten Personenkreis als Begünstigten benannt haben und es bei der Zweckauflage dem Beschwerten überlassen, die Personen oder den Personenkreis konkret zu bestimmen, denen bzw. dem die Auflage zugute kommen soll (§ 2193 Abs. 1 BGB). Möglich ist dabei auch, dass gem. § 2193 Abs. 3 BGB ein Dritter die Bestimmung des Begünstigten vornimmt. Soll es bei der Zweckauflage also Begünstigte geben, so müssen diese vom Beschwerten oder von dem Dritten bestimmt werden. Wird eine solche Bestimmung des Begünstigten vom Beschwerten oder von dem Dritten nicht vorgenommen bzw. wird eine Person als Begünstigter bestimmt, die nicht unter den vom Erblasser verfolgten Zweck fällt, ist es schwierig, den Willen des Erblassers durchzusetzen. Aus diesem Grunde sollte in der Praxis eine Zweckauflage so eindeutig wie möglich formuliert werden, um späterem Streit vorzubeugen.

41

1 MüKo.BGB/Schlichting, § 2192 Rz. 11. 2 Vorwerk, ZEV 1998, 297. 3 MüKo.BGB/Schlichting, § 2192 Rz. 10. Trilsch

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Begünstigter eine Auflage kann nicht nur jede natürliche Person sein, sondern auch eine juristische Person oder ein nicht rechtsfähiger Verein. Da mit der Auflage auch Zuwendungen gemacht werden können, die einem Tier zugute kommen, kann man davon sprechen, dass sogar Hund oder Katze im gewissen Sinne Begünstigte sein können.

VII. Vollziehungsberechtigter 42a

Der jeweilige Vollziehungsberechtigte wird zunächst außergerichtlich die Vollziehung der Auflage erreichen wollen. Scheitert dies, ist der Anspruch einklagbar im Wege der Leistungsklage1. Sofern es sich bei der Erfüllung der Auflage um eine vertretbare Handlung handelt, kann sie im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden2. 1. Erbe

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§ 2194 BGB regelt, wer die Vollziehung der Auflage verlangen kann. Dies ist von besonderer Bedeutung, da der Begünstigte keinen unmittelbaren Anspruch gegen den Beschwerten hat, aber andererseits die Erfüllung der Auflage nicht in das Belieben des Beschwerten gestellt werden soll. Ist ein Vermächtnisnehmer der Beschwerte, so hat der Erbe das Recht, die Vollziehung der Auflage zu verlangen, notfalls im Klageweg. Auch ein Miterbe hat das Recht, wenn ein anderer Miterbe oder ein Vermächtnisnehmer beschwert ist.

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Mit Erbe ist entweder der Alleinerbe, der Miterbe oder nach Eintritt des Nacherbfalls der Nacherbe gemeint. Dabei kann der Erblasser im Testament auch die Beschwerung zu unterschiedlichen Quoten zwischen evtl. gemeinsam Verpflichteten regeln. Fehlt eine solche Regelung, sind Miterben im Verhältnis ihrer Erbteile zueinander beschwert. Auch wenn bei mehreren Miterben davon ausgegangen werden muss, dass alle gleichermaßen zur Erfüllung der Auflage verpflichtet sind, so kann jeder Miterbe, auch wenn er selbst mit der Auflage beschwert ist, die Erfüllung verlangen und ist damit Vollziehungsberechtigter3. Ob der vollziehungsberechtigte Erbe jedoch tatsächlich im Weigerungsfall des Beschwerten Vollziehungsklage erheben will und damit den letzten Willen des Erblassers durchsetzt, steht in seinem Belieben. In den meisten Fällen wird er wohl kein eigenes Interesse an der Durchsetzung der Auflage haben, so dass auch hier der Erblasser wieder die Ungewissheit hat, ob der Vollziehungsberechtigte dem an ihn selbst gerichteten Anspruch gerecht wird, dem Willen des Erblassers Geltung zu verschaffen. Der Erbe kann die Vollziehung einer Auflage auch dann verlangen, wenn er selbst durch die Auflage begünstigt wird4.

1 Muster einer Klage auf Erfüllung eines Auflagenvermächtnisses in Klinger/Schlitt, MPFErbR, O. IV.9. 2 Muster eines Zwangsvollstreckungsantrags nach § 887 ZPO in Bonefeld/Kroiß/ Tanck, Der Erbprozess, 4. Aufl. 2012, 11 D Rz. 128 ff. 3 MüKo.BGB/Schlichting, § 2194 Rz. 2. 4 OLG Karlsruhe v. 7.5.2004 – 14 U 103/02, MDR 2005, 37 = FamRZ 2005, 137 = ZEV 2004, 331 ff. 338

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2. Wegfallbegünstigter Der Wegfallbegünstigte ist diejenige Person, die geerbt hätte, falls der Beschwerte weggefallen wäre. Dies ist also beim Wegfall eines testamentarischen Erben bspw. der gesetzliche Erbe oder ein Ersatzerbe.

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3. Testamentsvollstrecker § 2194 BGB hat den Kreis der Vollziehungsberechtigten nicht abschließend und vollständig geregelt. Auch der Testamentsvollstrecker ist berechtigt, die Vollziehung der Auflage zu verlangen. Anders als bei den sonstigen Vollziehungsberechtigten ist es nicht in das Ermessen des Testamentsvollstreckers gestellt, ob er die Erfüllung der Auflage verlangt oder nicht. Gem. § 2203 BGB ist er verpflichtet, die letztwilligen Verfügungen des Erblassers zur Ausführung zu bringen. Es wäre also eine Pflichtverletzung, wenn er die Vollziehung einer Auflage nicht durchsetzt. Aus diesem Grunde ist es empfehlenswert, einen Testamentsvollstrecker einzusetzen, der die Einhaltung der Auflagen überwacht und notfalls auch durchsetzt, wenn der Erblasser Bedenken hat, dass der Beschwerte die Auflage nicht freiwillig erfüllen will.

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Der Testamentsvollstrecker hat einen eigenen Anspruch auf die Erfüllung der Auflage. Da der Testamentsvollstrecker verpflichtet ist, die Erfüllung der Auflage durchzusetzen, ist dies die stärkste Waffe des Erblassers.

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4. Behörde Gem. § 2194 S. 2 BGB kann auch eine Behörde die Vollziehung der Auflage verlangen. Die jeweils zuständigen Behörden können die Vollziehung der Auflage verlangen, wenn diese im öffentlichen Interesse liegt, wobei dieses öffentliche Interesse ein dehnbarer Begriff ist. Die jeweilige Zuständigkeit ist landesrechtlich geregelt.

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Das pflichtgemäße Ermessen der Behörde bei der Prüfung, ob öffentliches Interesse vorliegt oder nicht, ist gerichtlich nachprüfbar1. Keinesfalls sollte sich der Erblasser darauf verlassen, dass bei der von ihm gewünschten Auflage öffentliches Interesse zum Zeitpunkt des Erbfalles besteht, auch wenn dies zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung so ist. Die Frage, was von öffentlichem Interesse ist, unterliegt im Wandel der Zeiten auch bestimmten Veränderungen, so dass es auch aus diesem Grunde empfehlenswert ist, selbst bei Dingen, bei denen der Erblasser sicher annimmt, dass sie im öffentlichen Interesse liegen, zusätzlich eine Absicherung durch einen Testamentsvollstrecker zu treffen.

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VIII. Gestaltungsmöglichkeiten für Auflagen Hat sich der Mandant nach gründlicher Beratung entschieden, im Testament eine Auflage zu verfügen, so muss sie vom Berater präzise formuliert werden. Zwar sind Testamente auslegbar, aber zwecks Streitvermeidung sollte der Begriff „Auflage“ ausdrücklich verwendet werden. 1 MüKo.BGB/Schlichting, § 2194 Rz. 8. Trilsch

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Es sollte auch keine Zweifel geben, wer mit der Auflage konkret beschwert wird. Es kann auch zweckmäßig sein, ausdrücklich einen Vollziehungsberechtigten zu bestimmen oder auszuschließen. Besitzt die Auflage einen hohen Rang, sollte sie zusätzlich mit Testamentsvollstreckung verbunden werden, um die Vollziehung abzusichern. Bei Fragen der Beerdigung ist dies dagegen nur selten notwendig. Weiterhin kann durch Verbindung der Auflage mit aufschiebenden oder auflösenden Bedingungen ein gewisser Druck seitens des Erblassers ausgeübt werden. Es gibt eine ganze Reihe von Fallkonstellationen, bei denen die Gestaltung einer Auflage zumindest erwogen werden muss:

Beratungssituation: Der Mandant möchte im Testament die Beerdigungsmodalitäten geregelt haben. Er wünscht Erdbestattung, eine würdige Dauerbepflanzung für das Grab und eine Bestattung auf dem Waldfriedhof. Weiterhin möchte er regeln, dass bei seinem Ableben sein Körper für Organentnahmen zur Verfügung steht. 50

Grundsätzlich ist es möglich und sinnvoll, diese Wünsche des Mandanten mit einer Auflage zu regeln. Es ist davon auszugehen, dass der Erbe im Normalfall eine solche Auflage befolgen und die Beerdigung entsprechend den Wünschen des Erblassers gestalten wird. Ob er allerdings einer Organentnahme zustimmen wird, ist bereits wieder fraglich, da es möglich ist, dass er selbst grundsätzlich ein Gegner von Organentnahmen ist. Es bietet sich daher folgende Formulierung im Testament an:

M 31 Auflage zur Bestattung Meinem Erben erteile ich die Auflage, für meine Beerdigung zu sorgen. Ich wünsche ausdrücklich eine Erdbestattung auf dem Waldfriedhof in X-Stadt. Mein Erbe soll für eine würdige Dauerbepflanzung des Grabes Sorge tragen. Als weitere Auflage gebe ich meinem Erben auf, dass er im Bedarfsfall meinen Körper für Organentnahmen zur Verfügung stellt. 50a

Aus praktischen Gründen empfiehlt es sich hier aber noch, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Häufig wird das Testament erst Wochen nach der Beerdigung eröffnet. Hat der Erbe inzwischen eine Feuerbestattung organisiert und auch nichts von einer eventuellen Organentnahme gewusst, ist dies im Nachhinein nicht mehr rückgängig zu machen. Aus diesem Grunde wäre dem Mandanten anzuraten, zusätzlich einen Organspenderausweis auszufüllen und diesen bei sich zu tragen. Was die Einzelheiten der Beerdigung betrifft, sollte er dies schon zu Lebzeiten mit seinem künftigen Erben besprechen. Denkbar ist auch, dass man in einem gesonderten Testament, ohne irgendeine sonstige Verfügung vorzunehmen, nur die Beerdigungsmodalitäten regelt und dieses gleich dem künftigen Erben aushändigt. Wenn der Erblasser dies nicht möchte, könnte er alternativ dazu den künftigen Erben darauf hinweisen, dass wichtige Regelungen für den Todesfall im Testament zu finden sind und wo dieses hinterlegt ist. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Erblasser nicht mit dem künftigen Erben darüber sprechen möchte. Dann kann es eine sinnvolle Alternative sein, dass sich der Erblasser bereits zu Lebzeiten um seine eigene Beerdigung kümmert und sich diesbezüglich mit einem Bestattungsunternehmen seines Vertrauens in Verbin340

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dung setzt. Hat er mit dem Bestattungsunternehmen eine vertragliche Regelung getroffen, wie seine Beerdigung gestaltet werden soll, ist dies dann für den späteren Erben bindend.

Beratungssituation: Der Mandant hat häufig Geld für wohltätige Zwecke ausgegeben. Er möchte gern, dass seine Kinder dies nach seinem Tode ebenso tun. Der Vorteil der Auflage ist, dass hier der Mandant seine Kinder zu diesem Tun veranlassen kann, ohne dass er ihnen bereits ganz konkret vorgeben muss, wie sie die wohltätigen Zwecke im Einzelnen erfüllen wollen.

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M 32 Allgemeine Zweckauflage Ich erteile meinen beiden Erben die Auflage, jedes Jahr zu Weihnachten alten oder bedürftigen Menschen eine Freude zu machen.

Beratungssituation: Der Mandant fürchtet jedoch, dass sein geiziger Sohn die Wohltätigkeit in äußerst engen Grenzen halten wird. Bei der oben angeführten allgemeinen Zweckauflage für beide Kinder steht es diesen völlig frei, in welcher Form oder mit welchem Geldbetrag sie diesen wohltätigen Zweck erfüllen wollen. Gleichfalls haben sie auch die Wahl, welches Heim und welche gemeinnützige Organisation sie damit unterstützen. Geht der Erblasser davon aus, dass seine Erben die von ihm gepflegte Großzügigkeit im selben Stil fortführen werden, gibt es keine Probleme. Befürchtet aber der Mandant, dass bspw. sein Sohn diese Auflage möglichst engherzig erfüllen wird, wäre es ratsam, einen konkreten Geldbetrag zu nennen:

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M 33 Konkrete Zweckauflage Ich erteile meinen beiden Erben die Auflage, jedes Jahr zu Weihnachten alten oder bedürftigen Menschen eine Freude zu machen mit einem Geldbetrag von jährlich je 2 500 Euro.

Oder der Erblasser wählt für beide Kinder unterschiedliche Gestaltungen. Denkbar wäre, dass bei einem Kind die allgemeine Zweckauflage ausreicht. Hinsichtlich des anderen Kindes wäre es dann ratsam, dass gleich ein ganz konkreter Vermächtnisanspruch über eine bestimmte Summe für ein ganz konkretes Heim oder eine gemeinnützige Einrichtung im Wege des Vermächtnisses festgelegt wird, das dann der Sohn zu erfüllen hat. Da als Vermächtnisnehmer die Stellung des Begünstigten sehr viel stärker ist, wird es dem Sohn nicht gelingen, die auferlegte Verpflichtung zu umgehen.

Beratungssituation: Der Erblasserin ist es äußerst wichtig, dass ihre Katze auch nach ihrem Tode gut versorgt ist; am liebsten würde sie die Katze zur Alleinerbin einsetzen.

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Es bietet sich an, dass ein Tierheim oder der Tierschutzverein Erbe oder zumindest Vermächtnisnehmer für einen bestimmten Geldbetrag wird, verbunden mit der Auflage, sich um das Tier zu kümmern. Die Zuwendung sollte aber aus praktischen Gründen nicht unter 4 000 Euro liegen, damit für das Tierheim ein gewisser wirtschaftlicher Anreiz besteht, das Erbe oder Vermächtnis auch wirklich anzunehmen, wenn gleichzeitig die Katze mitversorgt werden muss.

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Die Zuwendung, die mit der Auflage zur Versorgung eines Tiers verbunden ist, muss der Empfänger nicht versteuern, wenn es sich um eine gemeinnützige Organisationsform handelt. Eine Privatperson oder ein nicht gemeinnütziger Verein dagegen müssen die Zuwendung versteuern, wenn sie den jeweiligen Freibetrag gem. §§ 15, 16 ErbStG überschreitet.

53b

Ratsam wäre auch, dass die Mandantin sich ggf. mit dem betreffenden Tierheim oder dem sonstigen Verein oder einer zuverlässigen Person aus dem Bekanntenkreis vorher in Verbindung setzt und abklärt, ob diese grundsätzlich ein solches Vermächtnis oder eine solche Erbschaft annehmen würden, wenn damit die Pflege eines Tieres verbunden wäre. Selbst wenn das Testament korrekt und präzise formuliert ist, würde der Zweck verfehlt, wenn die Person oder Organisation, die sich um die Katze kümmern soll, beim Erbfall das Erbe oder Vermächtnis ausschlägt und damit auch die Auflage nicht erfüllt.

53c

Diese Auflage sollte unbedingt mit Testamentsvollstreckung verbunden werden, wobei dem Testamentsvollstrecker ganz konkret aufgegeben werden muss, dass er auf artgerechte Haltung des Tieres achtet. Das Vermächtnis entfällt, wenn der Verein die Auflage nicht erfüllt und die Katze nicht artgerecht gehalten wird.

M 34 Auflage für die Katze Zu meinem Erben setze ich den Förderverein Tierheim X-Stadt e.V. ein. Den Verein belaste ich mit der Auflage, sich um meine Katze Mohrle zu kümmern und sie bis an ihr Lebensende gut zu versorgen. Die Kosten für Unterhalt und Pflege meiner Katze sind aus dem Nachlass zu bezahlen.

Beratungssituation: Der Mandant möchte sein Erbe an seine beiden Kinder verteilen. Er hat einen geistig behinderten Neffen, der stationär in einer Einrichtung untergebracht ist und Leistungen nach dem SGB XII bezieht. Wie sollte der Mandant das Testament formulieren, wenn er seinem Neffen kleine Zuwendungen machen möchte, ohne dass dadurch die Leistungen des Sozialhilfeträgers geschmälert werden? 54

Da der Neffe Leistungen nach dem SGB XII bezieht, ist es nicht sinnvoll, ihn zum Miterben oder Vermächtnisnehmer zu machen. Hieraus resultierende Ansprüche würden entweder durch den gesetzlichen Forderungsübergang direkt auf den Sozialhilfeträger übergehen oder zur Kürzung von Sozialleistungen führen. Die Zuwendungen, die der Mandant hier geben möchte, fallen auch nicht unter das Schonvermögen, so dass sie auch grundsätzlich pfändbar sind1. Das Problem lässt sich dadurch lösen, dass die beiden Kinder zu Erben eingesetzt und mit ei1 Engelmann, Letztwillige Verfügungen, S. 5 ff. 342

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ner Auflage beschwert werden. Dabei sollte der Erblasser konkret beschreiben, was dem Neffen zugewendet werden soll. Da der Neffe keinen eigenen Anspruch auf diese Leistungen hat, ist dieser auch nicht pfändbar. Eine solche Gestaltung ist allerdings nur dann zu empfehlen, wenn es sich bei dem Begünstigten nicht um einen Pflichtteilsberechtigten handelt. Ist der Begünstigte pflichtteilsberechtigt, so wäre diese Gestaltung mit der Auflage sogar schädlich, da der Pflichtteilsanspruch übergeleitet werden kann auf einen Sozialhilfeträger und sonstige Vermögensvorteile aus einer Auflage nicht auf den Pflichtteil angerechnet werden, sondern unabhängig davon bestehen (vgl. auch Kap. B VIII).

M 35 Auflage für Behinderten Hiermit setze ich meine beiden Kinder zu meinen Erben zu je 1/ 2 ein. Weiterhin erteile ich ihnen die Auflage, meinem Neffen Thomas jährlich einen zweiwöchigen Urlaub bzw. Kuraufenthalt zu finanzieren. Weiterhin erteile ich ihnen die Auflage, bis zu einem Betrag von jährlich 1 500 Euro für meinen Neffen medizinische Maßnahmen zu bezahlen, die aus ärztlicher Sicht nicht unbedingt erforderlich, aber dennoch wünschenswert sind, und für die weder die Krankenkasse noch der Sozialhilfeträger aufkommen.

Beratungssituation: Der Mandant bedauert schon seit vielen Jahren den beklagenswerten baulichen Zustand des Rathausturmes seiner Heimatstadt. Er würde gern nach seinem Tod der Stadt einen großen Geldbetrag hinterlassen, damit der Rathausturm wenigstens neu gedeckt werden kann. Er befürchtet aber, dass dieses Geld nicht für das Dachdecken des Rathausturmes eingesetzt wird, sondern in irgendwelchen sonstigen Kanälen verschwindet. Der beratende Jurist sollte hier mit dem Mandanten klären, ob es sinnvoll ist, die Auflage tatsächlich so zu gestalten, dass eine Dacheindeckung gefordert wird. Zum einen fragt sich, ob das Geld überhaupt ausreicht. Zum anderen ist zu bedenken, ob diese Auflage aus bautechnischer Sicht sinnvoll ist. Es wäre bspw. möglich, dass eine preiswerte Reparatur ausreicht und die Neueindeckung des Daches erst zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich ist. Vielleicht ist es aber auch viel dringender, das Gebäude neu zu isolieren gegen aufsteigende Nässe, wofür die öffentliche Hand ebenfalls kein Geld zur Verfügung hat. Deshalb könnte es vernünftiger sein, dass man in der Auflage allgemein von baulicher Sanierung des Rathauses oder Rathausturmes spricht und das Dacheindecken nur als Wunsch formuliert, der aber nicht unbedingt erfüllt werden muss.

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Eine zu starr formulierte Auflage kann gerade bei baulicher Sanierung dem Begünstigten mehr Probleme schaffen als helfen. So ist es bspw. vorgekommen, dass einem Zoo über Jahre hinweg erbrechtliche Zuwendungen gemacht wurden, verbunden mit ganz konkreten Auflagen für die Sanierung des Elefantenhauses. Für den Zoo stand es bereits seit Jahren fest, dass eine Sanierung des Elefantenhauses ausgeschlossen ist, da dort auch nach einer Sanierung eine artgerechte Haltung für die Tiere nicht möglich wäre. Vielmehr standen der Abriss und der Bau eines größeren Gebäudes an einem anderen Standort zur Debatte. Der Zoo hätte die Gelder gerne für den Bau des neuen Elefantenhauses verwendet, aber einige Testamentsvollstrecker sahen sich dazu verpflichtet, die Auflage

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wörtlich durchzusetzen. Solche Streitigkeiten können durch eine etwas offenere Formulierung der Auflage vermieden werden.

M 36 Auflage für konkretes Projekt Meine Heimatstadt D. soll ein Vermächtnis i.H.v. 250 000 Euro erhalten. Die Stadt belege ich mit der Auflage, das Geld für die bauliche Sanierung des Rathausturmes bzw. des gesamten Rathauses zu verwenden. Ich würde mir wünschen und empfehlen, dass von diesem Geld zunächst das Neudecken des Daches bezahlt wird. Wenn die Stadt bautechnische Gründe dafür sieht, das Geld in einer anderen Form für die Sanierung des Rathauses zu verwenden, bin ich auch damit einverstanden.

Beratungssituation: Die Mandantin ist eine bekannte Kunstsammlerin, die durch jahrzehntelange, intensive Sammlertätigkeit eine einmalige Gemäldesammlung zusammengetragen hat. Da sie kinderlos und verwitwet ist, geht die Erbschaft an diverse Neffen und Nichten. Die Mandantin möchte aber nicht, dass die Kunstsammlung aufgelöst und an die Erben aufgeteilt wird. Es ist der Wunsch, dass auch andere Menschen die schöne Sammlung später bewundern können. 56

Der Berater kann der Mandantin mehrere Wege vorschlagen. Möglich ist es, dass zwar die Neffen und Nichten Erben werden, aber belastet mit der Auflage, die Bildersammlung komplett als Dauerleihgabe einer bestimmten Gemäldegalerie zur Verfügung zu stellen. Man könnte ggf. der Mandantin auch raten, eine Stiftung zu gründen, die dann die Bilder erhält. Möglich wäre aber auch, der Stadt, einem Förderverein oder einer ähnlichen Einrichtung die Bilder unmittelbar im Wege des Vermächtnisses zukommen zu lassen, verbunden mit der Auflage, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und auszustellen. Unter Umständen kann es ratsam sein, dass die Mandantin sich bereits zu Lebzeiten mit der später zu bedenkenden Einrichtung oder Stadt in Verbindung setzt und dort klärt, ob Interesse an der Übernahme der Sammlung besteht und ob oder in welcher Form die Bildersammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Geeignete Ausstellungsräume sind u.U. schwer zu finden. Man sollte also auch hier dem Bedachten bei der Gestaltung der Auflage nach Möglichkeit freie Hand lassen, in welcher Form die Bilder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Denkbar wären hier u.U. auch Wanderausstellungen oder regelmäßige Sonderausstellungen.

M 37 Auflage Museum Meine drei Neffen setze ich untereinander zu gleichen Teilen zu Erben ein. Im Wege des Vermächtnisses erhält der Förderverein Kunstsammlung D. alle in meinem Nachlass befindlichen Ölgemälde. Dieses Vermächtnis ist verbunden mit der Auflage, die Bilder in geeigneter Form und am geeigneten Ort der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

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Beratungssituation: Der Mandant hat drei Kinder und ein wertvolles Grundstück in idealer Lage. Da seine Kinder gerade erst volljährig geworden sind, befürchtet er, dass eines der Kinder noch nicht die Vernunft besitzt, den Wert dieses Anwesens zu erkennen, und auf einer baldigen Teilung des Erbes oder Teilungsversteigerung besteht. Wie lässt sich das verhindern? Nicht immer ist es sinnvoll, ein Teilungsverbot auszusprechen, gelegentlich ist es dennoch angebracht, um entweder einen Erben vor sich selbst zu schützen, damit er nichts Unvernünftiges tut, oder einen wirtschaftlich schwächeren Miterben zu schützen, dem eine sofortige Aufteilung des Erbes Probleme bereiten könnte.

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Dem Mandanten sollte zu einem Teilungsverbot gem. § 2044 BGB geraten werden. Man muss es nicht auf den gesamten Nachlass ausdehnen; die Beschränkung auf einen bestimmten Gegenstand ist zulässig und kann sinnvoll sein, wie hier die Immobilie betreffend. Im Ausgangsfall möchte der Erblasser einen Auseinandersetzungsausschluss für das Grundstück erreichen, der für alle Erben gilt und über den sich die Erben auch nicht einvernehmlich hinwegsetzen können. Dieses Teilungsverbot gem. § 2044 BGB ist dann als Auflage zu gestalten1. Das Teilungsverbot durch Auflage hat zwar auch nur schuldrechtliche und keine dingliche Wirkung, aber in Kombination mit Testamentsvollstreckung kann dennoch die Durchsetzung erzwungen werden.

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M 38 Auflage Teilungsverbot Hiermit setze ich meine drei Kinder zu untereinander gleichen Teilen zu Erben ein. Im Wege der Auflage verbiete ich meinen Erben die Teilung des Nachlasses hinsichtlich meines Grundstückes in X-Stadt (Grundbuchangaben). Ich untersage auch ausdrücklich eine einverständliche Teilung zwischen den Miterben sowie die Teilungsversteigerung. Dieses Teilungsverbot soll mit dem Ablauf von fünf Jahren ab meinem Todestag entfallen. Zum Testamentsvollstrecker bestimme ich meinen Freund, Herrn A.B. Dem Testamentsvollstrecker wird ausdrücklich aufgegeben, die Einhaltung des von mir ausgesprochenen Teilungsverbotes zu überwachen und eine Teilung auch nicht bei übereinstimmendem Willen der Miterben zu gestatten.

IX. Unwirksamkeit der Auflage Ist eine Auflage unwirksam, wird dadurch gem. § 2195 BGB nicht automatisch die unter der Auflage gemachte Zuwendung unwirksam. Dies folgt aus dem Grundsatz von § 2085 BGB, dass mehrere in einem Testament enthaltene Verfügungen im Zweifel unabhängig voneinander wirksam sind. Hat z.B. ein Erblasser eine Zuwendung gemacht, zugleich aber den Bedachten mit einer sittenwidrigen Auflage beschwert, so ist die Zuwendung dennoch wirksam, auch wenn die Auflage unwirksam ist.

1 MüKo.BGB/Schlichting, § 2044 Rz. 14. Trilsch

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Im Einzelfall ist durch Auslegung des Testamentes zu prüfen, ob der Erblasser die Zuwendung nicht ohne die Auflage gemacht hätte. Kommt man im Wege der Auslegung zu dem Schluss, dass die Zuwendung unbedingt an diese Auflage gekoppelt sein soll, so würde auch die Zuwendung wegfallen. Beispiel: Dem Testament ist zu entnehmen, dass der Erblasser einem Verwandten nur aus dem Grund ein kleines Vermächtnis zukommen lassen wollte, damit dieser dann auch entsprechend einer Auflage das Grab pflegt. Würde die Auflage in Wegfall kommen, hätte sich der Erblasser hier nicht verpflichtet gesehen, dem Verwandten auch die Zuwendung zu machen.

X. Unmöglichkeit der Vollziehung einer Auflage 60

Ist es wegen Umständen, die der Beschwerte nicht zu vertreten hat, unmöglich, eine Auflage zu erfüllen, so entfällt gem. § 2196 BGB die Auflage. Ist bspw. noch vor Ableben des Erblassers ein Bild verbrannt, welches vom Erben im Wege der Auflage einem geeigneten Museum zur Verfügung gestellt werden sollte, hat das keinerlei rechtliche Konsequenzen für den Erben. Auch wenn ein konkret benannter Auflagenbegünstigter vor Eintritt des Erbfalles weggefallen ist und dem Testament auch im Wege der Auslegung kein sonstiger ersatzweise Begünstigter zu entnehmen ist, kann diese Auflage nicht vollzogen werden. Das wäre gegeben, wenn in dem vor Rz. 54 genannten Fall der auflagenbegünstigte behinderte Neffe des Erblassers weggefallen ist. Der Erblasser wollte einen Vorteil zuwenden, der nur und ausschließlich dem Neffen zugute kommt. Verstirbt dieser Neffe jedoch vor dem Erblasser, fällt die Auflage ersatzlos weg. Diese Unmöglichkeit der Vollziehung ist nicht vom Erben zu vertreten, so dass auch dieser Wegfall für ihn keinerlei negative Folgen hat.

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Anders liegt der Fall, wenn der Beschwerte die Unmöglichkeit der Vollziehung der Auflage selbst zu vertreten hat. Dann treten die in § 2196 BGB genannten Rechtsfolgen ein. Der Wegfallbegünstigte kann nach den Vorschriften über die Herausgabe ungerechtfertigter Bereicherung den Ersatz des Wertes vom Beschwerten fordern. Selbst für den Fall, dass es einen unmittelbar Begünstigten gibt, wird dieser nichts erhalten. Damit ist zwar verhindert, dass sich der Beschwerte dadurch bereichert, dass er sich weigert, die Auflage zu erfüllen, oder die Erfüllung der Auflage unmöglich gemacht hat. Der eigentliche Zweck der Auflage ist aber dennoch verfehlt. Dadurch ist es möglich, dass ein Begünstigter leer ausgeht. Aus diesem Grunde kann man diese gesetzliche Regelung auch wiederum nur als ein stumpfes Schwert für die Durchsetzung einer Auflage betrachten.

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Der Herausgabeberechtigte kann damit den Geldwert erlangen, den der Beschwerte für die Erfüllung der Auflage hätte ausgeben müssen. Das hat aber nicht zur Folge, dass dann der Vollziehungsberechtigte die Auflage erfüllen muss1. In der Praxis sollte sich daher der Erblasser nicht mit diesen Rechtsfolgen begnügen, sondern es sollte gleich im Testament von vornherein eine Sanktion oder Bedingung an die Nichterfüllung der Auflage geknüpft werden, da damit wirtschaftlich ein höherer Druck auf den Beschwerten ausgeübt werden kann. 1 MüKo.BGB/Schlichting, § 2196 Rz. 8. 346

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Rz. 65

XI. Steuerliche Auswirkungen Grundsätzlich muss der Begünstigte einer Auflage, wenn es einen solchen gibt, das, was er mittels der Auflage erwirbt, auch versteuern. Die Erbschaftsteuer fällt jedoch gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1d ErbStG erst mit der Vollziehung der Auflage an. Dagegen kann der Beschwerte als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaftsteuererklärung diejenigen Verbindlichkeiten abziehen, die aus der Auflage herrühren1. Dieser Abzug ist gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG sofort vom Erwerb des Verpflichteten vorzunehmen, auch wenn die Auflage erst später erfüllt wird. Der zu versteuernde Wert der Auflage wird gem. §§ 13–16 BewG ermittelt.

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Bei einer Zweckauflage gibt es keinen Begünstigten im eigentlichen Sinne. Damit ist der Beschwerte verpflichtet, den der Auflage zugrunde liegenden Zweck zu versteuern. Werden bei einer Zweckzuwendung kirchliche, gemeinnützige oder wohltätige Zwecke erfolgt, wird keine Erbschaftsteuer erhoben.

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Wird einem Erben vom Erblasser im Wege der Auflage die Pflege eines im Nachlass befindlichen Tieres aufgegeben, ist Vorsicht geboten, wenn diese Auflage einen höheren erbschaftsteuerlichen Wert als 20 000 Euro hat. Bei der Pflege von Hund oder Katze wird dies wohl kaum der Fall sein. Die Pflege eines oder mehrerer Pferde kann jedoch leicht diesen Kostenrahmen sprengen. Kosten, die dem Erben für die Versorgung des Tieres entstehen, kann dieser einerseits als Nachlassverbindlichkeiten steuerlich absetzen. Zugleich muss jedoch die Zweckauflage versteuert werden, was bei hohen Kosten für die Pflege des Tieres zum steuerlichen Nachteil werden kann2.

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1 Nieder/Kössinger, § 9 Rz. 129, Erbschaftsteuergesetz; Klinger/Hübner/Gründl, MPFErbR, V.II.1. Anm. 46; Damrau/Daragan, vor § 2192 Rz. 22. 2 Götz, ZEV 2012, 649. Trilsch

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VI. Das Vermächtnis Schrifttum: Amend, Schuldrechtsreform und Mängelhaftung beim Gattungsvermächtnis, ZEV 2002, 227; Baltzer, Die Vermächtnislösung lebt! – Zur Anspruchskonkurrenz zwischen Nachvermächtnis und anderen Gläubigern, insbesondere dem Sozialhilfeträger, ZEV 2008, 116; Bambring, Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf das Erbrecht, ZEV 2002, 137; Bengel, Rechtsfragen zum Vor- und Nachvermächtnis, NJW 1990, 18; Benk, Teilungsanordnung, Vorausvermächtnis, Übernahmerecht, MittRhNotK 1979, 53; Buchholz, Verfügungsunterlassungsvertrag, Vormerkung und künftige Ansprüche – Zur Vormerkungsfähigkeit erbrechtlicher Ansprüche, Jura 1989, 393; Bühler, Das Verschaffungsvermächtnis, Inhalt und Durchsetzung, DNotZ 1964, 581; Bühler, Erbschaftsteuerreform: Übersicht und Vorschläge zur Verminderung der Steuernachteile beim Berliner Testament, im Jahr 1996 angefallene Erbschaftsteuerfälle werden benachteiligt, BB 1997, 551; Bunke, Der Nießbrauch an der Beteiligung an einer Personalgesellschaft, DNotZ 1968, 5; Crezelius, Anmerkung zu BFH v. 2.7.2004 – II R 902, ZEV 2004, 476; Damrau/Mayer, Zur Vor- und Nachvermächtnislösung beim sog. Behindertentestament, ZEV 2001, 293; Dieterich, Testamentsvollstrecker zur Ausübung der Rechte des Nachvermächtnisnehmers vor Anfall des Nachvermächtnisses?, NJW 1971, 2017; Dobroschke, Die Unternehmensnachfolge Minderjähriger, zum Wahlvermächtnis und Universalvermächtnis, DB 1967, 803; Eidenmüller, Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung, JA 1991, 150; Evert, Berliner Testament und Rettung erbschaftsteuerlicher Freibeträge, NJW 2008, 557; Fröhler, Das Vorausvermächtnis zugunsten des Vorerben und der Erbnachweis vor sowie ab Eintritt des Nacherbfalls, BWNotZ 2005, 1; Grunewald/Rizor, Wer trägt die Lasten, wenn ein vermachtes Grundstück belastet ist?, ZEV 2008, 510; Grziwotz, Verfügungen von Todes wegen, FPR 2005, 283; Halding-Hoppenheit, Sicherstellung der Vermächtniserfüllung, RNotZ 2005, 311; Hannes/Onderka, Die Übertragung von Betriebsvermögen nach dem neuen Erbschaftsteuergesetz, ZEV 2009, 10; Hartmann, Das sog. Behindertentestament: Vor- und Nacherbschaftskonstruktion oder Vermächtnisvariante, ZEV 2001, 89; Hartmann, Das Vorvermächtnis mit Vorerbschaftswirkung, ZEV 2007, 458; Haspl, Der Ersatzvermächtnisnehmer nach § 2069 BGB, ZEV 2013, 60; Hölscher, Ist die Vermächtnislösung pflichtteilsfest?, ZEV 2011, 569; Hölzerkopf/Bauer, Überblick über die Erbschaftsteuerreform und erste Gestaltungshinweise, BB 2009, 20; Ivens, Leitlinien zur Unternehmensnachfolge: Die Vererbung von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen, ZEV 2011, 177; Ivo, Die Vererbung von GmbH-Geschäftsanteilen, ZEV 2006, 252; Ivo, Die Vererbung von Kommanditanteilen, ZEV 2008, 302; Johannsen, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf dem Gebiete des Erbrechts – 8. Teil: Das Vermächtnis, WM 1972, 866; Joussen, Das Testament zugunsten behinderter Kinder, NJW 2003, 1851; Kanzleiter, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 24.4.1991 – IV ZR 156/90, DNotZ 1992, 511; Klinger/ Roth, Abgrenzung von Teilungsansordnung und Vorausvermächtnis, NJW 2008, 263; Klunzinger, Die erbrechtliche Ermächtigung zur Auswahl des Betriebsnachfolgers durch Dritte, BB 1970, 1197; Kornexl, Geld-, Immobilien- und Hausratsvermächtnisse: Risiken für den Verteilungsplan des Erblassers und gestalterische Vorsorge, ZEV 2002, 173; Kuchinke, Die Rechtsfolgen der Vorausleistung eines Vermächtnisgegenstandes an den Bedachten, JZ 1983, 483; Leipold, Erbrecht 1995, JZ 1996, 287; Loritz, Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis, NJW 1988, 2697; Mattern, Einzelzuweisungen von Todes wegen, DNotZ 1963, 450; Mayer, Neues zum Berliner Testament auf Grund der Erbschaftsteuerreform?, ZEV 1997, 325; Menz, Die Regelung der Unternehmensnachfolge bei noch jugendlichen Erben, I. Stellungnahme, DB 1966, 1719; Muscheler, Testamentsvollstreckung und Vermächtnis, ZEV 2011, 230; Muscheler, Das gemeinschaftliche Vermächtnis, NJW 2012, 1399; von Oertzen, Wertsicherungsklauseln in letztwilligen Verfügungen, ZEV 1994, 160 f.; Otte, 10 Jahre ZEV: Die Entwicklung des Erbrechts von 1994 bis 2003, ZEV 2004, 9; Paus, Der Unternehmensnießbrauch, BB 1990, 1675; Petzoldt, Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen, DStR 1992, 1171; 348

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Nienaber

B VI

Vermächtnis

Spell, Vorzug eines Nachvermächtnisses durch den Testamentsvollstrecker, ZEV 2002, 5; Reymann, Das Vermächtnis des Kommanditisten, ZEV 2006, 307; Rossak, Problematik der gegenständlichen Beschränkung einer zeitlich gestuften Sukzession, insbesondere bei Vor- und Nacherbfolge, ZEV 2005, 14; Sarres, Erbrechtliche Auskunftsansprüche aus Treu und Glauben, ZEV 2001, 225; Schlichting, Schuldrechtsmodernisierung im Erbrecht, ZEV 2002, 478; Schlieper, Vor- und Nacherbschaft oder Nießbrauchsvermächtnis – Zur zweckmäßigen Gestaltung der Verfügung von Todes wegen, MittRhNotK 1995, 249; Schmidt, Stimmrecht beim Anteilsnießbrauch, Besprechung des Urteils BGH, NJW 1999, 571, ZGR 1999, 600; Schön, Der Nießbrauch am Gesellschaftsanteil, ZHR 158 (1994), 229; Schwarz, Herausgabevermächtnis und Drittbestimmungsverbot: Lösung über kumulative Zweckauflage?, ZEV 2011, 292; Sudhoff, Die Regelung der Unternehmensnachfolge bei noch jugendlichen Erben, II. Stellungnahme, DB 1966, 1720; Sudhoff, Der Nießbrauch am Anteil einer Personengesellschaft, NJW 1971, 481 ff.; Streck, Durch Vermächtnis auferlegte Renten und dauerhafte Lasten: Eine Steuerfalle seit dem Jahressteuergesetz 2008?, DStR 2011, 959; Tersteegen, Behindertentestament – aktuelle Entwicklungen aus sozialrechtlicher Sicht, ZErbR 2013, 141; Tersteegen, Vermächtnisweise Zuwendung von Grundstücken und Rechten an Grundstücken, ZEerb 2013, 282 und 313; Tiedtke/Peterek, Zurechnung von Einkünften, die zwischen Erbfall und Vermächtniserfüllung anfallen, ZEV 2007, 349; Zawar, Gedanken zum bedingten oder befristeten Rechtserwerb, NJW 2007, 2353.

Rz.

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Das Vermächtnis im Verhältnis zu anderen erbrechtlichen Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . .

6

1. Das Vorausvermächtnis und die Teilungsanordnung a) Die Unterschiede zwischen der Teilungsanordnung und dem Vorausvermächtnis . . . . . aa) Die Ausgleichspflicht bei der Teilungsanordnung . . bb) Die Ausschlagungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Haftung . . . . . . . . . . . . dd) Die Geltendmachung von Vermächtnis und Teilungsanordnung . . . . . . ee) Das gemeinschaftliche Testament, der Erbvertrag, die Testamentsvollstreckung und die Nachlassverwaltung . . . . . ff) Die Stellung des Vorerben b) Die Möglichkeiten einer Angleichung von Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Vermächtnis und die Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . 3. Das Vermächtnis und die Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8 9 12 13 14

15 16

18 22 26

Rz.

4. Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung bei nicht eindeutiger letztwilliger Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung . b) Die Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung . . . . . . . . . c) Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Auflage . . . . III. Die Person des Vermächtnisnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch den Erblasser . 2. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch Dritte . . . . . . . a) Die Drittbestimmung nach § 2151 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmbarer Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Bestimmungsberechtigte . . . . . . . . . . . . . cc) Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers . . . . b) Das Personenwahlvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Person des Vermächtnisnehmers bei besonderen Vermächtnisarten . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Ersatzvermächtnis . . . . . . Nienaber

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27 28 30 31 32 36 37 39 40 43 46 54 55 56 349

B VI

Vermächtnis Rz.

Rz.

b) Das Nachvermächtnis . . . . . . . c) Das Untervermächtnis . . . . . . d) Das gemeinschaftliche Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Vorausvermächtnis . . . . .

58 62

bb) Der Nießbrauch an einem GmbH-Anteil . . . . . . . . . . . 129 cc) Der Nießbrauch an einer Aktie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 f) Das Rentenvermächtnis . . . . . 131

IV. Die Person des Beschwerten . . . .

66

1. Der Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Vermächtnisnehmer . . . . . . . 3. Der Begünstigte einer Schenkung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . 4. Mehrere Beschwerte . . . . . . . . . . . 5. Der Wegfall des Beschwerten . . .

67 71

V. Der Vermächtnisgegenstand . . . .

77

1. Das Stückvermächtnis . . . . . . . . . 2. Das Verschaffungsvermächtnis . . a) Der Verschaffungswille des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die lebzeitige Verfügung des Erblassers über den Vermächtnisgegenstand . . . . . . . . c) Die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs aus einem Verschaffungsvermächtnis . . . d) Der Wertersatz . . . . . . . . . . . . . 3. Das Wahlvermächtnis . . . . . . . . . . 4. Das Gattungsvermächtnis . . . . . . 5. Das Zweckvermächtnis . . . . . . . . 6. Das Universalvermächtnis . . . . . . 7. Das Unternehmen als Vermächtnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftsrechtliche Vorbedingungen . . . . . . . . . . . . b) Gestaltung und Folgen des Unternehmensvermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Das Nießbrauchsvermächtnis . . . a) Die Unterschiede zwischen Nießbrauchsvermächtnis und Vorerbschaft . . . . . . . . . . . . b) Die Bestellung des Nießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Modifikation der Rechte und Pflichten des Nießbrauchers durch Anordnungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . d) Der dingliche und der „obligatorische“ Nießbrauch . e) Der Nießbrauch an einem Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Nießbrauch an einer Personenhandelsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78 83

350

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Nienaber

63 65

72 73 74

84 85 86 87 89 92 96 97 97a 97b 97e 98

VI. Die Wirksamkeit des Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 VII. Der Anfall und die Fälligkeit des Vermächtnisses 1. Der Anfall des Vermächtnisses . . 138 2. Die Fälligkeit des Vermächtnisses 143 VIII. Die Annahme und die Ausschlagung des Vermächtnisses . . . . . . . 145 IX. Die Sicherung des Vermächtnisanspruchs 1. Die Sicherungsmöglichkeiten ohne besondere Anordnungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Sicherung eines Vermächtnisanspruchs auf Übertragung eines Grundstücks . . . b) Die Sicherung eines aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnisanspruchs durch die §§ 160, 162 BGB . . . c) Arrest und einstweilige Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sicherungsmöglichkeiten aufgrund besonderer Anordnungen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . .

147 148

149 151 152

X. Die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs . . . . . . . . . . . . 158 XI. Die Nutzungen und Früchte des Vermächtnisgegenstandes . . . . . . 160 XII. Die Haftung des Beschwerten

99 106

109 111 112 120

1. Die Haftung des Erben . . . . . . . . . a) Die Überschwerungseinrede . b) Die Rechts- und Sachmängelhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Rechts- und Sachmängelhaftung beim Stückvermächtnis . . . . . . . bb) Die Rechtsmängelhaftung beim Gattungs- und Verschaffungsvermächtnis . . cc) Die Sachmängelhaftung beim Gattungsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verjährung . . . . . . . . . . . . .

162 163 166 167 169 173 174

Vermächtnis

c) Die Haftung für die Kosten der Vermächtniserfüllung . . . . 2. Die Haftung des beschwerten Vermächtnisnehmers . . . . . . . . . . a) Die Beschränkung auf das Erlangte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Kürzungsrecht . . . . . . . . . . c) Die Rechts- und Sachmängelhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Haftung bei einer Mehrheit von Beschwerten . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Haftung des Beschwerten bei Vorerfüllung des Erblassers . .

Rz. 3

B VI

Rz.

Rz.

175

2. Die Haftung des Vermächtnisnehmers für Schulden des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

176 177 179 180 181 185

XIII. Die Haftung des Vermächtnisnehmers

XIV. Die steuerrechtliche Behandlung des Vermächtnisses . . . . . . . 190 1. Die Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . 2. Die Einkommensteuer . . . . . . . . . 3. Die Besonderheiten beim Nachvermächtnis und beim bedingten Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Nießbrauchsvermächtnis . . . 5. Das Rentenvermächtnis . . . . . . . .

191 193 194 196 199

XV. Das Vermächtnis in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

1. Der Verwendungsersatz . . . . . . . . 186

I. Überblick Der Erblasser denkt häufig nicht in Erbquoten, sondern möchte eine gegenständliche Verteilung seines Nachlasses vornehmen1. Ein Mittel für die gegenständliche Verteilung des Nachlasses ist das Vermächtnis. Hauptanwendungsfall des Vermächtnisses ist nach wie vor die Zuwendung von Geld oder Wertgegenständen an Personen, die dem Erblasser nahe stehen, ohne zu dessen engerer Familie zu gehören2. Da das Vermächtnis in vielen Bereichen wesentlich flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten als eine Erbeinsetzung bietet, hat es als Mittel erbrechtlicher Gestaltungen jedoch auch darüber hinaus große Bedeutung. Vor allem im Bereich der Unternehmensnachfolge kann durch die Aussetzung von Vermächtnissen den besonderen Bedürfnissen bei einem erbrechtlich bedingten Generationswechsel Rechnung getragen werden.

1

Ein Vermächtnis ist die Zuwendung eines Vermögensvorteils von Todes wegen, die weder Erbeinsetzung noch Auflage ist. Oft wird mit dem Begriff des Vermächtnisses sowohl die Verfügung des Erblassers, das hieraus resultierende Recht des Bedachten sowie der zugewendete Vermögensvorteil selbst bezeichnet.

2

Das Vermächtnis ist keine Erbeinsetzung. Es begründet kein dingliches Recht am Vermächtnisgegenstand, sondern lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch des Bedachten gegen den Beschwerten (i.d.R. Erbe, § 2147 S. 2 BGB)3 auf die Leistung des vermachten Gegenstandes (§ 2174 BGB). Der Vermächtnisnehmer ist also Nachlassgläubiger und wird erst durch das selbstständige Erfül-

3

1 Eidenmüller, JA 1991, 150. 2 MüKo.BGB/Rudy, Vor § 2147 Rz. 8. 3 Ist der Beschwerte Vermächtnisnehmer, handelt es sich um ein Untervermächtnis. Vgl. hierzu Rz. 71. Nienaber

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Rz. 4

Vermächtnis

lungsgeschäft seitens des Beschwerten zum dinglich Berechtigten. Für das Erfüllungsgeschäft gelten die allgemeinen Regeln1. 4

Der Erblasser kann ein Vermächtnis in einem Testament oder in einem Erbvertrag aussetzen. Auch wenn die Bezeichnung als Vermächtnis nicht ausdrücklich verwendet wird, ist bei der Zuwendung einzelner Gegenstände nach § 2087 Abs. 2 BGB im Zweifel von einem Vermächtnis und nicht von einer Erbeinsetzung auszugehen (näher Rz. 28 f.). Um Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen erbrechtlichen Anordnungen zu vermeiden, sollte eine testamentarische oder erbvertragliche Bestimmung ausdrücklich als Vermächtnis bezeichnet werden.

5

Sog. gesetzliche Vermächtnisse, auf welche die Regeln der §§ 2147 ff. BGB entsprechende Anwendung finden, bestehen hinsichtlich des Voraus des Ehegatten (§ 1932 BGB) sowie beim Dreißigsten (§ 1969 BGB).

II. Das Vermächtnis im Verhältnis zu anderen erbrechtlichen Gestaltungsformen 6

Die Gründe für die Anordnung eines Vermächtnisses können vielfältig sein. Es kann dem Erblasser allein darum gehen, einzelne Gegenstände – z.B. aus nostalgischen Erwägungen – bestimmten Personen zu vermachen. Ein Vermächtnis kann aber auch darüber hinausgehende Zwecke verfolgen. So kann der Erblasser etwa beabsichtigen, einem gesetzlichen Erben anstelle einer Erbenstellung „lediglich“ die Position eines Vermächtnisnehmers einzuräumen, um ihn nicht zum Mitglied einer Erbengemeinschaft zu machen (vgl. Rz. 22 ff.). In Form eines Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) (vgl. Rz. 65) kann der Erblasser dem Bedachten auch eine Doppelstellung als Erbe und Vermächtnisnehmer verschaffen, um ihn hierdurch – vor allem gegenüber Miterben – zu begünstigen oder hinsichtlich des Vermächtnisgegenstandes von einer Nachlasshaftung zu befreien. Im Einzelfall können auch steuerrechtliche Gründe für die Aussetzung eines Vermächtnisses sprechen. Zwar unterliegt das Vermächtnis ebenfalls der Erbschaftsteuer (näher Rz. 191), doch können vermächtnisweise Zuwendungen, die nicht den Gegenstand selbst, sondern nur dessen Nutzungen erfassen (z.B. ein Wohnrecht oder ein Nießbrauch), eine ausreichende Absicherung des Bedachten zu Lebzeiten gewähren, ohne ihn einer hohen Erbschaftsteuerbelastung auf die Substanz des genutzten Gegenstandes auszusetzen. Dieser Gedanke greift insbesondere, wenn der Bedachte keine Freibeträge in Anspruch nehmen kann und daher einer besonders hohen Erbschaftsteuerbelastung unterliegen würde2. 1. Das Vorausvermächtnis und die Teilungsanordnung

Beratungssituation: Der Mandant ist Eigentümer zweier gleichwertiger Grundstücke sowie einer wertvollen Kunstsammlung. Dieses Vermögen möchte der Mandant nach seinem Tod zwischen seinem Sohn und seiner 1 D.h., bewegliche Sachen werden nach §§ 929 ff. BGB, Grundstücke nach §§ 925, 873 BGB und Forderungen durch Abtretung nach § 398 BGB übertragen. Vgl. zum gutgläubigen lastenfreien Erwerb eines Grundstücks durch den Vermächtnisnehmer OLG Naumburg v. 25.2.2003 – 11 Wx 19/02, NJW 2003, 3209. 2 Grziwotz, FPR 2005, 283 (284 f.). 352

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 10

B VI

Tochter aufteilen. Jedes Kind soll ein Grundstück, der Sohn die Kunstsammlung erhalten. Der Mandant fragt, durch welche erbrechtlichen Gestaltungen er diese Aufteilung am besten gewährleisten kann. Beim Vorausvermächtnis wird der Bedachte gleichzeitig Vermächtnisnehmer und (Mit)Erbe. Sinnvoll ist ein Vorausvermächtnis etwa zugunsten des Vorerben, wenn der Vermächtnisgegenstand dem Vorerben frei von den Verfügungsbeschränkungen und Kontrollrechten des Nacherben zukommen soll1. Weiterhin eignet sich das Vorausvermächtnis zur gegenständlichen Aufteilung des Nachlasses zwischen mehreren Erben. Damit tritt es in Konkurrenz zur Teilungsanordnung (§ 2048 BGB, s. auch Kap. B III Rz. 4 ff.). Ob sich im Einzelfall ein Vorausvermächtnis oder eine Teilungsanordnung anbietet, muss vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Wirkungen beider Gestaltungsformen entschieden werden.

7

a) Die Unterschiede zwischen der Teilungsanordnung und dem Vorausvermächtnis Das Vorausvermächtnis und die Teilungsanordnung haben unterschiedliche Wirkungen2.

8

aa) Die Ausgleichspflicht bei der Teilungsanordnung Der BGH geht entgegen seiner früheren Rechtsprechung3 heute davon aus, dass eine Teilungsanordnung keine Wertverschiebung herbeiführen kann4. Trifft der Erblasser also eine Anordnung über die gegenständliche Auseinandersetzung des Nachlasses zwischen seinen gesetzlichen Erben, bringt er hierdurch zum Ausdruck, dass er die Höhe und den Wert der gesetzlichen Erbteile nicht verschieben, sondern im Gegenteil unangetastet lassen möchte5.

9

Führt die Teilungsanordnung des Erblassers zu einer von den gesetzlichen Erbquoten abweichenden Aufteilung des Nachlasses, wird hierdurch eine Ausgleichspflicht der Miterben untereinander ausgelöst. Die dem Miterben zugewiesenen Vermögensgegenstände werden auf ihren Erbanteil angerechnet und der die Erbquote übersteigende Anteil ist gegenüber den anderen Miterben ausgleichspflichtig6.

10

1 2 3 4

Fröhler, BWNotZ 2005, 1. Vgl. hierzu Klinger/Roth, NJW 2008, 263 ff. BGH v. 29.12.1961 – V ZR 229/60, LM § 2048 BGB Nr. 5. Zur Unzulässigkeit sog. wertverschiebender Teilungsanordnungen: BGH v. 23.9. 1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56; BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688 = NJW 1985, 51 (52); BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 (476); BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396 = NJW-RR 1990, 391 (392); BGH v. 25.10.1995 – IV ZR 362/94, NJW-RR 1996, 577. Diese Rechtsprechung wird auch von der h.M. im Schrifttum geteilt; vgl. z.B. Benk, MittRhNotK 1979, 53; Eidenmüller, JA 1991, 150 (155); Loritz, NJW 1988, 2697 (2705); Soergel/Wolf, § 2048 Rz. 8. 5 BGH v. 23.5.1984 – IVa ZR 185/82, FamRZ 1985, 62 (63); Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 1. 6 Benk, MittRhNotK 1979, 53 (54); Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 1; ist der Ausgleichspflichtige zur Zahlung des Ausgleichs nicht bereit, ist die Auseinandersetzungsanordnung nicht vollziehbar und daher unbeachtlich. Vgl. dazu Schlüter, Erbrecht, Rz. 898. Nienaber

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Vermächtnis

Diese Ausgleichspflicht besteht unabhängig von einer entsprechenden Anordnung des Erblassers, muss also nicht ausdrücklich festgelegt werden. Schon ein Schweigen in einer letztwilligen Verfügung spricht für einen Wertausgleich1. Da sich im Beispielsfall die Werte der Grundstücke decken, übersteigt die zusätzliche Zuwendung der Kunstsammlung den Erbteil des Sohnes. Auch die Kunstsammlung zum Gegenstand einer Erbschaft des Sohnes zu machen, bietet sich also vor allem an, wenn der Mandant seinen Sohn insoweit verpflichten möchte, der Tochter einen Wertausgleich zu zahlen. 11

Ist die Entscheidung des Erblassers über die Zuweisung eines bestimmten Gegenstandes hingegen von einem Begünstigungswillen getragen, ist die Anordnung eines Vorausvermächtnisses der einfachste Weg.2 Denn den mit einem Vorausvermächtnis bedachten Erben trifft gegenüber seinen Miterben keine Ausgleichspflicht. Möchte der Mandant im Beispielsfall seinem Sohn die Kunstsammlung also zusätzlich zum Grundstück zuteilen, ohne dass eine Ausgleichspflicht gegenüber der Tochter entsteht, so bietet sich die Anordnung eines Vorausvermächtnisses hinsichtlich der Kunstsammlung an.

M 39 Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis Mein Vermögen vererbe ich meinen beiden Kindern. Zur Teilung des Nachlasses verfüge ich, dass meine Tochter das Grundstück X und mein Sohn das Grundstück Y bekommen soll. Meinem Sohn vermache ich außerdem meine Kunstsammlung. Diese Zuwendung soll Vorausvermächtnis sein. Eine Ausgleichspflicht gegenüber meiner Tochter soll sie nicht begründen.

bb) Die Ausschlagungsmöglichkeiten 12

Wegen der rechtlichen Selbstständigkeit des Vorausvermächtnisses von der Erbschaft kann der Vorausbedachte das Vermächtnis annehmen und die Erbschaft ausschlagen (§§ 1943 ff. BGB) oder umgekehrt das Vermächtnis ausschlagen (§ 2180 BGB) und die Erbschaft annehmen. Eine Teilungsanordnung hingegen kann nicht isoliert „ausgeschlagen“ werden. Bei einer Erbschaft mit Teilungsanordnung bleibt dem bedachten Erben also nur die Möglichkeit, die gesamte Erbschaft auszuschlagen. Da durch die Ausschlagung i.d.R. auch der Pflichtteilsanspruch entfällt3, erhält der ausschlagende Erbe nichts aus dem Nachlass. Schlägt ein Pflichtteilsberechtigter hingegen ein (Voraus)Vermächtnis aus, entfallen nach § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB seine Pflichtteilsansprüche nicht. 1 BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396 (397); BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688; BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56. 2 Vgl. zum Begünstigungswillen als Indiz für ein Vorausvermächtnis OLG Karlsruhe v. 24.3.2005 – 9 U 152/04, ZEV 2005, 296; OLG Koblenz v. 27.11.2013 – 5 U 851/13 = FamRZ 2014, 874. 3 Eine Ausnahme gilt nur für den Ehegatten, der nach § 1371 Abs. 3 BGB auch bei einer Ausschlagung der Erbschaft sein Pflichtteilsrecht nicht verliert (s. aber auch § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB). 354

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Nienaber

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Rz. 18

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cc) Die Haftung Bei der Erbenhaftung gehört der Nachlassgegenstand, der einem Erben im Rahmen einer Teilungsanordnung zugewiesen wird, zum haftenden Nachlass1. Der Vermächtnisgegenstand haftet hingegen nach der Erfüllung des Vermächtnisses nicht mehr für die Nachlassverbindlichkeiten. Den Nachlassgläubigern bleibt allein die Möglichkeit, die Übertragung des Vermächtnisgegenstandes nach dem Anfechtungsgesetz oder nach § 322 InsO anzufechten (vgl. Rz. 200).

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dd) Die Geltendmachung von Vermächtnis und Teilungsanordnung Während eine Teilungsanordnung nur im Rahmen der Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft geltend gemacht werden kann (§ 2048 S. 1 BGB), kann der Vermächtnisnehmer seinen Anspruch bereits vor der Teilung des Nachlasses mittels einer Gesamthandsklage gegen die Erbengemeinschaft durchsetzen (§ 2059 Abs. 2 BGB). Im Falle der Nachlassinsolvenz (§ 1980 BGB, § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO; vgl. Rz. 200), der Dürftigkeit (§§ 1990, 1991 Abs. 4 BGB) oder Überschuldung (§ 1992 BGB; vgl. Rz. 163 ff.) des Nachlasses ist der Vermächtnisnehmer allerdings erst nachrangig nach anderen Nachlassgläubigern zu befriedigen.

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ee) Das gemeinschaftliche Testament, der Erbvertrag, die Testamentsvollstreckung und die Nachlassverwaltung Nur das Vermächtnis, nicht auch die Teilungsanordnung ist von der Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments (§ 2270 Abs. 3 BGB) oder eines Erbvertrags (§ 2278 Abs. 2 BGB) erfasst. Der Gegenstand eines Vorausvermächtnisses unterliegt nach seiner Übertragung an den Vermächtnisnehmer anders als das im Rahmen der Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft Erworbene nicht mehr einer Testamentsvollstreckung oder Nachlassverwaltung.

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ff) Die Stellung des Vorerben Ein entscheidender Grund für die Anordnung eines Vorausvermächtnisses anstelle einer Auseinandersetzungsanordnung kann der Umstand sein, dass der Gegenstand des Vorausvermächtnisses anders als das im Rahmen einer Erbschaft Übernommene nicht dem Nacherbenrecht unterfällt (§ 2110 Abs. 2 BGB).

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Ein Vermächtnis wird grundsätzlich nicht in den Erbschein aufgenommen. Ist allerdings der Vorerbe mit einem Vorausvermächtnis bedacht, sollte darauf geachtet werden, dass die hieraus i.d.R. für den Vermächtnisgegenstand resultierende Ausnahme von der Verfügungsbeschränkung des Vorerben im Erbschein angegeben wird2.

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b) Die Möglichkeiten einer Angleichung von Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis Bei der Auswahl zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung muss der beratende Anwalt oder Notar die unterschiedlichen Wirkungen beider erb1 BayObLG v. 30.7.1974 – 2Z 28/74, BayObLGZ 74, 312 (315); Loritz, NJW 1988, 2697 (2699). 2 Palandt/Weidlich, § 2363 Rz. 4. Nienaber

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rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der Motive des Mandanten für die gewünschte Aufteilung seines Nachlasses überprüfen. Dabei muss er jedoch berücksichtigen, dass durch entsprechende testamentarische oder erbvertragliche Bestimmungen die Rechtswirkungen von Teilungsanordnung und Vermächtnis in vieler Hinsicht einander angeglichen werden können. Sofern die unterschiedlichen Wirkungen von Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis also zur Disposition des Erblassers stehen, müssen sie bei der Auswahlentscheidung des Erblassers zwischen beiden Gestaltungsformen nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein. 19

Durch eine abweichende Bestimmung des Erblassers können folgende Wirkungen einander angeglichen werden: – Die alternativen Ausschlagungsmöglichkeiten aufgrund der rechtlichen Selbstständigkeit von Erbschaft und Vorausvermächtnis können dadurch aufgehoben werden, dass die Annahme der Erbschaft bzw. des Vorausvermächtnisses zur Bedingung der Erben- bzw. Vermächtnisnehmerstellung gemacht wird1. – Die Geltendmachung des Vorausvermächtnisses schon vor der Auseinandersetzung des Nachlasses kann dadurch verhindert werden, dass das Vorausvermächtnis auf den Erbauseinandersetzungszeitpunkt befristet oder betagt oder an die Bedingung der gleichzeitigen Durchführung der Erbauseinandersetzung geknüpft wird2. – Die Bindungswirkung von gemeinschaftlichem Testament und Erbvertrag kann auf die Teilungsanordnung erstreckt werden, indem die Gegenverfügung des Ehegatten oder die übrigen erbvertraglichen Bestimmungen durch die Durchführung der Teilungsanordnung bedingt werden3. – Die Testamentsvollstreckung sowie die Nachlassverwaltung können (nur oder auch) zur Verwaltung des Vermächtnisgegenstandes angeordnet werden4. (Näheres unter Kap. C IX Rz. 61 ff.). – Das Nacherbenrecht kann vom Erblasser auch auf den Vermächtnisgegenstand erstreckt werden (§ 2110 Abs. 2 BGB: „im Zweifel“).

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Unabänderliche Unterschiede zwischen der Teilungsordnung und dem Vorausvermächtnis sind vor allem – die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten, die für den Vorausvermächtnisnehmer hinsichtlich des Vermächtnisgegenstandes nach der Erfüllung des Vermächtnisses nicht mehr besteht, und – die Ausgleichspflicht der Erben untereinander für die im Rahmen einer Teilungsanordnung erfolgte Zuweisung von Vermögensgegenständen, welche den Wert der Erbquote übersteigen.

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Da die h.M. eine sog. wertverschiebende Teilungsanordnung nicht zulässt (vgl. Rz. 9), kann die Ausgleichspflicht durch den Erblasser bei einer Teilungsanordnung nicht ausgeschlossen werden. Will der Erblasser einen bestimmten Gegen1 2 3 4

Mattern, DNotZ 1963, 450 (455). Mattern, DNotZ 1963, 450 (455). Benk, MittRhNotK 1979, 53 (56). BGH v. 29.4.1954 – IV ZR 152/53, BGHZ 13, 203 (205).

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B VI

stand dennoch unbedingt im Wege der Erbfolge und nicht durch ein Vermächtnis auf seinen Rechtsnachfolger übertragen, ohne hierdurch eine Ausgleichspflicht gegenüber den Miterben zu begründen, kann er allerdings durch die gegenständliche Aufteilung des Nachlasses die Erbquoten entsprechend dem Wert der im Einzelnen zugewiesenen Nachlassgegenstände bestimmen. Eine solche Bestimmung der Erbquoten durch die gegenständliche Verteilung des Nachlasses ist zulässig1. Allerdings sollte der Erblasser diesen Willen zur Bestimmung der Erbquoten durch die Aufteilung des Nachlasses in der letztwilligen Verfügung deutlich zum Ausdruck bringen, da die Gerichte seine Anordnung sonst entgegen dem anders lautenden Wortlaut als Aussetzung eines Vermächtnisses auslegen könnten.

M 40 Bestimmung der Erbquoten durch eine Teilungsanordnung Meine Erben sind meine beiden Kinder. Zur Aufteilung des Nachlasses bestimme ich, dass meine Tochter das Grundstück X und mein Sohn das Grundstück Y sowie die Kunstsammlung erhält. Die Erbquoten meiner Kinder sollen sich nach dem Wert der ihnen im Wege dieser Teilungsanordnung zugewiesenen Nachlassgegenstände bestimmen.

2. Das Vermächtnis und die Teilungsanordnung Dem Erblasser kann es besonders darauf ankommen, dass der Bedachte nicht Mitglied der Erbengemeinschaft wird.

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Beratungssituation: Der Mandant ist Inhaber eines mittelständischen Unternehmens. Eines seiner drei Kinder ist geistig behindert. Diesem Kind möchte der Mandant einen gleichwertigen Anteil am Nachlass zukommen lassen, es aber im Interesse einer effektiven Fortführung des Unternehmens von der Unternehmensleitung ausschließen. Die Zusammensetzung einer Erbengemeinschaft, insbesondere die Fähigkeit und Bereitschaft, miteinander Entscheidungen zu treffen, ist vor allem bei der Vererbung eines Unternehmens von erheblicher Bedeutung. Möchte der Erblasser verhindern, dass ein gesetzlicher Erbe Mitglied einer Erbengemeinschaft wird, will er ihm aber dennoch Vermögen im Wert seines Erb- oder Pflichtteils zukommen lassen, bietet sich die Anordnung eines Vermächtnisses an2.

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Wird zugunsten eines gesetzlichen Erben ein Vermächtnis angeordnet, liegt hierin allerdings keine Enterbung, sondern zunächst ein Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB; vgl. Rz. 65). Will der Erblasser also die Beteiligung eines gesetzlichen Erben an einer Miterbengemeinschaft durch ein Vermächtnis ersetzen, muss er ihn zusätzlich zur Anordnung des Vermächtnisses enterben. Die Anordnung eines Vermächtnisses zugunsten eines enterbten gesetzlichen Erben hat Auswirkungen auf den Pflichtteil. Nach § 2307 BGB kann der Vermächtnisneh-

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1 BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 59/88, MDR 1990, 605 = FamRZ 1990, 396 = NJW-RR 1990, 391 (392 f.); Eidenmüller, JA 1991, 150 (151 f.). 2 Vgl. zu den weiteren Vorteilen einer Vermächtnislösung vor allem bei Testamenten zugunsten geistig behinderter Menschen: Joussen, NJW 2003, 1851 (1852 ff.). Nienaber

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Vermächtnis

mer das Vermächtnis ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil verlangen. Schlägt er das Vermächtnis nicht aus, hat er einen Anspruch auf den Pflichtteilsrest, sofern der Wert des Vermächtnisses den Wert des Pflichtteils nicht erreicht (§ 2307 Abs. 1 S. 2 BGB; vgl. hierzu auch Kap. C VI Rz. 172). 25

Das Ziel, einen gesetzlichen Erben aus einer Erbengemeinschaft auszuschließen, kann dauerhaft auch durch eine Teilungsanordnung erreicht werden (§ 2048 BGB). Bis zur Teilung besteht die Erbengemeinschaft allerdings. Nimmt die Auseinandersetzung längere Zeit in Anspruch, können sich die vom Erblasser befürchteten Schwierigkeiten im Rahmen der Erbengemeinschaft auswirken und daher einer effektiven Verwaltung des Nachlasses – z.B. eines Unternehmens – entgegenstehen.

M 41 Vermächtnis zugunsten eines gesetzlichen Erben Hiermit enterbe ich meinen Sohn S. Ich vermache ihm … Euro.

3. Das Vermächtnis und die Auflage 26

Möchte der Erblasser dem Bedachten keinen eigenen klagbaren Anspruch auf die Leistung des ihm zugedachten Vermögensvorteils einräumen, bietet sich die Anordnung einer Auflage an. Denn die Auflage begründet zwar wie das Vermächtnis eine Leistungspflicht für den Beschwerten, aber keinen Leistungsanspruch für den Bedachten. Die Erfüllung der Auflage können nur die in § 2194 BGB benannten Personen verlangen. Möchte der Erblasser den Leistungsdruck auf den Beschwerten bei einer Auflage erhöhen, bietet sich an, die Vollziehung der Auflage zur aufschiebenden oder auflösenden Bedingung für den Anfall bzw. den Erhalt der erbrechtlich veranlassten Zuwendung zu machen.

26a

Neben der Versagung eines eigenen Leistungsanspruchs kann noch ein weiterer Gesichtspunkt für die Anordnung einer Auflage anstelle eines Vermächtnisses sprechen: Kann der Erblasser sich hinsichtlich der Person des Bedachten noch nicht festlegen, kann er dessen Bestimmung einem Dritten überlassen. Hat der Erblasser noch nicht einmal konkrete Vorstellungen über den begünstigten Personenkreis, kommt allein die Anordnung einer Auflage in Betracht, weil die Drittbestimmung eines Vermächtnisnehmers nur zulässig ist, wenn der Kreis der möglichen Vermächtnisnehmer hinreichend bestimmbar ist (vgl. Rz. 40 ff.; s. auch Kap. B V.) 4. Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung bei nicht eindeutiger letztwilliger Verfügung

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Wird der Anwalt bereits bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung beratend tätig, kann er dafür Sorge tragen, dass die Anordnungen des Erblassers so zweifelsfrei formuliert werden, dass Abgrenzungsschwierigkeiten nach dem Erbfall nicht auftreten. Hat der Erblasser seine letztwillige Verfügung aber ohne anwaltliche Beratung abgefasst, fehlt es häufig an der wünschenswerten Eindeutigkeit. Selbst notariell begleitete Verfügungen weisen leider nicht selten Unklarheiten auf. Aus diesem Grunde ist bei der anwaltlichen Beratung des Bedachten oder 358

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Vermächtnis

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B VI

Beschwerten häufig nicht zweifelsfrei, ob ein Vermächtnis, eine Erbeinsetzung oder lediglich eine Auflage angeordnet worden ist. a) Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung

Beratungssituation: Der Nachlass des Erblassers besteht aus einem Grundstück und einem erheblichen Aktienvermögen. Der Wert des Grundstücks und der des Aktienvermögens sind ungefähr identisch. Im Testament des Erblassers heißt es: „Ich vermache mein Vermögen meinen drei Kindern. Meine Tochter B soll das Grundstück erhalten. Meinem Freund F vererbe ich meine Angelausrüstung.“ Für die Auslegung einer letztwilligen Verfügung sind die Bezeichnungen „Erbe“ und „Vermächtnis“ nicht unbedingt ausschlaggebend. Nach § 2087 Abs. 2 BGB ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass der Bedachte Erbe sein soll, sofern ihm nur einzelne Gegenstände zugewendet worden sind, selbst wenn er als Erbe bezeichnet ist (§ 2087 Abs. 2 BGB). Entscheidendes Auslegungskriterium für die Abgrenzung zwischen Erbschaft und Vermächtnis ist das Wertverhältnis der zugewandten Gegenstände zum Wert des Nachlasses1. Erschöpfen die Einzelzuwendungen den nahezu gesamten Nachlass, so kann entgegen der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB eine Erbeinsetzung angenommen werden2. Größere Bedeutung kann den Begrifflichkeiten einer letztwilligen Verfügung nur beigemessen werden, wenn der Testierende anwaltlich beraten war oder selbst über hinreichende Rechtskenntnisse verfügt hat.

28

Im Beispielsfall kann also trotz der Formulierung „Meinem Freund F vererbe ich meine Angelausrüstung.“ nicht von einer Erbschaft ausgegangen werden. Angesichts des geringen Wertes der Angelausrüstung im Verhältnis zum Gesamtnachlasswert liegt hier ein Vermächtnis vor. Wendet der Erblasser umgekehrt nicht einzelne Gegenstände, sondern sein Vermögen als ganzes oder einen Bruchteil hiervon zu, so ist hierin nach § 2087 Abs. 1 BGB eine Erbeinsetzung zu sehen, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist. Auch diese Auslegungsregel ist allerdings widerlegbar. Es kann sich hierbei auch um ein Universal- oder Quotenvermächtnis3 handeln. Obwohl der Erblasser im Beispielsfall also seinen drei Kindern sein Vermögen zu gleichen Teilen „vermacht“, ist hierin eine Erbeinsetzung zu sehen, da die Anordnung das gesamte Vermögen des Erblassers erfasst. 1 BGH v. 22.3.1972 – IV ZR 134/70, FamRZ 1972, 561 (563); BayObLG v. 7.6.1994 – 1 ZBR 69/93, BayObLG v. 7.6.1994 – 1Z BR 69/93, FamRZ 1995, 246 (248); BayObLG v. 25.3.1999 – 1Z BR 102/98, BayObLG v. 25.3.1999 – 1Z BR 102/98, NJW-RR 1999, 1021. 2 BayObLG v. 19.12.1996 – 1 ZR 107/96, BayObLG v. 19.12.1996 – 1Z BR 107/96, FamRZ 1997, 1177 = NJW-RR 1997, 517 (518); OLG Düsseldorf v. 28.4.1995 – 7 U 113/94, FamRZ 1995, 1299 = ZEV 1995, 410 (411); OLG Köln v. 5.12.1988 – 2 Wx 49/88, FamRZ 1989, 549 (550); OLG München v. 21.5.2007 – 31 Wx 120/06, FamRZ 2008, 187 = ZEV 2007, 383 (384); Palandt/Weidlich, § 2087 Rz. 3. 3 Zur Zulässigkeit eines Quotenvermächtnisses z.B.: BGH v. 25.5.1960 – V ZR 57/59, NJW 1960, 1759; BayObLG v. 17.1.1996 – 1 ZBR 84/95, BayObLG v. 17.1.1996 – 1Z BR 84/95, NJW-RR 1996, 1478; zur Zulässigkeit eines Universalvermächtnisses z.B.: Dobroschke, DB 1967, 803 (805); Klunzinger, BB 1970, 1197 (1199). Nienaber

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B VI

Rz. 30

Vermächtnis

b) Die Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung 30

Abgrenzungsprobleme können sich aber nicht nur zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung, sondern darüber hinaus zwischen einem Vorausvermächtnis und einer Teilungsanordnung ergeben. Insoweit wurde bereits darauf hingewiesen, dass entscheidendes Motiv für die Anordnung eines Vorausvermächtnisses der Begünstigungswille des Erblassers ist (vgl. Rz. 11). Fehlen insoweit deutliche Hinweise in der letztwilligen Verfügung, so muss eine oft schwierige Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung durch Auslegung erfolgen1. Ist ein Wille des Erblassers bezüglich einer Ausgleichspflicht nicht erkennbar, muss der Sinn ermittelt werden, der dem mutmaßlichen Erblasserwillen am ehesten entspricht2. Ein dem Erblasser bekannter objektiver Vermögensvorteil ist ein Indiz für einen Begünstigungswillen und damit ein Vorausvermächtnis. War dem Erblasser die wertmäßige Begünstigung hingegen nicht bewusst und lässt sich der letztwilligen Verfügung eine zusätzliche Zuwendung des Mehrwerts nicht entnehmen, ist grundsätzlich von einer nicht wertverschiebenden Teilungsanordnung auszugehen3. Da allerdings die Ausgleichspflicht nicht der einzige Unterschied zwischen einem Vorausvermächtnis und einer Teilungsanordnung ist, ist diese Auslegung nicht zwingend, sondern es muss stets überprüft werden, ob die Zuwendung eines bestimmten Vermögensgegenstands auf anderen als die Ausgleichspflicht betreffenden Gründen beruht.

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Im Beispielsfall stellt sich die Frage, ob die Zuwendung des Grundstücks an die Tochter B ein Vorausvermächtnis ist und die Tochter das Grundstück also zusätzlich zu einem Drittel vom Aktienvermögen erhalten soll. Es kann sich aber auch um eine Teilungsanordnung handeln, so dass die Tochter einer Ausgleichspflicht gegenüber ihren Geschwistern ausgesetzt wäre, da der Wert des Grundstücks höher als ein Drittel des Nachlasswertes ist. Die letztwillige Verfügung gibt hierüber wenig Aufschluss. Kann ein Wille des Erblassers nicht mehr ermittelt werden, muss geprüft werden, ob er den Mehrwert des Grundstückes kannte. Hierin könnte ein Indiz für einen Begünstigungswillen gesehen werden. Im Zweifel ist von einer nicht wertverschiebenden Teilungsanordnung auszugehen, mit der Konsequenz, dass eine Ausgleichspflicht der Tochter gegenüber ihren Geschwistern besteht. c) Die Abgrenzung zwischen Vermächtnis und Auflage

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Maßgebliches Auslegungskriterium für die Unterscheidung zwischen der Anordnung eines Vermächtnisses und einer Auflage ist, ob der Erblasser dem Bedachten einen eigenen klagbaren Anspruch auf die Leistung geben wollte (Vermächtnis), oder ob lediglich eine Leistungspflicht des Beschwerten, aber kein Leistungsanspruch des Bedachten begründet werden sollte (Auflage; vgl. auch Rz. 26). 1 Vgl. dazu Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 7. 2 BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 = MDR 1983, 293 = FamRZ 1983, 383 (45); BGH v. 23.5.1984 – IVa ZR 185/82, FamRZ 1985, 62 (63). 3 BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688 = NJW 1985, 51 (52); BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 (476); Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 7. 360

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Vermächtnis

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III. Die Person des Vermächtnisnehmers Vermächtnisnehmer kann jede rechtsfähige Person sein, also sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person.

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Auch eine Leibesfrucht kann Vermächtnisnehmer sein (§ 1923 Abs. 2 BGB), der Vermächtnisnehmer muss zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht einmal erzeugt sein (§ 2178 BGB). Das Vermächtnis fällt dem beim Erbfall noch nicht erzeugten Vermächtnisnehmer im Zeitpunkt seiner Geburt an (§ 2178 BGB). Bis dahin unterfällt das Recht der Leibesfrucht den Vorschriften über (aufschiebend) bedingte Vermächtnisse (§ 2179 BGB; vgl. zu bedingten Vermächtnissen Rz. 139 ff., 149, 157). Wird der Vermächtnisnehmer allerdings nicht innerhalb einer Frist von 30 Jahren gezeugt, wird das Vermächtnis unwirksam (§ 2162 Abs. 2 BGB). § 2178 BGB gilt für beim Erbfall noch nicht entstandene juristische Personen entsprechend1.

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Erlebt der Vermächtnisnehmer den Erbfall nicht mehr, wird das Vermächtnis unwirksam (§ 2160 BGB). Möchte der Erblasser den vermachten Gegenstand in diesem Fall nicht dem Erben, sondern einem Dritten zuwenden, muss er einen Ersatzvermächtnisnehmer bestimmen (§ 2190 BGB) (vgl. zum Ersatzvermächtnis Rz. 56 f.).

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Will der Erblasser einen Gegenstand mehreren Vermächtnisnehmern zuwenden, so sind sie ohne eine abweichende Bestimmung des Erblassers im Zweifel zu gleichen Bruchteilen bedacht (§ 2157 BGB i.V.m. §§ 2091, 2093, 741 ff. BGB). Fällt einer der Vermächtnisnehmer vor dem Erbfall weg und hat der Erblasser keinen Ersatzvermächtnisnehmer bestimmt, wächst sein Anteil den übrigen Vermächtnisnehmern an (§§ 2158, 2159 BGB), sofern der Erblasser die Anwachsung nicht ausgeschlossen hat (§ 2158 Abs. 2 BGB; vgl. zum gemeinschaftlichen Vermächtnis Rz. 63 f.).

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1. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch den Erblasser I.d.R. benennt der Erblasser selbst den Vermächtnisnehmer. In Einzelfällen kann die Bestimmung des Vermächtnisnehmers aber auch durch Dritte erfolgen.

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2. Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers durch Dritte Der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit letztwilliger Verfügungen (§ 2065 Abs. 2 BGB) eröffnet nur wenige Möglichkeiten, die Bestimmung des Vermögensnachfolgers einem Dritten zu überlassen. Während die Drittbestimmung des Erben lediglich als feststellende Bezeichnung nach vom Erblasser genau festgelegten sachlichen Kriterien möglich ist2, kann hinsichtlich der Auswahl der Person des Vermächtnisnehmers der vom Erblasser ermächtigte Dritte eine echte freie Ermessensentscheidung treffen3. Möchte der Erblasser die Entscheidung über die Person eines von ihm bedachten Vermögensnachfolgers also einem Dritten 1 Palandt/Weidlich, § 2178 Rz. 2. 2 BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, NJW 1955, 100 (101); BGH v. 14.7.1965 – V BLw 11/65, NJW 1965, 2201; BGH v. 31.1.1969 – V BLw 21/68, WM 1969, 664 f. 3 Nieder/Kössinger/Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, § 3 Rz. 47. Nienaber

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Rz. 38

Vermächtnis

überlassen, bietet sich die Aussetzung eines Vermächtnisses an. Gegenüber der Drittbezeichnung eines Erben hat diese Gestaltungsform den Vorteil, dass die Voraussetzungen für eine zulässige Drittbestimmung im Vermächtnisrecht nicht so eng sind (§§ 2151, 2152 BGB) wie bei der Drittbezeichnung des Erben. Aufgrund dieser engen Voraussetzungen bildet die Drittbezeichnung des Erben einen „schwankenden Boden“ für eine wirksame letztwillige Anordnung, da bis zur Rechtskraft eines Urteils zweifelhaft sein kann, ob die Bestimmtheit des Erben in der letztwilligen Verfügung ausreicht, um einen Verstoß gegen § 2065 Abs. 2 BGB zu vermeiden1. Die Anordnung eines Vermächtnisses stellt indes eine sichere Möglichkeit für eine zulässige Drittbestimmung des Vermögensnachfolgers dar2. 38

Vor diesem Hintergrund ist das Vermächtnis vor allem für die erbrechtliche Regelung der Unternehmensnachfolge bei noch jugendlichen Abkömmlingen von großem Interesse, da es dem Erblasser hier häufig noch nicht möglich ist, unter seinen Abkömmlingen einen geeigneten Unternehmensnachfolger auszuwählen. a) Die Drittbestimmung nach § 2151 BGB

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Nach § 2151 BGB muss der Erblasser – einen bestimmbaren Personenkreis bezeichnen, – aus dem der Bestimmungsberechtigte den Vermächtnisnehmer – durch formlose, empfangsbedürftige Willenserklärung auszuwählen hat. aa) Bestimmbarer Personenkreis

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Obwohl § 2151 BGB uneingeschränkt von der Bestimmung (irgend)eines Vermächtnisnehmers durch einen Dritten spricht, kann der Erblasser die Auswahl des Vermächtnisnehmers nach allgemeiner Meinung nicht völlig in das Belieben eines Dritten stellen. Vielmehr muss der Personenkreis, aus dem der Dritte den Vermächtnisnehmer bestimmen darf, hinreichend genau bestimmt sein3. Der Personenkreis muss allerdings nicht so eng begrenzt sein wie bei der Erbenauswahlermächtigung4. Vielmehr reicht aus, dass der Personenkreis überschaubar ist und durch den Erblasser so genau bestimmt ist, dass sich die Zugehörigkeit zu diesem Kreis zweifelsfrei ergibt5. Die Zahl der Angehörigen des Personenkreises darf allerdings nicht allzu weit ausgedehnt werden6. Da die Angehörigen des vom Erblasser bezeichneten Personenkreises Gesamtgläubiger werden, wenn der Bestimmungsberechtigte die Bestimmung nicht treffen kann (§ 2151 Abs. 3 BGB), muss der Erblasser den Personenkreis so bestimmen, dass die Bedachten 1 Dobroschke, DB 1967, 803. 2 BeckOK/Litzenburger, § 2065 Rz. 16. 3 RG v. 13.5.1919 – VII 89/19, RGZ 96, 15 (19); OLG Düsseldorf v. 4.12.1923 – 8 U 376 und 402/24, JW 1925, 2147; MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 1. 4 Nieder/Kössinger/Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, § 3 Rz. 47. 5 Soergel/Wolf, § 2151 Rz. 2. 6 Lange/Kuchinke, § 29 III 2b; Nieder/Kössinger/Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, § 3 Rz. 47. 362

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Vermächtnis

Rz. 44

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gegebenenfalls als Gesamtgläubiger vorstellbar sind1. Zu dem bestimmbaren Personenkreis können auch der Bestimmungsberechtigte selbst und der Beschwerte gehören2. Das gilt auch für den beschwerten Erbe, da § 2151 BGB auch auf das Vorausvermächtnis Anwendung findet3. Änderungen im Personenkreis der Bedachten sind i.d.R. ohne Belang. Entscheidend ist grundsätzlich die Angehörigkeit zum bedachten Personenkreis zur Zeit der Bestimmung. Auch eine Person, die erst nach dem Erbfall geboren wird, kann bei Angehörigkeit zum bedachten Personenkreis als Vermächtnisnehmer bestimmt werden4. Ist ein potenziell Bedachter nach dem Erbfall gestorben, kann er dennoch bestimmt werden mit der Folge, dass seine Erben das Vermächtnis erhalten5. Ist ein potenziell Bedachter hingegen vor dem Erbfall weggefallen, kommt er entsprechend § 2160 BGB für die Auswahl nicht mehr in Betracht6. Da sich der bedachte Personenkreis nach dem Erblasserwillen bestimmt, kann der Erblasser natürlich auch hiervon abweichende Regelungen treffen. So kann er etwa anordnen, dass nur diejenigen bedacht sein sollen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt – z.B. bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung oder beim Erbfall – bereits dem von ihm benannten Personenkreis angehörten.

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Möchte der Erblasser sich indes noch nicht einmal hinsichtlich des in Betracht kommenden Personenkreises festlegen, z.B. weil er sein Vermögen allgemein zu „wohltätigen Zwecken“ verwendet wissen will, kann er ein Vermächtnis mangels hinreichender Bestimmbarkeit des Kreises der auszuwählenden Vermächtnisnehmer nicht aussetzen. Es besteht dann aber die Möglichkeit, eine entsprechende Auflage anzuordnen, da der Erblasser hier auf Angaben zum begünstigten Personenkreis ganz verzichten kann (§ 2193 BGB)7.

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bb) Der Bestimmungsberechtigte Der Erblasser kann sowohl dem mit dem Vermächtnis Beschwerten, aber auch einem Dritten die Bestimmung des Vermächtnisnehmers überlassen. Als Dritte kommen z.B. ein Testamentsvollstrecker oder der letztversterbende Ehegatte in Betracht. Benennt der Erblasser einen Bestimmungsberechtigten nicht, so ist der Beschwerte als bestimmungsberechtigt anzusehen (§ 2152 BGB).

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Die richtige Auswahl des Bestimmungsberechtigten ist vor allem für die Benennung eines Unternehmensnachfolgers von erheblicher Bedeutung. Ist dem Erblasser die Auswahl des Bedachten besonders wichtig, kann er auch mehreren Personen das Bestimmungsrecht einräumen, die im Zweifel eine übereinstimmende Entscheidung zu treffen haben (§ 317 Abs. 2 BGB)8. Sollen mehrere Testamentsvollstrecker den Vermächtnisnehmer bestimmen, gilt § 2224 BGB.

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Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 1. Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 1. KG v. 5.5.1937 – 1 Wx 157/37, JW 1937, 2200. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 4. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 4; RGRK/Johannsen, § 2151 Rz. 5. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 5; möglich ist nur eine Ersatzberufung, z.B. entsprechend § 2069 BGB. 7 MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 2, 6; Soergel/Wolf, § 2151 Rz. 2. 8 MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 9. Nienaber

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B VI 45

Rz. 45

Vermächtnis

Das Bestimmungsrecht ist nicht übertragbar und erlischt durch den Wegfall des vom Erblasser benannten Bestimmungsberechtigten1. Die Angehörigen des vom Erblasser bestimmten Personenkreises werden dann Gesamtgläubiger (§ 2151 Abs. 3 S. 1 BGB). Möchte der Erblasser dennoch eine Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers gewährleisten, muss er einen Ersatzbestimmungsberechtigten benennen. cc) Die Bestimmung des Vermächtnisnehmers

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Der Bestimmungsberechtigte kann den Vermächtnisnehmer durch formlose, empfangsbedürftige Willenserklärung bestimmen. Ist der Beschwerte selbst bestimmungsberechtigt, muss er die Bestimmungserklärung gegenüber dem Ausgewählten abgeben (§ 2151 Abs. 2, 1. Hs BGB). Möchte der Beschwerte sich selbst bestimmen, muss dieser Wille nach außen erkennbar werden2. Die Auswahl des Vermächtnisnehmers durch einen Dritten erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Beschwerten (§ 2151 Abs. 2, 2. Hs BGB). Die Bestimmung ist unwiderruflich und kann daher nur wiederholt werden, wenn der Ausgewählte das Vermächtnis ausschlägt oder die Erklärung wirksam angefochten wird. Der Irrtum über die Eignung der ausgewählten Person ist allerdings ein zur Anfechtung nicht berechtigender Motivirrtum3.

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Sofern der Erblasser nichts anderes festlegt, liegt die Bestimmung des Vermächtnisnehmers im freien Ermessen des Bestimmungsberechtigten und ist daher gerichtlich nur sehr eingeschränkt überprüfbar.

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Die gerichtliche Kontrolle erfasst allerdings zumindest die Überprüfung, ob der Erblasserwille bei der Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers beachtet worden ist. Überprüft wird also die Bestimmungsberechtigung, die Zugehörigkeit des Ausgewählten zum vom Erblasser bestimmten Personenkreis sowie die Beachtung der vom Erblasser unter Umständen vorgegebenen Auswahlkriterien4. Darüber hinaus darf das Gericht nach unstreitiger Ansicht die Wirksamkeit der Bestimmungserklärung kontrollieren, ob also ein handlungsfähiger Dritter eine nicht sittenwidrige Bestimmung vorgenommen hat. Die h.M. lässt außerdem eine gerichtliche Überprüfung dahin gehend zu, ob die Bestimmung arglistig war5. Eine Billigkeitsüberprüfung nach § 319 Abs. 1 S. 1 BGB erfolgt indes grundsätzlich nicht6.

49

Beratungssituation: Der Unternehmer, der unter seinen minderjährigen Kindern noch keinen Unternehmensnachfolger auszusuchen vermag, möchte die Auswahlentscheidung seinem Geschäftsführer überlassen, da dieser die Belange des Unternehmens genau kennt und daher am besten beurteilen kann, 1 2 3 4

Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 2; Staudinger/Otte, § 2151 Rz. 11. Lange/Kuchinke, § 29 III 2b, Fn. 97. MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 11. Staudinger/Otte hält selbst im Fall von durch den Erblasser vorgegebenen Auswahlkriterien eine gerichtliche Überprüfung nicht automatisch für eröffnet, sondern will im Zweifel die Entscheidung des Erblassers als inappellabel ansehen (§ 2151 Rz. 9). 5 Erman/Nobis, § 2151 Rz. 2; MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 12. 6 MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 12; Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 3; Soergel/Wolf, § 2151 Rz. 4; a.A. Johannsen, WM 1972, 866 (872).

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Vermächtnis

Rz. 52

B VI

wer die zur Unternehmensführung erforderlichen Fähigkeiten besitzt. Zwar vertraut er seinem Geschäftsführer, sieht aber auch die Gefahr, dass dieser das Kind auswählen könnte, von dem er die geringste Einmischung in die Geschäftsführung befürchten muss. Er möchte daher die Auswahlentscheidung nicht ins völlig unkontrollierbare Ermessen des Geschäftsführers stellen. Hat der Erblasser ein Interesse daran, die Auswahlentscheidung nicht in das freie Ermessen des Bestimmungsberechtigten zu stellen, so kann er Auswahlkriterien vorgeben. Dadurch eröffnet er einen größeren gerichtlichen Kontrollumfang hinsichtlich der Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers. Die Gerichte müssen überprüfen, ob der Bestimmungsberechtigte die Auswahlkriterien bei seiner Bestimmung beachtet hat. Legt der Erblasser z.B. fest, dass die Auswahl nach „billigem Ermessen“ zu erfolgen hat, so eröffnet er damit den Weg für eine gerichtliche Billigkeitsprüfung nach § 319 Abs. 1 S. 1 BGB. Um Zweifel über den Erblasserwillen hinsichtlich des Umfangs der Bestimmungsberechtigung und der damit einhergehenden gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten zu vermeiden, sollten diese in einer letztwilligen Verfügung möglichst genau bezeichnet werden. Unterbleibt die Bestimmung, weil der Bestimmungsberechtigte hierzu nicht in der Lage ist und hat der Erblasser einen Ersatzbestimmungsberechtigten nicht bestimmt, so erlischt das Bestimmungsrecht und die Angehörigen des vom Erblasser festgelegten Personenkreises werden Gesamtgläubiger (§§ 2151 Abs. 3 S. 1, 428 BGB). Unterlässt der Bestimmungsberechtigte eine ihm mögliche Bestimmung, kann er nicht auf Vornahme verklagt werden1. Die Beteiligten können dann bei Gericht lediglich beantragen, dem Bestimmungsberechtigten eine Frist zur Abgabe der Erklärung zu setzen, bei deren Ablauf die Bedachten wiederum Gesamtgläubiger werden (§ 2151 Abs. 3 S. 1, 2 BGB).

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Werden die Bedachten Gesamtgläubiger, entscheidet der erste Zugriff darüber, wer von ihnen den Vermächtnisgegenstand erhält. Bei der Beratung eines der Bedachten sollte der Anwalt sich also um eine möglichst zügige Bearbeitung bemühen. Der Beschwerte kann auch nach Erhebung einer Klage durch einen Gesamtgläubiger noch an einen anderen Gesamtgläubiger leisten (§ 428 S. 2 BGB). Entgegen der allgemein für Gesamtgläubiger geltenden Regel des § 430 BGB ist der Bedachte, der das Vermächtnis erhält, nach § 2151 Abs. 3 S. 3 BGB im Zweifel nicht zur Teilung verpflichtet.

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Beratungssituation: Der Erblasser sieht die Gefahr, dass der von ihm mit der Auswahl des Bedachten betraute Geschäftsführer eine Bestimmung zu Lebzeiten nicht vornehmen wird, um die Geschäfte des Unternehmens völlig unkontrolliert führen zu können. Gerade bei Vermächtnisgegenständen von besonderer Bedeutung, wie etwa einem Unternehmen, wird es dem Erblasser i.d.R. nicht recht sein, dass letztlich der erste Zugriff über den Erhalt des Vermächtnisgegenstandes entscheidet. Um das zu verhindern, kann der Erblasser dem Bestimmungsberechtigten z.B. eine Frist zur Bestimmung setzen und anordnen, dass nach Ablauf der Frist ein Ersatzbestimmungsberechtigter die Auswahl zwischen den Bedachten vornehmen soll. 1 MüKo.BGB/Rudy, § 2151 Rz. 13; Palandt/Weidlich, § 2151 Rz. 3. Nienaber

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Vermächtnis

Ein Vermächtnis zur Regelung der Unternehmensnachfolge bei noch minderjährigen Abkömmlingen könnte bei der soeben geschilderten Beratungssituation z.B. folgenden Inhalt haben:

M 42 Gewährleistung einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle sowie Fristvorgabe für die Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers Hiermit vermache ich mein unter der Firma U betriebenes Unternehmen mit allen Aktiven und Passiven und dem Betriebsvermögen einem meiner drei Kinder. Mein Geschäftsführer „G“ soll unter meinen Kindern das zur Unternehmensführung geeignetste Kind nach billigem Ermessen1 auswählen. Er soll diese Auswahlentscheidung frühestens nach der Vollendung des 25. Lebensjahres und spätestens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres meines jüngsten Kindes treffen. Hat er eine Bestimmung des Vermächtnisnehmers bis dahin nicht vorgenommen, soll meine Ehefrau das zur Unternehmensführung geeignetste meiner Kinder als Vermächtnisnehmer auswählen2, 3.

b) Das Personenwahlvermächtnis 54

Die Übergänge zwischen § 2151 BGB und dem Personenwahlvermächtnis nach § 2152 BGB sind fließend. Während die potenziell Bedachten im Rahmen des § 2151 BGB Angehörige einer nach Gattungsmerkmalen bestimmten Personengruppe sind (z.B. die Kinder oder die Angehörigen eines bestimmten Vereins), können im Falle des § 2152 BGB verschiedenste Personen vom Erblasser alternativ bedacht werden (z.B. der Bruder „B“ oder der Freund „F“). Nach § 2152 BGB bestimmt der Beschwerte den Vermächtnisnehmer. Wie bei § 2151 BGB sind aber auch hier abweichende Anordnungen des Erblassers möglich. Im Übrigen gelten die Vorschriften des § 2151 Abs. 2 und Abs. 3 BGB über die Bestimmung des Vermächtnisnehmers sowie die Folgen des Unterbleibens der Bestimmung auch für § 2152 BGB4. 3. Die Person des Vermächtnisnehmers bei besonderen Vermächtnisarten

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Es gibt Vermächtnisarten, die ihre Besonderheit in der Person des Vermächtnisnehmers haben.

1 Durch diese Formulierung wird die gerichtliche Billigkeitskontrolle der Ermessensentscheidung des Bestimmungsberechtigten eröffnet. 2 Durch die Fristsetzung und die Benennung eines Ersatzbestimmungsberechtigten wird verhindert, dass bei Unterbleiben der Bestimmung eines Vermächtnisnehmers durch den Geschäftsführer der erste Zugriff über die Person des Unternehmensnachfolgers entscheidet. 3 Bei der Regelung der Unternehmensnachfolge im Wege der Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers muss in der letztwilligen Verfügung auch eine Regelung zur Führung des Unternehmens bis zur Benennung des Unternehmensnachfolgers getroffen werden. Insofern bietet sich die Anordnung einer Testamentsvollstreckung an. 4 BeckOK/Müller-Christmann, § 2152 Rz.1. 366

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Vermächtnis

Rz. 59

B VI

a) Das Ersatzvermächtnis Der Erwerb des Vermächtnisses durch den Bedachten kann aus diversen Gründen ausbleiben: z.B. Tod des Bedachten vor dem Erbfall (§ 2160 BGB), Ausschlagung (§ 2180), Verzicht (§ 2352 BGB), Vermächtnisunwürdigkeit (§ 2345 BGB). Sofern der Vermächtnisgegenstand in diesen Fällen mehreren Personen vermacht worden ist, wächst der Anteil des weggefallenen Vermächtnisnehmers den übrigen an (§ 2158 Abs. 1 BGB), wenn der Erblasser die Anwachsung nicht ausgeschlossen hat (§ 2158 Abs. 2 BGB; vgl. zum gemeinschaftlichen Vermächtnis Rz. 63 f.). War der weggefallene Bedachte hingegen der einzige Vermächtnisnehmer, fällt der Vermächtnisgegenstand dem Erben zu.

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Hat der Erblasser hingegen einen Ersatzvermächtnisnehmer bestimmt (§ 2190 BGB), fällt das Vermächtnis dem Ersatzbedachten an. Insoweit gelten die §§ 2097–2099 BGB entsprechend. Die Anordnung eines Ersatzvermächtnisses kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend erfolgen. Ist der Vermächtnisnehmer ein Abkömmling des Erblassers, so sind nach § 2069 BGB im Zweifel dessen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge Ersatzvermächtnisnehmer1. Eine stillschweigende Anordnung eines Ersatzvermächtnisses zugunsten der Abkömmlinge wird häufig durch ergänzende Testamentsauslegung auch bei anderen nahen Angehörigen angenommen2. Zur Vermeidung späterer Auslegungsschwierigkeiten sollte der Anwalt dem Erblasser raten, entweder ausdrücklich einen Ersatzvermächtnisnehmer zu bestimmen oder die Ersatzvermächtnisfolge explizit auszuschließen.

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b) Das Nachvermächtnis Beim Nachvermächtnis bestimmt der Erblasser, dass der Vermächtnisgegenstand zunächst dem ersten (Vor-)Vermächtnisnehmer anfallen, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis einem Nachvermächtnisnehmer zufallen soll (§ 2191 BGB). Hat der Erblasser den Zeitpunkt oder das Ereignis für den Anfall des Nachvermächtnisses nicht bestimmt, fällt es mit dem Tod des ersten Vermächtnisnehmers an (§ 2191 Abs. 2 i.V.m. § 2106 Abs. 1 BGB). Im Gegensatz zum Ersatzvermächtnisnehmer erhält der Nachvermächtnisnehmer den Vermächtnisgegenstand also nicht sofort, sondern erst nach dem ersten Vermächtnisnehmer. Letztlich handelt es sich beim Nachvermächtnis um ein aufschiebend bedingtes oder befristetes Untervermächtnis, mit dem der erste Vermächtnisnehmer beschwert ist.

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Der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers auf Erfüllung des Vermächtnisses richtet sich also gegen den ersten Vermächtnisnehmer, nicht gegen den Erben. Der Testamentsvollstrecker kann ebenfalls passiv legitimiert sein, wenn er auch

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1 Vgl. zur Anwendbarkeit des § 2069 BGB auf Vermächtnisse Haspl, ZEV 2013, 60 ff. 2 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, NJW 1973, 240 (242); KG v. 30.4.1974 – 1 W 1446/73, FamRZ 1977, 344; BayObLG v. 23.3.1982 – 1Z 143/81, BayObLGZ 1982, 159, 163 (165); BayObLG v. 16.5.1988 – 1Z 47/87, BayObLG v. 16.5.1988 – BReg.1 Z 47/87, MDR 1988, 866 = FamRZ 1988, 986 = BayObLGZ 1988, 165 (169); BayObLG v. 6.8.1991 – BReg.1 Z 9/91, FamRZ 1992, 355 (356); OLG Karlsruhe v. 18.8.1992 – 4 W 24/92, FamRZ 1993, 363 (364); MüKo.BGB/Leipold, § 2069 Rz. 34; Soergel/Loritz, § 2069 Rz. 33. Nienaber

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B VI

Rz. 60

Vermächtnis

für den Vollzug des Nachvermächtnisses eingesetzt ist1. Möglich ist auch die Einsetzung eines Nachvermächtnistestamentsvollstreckers entsprechend § 2223 BGB2, der analog § 2222 BGB die Rechte des Nachvermächtnisnehmers geltend macht3. 60

Die Anordnung eines Nachvermächtnisses kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend erfolgen. Bei der Beratung des Erblassers empfiehlt sich, wie stets, eine eindeutige, ausdrückliche Regelung vorzunehmen. Fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung, ist im Zweifel von einem Ersatz- und nicht von einem Nachvermächtnis auszugehen (§§ 2191 Abs. 2, 2102 Abs. 2 BGB). Fällt der erste Vermächtnisnehmer weg, so liegt in der Anordnung des Nachvermächtnisses im Zweifel auch die Anordnung eines Ersatzvermächtnisses (§§ 2191 Abs. 2, 2102 Abs. 1 BGB), so dass der Nachvermächtnisnehmer direkt mit dem Erbfall Ersatzvermächtnisnehmer wird.

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Das Nachvermächtnis ist nur eingeschränkt mit der Nacherbfolge vergleichbar. Daher erklärt § 2191 Abs. 2 BGB nur wenige Vorschriften der §§ 2100 ff. BGB für entsprechend anwendbar. Bedeutsam ist insoweit vor allem, dass die Anordnung eines Nachvermächtnisses nicht zu einer Verfügungsbeschränkung des ersten Vermächtnisnehmers führt, da § 161 BGB auf das Nachvermächtnis nicht anwendbar ist4. Der Nachvermächtnisnehmer ist vor Anfall des Nachvermächtnisses nur über die §§ 2177, 2179, 160, 162 BGB geschützt5. Der den Erblasser beratende Anwalt sollte darauf hinweisen, dass der Nachvermächtnisnehmer ohne besondere Anordnungen nur wenig abgesichert ist (vgl. zu den Möglichkeiten der Sicherung des Vermächtnisnehmers Rz. 147 ff.). Flankierende Schutzmaßnahmen zugunsten des Nachvermächtnisnehmers können etwa in der Anordnung eines Untervermächtnisses zulasten des Vorvermächtnisnehmers zur Bewilligung der Eintragung einer Auflassungsvormerkung oder in der Anordnung einer Testamentsvollstreckung zur Erfüllung des Nachvermächtnisses bestehen6.

61a

Die Nachvermächtnislösung wird insbesondere auch für Erblasser mit behinderten Kindern diskutiert. Der Behinderte wird zum Vorvermächtnisnehmer, und sein Vermächtnis wird unter eine Testamentsvollstreckung gestellt7. Nach dem Tod des Behinderten (Vermächtnisnehmers) fällt der Vermächtnisgegenstand an den Nachvermächtnisnehmer, etwa ein nicht behindertes Geschwisterkind. Unsicherheiten bei dieser Lösung bestehen aber hinsichtlich der Frage, in welchem Verhältnis der Vermächtnisanspruch des Nachvermächtnisnehmers zur sozialhilferechtlichen Erbenhaftung nach § 102 Abs. 1 SGB XII steht. Nach § 102 Abs. 1 SGB XII ist der Erbe zum Ersatz der zehn Jahre vor dem Erbfall auf1 Hartmann, ZEV 2001, 89 (91); Spell, ZEV 2002, 5; a.A. Damrau/Mayer, ZEV 2001, 293 (294). 2 BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 = NJW 2001, 520. 3 Soergel/Wolf, § 2191 Rz. 5. 4 Baltzer, ZEV 2008, 116; Hartmann, ZEV 2007, 458 (459); MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 2179 Rz. 2. 5 MüKo.BGB/Rudy, § 2191 Rz. 6; Rossak, ZEV 2005, 14 (15). 6 Vgl. hierzu Hartmann, ZEV 2007, 458 (459 ff.); Rossak, ZEV 2005, 14 (15 f.); Zawar, NJW 2007, 2353 (2355). 7 Vgl. zu dieser Lösung auch Tersteegen, ZErb 2013, 141 ff. 368

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Vermächtnis

Rz. 63

B VI

gewendeten Kosten der Sozialhilfe verpflichtet. Da dieser Anspruch nach § 102 Abs. 2 SGB XII ebenso wie der Nachvermächtnisanspruch zu den Nachlassverbindlichkeiten gehört, wird zum Teil eine Gleichrangigkeit beider Ansprüche in einem eventuellen Nachlassinsolvenzverfahren befürwortet, die letztlich zu einer Teilung zwischen Sozialhilfeträger und Nachvermächtnisnehmer führe1. Vor diesem Hintergrund wird häufig das klassische Behindertentestament mit Vor- und Nacherbschaft einer Nachvermächtnislösung vorgezogen2. Die Gegenmeinung in der Literatur geht indes von einer Vorrangigkeit des Nachvermächtnisanspruchs aus, da der Nachvermächtnisanspruch als echte Erblasserschuld den Nachlasswert mindere3. Da es zu dieser Frage noch keine Rechtsprechung gibt, ist bei der Gestaltung einer erbrechtlichen Regelung durch ein Vor-/Nachvermächtnis zugunsten eines behinderten Kindes besondere Vorsicht geboten. c) Das Untervermächtnis I.d.R. ist der Erbe mit dem Vermächtnis beschwert (§ 2147 S. 2 BGB). Nach § 2147 S. 1 BGB kann aber auch der Vermächtnisnehmer selbst mit einem Untervermächtnis beschwert werden. Im Gegensatz zum Nachvermächtnis muss der Gegenstand des Untervermächtnisses mit dem des Hauptvermächtnisses nicht identisch sein. Das Untervermächtnis wird nach § 2186 BGB erst fällig, wenn der Hauptvermächtnisnehmer berechtigt ist, seinerseits Erfüllung des Vermächtnisses zu verlangen. Ob der Hauptvermächtnisnehmer das Vermächtnis indes schon angenommen hat, ist für die Fälligkeit ohne Belang. § 2186 BGB benennt lediglich den frühestmöglichen Fälligkeitstermin. Möchte der Erblasser dem Hauptvermächtnisnehmer mehr Zeit zur Erfüllung des Untervermächtnisses einräumen, kann er die Fälligkeit durch entsprechende Anordnungen hinausschieben. Fällt der Hauptvermächtnisnehmer weg, so bleibt das Untervermächtnis wirksam. Beschwert ist nun derjenige, der an die Stelle des beschwerten Vermächtnisnehmers tritt (§§ 2187 Abs. 2, 2161 BGB).

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d) Das gemeinschaftliche Vermächtnis

Beratungssituation: Der Erblasser setzt seine Ehefrau zur Alleinerbin ein. Seinen drei Kindern möchte er gemeinsam ein Mietshaus vermachen. Möchte der Erblasser denselben Gegenstand mehreren vermachen, sind die Bedachten ohne eine abweichende Bestimmung des Erblassers nach § 2157 BGB i.V.m. § 2091 BGB zu gleichen Teilen eingesetzt, soweit sich nicht aus den §§ 2066–2069 BGB ein anderes ergibt. Handelt es sich bei dem vermachten Gegenstand um eine teilbare Leistung, hat jeder Bedachte einen selbstständigen Anspruch gegen den Beschwerten auf Leistung des entsprechenden Teiles (§ 420 BGB)4. Bei Unteilbarkeit des Vermächtnisgegenstandes (z.B. bebautes Grundstück) kann jeder Vermächtnisnehmer nach § 432 BGB Leistung an alle Bedachten ge1 Damrau, ZEV 1998, 1; Damrau/Mayer, ZEV 2001, 293; für eine Minderung des Vermögenswertes des Nachlasses durch den Nachvermächtnisanspruch und damit für dessen Vorrang hingegen: Hartmann, ZEV 2001, 89 (93); Weidlich, ZEV 2001, 94 (97). 2 Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, § 21 Rz. 101, 102. 3 Baltzer, ZEV 2008, 116, (119); Hartmann, ZEV 2001, 89 (93). 4 A.A. Muscheler, NJW 2012, 1399, 1402, der auch bei teilbaren Gegenständen von einer Bruchteilsgemeinschaft (§ 741 ff BGB) an der Vermächtnisforderung ausgeht. Nienaber

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B VI

Rz. 63a

Vermächtnis

meinsam fordern. Fällt ein Vermächtnisnehmer weg, so wächst sein Anteil den übrigen Bedachten nach dem Verhältnis ihrer Anteile an (§ 2158 Abs. 1 BGB). 63a

Vermacht der Erblasser im Beispielsfall also seinen drei Kindern das Mietshaus ohne eine nähere Bestimmung der Anteile, so erhält jedes Kind einen Bruchteil von? an dem Mietshaus. Jedes Kind kann von der Ehefrau des Erblassers aber nur die Übereignung des Grundstücks an alle Kinder gemeinsam verlangen.

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Der Erblasser hat aber auch von §§ 2157, 2158 BGB abweichende Gestaltungsmöglichkeiten. So kann er z.B. die Anteile selbst bestimmen. Wenn die vom Erblasser vorgenommene Aufteilung den Gegenstand nicht erschöpft oder übersteigt, tritt nach § 2157 BGB i.V.m. §§ 2089, 2090 BGB eine verhältnismäßige Erhöhung oder Minderung der Bruchteile ein. Nimmt der Erblasser eine Bestimmung der Anteile vor, wird vereinzelt angenommen, es liege kein gemeinschaftliches Vermächtnis vor, sondern eine Mehrheit von Einzelvermächtnissen hinsichtlich der realen oder ideellen Teile des Gegenstandes1. Nach anderer Ansicht steht die Bestimmung der Anteile wie auch die Zuweisung realer Teile der vermachten Sache der Auslegung als gemeinschaftliches Vermächtnis nicht zwingend entgegen2. Bedeutung hat diese Einordnung für die Frage, ob der Anteil eines weggefallenen Bedachten den übrigen Vermächtnisnehmern anwächst (§ 2158 Abs. 1 BGB) oder dem Erben anfällt Um insoweit Auslegungsschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, sollte der Anwalt dem Erblasser raten, die Frage der Anwachsung ausdrücklich zu regeln. Möchte der Erblasser eine Anwachsung erreichen, kann er die anderen Bedachten entsprechend ihrer Anteile zu Ersatzvermächtnisnehmern des weggefallenen Bedachten bestimmen. Auf der anderen Seite kann er die Anwachsung auch explizit ausschließen (§ 2158 Abs. 2 BGB).

64a

Im Beispielsfall kann der Erblasser also seinen drei Kindern das Mietshaus etwa dergestalt vermachen, dass er seiner Tochter die Hälfte des Mietshauses und seinen Söhnen je ein Viertel vermacht. Regelt er die Folgen des Wegfalls eines seiner Kinder als Vermächtnisnehmer nicht, kann nicht sicher vorausgesagt werden, wie seine Verfügung im Rechtsstreit ausgelegt werden würde. Denkbar ist, dass von mehreren Einzelvermächtnissen hinsichtlich der ideellen Mietshausanteile ausgegangen würde. Dann würde der Mietshausanteil des weggefallenen Vermächtnisnehmers dem Erben, also im Beispielsfall der Ehefrau des Erblassers, zufallen. Wird die Verfügung des Erblassers hingegen als gemeinschaftliches Vermächtnis ausgelegt, würde der ideelle Anteil des weggefallenen Bedachten den übrigen Vermächtnisnehmern entsprechend ihrer Anteile anwachsen. Möchte der Erblasser also z.B. sichergehen, dass der Anteil des weggefallenen Bedachten den anderen Vermächtnisnehmern anfällt, sollte er sie als Ersatzberufene (§ 2190 BGB) bestimmen. Möchte der Erblasser die Anwachsung hingegen vermeiden, sollte er sie ausdrücklich ausschließen (§ 2158 Abs. 2 BGB).

1 Muscheler, NJW 2012, 1399 ff.; Soergel/Wolf, § 2157 Rz. 12. 2 Staudinger/Otte, § 2157 Rz. 3; Bei der anteiligen Zuwendung eines nicht teilbaren Vermächtnisgegenstandes (z.B. ein GmbH-Anteil) dürfte allerdings im Hinblick auf § 2084 BGB nur die Annahme eines gemeinschaftlichen Vermächtnisses möglich sein; MüKo.BGB/Rudy, § 2157 Rz. 2; RGRK/Johannsen, § 2158 Rz. 1. 370

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Vermächtnis

Rz. 68

B VI

M 43 Gewährleistung einer Anwachsung Hiermit vermache ich meiner Tochter die Hälfte und meinen beiden Söhnen jeweils ein Viertel des Grundstückes X. Sollte eines meiner Kinder als Vermächtnisnehmer wegfallen, werden die anderen Kinder entsprechend ihrer Anteile zu Ersatzvermächtnisnehmern an dem Anteil des weggefallenen Vermächtnisnehmers.

e) Das Vorausvermächtnis Beim Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) ist der Erbe selbst Vermächtnisnehmer. Gründe für die Anordnung eines Vorausvermächtnisses sind vor allem

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– die Begünstigung des Vorausvermächtnisnehmers gegenüber anderen Miterben wegen des Nichtbestehens einer Ausgleichspflicht (vgl. Rz. 11), – die Befreiung des Vorausvermächtnisnehmers von der Erbenhaftung (vgl. Rz. 13), – die rechtliche Selbstständigkeit von Vorausvermächtnis und Erbschaft, so dass das Vorausvermächtnis im Zweifel wirksam ist, wenn die Erbeinsetzung unwirksam ist (§ 2085 BGB), und die Erbschaft unabhängig vom Vorausvermächtnis ausgeschlagen werden kann und umgekehrt (vgl. Rz. 12), – die Möglichkeit der Geltendmachung des Vorausvermächtnisses vor der Auseinandersetzung des Nachlasses (vgl. Rz. 14), – die Befreiung des Vorausvermächtnisses von der Testamentsvollstreckung und Nachlassverwaltung (vgl. Rz. 15), – die Befreiung des Vorausvermächtnisses vom Nacherbenrecht (vgl. Rz. 16 f.). Ist ein Vorerbe als Vorausvermächtnisnehmer eingesetzt, sollte bei der Beantragung des Erbscheins darauf geachtet werden, dass hinsichtlich des Vermächtnisgegenstandes die Ausnahme von der Verfügungsbeschränkung des Vorerben im Erbschein angegeben wird (vgl. Rz. 17).

IV. Die Person des Beschwerten Nach § 2147 S. 1 BGB können mit einem Vermächtnis der Erbe und ein Vermächtnisnehmer beschwert werden.

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1. Der Erbe Sofern der Erblasser nichts anderes bestimmt, ist der Erbe mit einem Vermächtnis beschwert (§ 2147 S. 2 BGB). Mit einem Vermächtnis können sowohl der gesetzliche als auch der gewillkürte, der Allein-, aber auch alle oder einzelne Miterben beschwert werden. Voraussetzung ist lediglich, dass der Beschwerte schon Erbe ist. Der Ersatzerbe oder der unter einer aufschiebenden Bedingung eingesetzte Erbe können erst nach dem Eintritt des Ersatzerbfalls oder der Bedingung beschwert sein.

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Ist bei einer Vor- und Nacherbschaft nicht bestimmt, wer mit dem Vermächtnis beschwert ist, ist die Erbschaft als solche beschwert. Die Verpflichtung zur Er-

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B VI

Rz. 69

Vermächtnis

füllung des Vermächtnisses geht also mit dem Eintritt des Nacherbfalles vom Vor- auf den Nacherben über. Leistet hingegen bereits der Vorerbe, ist er zum Abzug nach § 2126 BGB berechtigt1. Möchte der Erblasser entweder nur den Vor- oder ausschließlich den Nacherben beschweren, muss er das ausdrücklich bestimmen. Eine Beschwerung des Nacherben mit einer Leistung, die er vor Eintritt des Nacherbfalls erbringen soll, ist nicht möglich2. Eine entsprechende Verfügung kann aber als bedingte Nacherbeinsetzung auszulegen sein3. 69

Der durch Vertrag oder eine wechselseitige Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament eingesetzte Erbe kann i.d.R. nachträglich nicht mehr einseitig durch ein Vermächtnis beschwert werden4.

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Auch der Hoferbe kann mit einem Vermächtnis beschwert werden. Das gilt auch, wenn er den Hof im Wege der vorweggenommenen Hoferbfolge durch Übergabevertrag erhalten hat5. 2. Der Vermächtnisnehmer

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Wird der Vermächtnisnehmer mit einem Vermächtnis beschwert, liegt ein Untervermächtnis vor (vgl. Rz. 62). Wurde das Vermächtnis allerdings durch Erbvertrag oder durch eine wechselseitige Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament angeordnet, scheidet die nachträgliche einseitige Beschwerung mit einem Untervermächtnis i.d.R. aus6. 3. Der Begünstigte einer Schenkung von Todes wegen

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Eine Schenkung von Todes wegen (§ 2301 BGB) wird, sofern sie das gesamte Vermögen oder einen Bruchteil davon erfasst, als Erbeinsetzung, sofern sie einen bestimmten Vermögensgegenstand betrifft, als Vermächtnis behandelt7. Daher kann auch der nach § 2301 BGB auf den Todesfall Beschenkte mit einem Vermächtnis beschwert werden8. Wird die Schenkung dagegen schon zu Lebzeiten des Schenkers vollzogen (§ 2301 Abs. 2 BGB), hat der Beschenkte den Gegenstand aufgrund einer Verfügung unter Lebenden erhalten und kann daher nicht mit einem Vermächtnis beschwert werden9. Möglich ist in diesem Fall nur eine Schenkungsauflage.

1 MüKo.BGB/Rudy, § 2147 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2147 Rz. 2. 2 BayObLG v. 5.8.1966 – 1a Z 35/66, BayObLGZ 1966, 271; MüKo.BGB/Rudy, § 2147 Rz. 2. 3 Palandt/Weidlich, § 2147 Rz. 2; RGRK/Johannsen, § 2147 Rz. 6. 4 Vgl. dazu Schlüter, Erbrecht, Rz. 889 i.V.m. Rz. 273 ff., 363 f. 5 BGH v. 6.6.1962 – V ZR 90/61, NJW 1962, 1615; Soergel/Wolf, § 2147 Rz. 13. 6 Vgl. dazu Schlüter, Erbrecht, Rz. 890. 7 MüKo.BGB/Musielak, § 2301 Rz. 14; Soergel/Wolf, § 2301 Rz. 7. 8 MüKo/Rudy, § 2147 Rz. 4; Schlüter, Erbrecht, Rz. 891; a.A. Ebenroth, Erbrecht, Rz. 451. 9 BGH v. 6.3.1985 – IVa ZR 171/83, MDR 1986, 37 = FamRZ 1985, 696 = NJW-RR 1986, 164; MüKo.BGB/Rudy, § 2147 Rz. 6; Schlüter, Erbrecht, Rz. 891. 372

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Vermächtnis

Rz. 77

B VI

4. Mehrere Beschwerte Der Erblasser kann auch mehrere mit einem Vermächtnis beschweren. Ohne eine abweichende Anordnung des Erblassers sind die Beschwerten im Verhältnis ihrer Erb- bzw. Vermächtnisanteile beschwert (§ 2148 BGB)1.

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5. Der Wegfall des Beschwerten Wird der Beschwerte nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer, bleibt das Vermächtnis grundsätzlich wirksam (§ 2161 S. 1 BGB). Ein Wegfall des Beschwerten kann z.B. durch das Vorversterben des Beschwerten, dessen Ausschlagung, Verzicht oder Erbunwürdigkeit oder die Unwirksamkeit, den Widerruf und die Anfechtung der letztwilligen Verfügung eintreten. Beschwert ist dann derjenige, dem der Wegfall des zunächst Beschwerten unmittelbar zustatten kommt (§ 2161 S. 2 BGB). Das ist

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– beim Wegfall des eingesetzten Erben der Ersatzerbe oder der gesetzliche Erbe, – beim Wegfall des gesetzlichen Erben der gesetzliche Erbe der nächsten Ordnung, – beim Wegfall des Hauptvermächtnisnehmers der Ersatzvermächtnisnehmer oder der Erbe. – Rückt der Vermächtnisnehmer selbst als Erbe nach, bleibt das Vermächtnis als Vorausvermächtnis wirksam2. Der Erblasser kann aber auch eine von § 2161 BGB abweichende Bestimmung treffen, nach der das Vermächtnis mit dem Wegfall des Beschwerten unwirksam werden oder sich gegen einen anderen Beschwerten richten soll. Eine solche abweichende Bestimmung kann sich auch aus den Umständen ergeben, etwa bei persönlichen Dienst- oder Werkleistungen des Beschwerten3.

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Kein Fall des § 2161 BGB liegt vor, wenn der Beschwerte nach dem Erbfall verstirbt. Hier haften seine Erben für die Vermächtniserfüllung.

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V. Der Vermächtnisgegenstand Jeder Vermögensvorteil, der Ziel eines Anspruchs bzw. Gegenstand einer Leistung sein kann, kann zum Gegenstand eines Vermächtnisses werden (§ 1939 BGB)4. Ein Vermögensvorteil setzt keine Bereicherung im wirtschaftlichen Sinne voraus, sondern lediglich eine Begünstigung des Bedachten5. Ausreichend ist daher z.B. auch die Einräumung einer Sicherheit für eine bereits bestehende Forderung des Vermächtnisnehmers. 1 2 3 4

Vgl. zu den Schwierigkeiten der Anwendung des § 2148 BGB Rz. 181 ff. RG v. 10.4.1913 – IV 640/12, Recht 1913 Nr. 1625; Schlüter, Erbrecht, Rz. 893. Soergel/Wolf, § 2148 Rz. 1. MüKo.BGB/Rudy, Vor § 2147 Rz. 3; Palandt/Weidlich, § 1939 Rz. 4, 5 (vgl. hier auch wegen verschiedener Einzelbeispiele von Vermächtnisgegenständen). 5 MüKo.BGB/Rudy, Vor § 2147 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 1939 Rz. 4; Soergel/Stein, § 1939 Rz. 3; a.A. Ebenroth, Erbrecht, Rz. 471 (Auflage ohne klagbaren Anspruch des Bedachten). Nienaber

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B VI

Rz. 78

Vermächtnis

1. Das Stückvermächtnis 78

I.d.R. wird ein bestimmter Gegenstand vermacht (Stückvermächtnis). Bei dem Vermächtnisgegenstand handelt es sich häufig um eine Sache; in Betracht kommen aber auch eine Forderung oder ein Recht1.

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Für die Wirksamkeit des Stückvermächtnisses ist nach § 2169 Abs. 1 BGB erforderlich, dass der Gegenstand zum Zeitpunkt des Erbfalls zum Nachlass gehört2. Allerdings kann ein beschränkt dingliches Recht auch dann vermacht werden, wenn es beim Erbfall noch nicht besteht, aber durch Bestellung an einem Nachlassgegenstand zu verschaffen ist3. Hat der Erblasser nur den Besitz an dem vermachten Gegenstand, so gilt der Besitz als vermacht, sofern er dem Bedachten einen rechtlichen Vorteil bringt (§ 2169 Abs. 2 BGB). Gehört der Gegenstand nicht zum Nachlass, ist das Vermächtnis grundsätzlich unwirksam. Es kann allerdings als Verschaffungsvermächtnis (§ 2270 BGB; vgl. Rz. 83 ff.) wirksam bleiben, wenn der Gegenstand dem Bedachten auch für diesen Fall zugewendet sein soll (§ 2169 Abs. 1 BGB)4. Gehört der vermachte Gegenstand nur teilweise zum Nachlass, beschränkt sich die Unwirksamkeit des Vermächtnisses nach § 2085 BGB auf den nicht im Nachlass vorhandenen Teil.

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Gehört der Gegenstand selbst nicht zum Nachlass, stand dem Erblasser beim Erbfall allerdings ein Anspruch auf Leistung des vermachten Gegenstandes zu, so gilt dieser Leistungsanspruch als vermacht (§ 2169 Abs. 3, 1. Alt. BGB). Gehört der vermachte Gegenstand beim Erbfall nicht mehr zum Nachlass, weil er nach der Anordnung des Vermächtnisses untergegangen oder dem Erblasser entzogen worden ist, so gilt der Wertersatzanspruch als vermacht (§ 2169 Abs. 3, 1. Alt. BGB). Das gilt entsprechend, wenn der Wertersatzanspruch bereits vor der Anordnung des Vermächtnisses entstanden ist, dieser Umstand dem Erblasser allerdings nicht bekannt war5. Hat der Erblasser den Wertersatz beim Erbfall indes schon erhalten, gilt § 2173 BGB. Danach gilt im Zweifel der Wertersatz als vermacht.

Beratungssituation: Der Erblasser hat seinem Neffen in einem Erbvertrag ein wertvolles Gemälde vermacht. Als er ein besonders gutes Angebot für das Gemälde bekommt, verkauft er es. Der Neffe möchte nun wissen, welche Auswirkungen dieser Verkauf auf sein Vermächtnis hat. 81

Hat der Erblasser den Vermächtnisgegenstand freiwillig veräußert, so kann die eng auszulegende Vorschrift des § 2169 Abs. 3 BGB hierauf nicht entsprechend angewendet werden. Der Gegenleistungsanspruch tritt also nicht an die Stelle des Vermächtnisgegenstandes6. Hat der Erblasser sich zur Veräußerung des ver1 Räumt der Erblasser einem Nichterben z.B. das Recht ein, ein Nachlassgrundstück zu einem bestimmten Preis zu übernehmen, so liegt hierin das Vermächtnis eines Kaufrechts. Die Differenz zwischen dem Ankaufspreis und dem höheren Verkehrswert unterliegt der Erbschaftsteuer (BFH v. 6.6.2001 – II R 76/99, NJW 2001, 3576). 2 BGH v. 28.9.1983 – IVa ZR 217/81, FamRZ 1984, 41 = WM 1983, 1211; Soergel/Wolf, § 2169 Rz. 4 ff. 3 Vgl. Schlüter, Erbrecht, Rz. 906: Vermächtnis über die Bestellung einer Grundschuld an einem Grundstück des Nachlasses. 4 Vgl. zum Stückverschaffungsvermächtnis Rz. 83 ff. 5 MüKo.BGB/Rudy, § 2169 Rz. 14; a.A. Kipp/Coing, Erbrecht, § 59 I 5. 6 BGH v. 25.12.1956 – IV ZR 238/56, BGHZ 22, 357 (359); MüKo.BGB/Rudy, § 2169 Rz. 15. 374

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 82

B VI

machten Gegenstandes verpflichtet, gilt der Gegenstand nach § 2169 Abs. 4 BGB vielmehr als nicht zum Nachlass gehörig, so dass das Vermächtnis i.d.R. unwirksam ist (§ 2169 Abs. 1 BGB). Im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung kann aber anzunehmen sein, dass der Veräußerungserlös als vermacht anzusehen ist1. Eine Vermutung besteht hierfür aber nicht2. Entscheidendes Auslegungskriterium ist, ob der Zweck des Vermächtnisses die Übertragung des konkreten Gegenstandes oder mehr die Zuwendung eines wirtschaftlichen Wertes überhaupt war3. Um insoweit Auslegungsschwierigkeiten vorzugreifen, sollte der Erblasser bei Veräußerung eines Vermächtnisgegenstandes in einer Ergänzung zur Vermächtnisanordnung klarstellen, ob diese nunmehr unwirksam sein, oder ob an die Stelle des ursprünglichen Vermächtnisgegenstandes die Gegenleistung bzw. deren Wert treten soll. Im obigen Fall könnte der Erblasser also z.B. verfügen:

M 44 Ergänzende Vermächtnisanordnung bei Veräußerung des Vermächtnisgegenstandes Anstelle des meinem Neffen mit Verfügung vom … vermachten Gemäldes vermache ich ihm nunmehr … Euro (= Verkaufspreis). Oder: Nachdem ich das meinem Neffen zunächst mit Verfügung vom … vermachte Gemälde verkauft habe, ist das Vermächtnis unwirksam. Der Verkaufserlös soll nicht an die Stelle des Gemäldes treten.

Die vorbenannten Grundsätze gelten auch bei erbvertraglicher Bindung des Erblassers4. Der erbvertraglich bedachte Vermächtnisnehmer ist aber vor Veräußerungen des Erblassers, die dieser in Beeinträchtigungsabsicht trifft, durch § 2288 Abs. 2 BGB geschützt. § 2288 Abs. 2 BGB begründet ein gesetzliches Verschaffungsvermächtnis (vgl. Rz. 83 ff.). Eine Beeinträchtigungsabsicht i.S.d. § 2288 Abs. 2 BGB liegt grundsätzlich schon vor, wenn die Veräußerung in dem Bewusstsein erfolgt, dass damit dem Vermächtnis die Grundlage entzogen wird. Etwas Anderes gilt nur, wenn der Erblasser ein berechtigtes lebzeitiges Eigeninteresse hatte5. Zur weiteren Absicherung des erbvertraglichen Vermächtnisnehmers kann der Erblasser mit diesem auch eine zusätzliche, schadenersatzbewehrte Vereinbarung treffen, in der er sich verpflichtet, auch zu Lebzeiten über den Vermächtnisgegenstand nicht zu verfügen (vgl. dazu auch Rz. 154)6. 2. Das Verschaffungsvermächtnis

Beratungssituation: Der Mandant ist Miterbe in einer ungeteilten Erbengemeinschaft am Nachlass seines Vaters. Zum Nachlass gehört ein wertvol1 BGH v. 25.12.1956 – IV ZR 238/56, BGHZ 22, 357 (360); KG v. 13.3.1975 – 12 U 2643/74, FamRZ 1977, 267 (270). 2 Soergel/Wolf, § 2169 Rz. 14. 3 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (22 f.). 4 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (23). 5 BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 230/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 165 = NJW 1984, 731; Soergel/Wolf, § 2288 Rz. 5. 6 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (19). Nienaber

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B VI

Rz. 83

Vermächtnis

ler Flügel. Der Mandant möchte diesen Flügel seinem musikalischen Enkel vermachen. 83

Gehört der Vermächtnisgegenstand beim Erbfall nicht zum Nachlass, ist das Vermächtnis unwirksam, es sei denn, dass der Gegenstand dem Bedachten auch für den Fall zugewendet sein soll, dass er nicht zur Erbschaft gehört (Verschaffungsvermächtnis, § 2169 Abs. 1 BGB). Stirbt der Mandant im Beispielsfall, bevor die Erbengemeinschaft nach seinem Vater auseinandergesetzt worden ist, so gehört der Flügel beim Erbfall nicht zu seinem Nachlass. a) Der Verschaffungswille des Erblassers

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Die Beweislast für den auf ein Verschaffungsvermächtnis gerichteten Erblasserwillen trägt der Vermächtnisnehmer. Ein Indiz hierfür ist der Umstand, dass der Gegenstand zum Zeitpunkt der Anordnung des Vermächtnisses nicht zum Nachlass gehörte1. Das Bewusstsein fehlender Nachlasszugehörigkeit ist für den qualifizierten Zuwendungswillen des Erblassers aber nicht zwingend2. Ein Verschaffungsvermächtnis liegt zudem nahe, wenn der Gegenstand zwar nicht rechtlich zum Nachlass gehört, aber wie im Beispielsfall vom Erblasser wirtschaftlich zum eigenen Vermögen gerechnet wird3. Der Anwalt oder Notar sollte dem Erblasser raten, das Vermächtnis ausdrücklich als Verschaffungsvermächtnis zu bezeichnen. Ist die Anordnung eines Verschaffungsvermächtnisses allerdings nicht explizit erfolgt, so entscheidet die Intensität des Zuwendungswillens des Erblassers zur Zeit der Anordnung des Vermächtnisses4. b) Die lebzeitige Verfügung des Erblassers über den Vermächtnisgegenstand

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Gehörte der Vermächtnisgegenstand zwar zum Zeitpunkt der Anordnung des Vermächtnisses zum Vermögen des Erblassers, hat der Erblasser allerdings zwischenzeitlich über den Vermächtnisgegenstand verfügt, so muss hierin nicht zwingend ein nachträglicher stillschweigender Widerruf des Vermächtnisses liegen5. Entscheidend für die Annahme eines Verschaffungsvermächtnisses ist der Erblasserwille zum Zeitpunkt der Anordnung des Vermächtnisses. Ein auf die Anordnung eines Verschaffungsvermächtnisses gerichteter Erblasserwille ist vor allem anzunehmen, wenn der Erblasser bei der Anordnung des Vermächtnisses bereits damit rechnete, dass der Vermächtnisgegenstand sich beim Erbfall nicht mehr in seinem Vermögen befinden würde. Wurde der Vermächtnisgegenstand in einem Erbvertrag zugewendet, kann hierin sogar die schadenersatzbewehrte Verpflichtung des Erblassers enthalten sein, auch unter Lebenden über den Ver1 BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 230/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 165 = NJW 1984, 731 (732); BGH v. 29.5.1964 – V ZR 47/62, NJW 1964, 2298 (2299); OLG Celle v. 29.4. 1949 – 4 WR 88/49, MDR 1950, 353 (354); OLG Bremen v. 29.9.2000 – 5 U 39/2000, ZEV 2001, 401. 2 BGH v. 3.11.1982 – IVa ZR 47/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 937; BGH v. 28.9. 1983 – IVa ZR 217/81, FamRZ 1984, 41 (42). 3 BGH v. 3.11.1982 – IVa ZR 47/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 937; OLG Oldenburg v. 7.7.1998 – 3 U 42/98, OLG Oldenburg v. 7.7.1998 – 5 U 42/98, FamRZ 1999, 532. 4 BGH v. 3.11.1982 – IVa ZR 47/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 937; BGH v. 23.11. 1983 – IVa ZR 230/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 165 = NJW 1984, 731 (732). 5 BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (15 f.); Johannsen, WM 1972, 866 (873). 376

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Nienaber

Vermächtnis

B VI

Rz. 87

mächtnisgegenstand nicht zu verfügen (vgl. dazu auch Rz. 154)1. Für einen solchen Erblasserwillen ist der Bedachte beweispflichtig. Um insoweit Auslegungsschwierigkeiten vorzubeugen, sollte der Erblasser bei der Anordnung des Vermächtnisses ausdrücklich festlegen, ob er eine solche schadenersatzbewehrte Verpflichtung übernehmen möchte oder nicht. c) Die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs aus einem Verschaffungsvermächtnis Meist ist ein Verschaffungsvermächtnis dahingehend angeordnet, dass der Beschwerte mit der Beschaffung des Gegenstandes beauftragt wird. Der Vermächtnisnehmer kann Klage gegen den Beschwerten mit dem Antrag erheben, dass der Beschwerte die Bereitschaft des Dritten herbeizuführen hat, den vermachten Gegenstand an den Beschwerten oder den Bedachten zu übertragen. Die Vollstreckung richtet sich dann nach § 887 ZPO und für den Fall, dass sich der Vermächtnisgegenstand im eigenen Vermögen des Beschwerten befindet, nach §§ 894, 897 ZPO. Im Fall einer Vollstreckung nach § 887 ZPO kann der Bedachte nach § 887 Abs. 1 ZPO ermächtigt werden, die Beschaffung des Vermächtnisgegenstandes selbst auf Kosten des Beschwerten vorzunehmen. Hierfür kann der Bedachte nach § 887 Abs. 2 ZPO zugleich eine Vorschusszahlung des Beschwerten beantragen2.

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d) Der Wertersatz Ist der Beschwerte zur Verschaffung des Vermächtnisgegenstandes außerstande, so ist er zum Wertersatz verpflichtet (§ 2170 Abs. 2 S. 1 BGB). Ein subjektives Unvermögen des Beschwerten liegt z.B. vor, wenn der Inhaber des Vermächtnisgegenstandes diesen nicht übertragen will oder hierfür einen Preis verlangt, den der Beschwerte nicht aufbringen kann. Eine Befreiung von der Verpflichtung zur Verschaffung des Vermächtnisgegenstandes tritt durch die Leistung von Wertersatz ebenfalls ein, wenn die Verschaffung mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist (§ 2170 Abs. 2 S. 2 BGB). Um dem Verschaffungsvermächtnis nachdrücklich Geltung zu verschaffen, sollte der Erblasser den Spielraum des Beschwerten einschränken3. So kann er z.B. einen besonderen Druck auf den Beschwerten ausüben, indem er ihm einen Endtermin für die Verschaffung setzt und die Nichtverschaffung bis zu diesem Termin zur auflösenden Bedingung der Zuwendung an ihn macht oder den Wertersatz höher als nach § 2170 Abs. 2 BGB bestimmt4.

M 45 Verschaffungsvermächtnis unter Erhöhung des Erfüllungsdrucks Hiermit vermache ich meinem Enkel den zum Nachlass der Erbengemeinschaft nach meinem Vater gehörenden Flügel. Meine Erben sollen meinem Enkel den Flügel auch verschaffen, wenn dieser bei meinem Tod nicht zu meinem Nachlass gehört. Verschaffen meine Erben meinem Enkel den Flügel nicht binnen drei 1 2 3 4

BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (19). Vgl. dazu Bühler, DNotZ 1964, 581 (590 ff.); Staudinger/Otte, § 2170 Rz. 13–15. Vgl. dazu auch MüKo.BGB/Rudy, § 2170 Rz. 11. Bühler, DNotZ 1964, 581 (588). Nienaber

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B VI

Rz. 88

Vermächtnis

Monaten nach meinem Tod, sind sie verpflichtet, meinem Enkel den doppelten Verkehrswert des Flügels zu ersetzen. 88

§ 2170 Abs. 2 S. 1 BGB betrifft nur den Fall des subjektiven Unvermögens des Beschwerten. Bei objektiver Unmöglichkeit der Verschaffung zur Zeit des Erbfalls ist das Vermächtnis nach § 2171 BGB unwirksam. § 2171 BGB kommt in der Praxis nur selten zur Anwendung. In den praktisch bedeutenden Fällen, in denen die Unmöglichkeit auf der Versagung einer Genehmigung beruht, tritt die Unmöglichkeit i.d.R. erst nach dem Erbfall ein, wenn die Genehmigung endgültig versagt wird1. Tritt die objektive Unmöglichkeit nach dem Erbfall ein, gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 275 ff. BGB, so dass Ansprüche des Vermächtnisnehmers nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 und § 285 BGB in Betracht kommen2. 3. Das Wahlvermächtnis

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Der Erblasser kann ein Vermächtnis auch in der Art anordnen, dass der Bedachte von mehreren Gegenständen nur den einen oder anderen erhalten soll (§ 2154 BGB). Nach h.M. wird § 2154 BGB auch angewendet, wenn die Vermächtnisanordnung aufgrund einer ungenauen Bezeichnung des Vermächtnisgegenstandes auf mehrere Gegenstände zutrifft3.

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Hat der Erblasser die Wahl nicht einem Dritten übertragen, so gelten zwischen dem Bedachten und dem Beschwerten unmittelbar die §§ 262–265 BGB über die Wahlschuld. Danach bestimmt im Zweifel der Beschwerte den Vermächtnisgegenstand. Die Wahl des Beschwerten erfolgt durch unwiderrufliche Erklärung gegenüber dem Bedachten. Die gewählte Leistung gilt als die von Anfang an allein geschuldete (§ 263 Abs. 1, 2 BGB). Hat der Erblasser Zweifel daran, dass der Beschwerte die Wahl vornehmen wird, so kann er ihm z.B. in Form einer Auflage einen Zeitpunkt vorgeben, bis zu dem die Wahl getroffen sein muss. Der Erblasser kann das Wahlrecht aber auch dem Bedachten selbst oder einem Dritten übertragen. Für die Wahl durch den Bedachten gelten ebenfalls die §§ 262 ff. BGB. Unterlässt der Bedachte die Wahl, kann der Beschwerte ihm eine Frist setzen und nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist das Wahlrecht selbst ausüben (§ 264 Abs. 2 BGB). Für die Wahl durch einen Dritten gilt § 2154 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB. Trifft der Dritte die Wahl nicht, kann ihm das Nachlassgericht auf Antrag des Beschwerten oder des Bedachten eine Frist setzen, nach deren Ablauf das Wahlrecht auf den Beschwerten übergeht (§ 2155 Abs. 3 S. 2 BGB).

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Die erbschaftsteuerliche Bewertung richtet sich ausschließlich nach dem Gegenstand, den der Bedachte gewählt hat4. 4. Das Gattungsvermächtnis

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Im Unterschied zum Wahlvermächtnis erstreckt sich das Gattungsvermächtnis nach § 2155 BGB nicht auf verschiedene, sondern auf gleichartige Gegenstände. 1 2 3 4

BGH v. 28.1.1960 – II ZR 236/57, BGHZ 32, 35 [40] zu § 17 a.F. GmbHG. RGRK/Johannsen, § 2170 Rz. 12; Staudinger/Otte, § 2170 Rz. 6. MüKo.BGB/Rudy, § 2154 Rz. 2. BFH v. 6.6.2001 – II R 14/00, ZEV 2001, 452.

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Vermächtnis

Rz. 96

B VI

Umstritten ist, ob § 2155 BGB nur Sachen1 oder auch sonstige Gegenstände, wie z.B. Rechte oder Dienstleistungen2, erfasst. Uneinheitlich wird ferner die Frage beurteilt, ob es sich bei einem Geldvermächtnis um ein Gattungsvermächtnis handelt3. Hiervon ist auszugehen und zwar unabhängig davon, ob eine bestimmte Geldsumme oder eine Quote vom Nachlasswert vermacht ist (sog. Quotenvermächtnis)4. Bei der anwaltlichen Beratung sollte dem Erblasser stets die Möglichkeit vor Augen gehalten werden, dass er das Vermächtnis durch die Anordnung eines Quotenvermächtnisses von Geldwertschwankungen und Währungsumstellungen unabhängig machen kann. Bei der Zuwendung einer Quote am Nachlasswert können allerdings Schwierigkeiten hinsichtlich der Abgrenzung von einer Erbeinsetzung des Bedachten entstehen (vgl. dazu Rz. 27 ff.). Der beratende Anwalt muss hier darauf achten, die Zuwendung ausdrücklich als Vermächtnis zu bezeichnen. Das Gattungsvermächtnis kann auch auf Gegenstände gerichtet sein, die nicht zum Nachlass gehören. Da Gattungsgegenstände mehrfach vorhanden sind, ist ihre Verschaffung einfacher als beim Stückvermächtnis, so dass hier die Verschaffungspflicht und nicht die Unwirksamkeit des Vermächtnisses der gesetzliche Regelfall ist. Der Erblasser kann die Gattung aber auf die Nachlassgegenstände beschränken (sog. beschränktes Gattungsvermächtnis).

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Anders als bei § 243 BGB hat der Beschwerte beim Gattungsvermächtnis nicht eine Sache mittlerer Art und Güte, sondern eine den Verhältnissen des Bedachten entsprechende Sache zu leisten (§ 2155 Abs. 1 BGB) (vgl. zur Fassung des Klageantrags des Vermächtnisnehmers auf Vermächtniserfüllung Rz. 158).

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Die Bestimmung des Gegenstandes obliegt ohne eine Anordnung des Erblassers dem Beschwerten, kann aber auch einem Dritten oder dem Bedachten selbst übertragen werden (§ 2155 Abs. 2 BGB). Ist ein Dritter oder der Bedachte selbst bestimmungsberechtigt, so erfolgt die Bestimmung entsprechend § 2154 BGB (vgl. Rz. 89). Entspricht die Bestimmung des Dritten oder des Bedachten offensichtlich nicht den Verhältnissen des Bedachten, so geht das Bestimmungsrecht nach § 2155 Abs. 3 BGB auf den Beschwerten über.

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5. Das Zweckvermächtnis Möchte der Erblasser sich hinsichtlich des Vermächtnisgegenstandes noch nicht einmal auf die Gattung festlegen, so kann er auch lediglich dessen Zweck bestimmen. Der Erblasser kann also dem Beschwerten oder einem Dritten – nicht aber dem Bedachten5 – die Bestimmung der Leistung nach billigem Ermessen 1 So z.B. Erman/Nobis, § 2155 Rz. 1; Soergel/Wolf, § 2155 Rz. 2. 2 Dafür: OLG Bremen v. 29.9.2000 – 5 U 39/2000, ZEV 2001, 401; MüKo.BGB/Rudy, § 2155 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2155 Rz. 1. 3 Dafür: Ebenroth, Erbrecht, Rz. 488; MüKo.BGB/Rudy, § 2155 Rz. 2; Schlüter, Erbrecht, Rz. 913; dagegen: Palandt/Weidlich, § 2155 Rz. 1; Soergel/Wolf, § 2155 Rz. 2; vgl. zur Gestaltung eines Geldvermächtnisses Kornexl, ZEV 2002, 173. 4 MüKo.BGB/Rudy, § 2155 Rz. 2; vgl. zum Quotenvermächtnis auch BGH v. 18.1. 1978 – IV RZ 181/76, DNotZ 1978, 487 (488 ff.). 5 BGH v. 24.4.1991 – IV ZR 156/90, MDR 1991, 644 = FamRZ 1991, 933 = NJW 1991, 1885; MüKo.BGB/Rudy, § 2156 Rz. 4; Schlüter, Erbrecht, Rz. 917; Staudinger/Otte, § 2156 Rz. 3; a.A. Kanzleiter, DNotZ 1992, 511 (512 ff.). Nienaber

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B VI

Rz. 97

Vermächtnis

überlassen (§ 2156 BGB). Dabei kann der Erblasser dem Bestimmungsberechtigten allerdings nur die Bestimmung über den Gegenstand überlassen, nicht aber auch darüber, ob der Bedachte überhaupt etwas erhalten soll1. Außerdem muss der Erblasser den Vermächtniszweck so genau bezeichnen, dass der Bestimmungsberechtigte ausreichende Anhaltspunkte für die Ausübung seines Ermessens hat. Für die Bestimmung gelten die §§ 315–319 BGB. 6. Das Universalvermächtnis 97

Wendet der Erblasser seinen ganzen oder nahezu ganzen Nachlass zu, so ist hierin im Zweifel eine Erbeinsetzung zu sehen (§ 2087 Abs. 1 BGB; vgl. Rz. 28 f.). Nach h.M. ist eine solche Zuwendung aber auch als Universalvermächtnis möglich2. Der Erblasser sollte zur Entkräftung der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB in der letztwilligen Verfügung eindeutig klarstellen, dass er sein Vermögen bewusst als Vermächtnis überträgt. Insoweit bietet es sich an, dass der Erblasser in der letztwilligen Verfügung auch eine Regelung über die Erbfolge trifft. Selbst wenn er nämlich sein gesamtes Vermögen im Wege des Universalvermächtnisses überträgt, gibt es einen Erben, da es zwar einen vermögens-, aber keinen erbenlosen Nachlass gibt. Der Universalvermächtnisnehmer kann selbst der Erbe sein; das Universalvermächtnis ist dann ein Vorausvermächtnis. Das Universalvermächtnis ist gegenüber der Erbeinsetzung wegen der großzügigeren Möglichkeit der Drittbestimmung des Bedachten oft vor allem für die Auswahl eines Unternehmensnachfolgers vorzugswürdig (vgl. Rz. 39 ff.). Da der Universalvermächtnisnehmer den Nachlass mit allen Aktiva und Passiva übernimmt, haftet er nach § 2385 Abs. 1 BGB gem. der §§ 2382, 2383 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten3.

M 46 Universalvermächtnis Zulasten der Erben setzte ich folgende Vermächtnisse aus: Meinem Sohn vermache ich mein Unternehmen, das Grundstück X sowie mein sonstiges Vermögen. An der gesetzlichen Erbfolge ändere ich nichts4.

7. Das Unternehmen als Vermächtnisgegenstand 97a

Das Vermächtnis eignet sich wegen der flexibleren Möglichkeit der Drittbestimmung des Bedachten (vgl. Rz. 38) sowie der Möglichkeit, hierdurch das Unternehmen der schwierigen Verwaltung durch eine Erbengemeinschaft zu entziehen (vgl. Rz. 23, 25), besonders für die Regelung der Unternehmensnachfolge. Im Falle eines Unternehmensvermächtnisses fällt das Unternehmen zunächst an die Erben, die dieses dann im Erfüllung des Vermächtnisanspruchs auf den Bedachten übertragen. Die Erfüllung des Unternehmensvermächtnisses ist aller1 RG v. 20.10.1910 – IV 596/09, WarnR 1911 Nr. 42. 2 Klunzinger, BB 1970, 1197 (1199); MüKo.BGB/Rudy, Vor § 2147 Rz. 4; Staudinger/ Otte, § 2151 Rz. 2; a.A. Menz, DB 1966, 1719; Sudhoff, DB 1966, 1720. 3 Dobroschke, DB 1967, 803 (805); Ebenroth, Erbrecht, Rz. 469; Klunzinger, BB 1970, 1197 (1199). 4 Durch diese Formulierung stellt der Erblasser sicher, dass seine Anordnung entgegen der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB als Vermächtnisanordnung verstanden wird. 380

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 97b

B VI

dings komplex, da alle Gegenstände des Unternehmens einzeln nach den hierfür geltenden dinglichen Bestimmungen übertragen werden müssen. a) Gesellschaftsrechtliche Vorbedingungen Handelt es sich bei dem Unternehmen um eine Gesellschaft, müssen vor der konkreten Ausgestaltung der erbrechtlichen Unternehmensnachfolgeregelungen stets die gesellschaftsrechtlichen Bedingungen für eine Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteils geschaffen werden (vgl. hierzu ausführlich Kap. B XI). Dies bedeutet zweierlei: Zum einen darf der Tod des Erblassers nicht zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft führen, sondern sein Anteil muss auf seine Erben übergehen; zum anderen müssen die Erben berechtigt sein, den Anteil dann in Erfüllung des Vermächtnisanspruchs auf den Bedachten zu übertragen. Dies ist insbesondere bei Personenhandelsgesellschaften nicht immer gegeben. Für persönlich haftende Gesellschafter sieht § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB vor, dass ihr Tod zu ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft führt. Erforderlich ist hier also eine Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag. Diese ist für Kommanditisten nicht nötig, da § 177 HGB die Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben vorsieht. Sowohl für persönlich haftende Gesellschafter als auch für Kommanditisten muss allerdings die Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteiles im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein, damit die Erben den Anteil dann an den Bedachten übertragen dürfen. Auch wenn diese Vorbedingungen erfüllt sind, hängt die Übertragung des Gesellschaftsanteils ohne eine anders lautende Regelung im Gesellschaftsvertrag von der Zustimmung aller Gesellschafter ab. Die Gesellschafter können im Einzelfall aus ihrer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zur Zustimmung verpflichtet sein1. Ist das indes nicht der Fall, kann die Erfüllung des Vermächtnisses hieran scheitern. Teilweise wird vertreten, dass eine einfache Nachfolgeklausel zugunsten eines Erben eine weitgehende Öffnung des Gesellschafterbestandes enthält, die regelmäßig auch die Zustimmung der Gesellschafter zu einer Übertragung an einen Vermächtnisnehmer zum Inhalt hat2. Unabdingbare gesellschaftsvertragliche Vorbedingung für ein Unternehmensvermächtnis ist also eine Nachfolgeklausel zugunsten der Erben (einfache Nachfolgeklausel) oder zugunsten eines konkreten Erben (qualifizierte Nachfolgeklausel) hinsichtlich der Anteile der persönlich haftenden Gesellschafter. Hiermit kombiniert werden muss die Regelung der freien Verfügbarkeit der Anteile oder zumindest der Verfügbarkeit an einen Vermächtnisnehmer.

M 47 Gesellschaftsvertragliche einfache Nachfolgeklausel mit Verfügungsmöglichkeit an Vermächtnisnehmer Im Falle des Todes eines Gesellschafters wird die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern mit den Erben des Verstorbenen fortgesetzt. Die Erben des Verstorbenen sind berechtigt, ihre Beteiligung an der Gesellschaft auf einen oder mehrere Vermächtnisnehmer oder in Vollzug einer Teilungsanordnung auf einen oder mehrere Erben zu übertragen.

1 OLG Stuttgart v. 3.12.1991 – 12 U 99/91, DStR 1992, 623. 2 Ivo, ZEV 2008, 302 (303). Nienaber

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381

97b

B VI 97c

Rz. 97c

Vermächtnis

Kann diese Regelung im Gesellschaftsvertrag nicht rechtzeitig verankert werden, sollte versucht werden, noch zu Lebzeiten des Erblassers die Zustimmung der Gesellschafter zur Übertragung an den Bedachten einzuholen. Gelingt auch dies nicht, so muss der Erblasser überlegen, welche Folgen eintreten sollen, sofern die Erfüllung des Vermächtnisses nicht möglich ist. Er kann sich insofern dafür entscheiden, dass der Gesellschaftsanteil mit allen Rechten und Pflichten beim Erben verbleibt, er kann aber für diesen Fall auch die frei übertragbaren Ansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB vermachen (vgl. Rz. 97e)1. Wenn der Erblasser allerdings die Erben nicht dauerhaft zu Gesellschaftern machen möchte, muss hierfür im Gesellschaftsvertrag eine Vorkehrung getroffen werden.

M 48 Gesellschaftsvertraglicher Ausschluss der Erben aus der Gesellschaft bei Unterbleiben der Verfügung an Vermächtnisnehmer Soll nach den erbrechtlichen Verfügungen des verstorbenen Gesellschafters sein Gesellschaftsanteil an einen Vermächtnisnehmer übertragen werden und erfolgt diese Übertragung innerhalb einer Frist von … Monaten nach dem Erbfall nicht, so scheiden die Erben aus der Gesellschaft aus. Für die Abfindungsansprüche gilt § … dieses Vertrags. 97d

Enthält der Gesellschaftsvertrag noch nicht einmal eine Nachfolgeklausel, so ist ein Vermächtnis nur hinsichtlich der Abfindungsansprüche des Erblassers möglich. Eine qualifizierte Nachfolgeklausel direkt zugunsten des Vermächtnisnehmers, der nicht Erbe ist, ist nicht möglich, weil der Vermächtnisanspruch nur obligatorisch wirkt und der Anteil immer zunächst dem Erben anfällt. Denkbar ist, eine solche Klausel in eine Eintrittsklausel umzudeuten2, aufgrund derer der Begünstigte einen vom Erbrecht unabhängigen Anspruch auf Eintritt in die Gesellschaft erlangt (§ 328 Abs. 1 BGB). Um allerdings Unsicherheiten hinsichtlich einer solchen Umdeutungsmöglichkeit zu vermeiden, sollte die qualifizierte Nachfolgeklausel hier lieber direkt als Eintrittsklausel ausgestaltet werden. Bei GmbH-Anteilen sowie Aktien sind die gesellschaftsrechtlichen Vorbedingungen i.d.R. wegen der Vererb- und Veräußerlichkeit der Anteile erfüllt. Die Vererblichkeit kann durch den Gesellschaftsvertrag nicht ausgeschlossen werden3, so dass eine Nachfolgeklausel hier entbehrlich ist. Wenn die Veräußerbarkeit von Gesellschaftsanteilen indes ausgeschlossen wurde, ist ein Vermächtnis nicht möglich. b) Gestaltung und Folgen des Unternehmensvermächtnisses

97e

Da das Vermächtnis nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Beschwerten begründet, fällt das Unternehmen bzw. der Gesellschaftsanteil beim Unternehmensvermächtnis immer zunächst den Erben an. Daraus folgt, dass auch eine Zwischeneintragung der Erben in das Handelsregister erfolgen muss. Aller1 Vgl. dazu auch Reymann, ZEV 2006, 307 (308). 2 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, NJW 1978, 264; BGH v. 25.5.1987 – II ZR 195/86, MDR 1987, 1001 = FamRZ 1987, 936 = WM 1987, 981. 3 Ivo, ZEV 2006, 252. 382

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 97h

B VI

dings trifft den Erben eines Kommanditanteils kein Haftungsrisiko nach § 176 Abs. 2 HGB, wenn der Erblasser als Kommanditist eingetragen war1. Der Vermächtnisnehmer indes ist dem Haftungsrisiko des § 176 Abs. 2 HGB ausgesetzt, so dass es sich anbietet, die Übertragung des Kommanditanteils an die aufschiebende Bedingung der Registereintragung zu knüpfen. Da bis zur Vermächtniserfüllung einige Zeit vergehen kann, bietet es sich an, explizite Regelungen für diese Zeit, insbesondere hinsichtlich der Gewinnverwendung, zu treffen. Ohne eine solche Regelung gilt nach § 2184 BGB, dass dem Vermächtnisnehmer alle tatsächlich ausgeschütteten Gewinne zustehen, die seit dem Anfall des Vermächtnisses entstanden sind. Gewinne, die (anteilig) die Zeit vor dem Vermächtnisanfall betreffen, stehen indes dem Beschwerten zu2.

97f

Bei der Gestaltung des Unternehmensvermächtnisses müssen stets erst die gesellschaftsrechtlichen Vorbedingungen geklärt werden, damit das Vermächtnis hierauf abgestimmt werden kann3. Ferner sollte darauf geachtet werden, den Vermächtnisgegenstand möglichst exakt zu bezeichnen, d.h. explizit die gesamte Gesellschafterstellung mit allen Rechten und Pflichten zum Gegenstand des Vermächtnisses zu machen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Rechtsprechung die aus der Gesellschafterstellung resultierenden Vermögensrechte abspaltet und diese nicht zum Gegenstand des Vermächtnisses, sondern der Erbschaft erklärt. Besonderer Regelungsbedarf besteht auch bei einem Mehrkontenmodell. Hier ist unzweifelhaft das feste Kapitalkonto Gegenstand eines Vermächtnisses an einem Gesellschaftsanteil, da die Gesellschafterstellung an die Einlage gebunden ist. Hinsichtlich anderer Konten können allerdings Zweifel hinsichtlich der Erfassung vom Vermächtnis bestehen, die durch eine eindeutige erbrechtliche Anordnung ausgeräumt werden sollten.

97g

Besteht die Möglichkeit, dass die Erfüllung des Vermächtnisses, etwa wegen fehlender Zustimmung der Mitgesellschafter, scheitert, so muss die Vermächtnisanordnung auch für diesen Fall Vorkehrung treffen. Möchte der Erblasser die Gesellschafterstellung dann seinen Erben übertragen, muss er sich darüber Gedanken machen, ob er dem Vermächtnisnehmer wenigstens die frei übertragbaren Ansprüche aus der Gesellschafterstellung, also insbesondere die Gewinn- und Abfindungsansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB, vermachen möchte.

97h

M 49 Vermächtnis der Gewinn- und Abfindungsansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB bei gescheiterter vermächtnisweiser Übertragung eines Kommanditanteils Ich vermache meiner Tochter T meinen Kommanditanteil an der in das Handelsregister … eingetragenen K-KG (Handelsregisternummer). Gegenstand des Vermächtnisses ist der Kommanditanteil mit allen hieraus resultierenden Rechten und Pflichten, inklusive aller in allen Kapitalkonten ausgewiesenen Aktiv- und Passiv1 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, MDR 1989, 1080 = FamRZ 1989, 1168 = NJW 1989, 3152 (3155). 2 Reymann, ZEV 2008, 307 (308). 3 Zur Notarhaftung bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung ohne Kenntnis des Gesellschaftsvertrags BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 72/99, MDR 2002, 1064 = ZEV 2002, 322. Nienaber

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B VI

Rz. 98

Vermächtnis

posten. Das Vermächtnis erfasst insbesondere auch sämtliche Ansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB, wie z.B. künftigen Gewinn oder eventuelle Auseinandersetzungsguthaben. Sollte die Übertragung des Kommanditanteils scheitern, vermache ich meiner Tochter T sämtliche aus diesem Anteil resultierenden Ansprüche aus § 717 Abs. 2 BGB.

8. Das Nießbrauchsvermächtnis

Beratungssituation: Der Mandant hat ein Einzelhandelsunternehmen. Er ist zudem Eigentümer einiger Häuser. Sein Sohn soll langfristig das gesamte Vermögen erhalten. Bis zum Tod seiner Ehefrau möchte er sie dadurch absichern, dass sie bis zum 30. Geburtstag des gemeinsamen Sohnes sämtliche Nutzungen aus dem Nachlass erhält. Bis dahin soll sie auch das Vermögen verwalten und insbesondere das Unternehmen leiten. Nach dem 30. Geburtstag soll der Sohn des Mandanten die Unternehmensleitung übernehmen. Die Ehefrau des Mandanten soll dann nach wie vor bis zu ihrem Lebensende die Nutzungen aus den Häusern sowie 50 Prozent des Unternehmensgewinns erhalten. Der Mandant möchte wissen, durch welche erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeit er diese Ziele am besten verwirklichen kann. 98

Gegenstand eines Vermächtnisses kann auch ein beschränktes dingliches Recht, also z.B. ein Nießbrauch sein. Der Nießbrauch an einer Erbschaft ist in § 1089 BGB ausdrücklich erwähnt. Die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses bietet sich häufig vor allem aus erbschaftsteuerrechtlichen Gründen an (vgl. Rz. 104, 196). a) Die Unterschiede zwischen Nießbrauchsvermächtnis und Vorerbschaft

99

Das Nießbrauchsvermächtnis kann nach seiner konkreten Ausgestaltung der Vorerbschaft weitgehend entsprechen1. So wird durch beide Gestaltungsmöglichkeiten in erster Linie die Versorgung des Erstbedachten und die Erhaltung des Vermögens für den Endbedachten erreicht. Zudem werden durch die Anordnung einer Vorerbschaft sowie eines Nießbrauchsvermächtnisses Pflichtteilsansprüche des Vorerben bzw. Nießbrauchsvermächtnisnehmers umgangen2.

100

Die anwaltliche Beratung darüber, ob eine Vorerbschaft oder ein Nießbrauchsvermächtnis angeordnet werden soll, muss sich an den Unterschieden zwischen beiden Gestaltungsformen orientieren:

101

– Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft muss z.B. erfolgen, wenn der Endbedachte zur Zeit des Todes des Erblassers noch nicht erzeugt sein wird. Dann bietet § 2101 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, auch eine noch nicht erzeugte Person zum Nacherben einzusetzen. Beim Nießbrauchsvermächtnis 1 Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (251 ff.); Schlüter, Erbrecht, Rz. 739. 2 Beim Nießbrauchsvermächtnis stehen die Vermögensgegenstände dem Nießbaucher zu keinem Zeitpunkt zu und spielen daher bei der Berechnung von Pflichtteilsansprüchen nach ihm keine Rolle. Das der Vorerbschaft unterliegende Vermögen wird zwar während der Vorerbschaft dem Vorerben zugeordnet, bildet jedoch ein Sondervermögen, das ebenfalls nicht in die Berechnung der Pflichtteilsansprüche einfließt. 384

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 104

B VI

werden die Endbedachten dagegen mit dem Erbfall direkt Erben und müssen daher nach § 1923 Abs. 2 BGB zum Zeitpunkt des Erbfalls zumindest erzeugt sein1. Gleiches gilt, wenn mehrere Endbedachte in Betracht kommen und der Erblasser noch nicht in der Lage ist, eine endgültige Auswahl zu treffen (z.B. zwischen mehreren minderjährigen Kindern). Dann steht beim Erbfall der Erbe noch nicht fest, so dass der Erstbedachte nur als Vorerbe eingesetzt werden kann. – Im Gegensatz zur Vorerbschaft führt ein Nießbrauchsvermächtnis nicht zum Eigentumserwerb des Bedachten. Der Nießbraucher hat daher per se auch keine Verfügungsbefugnisse über die mit dem Nießbrauch belasteten Vermögensgegenstände. Eine Verfügungsbefugnis kann der Erblasser ihm allerdings z.B. durch die Benennung des Nießbrauchsvermächtnisnehmers zum Testamentsvollstrecker2 oder durch Einräumung einer postmortalen Vollmacht3 einräumen (Dispositionsnießbrauch).

102

– Ein Nachteil des Nießbrauchsvermächtnisses gegenüber der Vorerbschaft ist, dass der Nießbrauch noch nicht direkt mit dem Erbfall durch die Zuwendung mittels Vermächtnis entsteht, sondern wie jedes Vermächtnis erst durch eine Erfüllung durch den Beschwerten begründet werden muss. Auch im Hinblick hierauf bietet sich die Einräumung einer Testamentsvollstreckerstellung oder Bevollmächtigung4 für den Nießbrauchsvermächtnisnehmer zumindest mit dem Aufgabenkreis an, den Nießbrauchsanspruch zu erfüllen. Der Erblasser kann zudem direkt in seiner letztwilligen Verfügung die dingliche Einigungserklärung zur Bestellung des Nießbrauchs erklären.

103

M 50 Ernennung des Nießbrauchsvermächtnisnehmers zum Testamentsvollstrecker Hiermit ernenne ich den Nießbrauchsvermächtnisnehmer zum Testamentsvollstrecker mit dem Aufgabenkreis, sich selbst den Nießbrauch zu bestellen und den Nießbrauchsgegenstand zu verwalten. Er ist in der Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nießbrauchsgegenstand nicht beschränkt und von den Beschränkungen nach § 181 BGB befreit. Er kann den Nießbrauchsgegenstand nur mit der Zustimmung der Erben veräußern.

– Der entscheidende Vorteil des Nießbrauchsvermächtnisses gegenüber der Vorerbschaft liegt darin, dass der wiederholte Anfall von Erbschaftsteuer bezogen auf die volle Vermögenssubstanz, wie er bei Vor- und Nacherbschaft erfolgt, vermieden wird (§ 6 ErbStG). Der Nießbrauchsvermächtnisnehmer muss lediglich den Kapitalwert des Nießbrauchs versteuern, wobei er ein Wahlrecht zwischen einer einmaligen oder einer jährlichen Versteuerung hat (§ 23 ErbStG). Die volle Vermögenssubstanz muss indes nur einmal nach § 3 Abs. 1 1 Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (251). 2 Vgl. zur Zulässigkeit der Kombination der Stellung als Nießbrauchsvermächtnisnehmer und Testamentsvollstrecker z.B. BayObLG v. 24.2.1988 – BReg.1 Z 48/86, MDR 1988, 674 = FamRZ 1988, 770 = BayObLGZ 1988, 42 (46); Staudinger/Frank, § 1089 Rz. 6. 3 OLG Köln v. 10.2.1992 – 2 Wx 50/91, FamRZ 1992, 859 = MittRhNotK 1992, 88. 4 Die Bevollmächtigung erfolgt unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB. Nienaber

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104

B VI

Rz. 105

Vermächtnis

Nr. 1 ErbStG vom Erben versteuert werden. Von dem Nachlasswert kann der Kapitalwert des Nießbrauchs abgezogen werden. Der beratende Anwalt sollte den Erblasser darauf hinweisen, dass diese erbschaftsteuerrechtlichen Konsequenzen zwar häufig zu einer Bevorzugung des Nießbrauchsvermächtnisses gegenüber der Vorerbschaft führen können, dass aber vor allem der Erbe, der aufgrund des Nießbrauchs beim Erbfall noch keine wirtschaftlichen Vorteile aus der Erbschaft ziehen kann, häufig nicht in der Lage sein wird, die sofort anfallende Erbschaftsteuer zu entrichten. Insoweit kann der Nießbrauchsberechtigte verpflichtet werden, den Erben in Höhe der Erbschaftsteuer aus den Erträgen des Nießbrauchs freizustellen. 105

105a

– Einkommensteuerrechtlich werden die Einkünfte aus dem Nießbrauch bzw. den Gegenständen der Vorerbschaft dem Nießbraucher bzw. dem Vorerben zugerechnet. Unterschiede bestehen zwischen der Vorerbschaft und dem Nießbrauch insoweit, als es um die Abschreibung von durch den Erblasser getätigten Anschaffungs- und Herstellungskosten nach dessen Tod und die Absetzung für Abnutzungen geht. Während der Vorerbe insoweit Abschreibungsmöglichkeiten hat, wird dem Vermächtnisnießbraucher diese Abschreibungsbefugnis vom BFH1 abgesprochen. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten seien gem. § 1922 Abs. 1 BGB nicht dem Vermächtnisnehmer, sondern dem Erben zuzurechnen. Soll dem Erstbedachten also eine Abschreibungsmöglichkeit zustehen, so sollte eine Vorerbschaft angeordnet werden. Es kann aber auch darüber nachgedacht werden, insoweit testamentarisch eine Ausgleichspflicht des Erben im Hinblick auf seinen Steuervorteil anzuordnen. Im Beispielsfall bestünden also verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten: – Die Ehefrau könnte zur Vorerbin werden. Der Nacherbfall würde dann mit dem 30. Geburtstag des Sohnes anfallen. Ab diesem Zeitpunkt müssten der Ehefrau allerdings durch Vermächtnis 50 % der Unternehmensgewinne und 100 % der Nutzungen des übrigen Vermögens zugewendet werden. – Denkbar wäre aber auch, den Sohn direkt zum Erben zu machen und der Ehefrau lediglich ein Vermächtnis zuzuwenden, das sich bis zum 30. Geburtstag des Sohnes auf die gesamten Nutzungen des Nachlasses und danach auf 50 % der Unternehmensgewinne und die gesamten Nutzungen des übrigen Vermögens erstreckt. Damit die Ehefrau das Unternehmen bis zum 30. Geburtstag des Sohnes leiten kann, müsste ihr ferner bis dahin eine Verwaltungsbefugnis – am besten durch eine Testamentsvollstreckerstellung – eingeräumt werden. Da die Vermächtnisnehmerin in diesem Fall die Ehefrau des Erblassers ist, sind die erbschaftsteuerrechtlichen Vorteile dieser Lösung nicht ganz so groß wie bei anderen Vermächtnisnehmern, da der Sohn, der sofort beim Erbfall Erbe wird, die Belastung nicht in Abzug bringen kann. Bei besonders großen Vermögen ergibt sich aber dennoch oft ein erheblicher Steuervorteil, da der Kapitalwert der Nutzungen häufig geringer als die Vermögenssubstanz ist und daher die zweifache Versteuerung der Vermögenssubstanz bei der Vor- und Nacherbschaft wesentlich höher wäre.

1 BFH v. 28.9.1993 – IX R 156/88, NJW 1994, 2483 entgegen der zuvor bestehenden Rechtslage. 386

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 109

B VI

b) Die Bestellung des Nießbrauchs Der Nießbrauch kann an Sachen (§§ 1030–1067 BGB), an Rechten (§§ 1068 bis 1084 BGB), an Vermögen (§§ 1085–1088 BGB) und an einer Erbschaft (§ 1089 BGB) bestehen. Ein Nießbrauch an Rechten ist allerdings nur möglich, soweit das Recht übertragbar ist (§§ 1069 Abs. 2 BGB). Ist das Recht nicht übertragbar, kann nur ein schuldrechtlicher, dem Nießbrauch möglichst angenäherter Anspruch gegen den Erben auf die Herausgabe der Nutzungen vermacht werden (sog. obligatorischer Nießbrauch, vgl. dazu Rz. 111)1.

106

Soll der Nießbrauch am gesamten Nachlass bestellt werden, muss er wegen des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes an jedem Nachlassgegenstand entsprechend den für den jeweiligen Gegenstand geltenden Vorschriften einzeln bestellt werden. Ist ein Nießbrauch an einem Erbteil zugewendet, handelt es sich um einen Nießbrauch an einem Recht, zu dessen dinglicher Einräumung es einer notariellen Beurkundung bedarf (§§ 2169 Abs. 1, 2033 Abs. 1 BGB). Möglich ist die Beschränkung des Nießbrauchs auf bestimmte Nachlassgegenstände. Zulässig sind auch sog. Bruchteils- oder Quotenvermächtnisse. Beim Bruchteilsvermächtnis wird ein ideeller Bruchteil eines Gegenstandes (z.B. 1/ 2 Anteil eines Grundstücks) mit dem Nießbrauch belastet, beim Quotenvermächtnis erhält der Berechtigte aus den Nutzungen nur eine Quote2.

107

Im Beispielfall kann der Ehefrau nach dem 30. Geburtstag des Sohnes also an dem Unternehmensgewinn ein Quotenvermächtnis mit einer Quote von 50 % zugewendet werden. Bis zur Bestellung des Nießbrauchs hat der Vermächtnisnehmer lediglich einen obligatorischen Anspruch auf Bestellung des Nießbrauchs. Hat der Erblasser ihm nicht gleichzeitig durch eine postmortale Vollmacht oder durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckerstellung die Befugnis eingeräumt, das Nießbrauchsrecht selbst zu bestellen (vgl. Rz. 103), kann der Nießbrauchsvermächtnisnehmer als Nachlassgläubiger unter Umständen Nachlassverwaltung beantragen (§ 1981 Abs. 2 BGB).

108

c) Die Modifikation der Rechte und Pflichten des Nießbrauchers durch Anordnungen des Erblassers Ohne eine besondere Anordnung des Erblassers ist der Nießbraucher zur Verfügung über den Nießbrauchsgegenstand grundsätzlich nicht befugt (vgl. Rz. 102). Nach § 1048 Abs. 1 BGB darf er aber innerhalb der Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft über das Inventar eines Grundstücks verfügen. Diese Vorschrift wird auf den Nießbrauch an einem Sachinbegriff, wie z.B. einem Unternehmen, entsprechend angewendet3. Wegen dieser nur eingeschränkten Verfügungsbefugnis sollte der Mandant stets über die Möglichkeit der Kombination von Nießbrauch und Testamentsvollstreckung aufgeklärt werden4. 1 Wird dennoch ein Nießbrauchsvermächtnis angeordnet, kann dieses als Vermächtnis eines entsprechenden obligatorischen Nutzungsanspruchs ausgelegt werden. Vgl. dazu Staudinger/Frank, § 1089 Rz. 12. 2 Vgl. dazu BayObLG v. 3.7.1973 – 2Z 25/73, DNotZ 1974, 241 (243); LG Köln v. 22.6.1999 – 11 T 122/99, MittRhNotK 1999, 246. 3 BGH v. 18.11.1974 – VIII ZR 236/73, WM 1974, 1219 (1220). 4 Bühler, BB 1997, 551 (557 f.); vgl. auch Rz. 102. Nienaber

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387

109

B VI 110

Rz. 110

Vermächtnis

Nach § 1047 BGB hat der Nießbraucher die Lasten der Sache (z.B. Grundsteuer, Grundschuldforderungen etc.) zu tragen, sofern es sich nicht um außerordentliche Lasten handelt, die als auf den Stammwert der Sache gelegt anzusehen sind (z.B. Erschließungsbeiträge, Flurbereinigungsbeiträge1). Der Erblasser kann eine hiervon abweichende Anordnung treffen2. Der Nießbraucher muss ferner für die Erhaltung der Sache sorgen (§ 1041 BGB), zu außergewöhnlichen Unterhaltungsmaßnahmen3 ist er allerdings nicht verpflichtet. Auch insoweit ist eine abweichende Bestimmung des Nießbrauchsinhalts durch den Erblasser zulässig4. d) Der dingliche und der „obligatorische“ Nießbrauch

111

Dem Bedachten kann anstelle eines dinglichen Nießbrauchs auch ein schuldrechtlicher Nutzungsanspruch zugewendet werden, der dem dinglichen Nießbrauch im Ergebnis weitgehend entspricht. Hiervon ist trotz der Bezeichnung als Nießbrauch z.B. bei der Einräumung eines Nutzungsrechts an einem nicht übertragbaren Recht auszugehen, an dem wegen § 1069 Abs. 2 BGB ein dinglicher Nießbrauch nicht bestellt werden kann. Ein solcher schuldrechtlicher Nutzungsanspruch ist i.d.R. auch anzunehmen, wenn der Erbe dem Bedachten den Nießbrauch dinglich – etwa wegen unterlassener Eintragung im Grundbuch – nicht bestellt hat, die Parteien aber davon ausgehen, dass der Nießbrauch bereits besteht. e) Der Nießbrauch an einem Unternehmen

112

Um den Bedachten in den Genuss der Gewinne bzw. eines Gewinnanteils an einem Unternehmen zu bringen, bieten sich verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich des Vermächtnisrechts an.

113

Zunächst besteht die Möglichkeit, dem Bedachten lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben auf Auszahlung des gesamten oder teilweisen Reinertrags des Unternehmens zu vermachen („obligatorischer Nießbrauch“; vgl. Rz. 111)5.

114

Außerdem kann ein Ertragsnießbrauch vermacht werden, wonach dem Nießbraucher zwar an allen Gegenständen des Unternehmens der Nießbrauch vermacht ist, der Nießbrauch jedoch nur auf den Ertrag dieser Gegenstände gerichtet ist. Der Nießbraucher ist dann von der Führung des Unternehmens ausgeschlossen, hat aber einen Anspruch auf den Reingewinn6. Das Ertragsnießbrauchsvermächtnis ist meist als Quotennießbrauchsvermächtnis ausgestaltet7. Da der Nießbrauchsvermächtnisnehmer hier nicht Unternehmer wird, haftet er nicht nach außen. 1 OVG Lüneburg v. 14.8.1959 – OVG I 21/59, RdL 1959, 332 (333); Palandt/Bassenge, § 1047 Rz. 2. 2 RG v. 26.1.1934 – VII 261/33, RGZ 143, 231 (234). 3 Z.B. Dachsanierung nach Ablauf der Lebensdauer: OLG Koblenz v. 4.11.1993 – 5 U 1714/92, MDR 1994, 1115 = NJW-RR 1995, 15. 4 Zur Zulässigkeit einer abweichenden Vereinbarung des Nießbrauchsinhalts BayObLG v. 18.9.1997 – 2 ZBR 85/97, RPfleger 1998, 70 (71). 5 BGH v. 16.12.1968 – III ZR 102/66, WM 1969, 337. 6 Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (260). 7 BayObLG v. 3.7.1973 – 2Z 25/73, BayObLGZ 1973, 168 (172). 388

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 119

B VI

Der echte Unternehmensnießbrauch1 führt zur Unternehmereigenschaft des Nießbrauchers und damit

115

– zum unmittelbaren Besitz des Nießbrauchers an den Unternehmensgegenständen, – zur Verfügungsbefugnis des Nießbrauchers über das Umlaufvermögen, das nach § 1067 BGB ins Eigentum des Nießbrauchers übergeht, – zum Recht auf Eigenerwerb des Reingewinns2 sowie – zur vollen Haftung des Nießbrauchers nach außen. Diese Haftung erstreckt sich bei Firmenfortführung auch auf die bis zur Übernahme des Handelsgeschäfts begründeten Verbindlichkeiten (§§ 22 Abs. 2, 25 Abs. 1 HGB), es sei denn, ein Haftungsausschluss ist mit dem Erben nach § 25 Abs. 2 HGB vereinbart und ins Handelsregister eingetragen. Der Erbe ist zur Vereinbarung eines solchen Haftungsausschlusses nur verpflichtet, wenn der Erblasser eine entsprechende Anordnung getroffen hat. Bei der anwaltlichen Beratung über die Ausgestaltung eines Nießbrauchsvermächtnisses ist die Regelung der Haftungsfrage mit dem Mandanten zu erörtern. Der Nießbrauchsvermächtnisnehmer hat abgesehen von der Möglichkeit einer Ausschlagung kein Wahlrecht, ob er die Unternehmensnachfolge antreten möchte, da er nach § 1036 Abs. 2 BGB verpflichtet ist, die Zweckbestimmung der Gegenstände aufrechtzuerhalten. Der Erbe muss der Firmenfortführung durch den Nießbrauchsvermächtnisnehmer zustimmen.

116

Auch beim Unternehmensnießbrauch muss der dingliche Nießbrauch an jedem einzelnen Gegenstand des Unternehmens entsprechend der hierfür geltenden Vorschriften bestellt werden. Der Nießbraucher wird lediglich Eigentümer der Gegenstände des Umlaufvermögens, das Anlagevermögen verbleibt im Eigentum des Erben. Der Nießbrauchsvermächtnisnehmer kann daher nur über die Gegenstände des Anlagevermögens analog § 1048 BGB im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verfügen3. Auch im Hinblick hierauf sollte bei der anwaltlichen Beratung über die Möglichkeiten der Erweiterung der Verfügungsbefugnisse des Nießbrauchsvermächtnisnehmers durch seine Bestellung zum Testamentsvollstrecker aufgeklärt werden.

117

Die dem Nießbraucher zustehenden Früchte bestehen in den entnahmefähigen Erträgen. Die Ermittlung des Reingewinns erfolgt nach anerkannten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden4. Zur Vermeidung eines Streits über die Bewertung sollte dem Erblasser geraten werden, diesbezüglich eine genaue Festlegung vorzunehmen.

118

Die Steuerfolgen eines Unternehmensnießbrauchs sind bis heute nicht hinreichend gelöst5. Die anwaltliche Beratung sollte daher unter Hinzuziehung eines

119

1 Der echte Unternehmensnießbrauch ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, wird aber in § 22 Abs. 2 HGB vorausgesetzt. 2 BayObLG v. 3.7.1973 – 2Z 25/73, BayObLGZ 1973, 168 (171). 3 Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (260); Staudinger/Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 35. 4 Vgl. dazu z.B. Staudinger/Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 42 f. 5 Staudinger/Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 45. Nienaber

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389

B VI

Rz. 120

Vermächtnis

Steuerberaters erfolgen, der die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten genau kennt. Hat der Nießbraucher nur einen Ertragsnießbrauch, werden seine Einkünfte meist als vom Nießbrauchsbesteller abgeleitet nach § 22 Nr. 1 EStG versteuert und für den Nießbrauchsbesteller werden die an den Nießbraucher abgeführten Beträge als dauernde Last angesehen, die er nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehen kann. Beim Unternehmensnießbrauch werden die Einkünfte indes direkt beim Nießbraucher versteuert (§ 15 EStG). aa) Der Nießbrauch an einer Personenhandelsgesellschaft 120

Der Tod eines Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft führt nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB zum Ausscheiden des Gesellschafters aus der Gesellschaft. Möchte der Gesellschafter seine Nachfolge in dem Unternehmen erbrechtlich gestalten, so muss zunächst sichergestellt werden, dass der Gesellschaftsvertrag für den Fall seines Todes eine Nachfolgeklausel enthält. Erst wenn diese Vorbedingung erfüllt ist, können erbrechtliche Gestaltungen zur Unternehmensnachfolge greifen (vgl. Rz. 97a). Der Nießbrauch im Hinblick auf einen Anteil an einer Personengesellschaft kann als reiner Ertragsnießbrauch, also ein Nießbrauch an den aus der Gesellschaftsbeteiligung resultierenden Gewinnansprüchen, vermacht werden. Da die Gewinnansprüche nach § 717 S. 2 BGB abtretbar sind, ist insoweit eine Nießbrauchsbestellung unproblematisch möglich1.

M 51 Ertragsnießbrauch an Gewinnansprüchen aus Gesellschaftsanteil Zulasten meines Erben vermache ich meiner Ehefrau an meinem Geschäftsanteil der Firma O-OHG einen lebenslangen Nießbrauch, der an den vermögensrechtlichen Bezügen, also den Gewinnansprüchen und einem etwaigen Auseinandersetzungsguthaben, in Höhe von jeweils 60 % besteht. Der Nießbrauch bezieht sich auch auf Kapitalerhöhungen, allerdings nicht auf solche gegen Einlagen. Mein Erbe bleibt Gesellschafter. Meine Ehefrau hat insbesondere keine Stimmoder sonstigen Verwaltungsrechte an der O-OHG. Mein Erbe benötigt für folgende Geschäfte die Zustimmung meiner Ehefrau: Veräußerung des Gesellschaftsanteils, Kündigung der Beteiligung und Austritt aus der Gesellschaft. 121

Der Gesellschaftsanteil selbst kann mit einem Unternehmensnießbrauch nur belastet werden, wenn der Gesellschaftsanteil laut Gesellschaftsvertrag übertragbar ist oder wenn alle Gesellschafter der Nießbrauchsbestellung zustimmen (§ 1069 Abs. 2 BGB; vgl. auch Rz. 97b)2. Umstritten ist, ob es ausreichend ist, wenn der Gesellschaftsvertrag zwar die Übertragbarkeit der Beteiligung, nicht aber eine ausdrückliche Regelung zur Zulässigkeit der Nießbrauchsbestellung vorsieht3.

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Selbst wenn aber die gesellschaftsrechtlichen Vorbedingungen (Nachfolgeklausel/Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteils) erfüllt sind, ist weiter umstritten, 1 BGH v. 12.12.1974 – II ZR 166/72, DNotZ 1975, 735 (737). 2 Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 (261); Staudinger/Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 48. 3 Für die Möglichkeit einer Nießbrauchsbestellung ohne ausdrückliche Regelung im Gesellschaftsvertrag: Palandt/Bassenge, § 1069 Rz. 2; Staudinger/Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 67; a.A. Petzoldt, DStR 1992, 1171; MüKo.BGB/Ulmer/Schäfer, § 705 Rz. 97. 390

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 123

B VI

ob an dem Gesellschaftsanteil einer Personenhandelsgesellschaft wirklich ein dinglicher Nießbrauch bestellt werden kann1. Hintergrund für diesen Streit ist die Frage, ob ein Gesellschaftsanteil dergestalt gesplittet werden kann, dass Inhaber des Anteils und damit Gesellschafter der Nießbrauchsbesteller bleibt, während die aus dem Anteil herrührenden Befugnisse auf den Nießbraucher übergehen. Die früher herrschende Meinung lehnte eine solche Aufteilung ab und ging davon aus, dass letztlich der „Nießbraucher“ treuhänderisch die Beteiligung an der Gesellschaft komplett übernehme und der „Nießbrauchsbesteller“ für die Zeit des „Nießbrauchs“ aus der Gesellschaft ausscheide. Damit läge kein wirklicher Nießbrauch vor, da diese treuhänderische Vollrechtsübertragung mehr als ein Nießbrauch ist. Der „Nießbrauchstreuhänder“ rückt vollständig in die Gesellschafterstellung ein, so dass ihm sämtliche aus der Gesellschafterstellung resultierenden Rechte (evtl. Geschäftsführung, Vertretung, Stimmrecht) zustehen. Als Gesellschafter ist er in das Handelsregister einzutragen. Möchte der Erblasser bei dieser Gestaltungsform die Befugnisse des „Nießbrauchstreuhänders“ begrenzen, so kann er das Vermächtnis derart ausgestalten, dass er den Vermächtnisnehmer verpflichtet, schuldrechtlich wirkende Abreden im Innenverhältnis mit dem Erben zu treffen. Diese Vereinbarungen haben allerdings keine begrenzende Wirkung auf die Rechtsmacht des Vermächtnisnehmers im Außenverhältnis bei der Ausübung seiner mitgliedschaftlichen Rechte. Heute ist allerdings die Meinung, dass die Bestellung eines echten Nießbrauchs am Gesellschaftsanteil einer Personenhandelsgesellschaft zulässig ist, immer mehr im Vordringen begriffen2. Danach bleibt der Nießbrauchsbesteller Gesellschafter, während die aus dem Anteil herrührenden Befugnisse dem Nießbraucher zustehen. Stark umstritten ist aber, ob wirklich alle aus dem Anteil resultierenden Befugnisse auf den Nießbraucher übergehen und vor allem wie die Mitgliedschaftsrechte verteilt sind. Der Bundesgerichtshof hat sich hinsichtlich des Stimmrechts – zumindest soweit es die Grundlagen der Gesellschaft berührt – dafür entschieden, dass dieses Recht dem Gesellschafter und damit dem Nießbrauchsbesteller verbleiben müsse3. Ob die Mitgliedschaftsrechte damit entsprechend einer weit verbreiteten Meinung allgemein4 oder nur bei Grundlagenfragen beim Nießbrauchsbesteller verbleiben sollen, hat der Bundesgerichtshof leider nicht geklärt. Insofern wird häufig eine Aufspaltung der Mitgliedschaftsrechte dergestalt vorgeschlagen, dass der Nießbraucher die seine Rechtsstellung betreffenden Rechte hinsichtlich der laufenden Verwaltung erhalte, während beim Nießbrauchsbesteller die Grundlagenkompetenzen hinsichtlich der Substanz verblieben5. 1 Gegen die Möglichkeit eines dinglichen Nießbrauchs: Bunke, DNotZ 1968, 5 (7); Sudhoff, NJW 1971, 481; Paus, BB 1990, 1675 (1679); offengelassen in BGH v. 12.12. 1974 – II ZR 166/72, DNotZ 1975, 735 (737). 2 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, NJW 1995, 1918 (1919); BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, MDR 1999, 240 = NJW 1999, 571 (572); K. Schmidt, ZGR 1999, 600 (601); Staudinger/Frank, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz. 57 ff. 3 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, MDR 1999, 240 = NJW 1999, 571 (572) (zu der Frage der Mitwirkung beim Rechnungsabschluss). 4 Hierfür z.B. OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, NJW 1992, 2163 (2164); K. Schmidt, ZGR 1999, 600 (609 f.). 5 Baumbach/Hopt, § 105 HGB Rz. 46; Gschwendtner, NJW 1995, 1875, 1876; Koller/ Roth/Morck, § 105 HGB Rz. 23; MüKo.HGB/Schmidt, Vor § 230 Rz. 21. Nienaber

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B VI

Rz. 124

Vermächtnis

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In gewissen Grenzen ist es möglich, die Zuordnung der Mitgliedschaftsrechte vertraglich zu regeln. Da angesichts der verworrenen Rechtslage nicht sicher vorhergesagt werden kann, wem die Mitgliedschaftsrechte ohne eine vertragliche Regelung zustehen, ist hierzu dringend zu raten. Der Erblasser sollte bereits in seiner letztwilligen Verfügung solche vertraglichen Regelungen zwischen dem Erben und dem Vermächtnisnehmer anordnen, indem er z.B. das Vermächtnis an die Bedingung des Abschlusses eines entsprechenden Vertrags knüpft und den Vertragsabschluss auf der anderen Seite für den Erben zur Auflage macht.

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– Möchte der Erblasser dem Nießbraucher sämtliche Mitgliedschaftsrechte im Außenverhältnis zuordnen, bietet sich die Gestaltung als „Nießbrauchstreuhand“ an. Der beratende Anwalt sollte dann aber mit dem Erblasser die Möglichkeiten durchsprechen, die Ausübung dieser Mitgliedschaftsrechte im Innenverhältnis zum Erben zu beschränken (vgl. Rz. 122).

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– Entscheidet der Erblasser sich indes für die Bestellung eines echten Nießbrauchs, so kann er den Erben verpflichten, den Nießbraucher zur Ausübung der dem Gesellschafter zustehenden Stimmrechte zu bevollmächtigen1.

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– Ob der Erblasser den Erben indes auch verpflichten kann, im Falle des echten Nießbrauchs das Stimmrecht selbst auf den Nießbraucher zu übertragen, ist umstritten2. Jedenfalls ist hierfür zumindest erforderlich, dass der Gesellschaftsvertrag die Übertragung des Stimmrechts zulässt oder doch zumindest eine entsprechend konkludente Vereinbarung unter den Gesellschaftern getroffen worden ist.

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– Möchte der Erblasser die Mitgliedschaftsrechte indes beim Erben belassen, so bietet sich angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheit an, auch dies testamentarisch ausdrücklich zu regeln und den Erben und den Vermächtnisnehmer zu verpflichten, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Soll mittels des Vermächtnisses lediglich sichergestellt werden, dass der Vermächtnisnehmer die Erträge des Gesellschaftsanteils erhält, sollen ihm aber keine Mitgliedschaftsrechte zustehen, bietet sich das Vermächtnis eines bloßen Ertragsnießbrauchs an.

M 52 Echter Unternehmensnießbrauch Zulasten meines Erben vermache ich meiner Ehefrau einen lebenslangen Nießbrauch an meinem Geschäftsanteil an der O-OHG. Das Nießbrauchsrecht soll die volle Rechtsstellung eines Gesellschafters erfassen (echter Unternehmensnießbrauch). Meiner Ehefrau sollen sämtliche Mitgliedschaftsrechte aus dem Geschäftsanteil, insbesondere auch das Stimmrecht, zustehen. Der Erbe ist insoweit verpflichtet, das Stimmrecht meiner Ehefrau zu übertragen3. Sollte diese Übertragung nicht zulässig sein, muss er meine Ehefrau unwiderruflich bevollmächtigen, das Stimmrecht für ihn auszuüben. Im Innenverhältnis zum Erben ist meine Ehefrau verpflichtet, folgende Maßnahmen nicht ohne seine Zustimmung vorzunehmen: …

1 Vgl. zur Zulässigkeit der Bevollmächtigung K. Schmidt, ZGR 1999, 600 (611). 2 Dagegen z.B. OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, NJW 1992, 2163; dafür K. Schmidt, ZGR 1999, 600 (611). 3 Ob diese Stimmrechtsübertragung zulässig ist, ist umstritten; s. Rz. 127. 392

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 132

B VI

bb) Der Nießbrauch an einem GmbH-Anteil Der GmbH-Anteil kann Gegenstand des Nießbrauchs sein, sofern seine Übertragbarkeit nicht durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen ist1. Wie auch beim Nießbrauch an Personenhandelsgesellschaften ist bei der GmbH umstritten, wer das Stimmrecht aus dem mit dem Nießbrauch belasteten Gesellschaftsanteils ausüben darf (vgl. Rz. 123).

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cc) Der Nießbrauch an einer Aktie Auch die Bestellung des Nießbrauchs an einer Aktie ist zulässig, wenn die Aktie übertragbar ist. Hier stellt sich die Frage nach der Verteilung der Mitgliedschaftsrechte in vergleichbarer Form wie bei der Personenhandelsgesellschaft und der GmbH (vgl. Rz. 123).

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f) Das Rentenvermächtnis

Beratungssituation: Der Erblasser setzt seinen Sohn zum Alleinerben ein. Er möchte seine Ehefrau allerdings dadurch abgesichert wissen, dass sie lebenslang von seinem Sohn eine monatliche Rente erhält. Da seine Ehefrau erst 53 Jahre alt ist, befürchtet er aber, dass inflationsbedingt der von ihm festgesetzte Betrag in Höhe von monatlich 2 500 Euro nicht immer angemessen bleiben wird. Das Vermächtnis kann auf wiederkehrende Leistungen gerichtet werden, die im Gegensatz zum Nießbrauch nicht von der Erzielung bestimmter Nutzungen abhängen, sondern gegebenenfalls aus der Substanz geleistet werden müssen. Zur Sicherung eines Rentenvermächtnisses bietet sich an, den Beschwerten zu verpflichten, eine Rentenreallast an einem Grundstück zu bestellen (§ 1105 BGB). Bei Rentenvermächtnissen, die ein Dauerschuldverhältnis begründen, sollten Wertsicherungsklauseln vorgesehen werden2. Diese Wertsicherungsklauseln können in zweifacher Weise erfolgen:

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– Als Gleitklausel: Wertsicherungsklauseln werden häufig derart an die Entwicklung des Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes angelehnt, dass der vermachte Rentenanspruch bei einem bestimmten Anstieg dieser Bezugsgröße automatisch steigt. Die Zulässigkeit solcher Wertsicherungsklauseln ist am Preisklauselgesetz zu messen und nach § 3 Abs.1 Nr. 2a 2. Hs PrKG zu bejahen.

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M 53 Rentenvermächtnis mit Wertsicherungsklausel Zulasten meines Erben vermache ich meiner Ehefrau eine bis zu ihrem Lebensende monatlich im Voraus zu zahlende Rente von 2 500 Euro monatlich. Die Höhe dieser Rente soll sich sowohl in der Zeit von heute bis zu meinem Tod als auch danach ändern, wenn sich der vom Statistischen Bundesamt festgestellte Verbraucherpreisindex für Deutschland für die mittlere Verbrauchergruppe um mehr als 10 % ändert. Die Rente soll sich dann jeweils beginnend mit dem Januar 1 Vgl. z.B. Ivens, ZEV 2011, 177 (179). 2 Vgl. dazu z.B. Oertzen, ZEV 1994, 160. Nienaber

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B VI

Rz. 133

Vermächtnis

des Folgejahres im gleichen prozentualen Verhältnis wie der Verbraucherpreisindex ändern. Mein Erbe ist verpflichtet, diese Rentenzahlungsverpflichtung binnen dreier Monate nach meinem Tod durch Eintragung einer Rentenreallast im Grundbuch auf dem Grundstück X zu sichern. 133

– Als Leistungsvorbehalt: Hier ordnet der Erblasser an, dass der Beschwerte mit dem Vermächtnisnehmer über die Anpassung der Höhe der Rentenzahlung neu verhandeln muss, wenn sich eine bestimmte Vergleichsgröße wie z.B. der Verbraucherpreisindex ändert. Es erfolgt keine automatische Anpassung, sondern die Anpassung wird erst mit einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Bedachtem und Beschwertem wirksam. Der Erblasser kann auch anordnen, dass die Anpassung durch einen Dritten bestimmt werden soll.

VI. Die Wirksamkeit des Vermächtnisses 134

Nach § 2171 Abs. 1 BGB ist ein Vermächtnis unwirksam, das auf eine zum Zeitpunkt des Erbfalls objektiv unmögliche oder verbotene Leistung gerichtet ist. Ein Vermächtnis, das aufgrund einer Bedingung oder Befristung erst nach dem Erbfall anfällt, ist nur dann unwirksam, wenn die Leistung zur Zeit des Anfalls unmöglich oder verboten ist (§ 2171 Abs. 3 BGB)1. Die Unmöglichkeit oder Verbotswidrigkeit führt allerdings nach § 2171 Abs. 2 BGB nicht zur Unwirksamkeit, wenn das Hindernis beseitigt werden kann und das Vermächtnis auch für diesen Fall angeordnet ist. Das Gesetz betrachtet das Möglichwerden der Leistung als aufschiebende Bedingung, so dass die §§ 158 ff. BGB anzuwenden sind2. Ist dem Erblasser also das mögliche Hindernis bewusst, sollte er in der letztwilligen Verfügung ausdrücklich erwähnen, dass das Vermächtnis auch für den Fall der Beseitigung des Hindernisses angeordnet sein soll.

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§ 2171 BGB erfasst nur den Fall der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit. Nach § 2172 BGB gilt die Leistung der vermachten Sache auch bei Verbindung, Vermischung und Vermengung als unmöglich. Das Fehlen einer behördlichen oder sonstigen Genehmigung ist kein Fall der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit und unterfällt damit nicht § 2171 BGB. Das Vermächtnis ist hier nur schwebend unwirksam3. Die endgültige Versagung der Genehmigung führt zur nachträglichen Unmöglichkeit, so dass die §§ 275 ff. BGB Anwendung finden4. Das subjektive Unvermögen des Beschwerten beurteilt sich nach den §§ 2169, 2170 BGB. Nach § 2169 Abs. 1 BGB ist das Vermächtnis unwirksam, es sei denn, es ist ein Verschaffungsvermächtnis angeordnet (vgl. Rz. 83 ff.). Ist an die Stelle des Vermächtnisgegenstandes ein Wertersatzanspruch getreten, so gilt im Zweifel dieser als vermacht (vgl. Rz. 80).

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Erlischt eine vermachte Forderung durch Erfüllung vor dem Erbfall, so tritt an die Stelle der vermachten Forderung der noch in der Erbschaft befindliche Forderungsgegenstand (§ 2173 S. 1 BGB). War die Forderung auf die Zahlung einer 1 2 3 4

BGH v. 3.11.1982 – IVa ZR 47/81, MDR 1983, 206 = NJW 1983, 937. Palandt/Weidlich, § 2171 Rz. 3. BGH v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 (235). BGH v. 28.1.1960 – II ZR 236/57, BGHZ 32, 35 (40); BGH v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 (235).

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Vermächtnis

Rz. 139a

B VI

Geldsumme gerichtet, gilt im Zweifel die entsprechende Geldsumme als vermacht, auch wenn sie sich in der Erbschaft nicht vorfindet (§ 2173 S. 2 BGB). Erst recht gilt auch eine neue Geldanlage als vermacht, wenn der Erblasser nach Testamentserrichtung hierfür Geld von einem vermachten Bankguthaben verwendet hat1. Hat der Erblasser dem Vermächtnisnehmer eine gegen den Erben gerichtete Forderung oder ein Recht vermacht, mit dem eine Sache oder ein Recht des Erben belastet ist, so erlischt in Ansehung des Vermächtnisses die Forderung nicht durch Konfusion und das Recht nicht durch Konsolidation (§ 2175 BGB). Die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) setzt das Bestehen des gesetzlichen Verbots zum Zeitpunkt des Erbfalls voraus. Die Sittenwidrigkeit eines Vermächtnisses (§ 138 BGB) richtet sich dagegen nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung2.

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VII. Der Anfall und die Fälligkeit des Vermächtnisses 1. Der Anfall des Vermächtnisses Der Begriff des Anfalls des Vermächtnisses bezeichnet das Entstehen der Vermächtnisforderung, die durch Ausschlagung wieder vernichtet werden kann (§ 2176 BGB). Die Annahme des Vermächtnisses ist nicht Voraussetzung für dessen Anfall. I.d.R. fällt das Vermächtnis mit dem Erbfall an. Der BGH setzt die vorweggenommene Hoferbfolge dem Erbfall im Hinblick auf § 2176 BGB gleich3. Nach § 2178 BGB fällt das Vermächtnis einem zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht geborenen oder in seiner Persönlichkeit durch ein nach dem Erbfall eintretendes Ereignis zu bestimmendem Vermächtnisnehmer erst mit der Geburt oder dem Eintritt des Ereignisses an.

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Der Erblasser hat die Möglichkeit, den Anfall durch Bedingung oder Befristung zu verschieben (§ 2177 BGB). Ordnet der Erblasser für den Anfall des Vermächtnisses eine aufschiebende Bedingung an oder bestimmt er einen Anfangstermin, so entsteht die Vermächtnisforderung nach § 2177 BGB erst mit dem Eintritt der Bedingung oder des Termins. Mit dem Erbfall erwirbt der Bedachte ein Anwartschaftsrecht, das übertragbar, belastbar und (ver)pfändbar ist. Von der Möglichkeit eines aufschiebend bedingten Vermächtnisses wird häufig Gebrauch gemacht, um bestimmte Personen von der Teilhabe am Nachlass auszuschließen.

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Beratungssituation (Patchworkfamilientestament): Die Ehefrau des Erblassers hat zwei Söhne aus einer früheren Beziehung. Gemeinsam haben der Erblasser und seine Frau eine Tochter. Der Erblasser möchte seine Ehefrau umfassend absichern und sie keinen Verfügungsbeschränkungen aussetzen. Er möchte allerdings verhindern, dass die Söhne seiner Frau nach dem Tod seiner Frau am Nachlass teilhaben. Hier kann der Erblasser seine Frau zur Alleinerbin machen. Daneben steht der gemeinsamen Tochter ein Pflichtteilsanspruch zu. Die Söhne seiner Frau stehen in keiner gesetzlichen Erbenstellung zum Erblasser und partizipieren daher zu1 OLG Oldenburg v. 20.4.2000 – 15 U 103/99, ZEV 2001, 276 (277). 2 BGH v. 15.2.1956 – IV ZR 294/55, BGHZ 20, 71 (74); a.A. Soergel/Wolf, § 2171 Rz. 8. 3 BGH v. 6.6.1962 – V ZR 90/61, BGHZ 37, 192. Nienaber

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139a

B VI

Rz. 140

Vermächtnis

nächst nicht am Nachlass. Beim Tod der Frau stünde den Söhnen allerdings zumindest ein Pflichtteil nach ihrer Mutter zu, zu deren Nachlass dann auch die Erbschaft gehören würde, die sie vom Erblasser erhalten hat. Um dies zu verhindern kann der Erblasser in seiner letztwillige Verfügung bestimmen, dass seine Tochter ein auf den Tod seiner Frau aufschiebend bedingtes Vermächtnis hinsichtlich des gesamten verbleibenden Nachlasses erhält. Diese Lösung hat im Vergleich zur Vor- und Nacherbfolge vor allem den Vorteil, dass sie nach h.M. pflichtteilsfest ist, d.h., dass die Söhne der Frau hinsichtlich der vom aufschiebend bedingten Vermächtnis betroffenen Vermögensgegenstände keine Pflichtteilsansprüche haben1. 140

Das Anwartschaftsrecht aufgrund eines bedingten Vermächtnisses ist grundsätzlich unvererblich (§ 2074 BGB). § 2074 BGB ist nur auf die Bedingung, nicht auch auf die Befristung anwendbar. Daher muss stets sorgfältig zwischen beiden unterschieden werden. Insofern kann im Einzelfall auch zweifelhaft sein, ob der Erblasser lediglich die Fälligkeit hinausschieben oder den Anfall unter eine Bedingung stellen wollte2. Um vor allem im Hinblick auf den Eintritt der Rechtsfolgen des § 2074 BGB Unsicherheiten vorzubeugen, sollte der Anwalt dem Erblasser raten, in seiner letztwilligen Verfügung ausdrücklich zu bestimmen, ob das Vermächtnis den Erben des Bedachten entgegen § 2074 BGB anfallen soll, wenn der Bedachte den Eintritt der Bedingung nicht erlebt. Denn bei § 2074 BGB handelt es sich nur um eine Auslegungsregel, die sowohl durch einen gegenteiligen Erblasserwillen als auch durch die Norm des § 2069 BGB widerlegt werden kann3.

M 54 Bedingtes Vermächtnis Meinem Neffen N vermache ich 25 000 Euro, für den Fall, dass das bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstück X aus meinem Nachlass Baugelände wird. Sollte mein Neffe zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben sein, sollen seine Erben die 25 000 Euro (nicht) erhalten. 141

Auch zwischen dem Aufschieben der Fälligkeit und der Befristung des Vermächtnisses nach § 2177 BGB muss sorgfältig unterschieden werden. Schiebt der Erblasser durch eine Befristung den Anfall des Vermächtnisses hinaus, so ist eine vorzeitige Leistung rechtsgrundlos erbracht und damit kondizierbar. Bei der bloßen Bestimmung des Fälligkeitszeitpunktes scheidet die Kondiktion des zuvor Geleisteten hingegen nach § 813 Abs. 2 BGB aus. Außerdem stehen dem Bedachten nach § 2184 BGB die seit dem Anfall des Vermächtnisses gezogenen Früchte zu. Liegt eine den Anfall aufschiebende Bedingung oder Befristung vor, kann der Bedachte daher nur die nach dem Eintritt der Bedingung oder des Termins gezogenen Früchte verlangen. Auch im Hinblick auf diese Konsequenzen sollte der Erblasser zur Verhinderung von Streitigkeiten nach dem Erbfall eindeutige Regeln treffen. 1 Vgl. für die h.M. z.B. Hölscher, ZEV 2011, 569 ff; MüKo.BGB/Lange, § 2311 Rz. 15; Bedenken hinsichtlich der Pflichtteilsfestigkeit äußert z.B. Schwarz, ZEV 2011, 292 (293). 2 Vgl. zur Abgrenzung z.B. MüKo.BGB/Rudy, § 2176 Rz. 5. 3 Vgl. zum Verhältnis von § 2069 BGB und § 2074 BGB z.B. Bengel, NJW 1990, 1826 (1827); Palandt/Weidlich, § 2074 Rz. 2. 396

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 145

B VI

Ein auflösend bedingtes oder unter der Bestimmung eines Endtermins zugewandtes Vermächtnis fällt direkt mit dem Erbfall an. Beim Eintritt der Bedingung oder des Termins muss der Vermächtnisgegenstand entweder als Nachvermächtnis auf den Nachvermächtnisnehmer (§ 2191 BGB) oder als Rückvermächtnis auf den Beschwerten übertragen werden.

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2. Die Fälligkeit des Vermächtnisses Nach § 271 Abs. 1 BGB wird das Vermächtnis grundsätzlich sofort fällig. Hat der Erblasser die Zeit der Erfüllung ins freie Belieben des Beschwerten gestellt, wird das Vermächtnis im Zweifel mit dem Tod des Beschwerten fällig (§ 2181 BGB). Ein Untervermächtnis wird nicht vor dem Hauptvermächtnis fällig (§ 2186 BGB).

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Der Erblasser kann Anordnungen zur Fälligkeit treffen. Weichen hierdurch der Zeitpunkt der Entstehung und der Fälligkeit voneinander ab, kann im Einzelfall zweifelhaft sein, welcher Stichtag für eine Wertberechnung maßgeblich sein soll, etwa wenn bei einem Quotenvermächtnis zwischen dem Anfall und der Fälligkeit eine Geldentwertung stattgefunden hat1. Um insoweit Streit nach dem Erbfall vorzubeugen, sollte der Erblasser gleichzeitig mit Anordnungen zur Fälligkeit auch Anordnungen zum Bewertungsstichtag treffen.

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M 55 Bestimmung der Fälligkeit des Vermächtnisses Meiner Nichte N vermache ich einen Anteil in Höhe von 2 % des Nachlasswertes zum Zeitpunkt des Erbfalls (zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Vermächtnisses). Sie kann dieses Vermächtnis nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Erbfall geltend machen.

VIII. Die Annahme und die Ausschlagung des Vermächtnisses Bei der anwaltlichen Beratung des Vermächtnisnehmers muss die Möglichkeit erörtert werden, ein Vermächtnis auszuschlagen. Die Ausschlagung erfolgt ebenso wie die Annahme durch formlose Erklärung gegenüber dem Beschwerten (§ 2180 Abs. 2 S. 1 BGB). Auch eine Erklärung durch schlüssiges Verhalten ist möglich2. Die Erklärung kann erst nach dem Eintritt des Erbfalls abgegeben werden. Dass das Vermächtnis schon angefallen und fällig ist, ist allerdings nicht erforderlich. Die Ausschlagung kann daher wie die Annahme eines aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnisses schon vor dem Eintritt der Bedingung oder Befristung (entsprechend §§ 2142 S. 1, 1946 BGB)3, bei einem Vermächtnis nach § 2191 BGB vor dem Eintritt des Nachvermächtnisfalles4 erklärt werden. 1 Der BGH (v. 29.5.1974 – IV ZR 65/72, WM 1974, 838) hält den Zeitpunkt der Tilgung für ausschlaggebend, wenn der Vermächtnisnehmer nach dem Erblasserwillen den Wert eines bestimmten Teils des Nachlasses erhalten sollte. 2 BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 = NJW 2001, 520 (521). 3 BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 = NJW 2001, 520 (521); MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 7. 4 BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 NJW 2001, 520. Nienaber

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145

B VI

Rz. 146

Vermächtnis

Eine Frist für die Ausschlagungs- sowie die Annahmeerklärung besteht nicht1. Der Erblasser kann das Vermächtnis aber unter die aufschiebende Bedingung stellen, dass der Bedachte die Annahme binnen einer bestimmten Frist erklärt. Die Ausschlagungs- oder Annahmeerklärung ist unwirksam, wenn sie unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung abgegeben wird (§ 2180 Abs. 2 S. 2 BGB). Nach der Annahme ist die Ausschlagung nicht mehr möglich (§ 2180 Abs. 1 BGB). Der Vermächtnisanspruch kann dann nur noch durch einen Erlassvertrag zwischen dem Beschwerten und dem Vermächtnisnehmer erlöschen. Die Annahme- wie auch die Ausschlagungserklärung sind nach den §§ 119 ff. BGB anfechtbar. Durch eine Pfändung des Vermächtnisanspruchs ist der Bedachte nicht an der Ausschlagung gehindert. 146

Schlägt der Vermächtnisnehmer das Vermächtnis aus, gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt (§§ 2180 Abs. 3, 1953 Abs. 1, 2 BGB).

IX. Die Sicherung des Vermächtnisanspruchs Beratungssituation: Der Erblasser setzt seine Frau zur Alleinerbin ein. Zur Absicherung seines Sohnes aus erster Ehe vermacht er diesem ein Grundstück. Aufgrund des schlechten Verhältnisses seiner Frau zu seinem Sohn befürchtet er, dass seine Frau die Übertragung des Grundstückes allenfalls widerwillig vornehmen wird. 1. Die Sicherungsmöglichkeiten ohne besondere Anordnungen des Erblassers 147

Das Vermächtnis wirkt mit dem Erbfall nicht dinglich. Der Bedachte erwirbt mit dem Erbfall lediglich einen Anspruch. Einen Anspruch auf Sicherung dieses Anspruchs hat er ohne entsprechende Anordnungen des Erblassers gegen den Beschwerten nicht2. Er ist darauf angewiesen, dass der Beschwerte den Vermächtnisanspruch erfüllt. Der Bedachte hat daher ein Interesse daran, seinen Vermächtnisanspruch bis zur Erfüllung durch den Beschwerten zu sichern. a) Die Sicherung eines Vermächtnisanspruchs auf Übertragung eines Grundstücks

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Der Vermächtnisnehmer kann den Vermächtnisanspruch auf Übertragung eines Grundstückes ab dem Erbfall durch eine Vormerkung sichern. Der Vermächtnisnehmer kann einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Eintragung einer Vormerkung nach § 885 Abs. 1 BGB stellen, ohne dass er eine Gefährdung des Anspruchs glaubhaft machen muss. Vor dem Erbfall besteht noch keine Anwartschaft des Bedachten, so dass eine Vormerkung noch nicht möglich ist3. Ob auch der bedingte oder befristete Vermächtnisanspruch auf Übertragung eines Grundstückes ab dem Erbfall durch eine Vormerkung gesichert werden kann, wird uneinheitlich beantwortet. Das OLG Hamm4 leitet den An1 Der BGH (v. 9.12.2010 – III ZR 272/09, NJW 2011, 1353, 1354 und v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, FamRZ 2011, 468 = MDR 2011, 304 = ZEV 2011, 251[252] verneint eine Anwendung der Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB auf das Vermächtnis. 2 Palandt/Weidlich, § 2174 Rz. 10. 3 MüKo.BGB/Rudy, § 2174 Rz. 24. 4 OLG Hamm v. 24.11.1983 – 10 U 118/83, MDR 1984, 402. 398

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spruch auf Bewilligung einer Vormerkung ohne weiteres aus den §§ 883, 885 BGB her. Überwiegend wird allerdings vertreten, eine Vormerkung komme hier nur in Betracht, wenn der Erblasser einen entsprechenden Anspruch auf Bewilligung einer Vormerkung mitvermacht habe1. Hat der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung keine Anordnung zur Eintragung einer Vormerkung getroffen, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob er den Vermächtnisanspruch gegen den Erben auch dinglich sichern wollte, was i.d.R. bejaht wird2. Zur Vermeidung von Unsicherheiten sollte eine ausdrückliche Regelung in die letztwillige Verfügung aufgenommen werden. b) Die Sicherung eines aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnisanspruchs durch die §§ 160, 162 BGB Das Sicherungsinteresse des Bedachten ist besonders groß, wenn zwischen dem Erbfall und dem Anfall des Vermächtnisses lange Zeiträume liegen können. Das ist z.B. beim aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnis wie auch beim Nachvermächtnis, das letztlich ein aufschiebend bedingtes Vermächtnis ist, der Fall. Hier sind nach § 2179 BGB die §§ 158 ff. BGB anwendbar. Der Beschwerte haftet dem Bedachten nach § 160 Abs. 1 BGB für schuldhafte Beeinträchtigungen der Vermächtnisanwartschaft. Keine Anwendung findet indes § 161 BGB, da das Vermächtnis keine dingliche Wirkung entfaltet3. Die ganz überwiegende Meinung unterstellt das Anwartschaftsrecht ferner dem Schutz des § 285 BGB4.

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Eine Vormerkung zur Sicherung des künftigen Anspruchs des Nachvermächtnisnehmers ist möglich, wenn der Vorvermächtnisnehmer bereits im Grundbuch eingetragen ist. Der Anspruch auf Bewilligung kann sich aus dem Testament ergeben5.

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c) Arrest und einstweilige Verfügung Hat der Erblasser keine besonderen Anordnungen zur Sicherung des Vermächtnisanspruchs getroffen, ist der Vermächtnisnehmer im Übrigen auf die Sicherungsmöglichkeiten durch Arrest (§§ 916 ff. ZPO) und einstweilige Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) beschränkt. Eine Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) oder ein Aussonderungsrecht (§ 47 InsO) stehen dem Bedachten nicht zu.

151

2. Die Sicherungsmöglichkeiten aufgrund besonderer Anordnungen des Erblassers Möchte der Erblasser den Vermächtnisnehmer über diese gesetzlichen Sicherungsmöglichkeiten hinaus schützen, muss er entsprechende Anordnungen treffen. Bei der anwaltlichen Beratung sollten mit dem Erblasser und vor allem einem am Erbvertrag beteiligten Vermächtnisnehmer daher stets die Möglichkei1 MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 8; vgl. hierzu auch Tersteegen, ZErb 2013, 282, 287 f. 2 BGH v. 27.6.2001 – IV ZR 120/00, FamRZ 2001, 1297 = MDR 2001, 1296 = NJW 2001, 2883; vgl. hierzu auch Bengel, NJW 1990, 1826 (1828); Halding-Hoppenheit, RNotZ 2005, 311, 314; Soergel/Wolf, § 2179 Rz. 3. 3 MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 4; Palandt/Weidlich, § 2179 Rz. 2. 4 MüKo.BGB/Rudy, § 2179 Rz. 5. 5 MüKo.BGB/Rudy, § 2191 Rz. 6. Nienaber

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ten besprochen werden, die Sicherstellung der Vermächtniserfüllung zu gewährleisten. 153

Denkbar ist zunächst, dem Bedachten einen Anspruch auf Sicherung der Vermächtniserfüllung mitzuvermachen.

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Der Erblasser kann mit dem Bedachten auch einen sog. Verfügungsunterlassungsvertrag schließen. Hierdurch kann der Erblasser sich gegenüber dem Bedachten bereits zu Lebzeiten verpflichten, über den Vermächtnisgegenstand nicht mehr zu verfügen1. Der Verfügungsunterlassungsvertrag ist formfrei; das gilt selbst dann, wenn er die Verfügungsunterlassungsverpflichtung des Erblassers über ein Grundstück enthält2. Ein Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung des Erblassers führt grundsätzlich zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes oder bei dessen Unmöglichkeit zu Schadenersatzansprüchen gegen den Erblasser3. Der Erblasser kann sich darüber hinaus dazu verpflichten, bei einem Verstoß das Eigentum an dem Vermächtnisgegenstand an den Bedachten zu übertragen. Dieser bedingte Übereignungsanspruch ist vormerkungsfähig4.

155

Möglich ist auch, dass der Erblasser den Vermächtnisnehmer – z.B. in der Verfügung von Todes wegen5 – bevollmächtigt, sich nach dem Erbfall den Vermächtnisgegenstand selbst zu übertragen. Ein Verstoß gegen § 181 BGB liegt nicht vor, da es sich ausschließlich um die Erfüllung einer Verbindlichkeit handelt. Selbstverständlich kann der Erblasser auch einen Dritten zur Vermächtniserfüllung bevollmächtigen. Da dem Erben als Rechtsnachfolger aber grundsätzlich die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs der Vollmacht zusteht, kann die Vermächtniserfüllung durch eine Bevollmächtigung nur sichergestellt werden, wenn der Erblasser die Vollmacht unwiderruflich ausgestaltet. Der Widerruf ist dann nur aus wichtigem Grund möglich6.

156

Der Erblasser kann den Vermächtnisnehmer oder einen Dritten ferner zum Testamentsvollstrecker mit der Aufgabe ernennen, nach dem Erbfall das Vermächtnis zu erfüllen.

157

Beim aufschiebend bedingten Vermächtnis kann der Erblasser dem Bedachten zusätzlich einen Anspruch darauf vermachen, dass der Beschwerte ihm den Vermächtnisgegenstand bereits beim Erbfall aufschiebend bedingt auf den Vermächtnisanfall überträgt. Durch die aufschiebend bedingte Übertragung des Vermächtnisgegenstandes erhält der Vermächtnisnehmer den Schutz des § 161 BGB. 1 Zur Zulässigkeit solcher Vereinbarungen z.B. BGH v. 19.1.1954 – V ZB 28/53, BGHZ 12, 122; BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (18 f.); BGH v. 2.10.1970 – V ZR 125/68, WM 1970, 1366; Buchholz, Jura 1989, 393 (398); Staudinger/Kanzleiter, § 2286 Rz. 16. 2 BGH v. 20.3.1963 – V ZR 89/62, NJW 1963, 1602 (1603); BGH v. 27.2.1967 – III ZR 68/66, FamRZ 1967, 471; MüKo.BGB/Musielak, § 2286 Rz. 11. 3 BGH v. 20.3.1963 – V ZR 89/62, NJW 1963, 1604; MüKo.BGB/Musielak, § 2286 Rz. 13. 4 BayObLG v. 5.10.1978 – 2Z 10/78, BayObLGZ 1978, 287 (290); LG Bad Kreuznach v. 20.3.1964 – 2 T 180/63, DNotZ 1965, 301. 5 Zur Zulässigkeit der Bevollmächtigung in der letztwilligen Verfügung: OLG Köln v. 10.2.1992 – 2 Wx 50/91, FamRZ 1992, 859 = NJW-RR 1992, 1357; Palandt/Weidlich, Einf vor § 2197 Rz. 9. 6 Vgl. Palandt/Weidlich, Einf. vor § 2197 Rz. 13. 400

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Rz. 158

B VI

Ist der Vermächtnisgegenstand ein Grundstück, ist auch denkbar, bereits die Auflassung in die letztwillige Verfügung aufzunehmen. Diese Erklärung bleibt nach dem Tod des Erblassers wirksam1. Zur Wirksamkeit ist natürlich erforderlich, dass eine notarielle Beurkundung erfolgt. Außerdem erfordert die Auflassung die zeitgleiche Erklärung des Bedachten (§ 925 BGB), so dass diese Möglichkeit letztlich nur bei einem Erbvertrag zwischen dem Erblasser und dem Bedachten in Betracht kommt. Außerdem bindet der Erblasser sich hier bereits zu Lebzeiten, da die Auflassung bedingungsfeindlich ist (§ 925 Abs. 2 BGB) und so nicht etwa unter die Bedingung des Versterbens des Erblassers gestellt werden kann. Die vorzeitige Herbeiführung der Rechtsänderung an dem Grundstück kann aber zumindest durch die Bedingtheit der Eintragungsbewilligung herbeigeführt werden2.

157a

Ist Gegenstand des Vermächtnisses ein dingliches Recht an einem Grundstück, ist die Aufnahme der Erklärung zur Einigung über die Übertragung dieses Rechts sowie der Eintragungsbewilligung erleichtert, da diese im Gegensatz zur Auflassung nicht die gleichzeitige Erklärung des Bedachten erfordern. Außerdem können hier beide Erklärungen des Erblassers auf den Todesfall bedingt werden3. Nach dem Bedingungseintritt kann der Bedachte dann durch seine Annahmeerklärung die Einigung herbeiführen und auf der Grundlage der Bewilligungserklärung des Erblassers die Eintragung ins Grundbuch bewirken.

157b

Werden die dinglichen Einigungserklärungen in diesem Sinne bereits in die letztwillige Verfügung aufgenommen, ist allerdings stets das Risiko zu berücksichtigen, dass der Bedachte unter Vorlage dieser letztwilligen Verfügung den dinglichen Vollzug herbeiführen kann, auch wenn das Vermächtnis inzwischen widerrufen oder aus anderen Gründen unwirksam geworden ist4. Außerdem sind die Erklärungen des Erblassers durch die Erben i.d.R. widerruflich, es sei denn, es liegt ein Erbvertrag vor oder der Erblasser hat dem Bedachten eine beglaubigte Abschrift der Eintragungsbewilligung ausgehändigt (§ 873 Abs. 2 BGB).

157c

X. Die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs Eine Klage gegen den Beschwerten auf Erfüllung des Vermächtnisanspruchs kann gegen den beschwerten Erben erst nach Ablauf der Ausschlagungsfrist bzw. nach der Erklärung der Annahme der Erbschaft erhoben werden (§ 1958 BGB). Richtet der Vermächtnisanspruch sich gegen eine Erbengemeinschaft, kann der Vermächtnisnehmer seinen Anspruch bereits vor der Teilung des Nachlasses mittels einer Gesamthandsklage gegen die Erbengemeinschaft geltend machen (§ 2059 Abs. 2 BGB). Beim Verschaffungsvermächtnis lautet der Klageantrag darauf, die Bereitschaft des Dritten herbeizuführen, den vermachten Gegenstand an den Beschwerten oder den Bedachten zu veräußern (vgl. Rz. 86). Beim Gattungsvermächtnis ist der Klageantrag so zu fassen, dass er die Kriterien, nach denen die Auswahl des Gegenstandes zu erfolgen hat, möglichst konkret bezeichnet. Da nach § 2155 Abs. 1 BGB eine den Verhältnissen des Bedach1 2 3 4

Halding-Hoppenheit, RNotZ 2005, 311 (315). Halding-Hoppenheit, RNotZ 2005, 311 (316). Mayer, BWNotZ 1997, 62 (62 f.). Halding-Hoppenheit, RNotZ 2005, 311 (317). Nienaber

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B VI

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Vermächtnis

ten entsprechende Sache zu leisten ist, sind in der Klagebegründung zudem die Verhältnisse des Bedachten, sofern sie sich auf die Beschaffenheit des auszuwählenden Gegenstandes auswirken, zu beschreiben (vgl. Rz. 94). 159

Dem Vermächtnisnehmer kann im Einzelfall ein Auskunftsanspruch aus §§ 242, 260 BGB zustehen, wenn die Auskunft zur Bestimmung und Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs erforderlich ist1. Der Auskunftsanspruch besteht ab dem Erbfall auch schon vor dem Anfall und kann sich daher sogar gegen den Vorerben richten, selbst wenn das Vermächtnis erst mit dem Nacherbfall anfallen soll2. Verlangt der Bedachte Wertermittlung, muss er die Kosten hierfür selbst tragen3.

XI. Die Nutzungen und Früchte des Vermächtnisgegenstandes Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Frau zur Alleinerbin eingesetzt. Seiner Nichte hat er eine Mietwohnung sowie eine Wohnung vermacht, in der seine Ehefrau wohnt. Die Ehefrau des Erblassers ist nach dessen Tod der Ansicht, das Vermächtnis zugunsten der Nichte sei unwirksam. Auf die Klage der Nichte wird die Ehefrau des Erblassers nach einem insgesamt 1 1/ 2 Jahre dauernden Rechtsstreit rechtskräftig verurteilt, die Wohnungen auf die Nichte zu übertragen. Seit dem Erbfall hat die Frau des Erblassers Mieteinnahmen in Höhe von 8 500 Euro aus der vermachten Mietwohnung eingenommen. 160

Nach § 2184 S. 1 BGB hat der Beschwerte dem Vermächtnisnehmer die seit dem Anfall des Vermächtnisses gezogenen Früchte sowie das sonst aufgrund des vermachten Rechts Erlangte herauszugeben. Es sind nur die tatsächlich gezogenen Früchte herauszugeben. Eine Pflicht des Beschwerten zur Fruchtziehung, deren Unterlassung Schadenersatzansprüche auslösen kann, besteht erst ab Verzug oder Rechtshängigkeit (§§ 286, 292 BGB)4. Nicht herauszugeben sind sonstige Nutzungen (§ 2184 S. 2 BGB).

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Der Nießbrauch kann erst ab seiner Bestellung Früchte tragen. Die nach dem Anfall aber vor der Bestellung des Nießbrauchs gezogenen Früchte sind Früchte des Gegenstandes und nicht des Nießbrauchs, so dass sie dem Nießbrauchsvermächtnisnehmer nicht herauszugeben sind5. Allerdings kann die letztwillige Verfügung des Erblassers so auszulegen sein, dass auch die Früchte bis zur Bestellung des Nießbrauchs mitvermacht sind6. Um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, sollte der Erblasser insofern eine ausdrückliche Anordnung treffen. § 2184 BGB bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf das Stückvermächtnis. Für das Gattungsvermächtnis gilt § 2184 BGB unstreitig nicht. Ein Zinsanspruch des Vermächtnisnehmers kann sich hier nur aus den §§ 284, 291 BGB 1 OLG Oldenburg v. 27.2.1990 – 5 U 130/89, MDR 1990, 633 = FamRZ 1990, 912 = NJW-RR 1990, 650; LG Köln v. 25.4.1989 – 22 O 331/88, NJW-RR 1990, 13; Staudinger/Otte, § 2174 Rz. 12. 2 OLG Oldenburg v. 27.2.1990 – 5 U 130/89, MDR 1990, 633 = FamRZ 1990, 912 = NJW-RR 1990, 650. 3 BGH v. 27.2.1991 – IV ZR 293/89, MDR 1991, 973 = FamRZ 1991, 796 = NJW-RR 1991, 706 (707); Sarres, ZEV 2001, 225 (228 ff.). 4 MüKo.BGB/Rudy, § 2184 Rz. 3. 5 KG v. 10.3 196 – 64 U 840/62, NJW 1964, 1808 (1809). 6 BGH v. 26.1.1977 – IV ZR 208/75, WM 1977, 416. 402

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B VI

ergeben1. Beim Verschaffungsvermächtnis gilt § 2184 BGB nach herrschender Meinung erst ab der Besitzerlangung des Gegenstandes durch den Beschwerten. Beim Wahlvermächtnis ist der Gegenstand bestimmt, wenn die Wahl vorgenommen ist2. Im Beispielsfall muss die Ehefrau des Erblassers die Mieteinnahmen nach § 2184 S. 1 BGB herausgeben. Zum Nutzungsersatz für die unentgeltliche Nutzung der ebenfalls vermachten Wohnung ist die Ehefrau des Erblassers nach § 2184 S. 2 BGB indes nicht verpflichtet. Spätestens mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage der Nichte muss sie Nutzungsersatz allerdings nach § 292 Abs. 2 BGB leisten.

161a

XII. Die Haftung des Beschwerten 1. Die Haftung des Erben Die Verbindlichkeit aus einem Vermächtnis ist für den Erben eine Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 Abs. 2 BGB), für die er nach den allgemeinen Regeln der Erbenhaftung haftet (vgl. dazu Kap. C V.).

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a) Die Überschwerungseinrede Beruht die Überschuldung des Nachlasses allein auf Auflagen und Vermächtnissen, ist der Erbe nach § 1980 Abs. 1 S. 3 BGB nicht verpflichtet, die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen. Der Erbe kann nach § 1992 BGB der Vermächtnisforderung die Einrede der Überschwerung entgegenhalten. Die Überschwerungseinrede steht dem Erben allerdings nur zu, sofern er sein Recht zur Haftungsbeschränkung weder allgemein (§ 2013 Abs. 1 BGB), noch speziell gegenüber dem Vermächtnisnehmer verloren hat3.

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§ 1992 BGB setzt voraus, dass die Überschuldung des Nachlasses auf Vermächtnissen und Auflagen beruht. Ob § 1992 BGB auch anwendbar ist, wenn der Nachlass auch ohne Vermächtnisse und Auflage überschuldet ist, ist streitig4. Macht der Erbe die Überschwerungseinrede geltend, so muss er die Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigten gleichmäßig befriedigen (§ 1991 Abs. 4 BGB i.V.m. § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Der Erblasser kann allerdings eine von der gleichmäßigen Befriedigung abweichende Regelung treffen (§ 2189 BGB). Hierauf sollte der Erblasser bei der anwaltlichen Beratung hingewiesen werden, wenn eine Überschwerung zu befürchten ist. Wegen des Nachrangs der Vermächtnis- und Auflagenforderung (§ 1991 Abs. 4 BGB i.V.m. § 327 Abs. 1 Nr. 2 BGB) kann der Beschwerte seine eigenen Forderungen sowie die Forderungen der

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1 OLG Hamburg v. 8.11.1916 – 4. ZS, OLGE 34, 295 (296); Palandt/Weidlich, § 2184 Rz. 3. 2 Palandt/Weidlich, § 2184 Rz. 3. 3 MüKo.BGB/Küpper, § 1992 Rz. 2; Schlüter, Erbrecht, Rz. 929. 4 Für die Anwendbarkeit des § 1992 BGB auch bei Überschuldung ohne Vermächtnisse und Auflagen: RGRK/Johannsen, § 1992 Rz. 2; dagegen: RG v. 19.10.1911 – 52/11 V, JW 1912, 40; KG v. 30.5.1913 – 3. ZS, OLGE 30, 175 (176); OLG München v. 3.12. 1998 – 5 U 97/96, ZEV 1998, 100 (101); MüKo.BGB/Küpper, § 1992 Rz. 5; Soergel/ Stein, § 1992 Rz. 2. Nienaber

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Rz. 165

Vermächtnis

übrigen Nachlassgläubiger bei den Passiven einstellen. Den danach verbleibenden Aktivnachlass hat er zur gleichmäßigen Befriedigung der Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigten im Wege der Zwangsvollstreckung herauszugeben (§§ 1992, 1990 Abs. 1 S. 2 BGB). Das bedeutet, dass er die Zwangsvollstreckung der Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigten zu dulden und die zur Verfügung stehenden Nachlassgegenstände genau zu bezeichnen hat. Die Herausgabe der Nachlassgegenstände kann der beschwerte Erbe nach § 1992 S. 2 BGB aber durch Zahlung des Wertes abwenden (Abfindungsrecht). Ist der Vermächtnisanspruch auf eine bestimmte Sache gerichtet und kommt eine vollständige Erfüllung wegen der Überschwerung des Nachlasses nicht in Betracht, ist der Vermächtnisanspruch gem. § 1991 Abs. 4 BGB i.V.m. § 45 InsO mit einem gekürzten Geldwert geltend zu machen. Der Vermächtnisnehmer hat aber die Möglichkeit, durch Einzahlung des Kürzungsbetrages sowohl die Kürzungsmöglichkeit des Erben wie auch dessen Abfindungsrecht auszuschließen1. Dem Vermächtnisnehmer verbleibt zudem das Recht, trotz Erhebung der Überschwerungseinrede mit dem Vermächtnisanspruch gegen eine Nachlassforderung aufzurechnen2. 165

Im Prozess führt die Erhebung der Überschwerungseinrede zur Klageabweisung, wenn feststeht, dass Mittel auch für die gekürzte Erfüllung des Vermächtnisses nicht vorhanden sind3. Das Gericht kann im Erkenntnisverfahren aber auch auf die Klärung des Umfangs des Nachlasses verzichten und diese dem Vollstreckungsverfahren überlassen, indem es sich mit dem Ausspruch des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung (§ 780 ZPO) begnüg4. Ist der Nachlass erschöpft, kann der Erbe im Zwangvollstreckungsverfahren eine Vollstreckungsgegenklage zur Abwendung der Vollstreckung in sein Eigenvermögen erheben (§§ 785, 784, 767 ZPO). Diese hat aber nur Erfolg, wenn das vollstreckbare Urteil den Haftungsbeschränkungsvorbehalt (§ 780 ZPO) enthält. Daher muss der Anwalt des Erben im Erkenntnisverfahren unbedingt auf die Aufnahme des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung drängen. b) Die Rechts- und Sachmängelhaftung

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Das Vermächtnisrecht hält hinsichtlich der Mängelhaftung auch nach der Schuldrechtsreform an einer Differenzierung zwischen Stück- und Gattungsvermächtnis fest5. aa) Die Rechts- und Sachmängelhaftung beim Stückvermächtnis

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Das Vermächtnisrecht enthält keine besonderen Regeln für die Rechts- und Sachmängelhaftung beim Stückvermächtnis. Der Vermächtnisnehmer erhält den Vermächtnisgegenstand hier in dem Zustand, in dem er sich beim Erbfall befindet. Der Erblasser kann aber anordnen, dass der Beschwerte bestimmte Lasten oder Sachmängel zu beseitigen hat. Für einen Untergang der Sache nach dem Erbfall 1 RG v. 2.5.1930 – IV 71/29, Recht 1930, 1521; BGH v. 29.5.1964 – V ZR 47/62, NJW 1964, 2298 (2300; MüKo.BGB/Küpper, § 1992 Rz. 9. 2 Palandt/Weidlich, § 1992 Rz. 3. 3 RG v. 23.3.1930 – IV 620/29, JW 1930, 2215; Soergel/Stein, § 1992 Rz. 5. 4 BGH v. 29.5.1964 – V ZR 47/62, NJW 1964, 2300; Palandt/Weidlich, § 1992 Rz. 1. 5 Kritik hieran übt z.B. Amend, ZEV 2002, 227 ff. 404

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gelten die §§ 275 ff. BGB. Verschlechtert der Vermächtnisgegenstand sich nach dem Erbfall aufgrund eines Verschuldens des Beschwerten, gelten die allgemeinen Grundsätze über den Schadensersatz bei Pflichtverletzung (§§ 280 ff. BGB)1. Hat der Erblasser über die Beseitigung von Lasten keine Anordnung getroffen, so kann der Vermächtnisnehmer die Beseitigung nach § 2165 Abs. 1 BGB nicht verlangen. Stand dem Erblasser ein Anspruch auf Beseitigung der Belastung zu, gilt dieser im Zweifel als mitvermacht (§ 2165 Abs. 1 S. 2 BGB). Die der Belastung des Gegenstandes zugrunde liegende persönliche Schuld geht nicht auf den Vermächtnisnehmer über, sondern muss nach wie vor durch den Erben getilgt werden, sofern der Erblasser keine abweichende Bestimmung getroffen hat (dazu ausführlich Rz. 182 f.). Stand eine Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld dem Erblasser selbst zu, so ist aus den Umständen zu entnehmen, ob diese als mitvermacht gilt (§ 2165 Abs. 2 BGB). Der Bedachte trägt hierfür die Darlegungsund Beweislast2.

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bb) Die Rechtsmängelhaftung beim Gattungs- und Verschaffungsvermächtnis Beim auf die Nachlassgegenstände beschränkten Gattungsvermächtnis (vgl. Rz. 93) haftet der Beschwerte nur dann für Sach- und Rechtsmängel, wenn sich im Nachlass auch mangelfreie Gegenstände aus der Gattung befinden3. Ist das nicht der Fall, gelten die Regeln über das Stückvermächtnis entsprechend.

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Für das unbeschränkte Gattungsvermächtnis verweist § 2182 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Rechtsmängelhaftung auf das Kaufrecht. Der Beschwerte muss dem Vermächtnisnehmer den Gegenstand entsprechend § 435 S. 1 BGB frei von Rechten Dritter verschaffen, sofern sich nicht aus der Anordnung des Erblassers ergibt, dass der Vermächtnisnehmer diese zu übernehmen hat4. Ist Gegenstand des Vermächtnisses ein Grundstück, sind Grunddienstbarkeiten, beschränkte persönliche Dienstbarkeiten und Reallasten allerdings im Zweifel von der Rechtsmängelhaftung ausgenommen (§ 2182 Abs. 3 BGB). Für sonstige dingliche Rechte haftet der Beschwerte hingegen nach § 435 S. 1 BGB und ist zudem nach § 436 Abs. 1 BGB verpflichtet, Erschließungs- und sonstige Anliegerbeiträge für solche Maßnahmen zu tragen, die bis zum Anfall des Vermächtnisses bautechnisch begonnen worden sind. Die Rechtsmängelhaftung beim Vermächtnis eines eingetragenen Schiffes, Schiffsbauwerkes oder einer Schiffshypothek entspricht der beim Grundstücksvermächtnis (§ 452 BGB). Aus dem Verweis in § 2182 Abs. 1 BGB auf § 453 BGB folgt, dass § 2182 BGB auch für vermachte Rechte gilt5, die entsprechend §§ 453 Abs. 1, 435 S. 1 BGB frei von Rechten Dritter zu übertragen sind.

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Uneinheitlich wird beantwortet, wie der Beschwerte haftet, wenn er seiner Pflicht zur rechtsmängelfreien Übertragung des Vermächtnisgegenstandes nicht nachkommt. Ob aus der Formulierung des § 2182 Abs. 1 BGB, der Beschwerte hafte „wie ein Verkäufer“ geschlossen werden kann, § 437 BGB sei entsprechend an-

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Bambring, ZEV 2002, 139. BayObLG v. 15.5.2001 – 2Z BR 52/01, NJW-RR 2001, 1665. Ebenroth, Erbrecht, Rz. 489; Staudinger/Otte, § 2182 Rz. 9. Staudinger/Otte, § 2182 Rz. 3. Amend, ZEV 2002, 227, 228; Schlichting, ZEV 2002, 478; zweifelnd Soergel/Wolf, § 2182 Rz. 2. Nienaber

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Rz. 172

Vermächtnis

wendbar1, erscheint zweifelhaft, da im Folgenden nur auf einzelne kaufrechtliche Vorschriften Bezug genommen wird. Richtig ist wohl eine Haftung nach §§ 280 ff. BGB anzunehmen2. 172

Für das Verschaffungsvermächtnis gelten über § 2182 Abs. 2 BGB angesichts der Rechtsmängelhaftung grundsätzlich die gleichen Regeln wie für das Gattungsvermächtnis. § 2182 Abs. 2 BGB enthält aber durch die Inbezugnahme des § 2170 BGB eine Besonderheit. Ist der Beschwerte zur Verschaffung eines rechtsmängelfreien Vermächtnisgegenstandes nicht in der Lage oder würde diese einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, so kann der Beschwerte sich durch die Leistung von Wertersatz befreien (§ 2182 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2170 Abs. 2 BGB). Der Vermächtnisnehmer kann aber auch verlangen, dass ihm der rechtsmängelbehaftete Gegenstand verschafft und Wertersatz zum Ausgleich der Wertminderung geleistet wird3. cc) Die Sachmängelhaftung beim Gattungsvermächtnis

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Die Sachmängelhaftung ist im Vermächtnisrecht in § 2183 BGB nur für das Gattungsvermächtnis geregelt. Für das Verschaffungsvermächtnis gelten insoweit die Ausführungen zum Stückvermächtnis entsprechend4. Ist die zur Erfüllung des Gattungsvermächtnisses geleistete Sache mit einem Sachmangel behaftet, kann der Vermächtnisnehmer zunächst Nachlieferung einer mangelfreien Sache verlangen. Hat der Beschwerte den Mangel arglistig verschwiegen, kann der Vermächtnisnehmer statt der Nachlieferung auch Schadenersatz statt der Leistung ohne Nachfristsetzung fordern. Weitergehende Ansprüche stehen dem Vermächtnisnehmer nicht zu, denn § 2183 S. 3 BGB verweist nur hinsichtlich „dieser“ Ansprüche, also der in S. 1 und 2 genannten Ansprüche, auf das Kaufrecht. Das Kaufrecht ist demnach nur bezüglich der Abwicklung des Nachlieferungsanspruchs sowie des Schadensersatzanspruchs statt der Leistung maßgeblich. Dennoch ist umstritten, ob der Vermächtnisnehmer statt der Nachlieferung auch Nachbesserung entsprechend § 439 Abs. 1 BGB verlangen kann5. Eine solche Auslegung geht m.E. aber klar über den Wortlaut des § 2183 BGB hinaus, der eben nicht von „Nacherfüllung“ i.S.d. § 439 BGB, sondern nur von „Lieferung“ spricht. dd) Verjährung

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Die Verjährung von Ansprüchen wegen Rechts- und Sachmängeln richtet sich nach § 438 Abs. 1–3 BGB i.V.m. §§ 2182 Abs. 1 S. 1, 2183 S. 3 BGB und nicht nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB6.

1 2 3 4

So z.B. Staudinger/Otte, § 2182 Rz. 5. So auch Palandt/Weidlich, § 2182 Rz.2; Soergel/Wolf, § 2182 Rz. 2. MüKo.BGB/Rudy, § 2182 Rz. 9. Vgl. Rz. 167; Hier kommt bei Verschaffung einer mangelhaften Sache also nur ein Anspruch gem. §§ 280 ff. BGB in Betracht. 5 Dafür: Amend, ZEV 2002, 227 (229); Palandt/Weidlich, § 2183 Rz. 2; Schlichting, ZEV 2002, 478 (479); dagegen: Otte, ZEV 2004, 9 (12); Soergel/Wolf, § 2183 Rz. 2; Staudinger/Otte, § 2183 Rz. 2. 6 Staudinger/Otte, § 2183 Rz. 4. 406

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 178

B VI

c) Die Haftung für die Kosten der Vermächtniserfüllung Hat der Erblasser über die Verteilung der Kosten der Erfüllung des Vermächtnisses keine Anordnungen getroffen, so muss der Beschwerte diese tragen1. Da die Kostentragungspflicht zwischen den Hinterbliebenen häufig ein Streitpunkt ist, sollte der Erblasser diesen Punkt ausdrücklich regeln.

175

2. Die Haftung des beschwerten Vermächtnisnehmers Bei einem Untervermächtnisnehmer ist der Hauptvermächtnisnehmer im Verhältnis zum Untervermächtnisnehmer beschwert.

176

a) Die Beschränkung auf das Erlangte

Beratungssituation: Alleinerbin des Erblassers ist dessen Ehefrau. Seinem Sohn hat der Erblasser ein Mietshaus vermacht. Seiner Schwester hat er bis zu ihrem Lebensende die Hälfte der Mieteinnahmen aus diesem Haus vermacht. Der Sohn des Erblassers vereinbart daraufhin mit der Alleinerbin, dass diese ihm das Haus erst übertragen soll, wenn die Schwester des Erblassers verstorben ist. Die Schwester möchte nun wissen, ob und von wem sie die Mieteinnahmen aus dem Haus erhalten kann. Die Höhe des Untervermächtnisses ist nicht durch den Wert des Hauptvermächtnisses begrenzt. Der Hauptvermächtnisnehmer kann die Erfüllung des Untervermächtnisses aber insoweit verweigern, als dasjenige, was er aus dem Vermächtnis erhält, zur Erfüllung nicht reicht (§ 2187 Abs. 1 BGB). Entscheidend ist also der dem Hauptvermächtnisnehmer wirtschaftlich tatsächlich zugeflossene Vermögenswert. § 2187 BGB ist aber nicht dahin gehend zu verstehen, dass der Anspruch des Untervermächtnisnehmers erst entsteht, wenn der Hauptvermächtnisnehmer aus dem Vermächtnis tatsächlich etwas erhält. Vielmehr kann der Untervermächtnisnehmer nach angemessener Wartezeit vom Vermächtnisnehmer die Abtretung seines Anspruchs verlangen, um die Durchsetzung des Hauptvermächtnisses selbst zu betreiben. Außerdem kann dem Hauptvermächtnisnehmer die Berufung auf § 2187 BGB verwehrt sein, wenn er es unter Verletzung des Schuldverhältnisses zwischen ihm und dem Untervermächtnisnehmer versäumt hat, seinen Vermächtnisanspruch geltend zu machen2.

177

Im Beispielsfall wird man dem Sohn des Erblassers die Berufung auf § 2187 Abs. 1 BGB im Hinblick auf § 242 BGB versagen müssen, da er das Hauptvermächtnis unter Verletzung seiner Pflichten gegenüber der Schwester des Erblassers nicht geltend macht. Denkbar ist aber auch, den Sohn auf Abtretung des Hauptvermächtnisanspruchs zu verklagen und dann die Ehefrau des Erblassers wegen der Erfüllung des Hauptvermächtnisses in Anspruch zu nehmen.

177a

Über § 2187 Abs. 3 BGB gilt für die Beschränkung auf den Wert des Hauptvermächtnisgegenstandes § 1992 BGB. Die Ausführungen zur Überschwerungseinrede des Erben geltend daher entsprechend (vgl. Rz. 163 ff.). An die Stelle des Nachlasswertes tritt dann der Wert des Vermächtnisgegenstandes.

178

1 BGH v. 20.3.1963 – V ZR 89/62, NJW 1963, 1602 (1604). 2 MüKo.BGB/Rudy, § 2187 Rz. 2. Nienaber

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B VI

Rz. 179

Vermächtnis

b) Das Kürzungsrecht 179

Bei einer Kürzung des Vermächtnisses des Hauptvermächtnisnehmers aufgrund der Beschränkung der Haftung des Erben (§ 1990–1992 BGB; vgl. Rz. 163 ff.; § 327 InsO), wegen eines Pflichtteilsanspruchs (§§ 2318, 2322–2324 BGB) oder nach § 2187 BGB (vgl. Rz. 177 f.) kann der Hauptvermächtnisnehmer die Kürzung verhältnismäßig an seine Untervermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigten weitergeben (§ 2188 BGB). § 2188 BGB trägt mit dieser Regelung dem Umstand Rechnung, dass der Erblasser i.d.R. Haupt- und Untervermächtnis in einer bestimmten Relation gesehen hat. Dem Erblasser steht es aber frei, eine von § 2188 BGB abweichende Regelung zu treffen. Ist Gegenstand des Untervermächtnisses ein unteilbarer Gegenstand, kann der Untervermächtnisnehmer den Gegenstand nur gegen Zahlung des Kürzungsbetrages verlangen1. Ist der Untervermächtnisnehmer zur Zahlung des Kürzungsbetrages nicht bereit, kann der Hauptvermächtnisnehmer sich durch Zahlung eines gekürzten Wertersatzes befreien2. Ist der Hauptvermächtnisnehmer mit mehreren Untervermächtnissen oder Auflagen beschwert, erfolgt die Kürzung grundsätzlich bei jedem Begünstigten gleichmäßig. Der Erblasser kann aber auch den Vorrang eines Begünstigten anordnen (§ 2189 BGB). Die Kürzung tritt nicht per Gesetz ein, sondern muss als Einrede im Erkenntnisverfahren geltend gemacht werden. c) Die Rechts- und Sachmängelhaftung

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Für die Rechts- und Sachmängelhaftung des Hauptvermächtnisnehmers gegenüber dem Untervermächtnisnehmer gelten die zur Haftung des beschwerten Erben gemachten Ausführungen entsprechend (vgl. Rz. 167 ff.). 3. Die Haftung bei einer Mehrheit von Beschwerten

Beratungssituation: Der Mandant möchte sein Vermögen zu gleichen Teilen seinem Sohn und seiner Tochter vererben. Das einzige Enkelkind des Mandanten, der Sohn seiner Tochter, soll 50 000 Euro erhalten. Der Mandant möchte nun wissen, welche Auswirkungen diese Vermächtnisanordnung auf die Erbteile seiner Kinder hat. 181

Sind mehrere Erben oder mehrere Vermächtnisnehmer mit demselben Vermächtnis beschwert, so sind im Zweifel die Erben nach dem Verhältnis der Erbteile, die Vermächtnisnehmer nach dem Verhältnis des Werts der Vermächtnisse beschwert (§ 2148 BGB). Über seinen Wortlaut hinaus ist § 2148 BGB auch anzuwenden, wenn Erben und Vermächtnisnehmer gemeinsam mit einem (Unter-)Vermächtnis beschwert sind. Auch bei einer alternativen Beschwerung verschiedener Personen soll § 2148 BGB Anwendung finden3.

182

Nach herrschender Meinung betrifft die Vorschrift nur das Innenverhältnis der Beschwerten untereinander4. Im Außenverhältnis haften mehrere Beschwerte für 1 2 3 4

BGH v. 21.12.1955 – IV ZR 105/55, NJW 1956, 507. MüKo.BGB/Rudy, § 2188 Rz. 3. Vgl. z.B. Palandt/Weidlich, § 2148 Rz. 2. MüKo.BGB/Rudy, § 2148 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2148 Rz. 1; Staudinger/Otte, § 2148 Rz. 4. Nach a.A. wird § 2148 BGB zwar auch grundsätzlich nur Bedeutung im

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Vermächtnis

Rz. 185

B VI

dasselbe Vermächtnis als Gesamtschuldner nach den §§ 420 ff., 2058 ff. BGB. Der Ausgleich im Innenverhältnis erfolgt gem. § 2148 BGB nach dem Verhältnis der Erbteile bzw. bei der Beschwerung mehrerer Vermächtnisnehmer nach dem Verhältnis des Werts der Vermächtnisse im Zeitpunkt des Erbfalls. Sind sowohl Erben als auch Vermächtnisnehmer beschwert, ist wie bei der Beschwerung mehrerer Vermächtnisnehmer einheitlich auf den Wert der Zuwendung abzustellen1. Im Beispielsfall haften also ohne eine abweichende Anordnung des Erblassers die Tochter und der Sohn für die Vermächtniserfüllung gegenüber dem Enkel als Gesamtschuldner. Im Innenverhältnis müssen beide die Vermächtnislast zu je 50 % tragen.

182a

Der Erblasser kann von der Verteilung des § 2148 BGB abweichende Anordnungen treffen. Um insoweit Streit zwischen den Hinterbliebenen zu vermeiden, sollte der Anwalt oder Notar dem Erblasser raten, eine eindeutige Regelung zu treffen, in der er klarstellt, ob die Beschwerten im Außenverhältnis als Gesamtschuldner oder nur nach Anteilen haften und wie die Verteilung im Innen- bzw. Außenverhältnis vorgenommen werden soll2. Solche Anordnungen sind vor allem sinnvoll, wenn der Erblasser Streit unter den Erben über die Erfüllung des Vermächtnisses befürchtet und den Vermächtnisnehmer aus diesem Streit völlig heraushalten möchte.

183

M 56 Gesamtschuldnerische Haftung im Außen-/Verteilungsmaßstab im Innenverhältnis Hiermit vermache ich meinem Enkel 50 000 Euro. Für die Vermächtniserfüllung haften die Erben als Gesamtschuldner. Im Innenverhältnis der Erben untereinander soll die Vermächtnislast zu drei Viertel meine Tochter und zu einem Viertel meinen Sohn treffen.

§ 2148 BGB gilt nicht, wenn ein Erbe anstelle eines Pflichtteilberechtigten gesetzlicher Erbe wird und der Pflichtteilsberechtigte der Vermächtnisnehmer ist. Hier hat der Erbe das Vermächtnis in Höhe des erlangten Vorteils zu tragen (§ 2320 Abs. 1 BGB) und kann daher von den anderen Miterben keinen Ausgleich verlangen.

184

4. Die Haftung des Beschwerten bei Vorerfüllung des Erblassers Obwohl der Vermächtnisanspruch frühestens mit dem Erbfall entstehen kann (vgl. Rz. 138), wird allgemein vertreten, der Erblasser könne den Anspruch auch schon zu Lebzeiten erfüllen3. In der Vorerfüllung durch den Erblasser kann aber Innenverhältnis beigemessen, für den Fall, dass aber nicht alle Miterben oder nur Vermächtnisnehmer mit einer teilbaren Leistung beschwert sind, soll § 2148 BGB zu einer lediglich anteiligen Haftung auch im Außenverhältnis führen. Vgl. dazu RGRK/ Johannsen, § 2148 Rz. 3. 1 MüKo.BGB/Rudy, § 2148 Rz. 9. 2 Vgl. zu den Regelungsmöglichkeiten auch BGH v. 29.5.1964 – V ZR 47/62, NJW 1964, 2298 (2309); Soergel/Wolf, § 2148 Rz. 2. 3 OLG Hamm v. 14.7.1995 – 10 U 17/95, MDR 1995, 1236; Leipold, JZ 1996, 287 (295). Nienaber

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185

B VI

Rz. 186

Vermächtnis

auch eine Schenkung liegen1, so dass die Zuwendung ihren Rechtsgrund nicht in dem Vermächtnis hat und somit keine Erfüllung des Vermächtnisanspruchs vorliegt. Liegt keine Erfüllung vor, wird das Stückvermächtnis durch die Übertragung des vermachten Gegenstandes zu Lebzeiten unwirksam (§ 2171 BGB). Beim Gattungsvermächtnis ist es hingegen Auslegungsfrage, ob der Vermächtnisanspruch und damit die Haftung des Beschwerten noch besteht. Denkbar ist hier, dass das Vermächtnis unter der stillschweigenden Bedingung angeordnet worden war, dass der Erblasser den Bedachten nicht noch unter Lebenden befriedigt, oder dass der Erblasser zur Erfüllung des zukünftigen Vermächtnisanspruchs geleistet hat2. Der Erblasser sollte die Folgen seiner Zuwendung unter Lebenden im Hinblick auf das Vermächtnis ausdrücklich festlegen.

XIII. Die Haftung des Vermächtnisnehmers 1. Der Verwendungsersatz 186

Nach § 2185 BGB haftet der Vermächtnisnehmer dem Beschwerten für die nach dem Erbfall auf die Sache gemachten Verwendungen sowie für Aufwendungen, die der Beschwerte nach dem Erbfall zur Bestreitung von Lasten der Sache gemacht hat, nach den Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. § 2185 BGB gilt wie § 2184 BGB nur für das Stückvermächtnis und nach der h.M. für das Verschaffungsvermächtnis ab dem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerte im Besitz des Vermächtnisgegenstandes ist.

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Nach § 994 BGB kann der Beschwerte für notwendige Verwendungen vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit oder Bösgläubigkeit Ersatz verlangen, danach kommt ein Ersatz nur noch über die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht (§ 994 Abs. 2 BGB). Bösgläubig ist der Beschwerte beim bedingten oder befristeten Vermächtnis nicht erst, wenn er den Anfall des bedingten oder befristeten Vermächtnisses kennt, sondern schon mit der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Vermächtnisanordnung, sofern der spätere Anfall nicht zweifelhaft ist3. Für nützliche Verwendungen besteht ein Ersatzanspruch nach § 996 BGB nur vor Eintritt der Rechtshängigkeit oder Bösgläubigkeit. Nach §§ 2185, 994 Abs. 1 S. 2 BGB kann der Beschwerte keinen Ersatz für die gewöhnlichen Erhaltungskosten während der Zeit verlangen, zu der ihm die Nutzungen verbleiben. Diese Regelung ist im Bereich des Vermächtnisrechts aus zwei Gründen schwierig zu handhaben. Zum einen ist die Frage, wann die Nutzungen dem Beschwerten verbleiben, nach § 2184 BGB nicht pauschal zu beantworten. Zunächst stehen alle Nutzungen, Früchte wie auch sonstige Nutzungen dem Beschwerten bis zum Anfall des Vermächtnisses zu. Danach verbleiben nach § 2184 S. 2 BGB die Nutzungen, die nicht zu den Früchten gehören (wie z.B. Gebrauchsvorteile), bis zur Vermächtniserfüllung beim Beschwerten, während die Früchte ab dem Anfall des Vermächtnisses dem Vermächtnisnehmer gebühren, § 2184 S. 1 BGB. Die Regelung des § 2185 BGB stellt indes anders als § 2184 S. 1 1 OLG Hamm v. 14.7.1995 – 10 U 17/95, MDR 1995, 1236; OLG München v. 20.6.1989 – 25 U 3632/88, MDR 1990, 54 = NJW-RR 1989, 1410 (1411). 2 OLG Hamm v. 14.7.1995 – 10 U 17/95, MDR 1995, 1236. 3 BGH v. 6.3.1991 – IV ZR 114, BGH v. 6.3.1991 – IV ZR 114/89, MDR 1991, 1067 = FamRZ 1991, 690 = NJW 1991, 1736 (1739). 410

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Vermächtnis

Rz. 189

B VI

BGB nicht auf den Anfall des Vermächtnisses ab, sondern regelt den Verwendungsersatz seit dem Erbfall. Aus diesem Zusammenspiel von § 2184 BGB und § 2185 BGB folgt, dass der Beschwerte bis zum Anfall des Vermächtnisses den Ersatz der gewöhnlichen Erhaltungskosten nicht verlangen kann, da ihm hier noch alle Nutzungen inklusive der Früchte gebühren. Nach dem Anfall des Vermächtnisses muss eine schwierige Abgrenzung zwischen den Verwendungen mit Fruchtbezug und den Verwendungen im Hinblick auf Gebrauchsvorteile vorgenommen werden. Hinsichtlich der gewöhnlichen Erhaltungskosten mit Fruchtbezug kommt ein Ersatzanspruch nach Anfall des Vermächtnisses in Betracht, die gewöhnlichen Erhaltungskosten für die beim Beschwerten verbleibenden Gebrauchsvorteile muss der Vermächtnisnehmer indes nicht ersetzen1. Eindeutige Regelungen durch den Erblasser sollten hier für Klarheit sorgen. 2. Die Haftung des Vermächtnisnehmers für Schulden des Erblassers Grundsätzlich gehen die Schulden des Erblassers nach § 1922 BGB auf den Erben über. Geht beim Universalvermächtnis der gesamte Nachlass auf den Vermächtnisnehmer über, haftet der Vermächtnisnehmer nach § 2385 Abs. 1 BGB i.V.m. den §§ 2382, 2383 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten (vgl. Rz. 97). Aber auch beim Stückvermächtnis, das nicht den ganzen Nachlass erfasst, kommt eine Haftung des Vermächtnisnehmers in Betracht. So kann etwa der Vermächtnisnehmer beim Stückvermächtnis i.d.R. die Beseitigung der auf seinem Vermächtnisgegenstand ruhenden Belastungen nicht verlangen (vgl. Rz. 168). Ist also z.B. ein Vermächtnisgrundstück mit einer Hypothek oder Grundschuld belastet, so wird das Grundstück zur Vermächtniserfüllung im Zweifel mit der Belastung übertragen, so dass der Vermächtnisnehmer für die Hypothek bzw. Grundschuld mit dem Grundstück haftet. Die der Belastung zugrunde liegende persönliche Forderung geht dagegen i.d.R. nicht auf den Vermächtnisnehmer über (vgl. Rz. 168). Der Erblasser kann den Vermächtnisnehmer indes durch eine abweichende Anordnung verpflichten, die persönliche Schuld zu tilgen. Insoweit ist z.B. die Anordnung eines Untervermächtnisses zugunsten des Erben denkbar, durch das ihm ein Anspruch auf Befreiung von der persönlichen Schuld gegen den Hauptvermächtnisnehmer vermacht wird. Da die Frage, wer die Belastungen eines Vermächtnisgegenstandes bzw. die zugrunde liegenden persönlichen Schulden des Erblassers zu tragen hat, häufig ein Anlass für Streit zwischen den Hinterbliebenen des Erblassers ist, empfiehlt es sich dringend, diese Fragen in der letztwilligen Verfügung ausdrücklich zu regeln.

188

Nur ausnahmsweise besteht für den Vermächtnisnehmer auch ohne eine entsprechende Anordnung des Erblassers eine gesetzliche Verpflichtung zur Tilgung einer persönlichen Schuld des Erblassers. Nach § 2166 Abs. 1 BGB ist der Vermächtnisnehmer gegenüber dem Erben zur Berichtigung einer persönlichen Schuld verpflichtet, wenn das Vermächtnisgrundstück mit einer Hypothek für eine Schuld des Erblassers oder für eine Schuld, zu deren Berichtigung der Erblasser gegenüber dem Schuldner verpflichtet ist, belastet ist. Hier ist der Vermächtnisnehmer im Innenverhältnis gegenüber dem Erben im Zweifel zur Befriedigung des Gläubigers insoweit verpflichtet, als der Wert des Grundstückes ausreicht (§ 2166 Abs. 1 S. 1 BGB). § 2166 BGB wird entsprechend auf Grundschul-

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1 Vgl. dazu auch Staudinger/Otte, § 2185 Rz. 5. Nienaber

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B VI

Rz. 190

Vermächtnis

den angewendet, die eine persönliche Schuld sichern1. § 2166 Abs. 1 BGB betrifft nur die Verpflichtung des Vermächtnisnehmers gegenüber dem Erben im Innenverhältnis. Im Außenverhältnis zum Gläubiger haftet der Vermächtnisnehmer für die persönliche Schuld nicht. Tilgt der Erbe die persönliche Schuld, obwohl er insoweit einen Anspruch gegen den Vermächtnisnehmer hatte, geht die Hypothek bis zur Höhe des Grundstückswerts auf ihn über (§ 1164 BGB). Befriedigt der Vermächtnisnehmer den Gläubiger indes über den Wert des Grundstücks hinaus, so erwirbt er in Höhe des überschießenden Betrages die persönliche Forderung (§ 1143 BGB). Bei einer Höchstbetragshypothek mit ständig wechselnden zugrunde liegenden Forderungen (§ 1190 BGB) gilt § 2166 Abs. 1 BGB nicht (§ 2166 Abs. 3 BGB). § 2166 Abs. 3 BGB gilt entsprechend für eine einen Kontokorrentkredit sichernde Grundschuld2. Der Erblasser kann von § 2166 BGB abweichende Regelungen treffen. Interessengerecht dürfte insoweit meist eine Regelung sein, nach der der Bedachte die gesicherte persönliche Schuld zu tragen hat, wenn diese einen Bezug zum Grundstück aufweist bzw. diesem zugute kommt.3

XIV. Die steuerrechtliche Behandlung des Vermächtnisses 190

Entscheidender Aspekt für die Ausgestaltung letztwilliger Verfügungen sind häufig die steuerrechtlichen Konsequenzen der Anordnungen des Erblassers. Insofern wurde bereits bei besonderen Vermächtnisarten auf die steuerrechtlichen Aspekte eingegangen (vgl. z.B. Rz. 104 f., 119). 1. Die Erbschaftsteuer

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Allgemein unterliegt der Erwerb durch Vermächtnis der Erbschaftsteuer (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG)4. Steuerschuldner ist der Vermächtnisnehmer. Abweichend vom Zivilrecht wird der Vermächtnisnehmer im Steuerrecht so behandelt, als sei ihm der Vermächtnisgegenstand direkt vom Erben zugewandt5. Der Wert des Vermächtnisses bestimmt sich dementsprechend nach dem Wert des vermachten Gegenstandes und nicht nach dem Wert des Vermächtnisanspruchs6. Neben dem Vermächtnisnehmer haftet auch der Nachlass bis zur Erfüllung der Vermächtnisforderung für die Erbschaftsteuer auf den Vermächtnisgegenstand (§ 20 Abs. 1, 3 ErbStG). 1 BGH v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, NJW 1962, 1715; BGH v. 22.5.1963 – V ZR 112/61, NJW 1963, 1612; OLG München 19.2.1975 – 12 U 3934/74, NJW 1975, 1521. 2 BGH v. 20.6.1962 – V ZR 219/60, BGHZ 37, 233 (246); Soergel/Wolf, § 2166 Rz. 2. 3 Grunewald/Rizor, ZEV 2008, 510, 511 wollen Grundschulden in analoger Anwendung von § 2166 Abs. 3 BGB auch ohne eine entsprechende Regelung des Erblassers vom Anwendungsbereich des § 2166 Abs. 1 BGB ausnehmen, wenn sie eine Forderung absichern, die keinen Bezug zum Grundstück aufweist und diesem auch nicht zugutekommt. 4 Der Erwerb durch Vermächtnis kann allerdings steuerrechtlich als entgeltlich zu beurteilen sein, wenn der Vermächtnisnehmer mit einem Untervermächtnis belastet ist, das den Wert des Vermächtnisses annähernd ausgleicht (BFH v. 13.11.2002 – 1 R 11000, ZEV 2003, 255 (256). 5 BGH v. 18.7.1972 – VIII R 17/68, BStBl. II 1972, 874 (875). 6 Ebenroth, Erbrecht, Rz. 450. 412

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Nienaber

Vermächtnis

Rz. 193

B VI

Als Nachlassverbindlichkeit mindert das Vermächtnis die Steuerschuld des Erben (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG), natürlich mit Ausnahme des Vorausvermächtnisses (§ 10 Abs. 9 ErbStG). Ist das Vermächtnis unwirksam, ist es dennoch erbschaftsteuerrechtlich zu erfassen, wenn es einer (unwirksamen) Anordnung des Erblassers entsprechend erfüllt wird1. Eine Minderung der Steuerschuld des Erben nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG kommt allerdings nicht in Betracht, wenn das Vermächtnis erst beim Tod des Erben anfällt, da es hier an einer wirtschaftlichen Belastung des Erben fehlt2. Ob eine Abzugsfähigkeit zu bejahen ist, wenn ein Fälligkeitstermin unabhängig vom Tod des Erben bestimmt wird (Korrektur des ursprünglichen Erbschaftssteuerbescheides), ist gerichtlich noch nicht geklärt und insbesondere dann zweifelhaft, wenn von vornherein klar ist, dass der Fälligkeitszeitpunkt nach dem Tod des Erben liegen wird3.

191a

Die Steuerschuld entsteht mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 ErbStG) bzw. mit dem Eintritt der Bedingung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG). Dieser Zeitpunkt ist nach § 11 ErbStG auch maßgeblich für die Wertermittlung. Da der Vermächtnisnehmer mit dem Tod des Erblassers zunächst nur den schuldrechtlichen Vermächtnisanspruch und nicht den Vermächtnisgegenstand selbst erhält, war vor Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24.12.2008 insbesondere für Grundstücksvermächtnisse unklar, ob der Vermächtnisanspruch entsprechend seiner Natur als schuldrechtlicher Anspruch mit dem gemeinen Wert (§§ 12 I ErbStG, 9 BewG) oder mit dem u.U. günstigeren Steuerwert des Vermächtnisgegenstandes selbst anzusetzen war.4 Da nach jetzt geltendem Recht (§ 177 BewG) Grundstücke ohnehin mit dem gemeinen Wert bewertet werden5, gilt dies ebenso für den hierauf gerichteten Vermächtnisanspruch, so dass sich die Diskussion um eine Schlechterstellung des Vermächtnisnehmers im Vergleich zum Erben erledigt hat.

192

2. Die Einkommensteuer Nach der Übertragung des Vermächtnisgegenstandes auf den Vermächtnisnehmer sind die Einkünfte aus dem Vermächtnisgegenstand vom Vermächtnisnehmer zu versteuern. Vor dem Vollzug des Vermächtnisses sind die Einkünfte einkommensteuerrechtlich dagegen grundsätzlich dem Erben zuzurechnen6. Die Regelung, dass der Erbe vor der Übertragung des Vermächtnisses die aus dem Vermächtnis erzielten Einkünfte versteuern muss, ist problematisch, da die Einkünfte aus dieser Zeit ohne Abzug der hierauf entfallenden Steuerlast an den Vermächtnisnehmer herauszugeben sind (§ 2184 S. 1 BGB; vgl. Rz. 160 ff.). Dieses Auseinanderfallen von zivilrechtlicher und steuerrechtlicher Behandlung der 1 BFH v. 28.3.2007 – II R 25/05, FamRZ 2007, 1168 = ErbStB 2007, 196 = ZEV 2007, 343; BFH v. 7.10.1981 – II R 16/80, NJW 1982, 407. 2 Everts, NJW 2008, 557 (558). 3 Dafür Everts, NJW 2008, 557 (558). 4 In einem viel kritisierten obiter dictum hatte der BFH angekündigt, Grundstücksvermächtnisse zukünftig abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung mit dem gemeinen Wert zu bewerten (BFH v. 2.7.2004 – II R 902, ZEV 2004, 474 [475]). 5 Vgl. zum Fokus des ErbStRG auf den gemeinen Wert und Begünstigungsregelungen z.B. Hannes/Onderka, ZEV 2009, 10; Hölzerkopf/Bauer, BB 2009, 20. 6 BFH v. 5.7.1990 – GrS 2/89, BFHE 161, 332 = FamRZ 1991, 64; BFH v. 24.9.1991 – VIII R 349/83. Nienaber

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B VI

Rz. 194

Vermächtnis

Einkünfte zwischen Anfall und Erfüllung des Vermächtnisses1 kann durch eine abweichende Testamentsgestaltung vermieden werden, etwa indem angeordnet wird, dass die Einkünfte bis zur Erfüllung des Vermächtnisses entgegen § 2184 BGB dem Erben verbleiben sollen oder die Herausgabeverpflichtung nach § 2184 BGB nur unter Abzug der Steuerbelastung bestehen soll2. Zudem besteht die Möglichkeit, auch steuerrechtlich die Einkunftserzielung dem Vermächtnisnehmer zuzurechnen, sofern er als wirtschaftlicher Eigentümer des Vermächtnisgegenstandes schon ab dem Erbfall angesehen werden kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Das ist jedenfalls der Fall, wenn er die tatsächliche Sachherrschaft in der Weise ausübt, dass er den Erben wirtschaftlich von der Einwirkung auf den Vermächtnisgegenstand ausschließen kann3. 3. Die Besonderheiten beim Nachvermächtnis und beim bedingten Vermächtnis 194

Das Nachvermächtnis wird erbschaftsteuerrechtlich wie eine Nacherbschaft behandelt (§ 6 Abs. 4 ErbStG). Tritt der Anfall des Nachvermächtnisses also mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers ein, so ist der Erwerb als vom Vorvermächtnisnehmer stammend zu versteuern, so dass Vor- und Nachvermächtnisnehmer grundsätzlich doppelt besteuert werden. Der Nachvermächtnisnehmer kann allerdings die Besteuerung nach dem Verhältnis zum Erblasser beantragen (§ 6 Abs. 2 ErbStG). Das Verhältnis des Nachvermächtnisnehmers zum Erblasser ist ohnehin immer entscheidend, wenn der Nachvermächtnisfall durch einen anderen Umstand als den Tod des Vorvermächtnisnehmers eintritt (§ 6 Abs. 4, Abs. 3 ErbStG). Tritt der Nachvermächtnisfall nicht durch den Tod des Vorvermächtnisnehmers ein, hat der Nachvermächtnisnehmer zudem den Vorteil, dass er sich bei seiner Steuerbelastung den vom Vorvermächtnisnehmer zu viel gezahlten Steuerbetrag anrechnen lassen kann, der dadurch entstanden ist, dass der Erwerb des Vermächtnisgegenstandes beim Vorvermächtnisnehmer nicht dauerhaft war (§ 6 Abs. 3 ErbStG). Eine Berichtigung der Erbschaftsteuerveranlagung des Vorvermächtnisnehmers kommt nicht in Betracht4. Hierdurch muss der Vorvermächtnisnehmer mehr Steuern zahlen, als es seiner tatsächlichen Bereicherung entspricht, während der Nachvermächtnisnehmer sich steuerlich günstiger steht.

195

Dieses ungerechte Ergebnis wird teilweise zu verhindern versucht, indem das Nachvermächtnis, zumindest wenn es nicht beim Tod des Vorvermächtnisnehmers anfällt, entsprechend seiner zivilrechtlichen Rechtsnatur auch im Steuerrecht als bedingtes Vermächtnis behandelt wird. Für das bedingte Vermächtnis gilt § 9 Nr. 1a ErbStG i.V.m. §§ 4 ff. BewG. Hier findet eine Verrechnung nach § 6 Abs. 3 ErbStG nicht statt, sondern es erfolgt eine Korrektur der ursprünglichen Veranlagung des Vorerwerbers gem. § 5 Abs. 2 BewG5. Angesichts der Regelung des § 6 Abs. 3 ErbStG wird sich diese Konstruktion bei den Finanzbehör1 Tiedtke/Peterek sprechen hier von einer Steuerfalle (ZEV 2007, 349). 2 von Oertzen, ZEV 1991, 459 (460). 3 BFH v. 5.5.1983 – IV R 43/80, BFHE 139, 36; BFH v. 27.9.1988 – VIII R 193/83, BFHE 154, 525; BFH v. 24.9.1991 – VIII R 349/99; Tiedtke/Peterek (ZEV 2007, 349 [352]) bejahen unabhängig von einer tatsächlichen Sachherrschaft das wirtschaftliche Eigentum des Vermächtnisnehmer, indem sie den Erben als Treuhänder ansehen. 4 Bengel, NJW 1990, 1826 (1830). 5 Vgl. dazu Bengel, NJW 1990, 1826 (1830). 414

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den aber nur schwer durchsetzen können. Um insoweit Ungerechtigkeiten auszugleichen, kann der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung etwa im Wege einer Auflage oder eines Untervermächtnisses anordnen, dass der Nachvermächtnisnehmer dem Vorvermächtnisnehmer den Steuernachteil auszugleichen hat.

M 57 Ausgleichspflicht des Nachtvermächtnisnehmers hinsichtlich eines Steuernachteils des Vorvermächtnisnehmers Hiermit vermache ich das Grundstück X meinem Sohn. Zulasten meines Sohnes bestimme ich ferner, dass das Grundstück X meinem Enkel als Nachvermächtnisnehmer mit Vollendung seines 21. Lebensjahres zustehen soll. Im Wege des Untervermächtnisses ordne ich an, dass mein Enkel meinem Sohn aus den Erträgen des Grundstücks einen Ausgleich in der Höhe des Steuervorteils zahlen muss, den er dadurch erhält, dass er sich den von meinem Sohn zu viel gezahlten Steuerbetrag nach § 6 Abs. 3 ErbStG anrechnen lassen kann.

4. Das Nießbrauchsvermächtnis Da steuerrechtliche Aspekte für die Anordnungen eines Nießbrauchsvermächtnisses häufig im Vordergrund stehen, wurden diese bereits dargestellt (vgl. Rz. 104 f., 119), sollen hier aber noch einmal kurz zusammengefasst werden. Die Erbschaftsteuer des Nießbrauchsvermächtnisnehmers wird lediglich nach dem Kapitalwert des Nießbrauchs bemessen, wobei ein Wahlrecht zwischen einer einmaligen oder einer jährlichen Versteuerung besteht (§ 23 ErbStG).

196

Einkommensteuerrechtlich werden die Einkünfte aus dem Nießbrauch dem Nießbraucher zugerechnet. Der Nießbrauchsvermächtnisnehmer kann vom Erblasser getätigte Anschaffungs- und Herstellungskosten nach dessen Tod nach der Rechtsprechung des BFH1 nicht abschreiben, da die Anschaffungs- und Herstellungskosten gem. § 1922 Abs. 1 BGB nicht dem Vermächtnisnehmer, sondern dem Erben zugerechnet werden.

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Die steuerrechtliche Behandlung des Unternehmensnießbrauchs ist nach wie vor nicht befriedigend gelöst (vgl. auch Rz. 119). Hat der Nießbraucher allerdings nur einen Ertragsnießbrauch, werden seine Einkünfte meist als vom Nießbrauchsbesteller abgeleitet nach § 22 Nr. 1 EStG versteuert, und für den Nießbrauchsbesteller werden die an den Nießbraucher abgeführten Beträge als dauernde Last angesehen, die er nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehen kann. Beim echten Unternehmensnießbrauch werden die Einkünfte indes direkt beim Nießbraucher versteuert.

198

5. Das Rentenvermächtnis Das Rentenvermächtnis ist erbschaftsteuerrechtlich vom Bedachten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Kapitalwert zu versteuern und kann vom Beschwerten in Abzug gebracht werden. Die einkommenssteuerrechtliche Behandlung der 1 BFH v. 28.9.1993 – IX 156/88, NJW 1994, 2783 (2784) entgegen der zuvor bestehenden Rechtslage. Nienaber

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B VI

Rz. 200

Vermächtnis

in Folge eines Rentenvermächtnisses gezahlten Bezüge ist unklar. Zunächst unterfallen sie als wiederkehrende Bezüge § 22 Nr. 1 S. 1 EStG, allerdings ist umstritten, ob ihre Besteuerung aufgrund der Ausnahmeregelung des § 22 Nr. 1 S. 2, 1. Hs. ausscheidet, wonach Bezüge, die aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder einer gesetzlich unterhalbsberechtigten Person gewährt werden, beim Empfänger nicht berücksichtigt werden. Mit der Entscheidung dieses Meinungsstreites korrespondiert die Frage, ob die Leistungen nach § 12 Nr. 2 EStG einem Abzugsverbot für den Beschwerten unterfallen. Der BFH vertritt die Ansicht, dass letztlich auf die Entscheidungslage des Erblassers abzustellen sei. Handele es sich aus seiner Sicht um die Erfüllung einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder einer gesetzlichen Unterhaltspflicht so gelte dies auch für die Erfüllung des Rentenvermächtnisses, so dass dieses auf der einen Seite beim Bedachten nicht besteuert werden könne (§ 22 Nr. 1 S. 2, 1. Hs. EStG) und auf der anderen Seite vom Beschwerten nicht in Abzug gebracht werden könne (§ 12 Nr. 2 EStG)1. Etwas anderes gilt möglicherweise, wenn das Rentenvermächtnis aus den aus einem Betrieb erzielten Einkünften erfüllt wird, da die Bezüge dann als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG als Sonderausgaben beim Beschwerten in Abzug gebracht werden können und dann wohl beim Bedachten weiterhin einer Besteuerung nach § 22 Nr. 1 EStG unterliegen2.

XV. Das Vermächtnis in der Insolvenz 200

Im Falle der Nachlassinsolvenz gehen nach § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Verbindlichkeiten aus vom Erblasser angeordneten Vermächtnissen und Auflagen den in § 39 InsO bezeichneten Verbindlichkeiten und den Verbindlichkeiten gegenüber Pflichtteilsberechtigten nach. Ein Vermächtnis, durch welches das Recht des Bedachten auf den Pflichtteil nach § 2307 BGB ausgeschlossen wird, steht im Rang den Pflichtteilsansprüchen gleich, soweit es den Pflichtteil nicht übersteigt (§ 327 Abs. 2 S. 1 BGB). Die Verbindlichkeiten mehrerer Vermächtnisnehmer bzw. Auflagenbegünstigter werden gleichrangig nach dem Verhältnis ihrer Beträge erfüllt. Von dieser gleichmäßigen Befriedigung kann der Erblasser abweichende Bestimmungen treffen (§ 327 Abs. 2 S. 2 BGB). Ist das Vermächtnis nicht auf einen Geldbetrag gerichtet, so ist es mit einem Geldwert geltend zu machen (§ 45 InsO). Ist der Vermächtnisanspruch schon vor Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens erfüllt worden, kann die Erfüllung wie eine unentgeltliche Leistung des Erben nach § 322 InsO angefochten werden.

1 BFH v. 20.7.2010 – IX R 30/09, FamRZ 2011, 35; in diesem Sinne auch Streck, DStR 2011, 959 ff. 2 Streck, DStR 2011, 959 (961). 416

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Nienaber

VII. Das gemeinschaftliche Testament (§§ 2265–2273 BGB) Schrifttum: Battes, Gemeinschaftliches Testament und Ehegattenerbvertrag als Gestaltungsmittel für die Vermögensordnung der Familie, 1974; Ebeling, Korrekturvermächtnisse im Berliner Testament und deren erbschaftsteuerliche Folgen, ZEV 2000, 87; Edenfeld, Auslegungsprobleme bei Wünschen des Erblassers: Erbenbindung oder moralischer Appell?, ZEV 2004, 141; Edenfeld, Europäische Entwicklungen im Erbrecht, ZEV 2001, 457, 461; Helms, Der Widerruf und die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen bei Geschäfts- und Testierunfähigkeit, DNotZ 2003, 104; Hülsmann, Berliner Testament – Steuerreduzierung beim Schlusserben, NWB 2007, 1585; Jünemann, Rechtsstellung und Bindung des überlebenden Ehegatten bei vereinbarter Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament, ZEV 2000, 81; Keim, Regelungen für den gemeinsamen und gleichzeitigen Tod im Ehegattentestament, ZEV 2005, 10; Keim, Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testamentes auch gegenüber dem Bevollmächtigten des anderen Ehegatten?, ZEV 2010, 358; Lehmann, Die Zukunft des deutschen gemeinschaftlichen Testaments in Europa, ZEV 2007, 193; Leipold, Die neue Lebenspartnerschaft aus erbrechtlicher Sicht, insbesondere bei zusätzlicher Eheschließung, ZEV 2001, 218; Litzenburger, Die interessengerechte Gestaltung des gemeinschaftlichen Testaments von Eltern zugunsten behinderter Kinder, RNotZ 2004, 138; Mayer, Zur Wechselbezüglichkeit bei gemeinschaftlichen Testamenten, ErbR 2007, 38, 81; Meier-Kraut, Zur Wiederverheiratungsklausel in gemeinschaftlichen Testamenten mit Einheitslösung, NJW 1992, 143; Mittenzwei/Rohlfing, Der Erklärungsgegner bei der Anfechtung eines Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments, ZEV 2003, 49; Musielak, Die Bindung an wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament, ZErb 2008, 189; Nordmeier, EuErbVO: Neues Kollisionsrecht für gemeinschaftliche Testamente, ZEV 2012, 513; Proff, Das gemeinschaftliche Testament von Nichtehegatten, ZErb 2008, 254; Schmucker, Die Wechselbezüglichkeit von Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten in der Rechtsprechung des BayObLG, MittBayNot 2001, 526; Schmucker, Die Bindung beim gemeinschaftlichen Testament und Erbvertrag, ZNotP 2006, 414; Simshäuser, Auslegungsfragen bei Wiederverheiratungsklauseln in gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen, FamRZ 1972, 273; Steiner, Gestaltungspraxis gemeinschaftlicher Testamente und Erbverträge bei gemischtnationalen Ehen, insbesondere bei deutsch-österreichischen Ehepaaren, ZEV 2004, 362; Wacke, Gemeinschaftliche Testamente von Verlobten, FamRZ 2001, 457; Wilhelm, Wiederverheiratungsklausel, bedingte Erbeinsetzung und Vor- und Nacherbfolge, NJW 1990, 2857.

Rz.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4. Die allein gegenseitige Erbeinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 8

II. Das gegenseitige gemeinschaftliche Testament

I. Die Errichtung 1. Die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Errichtung als eigenhändiges Testament . . . . . . . . . aa) Form des § 2247 BGB . . . . bb) Form des § 2267 BGB . . . . b) Die Errichtung als ordentliches öffentliches Testament c) Die Errichtung als Nottestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Errichtungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz.

1

9 10 11 17 20 21

1. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Einheitslösung (Vollerbschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachteile . . . . . . . . . . . . . . b) Die Trennungslösung (Vor- und Nacherbschaft) . . . . aa) Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachteile . . . . . . . . . . . . . . Edenfeld

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30 31 33 36 41 42 47 417

B VII

Rz. 1

Gemeinschaftliches Testament Rz.

c) Das Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Trennungslösung a) Einsetzung der Vor- und Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befreiung des Vorerben . . . . . . c) Pflichtteilsklauseln . . . . . . . . . d) Wiederverheiratungsklauseln 3. Das Berliner Testament a) Die Auslegungsregeln des § 2269 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einsetzung des Voll- und Schlusserben . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflichtteilsklauseln . . . . . . . . . aa) Die Verwirkungsklausel . bb) Die Jastrow’sche Formel . cc) Der Pflichtteilsverzicht . . d) Wiederverheiratungsklauseln aa) Anordnung eines Vermächtnisses . . . . . . . . . . . . bb) Die bedingte Vor- und Nacherbschaft . . . . . . . . . .

50 52 55 56 58 60 63 70 72 75 77 78 84 86

III. Die wechselbezüglichen Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Die Wechselbezüglichkeit a) Bedeutung und Rechtsfolge . . 101 b) Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Gegenseitige Zuwendungen (§ 2270 Abs. 2 Alt. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Rz. bb) Zuwendungen an Dritte (§ 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Widerlegung der Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen . . . . . . . . . . . . . a) Der Widerruf zu Lebzeiten der Ehegatten (§ 2271 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschluss neuer Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerruf nur in der Form des § 2296 BGB . . . . . . . . . b) Der Widerruf nach dem Tod eines Ehegatten (§ 2271 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Ausschlagung (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) . bb) Die Anfechtung (§§ 2281 ff. BGB analog) . . cc) Der Änderungsvorbehalt . 3. Der Schutz der Endbedachten vor lebzeitigen Verfügungen des überlebenden Ehegatten . . . . . . . . a) Die frühere „Aushöhlungsnichtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die entsprechende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB . .

108 111 113 114 115 118 123 126 132 139 143 144 145

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 151

Vorbemerkung 1

Die bürgerlich-rechtliche Ehe ist eine Lebens-, Wirtschafts- und Schicksalsgemeinschaft. Viele Ehegatten wollen nicht nur ihr Leben zusammen gestalten, sondern auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse für die Zeit nach ihrem Tod gemeinsam regeln. Dabei wird eine doppelte Zielrichtung verfolgt. Zum einen wird der überlebende Ehegatte abgesichert. Er soll zeitlebens über das gemeinsam Erarbeitete verfügen können. Andererseits soll das Vermögen nicht auf Dauer in seinen Familienzweig fallen. Es soll nach dessen Tod möglichst ungeschmälert den gemeinsamen Abkömmlingen zugute kommen.

2

Das Gesetz gibt den Ehegatten das gemeinschaftliche Testament als Gestaltungsmittel an die Hand. Es hat sich in der Rechtspraxis bewährt und gilt noch heute als die für Eheleute ratsamste Art, von Todes wegen zu verfügen1. Dabei ist eine Reihe formaler, materiell- und steuerrechtlicher Aspekte zu beachten. Das gemeinschaftliche Testament ist in den §§ 2265 bis 2272 BGB geregelt und weist 1 Sogar zur Ergänzung eines Erbvertrags, vgl. BayObLG v. 20.2.2003 – 1Z BR 77/02, NJW-RR 2003, 658. 418

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 4

B VII

im Vergleich zum Einzeltestament wichtige Besonderheiten auf. Dazu gehören einzelne Formerleichterungen und gewisse Bindungswirkungen. Nachfolgend werden seine Errichtung (Rz. 3 ff.), die rechtlichen Besonderheiten des gegenseitigen gemeinschaftlichen Testaments (Rz. 30 ff.) und die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen (Rz. 100 ff.) erörtert. Die abschließende Zusammenfassung (Rz. 151) enthält eine Aufzählung der wichtigsten Aspekte, auf die in der Praxis bei der Errichtung gemeinschaftlicher Testamente zu achten ist. Erbschaftsteuerrechtlich ist zu beachten, dass das gemeinschaftliche Testament bei großen Nachlässen zu Nachteilen führen kann: Das Vermögen des zuerst Versterbenden wird zweimal der Erbschaftsteuer unterworfen, die Freibeträge der Kinder können nur einmal – beim Tod des zweiten Elternteils – geltend gemacht werden und die Steuerprogression verschärft sich beim Tod des zweiten Ehegatten, bei dem sich das gesamte Vermögen angesammelt hat. Zu den steuerlichen Optimierungsmöglichkeiten in diesen Fällen s. Kap. D Rz. 182 ff.

2a

I. Die Errichtung Beratungssituation: Ein junges, noch kinderloses Ehepaar erkundigt sich, wie sich die Partner gegenseitig zu Erben einsetzen können. Im Rahmen der erbrechtlichen Nachfolgeregelung soll der Überlebende den Erstversterbenden unbeschränkt beerben. Der Berater verweist auf die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments. Die Eheleute fragen nach dessen Voraussetzungen. 1. Die Beteiligten a) Ein gemeinschaftliches Testament liegt vor, wenn mehrere Erblasser ihren letzten Willen gemeinschaftlich erklären. Anders als der Erbvertrag (§§ 2274 ff. BGB) hat es keine Doppelnatur. Trotz der Gemeinschaftlichkeit der Errichtung verfügt jeder von ihnen einseitig für den Fall seines Todes über sein Vermögen. Es handelt sich um zwei Testamente mit gemeinschaftlichem Verfügungswillen. Nach § 2265 BGB kann ein gemeinschaftliches Testament nur durch Ehegatten errichtet werden. Sie regeln ihre Erbfolge gemeinsam. Gleiches gilt nach § 10 Abs. 4 LPartG für eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner. Nichtehegatten wie Geschwister oder Verlobte dürfen nicht in dieser Weise testieren. Wollen sie gemeinschaftlich verfügen, müssen sie den Erbvertrag wählen. Auch die nachfolgende Ehe macht eine vorher errichtete gemeinsame Verfügung nicht wirksam. Verlobte können nicht „für den Fall der Eheschließung“ gemeinsam testieren. Ein gemeinschaftliches Testament unverheirateter Personen ist unwirksam.

3

b) Haben Nichtehegatten zusammen in einer Urkunde verfügt, darf es der Berater nicht bei der Feststellung der Nichtigkeit belassen. Er muss – ebenso wie im Fall der Unwirksamkeit wegen Testierunfähigkeit eines Ehegatten1 – an die Möglichkeit einer Umdeutung (§ 140 BGB) der Erklärungen in Einzeltestamente denken.

4

1 Dazu OLG München v. 19.5.2010 – 31 Wx 38/10, FamRZ 2010, 1769 = MDR 2010, 1266 = ZEV 2010, 471 m. Anm. Zimmer. Edenfeld

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B VII

Rz. 5

Gemeinschaftliches Testament

Beratungssituation: Zwei Geschwister bestimmen für den Fall ihres Todes, dass jeder von ihnen als Alleinerbe des anderen eingesetzt wird. Der Bruder hat den gesamten Text eigenhändig geschrieben und unterschrieben, die Schwester lediglich unterschrieben. Nach dem Tod des Bruders fragt die Schwester, ob sie ihn aufgrund des Testaments beerbt hat. Als Nichtehegatten konnten die Geschwister kein gemeinschaftliches Testament errichten, § 2265 BGB. Sie durften nicht in der für Ehegatten zugelassenen Form des § 2267 BGB testieren. Fraglich ist, ob zumindest die letztwillige Verfügung des Bruders nach § 140 BGB aufrechterhalten werden kann. Sie ist – anders als die der Schwester – eigenhändig geschrieben und unterschrieben, wahrt also die Form des § 2247 BGB. Das RG1 hat in einem ähnlichen Fall die Umdeutung verneint. § 2265 BGB enthalte ein Verbot für Nichtehegatten, um Auslegungszweifel zu vermeiden. Das wird heute einhellig2 abgelehnt. Nach überwiegender Auffassung3 können von Nichtehegatten gemeinsam errichtete Testamente als Einzeltestamente aufrechterhalten werden, wenn sie deren Form genügen. 5

Der herrschenden Meinung ist zuzustimmen. Das Gesetz lässt in den §§ 2084, 2085 BGB die Tendenz erkennen, dass der Wille des Erblassers möglichst verwirklicht werden soll. Auslegungsschwierigkeiten bei gemeinsam errichteten Testamenten sind kein Argument, ihnen die Wirksamkeit abzusprechen. § 2265 BGB stellt nur die Geltung der §§ 2266 ff. BGB für Ehegattentestamente klar. Ob auch wechselbezügliche Verfügungen (zum Begriff unten Rz. 101) nicht verheirateter Personen aufrechterhalten werden können, lässt sich nicht allgemein beantworten. Maßgeblich ist die Auslegung im Einzelfall. Die Umdeutung scheitert, wenn die eine Verfügung ohne die andere hinfällig sein soll, § 158 BGB. Im obigen Beispiel muss der hypothetische Wille des Bruders ermittelt werden. Ergibt die Auslegung, dass er seine Schwester auch in Kenntnis der Nichtigkeit ihrer letztwilligen Verfügung zur Alleinerbin eingesetzt hätte, kann seine Verfügung als Einzeltestament isoliert auf-rechterhalten werden. Zu beachten ist, dass die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB bei Nichteheleuten nicht gilt.

6

c) Die Ehe muss bestehen. Bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments gehen die Eheleute vom Bestand ihrer Ehe bis zum Tod aus. Im Normalfall testieren sie nicht gemeinschaftlich, wenn sie mit dem Scheitern der Ehe rechnen. Dem trägt das Gesetz Rechnung. Mit der Auflösung der Ehe entfällt die Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments, §§ 2268 Abs. 1, 2077 BGB. Das entspricht dem vermuteten Willen der Erblasser. Es können jedoch triftige Gründe dafür bestehen, dass die Erblasser ihre letztwillige Verfügung auch für den Fall getroffen hätten, dass die Ehe scheitert. Die Auslegungsregel des § 2268 Abs. 2 BGB macht daher von der Nichtigkeitsfolge eine Ausnahme: Wird die Ehe durch rechtskräftiges Scheidungs- (§ 1564 BGB), Aufhebungsurteil (§ 1313 BGB) oder 1 RG v. 20.5.1915 – Rep. IV. 699/14, RGZ 87, 33 (34). 2 BGH v. 16.6.1987 – IVa ZR 74/86, DNotZ 1988, 178 m.w.N.; KG v. 5.12.1968 – 1 W 4146/68, FamRZ 1969, 172. 3 KG v. 15.8.1972 – 1 W 2500/71, NJW 1972, 2133 (2137); OLG Frankfurt v. 8.3.1976 – 20 W 98/76, FamRZ 1979, 347; BayObLG v. 27.4.1993 – 1Z BR 120/92, FamRZ 1993, 1370 (1370 f.); OLG Braunschweig v. 21.4.2005 – 2 W 225/04 – OLGReport 2006, 283; Kanzleiter, DNotZ 1973, 133 ff. 420

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 10

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durch Wiederverheiratung nach vorausgegangener Todeserklärung (§ 1319 BGB) aufgelöst oder liegt einer der Tatbestände des § 2077 Abs. 1 S. 2 oder 3 BGB vor, wird das gemeinschaftliche Testament erst im Zweifel unwirksam. Die Verfügungen bleiben insoweit gültig, als anzunehmen ist, dass sie auch für diesen Fall getroffen sein würden. Haben sich die Ehegatten gegenseitig und wechselbezüglich (dazu Rz. 100 ff.) bedacht, behalten über § 2268 Abs. 2 BGB fortgeltende wechselbezügliche Verfügungen auch nach Scheidung der Ehe ihre Wechselbezüglichkeit und können nicht nach § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB durch einseitige Verfügung von Todes wegen aufgehoben werden1. Haben sie sich nicht gegenseitig, sondern hat jeder die gemeinschaftlichen Kinder zu Erben seines Vermögens eingesetzt, spricht einiges für die Wirksamkeit beider Erbeinsetzungen2. Im Übrigen ist auch hier die Umdeutung in Einzeltestamente zu erwägen. Die Auslegungsregel des § 2268 Abs. 2 BGB erfasst über ihren Wortlaut hinaus den Fall, dass der Beklagte oder Antragsgegner vor Abschluss des anhängigen Ehescheidungs- oder Aufhebungsverfahrens verstirbt3.

7

2. Die Form Wie jedes Testament kann das gemeinschaftliche in der Form des eigenhändigen Testaments, des ordentlichen öffentlichen Testaments und des Nottestaments errichtet werden.

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a) Die Errichtung als eigenhändiges Testament Beim gemeinschaftlichen eigenhändigen Testament haben die Eheleute die Wahl:

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– Es kann aus zwei Haupterklärungen bestehen, von denen jede der Form des § 2247 BGB genügt. – Es kann als gemeinschaftliche Erklärung nach § 2267 BGB abgefasst sein. aa) Form des § 2247 BGB Machen die Ehegatten von der ersten Möglichkeit Gebrauch, müssen beide eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung abgeben, § 2247 BGB. Manche Eheleute schreiben das gemeinschaftliche Testament eigenhändig in wörtlich übereinstimmender Fassung nieder und unterzeichnen jeder für sich den Text. Aus der Erklärung muss der Wille, gemeinschaftlich zu verfügen, deutlich hervorgehen. Erst dann kann davon ausgegangen werden, dass nicht lediglich zwei Einzeltestamente vorliegen. Erfahrungsgemäß entstehen über den notwendigen Errichtungszusammenhang (dazu Rz. 21) oft Unklarheiten. Die Einheit der Urkunde ist nur ein Indiz. In der Praxis sollte daher vorrangig von der zweiten Form (§ 2267 BGB) Gebrauch gemacht werden. 1 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 187/03, MDR 2004, 1421 = FamRZ 2004, 1565; OLG Hamm v. 26.8.2010 – 15 Wx 317/09, ZEV 2011, 265; a.A. Muscheler, DNotZ 1994, 733 (740 ff.). 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 27.6.1978 – 20 W 448/78, RPfleger 1978, 412 (413); BayObLG v. 8.6.1993 – 1Z BR 95/92, FamRZ 1994, 193 (195); OLG Hamm v. 8.11.1993 – 15 W 267/91, FamRZ 1994, 994 (995). 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2268 Rz. 10 ff. m.w.N. Edenfeld

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bb) Form des § 2267 BGB 11

§ 2267 BGB sieht für das gemeinschaftliche eigenhändige Testament eine Formerleichterung vor. Danach genügt es, wenn einer der Ehegatten das Testament in der Form des § 2247 BGB errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet. Entsprechend § 2247 Abs. 2 BGB soll auch der Ehegatte angeben, an welchem Ort und zu welcher Zeit (Tag, Monat und Jahr) er seine Unterschrift beigefügt hat, § 2267 S. 2 BGB1. Trotz dieser einfachen Regelung kommt es in der Testierpraxis immer wieder zu Zweifelsfragen.

Beratungssituation: Die Eheleute legen eine „Gemeinschaftliches Testament“ überschriebene Erklärung mit der Bitte um Durchsicht vor. Darin heißt es: „Hiermit setze ich meine Ehefrau Maria zur Alleinerbin ein. Heinz Wagner.“ Darunter schreibt der Ehemann weiter: „Hiermit setze ich meinen Mann Heinz zum Alleinerben ein.“ Es folgt die Unterschrift der Gattin. 12

Die Testamentsgestaltung ist fehlerhaft. Allein die Verfügung des Mannes, nicht aber die der Ehefrau entspricht § 2247 BGB. Sie hat ihre Erklärung nicht eigenhändig geschrieben. Ihre Anordnung ist auch nach § 2267 BGB formunwirksam. Danach genügt es zwar, wenn einer der Eheleute die letztwillige Verfügung niederschreibt und der andere eigenhändig mitunterzeichnet. Es muss sich aber um eine gemeinschaftliche Erklärung handeln. Die Unterschriften beider Eheleute müssen beide Verfügungen decken2. Daran fehlt es hier. Das gemeinschaftliche Testament wäre in der vorstehenden Fassung wirksam, wenn der Ehemann seine Unterschrift nicht unter seine eigene letztwillige Anordnung, sondern an das Ende beider Verfügungen gesetzt hätte. In diesem Fall decken die Unterschriften beider Eheleute beide Erklärungen.

Beratungshinweis: Um derartige Fehler auszuschließen, kann die kürzere Formel „Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein“ mit der nachfolgenden Unterschrift beider Ehegatten bevorzugt werden. Nachteilig ist diese Variante allerdings im Hinblick auf die gesonderte Eröffnung der Verfügungen (Rz. 19). 13

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Dem Wortlaut des § 2267 BGB folgend übernimmt ein Ehegatte die Niederschrift des gemeinschaftlichen Testaments. Es genügt nicht, dass die Eheleute den Text abwechselnd verfassen. Die letztwillige Verfügung jedes Einzelnen muss auch ohne die Erklärung des anderen einen Sinn ergeben. Wie die Unterschriften unter der gemeinsamen Erklärung angeordnet sind, ist unerheblich. Es darf auch der mitunterzeichnende Ehegatte vor demjenigen unterzeichnen, der den Text geschrieben hat3. Entscheidend ist der räumliche Bezug zum Text. Dieser ist bei der Unterzeichnung auf der Rückseite mangels Raums auf der Vorderseite anzunehmen, aber auf einem gesonderten Blatt problematisch und sollte vermieden werden. 1 Zur wirksamen Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments trotz Beitritts des zweittestierenden Ehegatten erst nach längerer Zeit OLG München v. 1.12.2011 – 31 Wx 249/10, FamRZ 2012, 581 = MDR 2012, 589. 2 BGH v. 28.1.1958 – V BLw 52/57, NJW 1958, 547; OLG Hamm v. 1.10.1971 – 15b W 112/71, MDR 1972, 241; Erman/Kappler/Kappler, § 2267 Rz. 2; MüKo.BGB/Musielak, § 2267 Rz. 20. 3 Haegele, BWNotZ 1977, 29 (33). 422

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Beratungshinweis: Bei späteren Zusätzen und Korrekturen ist darauf zu achten, dass sie durch die Unterschriften beider Eheleute gedeckt werden1. Den Anforderungen des § 2267 BGB entsprechend schreibt ein Ehegatte die Ergänzung handschriftlich nieder und unterzeichnet sie. Der andere bringt durch seine weitere Unterschrift zum Ausdruck, dass auch die Änderung seinem Willen entspricht. Der Einfachheit halber werden gelegentlich Streichungen im Text vorgenommen. Das ist zwar zulässig, sollte aber unterbleiben. Nicht selten kommt es später zum Streit darüber, ob der ursprüngliche Text im beiderseitigen Einverständnis oder einseitig verändert worden ist. Auch die Angabe des Änderungsdatums ist zu empfehlen, §§ 2247 Abs. 2, 2267 S. 2 BGB. Für die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments spielt es eine große Rolle, wann und warum die Korrektur erfolgt ist. Wird die Form des § 2267 BGB nicht eingehalten, ist an die Möglichkeit einer Umdeutung (§ 140 BGB) oder Formheilung zu denken:

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Beratungssituation: Dem Berater wird eine „Gemeinschaftliches Testament“ überschriebene Erklärung vorgelegt, in der sich die Eheleute gegenseitig zu Erben einsetzen. Das Testament ist einschließlich beider Unterschriften vom Ehemann geschrieben. Nach dem Tod des Mannes erkundigt sich die Ehefrau, ob sie Alleinerbin ist oder das Testament nachträglich unterschreiben kann. Die Form des § 2267 BGB ist mangels eigenhändiger Unterschrift der Frau nicht eingehalten. Das gemeinschaftliche Testament ist ungültig. Die letztwillige Verfügung des Ehemannes genügt den Erfordernissen des § 2247 BGB, so dass die Umdeutung in ein gültiges Einzeltestament zu erwägen ist. Diese Aufrechterhaltung eines formnichtigen gemeinschaftlichen Testaments ist möglich, setzt jedoch voraus, dass die Umdeutung dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht. Davon ist hier nicht auszugehen. Setzen sich die Eheleute gegenseitig zu Erben ein, sind die Erklärungen im Zweifel wechselbezüglich (§ 2270 Abs. 2 BGB, dazu Rz. 100 ff.). Die Nichtigkeit der Verfügung der Frau macht die des Mannes unwirksam, § 2270 Abs. 1 BGB. Entsprechend ist im Fall der Unwirksamkeit wegen Testierunfähigkeit eines Ehegatten zu verfahren2. Das wirft die Frage auf, ob die Ehefrau dem Testament durch ihre nachträgliche Unterschrift Gültigkeit verleihen kann. Auch das ist zu verneinen. Grundsätzlich darf der mitunterzeichnende Ehegatte zwar seine Unterschrift später leisten. Die Eheleute brauchen nicht an ein und demselben Tag zu unterzeichnen. Beide müssen aber die Mitwirkung des anderen kennen und wollen. Das gemeinschaftliche Testament setzt einen gemeinsamen Entschluss voraus. Ob ein längerer Zeitablauf zwischen den Unterschriften dem beiderseitigen Willen entgegensteht, hängt von den Umständen ab. In jedem Fall muss der erste Ehegatte bei der Unterzeichnung durch den zweiten noch leben. Nach dessen Tod kann die Beitrittserklärung nicht mehr mit Wissen und Wollen des anderen Teils abgegeben werden3. Anders ist es, wenn der länger lebende Ehegatte in einem eigenhändigen 1 BayObLG v. 23.7.1993 – 1Z BR 26/93, FamRZ 1994, 191 (192). 2 Dazu OLG München v. 19.5.2010 – 31 Wx 38/10, FamRZ 2010, 1769 = MDR 2010, 1266 = ZEV 2010, 471 m. Anm. Zimmer. 3 KG KGJ 35 A 100 (102); 51 A 82; BGB-RGRK/Johannsen, § 2267 Rz. 9. Edenfeld

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Testament auf ein gültig unterzeichnetes gemeinschaftliches Ehegattentestament Bezug nimmt. Die Bezugnahme ist auch dann zulässig, wenn der vorverstorbene Ehegatte das gemeinschaftliche Testament niedergeschrieben hat1. b) Die Errichtung als ordentliches öffentliches Testament 17

Das ordentliche öffentliche Testament wird zur Niederschrift eines Notars errichtet. Beide Eheleute können dem Notar ihren letzten Willen entweder mündlich erklären oder ihm eine offene oder verschlossene Schrift mit der Erklärung übergeben, dass die Schrift ihren letzten Willen enthält, § 2232 BGB2. Die Ehegatten brauchen nicht die gleiche Form zu wählen. Das gemeinschaftliche Testament wird vom beurkundenden Notar in die besondere amtliche Verwahrung des Amtsgerichts gegeben, §§ 346 FamFG, 34 BeurkG. Dieses erteilt den Erblassern einen Hinterlegungsschein und stellt durch Benachrichtigung ihrer Geburtsstandesämter sicher, dass beim Tod eines Ehegatten über die Nachfrage bei diesem die nachlassgerichtliche Eröffnung des Testaments gewährleistet ist.

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Das gemeinschaftliche Testament kann nur von beiden Ehegatten aus der besonderen amtlichen Verwahrung zurückgenommen werden. § 2272 BGB verhindert, dass ein Ehegatte ohne Kenntnis des anderen die Wirksamkeit des Testaments durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung beseitigt. Er schützt das Vertrauen der Testierenden auf den Bestand ihrer letztwilligen Verfügungen3. Die Wirkung des § 2256 BGB tritt ein, wenn beide gemeinschaftlich die Herausgabe verlangen. Der eine Ehegatte kann den anderen nicht zum Empfang der Urkunde bevollmächtigen, § 2256 Abs. 2 S. 2 BGB. Das Recht des Einzelnen, in das amtlich verwahrte Testament Einsicht zu nehmen, bleibt unberührt.

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Bei der Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments werden die Verfügungen des überlebenden Ehegatten, soweit sie sich sondern lassen, weder verkündet noch sonst zur Kenntnis der Beteiligten gebracht, § 349 Abs. 1 FamFG. Der überlebende Ehegatte hat ein berechtigtes Interesse daran, dass seine Verfügungen nicht vor seinem Tod bekannt werden. Davon abgesehen gelten die allgemeinen Vorschriften über die Eröffnung von Testamenten, §§ 348 ff. FamFG. Sobald das Nachlassgericht von dem Tod des erstversterbenden Ehegatten Kenntnis erlangt, bestimmt es einen Termin zur Eröffnung des verwahrten gemeinschaftlichen Testaments. Der Inhalt darf nur insoweit verkündet werden, als die Verfügung des einen Ehegatten nicht auf die des anderen Bezug nimmt. Da die eine Verfügung nicht ohne die andere verständlich ist, führt das vielfach zur Untrennbarkeit im Sinne des § 349 Abs. 1 FamFG. Um diesen praktischen Schwierigkeiten zu entgehen, sollten die Verfügungen nach Möglichkeit getrennt formuliert werden. Im Übrigen kann der überlebende Ehegatte auf die Geheimhaltung seiner Verfügung verzichten4. Nach der Verkündung wird das Testament 1 OLG Frankfurt v. 6.8.2001 – 20 W 483/2000, ZEV 2002, 70. 2 Zu den Sonderfällen der Errichtung (Minderjährige, Blinde, Stumme) vgl. § 2233 BGB und BVerfG v. 19.1.1999 – 1 BvR 2161/94, FamRZ 1999, 985 = BGBl. I 699. 3 BGH v. 18.1.1995 – IV ZR 88/94, BGHZ 128, 302 (306 f.) = MDR 1995, 608 = FamRZ 1995, 422; Limmer, ZEV 1994, 290 (294). 4 Die Gegenmeinung (OLG München, JFG 14, 73 (75); BGB-RGRK/Johannsen, § 2273 Rz. 14) verkennt, dass – der inzw. aufgehobene – § 2273 BGB nicht öffentlichen, sondern privaten Interessen des überlebenden Ehegatten diente. 424

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Rz. 22

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wieder verschlossen und bis zum zweiten Erbfall in die besondere amtliche Verwahrung zurückgebracht, § 349 Abs. 2 S. 2 FamFG.

Beratungshinweis: Soweit nachfolgend zur Vereinfachung die Formel „Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein“ verwendet wird, sollte im Hinblick auf die gesonderte Eröffnung der Verfügungen stets überlegt werden, zwischen den Verfügungen des Mannes und der Frau zu unterscheiden: „1. Verfügungen des Ehemannes: (…); 2. Verfügungen der Ehefrau: (…).“ Die Unterschriften beider Eheleute müssen dann beide Verfügungen decken (Rz. 11 f.). c) Die Errichtung als Nottestament Das gemeinschaftliche Testament kann als Bürgermeister- oder Dreizeugentestament errichtet werden. Legt man die §§ 2249, 2250 BGB zugrunde, müssen die Voraussetzungen bei beiden Eheleuten vorliegen. § 2266 BGB sieht hier eine Formerleichterung vor. Ein gemeinschaftliches Nottestament kann auch dann errichtet werden, wenn die in den §§ 2249, 2250 BGB vorgesehenen Voraussetzungen nur bei einem der Ehegatten vorliegen. Der andere Ehegatte muss sich nicht derselben Testamentsform bedienen. Er kann die Form des handgeschriebenen Testaments wählen1. Die Bedeutung dieser Regelung ist gering. Das erklärt, warum § 2266 BGB das gemeinschaftliche Seetestament (§ 2251 BGB) nicht erwähnt.

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3. Der Errichtungszusammenhang Das gemeinschaftliche Testament setzt einen gemeinsamen Willensentschluss der Eheleute voraus. Ohne den Errichtungszusammenhang sind die §§ 2265 ff. BGB nicht anwendbar. Auch hier ist zwischen den verschiedenen Testamentsarten zu unterscheiden. Beim ordentlichen öffentlichen Testament, beim Nottestament und beim eigenhändigen Testament in der Form des § 2267 BGB fällt die Feststellung der Gemeinschaftlichkeit leicht. Beim ordentlichen öffentlichen Testament ergibt sich der Errichtungszusammenhang aus der Einheit der Verhandlung und der Niederschrift, §§ 2232 BGB, 8 f. BeurkG. Entsprechendes gilt für das Nottestament, §§ 2249 Abs. 1 S. 4 BGB, 8 f. BeurkG. Machen die Eheleute von der Formerleichterung des § 2267 BGB Gebrauch, liegt der Errichtungszusammenhang auch beim privatschriftlichen eigenhändigen Testament nahe.

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Problematisch sind vor allem die Fälle, in denen jeder für sich in der Form des § 2247 BGB verfügt (dazu Rz. 10):

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Beratungssituation: Die Eheleute setzen sich dergestalt zu Erben ein, dass jeder den anderen allein beerbt. Sie schreiben und unterschreiben jeweils auf einem gesonderten Blatt. Jeder bewahrt „zur Sicherheit“ das Testament des anderen auf. Nach dem Tod des Ehemannes legt sein Neffe ein später verfasstes Testament des Mannes vor, in dem er letztwillig bedacht wird. Die Ehefrau fühlt sich getäuscht. Handelt es sich bei der von der Ehefrau aufbewahrten letztwilligen Verfügung des Ehemannes um ein Einzeltestament, konnte es zugunsten des Neffen wider1 So die h.M.: BGB-RGRK/Johannsen, § 2266 Rz. 2; Erman/Kappler/Kappler, § 2266 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 2266 Rz. 1; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2266 Rz. 2. Edenfeld

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Rz. 23

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rufen werden, §§ 2247, 2253, 2254, 2258 Abs. 1 BGB. Anders wäre die Rechtslage zu beurteilen, wenn es ein gemeinschaftliches Testament mit wechselbezüglichen Verfügungen darstellte. Dann konnte der Ehemann seine Verfügung nicht mehr einseitig zum Nachteil seiner Frau aufheben, §§ 2267, 2271 Abs. 1 S. 2 BGB (dazu Rz. 113 ff.). Ausschlaggebend dafür ist die Feststellung, ob die Verfügungen den notwendigen Errichtungszusammenhang aufweisen. Seine Kriterien sind streitig: 23

– Das RG1 stellte auf die Einheitlichkeit der Urkunde ab. Es verlangte, dass die Erklärungen äußerlich in einer Urkunde zusammengefasst sind. Die Niederlegung des letzten Willens auf verschiedenen Blättern wie im vorstehenden Beispiel genügt danach nicht. Diese objektive Auffassung dient der Rechtssicherheit, hat sich aber als zu eng erwiesen. Für den inneren Zusammenhang der Verfügungen spielen auch ihr Inhalt, die Umstände des Errichtungsakts und die Absichten der Erblasser eine Rolle. – Für die subjektive Ansicht2 ist allein der Wille der Ehegatten maßgeblich. Er muss darauf abzielen, die Vermögensverhältnisse für die Zeit nach dem Tod gemeinsam zu regeln. Der Wille braucht sich nicht aus den testamentarischen Erklärungen, sondern kann sich auch aus Umständen außerhalb der Urkunde ergeben. Dafür soll ein räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang der Verfügungen genügen. Er müsste vorliegend im Rahmen der Auslegung ermittelt werden, §§ 133, 2084 BGB. – Die herrschende Meinung3 stellt zwar ebenfalls auf den Willen der Ehegatten, gemeinsam zu verfügen, ab. Dieser muss aber eindeutig aus der Testamentsurkunde hervorgehen. Liegen die Umstände vollständig außerhalb der Urkunde, reicht das für die Feststellung des Errichtungszusammenhangs nicht aus. Dem ist zuzustimmen: Für die Eröffnung gemeinschaftlicher Testamente muss klar sein, ob die Urkunden zusammengehören und welche Verfügungen zu verkünden sind. Angesichts der Bindungswirkungen gemeinschaftlicher Testamente (§§ 2270, 2271 BGB) ist ein Mindestmaß an Rechtssicherheit erforderlich. Dazu bedarf es nachvollziehbarer Anhaltspunkte in der Urkunde selbst. Verfügen die Eheleute auf verschiedenen Blättern, muss der gemeinsame Wille aus jedem Testament erkennbar sein. Rein äußerliche Umstände wie der Austausch der Schriftstücke reichen nicht aus.

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Zur Vermeidung derartiger Unsicherheiten sollte in der Praxis die Form des § 2267 BGB bevorzugt werden. Wählen die Eheleute die Form des § 2247 BGB, führt das erfahrungsgemäß zu schwierigen Feststellungs- und Auslegungsfragen. Das gilt vor allem dann, wenn der erstverstorbene Ehegatte wie in der obigen Konstellation zwischenzeitlich anders verfügt hat. Auseinandersetzungen unter den Angehörigen sind vorprogrammiert. 1 RG v. 14.1.1902 – Rep. VII. 406/01, RGZ 50, 308 (309); RG v. 18.11.1909 – Rep. IV. 265/08, RGZ 72, 204 (205). 2 OGHZ 1, 333 (337); Brox, Rz. 174; Lange/Kuchinke, § 24 III 2. 3 BGH v. 12.3.1953 – IV ZR 131/52, BGHZ 9, 113 (115 ff.); BayObLG v. 29.8.1985 – BReg.1 Z 47/85, FamRZ 1986, 392 (393); BayObLG v. 23.7.1993 – 1Z BR 26/93, FamRZ 1994, 191 (192); OLG Zweibrücken v. 17.7.2002 – 3 W 82/02, FamRZ 2003, 1415 = ZEV 2002, 414; OLG Braunschweig v. 13.3.2006 – 2 W 121/05 (gemeinschaftliches Widerrufstestament); OLG München v. 23.7.2008 – 31 Wx 34/08, OLGReport 2008, 712; Coing, JZ 1952, 611 (613). 426

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4. Die allein gegenseitige Erbeinsetzung Liegen die unter 1. bis 3. genannten Voraussetzungen vor, können die Ehegatten nach Maßgabe der §§ 2265 ff. BGB testieren. Im Eingangsfall (vor Rz. 3) wird der Berater den Eheleuten vorschlagen, sich in einer Urkunde gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben einzusetzen.

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Beratungshinweis: Das bietet sich gerade in jungen Ehen an, in denen noch keine Kinder vorhanden sind. Zu einem späteren Zeitpunkt der Ehe kann das Ehegattentestament durch Verfügungen auf den Tod des Letztversterbenden ergänzt werden. Die Eltern und Geschwister werden so frühzeitig als gesetzliche Miterben (§ 1931 Abs. 1 BGB) ausgeschlossen. Verstirbt der erste Ehegatte, erbt der Überlebende allein. Der Nachlass wird sein eigenes Vermögen. Er darf darüber unter Lebenden und von Todes wegen frei verfügen, solange die Schlusserbfolge noch nicht geregelt ist. Verlangen Abkömmlinge beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil (§ 2303 BGB), kann der Überlebende darauf reagieren, indem er sie in seiner Erbfolge nicht berücksichtigt. Dabei ist dreierlei zu beachten: a) Die gegenseitige Erbeinsetzung geht davon aus, dass ein Ehegatte den anderen eine gewisse Zeitspanne überlebt. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Eheleute aufgrund des gleichen äußeren Ereignisses, z.B. bei einem Autounfall, Flugzeugabsturz oder einem anderen Unglück mit tödlichem Ausgang gleichzeitig oder kurz hintereinander versterben. Das sollte in einer vorausschauenden Testamentsgestaltung berücksichtigt werden. Mehrere Verstorbene beerben sich nicht, wenn nicht bewiesen werden kann, dass der eine den anderen überlebt hat, § 11 VerschG1. Es beerbt also kein Ehegatte den anderen. Die gegenseitige Erbeinsetzung für den Überlebensfall wird gegenstandslos, und jeder Ehegatte wird von seinen gesetzlichen Erben beerbt. Auch wenn der eine Partner den anderen kurzzeitig überlebt, ist er meist nicht mehr in der Lage, ein eigenes und neues Testament zu errichten. Die Eheleute sollten für diesen Fall vorsorgen und eine besondere Anordnung treffen. Sie kann beim Fehlen gemeinsamer Abkömmlinge wie folgt formuliert werden:

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M 58 Erbeinsetzung unter Berücksichtigung gleichzeitigen Ablebens Versterben wir gleichzeitig, wird der Ehemann von seinem Neffen Arnold und die Ehefrau von ihrer Schwester Elena beerbt. Dies gilt auch für den Fall des Versterbens von uns beiden hintereinander infolge gleicher Ursache (Unfall oder Ähnliches). Das Vermögen des Ehemannes soll Arnold und das Vermögen der Ehefrau Elena zugute kommen. Diese Aufteilung soll nicht durch Ansprüche auf Pflichtteil oder Zugewinnausgleich, die in den Nachlass des zweitversterbenden Ehegatten fallen würden, verfälscht werden. Daher vermacht der zweitversterbende Ehegatte diese Ansprüche dem Erben des Erstversterbenden.

Misslich ist auch der umgekehrte Fall, dass die Ehegatten ausschließlich die vorstehende oder eine ähnliche Formulierung verwenden („Bei unserem gemein1 Vgl. RG v. 11.11.1935 – IV 160/35, RGZ 149, 200 (201); OLG Köln v. 24.2.1992 – 2 Wx 41/91, FamRZ 1992, 860 = NJW-RR 1992, 1480 (1481). Edenfeld

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samen Ableben“; „bei gleichzeitigem Sterben“). Hier stellt sich im Rahmen der Auslegung die Frage, ob der Tod im selben Augenblick eintreten muss oder ob es genügt, dass die Partner kurz nacheinander versterben. Für die Anwendung des § 2269 BGB (dazu Rz. 60) ist das von großer Bedeutung1. 28

b) Der überlebende Ehegatte ist Alleinerbe. Er versteuert den Nachlass bei der Erbschaftsteuer in der Steuerklasse I allein, §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 ErbStG. Er kann Ehegattenfreibeträge (§§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 17 Abs. 1 ErbStG) geltend machen. Die Freibeträge der Kinder auf den erstversterbenden Elternteil gehen verloren.

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c) Die lediglich gegenseitige Erbeinsetzung setzt voraus, dass sich die Eheleute vertrauen. Der Erstversterbende hat keinen Einfluss mehr darauf, wie der Letztversterbende testiert. Das zu Lebzeiten gemeinsam Erarbeitete kann an einen neuen Ehepartner oder Dritten fallen, zu dem der Erstverstorbene zeitlebens keine Beziehung hatte. Das ist oft unerwünscht. Im Regelfall wollen sich die Ehegatten gegenseitig als Erben einsetzen und den Nachlass gemeinsamen Abkömmlingen zukommen lassen. Damit beschäftigt sich der folgende Abschnitt.

II. Das gegenseitige gemeinschaftliche Testament Beratungssituation: Ein Ehepaar erkundigt sich nach einer erbrechtlichen Nachfolgeregelung, bei der das gemeinsame Vermögen nach dem Tod des Letztversterbenden den gemeinsamen Kindern zu gleichen Teilen zufällt. Der Berater verweist auf die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments. Die Eheleute erkundigen sich, was sie dabei zu beachten haben. 1. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Erblasser 30

Die vorstehende Konstellation beschäftigt die rechtsberatende Praxis nahezu täglich2. Die Ehegatten bedenken sich gegenseitig (reziprokes gemeinschaftliches Testament). Sie wollen ihr Vermögen zunächst dem überlebenden Partner übertragen, um ihn bis zu seinem Tod wirtschaftlich abzusichern. Anschließend soll der Nachlass den gemeinsamen Abkömmlingen oder anderen nahestehenden Personen zufallen. Um dieses Ziel zu erreichen, stehen mit der Einheitsund der Trennungslösung zwei unterschiedliche Gestaltungsformen zur Verfügung. Daneben besteht die Möglichkeit, einen Dritten schon beim Tod des ersten Ehegatten zum Vollerben zu berufen und dem überlebenden Ehegatten ein Nießbrauchsvermächtnis einzuräumen.

1 Dazu BayObLG v. 28.12.1989 – BReg. 1a Z 1/89, FamRZ 1990, 563 (564); BayObLG v. 8.2.1996 – 1Z BR 157/95, FamRZ 1996, 1037 = ZEV 1996, 191 (192); OLG Stuttgart v. 29.12.1993 – 8 W 583/92, FamRZ 1994, 852 = NJW-RR 1994, 592 (593); OLG Frankfurt v. 3.3.1998 – 20 W 143/95, FamRZ 1998, 1393 = ZEV 1999, 66 (67); OLG München v. 14.10.2010 – 31 Wx 84/10, ZEV 2011, 31 m. Anm. Lehmann; OLG Hamm v. 6.1.2011 – 15 Wx 484/10, ZEV 2011, 427 m. Anm. Herrler; OLG Hamm v. 1.7.2011 – 15 W 327/10, ZEV 2011, 536 m. Anm. Böttcher. 2 Vgl. auch das Beispiel bei Edenfeld, ZEV 2004, 141 (142 ff.). 428

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a) Die Einheitslösung (Vollerbschaft) Das Einheitsprinzip beruht auf dem Gedanken, dass der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten bei dessen Tod mit dem Vermögen des überlebenden Ehepartners rechtlich zu einer Einheit verschmilzt. Stirbt der überlebende Ehegatte, geht sein Vermögen, zu dem der Nachlass des Erstverstorbenen gehört, als einheitlicher Nachlass auf den Dritten als Schlusserben über. Dieser beerbt nicht den Erstverstorbenen als Nacherbe (§ 2100 BGB), sondern den Überlebenden als dessen Erbe. Die Ehegatten setzen sich gegenseitig zu Vollerben und Dritte als Schlusserben des Längstlebenden ein. Die zu Schlusserben eingesetzten Kinder erhalten beim Tod des erstversterbenden Elternteils zunächst nichts. Der Nachlass kommt ihnen mit dem Tod des Längerlebenden zugute. Nach der Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB ist im Zweifel die Einheitslösung gewollt. Sie wird durch das Berliner Testament verkörpert (dazu Rz. 60 ff.).

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Beratungshinweis: Ob die Einheitslösung für die Eheleute im Einzelfall günstig ist, lässt sich nicht mit allgemeiner Gültigkeit sagen. Zahlreiche Faktoren wie die familiären Verhältnisse, Art und Umfang des Vermögens und nicht zuletzt steuerrechtliche Aspekte spielen eine Rolle. Die Einheitslösung bietet Vorteile, setzt die Nachfolgeregelung aber auch spezifischen Gefahren aus. Obwohl das Gesetz diese Gestaltung in § 2269 Abs. 1 BGB nahelegt, sollte sie nur nach Abwägung aller Belange empfohlen werden. aa) Vorteile – Die doppelte Vollerbschaft trägt der Vermögenseinheit in der Ehe Rechnung. Der Nachlass wird nicht aufgespalten. Der Dritte erwirbt mit dem zweiten Erbfall das Vermögen beider Ehegatten als Erbe.

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– Der überlebende Ehegatte erhält eine rechtlich starke Stellung. Er ist Vollerbe, nicht Vorerbe. Er kann über das Vermögen des Erstverstorbenen durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden verfügen und ist lediglich an die wechselbezüglichen Verfügungen von Todes wegen (z.B. die Einsetzung der gemeinsamen Abkömmlinge als Schlusserben) gebunden, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Bindungen wie im Fall der §§ 2113 ff. BGB zugunsten späterer Erben bestehen nicht.

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– Der überlebende Ehegatte kann beim ersten Erbgang im Rahmen der Erbschaftsteuer hohe Freibeträge geltend machen. Der allgemeine Ehegattenfreibetrag beläuft sich auf 500 000 Euro, § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Hinzu kommt der besondere Versorgungsfreibetrag in Höhe von bis zu 256 000 Euro, § 17 Abs. 1 S. 1 ErbStG. Nicht vergessen werden darf der Freibetrag einer fiktiven Zugewinnausgleichsforderung, wenn die Eheleute im gesetzlichen Güterstand (§ 1363 BGB) leben, § 5 ErbStG.

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– Die Schlusserben können nach dem Tod des ersten Ehegatten nicht auf den Nachlass selbst zugreifen. Sie haben nur eine tatsächliche, rechtlich nicht geschützte Aussicht auf die Erbschaft nach dem Tode des zweiten Ehepartners.

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bb) Nachteile – Der überlebende Ehegatte sieht sich nach dem Tod des Ehepartners den Pflichtteilsansprüchen der Kinder ausgesetzt. Diese sind beim Tod des erstverstorbenen Elternteils enterbt und können ihren Pflichtteil verlangen, § 2303 Edenfeld

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Abs. 1 BGB. Um diese Ansprüche zu befriedigen, müssen nicht selten Nachlassgegenstände veräußert werden. Das gefährdet – man denke an die Versteigerung des Hausgrundstücks – nicht nur die wirtschaftliche Existenz des überlebenden Ehegatten, sondern begünstigt auch das Kind, das den Pflichtteil beansprucht. 37

– Bei älteren Paaren mit erwachsenen Kindern und größerem Vermögen ist der überlebende Ehegatte oft überversorgt. Durch seine Bindung an das Testament (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) kann er die unterschiedliche persönliche und wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Kinder nicht mehr durch eine Anpassung seiner letztwilligen Verfügung berücksichtigen.

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– Der erstversterbende Ehegatte hat keinen Einfluss darauf, wie der überlebende mit seinem Vermögen verfährt. Die Kinder erhalten den Nachlass aus dem ersten Erbfall, soweit er noch vorhanden ist. Vor allem die Wiederverheiratung des längerlebenden Ehegatten führt erfahrungsgemäß zum Streit zwischen den gemeinsamen Kindern aus der ersten Ehe und dem neuen Ehepartner bzw. seinen Angehörigen.

39

– Für die Kinder wirkt sich steuerlich nachteilig aus, dass der Kinderfreibetrag von 400 000 Euro (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) beim Tod des erstversterbenden Elternteils verloren geht und das Vermögen beider Eltern beim zweiten Erbfall gebündelt auf sie übergeht. Der Nachlass kann dadurch einem höheren Steuersatz nach § 19 ErbStG unterliegen. Dem lässt sich in gewissem Umfang dadurch begegnen, dass man den Kindern Vermögen durch Verfügung unter Lebenden zuwendet (unter Beachtung der 10-Jahres-Frist des § 14 ErbStG) oder Vermächtnisse für die Kinder nach dem ersten Erbfall anordnet (Näheres s. Kap. B I und Kap. D Rz. 117 ff.).

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Wird der Nachlass nicht wirtschaftlich durch frühzeitige Vermächtnisse und Verfügungen unter Lebenden geteilt, unterliegt dasselbe Vermögen zwei vollen Erbgängen, §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Seine doppelte steuerliche Erfassung wird nur durch § 27 Abs. 1 ErbStG gemildert. Tritt der zweite Erbgang innerhalb von zehn Jahren nach dem ersten Erbgang ein, ermäßigt sich die Erbschaftsteuer für den zweiten Erbgang um 50 %, wenn zwischen den beiden Zeitpunkten der Entstehung der Steuer nicht mehr als ein Jahr liegt. Die Ermäßigung geht mit zunehmendem Zeitablauf zurück. Bei mehr als acht Jahren macht sie noch 10 % aus. b) Die Trennungslösung (Vor- und Nacherbschaft)

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– Bei der Trennungslösung setzen sich die Eheleute gegenseitig zu Vorerben und den Dritten zum Nacherben (§ 2100 BGB) ein. Mit dem Tod des ersten Ehegatten wird der Überlebende nicht Vollerbe, sondern Vorerbe. Der Dritte – zumeist die gemeinsamen Kinder – wird Nacherbe und zugleich Ersatzerbe des Überlebenden. Der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten verschmilzt nicht mit dem Vermögen des überlebenden Ehepartners. Der Überlebende wird zwar Eigentümer der Nachlassgegenstände, vererbt sie aber nicht selbst. Tritt mit dem Tod des überlebenden Ehegatten der Nacherbfall ein, erhalten die Kinder nicht eine, sondern zwei Vermögensmassen: Das Vermögen des erstverstorbenen Ehegatten erwerben sie als Nacherben, das des zuletzt versterbenden als Vollerben. Der Nachlass der Eheleute wird nicht einheitlich 430

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Rz. 47

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übertragen, sondern aufgespalten. Anders als nach dem Einheitsprinzip wird nicht nur der längerlebende Ehegatte beerbt, sondern auch der Erstverstorbene im Rahmen der Nacherbschaft. Schon beim Tod des erstversterbenden Elternteils erhalten die Kinder eine rechtlich geschützte Stellung, §§ 2113 ff. BGB (dazu Kap. B IV Rz. 42 ff., 86 ff.).

Beratungshinweis: Auch wenn die Trennungslösung nicht dem gesetzlichen Leitbild des § 2269 Abs. 1 BGB entspricht, stellt sie eine in der Praxis häufige Nachfolgeregelung dar (dazu Rz. 52 ff.). Ob sie für die Eheleute im Einzelfall günstig ist, hängt von zahlreichen Faktoren wie den familiären Verhältnissen, Art und Umfang des Vermögens und steuerrechtlichen Aspekten ab. Auch die Trennungslösung hat Vor- und Nachteile. aa) Vorteile – Die Nacherben haben nicht nur eine tatsächliche Aussicht auf die Erbschaft nach dem Tode des zweiten Ehepartners. Sie haben mit dem Ableben des ersten Ehegatten ein vererbliches und veräußerliches Anwartschaftsrecht1 auf Eintritt in die Erbenstellung (dazu auch Kap. B IV Rz. 87). Die Kinder erhalten eine rechtlich starke Stellung. Das Familienvermögen wird weitgehend erhalten.

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– Durch die Verfügungsbeschränkungen und die Pflicht des Vorerben, den Nachlass im Interesse der Nacherben ordnungsmäßig zu verwalten, wird der Nachlass vor der Verschwendung geschützt. Der überlebende Ehegatte kann nur über sein eigenes Vermögen unter Lebenden frei verfügen. Im Hinblick auf das Vermögen des Erstversterbenden unterliegt er den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB. Ihm stehen die Erträge des Nachlasses zu. Der Vermögensstamm bleibt unangetastet.

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– Die Vor- und Nacherbschaft kann mit einem Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) kombiniert und auf einen Bruchteil des Nachlasses beschränkt werden2. Durch diese Gestaltungsmöglichkeiten lässt sich etwa das Familienheim den Abkömmlingen erhalten, während die Testierfreiheit des Überlebenden im Übrigen nicht angetastet wird.

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– Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils entfallen, es sei denn, ein Kind schlägt die Nacherbschaft aus, § 2306 BGB.

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– Die Trennungslösung ist immer dann empfehlenswert, wenn die Eheleute verhindern wollen, dass die Pflichtteilsberechtigten des Längerlebenden am Nachlass des Erstversterbenden teilhaben. Das betrifft neben den Folgen einer Wiederheirat alle Fälle, in denen bei Ableben der Ehegatten unterschiedliche Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind.

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bb) Nachteile – Während bei der Einheitslösung die doppelte Vollerbschaft der Vermögenseinheit in der Ehe Rechnung trägt, spaltet die Vor- und Nacherbschaft den Nachlass auf. Der Dritte erwirbt mit dem zweiten Erbfall das Vermögen beider Ehegatten 1 BGH v. 9.6.1983 – IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367 (369) = MDR 1983, 839 FamRZ 1983, 882; BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, Kap. 2, Rz. 89; Kap. 3, Rz. 1. Edenfeld

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B VII

Rz. 48

Gemeinschaftliches Testament

nicht einheitlich als Erbe. Er erwirbt mit dem zweiten Erbfall das Vermögen des erstverstorbenen Ehegatten als Nacherbe, das des letztverstorbenen als Erbe. 48

– Die Vor- und Nacherbschaft ist rechtlich schwerfällig. Ihre Regelungen sind im Einzelnen kompliziert und für den Laien kaum verständlich. Die Bindung des Vorerben engt seine Handlungsfreiheit oft übermäßig ein. Wird er nicht nach § 2136 BGB von einzelnen Beschränkungen befreit, kann er den Nachlass wenig verwerten. Hinzu kommt, dass er stets zwei Vermögen verwalten und unterscheiden muss: das eigene und das des verstorbenen Ehegatten. Das kann zu wirtschaftlichen Unklarheiten führen.

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– Steuerrechtlich unterscheidet sich die Vor- und Nacherbschaft kaum von der doppelten Vollerbschaft. Der Vorerbe wird wie ein Vollerbe behandelt, § 6 Abs. 1 ErbStG. Sowohl der Anfall der Erbschaft an den überlebenden Ehegatten als Vorerben als auch der Anfall der Erbschaft an Dritte als Nacherben wird besteuert, § 6 Abs. 1 und 2 ErbStG. Das führt wie bei der Einheitslösung zu einer doppelten Belastung des Nachlasses. Da der längerlebende Ehegatte die Erbschaftsteuer aus dem Nachlass entrichten darf, § 20 Abs. 4 ErbStG, trifft die gesamte Steuerlast den Nacherben. Dessen Steuerklasse richtet sich im Grundsatz nach seinem Verhältnis zum Vorerben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Zivilrechtlich beerbt der Nacherbe den Erblasser, steuerrechtlich wird er als Nachfolger des Vorerben behandelt. Steuerliche Erleichterungen schafft auch hier § 27 Abs. 1 ErbStG, wenn der Nacherbfall binnen zehn Jahren eintritt. Hinzu kommt, dass wie beim Einheitsprinzip die Freibeträge der Kinder beim Tod des ersten Ehegatten verschenkt werden. c) Das Nießbrauchsvermächtnis

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Um die doppelte steuerliche Belastung nach der Einheits- und Trennungslösung zu vermeiden, ist eine dritte Möglichkeit der Testamentsgestaltung in Betracht zu ziehen. Nach dem Tod des ersten Ehegatten wird der überlebende Partner nicht zum Voll- oder Vorerben berufen. Zu seiner lebzeitigen wirtschaftlichen Absicherung erhält er ein Nießbrauchsvermächtnis, § 1089 i.V.m. §§ 1085 ff., 2147 ff. BGB1. Das führt zu einer vollständigen Nachlasstrennung. Der Dritte wird sogleich Vollerbe. Handelt es sich dabei um ein gemeinsames Kind, ist der Freibetrag zwar geringer, §§ 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 17 Abs. 1 ErbStG. Die Steuerklasse ist jedoch identisch (§ 15 Abs. 1 ErbStG), und es wird ein kompletter Erbgang gespart.

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Der Nachteil dieser Regelung besteht darin, dass der überlebende Ehegatte eine noch schwächere Position innehat als der Vorerbe nach der Trennungslösung. Als Nichteigentümer hat er allein Nutzungs-, aber keine Verfügungsbefugnisse. Er ist zur Substanzerhaltung verpflichtet, §§ 1036 Abs. 2, 1037 Abs. 1, 1041 BGB. Bei der Testamentsgestaltung muss daher den Bedürfnissen des überlebenden Ehegatten in besonderer Weise Rechnung getragen werden (Quoten- oder Bruchteilsnießbrauch, Nießbrauchsvermächtnis für Grundbesitz, dingliches Wohnrecht usw.). Seine Rechte aus dem Nießbrauch dürfen eingeschränkt, aber auch erweitert werden. Namentlich die Einsetzung zum Testamentsvollstrecker verschafft dem längerlebenden Ehegatten eine umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis am Nachlass, § 2205 BGB. Die Eheleute können wie folgt formulieren: 1 Dazu Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, Kap. 3, Rz. 153 ff.; Schlieper, MittRhNotK 1995, 249 ff. 432

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Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 52

B VII

M 59 Nießbrauch für überlebenden Ehegatten Wir setzen unser einziges Kind, die gemeinsame Tochter Birgit, zur Alleinerbin ein. Ihre Abkömmlinge sind Ersatzerben. Dem überlebenden Ehegatten steht ein lebenslanger unentgeltlicher Nießbrauch am gesamten Nachlass zu. Der Überlebende ist zugleich lebenslanger Testamentsvollstrecker. Der Nießbraucher ist berechtigt, den Nießbrauch einseitig aufzugeben. Das Nutzungsrecht erlischt (wandelt sich in einen Abfindungsanspruch in Höhe von …), wenn der überlebende Ehegatte wiederheiratet. Der Eigentümer trägt für die Dauer des Nießbrauchs alle Lasten, auch soweit sie das Gesetz dem Nießbraucher zuweist.

Beratungshinweis: Es kann steuerlich nachteilig sein, dass der Eigentümer für die Dauer des Nießbrauchs alle Kosten trägt. Unter einkommensteuerrechtlichen Gesichtspunkten ist es meist günstiger, wenn derjenige die Lasten trägt, dem auch die Erträge wie z.B. Mieteinnahmen zufließen. Wollen die Eheleute aus steuerlichen oder anderen Gründen nicht auf die gegenseitige Erbeinsetzung nach herkömmlichem Muster verzichten, haben sie zwischen der Trennungs- und der Einheitslösung zu wählen. 2. Die Trennungslösung a) Einsetzung der Vor- und Nacherben Aus der Testamentsgestaltung muss eindeutig hervorgehen, dass eine Vor- und Nacherbfolge im Sinne der §§ 2100 ff. BGB beabsichtigt ist1. Bezeichnen sich die Ehegatten in ihrem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament als „Vorerben“ und ihre gemeinsamen Kinder als „Nacherben“, ist damit nicht unbedingt die Trennungslösung gewollt2. Laien verstehen diese Be-griffe oft dahin gehend, dass damit jeder gemeint ist, der vor oder nach jemand anderem erbt. Es kann auch eine doppelte Vollerbschaft im Sinne der Einheitslösung beabsichtigt sein, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, dass das Vermögen der Eheleute als wirtschaftliche Einheit erhalten bleiben und der längerlebende Partner von Bindungen zugunsten späterer Erben frei sein soll. Bei begründeten Zweifeln an der richtigen Verwendung der Rechtsbegriffe gilt die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB. Sie führt zum Berliner Testament (Näheres Kap. B IV Rz. 14 ff.). Die Grundformel nach dem Trennungsprinzip lautet wie folgt:

M 60 Anordnung Vor- und Nacherbfolge im gemeinschaftlichen Testament Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben des erstversterbenden Ehegatten und zugleich Erben des Längerlebenden beim Tod des Letztversterbenden (Nacherbfall) sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Das gilt auch für den Fall unseres gleichzeitigen Todes. Die Nacherben1 Zum erforderlichen Rechtsbindungswillen des Erblassers Edenfeld, ZEV 2004, 141 ff. 2 BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277 (278); BayObLG v. 7.8.1990 – BReg 1a Z 32/90, MDR 1990, 1118 (1119); OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 153/95, FamRZ 1996, 1567 = ZEV 1996, 310 (311); Erman/Kappler/Kappler, § 2269 Rz. 9. Edenfeld

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B VII

Rz. 53

Gemeinschaftliches Testament

anwartschaften sind unveräußerlich und unvererblich. Stirbt eines unserer Kinder nach dem Tod des ersten, aber vor dem zweiten Ehegatten, treten seine Abkömmlinge an seine Stelle. 53

Rechtliche Konsequenz: Verstirbt der erste Ehepartner, darf der andere über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen, sofern sich nicht aus den Beschränkungen der §§ 2113 bis 2115 BGB ein anderes ergibt, § 2112 BGB. Nach § 2113 Abs. 1 BGB sind Verfügungen des Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück bei Eintritt des Nacherbfalls insoweit unwirksam, als sie das Recht der Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Ferner darf der überlebende Ehegatte grundsätzlich nichts aus dem Nachlass seines verstorbenen Partners verschenken, § 2113 Abs. 2 BGB. Die Verwirklichung von Grundpfandrechten unterliegt Beschränkungen, § 2114 BGB. Hinzu kommen Verwaltungs-, Auskunfts- und Sorgfaltspflichten des Vorerben, §§ 2116 ff. BGB (Näheres Kap. B IV Rz. 25 ff., 46 ff., 67 ff., 124 ff.).

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Den Abkömmlingen wird die Vermögensmasse weitgehend erhalten. Sie erlangen mit dem Tod des ersten Ehegatten ein vererbliches und veräußerliches Anwartschaftsrecht1, dessen Vererblichkeit und Veräußerlichkeit wie im obigen Beispiel vom Erblasser ausgeschlossen werden kann. Die Einsetzung der Kinder als Nacherben enthält im Zweifel ihre Einsetzung als Ersatzerben, § 2102 BGB2, kann jedoch in der letztwilligen Verfügung klargestellt werden. Die Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigene letztwillige Verfügung sollte man durch den Ausschluss der Selbstanfechtung ausdrücklich fest halten. Dem dient der vertragliche Verzicht auf das Anfechtungsrecht nach § 2079 BGB oder eine geeignete Sanktion:

M 61 Anfechtungsausschluss im gemeinschaftlichen Testament (…) An die vorstehenden Bestimmungen ist der überlebende Ehegatte auch gebunden, wenn er wiederheiratet oder sonstige Pflichtteilsberechtigte hinzukommen. Ficht er seine Verfügungen an, tritt im Hinblick auf den Nachlass des Erstverstorbenen die Nacherbfolge zugunsten der Kinder ein.

b) Befreiung des Vorerben 55

Wollen die Eheleute den Vorerben nicht solchen Bindungen aussetzen, können sie ihn von den meisten der genannten Beschränkungen befreien, § 2136 BGB. Der überlebende Ehegatte wird befreiter Vorerbe (dazu Kap. B IV Rz. 81).

1 BGH v. 9.6.1983 – IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367 (369) = MDR 1983, 839 = FamRZ 1983, 882; BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456. 2 RG v. 2.11.1933 – IV B 43/33, RGZ 142, 171 (174); RG v. 11.3.1942 – IV B 5/42, RGZ 169, 38 (39); BGH v. 28.10.1998 – IV ZR 275/97, ZEV 1999, 26. Zur Auslegung, wenn die gemeinsamen Abkömmlinge als „Nacherben des Letztversterbenden“ eingesetzt sind, s. MüKo.BGB/Grunsky, § 2102 Rz. 3. 434

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Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 56

B VII

Beratungshinweis: Im Ehegattentestament sollte detailliert geregelt sein, von welchen Pflichten er im Einzelnen entbunden wird. Nur so lässt sich Streit zwischen dem Überlebenden und den Kindern vermeiden. § 2136 BGB bietet hier zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten1. Dabei ist zu beachten, dass der Vorerbe vom Schenkungsverbot des § 2113 Abs. 2 BGB nicht befreit werden kann. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, dem überlebenden Ehegatten eine vorweggenommene Erbfolge für den Fall zu gestatten, dass eines der Kinder das Familienheim übernimmt. Das lässt sich im Wege des Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) an den Vorerben erreichen. Das Ehegattentestament wird wie folgt ergänzt: M 62 Anordnung befreiter Vorerbschaft im gemeinschaftlichen Testament Der Vorerbe darf den Nachlass des Erstversterbenden zu Lebzeiten in vollem Umfang in Anspruch nehmen. Er ist von allen gesetzlichen Beschränkungen und Verpflichtungen befreit, soweit es zulässig ist. Er ist berechtigt, vor Eintritt des Nacherbfalles das zur Vorerbschaft gehörende Grundstück mit dem darauf befindlichen Haus der Familie auf eines unserer Kinder zu übertragen. Macht er davon Gebrauch, gilt ihm das Hausgrundstück als durch Vorausvermächtnis auf den Tod des ersten Ehegatten zugewendet.

c) Pflichtteilsklauseln Die gemeinschaftliche Nachfolgeplanung der Eheleute wird gestört, wenn eines der Kinder nach dem Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil verlangt. Die Abkömmlinge sind zwar anders als im Fall der Vollerbschaft des überlebenden Ehegatten nicht enterbt, § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB. Ist jedoch ein Pflichtteilsberechtigter anstatt als Vollerbe nur als Nacherbe berufen, stellt auch das eine Beschränkung in der Erbeinsetzung dar, § 2306 Abs. 2 BGB. Sie kann zu erheblichen Auseinandersetzungen führen:

Beratungssituation: Die Eheleute haben sich gegenseitig zu Vorerben und ihre beiden Kinder zu Nacherben eingesetzt. Nach dem Tod des Vaters verlangt die Tochter den Pflichtteil und erhält ihn ausgezahlt. Als die Mutter stirbt, streiten die Geschwister um ihr Erbe. Den Beteiligten ist beim Tod des Vaters ein Fehler unterlaufen. Die Tochter konnte den Pflichtteil erst verlangen, wenn sie den Erbteil ausschlug, § 2306 BGB. In diesem Fall hätte sie nur noch die Mutter zur Hälfte beerbt. Der gesamte Nachlass des Vaters wäre – abzüglich des ausgezahlten Pflichtteils – an das andere Kind gefallen. Diese Ausschlagung der Nacherbschaft, die schon bei Eintritt des Vorerbfalls zulässig ist (§ 2142 Abs. 1 BGB), ist unterblieben. Die Tochter ist beim Tod des letzten Elternteils an beiden Nachlässen beteiligt. Sie erhält ihren Erbteil von der Mutter und ist zugleich Nacherbin der Hälfte des restlichen Nachlasses des Vaters. Den rechtsgrundlos erhaltenen Pflichtteil muss sie sich als Vorausempfang anrechnen lassen2. 1 Mayer, ZEV 2000, 1 (2 ff.). 2 BayObLG v. 15.10.1973 – BReg. 2Z 45/73, BayObLGZ 1973, 272 (275); Palandt/Weidlich, § 2306 Rz. 15. Edenfeld

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B VII 57

Rz. 57

Gemeinschaftliches Testament

Oft entsteht der Konflikt nicht beim Tod des zweiten, sondern schon beim Tod des ersten Ehegatten. Dieser ist gezwungen, zur Befriedigung der Pflichtteilsgläubiger wertvolle Nachlassgegenstände zu veräußern. Das gefährdet – man denke an die Versteigerung des Hausgrundstücks – die wirtschaftliche Existenz des überlebenden Ehegatten. Es vereitelt die ursprüngliche Zielsetzung, das elterliche Vermögen den Kindern mit dem Tod des zweiten Ehepartners zukommen zu lassen. Zur Vorbeugung ist eine Pflichtteilsklausel zu empfehlen. Sie umfasst den Ausschluss des betreffenden Abkömmlings von der Nacherbfolge am Nachlass des erstversterbenden Ehegatten und die Enterbung beim zweiten Erbfall (Nachlass des überlebenden Ehegatten):

M 63 Grundform Pflichtteilsklausel Verlangt eines unserer Kinder nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten den Pflichtteil, wird es samt seinen Abkömmlingen weder Nacherbe des Erstversterbenden noch Erbe des Letztversterbenden.

d) Wiederverheiratungsklauseln 58

Die Wiederheirat des längerlebenden Ehegatten stellt für die Erbaussichten der als Nacherben eingesetzten Abkömmlinge vor allem dann eine Bedrohung dar, wenn der Ehegatte von den Beschränkungen und Verpflichtungen der §§ 2113 ff. BGB befreit ist. Er kann zu Lebzeiten relativ frei über den Nachlass verfügen. Der ungeschmälerte Übergang des beim Tod des ersten Ehegatten vorhandenen Vermögens wird gefährdet. Um die Nachlassbeteiligung der Nacherben zu sichern, sollte daher für den Fall der Wiederheirat zumindest die Befreiung des Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen (§ 2136 BGB) aufgehoben werden. Einschneidendere Folgen haben die Beschränkung der Nacherbfolge auf einen Bruchteil oder der sofortige Eintritt der Nacherbfolge mit der Wiederheirat. Um dem überlebenden Ehegatten die wirtschaftliche Existenzgrundlage nicht zu entziehen, empfiehlt sich die gleichzeitige Anordnung eines Vermächtnisses:

M 64 Grundform Wiederverheiratungsklausel Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Nacherben des erstversterbenden Ehegatten und zugleich Erben des Längerlebenden sind beim Tod des Letztversterbenden (Nacherbfall) unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen.

Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, tritt die Nacherbfolge nicht erst mit dessen Tod, sondern mit der erneuten Eheschließung ein. Der überlebende Ehegatte erhält für diesen Fall ein Vermächtnis aus dem Nachlass des Erstverstorbenen. Die Höhe des Vermächtnisses richtet sich nach dem gesetzlichen Pflichtteil. 59

Die erläuterten Pflichtteils- (Rz. 56 f.) und Wiederverheiratungsklauseln (Rz. 58) sind nicht nur bei der Trennungslösung, sondern auch bei der Einheitslösung von Bedeutung. Näheres dazu im folgenden Abschnitt.

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Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 62

B VII

3. Das Berliner Testament a) Die Auslegungsregeln des § 2269 BGB Bei der Auslegung gemeinschaftlicher Testamente ist vorrangig der wirkliche Wille der Erblasser zu ermitteln. Maßgebend sind die allgemeinen Auslegungsgrundsätze, wobei das Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Ehepartners entsprechen muss. Es kommt auf die gemeinsamen Absichten beider Ehegatten an. Das liegt nahe, weil die beiderseitigen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten aufeinander abgestimmt und inhaltlich abgesprochen sind. Jeder Partner misst der letztwilligen Erklärung des anderen besondere Bedeutung bei. Lässt sich diese Übereinstimmung nicht feststellen, ist auf den einzelnen Erblasser abzustellen. Dessen Wille gibt allerdings nicht den Ausschlag. Die Auslegung der Verfügungen ist aus der Sicht des anderen Ehegatten vorzunehmen, §§ 133, 157 BGB. Dieser muss die Möglichkeit haben, sich mit seinen Verfügungen auf die des anderen einzustellen. Führt auch das zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist die gesetzliche Auslegungsregel heranzuziehen. § 2269 BGB findet erst Anwendung, wenn sich aus dem gemeinschaftlichen Testament nicht klar ergibt, ob die Ehegatten die Einheits- oder die Trennungslösung gewollt haben („im Zweifel“)1. Er enthält zwei Auslegungsregeln, die auch gelten, wenn die Verfügungen nicht wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB sind (dazu Rz. 100 ff.):

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aa) Die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB enthält die Grundkonstellation des Berliner Testaments. Haben sich die Eheleute gegenseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt, dass ihr Nachlass nach dem Tod des Längerlebenden an Dritte (zumeist die Kinder) fallen soll, ist im Zweifel anzunehmen, dass der Nachlass des Erstverstorbenen zunächst an den Überlebenden als Vollerben fallen soll. Das Gesetz vermutet für den Normalfall die Einheitslösung (zu ihren Vor- und Nachteilen Rz. 32 ff.). Der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten vereinigt sich bei dessen Tod mit dem Vermögen des überlebenden Ehepartners. Stirbt der überlebende Ehegatte, geht sein Vermögen, zu dem der Nachlass des Erstverstorbenen gehört, als einheitlicher Nachlass auf den Dritten als Schlusserben über. Dieser beerbt nicht den Erstverstorbenen als Nacherbe (§ 2100 BGB), sondern den Überlebenden als dessen Erbe. Die Ehegatten sind gegenseitig Vollerben und die Kinder Schlusserben des Längstlebenden. Die Schlusserben erhalten beim Tod des erstversterbenden Elternteils nichts. Der Nachlass kommt ihnen mit dem Tod des Längerlebenden zugute.

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bb) Die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 2 BGB betrifft den Fall, dass sich die Eheleute gegenseitig zu Erben einsetzen und einem Dritten ein Vermächtnis zuwenden, das nach dem Tod des Überlebenden zu erfüllen ist. Hier kann zweifelhaft sein, welcher Ehegatte die Anordnung getroffen hat und bei welchem Erbfall das Vermächtnis anfällt. Das Gesetz geht im Zweifel davon aus, dass das Ver-

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1 BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, BGHZ 22, 364 (366); BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 (233) = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52; BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, MDR 1993, 151 = FamRZ 1993, 318 = NJW 1993, 256; BayObLG v. 8.10.1991 – BReg. 1Z 34/91, FamRZ 1992, 1476 = NJW-RR 1992, 200 (201); BayObLG v. 12.8.1994 – 1Z BR 152/93, FamRZ 1995, 251 (252); OLG Hamm v. 16.3.1993 – 15 W 135/92, FamRZ 1994, 188 = JZ 1994, 628 (629) m. Anm. Muscheler; OLG Koblenz v. 14.6.2010 – 2 U 831/09, MDR 2010, 1331 = FamRZ 2011, 146 = ZEV 2010, 473 m. Anm. Keim; Erman/Kappler/Kappler, § 2269 Rz. 9. Edenfeld

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B VII

Rz. 63

Gemeinschaftliches Testament

mächtnis dem Dritten erst mit dem Tod des zweiten Ehepartners anfällt. Die Erblasser können andere Anordnungen treffen. Der Vermächtnisnehmer muss zu diesem Zeitpunkt noch leben, § 2160 BGB. Nur wenn der Bedachte ein Abkömmling des überlebenden Ehegatten ist, treten seine Abkömmlinge an seine Stelle, § 2069 BGB. b) Einsetzung des Voll- und Schlusserben 63

Aus der Testamentsgestaltung muss hervorgehen, dass eine Vollerbschaft des überlebenden Ehegatten (Einheitslösung) und keine Vor- und Nacherbfolge im Sinne der Trennungslösung beabsichtigt ist. Die fehlerhafte Verwendung von Rechtsbegriffen führt zu Missverständnissen. Das ist misslich, wenn ein Notar an der Testamentsgestaltung mitgewirkt hat1. Auch wenn die Wortwahl scheinbar eindeutig ist, kommt es im Rahmen der Auslegung nicht auf seine Sicht an. Maßgeblich ist, was die Erblasser gemeint haben. Es müssen Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass sie trotz der gebrauchten Formulierung darunter etwas anderes verstanden haben.

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Ernennt ein Ehegatte den anderen zum „Alleinerben“, spricht das nach allgemeinem Sprachgebrauch für eine Vollerbschaft im Sinne der Einheitslösung. Andererseits kann der Begriff in dem Sinne verwendet worden sein, dass sich der Überlebende keiner Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB) ausgesetzt sehen soll2. Bezeichnen sich die Ehegatten in ihrem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament als „Vorerben“ und ihre gemeinsamen Kinder als „Nacherben“, ist das ein Indiz für die Anwendbarkeit der §§ 2100 ff. BGB. Die Trennungslösung ist jedoch keineswegs zwingend3. Rechtsunkundige verstehen diese Begriffe oft dahin gehend, dass damit jeder gemeint ist, der vor oder nach jemand anderem erbt. Eine doppelte Vollerbschaft im Sinne der Einheitslösung ist trotz der verwendeten Rechtsbegriffe beabsichtigt, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, dass das Vermögen der Eheleute als wirtschaftliche Einheit erhalten bleiben und der längerlebende Partner von Bindungen zugunsten späterer Erben frei sein soll, § 2269 Abs. 1 BGB.

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Soll der überlebende Ehegatte lebenslangen „Nießbrauch“ haben und den Nachlass des Erstverstorbenen verwalten, kann das als Einheits- oder Trennungslösung oder als Nießbrauchsvermächtnis in Verbindung mit einer Testamentsvollstreckung ausgelegt werden4. Für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft spricht in diesem Fall, wenn der Erblasser eine „gemeinsame Nachlassverwaltung“ zwischen dem Überlebenden und den Dritten verfügt oder die Nutzung des Nach1 Vgl. BGH v. 23.4.1951 – IV ZR 17/51, LM Nr. 1 zu § 2100 BGB; OLG Saarbrücken v. 6.1.1994 – 5 W 119/93 – 70, OLG Saarbrücken v. 6.1.1994 – 5 W 119/93-70, NJW-RR 1994, 844 (845); BayObLG v. 28.11.1990 – BReg.1a Z 43/90, FamRZ 1991, 493 (494); BGB-RGRK/Johannsen, § 2269 Rz. 8. 2 RG v. 3.4.1939 – IV 165/38, RGZ 160, 109 (111); RG v. 21.3.1911 – Rep. VII. 534/10, RGZ 76, 20 (25); BayObLG v. 8.2.1966 – BReg. 1a Z 64/65, BayObLGZ 1966, 49 (53); Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rz. 29. 3 BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277 (278); OLG Karlsruhe v. 13.8.1969 – 5 W 38/69, OLGZ 1969, 495 (497); BayObLG v. 7.8.1990 – BReg.1a Z 32/90, MDR 1990, 1118 (1119); OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 153/95, FamRZ 1996, 1567 = ZEV 1996, 310 (311); Erman/Kappler/Kappler, § 2269 Rz. 9. 4 RG Recht 1913 Nr. 219; KG OLGR 16, 68 (70); 21, 337; Soergel/Wolf, § 2269 Rz. 17. 438

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Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 68

B VII

lasses auf die Erträge beschränkt. Führt die Auslegung der Verfügung aus der Sicht des anderen Ehegatten zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist die gesetzliche Auslegungsregel des § 2269 BGB heranzuziehen: Der Längerlebende wird zum Vollerben und die Dritten werden zu Schlusserben berufen. Entsprechendes gilt für die Formulierung, der Nachlass gehe nach dem Tod des Längerlebenden nach den „gesetzlichen Vorschriften“ auf die Erben über. Dies kann als bloßer Hinweis auf die gesetzliche Erbfolge, aber auch als Schlusserbeneinsetzung aufzufassen sein1. Schwierigkeiten bereitet die Vermögenslosigkeit des überlebenden Ehegatten. Die Eheleute betrachten ihr Hab und Gut zumeist wirtschaftlich als gemeinsames Vermögen, selbst wenn es rechtlich nur einem von ihnen gehört. Bleibt der Wertanteil des einen Ehegatten so erheblich hinter dem des anderen zurück, dass dem anderen praktisch alles gehört, tritt der Grundgedanke der Einheitslösung, das Vermögen zusammenzuhalten, zurück. Einige2 folgern daraus, dass nur eine Vor- und Nacherbschaft in Betracht kommt. Andererseits steht das vermögensmäßige Ungleichgewicht der Einsetzung als Vollerben nicht entgegen. Die Eheleute können ihren Nachlass erbrechtlich gemeinschaftlich übertragen wollen. Lassen sich dafür Anhaltspunkte ermitteln, ist vom Einheitsprinzip auszugehen. Die finanzielle Situation kann die Vermutung des § 2269 Abs. 1 BGB nicht widerlegen. Die Auslegungsregel bringt den Erblasserwillen auch bei Vermögenslosigkeit des überlebenden Ehepartners so zur Geltung, wie ihn der Gesetzgeber im Normalfall vermutet3.

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Zur Vermeidung derartiger Auslegungsschwierigkeiten hat sich folgende Grundformel des Berliner Testaments als zweckmäßig erwiesen:

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M 65 Grundformel des Berliner Testaments Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen.

Rechtliche Konsequenz: Der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten fällt mit dessen Tod an den Überlebenden. Dieser wird Vollerbe. Sein Vermögen vereinigt sich mit dem des verstorbenen Ehepartners. Stirbt der überlebende Ehegatte, geht sein Vermögen, zu dem der Nachlass des Erstverstorbenen gehört, als einheitlicher Nachlass auf den Dritten als Schlusserben über. Dieser beerbt nicht den Erstverstorbenen als Nacherbe (§ 2100 BGB), sondern allein den Überlebenden als dessen Erbe. Die Ehegatten sind gegenseitig Vollerben und die Kinder Schlusserben des Längstlebenden. Beide Erbfälle werden getrennt versteuert. Weisen die Schlusserben unterschiedliche Verwandtschaftsgrade zu den Eheleuten auf (z.B. 1 Vgl. BayObLG v. 17.2.1965 – BReg. 1b Z 299/64, BayObLGZ 1965, 53 (57); AK-BGB/ Schaper, § 2269 Rz. 28; zur pauschalen Schlusserbeneinsetzung von Angehörigen OLG München v. 9.5.2012 – 31 Wx 269/11, ZEV 2012, 367. 2 KG v. 21.6.1954 – 1 W 1948/54, DNotZ 1955, 408 (411 f.); Brox, Rz. 187. 3 BayObLG v. 8.2.1966 – BReg. 1a Z 64/65, NJW 1966, 1223; BayObLG v. 23.6.1983 – BReg. 1Z 41/83, FamRZ 1984, 211; BGB-RGRK/Johannsen, § 2269 Rz. 7; Staudinger/ Kanzleiter, § 2269 Rz. 32. Edenfeld

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einseitige Abkömmlinge), wird für den Erwerb die günstigere Steuerklasse nach dem erstverstorbenen Ehegatten zugrunde gelegt, soweit sein Vermögen beim Tod des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist, § 15 Abs. 3 S. 1 ErbStG. 69

Zu Lebzeiten können beide Ehegatten über ihr Vermögen frei verfügen. Nach dem Tod des ersten Ehepartners ist der Überlebende an die Einsetzung der Abkömmlinge als Schlusserben gebunden, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Er kann seine Testierfreiheit wiedererlangen, indem er den ihm zugewendeten Nachlass binnen sechs Wochen ausschlägt, § 1944 Abs. 1 BGB1. Durch eine Freistellungsklausel kann dem überlebenden Ehegatten gestattet werden, seine letztwillige Verfügung teilweise abzuändern oder vollständig aufzuheben, ohne dass sich das nachteilig auf seine Alleinerbenstellung auswirkt. Das kann bspw. sinnvoll sein, um die Erbteile der Kinder anders als geplant festzulegen oder nachträglich Vermächtnisse zugunsten einzelner Abkömmlinge anzuordnen. Der überlebende Ehegatte muss auf nachhaltige Änderungen der Sachlage reagieren können. Im Übrigen sollte genau bestimmt sein, welche der getroffenen Verfügungen wechselbezüglich oder widerrufbar sind. c) Pflichtteilsklauseln

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Die rechtliche Stellung der Schlusserben ist beim Berliner Testament dadurch gekennzeichnet, dass sie beim Tod des ersten Elternteils nichts erhalten. Sie können nur hoffen, dass von dessen Nachlass nach dem Ableben des zweiten Ehepartners etwas übrig ist. Die Abkömmlinge sind auf den Tod des ersten Ehegatten enterbt, § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB. Verlangt eines der Kinder nach dem Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil, stört das die Nachfolgeplanung der Eltern. Der überlebende Elternteil ist oftmals gezwungen, zur Befriedigung des Pflichtteilsanspruchs Nachlassgegenstände zu veräußern. Das gefährdet – man denke an die Versteigerung des Hausgrundstücks – die wirtschaftliche Existenz des überlebenden Ehegatten und vereitelt die ursprüngliche Zielsetzung, das elterliche Vermögen den Kindern mit dessen Tod zukommen zu lassen. Hinzu kommt der unerwünschte Effekt, dass sich derjenige, der den Pflichtteil begehrt, gegenüber seinen Geschwistern einen finanziellen Vorteil verschafft:

Beratungssituation: Die Eheleute haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt. Als Schlusserben sind ihre beiden Kinder berufen. Als der Vater stirbt, hinterlässt er Vermögen im Wert von 128 000 Euro. Die ältere Tochter verlangt und erhält daraus den Pflichtteil. Ihre Mutter hat zu diesem Zeitpunkt 80 000 Euro eigenes Vermögen. Als sie stirbt, fragt die jüngere Tochter, ob sich die ältere bei der Erbauseinandersetzung den Pflichtteil aus dem ersten Nachlass anrechnen lassen muss. 71

Die Frage ist zu verneinen. In der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs liegt kein Verzicht auf die Schlusserbschaft. Auch auf die Erbteile nach dem Tod der Mutter hat es keine Auswirkungen, dass die ältere Tochter beim ersten Erbfall ihren Pflichtteil in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils gel1 Die Schlusserben können dagegen erst nach dem Tod des zweiten Ehegatten ausschlagen, BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, FamRZ 1998, 103 = MDR 1998, 108 = WM 1998, 188; a.A. OLG Düsseldorf v. 14.6.1996 – 7 U 153/95, FamRZ 1996, 1567 = ZEV 1996, 310 ff. m. Anm. Edenfeld. 440

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tend gemacht hat, § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB. Er beträgt nach §§ 1924, 1931 Abs. 1, 1371 Abs. 1 BGB ein Achtel (16 000 Euro). Zieht man den ausgezahlten Pflichtteil vom Nachlass des Vaters ab, blieben 112 000 Euro übrig. Das Vermögen der Ehefrau erhöhte sich dadurch auf 192 000 Euro. Davon steht beim Tod der Mutter jedem Kind die Hälfte (96 000 Euro) zu, § 1924 Abs. 4 BGB. Die ältere Tochter bekommt insgesamt 112 000 Euro aus dem Nachlass ihrer Eltern. Sie steht finanziell besser da als ihre Schwester, die den letzten Willen ihrer Eltern respektiert hat, aber nur 96 000 Euro beanspruchen kann.

Beratungshinweis: Erbstreitigkeiten unter den Kindern lassen sich in derartigen Konstellationen nicht dadurch verhindern, dass die Mutter die Erbteile zugunsten des benachteiligten Kindes abändert. Sie ist an ihre eigene letztwillige Verfügung gebunden. Die Erbeinsetzung der Kinder ist wechselbezüglich (dazu Rz. 100 ff.). Das gemeinschaftliche Testament enthält keine Klausel, die eine nachträgliche Anpassung der Erbquoten ermöglicht. Hätte die Mutter angeordnet, dass sich die älteste Tochter ihren durch den Pflichtteil erlangten Vorteil anrechnen lassen muss, stünde das zu ihrer früheren, im gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügung im Widerspruch und wäre nach § 2271 Abs. 2 BGB unwirksam. Um solchen Konflikten vorzubeugen, ist eine Pflichtteilsklausel ratsam. Sie ist in verschiedenen Variationen geläufig1. aa) Die Verwirkungsklausel Die übliche Sanktion besteht in der Enterbung beim zweiten Erbfall. Sie hält den Schlusserben davon ab, nach dem Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil zu verlangen. Macht er ihn geltend, wird er nicht Erbe des überlebenden Ehegatten:

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M 66 Einfache Pflichtteilsklausel Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Verlangt einer unserer Abkömmlinge nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil, erhält er ebenso wie seine Abkömmlinge auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur den Pflichtteil.

Jedes Kind ist unter der auflösenden Bedingung (§§ 2075, 158 Abs. 2 BGB) zum Schlusserben eingesetzt, dass es nach dem Tod des ersten Ehegatten keinen Pflichtteil geltend macht. Tritt die Bedingung ein, ist der gesamte Stamm des Abkömmlings beim zweiten Erbfall ausgeschlossen. Sein Erbteil wächst den anderen Erben an, § 2094 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Pflichtteilsanspruch von einem anderen Erben geltend gemacht wird, der an die Stelle des in der Pflichtteilsklausel genannten Kindes getreten ist. Der den Pflichtteil fordernde Erbe muss in vorwerfbarer Art und Weise zeigen, dass er das gemeinschaftliche 1 Zur Auslegung einer Pflichtteilsklausel bei Schlusserben aus früheren Ehen OLG Schleswig v. 24.1.2013 – 3 Wx 59/12, DNotZ 2013, 461 m. Anm. Reymann; s. auch OLG München v. 29.3.2006 – 31 Wx 7/06, 8/06, OLGReport 2006, 511; zur zeitlichen Grenze des Eintritts der auflösenden Bedingung BGH v. 12.7.2006 – IV ZR 298/03, MDR 2007, 93 = FamRZ 2006, 1443 = NJW 2006, 3064. Edenfeld

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Testament nicht anerkennt. Die gerichtliche Geltendmachung des Auskunftsanspruchs über den Umfang des Nachlasses genügt nicht. Er muss sich bewusst, wenn auch nicht böswillig, gegen den Erblasserwillen auflehnen1. 74

Zu beachten ist, dass mit der automatischen Enterbung nicht immer allen gedient ist. Namentlich bei größeren Vermögen kann es wirtschaftlich sinnvoll sein, die Erbschaftssteuerbelastung des Erben durch Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs zu senken. Als weniger einschneidende Variante bietet es sich hier an, auf die Geltendmachung des Pflichtteils gegen des Willen des Alleinerben abzustellen oder dem überlebenden Ehegatten eine Änderungsmöglichkeit (Rz. 139 ff.) zu gewählen. Die Verwirkungsklausel ist auch insoweit unbefriedigend, als der Pflichtteilsberechtigte nach wie vor zweimal am Nachlass des erstversterbenden Ehegatten teilhat: zum ersten Mal nach dem Tod des Erstversterbenden und zum zweiten Mal nach dem Ableben des Letztversterbenden, zu dessen Nachlass nach dem Einheitsprinzip auch der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten gehört. Eine Anrechnung des ersten Pflichtteils auf den zweiten scheidet aus. Der Erblasser kann sie nicht testamentarisch anordnen, weil das den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch mindert. Eine entsprechende Klausel kann allenfalls dahin gehend ausgelegt werden, dass der längerlebende Ehegatte an seine Verfügung zugunsten desjenigen, der den Pflichtteil fordert, nicht mehr gebunden sein soll2. Die wiederholte Berücksichtigung des Nachlasses zugunsten testamentsuntreuer Kinder lässt sich so nicht unterbinden. bb) Die Jastrow’sche Formel

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Die Jastrow’sche Klausel3 geht über die bloße Enterbung hinaus. Sie verhindert, dass derjenige Abkömmling, der den Pflichtteil verlangt, sich zulasten der anderen Schlusserben einen größeren Wertanteil am Nachlass des erstversterbenden Ehegatten verschafft. Die Pflichtteilsstrafklausel wird um eine Vermächtnisanordnung ergänzt. Jeder Ehegatte setzt für den Fall, dass ein Kind den Pflichtteil fordert, für die Geschwister Vermächtnisse in Höhe ihrer gesetzlichen Erbteile aus:

M 67 Pflichtteilsklausel mit Vermächtnisanordnung Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen.

1 OLG Braunschweig v. 13.1.1976 – 2 Wx 30/75, OLGZ 1977, 185 (188); BayObLG v. 23.10.1990 – BReg. 1a Z 50/90, MDR 1991, 253 = FamRZ 1991, 494 = NJW-RR 1991, 394 (395); BayObLG v. 18.9.1995 – 1Z BR 34/94, FamRZ 1996, 440 = NJW-RR 1996, 262 (263); OLG München v. 29.1.2008 – 31 Wx 68/07, FamRZ 2008, 1118; Palandt/Weidlich, § 2269 Rz. 13; einschränkend Lübbert, NJW 1988, 2706 (2711 ff.). Zur Frage, ob der Pflichtteil zur Auszahlung gelangt sein muss, OLG Zweibrücken v. 30.10.1998 – 3 W 116/98, FamRZ 1999, 468 = ZEV 1999, 108 (109 f.) m. Anm. Loritz, ZEV 1999, 187. 2 BayObLG v. 8.2.1966 – BReg. 1a Z 64/65, BayObLGZ 1966, 49 (55); BayObLG v. 20.3. 1990 – BReg. 1a Z 65/88, MDR 1990, 723 = MDR 1991, 156 = FamRZ 1990, 1158 = NJW-RR 1990, 969 (970); Kipp/Coing, § 79 IV 2. 3 Jastrow, DNotZ 1904, 424; verbesserte Form bei Weiss, MDR 1979, 812. Dazu auch Langenfeld, NJW 1987, 1577 (1581); Mayer, ZEV 1995, 136. 442

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Verlangt einer unserer Abkömmlinge nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil, erhält er ebenso wie seine Abkömmlinge auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur den Pflichtteil. Die anderen Kinder, die den Pflichtteil nicht gefordert haben, erhalten aus dem Nachlass des Erstversterbenden Geldvermächtnisse im Wert ihres gesetzlichen Erbteils. Sie werden aus dem Vermögen des Erstverstorbenen, aber erst beim Tod des Längerlebenden bezahlt.

Die Vermächtnisse gehören zu den Nachlassverbindlichkeiten des Nachlasses des Erstversterbenden, §§ 1967 Abs. 2, 2174 BGB. Das hat die erwünschte Wirkung, dass sich der Vermögenszuwachs beim zweiten Ehegatten verringert. Er erbt eine Nachlassverbindlichkeit, die sich auf den Pflichtteil beim zweiten Erbfall auswirkt. Derjenige Schlusserbe, der beim ersten Erbfall den Pflichtteil verlangt, profitiert nicht doppelt. Das Vermächtnis muss nicht mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten anfallen. Es genügt, wenn die Bedingung mit dem Pflichtteilsverlangen eintritt, § 2177 BGB. Um zu verhindern, dass Abkömmlinge desjenigen, der den Pflichtteil fordert, über die Auslegungsregel des § 2069 BGB Vermächtnisse erhalten, sollte man die Klausel entsprechend ergänzen. Dem überlebenden Ehegatten kann zudem das Recht eingeräumt werden, die Enterbung zu widerrufen, wodurch die Vermächtnisse der anderen Schlusserben wegfallen. Das gestaltet die testamentarische Regelung flexibel.

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cc) Der Pflichtteilsverzicht Der sicherste Weg, um das gemeinschaftliche Testament vor den Schlusserben zu schützen, besteht im Pflichtteilsverzicht. Er setzt einen Pflichtteilsverzichtsvertrag und damit das Einverständnis der Kinder voraus, § 2346 Abs. 2 BGB1. Darüber hinaus ist die notarielle Beurkundung erforderlich, § 2348 BGB.

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d) Wiederverheiratungsklauseln Die Wiederheirat des längerlebenden Ehegatten stellt ein weiteres Problem des Berliner Testaments dar. Nach der Lebenserfahrung will der erstverstorbene Ehegatte sicherstellen, dass sein Nachlass auf die gemeinsamen Abkömmlinge und nicht auf Dritte übergeht. Das Familienvermögen soll nicht in eine fremde Familie abfließen. Diese Absicht wird durch die Pflichtteilsrechte des neuen Ehepartners und aus der neuen Ehe hervorgehender Kinder gefährdet. Sie können auf den Nachlass des erstverstorbenen Ehegatten zugreifen, der nach der Einheitslösung mit dem Vermögen des längerlebenden Partners verschmilzt. Der verstorbene Ehegatte hat keinen Einfluss darauf, dass die hinzutretenden Berechtigten auf ihren Pflichtteil verzichten. Die Erbaussichten der als Schlusserben eingesetzten Kinder sind beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass der längerlebende Ehegatte zu Lebzeiten zum Nachteil der Schlusserben über den Nachlass verfügen kann. In der Testierpraxis werden daher Wiederverheiratungsklauseln verwendet. Sie sollen nicht die neue eheliche Bindung durch Enterbung bestra1 Zum Erb- und Pflichtteilsverzicht Damrau, Der Erbverzicht als Mittel zweckmäßiger Vorsorge auf den Todesfall (1966); Edenfeld, ZEV 1997, 134 ff.; Reul, MittRhNotK 1997, 373 ff. Edenfeld

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fen, sondern die Nachlassbeteiligung der Schlusserben sichern. Ihre fehlerhafte Gestaltung wirft schwierige Auslegungsfragen auf:

Beratungssituation: Die Eheleute haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt. Nach ihrem Tod sollen ihre beiden Kinder den Nachlass teilen. Für den Fall, dass ein Ehegatte heiratet, soll er sich mit den Kindern „nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge“ auseinandersetzen. 79

Diese oft verwendete Formulierung1 eröffnet ebenso wie die Wendung „soll im Fall der Wiederheirat den Nachlass herausgeben“ verschiedene Möglichkeiten:

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– Mit der Wiederverheiratungsklausel kann eine Trennungslösung gemeint sein. Der überlebende Ehegatte ist Vorerbe. Die gemeinsamen Kinder sind Nacherben und zugleich Ersatzerben des Überlebenden. Die Vor- und Nacherbschaft ist unbedingt angeordnet. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod oder der Wiederverheiratung des Vorerben ein.

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– Geht man nach § 2269 Abs. 1 BGB von der Einheitslösung aus, wird der Längerlebende Vollerbe. Denkbar ist, dass er seine Erbenstellung auch im Fall der Wiederheirat behält und die Kinder ein Vermächtnis (§§ 2147, 2174 BGB) in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils bekommen. Dagegen spricht im vorstehenden gemeinschaftlichen Testament, dass sich der überlebende Elternteil nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinander setzen soll. Die Auseinandersetzung findet nur unter Miterben statt, §§ 2042 ff. BGB. Die Eheleute sind davon ausgegangen, dass die Kinder neben dem wiederheiratenden Ehegatten Miterben in Höhe ihrer gesetzlichen Erbteile und nicht Vermächtnisnehmer werden sollen.

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– Näherliegend ist eine durch Bedingungen verknüpfte Einheits- und Trennungslösung. Der überlebende Ehegatte wird mit dem Tod seines Ehepartners zunächst Vollerbe im Sinne des § 2269 Abs. 1 BGB. Die Kinder sind hinsichtlich des gesamten elterlichen Nachlasses Schlusserben. Das gilt so lange, bis der überlebende Ehegatte wiederheiratet. In diesem Fall verliert er seine Alleinerbenstellung. Sie ist auflösend bedingt durch die Eingehung einer neuen Ehe, §§ 2075, 158 Abs. 2 BGB. Zugleich ist aufschiebend bedingt eine Vorund Nacherbfolge angeordnet, §§ 2074, 158 Abs. 1 BGB. Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, treten die Bedingungen ein. Tritt der Nacherbfall nicht mit dem Tod des Vorerben, sondern schon mit der Wiederheirat ein, werden die Kinder mit der Wiederheirat endgültige Erben des verstorbenen Elternteils, § 2139 BGB. Fraglich bleibt, ob der zum bedingten Vorerben eingesetzte überlebende Ehegatte bis zu seiner Wiederheirat die Stellung eines befreiten Vorerben hat (§ 2136 BGB) oder die Kinder durch die §§ 2113 ff. BGB geschützt sind.

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Welche dieser Lösungen mit der Wiederverheiratungsklausel gemeint ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Einen Erfahrungssatz, dass Ehegatten die eine oder die andere bevorzugen, gibt es nicht. § 2269 Abs. 1 BGB spricht für die 1 Vgl. RG v. 25.11.1937 – IV B 34/37, RGZ 156, 172 (180); KG v. 7.3.1968 – 1 W 2454/67, FamRZ 1968, 331 (332); BayObLG v. 17.4.1962 – BReg. 1Z 180/61, MDR 1962, 738; OLG Hamm v. 16.3.1993 – 15 W 135/92, FamRZ 1994, 188; OLG Zweibrücken v. 14.11.2012 – 1 U 195/11, ZEV 2013, 395. 444

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Einheitslösung, es kann im Einzelfall aber auch eine Trennungslösung gewollt sein, bei der der Nacherbfall mit dem Tod oder der Wiederverheiratung des Vorerben eintritt. Wollen die Eheleute bis zur Wiederheirat des längerlebenden Ehegatten die Einheitslösung, bleiben zwei Grundtypen1: – die Anordnung von Vermächtnissen – die aufschiebend bedingte Vor- und Nacherbschaft. aa) Anordnung eines Vermächtnisses Die Ehegatten können testieren, dass der überlebende Ehegatte für den Fall der Wiederheirat Vollerbe bleibt. Das hat den Vorteil, dass er sich nicht den Beschränkungen der Vorerbschaft ausgesetzt sieht und die Einheit des Nachlasses erhalten bleibt. Die Kinder werden nicht Nacherben. Sie sind weiterhin Schlusserben ohne gesicherte Aussicht auf die Erbschaft. Um ihnen den Mindestanteil am Nachlass des Erstverstorbenen zu gewährleisten, werden zu ihren Gunsten Vermächtnisse (§ 2147 BGB) angeordnet. Diese sind aufschiebend bedingt durch die Wiederheirat, §§ 2074, 158 Abs. 1 BGB. Die Vermächtnisnehmer erhalten mit dem Eintritt der Bedingung einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den überlebenden Elternteil aus § 2174 BGB. Das Vermächtnis kann in Höhe der gesetzlichen Erbteile der Abkömmlinge, aber auch auf einen bestimmten Betrag oder einen Bruchteil des bei der Wiederheirat noch vorhandenen Vermögens des Erstversterbenden bestimmt werden.

Beratungshinweis: Um Streit über den früheren und aktuellen Nachlassbestand und damit über den Umfang des Vermächtnisses auszuschließen, sollte man den Erbfall oder die Wiederheirat als maßgeblichen Zeitpunkt der Nachlassbewertung festlegen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch Anfall und Fälligkeit der Vermächtnisse. Die Kinder sind am ehesten vor dem Zugriff Dritter auf den Nachlass geschützt, wenn beides mit der Wiederheirat einsetzt. Mit Rücksicht auf den überlebenden Ehegatten kann es angezeigt sein, zumindest die Fälligkeit auf dessen Tod hinauszuschieben und die Ansprüche der Vermächtnisnehmer durch Grundpfandrechte o.Ä. zu sichern. An die rechtzeitige amtliche Aufnahme des Nachlassinventars (§ 2003 BGB) zu Beweiszwecken ist zu denken. Die Vermächtnislösung lässt sich wie folgt formulieren: M 68 Wiederverheiratungsklausel mit Vermächtnislösung Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, hat er unseren Kindern Vermächtnisse in Höhe ihrer gesetzlichen Erbteile auszuzahlen. Maßgeblich für Berechnung, Anfall und Fälligkeit des Vermächtnisses ist der Zeitpunkt der Wiederhei1 Zu den in der Praxis gebräuchlichsten Wiederverheiratungsklauseln Dippel, AcP 177 (1977), 349 (352 ff.); Meier-Kraut, NJW 1992, 143 ff.; Simshäuser, FamRZ 1972, 273 ff.; Wilhelm, NJW 1990, 2857 ff.; Zawar, NJW 1988, 16 ff.; Zawar, FS Schippel (1996), 327 ff. Edenfeld

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rat. Die Ansprüche der Vermächtnisnehmer sind voneinander unabhängig. Der Anspruch entsteht nicht, wenn das betreffende Kind nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt und erhalten hat. 85

Soll der überlebende Ehegatte mit der Wiederheirat seine Testierfreiheit wiedererlangen, bietet sich eine Freistellungsklausel an. Durch sie kann ihm gestattet werden, seine letztwillige Verfügung ganz oder teilweise zu widerrufen. Die Bindung an die Einsetzung der Schlusserben entfällt. Steuerrechtlich ist zu beachten, dass die Vermächtnisnehmer ihren aufschiebend bedingten Erwerb des Vermächtnisses mit dem Eintritt der Bedingung (Wiederheirat) zu versteuern haben, während der Erbe die zu viel gezahlte Steuer zurückerhält, § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG. bb) Die bedingte Vor- und Nacherbschaft

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Die Vermächtnislösung ändert nichts daran, dass der gesamte Nachlass des Erstverstorbenen beim überlebenden Ehegatten verbleibt. Sicherer als ein Vermächtnisanspruch der Kinder ist die Nachlasstrennung. Die Eheleute bestimmen, dass die Verschmelzung ihrer Vermögensmassen, wie sie nach der Einheitslösung mit dem Tod des ersten Partners eintritt, im Fall der Wiederheirat rückgängig gemacht wird. Der überlebende Ehegatte, der zunächst Vollerbe ist, wird im Hinblick auf den Nachlass des Erstverstorbenen oder eines Bruchteils Vorerbe, die Abkömmlinge Nacherben. Die Einheits- wird von der Trennungslösung abgelöst. Für die Beteiligten bedeutet das Folgendes:

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– Der überlebende Ehegatte wird mit dem Tod seines Ehepartners Vollerbe im Sinne des § 2269 Abs. 1 BGB. Das gilt so lange, bis er wieder heiratet. Mit der erneuten Eheschließung verliert er seine Alleinerbenstellung und wird Vorerbe. Die Vollerbschaft ist auflösend bedingt durch die Eingehung einer neuen Ehe, § 2075 BGB. Zugleich ist eine aufschiebend bedingte Vor- und Nacherbfolge angeordnet, § 2074 BGB. Diese Kombination von Einheits- und Trennungslösung durch zwei Bedingungen ist nach ganz herrschender Auffassung1 zulässig. Jeder der Eheleute wird mit dem Tod seines Partners auflösend bedingter Vollerbe (§ 158 Abs. 2 BGB) und aufschiebend bedingter Vorerbe (§ 158 Abs. 1 BGB). Heiratet er erneut, treten beide Bedingungen ein. Wie lange er seine Rechte als Vorerbe ausübt, hängt davon ab, wann der Nacherbfall eintritt. Tritt dieser erst mit dem Tod des Vorerben ein, profitiert der längerlebende Ehegatte zeitlebens vom Nachlass des verstorbenen Partners. Erst danach fällt das Vermögen den Kindern zu. Tritt der Nacherbfall mit der Wiederheirat ein, werden die Kinder mit der erneuten Eheschließung endgültige Erben des verstorbenen Elternteils, § 2139 BGB.

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– Die rechtliche Stellung der Kinder verläuft parallel. Sie sind mit dem Tod des ersten Elternteils auf den gesamten elterlichen Nachlass als Schlusserben eingesetzt, § 2269 Abs. 1 BGB. Geht der überlebende Ehegatte eine neue Ehe ein, wandelt sich ihre Erbaussicht auf das Vermögen des Erstverstorbenen in eine 1 RG v. 25.11.1937 – IV B 34/37, RGZ 156, 172 (180 f.); BGH v. 6.11.1985 – IVa ZB 5/85, BGHZ 96, 198 (200 ff.) = MDR 1986, 295 = FamRZ 1986, 155; KG OLGE 43, 185 (192); BGB-RGRK/Johannsen, § 2269 Rz. 19; Kipp/Coing, § 79 IV 1; Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (274). 446

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 91

B VII

Nacherbschaft. Die Kinder sind auflösend bedingte Schlusserben (§§ 2075, 158 Abs. 2 BGB) und aufschiebend bedingte Nacherben (§§ 2074, 158 Abs. 1 BGB) des Erstverstorbenen. Durch den Wechsel von der Einheits- zur Trennungslösung beerben sie nicht mehr allein den überlebenden Ehegatten als dessen Vollerben, sondern auch den Erstverstorbenen als dessen Nacherben. Gleichzeitig bleiben sie Ersatzerben des Letztverstorbenen. Wie lange sie Nacherben sind, hängt davon ab, wann der Nacherbfall eintritt. Tritt dieser mit dem Tod des längerlebenden Ehegatten ein, fällt den Kindern das Vermögen später zu. Tritt der Nacherbfall schon mit der Wiederheirat ein, werden sie mit der erneuten Eheschließung endgültige Erben des verstorbenen Elternteils, § 2139 BGB. Die steuerrechtlichen Folgen richten sich nach den §§ 15 ff. ErbStG. – Mit der Wiederheirat tritt der erwünschte Effekt ein. Der neue Ehepartner und andere Pflichtteilsberechtigte werden nur am Nachlass des Wiederheiratenden beteiligt. Vom Nachlass des erstverstorbenen Ehegatten sind sie durch die nachträgliche Trennung der Vermögensmassen ausgeschlossen. Vorteile aus dessen Vermögen kommen ihnen insoweit zugute, als der überlebende Ehegatte als Vorerbe zu Lebzeiten über den Nachlass verfügen kann. Durch den Eintritt der Bedingung gelten die Schutzvorschriften zugunsten der Nacherben (§§ 2113 ff. BGB; dazu Kap. B IV Rz. 42 ff.) mit Rückwirkung vom Erbfall an. Tritt der Nacherbfall mit der Wiederheirat ein, entfällt jede weitere Zugriffsmöglichkeit. Die Kinder aus der ersten Ehe werden mit der erneuten Eheschließung endgültige Erben des verstorbenen Elternteils. Die Vorerbschaft wird von der Vollerbschaft abgelöst, § 2139 BGB.

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Gegen diese Bedingungslösung werden Bedenken1 erhoben. Die Umwandlung der Einheits- in eine Trennungslösung für den Fall der Wiederheirat passe nicht zum Berliner Testament. Sie bedeute für den überlebenden Ehegatten, dass er mit dem Tod des Erstversterbenden praktisch den Beschränkungen des Vorerben unterliege, auch wenn er nicht wiederheirate. Die Auslegung herkömmlicher Wiederverheiratungsklauseln als bedingte Vor- und Nacherbschaft sei reine Fiktion. Sie laufe darauf hinaus, dass der längerlebende Ehepartner im Rechtsverkehr für einen Vollerben gehalten, aber mit dem Erbfall den Verfügungsbeschränkungen eines Vorerben unterworfen sei. Das sei widersprüchlich und stelle einen Gestaltungsfehler dar. Derartige Wiederverheiratungsklauseln seien streitträchtig und stellten keine Seite voll zufrieden. Sie stärkten die Position der erbenden Kinder, benachteiligten jedoch den überlebenden Elternteil. Dieser könne im Alter auf die Unterstützung des neuen Partners angewiesen sein, werde aber an der Wiederheirat gehindert. Es sei sachgerechter, wenn er mit dem neuen Ehegatten einen Pflichtteilsverzichtsvertrag abschließe.

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Der Kritik ist zuzugeben, dass die doppelt bedingte Voll- und Vorerbschaft rechtlich kompliziert ist und für den überlebenden Ehegatten einen erheblichen Eingriff in seine Rechtsposition bedeutet, wenn der Nacherbfall nicht erst mit seinem Tod, sondern mit der Wiederheirat eintritt. Das gilt umso mehr, als die Schutzvorschriften der §§ 2113 ff. BGB auch zugunsten bedingt eingesetzter

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1 Meyer-Kraut, NJW 1992, 143 (147); MüKo.BGB/Musielak, § 2269 Rz. 55 ff.; Rode, LZ 1924, 716 (719); Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2860 ff.). Edenfeld

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B VII

Rz. 91a

Gemeinschaftliches Testament

Nacherben gelten1. Der Nachlass des ersten Elternteils ist bis zur Entscheidung über Eintritt oder Ausfall der Bedingung geschützt. Es kommt nicht darauf an, ob man den längerlebenden Ehepartner bis zur Wiederheirat als Vollerben oder Vorerben ansieht. Er ist in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt. 91a

Andererseits ist die nachträgliche Trennung der Vermögensmassen beider Elternteile der sicherste Weg, um den Zugriff neuer Pflichtteilsberechtigter auf den Nachlass des Erstverstorbenen zu verhindern. Es ist gewährleistet, dass die Substanz auf die Letztbedachten übergeht. Weder der verstorbene Ehegatte noch die Kinder haben Einfluss darauf, dass die hinzutretenden Berechtigten auf ihren Pflichtteil verzichten. Der längerlebende Ehegatte kann den Nachlass zusammen mit seinem neuen Partner zulasten der Abkömmlinge aus erster Ehe schmälern. Dem Wunsch vieler Erblasser, den Nachlass in der „Blutslinie“ weiterzugeben und nicht an Dritte fallen zu lassen, muss man Rechnung tragen. An der Konstruktion einer bedingten Vor- und Nacherbschaft ist festzuhalten.

92

Die herrschende Meinung2 will die erbrechtlichen Folgen der Wiederheirat für den überlebenden Ehegatten dadurch mildern, dass sie ihm eine der ursprünglichen Vollerbenstellung angenäherte Rechtsposition verschafft. Fehlten entgegenstehende Anhaltspunkte, müsse im Zweifel davon ausgegangen werden, dass der zum bedingten Vorerben eingesetzte überlebende Ehepartner die Stellung eines befreiten Vorerben habe (vgl. Rz. 55 und Kap. B IV Rz. 81). Er sei von den in § 2136 BGB genannten Beschränkungen befreit. Nur das Verbot des § 2113 Abs. 2 BGB, unentgeltlich zu verfügen, bleibe bestehen. Dafür spricht, dass dem längerlebenden Elternteil grundsätzlich eine unbeschränkte Verfügungsgewalt zukommen soll. Andererseits muss das Maß des gegenseitigen Vertrauens, wie es im gemeinschaftlichen Testament zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden3. Richtigerweise ist zu differenzieren4:

93

Dadurch, dass sich die Eheleute gegenseitig zu Vollerben und nicht zu Vorerben im Sinne der Trennungslösung einsetzen, bringen sie ihr Vertrauen in die Alleinverantwortung des Überlebenden für den Nachlass zum Ausdruck. Er soll das ihm angefallene Vermögen bis zu dessen Übergang auf die Schlusserben verwalten. Im Zweifel ist anzunehmen, dass er auch bei der bedingten Vorerbeneinsetzung aufgrund einer Wiederverheiratungsklausel von allen Beschränkungen befreit sein soll, die sich auf die Verwaltung des Nachlasses beziehen. An diejenigen Bestimmungen, die die Substanzerhaltung für die Abkömmlinge sichern (z.B. §§ 2133, 2134 BGB), bleibt er gebunden, sofern der Nachlass dem über1 RG v. 25.11.1937 – IV B 34/37, RGZ 156, 172 (181); OLG München, JFG 15, 39 (40); BayObLG v. 22.6.1966 – BReg. 1b Z 12/66, BayObLGZ 1966, 227 (231); Dippel, AcP 177 (1977), 349 (361); Palandt/Weidlich, § 2269 Rz. 20; Wilhelm, NJW 1990, 2857 (2863). 2 KG, KGJ 42, 109 (114 f.); KG, Recht 1930 Nr. 322; BayObLG v. 22.6.1966 – BReg. 1b Z 12/66, FamRZ 1967, 695 (697); OLG Hamm v. 9.7.1971 – 15a W 108/71, DNotZ 1972, 96; Dippel, AcP 177 (1977), 349 (361); Haegele, RPfleger 1976, 73 (76). 3 BGH v. 18.1.1961 – V ZR 83/59, FamRZ 1961, 275 (277). Gegen die Anwendung des § 2136 BGB OLG Stuttgart, JFG 6, 162 (164 f.); Asbeck, MDR 1959, 897 (899); für „ländliche Verhältnisse“ auch BGH v. 5.3.1951 – I ZR 64/50, NJW 1951, 354. 4 Ebenso Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rz. 44; zustimmend Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 2. Aufl. (1986), Rz. 42. 448

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 96

B VII

lebenden Ehegatten nicht als Verwertungsobjekt zustehen soll. Das spielt vor allem bei Verfügungen über Grundbesitz eine Rolle, § 2113 Abs. 1 BGB. Um Auslegungsschwierigkeiten zu entgehen, ist in der Praxis auf die eindeutige und sachgerechte Gestaltung der Wiederverheiratungsklausel Wert zu legen. Dem Sicherungsverlangen der Letztbedachten muss Genüge getan werden, ohne den überlebenden Ehegatten in seiner persönlichen Lebensführung unnötig zu beschränken. Diesen Interessen ist im Rahmen der Beratung Rechnung zu tragen. Unklare und konfliktträchtige Formulierungen, wie „Der überlebende Ehegatte“ soll sich im Fall der Wiederheirat nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinandersetzen“ (vgl. das obige Beispiel Rz. 78) oder „Der überlebende Ehegatte soll im Fall erneuter Eheschließung den Nachlass an die gemeinsamen Kinder herausgeben“ sind zu vermeiden. So lassen sich Auseinandersetzungen zwischen dem Überlebenden, den gemeinsamen Kindern und neuen Pflichtteilsberechtigten vermeiden. Folgende Punkte müssen testamentarisch klar sein:

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– Bedingte Nacherbeneinsetzung der Abkömmlinge, – Zeitpunkt des Nacherbfalls (Wiederheirat oder Tod des Vorerben), – Umfang der Beschränkungen des Vorerben (§§ 2113 ff., 2136 BGB), – ggf. Wegfall der Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigenen Verfügungen und Abfindung der Endbedachten. Die Wiederverheiratungsklausel lässt sich wie folgt formulieren:

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M 69 Wiederverheiratungsklausel mit Vor-/Nacherbschaftslösung Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Heiratet der überlebende Ehegatte wieder, ist er hinsichtlich des gesamten Nachlasses des Vorverstorbenen Vorerbe. Er ist von allen Beschränkungen befreit, sofern dies gesetzlich zulässig ist (§ 2136 BGB). Nacherben sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Der Nacherbfall tritt mit dem Zeitpunkt der erneuten Eheschließung ein. Kommt diese Klausel zur Verwirklichung, fällt die Bindung des längerlebenden Ehegatten an die eigene Verfügung auf seinen Tod vollständig weg; die Schlusserbeneinsetzung entfällt.

Fortdauer oder Ende der Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigenen Verfügungen (§ 2270 BGB) sollten – wie im vorstehenden Beispiel – ausdrücklich geklärt werden. Ohne eine solche Bestimmung kann Streit über den hypothetischen Willen der Ehegatten entstehen, wenn das gemeinschaftliche Testament keine weiteren Anhaltspunkte für die Auslegung liefert. Die überwiegende Ansicht1 geht davon aus, dass der überlebende Ehegatte mit der Wiederheirat im 1 KG, JFG 15, 325 (329 f.); BayObLG v. 17.4.1962 – BReg. 1Z 180/61, MDR 1962, 738 (739); OLG Köln v. 27.10.1975 – 2 Wx 42/75, FamRZ 1976, 552; OLG Hamm v. 23.6. 1994 – 15 W 265/93, FamRZ 1995, 250 = ZEV 1994, 365; Huken, DNotZ 1965, 729 (731); MüKo.BGB/Musielak, § 2269 Rz. 62 m.w.N. Edenfeld

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B VII

Rz. 97

Gemeinschaftliches Testament

Zweifel nicht mehr an die testamentarische Verfügung über seinen Nachlass und die Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Erben gebunden ist. Die Fortdauer der Bindung ist von den Eheleuten in aller Regel nicht beabsichtigt, weil der Längerlebende seine Rechtsstellung als Alleinerbe wegen der Wiederverheiratung verloren hat. Er darf anders über seinen eigenen Nachlass verfügen, seinen neuen Ehegatten und die Kinder aus seiner neuen Ehe bedenken. Die ursprüngliche Bindung entfällt nicht teilweise, sondern vollständig. 97

Unterschiedlich beurteilt wird in Rechtsprechung und Schrifttum die Frage, ob die eigene wechselbezügliche Verfügung des überlebenden Ehegatten mit dessen Wiederverheiratung automatisch gegenstandslos wird oder ob der überlebende Ehegatte sie widerrufen muss. Teilweise1 wird angenommen, dass seine letztwilligen Verfügungen mit der Wiederverheiratung unwirksam werden, ohne dass es eines Widerrufstestaments (§ 2254 BGB) bedarf. Es kann jedoch nicht unterstellt werden, dass die Ehegatten die Gegenstandslosigkeit ihrer Anordnungen wollen. Immerhin kann der längerlebende Ehegatte seinen Willen verwirklichen, indem er neu verfügt. Es spricht einiges dafür, dass die letztwilligen Verfügungen gemeinschaftlicher Testamente gültig bleiben, bis sie durch die Äußerung eines anderen testamentarischen Willens ersetzt werden2.

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Mangels höchstrichterlicher Entscheidung bedeutet das für die Beratungspraxis: – Fortdauer, gänzliches oder teilweises Ende der Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigenen Verfügungen sind im gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich zu regeln. – Ist die testamentarische Regelung versäumt worden, ist dem überlebenden Ehegatten dringend zu empfehlen, die eigene Verfügung zu widerrufen oder, wenn die Bindung nach dem Willen der Testierenden bestehen bleiben sollte, anzufechten, §§ 2281, 2285, 2078 f. BGB analog (dazu Rz. 132 ff.). – Ist der überlebende Ehegatte verstorben, ohne zu widerrufen, bleibt den Erben aus zweiter Ehe die Anfechtung, §§ 2281, 2285, 2078, 2079 BGB analog. Die Anfechtungsfrist ist zu beachten, §§ 2082, 2285 BGB.

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Die vorstehende Problematik zeigt, dass es bei Wiederverheiratungsklauseln nicht allein um die Erhaltung des Nachlasses für die Schlusserben geht. Der längerlebende Ehegatte hat unter bestimmten Umständen ein Interesse daran, die Testierfreiheit auf seinen Tod wiederzuerlangen. Fehlt ein testamentarischer Änderungsvorbehalt, tritt die Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente ein. Sie äußert sich in wechselbezüglichen Verfügungen, §§ 2270, 2271 BGB.

1 KG v. 10.1.1957 – 1 W 2398/56, NJW 1957, 1073; KG v. 7.3.1968 – 1 W 2454/67, FamRZ 1968, 331; OLG Hamm v. 23.6.1994 – 15 W 265/93, ZEV 1994, 365 (366); Leipold, FamRZ 1988, 352 (354); Simshäuser, FamRZ 1972, 273 (276 ff.). 2 OLG Hamm v. 13.3.1987 – 15 U 40/85, JR 1987, 376 (376 f.); OLG Hamm v. 23.6.1994 – 15 W 265/93, FamRZ 1995, 250 = NJW-RR 1994, 1355; Hüber, RPfleger 1981, 41 (44); Palandt/Weidlich, § 2269 Rz. 19; Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rz. 50; offengelassen von BGH v. 15.5.1985 – IVa ZR 231/83, FamRZ 1985, 1123 = WM 1985, 1178 (1179 f.). 450

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 102

B VII

III. Die wechselbezüglichen Verfügungen Wechselbezügliche Verfügungen weisen im Vergleich zu anderen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten drei Besonderheiten auf: Sie sind in ihrem Bestand voneinander abhängig (§ 2270 BGB, dazu Rz. 101 ff.), ihr Widerruf ist erschwert oder ausgeschlossen (§ 2271 BGB, dazu Rz. 113 ff.) und zum Schutz der Schlussbedachten vor lebzeitigen Verfügungen sind die für den Erbvertrag geltenden §§ 2287, 2288 BGB entsprechend anwendbar (dazu Rz. 144 ff.).

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1. Die Wechselbezüglichkeit

Beratungssituation: Die Eheleute setzen sich gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sollen ihre gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen sein. Gleichzeitig ordnen sie eine Dauertestamentsvollstreckung für den gesamten Nachlass nach dem Tod des zweiten Ehegatten an. Als die Ehefrau stirbt, fragt der Ehemann, ob er der ältesten Tochter das Hausgrundstück zuwenden und die Testamentsvollstreckung aufheben kann. a) Bedeutung und Rechtsfolge Treffen die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde, hat die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge, § 2270 Abs. 1 BGB. Wechselbezügliche Verfügungen stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Sie brauchen nicht unbedingt gegenseitig zu sein. Es genügt, wenn der eine Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder sonst nahesteht, § 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB. Entscheidend ist, dass der Ehegatte seine testamentarische Anordnung mit Rücksicht auf die Verfügung des anderen Ehegatten trifft: Die eine steht und fällt mit der anderen1. Wechselbezüglich sind immer einzelne Verfügungen, nie das gemeinschaftliche Testament als solches. Die Eheleute können darin neben wechselbezüglichen auch voneinander unabhängige Anordnungen treffen oder die Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen auf Teile beschränken. Die Wechselbezüglichkeit muss für jede einzelne Anordnung gesondert geprüft werden2.

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Verfügt der eine Ehegatte mit Rücksicht auf die Verfügung des anderen, trifft der andere seine Anordnung aber ohne Rücksicht auf die des Partners, liegt eine einseitige Wechselbezüglichkeit vor. § 2270 Abs. 1 BGB regelt die gegenseitige Abhängigkeit, ist jedoch nach seinem Sinn und Zweck auch auf diesen Fall anzu-

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1 Protokolle V, S. 451; RG v. 14.2.1927 – IV 766/26, RGZ 116, 148 (149); OLG Hamm v. 2.8.1993 – 15 W 115/93, FamRZ 1994, 1210 (1211); OLG Koblenz v. 13.12.2006 – 2 U 80/06, OLGReport 2007, 282; OLG Düsseldorf v. 14.9.2007 – 3 Wx 131/07, OLGReport 2008, 48; OLG München v. 6.7.2007 – 31 Wx 33/07, FamRZ 2008, 728. 2 BayObLG v. 27.8.1985 – BReg. 1Z 20/85, FamRZ 1986, 604 (606); BayObLG v. 29.1. 1993 – 1Z BR 80/92, FamRZ 1993, 1126 (1127); BayObLG v. 23.7.1993 – 1Z BR 26/93, FamRZ 1994, 191 (192); BayObLG v. 26.1.1999 – 1Z BR 44/98, ZEV 1999, 227; Kipp/ Coing, § 35 II 1; Staudinger/Kanzleiter, § 2270 Rz. 2. Edenfeld

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B VII

Rz. 103

Gemeinschaftliches Testament

wenden. Die Verfügung des anderen Ehegatten wird wie eine beiderseitig wechselbezügliche Verfügung behandelt. Die §§ 2270, 2271 BGB gelten analog1. Hebt ein Ehegatte die Wechselbezüglichkeit seiner Verfügung durch neue Verfügung von Todes wegen auf, gilt sie als einseitige fort. Da der andere Ehegatte wieder frei wird, er selbst aber an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden bleibt, steht § 2271 BGB der einseitigen Aufhebung der Bindung nicht entgegen. 103

Die Ehegatten können bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments frei bestimmen, welche ihrer letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen. Das gilt mit einer Einschränkung. § 2270 Abs. 3 BGB lässt die Wechselbezüglichkeit nur für bestimmte Arten von Verfügungen zu. Dies sind wie beim Erbvertrag (vgl. § 2278 Abs. 2 BGB) Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen. Alle anderen Verfügungen können nicht wechselbezüglich sein. Enterbung (§ 1938 BGB), Teilungsanordnung (§ 2048 BGB), Testamentsvollstreckung (§ 2197 BGB) oder Pflichtteilsentziehung (§ 2333 BGB) sind selbst dann nicht wechselbezüglich, wenn die Eheleute es wollen. Im obigen Beispielsfall scheitert die veränderte Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Tochter an den §§ 2270, 2271 BGB, während der Vater nicht gehindert ist, die Testamentsvollstreckung einseitig zu widerrufen. Sein Widerrufsrecht ist nicht nach § 2271 Abs. 2 BGB eingeschränkt, weil die Anordnung einer Testamentsvollstreckung nicht wechselbezüglich sein kann, § 2270 Abs. 3 BGB2.

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Wechselbezügliche Verfügungen bedingen sich gegenseitig in ihrer Wirksamkeit. Die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen führt zur Nichtigkeit der anderen, § 2270 Abs. 1 BGB. Durch die Beschränkung des § 2270 Abs. 3 BGB bleiben Enterbungen, Teilungsanordnungen, Testamentsvollstreckungen oder Pflichtteilsentziehungen gültig, sofern sie nicht vom Erblasser selbst widerrufen (§ 2253 BGB) oder nach seinem Tod von einem Anfechtungsberechtigten angefochten werden, §§ 2078 Abs. 2, 2080 BGB. Allein die Nichtigkeit und der Widerruf führen zur Rechtsfolge des § 2270 Abs. 1 BGB3. Ist eine Verfügung zwar wechselbezüglich, aber aus anderen Gründen gegenstandslos, z.B. weil der Berufene erbunwürdig ist (§ 2339 BGB) oder das Erbe ausschlägt (§ 1944 BGB), sind abhängige Verfügungen allenfalls unwirksam, wenn die Testamentsauslegung ergibt, dass ihre Anordnung durch die Ausführung anderer bedingt sein soll (§§ 158, 2074 f. BGB) oder wenn sie angefochten werden, §§ 2078 Abs. 2, 2080 BGB. Im Übrigen hat die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen, selbstständigen Verfügungen die Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen zur Folge, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde, § 2085 BGB. b) Ermittlung

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Ob und welche Verfügungen der Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich sind, richtet sich nach den allgemeinen Auslegungsgrundsät1 KG, JFG 10, 67 (69 f.); KG v. 16.12.1937 – 1 Wx 584/37, DNotZ 1938, 179 (180); BGBRGRK/Johannsen, § 2270 Rz. 3; Erman/Kappler/Kappler, § 2270 Rz. 2. 2 Zur Auswechslung eines im gemeinschaftlichen Testament ernannten Testamentsvollstreckers durch den überlebenden Ehegatten OLG Hamm v. 6.11.2000 – 15 W 188/00, FamRZ 2001, 1176 = ZEV 2001, 271 m. Anm. Reimann. 3 MüKo.BGB/Musielak, § 2270 Rz. 18. 452

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Gemeinschaftliches Testament

Rz. 108

B VII

zen. Maßgeblich ist in erster Linie der wirkliche Wille der Erblasser, §§ 133, 157, 2084 BGB. Soll die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen und jede Anordnung so mit der anderen verknüpft sein, dass sie mit ihr „steht und fällt“, ist von dem für § 2270 Abs. 1 BGB erforderlichen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis auszugehen. Es kann auch auf Umstände gestützt werden, die außerhalb des Testaments liegen. Die Vermögensverhältnisse, der Grad der Verwandtschaft und das Alter der Eheleute sind wenig aussagekräftig1. Lässt sich der wirkliche Wille der Erblasser nicht ermitteln, ist im Rahmen der ergänzenden Auslegung zu prüfen, wie die Erblasser das Verhältnis bestimmter Verfügungen zueinander gestaltet hätten, wenn ihnen nachträglich eingetretene Umstände bei der Testamentserrichtung bekannt gewesen wären2. Führt die erläuternde oder ergänzende Auslegung zu keinem Ergebnis und lässt sich die Wechselbezüglichkeit aufgrund aller in Betracht kommenden Umstände nicht klären, greift die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ein. Sie enthält zwei Fälle, die miteinander kombiniert sein können. Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten sind im Zweifel wechselbezüglich, wenn

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– sich die Ehegatten gegenseitig bedenken (§ 2270 Abs. 2 Alt. 1 BGB) oder – der eine Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht (§ 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB). aa) Gegenseitige Zuwendungen (§ 2270 Abs. 2 Alt. 1 BGB) Die Ehegatten bedenken sich gegenseitig entweder durch Erbeinsetzung oder Vermächtnis. Der Erbeinsetzung steht es gleich, wenn sie der gegenseitigen gesetzlichen Erbfolge (§ 1931 BGB) absichtlich freien Lauf lassen. Die Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB gilt nicht, wenn sich die Eheleute etwas durch Auflagen zuwenden. Die Auflage ist kein gegenseitiges Bedenken im eigentlichen Sinne3.

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bb) Zuwendungen an Dritte (§ 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB) Der gegenseitigen Erbeinsetzung steht es gleich, wenn der eine Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person trifft, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht. In dieser Alternative des § 2270 Abs. 2 BGB ist zwischen Verwandten und anderen nahestehenden Personen zu unterscheiden. 1 RG v. 14.2.1927 – IV 766/26, RGZ 116, 148 (149 f.); RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (172); BGH v. 13.2.1957 – IV ZR 243/56, LM Nr. 2 zu § 2270 BGB; BayObLG v. 28.4.1992 – 1Z BR 17/92, FamRZ 1992, 1102 (1103); BayObLG v. 12.8.1994 – 1Z BR 152/93, FamRZ 1995, 251 (252 f.); Staudinger/Kanzleiter, § 2270 Rz. 22. 2 OLG München HRR 1942 Nr. 839; KG v. 3.1.1963 – 1 W 2345/62, NJW 1963, 766 (768); BayObLG v. 12.8.1994 – 1Z BR 152/93, FamRZ 1995, 251 (252 f.); Staudinger/ Kanzleiter, § 2270 Rz. 22. 3 BGB-RGRK/Johannsen, § 2270 Rz. 14; Erman/Kappler/Kappler, § 2270 Rz. 4; a.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2270 Rz. 10. Zum Vermächtnis OLG Hamm v. 2.8.1993 – 15 W 115/93, FamRZ 1994, 1210 (1212). Edenfeld

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B VII 109

Rz. 109

Gemeinschaftliches Testament

– Der Begriff der Verwandtschaft ist in § 1589 BGB definiert. Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in gerader Linie verwandt. Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt. Der Grad der Verwandtschaft richtet sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten. Der häufigste Anwendungsfall dieser Auslegungsregel ist die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten und die Berufung der Kinder des einen oder beider Ehegatten nach dem Tod des Letztversterbenden1. Das Gesetz geht davon aus, dass jeder Ehepartner die Kinder testamentarisch bedenkt, weil es auch der andere tut:

M 70 Grundformel des Berliner Testaments Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. 110

– Schwerer fällt die Feststellung, wer zu den sonst nahestehenden Personen gehört. Das können Verschwägerte, Freunde, Nachbarn, langjährige Angestellte, Mitbewohner oder andere natürliche Personen sein. Um die gesetzliche Vermutung nicht zur Regel werden zu lassen, werden strenge Anforderungen gestellt. Es müssen enge persönliche Beziehungen bestehen, die mindestens dem üblichen Verhältnis zu Verwandten entsprechen2. Das zeigt das Wort „sonst“ in § 2270 Abs. 2 BGB. Gutnachbarliche Beziehungen reichen nicht aus. Personen, die zur Zeit der Testamentserrichtung noch nicht geboren oder dem Erblasser anderweitig unbekannt waren, stehen ihm nicht persönlich nahe. Im Fall der Schwägerschaft spielt es eine Rolle, durch welchen der Ehegatten sie vermittelt wird. Maßgeblich ist das Verhältnis der Beteiligten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Die Einsetzung eines Schlusserben (§ 2269 BGB), der mit keinem der Eheleute verwandt oder verschwägert ist, ist im Zweifel nicht wechselbezüglich.

1 OLG München v. 13.9.2010 – 31 Wx 119/10, FamRZ 2011, 679 = ZEV 2011, 315. Vgl. aber die Entscheidungen BayObLG v. 4.3.1996 – 1Z BR 160/95, FamRZ 1996, 1040; BayOblG v. 2.7.1985 – 1Z 42/85, Rpfleger 1985, 445, nach denen die Verfügungen von Eheleuten in einem gemeinschaftlichen Testament, in dem sie gemeinsame Kinder zu Schlusserben einsetzen, nicht wechselbezüglich sind. Zur Wechselbezüglichkeit bei Schlusserbeinsetzung eines Neffen OLG Nürnberg v. 30.9.2009 – 14 U 2056/08, FamRZ 2010, 1765 = ZEV 2010, 411. 2 BayObLG v. 2.7.1985 – BReg. 1Z 42/85, FamRZ 1985, 1287 (1289); BayObLG v. 10.4. 1991 – BReg. 1a Z 60/90, FamRZ 1991, 1232 (1234) m. Anm. Hohloch, JuS 1992, 77 f.; BayObLG v. 23.7.1993 – 1Z BR 26/93, FamRZ 1994, 191 (193); KG v. 16.2.1993 – 1 W 6261/91, FamRZ 1993, 1251 = OLGZ 1993, 398 (403); OLG Koblenz v. 13.12.2006 – 2 U 80/06, OLGReport 2007, 282; OLG München v. 16.4.2007 – 31 Wx 108/06, OLGReport 2008, 445 (für gemeinsame Bekannte); Bengel, DNotZ 1977, 5 (8); Staudinger/ Kanzleiter, § 2270 Rz. 31. Auch die Schlusserbeneinsetzung juristischer Personen in einem gemeinschaftlichen Testament kann im Einzelfall wechselbezüglich sein, OLG München v. 1.10.1999 – 23 W 1996/99, FamRZ 2000, 853 = ZEV 2000, 104 (105); LG Stuttgart v. 20.4.1999 – 2 T 28/99 u. 29/99, ZEV 1999, 441 (442 f.); a.A. Staudinger/ Kanzleiter, § 2270 Rz. 22. 454

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Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 113

B VII

cc) Widerlegung der Vermutung Derjenige, der aus der Wechselbezüglichkeit Rechte herleiten will, muss beweisen, dass jede Verfügung mit Rücksicht auf die andere getroffen ist. Dabei hilft ihm die Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB. Sie ist nach allgemeinen Grundsätzen widerlegbar, § 292 ZPO. Sie ist widerlegt, wenn festgestellt wird, dass die Eheleute ihre Verfügungen unabhängig voneinander treffen wollten. Das kann sich aus früheren Äußerungen, dem Verhältnis ihrer Vermögensmassen, der Höhe der beiderseitigen Zuwendungen, den Zuwendungen während der Ehe und der finanziellen Vorsorge auf den Todesfall ergeben.

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Beratungshinweis: Die Tatsache, dass der eine Ehegatte erheblich vermögender ist als der andere (vgl. Rz. 69), spricht gegen die Wechselbezüglichkeit, reicht aber nicht aus, um die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Namentlich bei langer und intakter Ehe lassen sich die Partner nicht nur von wirtschaftlichen Überlegungen leiten1. Bei gemeinschaftlichen Testamenten mit vielfältigen Anordnungen entsteht erfahrungsgemäß immer wieder Streit darüber, welche Verfügungen bindend sind und welche nicht. Man denke etwa an den Fall, dass der eingesetzte Schlusserbe wegfällt. Hier ist § 2270 Abs. 2 BGB auf Ersatzerben nur anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Eheleute feststellen lassen, die Ersatzerbfolge also nicht allein auf § 2069 BGB beruht2. Die Wechselbezüglichkeit sollte nicht der erläuternden oder ergänzenden Auslegung oder der Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB überlassen, sondern ausdrücklich klargestellt werden:

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M 71 Anordnung der Wechselbezüglichkeit im Ehegattentestament 1. Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. 2. Unser Patenkind Charlotte erhält aus dem Nachlass des Längerlebenden ein Geldvermächtnis in Höhe von 50 000 Euro. 3. Die unter Punkt 1 getroffenen Verfügungen sind wechselbezüglich. Die unter Punkt 2 getroffene Anordnung ist einseitig und kann vom überlebenden Ehegatten jederzeit geändert werden.

2. Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen Die in gemeinschaftlichen Testamenten enthaltenen Verfügungen können ebenso wie Anordnungen in gewöhnlichen Testamenten grundsätzlich jederzeit frei 1 RG v. 14.2.1927 – IV 766/26, RGZ 116, 148 (150); BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (37); OLG Hamm v. 7.11.1994 – 15 W 288/94, FamRZ 1995, 1022 = ZEV 1995, 146 (147); BayObLG v. 12.8.1994 – 1Z BR 152/93, FamRZ 1995, 251 (252); OLG Saarbrücken v. 21.6.1990 – 5 W 95/90, FamRZ 1990, 1285 (1286); Lange, NJW 1963, 1571 (1572 ff.). 2 BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, MDR 2002, 456 = FamRZ 2002, 747. Anders noch BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277. Edenfeld

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widerrufen werden, §§ 2253 ff. BGB. Das kann durch inhaltlich widersprechende Verfügungen (§§ 2254, 2258 BGB), gemeinschaftliche Vernichtung der Testamentsurkunde (§ 2255 BGB), gemeinschaftliche Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§§ 2256, 2272 BGB; dazu Rz. 18) oder Erbvertrag (§ 2289 Abs. 1 S. 1 BGB, vgl. auch § 2291 BGB) geschehen. Für wechselbezügliche Verfügungen enthält § 2271 BGB eine wichtige Sonderregelung. Sie verwirklicht die besondere Bindungswirkung voneinander abhängiger Verfügungen. Das Gesetz unterscheidet im Hinblick auf die Widerrufsmöglichkeit danach, ob die Ehegatten leben (§ 2271 Abs. 1 BGB) oder ob einer von ihnen bereits verstorben ist, § 2271 Abs. 2 BGB. a) Der Widerruf zu Lebzeiten der Ehegatten (§ 2271 Abs. 1 BGB) 114

Treffen die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezügliche Verfügungen, gehen sie davon aus, dass jede mit der anderen „steht und fällt“. Beide wollen, dass die Anordnungen des Partners wirksam sind, solange die eigenen Bestand haben. Die Rechtsfolge des § 2270 Abs. 1 BGB, wonach der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge hat, birgt Gefahren. Es muss verhindert werden, dass ein Ehegatte durch seinen einseitigen Widerruf die Nachlassregelung des anderen durcheinander bringt oder heimlich hinter dem Rücken des anderen Ehegatten widerruft. Da jeder auf den Fortbestand seiner letztwilligen Anordnungen vertraut, muss aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sichergestellt sein, dass er vom Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung erfährt und darauf zu Lebzeiten reagieren kann. Dem trägt § 2271 Abs. 1 BGB in zweierlei Weise Rechnung: aa) Ausschluss neuer Verfügungen

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Keiner der Ehegatten kann zu Lebzeiten des anderen eine wechselbezügliche Verfügung durch eine Verfügung von Todes wegen einseitig aufheben. § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB verhindert neue Anordnungen, soweit sie Anordnungen im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB widersprechen und den bedachten Ehepartner beeinträchtigen. Er schränkt nicht die Testierfreiheit ein. Neue einseitige Verfügungen sind zulässig, wenn die wechselbezügliche Verfügung unwirksam oder gegenstandslos geworden ist:

Beratungssituation: Die Eheleute setzen sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben ein. Weitere letztwillige Verfügungen werden nicht getroffen. Später vermacht die Ehefrau ihrer Schwester in einem einseitigen privatschriftlichen Testament 20 000 Euro. Als die Eheleute bei einem Autounfall tödlich verunglücken, weigern sich die Kinder unter Berufung auf das gemeinschaftliche Testament, ihrer Tante das Vermächtnis in Höhe von 20 000 Euro auszuzahlen. Die Eheleute haben es versäumt, eine Regelung für den Fall zu treffen, dass sie gleichzeitig versterben. Die gegenseitige Erbeinsetzung ist gegenstandslos. Keiner beerbt den anderen (dazu Rz. 26). Jeder Ehegatte wird von seinen gesetzlichen Erben beerbt. Der den Kindern zufallende Nachlass der Mutter ist mit einem Vermächtnis zugunsten ihrer Tante belastet, § 2174 BGB. § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB kommt ihnen nicht zugute, weil das Vermächtnis nicht im Widerspruch zu einer gültigen wechselbezüglichen Verfügung steht. Ist diese gegenstandslos geworden, steht einem einseitigen Testament nichts im Wege. Die un456

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zureichende Gestaltung des gemeinschaftlichen Testaments wirkt sich zum Nachteil der Abkömmlinge aus. Nach herrschender Ansicht1 scheitert eine einseitige Verfügung auch nicht an § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn der andere Ehegatte rechtlich besser gestellt wird als nach dem gemeinschaftlichen Testament. Dem ist insofern zuzustimmen, als die Möglichkeit, zugunsten des anderen von bindenden Verfügungen abzuweichen, dem hypothetischen Willen der Erblasser entspricht. Im Rahmen der Auslegung ist zu bedenken, dass die Besserstellung des Ehegatten zulasten anderer durch die wechselbezügliche Verfügung Bedachter geht:

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Beratungssituation: Um die doppelte steuerliche Belastung nach der Einheits- und Trennungslösung zu vermeiden, setzen die Eheleute ihre gemeinsamen Kinder zu Vollerben des Erstversterbenden ein. Sich selbst vermachen sie gegenseitig einen lebenslänglichen Nießbrauch am Nachlass des Erstversterbenden (dazu Rz. 52). Später errichtet die Ehefrau ein einseitiges Testament, in dem sie ihren Ehemann zum Alleinerben einsetzt. Nach dem Tod der Mutter fragen die Kinder, ob sie (Mit-)Erben geworden sind. Die im einseitigen Testament der Frau enthaltene Anordnung ändert die Bestimmung des gemeinschaftlichen Testaments zum Vorteil des Ehemannes. Er wird Vollerbe anstatt Nießbraucher. Die spätere Verfügung ist nach überwiegender Meinung zulässig. Lässt man im vorstehenden Beispiel die Aufhebung der wechselbezüglichen Verfügung zu, kommt der Schutz der §§ 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 1 BGB nur dem überlebenden Ehegatten zugute. Die Kinder haben trotz ihrer Begünstigung durch das gemeinschaftliche Testament kein unentziehbares Recht auf den Erwerb der Erbschaft. Aus ihrer Sicht wäre ein Erbvertrag (§§ 2274 ff. BGB) vorteilhafter gewesen. Unschädlich ist es, wenn eine spätere Verfügung die wechselbezügliche wiederholt. Sie bestärkt das Erbrecht und kann im Fall des öffentlichen Testaments den Erbschein entbehrlich machen, § 35 GBO. Im Übrigen ist es den Eheleuten unbenommen, sich die einseitige Aufhebung wechselbezüglicher Verfügungen ausdrücklich zu gestatten. Auch die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments kann ergeben, dass der andere Ehegatte unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sein soll, abweichend von wechselbezüglichen Verfügungen zu testieren2. Bei der Aufnahme eines Änderungsvorbehalts in ein gemeinschaftliches Testament ist darauf zu achten, dass die Wechselbezüglichkeit nicht infrage gestellt wird. Geht die Gestattung soweit, dass der andere beliebig testieren kann, dürfte es an der Wechselbezüglichkeit fehlen.

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bb) Widerruf nur in der Form des § 2296 BGB Die Ehegatten dürfen wechselbezügliche Verfügungen nicht einseitig durch eine neue Verfügung von Todes wegen aufheben, können diese jedoch einseitig wi1 BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (264 ff.) m. Anm. Bärmann, NJW 1960, 142 f.; BayObLG v. 20.7.1966 – BReg. 1b Z 27/66, BayObLGZ 1966, 242 (245); Palandt/ Weidlich, § 2271 Rz. 15; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 12. 2 BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (37); BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (265 f.); Kipp/Coing, § 35 III 4; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 22. Edenfeld

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derrufen, § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Widerruf ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die wirksam wird, wenn sie dem anderen zugeht. Das Gesetz verlangt zusätzlich die Einhaltung der für den Rücktritt von Erbverträgen geltenden Form des § 2296 BGB. Der Widerruf muss persönlich erklärt werden und erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Ehepartner. Er bedarf der notariellen Beurkundung. Dadurch wird verhindert, dass ein Ehegatte heimlich hinter dem Rücken des anderen widerruft. Der Partner soll vom Widerruf erfahren und zu Lebzeiten durch eine neue Erbfolgeregelung darauf reagieren können. 119

Der Widerruf ist wirksam, wenn die Formalia des § 2296 Abs. 2 BGB eingehalten sind. Der Widerrufende muss dem anderen Ehegatten die Urschrift oder eine Ausfertigung (§§ 47 ff. BeurkG) der Widerrufserklärung zugehen oder zustellen lassen, §§ 130, 132 BGB. Eine einfache oder beglaubigte Abschrift genügt nicht1. Anders als die Widerrufserklärung bedarf die Übermittlung keiner Form. Aus Beweisgründen ist die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher ratsam, §§ 166 ff. ZPO. Enthält das gemeinschaftliche Testament sowohl wechselbezügliche als auch selbstständige Verfügungen, muss der Erblasser beim Widerruf der wechselbezüglichen die Form des § 2296 Abs. 2 BGB und beim Widerruf der einseitigen die Vorschriften über den Widerruf gewöhnlicher Testamente (§§ 2253 ff. BGB) beachten. Der Widerruf ist letztwillige Verfügung und nach § 2078 BGB anfechtbar. Der widerrufende Ehegatte muss testierfähig sein. Notfalls kann der gesetzliche Vertreter eines geschäftsunfähig gewordenen Ehegatten mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts widerrufen, § 2282 Abs. 2 BGB analog2. Probleme tauchen auf, wenn der Widerrufende oder der Adressat zwischen Abgabe und Zugang des Widerrufs sterben.

Beratungssituation: Die Eheleute setzen sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben ein. Später widerruft der Ehemann das Testament in notariell beurkundeter Form. Er weist den Notar an, die Ausfertigung der Urkunde erst nach seinem Tod der Ehefrau zukommen zu lassen. Zugleich setzt er seinen Bruder zum Alleinerben ein. Als die Ehefrau nach dem Tod des Mannes die Widerrufserklärung vom Notar erhält, fühlt sie sich getäuscht und fragt, ob der Widerruf gültig ist. Im vorstehenden Beispiel ist der Erklärende nach Abgabe, aber vor Zugang des Widerrufs verstorben. Da der Widerruf eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ist, gilt § 130 Abs. 2 BGB. Auf die Wirksamkeit der Erklärung hat es keinen Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird3. Danach ist es unschädlich, dass der Ehemann vor Zugang des Widerrufs verstorben ist. Das gilt jedoch nicht, wenn der Widerrufende den Zugang absichtlich verzögert hat oder sich der Zugang ungewollt so verspätet, dass der Adressat mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte4. § 130 Abs. 2 BGB 1 BGH v. 28.9.1959 – III ZR 112/58, BGHZ 31, 5 (7); BGH v. 19.10.1967 – III ZB 18/67, BGHZ 48, 374 (377 f.); BGH v. 7.6.1995 – VIII ZR 125/94, MDR 1995, 1108 = NJW 1995, 2217; a.A. Jansen, NJW 1960, 475 f.; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 8. 2 A.A. MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 6. 3 BGH v. 12.12.1975 – IV ZR 101/74, JZ 1976, 243 (244); OLG Hamm v. 16.7.1991 – 15 W 133/91, FamRZ 1991, 1486 (1487); Dilcher, JuS 1961, 20 (21). 4 BGH v. 1604.1953 – IV ZB 25/53, BGHZ 9, 233 (236); BGH v. 19.10.1967 – III ZB 18/67, BGHZ 48, 374 (380 ff.); Dilcher, JZ 1968, 188 f.; Roth, NJW 1992, 791 (792). 458

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ordnet dem anderen Ehegatten das Risiko, vom Widerruf zu spät zu erfahren und nicht mehr neu testieren zu können, so lange zu, wie der Tod ein zufälliges Ereignis nach Abgabe der Erklärung ist. Missbräuchliche oder ungewöhnliche Verzögerungen werden vom Schutzzweck der Norm nicht gedeckt. Keiner der Ehegatten soll heimlich widerrufen und das Vertrauen des anderen auf den Bestand der wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament enttäuschen können, § 2271 Abs. 1 BGB. Da der Ehemann seine Erklärung bewusst nach dem Tod der Frau hat zugehen lassen, ist der Widerruf unwirksam. Die Ehefrau ist Alleinerbin. Der Widerruf ist auch unwirksam, wenn der Notar dem anderen Ehegatten eine Abschrift der Erklärung und erst nach dem Tod des Widerrufenden die Urschrift oder eine notarielle Ausfertigung zukommen lässt1. Erschleicht der eine Ehegatte die öffentliche Zustellung des Widerrufs, soll sie dennoch wirksam sein2. Das ist insofern zweifelhaft, als der eine Ehegatte den anderen wie im Fall der absichtlichen Zugangsverzögerung hintergeht. Er will selbst anders testieren, den Ehepartner davon aber nicht in Kenntnis setzen und an einer neuen Verfügung von Todes wegen hindern. Das Ergebnis lässt sich nur vor dem Hintergrund der §§ 132 Abs. 2 BGB, 203 ff. ZPO aufrechterhalten und setzt voraus, dass gegen denjenigen, der aus einer nach dem Widerruf errichteten neuen letztwilligen Verfügung Rechte herleitet, der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) erhoben werden kann3.

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Stirbt nicht der widerrufende Ehegatte, sondern der Adressat des Widerrufs zwischen Abgabe und Zugang, greift § 130 Abs. 2 BGB nach seinem Wortlaut nicht ein. Die Erklärung geht dem verstorbenen Ehepartner nicht mehr wirksam zu, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB. Die wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments bleiben bestehen4. Auch gegenüber einem Geschäftsunfähigen kann das gemeinschaftliche Testament nicht mehr widerrufen werden5.

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Den Ehegatten ist es unbenommen, ihre wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments zu Lebzeiten gemeinsam zu widerrufen. Wissen beide vom Widerruf des anderen, steht der Schutzzweck des § 2271 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Die Eheleute können ein neues gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag errichten (§ 2289 Abs. 1 S. 1 BGB), die Testamentsurkunde gemeinschaftlich vernichten (§ 2255 BGB) oder das gemeinschaftliche Testament gemeinsam aus der amtlichen Verwahrung zurücknehmen (§§ 2256, 2272 BGB). Für die Aufhebung von Vermächtnissen und Auflagen gilt die erbvertragliche Erleichterung des § 2291 BGB entsprechend6. Danach genügt es, dass der Ehegatte, der das Vermächtnis oder die Auflage angeordnet hat, seine Verfügung durch ein-

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1 BGH v. 19.10.1967 – III ZB 18/67, BGHZ 48, 374 (380 ff.); OLG Hamm v. 16.7.1991 – 15 W 133/91, FamRZ 1991, 1486 (1487); Palandt/Weidlich,§ 2271Rz. 7. 2 BGH v. 31.1.1975 – IV ZR 18/74, BGHZ 64, 5 (8); ebenso Lange/Kuchinke, § 24 VI 2; a.A. Johannsen, DNotZ Sonderheft 1977, 69 (72). 3 BGH v. 31.1.1975 – IV ZR 18/74, BGHZ 64, 5 (8 f.); Lange/Kuchinke, § 24 VI 2. 4 RG v. 9.3.1907 – Rep. V. 329/06, RGZ 65, 270 (273); Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 6. 5 BayObLG v. 12.6.2002 – 1Z BRH 1/02, ZEV 2003, 287; OLG Nürnberg v. 6.6.2013 – 15 W 764/13, MDR 2013, 1409 = FamRZ 2013, 1842 = NJW 2013, 2909. 6 BGB-RGRK/Johannsen, § 2271 Rz. 8; Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 2; Staudinger/Kanzleiter, § 271 Rz. 7. Edenfeld

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faches Testament widerruft und der andere Ehegatte in einer öffentlich beurkundeten Erklärung seine Zustimmung erklärt. b) Der Widerruf nach dem Tod eines Ehegatten (§ 2271 Abs. 2 BGB) 123

Nach dem ersten Erbfall verstärkt sich die Bindung an die wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament. Sie nimmt erbvertragliche Züge an. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB stellt sicher, dass der Wille des verstorbenen Ehegatten durchgeführt wird: Mit dem Tod des Ehegatten erlischt das Recht des anderen, wechselbezügliche Verfügungen zu widerrufen. Die Bindung ist umfassend, wenn der erstverstorbene Ehegatte dem Überlebenden nicht den Widerruf nach seinem Tod gestattet hat oder sich im Einzelfall aus der ergänzenden Testamentsauslegung ein Abänderungsrecht ergibt. Der Überlebende darf weder Wertverschiebungen zuungunsten einzelner Bedachter (Teilungsanordnungen etc.) noch sonstige einschränkende Anordnungen (Testamentsvollstreckung usw.) treffen, die den Bedachten entgegen der wechselbezüglichen Verfügung schlechterstellen1.

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Einseitige Anordnungen, die den Bedachten begünstigen, sind nach dem Tod des ersten Ehegatten ebenso zulässig wie solche, die wechselbezügliche Verfügungen inhaltlich wiederholen. Die Bindung an eine wechselbezügliche Verfügung entfällt auch, wenn die andere Verfügung gegenstandslos wird. Teilweise2 wird angenommen, dass Verfügungen, die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen, nicht der Bindung des § 2271 Abs. 2 BGB unterliegen. Der Überlebende sei zur Anordnung eines Vermächtnisses zugunsten ihm Nahestehender stillschweigend ermächtigt, wenn es der Dank für langjährige Pflegedienste sei. Diese Ansicht ist mit dem BGH3 abzulehnen. Verfügungen, die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen, sind von der Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen nicht ausgenommen. § 2271 Abs. 2 BGB liefert nach seinem Wortlaut keinen Anhalt für eine Ausnahme. Auch nach seinem Sinn und Zweck besteht dafür kein Bedürfnis. Belohnungen können durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden bewirkt werden. Die Frage der inhaltlichen Angemessenheit des Vermächtnisses führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Das sollte bei der ergänzenden Testamentsauslegung bedacht werden.

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Dem überlebenden Ehegatten bleiben drei Wege, um sich von der Bindungswirkung des § 2271 Abs. 2 BGB zu befreien: – durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) – durch Anfechtung entsprechend §§ 2281 ff. BGB – durch Ausübung eines ihm eingeräumten Änderungsrechts. 1 BGH v. 4.12.1968 – IV ZR 550/68, FamRZ 1969, 207 (208); BayObLG v. 20.7.1990 – BReg. 1a Z 34/90, FamRZ 1991, 111 (113); OLG Frankfurt v. 18.1.1993 – 4 U 173/91, WM 1993, 803 (804); OLG Braunschweig v. 11.11.1994 – 5 U 13/94, ZEV 1996, 69 (70). 2 OLG Köln, LZ 1928, 1710; v. Lübtow I, S. 501; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 25. 3 BGH v. 30.11.1977 – IV ZR 165/76, FamRZ 1978, 182 (183). Bedenklich ist es, wenn das Gericht die nach § 2271 Abs. 2 BGB unwirksame Verfügung durch Umdeutung (§ 140 BGB) in ein Rechtsgeschäft unter Lebenden aufrechterhält, dazu Schubert, JR 1978, 289 f.; Tiedtke, NJW 1978, 2572 (2576). 460

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aa) Die Ausschlagung (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) Schlägt der längerlebende Ehegatte das ihm Zugewendete aus, gewinnt er seine Testierfreiheit zurück, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Zugewendet sein können Erbeinsetzung, Erbteil oder Vermächtnis. Auf ihren vermögensmäßigen Wert kommt es nicht an. Auch bei wirtschaftlich wertlosen Zuwendungen entfällt die Bindung. Für die Ausschlagung gelten die §§ 1942 ff., 1953, 2176 und 2180 BGB. Sie erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht in öffentlich beglaubigter Form, § 1945 Abs. 1 BGB. Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Wochen. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt, § 1944 Abs. 1, 2 BGB (Näheres Kap. C II).

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Die Ausschlagung hebt nicht die wechselbezüglichen Verfügungen auf, sondern verschafft dem überlebenden Ehegatten das Recht, abweichende testamentarische Anordnungen zu treffen. Um die wechselbezüglichen Verfügungen außer Kraft zu setzen, muss er durch Widerrufstestament (§ 2254 BGB), widersprechendes Testament (§ 2258 BGB) oder Erbvertrag (§ 2289 BGB) anders testieren. Vernichtung der Testamentsurkunde (§ 2255 BGB) oder Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB) genügen nicht1. Werden wechselbezügliche Verfügungen widerrufen, werden auch entsprechende wechselbezügliche Verfügungen des verstorbenen Ehegatten unwirksam, § 2270 Abs. 1 BGB.

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Ist dem überlebenden Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament nichts zugewandt, steht ihm diese Möglichkeit nicht offen. Er kann sich von seiner Bindung an die eigene Verfügung befreien, wenn er das Gegenseitigkeitsverhältnis der wechselbezüglichen Verfügungen aufhebt. Durch den Verzicht auf die Zuwendung muss er ein persönliches Opfer bringen.

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In der Praxis stellt sich gelegentlich die Frage, ob er seine Testierfreiheit zumindest dann zurückgewinnt, wenn derjenige, dem anstelle des überlebenden Ehegatten etwas zugewandt ist, ausschlägt.

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Beratungssituation: Die Ehegatten bedenken sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament nicht gegenseitig, sondern ihre gemeinsame Tochter. Der erstverstorbene Ehegatte setzt nicht den überlebenden, sondern sogleich die Tochter durch wechselbezügliche Verfügung (§ 2270 Abs. 1 BGB) zur Erbin ein. Nach dem Tod des Ehemannes fragt die Frau, ob sie anderweitig testieren kann, wenn sie oder ihre Tochter ausschlägt. Die eigene Ausschlagung nützt der Ehefrau nichts. Ihr ist nichts zugewendet im Sinne von § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Ein Teil des Schrifttums2 will diese Vorschrift für den Fall, dass ein Verwandter oder eine andere nahestehende Person als begünstigter Dritter ausschlägt, entsprechend anwenden. Der Gesetzgeber habe die Möglichkeit, dass ein Dritter durch die wechselbezügliche Verfügung bedacht wird, übersehen. Dieser Fall sei dem in § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB geregelten gleichzustellen. Folgt man dem, könnte die Ehefrau ihre wechselbezüglichen Verfügungen aufheben, wenn die Tochter die Zuwendung ausschlägt. 1 KG, KGJ 48, 99 (101); Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 2; v. Lübtow I, S. 507. 2 Brox, Rz. 192; Ebenroth, Rz. 227; Kipp/Coing, § 35 III 3b; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280). Edenfeld

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Die herrschende Meinung1 lehnt das zu Recht ab. Es fehlt an einer analogiefähigen Lücke. § 2271 BGB soll widersprüchliches Verhalten des überlebenden Partners verhindern. Die gemeinsame Nachlassregelung der Eheleute ist so lange gültig, bis der Überlebende ausschlägt und zum Ausdruck bringt, dass er sich daran nicht mehr gebunden fühlt. Das Verhalten bedachter Dritter spielt nach der gesetzlichen Wertung für die Wiedererlangung der Testierfreiheit der am gemeinschaftlichen Testament Beteiligten keine Rolle. Legt man das zugrunde, bleibt der Ehefrau die eng begrenzte Möglichkeit der Aufhebung nach § 2271 Abs. 2 S. 2 i.V.m. §§ 2294, 2336 BGB (Pflichtteilsentziehung) und § 2271 Abs. 3 BGB i.V.m. §§ 2289 Abs. 2, 2338 BGB (Beschränkung in guter Absicht) oder der Anfechtung.

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Das Vorstehende gilt auch, wenn sowohl dem Ehegatten als auch einem Dritten etwas zugewendet wird. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB verlangt allein, dass der längerlebende Ehegatte das ihm Zugewendete ausschlägt. Auf das Verhalten anderer durch wechselbezügliche Verfügung Bedachter kommt es nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht an. Der Dritte muss nicht ausschlagen2. Die Bindung des überlebenden Ehegatten entfällt im Übrigen, wenn ein als Schlusserbe bedachter Dritter (§ 2270 Abs. 2 BGB) vertraglich auf sein Erbrecht verzichtet. Die letztwillige Verfügung des Überlebenden wird in diesem Fall gegenstandslos, sofern keine Ersatzerbfolge (§ 2069 BGB) angeordnet ist3. Fällt der in einem Ehegattentestament eingesetzte Schlusserbe weg, ist § 2270 Abs. 2 BGB auf Ersatzerben nur anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Eheleute feststellen lassen, die Ersatzerbfolge also nicht allein auf § 2069 BGB beruht4.

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Schlägt der längerlebende Ehegatte das ihm Zugewendete aus, kann er gesetzlicher Erbe des verstorbenen Ehegatten sein, § 1948 Abs. 1 BGB. Das wird relevant, wenn der Dritte nicht Ersatzerbe (§ 2096 BGB) des Ausschlagenden ist und eine Anwachsung nach § 2094 BGB ausscheidet. Die Annahme des entsprechenden gesetzlichen Erbes läuft der Intention des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB zuwider. Der Erstverstorbene will regelmäßig nicht, dass der Längerlebende seine wechselbezügliche Verfügung aufhebt und die gleiche Zuwendung aus einem anderen Berufungsgrund bekommt. Der Längerlebende könnte sich so nach dem Tod des Ehepartners ungerechtfertigte Vorteile verschaffen. Er erlangt seine Testierfreiheit zurück, wenn er auch auf sein gesetzliches Erbe verzichtet. Unter dieser Voraussetzung wird er von der eingegangenen Bindung frei. Eine Ausnahme kommt in Betracht, wenn der gesetzliche Erbteil erheblich geringer ausfällt als das testamentarisch Zugewendete5. 1 Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 15; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 23; Palandt/ Weidlich, § 2271 Rz. 17. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 15; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 24; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 41; a.A. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 17; Pfeiffer, FamRZ 1993, 1266 (1280): Beide müssen ausschlagen. 3 Vgl. OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203 = OLGZ 1982, 272 (276); OLG Köln v. 23.7.1982 – 6 U 199/81, FamRZ 1983, 837 f. m. Anm. Brems, FamRZ 1983, 1278 f. 4 BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, MDR 2002, 456 = FamRZ 2002, 747. Anders noch BGH v. 22.9.1982 – IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277. 5 OLG München, JFG 15, 36 (38); KG v. 24.7.1990 – 1 W 949/89, MDR 1991, 155 = NJW-RR 1991, 330 (331); v. Lübtow I, S. 506; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 25; anders Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 19. 462

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Rz. 134

B VII

bb) Die Anfechtung (§§ 2281 ff. BGB analog) Zu Lebzeiten beider Ehegatten bedarf es keiner Anfechtung. Beide können ihre Verfügungen frei widerrufen, § 2271 Abs. 1 BGB. Gleiches gilt für einseitige Verfügungen nach dem Tod des ersten Ehepartners. Wegen der Widerrufsmöglichkeit muss der Testator nicht anfechten. Nur wechselbezügliche Verfügungen, die mit dem Tod des ersten Ehegatten nach § 2271 Abs. 2 BGB unwiderruflich geworden sind, können wie vertragsmäßige erbvertragliche Verfügungen angefochten werden. Grundlage dafür ist die entsprechende Anwendung der §§ 2281 ff. i.V.m. §§ 2078, 2079 BGB1. Sie rechtfertigt sich aus einer vergleichbaren Interessenlage desjenigen, der vertragsmäßig (§§ 2274 ff. BGB) oder wegen § 2271 Abs. 2 BGB an letztwillige Verfügungen gebunden ist. Der Erblasser soll durch das gemeinschaftliche Testament nicht stärker gebunden sein als durch einen Erbvertrag.

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Der praktisch häufigste Anwendungsfall ist die Wiederheirat des überlebenden Ehegatten (dazu Rz. 78 ff.):

133

Beratungssituation: Die Ehegatten setzen sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Schon wenige Monate nach dem Tod der Ehefrau geht der Mann eine neue Ehe ein. Er fragt, ob er das gemeinschaftliche Testament anfechten kann. An eine Wiederheirat habe man seinerzeit nicht gedacht. Die Anfechtung der wechselbezüglichen Verfügungen ist nach §§ 2281 ff. BGB analog möglich. Der Mann wird als Erblasser im Sinne dieser Bestimmungen behandelt. Voraussetzung für eine wirksame Anfechtung sind eine Anfechtungserklärung, ein Anfechtungsgrund und die Einhaltung der Anfechtungsfrist (vgl. auch Kap. B II Rz. 451 ff.): – Für die Anfechtungserklärung gelten die allgemeinen Bestimmungen, § 143 BGB. Daneben ist die Form des § 2282 BGB zu beachten. Die Erklärung des überlebenden Ehegatten muss persönlich gegenüber dem Nachlassgericht (§ 2281 Abs. 2 S. 1 BGB) abgegeben und notariell beurkundet werden. Stellvertretung ist unzulässig. Erklärt der Ehemann die Anfechtung, teilt sie das Nachlassgericht den Kindern mit, § 2281 Abs. 2 S. 2 BGB. Das Anfechtungsrecht darf nicht ausgeschlossen sein. Das ist einmal der Fall, wenn der überlebende Ehegatte die anfechtbare Verfügung bestätigt hat, §§ 144, 2284 BGB. Die Bestätigung ist formlos und durch konkludentes Verhalten möglich2. Zum anderen kann die Anfechtung durch Erklärung der Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament ausgeschlossen werden. Eine entsprechende Klausel ist für den Fall der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) zu erwägen3: 1 RG v. 11.12.1930 – IV B 27/30, RGZ 132, 1 (4); BGH v. 4.7.1962 – V ZR 206/60, BGHZ 37, 331 (333); BGH v. 18.1.1956 – IV ZR 199/55, FamRZ 1956, 83 (84); BGH v. 3.11. 1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79 (80); OLG Celle v. 10.9.1968 – 10 Wx 6/68, OLGZ 1969, 84 (87); BGB-RGRK/Johannsen, § 2271 Rz. 44; Kipp/Coing, § 35 III 4b. 2 BayObLG v. 12.3.1954 – BReg. 2Z 245/53, BayObLGZ 1954, 71 (77); Lange/Kuchinke, § 24 VI 7d. 3 Vgl. OLG Celle v. 23.11.1962 – 10 U 197/61, NJW 1963, 353 (354); Johannsen, DNotZ 1977, Sonderheft S. 69 (74). Edenfeld

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B VII

Rz. 135

Gemeinschaftliches Testament

M 72 Ausschluss der Anfechtung im Ehegattentestament Die vorstehenden Verfügungen haben auch Bestand, wenn ein Pflichtteilsberechtigter übergangen wird. 135

– Der Anfechtungsgrund ergibt sich aus § 2281 Abs. 1 BGB analog i.V.m. den §§ 2078, 2079 BGB. Der überlebende Ehegatte kann eine wechselbezügliche Verfügung anfechten, wenn er über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollte und anzunehmen ist, dass er die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben haben würde, § 2078 Abs. 1 BGB. Das Gleiche gilt, wenn der überlebende Ehegatte durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, § 2078 Abs. 2 BGB. Im obigen Beispiel ist der Ehemann nach § 2079 S. 1 BGB anfechtungsberechtigt: Durch seine Wiederheirat ist die neue Ehefrau als Pflichtteilsberechtigte hinzugekommen, §§ 1931 Abs. 1, 2303 Abs. 2 S. 1 BGB. Sie ist zurzeit der Anfechtung vorhanden (vgl. § 2281 Abs. 1 BGB) und durch die frühere Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen bzw. testamentarisch übergangen, weil die Kinder zu alleinigen Schlusserben eingesetzt sind. Der Mann ist an der Anfechtung nicht durch § 2079 S. 2 BGB gehindert. Es ist nicht anzunehmen, dass er die ursprüngliche Verfügung auch bei Kenntnis der durch die Wiederheirat geschaffenen neuen Rechtslage getroffen haben würde.

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– Die Anfechtungsfrist bestimmt sich nach § 2283 BGB analog. Der überlebende Ehegatte kann seine wechselbezügliche Verfügung binnen eines Jahres anfechten, § 2283 Abs. 1 BGB. Der Fristbeginn richtet sich nach § 2283 Abs. 2 BGB. Im Fall der Wiederheirat (Anfechtungsgrund § 2079 S. 1 BGB) muss die Anfechtung binnen Jahresfrist seit der erneuten Eheschließung erfolgen, §§ 2283 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB.

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– Die Rechtsfolge ergibt sich aus § 142 Abs. 1 BGB. Durch die Anfechtung wird die angefochtene eigene Verfügung von Anfang an nichtig. Andere wechselbezügliche Verfügungen werden davon nach Maßgabe des § 2270 Abs. 1 BGB erfasst. Wechselbezüglich ist im obigen Beispiel nicht nur die Einsetzung der Ehegatten, sondern auch die der Kinder als Schlusserben des letztversterbenden Elternteils. Die Anfechtung der Verfügungen des Mannes führt zur Nichtigkeit des gesamten gemeinschaftlichen Testaments. Es tritt nachträglich gesetzliche Erbfolge nach dem Erstverstorbenen ein1. Sie hätte verhindert werden können, wenn in das gemeinschaftliche Testament eine Klausel aufgenommen worden wäre, die die Anfechtung für den Fall der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten ausschließt. Für andere als wechselbezügliche Verfügungen gilt die Auslegungsregel des § 2085 BGB. Sie sind unwirksam, wenn der Erblasser die weiteren Verfügungen nicht ohne die angefochtene getroffen haben würde.

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– Für die Anfechtung durch Dritte bedarf es keiner Analogie zu den §§ 2281 ff. BGB. Die §§ 2078 ff. BGB gelten unmittelbar. Anfechtungserklärung und -frist 1 OLG Hamm v. 4.2.1972 – 15 W 18/72, NJW 1972, 1088; Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 34. 464

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Rz. 140

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bestimmen sich nach den §§ 2081, 2082 BGB, nicht nach §§ 2282, 2283 BGB. Anfechtungsberechtigt sind insbesondere der neue Ehegatte des Überlebenden und die Kinder aus der zweiten Ehe, § 2079 BGB. Sie können anders als der überlebende Ehegatte nicht zu dessen Lebzeiten, sondern erst nach dessen Tod anfechten, weil das Anfechtungsrecht mit diesem Erbfall entsteht1.

Beratungshinweis: Eine weitere Einschränkung für die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen durch Dritte resultiert aus § 2285 BGB. Er gilt beim gemeinschaftlichen Testament entsprechend2. Danach kann der Dritte nicht anfechten, wenn der überlebende Ehegatte sein Anfechtungsrecht durch Bestätigung (§§ 144, 2284 BGB) oder Fristablauf (§ 2283 BGB) verloren hat. Das wird die Anfechtung oft vereiteln: Im obigen Fall kann die neue Ehefrau die Schlusserbeneinsetzung der Kinder durch den Ehemann erst nach dessen Tod anfechten. Die mit der Wiederheirat einsetzende Jahresfrist des § 2283 BGB darf zu diesem Zeitpunkt nicht abgelaufen sein. Unter dieser Voraussetzung treten die Rechtsfolgen der §§ 142 Abs. 1, 2270 Abs. 1 BGB (hier: gesetzliche Erbfolge) ein. Die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen durch den überlebenden Ehegatten ist derjenigen durch neue Pflichtteilsberechtigte vorzuziehen. cc) Der Änderungsvorbehalt Ähnlich wie im Fall des § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB (dazu Rz. 115) können sich die Ehegatten abweichend von der gesetzlichen Bindungswirkung im gemeinschaftlichen Testament vorbehalten, dass der Überlebende befugt sein soll, nach dem Tod des ersten Ehegatten (§ 2271 Abs. 2 BGB) anders über sein eigenes Vermögen zu verfügen. Den Eheleuten ist es unbenommen, sich die einseitige Aufhebung wechselbezüglicher Verfügungen zu gestatten3. Auch die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments kann ergeben, dass der andere Ehegatte nach dem Tod seines Partners ermächtigt ist, abweichend von wechselbezüglichen Verfügungen zu testieren. Bei der Aufnahme einer Änderungsklausel in ein gemeinschaftliches Testament ist auf zweierlei zu achten:

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Zum einen darf die Wechselbezüglichkeit nicht infrage gestellt werden. Geht die Gestattung soweit, dass der andere beliebig testieren kann, kann es zu Auslegungsschwierigkeiten kommen. Zu ihrer Vermeidung sollte formuliert werden, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen der überlebende Ehegatte über sein eigenes Vermögen anders testieren darf (z.B. Ernennung neuer oder anderer Vermächtnisnehmer sowie Art und Höhe der Vermächtnisse). Das Änderungsrecht kann an Bedingungen geknüpft sein, §§ 158, 2074 f. BGB. Die Freistellung bezieht sich auf die eigenen Verfügungen des überlebenden Ehegatten. Ihm kann nicht das Recht eingeräumt werden, die letztwilligen Verfügun-

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1 KG v. 5.2.1968 – 1 W 2180/67, FamRZ 1968, 218 (219); Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 33; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 37. 2 BayObLG v. 28.2.1989 – BReg. 1a Z 33/88, NJW-RR 1989, 587 (588); BayObLG v. 28.4.1992 – 1Z BR 17/92, FamRZ 1992, 1102 = NJW-RR 1992, 1223 (1224); Erman/ Kappler/Kappler, § 2271 Rz. 23. 3 BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (37); BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (265 f.); OLG Hamm v. 7.11.1994 – 15 W 288/94, FamRZ 1995, 1022 = ZEV 1995, 146 (148); Kipp/Coing, § 35 III 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 31. Edenfeld

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Rz. 141

Gemeinschaftliches Testament

gen des anderen zu ändern. Jeder Erblasser muss seine Erben selbst bestimmen, § 2065 BGB. Zulässig ist nach herrschender Meinung1 (zu den Bedenken Kap. B IV Rz. 17), dass der längerlebende Ehegatte im Fall der Einheitslösung einen anderen Schlusserben (§ 2269 Abs. 1 BGB) und bei der Trennungslösung einen anderen Nacherben (§ 2100 BGB) berufen darf. Ein dahin gehender Änderungsvorbehalt ist sinnvoll, wenn sich voraussichtlich nach dem Tod des ersten Ehegatten herausstellt, welches der gemeinsamen Kinder den Familienbesitz übernehmen und weiterführen kann. 141

Zum anderen muss aus der Freistellungsklausel hervorgehen, dass sie sich nicht nur auf Verfügungen unter Lebenden, sondern auf die Errichtung einer abweichenden Verfügung von Todes wegen bezieht. In der Praxis erweisen sich viele Formulierungen als fehlerhaft. Sie bedeuten für den Beratenden eine Regressgefahr, wenn der durch späteres einseitiges Testament als Erbe eingesetzte Mandant feststellen muss, dass seine Berufung an einem unzureichenden Änderungsvorbehalt scheitert. Gleiches gilt für einen Testamentsvollstrecker, der ein einseitiges Testament unter Missachtung bindend gewordener Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments durchführt, § 2219 BGB.

Beratungssituation: Die Ehegatten setzen sich gegenseitig zu Vollerben und ihre Kinder zu Schlusserben ein. Sie versehen ihr gemeinschaftliches Testament mit dem Zusatz: „Änderungen bleiben den Eheleuten vorbehalten. Der Überlebende ist in der Verfügung über den Nachlass des zuerst versterbenden Ehegatten nicht beschränkt.“ 142

Laien halten eine derartige Wendung für ausreichend. Sie verstehen sie dahin gehend, dass beide gemeinsam zu Lebzeiten und der Überlebende nach dem Tod des ersten Ehepartners berechtigt sind, neue Verfügungen von Todes wegen zu treffen und einen anderen Schlusserben einzusetzen. Die Klausel ist jedoch teils überflüssig, teils unvollständig. Die Formel „Änderungen bleiben den Eheleuten vorbehalten“ gibt die Selbstverständlichkeit wieder, dass die Eheleute ihr gemeinschaftliches Testament zu Lebzeiten abändern und neu testieren können2. Der zweite Teil der Erklärung enthält allein die Ermächtigung, unter Lebenden, nicht auch von Todes wegen frei zu verfügen. Sofern im Testament keine anderen Anhaltspunkte enthalten sind, dient die Klausel dazu, die unbeschränkte Erbenstellung des Überlebenden im Vergleich zur Vorerbenstellung bei der Trennungslösung außer Zweifel zu stellen. Sie be-rechtigt nicht zur testamentarischen Änderung3. Zweckmäßigerweise wird die Freistellungsklausel wie folgt gefasst:

1 RG v. 16.4.1919 – Rep. IV. 58/19, RGZ 95, 278 (279); BGH v. 26.4.1951 – IV ZR 4/50, BGHZ 2, 35 (36); BGH v. 14.7.1972 – V ZR 124/70, BGHZ 59, 220 (222 f.); Kipp/Coing, § 35 III 4; MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 32. 2 Vgl. BayObLG v. 28.2.1989 – BReg. 1a Z 33/88, NJW-RR 1989, 587 (588). Zur Auslegung eines Änderungsvorbehalts OLG Hamm v. 20.1.2005 – 15 W 427/04, FamRZ 2005, 2023. 3 OLG München JFG 15, 353 (358); KG v. 11.6.1936 – 1 Wx 235/36, JW 1936, 3264 (3265); BayObLG v. 30.8.1984 – BReg. 1Z 71/84, FamRZ 1985, 209 (210); Palandt/ Weidlich, § 2271 Rz. 22. 466

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Rz. 144

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M 73 Änderungsvorbehalt im Ehegattentestament Der Überlebende ist auch nach dem Tod des ersten Ehegatten berechtigt, über das eigene und das ererbte Vermögen durch Verfügung von Todes wegen anders zu verfügen. Das gilt namentlich für den Fall, dass …

3. Der Schutz der Endbedachten vor lebzeitigen Verfügungen des überlebenden Ehegatten Stirbt der erste Ehegatte, unterliegt der überlebende den Bindungen des § 2271 Abs. 2 BGB. Er kann die den Schlussbedachten begünstigenden Verfügungen nicht mehr widerrufen. Das beschränkt jedoch nur die Freiheit neuer testamentarischer Regelung. Wird der längerlebende Ehegatte nach der Einheitslösung Vollerbe des Vorverstorbenen und nicht Vorerbe (Trennungslösung mit Bindungsfolge der §§ 2112 ff., 2136 BGB), darf er über sein Vermögen, zu dem auch das des Vorverstorbenen gehört, durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen, vgl. § 2286 BGB. Das kann er ausnutzen, um der Bindung an seine wechselbezüglichen Verfügungen zu entgehen. Er kann einen Dritten zwar nicht als Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzen, ihn aber beschenken oder anderweitig durch Vermögensübertragungen begünstigen. Die Schlussbedachten sehen ihre Erbaussichten beeinträchtigt. Das führt zwangsläufig zum Konflikt. Fallgestaltungen wie die folgende beschäftigen die Praxis immer wieder.

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Beratungssituation: Die Ehegatten setzen sich in ihrem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten sind die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen. Nach dem Tod der Ehefrau macht der Mann seiner neuen Lebensgefährtin großzügige Zuwendungen. Die Kinder fürchten um ihre Beteiligung am Nachlass der Mutter und fragen, ob sie etwas dagegen unternehmen können. a) Die frühere „Aushöhlungsnichtigkeit“ Lange Zeit schützte die höchstrichterliche Rechtsprechung1 die Schlussbedachten eines Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments vor lebzeitigen Schenkungen durch die sog. „Aushöhlungsnichtigkeit“. Der überlebende Ehegatte sollte über sein Vermögen, zu dem das des Vorverstorbenen gehört, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen können, § 2286 BGB. In besonders gelagerten Fällen wurde eine lebzeitige Verfügung aber für nichtig gehalten. Entscheidend war die vermögensmäßige „Aushöhlung“ des gemeinschaftlichen Testaments. Darunter verstand man die Vornahme lebzeitiger Geschäfte, die mit der erbrechtlichen Bindung nicht vereinbar sind und die Schlussbedachten unangemessen benachteiligen. Unter Berücksichtigung aller Umstände mussten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Drittzuwendung eine anstößige Umgehung der §§ 2271, 2289 BGB darstellen. Die dafür verwendeten 1 BGH v. 24.1.1958 – IV ZR 234/57, BGHZ 26, 274 (282); zuletzt BGH v. 12.10.1970 – III ZR 254/68, FamRZ 1971, 641 (642 f.). Edenfeld

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Kriterien waren uneinheitlich und führten zu großer Rechtsunsicherheit. Die verfehlte Judikatur wurde 1972 aufgegeben1. Zu weit reichende Eingriffe in den Nachlass werden seitdem durch die entsprechende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB ausgeglichen. b) Die entsprechende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB 145

Nach Auffassung des BGH2 kann der durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament gebundene Erblasser zu Lebzeiten uneingeschränkt über sein Vermögen verfügen, § 2286 BGB. Die Schlussbedachten eines Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments sind nicht dagegen geschützt, dass der Erblasser sein Vermögen durch Rechtsgeschäfte davor Lebenden verbraucht. Im obigen Beispiel darf der verwitwete Mann seiner neuen Lebensgefährtin lebzeitige Zuwendungen machen, auch wenn das die Erbaussichten der Kinder schmälert. Die Interessenlage hinsichtlich der Bindung des Erblassers an erbvertragliche Verfügungen und an wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament nach dem Tod des ersten Ehegatten ist jedoch ähnlich. Sie rechtfertigt die analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB (zur entsprechenden Anwendung der §§ 2281 ff. BGB s. Rz. 132 ff.) Es gelten erbvertragliche Grundsätze.

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Nach § 2287 Abs. 1 BGB kann der Vertragserbe, sobald ihm die Erbschaft angefallen ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, wenn der Erblasser die Schenkung in der Absicht gemacht hat, den Vertragserben zu beeinträchtigen. Der Bereicherungsanspruch setzt voraus, dass der Erblasser berechtigte Erwartungen des Schlusserben objektiv beeinträchtigt. Der Anspruch kann erst nach Anfall der Erbschaft, d.h. dem Tod des Erblassers, geltend gemacht werden. Von der erforderlichen Beeinträchtigungsabsicht ist auszugehen, wenn kein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an der Verfügung erkennbar und sie ersichtlich darauf angelegt ist, anstelle der Schlussbedachten einem anderen das Vermögen ohne angemessenes Äquivalent zuzuwenden. Maßgeblich ist, ob die lebzeitige Verfügung nach dem Urteil eines objektiven Beobachters in Anbetracht aller Umstände und unter Berücksichtigung der eingetretenen Bindungen billigenswert erscheint3.

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Übertragen auf das gemeinschaftliche Testament bedeutet das: Die Schlusserben haben einen Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB analog, wenn der überlebende Ehegatte keinen anerkennenswerten Grund für die Zuwendung an den Dritten 1 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (346) m. zust. Anm. Spellenberg, FamRZ 1973, 136 ff. 2 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (347 f.); BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 (276 f.) = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56; BGH v. 26.11. 1975 – IV ZR 138/74, FamRZ 1976, 205 (207); BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56 = NJW 1982, 43 (44); zustimmend Brox, Rz. 158 f.; Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 10; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 45. 3 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (350); BGH v. 27.1.1982 – IVa ZR 240/80, BGHZ 83, 44 = FamRZ 1982, 370 (45 f.); BGH v. 30.3.1977 – IV ZR 211/75, FamRZ 1977, 539 (540); BGH v. 23.11.1983 – IVa ZR 230/81, MDR 1984, 384 = FamRZ 1984, 165 = NJW 1984, 731 (732); BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, MDR 1992, 264 = FamRZ 1992, 300 = NJW 1992, 564 (566); zum „lebzeitigen Eigeninteresse“ Dilcher, Jura 1988, 72 (78 f.); MüKo.BGB/Musielak, § 2287 Rz. 12 ff. 468

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hat. Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist bspw. anzunehmen, wenn die Schenkung der Altersversorgung oder der Erfüllung einer sittlichen Pflicht für langjährige persönliche Pflege dient. Gemischte Schenkungen bereiten erfahrungsgemäß Schwierigkeiten. Hier muss ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegen. Der obige Sachverhalt bedarf insoweit weiterer Aufklärung. Man wird nachforschen, ob der Ehemann für die großzügigen Zuwendungen an seine neue Lebensgefährtin einen nachvollziehbaren Anlass hat. Zugleich wird man die Lebensgefährtin von den Einwänden der Kinder in Kenntnis setzen, weil der bösgläubige Beschenkte verschärft haftet, § 819 BGB. Sonst kann die Pflicht zur Herausgabe oder zum Wertersatz (§ 818 Abs. 2 BGB) wegen Wegfalls der Bereicherung entfallen, § 818 Abs. 3 BGB. Des Weiteren ist zu beachten, dass der Anspruch gegen den Beschenkten verjährt, § 2287 Abs. 2 BGB. Die lebzeitige Zuwendung des längerlebenden Ehegatten an den Dritten lässt sich nicht verhindern. Die Herausgabe des Schenkungsgegenstandes kann nach § 2287 Abs. 1 BGB mit dem Anfall der Erbschaft, d.h. dem Tod des längerlebenden Ehegatten, verlangt werden. Ein weitergehender Schutz der Schlussbedachten gem. § 138 Abs. 1 BGB oder § 134 BGB in Verbindung mit dem Testierverbot des § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB besteht nicht. Der Sittenwidrigkeit lebzeitiger Rechtsgeschäfte des längerlebenden Ehegatten steht die Wertung des § 2286 BGB entgegen. Es müssen zusätzliche, über die Beeinträchtigungsabsicht hinausgehende Umstände hinzutreten1. Auch deliktischer Schutz scheidet aus. § 826 BGB ist nicht anwendbar, weil die §§ 2287, 2288 BGB abschließend sind2. Die §§ 2287, 2288 BGB stellen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar. Der durch eine wechselbezügliche Verfügung Begünstigte hat bis zum Tod des zweiten Ehegatten keine Rechtsstellung nach § 823 Abs. 1 BGB. Nach herrschender Auffassung besitzt er kein Anwartschaftsrecht3.

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In der obigen Beratungssituation müssen die Kinder hinnehmen, dass der verwitwete Mann seiner neuen Lebensgefährtin lebzeitige Zuwendungen macht, die ihre Erbaussichten schmälern. Sie haben keinen Unterlassungsanspruch, der durch Arrest oder einstweilige Verfügung (§§ 916 ff., 935 ff. ZPO) sicherbar wäre. Auch eine Feststellungsklage (§ 256 ZPO), wonach die lebzeitige Verfügung in Beeinträchtigungsabsicht erfolgt, scheidet aus. Das Rechtsverhältnis zwischen Schlusserben und beschenktem Dritten ist kein gegenwärtiges, sondern ein zukünftiges, § 2287 Abs. 1 BGB („Anfall der Erbschaft“).

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Etwas anderes gilt, wenn dem überlebenden Ehegatten durch Verfügungsunterlassungsvertrag4 untersagt ist, zu Lebzeiten über bestimmte Nachlassgegen-

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1 BGH v. 5.7.1972 – IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 (348, 350); Dilcher, Jura 1988, 72 (77); MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 47; Soergel/Wolf, § 2271 Rz. 44. 2 BGH v. 21.6.1989 – IVa ZR 302/87, BGHZ 108, 73 (78) = MDR 1989, 1085 = FamRZ 1989, 961; BGH v. 30.4.1991 – IV ZR 104/90, NJW 1991, 1952; OLG Köln v. 14.9.1995 – 2 W 125/95, FamRZ 1996, 251 = ZEV 1996, 23 (24) m. Anm. Hohmann; Palandt/ Weidlich, § 2287 Rz. 2. 3 BGH v. 19.1.1954 – V ZB 28/53, BGHZ 12, 115 (118); BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (322); MüKo.BGB/Musielak, § 2271 Rz. 46; a.A. Mattern, BWNotZ 1962, 229 (234). 4 Er ist nach h.M. zulässig: BGH v. 30.9.1959 – V ZR 66/58, BGHZ 31, 13 (18 f.); BGH v. 27.2.1967 – III ZR 68/66, FamRZ 1967, 470 (471); Buchholz, Jura 1989, 393 (398 f.); Palandt/Weidlich, § 2286 Rz. 2. Edenfeld

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B VII

Rz. 151

Gemeinschaftliches Testament

stände zuungunsten der Schlussbedachten zu verfügen. Die Sicherung wirkt schuldrechtlich, § 137 BGB. Handelt der überlebende Ehegatte dem Verbot zuwider, haben die vertraglich Begünstigten einen Anspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustandes, im Fall der Unmöglichkeit Schadenersatzansprüche. Auch vorläufiger Rechtsschutz ist möglich. Der Verfügungsunterlassungsvertrag ist grundsätzlich formfrei und kann auch konkludent geschlossen werden. Das gemeinschaftliche Testament muss dafür eindeutige Hinweise bieten. Ratsam ist die Aufnahme einer ausdrücklichen Klausel.

IV. Zusammenfassung 151

Die §§ 2265 bis 2272 BGB geben den Ehegatten ein geeignetes Gestaltungsmittel an die Hand, um gemeinsam von Todes wegen zu verfügen. Dabei ist eine Reihe formaler, materiell- und steuerrechtlicher Gesichtspunkte relevant. In der Beratungspraxis sind vor allem folgende Punkte zu beachten: 1. Wie sind die Familien- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten? Wollen sie sich nur untereinander oder auch Dritte bedenken? Lassen sich die Regelungsziele mit dem gemeinschaftlichen Testament erreichen oder bedarf es eines Erbvertrags (§§ 2274 ff. BGB)? Bestehen erbrechtliche Bindungen durch gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag? 2. Welche Form des gemeinschaftlichen Testaments wird gewählt? Soll es in amtliche Verwahrung gegeben werden? Gilt es auch für den Fall, dass die Ehegatten gleichzeitig oder kurz hintereinander sterben? 3. Wie soll die erbrechtliche Stellung des längerlebenden Ehegatten beschaffen sein: Fungiert er als Alleinerbe oder in Erbengemeinschaft mit den Kindern? Soll er Vollerbe im Sinne der Einheitslösung, (befreiter) Vorerbe im Sinne der Trennungslösung oder Nießbraucher bzw. Vermächtnisnehmer sein? Darf er die Nachlassverteilung nach dem Tod des Ehepartners ändern? 4. Wie sieht die Erbenstellung der Abkömmlinge aus: Sollen sie Schlusserben im Sinne der Einheitslösung, Nacherben im Sinne der Trennungslösung oder mit dem Tod des ersten Ehegatten Voll- oder Miterben sein? Sind Vorempfänge der Kinder auszugleichen? Sind Vorausvermächtnisse, Teilungsanordnungen oder eine Testamentsvollstreckung angezeigt? 5. Sollen die Letztbedachten davon abgehalten werden, nach dem Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil zu verlangen (Pflichtteilsklausel)? Wenn ja, wie wird dem Pflichtteilsbegehren vorgebeugt: Durch Enterbung desjenigen, der den Pflichtteil verlangt, durch zusätzliche Vermächtnisse (Jastrow’sche Formel) oder einen Pflichtteilsverzicht? Wird dem überlebenden Ehegatten das Recht eingeräumt, die Enterbung zu widerrufen? 6. Soll durch eine Wiederverheiratungsklausel sichergestellt werden, dass der Nachlass im Fall der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten ungeschmälert auf die gemeinsamen Abkömmlinge übergeht? Wenn ja, wie soll sie aussehen: Anordnung von Vermächtnissen oder bedingte Nacherbeneinsetzung der Abkömmlinge? Tritt der Nacherbfall mit Wiederheirat oder dem Tod des Vorerben ein? Unterliegt der längerlebende Ehegatte den gesetzlichen Beschränkungen des Vorerben? Gewinnt er seine Testierfreiheit durch Widerruf der eigenen Verfügungen zurück? 470

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Edenfeld

Gemeinschaftliches Testament

Rz. 151

B VII

7. Welche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament sind so voneinander abhängig, dass sie sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig bedingen (Wechselbezüglichkeit)? In welchem Umfang ist der überlebende Ehegatte gebunden: Soll das Anfechtungsrecht wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten ausgeschlossen sein? Soll der längerlebende Ehegatte ein einseitiges Abänderungsrecht haben (Freistellungsklausel)? Wird dem überlebenden Ehegatten durch Verfügungsunterlassungsvertrag untersagt, zu Lebzeiten zuungunsten der Schlussbedachten über bestimmte Gegenstände zu verfügen?

Edenfeld

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VIII. Das Behinderten- und Bedürftigentestament Schrifttum: Baltzer, Die Vermächtnislösung lebt!, ZEV 2008, 116; Bengel, Gestaltung letztwilliger Verfügungen bei Vorhandensein behinderter Abkömmlinge, ZEV 1994, 29; Brambring/Mutter, in: Beck’sches Formularbuch Erbrecht, Teil F I (Behindertentestament, Tersteegen) und F II (Bedürftigentestament, Kleensang); Conradis, Sozialhilferegress: Kostenersatz durch den Erben, § 102 SGB XII, § 35 SGB II, ZEV 2005, 379; Damrau, Das Behinderten-Testament mit Vermächtnislösung, ZEV 1998, 1; Damrau/ Mayer, Zur Vor- und Nachvermächtnislösung beim so genannten Behindertentestament, ZEV 2001, 293; Grziwotz, Die umgekehrte Vermächtnislösung beim Behindertentestament: Der Königsweg?, ZEV 2002, 409; Hartmann, Das Vorvermächtnis mit Vorerbschaftswirkung, ZEV 2007, 458; Hartmann, Das so genannte Behindertentestament: Vor- und Nacherbschaftskonstruktion oder Vermächtnisvariante?, ZEV 2001, 89; Heinz-Grimm/Krampe/Pieroth, Testamente zugunsten von Menschen mit geistiger Behinderung, 3. Auflage 1997; Juchem, Vermögensübertragung zugunsten behinderter Menschen durch vorweggenommene Erbfolge und Verfügung von Todes wegen, Diss. 2002; Kaden, Zur Sittenwidrigkeit von Behindertentestamenten, 1998; Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, 2006; Nazari Golpayegani/Boger, Aktuelle Gestaltungsempfehlungen zum Behindertentestament, ZEV 2005, 377; Otte, Zum Zugriff des Sozialhilfeempfängers bei befreiten Vorerben, JZ 1990, 1027; Ruby, Behindertentestament: Häufige Fehler und praktischer Vollzug, ZEV 2006, 66; Ruby/Schindler/Wirich, Das Behindertentestament, 2. Aufl. 2013; Settergren, Das „Behindertentestament“ im Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und sozialhilferechtlichem Nachrangprinzip, 1999; Spall, Die vernachlässigten Erbquoten der Geschwisterkinder, § 2306 Abs. 2 BGB und Behindertentestament, ZEV 2006, 344; Tersteegen, Sozialhilferechtliche Verwertbarkeit von Vermögen bei Anordnung von Verwaltungstestamentsvollstreckung, ZEV 2008, 121; Trilsch-Eckardt, Nochmals: Vorweggenommene Erbfolge und Behindertentestament, ZEV 2001, 229.

Rz.

I. Gestaltungsaufgaben und -ziele .

1

II. „Enterbungslösung“? . . . . . . . . . . .

11

III. „Auflagenlösung“? . . . . . . . . . . . . .

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IV. Vermächtnislösungen 1. Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vor- und Nachvermächtnis . . . . . 3. Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 20 26

V. „Klassische“ Erbschaftslösung: Destinatär als Mitvorerbe, Testamentsvollstreckung 1. Gestaltungselemente a) Vorerbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . b) Testamentsvollstreckung . . . . 2. Gefährdungen a) § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB. . . b) § 2305 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefahren aufgrund früherer Zuwendungen . . . . . . . 472

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30 33 36 38 39

Rz.

bb) Gefahren aufgrund Ausschlagung durch den überlebenden Ehegatten . c) § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB . . . . . . d) Person des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ungeplante Entwicklungen . . f) Änderungen der Rechtslage . . 3. Begleitende Anordnungen a) Teilungsanordnung . . . . . . . . . b) Trennungslösung? . . . . . . . . . . 4. Sozialrechtliche Wertung . . . . . . . 5. Zivilrechtliche Wertung a) Subsidiaritätsverstoß? . . . . . . . b) Sättigungsgrenze? . . . . . . . . . . .

43 45 48 51 54 56 57 60 61 63

VI. Variante I der Erbschaftslösung: Destinatär als alleiniger Vorerbe . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Variante II der Erbschaftslösung: Destinatär als Mitnacherbe . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 2

B VIII

Rz. VIII. Das „Bedürftigentestament“ 1. Erbschaftslösungen . . . . . . . . . . . .

68

Rz. 2. Vermächtnislösungen . . . . . . . . . .

74

3. Aufhebung der Beschränkungen .

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Beratungssituation: (1) Der vermögende Vater eines behinderten Kindes möchte wissen, ob eine Testamentsgestaltung möglich ist, bei der sein Vermögen dem behinderten Kind und dessen gesundem Bruder verbleiben kann, dem behinderten Kind jedoch weiterhin Sozialhilfe gewährt wird, und aus dem Nachlassanteil ergänzende Unterstützung für das behinderte Kind geleistet werden kann. (2) Der Mandant möchte sein Hausgrundstück an seinen Sohn übertragen. Seine behinderte Tochter soll nur ihren Pflichtteil erhalten. Der Mandant fragt, ob es sinnvoll ist, das Hausgrundstück bereits vorab an den Sohn zu übergeben oder dieses testamentarisch zu verfügen? (3) Der Sohn des Mandanten ist insolvent und bezieht Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende („Hartz IV“). Der Mandant wünscht Aufklärung, ob er ihm testamentarisch Vermögenswerte zukommen lassen kann, ohne dass diese durch Gläubiger bzw. den Insolvenzverwalter verwertbar sind, und ohne dass infolge dessen die Sozialleistungen an seinen Sohn gekürzt würden.

I. Gestaltungsaufgaben und -ziele Die Gestaltung letztwilliger Verfügungen zugunsten (potenziell) sozialleistungsbedürftiger Destinatäre betrifft häufig Sozialhilfeleistungen „in besonderen Lebenslagen“, also nach dem 5. bis 9. Kapitel des SGB XII, und ist dann in der Anwendung weitgehend deckungsgleich mit dem Vorhandensein körperlich und/oder geistig behinderter Abkömmlinge. Denkbar ist jedoch auch der Bezug von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende (SGB II) seitens des Destinatärs, etwa infolge chronischer Überschuldung oder Dauerarbeitslosigkeit des Abkömmlings, die auch mit (Regel- oder Verbraucher-)Insolvenz einhergehen kann. Es handelt sich dann um einen Sonderfall der testamentarischen Regelungsmöglichkeiten mit dem Ziel, einem Hinterbliebenen Vermögenswerte letztwillig zuzuwenden, ohne damit den Eigengläubigern des Hinterbliebenen Zugriffsmöglichkeiten zu eröffnen (z.B. beim Testament überschuldeter Erben).

1

Wird testamentarische Vorsorge versäumt und fällt daher dem überschuldeten Abkömmling zumindest eine Miterbenstellung an, war nach den im Ergebnis bedenklichen Entscheidungen des OLG Stuttgart1 und des OLG Hamm2 zu befürchten, dass nachträgliche „Rettungsversuche“ (Ausschlagung gegen ergänzende Versorgungsleistungen) wegen angeblichen Verstoßes gegen die guten Sitten nicht mehr betreuungsgerichtlich genehmigungsfähig und damit endgültig

2

1 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484, a.A. jedoch LG Aachen v. 4.11.2004 – 7 T 99/04, NJW-RR 2005, 307. 2 OLG Hamm v. 16.7.2009 – I-15 Wx 85/09, FamRZ 2009, 2036 = ZEV 2009, 471, m. zust. Anm. Leipold. Krauß

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B VIII

Rz. 3

Behinderten- und Bedürftigentestament

versperrt wären. Das obiter dictum des BGH im Urteil vom 19.01.20111 (Recht auf negative Erbfreiheit) lässt insoweit jedoch hoffen. 3

Bei der soeben erwähnten Fallgruppe des „Behindertentestaments“, d.h. der Regelung letztwilliger Verfügungen zugunsten von Nachkommen, die SGB XII-Leistungen beziehen werden, steht regelmäßig im Vordergrund des Bemühens der testierenden Eltern, den behinderten Abkömmling (bzw. den behinderten Ehegatten des Testators) möglichst durch letztwillige Verfügung besser zu stellen, als er stehen würde, wenn er lediglich auf die „staatlichen Leistungen“ verwiesen wäre.

4

Aus diesem Grund ist das wesentliche Augenmerk der Erblasser bei kleinen oder mittleren Vermögen darauf gerichtet, Vermögensbestandteile zwar dem behinderten Hinterbliebenen tatsächlich zukommen zu lassen, jedoch in einer Weise, die nicht zu einer Kürzung der im Übrigen zu gewährenden staatlichen nachrangigen Unterstützungsleistungen (insbesondere der Eingliederungshilfe für Behinderte oder der Hilfe zur Pflege) führen.

5

Bei größerem Vermögen steht jedoch erfahrungsgemäß weniger die Vermeidung des Regress- oder Überleitungsrisikos von Seiten des Sozialleistungsträgers im Vordergrund als vielmehr die Sicherstellung einer möglichst optimalen Versorgung, d.h. der persönlichen, seelischen und wirtschaftlichen Betreuung des Hinterbliebenen durch private Vorsorge. Einer „versteckten“ Besserstellung des Heiminsassen durch letztwillige Zuwendungen an das Heim stehen bereits § 14 HeimG bzw. die an dessen Stelle tretenden landesrechtlichen Bestimmungen entgegen.

6

Wichtiges „Durchgangsziel“ ist die Vermeidung originärer Pflichtteilsansprüche des betroffenen Destinatärs. Ein solcher Anspruch ist zwar gem. § 852 Abs. 1 ZPO der Pfändung nur dann unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Die Zugriffsmöglichkeiten des Sozialfürsorgeträgers auf den Pflichtteilsanspruch sind jedoch erweitert, da eine Überleitung durch Sozialverwaltungsakt gem. § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII, bzw. ein gesetzlicher Forderungsübergang gem. § 33 Abs. 1 aE SGB II ausdrücklich bereits dann möglich ist, wenn der Anspruch noch unpfändbar ist2, so dass ein anschließend erklärter Verzicht ohnehin ins Leere gehen würde.

7

Lediglich bei sehr geringen Pflichtteilsansprüchen kann § 93 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII der Überleitung entgegenstehen, nämlich stets dann, wenn auch bei Leistung des Geldpflichtteils keine Sozialkürzung einträte, da insgesamt der kleine Barbetrag als „Notgroschen“ nicht überschritten ist. Im Bereich des § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II – 150,00 Euro multipliziert mit den Lebensjahren des Grundsicherungsempfängers und seines Partners – kann der Schutz u.U. weiter reichen, soweit der Vermögensfreibetrag nicht bereits, wie häufig, durch andere Vermögenswerte, die noch ihrerseits Schonvermögen sind, in Anspruch genommen ist; steht der Freibetrag noch ganz oder teilweise zur Verfügung, mindert sich die übergeleitete Pflichtteilssumme um das noch freien Volumen. In Einzelfällen kann ferner gegenüber dem Pflichtteilsverpflichteten 1 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258, m. zust. Anm. Zimmer. 2 Vgl. etwa BGH v. 8.12.2004 – IV ZR 223/03, FamRZ 2005, 448 = MDR 2005, 692 = RNotZ 2005, 176, m. Anm. Litzenburger, 162. 474

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Krauß

Behinderten- und Bedürftigentestament

Rz. 10

B VIII

(z.B. der Mutter eines arbeitslosen Hartz IV – Empfängers) eine unbillige Härte i.S.d. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II vorliegen, etwa wenn sie dadurch das selbst genutzte angemessene Eigenheim verlieren würde, das sie auch als Leistungsbezieherin verteidigen könnte1, oder wenn eine Kreditaufnahme zur Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs angesichts des sonst vorhandenen Einkommens dem Erben weniger Einkommen belassen würde, als er gem. § 9 Abs. 5 SGB II i.V.m. §§ 1 Abs. 2 und 4 Abs. 2 ALG II-Verordnung (Leistungsfähigkeit von Angehörigen) verteidigen könnte (doppelte Regelleistung – 782,00 Euro – zuzüglich der Hälfte des darüber hinaus vorhandenen Einkommens zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung)2. Der untergerichtlich geäußerte Ansatz3, die Geltendmachung4 des übergeleiteten Pflichtteilsanspruches verstoße gegen die guten Sitten und sei daher auch dem Sozialhilfeträger verwehrt – Analogie zu § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB –, sofern eine „automatische Pflichtteilsstrafklausel“5 dann auch beim zweiten Sterbefall der Eltern den behinderten Abkömmling nur auf den Pflichtteil setze, wurde vom BGH zu Recht verworfen6. Die Pflichtteilsstrafklausel ersetzt also nicht das Behindertentestament.

8

Der Überleitung „sekundärer“ Pflichtteilsansprüche, die erst nach Ausschlagung (etwa gem. § 2306 BGB) und nicht bereits gem. § 2317 BGB entstehen, steht die mangelnde Überleitungsfähigkeit des Ausschlagungsrechts selbst entgegen, vgl. Rz. 26 ff.

9

Die dem Behindertentestament entgegengesetzte (der vorweggenommenen Erbfolge unmittelbar vergleichbare) Konstellation, dass ein Sozialhilfebedürftiger über das ihm verbliebene Schonvermögen testiert, ist von weitaus geringerer Bedeutung, zumal jedenfalls mit dem Ableben des sozialhilfebedürftigen Testators die ggf. bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Schonvermögenseigenschaften wegfallen und damit der Nachlass i.R.d. § 102 SGB XII der geschilderten Erbenhaftung unterliegt, was jedenfalls nicht durch bloße Vermächtnisanordnungen etc., und wohl auch nicht durch Schaffung lebzeitiger Schenkungsversprechen auf den Todesfall als Erblasserschulden „unterlaufen“ werden kann7.

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1 LSG NRW v. 24.11.2008 – L 20 AS 92/07, notar 2009, 115, m. Anm. Odersky; ähnlich BSG v. 6.5.2010 – B 14 AS 2/09 R, FamRZ 2010, 1729 = ZEV 2010, 585. 2 BSG v. 6.5.2010 – B 14 AS 2/09 R, FamRZ 2010, 1729 = ZEV 2010, 585, Tz. 31. 3 Z.B. OLG Frankfurt v. 7.10.2003 – 14 U 233/02, ZEV 2004, 24. 4 Zur Auslegung des Merkmals des „Geltendmachens“ bzw. „Verlangens“ z.B. OLG München v. 29.3.2006 – 31 Wx 007/06, ZErb 2006, 203: hochverzinsliche Stundung des Pflichtteils steht dem Verlangen gleich; die tatsächliche, womöglich gerichtliche, Durchsetzung des Anspruchs ist nicht erforderlich, OLG Düsseldorf v. 18.7.2011 – 3 Wx 124/11, RNotZ 2011, 554. 5 Beispiel einer automatischen Pflichtteilsklausel: „Verlangt einer der Schlusserben beim Tode des Erstversterbenden von uns gegen den Willen des Längerlebenden (damit sollen „einvernehmliche Pflichtteilsverlangen zur Erbschaftssteuerreduzierung“ ausgefiltert werden!) seinen Pflichtteil, so fallen er und seine Abkömmlinge als Schlusserben weg. Auch die Bindungswirkung des Erbvertrages wird bzgl. dieses Schlusserbanteils aufgehoben.“. 6 BGH v. 8.12.2004 – IV ZR 223/03, FamRZ 2005, 448 = MDR 2005, 692 = ZEV 2005, 117, m. abl. Anm. Muscheler. 7 Vgl. hierzu Krauß, ZErb Beilage „Fachanwalt für Erbrecht“ zu Heft 10/2005, S. 24 bis 29. Krauß

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B VIII

Rz. 11

Behinderten- und Bedürftigentestament

II. „Enterbungslösung“? 11

In der Beratungspraxis kommt durchaus auch die „schlichte Enterbungslösung“ in Betracht, bei der das bedürftige Kind weder Erbe wird noch ein Vermächtnis erhält: Das Entstehen des überleitungsfähigen (Rz. 6 ff.) Pflichtteils kann (1) bei voraussichtlichem Eintreten der Sozialleistungsbedürftigkeit erst nach dem zweiten Sterbefall1, (2) bei kleinem Vermögen, (3) bei Vorhandensein zahlreicher Abkömmlinge und gesetzlichem Güterstand, (4) bei geringer Pflichtteilslast (z.B. wegen § 2312 BGB: Landgut), (5) oder beim Erstversterben des mit geringerem Vermögen ausgestatteten Ehegatten häufig in Kauf genommen werden. Ist der überlebende Ehegatte bereit, auf die volle lebzeitige Verfügungsmöglichkeit auch im Bereich unentgeltlicher Zuwendungen zu verzichten, wird eine Pflichtteilsreduzierung dadurch erreicht, dass der überlebende Ehegatte zum befreiten Vorerben und das nicht behinderte/bedürftige Kind zum Nacherben bestimmt wird – auf diese Weise fällt der Pflichtteil nicht zweimal aus wirtschaftlich identischem Vermögen an.

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Denkbar sind weiter Sachverhalte, in denen der Betroffene bereits wirksam auf Pflichtteilsansprüche verzichtet hat oder diese durch lebzeitige, rechtzeitig zur Anrechnung bestimmte, Zuwendungen weitgehend erledigt sind. Dass ein solcher Pflichtteilsverzicht – durch einen geschäftsfähigen Behinderten selbst abgegeben – sogar auf dem Sterbebett während des Bezugs von Sozialhilfeleistungen abgegeben werden kann, ohne gegen die guten Sitten zu verstoßen, hat der BGH2 zwischenzeitlich bekräftigt. Möglicherweise werden damit sogar Pflichtteilsverzichte, die für geistig Behinderte durch einen Betreuer abgegeben werden, genehmigungsfähig (§ 2347 Abs. 1 S. 2 BGB).

III. „Auflagenlösung“? 13

Denkbar wäre weiter, den Zugriff der Eigengläubiger bzw. des Sozialleistungsträgers gegen den Hinterbliebenen dadurch auszuschließen, dass Vermögenswerte nicht an diesen selbst, sondern an nahestehende natürliche oder juristische Personen übertragen werden, die dann zusätzliche Vorteile hieraus für den Hinterbliebenen zu gewähren haben. In Betracht kommt bspw. die Zuwendung an einen dem Hinterbliebenen nahestehenden Dritten unter einer den ersteren begünstigenden Auflage (§ 1940 BGB). Eine solche Auflage ist für Gläubiger oder Sozialleistungsträger weder pfändbar noch überleitbar, da der Begünstigte selbst keinen eigenen Anspruch auf Vollziehung hat. Vollziehungsberechtigt dürfte freilich auch der Sozialleistungsträger als öffentliche Behörde sein, sofern durch die Leistung der Auflage nachrangige Sozialhilfegewährung reduziert wird, § 2194 S. 2 BGB. Gegen diese Lösung spricht jedoch, dass der Pflichtteils1 Z. B. da das Kind zu Lebzeiten beider daheim versorgt werden soll, vgl. Limmer, Erbrechtsberatung 2007, S. 43, 63. 2 BGH, v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 m. zust. Anm. Zimmer. 476

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Rz. 18

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anspruch des überschuldeten oder sozialhilfebedürftigen Destinatärs neben einer begünstigenden Auflage in voller Höhe bestehen bleibt, da jener weder Erbe noch Vermächtnisnehmer ist und eine Erweiterung der Pflichtteilsanrechnungsvorschriften der §§ 2305 und 2307 BGB nicht in Betracht kommt und auch eine Ausschlagung nicht möglich ist1.

IV. Vermächtnislösungen 1. Vorteile Die nachstehend bei Rz. 30 ff. vorgestellte „klassische Konstruktion“ des Behindertentestaments erweist sich in der praktischen Handhabung insbesondere insoweit als nachteilig, als der behinderte/bedürftige Abkömmling schon beim ersten Sterbefall gesamthänderisch am Nachlass zu beteiligen ist, mag auch diese im Einzelfall durch Teilungsanordnung in eine gegenständliche Zuweisung von Geld „umgemünzt“ werden können. Mit zunehmender Lebenserwartung auch behinderter Nachkommen wird diese Belastung den Beteiligten deutlicher bewusst.

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Ist der überwiegende Miterbe (z.B. die überlebende Ehefrau) in Personenidentität zugleich Testamentsvollstrecker über den nicht befreiten Vorerbenanteil des behinderten Abkömmlings und dessen Betreuer oder sonstiger gesetzlicher Vertreter, kann ferner die Bestellung eines familienfremden Dauerergänzungsbetreuers bzw. -pflegers erforderlich sein.

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Befinden sich im Nachlass schließlich Anteile an einer Personengesellschaft, wird das behinderte Kind als Mit-Vorerbe aufgrund der Sonderrechtsnachfolge unmittelbar Mitgesellschafter, wenn keine gesellschaftsvertraglichen Vorkehrungen dagegen getroffen wurden (was mitunter unerwünschte ertragsteuerliche Folgen auslöst).

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Aus diesem Grunde sind „Vermächtnislösungen“ von besonderem kautelarem Reiz, und zwar auch als unmittelbare Vermächtnislösungen (lediglich mit Dauertestamentsvollstreckung gem. § 2209 BGB versehen, jedoch ohne Nachvermächtniselement, mithin in der Erwartung, der Vermächtnisgegenstand werde zu Lebzeiten des Vermächtnisnehmers ohnehin vollständig für ihn aufgebraucht)2: Zur Stärkung des Nutzungszugriffs des sozialleistungsbedürftigen (z.B. behinderten oder überschuldeten) Hinterbliebenen könnte erwogen werden, ihm vermächtnisweise unmittelbar Gegenstände zuzuwenden, vorzugsweise solche, die zum sozialhilferechtlichen Schonvermögen (§ 90 SGB XII, § 12 SGB II) oder Schoneinkommen zählen. Hierdurch würde zugleich eine Anrechnung auf den Pflichtteil und damit eine Reduzierung des überleitungsfähigen Pflichtteilsrestanspruchs erreicht.

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Der schuldrechtliche, vermächtnisweise zugewendete Anspruch auf das zu Leistende ist nur pfändbar bzw. gem. § 93 SGB XII überleitbar, wenn es der zugewendete Gegenstand selbst ist3, also z.B. nicht bei einem Wohnungsrechtsvermächt-

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1 Seit RG, JW 1928, 907, st. Rspr., vgl. auch MüKo.BGB/Lange, § 2307 Rz. 10. 2 Littig in FS für Damrau, 2007, S. 201. 3 Zöller/Stöber, § 847 ZPO Rz. 1. Krauß

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Rz. 19

Behinderten- und Bedürftigentestament

nis1. Verbreitet sind auch Leibrentenzahlungen, über die Testamentsvollstreckung angeordnet wird (so dass die Einkommensschongrenze des § 85 SGB XII nicht einzuhalten ist, sondern wohl entsprechend § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO Unpfändbarkeit besteht2). Allerdings verbleibt dem Sozialleistungsträger die Überleitung und Verwertung des Pflichtteilsrestanspruchs gem. § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB, soweit der Wert der Vermächtnisses hinter dem Wert des Pflichtteils zurückbleibt. Um dies zu vermeiden, empfiehlt sich die Anordnung eines Quotenvermächtnisses, das sich zumindest auf den Pflichtteilsbruchteil beläuft3. 19

Die Ausschlagung des Vermächtnisses ist, anders als die Ausschlagung des Erbes gem. §§ 2180 Abs. 3, 1944 Abs. 1 BGB, nicht fristgebunden, allerdings besteht die Möglichkeit einer Fristsetzung gem. § 2307 Abs. 2 BGB4 (zur – zu verneinenden – Frage der Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts s. nachstehend Rz. 26 ff.). Um einen geschäftsfähigen Vermächtnisnehmer von der Ausschlagung abzuhalten, sollte der Vermächtnisgegenstand von besonderem affektivem oder beruflichem Interesse sein5. 2. Vor- und Nachvermächtnis

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Der Gegenstand eines Vermächtnisses ist vor dem Verwertungszugriff (der zivilrechtlichen Einzelgläubiger, des Insolvenzverwalters, als auch des Sozialleistungsträgers) gem. § 2214 BGB durch Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung zu schützen. Um diesen Zugriffsschutz auch über die Lebenszeit des Vermächtnisnehmers hinaus zu verlängern, bietet sich – als gedachte Parallele zur Vor- und Nacherbfolge – die Wahl eines Vor- und Nachvermächtnisses an. Die Position des Nachvermächtnisnehmers ist gleichwohl schwach, sie berechtigt nicht zur Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO gegen Pfändungen beim Vorvermächtnisnehmer; fällt Letzterer in Insolvenz, ist der Nachvermächtnisanspruch bloße Insolvenzforderung6. In einer Nachlassinsolvenz nach dem Tod des (z.B. überschuldeten) Vorvermächtnisnehmers ist der Nachvermächtnisnehmer allerdings gleichberechtigt7 und dem Pflichtteilsanspruch gegenüber vorrangig8.

1 Das jedoch nur sinnvoll ist, wenn der Berechtigte es auch in Anspruch nehmen können wird. Allgemein zum Schutz des Familienheims vor dem sozialrechtlichen Zugriff Reich, ZEV 2011, 639 ff. 2 So jedenfalls OLG Frankfurt v. 20.1.2000 – 26 W 170/99, ZEV 2001, 156; a.A. MüKo. BGB/Zimmermann, § 2214 Rz. 4: Anspruch auf Auszahlung von Nachlasserträgen ist pfändbar. 3 Eine sichere Prognose zum Wert des künftigen Nachlasses wird kaum möglich sein; vgl. hierzu Nieder, NJW 1994, 1265. 4 Gem. OLG Köln v. 5.12.2006 – 2 U 103/05, FamRZ 2007, 169, muss die Aufforderung zur Erklärung über das Vermächtnis einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Ablaufs der Frist enthalten. Es bleibt offen, ob es auch an einen Minderjährigen gerichtet werden kann. 5 Keim, NJW 2008, 2075. 6 Bis zum Bedingungseintritt erfolgt Hinterlegung durch den Insolvenzverwalter, §§ 191 Abs. 1 S. 2, 198 InsO. 7 Vgl. Randt, BWNotZ 2001, 76 m.w.N. 8 Vgl. Baltzer, ZEV 2008, 116, 117; § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO betrifft nur ein vom Erblasser (= Vorvermächtnisnehmer) angeordnetes Vermächtnis. 478

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Wegen der geringen gesetzlichen Regelungsdichte sind detaillierte Ausgestaltungen erforderlich1. Gegen diese Lösung, zu der noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung veröffentlicht ist, werden insbesondere fünf Argumente ins Feld geführt:

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a) Mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers endet die den Gläubiger abschirmende Wirkung der Dauertestamentsvollstreckung (§ 2214 BGB). Kann Vermächtnisvollstreckung über den Tod des Vorvermächtnisnehmers hinaus angeordnet werden2? § 2223 BGB zählt zwar die Erfüllung der einem Vermächtnisnehmer auferlegten Beschwerungen zu den Aufgaben eines (Abwicklungs-)Vollstreckers, enthält jedoch keine Aussage zur transmortalen Fortdauer, so dass vorsichtige Stimmen deren Zulässigkeit über den Vorvermächtniszeitraum hinaus verneinen3. Es dürfte jedoch möglich sein, unmittelbar im Anschluss an die Dauervermächtnisvollstreckung (§ 2209 BGB) eine Abwicklungsvollstreckung (§ 2223 BGB)4, auch durch dieselbe Person, folgen zu lassen5. b) Der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers, der sich ja nicht (wie der Anfall des Vermögens vom Vorerben auf den Nacherben) „von selbst“ erfüllt, sondern einen schuldrechtlichen Anspruch auf Auskehr des Nachvermächtnisses gegen den Erben des Vorvermächtnisnehmers darstellt (§ 2191 BGB), kollidiere mit der sozialhilferechtlichen Nachlasshaftung der Erben des behinderten Vorvermächtnisnehmers aus § 102 SGB XII. Beide seien gleichrangige Verpflichtungen, die den Wert des Nachlasses ausschöpften6. Dagegen spricht jedoch, dass der Anspruch auf Erfüllung des Nachvermächtnisses, der vom ersten Erblasser dem Vorvermächtnisnehmer aufgebürdet worden ist eine echte Erblasserschuld darstellt. Dies, sowie der Umstand, dass nur die Nachvermächtnisbelastung, nicht jedoch die Verwertungspflicht des § 102 SGB XII schon zu Lebzeiten des Vorvermächtnisnehmers auf dem Schonvermögensgegenstand latent haftete7, spricht dafür, den Nachvermächtnisanspruch bei der Berechnung des „Wertes des Nachlasses“ i.S.d. § 102 Abs. 2 SGB XII vorab in Abzug zu bringen8, ebenso wie bei einem auf den Tod befristeten Herausgabevermächtnis, mit dem der Erbe seinerseits, wenn auch ohne Lästigkeit, beschwert war9. Die Position des Nachvermächtnisnehmers, insbesondere der nur schuldrechtliche Schutz gegen beein1 Vgl. im Einzelnen Baltzer, Das Vor- und Nachvermächtnis in der Kautelarjurisprudenz, S. 109 ff.; NK-BGB/J. Mayer, § 2179 Rz. 22. 2 Grds. wirkt eine (z.B. auf 30 Jahre) befristete Testamentsvollstreckung im Fall der Erbfolge auch für die Erbeserben, vgl. § 2210 S. 2 BGB e contrario und Gutachten, DNotI-Report 2007, 3. 3 Z.B. Damrau in FS für A. Kraft, 1998, S. 37; vgl. auch Damrau/J. Mayer, ZEV 2001, 294. 4 Und sodann ggf. sogar eine Nachvermächtnisvollstreckung, wenngleich unter Schutzgesichtspunkten nicht mehr erforderlich. 5 Baltzer, Das Vor- und Nachvermächtnis in der Kautelarjurisprudenz, S. 130. 6 So etwa Damrau, ZEV 1998, 3; Damrau/J. Mayer, ZEV 2001, 295 f.; Staudinger/Otte (2003), vor §§ 2064 ff. Rz. 173 (wirtschaftlich handele es sich jeweils um Eigenschulden). 7 Dies betont Muscheler, AcP 2008, 70 (96 f.); sowie Sarres, Vermächtnis, Rz. 99. 8 Hartmann, ZEV 2001, 93; Gutachten, DNotI-Report 1999, 150 f. und 2010, 22; Spall, MittBayNot 2001, 252; Weidlich, ZEV 2001, 96 f.; Joussen, NJW 2003, 1853; Baltzer, ZEV 2008, 116(119); derzeit wohl h.M. 9 Vgl. Gutachten DNotI-Report 2010, 23. Krauß

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trächtigende Verfügungen des Vorvermächtnisnehmers, gegen Pfändungen und in der (Nachlass-)Insolvenz lässt sich ferner durch eine „vorgezogene“, aufschiebend befristete Erfüllung des Nachvermächtnisanspruchs (also eine i.S.d. § 161 BGB geschützte, bedingte Verfügung) hinsichtlich beweglicher Sachen bzw. eine aufschiebend befristete Abtretung von Rechten verstärken. Bei Grundstücken verstärkt eine Vormerkung, sofern testamentarisch Anspruch auf diese Sicherung vermacht ist, die Position im Sinne einer Quasi-Verdinglichung. 23

c) Auch bei der Vor- und Nachvermächtnislösung stellt sich die Problematik, dass der (Vor-) Vermächtnisnehmer nach § 2307 Abs. 1 BGB das Vermächtnis ausschlagen kann, um den (allerdings nach drei Jahren verjährten: § 2332 Abs. 2 BGB) ungekürzten Pflichtteil zu erlangen. Hierfür gilt keine generelle Ausschlagungsfrist (§ 2180 Abs. 3 BGB verweist nicht auf § 1944 BGB!), vielmehr müsste der Erbe ihm eine Frist gem. § 2307 Abs. 2 BGB setzen. Der Sozialfürsorgeträger ist daher deutlich länger versucht, den behinderten Vorvermächtnisnehmer darauf zu verweisen, er verfüge ja über einsatzfähiges Vermögen in Gestalt der Ausschlagungsposition (hierzu Rz. 28; das Ausschlagungsrecht selbst kann allerdings – Rz. 26 ff. – nicht gem. § 93 SGB XII auf ihn übergeleitet werden, da es sich nicht um einen Anspruch handelt.

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d) Vereinzelt wird vertreten, der Nachvermächtnisnehmer unterfalle im Verhältnis zum Vorvermächtnisnehmer unmittelbar oder in analoger Anwendung der Erbenhaftung des § 102 SGB XII, da er nicht Rechtsnachfolger von Todes wegen nach dem ursprünglichen Erblasser, sondern nach dem Vorvermächtnisnehmer sei bzw. weil typischerweise der Nachvermächtnisnehmer zugleich Eigenerbe des Vorvermächtnisnehmers ist. Dies ist jedoch ebenso abzulehnen, wie eine zivilrechtliche Erbenhaftung gem. § 1967 BGB zulasten des Nachvermächtnisnehmers nicht greift1.

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e) Ebenso wenig tragfähig ist eine mögliche Haftung des Nachvermächtnisnehmers für Nachlassverbindlichkeiten des Vorvermächtnisnehmers aufgrund einer Analogie zu §§ 2385 Abs. 1, 2382 BGB2 (Haftung des Erbschaftskäufers für Nachlassverbindlichkeiten; eine Verkörperung des Rechtsgedankens des zwischenzeitlich außer Kraft getretenen § 419 BGB). Es mag durchaus sein, dass aufgrund der Aufzehrung des sonstigen Vermögens des Vorvermächtnisnehmers der Nachvermächtnisgegenstand den gesamten Nachlass darstellen wird, so dass faktisch ein Tatbestand vorliegt, der dem „Universalvermächtnis“ gleicht, für das §§ 2382 f., 2385 Abs. 1 BGB nach verbreiteter Auffassung analog gelten. Der Analogie zum Erbschaftskauf ist jedoch wegen der unterschiedlichen Haftungsgrundlage (schuldrechtlicher Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber – beim Vermächtnis jedoch allein der Wille des Erblassers) entgegenzutreten. 3. Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts?

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Auch soweit die Zuwendung die Höhe des Pflichtteils übersteigt, könnte der pflichtteilsberechtigte Vermächtnisempfänger gem. § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil geltend machen (die Vermächtniserfüllung sollte daher erst erfolgen, wenn eine Ausschlagung wegen vorheriger An1 Hartmann, ZEV 2001, 93. 2 Hierzu Muscheler, RNotZ 2009, 74 ff. 480

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nahme des Vermächtnisses ausscheidet). Eine risikovermeidende Annahme der künftigen Erbschaft bzw. des künftigen Vermächtnisses bereits vor dem Erbfall ist gem. § 1946 BGB nicht möglich1, ebenso wenig eine diesbezügliche vertragliche Verpflichtung2. Ist der „Behinderte“ selbst geschäftsfähig, wird er die postmortale Ausschlagung unterlassen, verlöre er doch dadurch die Chance auf eine Besserung seiner Lebensstellung aus ergänzenden, zugriffsfreien Zuwendungen. Jedwede letztwillige Gestaltung, auch die klassische Erbschaftslösung, steht jedoch (letztere wegen § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB, bei Sterbefällen ab 2010 in beiden Varianten des § 2306 BGB) unter dem Vorbehalt, dass nicht der Sozialleistungsträger diese Entscheidung (und zwar dann im fiskalischen Sinne zugunsten des Pflichtteilsverlangens) an sich zieht. Das Ausschlagungsrecht selbst ist allerdings als Gestaltungsrecht nicht durch Sozialverwaltungsakt gem. § 93 SGB XII („Anspruch“) überleitbar3 bzw. geht nicht durch Legalzession gem. § 33 SGB II über – es wäre wohl auch rechtsgeschäftlich nicht abtretbar4 und seine Ausübung könnte nicht einem Dritten überlassen werden5 –; aus eigenen Stücken wird der lediglich körperlich Behinderte nicht ausschlagen, da er hierdurch schlechter gestellt würde (ihm entginge der anrechnungsfreie Vermächtniserwerb, stattdessen erhielte er eine schlichte Geldforderung, die nach Überleitung gem. § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII den öffentlichen Sozialleistungshaushalt entlastet, ihm jedoch keine zusätzlichen Leistungen sichert). Gleiches gilt für den Betreuer eines etwa geistig Behinderten, der die Ausschlagung bei einer allein am Wohl des Betreuten orientierten Entscheidung nicht vornehmen wird bzw. dessen Ausschlagungserklärung durch das Betreuungsgericht nicht genehmigt werden wird, sofern er durch die dadurch ermöglichten ergänzenden Zuwendungen besser gestellt wird6.

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Denkbar ist allenfalls, dass der Sozialhilfeträger den Vermächtnisnehmer (oder Erben im Fall des § 2306 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB, bei Sterbefällen ab 2010 in allen Varianten des § 2306 BGB) bzw. dessen gesetzlichen Vertreter (Betreuer) auffordert, im Weg der Selbsthilfe die Ausschlagung zu erklären (bzw. bei bereits vor Beginn der besonderen Ausschlagungsfrist erfolgter Erbschaftsannahme

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1 Vgl. BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, FamRZ 1998, 103 = MDR 1998, 108 = DNotZ 1998, 830. 2 Gutachten, DNotI-Report 2007, 132, auch nicht als Erbschaftsvertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB. Möglich ist nur der umgekehrte vertragliche Zuwendungsverzicht, § 2352 BGB. 3 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 m. Anm. Zimmer (obiter, auch mit Hinweis auf die bewusste Untätigkeit des Gesetzgebers) = NotBZ 2011, 168; OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484; OLG Frankfurt v. 7.10.2003 – 14 U 233/02, ZEV 2004, 24. 4 Vgl. NK-BGB/Ivo, § 1942 Rz. 20; das Ausschlagungsrecht ist lediglich gem. § 1952 Abs. 1 BGB vererblich. 5 OLG Zweibrücken v. 13.11.2007 – 3 W 198/07, FamRZ 2008, 646 = NJW 2008, 1007, auch nicht durch transmortale Vorsorgevollmacht, a.A. richtigerweise Schmidt, ZNotP 2008, 301 und Keim, ZErb 2008, 260 (Vertretung ist gem. § 1945 Abs. 3 BGB zulässig, allerdings führt die postmortale Ausschlagung nicht zur Aufhebung der Bindung aus einem entgegenstehenden gemeinschaftlichen Testament). 6 So ausdr. OLG Köln v. 29.6.2007 – 16 Wx 112/07, ZEV 2008, 196: keine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Ausschlagung für einen zum nicht befreiten Vorerben eingesetzten Behinderten. Krauß

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diese anzufechten)1, um seinen Lebensunterhalt bis zur Aufzehrung von den zu erbringenden Pflichtteilszahlungen zu bestreiten. Eine solche Verweisung auf eine zur Verfügung stehende Einkommens- oder Vermögensquelle ist zwar sozialhilferechtlich ohne weiteres denkbar (bereites Mittel i.S.d. § 2 SGB XII)2, jedenfalls solange die Ausschlagungsfrist noch läuft; ein Verstoß gegen die Aufforderung des Sozialleistungsträgers wird jedoch nur in seltenen Fällen des § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII zu einer Leistungskürzung oder -einstellung führen. Steht der Hilfeempfänger unter Betreuung, handelt es sich mangels Genehmigungsfähigkeit der Ausschlagung ohnehin um kein „bereites Mittel“; selbst wenn eine solche Genehmigung zu erlangen wäre, müsste sich der Betreute das Verhalten seines gesetzlichen Vertreters nicht zurechnen lassen3. 29

Problematischer ist allerdings die Wertung in schlichten Überschuldungs- bzw. Grundsicherungsfällen (SGB II), in denen aus dem geschützten Vermögen keine zusätzlichen, das staatliche Existenzsicherungsangebot ergänzende Naturalleistungen (wie Urlaubsfahrten mit einem Betreuer etc) erbracht werden. Die untergerichtliche Rechtsprechung (SG Mannheim4) behauptet in solchen Fällen durchaus eine Obliegenheit zur Ausschlagung mit der Folge, dass Sozialleistungen lediglich als Darlehen zu gewähren seien. Dem ist entgegenzutreten5: weder führt die Nichtausschlagung zu einer Verminderung des Einkommens oder Vermögens i.S.d. § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II, noch liegt darin sozialwidriges Verhalten i.S.d. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II. Auch § 35 SGB II (Ersatzpflicht des Erben) und § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II (Übergang von Ansprüchen – nicht Rechten –) erfassen den Sachverhalt nicht.

V. „Klassische“ Erbschaftslösung: Destinatär als Mitvorerbe, Testamentsvollstreckung 1. Gestaltungselemente a) Vorerbschaft 30

Zur Pflichtteilsvermeidung und gleichzeitigen Immunisierung des dem Hilfebedürftigen zugedachten Nachlasses (§ 2115 BGB) weitverbreitet ist die Einsetzung des „behinderten“ Abkömmlings zum bloßen Miterben bereits auf den ersten Sterbefall, und zwar als Vorerbe6. Nacherbe sei bspw. der weitere, nicht bedürftige Abkömmling, oder der überlebende Ehegatte des Vorerben, oder etwaige (auch künftige) Abkömmlinge des Vorerben (zugleich zur Entkräftung der regelmäßig nicht gewollten Wegfallsvermutung der Vorerbschaft insgesamt gem. § 2107 BGB), oder weiter ersatzweise ein Verein/eine Stiftung der Behindertenhilfe. 1 OLG Hamm v. 18.3.2004 – 15 W 38/04, FamRZ 2005, 306 = MittBayNot 2004, 456. 2 BVerwGE 38, 309 f. 3 Gutachten, DNotI-Report 1996, 48/53; Ivo, FamRZ 2003, 9; Settergren, Das „Behindertentestament“ im Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und sozialhilferechtlichem Nachrangprinzip, S. 128. 4 SG Mannheim v. 20.12.2006 – S 12 AS 526/06. 5 Angermaier, Soziale Sicherung 2010, 194 (198). 6 Instruktiv zu Gestaltungsfragen der Vor- und Nacherbschaft in der Gestaltungspraxis Hartmann, ZNotP 2012, 322 ff. und 371 ff. 482

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Rz. 33

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Der Vorerbe sollte von jedenfalls von §§ 2133, 2134 BGB nicht befreit werden1: Da der befreite Vorerbe lediglich den beim Nacherbfall noch vorhandenen Nachlass herauszugeben hat und im Übrigen Schadensersatz nur bei Benachteiligungsabsicht schuldet (§ 2138 BGB2), könnten Sozialleistungsträger ihn darauf verweisen, seinen Unterhalt aus der Substanz des Nachlassanteils zu bestreiten (§ 2 Abs. 2 SGB XII)3 und in diesem Umfang gegen den Testamentsvollstrecker auf Freigabe zu klagen (§ 2217 Abs. 1 BGB); diesen Anspruch könnte der Sozialleistungsträger auf sich überleiten – sofern keine geeigneten, vorrangigen, Verwaltungsanordnungen erteilt sind.

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Ist der Vorerbe vom Verbot entgeltlicher Verfügungen (§§ 2113, 2114 BGB) und der Einhaltung weiterer Verfügungsbeschränkungen (§§ 2116 bis 2118 BGB) befreit, führt dies zwar zur Fortsetzung der Nacherbenbindungen am Surrogat (§ 2111 BGB), allerdings kann der Testamentsvollstrecker dadurch gehalten sein, das liquide gewordene Vermögen rascher und umfassender einzusetzen. Ist der Testamentsvollstrecker zugleich Nacherbe, besteht ebenfalls kein Bedarf an einer Befreiung vom Verfügungsverbot, da er in seiner Eigenschaft als Nacherbe zustimmen kann4. Werden einzelne Gegenstände (z.B. Finanzvermögen) von der Beschränkung durch Vor- und Nacherbfolge (und Testamentsvollstreckung) ausgenommen, unterliegen sie naturgemäß dem Sozialhilfezugriff5.

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b) Testamentsvollstreckung Zusätzlich6 wird (für den ersten wie auch den zweiten Sterbefall, ggf. aufgrund entsprechenden Vorbehalts) Dauertestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB) angeordnet über die Vorerbschaft7 und insbesondere die hieraus zu gewinnenden Erträgnisse, die ja gem. §§ 2124, 2130, 100 BGB sonst freies Eigenvermögen des Vorerben werden, verbunden mit klaren Verwaltungsanweisungen an den Testamentsvollstrecker (§ 2216 Abs. 2 BGB), die den staatlichen Leistungskatalog ergänzende Zuwendungen aus den Erträgnissen dem behinderten Vorerben sichern.8. Die hiervon betroffenen Vermögenswerte sind wegen § 2211 BGB dem 1 Ausführlich hierzu Spall, in: FS 200 Jahre Notarkammer Pfalz, 2003, S. 140 ff. 2 Hierzu Muscheler, ZEV 2012, 389 ff. 3 Otte, JZ 1990, 1027; a.A. OVG Bautzen v. 2.5.1997 – 2 S 682/96, NJW 1997, 2898; zum Ganzen vgl. Gutachten, DNotI-Report 1996, 48 ff. 4 BGHZ 40, 115, Wegmann, ZErb Beilage Fachanwalt Erbrecht 2005, 33. 5 OVG Münster v. 18.7.2008 – 12 A 2471/06, ZEV 2009, 402. 6 Eine „reine Testamentsvollstreckerlösung“ eröffnet den postmortalen Zugriff gem. § 102 SGB XII – was die Beteiligten bei nur einem Abkömmling ohne Hoffnung auf weitere Nachkommen in Kauf nehmen mögen – und erscheint auch wegen der noch offenen Schwächen, unten Rz. 45, nicht empfehlenswert, ebenso Spall, MittBayNot 2007, 70 zur Entscheidung des OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05, MittBayNot 2007, 65. 7 U.U. auch über die Nacherbenrechte während der Vorerbschaft, § 2222 BGB, aber nicht zugleich über die Nacherbschaft selbst, wie es zu vermuten wäre, wenn bei Vor- und Nacherbfolge schlicht „Dauertestamentsvollsteckung“ angeordnet wird, vgl. OLG Düsseldorf v. 3.1.2012 – I-3 Wx 217/11, MittBayNot 2012, 468 m. Anm. Reimann. 8 Seit Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes empfiehlt sich, nicht mehr nur von „Sozialhilfeleistungen“, sondern von „Sozialleistungen“ zu sprechen; die Eingliederung des GSiG in §§ 41 ff. SGB XII hat die Thematik allerdings entschärft, Littig, in: FS für Damrau, 2007, S. 185. Krauß

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Zugriff des Erben und wegen § 2214 BGB (bereits ab dem Sterbefall, nicht erst mit dem Amtsantritt des Vollstreckers!) dem Zugriff seiner Eigengläubiger entzogen, was zur „Unverwertbarkeit“ der im Nachlass vorhandenen Vermögensgegenstände i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII führt1. 34

Derselbe Testamentsvollstrecker kann über die Vorerbschaft und die Rechte des Nacherben eingesetzt sein2. Ist der Testamentsvollstrecker nicht ohnehin zugleich Nacherbe, ist zu erwägen, ihn auch hierüber zum Vollstrecker zu bestimmen, um eine möglichst deckungsgleiche Umsetzung der Verwaltungsanordnungen zu ermöglichen (und zudem bei minderjährigen Nacherben dem Erfordernis familiengerichtlicher Genehmigung zu entgehen).

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Im Rahmen der Vollstreckungsanordnungen (§ 2216 BGB) ist entscheidend, dass die der Testamentsvollstreckung unterliegenden Werte zuvörderst der Finanzierung ergänzender Hilfeleistungen dienen, die Übernahme der Heimkosten oder sonstiger vom Staat übernommenen Aufwands (Bekleidungsbeihilfe!3) selbst also erst dann zu erfolgen hat, wenn dies ohne Gefährdung vorrangiger Ziele aus den Erträgen (je nach Anordnung auch aus der Substanz, allerdings unter Vermeidung vorzeitigen Aufbrauchs) möglich ist4. Neben der sorgsamen Formulierung ist auch die genaue Umsetzung der Verwaltungsanordnungen entscheidend5. Im Regelfall wird die Befugnis zur Verwertung der Substanz beschränkt sein auf Zuwendungen, welche den Lebensstandard des Destinatärs über die staatliche „Grundversorgung“ hinaus verbessern.6. Je weniger das zur Verfügung stehende Vermögen nennenswerte Erträge abwirft (Niedrigzinsphase!), umso mehr sollten Substanzeingriffe gestattet sein, z.B. durch Bestimmung eines jährlich mindestens einzusetzenden Betrages. 2. Gefährdungen a) § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB

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Die Quote, zu welcher der behinderte Vorerbe bereits auf den ersten Sterbefall eingesetzt wird, musste bei Sterbefällen bis Ende 2009 auf jeden Fall höher sein 1 So ausdrücklich (zu einem Sachverhalt ohne gleichzeitige Vor- und Nacherbfolge, in welchem also nach dem Tod des Bedürftigen § 102 SGB XII die Verwertung seines Nachlasses ermöglicht, was die Beteiligten bei nur einem Kind in Kauf nahmen) OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05, MittBayNot 2007, 65 m. Anm. Spall (durch Auslegung wurden die im Testament der Großmutter zugunsten der behinderten Enkelin enthaltenen Anweisungen an den Testamentsvollstrecker dahin gehend konkretisiert, dass eine Substanzverwertung zugunsten der Heimkosten nicht in Betracht komme), ebenso zuvor VGH Mannheim v. 22.1.1992 – 6 S 384/90, NJW 1993, 152; VGH Kassel, NDV 1989, 210. 2 Vgl. BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, BGHZ 127, 360 = MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158; Schubert, JR 1996, 60. 3 LSG Darmstadt v. 26.6.2013 – L 6 SO 165/12, notar 2014, 20 4 Das OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05, MittBayNot 2007, 65 m. Anm. Spall hat zur Aufrechterhaltung des Gewollten diese Konkretisierung der Anweisung (§ 2216 BGB) durch Auslegung, gestützt auch auf eine Stellungnahme des beurkundenden Notars, gewonnen. 5 LSG Darmstadt v. 26.6.2013 – L 6 SO 165/12, notar 2014, 20: schädliche Barauszahlung von Mitteln, die zur Anschaffung neuen Mobiliars bestimmt waren. 6 Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 301. 484

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als dessen Pflichtteilsquote, da sonst die vorerwähnten Beschränkungen der Nacherbschaft und der Testamentsvollstreckung als nicht angeordnet galten (§ 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB), mithin also eine schlichte Einsetzung zum Miterben vorlag, die den Weg zu einem Regress des Sozialleistungsträgers durch Verwertung dieses einsatzpflichtigen Vermögens im Weg der Auseinandersetzungsversteigerung eröffnete (§§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 SGB XII, §§ 180 ff ZVG). Die mathematisch korrekte Bestimmung der Pflichtteilsquote erforderte genaue Kenntnis des Sachverhaltes einschließlich des Güterstandes der Beteiligten. Selbst eine „rechnerisch richtige“ Quotenermittlung konnte jedoch bei Sterbefällen bis zum 31.12.2009 ungewollt und häufig auch unerkannt zur Anwendung des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB führen, etwa bei Einsetzung mehrerer pflichtteilsberechtigter Nacherben aufgrund § 2306 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 1 BGB. Teilweise wird auch unter Geltung des neuen Rechts empfohlen, dem betroffenen Destinatär eine höhere Quote zuzuwenden als die Pflichtteilsquote, um die Ausschlagung unattraktiver erscheinen zu lassen1. Bei vernünftiger Abwägung wird freilich der Betroffene selbst, sofern er geschäftsfähig ist, nicht ausschlagen – der gem. § 2306 n.F. BGB entstehende Pflichtteilsanspruch unterliegt dem Verwertungszugriff des Sozialleistungsträgers (Rz. 6 ff.), kommt ihm selbst jedoch nicht zugute, und es können auch keine ergänzenden Leistungen aus dem Nachlass zu seinen Gunsten generiert werden, da hierfür kein geschützter „Fonds“ mehr zur Verfügung steht. Der für den geistig behinderten Vorerben bestellte (oder gem. §§ 1944 Abs. 2 S. 3, 203, 206 BGB zur Ingangsetzung der Frist zu bestellende) Betreuer2 wird ebenso wenig ausschlagen, da dies dem Wohl des Betreuten nicht entspräche, jedenfalls dürfte die gerichtliche Genehmigung (§ 1822 Nr. 2 BGB) hierfür nicht erteilt werden3. Eine Überleitung des Ausschlagungsrechts selbst als Gestaltungserklärung auf den Sozialleistungsträger schließlich kann i.R.d. auf Ansprüche beschränkten § 93 Abs. 1 SGB XII nicht erfolgen4 und findet ebenso wenig kraft Gesetzes gem. § 33 Abs. 1 SGB II statt (Rz. 26 ff.). Daher besteht kein überzeugender rechtlicher Anlass mehr, die Pflichtteilsquote zu überschreiten – entscheidend ist vielmehr der Verteilungsplan der Erblasser und deren Bestreben, den durch Nacherbfolge und Testamentsvollstreckung geschützten „Fonds“ ausreichend zu dotieren, um spürbare Verbesserungen für das behinderte Kind zu erreichen.

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b) § 2305 BGB Auch für Sterbefälle seit 1.1.2010 ist jedoch auf jeden Fall davon abzuraten, die Erbteilsquote des Vorerben zu klein zu wählen, da der sonst entstehende Pflicht1 Z.B. bei Schlitt/Müller/G. Müller, Pflichtteilsrecht, § 10 Rz. 273. 2 Vorausgesetzt, sein Aufgabenkreis i.S.d. § 1902 BGB umfasst auch die Ausschlagung (die „Vermögenssorge“ umfasst im Gegensatz zu „allen Angelegenheiten“ zwar die Annahme, aber wohl nicht die Ausschlagung einer Erbschaft, vgl. Wirich, ZErb 2013, 249, 250. 3 So ausdrücklich OLG Köln v. 29.6.2007 – 16 Wx 112/07, ZEV 2008, 196: keine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Ausschlagung für einen zum nicht befreiten Vorerben eingesetzten Behinderten. 4 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484; OLG Frankfurt v. 7.10. 2003 – 14 U 233/02, ZEV 2004, 24, ganz h.M., obiter auch bestätigt in BGH v. 19.1. 2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 m. Anm. Krauß = NotBZ 2011, 168. Krauß

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teilsrestanspruch des § 2305 BGB – als Teil des ordentlichen Pflichtteils gem. § 2303 BGB – weder den Nacherbschafts- noch den Testamentsvollstreckungsbeschränkungen unterliegt und uneingeschränkt überleitbar ist (Rz. 6 ff.). Maßgeblich ist auch i.R.d. § 2305 BGB (wie bei Sterbefällen vor dem 31.12.2009 i.R.d. § 2306 BGB für die Differenzierung, ob Abs. 1 S. 1 a.F. oder Abs. 1 S. 2 a.F. Anwendung fände) der Vergleich der Quotenhöhe (mit der Hälfte des gesetzlichen Erbteils). Beschränkungen und Beschwerungen der in § 2306 BGB bezeichneten Art, also die Belastung mit der Nacherbfolge bzw. der Testamentsvollstreckung, bleiben bei der Berechnung des Wertes gem. § 2305 S. 2 BGB außer Betracht (ebenso wie gem. § 2307 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB bei der Annahme eines Vermächtnisses solche Beschwerungen außer Betracht bleiben): der Erbe hat sich schließlich, da er von einer Ausschlagung gem. § 2306 n.F. BGB abgesehen hat, „aus freien Stücken“ diesen Beschränkungen unterworfen. Doch auch im Rahmen des § 2305 BGB können Tücken lauern: aa) Gefahren aufgrund früherer Zuwendungen 39

Die Ermittlung des „Wertes des an der Hälfte [des Erbteils] fehlenden Teils“ (§ 2305 S. 1 BGB) ist nicht immer einfach, insbesondere wenn nicht allein die „Quotentheorie“ (Vergleich lediglich mit der Bruchteilsgröße des zugewendeten Anteils am Gesamtnachlass) zugrunde zu legen ist, sondern die sog. „Werttheorie“ („Quantum statt Quote“). Die ganz h.M. geht (nach wie vor) davon aus, dass die Werttheorie unter bestimmten Umständen auch i.R.d. § 2305 BGB (nicht nur wie bisher bei der Prüfung des § 2306 BGB) Anwendung finden kann (obwohl sich das damit verfolgte Ziel, den erbenden Pflichtteilsberechtigten nicht schlechter zu stellen als den völlig enterbten Pflichtteilsberechtigten, nun auch durch unmittelbare Anwendung des § 2316 BGB erreichen ließe1), und zwar (nach h.M.) wenn aufgrund früherer Zuwendungen an Dritte Anrechnungs- und/oder Ausgleichspflichten (§§ 2315, 2316 BGB) zu einer Veränderung des ordentlichen Pflichtteils führen (nach Mindermeinung auch dann, wenn der belastete [Mit-]erbe – allein oder zusätzlich auch – pflichtteilsergänzungsberechtigt, § 2325 BGB, ist).

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Die Veränderung des ordentlichen (ggf. auch des Ergänzungs-)Pflichtteils müsste durch eine Erhöhung der (Vor-)Miterbenquote berücksichtigt werden, deren Berechnung jedoch schwerfällt. Auch Vertreter der erweiterten Werttheorie gestehen jedoch zu, dass im Rahmen der Prüfung, ob noch ein Restpflichtteil gem. § 2305 BGB verbleibt, die Summe aus hinterlassenem Erbteil (ohne Abzug für die Beschwerungen: § 2305 S. 2 BGB) und etwa ausgesetzten Vermächtnissen (wiederum ohne Abzug für die Beschwerungen, § 2307 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB) auf der einen Seite und der Gesamtpflichtteil auf der anderen Seite zu erfassen seien.

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Daher bietet sich an2, dem Behinderten/Bedürftigen neben dem belasteten Erbteil (berechnet nach der Quotentheorie) ein durch die Existenz von Vorschenkungen bedingtes Vorausvermächtnis (ausgestaltet als Vor- und Nachvermächtnis, der Testamentsvollstreckung unterworfen) auszusetzen, das den isolierten Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) bzw. den Ausgleichungspflichtteil 1 So z.B. PWW/Deppenkemper, 7. Aufl. (2012), § 2305 Rz. 2; J. Mayer in Mayer, J./Süß/ Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht, § 4 Rz. 9 ff.; a.A. die weiter h.M.: Blum in Schlitt/Müller, § 3 Rz. 78 f. m.w.N.; Damrau/Riedel, § 2305 Rz. 6. 2 Gemäß dem Vorschlag von Weidlich, ZEV 2001, 96. 486

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(§ 2316 BGB) angemessen übersteigt (vgl. das Muster in Rz. 42). In Sterbefällen bis zum 31.12.2009 (Art. 229 § 21 Abs. 4 EGBGB) wurde damit nach der erweiternden Auffassung (unter Anwendung der Werttheorie) verhindert, dass die Gefahrenzone des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB erreicht wird; nach der herrschenden Auffassung (welche die Quotentheorie anwenden würde) wird vermieden, dass ein schlicht überleitbarer und auf Geldzahlung gerichteter Pflichtteilsergänzungsanspruch entsteht. Für Sterbefälle seit 1.1.2010 wird das Entstehen freier, überleitbarer Pflichtteilsrestansprüche gem. § 2305 BGB (bei Anwendung der Werttheorie) bzw. (nach neuerer Ansicht, die anstelle der Werttheorie unmittelbar §§ 2325, 2316 BGB anwendet) das Entstehen freier Pflichtteilsergänzungsoder Ausgleichspflichtteilsansprüche verhindert. Der bedingte Anspruch (gerichtet auf Geldleistung, jedoch mit Ersetzungsbefugnis seitens des Beschwerten) übersteigt die Pflichtteilsbetragserhöhung maßvoll, um die Ausschlagung des beschwerten Vermächtnisses (§ 2307 Abs. 1 BGB) zu vermeiden, wobei die in Rz. 26 angestellten Überlegungen an sich (wie i.R.d. § 2306 BGB) auch gegen diese Ausschlagung schon dem Grunde nach sprechen:

M 74 Bedingtes Vorausvermächtnis (als Vor- und Nachvermächtnis) beim „Behindertentestament“ (als Vorsorge gegen die Werttheorie sowie gegen überleitbare Pflichtteilsansprüche) Bedingtes Vorausvermächtnis 1. Beschwerter Der länger lebende Ehegatte wird als Miterbe des erstversterbenden Ehegatten zugunsten des gemeinsamen (behinderten) Kindes C mit folgendem bedingtem Vorausvermächtnis beschwert: Soweit infolge lebzeitige Zuwendungen des erstverstorbenen Ehegatten dem C Pflichtteilsansprüche gleich welcher Art (also Pflichtteilsergänzungsansprüche oder Erhöhungsbeträge hinsichtlich des Ausgleichungspflichtteils, oder Pflichtteilsrestansprüche bei Anwendung der Werttheorie, §§ 2325, 2316, 2305 BGB) gegen den Nachlass oder den Beschenkten zustehen würden, hat der Länger lebende diesem einen baren Geldbetrag in Höhe von 110 % dieser Ansprüche zu verschaffen. Übersteigt der Vermächtnisbetrag den Nachlassanteil, handelt es sich insoweit um ein Verschaffungsvermächtnis. Das jeweilige Vermächtnis entfällt, wenn C das ihm in dieser Urkunde Zugewendete ausschlägt, ebenso wenn er oder ein (gesetzlicher bzw. gewillkürter) Vertreter oder Überleitungsberechtigter den betreffenden Pflichtteilsanspruch selbst geltend macht (auflösende Bedingung). 2. Nachvermächtnis C ist jedoch hinsichtlich jedes Vermächtnisses nur Vorvermächtnisnehmer. Nachvermächtnisnehmer sind seine Abkömmlinge, ersatzweise die oben genannten anderen Schlusserben A und B gemäß den dort getroffenen VerteilungsKrauß

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grundsätzen. Die Nachvermächtnisanwartschaftsrechte sind nur an den Vorerben veräußerlich, im Übrigen jedoch unvererblich und unveräußerlich. Das Nachvermächtnis fällt an mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers. Die bis dahin zu ziehenden Nutzungen stehen dem Vorvermächtnisnehmer zu. Sie dürfen jedoch nur in derselben Weise verwendet werden, wie die Erträge seines Miterbenanteils. 3. Vermächtnisvollstreckung Der erstversterbende Ehegatte ordnet zur Sicherung der vorstehenden Nutzungsverwendung hinsichtlich des jeweiligen Vermächtnisses Vorvermächtnisvollstreckung an, für welche die unten getroffenen Bestimmungen über die Testamentsvollstreckung am Miterbenanteil von C, auch hinsichtlich der Person des Vermächtnisvollstreckers, entsprechend gelten. Der Beschwerte ist berechtigt, nach seiner Wahl das Vermächtnis auf seine Kosten durch die Verschaffung von Immobilienvermögen oder anderen Sachwerten zu erfüllen. 4. Bedingtes Vorausvermächtnis beim zweiten Sterbefall Auch der länger Lebende beschwert die Miterben des C zu dessen Gunsten mit dem oben a bis c geregelten Vor- und Nachvermächtnis als Vorausvermächtnis, ggf. zugleich Verschaffungsvermächtnis, für den Fall, dass aufgrund lebzeitiger Zuwendungen des Länger Lebenden unserem Kind C Ansprüche der genannten Art gegen den Nachlass oder den Beschenkten zustehen würden, und ordnet insoweit Vorvermächtnis-Testamentsvollstreckung an. Es gelten die in Bezug genommenen Regelungen. Testamentsvollstrecker ist der Vorerbenvollstrecker auf den Schlusserbfall.

bb) Gefahren aufgrund Ausschlagung durch den überlebenden Ehegatten 43

Weitere Gefahren drohen schließlich gem. § 1371 Abs. 2, 2. Hs. BGB: Schlägt nämlich der zum überwiegenden Vollerben eingesetzte überlebende Ehegatte nach dem ersten Sterbefall aus und verlangt stattdessen den „kleinen Pflichtteil“ (berechnet also aus dem nicht gem. §§ 1931, 1371 BGB um ein Viertel erhöhten Erbteil) zuzüglich des konkret ermittelten „familienrechtlichen“ Zugewinnausgleichs auf den Todestag, § 1371 Abs. 3 BGB, berechnen sich die Erbund Pflichtteilsquoten der anderen Erben ebenfalls ohne das Erhöhungsviertel des Ehegatten, § 1371 Abs. 2, 2. Hs. BGB.1

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Daher muss die „frei gewordene“ Miterbenquote des ausschlagenden Ehegatten dem Vorerben zumindest in einem solchen Umfang zugutekommen, dass die erhöhte Pflichtteilsquote „wieder eingeholt“ wird, was ausdrücklicher Ersatzerbanordnung bedarf (es gilt weder die Auslegungsregel des § 2097 BGB noch die des § 2102 Abs. 1 BGB!) 1 Hierauf weisen Mundanjohl/Tanck, ZErb 2006, 180 zu Recht hin. 488

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c) § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB Zentrale Steuerungsinstrumente zur Sicherung des positiven Gestaltungsziels (der Besserstellung des Hinterbliebenen durch Ergänzung des staatlichen Leistungsangebotes) sind die Verwaltungsanordnungen an den Testamentsvollstrecker gem. § 2216 Abs. 2 BGB. Die (dort Abs. 1 geregelte) subsidiäre gesetzliche Verpflichtung zur „ordnungsmäßigen Verwaltung“ ist in keinem Fall ausreichend.1 § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB eröffnet allerdings dem Nachlassgericht die Befugnis, solche Anordnungen auf Antrag außer Kraft zu setzen, wenn ihre Befolgung „den Nachlass ernstlich gefährden würde“. Als solche Beeinträchtigung wird auch die wirtschaftliche Gefährdung der am Nachlass beteiligten Personen verstanden2 (hier: des Behinderten, der sonst die Vermögenswerte für den eigenen Konsum verwenden könnte). Die Literatur zieht die Grenze im Hinblick auf das Verbot eines vollständigen Ausschlusses der Ertragsnutzung (§ 2220 BGB) sehr unterschiedlich:

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(1) die Früchte des Nachlasses seien stets der freien Verfügung des Erben anheimzustellen3,

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(2) aus den Erträgen sei zumindest dasjenige freizustellen, was für den eigenen angemessenen Unterhalt und die Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten benötigt werde4, (3) eine vollständige Thesaurierung sei unzulässig; wenn Erträge für die „Zusatzversorgung“ bereitgestellt werden, müsse der Ertragsrest auch der allgemeinen Unterbringung zur Verfügung stehen5, (4) zulässig sei eine „Sperranordnung“ des Inhaltes, dass Erträge nur in Gestalt von Naturalverpflegung zu verwenden seien6, (5) zulässig sei der „weitgehende Ausschluss“ des Erben von den Erträgen dann, wenn er im „wohlverstandenen Interesse“ des Erben liege7. Vorsichtige Gestalter raten daher8, die Umsetzung der Verwendungsanweisungen durch eine Auflage abzusichern, die den Behinderten davon abhalten soll, bei etwaiger Unwirksamkeit oder Aufhebung der Vollstreckeranweisungen (bzw. dem Fehlen eines Vollstreckers) die Mittel schlicht für den eigenen Konsum einzusetzen.

1 Wobei sich das dabei zugrunde gelegte Leitbild seit Inkrafttreten des BGB bereits erheblich gewandelt hat, vom „guten Hausvater“ und „kaufmännischer Vorsicht“ hin zum „umsichtigen, soliden aber zugleich dynamischen Kaufmann“, vgl. Tolksdorf, ErbStB 2008, 54 ff., 86 ff. und 118 ff.; zur unternehmerischen Entscheidungsverantwortung Illiou, ZErb 2008, 96 ff. 2 NK-BGB/Weidlich, § 2216 Rz. 24; Soergel/Damrau, § 2216 Rz. 12. 3 Otte, JZ 1990, 1028. 4 Nieder, NJW 1994, 1266 unter Berufung auf RG, LZ 1918, 1267. 5 In diese Richtung J. Mayer, DNotZ 1994, 358. 6 Staudinger/Reimann (2003), § 2209 Rz. 20. 7 OLG Bremen v. 29.12.1982 – 1 W 83/82a, FamRZ 1984, 213. 8 Vgl. Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 281 mit Formulierungsvorschlag. Krauß

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d) Person des Testamentsvollstreckers 48

Der Testamentsvollstrecker haftet persönlich für Schäden aus schuldhafter Verletzung von Pflichten, die ihm dem Erben bzw. Vermächtnisnehmer gegenüber obliegen (§ 2219 BGB), insbesondere der Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung (§ 2216 BGB). Er hat Rechnung zu legen (§ 2218 BGB) und ein Nachlassverzeichnis aufzustellen (§ 2215 BGB). Die Wahrnehmung dieser Kontroll- und Überwachungsrechte des Betroffenen ggü. dem Testamentsvollstrecker erfolgt beim minderjährigen oder sonst nicht voll Geschäftsfähigen an sich durch seinen gesetzlichen Vertreter.

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Besteht (etwa in Gestalt des länger lebenden Ehegatten) Personenidentität als Testamentsvollstrecker über den nicht befreiten Vorerbenanteil1 des behinderten Abkömmlings und als dessen gesetzlicher Vertreter (qua Elternschaft, Ergänzungspflegschaft bzw. Betreuung), forderte die Instanzrechtsprechung2 überwiegend wegen des Interessenkonfliktes i.S.d. § 1629 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 1796 BGB (also nicht gegründet auf § 1795 Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB)3 eine Dauerergänzungspflegschaft oder (bei Volljährigen) Dauerergänzungsbetreuung für den Teilbereich „Überwachung des Testamentsvollstreckers“4 durch eine familienfremde Person. Der BGH5 betont demgegenüber, es sei tatrichterlich jeweils im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Ergänzungspflegschaft/Ergänzungsbetreuung zur Wahrnehmung der Rechte ggü. dem Testamentsvollstrecker angeordnet werden müsse. Wenn sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen und des engen persönlichen Verhältnisses zwischen Testamentsvollstrecker und Minderjährigem bzw. Betreutem keinerlei Anlass zu der Annahme ergebe, der Vollstrecker werde unbeschadet seiner eigenen Interessen die Belange des Betroffenen nicht in gebotenem Maß wahren und fördern, sei nicht bereits aufgrund des bloßen „typischen Interessengegensatzes“ ein betreuungs- oder familiengerichtliches Eingreifen erforderlich.

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Wollen die Beteiligten verhindern, dass ein völlig fremder Ergänzungsbetreuer als „Aufpasser“ bestellt wird, ist zu erwägen, einen Mit-(„Neben“)testaments1 Ist der Nacherbenvollstrecker (§ 2222 BGB) zugleich gesetzlicher Vertreter des Nacherben, gilt wohl Gleiches für die Erfüllung der Auskunftspflichten gegenüber dem Nacherben, Keim, ZErb 2008, 6. Ist er zugleich gesetzlicher Vertreter des Vorerben, bedarf es zur Entgegennahme der Zustimmung eines Ergänzungspflegers (außer die Genehmigung wird nach § 182 BGB gegenüber dem Vertragspartner erteilt und als Nacherbenvollstrecker ist er von § 181 BGB befreit). 2 OLG Hamm v. 13.1.1993 – 15 W 216/92, FamRZ 1993, 1122 = MittBayNot 1994, 53; OLG Nürnberg v. 29.6.2002 – 11 UF 1441/01, MDR 2001, 1117 = FamRZ 2002, 272 = MittBayNot 2002, 403 m. krit. Anm. Kirchner, MittBayNot 2002, 368; A.A. OLG Zweibrücken v. 21.12.2006 – 5 UF 190/06, FamRZ 2007, 1836 = RNotZ 2007, 157: nur bei konkret vorgetragener Konfliktlage. 3 Es handelt sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Tätigkeit i.S.d. § 181 BGB, vgl. Werner, SchiedsG Handelskammer Hamburg v. 16.10.2007 – DIS-SV-B-435/04, GmbHR 2008, 934 (unabhängig davon könnte zwar der Testamentsvollstrecker, nicht aber der Betreuer von § 181 BGB befreit werden). 4 Der (auch einzige) Nacherbe kann jedoch (sofern nicht zugleich Betreuer oder gesetzlicher Vertreter) zugleich Testamentsvollstrecker des Vorerben sein; vgl. insgesamt Gutachten, DNotI-Report 2003, 145 f. 5 BGH v. 5.3.2008 – XII ZB 2/07, NotBZ 2008, 344. 490

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vollstrecker1 einzusetzen bzw. durch den „Hauptvollstrecker“ gem. § 2199 BGB bestimmen zu lassen2, dessen abweichender Aufgabenbereich (§ 2224 Abs. 1 S. 3 BGB) sich auf die Überwachung des Hauptvollstreckers beschränkt, § 2208 BGB3.

M 75 Dauertestamentsvollstreckung über den Vorerbenanteil beim „Behindertentestament“ 1. Testamentsvollstreckung bei beiden Erbfällen Unser gemeinsames Kind … ist wegen seiner Behinderung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Es wird daher die ihm beim jeweiligen Erbfall als Vorerbe zugewendeten Erbteile nicht selbst verwalten können. Sowohl der erstversterbende als auch der länger lebende Ehegatte ordnen deshalb hinsichtlich des unserem behinderten Sohn jeweils zufallenden Erbteils Testamentsvollstreckung in Form einer Dauertestamentsvollstreckung gem. § 2209 BGB an. 2. Person des Testamentsvollstreckers Zum Testamentsvollstrecker wird ernannt: – beim Tod des Erstversterbenden der länger lebende Ehegatte – beim Schlusserbfall das gemeinsame Kind … Der jeweilige Testamentsvollstrecker wird ermächtigt, jederzeit einen Nachfolger zu benennen (§ 2199 BGB) bzw, sofern er das Amt nicht antritt, als Dritter gem. § 2198 BGB den Vollstrecker zu bestimmen. Kann oder will er dies nicht, ist … als Ersatzvollstrecker für den ersten und den zweiten Sterbefall berufen, dem wiederum die Benennungsmöglichkeiten gem. § 2198, 2199 BGB entsprechend zustehen. Hilfsweise soll der Vollstrecker gem. § 2200 BGB durch das Nachlassgericht ernannt werden. Wir empfehlen, im Fall einer Kollision zwischen dem Amt des Betreuers/gesetzlichen Vertreters und des Testamentsvollstreckers, die zur möglicherweise nicht gewollten Bestellung eines fremden Ergänzungs-Überwachungsbetreuers führen würde, das Amt des Betreuers/gesetzlichen Vertreters anzunehmen und im Wege der §§ 2198, 2199 bzw. hilfsweise § 2200 BGB einen anderen, geeigneten Vollstrecker zu bestimmen. Das Amt des für den ersten Sterbefall eingesetzten Testamentsvollstreckers endet mit dem Schlusserbfall. An seine Stelle tritt der für den Schlusserbfall eingesetzte Testamentsvollstrecker, der dann die Miterbenanteile von (Behinderter) am Nachlass beider Elternteile verwaltet.

1 Vorzuziehen gegenüber einem Ersatzvollstrecker (dafür Kirchner, MittBayNot 1997, 203), bei welchem der ursprüngliche Vollstrecker die vollständige Amtsführung verliert. 2 Wobei das Nachlassgericht einwenden könnte, der Minderjährigenschutz sei aufgrund dieser Benennung durch den Überwachenden selbst nicht gewahrt, vgl. Scherer/Lehmann, ZEV 2007, 318, 320. 3 Reimann, MittBayNot 1994, 56; Bonefeld, ZErb 2007, 3. Krauß

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3. Aufgabe des Vollstreckers Aufgabe des jeweiligen Testamentsvollstreckers ist die Verwaltung des Erbteils unseres behinderten Sohnes … und damit die Verwaltung des Nachlasses gemeinsam mit dem weiteren Miterben. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat alle Verwaltungsrechte auszuüben, die unserem genannten Sohn als (Mit-)Vorerbe zustehen. Er ist zur Verwaltung des Nachlasses in Gemeinschaft mit den weiteren Miterben berechtigt und verpflichtet. Nach Teilung des Nachlasses setzt sich die Testamentsvollstreckung an den dem Vorerben zugefallenen Vermögenswerten fort, ebenso an allen Surrogaten. Aufgabe des Vollstreckers ist ferner die Durchführung der in dieser Verfügung von Todes wegen enthaltenen Teilungsanordnungen. Der Testamentsvollstrecker ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Sowohl der zuerst Versterbende als auch der Überlebende von uns beiden trifft folgende, für den jeweiligen Testamentsvollstrecker verbindliche Verwaltungsanordnung gem. § 2216 Abs. 2 BGB: Die nachstehenden Anordnungen sollen zu einer Verbesserung der Lebensqualität unseres Sohnes führen, indem ihm Leistungen zugewendet werden, die er durch den Standard der Sozialhilfe nicht bekäme. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat daher unserem genannten Sohn die ihm gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgnisse (Nutzungen) des Nachlasses, wie beispielsweise etwaige anteilige Miet- und Pachtzinsen, Zinserträge, Dividenden- und Gewinnanteile und etwaige sonstige Gebrauchsvorteile und Früchte von Nachlassgegenständen, zuzuwenden und dabei sich an folgenden Maßgaben („Regelbeispielen“) zu orientieren: – Geschenke zum Geburtstag und Namenstag, zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten; – Zuwendungen zur Befriedigung von individuellen Bedürfnissen geistiger und künstlerischer Art sowie in Bezug auf die Freizeitgestaltung, insbesondere Hobbys; – Finanzierung von Freizeiten und Urlaubsaufenthalten, einschließlich der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände, und gegebenenfalls Bezahlung einer erforderlichen, geeigneten Begleitperson; – Aufwendungen für Besuche bei Verwandten und Freunden; – Aufwendungen für ärztliche Behandlungen, Heilbehandlungen, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) gezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz usw.; – Anschaffung von Hilfsmitteln und Ausstattungsgegenständen, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) bezahlt werden; dabei sollen die Hilfsmittel von der Qualität so bemessen und ausgewählt werden, dass sie dem Kind optimal dienlich sind; – Aufwendungen für zusätzliche Betreuung, z.B. bei Spaziergängen, Theaterund Konzertbesuchen, Einkäufen und ähnlichem, entsprechend den Wünschen des Kindes – Aufwendungen für Güter des persönlichen Bedarfs des Kindes, z.B. (modische) Kleidung oder Einrichtung seines Zimmers. 492

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Für welche der genannten Leistungen die jährlichen Reinerträgnisse verwendet werden sollen, ob diese also auf sämtliche Leistungen gleichmäßig oder nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden oder ob diese in einem Jahr nur für eine oder mehrere der genannten Leistungen verwendet werden, entscheidet der jeweilige Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen, wobei er allerdings immer auf das Wohl des behinderten Abkömmlings bedacht sein muss. Werden die jährlichen Reinerträgnisse in einem Jahr nicht in voller Höhe in Form der bezeichneten Leistungen unserem behinderten Abkömmling zugewendet, sind die entsprechenden Teile vom jeweiligen Testamentsvollstrecker gewinnbringend anzulegen. Sind größere Anschaffungen für unseren Sohn wie beispielsweise der Kauf eines Gegenstandes zur Steigerung des Lebensstandards unseres genannten Sohnes (z.B. die Anschaffung eines Pkw kleiner oder mittlerer Klasse) oder eine größere Reise oder Ähnliches, beabsichtigt, hat der jeweilige Testamentsvollstrecker entsprechende Rücklagen zu bilden. Im Übrigen gelten für die Testamentsvollstreckung die gesetzlichen Bestimmungen. 4. Vergütung Für seine Tätigkeit erhält ein etwa durch das Nachlassgericht bestimmter Ersatztestamentsvollstrecker (§ 2200 BGB) neben dem Ersatz seiner notwendigen Auslagen eine Vergütung in angemessener Höhe (§ 2221 BGB), deren Bemessung sich an den Richtlinien des Deutschen Notarvereins e.V. in ihrer jeweils geltenden Fassung orientiert (vgl. z.B. Zeitschrift „notar“, Jahrgang 2000, S. 2 ff.). Andere Personen haben nur Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. § 2218 BGB, wobei jedoch Tätigkeiten im jeweiligen Beruf oder Gewerbe des Testamentsvollstreckers gesondert zu vergüten sind. Die Vergütung geht zulasten des verwalteten Erbteils.

e) Ungeplante Entwicklungen Zu denken ist dabei etwa an folgende Aspekte:

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(1) Stirbt der behinderte Abkömmling (Vorerbe) vor dem ersten Elternteil, vermutet § 2102 Abs. 1 BGB den Nacherben als Ersatzerben. Handelt es sich dabei um eine andere Person als den überlebenden Ehegatten (z.B. das andere Kind oder einen Träger der Behindertenhilfe), ist dies regelmäßig nicht gewollt, vielmehr soll dann der überlebende Ehegatte Alleinerbe (und zwar als Vollerbe) sein. (2) Stirbt der Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalles, sollte sich das Testament dazu verhalten, ob Ersatznacherbfolge (z.B. analog § 2104 BGB) eintritt (so dass der Vermögensstamm auch nach dem Tod des Vorerben weiter geschützt bleibt) oder ob der Vorerbe zum Vollerben wird (der allerdings weiterhin zu Lebzeiten durch die Testamentsvollstreckung vor einem Verwertungszugriff geschützt ist).

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(3) Es kann sich nachträglich der Wunsch einstellen, den behinderten Vorerben zum Vollerben werden zu lassen, etwa weil an den Vorerbschaftsbeschränkungen (mangels Sozialhilferegressrisikos) kein Bedarf mehr besteht. Im praktischen Ergebnis lässt sich dies durch Übertragung der Nacherben-

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Rz. 54

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anwartschaften auf den Vorerben erreichen. (Mit Eintritt des Nacherbfalls wird der Vorerbe Vollerbe, sofern auch der Nacherbe zu diesem Zeitpunkt eine volle Erbenstellung erhalten hätte.) Haben jedoch nicht alle Ersatznacherben zugestimmt oder ihre diesbezüglichen Anwartschaften ebenfalls mitübertragen, würde der Vorerbe seine „Vollerbenstellung“ in dem Zeitpunkt wieder verlieren, in dem der Nacherbe sie an den Ersatznacherben verloren hätte. Um die Mitwirkung der Ersatznacherben entbehrlich zu machen, sollte die Ersatznacherbenanwartschaft dadurch auflösend bedingt sein, dass der Nacherbe seinerseits seine Anwartschaft auf den Vorerben überträgt1. f) Änderungen der Rechtslage 54

Selbst wenn die tatsächlichen Verhältnisse und die Gestaltungswünsche der Beteiligten sich nach Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht (mehr) ändern sollten, droht dem „Behindertentestament“ Unbill, wenn sich entweder die rechtliche Würdigung der Zugriffsvermeidungsinstrumente (Testamentsvollstreckung/ Vor- und Nacherbfolge bzw. Vor- und Nachvermächtnis) im Lichte des § 138 BGB, etwa aufgrund knapperer Kassen, ändern sollte, oder aber (insbesondere aufgrund einer Änderung des Wortlautes des § 93 SGB XII: „Recht“ statt „Anspruch“) das Ausschlagungsrecht des § 2306 Abs. 1 oder 2 BGB bzw. des § 2307 Abs. 1 BGB) durch den Sozialleistungsträger übergeleitet und ausgeübt werden könnte, so dass ein überleitbarer Pflichtteilsanspruch (den die nachrückenden Ersatzbegünstigten zu erfüllen hätten) entsteht.

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Kann der Erblasser auf eine solche Änderung der Rechtslage (etwa mangels Testierfähigkeit) nicht mehr reagieren, vermag nur eine von Anfang an „beigegebene Ersatzlösung“ das Schlimmste zu verhindern. Sie wird im Regelfall eine Enterbung des behinderten Abkömmlings bezwecken (um ihn aus der gesamthänderischen Nachlassmasse fernzuhalten), möglicherweise aber durch Auflagen (mit Durchsetzung durch den eigentlich vorgesehenen Vollstrecker) zu seinen Gunsten eine die staatlichen Leistungen ergänzende Versorgung bezwecken (allerdings nicht für den Fall, dass der Betroffene selbst ausgeschlagen hat, zumal sonst im Fall einer Betreuung auch das Betreuungsgericht versucht sein könnte, bei Abwägung beider Varianten doch die Ausschlagung genehmigen zu wollen).

M 76 Hinweise und vorsorgende Hilfslösung beim Behindertentestament Zusatzbestimmungen; hilfsweise getroffene Verfügungen 1. Der amtierende Notar hat uns aus Anlass der heutigen Beurkundung unseres gemeinschaftlichen Testaments noch auf Folgendes hingewiesen: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass zufolge künftiger Rechtsprechung die heutigen Vereinbarungen im Hinblick auf das Nachrangprinzip der Sozialhilfe gegen § 138 BGB verstoßen, obwohl wir mit den heutigen Vereinbarungen lediglich Regelungen treffen, die auch dem wohlverstandenen Interesse unseres behinderten Sohnes dienen, oder dass eine Sozialleistungsbehörde gesetzliche Ausschlagungsrechte unseres behinderten Sohnes an sich ziehen und für ihn ausüben könnte mit der Folge, dass unsere wohlmeinenden Anordnungen die Wirkung verlieren. 1 OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 3 Wx 80/09, ZEV 2010, 574 m. Anm. Hartmann. 494

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2. Sollte dieses gemeinschaftliche Testament wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB beim jeweiligen Erbfall unwirksam sein, ordnen wir an: Wir setzen uns durch vertraglich bindende Verfügung gegenseitig zum Alleinerben ein. Schlusserben sind unsere beiden Kinder A und B zu gleichen Teilen, ersatzweise deren Abkömmlinge zu gleichen Stammanteilen. 3. Sollten die Belastungen, mit denen die Ziele dieses „Behindertentestaments“ erreicht werden sollen (Verwaltungsvollstreckung; Vor- und Nacherbfolge) unwirksam sein wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB oder aufgrund Ausschlagung durch die Sozialleistungsbehörde mit Wirkung für ihn oder sollte unser behinderter Sohn C aufgrund des Hilfstestaments gem. Nr. 2 lediglich den Pflichtteil erhalten, so gilt: Die anstelle unseres behinderten Sohnes Berufenen sind dann mit einer Auflage zu seinen Gunsten beschwert, für die folgende Bestimmungen gelten: – Von den Erträgen des Vermögens, welches den Ersatzberufenen – nach Abzug der von ihnen jeweils zu tragenden Pflichtteilslast – verbleibt, sind auf Lebzeiten unseres Sohnes jeweils 90 % an diesen auszuhändigen. – Die Vollziehung der Auflage ist Aufgabe des Testamentsvollstreckers, der bei Nichteintritt der Bedingung die betroffene Nachlassbeteiligung unseres Sohnes verwaltet hätte. Erst danach endet sein Amt. Für die an unser behindertes Kind auszuhändigenden Erträge gilt die in dieser Verfügung von Todes wegen angeordnete Verwaltungsanweisung entsprechend. – Neben dem Testamentsvollstrecker steht die Vollziehungsberechtigung für die Auflage sämtlichen Personen zu, die bei Eintritt der Bedingung Ersatzberufene sind, und zwar jeweils in Bezug auf die übrigen Auflagebeschwerten. Für alle anderen Personen, die nach § 2194 BGB die Vollziehung der Auflage verlangen könnten, wird die Vollziehungsberechtigung hiermit ausgeschlossen. – Unter Ausschluss anderslautender Auslegungs- und Ergänzungsregeln entfällt die Auflage, wenn unser behinderter Sohn sie nicht annehmen kann oder will.

3. Begleitende Anordnungen a) Teilungsanordnung Die gesamthänderische Bindung des Nachlasses bereits beim Ableben des ersten Ehegatten (aufgrund der Mit-Vorerbenstellung des „Bedürftigen“) wird gemeinhin als Nachteil empfunden werden. Zu deren Vermeidung ist – und zwar nach beiden Sterbefällen – an eine Teilungsanordnung zu denken, die dem Mit-Vorerben anstelle des Anteils am gesamten Nachlass (Reinnachlass ohne Abzug von Vermächtnissen) z.B. Geldwerte zuweist, die ihrerseits (als Surrogat) wiederum den Vor-/Nacherbenbeschränkungen unterliegen. Die Erfüllung1 dieser Teilungsanordnung ist (auch hinsichtlich des Zeitpunkts) in das billige Ermessen des Testamentsvollstreckers gestellt (§ 2048 Abs. 1 S. 2 BGB); dieser wird der Anordnung insbesondere nachkommen, falls und sobald im Nachlass genügend liquide Geldmittel vorhanden sind. Allerdings kann das Verbot unentgeltlicher Verfügungen (§ 2205 S. 3 BGB), das nur durch Handeln aller Miterben überwun1 Muster eines solchen Auseinandersetzungsvertrages bei Ruby, ZEV 2006, 67, sowie Ruby/Schindler/Wirich, Das Behindertentestament, § 5 Rz. 5. Krauß

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den werden kann, eine sachgerechte Auseinandersetzung beeinträchtigen. Auch bei Grundbesitz bedarf es zur Auseinandersetzung, sofern diese auf einer Teilungsanordnung beruht, keiner Zustimmung des Nacherben1. Der Vorerbe bzw. sein Testamentsvollstrecker handelt insoweit lediglich in Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit (ähnlich der Erfüllung eines Vermächtnisses)2. b) Trennungslösung? 57

Üblicherweise wird der überlebende Ehegatte zum Miterben hinsichtlich der neben dem bedürftigen Abkömmling verbleibenden Erbquote eingesetzt, und zwar gemeinhin zum Vollerben, um ihm den höchstmöglichen Grad an lebzeitiger und letztwilliger Freiheit einzuräumen. Ohne den behinderten Abkömmling hätten die Ehegatten häufig das Berliner Testament in Reinform (Einheitslösung) gewählt. Es ist jedoch deutlich darauf hinzuweisen, dass diese (zumindest hinsichtlich des überwiegenden, verbleibenden Miterbanteils verwirklichte) Einheitslösung den tatsächlichen Umfang der Beteiligung des behinderten/ bedürftigen Abkömmlings beim Schlusserbfall deutlich vergrößert, da sich die ihm sodann notwendigerweise erneut einzuräumende Vorerbschaftsquote (zumindest in Höhe der Pflichtteilsquote) auf das (noch vorhandene) kombinierte Vermögen beider Ehegatten bezieht.

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Dem könnte gegengewirkt werden durch die Wahl der sog. „Trennungslösung“, d.h. durch Einsetzung des überlebenden Ehegatten hinsichtlich seiner Quote ebenfalls lediglich als Vorerben, allerdings als in höchstmöglichem Umfang befreiten Vorerben. Nacherben werden die anderen (nicht behinderten) Kinder bzw. deren Abkömmlinge, nicht jedoch der behinderte/bedürftige Geschwister, auch nicht als Ersatznacherbe3. Damit begibt sich jedoch der überlebende Ehegatte der Möglichkeit, über das ihm nach der Teilungsanordnung Zufallende (an dem sich diese Vorerbenbeschränkung surrogatweise fortsetzt) ohne Mitwirkung der Nacherben unentgeltlich zu verfügen oder insoweit letztwillig Veränderungen hinsichtlich der Nacherbfolge vorzunehmen. Er bezahlt also mit einem Minus an eigenen, lebzeitigen und letztwilligen Verfügungsmöglichkeiten für eine Entlastung hinsichtlich des baren Aufwandes, den die nicht behinderten/bedürftigen Abkömmlinge zur Bedienung des Mitvorerbteils ihres betroffenen Geschwisters aufzuwenden haben.

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Eine andere (vorzugswürdige, im Gesamtmuster nachstehend Rz. 85 verwendete) Möglichkeit besteht darin, (1) zur rechtzeitigen „wirtschaftlichen Entleerung“ des Nachlasses bereits vor dem zweiten Sterbefall, sowie (2) zur Ausnutzung der sonst verschenkten Freibeträge der anderen Kinder nach dem ersten Sterbefall, den nicht behinderten/nicht bedürftigen Abkömmlingen Vermächtnisse in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils auszusetzen, die ausreichend lang nach dem ersten Sterbefall (z.B. 20 Jahre danach) – wegen § 6 Abs. 4 ErbStG jedoch 1 OLG Hamm v. 19.9.1994 – 15 W 205/94, ZEV 1995, 336 = NJW-RR 1995, 1289; ebenso wenig liegt darin ein Verstoß gegen das Schenkungsverbot des § 2113 Abs. 2 BGB, da der Vorerbteil wertgleich durch Geld ersetzt wird (Fortsetzung der Beschränkungen am Surrogat). 2 Nach anderer, zum selben Ergebnis führender dogmatischer Konstruktion liegt darin eine partielle Befreiung von § 2113 BGB durch den Erblasser. 3 So die Empfehlung von Ruby, ZEV 2006, 67. 496

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nicht erst mit dem Eintritt des zweiten Sterbefalls, es fehlt sonst an einer wirtschaftlichen Belastung1 – fällig werden. Auch dadurch wird der „wirtschaftliche“ Anteil des behinderten/bedürftigen Abkömmlings beim zweiten Sterbefall (Wert seines Mit-Vorerbanteils) geschmälert, nicht jedoch der Wert seiner Beteiligung am Nachlass des Erstversterbenden (ebenso wenig wie solche Vermächtnisse bei der Pflichtteilsberechnung, § 2311 BGB, abzuziehen wären). 4. Sozialrechtliche Wertung Die auch von den Verwaltungs- und Sozialgerichten (OVG Sachsen2, OVG Saarland3, LSG Niedersachsen-Bremen4) anerkannte Regressfestigkeit des vorstehend skizzierten „Grundmodells“ des Behindertentestaments stützt sich auf zwei Gesetzesbegriffe: (1) das Wort „verwertbar“ in § 90 Abs. 1 SGB XII/§ 12 Abs. 1 SGB II und (2) das Wort „Erbe“ (anstelle von „Erbe oder Nacherbe“) in § 102 SGB XII/§ 35 SGB II. Zu Lebzeiten des behinderten Vorerben sind die Vermögenssubstanz gem. §§ 2115, 2214 BGB, die daraus erzielten Erträge gem. § 2214 BGB aus Rechtsgründen unverwertbar i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII. Nach dem Eintritt des Nacherbfalls unterliegt das frühere Vorerbengut der Substanz nach ebenfalls nicht dem Regresszugriff, da dieser gem. § 102 Abs. 1 SGB XII nur den „Erben“ des Hilfeempfängers, nicht dessen Nacherben trifft. Die akkumulierten, nicht bestimmungsgemäß eingesetzten Erträge allerdings fallen nach dem Tod des Vorerben in seinen Eigennachlass, unterliegen also dem Erbenregress des § 102 SGB XII/§ 35 SGB II. Auch wenn man die erhaltene Erbschaft mit dem BSG5 jedenfalls im Bereich des SGB II als Einkommen qualifiziert, handelt es sich nicht um „bereites Einkommen“, solange die Beschränkungen nicht (z.B. durch ungeschickte Gestaltung: Verkauf des Erbanteils gegen Bargeld6) verloren gehen. Allerdings sind die Schoneinkommenstatbestände geringer als die Schonvermögenstatbestände7.

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5. Zivilrechtliche Wertung a) Subsidiaritätsverstoß? Der Erbrechtssenat des BGH8 (ebenso der Familienrechtssenat9) und dem BGH folgend die Instanzgerichte haben das vorstehend skizzierte Gestaltungsmodell des Behindertentestaments zivilrechtlich vom Vorwurf der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) jedenfalls dem Grunde nach freigestellt. Maßgeblich hierfür war 1 BFH v. 27.6.2007 – II R 30/05, DStR 2007, 1435 bei Abfindungsleistung für die Nichtgeltendmachung des Pflichtteilsanspruchs, vgl. hierzu Berresheim, ZNotP 2007, 520 und ZErb 2007, 439; krit. Everts, NJW 2008, 557. 2 OVG Bautzen v. 2.5.1997 – 2 S 682/96, MittBayNot 1998, 127 m. Anm. Krauß, 130. 3 OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05 (rk.), MittBayNot 2007, 65 m. Anm. Spall; ähnlich bereits zuvor VGH Mannheim v. 22.1.1992 – 6 S 384/90, NJW 1993, 152. 4 LSG Celle v. 29.9.2009 – L 8 SO 177/09. 5 BSG v. 25.1.2012 – B 14 AS 101/11 R, FamRZ 2012, 1136. 6 LG Kassel v. 17.10.2013 – 3 T 342/13, ZEV 2014, 104 m. Anm. Wirich. 7 Doering-Striening, ZErb 2014, 105 ff. 8 BGH v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89, MittBayNot 1990, 245 und DNotZ 1992, 241, jeweils m. Anm. Reimann, und erneut BGH v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92, MDR 1994, 591 = FamRZ 1994, 162 = ZEV 1994, 35 m. Anm. Bengel, ZEV 1994, 29 ff.; sowie MittBayNot 1994, 49 ff. m. Anm. Reimann. 9 BGH v. 27.3.2013 – XII ZB 679/11, FamRZ 2013, 874 = DNotZ 2013, 860, Tz. 20. Krauß

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zum einen die Erwägung, dass der gesetzliche Nachrang der Sozialfürsorgeleistung (§ 2 SGB XII) gerade beim Bezug von Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen (etwa der Hilfe zur Pflege) deutlich abgeschwächt ist: So wird etwa eigenes Einkommen des Hilfeempfängers und der weiteren Mitglieder der Einsatzgemeinschaft des § 19 Abs. 1 oder 3 SGB XII (d.h. des nicht getrennt lebenden Ehegatten/des Verpartnerten bzw. des nichtehelichen Lebensgefährten gem. § 20 SGB XII) geschont, solange es die allgemeine Einkommensgrenze des § 85 SGB XII1 nicht übersteigt. Selbst das darüber hinausgehende Einkommen ist gem. § 87 Abs. 1 SGB XII nur in angemessenem Umfang einzusetzen. Auch das Vermögen der Mitglieder der Einsatzgemeinschaft erfährt in § 90 Abs. 2 SGB XII eine über das bürgerliche Unterhaltsrecht deutlich hinausgehende Schonung (wobei insoweit die weitere Privilegierung der Leistungen zur Hilfe in besonderen Lebenslagen lediglich noch in Gestalt erhöhter Freibeträge für Ersparnisse gem. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Erscheinung tritt). Hinzu kommt die deutlich gedämpfte Heranziehung jedenfalls der Eltern eines volljährigen behinderten Kindes, § 94 Abs. 2 SGB XII, mit der eine „postmortale“ Pflicht zur Entlastung des Staates durch solches privilegiertes Eltern- bzw. Familienvermögens (wie sie durch die Nichtbeachtung einer auf Erhalt gerichteten Nachlassplanung mittelbar geschaffen würde) schwerlich zu vereinbaren wäre. 62

In wertender Hinsicht stützt die zivilrechtliche Rechtsprechung die Zulässigkeit des Behindertentestaments jedoch maßgeblich auf die Erwägung, das durch die Erblasser verfolgte Ziel bestehe gerade nicht in der Umkehrung des sozialrechtlichen Subsidiaritätsprinzips um seiner selbst willen, sondern in der verfassungsrechtlich (Testierfreiheit!) anzuerkennenden Besserstellung des Behinderten durch eine verantwortungsvolle Gestaltung von Todes wegen, die allerdings zur Vermeidung frühzeitiger Erschöpfung des Nachlasses als notwendigen Reflex die Zurückdrängung sozialhilferechtlicher Verwertungspflichten zur Folge haben muss, indem die Tatbestandsvoraussetzungen der verschiedenen in Betracht kommenden Regressalternativen jedenfalls eines Elements („verwertbar“, „Erbe“) nicht eintreten. Der BGH führt hierzu2 aus, die Eltern behinderter Kinder müssten sich „geradezu fragen, ob sie nicht sittlich gehalten sind, auch für den Fall vorzusorgen, dass die öffentliche Hand ihre Leistungen für Behinderte nicht mehr auf dem heute erreichten hohen Stand halten kann.“ Dies deckt sich mit der veröffentlichten Einschätzung von BGH-Richtern3. Die Wertung ist auch insoweit konsequent, als der BGH4 dem Schenker freigestellt hat, keine Rücksicht auf die eigene Versorgung bei später eintretender Hilfebedürftigkeit nehmen zu müssen – dies muss dann erst recht gelten, wenn es um die Hilfebedürftigkeit anderer geht. b) Sättigungsgrenze?

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Diese zivilrechtliche Unbedenklichkeit des Behindertentestaments gilt jedenfalls dann und so lange, als nicht allein aus der Vorerbschaft die voraussichtlich 1 Seit 1.1.2005 gem. § 86 SGB XII nur bei Ausübung des landesrechtlichen Vorbehalts. 2 BGH v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89, DNotZ 1992, 241 (244). 3 RiBGH Wendt auf der Gründungsveranstaltung des Rheinischen Instituts für Notarrecht am 4.11.2006 in Bonn, vgl. Gsänger, DNotZ 2007, 7, und erneut ZNotP 2008, 2, 5 sowie ZErb 2010, 45, 48. 4 BGH v. 6.2.2009 – V ZR 130/08, FamRZ 2009, 865 = MDR 2009, 622 = ZEV 2009, 254 m. Anm. Litzenburger. 498

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lebenslange Versorgung des Behinderten ohne Inanspruchnahme nachrangiger Sozialleistungen auf Dauer gesichert werden kann. Zu berücksichtigen ist zum einen die erzielbare Rendite, zum anderen der Wertverlust durch Inflation, schließlich die Kosten der Testamentsvollstreckung und der getroffenen Anordnungen – nur wenn die Heimkosten zusätzlich übernommen werden könnten und dennoch kein Totalverzehr des Nachlassanteils vor Erreichen der statistischen Lebenserwartungsgrenze eintreten würde, sei in eine Missbrauchsabwägung einzutreten1.

VI. Variante I der Erbschaftslösung: Destinatär als alleiniger Vorerbe Die in Abschnitt V, Rz. 30 ff., vorgestellte „klassische Konstruktion“ des Behindertentestaments erweist sich in der praktischen Handhabung insoweit als nachteilig, als der behinderte Abkömmling schon beim ersten Sterbefall gesamthänderisch am Nachlass zu beteiligen ist. Es wird daher mitunter2 vorgeschlagen, den sozialhilfebedürftigen Abkömmling zum Alleinerben einzusetzen, und zwar als nicht befreiten Vorerbe und mit Testamentsvollstreckung zu belasten. Für den überlebenden Ehegatten und den nicht behinderten Abkömmling werden Vermächtnisse ausgesetzt, deren Erfüllung dem Testamentsvollstrecker überantwortet ist, z.B. gerichtet auf Übertragung des Familienheims (sog. „umgekehrte Vermächtnislösung“).

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Das abstrakte Ausschlagungsrisiko des § 2306 BGB besteht allerdings auch hier; ferner müssen sich im Nachlass außer den Vermächtnisgegenständen noch so viele Werte befinden, dass der Pflichtteil des behinderten Kindes überstiegen wird, damit die Vermächtnisse ungekürzt erfüllt werden können. Der Gefahr einer Fehlprognose über die künftige Nachlasszusammensetzung kann jedoch entgegengetreten werden, wenn anstelle gegenständlicher Vermächtnisinhalte mit Quotengeldvermächtnissen gearbeitet wird, und dem Beschwerten die Möglichkeit einer Ersetzung durch Sachzuwendungen eröffnet ist3.

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VII. Variante II der Erbschaftslösung: Destinatär als Mitnacherbe In gleicher Weise, wie die umgekehrte Vermächtnislösung (Rz. 64 f.) vermeidet die gegenseitige Einsetzung der Eltern zu befreiten Vorerben („Trennungsmodell“) die gesamthänderische Bindung des Nachlasses bereits nach dem ersten Sterbefall. Der sozialhilfebedürftige Destinatär wird in diesem Fall zum (Mit-)Nacherben eingesetzt, und zwar wiederum seinerseits als den gesetzlichen Beschränkungen unterworfener Vorerbe, welcher der Dauer-Testamentsvollstreckung unterliegt. Nach-Nacherbe ist z.B. sein nicht sozialhilfebedürftiges Geschwister. Bereits beim Tod des Erstverstorbenen können wesentliche Vermögensteile wie z.B. der selbstgenutzte Grundbesitz als Vorausvermächtnis dem überlebenden Ehegatten frei von den lebzeitig wirkenden (Schenkungsverbot!) Vorerbschaftsbindungen zugeordnet werden. Beim zweiten Sterbefall greift 1 OVG Saarlouis v. 17.3.2006 – 3 R 2/05, ZErb 2006, 275; strenger SG Mannheim v. 20.12.2006 – S 12 AS 526/06, das bereits bei Sicherung des Unterhalts über elf Jahre die Unwirksamkeit eines „Bedürftigentestaments“ diskutiert. 2 Grziwotz, ZEV 2002, 409 (mit Textvorschlag S. 410, ebenso NotBZ 2006, 155. 3 Vgl. Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 343. Krauß

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dann insoweit die „klassische Lösung“ (Destinatär als Mitvorerbe des überlebenden Ehegatten). 67

Auch diese Erbschaftslösung1 unterliegt dem Risiko, dass durch den Mit-Nacherben selbst oder einen ihm beigeordneten Betreuer eine Ausschlagung stattfindet (nunmehr gestützt auf § 2306 Abs. 2 BGB), und zwar während eines deutlich längeren Zeitraums, da die Ausschlagungsfrist erst mit Eintritt des Nacherbfalls (also Ableben des länger lebenden Ehegatten) zu laufen beginnt (der Pflichtteilsanspruch allerdings verjährt in drei Jahren ab Kenntnis vom Erbfall: §§ 195, 199 BGB, ungeachtet der Ausschlagung: § 2332 Abs. 2 BGB). Das Ausschlagungsrecht ist ferner vererblich. Dieser längere Unsicherheitszeitraum führt insbesondere dann zu schwierigen Abwägungen, wenn der Behinderte z. Zt. noch nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist. Der Betreuer hat dann den Vorteil des sofort verfügbaren Geldpflichtteils – als lediglich künftiger Nacherbe ist er ja ohne Ausschlagung bis zum Nacherbfall vollständig von der Erbschaft und ihren Nutzungen abgeschnitten – gegen die möglichen künftigen Nachteile (Verlust der größeren Nacherbschaft) abzuwägen, und kann sich nicht auf die Überlegung zurückziehen, angesichts des bereits gegebenen Sozialhilfebedarfs würde eine Ausschlagung wegen der Verwertung dieses Betrags durch den Sozialhilfeträger zu keiner Besserstellung des Destinatärs führen.

VIII. Das „Bedürftigentestament“ 1. Erbschaftslösungen 68

Im Anschluss an Kornexl2 hat sich für die Gestaltung letztwilliger Verfügungen bei Vorhandensein potenziell überschuldeter Destinatäre der Begriff „Bedürftigentestament“ eingebürgert. Kautelarjuristisch vorrangig ist auch stets der vorherige Verzicht auf sonst anfallende, überleitungsfähige erbrechtliche Positionen (insbesondere der Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB, vgl. Rz. 8). Die geschilderten Gestaltungselemente der Vor- und Nacherbfolge, einerseits, sowie der Dauertestamentsvollstreckung, andererseits, gewährleisten zugleich einen Schutz des Nachlasses gegen Zugriff von Eigengläubigern des Erben bzw. Miterben auch außerhalb des sozialhilferechtlichen Kontextes (§§ 2115 BGB, § 83 S. 2 InsO, § 773 ZPO einerseits, § 2214 BGB andererseits). Eine Betreuung wird für den Bedürftigen nicht erforderlich sein, so dass der überlebende Ehegatte ohne weiteres zum Testamentsvollstrecker des bedürftigen Mit-Vorerben (und zusätzlich des Nacherben, § 2222 BGB) bestellt werden kann. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Status der Überschuldung (anders als i.d.R. der Status der Behinderung, also mangelnder Erwerbsfähigkeit überhaupt) seiner Natur nach nur vorübergehend ist (bzw. sein sollte), so dass Wege zu suchen sind, die Beschränkungen auf den notwendigen Zeitraum (des Bezugs von Fürsorgeleistungen bzw. bis zum Eintritt der Restschuldbefreiung) zu begrenzen, vgl. Rz. 78 ff.

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Bei einem der Vor- und Nacherbfolge unterliegenden Miterben erfasst das an die Gläubiger des Vorerben gerichtete Verwertungsverbot des § 2115 BGB nur die 1 Empfohlen von Litzenburger, RNotZ 2004, 138/145 ff. und Kleensang, RNotZ 2007, 22; Letzterer mit Formulierungsvorschlag, S. 26 f. 2 Auf der zweiten Jahresarbeitstagung des Notariats in Würzburg (DAI-Veranstaltung) am 23.9.2004. 500

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einzelnen zu einer Erbschaft gehörenden Sachen und Rechte, nicht aber den Miterbenanteil selbst, über den der Miterbe verfügen könnte, so dass die Gläubiger diesen nach § 859 Abs. 2 ZPO bis zur Auseinandersetzung pfänden könnten.1 Die angeordnete Pfändung des Vorerbteils erlischt allerdings mit Eintritt des Nacherbfalls, da der Nacherbe nicht Schuldner des Pfändungspfandgläubigers wird (§§ 2100, 2139, 2144 Abs. 1 BGB). Ein Auseinandersetzungsverbot mit Absicherung durch Testamentsvollstreckung (s. nachstehend) bietet flankierenden Schutz. Ist allerdings die Nacherbfolge auflösend bedingt auf den „Wegfall der Bedürftigkeit“, wird der gepfändete Erbteil des früher Bedürftigen frei verwertbar, da der Nacherbfall nicht mehr eintreten kann. Hierin liegt ein wesentliches Argument gegen diese Gestaltungsalternative zur Anpassung des „Bedürftigentestaments“ bei späterer wirtschaftlicher Gesundung. Auch in Bezug auf die Testamentsvollstreckung ist jedoch beim Miterben zu berücksichtigen, dass der Eigengläubiger trotz Testamentsvollstreckung dessen Erbteil zusammen mit dem Anspruch auf Auseinandersetzung (§ 2042 BGB) pfänden kann, § 859 Abs. 2 ZPO; diese Pfändung kann sogar ohne Zustimmung des Testamentsvollstreckers im Grundbuch zugehöriger Grundstücke als Verfügungsbeschränkung eingetragen werden2. Die Pfändung des Erbteils hindert jedoch nicht den Vollstrecker an einer Verfügung über die Nachlassgegenstände; nach dem Vollzug der Verfügung ist der Pfändungsvermerk als gegenstandslos im Grundbuch zu löschen3. Ein vom Erblasser gem. § 2044 BGB angeordnetes Auseinandersetzungsverbot (auf die Dauer von bis zu 30 Jahren oder, ohne Zeitlimit, bis zum Eintritt der Nacherbfolge) bindet zwar per se nicht den Pfändungsgläubiger (§ 2044 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 751 S. 2 BGB), ebenso wenig den Insolvenzverwalter (§ 84 Abs. 2 S. 2 InsO); ist aber zusätzlich Testamentsvollstreckung angeordnet, kann auch der Gläubiger nach Pfändung eines Erbteils vom Testamentsvollstrecker nicht mehr verlangen als der Miterbe selbst, also jedenfalls nicht die vorzeitige Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft – das Verbot ist demnach auch gegenüber dem Pfändungsgläubiger durchsetzbar4.

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Im Verhältnis zu Gläubigern weist die Situation des „schlicht überschuldeten“ Abkömmlings ggü. demjenigen, der steuerfinanzierte Sozialfürsorgeleistungen bezieht, einen wichtigen Wertungsunterschied insoweit auf, als eine Möglichkeit zur Überleitung etwa entstandener Pflichtteilsansprüche (etwa bei der schlichten Enterbungslösung) für den normalen Gläubiger wie auch für den Insolvenzverwalter nicht besteht (§ 852 Abs. 1 ZPO, § 36 InsO). Gleiches gilt für Bedürftige, die sich in der „Wohlverhaltensphase“ auf dem Weg zur Restschuldbefreiung befinden, trotz des insoweit nicht eindeutigen Wortlautes des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO5; bezieht der Bedürftige allerdings während der Verjährungsphase des Pflichtteilsanspruchs Grundsicherung für Arbeitsuchende (ALG II gemäß SGB II), geht der Pflichtteilsanspruch gem. § 33 SGB II in voller Höhe ohne

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1 Vgl. van de Loo, NJW 1990, 2853. 2 Staudinger/Reimann (2003), § 2215 Rz. 8. 3 KG, DNotZ 1941, 127; BayObLG v. 27.12.1982 – BReg.1 Z 112/82, FamRZ 1983, 840 = BayObLGZ 1982, 459 (462); BGH v. 14.5.2009 – V ZB 176/08, FamRZ 2009, 1321 = MDR 2009, 949, DNotZ 2010, 64, Tz. 16. 4 Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, S. 310 m.w.N. 5 BGH v. 25.6.2009 – IX ZB 196/08, FamRZ 2010, 460 m. Anm. Floeth = MDR 2009, 1191 = FamRZ 2009, 1485 = MittBayNot 2010, 52 m. Anm. Menzel. Krauß

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weiteres kraft Legalzession auf den Sozialleistungsträger über. Vor dieser möglichen Risikoerweiterung zielt auch das Bedürftigentestament darauf ab, das „automatische“ Entstehen von originären Pflichtteilsansprüchen zu verhindern. 72

Die oben Rz. 61 ff. begründete grundsätzliche Unbedenklichkeit des „Behindertentestaments“ unter dem Blickwinkel eines zur Sittenwidrigkeit führenden Subsidiaritätsverstoßes kann auf das schlichte „Bedürftigentestament“ nicht ohne weiteres übertragen werden kann, wenn steuerfinanzierte Sozialfürsorgeleistungen bezogen werden (Grundsicherung für Arbeitsuchende = SGB II, Grundsicherung im Alter oder Hilfe zum Lebensunterhalt: 3. und 4. Kapitel des SGB XII). Das „positive Gestaltungsziel“ ergänzender postmortaler Versorgungsleistungen an das behinderte Kind tritt tendenziell zurück hinter das „negative Gestaltungsziel“ der Zugriffsabwehr; letztere ist nicht mehr allein notwendiges Mittel zum Zweck weiterer Unterstützung, sondern wird Selbstzweck. Das SG Dortmund1 wertet z.B. die Anordnung der Testamentsvollstreckung selbst als sittenwidrig und damit unwirksam

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Das LSG Mannheim2 und das LSG Hamburg3 gehen gleichwohl davon aus, dass im Hinblick auf die Prüfung der Sittenwidrigkeit (Verstoß gegen das Subsidaritätsprinzip) kein Unterschied zwischen dem „Bedürftigen-“ und dem „Behinderten-“ Testament besteht. Wie bei einem behinderten, also dauernd erwerbsunfähigen, Destinatär komme es entscheidend darauf an, ob der Erbe/Vermächtnisnehmer in absehbarer Zeit eine Freigabe von Nachlassgegenständen oder Nutzungen gem. §§ 2216, 2217 BGB erreichen könne bzw. der Testamentsvollstrecker zeitnah verpflichtet sei, Geldmittel an den Berechtigten auszukehren bzw. sie für Bedarfe einzusetzen, zu deren Befriedigung der Kläger Fürsorgeleistungen erhalte. Das LSG Hamburg führt4 hierzu interessanterweise aus, dass sich der vom BGH in seinen Grundsatzentscheidungen verwendete Begriff des behinderten „Kindes“ eben nicht auf das Lebensalter des Berechtigten beziehe, sondern auf das Verwandtschaftsverhältnis, und auch der Begriff der „Behinderung“ sei nicht notwendig im sozialgesetzlichen Sinn zu verstehen. Jedenfalls im entschiedenen Sachverhalt, wo eine depressive Persönlichkeitsstörung mitursächlich für die dauernde Arbeitslosigkeit war, bestehe daher kein Grund, näher auf Differenzierungen zwischen einem Destinatär, der Leistungen nach SGB XII und einem Destinatär, der Leistungen nach SGB II erhält, einzugehen. Letzte Entwarnung kann gleichwohl insoweit noch nicht gegeben werden5. 1 SG Dortmund v. 25.9.2009 – S 29 AS 309/09 ER, ZEV 2010, 54m. teilw. krit. Anm. Keim, bei einer Erbschaft i.H.v. 240 000 Euro. Zu Unrecht sieht Roth, NJW-Spezial 2009, 760 damit auch „das Behindertentestament wieder auf dem Prüfstand“, vgl. Wendt, ZErb 2010, 45, 48 und Tersteegen, MittBayNot 2010, 105 ff. sowie Ihrig, NotBZ 2011, 345 (351). 2 LSG Mannheim v. 9.10.2007 – L 7 AS 3528/07, ZEV 2008, 147; dazu Tersteegen, ZEV 2008, 121. 3 LSG Hamburg v. 13.9.2012 – L 4 AS 167/10, FamRZ 2013, 1428 = ErbBstg 2013, 30; hierzu J. Mayer, in: DAI, 11. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2013, Skript S. 512 ff. 4 In Tz. 45 des genannten Beschlusses. 5 Krit. insbesondere Armbrüster, ZErb 2013, 77, der darauf hinweist, dass § 138 Abs. 1 BGB normenhierarchisch auf derselben Stufe stehe wie die Bestimmungen des Erbrechts; als offen bezeichnet von Proff, RNotZ 2012, 272, die Übertragbarkeit der BGH-Behindertentestamentsrechtsprechung auf das „Bedürftigentestament“. Ablehnend zur gesamten Wertung Dutta, AcP 209 (2009), 760 (787). 502

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Rz. 75

B VIII

2. Vermächtnislösungen Die beim „Behindertentestament“ diskutierte „schlichte“ Vor- und Nachvermächtnislösung ist beim „Bedürftigentestament“ wenig empfehlenswert: Zwar kann die Testamentsvollstreckung über das Vorvermächtnis gem. § 2214 BGB den Zugriff von Eigengläubigern des Vorvermächtnisnehmers abwehren (allein die Vor- und Nachvermächtniskonstruktion genügt hierfür nicht, da § 2191 Abs. 2 BGB nicht auf § 2115 BGB verweist). Stirbt aber der überschuldete Vorvermächtnisnehmer, nimmt der Nachvermächtnisnehmer in der zu erwartenden Nachlassinsolvenz über das Vermögen des verarmt verstorbenen Vorvermächtnisnehmers als gewöhnlicher Gläubiger teil, der Nachvermächtnisanspruch wird also nur i. H. d. vernachlässigbaren Quote erfüllt werden1. Während der Nacherbe den ersten Erblasser beerbt, beschwert das Nachvermächtnis nämlich den Vorvermächtnisnehmer und dessen Nachlass, § 2191 Abs. 1 BGB. Allenfalls könnte die Stellung des Nachvermächtnisnehmers in der Nachlassinsolvenz des Vorvermächtnisnehmers dadurch entscheidend verbessert werden, dass der Vorvermächtnisnehmer bereits zu Lebzeiten eine aufschiebend auf den eigenen Tod befristete Erfüllung des Nachvermächtnisses vornimmt, § 161 BGB2.

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Überlegenswert ist allerdings ein schlichtes Vermächtnis zugunsten des Bedürftigen, das dieser so lange als notwendig (d.h. zumindest während der Wohlverhaltensphase einer Insolvenz und solange Gläubigerzugriffe Dritter auf den dann zu erlangenden Vermächtnisgegenstand drohen) „in der Schwebe hält“, also weder annimmt noch ausschlägt, § 2180 BGB. Da auch eine stillschweigende Annahme oder Ausschlagung erfolgen kann, ist strikte Untätigkeit unerlässlich. Nach der bereits in der Literatur überwiegend vertretenen,3, nun vom BGH bestätigten4 Auffassung trifft den Bedürftigen weder (1) im Verhältnis zum „normalen Gläubiger“ eine anfechtungsrechtliche noch (2) im Verhältnis zum Insolvenzverwalter eine insolvenzrechtliche Verpflichtung bzw. (3) auf dem Weg zur Restschuldbefreiung eine aus § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO5 zu schöpfende Obliegenheit, das Vermächtnis anzunehmen. Auch eine (4) Gläubigeranfechtung scheidet insbesondere aus, da (anders als bei der Erbschaft) kein „von-selbst-Erwerb“ eintritt, der durch die Ausschlagung beseitigt werden würde; das Recht zur Annahme bzw. Ausschlagung des Vermächtnisses kann ferner nicht von der Vermächtnisnehmerstellung getrennt werden6, ist also nicht durch Pfändung überweisbar (§ 851 Abs. 1 ZPO) und – mangels Anspruchsqualität, § 93 Abs. 1 SGB XII/§ 33 SGB II – auch nicht auf den Sozialleistungsträger überleitbar. Allerdings hat der „schwebend Bedachte“ weder Zugriff auf Substanz noch auf Erträge des Vermächtnisgegenstandes. Weiter ist zu bedenken, dass mögliche Gläubiger des mit dem Vermächtnis belasteten Erben durch Pfändung und Verwertung die Leistung des

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1 Vgl. Everts, ZErb 2005, 355; MüKo.InsO/Siegmann, § 327 Rz. 6; Watzek, MittRhNotK 1999, 37. 2 So die Empfehlung von Baltzer, Das Vor- und Nachvermächtnis in der Kautelar-Jurisprudenz, S. 200, Formulierungsvorschlag auf S. 219. 3 Everts, ZErb 2005, 355; Limmer, ZEV 2004, 136; Hartmann, ZNotP 2005, 86. 4 BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, NotBZ 2011, 212 m. Anm. Krauß. 5 BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, NotBZ 2011, 212; MüKo.InsO/Ehricke, § 295 Rz. 57 m.w.N. (auch zur Gegenansicht) in Fn. 168: § 295 InsO setzt nicht an am „Ob“ des Erwerbs, sondern setzt diesen voraus. 6 MüKo.BGB/Lange, § 2317 Rz. 16. Krauß

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Vermächtnisses vereiteln könnten; hiergegen bedürfte es der Testamentsvollstreckung über die Erbschaft, § 2214 BGB. 76

Die später, nach Ausspruch der Restschuldbefreiung, erklärte Annahme des Vermächtnisses führt wohl nicht zu einer Nachtragsverteilung i.S.d. § 203 InsO, da – anders als im Fall des nachträglich geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs1 oder der nachträglich durch Anfechtung, also mit zivilrechtlicher Rückwirkung, unbeschwert angefallenen Erbschaft, Rz. 80 f. – während der Regelinsolvenzund während der Wohlverhaltensphase kein tatsächlicher oder rechtlicher Vermögenswert vorhanden war: Zwar wirkt die Ausschlagung eines Vermächtnisses zurück, § 2180 Abs. 3 i.V.m. § 1953 BGB, nicht aber die Annahme, unbeschadet des rechtlichen Anfalls eines Vermächtnisses mit dem Erbfall, § 2176 BGB, die eben unter dem Vorbehalt der Ausschlagung oder Annahme steht.

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Anders dürfte es sich allerdings verhalten bei aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnissen, für welche § 2179 BGB für die Zeit zwischen Erbanfall und Eintritt der Bedingung/Befristung auf § 161 BGB verweist, so dass ab dem Erbfall eine „Vermächtnisanwartschaft“ besteht, die gepfändet werden kann2. Wird also das Vermächtnis ausdrücklich so gestaltet, dass es erst mit Ausspruch der Restschuldbefreiung oder Ablauf des Insolvenzverfahrens anfällt, liegt nahe, dass mit Eintritt dieser Bedingung eine Nachtragsverteilung gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO stattfindet3. Empfehlenswerter ist daher ein schlichtes Vermächtnis, das „in der Schwebe“ gehalten wird. 3. Aufhebung der Beschränkungen

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Anders als in Behinderungsfällen („Fehlen der Erwerbsfähigkeit“) besteht in Fällen der schlichten Bedürftigkeit („Fehlen von Erwerbsmöglichkeiten“) Anlass, nicht mehr benötigte Beschränkungen zu beseitigen, so z.B. durch den Erblasser selbst (Nachtragstestament bei – in diesen Fällen stets empfehlenswerter – Aufrechterhaltung solcher Änderungsmöglichkeit), oder durch die Erben selbst, z.B. indem alle Nacherben einschließlich aller (ggf. noch ungeborenen!) gem. § 2096 BGB bestimmten bzw. gem. § 2069 BGB im Zweifel berufenen Ersatznacherben4 die Nacherbschaft ausschlagen und dadurch dem Vorerben nach Maßgabe des § 2142 Abs. 2 BGB die unbeschränkte Erbschaft verschaffen, oder indem alle Nacherben einschließlich der Ersatznacherben5 (sofern die Ersatznacherbenstellung nicht durch Übertragung auf den Vorerben auflösend bedingt ist) ihre Nacherbenanwartschaften auf den Vorerben übertragen (§ 2033 Abs. 1 BGB analog), so dass dieser – da die Nacherben ihrerseits Vollerben geworden wären – im Zeitpunkt des Nacherbfalls Vollerbe wird. Eine nicht mehr „benötigte“ Testaments1 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 184/09, FamRZ 2011, 212 = MDR 2011, 131 = FamRZ 2011, 1399 m. Anm. Floeth, ZEV 2011, 87, m. Anm. Reul. 2 Müller-Christmann, BeckOK-BGB, § 2179 Rz. 7 m.w.N. 3 Zweifelnd, jedoch hierzu tendierend, Menzel, MittBayNot 2011, 374, mit Formulierungsvorschlag S. 375. 4 Die betreuungsgerichtliche Genehmigung für eine solche durch einen Pfleger gem. § 1911 BGB zu erklärende Ausschlagung ist aber kaum zu erlangen, vgl. Zawar, NJW 2007, 2356. 5 A.A. insoweit (gegen die ganz h.M.) Muscheler, ZEV 2012, 289 ff (Konsolidation auch ohne Mitwirkung der Ersatz- oder Nachnacherben). 504

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vollstreckung kann „händisch“ durch schlichte Niederlegung des Amts, auch durch etwaige Ersatzvollstrecker, bzw. Unterlassen des Antrags auf Bestellung eines Ersatzvollstreckers beseitigt werden. Vorkehrungen in der letztwilligen Verfügung selbst sind demgegenüber schwieriger1:

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a) Zum einen empfiehlt sich im Testament die Angabe des Motivs für die Verfügungsbeschränkungen zulasten des überschuldeten Erben, um diesem binnen eines Jahres nach Eintritt der Schuldenfreiheit die Möglichkeit einer Anfechtung durch den Erben gegenüber dem zuständigen Nachlassgericht zu ermöglichen (§§ 2080 Abs. 1, 2081 Abs. 1, 2078 Abs. 2 BGB). Das Anfechtungsrecht selbst ist gem. § 857 Abs. 1, 851 ZPO unpfändbar und zählt analog § 83 InsO nicht zur Insolvenzmasse2. Fraglich ist jedoch, ob nicht gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Nachtragsverteilung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in Betracht kommt, da der mit Rückwirkung angefallene Erbteil (ohne die durch Anfechtung beseitigten Belastungen) als „nachträglich ermittelter Massegegenstand“ gelten könnte. Dafür spricht der Vergleich zur vom BGH3 angeordneten Nachtragsverteilung bei späterer Anerkennung eines bereits während der Insolvenz-/ Wohlverhaltensphase bestehenden (hier: durch die Rückwirkung der Anfechtung ex tunc geschaffenen), jedoch (noch) nicht pfändbaren/verwertbaren Pflichtteilsanspruchs. b) Die belastenden testamentarischen Anordnungen (Testamentsvollstreckung, Vor- und Nacherbfolge) könnten ferner auf die rechtskräftige Erteilung der Restschuldbefreiung und Ablauf der Frist des § 303 Abs. 2 InsO oder aber durch eine gutachtliche Bescheinigung eines Rechtsanwalts über die Tilgung oder Verjährung der derzeit bekannten Verbindlichkeiten auflösend bedingt sein4. Dagegen spricht allerdings, dass der aufschiebend bedingt/befristet eingesetzte Vollerbe zugleich wie ein Nacherbe (konstruktive Nacherbfolge) zu behandeln ist5, so dass den Gläubigern ein weiterer, übertragbarer und vererblicher Vermögenswert, nämlich die Nacherbenanwartschaft, zur Verfügung stehen würde. Auch wenn die Übertragbarkeit des Anwartschaftsrechts gem. § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB ausgeschlossen wird, steht dies nach zutreffender Ansicht einer Pfändung gem. § 851 Abs. 2 ZPO nicht entgegen6 (lediglich während der Wohlverhaltensphase wird die (Un)übertragbarkeit bedeutsam für § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO – keine Obliegenheit zur Herausgabe des hälftigen Wertes, da diese unmöglich ist). 1 Vgl. zum Folgenden auch J. Mayer, MittBayNot 2012, 18, 19 ff. 2 Staudinger/Otte (2002), § 2080 Rz. 17. 3 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 184/09, FamRZ 2011, 212 = MDR 2011, 131 = FamRZ 2011, 1399 m. Anm. Floeth, ZEV 2011, 87 m. Anm. Reul. 4 So etwa noch Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, 2. Aufl. (2000), Rz. 52. 5 Vgl. Limmer, ZEV 2004, 140. Zum umgekehrten Fall der aufschiebend bedingten Vorerbenstellung vgl. OLG Celle v. 4.10.2012 – 6 W 180/12, NotBZ 2012, 451: Vorerbschaftsbeschränkungen gelten erst ab Eintritt; a.A. Palandt/Weidlich, § 2269 Rz. 18 m.w.N. 6 Diese lässt sich auch nicht durch vermeiden, dass man die Anwartschaft als durch ihre Pfändung auflösend bedingt ausgestaltet (Hartmann, ZNotP 2005, 82 ff.; Formulierungsvorschlag von Kleensang, in: Beck’sches Formularbuch Erbrecht, Muster F II 4), da diese Abrede als Gläubigerbenachteiligung unwirksam sein dürfte, J. Mayer, ZEV 2005, 178. Außerdem bleibt er dann dauerhaft beschränkter Vorerbe. Krauß

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Nicht zu verwechseln mit dieser (problembehafteten) auflösenden Bedingtheit/ Befristetheit der Beschränkungen als solcher ist jedoch eine nach dem Datum des Sterbefalles differenzierende Alternativgestaltung: tritt der Sterbefall während eines Zeitraums ein, in dem mutmaßlich die Restschuldbefreiung (Erfüllung der Obliegenheiten in der Wohlverhaltensphase vorausgesetzt) bereits ausgesprochen wurde, ist der Destinatär zum schlichten Erben oder Vermächtnisnehmer eingesetzt, ohne weitere Kautelen; tritt der Sterbefall jedoch in einem „voraussichtlich ungünstigen“ Zeitpunkt ein, gelten die Vorsorgeregelungen eines Bedürftigentestaments.

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c) Die vorstehend beschriebenen Schwächen der „großen Bedingungslösung“ (Entstehen verwertbarer Anwartschaftsrechte in Gestalt der aufschiebend bedingten Vollerbenstellung) werden vermieden, wenn nicht die Vorerbschaft als solche auflösend bedingt ist, sondern lediglich die Anordnung der Beschränkungen, so dass mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung aus dem „nicht befreiten Vorerben“ ein „befreiter Vorerbe“ mit erweiterten Verfügungsmöglichkeiten wird. Litzenburger macht sich in seinem Gestaltungsvorschlag1 hierzu geschickterweise zunutze, dass mit dem Wegfall der Vorerbenbeschränkungen ohnehin ein neuer Erbschein zu erteilen ist, so dass die auflösende Bedingung in der Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung liegen könnte.

M 77 Bedingte Befreiung von den Vorerbschaftsbeschränkungen und bedingter Wegfall der Testamentsvollstreckung beim Bedürftigentestament Mit dem Eintritt beider nachstehend genannten Umstände erlangt … (bedürftiger Erbe) die Rechtsstellung eines von allen gesetzlichen Beschränkungen – soweit zulässig – befreiten Vorerben, d.h. die zunächst angeordneten Beschränkungen fallen weg unter Aufrechterhaltung der Vorerbenstellung als solcher. Zugleich endet die Testamentsvollstreckung mit dem Eintritt der nachstehenden Umstände ersatzlos. Vorstehende Wirkungen (Befreiung von den Vorerbenbeschränkungen und Beendigung der Testamentsvollstreckung) treten ein, wenn a) der Vorerbe mindestens ein Jahr lang ununterbrochen keine staatlichen Fürsorgeleistungen nach SGB II oder SGB XII erhalten und solche auch nicht beantragt hat b) und er dies gegenüber dem Nachlassgericht eidesstattlich versichert. Sollten die Bestimmungen des vorstehenden Absatzes nicht wirksam sein oder aus rechtlichen Gründen nicht zu einem Wegfall der Vorerbenbeschränkungen bzw. der Dauertestamentsvollstreckung führen, verbleibt es bei der bisherigen Rechtsstellung des Vorerben. 83

d) Entscheidendes Schutzinstrument des Bedürftigen- (wie auch des Behinderten-)Testaments ist die Dauertestamentsvollstreckung (§ 2214 BGB); die Vor- und Nacherbfolge „verlängert“ den Vermögensschutz lediglich (gerichtet gegen § 102 1 Litzenburger, ZEV 2009, 278 (281). 506

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Rz. 85

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SGB XII, § 35 SGB II) über die Lebenszeit des Bedürftigen/Behinderten hinaus. Es liegt also (mit Blick auf die in Rz. 80 f. dargestellten Risiken) nahe, lediglich die Dauertestamentsvollstreckung zu befristen1. Eine zugriffsgefährdete „Anwartschaft“ wird dadurch nicht begründet, wie sich aus § 2210 BGB ergibt: Da keine Testamentsvollstreckung ewig währen kann, liefe § 2214 BGB sonst leer2. e) Ist nicht abzusehen, ob der Destinatär zum Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich überschuldet sein wird (etwa wegen Eventualverbindlichkeiten aus Haftpflichtprozessen), kann auch auf die flexible Ausschlagungslösung nach Empfehlung von Tönnies3 zurückgegriffen werden: In Erweiterung des § 1951 Abs. 3 BGB (Teilbarkeit der Ausschlagung) kann der Erblasser den Erben durch Verfügung von Todes wegen gestatten, bei mehrfacher Einsetzung zum Alleinerben unter unterschiedlicher Ausgestaltung seiner Erbenstellung (zum einen als unbeschränkter Alleinerbe, als bloßer Vorerbe, als nicht befreiter Vorerbe etc.) die verschiedenen Erbenstellungen gesondert auszuschlagen oder anzunehmen. Demnach würde also bspw. der potenziell überschuldete Abkömmling zunächst zum „normalen“ Erben (bzw. Miterben), ersatzweise zum nicht befreiten, mit Testamentsvollstreckung belasteten (Mit-)erben eingesetzt sein.

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f) Kornexl4 schlägt schließlich vor, den Nacherbfall (bzw. die Fälligkeit des Nachvermächtnisses) mit Wegfall der Bedürftigkeit nicht etwa entfallen, sondern eintreten zu lassen (also keine aufschiebend bedingte Vollerbenstellung!). Sofern der Nacherbfall/Nachvermächtnisfall durch den Wegfall der Bedürftigkeit/Überschuldung ausgelöst wurde, sind die dadurch Begünstigten jedoch mit der Auflage beschwert, bestimmte Werte (oder Nachlassquoten) dem nicht mehr Bedürftigen zuzuwenden; zu deren Erfüllung ist Testamentsvollstreckung angeordnet. Da der Begünstigte somit weder einen eigenen künftigen/bedingten Leistungsanspruch (§ 1940 BGB) hat noch verfügungsberechtigt ist, scheidet ein Zugriff Dritter (d.h. eines Pfändungsgläubigers, des Insolvenzverwalters oder des Sozialleistungsträgers) hierauf aus.

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M 78 Muster eines „klassischen“ Behindertentestamentes (als Erbvertrag) URNr. … Erbvertrag Heute, den … zweitausendfünfzehn, – … 2015 – erschienen vor mir, …, Notar in … in meinen Amtsräumen in …: 1 Die bedingte Befristung ist im Testamentsvollstreckerzeugnis zu vermerken, OLG Düsseldorf v. 20.1.2011 – 3 Wx 281/10, ZEV 2011, 650. 2 Vgl. Tersteegen, ZErb 2011, 234 (236). 3 Tönnies, ZNotP 2003, 92. 4 Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 423 ff. Krauß

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Herr …, geb.… geb. am … und dessen Ehefrau, Frau …, geb. … geb. am … beide wohnhaft: … nach Angabe im gesetzlichen Güterstand verheiratet, ausgewiesen durch gültigen deutschen Personalausweis. Die Erschienenen erklärten, einen Erbvertrag errichten zu wollen. Nach meiner, aus der Verhandlung gewonnenen Überzeugung, sind sie voll geschäftsfähig. Ein Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament, das bei letztwilligen Verfügungen Bindungswirkung entfalten würde, besteht nach Angabe bisher nicht. Vorsorglich wird der Notar gem. § 78d Abs. 1 S. 3 BNotO bevollmächtigt, jedoch nicht beauftragt, beim Zentralen Testamentsregister frühere Verfügungen von Todes wegen zu erfragen. Es war weder gesetzlich geboten noch von den Beteiligten gewünscht worden, Zeugen oder einen zweiten Notar hinzuzuziehen. Der Notar fragte nach einer Vorbefassung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG; sie wurde von den Beteiligten verneint. Die Erschienenen erklärten sodann mir, dem Notar, bei gleichzeitiger Anwesenheit, mündlich zur Beurkundung, was folgt: I. Vorbemerkungen 1. Abstammung … wurde am … in … als Sohn von … und …, geb. …., geboren. … . . wurde am … in … als Tochter von … und …, geb. …., geboren. 2. Eheschließung Die für den Ehemann und die Ehefrau jeweils erste Ehe wurde standesamtlich am … in … geschlossen. 3. Kinder Aus dieser Ehe sind drei Kinder hervorgegangen: A, geb. am … B, geb. am … Das weitere gemeinsame Kind C ist geistig behindert. Weitere Kinder hat keiner der Ehegatten. 4. Staatsangehörigkeit; Auslandsvermögen; Vorerwerbe; Pflichtteilsrecht Die Beteiligten erklären, beide deutsche Staatsangehörige zu sein. Sie erklären weiter, kein im Ausland gelegenes Vermögen zu besitzen. Soweit auf ihre Beer508

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Rz. 85

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bung die EU-Erbrechtsverordnung Anwendung finden sollte, wählt ein jeder der Beteiligten schon jetzt das deutsche Recht als Vertrags- und Erbstatut. Keines der Kinder hat bisher seitens der Beteiligten Ausstattungen oder Schenkungen erhalten, die ausgleichungspflichtig wären oder die bei einem derzeitigen Sterbefall Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen würden. Mit keinem der Kinder besteht ein Pflichtteilsverzichtsvertrag. 5. Frühere Verfügungen von Todes wegen Etwaige frühere Verfügungen von Todes wegen werden hiermit vollinhaltlich widerrufen. Sämtliche Verfügungen in diesem Erbvertrag gelten ohne Rücksicht auf gegenwärtige oder künftige Pflichtteilsberechtigte und vorrangig gegenüber anderslautenden gesetzlichen Auslegungs-, Vermutungs- und Ergänzungsregelungen. II. Vertragsmäßige Verfügungen In vertragsmäßiger, also einseitig nicht widerruflicher Weise, vereinbaren die Beteiligten folgendes: 1. Erbfolge nach dem Erstversterbenden a) Erbquoten Erben des erstversterbenden Ehegatten werden der länger lebende Ehegatte zu 11/12 und das gemeinsame Kind C zu 1/12. Ersatzerbe anstelle von C ist der länger lebende Ehegatte, weiter ersatzweise die anderen Kinder zu gleichen Stammanteilen, jeweils als Vollerben. Ersatzerben des länger lebenden Ehegatten sind die nachstehend benannten Schlusserben gemäß den dort getroffenen Verteilungsgrundsätzen, also A und B zu je 5/12 als Vollerben, C zu 2/12 als Vorerbe. b) Nacherbfolge Unser Kind C ist jedoch nur Vorerbe. Er ist von den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB lediglich hinsichtlich §§ 2119 (Pflicht zur dauerhaften Geldanlage), 2123 (Waldwirtschaftsplan), und 2127 bis 2129 BGB (Auskunftsanspruch und Stellung von Sicherheiten) befreit. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein. Nacherbe ist der länger lebende Ehegatte. Die Nacherbenanwartschaftsrechte sind nur an den Vorerben veräußerlich, im Übrigen jedoch unvererblich und unveräußerlich. Ersatznacherben sind etwaige Abkömmlinge des Vorerben, weiter ersatzweise die Geschwister A und B je zur Hälfte. Die Einsetzung der Ersatznacherben ist für den Fall auflösend bedingt, dass die Nacherbenanwartschaftsrechte auf den Vorerben übertragen werden. Krauß

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2. Vermächtnisse Der länger lebende als Miterbe des erstversterbenden Ehegatten wird mit folgendem Vermächtnis zugunsten der gemeinsamen Kinder A und B beschwert: a) Vermächtnisgegenstand Jedes der gemeinschaftlichen Kinder mit Ausnahme von C erhält einen baren Geldbetrag, der seinem gesetzlichen Erbteil am Nachlass des erstversterbenden Elternteils entspricht. Der Beschwerte ist berechtigt, das Vermächtnis durch Übereignung von Immobilien oder anderer Sachwerte zu erfüllen. b) Fälligkeit Die Vermächtnisse fallen jeweils mit dem Tod des Erstversterbenden an, sind jedoch erst zwanzig Jahre nach ihrem Anfall ohne Beilage von Zinsen zur Zahlung fällig. Vor Fälligkeit kann dingliche Sicherung nicht verlangt werden. c) Ersatzvermächtnisnehmer Ersatzvermächtnisnehmer sind jeweils die Abkömmlinge der Vermächtnisnehmer zu unter sich gleichen Stammanteilen. Entfällt ein Vermächtnisnehmer vor dem Anfall des Vermächtnisses ohne Hinterlassung von Abkömmlingen, entfällt auch das zu seinen Gunsten angeordnete Vermächtnis. 3. Bedingtes Vorausvermächtnis a) Beschwerter Der länger lebende Ehegatte wird als Miterbe des erstversterbenden Ehegatten zugunsten des gemeinsamen Kindes C mit folgendem bedingten Vorausvermächtnis beschwert: Soweit durch lebzeitige Zuwendungen des erstverstorbenen Ehegatten dem C Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Nachlass oder den Beschenkten zustehen würden, hat der länger Lebende diesem einen baren Geldbetrag i.H.v. 110 % dieser Ansprüche zu verschaffen. Bei deren betragsmäßiger Berechnung ist so vorzugehen, als ob der Vorausvermächtnisnehmer vollständig enterbt worden wäre, so dass eine Anrechnung im Sinne des § 2326 S. 2 BGB nicht stattfindet. Übersteigt der Vermächtnisbetrag den Nachlassanteil, handelt es sich insoweit um ein Verschaffungsvermächtnis. Entsprechendes gilt, soweit durch ausgleichungspflichtige Zuwendungen des erstverstorbenen Ehegatten der ordentliche Pflichtteilsanspruch des C erhöht worden ist (Ausgleichungspflichtteil gem. § 2316 BGB); der Geldanspruch besteht i.H.v. 110 v.H. der Pflichtteilserhöhung. Das jeweilige Vermächtnis entfällt, wenn C das ihm in dieser Urkunde Zugewendete ausschlägt, ebenso wenn er oder ein (gesetzlicher bzw gewillkürter) Vertreter oder Überleitungsberechtigter den Pflichtteilsergänzungsanspruch selbst geltend macht (auflösende Bedingung). 510

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b) Nachvermächtnis C ist jedoch hinsichtlich jedes Vermächtnisses nur Vorvermächtnisnehmer. Nachvermächtnisnehmer sind seine Abkömmlinge, ersatzweise die oben genannten anderen Schlusserben A und B gemäß den dort getroffenen Verteilungsgrundsätzen. Die Nachvermächtnisanwartschaftsrechte sind nur an den Vorerben veräußerlich, im Übrigen jedoch unvererblich und unveräußerlich. Das Nachvermächtnis fällt an mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers. Die bis dahin zu ziehenden Nutzungen stehen dem Vorvermächtnisnehmer zu. Sie dürfen jedoch nur in derselben Weise verwendet werden, wie die Erträge seines Miterbenanteils. c) Vermächtnisvollstreckung Der erstversterbende Ehegatte ordnet zur Sicherung der vorstehenden Nutzungsverwendung hinsichtlich des jeweiligen Vermächtnisses Vorvermächtnisvollstreckung an, für welche die unten getroffenen Bestimmungen über die Testamentsvollstreckung am Miterbenanteil von C, auch hinsichtlich der Person des Vermächtnisvollstreckers, entsprechend gelten. Der Beschwerte ist berechtigt, nach seiner Wahl das Vermächtnis auf seine Kosten durch die Verschaffung von Immobilienvermögen zu erfüllen. Macht er hiervon Gebrauch, ist der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers bei Erfüllung des Vorausvermächtnisses durch Eintragung einer Vormerkung zu sichern. 4. Erbfolge nach dem länger Lebenden a) Erbquoten Schlusserben, also Erben des Letztversterbenden und Erben im Fall eines durch dasselbe Ereignis bedingten (annähernd) gleichzeitigen Versterbens, sind – A und B zu je 5/12 als Vollerben und – C zu 2/12. Gesetzliche Ausgleichungspflichten der Abkömmlinge wegen lebzeitiger Vorabzuwendungen werden im Wege des Vorausvermächtnisses erlassen. Ersatzschlusserben sind jeweils die Abkömmlinge der Schlusserben zu unter sich gleichen Stammanteilen. Sind solche nicht vorhanden, tritt bei den übrigen Schlusserben Anwachsung gem. § 2094 BGB ein. b) Nacherbfolge C ist jedoch auch beim Schlusserbfall nur Vorerbe. Er ist von den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB lediglich hinsichtlich §§ 2119 (Pflicht zur dauerhaften Geldanlage), 2123 (Waldwirtschaftsplan), und 2127 bis 2129 BGB (Auskunftsanspruch und Stellung von Sicherheiten) befreit. Krauß

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Nacherben sind die Abkömmlinge des Vorerben. Ersatznacherben sind die anderen Schlusserben A und B gemäß den dort getroffenen Verteilungsgrundsätzen. Die Einsetzung der Ersatznacherben ist für den Fall auflösend bedingt, dass die Nacherbenanwartschaftsrechte auf den Vorerben übertragen werden. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein. c) Bedingtes Vorausvermächtnis Auch der länger Lebende beschwert die Miterben des C zu dessen Gunsten mit dem oben Nr. 3a)–c) geregelten Vor- und Nachvermächtnis als Vorausvermächtnis, ggf. zugleich Verschaffungsvermächtnis, für den Fall, dass aufgrund lebzeitiger Zuwendungen des länger Lebenden unserem Kind C Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Nachlass oder den Beschenkten zustehen würden, oder eine Erhöhung seines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs gem. § 2316 BGB eingetreten ist, und ordnet insoweit Vorvermächtnis-Testamentsvollstreckung an. Es gelten die in Bezug genommenen Regelungen. Testamentsvollstrecker ist der Vorerbenvollstrecker auf den Schlusserbfall. 5. Abänderungsbefugnis In Abweichung von der gesetzlichen erbvertraglichen Bindungswirkung gilt folgende Abänderungsbefugnis: Der länger Lebende ist befugt, die nach ihm geltende Erbfolge innerhalb der gemeinsamen Abkömmlinge einseitig abzuändern oder zu ergänzen. Er kann insbesondere – die Erbquoten der Schluss- und Ersatzschlusserben verändern, – eine für den Schlusserbfall angeordnete Nacherbfolge ändern oder aufheben, – andere gemeinsame Abkömmlinge, insbesondere Enkelkinder, anstelle der oder neben den oben genannten Schlusserben einsetzen oder ihnen Vermächtnisse zuwenden, – einzelne Abkömmlinge enterben und ihnen, bei Vorliegen eines gesetzlichen Grundes, den Pflichtteil entziehen, – die für den Schlusserbfall angeordnete Testamentsvollstreckung aufheben, – die Folgen der Pflichtteilsstrafklausel verändern, – das bedingte Vorausvermächtnis verändern und aufheben. Anderen Personen darf er von Todes wegen nur Vermögenswerte zuwenden, die er nach dem Ableben des Erstversterbenden hinzuerworben hat, soweit sie nicht wirtschaftlich Ersatz oder Ertrag des beim ersten Erbfall vorhandenen Vermögens sind. Wurden durch solche hinzuerworbenen Vermögenswerte Verbindlichkeiten getilgt, die bereits beim Tod des Erstversterbenden vorhanden waren, dürfen auch Vermächtnisse in Höhe dieser Beträge ausgesetzt werden. Auf Verlangen eines Schluss- oder Ersatzschlusserben ist beim Tod des Erstversterbenden ein Vermögensverzeichnis zu erstellen.

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6. Nicht bedachte Pflichtteilsberechtigte Vorstehende Verfügungen werden hiermit gegenseitig als vertragsmäßig angenommen. Sie sollen ausdrücklich auch Bestand behalten, wenn beim Tod eines der Ehegatten nicht bedachte Pflichtteilsberechtigte, insbesondere aus einer Wiederverheiratung des länger Lebenden, vorhanden sein sollten. Insoweit verzichten die Beteiligten auf ihr gesetzliches Anfechtungsrecht. III. Einseitige Verfügungen und Bestimmungen 1. Teilungsanordnung Der erstversterbende wie auch der länger lebende Ehegatte bestimmen im Wege der Teilungsanordnung, dass C auf seinen jeweiligen Vorerbteil Geld erhalten soll in Höhe seines rechnerischen Anteils am Reinnachlass, jedoch ohne Abzug angeordneter Vermächtnisse. Auch zur Erfüllung dieser Teilungsanordnung ist die Testamentsvollstreckung gemäß III. Nr. 2 angeordnet; es ist gem. § 2048 S. 2 BGB in das billige Ermessen des Vollstreckers gestellt, ob und wann er die Teilungsanordnung – insbesondere mit Blick auf die Zusammensetzung und Liquidität des Nachlasses – durchführt. 2. Testamentsvollstreckung a) Testamentsvollstreckung bei beiden Erbfällen Unser gemeinsames Kind C ist wegen seiner Behinderung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Es wird daher die ihm beim jeweiligen Erbfall zugewendeten Erbteile nicht selbst verwalten können. Sowohl der erstversterbende als auch der länger lebende Ehegatte ordnen deshalb hinsichtlich des unserem Kind C jeweils zufallenden Erbteils Testamentsvollstreckung in Form einer Dauertestamentsvollstreckung gem. § 2209 BGB an. b) Person des Testamentsvollstreckers Zum Testamentsvollstrecker wird ernannt: – beim Tod des erstversterbenden der länger lebende Ehegatte – beim Schlusserbfall das gemeinsame Kind … (A oder B). Der jeweilige Testamentsvollstrecker wird ermächtigt, jederzeit einen Nachfolger zu benennen (§ 2199 BGB) bzw, sofern er das Amt nicht antritt, als Dritter gem. § 2198 BGB den Vollstrecker zu bestimmen. Kann oder will er dies nicht, ist … als Ersatzvollstrecker für den ersten und den zweiten Sterbefall berufen, dem wiederum die Benennungsmöglichkeiten gem. §§ 2198, 2199 BGB entsprechend zustehen. Hilfsweise soll der Vollstrecker gem. § 2200 BGB durch das Nachlassgericht ernannt werden. Wir empfehlen, im Falle einer Kollision zwischen dem Amt des Betreuers/gesetzlichen Vertreters und des Testamentsvollstreckers, die zur möglicherweise nicht gewollten Bestellung eines fremden Ergänzungs-Überwachungsbetreuers führen würde, das Amt des Betreuers/gesetzlichen Vertreters anzunehmen und im Wege der §§ 2198, 2199 bzw hilfsweise § 2200 BGB einen anderen, geeigneten Vollstrecker zu bestimmen. Krauß

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Das Amt des für den ersten Sterbefall eingesetzten Testamentsvollstreckers endet mit dem Schlusserbfall. An seine Stelle tritt der für den Schlusserbfall eingesetzte Testamentsvollstrecker, der dann die Miterbenanteile von C (Behinderter) am Nachlass beider Elternteile verwaltet. c) Aufgabe des Vollstreckers Aufgabe des jeweiligen Testamentsvollstreckers ist die Verwaltung des Erbteils unseres Kindes C und damit die Verwaltung des Nachlasses gemeinsam mit dem weiteren Miterben. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat alle Verwaltungsrechte auszuüben, die unserem genannten Sohn als (Mit-)Vorerben zustehen. Er ist zur Verwaltung des Nachlasses in Gemeinschaft mit den weiteren Miterben berechtigt und verpflichtet. Nach Teilung des Nachlasses setzt sich die Testamentsvollsteckung an den dem Vorerben zugefallenen Vermögenswerten fort, ebenso an sonstigen Surrogaten. Aufgabe des Vollstreckers ist ferner die Durchführung der vorstehend Nr. 1 getroffenen Teilungsanordnungen. Der Testamentsvollstrecker ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Sowohl der zuerst Versterbende als auch der Überlebende von uns beiden trifft folgende, für den jeweiligen Testamentsvollstrecker verbindliche Verwaltungsanordnung gem. § 2216 Abs. 2 BGB: Die nachstehenden Anordnungen sollen zu einer Verbesserung der Lebensqualität unseres Sohnes führen, indem ihm Leistungen zugewendet werden, die er durch den Standard der Sozialhilfe nicht bekäme. Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat daher unserem genannten Sohn die ihm gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgnisse (Nutzungen) des Nachlasses, wie beispielsweise etwaige anteilige Miet- und Pachtzinsen, Zinserträge, Dividenden- und Gewinnanteile und etwaige sonstige Gebrauchsvorteile und Früchte von Nachlassgegenständen, in einer Weise zuzuwenden, welche nicht zu einer Anrechnung auf staatliche Sozialleistungen führt, und dabei sich an folgenden Maßgaben („Regelbeispielen“) zu orientieren: – Geschenke zum Geburtstag und Namenstag, zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, – Zuwendungen zur Befriedigung von individuellen Bedürfnissen geistiger und künstlerischer Art sowie in bezug auf die Freizeitgestaltung, insbesondere Hobbys, – Finanzierung von Freizeiten und Urlaubsaufenthalten, einschließlich der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände, und gegebenenfalls Bezahlung einer erforderlichen, geeigneten Begleitperson, – Aufwendungen für Besuche bei Verwandten und Freunden, – Aufwendungen für ärztliche Behandlungen, Heilbehandlungen, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) gezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz usw., – Anschaffung von Hilfsmitteln und Ausstattungsgegenständen, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) bezahlt werden; dabei sollen die Hilfsmittel von der Qualität so bemessen und ausgewählt werden, dass sie dem Kind optimal dienlich sind, 514

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– Aufwendungen für zusätzliche Betreuung, z.B. bei Spaziergängen, Theaterund Konzertbesuchen, Einkäufen und ähnlichem, entsprechend den Wünschen des Kindes, – Aufwendungen für Güter des persönlichen Bedarfs des Kindes, z.B. (modische) Kleidung oder Einrichtung seines Zimmers. Für welche der genannten Leistungen die jährlichen Reinerträgnisse verwendet werden sollen, ob diese also auf sämtliche Leistungen gleichmäßig oder nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden oder ob diese in einem Jahr nur für eine oder mehrere der genannten Leistungen verwendet werden, entscheidet der jeweilige Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen, wobei er allerdings immer auf das Wohl des behinderten Abkömmlings bedacht sein muss. Werden die jährlichen Reinerträgnisse in einem Jahr nicht in voller Höhe in Form der bezeichneten Leistungen unserem behinderten Abkömmling zugewendet, sind die entsprechenden Teile vom jeweiligen Testamentsvollstrecker gewinnbringend anzulegen. Sind größere Anschaffungen für unseren Sohn wie beispielsweise der Kauf eines Gegenstandes zur Steigerung des Lebensstandards unseres genannten Sohnes (z.B. die Anschaffung eines Pkw kleiner oder mittlerer Klasse) oder eine größere Reise oder ähnliches, beabsichtigt, hat der jeweilige Testamentsvollstrecker entsprechende Rücklagen zu bilden. Im Übrigen gelten für die Testamentsvollstreckung die gesetzlichen Bestimmungen. Sollten vorstehende Verwaltungsanordnungen unwirksam oder außer Kraft gesetzt sein, beschwert jeder von uns vorsorglich unser behindertes Kind C mit der bedingten Auflage, Substanz und Erträge seiner Nachlassbeteiligung nur unter Einhaltung dieser Verwaltungsanordnungen einzusetzen. d) Vergütung Für seine Tätigkeit erhält ein etwa durch das Nachlassgericht bestimmter Ersatztestamentsvollstrecker (§ 2200 BGB) neben dem Ersatz seiner notwendigen Auslagen eine Vergütung in angemessener Höhe (§ 2221 BGB), deren Bemessung sich an den Richtlinien des Deutschen Notarvereins e.V. in ihrer jeweils geltenden Fassung orientiert (vgl. z.B. Zeitschrift „notar“, Jahrgang 2000, S. 2ff). Andere Personen haben nur Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. § 2218 BGB, wobei jedoch Tätigkeiten im jeweiligen Beruf oder Gewerbe des Testamentsvollstreckers gesondert zu vergüten sind. Die Vergütung geht zu Lasten des verwalteten Erbteils. 3. Benennung eines Vormunds; Betreuung Sollte beim Ableben des länger Lebenden eines der gemeinsamen Kinder noch minderjährig sein, benennt der länger Lebende hiermit gem. § 1777 Abs. 3 BGB als Vormund Herrn/Frau/Ehegatten … Wir regen ferner an, sofern erforderlich, Herrn/Frau … zum Betreuer unseres Kindes C nach unser beider Ableben zu bestellen. Sollte er/sie zugleich Testamentsvollstrecker für ihn sein oder in einer schädlichen Nähebeziehung zu ersterem stehen, empfehlen wir ihm/ihr, das Betreueramt anzunehmen und gem. §§ 2198, 2199 und hilfsweise § 2200 BGB einen anderen geeigneten Testamentsvollstrecker zu bestimmen/bestimmen zu lassen. Krauß

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4. Pflichtteilsstrafklausel Verlangt einer unserer Abkömmlinge nach dem Tod des zuerst Versterbenden von uns gegen den Willen des länger Lebenden, sofern dieser das Verlangen erlebt, seinen Pflichtteil (ggf. nach Ausschlagung) in verzugsbegründender Weise, entfällt jede in dieser Urkunde oder späteren Änderungen zu seinen Gunsten und zugunsten seiner Abkömmlinge getroffene letztwillige Verfügung. Der frei gewordene Erbanteil wächst mangels abweichender Verfügung des länger Lebenden den anderen eingesetzten Erben – nicht jedoch unserem Kind C – an. Ein Verlangen im Sinn dieser Bestimmung setzt weder vorwerfbares Verhalten noch Kenntnis dieser Bestimmung voraus, liegt jedoch nur vor, wenn der Abkömmling oder ein durch ihn rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter selbst – nicht also ein gesetzlicher Vertreter oder ein Rechtsnachfolger infolge Überleitung – (ausschlägt und) das Verlangen stellt. IV. Belehrungen Die Vertragsteile wurden vom Notar über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen belehrt, insbesondere über – das Pflichtteilsrecht; sie wurden dabei besonders auf das Ausschlagungsrecht eines Pflichtteilsberechtigten gem. § 2306 BGB aufgrund ihn belastender Beschränkungen hingewiesen, – das Recht der Pflichtteilsergänzung, – das Wesen der Vor- und Nacherbfolge sowie der Testamentsvollstreckung, – die Einschränkung der Testierfreiheit durch die vertragsmäßigen Verfügungen, – den Grundsatz des freien lebzeitigen Verfügungsrechts, seine Einschränkungen und deren Auswirkungen, – das durch diese Urkunde eingeschränkte Anfechtungsrecht gem. den §§ 2078, 2079 BGB. V. Schlussbestimmungen 1. Verteiler Die Vertragsteile beantragen, – jedem Beteiligten eine Ausfertigung dieser Urkunde zu erteilen, – die Urschrift in die besondere amtliche Verwahrung beim Amtsgericht zu bringen, – eine beglaubigte Abschrift unverschlossen in der Urkundensammlung aufzubewahren. 2. Kosten Den Reinwert ihres Vermögens geben die Vertragsteile gesondert an. Sie erklären, die Kosten dieser Urkunde sowie die der amtlichen Verwahrung gemeinsam zu tragen.

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VI. Zusatzbestimmungen; hilfsweise getroffene Verfügungen 1. Der amtierende Notar hat uns aus Anlass der heutigen Beurkundung unseres gemeinschaftlichen Testaments noch auf folgendes hingewiesen: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass zufolge künftiger Rechtsprechung die heutigen Vereinbarungen im Hinblick auf das Nachrangprinzip der Sozialhilfe gegen § 138 BGB verstoßen, obwohl wir mit den heutigen Vereinbarungen lediglich Regelungen treffen, die auch dem wohlverstandenen Interesse unseres behinderten Sohnes dienen, oder dass eine Sozialleistungsbehörde gesetzliche Ausschlagungsrechte unseres behinderten Sohnes an sich ziehen und für ihn ausüben könnte mit der Folge, dass unsere wohlmeinenden Anordnungen die Wirkung verlieren. 2. Sollte dieses gemeinschaftliche Testament wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB beim jeweiligen Erbfall unwirksam sein, ordnen wir an: Wir setzen uns durch vertraglich bindende Verfügung gegenseitig zum Alleinerben ein. Schlusserben sind unsere beiden Kinder A und B zu gleichen Teilen, ersatzweise deren Abkömmlinge zu gleichen Stammanteilen. 3. Sollten die Belastungen, mit denen die Ziele dieses „Behindertentestaments“ erreicht werden sollen (Verwaltungsvollstreckung; Vor- und Nacherbfolge) unwirksam sein wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB oder aufgrund Ausschlagung durch die Sozialleistungsbehörde mit Wirkung für ihn oder sollte unser behinderter Sohn aufgrund des Hilfstestamentes gem. Nr. 2 lediglich den Pflichtteil erhalten, so gilt: Die anstelle unseres behinderten Sohnes Berufenen sind dann mit einer Auflage zu seinen Gunsten beschwert, für die folgende Bestimmungen gelten: – Von den Erträgen des Vermögens, welches den Ersatzberufenen – nach Abzug der von ihnen jeweils zu tragenden Pflichtteilslast – verbleibt, sind auf Lebzeiten unseres Sohnes jeweils 90 % an diesen auszuhändigen. – Die Vollziehung der Auflage ist Aufgabe des Testamentsvollstreckers, der bei Nichteintritt der Bedingung die betroffene Nachlassbeteiligung unseres Sohnes verwaltet hätte. Erst danach endet sein Amt. Für die an unser behindertes Kind auszuhändigenden Erträge gilt die in dieser Verfügung von Todes wegen angeordnete Verwaltungsanweisung entsprechend. – Neben dem Testamentsvollstrecker steht die Vollziehungsberechtigung für die Auflage sämtlichen Personen zu, die bei Eintritt der Bedingung Ersatzberufene sind, und zwar jeweils in bezug auf die übrigen Auflagebeschwerten. Für alle anderen Personen, die nach § 2194 BGB die Vollziehung der Auflage verlangen könnten, wird die Vollziehungsberechtigung hiermit ausgeschlossen. Vorgelesen vom Notar, von den Beteiligten genehmigt, und eigenhändig unterschrieben:

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IX. Nichteheliche Partner und das Erbrecht Monografisches Schrifttum: Bruns/Kemper (Hrsg.), Lebenspartnerschaftsrecht, 2. Aufl. 2005; Burhoff/Willemsen, Handbuch der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. 2014; Duderstadt, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. 2004; Ehmann, Partner ohne Trauschein, 2. Aufl. 1999; Fischer, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. 2003; Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 5. Auflage 2014; Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. 2004; Müller, Nichteheliche Lebensgemeinschaft und eingetragene Lebenspartnerschaft, in: Würzburger Notarhandbuch, 3. Aufl. 2012 (4. Aufl. erscheint Anfang 2015); von Münch, Zusammenleben ohne Trauschein, 7. Aufl. 2001; Reinstorf, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft und das Erbrecht, Schriftenreihe des Deutschen Forums für Erbrecht e.V. München (1999); Schmidt-Burbach, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft und ihre erbrechtlichen Verfügungsmöglichkeiten, 2004; Schürrmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaften und ihre Einordnung im Internationalen Privatrecht, 2001; Thieler, Lebensgemeinschaft ohne Trauschein, 1995; Tzschaschel, Vereinbarungen bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften, 5. Aufl. 2010; Waldner, Eheverträge, Scheidungsund Partnerschaftsvereinbarungen, 2. Aufl. 2004; Wilker, Die vertragliche Gestaltung nichtehelichen Zusammenlebens durch „Partnervereinbarungen“, 1987. Rz.

I. Gesetzliches Erbrecht für nichteheliche Partner und gemeinschaftliche Kinder 1. Erbrecht der nichtehelichen Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erbrecht der gemeinschaftlichen Kinder a) Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . b) Erbrecht nach der Mutter . . . . c) Erbrecht nach dem Vater . . . . . aa) Gew. Aufenthalt des Vaters im Beitrittsgebiet zum Zeitpunkt seines Ablebens . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gew. Aufenthalt des Vaters in den alten Bundesländern zum Zeitpunkt seines Ablebens . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geburt des nichtehelichen Kindes vor dem 1.7.1949 . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Geburt des nichtehelichen Kindes nach dem 1.7.1949 . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pflichtteilsrechte . . . . . . . . . . .

1 9 22 23

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II. Erbrecht durch letztwillige Verfügung 1. Gestaltungsmittel . . . . . . . . . . . . . a) Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518

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c) Kriterien für die Wahl der Verfügungsform . . . . . . . . . . . . 51 2. Regelungsinhalte a) Erbeinsetzung des Partners durch Testament . . . . . . . . . . . . 54 aa) Wirksamkeitsgrenzen . . . 57 bb) Auflösende Bedingung der Trennung . . . . . . . . . . . 61 cc) Widerruf früherer Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . 65 dd) Pflichtteilsansprüche . . . . 69 b) Gegenseitige Erbeinsetzung durch Erbvertrag . . . . . . . . . . . . 73 aa) Rücktrittsvorbehalt . . . . . 76 bb) Verzicht auf Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . . . 80 cc) Vorbehalt erneuter Testiermöglichkeit . . . . . . 83 3. Berücksichtigung der familiären und persönlichen Situation . . . . . 88 a) Regelung bei gemeinschaftlichen Kindern . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Kinder aus früheren Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Vor- und Nacherbschaft . . 101 bb) Vermächtnislösung . . . . . . 114 c) Adoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Beschränkungen der Testierfreiheit 1. Bindung durch gesetzliche Erbrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

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Rz. 2. Bindung durch letztwillige Verfügung aus früheren Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. „Erbentzug“ wegen nichtehelichen Zusammenlebens? . . . . . . . 146 IV. Lebzeitige Zuwendungen nichtehelicher Partner . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Zivilrichterliche Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Innengesellschaft . . . . . . . . . . . b) Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . c) Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . 3. Gestaltungsalternativen a) Ausdrücklicher Schenkungscharakter aa) Unter Lebenden . . . . . . . . . bb) Auf den Todesfall . . . . . . . b) Ehefiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wohnungsleihe . . . . . . . . . . . . .

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Rz. e) Miteigentümervereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erwerbsrechte . . . . . . . . . . . . . . g) Innengesellschaft . . . . . . . . . . . h) Außengesellschaft bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ansprüche Dritter aufgrund lebensgemeinschaftsbedingter Zuwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) §§ 812, 138 BGB? . . . . . . . . . . . b) §§ 2325 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . 5. §§ 2287 f. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Schenkung- und Erbschaftsteuer unter nichtehelichen Lebensgefährten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 VI. Erbrecht der eingetragenen Lebenspartner 1. Gesetzliches Erbrecht . . . . . . . . . . 192 2. Gewillkürtes Erbrecht . . . . . . . . . . 201 3. Schenkung- und Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

I. Gesetzliches Erbrecht für nichteheliche Partner und gemeinschaftliche Kinder 1. Erbrecht der nichtehelichen Partner Das Zusammenleben in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlichsähnlicher Gemeinschaft, also ohne verheiratet zu sein oder in eingetragener Lebenspartnerschaft zu leben (im Folgenden kurz „nichteheliche Lebensgemeinschaft“) ist ein Massenphänomen unserer Zeit1. Nach dem Ergebnis des Mikrozensus 2010 hat die Zahl der Ehepaare zwischen 1996 und 2010 um 7 % – von 19,6 auf 18,2 Mio Paare – abgenommen, die der Lebensgemeinschaften sich um 44 % – von 1,9 auf 2,6 Mio Paare – erhöht; knapp 98 % davon waren gemischtgeschlechtliche, nicht miteinander verheiratete Paare. In gut 62 % dieser Fälle leben zwei ledige Personen zusammen, in 10 % der Fälle zwei geschiedene Personen, in 7 % der Fälle ist eine Person geschieden, die andere ledig, in 2 % der Fälle sind beide Partner verwitwet. Die Zahl der Alleinerziehenden ist um 19 % auf 2,7 Mio gestiegen2.

1

Das BGB sieht gleichwohl gesetzliche Erbrechte nur für Verwandte (§§ 1587, 1924–1929 BGB) und für Ehegatten (§ 1931 BGB) vor. Der Partner oder die Partnerin einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft haben daher kein gesetzliches

2

1 2005 bestanden in Deutschland 2,4 Mio. nichteheliche Lebensgemeinschaften, davon im Westen 26 %, im Osten 48 % mit Kindern. Vgl. im Überblick von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 313 ff. 2 Hammes et al., Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Oktober 2011, S. 988 ff. Krauß

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Rz. 3

Nichteheliche Partner

Erbrecht, es sei denn, sie sind zufällig mit dem anderen Partner verwandt. Eine analoge Anwendung des § 1931 BGB auf die Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft scheidet nach allgemeiner Meinung aus, weil die nichteheliche Lebensgemeinschaft ein „aliud“ zur Ehe ist und die rechtliche Bewertung eines ehelosen Zusammenlebens nicht nach gesetzlichen Regelungen erfolgen kann, die eine Ehe zwingend voraussetzen1. Auch § 10 LpartG gilt nur für eingetragene (gleichgeschlechtliche) Lebenspartnerschaften, vgl. Rz. 193. 3

Dem nichtehelichen Lebenspartner steht nach h.M. auch kein Anspruch auf den in § 1932 BGB geregelten Voraus zu. Eine Analogie zu § 1932 BGB, der dem Ehegatten als gesetzlichem Erben neben Verwandten den Hausrat belässt, wird von der herrschenden Meinung ebenfalls abgelehnt2. Ohne gesetzliche Regelung fällt der Hausrat, den die Lebenspartner gemeinsam nutzten, daher in den Nachlass und ist den Erben herauszugeben.

4

Dagegen wird der nichteheliche Lebenspartner nach überwiegender Meinung in den Kreis der Anspruchsberechtigten für den „Dreißigsten“ gem. § 1969 BGB mit der Begründung einbezogen, dass er wegen der persönlichen Bindung zum Erblasser als Familienangehöriger zu betrachten sei3.

5

Der nichteheliche Lebenspartner ist allerdings4 „sonstiger Haushaltsangehöriger“ i.S.d. § 563 Abs. 2 S. 4 BGB, der mit dem Tod des Mieters in dessen Wohnraummietverhältnis eintritt (sofern nicht der vorrangige Eintritt des Ehegatten oder Lebenspartners gem. § 563 Abs. 2 S. 2 BGB stattfindet), es sei denn, der nichteheliche Lebenspartner erklärt binnen eines Monats nach Kenntniserlangung vom Tod des Mieters gegenüber dem Vermieter, nicht eintreten zu wollen (§ 563 Abs. 3 S. 1 BGB).

6

Sozialrechtlich bilden zwar Personen in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft (ebenso wie nicht getrennt lebende Ehegatten oder Lebenspartner, §§ 19, 27 SGB XII) eine Einsatz- und Bedarfsgemeinschaft (§ 20 SGB XII) hinsichtlich des einzusetzenden Einkommens und Vermögens, ebenso der zu gewährenden Leistungen (vergleichbar im Bereich des SGB II: Einsatzgemeinschaft gem. § 9 Abs. 2 SGB II, Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 SGB II). Hierzu enthält § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II eine Legaldefinition als „Zusammenleben mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen“, was vermutet wird, wenn Partner (1) länger als ein Jahr5 zusammenleben oder (2) mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben oder (3) Kinder oder 1 OLG Saarbrücken v. 18.5.1979 – 7 W 8/79, NJW 1979, 2050; Palandt/Weidlich, § 1931 Rz. 15; MüKo.BGB/Leipold, § 1931 Rz. 6. 2 Soergel/Lange, NEhelG Rz. 131; MüKo.BGB/Wacke, nach § 1302 Rz. 43, a.A. Grziwotz, § 29 Rz. 29. 3 So OLG Düsseldorf v. 14.12.1982 – 21 U 120/82, FamRZ 1983, 274 = NJW 1983, 1566 f.; MüKo.BGB/Siegmann, § 1969 Rz. 2; Soergel/Lange, NEhelG Rz. 132; Grziwotz, § 29 Rz. 11; a.A. Steinert, NJW 1986, 686. 4 Seit Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes, vgl. BT-Drucks. 14/4553, S. 61. 5 Bewusste Verkürzung ggü. den zwei bis drei Jahren, welche die Rspr. für die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gem. § 1579 Abs. 1 Nr. 7 BGB fordert. 520

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Nichteheliche Partner

Rz. 8

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Angehörige1 im Haushalt versorgen oder (4) befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Damit übernimmt das SGB II die „Definitionshoheit“ zur Lebensgemeinschaft, die früher bei § 122 BSHG (jetzt § 20 SGB XII) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung gelegen hatte.2 Letztere hatte gefordert eine Lebensgemeinschaft (nicht notwendig in einer gemeinsamen Wohnung)3 die (1) auf Dauer angelegt ist (bzw. seit etwa drei Jahren besteht),4 (2) die daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und (3) die sich durch innere Bindungen auszeichnet, welche ein gegenseitiges Verantworten und Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen – ähnlich den Anforderungen an die „verfestigte Lebensgemeinschaft“ i.S.d. § 1579 Nr. 2 BGB:5 Die Leistungsfähigkeit des Partners spielt insoweit keine Rolle – anders als bei der Berücksichtigung eines (fiktiven) Entschädigungsbetrags für die Führung des Haushalts eines leistungsfähigen Dritten.6 Nach dem Tod des nichtehelichen Lebenspartners haftet gem. § 102 SGB XII, § 35 SGB II zwar dessen Erbe mit dem Wert des Nachlasses für die in den letzten zehn Jahren vor dem Tod gewährten Sozialleistungen, nicht aber der Nachlass des eheähnlichen/lebenspartnerschaftlichsähnlichen Partners (erfasst von der gesetzlichen Erbenhaftung ist lediglich der Nachlass des vor dem Hilfeempfänger verstorbenen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners).

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Einzelne ausländische Rechtsordnungen gewähren dem Überlebenden einer nicht registrierten „faktischen Partnerschaft“ ein gesetzliches Erbrecht (z.B. Israel7, Slowenien, Australien), i.d.R. unabhängig ob hetero- oder homosexuell, andere für „eingetragene heterosexuelle Partnerschaften“, die nicht als Ehe gelten. Art. 17b Abs. 1 S. 2 EGBGB verweist aus deutscher Sicht8 derzeit hinsichtlich der erbrechtlichen Folgen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft auf das Erbstatut des Verstorbenen (ab 17.8.2015 wird diese erbrechtliche Kollisionsnorm freilich durch die EuErbVO verdrängt, vgl. Rz. 200); die Norm gilt (wohl) für alle registrierten (auch verschiedengeschlechtlichen) Partnerschaften9. Die Kappungsregelung des Art. 17b Abs. 4 EGBGB (wonach die Folgen einer im Ausland eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht weiter gehen können als die einer ein-

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1 Scholz, FamRZ 2006, 1418 plädiert dafür, nur Kinder/Angehörige des anderen Partners genügen zu lassen. 2 Insbesondere BVerfG v. 17.11.1992 – 1 BvL 8/87, NJW 1993, 643 – gegen eine uneingeschränkte Übertragung auf den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende LSG Hessen v. 27.7.2005 – L 7 AS 18/05, FamRZ 2006, 296 (Ls). 3 „Living apart together“. 4 So das BSG, NZS 2003, 546 im Recht der Arbeitsförderung; abschwächend LSG Nordrhein-Westfalen, NJW 2005, 2253; LSG Hessen v. 3.11.2005 – L 7 AS 67/05 ER: ein Jahr ist zu kurz; SG Düsseldorf v. 23.11.2005 – S 35 AS 343/05 ER: jugendliches Alter der Beteiligten spricht eher für schlichte „liaison d’amour“. 5 Vgl. hierzu Schnitzler, FamRZ 2006, 239 ff. 6 Zwischen 200 und 550 Euro bei nicht erwerbstätigem Lebensgefährten, gem. Nr. 6 der Süddeutschen Leitlinien, Stand 1.1.2013 7 Auch die Vorfrage des Bestehens einer solchen faktischen Partnerschaft richtet sich dann nach ausländischem Recht, BayObLG, NJW 1976, 2076. 8 Zur Lage im Ausland in Bezug auf nichteheliche Lebensgemeinschaften heterosexueller Paare Schaal, ZNotP 2010, 207. 9 Vgl. Buschbaum, RNotZ 2010, 73 ff und 149 ff. Krauß

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getragenen Lebenspartnerschaft nach deutschem Recht) greift für Institute, die im deutschen Recht keine Entsprechung haben, jedenfalls nicht1. 2. Erbrecht der gemeinschaftlichen Kinder a) Abstammung 9

Voraussetzung für das Erbrecht des Kindes nach deutschem Recht ist die Abstammung, also das Mutter- bzw. Vaterschaftsverhältnis. Insoweit gilt:

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aa) Mutter eines Kindes ist stets die Frau, die es geboren hat, § 1591 BGB, ohne Rücksicht auf die leibliche Abstammung. Demzufolge ist Mutter also auch die Frau, die (im Ausland2: Kalifornien, Indien, Ukraine eine befruchtete Eizelle einer anderen Frau, also der genetischen Mutter, austrägt. Die „Wunschmutter“, Spenderin der Eizelle, kann also lediglich durch spätere Adoption zur Mutter werden; entgegenstehende nationale Verbote einer solchen Adoption verstoßen gegen Art. 8 EMRK3. Eine „Mutterschaftsanerkenntnis“ oder eine „Mutterschaftsanfechtung“ kennt das deutsche Recht nicht. Diese gesetzliche Definition (nicht lediglich Vermutung) gilt auch für sämtliche Verwandte der als Mutter geltenden Frau, mithin auch mit Blick auf das Unterhalts- und Erbrecht.

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bb) Vater eines Kindes ist der Mann, (1) der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (maßgeblich ist also der Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung, § 1592 Nr. 1 BGB),

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(2) der die Vaterschaft gem. § 1592 Nr. 2 BGB anerkannt hat, gem. §§ 1594 bis 1598 BGB, auch schon vor der Geburt des Kindes (§ 1594 Abs. 4 BGB), und unabhängig davon, ob er der genetische Vater des Kindes ist oder nicht4. Es handelt sich um ein bedingungsfeindliches Rechtsgeschäft mit Gestaltungswirkung, das der Zustimmung der Mutter bedarf (§ 1595 Abs. 1 BGB), der hierfür gem. § 1629 Abs. 1 S. 3 BGB kein Pfleger bestellt werden muss. Die Zustimmung auch des Kindes ist nur erforderlich, falls der Mutter die elterliche Sorge nicht zusteht (§ 1595 Abs. 2 BGB). Ist die Anerkennung nicht binnen Jahresfrist wirksam geworden, kann der anerkennende Mann seine Erklärung widerrufen (§ 1597 Abs. 3 BGB). Wird ein Kind nach Anhängigkeit eines Scheidungsantrags geboren und erkennt ein Dritter spätestens bis zum Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft der Scheidung die Vaterschaft an, gilt er gem. § 1599 Abs. 2 BGB als Vater. 1 Str.; wie hier z.B. MüKo/Coester, Art. 17 EGBGB Rz. 135; a.A. Heiderhoff, BeckOK EGBGB Art. 17b Rz. 46. 2 Die Ei- oder Embryonenspende ist in Deutschland gem. §§ 1, 3 ESchG verboten. 3 EuGHMR v. 26.6.2014 – 65192/11 Mennesson/Frankreich und 65941/11 Labassée/ Frankreich, FamRZ 2014, 1525 m. Anm. Frank. Für die Prüfung eines Verstoßes gegen den ordre public (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) kommt es auf die letzte gerichtliche Entscheidung an; ist das Kind dann in die „Wunschfamilie“ integriert, darf das Fehlverhalten der Eltern sich nicht zu dessen Lasten auswirken. 4 Seit 1.6.2008 hat allerdings die Behörde ein Anfechtungsrecht gegen die Anerkennung, wenn nicht aufgrund tatsächlicher Abstammung oder familiärer Bindung eine Familie i.S.d. Art. 6 GG vorliegt, v.a. um missbräuchliche Anerkennungen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels zu vermeiden, vgl. Mach-Hour, FPR 2009, 147; § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ist in seiner derzeitigen Fassung allerdings zu weit gefasst und daher verfassungswidrig, vgl. BVerfG v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10, JA 2014, 477 ff. m. Anm. Muckel. 522

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Rz. 16

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(3) Gem. § 1592 Nr. 3 BGB auch der Mann, dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB oder § 182 Abs. 1 FamFG gerichtlich festgestellt ist. Erfolgen Anerkenntnis (2) oder gerichtliche Feststellung (3) nach der Geburt des Kindes, ist dies gem. § 29 PStG am Rande des Geburtseintrages zu vermerken.

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Schließlich besteht gem. § 1593 BGB eine Vaterschaftsvermutung, falls das Kind binnen 300 Tagen nach Auflösung der Ehe durch Tod (nicht: Auflösung durch Scheidung) geboren wurde, ohne dass aufgrund Eingehung einer neuen Ehe der neue Ehemann nach § 1592 Nr. 1 BGB als Vater anzusehen wäre.

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Eine Vaterschaftsanfechtung kann gem. § 1600 BGB erfolgen. Zur Anfechtung berechtigt sind zum einen der Mann, der nach §§ 1592 Nr. 1 und 2, 1593 BGB als Vater feststeht, zum weiteren der Mann, der an Eides Statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben (unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 1600 Abs. 2 und 4 BGB), ferner die Mutter, schließlich das Kind und die zuständige Behörde in Fällen des § 1592 Nr. 2 BGB, vgl. § 1600 Abs. 3 BGB. Stirbt der Vater während eines laufenden Anfechtungsverfahrens, tritt Erledigung des Rechtsstreits ein, § 181 FamFG – dessen Verwandte (insbesondere Eltern) können also nicht mehr – wie früher gem. § 640g a.F. ZPO – das Verfahren fortführen.

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Ist das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch künstliche Befruchtung durch Samenspende (künstliche Insemination) eines Dritten gezeugt worden, ist die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann und durch die Mutter gem. § 1600 Abs. 5 BGB ausgeschlossen. Auch der Samenspender kann die Vaterschaft des Mannes nicht anfechten, wenn zuvor eine Vereinbarung getroffen wurde, dass ein anderer Mann – z.B. der Ehemann der Mutter – Vater werden soll1. Das Recht des Kindes selbst auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird dadurch nicht ausgeschlossen (solange es noch minderjährig ist, allerdings gem. § 1600a Abs. 4 BGB allerdings nur, wenn es seinem Wohl dient); das Kind hat sogar einen Auskunftsanspruch gegen den behandelnden Arzt2. Nach deutschem Recht (anders als in vielen ausländischen Rechtsordnungen, etwa Dänemark) kann der Samenspender seine Anonymität nicht (auch nicht nach dem Transplantationsgesetz) wahren; in der Einwilligung in die heterologe Insemination sieht die Rspr.3 die (ggf. stillschweigende) Vereinbarung zugunsten des Samenspenders4 als Drittem gem. § 328 BGB, diesen von den gesetzlich zwingenden Unterhaltstatbeständen freizustellen (auf erbrechtliche Fragen hat der Inseminationsvertrag freilich keinen Einfluss). Ungeklärt ist noch, ob das Erbrecht des Nasciturus, §§ 1923 Abs. 2 BGB, voraussetzt, dass die Leibesfrucht im Mutterleib sei oder ob auch eine Befruchtung der Eizellen außerhalb des Mutterleibes

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1 BGH v. 15.5.2013 – XII ZR 49/11, FamRZ 2013, 1209 (str.; gegen die Wirksamkeit des Verzichts des leiblichen Vaters = Samenspenders auf das Anfechtungsrecht und damit das Einrücken in die rechtliche Vaterstellung z.B. Remus/Liebscher, NJW 2013, 2558). 2 OLG Hamm v. 6.2.2013 – I14 U 7/12, MedR 2013, 672 m. Anm. Spickhoff (causa „Sarah Pienkoss“). 3 BGH v. 3.5.1995 – XII ZR 29/94, MDR 1995, 712 = FamRZ 1995, 861; hierzu Roth, DNotZ 2003, 805 (817); Wellenhofer, FamRZ 2013, 825 (827). Die Freistellungsvereinbarung bleibt trotz Anfechtung durch das Kind bestehen, vgl. Taupitz/Schlüter, AcP 2005, 591 (599 ff.). 4 In Deutschland wird mit ca. 100 000 Samenspendern gerechnet! Krauß

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Rz. 17

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zu diesen erbrechtlichen Ansprüchen führt. Nach dem Tod des Spenders darf nach dem Embryonenschutzgesetz der Spendersamen zwar nicht mehr verwendet werden; geschieht dies gleichwohl, bestehen jedoch keine erbrechtlichen Beschränkungen. 17

Die erbrechtlichen Folgen der Vaterschaftsanerkennung und der Vaterschaftsfeststellung treten rückwirkend auf den Erbfall, aber erst nach Wirksamwerden des Anerkenntnisses bzw. der Rechtskraft der Feststellung ein, §§ 1594, 1600d Abs. 4 BGB.

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Die Vaterschaftsanerkennung und die Zustimmung der Mutter bzw. des Kindes müssen öffentlich beurkundet werden (§ 1597 Abs. 1 BGB). Die öffentliche Beurkundung kann erfolgen durch die ermächtigten Beamten der Jugendämter (§ 59 Abs. 1 SGB VIII), einen Notar (§ 20 BNotO) oder Standesbeamten (§ 44 PStG, § 58 BeurkG) oder zur Niederschrift eines Amtsgerichts (§ 62 Nr. 1 BeurkG, § 3 Nr. 1f RPflG). Zusätzlich können übereinstimmende Erklärungen zur gemeinsamen Wahrnehmung der elterlichen Sorge (§ 1626a BGB) beim Notar oder Jugendamt abgegeben werden, wobei den Beteiligten jedoch vor Augen geführt werden sollte, dass diese Erklärung der Mutter nicht unter der auflösenden Bedingung einer Beendigung der Lebensgemeinschaft abgegeben werden kann.

M 79 Vaterschaftsanerkennung (notarielle Urkunde) Daten des Vaters und der Mutter Die Erschienenen waren gleichzeitig vor mir anwesend. Auf Ansuchen der Erschienenen beurkunde ich ihren Erklärungen gemäß folgende Vaterschaftsanerkennung: §1 Persönliche Verhältnisse der Beteiligten Herr … wurde am … in … geboren. Er ist … Staatsangehöriger. Frau … wurde am … in … geboren. Sie ist deutsche Staatsangehörige. Frau … ist derzeit in der … Woche schwanger. Das Kind wird voraussichtlich am … geboren. Es ist ein Einzelkind. Sein Geschlecht ist bisher unbekannt. Ein Mutterpass wurde noch nicht ausgestellt. Das Kind wird voraussichtlich in der Bundesrepublik Deutschland geboren werden und dort auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die Anerkennung der Vaterschaft unterliegt daher gem. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. §2 Anerkennung Ich, …, erkenne an, der Vater des noch nicht geborenen Kindes von Frau … zu sein. Mir ist bekannt, dass ich die Anerkennung widerrufen kann, wenn sie ein Jahr nach der Beurkundung noch nicht wirksam geworden ist. Die zur Wirksamkeit der Anerkennung erforderliche Zustimmung der Mutter wird nachstehend erteilt. 524

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§3 Zustimmung Ich, …, erkläre als Mutter des Kindes meine Zustimmung zur Anerkennung der Vaterschaft durch Herrn … §4 Hinweise; Schlussbestimmungen Der amtierende Notar hat uns über die Rechtswirkungen der Anerkennung der Vaterschaft in familien- und erbrechtlicher Hinsicht belehrt und insbesondere auf Folgendes hingewiesen: – die gesetzliche Vaterschaft desjenigen, der die Vaterschaft anerkannt hat; – die wechselseitige Unterhaltspflicht von Vater und Kind; – die Unterhaltspflicht von nicht miteinander verheirateten Eltern; – das wechselseitige Erb- und Pflichtteilsrecht von Vater und Kind. Der Notar hat uns ferner darauf hingewiesen, dass die elterliche Sorge allein der Mutter zusteht, solange die Eltern nicht verheiratet sind und auch nicht erklärt haben, die Sorge gemeinsam übernehmen zu wollen. Eine derartige Sorgeerklärung wollen wir in der heutigen Urkunde nicht abgeben. §5 Kosten; Abschriften Diese Urkunde ist gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG i.V.m. Vorbem. 3 Abs. 3 KV GNotKG gebührenfrei. Die anfallenden Auslagen trägt … Von dieser Urkunde erhalten beglaubigte Abschriften: – der Vater – die Mutter mit der Bitte, dem Jugendamt Tag und Ort der Geburt des Kindes mitzuteilen – das für den Wohnsitz der Mutter zuständige Jugendamt – das Standesamt

M 80 Gemeinsame Sorgeerklärung nach § 1626a BGB (notarielle Urkunde) Daten des Vaters und der Mutter Auf Ansuchen der Erschienenen beurkunde ich ihren bei gleichzeitiger Anwesenheit vor mir abgegebenen Erklärungen gemäß, was folgt: Wir sind nicht miteinander verheiratet. Wir sind die Eltern des am … in … geborenen Kindes … Herr … hat mit Zustimmung von Frau … bzw. des Jugendamts als Amtspfleger bzw. in Beistandschaft am … die Vaterschaft anerkannt. Wir versichern, dass eine gerichtliche Entscheidung über die elterliche Sorge nach den §§ 1671, 1672 BGB nicht getroffen oder eine solche Entscheidung nach § 1696 Krauß

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Rz. 19

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Abs. 1 BGB nicht geändert wurde. Auch hat der Vater des Kindes keinen Antrag auf Erlangung der gemeinsamen elterlichen Sorge an das Gericht gem. § 1626a Abs. 1 S. 3 BGB gestellt. Die Mutter des Kindes erklärt: Die elterliche Sorge für das genannte Kind soll dem genannten Vater des Kindes und mir gemeinsam zustehen. Der Vater erklärt: Ich bin damit einverstanden, die gemeinsame Sorge für das oben genannte Kind zu übernehmen. Der Notar hat sich von der Geschäftsfähigkeit der Beteiligten überzeugt. Er hat sie darauf hingewiesen, dass eine Sorgeerklärung unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung unwirksam ist, diese also bspw. nicht unter dem Vorbehalt abgegeben werden kann, dass die gemeinsame Sorge nur so lange bestehen möge, wie Mutter und Vater des Kindes zusammenleben oder ihren Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind nachkommen. Ist gemeinsame Sorge eingetreten, kann diese nur in Ausnahmefällen auf Antrag eines Ehegatten bei nicht nur vorübergehender Trennung durch das Familiengericht aufgehoben werden. Voraussetzung hierfür ist unter anderem, dass entweder der andere Elternteil gem. § 1671 Abs. 2 BGB zustimmt (es sei denn, das Kind hat bereits das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht der Übertragung), oder aber dass zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Wir sind darüber belehrt, dass wir durch die Sorgeerklärung die Pflicht und das Recht haben, für das minderjährige Kind zu sorgen, und die elterliche Sorge die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge) umfasst. Beim Tod eines Elternteils steht das Sorgerecht dem überlebenden Elternteil alleine zu. Wir vertreten künftig das Kind gemeinschaftlich. Den Erschienenen ist bekannt, dass im Fall der Begründung gemeinsamer Sorge beider Eltern, wenn das Kind bereits einen Namen führt, der Name des Kindes binnen drei Monaten nach der Abgabe der gemeinsamen Sorgerechtserklärung durch Erklärung gegenüber dem Standesbeamten neu bestimmt werden kann. Hierbei kann der Name des Vaters oder der Mutter zum Geburtsnamen des Kindes bestimmt werden. Gesichtspunkte für einen vom Regelwert in Höhe von 5 000 Euro abweichenden Geschäftswert (§ 36 Abs. 3 GNotKG, 1,0 Gebühr) sind nicht ersichtlich. Die Kosten dieser Urkunde trägt … Wir beantragen, uns je eine Ausfertigung der Niederschrift zu erteilen und eine beglaubigte Abschrift an das für den Geburtsort des Kindes zuständige Jugendamt zu übersenden zum Zweck der Auskunftserteilung (§ 58a SGB VIII). Liegt der Geburtsort des Kindes im Ausland oder ist er nicht zu ermitteln, ist die Mitteilung an das Jugendamt des Landes Berlin zu richten (§ 87c Abs. 6 S. 2 i.V.m. § 88 Abs. 1 S. 2 SGB VIII).

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Außer durch Anerkennung kann die Vaterschaft durch gerichtliche Entscheidung festgestellt werden (§ 1600d Abs. 1 BGB). Klageberechtigt nach der Neufassung der Vorschrift durch das KindRG sind nicht nur der Vater und das Kind, sondern auch die Mutter (§ 1600e Abs. 1 BGB). Das Kind hat (aus Art. 6 Abs. 5 GG und § 1618a BGB: Beistandspflicht) einen Auskunftsanpruch gegen seine 526

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Rz. 21

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Mutter auf Benennung des Vaters1; ebenso hat der „Scheinvater“ gegen die Mutter einen Auskunftsanspruch auf Nennung des Erzeugers2. Das Verfahren in Abstammungssachen richtet sich seit dem 1.9.2009 nach §§ 47, 169 ff FamFG; so kann z.B. die Feststellungsentscheidung gem. § 185 FamFG abgeändert werden, etwa wenn neue Erkenntnisse vorliegen. Hinzu kommt seit 1.4.2008 das Abstammungsklärungsverfahren des § 1598a BGB (Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung) unabhängig von einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren, zunächst zur Klärung der biologischen Vaterschaft, dem im zweiten Schritt ggf. die rechtliche Loslösung des nichtbiologischen Vaters vom Kind folgen kann. Die gesetzliche Neuregelung hinsichtlich der Abstammung gilt gem. § 224 EGBGB nur für Kinder, die ab dem 1.7.1998 geboren werden. Die Vaterschaft hinsichtlich eines vor dem 1.7.1998 geborenen Kindes richtet sich nach den bisherigen Vorschriften (Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB). Nach dem bis zum 30.6.1998 geltenden Abstammungsrecht ist der Status als Kind der eines ehelichen (§§ 1591–1600 a.F. BGB) oder der eines nichtehelichen Kindes (§§ 1600a–1600o BGB). Für alle Erbfälle von Kindern, die vor dem 1.7.1998 geboren sind, gilt für die Anerkennung oder die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft demnach altes Recht3.

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Seit dem 1.1.2009 werden nichteheliche Kinder in gleicher Weise wie eheliche Kinder in das Geburtsregister beider Elternteile eingetragen, so dass ein Nachlassgericht im Erbfall hierauf zugreifen kann. Die Geburten nichtehelicher Kinder zwischen 1970 und 2008 wurden jedoch auf sogenannten „weißen Karteikarten“ festgehalten, die in den Testamentskarteien beim Geburtsstandesamt der Eltern aufbewahrt werden. Die Führung dieser Karteikarten und die Weitergabe der Angaben über nichteheliche Kinder an die Nachlassgerichte beruhten auf der „Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden“, die jedoch seit März 2010 außer Kraft getreten ist. Um dem Verlust der Daten vorzubeugen und die zentrale Erfassung der gespeicherten Informationen zu gewährleisten, werden diese weißen Karteikarten (zusammen mit den Verwahrungsnachrichten) von Seiten der rund 5 000 Standesämter, bei denen sie bisher verwahrt werden, an die Bundesnotarkammer weitergereicht, dort digitalisiert und in das zentrale Testamentsregister aufgenommen auf der Grundlage des „Gesetzes zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren“ v. 21.3.2013, BGBl 2013 I, 554.

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1 BVerfG v. 21.6.1988 – 2 BvL 6/86, MDR 1989, 227 m. Anm. Schultz-Gerstein = NJW 1988, 3010; BVerfG v. 6.5.1997 – 1 BvR 409/90, FamRZ 1997, 869 = MDR 1997, 741 = NJW 1997, 1769; zur Exhumierung des Vaters zur Klärung der Abstammung OLG München v. 19.1.2000 – 26 UF 1453/99, FamRZ 2001, 126. 2 Bei kollusivem Zusammenwirken (Anspruchsgrundlage §§ 826, 249 S. 1 BGB), zur Vorbereitung des Unterhaltsregresses (mit u.U. inzidenter zu treffender Vaterschaftsfeststellung: BGH v. 16.4.2008 – XII ZR 144/06, MDR 2008, 1040 = NJW 2008, 2433) und der Vaterschaftsanfechtung. 3 Vgl. zu Einzelheiten Palandt/Diederichsen, 57. Aufl., §§ 1591–1600o BGB. Krauß

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Rz. 22

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b) Erbrecht nach der Mutter 22

Das nichteheliche Kind ist als Verwandte/r der Mutter nach dieser seit jeher voll erbberechtigt (§§ 1924 Abs. 1, 1591 BGB)1. Die Eltern der Mutter sind durch das Erbrecht des nichtehelichen Kindes von der Erbfolge gänzlich ausgeschlossen (§ 1930 BGB). Die Mutter ihrerseits beerbt das Kind (§ 1925 Abs. 1 BGB). Gleiches gilt für die Vorfahren mütterlicherseits. Diese und das nichteheliche Kind sind wechselseitig voll erbberechtigt. c) Erbrecht nach dem Vater

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Die gesetzliche Regelung für das Erbrecht zwischen nichtehelichem Vater und Kind ist verzweigt. Sie differiert je nach Geburtsdatum des Erbberechtigten, Sterbedatum des Erblassers und Wohnsitz des Erblassers zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung (3.10.1990) sowie zum Zeitpunkt des Erbfalls. Im Hinblick auf die überwundene deutsche Teilung gilt, dass sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einem deutschen Erblasser nach den Bestimmungen derjenigen Teilrechtsordnung richtet, deren räumlichem Geltungsbereich der Erblasser durch seinen gewöhnlichen Aufenthalt angehörte2. Im Einzelnen ist insoweit zu differenzieren:

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aa) Gewöhnlicher Aufenthalt des nichtehelichen Vaters im „Beitrittsgebiet“ zum Zeitpunkt seines Ablebens, spätestens zum Beitrittszeitpunkt (3.10.1990). Abzustellen ist dann auf den Todeszeitpunkt des Vaters: (1) Ist der nichteheliche Vater in der DDR vor dem 1.4.1966 verstorben, hatten nichteheliche Kinder keine Erbberechtigung, vgl. Art. 22 Abs. 2, 33 Abs. 2 der DDR-Verfassung vom 7.10.19493. (2) Verstarb der nichteheliche Vater zwischen dem 1.4.1966 und dem 31.12.1975 und war das nichteheliche Kind im Zeitpunkt des Erbfalls noch minderjährig, wurde es gegenüber dem zuletzt in der DDR wohnhaften nichtehelichen Vater durch § 9 EGFGB-DDR dem ehelichen Kind gleichgestellt. (3) Verstarb der nichteheliche, zuletzt in der DDR wohnhafte Vater zwischen dem 1.1.1976 (Inkrafttreten des ZGB: § 365 ZGB) und dem 2.10.1990, waren alle nichtehelichen Kinder, auch die beim Erbfall bereits volljährigen, den ehelichen gleichgestellt. In all diesen Varianten spielt es keine Rolle, wo der gewöhnliche Aufenthalt des nichtehelichen Kindes war. Bei Erbfällen zwischen dem 1.1.1976 und dem 2.10.1990 durchbricht die kollisionsrechtliche Norm des § 25 Abs. 2 RAG-DDR den Grundsatz der Nachlasseinheit zugunsten der lex rei sitae „in Bezug auf das Eigentum und andere Rechte an Grundstücken und Gebäuden, die sich in der DDR befinden“. Bei ausländischer Staatsangehörigkeit (und somit – aus Sicht der DDR – auch bei Staatsangehörigkeit der BRD) trat somit Nachlassspaltung ein. Das Erbrecht der früheren DDR bestimmte (bezogen auf die in § 25 Abs. 2 RAG-DDR genannten 1 RGRK/Kregel, § 1924 Rz. 13; Soergel/Stein, 12. Aufl., vor § 1934a Rz. 1, § 1934a BGB Rz. 3; Staudinger/Werner, § 1934a Rz. 5. 2 BGH v. 1.12.1993 – IV ZR 261/92, BGHZ 124, 270, 128, 41 = MDR 1994, 384 = FamRZ 1994, 304. 3 Vgl. BezG Erfurt v. 27.5.1993 – W 15/93, FamRZ 1994, 465. 528

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Rz. 27

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Gegenstände) Erbfähigkeit, Erbfolge, Erbanteile und Pflichtteilsrecht dem Grunde wie der Höhe nach sowie die Erbenhaftung und die Ausschlagung. (4) Verstirbt der nichteheliche Vater nach dem 3.10.1990, hatte aber am 2.10. 1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der DDR, ist für Sterbefälle zwischen dem 3.10.1990 und dem 31.3.1998 zu differenzieren: (a) War das nichteheliche Kind vor dem 3.10.1990 geboren, galt zunächst gem. Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB (Besitzstandswahrung) weiter das (aus Sicht des nichtehelichen Kindes günstigere) DDR-Erbrecht, also die für die erbrechtlichen Verhältnisse eines ehelichen Kindes geltenden Vorschriften, mit der Folge völliger Gleichstellung ggü. ehelichen Kindern auch bei Geburt vor dem 1.7.19491; mithin über die Wirkungen des Erbrechtsgleichstellungsgesetzes 1998 hinaus.2 Gleiches galt (wohl) auch für die Beerbung des nichtehelichen Kindes durch den Vater. Unerheblich war dabei, ob der Abkömmling beim Eintritt des Erbfalls dem Erblasser gegenüber unterhaltsberechtigt war, wie es § 369 Abs. 1 Nr. 2 ZGB zur Voraussetzung erhoben hatte3. Im Hinblick auf die zwischenzeitliche Rechtsprechung des EGMR v. 29.5.2009 und die sich daran anschließende allgemeine Gesetzesänderung v. 12.4.2011 (vgl. Rz. 31) mit Wirkung ab 29.5.2009 ist Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB ersatzlos entfallen. (b) Ist das nichteheliche Kind jedoch nach dem 3.10.1990 geboren, gilt stets uneingeschränkt das Erbrecht der Bundesrepublik Deutschland. bb) Gewöhnlicher Aufenthalt des nichtehelichen Vaters in den „alten Bundesländern“ zum Zeitpunkt seines Ablebens, spätestens zum Beitrittszeitpunkt (3.10.1990):

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(1) Geburt des nichtehelichen Kindes vor dem 1.7.1949 (a) Tod des nichtehelichen Vaters vor dem 29.5.2009 Das nichteheliche Kind ist gegenüber dem Vater gem. § 1589 Abs. 2 a.F. BGB, Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG nicht erbberechtigt, es sei denn, es wäre ein Gleichstellungsvertrag gem. Art. 12 § 10a NEhelG geschlossen worden (hierzu Rz. 38).

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Daneben sind nichtehelich vor dem 1.7.1949 geborene Kinder, deren Eltern geheiratet haben, dadurch gem. § 1719 BGB a.F. legitimiert worden. Dies gilt auch, wenn die Eltern erst nach dem 1.7.1998 (also u.U. mehr als 50 Jahre nach der Geburt!) heiraten, obwohl § 1719 a.F. BGB durch das KindRG mit Wirkung zum 1.7.1998 aufgehoben wurde. Zur Vermeidung einer sonst gegen Art 6 Abs. 5 GG verstoßenden ungleichen Behandlung einzelner Gruppen nichtehelicher Kinder untereinander4 sind demnach einfachgesetzlich solche

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1 Vgl. im Einzelnen Egerland in: 10 Jahre Deutsches Notarinstitut (2003), S. 175 ff. 2 Verkannt von LG Chemnitz v. 5.7.2006 – 2 O 1602/05, ZEV 2007, 227 m. abl. Anm. Leve. 3 OLG Dresden v. 15.9.2009 und v. 29.9.2009 – 3 U 1341/09, FamRZ 2010, 1375 = ZEV 2010, 260. 4 BVerfG v. 8.1.2009 – 1 BvR 755/08, ZEV 2009, 134 m. Anm. Herrler. Krauß

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Rz. 28

Nichteheliche Partner

Kinder nicht mehr als „nicht ehelich“ i.S.d. Überleitungsvorschrift des Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG anzusehen, so dass die nunmehr geltenden, nicht mehr zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern differenzierenden, erbrechtlichen Bestimmungen zum Erb- und Pflichtteilsrecht gelten. 28

Eine weitere Ausnahme besteht dann, wenn der nichteheliche Vater durch den Bund oder ein Land gem. § 1936 BGB beerbt wurde (Fiskalerbschaft); in diesem Fall erhält das nichteheliche Kind einen Wertersatzanspruch in Höhe des Wertes des entgangenen Erbteils nach Maßgabe des 2. Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder v. 12.4.2011, s. nachstehend Rz. 31.

29

Aufgrund des insoweit fortgeltenden Art. 12 § 10 Abs. 2 a.F. NEhelG steht den vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kindern für Sterbefälle vor dem 29.5.2009 (s. Rz. 31 ff.) im Übrigen aber kein Erbrecht zu. Der BGH1 führt hierzu aus, die Beibehaltung des alten Rechtszustands rechtfertige sich auch verfassungsrechtlich daraus, dass zum einen die Vaterschaft zu vor diesem Zeitpunkt geborenen nichtehelichen Kindern nur schwierig festzustellen sei (Tz. 27), zum anderen einem Erblasser, der die Rechtsprechung des EuGHMR weder hätte kennen können noch damit rechnen müssen, nachträglich die Möglichkeit genommen würde, anderweitig zu verfügen. Die Erben wären damit möglicherweise nachträglich mit Ansprüchen anderer Abkömmlinge aus einem Erb- oder Pflichtteilsrecht konfrontiert worden, das erst Jahrzehnte nach dem Erbfall entstanden wäre. Der Schutz des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, dem auch das Erbrecht der nichtehelichen Kinder unterfällt, wird insoweit durch den Schutz des Eigentums (und Erbrechts) aus Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK eingeschränkt; ferner fehlt es häufig an der für Art. 8 Abs. 1 EMRK erforderlichen Nähe zwischen Vater und nichtehelichem Kind. Auch das BVerfG hält die geschaffene Stichtagsregelung für verfassungsgemäß2.

30

Allerdings hat der EuGHMR3 entschieden, dass ein nichteheliches Kind ungeachtet der im französischen Recht erst seit 2001 herbeigeführten Gleichstellung auch bei einem Sterbefall vor dem Stichtag eine solche Gleichstellung beanspruchen kann; die Grundsätze dieses Urteils sind wohl auf die deutsche Rechtslage übertragbar. Demnach gebietet es wohl die konventionskonforme Auslegung, zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot i.V.m. der Gewährleistung des Eigentums, dem nichtehelichen Kind das volle Erb- und Pflichtteilsrecht dann nicht vorzuenthalten, wenn nicht durch eine tatsächliche Auseinandersetzung des Nachlasses oder eine auch dem nichtehelichen Kind gegenüber materiell rechtskräftige Entscheidung4 bereits ein schutzwürdiges Vertrauen auf die frühere, das nichteheliche Kind ausschließende Rechtslage begründet war (b) Tod des nichtehelichen Vaters nach dem 28.5.2009 Während das BVerfG5 den Ausschluss nichtehelicher, vor dem 1.7.1949 geborener Kinder als verfassungsgemäß anerkannt hatte, sah der EuGHMR im Urteil

31 1 2 3 4

BGH v. 26.10.2011 – IV ZR 150/10, FamRZ 2012, 119 = MDR 2012, 101 = NJW 2012, 231. BVerfG v. 18.3.2013 – 1 BvR 2436/11, 1 BvR 3155/11, ZEV 2013, 326. EuGHMR v. 7.2.2013 – 16574/08, Fabris/France, ZEV 2014, 491. Dafür genügt ein Erbscheinsverfahren nicht, da der Erbschein nicht in materieller Rechtskraft erwächst, vgl. Leipold, ZEV 2014, 449 ff. 5 BVerfG v. 8.12.1976 – 1 BvR 810/70, NJW 1977, 1677.

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Rz. 35

B IX

v. 28.5.2009 darin eine Verletzung der Rechte aus Art. 8 und 14 der EMRK1. Das 2. Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder2 beließ es für die oben (a) genannte Fallgruppe, also Erbfälle bis zum 28.5.2009, aus Vertrauensschutzgründen bei der bisherigen Regelung, es sei denn, Fiskalerbrecht wäre eingetreten (dann Wertersatzanspruch gegen den Bund oder das Land). Für alle danach eintretenden Erbfälle wird rückwirkend dem nichtehelichen Kind ein Erbrecht nach seinem Vater bzw. dessen Verwandten zuerkannt3. Die für Sterbefälle nach dem 28.5.2009 bereits erteilten Erbscheine, die aufgrund der rückwirkenden Gesetzesänderung unrichtig werden, sind auf Antrag einzuziehen und neu zu erteilen, Gerichtskosten hierfür werden nicht erhoben. Eine Anfechtung der letztwilligen Verfügung durch das nun pflichtteilsberechtigt gewordene nichteheliche Kind nach § 2079 BGB ist ebenfalls ausgeschlossen (§ 10 Abs. 3 NEhelG i.d.F. des Gesetzes v. 12.4.2011, BGBl. 2011 I, 615).

32

(2) Geburt des nichtehelichen Kindes nach dem 1.7.1949 (a) Tod des nichtehelichen Vaters zwischen dem 1.7.1949 und dem 30.6.1970 Es besteht (weiterhin) kein Erbrecht des nichtehelichen Kindes, vgl. § 1589 Abs. 2 a.F. BGB, Art. 12 § 10 Abs. 1 i.V.m. § 1 NEhelG, Art. 227 Abs. 1 EGBGB.

33

(b) Tod des nichtehelichen Vaters zwischen dem 1. 7.1970 und dem 31.3.1998 Maßgeblich ist weiterhin das NEhelG v. 19.8.1969, also die Regelungen über den Erbersatzanspruch gem. §§ 1934a–1934e, 2338a a.F. BGB. Der Erbersatzanspruch gem. § 1934a a.F. BGB tritt dann, wenn neben dem nichtehelichen Kind eine Ehefrau oder ein Abkömmling des Erblassers vorhanden ist, an die Stelle des gesetzlichen Erbteils. Er besteht in Höhe des Wertes des Erbteils, ist jedoch wie der Pflichtteilsanspruch ein bloßer Geldanspruch, der sich gegen den Erben richtet (§ 1934a Abs. 1 a.F. BGB). Der Berechnung des Erbersatzanspruchs ist der Bestand des Wertes des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrundezulegen (§ 1934b a.F. BGB)4.

34

Der Vater des nichtehelichen Kindes seinerseits ist bei Tod des nichtehelichen Kindes vor dem 1.4.1998, wenn dieses keine eigenen Abkömmlinge hinterlässt, nicht dinglich erbberechtigt, sondern ebenfalls auf den Erbersatzanspruch verwiesen (§ 1934a Abs. 2 a.F. BGB). Trifft der Vater des nichtehelichen Kindes mit dem Ehegatten des Kindes zusammen, hat er ebenfalls nur einen Erbersatzanspruch. Gleiches gilt, wenn er mit dem Ehegatten des nichtehelichen Kindes zusammentrifft (§ 1934a Abs. 3 a.F. BGB).

35

1 EuGHMR v. 28.5.2009 – 3545/04, Brauer/Deutschland, FamRZ 2009, 1293. 2 V. 12.4.2011, BGBl. 2011 I, 615; hierzu Übersicht bei Bestelmeyer, Rpfleger 2012, 361 ff; Rebhan, MittBayNot 2011, 285 ff. 3 Abgestellt wird auf den Todeszeitpunkt des jeweiligen Erblassers aus der Verwandtschaft des Vaters im konkreten Fall, vgl. OLG München v. 21.1.2013 – 31 Wx 485/12, MDR 2013, 345 = FamRZ 2013, 1333 = FGPrax 2013, 73, also unabhängig davon, ob der Vater des nichtehelichen Kindes oder das nichteheliche Kind selbst bereits vor oder erst nach dem 28.5.2009 verstorben ist. 4 Zum Erbersatzanspruch im Einzelnen vgl. Palandt/Edenhofer, 57. Aufl., §§ 1934a– 1934e BGB. Zur erbrechtlichen Gleichstellung von nichtehelichen Kindern in Europa, vgl. Edenfeld, ZEV 2001, 457 (459). Krauß

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Rz. 36

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(c) Tod des nichtehelichen Vaters ab dem 1.4.1998 36

Es besteht (als Folge des ErbGleichG v. 16.12.19971) völlige Gleichstellung nichtehelicher mit ehelichen Kindern gem. § 1924 BGB, und zwar unabhängig vom Aufenthaltsort des Erblassers im Zeitpunkt des Beitritts (Art. 2 Nr. 2 Abs. 2 ErbGleichG).

37

Für die vor dem 1.7.1949 nichtehelich geborenen Kinder kann (vgl. Rz. 38) seit 1.4.1998 durch Vereinbarung zwischen Erblasser und Erbberechtigtem ein gesetzliches Erbrecht begründet werden. Diese Vereinbarung kann nur von dem Vater und dem Kind persönlich geschlossen werden. Sie bedarf der notariellen Beurkundung (§ 10a Abs. 2 NEhelG). Der „Erbrechtsgleichstellungsvertrag“ begründet konstitutiv ein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht und greift zugleich (ohne deren Beteiligung) reduzierend in das Pflichtteilsrecht anderer Verwandter (erster oder zweiter Ordnung) ein. Als Folge kann auch eine Anfechtung frührerer letztwilliger Verfügungen gem. § 2079 BGB wegen Hinzutretens weiterer Plfichtteilsberechtigter in Betracht kommen!

38

Sind der Vater oder das Kind verheiratet, so bedarf die Vereinbarung überdies der Einwilligung des betreffenden Ehegatten und zwar ebenfalls in notarieller Form (§ 10a Abs. 3 NEhelG). Die Geburtsstandesämter des Erblassers und des Kindes sind zu verständigen.

M 81 Notarielle Gleichstellungsvereinbarung gem. § 10a NEhelG §1 Sachstand Herr/Frau … ist als nichteheliches Kind von Herrn … geboren. Da die Geburt vor dem 1.7.1949 liegt, sind kraft Gesetzes für die erbrechtlichen Verhältnisse die bis dahin geltenden Vorschriften maßgebend, auch wenn der Erblasser (Vater) nach dem 1. Juli 1949 verstirbt (Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG). Danach haben solche Kinder weiterhin weder ein gesetzliches Erbrecht – somit auch kein gesetzliches Pflichtteilsrecht – noch einen Erbersatzanspruch, es sei denn, das Kind wäre durch spätere Heirat der Eltern legitimiert worden. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Nach Maßgabe des Kindschaftsrechtsreformgesetzes kann nunmehr durch notarielle Vereinbarung zwischen Vater und Kind auch das nichteheliche Kind, das vor dem Stichtag geboren wurde, unter Anwendung der jetzt geltenden Vorschriften des BGB, nach denen es erbrechtlich keinen Unterschied zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern mehr gibt, den ehelichen Kindern für künftige Erbfälle gleichgestellt werden. Hierzu verlangt das Gesetz die Einwilligung der Ehegatten von Vater und Kind sowie die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für den Fall, daß einer der Beteiligten nach § 1903 Abs. 1 BGB betreut wird. §2 Gleichstellungsvereinbarung Herr … – „Erblasser“ – und … – „Kind“ – vereinbaren 1 BGBl. 1997 I, S. 2968. 532

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Rz. 41

B IX

hiermit unwiderruflich, das Kind als Abkömmling des Erblassers mit vollem Verwandtenerbrecht zu behandeln. Das Kind wird daher wie ein eheliches Kind behandelt. § 10 Abs. 2 NEhelG wird abbedungen. Vereinbarungen, die die heutige Urkunde aufheben oder abändern, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit ebenfalls der notariellen Beurkundung. §3 Einwilligungen Frau … als Ehegatte des Erblassers und … als Ehegatte des Kindes erklären hiermit unwiderruflich – ein jeder für sich – ihre Einwilligung in die Vereinbarung gem. § 2 dieser Urkunde.

Eine solche notariell beurkundete Gleichstellungsvereinbarung gestattet also keine einseitige Begründung des gesetzlichen Erbrechts durch den Erblasser allein, der möglicherweise auf Diskretion in seiner ehelichen Familie Wert legt. Die Begründung des gesetzlichen Erbrechts bedarf nämlich der Zustimmung des Ehegatten des Erblassers. Hinzu kommt, dass der Erbberechtigte und, wenn dieser verheiratet ist, auch dessen Ehegatte zu beteiligen sind. Weil die erbrechtlichen Verhältnisse offengelegt werden müssen, wird in der Praxis daher regelmäßig der Begründung eines Erbrechts zugunsten des nichtehelichen Kindes durch letztwillige Verfügung, sei es in Form eines Testaments oder eines Erbvertrags, der Vorzug gegeben werden.

39

d) Pflichtteilsrechte Die Kinder der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind, pflichtteilsberechtigt. Für Erbfälle ab dem 1.4.1998 gilt dies uneingeschränkt auch für das Verhältnis zwischen nichtehelichem Kind und seinem Vater. Gleiches gilt für Pflichtteilsergänzungsansprüche, wobei es auch insoweit auf den Zeitpunkt des Sterbefalls, nicht der Schenkung ankommt. Auch eine vor dem 29.5.2009 durchgeführte Schenkung vermittelt also einem vor 1949 geborenen nichtehelichen Kind einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung, obwohl das Kind nach der zur Zeit der Schenkung noch geltenden Rechtslage nicht zum Kreis der abstrakt Pflichtteilsberechtigten gehört hätte1 (Folge der Aufgabe des Erfordernisses der sog. Doppelberechtigung durch den BGH2).

40

Für Erbfälle vor dem 1.4.1998 ist zu differenzieren: Beim Tod des Vaters ist das nichteheliche Kind pflichtteilsberechtigt nur, sofern der Erbfall nach dem 1.1. 1970 eingetreten ist und das Kind nicht vor dem 1.7.1949 geboren ist3. Bei Erbfällen vor dem 1.4.1998 ist das Kind pflichtteilsberechtigt, obwohl es nur einen

41

1 Vgl. Gutachten, DNotI-Report 2011, 185 ff. 2 BGH v. 23.5.2012 – IV ZR 250/11, FamRZ 2012, 1383 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 977 = DNotZ 2012, 860 m. Anm. Lange, a.A. z.B. zuvor BGH v. 25.6.1997 – IV ZR 233/96, DNotZ 1998, 135. 3 Art. 12 § 10 NEhelG, Art. 235 § 1 Abs. 2, Art. 230 Abs. 2 EGBGB, §§ 1589, 2303 Abs. 1 BGB. Krauß

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B IX

Rz. 42

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Erbersatzanspruch hatte1. Auch das Kind, das durch die Legitimation (§§ 1719, 1723 a.F. BGB) ehelich geworden ist, ist pflichtteilsberechtigt, und zwar auch, wenn die Ehe der Eltern erst nach Wegfall des § 1719 a.F. BGB, also nach dem 1.7.1998 geschlossen wurde. 42

Die Eltern nach dem nichtehelichen Kind sind ebenfalls pflichtteilsberechtigt, sofern dieses keine eigenen Abkömmlinge hat. Die Mutter ist uneingeschränkt pflichtteilsberechtigt, der Vater nur in den vorstehend genannten zeitlichen Einschränkungen. Der Vater ist bei Erbfällen vor dem 1.4.1998 auch dann pflichtteilsberechtigt, wenn er nach dem Kind nicht unmittelbar erbberechtigt war, sondern nur einen Erbersatzanspruch hatte (§§ 1934a, 2338a S. 2 a.F. BGB). Durch einen durchgeführten vorzeitigen Erbausgleich zwischen Vater und Kind ging das Pflichtteilsrecht allerdings verloren (§§ 1934d, 1934e a.f. BGB).

II. Erbrecht durch letztwillige Verfügung 1. Gestaltungsmittel 43

Der nichteheliche Partner hat, sofern er nicht zufällig mit dem anderen Partner verwandt ist, kein gesetzliches Erbrecht (Rz. 1 ff.). Analogien zum Ehegattenerbrecht werden weder in Rechtsprechung noch im Schrifttum vertreten2, auch nicht unter Verlobten. Ein Erbrecht für den Partner in nichtehelicher Lebensgemeinschaft kann jedoch im Wege der gewillkürten Erbfolge durch Verfügung von Todes wegen begründet werden (§ 2231 BGB). Hierfür stehen verschiedene Gestaltungsmittel zur Verfügung, nämlich einseitige Verfügungen in Form eines Testaments (§ 1937 BGB) oder Verfügungen in Form eines Erbvertrags (§ 1941 Abs. 1 BGB). a) Testament

44

Zur Begünstigung des Partners steht nur das eigenhändige oder notarielle Einzeltestament (§ 2231 BGB) zur Verfügung; das gemeinschaftliche Testament, das Verfügungen von zwei Erblassern enthält, steht lediglich Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern zur Verfügung (§ 2265 BGB, § 10 Abs. 4 LPartG). Diese Verschiedenbehandlung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken3 – wegen der Besonderheiten des ehelichen Güterrechts ist es gerechtfertigt, Ehegatten und Verpartnerten die gemeinschaftliche Regelung ihrer erbrechtlichen Verhältnisse zu erleichtern.

45

Der untaugliche Versuch eines gemeinschaftlichen Testaments durch NichtEhegatten kann – sofern tatsächlich notariell beurkundet – in einen wirksamen Erbvertrag umgedeutet werden, so dass Heilung eintritt (§ 2084 BGB).4 Hand1 BGH v. 13.5.1981 – IVa 171/80, BGHZ 80, 290 = MDR 1981, 735 = FamRZ 1981, 661 m. Anm. Dieckmann, FamRZ 1981, 948. 2 OLG Saarbrücken v. 18.5.1979 – 7 W 8/79, NJW 1979, 2051; OLG Frankfurt v. 23.10.1981 – 17 W 29/81, NJW-RR 1995, 265; Grziwotz, ZEV 1994, 267; Palandt/ Weidlich, § 1931 Rz. 1; Staudinger/Strätz, Anh. zu §§ 1297 ff. Rz. 144. 3 BVerfG v. 26.4.1989 – 1 BvR 512/89, NJW 1989, 1986; § 10 LPartG in Kraft seit 1.8.2001. 4 BayObLG v. 14.3.1919, OLGE 40, 146. 534

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Rz. 47

B IX

schriftliche gemeinschaftliche Testamente von Nicht-Ehegatten dagegen werden (1) nach einer Mindermeinung stets als wirksame Einzeltestamente gewertet1 – nach dieser „Allheil-Theorie“ bleibe der untaugliche Versuch, die Anordnung wechselbezüglich zu gestalten, auf die Anordnung selbst ohne Einfluss; dagegen ist jedoch vorzubringen, dass sie den Erblasserwillen zu missachten droht, der im Einzelfall durchaus darauf gerichtet sein kann, entweder mit bindender Wirkung oder gar nicht zu testieren. (2) Eine weitere Mindermeinung2 vertritt ein absolutes Umdeutungsverbot, so dass es sich stets um ein rechtliches Nullum handle. (3) Die heute herrschende vermittelnde Ansicht geht zweistufig vor: Zunächst ist nach der „subjektiven Andeutungstheorie“ zu prüfen, ob überhaupt ein gemeinschaftliches Testament vorliegt (eine von lediglich einem nichtehelichen Partner ge- und unterschriebene letztwillige Verfügung ist daher niemals ein gemeinschaftliches Testament, auch wenn sie ihrem Wortlaut nach auf eine Mitunterzeichnung durch den anderen Partner abzielt, die jedoch nicht erfolgt ist). Liegt ein gemeinschaftliches Testament (gleichgültig ob in einem oder zwei Dokumenten niedergelegt) vor, kann sodann in ein Einzeltestament umgedeutet werden, wenn (a) dessen Formerfordernisse erfüllt sind und (b) anzunehmen ist, dass der Erblasser bei Kenntnis der Unwirksamkeit seine Verfügung als einseitige errichtet haben würde, § 140 BGB.3 Eine Umdeutung scheidet daher aus, wenn ein Beteiligter das vom anderen verfasste Testament nur mitunterschrieben hat (untauglicher Versuch der Form des § 2267 S. 1 BGB); auch eine nachfolgende Heirat heilt dann diesen Formfehler nicht.4

46

Die Ermittlung des hypothetischen Willens zur Errichtung einer einseitigen Verfügung wird in der Regel dazu führen, dass subsidiär eine einzeltestamentarische Verfügung gewollt wäre, da für den verfassenden Partner das gegenseitige Vertrauen entscheidend ist und der andere Teil diesem Vertrauen durch seine Unterschrift gerecht wurde. Hinzu kommt, dass mit dem Erstversterben des verfassenden Teils die intendierte gegenläufige Erbeinsetzung ohnehin gegenstandslos wird. Eine Umdeutung ist daher allenfalls in den Ausnahmefällen ausgeschlossen, in denen der Urheber die Erbeinsetzung des Mitunterzeichners daran knüpfte, dass dieser tatsächlich wirksam gegenläufig testiert. Dies gilt jedenfalls für die gegenseitige Erbeinsetzung durch (beiderseits) formwirksame „gemeinschaftliche“ Testamente; zurückhaltend ist die Rechtsprechung jedoch mit der Anerkennung von darin enthaltenen Schlusserbeinsetzungen nahestehender Personen: Umgedeutet werden muss dann regelmäßig in eine Vor- und Nacherbfolge; dahinter zurückbleibend ist jedoch auch denkbar die Einsetzung des Lebensgefährten als auflösend bedingter Vollerbe und des Letztbedachten als aufschiebend bedingter Nacherbe, wobei die auflösende Bedingung und der Nacherbfall darin bestünde, dass der Lebensgefährte seine letztwillige Verfügung unverändert aufrechterhält.5

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1 KG v. 15.8.1972 – 1 W 2500/71, DNotZ 1973, 158 (160); Goßrau, NJW 1947, 365 (367). 2 RG v. 20.5.1915, RGZ 87, 33. 3 Vgl. Kanzleiter, ZEV 1996, 306 (307). 4 Ganz h.M., vgl. Kanzleiter, FamRZ 2001, 1198; OLG Hamm v. 25.4.1996 – 15 W 379/95, ZEV 1996, 304; a.A. nur Wacke, FamRZ 2001, 457 (462). 5 Vgl. Staudinger/Kanzleiter (2006), § 2265 ff. Rz. 13. Krauß

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Rz. 48

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b) Erbvertrag 48

Wollen Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gemeinschaftlich verfügen, steht ihnen demnach nur der notarielle (§ 2276 Abs. 1 BGB) Erbvertrag als Gestaltungsmittel zur Verfügung. In ihm können dieselben Bestimmungen (Erbeinsetzung, Vermächtnisse, Auflagen, nach Inkrafttreten der Pflichtteilsrechtsreform am 1.1.2010 auch bindende Anordnungen zu §§ 2315, 2050 BGB etc.) getroffen werden, wie im gemeinschaftlichen Testament (§ 2278 BGB), auch im Hinblick auf die Widerrufs- und Rücktrittsmöglichkeiten1, und zwar sowohl einseitig als auch vertragsmäßig, sofern nur zumindest eine bindende bzw. nur eingeschränkt abänderbare Verfügung verbleibt, ferner alle nur einseitig denkbaren Anordnungen, wie z.B. die Anordnung der Testamentsvollstreckung, Pflichtteilsentziehung etc (zum Erbvertrag s. im Einzelnen Kap. B II Rz. 569 ff.).

49

Für Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bedeutet dies, dass sie sich gegenseitig durch Erbvertrag als Erben einsetzen, sich mit Vermächtnissen bedenken, aber auch gleichzeitig Dritte, seien es gemeinschaftliche Kinder oder Kinder aus früheren Verbindungen, mit Vermächtnissen bedenken oder ebenfalls als Erben einsetzen können. Sie beide können eine Testamentsvollstreckung anordnen, die Auseinandersetzung des Nachlasses ausschließen etc.

50

Testieren zwei Personen in einem Erbvertrag, schließt das Gesetz allerdings von der äußeren Verbindung auf einen inneren Zusammenhang und unterstellt eine gegenseitige Abhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen2. Bei zweiseitigen vertragsmäßigen Verfügungen wird – mangels abweichender Anordnung – vermutet, dass diese voneinander abhängig sind, so dass die Nichtigkeit der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge hat (§ 2298 Abs. 1 BGB)3. Tritt eine Vertragspartei zurück, wird dadurch der ganze Vertrag aufgehoben (§ 2298 Abs. 2 S. 1 BGB). Diese Rechtsfolge gilt nicht für einseitige, nicht vertragsmäßige Verfügungen wie z.B. Anordnung der Testamentsvollstreckung. Deren Unwirksamkeit beurteilt sich nach §§ 2299 Abs. 2 S. 1, 2085, 2299 Abs. 3 BGB. c) Kriterien für die Wahl der Verfügungsform

51

Testamente sind frei widerruflich und erlauben daher die jederzeitige, auch heimliche Anpassung an geänderte persönliche oder wirtschaftliche Verhältnisse, und zwar durch Widerruf (§ 2254 BGB), durch Vernichtung der Testamentsurkunde (§ 2255 BGB) oder durch ein späteres Testament, das im Widerspruch zum früher errichteten Testament steht (§ 2258 BGB). Ein notarielles Testament kann daneben auch durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB) widerrufen werden (Kap. B II Rz. 376 ff.).

52

Demgegenüber ist eine Änderung oder Aufhebung von vertragsmäßigen Anordnungen im Erbvertrag nicht ohne Kenntnis des Begünstigten möglich und über1 In der Vermutung der Wechselbezüglichkeit der vertragsmäßigen Verfügungen besteht allerdings ein Unterschied zum gemeinschaftlichen Testament (§§ 2298 Abs. 1, 2279 Abs. 1 BGB). 2 Staudinger/Kanzleiter, Vorbemerkung zu §§ 2274 ff. Rz. 3. 3 Bei gemeinschaftlichen Testamenten wird diese Abhängigkeit mit dem Begriff Wechselbezüglichkeit bezeichnet (§ 2270 Abs. 1 BGB). 536

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Rz. 57

B IX

dies formgebunden: Der Rücktritt vom Erbvertrag muss notariell beurkundet werden und dem anderen Vertragschließenden zugehen (§ 2296 Abs. 2 BGB). Ein weiteres, wenngleich nicht ausschlaggebendes Kriterium für die Wahl der letztwilligen Verfügung können Kostenaspekte sein: die Zusatzkosten der notariellen Beurkundung ersparen allerdings im Regelfall die späteren Kosten der eidesstattlichen Versicherung beim Erbscheinsantrag und der Erbscheinserteilung selbst, vgl. § 35 GBO. Erbverträge können beim errichtenden Notar kostenfrei verwahrt werden (§ 34 BeurkG), im Übrigen ist gerichtliche Hinterlegung stets, auch bei eigenhändigen Testamenten, ratsam.

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2. Regelungsinhalte a) Erbeinsetzung des Partners durch Testament Die Erbeinsetzung des Partners kann durch Testament erfolgen, die wie folgt formuliert werden kann:

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M 82 Erbeinsetzung des nichtehelichen Lebenspartners Zu meinem alleinigen Erben setze ich meinen Partner A ein.

Im Hinblick auf einen nicht in jedem Fall auszuschließenden Einwand der Sittenwidrigkeit (Rz. 57 ff.) des Testaments empfiehlt es sich, das Motiv für die Erbeinsetzung anzugeben, wie z.B. durch die Formulierung

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M 83 Erbeinsetzung des nichtehelichen Lebenspartners (mit Motivangabe) …, der mich während unseres Zusammenlebens immer unterstützt hat. oder: …, mit dem ich jahrelang partnerschaftlich verbunden bin.

Die Erbeinsetzung des Partners gilt im Regelfall nur dem Lebenspartner persönlich, nicht dessen Abkömmlingen. Die Auslegungsregel des § 2069 BGB kann nicht analog angewendet werden, wenn der Erblasser eine Person als Erben einsetzt, die nicht zu seinen Abkömmlingen gehört. Sollen also für den Fall, dass der Lebenspartner vor dem Erblasser verstirbt, dessen Kinder als Erben eingesetzt werden, ist eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung im Testament erforderlich. Fehlt diese, gilt im Fall des Vorversterbens des Lebenspartners die gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser1. Zu Gestaltungsmöglichkeiten für Lebenspartner mit Kindern aus früheren Verbindungen s. Rz. 98 ff.

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aa) Wirksamkeitsgrenzen Die Berücksichtigung eines Lebensgefährten/einer Lebensgefährtin in einer Verfügung von Todes wegen ist nurmehr in Ausnahmefällen wegen Sittenwidrig1 BayObLG v. 25.8.2000 – IZ BR 15/00, NJWE-FER 2000, 318. Krauß

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B IX

Rz. 58

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keit nichtig1. Die frühere Rechtsprechung des BGH zum „Mätressentestament“2 vermutete im Zweifel, dass der „Entgeltcharakter einer letztwilligen Verfügung zugunsten einer Frau, mit welcher der Testator außereheliche, insbesondere ehebrecherische Beziehungen unterhalten hat“, im Vordergrund stehe. Selbst bei langjährigen Beziehungen, aus denen Kinder hervorgegangen waren, gelangte der BGH zur (partiellen) Sittenwidrigkeit, auch wenn die sexuelle Motivation nicht im Vordergrund stand. Aufgrund der „favor testamenti“-Regel (§ 2085 BGB) wurde eine verfügte Alleinerbeinsetzung daher lediglich als Miterbeinsetzung, z.B. zu einem Viertel, aufrechterhalten3. 58

Seit einer Rechtsprechungsänderung im Jahr 1970 hat nicht mehr die eingesetzte Lebensgefährtin die Vermutung allein sexueller Motivation zu widerlegen, sondern die Sittenwidrigkeit ist (entsprechend den allgemeinen Regeln) von demjenigen zu beweisen, der sich auf sie beruft. Zudem ist nach § 1 ProstG von einer mit vereinbarten sexuellen Handlungen einhergehenden Sittenwidrigkeit ohnehin nicht mehr auszugehen; der sittlich gebotene Mindestanteil der nächsten Angehörigen wird zudem durch das Pflichtteilsrecht gewährleistet. Zwischenzeitlich werden also Zuwendungen in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt und von innerer Bindung getragen ist, auch dann nicht als sittenwidrig angesehen, wenn ein oder beide Partner anderweit verheiratet sind4.

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Während nach der früher herrschenden Rechtsprechung das Sittenwidrigkeitsurteil sowohl im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände als auch im Hinblick auf die maßgeblichen Wertanschauungen dem Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung folgte (Inhaltskontrolle) und zusätzlich die Berufung auf eine wirksame letztwillige Verfügung als unzulässige Rechtsausübung versagt sein konnte, wenn sie infolge späterer Entwicklungen zu unsittlichen Auswirkungen führte (Ausübungskontrolle)5, ist – jedenfalls seit der Hohenzollern-Entscheidung des BVerfG6 – sowohl im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände als auch hinsichtlich der zugrunde zu legenden Wertanschauungen allein auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen.

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Im Licht dieser Rechtsprechung dürfte derzeit Sittenwidrigkeit allenfalls anzunehmen sein, wenn die Einsetzung mit einer groben Vernachlässigung von Unterhaltspflichten gegenüber Familienangehörigen einhergeht7, die Umgehung 1 Vgl. zum folgenden Paal, JZ 2005, 436 (437). 2 Z.B. BGH v. 17.3.1969 – III ZR 188/65, BGHZ 52, 17; BGH v. 31.3.1970 – III ZB 23/68, BGHZ 53, 369 (376); vgl. hierzu umfassend Leipold, Testierfreiheit und Sittenwidrigkeit in der Rechtsprechung des BGH, in 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft (2000), Band 1, S. 1011 ff. 3 Etwa in BGH v. 31.3.1970 – III ZB 23/68, BGHZ 53, 369. 4 BGH v. 28.9.1990 – V ZR 109/89, BGHZ 112, 259 = MDR 1991, 514 = FamRZ 1991, 168 (262); OLG Düsseldorf v. 22.8.2008 – 3 Wx 100/08, JuS 2009, 184: Der Erblasser lernte die bedachte Geliebte in ihrem früheren Beruf als Prostituierte kennen; das Testament führte zu Miteigentum zwischen Ehegatte und Geliebter am durch die Ehefrau bewohnten Familienheim. 5 BayObLG v. 3.9.1996 – 1Z BR 41/95, FamRZ 1997, 705 (710). 6 BVerfG v. 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01, FamRZ 2004, 765 = NJW 2004, 2008. 7 BGH v. 24.3.1980 – II ZR 191/79, BGHZ 77, 55 (59) = MDR 1980, 736 = FamRZ 1980, 664. 538

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Nichteheliche Partner

Rz. 62

B IX

der Regeln der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung beabsichtigt ist1 oder wenn zur bedachten Partnerin keine längerdauernde, auf emotionaler Nähe beruhende Verbindung bestand2. Zu Recht hat das BayObLG3 betont, der Erblasser solle durch die Testierfreiheit auch davor geschützt werden, seine Vermögensnachfolge nach allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder nach den Anschauungen der Mehrheit ausrichten zu müssen. bb) Auflösende Bedingung der Trennung Bei letztwilligen Einsetzungen des Lebensgefährten sollte stets auch der Trennungsfall Berücksichtigung finden, etwa durch Aufnahme einer auflösenden Bedingung, die bspw. an die räumliche Trennung oder an die melderechtliche Registrierung anknüpft (untauglich ist dagegen ein Anknüpfen an die „Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft“, da letztere z.B. auch durch die Heirat der Lebensgefährtin einträte). Das Kriterium „Auszug des Partners aus der gemeinschaftlichen Wohnung“ ist dabei in stärkerem Maße streitanfällig und kann gesetzliche Erben oder Pflichtteilsberechtigte des erstversterbenden Partners dazu ermuntern, eine solche Trennung zu behaupten. Die Praxis stellt daher sinnvollerweise auf das Vorliegen einer übereinstimmenden Wohnung im melderechtlichen Sinn, § 12 MRRG, ab:

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M 84 Erbeinsetzung des nichtehelichen Partners unter auflösender Bedingung der Trennung Die Erbeinsetzung von X (meiner Lebensgefährtin) steht unter der auflösenden Bedingung, dass X und ich bei meinem Ableben nicht mit einer übereinstimmenden Wohnung, gleichgültig ob Haupt- oder Nebenwohnung, gemeldet sind. Der Eintritt bzw. Nichteintritt dieser auflösenden Bedingung ist durch die entsprechende erweiterte Melderegisterauskunft, die den Wohnsitz von X und mir zum Zeitpunkt meines Todes wiedergibt, unwiderleglich geführt.

Vorstehende Lösung hat auch den Vorteil, dass beim öffentlichen Testament (ohne Erbschein) der Nichteintritt der auflösenden Bedingung in der Form des § 29 GBO nachgewiesen werden kann. Fehlt eine ausdrückliche Regelung zu den Folgen einer Trennung, ist der mutmaßliche Wille des Erblassers durch ergänzende Testamentsauslegung zu ermitteln. Das bloße Bedenken „meines Lebensgefährten“ kann dabei im Einzelfall durchaus auch schlichtes Motiv, nicht aber tatsächliche Bedingung sein4. Eine analoge Anwendung des § 2077 BGB auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird von der h.M. verneint5; es fehle an der Vergleichbarkeit, da ein formalisierter und nachprüfbarer Beendigungstatbestand bei der nichtehelichen Lebens1 2 3 4 5

OLG Schleswig v. 16.12.1994 – 14 U 138/94, NJW-RR 1995, 900. OLG Düsseldorf v. 20.6.1997 – 7 U 152/96, FamRZ 1997, 1506. BayObLG v. 3.9.1996 – 1Z BR 41/95, FamRZ 1997, 705 (709). So etwa BayObLG v. 6.9.1983 – BReg. 1Z 53/83, MDR 1984, 146 = FamRZ 1983, 1226. Vgl. Ritter, Münchner Anwaltshandbuch Erbrecht, 2. Aufl. 2007, § 12 Rz. 17; DNotIGutachten v. 14.9.2001, Nr. 1251; OLG Celle v. 23.6.2003 – 6 W 45/03, FamRZ 2004, 310 = ZEV 2003, 328. Krauß

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B IX

Rz. 63

Nichteheliche Partner

gemeinschaft nicht existiert (zur Kritik hieran Rz. 86). Die h.M. bürdet die Beweislast demnach demjenigen Beteiligten auf, der sich auf die Unwirksamkeit der Zuwendung beruft, so dass aus Sicht des Übergangenen häufig nur eine Anfechtung der letztwilligen Verfügung wegen Motivirrtums (§ 2078 Abs. 2 BGB) in Betracht kommt. § 2077 BGB gilt also nur, wenn der Lebensgefährte durch letztwillige Verfügung bedacht ist, anschließend Erblasser und Bedachte(r) heiraten und diese Ehe sodann geschieden wird. 63

Der Fortbestand der nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann in der Tat Gegenstand einer „unbewussten Vorstellung“ sein, die zur Anfechtung berechtigt1, wobei die einjährige Anfechtungsfrist ab Kenntniserlangung des Berechtigten vom Anfechtungsgrund zu beachten ist. Es kann jedoch auch sachgerecht sein, eine solche Anfechtung wegen Motivirrtums auszuschließen, um zu vermeiden, dass der Anfechtungsberechtigte selbst einen Anfechtungsgrund schafft (Wiederheirat!). Dann ist im Erbvertrag ein ausdrücklicher Verzicht auf das Anfechtungsrecht nach §§ 2078, 2079 BGB aufzunehmen, unter Einschluss solcher Umstände, mit denen die Erblasser bei Errichtung des Erbvertrags nicht rechnen und die sie auch in diesem Zeitpunkt nicht voraussehen konnten.

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Vorstehendes gilt erst recht bei der Einsetzung des Lebensgefährten als Bezugsberechtigten eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall, insbesondere einer Lebensversicherung. Da schon die Einsetzung des „Ehegatten des Versicherten“ (damit ist der im Zeitpunkt der Benennung vorhandene Ehegatte gemeint2) nicht analog § 2077 BGB mit einer Scheidung wegfällt3, bedarf es bei einer Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft um so mehr der Anpassung der (hoffentlich nicht unwiderruflich gestalteten) Bezugsberechtigung, soll der Anfall der Versicherungssumme beim Ex-Partner vermieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass der Lebensgefährte mittlerweile im Sachversicherungsrecht als „Familienangehöriger des Versicherungsnehmers“ gilt, so dass Regressansprüche gem. § 67 Abs. 2 a.F. VVG auf den Versicherer übergehen4. cc) Widerruf früherer Verfügungen

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Aus Gründen der Vorsorge sollte empfohlen werden, vor der Erbeinsetzung den Widerruf sämtlicher früherer Verfügungen mit den Worten „ich widerrufe sämtliche früheren Verfügungen von Todes wegen“ zu erklären. Da das Erbrecht des Partners ausschließlich im Wege der gewillkürten Erbfolge begründet werden kann, ist eine klare rechtliche Situation und die Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten (mit Blick auf § 2258 Abs. 1 BGB) primäres Ziel.

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Die Voraussetzung für einen wirksamen Widerruf ist allerdings, dass der Testierende nicht durch frühere Verfügungen von Todes wegen an der neu zu errichtenden letztwilligen Verfügung gehindert ist. Bestehen bspw. ein gemeinschaftliches Testament oder ein Erbvertrag mit einem noch lebenden, jedoch getrennt 1 Sandweg, BWNotZ 1990, 49 (56). 2 BGH v. 14.2.2007 – IV ZR 150/05, FamRZ 2007, 1005 = MDR 2007, 952 = DNotZ 2007, 762. 3 BGH v. 1.4.1987 – IVa ZR 26/86, MDR 1987, 914 = FamRZ 1987, 806 = DNotZ 1987, 771; vgl. Tappmeier, DNotZ 1987, 715 ff. 4 BGH v. 22.4.2009 – IV ZR 160/07, MDR 2009, 803 = NJW 2009, 2062. 540

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Nichteheliche Partner

Rz. 70

B IX

lebenden Ehegatten, ist eine einseitige Loslösung von dieser gemeinschaftlichen Verfügung nur durch Widerruf, beim gemeinschaftlichen Testament in notarieller Form gem. § 2271 Abs. 1 BGB oder durch Rücktritt beim Erbvertrag ebenfalls in notarieller Form gem. § 2296 BGB, überdies nur unter Beachtung der gesetzlichen Rücktrittsgründe möglich (§§ 2293, 2294, 2295 BGB). (B II Rz. 684 ff.) Ist ein früherer Ehegatte bereits verstorben, besteht die Bindungswirkung der gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügung über dessen Tod hinaus (§§ 2271 Abs. 2, 2298 Abs. 1 BGB). Der Überlebende kann sich von der Bindungswirkung nur durch Ausschlagung befreien, die allerdings innerhalb der Sechswochenfrist des § 1954 BGB erklärt werden muss, es sei denn, es besteht aufgrund der Umstände im Einzelfall die Möglichkeit, die Versäumung der Ausschlagungsfrist gem. § 1956 BGB anzufechten. Besteht Einigkeit mit den Begünstigten, gibt es vertragliche Möglichkeiten, der Bindungswirkung zu entgehen (s. hierzu ausführlich Rz. 76 ff.). Es stehen jedoch keine einseitigen Lösungsmöglichkeiten gegen den Willen des Begünstigten zur Verfügung.

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Unproblematisch hingegen sind die Fälle, in denen zwar mit einem Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet oder ein Erbvertrag geschlossen, jedoch bereits Scheidungsreife besteht und der Erblasser Antrag auf Scheidung gestellt bzw. ihr zugestimmt hat oder gar die Ehe bereits geschieden wurde. In diesen Fällen entfällt nicht nur das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten, sondern auch das Erbrecht, das aufgrund letztwilliger Verfügung begründet wurde (§§ 2077 Abs. 1, 2268 Abs. 1, 2279 BGB).

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Beratungshinweis: Es empfiehlt sich, am Anfang der Testamentsurkunde die Feststellung aufzunehmen, dass der Erblasser nicht durch frühere Verfügungen an der Errichtung der neuen Verfügung gebunden ist. Dies entlastet den Berater, da damit demonstriert wird, dass das Bestehen früherer Testamente mit Bindungswirkung erfragt worden ist. Es kann formuliert werden: M 85 Erklärung: Keine Bindung durch frühere Verfügungen Ich bin nicht durch ein früher errichtetes gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag an der Errichtung einer letztwilligen Verfügung gehindert.

dd) Pflichtteilsansprüche Leben (eheliche oder nichteheliche) Kinder des Erblassers oder, sofern er kinderlos ist, Eltern bzw. zumindest ein Elternteil, sind diese bei Enterbung (etwa als Folge der Einsetzung des Lebensgefährten) pflichtteilsberechtigt (§ 2303 Abs. 1 BGB). Der Pflichtteilsanspruch als reiner Geldanspruch besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils und richtet sich gegen den als Erben berufenen Partner, ohne dass sich jener gegen die Pflichtteilslast da-rauf berufen könnte, selbst in seinem (nicht gegebenen) Pflichtteil verletzt zu sein. Maßgeblich für die Berechnung des Pflichtteils ist der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls (§ 2311 Abs. 1 BGB).

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Ist der Partner noch verheiratet und ist kein Scheidungsantrag gestellt, besteht auch ein Pflichtteilsrecht des getrennt lebenden Ehegatten (§ 2303 Abs. 2 BGB).

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B IX

Rz. 71

Nichteheliche Partner

Beratungshinweis: Auf die bestehenden Pflichtteilsansprüche sollte in jeder Beratungssituation hingewiesen werden. Sie können selbst in durchschnittlichen finanziellen Verhältnissen beträchtlich sein. 71

Herrscht zwischen den Partnern und dem Pflichtteilsberechtigten Einvernehmen, kann der Pflichtteilsanspruch (in allen seinen Komponenten, auch hinsichtlich des Zusatzpflichtteils gem. § 2305 BGB, der Pflichtteilsergänzung gem. §§ 2325 ff. BGB, des Ausgleichungspflichtteils gem. § 2316 BGB, der Möglichkeit einer Abwehr von Beschränkungen und Beschwerungen gem. § 2306 BGB) durch einen notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag zum Erlöschen gebracht werden (s. Rz. 134 ff.). Gegen den Willen der Pflichtteilsberechtigten kommt nur eine Entziehung1 des Pflichtteils in der letztwilligen Verfügung in den außerordentlich engen Grenzen der §§ 2333–2335 BGB in Betracht2.

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Daneben bestehen jedoch (wohl) Möglichkeiten, durch lebzeitige Vorkehrungen das Entstehen von Pflichtteilsansprüchen jedenfalls nach dem Erstversterbenden zu verhindern. In Betracht kommt bspw. das Halten gemeinschaftlicher Gegenstände in einer aus beiden Lebensgefährten bestehenden Personengesellschaft (GbR, KG, oHG etc), in welcher die Vererblichkeit des Anteils ausgeschlossen ist (mithin Anwachsung beim verbleibenden Lebenspartner eintritt) und im Todesfall auch keine Abfindung vorgesehen ist. Pflichtteilsansprüche bestehen dann weder nach § 2303 BGB (die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung stellt keine Verfügung von Todes wegen dar) noch nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB (die dort abschließend aufgezählten Beschränkungen erfassen nicht gesellschaftsrechtliche Regelungen) oder nach § 2305 BGB (der Gesellschaftsanteil fällt nicht in den Nachlass). Allerdings könnte § 2325 BGB erfüllt sein, wenn im Abfindungsverzicht eine Schenkung läge. Wird die Fortsetzungsklausel mit Abfindungsausschluss allerdings für alle Gesellschafter gleichmäßig vereinbart und ist das Risiko des Ablebens etwa vergleichbar (Altersunterschied, Erkrankung), handelt es sich um ein Wagnisgeschäft ähnlich wechselseitigen Zuwendungen auf den Todesfall, so dass Entgeltlichkeit angenommen wird3. Die Pflichtteilsansprüche werden damit (ähnlich dem Modell der fortgesetzten Gütergemeinschaft, §§ 1483 Abs. 1 S. 3, 1505 BGB) auf das Ableben des Längerlebenden begrenzt. Erbschaftsteuer lässt sich allerdings dadurch nicht sparen, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 ErbStG. b) Gegenseitige Erbeinsetzung durch Erbvertrag

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Häufig besteht der Wunsch, in einer Urkunde gemeinsam zu testieren. Den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft steht, wie bereits angeführt, hierfür ausschließlich der notarielle Erbvertrag (§§ 2274–2300a BGB) zur Verfügung. Die Formulierung ist denkbar einfach:

1 Zur Pflichtteilsentziehung gegenüber einem nichtehelichen Kind z.B. LG Bonn v. 17.2.2009 – 18 O 144/07, ZErb 2009, 190. 2 Diese Normen sind weder auslegungs- noch analogiefähig, BGH v. 1.3.1974 – IV ZR 58/72, NJW 1974, 1084. 3 Vgl. die Übersichten bei Mayer, ZEV 2003, 355 und Wälzholz, NWB 2008, 4332 = Fach 19, S. 3974; ferner grundlegend BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 194. 542

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Nichteheliche Partner

Rz. 76

B IX

M 86 Gegenseitige Erbeinsetzung durch Erbvertrag Wir setzen uns gegenseitig vertragsmäßig wechselseitig zu alleinigen Erben ein.

Das Gesetz unterstellt bei Verfügungen in einer Urkunde einen inneren Zusammenhang und eine gegenseitige Abhängigkeit beider Verfügungen1. Diese Abhängigkeit wird legal durch den Begriff Wechselbezüglichkeit definiert (§§ 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 2 BGB). Bei zweiseitigen Verfügungen wird vermutet, dass die eine Verfügung, z.B. Erbeinsetzung eines Partners, nicht ohne die Erbeinsetzung des anderen Partners getroffen worden wäre. Bedeutung erlangt diese Wechselbezüglichkeit beim Rücktritt. Erfolgt der Rücktritt vom Erbvertrag, z.B. weil er vorbehalten bleibt (§ 2293 BGB), wird durch den Rücktritt nicht nur die Verfügung des Zurücktretenden, sondern auch die Verfügung des anderen Vertragsteils aufgehoben (§ 2298 Abs. 2 S. 1 BGB), es sei denn, die Parteien haben etwas anderes gewollt (§ 2298 Abs. 3 BGB), was durch Auslegung zu ermitteln ist2. Der andere Partner, der vom Rücktritt zwangsläufig erfährt, da dieser, notariell beurkundet, ihm zugestellt wird (§ 2296 Abs. 2 BGB), muss seine eigene Verfügung zugunsten des zurücktretenden Partners daher nicht gesondert widerrufen.

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Wollen die Partner nicht in einer gemeinsamen Urkunde testieren, sondern parallele Einzeltestamente errichten, kann grundsätzlich die Erbeinsetzung unter der Bedingung erklärt werden, dass auch der andere Partner den Testierenden zum Erben eingesetzt hat3 oder das gegenseitige Beerben als Motiv für die Erbeinsetzung durch den anderen Partner aufgenommen wird – sog. unechte Wechselbezüglichkeit. Sollte der Testierende sodann nicht zum Erben eingesetzt sein, verbleibt ihm die Möglichkeit, sein Testament wegen Motivirrtums anzufechten, sofern er keine Ersatzerben eingesetzt hat Diese Lösung birgt den Nachteil, dass sie Missbrauchsmöglichkeiten insoweit eröffnet, als jeder in der Hoffnung, der Überlebende zu sein, heimlich sein Testament widerrufen kann. Sie sollte daher nur gewählt werden, wenn die Betroffenen dies ausdrücklich wünschen4.

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aa) Rücktrittsvorbehalt

Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, wie er sich im Fall der Trennung vom Partner von der Erbeinsetzung lösen kann. Eine Erbeinsetzung soll nach der Vorstellung der Erblasser im Regelfall nur so lange bestehen, wie auch persönliche Bindungen vorhanden sind. Bei Ehegatten ist die Loslösung von gemeinschaftlichen Verfügungen zugunsten des anderen im Fall der Nichtigkeit der Ehe, der Auflösung derselben und im Fall der Stellung eines Scheidungsantrags oder der Zustimmung zum Scheidungsantrag gesetzlich normiert (§§ 2077, 2268 Abs. 1 BGB). Für Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft fehlt jede gesetzliche Regelung, so dass auch für diesen Fall auf gewillkürte Regelungen zurückgegriffen werden muss, vgl. Rz. 62. Während 1 2 3 4

Vgl. § 2298 BGB; Staudinger/Kanzleiter, Vorbemerkung zu §§ 2274 ff. Rz. 20. BayObLG v. 21.12.1992 – 1Z BR 77/92, FamRZ 1994, 196. Vgl. hierzu BGH v. 9.2.1977 – IV ZR 201/75, NJW 1977, 950. So auch Grziwotz, § 30 Rz. 47; Reinstorf, S. 36. Krauß

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B IX

Rz. 77

Nichteheliche Partner

Einzeltestamente jederzeit widerruflich sind, kann bei gegenseitigen Erbeinsetzungen in einem Erbvertrag vertraglich ein Rücktrittsrecht vorbehalten bleiben (§ 2293 BGB), am komplikationslosesten als freies Rücktrittsrecht ausgestaltet:

M 87 Rücktrittsvorbehalt Jeder von uns behält sich jederzeit den Rücktritt von diesem Erbvertrag vor. oder einschränkend: Wir behalten uns vor, von diesem Vertrag zurückzutreten, wenn wir uns dauernd trennen. 77

Es empfiehlt sich, das Rücktrittsrecht, wenn es nicht frei ausübbar sein soll, nicht an moralisierende Floskeln, die sich an das bis zum 1.1.1977 im Scheidungsrecht geltende Schuldprinzip anlehnen, zu knüpfen, wie z.B. den Rücktritt für den Fall, dass ein Partner schuldhaft die Trennung herbeigeführt hat, sondern an objektivierbare Umstände1.

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Im Übrigen ist die Ausgestaltung des Rücktrittsrechts mannigfaltig. Der Rücktrittsvorbehalt kann für einzelne vertragsmäßige Verfügungen oder für den ganzen Erbvertrag erklärt, er kann unbeschränkt oder nur für bestimmte Fälle, ebenso bedingt oder befristet erklärt werden2.

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Das Rücktrittsrecht ermöglicht eine einseitige Loslösung vom Vertrag, die gegen den Willen des anderen erfolgen kann. Sind sich dagegen beide Partner einig, dass der Erbvertrag hinfällig sein soll, steht ihnen die gemeinschaftliche Aufhebung durch Vertrag zur Verfügung (§ 2290 BGB), die naturgemäß nur zu Lebzeiten beider Vertragsteile erfolgen kann. Der Aufhebungsvertrag bedarf ebenfalls der notariellen Beurkundung (§ 2290 Abs. 4 BGB). Eine vertragsmäßige Verfügung, durch die eine Auflage oder ein Vermächtnis angeordnet wurde, kann durch Testament aufgehoben werden. Die Aufhebung bedarf ebenfalls der Zustimmung des anderen Partners, und zwar in notarieller Form (§ 2291 BGB). bb) Verzicht auf Anfechtungsrecht

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Beim Erbvertrag steht dem Erblasser in den Grenzen der §§ 2078, 2079 BGB ein Selbstanfechtungsrecht zu (§ 2281 Abs. 1 BGB). Das Selbstanfechtungsrecht korreliert mit der freien Widerrufsmöglichkeit bei Testamenten und eröffnet eine weitere Möglichkeit, sich vom Erbvertrag einseitig zu lösen. Es gewinnt dann, wenn im Erbvertrag kein Rücktrittsvorbehalt vorgesehen ist oder kein Rücktrittsrecht gem. §§ 2294, 2295 BGB gegeben ist, überragende Bedeutung. Das Selbstanfechtungsrecht geht nach dem Tode des Erblassers auf die in § 2080 BGB bezeichneten Personen über (§ 2285 BGB), nämlich auf die, denen die Anfechtung unmittelbar zustatten kommen würde. Diese können jedoch dann den Erbvertrag nicht mehr anfechten, wenn das Anfechtungsrecht des Erblassers 1 Reinstorf, S. 35 f. 2 Palandt/Weidlich § 2293 Rz. 2; MüKo.BGB/Musielak, § 2293 Rz. 2; Staudinger/ Kanzleiter, § 2293 Rz. 7. 544

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Nichteheliche Partner

Rz. 83

B IX

zum Zeitpunkt des Erbfalls erloschen war (§ 2285 BGB), sei es durch Fristablauf, Formfehler, Bestätigung (§ 2284 BGB) oder durch Verzicht1. Bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft hat das Anfechtungsrecht insofern praktische Bedeutung, als bei Beendigung der Lebensgemeinschaft und einer darauf folgenden Eheschließung mit dem Ehegatten eine weitere pflichtteils- und damit anfechtungsberechtigte Person i.S.d. §§ 2285, 2079, 2080 BGB vorhanden ist.

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Um die Anfechtung durch spätere Pflichtteilsberechtigte auszuschließen, muss dem Erblasser empfohlen werden, auf sein eigenes Anfechtungsrecht im Erbvertrag zu verzichten. Ein solcher Verzicht wird allgemein für zulässig erachtet. Dies wird aus den §§ 2078 Abs. 1, 2079 Abs. 1 S. 2 BGB gefolgert, nach denen das Anfechtungsrecht entfällt, wenn der Erblasser die letztwillige Verfügung auch bei Kenntnis der Sachlage getroffen hätte2. Der Verzicht sollte alle Umstände umfassen, die sich der Erblasser nicht vorstellen konnte3, da andernfalls nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass eine Anfechtung wegen überhaupt nicht vorhersehbarer Umstände doch wirksam erfolgen kann4. Für den Erblasser selbst hat der Verzicht auf das Anfechtungsrecht dann keinen rechtlichen Nachteil, wenn er sich, wie hier empfohlen, gleichzeitig den Rücktritt vom Erbvertrag vorbehält. Rücktritt und Anfechtung führen zu Lebzeiten des anderen Vertragsteils nämlich gleichermaßen dazu, dass die Verfügungen des Erblassers ex tunc nichtig sind (§§ 142, 2298 Abs. 1, Abs. 2 BGB). In beiden Fällen wird auch die vertragsmäßige Verfügung des anderen Vertragsteils unwirksam (§ 2298 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Der Verzicht auf das Anfechtungsrecht kann wie folgt formuliert werden:

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M 88 Verzicht auf Anfechtungsrecht Jeder von uns verzichtet auf seine gesetzlichen Anfechtungsrechte, auch hinsichtlich aller Umstände, seien sie bekannt oder nicht bekannt, in unsere Überlegungen aufgenommen oder nicht, vorhersehbar oder nicht.

cc) Vorbehalt erneuter Testiermöglichkeit Es darf nicht übersehen werden, dass der Rücktritt vom Erbvertrag eine Lösungsmöglichkeit nur zu Lebzeiten des anderen Vertragsteils darstellt (§ 2298 Abs. 1 BGB). Zwar gestattet § 2297 BGB im Falle des Todes des anderen Vertragsteils einen Rücktritt durch Testament. Dies setzt jedoch, soweit vertragsmäßige wechselbezügliche Verfügungen betroffen sind, voraus, dass gleichzeitig das Zugewendete ausgeschlagen wird (§ 2298 Abs. 2 S. 3 BGB). 1 Palandt/Weidlich, § 2285 Rz. 1; MüKo.BGB/Musielak, § 2285 Rz. 5, Staudinger/ Kanzleiter, § 2285 Rz. 4. 2 BGH v. 10.1.1983 – VIII ZR 231/81, MDR 1983, 661 = NJW 1983, 2247, 2249; Staudinger/Kanzleiter, § 2281 Rz. 14; RGRK/Kregel, § 2281 Rz. 6; MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 17 und § 2271 Rz. 37; Bengel, DNotZ 1984, 132; zur Anwendung des § 2078 Abs. 2 BGB bei späterem Scheitern der nichtehelichen Lebensgemeinschaft OLG Celle v. 23.6.2003 – 6 W 45/03, FamRZ 2004, 310 = ZEV 2003, 328 ff. 3 Vgl. BayObLG v. 30.10.1989 – BReg. 1a Z 19/88, FamRZ 1990, 322; BGH v. 27.5.1987 – IVa ZR 30/86, NJW-RR 1987, 1412. 4 Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 18–20; MüKo.BGB/Musielak, § 2281 Rz. 17. Krauß

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B IX 84

Rz. 84

Nichteheliche Partner

Nach dem Tod des anderen steht für die Erblasser als Mittel zur Lösung nur die Selbstanfechtung des Erbvertrags zur Verfügung (§ 2281 BGB). Auf sein Selbstanfechtungsrecht, das ihm nach dem Tod des anderen eine anderweitige erbrechtliche Bestimmung ermöglicht hätte, hat er, um die spätere Anfechtung gegen seinen Willen durch Dritte auszuschließen, jedoch verzichtet. Um in diesem Fall die erbrechtliche Regelung den veränderten Gegebenheiten anpassen zu können, muss dem Erblasser empfohlen werden, sich das Recht, bei Tod des Partners anderweitig zu testieren, vorzubehalten. Dies kann durch Formulierungen erreicht werden wie:

M 89 Vorbehalt anderweitiger Testierung Jeder von uns behält sich vor, nach dem Tod des Erstversterbenden erneut zu testieren. 85

Die praktische Relevanz dieser Regelung veranschaulicht folgendes Beispiel: Die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft haben sich durch Erbvertrag gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und trennen sich. Es erfolgt trotz Trennung kein Rücktritt vom Erbvertrag, weil dieser vergessen wird oder in Unkenntnis privat schriftlich und damit formnichtig erklärt wird. Nach der Trennung verheiraten sich die Partner mit anderen Personen. Stirbt nun die nichteheliche Partnerin, ist der Ehemann der verstorbenen Partnerin erbberechtigt hinsichtlich des Vermögens des überlebenden Partners der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Hat sich der Partner das Recht, nach dem Tode der Partnerin erneut zu testieren, im Erbvertrag vorbehalten, wird er dies spätestens jetzt, zumindest wenn er vom Tod des anderen Partners erfährt, tun, da es nicht in seinem Interesse liegen kann, dass Erbe seines Vermögens die Familie seiner ehemaligen nichtehelichen Partnerin wird. Ohne diesen Vorbehalt kann er nicht erneut testieren und den Erbanfall seines Vermögens an die eheliche Familie der verstorbenen Partnerin nicht verhindern.

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Bei Ehegatten wäre eine Korrektur dieses ungewünschten Ergebnisses insofern erfolgt, als gem. §§ 2077, 2279 Abs. 2 BGB die Erbeinsetzung des anderen Ehepartners mit Stellung des Scheidungsantrags unwirksam gewesen wäre. Diese ungewünschte Rechtsfolge kann nur über eine analoge Anwendung der §§ 2077, 2279 Abs. 2 BGB vermieden werden, die jedoch abgelehnt wird (Rz. 62), wenngleich sie durch § 2279 Abs. 2 BGB gerechtfertigt wäre, da diese Vorschrift die Anwendung des § 2077 BGB auch für Verlobte, also ebenfalls Nichtehegatten gestattet. Hiergegen ist eingewendet worden, dass Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft Verlobten nicht gleichgestellt werden können, da sie im Gegensatz zu diesen sich gerade nicht die Ehe versprochen haben (§ 1297 BGB). Diese Wertung berücksichtigt jedoch nicht in ausreichendem Maße, dass die Interessenslage bei Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, sich von den Wirkungen einer erbrechtlichen Lösung im Fall der persönlichen Trennung lossagen zu können, die Gleiche ist, wie bei Ehegatten oder Verlobten. Schließlich kannte der historische Gesetzgeber bei der Kodifizierung des BGB im Jahr 1900 als Formen des Zusammenlebens lediglich die bürgerliche Ehe und das dieser vorausgehende Verlöbnis, so dass nur diese beiden Gruppen erfasst wurden. Letztendlich manifestiert sich in der gesetzlichen Regelung des §§ 2077, 2268 BGB nichts Anderes als die Wertvorstellung, Vermögen im Wege der Erbfolge 546

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 89

B IX

nur in Personengefügen weiterzugeben, die durch persönliche und soziale Verantwortlichkeit untereinander verbunden sind. Zusammenfassung:

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Ein Erbvertrag für die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sollte nach dem Vorstehenden folgende Mindestregelungen enthalten: – Widerruf sämtlicher früherer Verfügungen – Feststellung, dass keine Bindung durch früher errichtete gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge besteht – Gegenseitige vertragsmäßige Einsetzung zu Erben – Rücktrittsvorbehalt – Verzicht auf Anfechtungsrecht – Vorbehalt der eigenen Verfügung von Todes wegen im Fall des Vorversterbens des Partners 3. Berücksichtigung der familiären und persönlichen Situation Bei Vorschlägen für die Testamentsgestaltung muss vor allem die Lebenssituation derjenigen, die ein Testament errichten wollen, bedacht werden. Dies gilt gleichermaßen bei verheirateten wie bei unverheirateten Partnern. Bei unverheirateten Partnern kompliziert sich das Regelungsbedürfnis insofern, als dort häufig zumindest im mittleren Lebensalter Kinder der Partnerschaft gemeinsam mit Kindern aus anderen Verbindungen im sozialen Verbund leben. Auf diese gegenüber dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGB am 1.1.1900 gewandelte gesellschaftliche Realität muss sachgerecht reagiert werden.

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a) Regelung bei gemeinschaftlichen Kindern Derjenigen von Ehegatten vergleichbar ist die Interessenslage in nichtehelichen Lebensgemeinschaften nur, wenn ausschließlich gemeinschaftliche Kinder vorhanden sind. Hier dürften sich die persönlichen Bindungen und die Gestaltungsmotive kaum von denen einer ehelichen Lebensgemeinschaft unterscheiden. Auf typische Gestaltungsmuster kann daher insoweit verwiesen werden, allerdings mit dem Hinweis, dass die Einsetzung des Partners zum Alleinerben mit möglicherweise hoher Erbschaftsteuerbelastung erkauft wird. Bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist gleichwohl die Absicherung des Partners oft umso entscheidender, als den Überlebenden keine Hinterbliebenenrenten zur Verfügung stehen. Diese Absicherung wird erreicht, indem der andere Partner als Alleinerbe und die Kinder als Schlusserben eingesetzt werden. Es kann bei dieser „Einheitslösung“ wie folgt formuliert werden:

M 90 Einsetzung des Lebenspartners als Alleinerbe Wir setzen uns gegenseitig vertragsmäßig zu Alleinerben des Erstversterbenden ein. Der Überlebende von uns darf frei über den gesamten Nachlass, auch über Grundbesitz, verfügen. Er darf den Nachlass ganz verbrauchen. Krauß

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B IX 90

Rz. 90

Nichteheliche Partner

Die Erbeinsetzung der Kinder kann lauten:

M 91 Erbeinsetzung der Kinder Schlusserben sind unsere gemeinschaftlichen Kinder A und B, und zwar unter sich zu gleichen Stammanteilen. Sie erben dasjenige, was beim Tod des Letztversterbenden noch übrig ist. 91

Will sich der Überlebende vorbehalten, die Erbquote der Kinder zu bestimmen, könnte formuliert werden:

M 92 Vorbehalt der Bestimmung der Erbquote der Kinder Schlusserben sind unsere Kinder A und B. Der Überlebende von uns bestimmt, zu welchen Anteilen sie erben; er kann auch beliebige Beschränkungen und Beschwerungen anordnen. Wird keine weitere Verfügung getroffen, erben beide Kinder zu gleichen Stammanteilen. 92

Es darf nicht übersehen werden, dass die Kinder durch die Einsetzung des Partners von der Erbfolge nach dem ersten Sterbefall ausgeschlossen werden und dadurch Pflichtteilsansprüche entstehen, deren Geltendmachung die Praxis durch bedingte Enterbung auf den zweiten Sterbefall („Pflichtteilsstrafklausel“) oder durch Anordnung eines Ausgleichsvermächtnisses für das andere Kind gegenzusteuern versucht, vgl. hierzu Kap. C VI Rz. 345 ff.

Beratungshinweis: Um diese hohe Steuerbelastung zu vermindern, kann empfohlen werden, den Partner nach dem „Württembergischen Modell“ lediglich durch Nutzungsrechte abzusichern: Der Erstversterbende beschwert die gemeinsamen Kinder als Erben zugunsten des längerlebenden Partners mit Hausratvermächtnissen sowie einem Nießbrauchsvermächtnis als Wahlvermächtnis (am Nachlass oder an den Erbteilen). Dadurch sollen dem Überlebenden die Nutzungen des gesamten Nachlasses zustehen, welcher nach Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten übrig geblieben ist. Zusätzlich werden die Erben des Erstversterbenden mit einem vermächtnisweisen Auseinandersetzungsverbot beschwert und unterliegen der Dauertestamentsvollstreckung durch den überlebenden Partner. Die Ausgestaltung des Vermächtnisnießbrauchs könnte wie folgt formuliert werden: M 93 Einräumung eines Vermächtnisnießbrauchs Dem Längerlebenden von uns ist der lebenslange Nießbrauch einzuräumen, und zwar nach dessen Wahl (§ 2154 Abs. 1 S. 1 BGB): entweder am gesamten Nachlass, der den Erben nach Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten und nach Begleichung etwaiger Erbschaftsteuern verbleibt; uns ist bekannt, dass hierfür die Bestellung eines Nießbrauches an jedem einzelnen Nachlassgegenstand erforderlich ist; 548

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 94

B IX

oder an jedem Miterbenanteil, wobei auch hier jedem Miterben die Mittel für die Bezahlung seiner Erbschaftsteuer aus der Nachlasssubstanz zur Verfügung zu stellen sind; uns ist bekannt, dass zur Erfüllung dieses Vermächtnisses notarielle Beurkundung der Nießbrauchsbestellung erforderlich ist. Für den vom Vermächtnisnehmer gewählten Nießbrauch gelten die gesetzlichen Vorschriften, jedoch mit folgenden Abweichungen: Entscheidet er sich für den Nießbrauch am gesamten Nachlass, ist abweichend von den §§ 1041 und 1047 BGB zu vereinbaren, dass der Nießbraucher für die Dauer seines Rechts im Verhältnis zum Eigentümer auch den außerordentlichen Erhaltungsaufwand sowie außerordentliche, auf den Stammwert der Sache angelegte, öffentliche Lasten zu tragen hat. Werden vom Nießbrauch Immobilien erfasst, an denen beim Erbfall Grundpfandrechte zur Sicherung von Darlehensverbindlichkeiten eingetragen waren, hat der Nießbraucher für die Dauer seines Rechts neben den Zinsen auch die Tilgung solcher Verbindlichkeiten zu tragen. Die gesamten Kosten und Lasten sowie die Verkehrssicherungspflicht verbleiben demnach beim Nießbraucher. Beim Nießbrauch am gesamten Nachlass ist der Nießbrauch an den Immobilien, die in den Nachlass fallen, durch Eintragung im Grundbuch an nächstoffener Rangstelle zu sichern, wobei Löschung durch Sterbeurkunde möglich sein soll. Beim Nießbrauch an den Erbteilen ist die damit verbundene Verfügungsbeschränkung im Grundbuch einzutragen. Die Kosten für die Vermächtniserfüllung und einer etwaigen Löschung tragen die Beschwerten. Der Erstversterbende von uns verlängert hiermit die Verjährungsfrist für sämtliche, zugunsten des Längerlebenden angeordneten Vermächtnisse auf 30 Jahre.

Haben die Partner größere Vermögen, z.B. mehrere Immobilien, sollte jedenfalls aus steuerlichen Erwägungen von der oben gewählten Lösung – Alleinerbschaft des Überlebenden und Schlusserbschaft – abgesehen werden. Hier können die gemeinschaftlichen Kinder Miterben werden, wodurch die im Verhältnis zwischen nichtehelichen Eltern und gemeinschaftlichen Kindern bestehenden Freibeträge von 400 000 Euro je Kind und Elternteil (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) ausgenutzt werden können. Durch Teilungsanordnungen im Erbvertrag dergestalt, dass das Haus in A-Stadt der Überlebende und das Haus in B-Stadt Kind 1 und das Haus in C-Stadt Kind 2 erhält, lässt sich Streit vermeiden. Letztendlich gelten auch bei Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit größerem Vermögen ähnliche Überlegungen wie bei letztwilligen Verfügungen von Ehegatten mit größerem Vermögen, unter Einschluss derÜbertragung von Immobilien zu Lebzeiten, der Sondererbfolge in Gesellschaftsanteile etc.

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Auch bei der hier vorgestellten erbvertraglichen Regelung sollte ein Rücktrittsvorbehalt aufgenommen werden. Schließlich ist bei Partnern mit gemeinschaftlichen Kindern eine Trennung ebenso denkbar wie bei Partnern ohne Kinder oder Ehepartnern. Mit der Ausübung des Rücktrittsrechts entfällt auch die Schlusserbeneinsetzung der Kinder, da der Erbvertrag insgesamt unwirksam wird (§ 2298 Abs. 2 BGB). Den Kindern bleibt im Fall des Rücktritts ihr gesetzliches Erbrecht (§ 1924 Abs. 1 BGB), und zwar bei Erbfällen ab dem 1.4.1998 (Art. 1 Nr. 3, 8 ErbGleichG) nach beiden Elternteilen.

94

Krauß

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B IX

Rz. 95

Nichteheliche Partner

95

Ist der Partner allerdings verstorben, ohne dass das Rücktrittsrecht ausgeübt worden ist, bleibt der Überlebende ohne anderweitige Regelungen im Erbvertrag an die Schlusserbeneinsetzung der Kinder gebunden, es sei denn, er schlägt das Zugewendete aus (§ 2298 Abs. 2 S. 2, 3 BGB). Nur in diesem Fall kann er anderweitig testieren.

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Hat sich der Überlebende im Erbvertrag jedoch vorbehalten, beim Tod des Partners anderweitig zu verfügen, entfällt, wenn er anderweitig testiert, die Schlusserbeneinsetzung. Sollte aber eine freie Verfügung nach dem Tod des Erstversterbenden aus Gründen der Fürsorge für die gemeinschaftlichen Kinder nicht gewünscht sein, was häufig der Fall sein wird, bietet sich ggf. als Lösung an, dem Schlusserben bereits zu Lebzeiten Vermögen zur freien Verfügung zu übertragen, und „im Gegenzug“ durch einen notariell zu beurkundenden Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) die Testierfreiheit wieder zu erlangen.

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Zusammenfassung: In einen Erbvertrag mit gemeinsamen Kindern sollten folgende Mindestregelungen aufgenommen werden: – Feststellung, dass keine Bindung durch früher errichtete gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge besteht – Widerruf sämtlicher früherer Verfügungen – Gegenseitige vertragsmäßige Einsetzung zu Erben – Rücktrittsvorbehalt – Verzicht auf Anfechtungsrecht – Vorbehalt der eigenen Verfügung von Todes wegen im Fall des Vorversterbens des Partners oder Lösungsmöglichkeit durch Zuwendung eines Teils des Nachlasses an den Schlusserben zur Erlangung der freien Verfügungsmöglichkeit entsprechend klassischer Wiederverheiratungsklausel – Pflichtteilssanktion b) Kinder aus früheren Verbindungen

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„Scheidungsgeschädigte“ Beteiligte scheuen mitunter die Eingehung einer neuen Ehe und bevorzugen in einer neuen Partnerschaft unverheiratet zu bleiben, auch angesichts der Unwägbarkeiten, ob ehevertragliche Ausschlüsse im erneuten Scheidungsfall tatsächlich Bestand behalten. Im Rentenalter unterbleiben neuerliche Eheschließungen häufig, um den Verlust der Hinterbliebenenrentenansprüche zu vermeiden.

99

Sind einseitige Kinder aus früheren Verbindungen vorhanden, treten die Regelungsziele der Absicherung des Partners und der Vermögenszuwendung an die eigenen Kinder in ein Spannungsverhältnis. Dieses wird noch verschärft, wenn gemeinsames (Immobilien-)eigentum gebildet wurde, da sich nach dem Tod des ersten Partners bei getrennter Vererbung dann eigenartige Miteigentumsgemeinschaften mit den „Schwieger“-Kindern bilden.

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 102

B IX

Beratungssituation: Die Mandanten, ca. 60 Jahre alt, beide haben Kinder aus früheren Verbindungen, wünschen Lösungsvorschläge für ihre erbrechtliche Regelung. Um diesen Bedürfnissen der Erblasser mit Kindern aus früheren Verbindungen Rechnung zu tragen, stehen zwei erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, nämlich

100

– die Einsetzung des Partners als Vorerben und der eigenen Kinder als Nacherben, – die Zuwendung von Vermächtnissen an den Lebenspartner bei gleichzeitiger Einsetzung der Kinder als Erben. Zu den erbschaftsteuerlichen Konsequenzen s. Rz. 153 ff. Ohne Regelung im Wege einer letztwilligen Verfügung sind ausschließlich die Kinder aus früheren Verbindungen erbberechtigt (§ 1924 Abs. 1 BGB), nicht jedoch der Partner. aa) Vor- und Nacherbschaft Der Erblasser kann einen Erben in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe (Nacherbe) wird, wenn zunächst ein anderer Erbe (Vorerbe) geworden ist, § 2100 BGB (vgl. zur Vor- und Nacherbschaft im Einzelnen Kap. B IV). Das Erbrecht des Vorerben ist jedoch zeitlich befristet. Der Erblasser kann die Beendigung der Vorerbschaft an Bedingungen und Befristungen knüpfen, wie z.B. an das Eingehen einer neuen Bindung (§ 2109 BGB). Ohne Bestimmung durch den Erblasser endet die Vorerbschaft mit dem Tod des Vorerben (§ 2106 BGB). Der Vorerbe ist wahrer Erbe des Erblassers und damit grundsätzlich zur Verfügung über den Nachlass befugt1. Zum Schutz des Nacherben ist die Verfügungsbefugnis des Vorerben jedoch beschränkt. Verfügungen über Grundstücke, Rechte an Grundstücken und eingetragenen Schiffen sind unwirksam, wenn sie die Rechte des Nacherben beeinträchtigen würden (§ 2113 Abs. 1 BGB). Von dieser Beschränkung und von den weiteren Beschränkungen des Vorerben gem. §§ 2114, 2116, 2119, 2123, 2127–2131, 2133, 2134 BGB kann der Erblasser den Vorerben befreien, nicht jedoch von dem Verbot, unentgeltlich über Nachlassgegenstände zu verfügen (§§ 2113 Abs. 2, 2138 Abs. 2 BGB) und nicht von der Inventarisierungspflicht (§§ 2121, 2122 BGB). Die Inventarisierungspflicht dient dazu, den Umfang des Nachlasses, der im Nacherbfall an die Nacherben fällt, festzuhalten.

101

Das Vermögen des Erstversterbenden vermischt sich nicht mit dem Vermögen des Längerlebenden, sondern bleibt dessen Sondervermögen (Trennungslösung)2. Gerade deshalb eignet sich die Vor- und Nacherbschaft zur Weitergabe des Vermögens an die eigenen Kinder des nichtehelichen Partners. Sein Vermögen steht zu Lebzeiten des Letztversterbenden diesem zur Verfügung, bleibt jedoch als Sondervermögen getrennt und fällt im Nacherbfall an die eigenen Kinder des Erstversterbenden. Auch für den Letztversterbenden hat diese Lösung den Vorzug, dass sein eigenes Vermögen getrennt gehalten bleibt und im Fall seines Todes auf die eigenen Kinder übergeht.

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1 Palandt/Weidlich, Einf. zu § 2100 BGB Rz. 1. 2 Staudinger/Behrends, § 2100 Rz. 41; RGRK/Johannsen, § 2100 Rz. 8. Krauß

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B IX

Rz. 103

Nichteheliche Partner

103

Auch bei gleichzeitigem Tod der Partner, etwa in Folge eines Unglücksfalls, hat diese Lösung keine Nachteile, da dann beide Vermögensmassen jeweils getrennt an die jeweiligen eigenen Kinder des jeweiligen Partners fallen.

104

Ob der nichteheliche Lebenspartner als befreiter oder nicht befreiter Vorerbe eingesetzt werden soll, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Die Befreiung des Vorerben gestattet diesem die entgeltliche Verfügung über Grundstücke (§§ 2136, 2113 Abs. 1 BGB). Soll nach dem Willen des Erblassers der Nachlass in seinem Bestand auf den Nacherben übergehen, muss die Befreiung unterbleiben. Die nicht befreite Vorerbschaft rückt den Letztlebenden in die Nähe eines Nießbrauchsberechtigten. Im mittleren Lebensalter erscheint sie daher ungeeignet, weil sie außer dem Recht, die Erträgnisse der Vermögenssubstanz zu vereinnahmen, die ihrerseits wiederum mit der Verpflichtung zur Lastentragung einhergeht (§ 2124 BGB), keine Vorteile, dafür aber den Nachteil der ständigen Inventarisierungspflicht hat.

105

Es darf auch nicht übersehen werden, dass dann, wenn Grundbesitz vorhanden ist, zur Sicherung der Rechte des Nacherben im Grundbuch in Abt. II ein Nacherbenvermerk eingetragen wird, und zwar gleichermaßen bei befreiter und nicht befreiter Vorerbschaft (§ 21 GBO). Die Verfügung über Grundstücke ist zwar bei befreiter Vorerbschaft materiellrechtlich zulässig (§§ 2136, 2113 Abs. 1 BGB), tatsächlich wird sie jedoch nur mit Zustimmung des Nacherben erfolgen können, da er die Bewilligung zur Löschung des Nacherbenvermerks erteilen muss (§ 19 GBO). Ein Grundstück, das mit einem Nacherbenvermerk belastet ist, wird kaum jemand erwerben wollen, da er immer mit einer späteren Inanspruchnahme durch den Nacherben rechnen muss (§ 2113 Abs. 3 BGB).

106

Die Einsetzung eines Partners als Vorerben kann wie folgt formuliert werden:

M 94 Einsetzung eines Partners als Vorerben Formulierung im Einzeltestament Meine Lebensgefährtin A setze ich zu meiner Vorerbin ein. Sie soll nicht befreite Vorerbin sein. oder (je nach Entscheidung des Erblassers und Beraters im Einzelfall): Sie soll von allen Beschränkungen befreit sein, von denen nach dem Gesetz Befreiung erteilt werden kann. Formulierung im Erbvertrag Wir setzen uns gegenseitig vertragsmäßig zu nicht befreiten Vorerben ein. oder: Wir setzen uns gegenseitig vertragsmäßig zu Vorerben ein. Jeder von uns wird als Vorerbe von den Beschränkungen befreit, von denen nach dem Gesetz Befreiung erteilt werden kann.

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 110

B IX

Die Einsetzung der Nacherben kann wie folgt formuliert werden:

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M 95 Einsetzung der Nacherben Formulierung im Testament Nacherben sind meine Kinder aus erster Ehe, A und B. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod der Vorerbin ein. oder: Der Nacherbfall tritt ein, wenn meine Lebensgefährtin nach meinem Tod heiratet, sich verpartnert, oder erneut eine Lebensgemeinschaft i.S.d. § 20 SGB XII mit einem anderen Partner begründet1. Formulierung im Erbvertrag Nacherben nach mir, L 1, sind meine Kinder aus erster Ehe A und B. Nacherben nach mir, L 2, sind meine Kinder aus zweiter Ehe C und D. Der Nacherbfall tritt jeweils nach unserem Tode ein.

Haben die Partner außer eigenen Kindern ein gemeinschaftliches Kind, wird der Wunsch bestehen, auch dieses Kind gleichermaßen, möglicherweise aber auch zu einem größeren Anteil zu bedenken. Dies kann erreicht werden, indem das gemeinschaftliche Kind ebenfalls als Nacherbe eingesetzt wird, durch Formulierungen wie:

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M 96 Einsetzung eines gemeinschaftlichen Kindes als Nacherbe Nacherben nach mir, L 1, sind unser gemeinschaftliches Kind E und meine Kinder aus zweiter Ehe C und D, und zwar alle drei untereinander jeweils zu gleichen Teilen.

Werden die Kinder aus verschiedenen Verbindungen zu verschiedenen Erbquoten eingesetzt, ist darauf zu achten, dass die Quoten größer sein müssen als es die Hälfte des gesetzlichen Erbteils wäre, weil sonst ein freier Pflichtteilsrestanspruch entstünde, dem der länger Lebende ausgesetzt wäre (nach der Rechtslage vor der Erbrechtsreform 2009, also für Sterbefälle vor dem 1.1.2010, wäre die Nacherbfolge gem. § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB von selbst weggefallen). Abgesehen von diesem Pflichtteilsrestanspruch bei zu geringer Quote haben die Nacherben keinen Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Erstversterbenden, es sei denn, sie schlagen die Nacherbschaft aus (§§ 2306 Abs. 1, 2306 Abs. 2 BGB)2. Bevor die Quoten für die Nacherben festgelegt werden, sollten daher vorsorglich die gesetzlichen Erbquoten und die Pflichtteilsquoten ermittelt werden.

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Wichtig ist in dieser Fallgruppe überdies die Bestimmung von Ersatzerben und Ersatznacherben. Schließlich fällt die Nacherbschaft erst mit dem Tode des

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1 Diese Formulierung bietet im Streitfall Nachweisprobleme und sollte von daher eher vermieden als empfohlen werden. 2 BayObLG v. 22.6.1966 – BReg. 1b Z 12/66, BayObLGZ 1966, 232. Krauß

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B IX

Rz. 111

Nichteheliche Partner

Letztversterbenden an die eigenen Kinder. Der Erblasser kann, sollte der Nacherbe während Lebzeiten des Vorerben versterben und keine Ersatznacherben eingesetzt sein, hierauf nicht mehr durch Änderung seiner eigenen letztwilligen Verfügung reagieren, da er selbst nicht mehr lebt. Er muss diese Entscheidung also vorziehen und zu seinen Lebzeiten einen Ersatzerben namentlich benennen. Es empfiehlt sich, aus Gründen der Klarheit auch die Vererblichkeit des Nacherbenrechts auszuschließen, zumindest dann, wenn keiner der Abkömmlinge des designierten Nacherben Ersatzerbe sein soll, sondern z.B. das gemeinschaftliche Kind aus der nichtehelichen Beziehung der Partner oder ein anderes Kind aus einer früheren Verbindung. Das kann wie folgt formuliert werden:

M 97 Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenrechts Das Nacherbenrecht ist nicht vererblich. Verstirbt ein Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalls, ist Ersatznacherbe unser gemeinschaftliches Kind D. Oder: … das überlebende Kind aus meiner ersten Ehe. 111

Wird von den Partnern gemeinschaftlich im Erbvertrag testiert, sollten sich beide Partner das Recht vorbehalten, die Nacherbeneinsetzung der Kinder aus früheren Verbindungen zu ändern oder widerrufen zu können. Die Vertragsteile eines Erbvertrags können frei bestimmen, welche Verfügungen der Überlebende frei widerrufen oder abändern kann1. Beim Testament wird hierzu selten Anlass sein, da der Erblasser hier durch einfachen Widerruf des Testaments (§ 2254 BGB) anderweitige Regelungen treffen kann. Im Erbvertrag sollte daher zusätzlich die Bestimmung aufgenommen werden:

M 98 Vorbehalt der Änderung der Nacherbeneinsetzung Jeder von uns behält sich vor, die Einsetzung des Nacherben, soweit seine eigenen Kinder betroffen sind, und die Einsetzung der Ersatznacherben nach dem Tod des Letztversterbenden einseitig abzuändern. 112

Widerruft der Erblasser nach dem Tod des Erstversterbenden die Nacherbeneinsetzung, trifft jedoch keine neue Verfügung von Todes wegen, wächst das Erbe den verbleibenden Nacherben an (§ 2094 BGB).

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Zusammenfassung: Wählen die Partner den Erbvertrag, müssen die übrigen bereits in Rz. 73 ff. dargestellten Regelungen ebenfalls mit aufgenommen werden. Der Erbvertrag bei Partnern mit Kindern aus früheren Verbindungen sollte daher enthalten: – Widerruf sämtlicher früherer Verfügungen – Feststellung, dass keine Bindung durch früher errichtete gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge besteht 1 Palandt/Weidlich, § 2289 BGB Rz. 8; BGH v. 2.12.1981 – IVa ZR 252/80, MDR 1982, 557 = FamRZ 1982, 370 = NJW 1982, 441. 554

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 115

B IX

– Gegenseitige vertragsmäßige Einsetzung zu befreiten oder nicht befreiten Vorerben – Einsetzung der Nacherben – Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenrechts und Einsetzung von Ersatzerben – Vorbehalt, die Nacherbenseinsetzung abzuändern – Rücktrittsvorbehalt – Verzicht auf Anfechtungsrecht – Zuwendung des Hausrats und der persönlichen Sachen im Vermächtniswege. bb) Vermächtnislösung Anstelle der Einsetzung der Partner als Vorerben und der Kinder als Nacherben kann auch der Weg gewählt werden, die Kinder unmittelbar als Erben einzusetzen und dem Lebenspartner Vermögensgegenstände im Wege des Vermächtnisses (§§ 2147 f. BGB) zuzuwenden. Hierfür stehen mannigfaltige Möglichkeiten zur Verfügung. Dem Lebenspartner können ein Geldvermächtnis, Hausratsvermächtnisse, eine Immobilie, lediglich ein Wohnrecht an einer Immobilie, ein Nießbrauch an Immobilien, an Unternehmensbeteiligungen, der Nießbrauch am Nachlass insgesamt (vgl. Muster in Rz. 70), eine private Rente etc. zugewendet werden (Näheres Kap. B VI).

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Wird z.B. eine Immobilie im Vermächtniswege zugewendet, kann die letztwillige Verfügung lauten:

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M 99 Zuwendung einer Immobilie im Vermächtniswege Zu meinen Erben setze ich meine Kinder A und B ein. Meiner langjährigen Lebensgefährtin vermache ich mein Haus in D-Stadt. oder: Meiner langjährigen Lebensgefährtin vermache ich mein Aktiendepot bei der X-Bank. oder: … einen Betrag von 150 000 Euro von meinem Konto … bei der X- Bank. oder: … ein lebenslängliches Wohnungsrechtgem. gem. § 1093 BGB an meiner Eigentumswohnung in D-Stadt. Meine Erben sind verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten nach meinem Tod das Wohnrecht im Grundbuch an rangbereiter Stelle zu sichern. Das Wohnrecht soll unentgeltlich sein. Meine Lebensgefährtin ist lediglich verpflichtet, die Nebenkosten, deren Umlage auf einen Mietergem. gem. BetriebskostenVO in der zum Erbfall gültigen Fassung zulässig ist, zu tragen. oder: … eine lebenslängliche Rente in Höhe des Betrags zu zahlen, der zum Tag des Vermächtnisanfalls dem gegenwärtigen Betrag von 2 000 Euro entspricht. Der Krauß

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B IX

Rz. 116

Nichteheliche Partner

Betrag ist nach Maßgabe des Verbraucherpreisindex zum Zeitpunkt der ersten Fälligkeit und sodann alle zwei Jahre anzupassen. oder: Meine Erben sind verpflichtet, die Rente als Reallast zulasten meines in D-Stadt gelegenen Grundbesitzes an rangbereiter Stelle dinglich sichern zu lassen, und zwar innerhalb von zwei Monaten nach meinem Tod. oder: … einen lebenslänglichen Nießbrauch an meinem Kommanditanteil an der ABC GmbH & Co. KG1. 116

Wird dem Lebenspartner im Vermächtniswege ein Sachwert zugewendet, der nicht, wie etwa Nutzungsrechte, auf seine Lebensdauer beschränkt ist, muss bedacht werden, dass der Sachwert im Fall des Versterbens des Lebenspartners in dessen Erbmasse fällt und an seine Kinder bzw. möglicherweise an seine Verwandten gelangt. Falls dies nicht gewünscht ist, verbleibt dem Erblasser die Möglichkeit, seine eigenen Kinder als Nachvermächtnisnehmer einzusetzen (§ 2191 Abs. 1 BGB). Der Partner als Vorvermächtnisnehmer unterliegt im Gegensatz zur Vor- und Nacherbschaft keinen gesetzlichen Beschränkungen2 (vgl. dazu Kap. B IV.). Er darf den vermachten Gegenstand also verbrauchen und uneingeschränkt über ihn verfügen. Gem. § 2184 BGB ist er berechtigt, die Nutzungen des Vermachten zu vereinnahmen, er muss allerdings auch die gewöhnlichen und außergewöhnlichen Lasten tragen (§ 2185 BGB). Trifft der Erblasser keine andere Bestimmung, fällt das Nachvermächtnis mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers an (§§ 2191 Abs. 2, 2106 Abs. 1 BGB). Eine gegenteilige Anordnung sollte der Erblasser nicht treffen, schon um zu verhindern, dass seine eigenen Kinder als Nacherben nicht Verwendungsersatzansprüchen des Partners zu dessen Lebzeiten ausgesetzt sind (§ 2185 BGB).

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Um Auseinandersetzungen seiner eigenen Kinder mit den Erben des Lebenspartners zu verhindern, kann es sinnvoll sein, die Geltendmachung von gegenseitigen Verwendungsersatzansprüchen (§ 2185 BGB) gänzlich auszuschließen

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Die Anordnung eines Nachvermächtnisses kann wie folgt formuliert werden:

M 100 Anordnung eines Nachvermächtnisses Nachvermächtnisnehmer nach dem Tod meiner Lebensgefährtin sind meine Kinder A und B. Verwendungsersatzansprüche zwischen Vorvermächtnis- und Nachvermächtnisnehmer sind in beiden Richtungen ausgeschlossen. Eine Sicherung des Nachvermächtnisses kann nicht verlangt werden. 119

Für Haushaltsgegenstände gilt nichts Besonderes. Sie fallen, ebenso wie ein Kfz und persönliche Gegenstände, in den Nachlass, so dass sie den Regelungen der 1 Wird ein Nießbrauch an einer Unternehmensbeteiligung zugewendet, ist es unerlässlich, dies an die erbrechtliche Regelung des Gesellschaftsvertrags anzugleichen. 2 Palandt/Weidlich, § 2191 Rz. 2. 556

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 123

B IX

Vorerbschaft und der Nacherbschaft unterliegen. Dies bedeutet, dass auch die Haushaltsgegenstände der Pflicht zur Inventarisierung (§ 2121 BGB) unterliegen. Von dieser Pflicht kann der Vorerbe nicht befreit werden (§ 2136 BGB). Um diese unzweckmäßige Handhabung auszuschließen, sollten der Hausrat und die persönlichen Gegenstände den Lebenspartnern im Wege des Vermächtnisses zugewendet werden (§ 2147 BGB). Gleiches sollte für die persönlichen Gegenstände und möglicherweise das Kfz gelten, um das, wie die Praxis zeigt, häufig Streit entsteht. Es kann formuliert werden:

M 101 Zuwendung von Hausrat Meinen Hausrat, meine persönlichen Sachen mit Ausnahme meines Schmucks und den bei meinem Ableben auf mich zugelassenen Pkw vermache ich meinem Lebensgefährten.

Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung kann zur Sicherung der Rechte des Nacherben, aber vor allem zur Sicherung des Vermächtnisnehmers, sinnvoll sein. Von den verschiedenen Möglichkeiten der Testamentsvollstreckung – Abwicklungsvollstreckung nach §§ 2203–2207 BGB, Dauervollstreckung nach § 2209 BGB oder Nacherbenvollstreckung (§ 2222 BGB) – erscheint je nach Gestaltung allenfalls die Abwicklungsvollstreckung sinnvoll. Bei der Vermächtnislösung sollte, um sicherzustellen, dass das Vermächtnis auch erfüllt wird, in jedem Fall Testamentsvollstreckung als Abwicklungsvollstreckung angeordnet werden, da nur so sichergestellt ist, dass der nichteheliche Partner das Vermächtnis auch tatsächlich erhält. Sollten die Erben nämlich das Vermächtnis nicht freiwillig erfüllen, ist der nichteheliche Partner auf langwierige Rechtsstreitigkeiten angewiesen, die in höherem Lebensalter nicht immer durchgestanden werden.

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Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung ist auch dann sinnvoll, wenn der nichteheliche Partner und Kinder aus früheren Verbindungen zu Miterben berufen sind und eine Aufteilung des Nachlasses durch Teilungsanordnung vorgesehen ist.

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Wird befürchtet, dass die Nacherben den Vorerben zu seinen Lebzeiten über die Maßen beeinträchtigen, kann dies durch die Anordnung einer Nacherbenvollstreckung (§ 2222 BGB) unterbunden werden. Sie beschränkt nicht den Vorerben, sondern nimmt die Rechte wahr, die dem Nacherben bereits vor dem Nacherbfall zustehen1, beschränkt also den Nacherben während der bestehenden Vorerbschaft2.

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c) Adoption Insbesondere der enorme Belastungsunterschied zwischen Steuerklasse I einerseits und den Steuerklassen II und III andererseits (Eingangssteuersatz bei Letzterer 30 %!) lässt die Adoption, auch die Adoption Volljähriger3 und mit Aus1 BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, MDR 1995, 177 = FamRZ 1995, 158 = NJW 1995, 456. 2 Staudinger/Reimann, § 2222 Rz. 4. 3 Überblick bei Brandt, RNotZ 2013, 459 ff. Krauß

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B IX

Rz. 124

Nichteheliche Partner

landsberührung1, insbesondere in einer zunehmend kinderlosen Gesellschaft immer attraktiver erscheinen. Hinzu kommt, dass auf diese Weise ein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht geschaffen und das Erb- und Pflichtteilsrecht schon vorhandener Abkömmlinge, des Lebenspartners oder der Eltern vermindert bzw. gänzlich beseitigt werden kann. Reizvoll ist dabei die Volljährigenadoption mit schwachen Wirkungen, da hierdurch die Verwandtschaftsverhältnisse mit den leiblichen Eltern nicht beendet werden (§ 1770 Abs. 2 BGB). Bei Stiefkindadoptionen steht dagegen die emotionale Betonung des Näheverhältnisses im Vordergrund, da schenkung-/erbschaftsteuerrechtlich auch das Stiefkind zur Steuerklasse I zählt (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 2 ErbStG). Die (nacheheliche) Adoption eines Kindes kann ferner (ebenso wie eine spätere Heirat) die Höhe des Unterhalts reduzieren, der dem geschiedenen Ehegatten/Lebenspartner geschuldet ist.2 124

Auch wer als Minderjähriger adoptiert wurde,3 kann als Volljähriger erneut anderweit adoptiert werden (das Verbot der Mehrfachadoption – § 1742 BGB – gilt insoweit nicht, § 1768 Abs. 1 S. 2 BGB). Der Adoptierende selbst muss bis zur Entscheidung über den Antrag geschäftsfähig sein.4 Kinderlosigkeit ist nicht erforderlich, wobei jedoch die Interessen der bereits vorhandenen Kinder zu prüfen sind5 (§ 1769 BGB), was zu einer Anhörung durch das Familiengericht führt6.

125

Eingetragene Lebenspartner können (derzeit) das Kind ihres Partners (§ 9 Abs. 7 LPartG) – und zwar auch, wenn dieses bereits seinerseits adoptiert worden war (verfassungsrechtlich7 gebotene Aufhebung8 des Verbots der Sukzessivadoption9), 1 Emmerling de Oliveira, MittBayNot 2010, 429 ff. 2 BGH v. 1.10.2008 – XII ZR 62/07, FamRZ 2009, 23 m. Anm. Maurer, FamRZ 2009, 204 = MDR 2009, 87; allerdings kann eine spätere Heirat die ehelichen Lebensverhältnisse der ersten Ehe nicht mehr prägen, a.A. BGH v. 30.7.2008 – XII ZR 177/06, MDR 2008, 1338 („Dreiteilungsgrundsatz“); hiergegen BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 918/10, vgl. Eickelberg, notar 2011, 400f; demzufolge Abkehr des BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung in BGH v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281 ff: Bei der Bedarfsermittlung dürfen nur solche nachehelichen Umstände berücksichtigt werden, die bereits während der Ehezeit absehbar waren). 3 Krit. zum damit einhergehenden Verlust des Erbrechts nach den leiblichen Eltern unter dem Aspekt des Minderjährigenschutzes Wetzel, ZEV 2011, 401 ff. 4 OLG München v. 7.4.2010 – 31 Wx 3/10, MDR 2010, 751 = FamRZ 2010, 2087, ZErb 2010, 181. 5 Nach AG Rüdesheim v. 19.7.2007 – 4 XVI 1/07, MittBayNot 2008, 57 ist die Adoption auszusprechen bei gleicher Gewichtung der jeweiligen Interessen; ein Überwiegen der Interessen des zu adoptierenden volljährigen Kindes oder ein Fehlverhalten der leiblichen Kinder ist also nicht erforderlich. Ein naturgegebener Vorrang der Interessen schon vorhandener Kinder besteht nicht, OLG München v. 10.1.2011 – 33 UF 988/10, FamRZ 2011, 1411. 6 Unterbleibt diese, ist die Adoption unwirksam, BVerfG v. 20.10.2008 – 1 BvR 291/06, ZEV 2009, 44. 7 Nach BVerfG v. 19.2.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847. 8 V. 26.6.2014, BGBl. I, 786. In der Zwischenzeit erlaubte eine Übergangsregelung bereits die Sukzessivadoption i.S.d. § 1743 BGB. 9 Frühere Rechtsprechung zum Verbot der Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner: OLG Hamm v. 1.12.2009 – I-15 Wx 236/09, FamRZ 2010, 1259 m. Anm. Grziwotz = MDR 2010, 449 = DNotZ 2010, 698 m. Anm. Müller. Die Adoption eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners, also die Stiefkindadoption, war dagegen stets zulässig. 558

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 127

B IX

nicht aber gemeinsam ein fremdes Kind, annehmen (Verbot des Simultanadoption; § 1741 Abs. 2 S. 2 BGB gilt weiterhin nur für Ehegatten: diese dagegen können ein Kind sogar grundsätzlich nur gemeinsam annehmen1, es sei denn, der Ehegatte wäre geschäftsunfähig oder unter 21 Jahre alt oder es handelt sich um die Adoption des Kindes gerade des anderen Ehegatten, sog. Stiefkindadoption). Bei Volljährigen müssen die leiblichen Eltern nicht einwilligen (allerdings werden bei einer Adoption mit starker Wirkung die Eltern zur Prüfung angehört, ob deren überwiegende Interessen entgegenstehen, § 1772 Abs. 1 S. 2 BGB).2.

126

Der durch das Familiengericht bei Vorliegen und positivem3 Nachweis4 des dauerhaften5 Vorliegens der Voraussetzungen, insbesondere des angemessenen Altersabstands6, der sittlichen Rechtfertigung7 – dabei darf die Steuerersparnis8 bzw. finanzielle Absicherung beim Adoptivkind9 oder die Erlangung künftig von ihm zu erbringender Pflegeleistungen10, also der „Nutzen“ für den Adoptierenden oder den Anzunehmenden, allenfalls Neben-, nicht aber Hauptzweck sein –, und des Fehlens entgegenstehender überwiegender Interessen Dritter11 zwingend auszusprechende Adoptionsbeschluss war weder nach früherer (§ 56e S. 2, 3

127

1 Dies ist verfassungsgemäß, vgl. OLG Schleswig v. 20.12.2013 – 8 UF 173/13, FamRZ 2014, 1039 = NotBZ 2014, 191 und OLG Koblenz v. 5.12.2013 – 13 UF 793/13, MDR 2014, 545 = FamRZ 2014, 1039 = MittBayNot 2014, 343; krit. Brandt, notar 2014, 298. 2 Beispielsfall: OLG München v. 8.5.2009 – 31 Wx 147/08, NotBZ 2009, 498 (Gefahr, dass der leibliche Vater, der Unterhalt gezahlt hat, seinerseits keine Unterhaltsansprüche gegen das „wegadoptierte“ Kind mehr hat). 3 Verbleiben begründete Zweifel, muss der Antrag abgelehnt werden, OLG Köln v. 1.8.2011 – 4 UF 108/11, NotBZ 2011, 448 (nur Ls.) 4 Zu den Anforderungen LG Saarbrücken v. 26.9.2008 – 5 T 187/08: Ablehnung der Adoption, wenn sich die Beteiligten in der mündlichen Anhörung mit „Sie“ anreden und zur Häufigkeit der Kontakte angeben, „das komme darauf an“. Ähnlich OLG München v. 8.6.2009 – 31 Wx 22/09, MDR 2009, 930 = FamRZ 2010, 46 = ZEV 2009, 355: lediglich einzelne Telefonate und Besuche; der Anzunehmende stimmt der Adoption durch seinen begüterten Paten nur zu, „da man sechs Richtige im Lotto nicht ausschlagen dürfe“. 5 Daran fehlt es i.d.R. bei der Adoption des Schwiegersohns, da das familiäre Band vom Fortbestand der Ehe abhängt, vgl. Gutachten, DNotI-Report 2009, 75. 6 Zwölf Jahre genügen nicht, KG v. 27.3.2013 – 17 UF 42/13, FamRZ 2014, 225 = DNotZ 2013, 780; bei Stiefkindadoptionen sollen allerdings nach OLG Hamm v. 5.8.2013 – 8 UF 68/13, FamRZ 2014, 227 = RNotZ 2014, 236 im Einzelfall 13 Jahre und sieben Monate ausreichend sein. 7 Vgl. Becker, ZEV 2009, 25 ff. 8 OLG München v. 19.12.2008 – 31 Wx 49/08, FamRZ 2009, 1335 = MDR 2009, 333 = ZEV 2009, 83; OLG Hamm v. 29.6.2012 – II-2 UF 274/11, FamRZ 2013, 557 = EE 2012, 189; ausführlich (und krit.) zur „Nebenzweckthese“ in Bezug auf schenkungssteuerliche Motive Hölscher, ZErb 2012, 253 ff. 9 OLG München v. 8.6.2009 – 31 Wx 22/09, MDR 2009, 930 = FamRZ 2010, 46, ZEV 2009, 355. 10 OLG München v. 5.5.2009 – 31 Wx 17/09, FamRZ 2009, 1336, ZEV 2009, 354. 11 Z.B. auch Interessen des leiblichen, potenziell unterhaltsberechtigten Vaters, wenn eine Volljährigenadoption mit den starken Wirkungen der Minderjährigenadoption beantragt ist, OLG München v. 8.5.2009 – 31 Wx 147/08, FamRZ 2009, 1337 = ZEV 2009, 355. Krauß

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B IX

Rz. 128

Nichteheliche Partner

FGG) noch ist er nach neuer Rechtslage (§ 197 Abs. 3 FamFG) anfechtbar, sofern nicht ausnahmsweise Nichtigkeit gegeben ist, oder aber z.B. die weiterhin beantragten starken Adoptionswirkungen abgelehnt wurden1. 128

Die Volljährigenadoption führt2 weder (bei der Adoption durch einen ausländischen Staatsangehörigen) zum Verlust (§ 27 StAG) noch (bei der Adoption eines Ausländers) zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit (§ 6 StAG)3. Genuine Auslandsadoptionen können über das Umwandlungsverfahren nach dem Adoptionswirkungsgesetz und die Gleichstellungsverfügung nach Art. 22 Abs. 3 EGBGB auch im Inland erb- und erbschaftsteuerlich nutzbar gemacht werden4. Unterhaltsrechtlich werden die Beteiligten einander unterhaltspflichtig. Auch ggü. den leiblichen Eltern bleibt (außer bei der Adoption mit starken Wirkungen und der Minderjährigenadoption) das gegenseitige Unterhaltsverhältnis bestehen, wobei jedoch die Unterhaltspflicht der Adoptiveltern vorrangig ist (§ 1770 Abs. 3 BGB).

129

Erbrechtlich bleiben im Fall der (den von § 1772 BGB durchbrochenen gesetzlichen Regelfall darstellenden5) schwachen Volljährigenadoption die Verwandtschaftsverhältnisse zu den leiblichen Eltern bestehen, so dass sowohl die leiblichen als auch die Adoptiveltern Erben zweiter Ordnung sind. Die Kinder des Angenommenen werden dann zwar rechtlich Enkel des Annehmenden, eine Erstreckung auf andere Beteiligte tritt allerdings nicht mehr ein. Namensrechtlich erhält auch der mit schwachen Wirkungen adoptierte Volljährige den Familiennamen des Annehmenden als Geburtsnamen6 (§ 1757 BGB), wobei auf Antrag der bisherige Familienname vorangestellt oder angefügt werden kann.7 Ist das Adoptivkind verheiratet, kann es jedoch seinen bisherigen Ehenamen behalten, sofern sich der Ehegatte/Verpartnerte der Namensänderung nicht anschließt (§ 1757 Abs. 3 BGB);8 darüber hinaus ist möglicherweise verfassungsrechtlich die Beibehaltung des bisherigen Geburtsnamens auch aus sonstigen „schwerwiegenden Gründen“ möglich.9

130

Ist die Adoption vor dem Zeitpunkt der Steuerentstehung durch Zustellung des Beschlusses wirksam geworden (oder wird die Annahme nach dem Tod des An1 OLG München v. 8.4.2010 – 31 Wx 30/10, MDR 2010, 996 = FamRZ 2010, 2088, ZErb 2010, 183. 2 Vgl. hierzu und zum folgenden Steiner, ErbStB 2008, 83 ff. 3 Vgl. BVerwG v. 21.11.2006 – 5 C 19.05, NJW 2007, 937. 4 Vgl. monografisch Hölscher, Die Adoption mit schwacher Wirkung in der erbrechtlichen Gestaltung, 2010. 5 OLG Düsseldorf v. 15.12.2011 – I-3 Wx 313/11, NotBZ 2012, 427. 6 Nach BGH v. 17.8.2011 – XII ZB 656/10, FamRZ 2011, 1718 m. Anm. Maurer = MDR 2011, 1233 = MittBayNot 2012, 49, tritt der „neue“ Geburtsname dann auch zwingend an die Stelle des bisherigen Geburtsnamens als „Beiname“ zum Ehenamen; allenfalls kann die Beifügung des Beinamens als solche gem. § 1355 Abs. 3 S. 4 BGB widerrufen werden. 7 LG Regensburg v. 5.8.2008 – 7 T 320/08, MittBayNot 2008, 481. Lediglich AG Leverkusen v. 16.4.2009 – 14 XVI 01/09, RNotZ 2009, 544, sowie AG Halberstadt v. 22.12. 2011 – 8 F 661/10 AD, NotBZ 2012, 135 m. Anm. Kiupel gestatten praeter legem die Beibehaltung des Geburtsnamens bei Vorliegen „schwerwiegender Gründe“. 8 Vgl. Wartenburger, MittBayNot 2008, 504 f. 9 AG Leverkusen v. 16.4.2009 – 14 XVI 01/09, RNotZ 2009, 544. 560

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Rz. 133

B IX

nehmenden mit Rückwirkung gem. § 1753 Abs. 2 BGB ausgesprochen)1, zählt das Adoptivkind gem. §§ 15 Abs. 1 Nr. 2, 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG zur Steuerklasse I und erhält den Freibetrag eines leiblichen Kindes. Die leiblichen Eltern bleiben – selbst bei der Volladoption (§ 15 Abs. 1a ErbStG) in Steuerklasse I, ebenso wie die Stiefeltern in den Genuss der Steuerklasse I kommen. Gleiches gilt im Verhältnis der Kinder des Adoptivkindes zu den Annehmenden (Enkelverhältnis, § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), auch im Verhältnis zu den Eltern der leiblichen Eltern und zwar auch bei der Volladoption (§ 15 Abs. 1a ErbStG). Im Verhältnis zu sonstigen Verwandten (Onkel, Tanten etc.) gilt: Bei der Erwachsenenadoption mit starken Wirkungen entsteht auch insoweit ein Verwandtschaftsverhältnis, das steuerlich nachvollzogen wird – die steuerliche (nicht die zivilrechtliche!) Verwandtschaft zu den bisherigen leiblichen Verwandten bleibt jedoch auch bei der Adoption mit starken Wirkungen aufrechterhalten (§ 15 Abs. 1a ErbStG). Findet eine Volljährigenadoption mit schwachen Wirkungen statt, gewährt die Rechtsprechung im Verhältnis zu Geschwistern der Adoptiveltern ebenfalls die Steuerklasse II (§ 15 Abs. 1 Teil II Nr. 3 ErbStG)2, obwohl insoweit eine zivilrechtliche Verwandtschaft nicht entsteht.

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III. Beschränkungen der Testierfreiheit 1. Bindung durch gesetzliche Erbrechte

Beratungssituation: Der Mandant ist verheiratet, hat Kinder aus erster Ehe und lebt mit seiner Lebenspartnerin zusammen., Eine Scheidung seiner Ehe ist nicht beabsichtigt. Er will ein Testament zugunsten seiner Partnerin errichten. Was muss er beachten? In diesen Fällen bestehen gesetzliche Erbrechte der Kinder des nichtehelichen Partners gem. § 1924 Abs. 1 BGB und des Ehegatten gem. § 1931 Abs. 1 BGB, die anders als im Fall der Scheidung (§ 1933 BGB) nicht erlöschen. Bei gleichgeschlechtlichen Verbindungen, in denen keine Kinder vorhanden und auch nicht zu erwarten sind, bestehen gesetzliche Erbrechte der Eltern (§ 1925 Abs. 1 BGB) und gesetzliche Erbrechte des Lebenspartners (§ 10 Abs. 1 LPartG). Den Anfall der gesetzlichen Erbberechtigung kann der Partner dadurch umgehen, indem er zugunsten des nichtehelichen Partners testiert, da die gewillkürte Erbfolge die gesetzliche Erbfolge verdrängt (§ 1937 BGB)3.

132

Die Pflichtteilsansprüche der Kinder und des getrennt lebenden Ehegatten bleiben jedoch bestehen (§ 2303 Abs. 1, 2 BGB). Gleiches gilt für die Pflichtteilsansprüche der Eltern der kinderlosen Partner (§ 2303 Abs. 2 BGB) und Pflichtteilsansprüche gleichgeschlechtlicher Partner (§ 10 Abs. 6 LPartG).

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1 Hierzu muss der Antrag zu Lebzeiten eingereicht oder der Notar unwiderruflich mit der sofortigen Einreichung beauftragt worden sein; es genügt also nicht die Anweisung zur Einreichung erst nach dem Tod des Annehmenden, OLG München v. 2.2. 2010 – 31 Wx 157/09, NotBZ 2010, 231. 2 BFH v. 14.5.1986 – II R 37/84, FamRZ 1986, 1204 = BStBl. 1986 II, 613. 3 Palandt/Weidlich, § 1937 Rz. 7. Krauß

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B IX

Rz. 134

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134

Kooperiert der Pflichtteilsberechtigte, kann er mit dem Erblasser einen notariell beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrag (§ 2346 Abs. 2 BGB) schließen, ggf. gegen Abfindung (kein Erbverzicht, da sich hierdurch die Erb- und damit mittelbar die Pflichtteilsquoten der anderen erhöhen, § 2310 S. 2 BGB!). Beim Pflichtteilsverzicht handelt es sich um einen abstrakten, keiner causa bedürfenden Verfügungsvertrag, sodass die „Entgeltlichkeit“ des Verzichts nicht Inhalt der Vereinbarung selbst ist. Die Verknüpfung zu einer „Gegenleistung“ kann sich jedoch auch aus einer etwa daneben bestehenden Verpflichtungsabrede ergeben, in der bspw. die dort vereinbarte Leistung einer Geldabfindung (schuldrechtlicher Zahlungsanspruch1) in ein synallagmatisches Verhältnis zur Abgabe und Aufrechterhaltung des Pflichtteilsverzichts gestellt wird. Unterbleibt demnach die später fällige Abfindungsleistung, kann der Verzichtende nach Setzung einer angemessenen Nachfrist von diesem Verpflichtungsvertrag zurücktreten (§ 323 BGB) mit der Folge, dass der Erblasser das Erlangte, die Verzichtswirkung, durch Aufhebungsvertrag (§ 2351 BGB) „rückzuerstatten“ hat (§ 346 BGB). Ist der Verzichtende bei einer solchen synallagmatischen Abrede jedoch nicht zur Vorleistung verpflichtet, kann er bereits die Abgabe des Verzichts vom Erhalt der Gegenleistung abhängig machen, § 320 BGB.

135

Noch unmittelbarer verknüpft mit einer erst künftig zu erbringenden Gegenleistung ist die Verzichtsverfügung jedoch dann, wenn sie ihrerseits durch den Erhalt der Abfindung bedingt (§ 158 BGB) ist. Hierbei stellen sich folgende Regelungsthemen: – Dass ein Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht überhaupt unter Bedingungen erklärt werden kann, also nicht kraft seiner Natur bedingungsfeindlich ist, ergibt sich bereits aus § 2350 Abs. 1 BGB, wonach der Erbverzicht zugunsten eines anderen (sog. „relativer Verzicht“) im Zweifel dadurch als aufschiebend bedingt gilt, dass dieser andere gesetzlicher oder gewillkürter Erbe wird. – Damit ist jedoch noch nicht entschieden, ob auch Bedingungen oder Befristungen zulässig sind, die erst nach dem Erbfall eintreten. Beide Umstände wirken lediglich ex nunc (§ 159 BGB hat nur schuldrechtliche Wirkung), sodass im Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht feststeht, ob und wann die Verfügungswirkungen eintreten oder außer Kraft treten. Mit der Begründung, mit dem Erbfall seien eindeutige Verhältnisse zu fordern, sowie unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH, dass ein Vertrag i.S.d. § 2346 BGB nur bis zum Erbfall angenommen2 oder familiengerichtlich, bei Volljährigen betreuungsgerichtlich, genehmigt werden könne3, wird daher teilweise die Zulässigkeit solcher Bedingungen abgelehnt4.

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Anders als in der Entscheidung des BGH5 geht es jedoch vorliegend nicht um das wirksame Zustandekommen des Verzichts als solchen, sondern um die Frage des 1 Verjährung gem. § 195 BGB, nicht nach erbrechtlicher Anknüpfung: OLG Celle v. 26.7.2007 – 6 U 12/07, ZEV 2008, 485. 2 BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 521. 3 BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. 4 Ausführlich Lange in FS für Nottarp, 1961, S. 123. 5 BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 521. 562

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Krauß

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Rz. 137

B IX

Zeitpunkts des Eintritts seines Effekts. Aufgrund der Verpflichtung der Beteiligten, sich schuldrechtlich so zu stellen, als wäre die Bedingung bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls eingetreten (§ 159 BGB), muss daher ein zunächst entstandener Pflichtteilsgeldanspruch erlassen werden (§ 397 BGB) bzw. ein bereits erfüllter Anspruch zurückgezahlt werden. Gleiches gilt für den späteren Eintritt einer auflösenden Bedingung. Sogar beim Erbverzicht sind die Folgen einer beim Erbfall noch schwebenden aufschiebenden oder auflösenden Bedingung lösbar durch sog. „konstruktive Nacherbfolge“, §§ 2104, 2105 BGB: Bis zum Eintritt der aufschiebenden Bedingung ist der Verzichtende Vorerbe und die an seine Stelle tretenden Personen sind Nacherben; bis zum Eintritt einer auflösenden Bedingung sind die Ersatzerben Vorerben und der Verzichtende seinerseits ist Nacherbe.1 Der Verzicht mit Abfindungsregelung kann etwa wie folgt formuliert werden (notarielle Beurkundung erforderlich):

M 102 Pflichtteilsverzicht mit Abfindung … (Verzichtender) verzichtet hiermit mit Wirkung für sich und seine (auch künftigen) Abkömmlinge auf das Pflichtteilsrecht am künftigen Nachlass des … (Erblasser), der diesen Verzicht entgegen- und annimmt. Den Beteiligten ist dabei Folgendes bewusst: Der Verzicht umfasst neben dem „ordentlichen Pflichtteilsanspruch“, der etwa als Folge einer Enterbung entsteht, auch Pflichtteilsergänzungsansprüche und Ausgleichspflichtteilsansprüche als Folge unentgeltlicher lebzeitiger Zuwendungen an Dritte, und zwar gleichgültig, ob diese Ansprüche sich gegen die Erben oder gegen den Beschenkten richten würden. Umfasst ist weiter der Verzicht auf den Pflichtteilsrestanspruch bei Erboder Vermächtniszuwendung unterhalb der „Pflichtteilsquote“ sowie die Möglichkeit, eine unter Beschränkungen oder Beschwerungen (z.B. Vor- und Nacherbfolge, Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnung, Vermächtnisbelastung etc.) erfolgte Erbeinsetzung von diesen Beschränkungen zu befreien oder aber auszuschlagen und anstelle dessen den unbelasteten Pflichtteil in Geld zu verlangen (§ 2306 BGB). Die gesetzliche Erbfolge bleibt jedoch durch diesen Pflichtteilsverzicht unberührt. Will also der Erblasser diese verändern, bedarf es eines Testaments oder Erbvertrags. Auch soweit der Verzichtende und/oder dessen Abkömmlinge jetzt oder künftig durch Testament oder Erbvertrag bedacht sind oder werden, hat der Pflichtteilsverzicht keine über § 2306 BGB hinausgehende Auswirkungen. Der Verzichtende hat also hinzunehmen, ob und in welchem Umfang er durch den Erblasser bedacht wird, sofern nicht zwischen beiden eine Bindung aufgrund eines Erbvertrags besteht. Der Erblasser verpflichtet sich, an den Verzichtenden als Abfindung für die vorstehend erfolgte Abgabe des [gegebenenfalls: gegenständlich beschränkten] Verzichts einen Betrag in Höhe von … Euro zu entrichten, fällig am … und bis zu diesem Zeitpunkt zinsfrei gestundet. 1 Vgl. ausf. hierzu J. Mayer, MittBayNot 1985, 101, und MittBayNot 1997, 85 ff. (mit dem Vorschlag, vorsichtshalber einen weiteren, lediglich schuldrechtlichen Verzicht auf die künftigen Pflichtteilsansprüche beizufügen). Krauß

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137

B IX

Rz. 138

Nichteheliche Partner

[Ggf. bei Befristung über länger als ein Jahr: Den Beteiligten ist bekannt, dass aufgrund dieser zinslosen Befristung über länger als ein Jahr der Abfindungsbetrag einkommensteuerlich zerlegt wird in eine Kapitalsumme und (fiktive, in Höhe von 5,5 % jährlich angenommene), beim Empfänger steuerpflichtige Zinsen]. Auf Wertsicherung (also Anpassung dieses Betrags an die Geldentwertung) und dingliche Sicherung (durch Bestellung eines Pfandrechts oder eines Grundpfandrechts) wird verzichtet. Der Erblasser unterwirft sich wegen dieser Zahlungsverpflichtung der Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in sein Vermögen mit der Maßgabe, dass vollstreckbare Ausfertigung auf Antrag ab Fälligkeitstermin ohne weitere Nachweise erteilt werden kann. Der Anspruch auf die Abfindungsleistung ist abtretbar und vererblich. Der eingangs geschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag ist aufschiebend bedingt. Aufschiebende Bedingung ist die Erfüllung der vorstehend eingegangenen Verpflichtung zur Abfindungsleistung in Haupt- und Nebensache, also einschließlich etwaiger Verzugszinsen ab Fälligkeitstermin in gesetzlicher Höhe (fünf Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszins), oder aber die Erteilung einer schriftlichen Bestätigung des Verzichtenden bzw. seiner Rechtsnachfolger, die jeweils geschuldete Leistung vollständig erhalten zu haben. Die Bedingung ist ausgefallen, wenn die geschuldete Leistung in Haupt- und Nebensache trotz einer nach Eintritt der Fälligkeit schriftlich zu setzenden Nachfrist von mindestens zwei Monaten nicht vollständig erbracht wurde. Der Eintritt der Bedingung ist nicht auf den Tod des Erblassers endbefristet; bis zum Eintritt der Bedingung wird die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs hiermit erbvertraglich verlängert (§§ 2301, 202 Abs. 2 BGB). Teilleistungen sind aufgrund hiermit getroffener und hingenommener Anordnung auf den noch fortbestehenden Pflichtteilsanspruch des Verzichtenden anzurechnen, § 2315 BGB.

2. Bindung durch letztwillige Verfügung aus früheren Verbindungen 138

Der Grundsatz der Testierfreiheit ist eingeschränkt durch frühere Verfügungen von Todes wegen, wenn diese nicht widerrufen werden können und noch über den Tod hinaus Bindungswirkung entfalten. Einzeltestamente, seien es privatschriftliche oder notarielle, sind grundsätzlich frei widerruflich, auch nach dem Tod des im Testament Bedachten (§§ 2253, 2255, 2256, 2258 BGB).

139

Gemeinschaftliche Testamente können zu Lebzeiten des Ehepartners durch notarielle Erklärung gegenüber dem anderen Ehepartner widerrufen werden (§ 2271 BGB). Dem anderen Ehepartner muss eine Ausfertigung (nicht lediglich beglaubigte Abschrift) der Widerrufsurkunde zugehen, die Zustellung sollte zur Beweiserleichterung durch den Gerichtsvollzieher erfolgen (§ 132 BGB).

140

Erbverträge können zu Lebzeiten des anderen Vertragspartners, sofern dort der Rücktritt vorbehalten blieb, oder bei Vorliegen der gesetzlichen Rücktrittsmöglichkeiten gem. §§ 2294, 2295 BGB durch Rücktritt ebenfalls in notarieller Erklärung, der dem anderen Vertragspartner gegenüber zu erfolgen hat, aufgehoben werden. Beim Erbvertrag steht, sofern auf das Selbstanfechtungsrecht im Vertrag nicht verzichtet wurde, außerdem die Anfechtung in den Grenzen des § 2282 BGB zur Verfügung. 564

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Rz. 144

B IX

Ist der andere Ehepartner jedoch verstorben, entfällt beim gemeinschaftlichen Testament und beim Erbvertrag die einseitige Aufhebungsmöglichkeit, zumindest dann, wenn die Erbschaft angenommen wurde. Der Überlebende kann sich von der Bindungswirkung beim gemeinschaftlichen Testament und beim Ehevertrag von wechselbezüglichen Verfügungen nur durch Ausschlagung befreien (§§ 2271 Abs. 2 S. 1, 2298 Abs. 2 S. 3 BGB). Die Ausschlagung muss immer innerhalb der Frist des § 1944 BGB erfolgen, also innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis vom Anfall der Erbschaft oder bei der Berufung aufgrund letztwilliger Verfügung sechs Wochen nach Eröffnung der Verfügung durch das Nachlassgericht, lediglich bei Auslandsaufenthalt im Erbfall verlängert sich die Frist auf sechs Monate. Die Versäumung der Ausschlagungsfrist ist in den Grenzen des §§ 1956, 1954 BGB anfechtbar.

141

Wird die Erbschaft nach dem Zuerstversterbenden nicht ausgeschlagen, bleibt der Überlebende beim gemeinschaftlichen Testament und beim Erbvertrag an die wechselbezüglichen Verfügungen gebunden. Wechselbezüglich sind die Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre (§ 2270 Abs. 1 BGB). Wechselbezügliche Verfügungen in einem Ehegattentestament liegen nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB vor, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Wird ein Verwandter nur eines Ehepartners als Schlusserbe eingesetzt, so spricht dieser Umstand nach der Lebenserfahrung für eine Wechselbezüglichkeit der Verfügung1, was für eine Schlusserbeneinsetzung von gemeinschaftlichen Kindern beider Ehegatten nicht gilt2. Beim Erbvertrag fehlt es, wenn dieser nicht von Ehegatten geschlossen wurde, an einer dem § 2270 Abs. 2 BGB entsprechenden Auslegungsregel, so dass Wechselbezüglichkeit und damit Bindungswirkung auch dann anzunehmen ist, wenn ein Dritter nicht mit den Ehepartnern Verwandter zum Schlusserben eingesetzt worden ist3.

142

Will der Partner, der an die Schlusserbeneinsetzung gebunden ist, zugunsten des nichtehelichen Partners testieren, steht ihm zur Befreiung von der Bindungswirkung gegenüber dem Schlusserben nur der Zuwendungsverzichtsvertrag zur Verfügung (§ 2352 BGB). Nach § 2352 BGB kann der durch das Testament oder Erbvertrag eingesetzte Erbe oder Vermächtnisnehmer durch Vertrag mit dem Erblasser auf die Zuwendung verzichten. Dieser Zuwendungsverzichtsvertrag bedarf der notariellen Beurkundung (§§ 2352 S. 2, 2348 BGB). Er bewirkt zwar nicht die Aufhebung der letztwilligen Verfügung, sondern verhindert nur den Anfall der Zuwendung an den Verzichtenden, wie wenn dieser den Anfall der Erbschaft nicht erlebt hätte4.

143

Während sich der Erbverzicht im Hinblick auf das gesetzliche Erbrecht nach § 2349 BGB auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, wirkte der

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1 OLG Frankfurt v. 9.4.1996 – 20 W 265/95, FamRZ 1996, 1039. 2 BayObLG v. 4.3.1996 – 1Z BR 160/95, FamRZ 1996, 1040. 3 BayObLG v. 10.4.1991 – BReg.1a Z 60/90, FamRZ 1991, 1232 m. Anm. Hohloch; BGH v. 14.3.1991 – I ZR 55/89, MDR 1991, 956 = JuS 1992, 77. 4 Staudinger/Schotten, § 2352 Rz. 27. Krauß

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B IX

Rz. 145

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Erbverzicht auf das Erbrecht aufgrund letztwilliger Verfügung bei Sterbefällen bis zum 31.12.2009 nur für den Verzichtenden1. Nach der Auslegungsregelung des § 2069 BGB werden beim Verzicht des Testamentserben dessen Abkömmlinge berufen. Diese Auslegungsregelung ist jedoch dann nicht heranzuziehen, wenn ein gegenteiliger Wille des Erblassers erkennbar ist, was regelmäßig dann angenommen wird, wenn der Verzichtende vollständig abge-funden wird2. Für Sterbefälle ab dem 1.1.2010 sorgt die erweiterte Verweisung des § 2352 BGB auch auf § 2349 BGB dafür, dass sich der Zuwendungsverzicht ohnehin im Zweifel auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt. 145

Sofern der Zuwendungsverzicht, wie es häufig der Fall ist, mit Abfindungszahlung verbunden ist, können diese wie beim Pflichtteilsverzichtsvertrag i. S. einer auflösenden Bedingung verbunden sein. Es könnte wie folgt formuliert werden (notarielle Beurkundung erforderlich):

M 103 Zuwendungsverzicht gegen Abfindungszahlung 1. Ich… (Sohn) verzichte auf mein gesetzliches Erbrecht und mein Erbrecht aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments meiner Eltern vom 1.1.1995 für mich und meine Abkömmlinge nach meinem Vater. 2. Ich… (Vater) verpflichte mich, meinem Sohn als Abfindung für den von ihm erklärten Verzicht den Betrag von 150 000 Euro bis zum Ablauf von sechs Wochen ab heute zu zahlen. 3. Der Verzicht ist nur wirksam, wenn der Abfindungsbetrag von 150 000 Euro beim Verzichtenden eingegangen ist. Alternativlösung zu 3: 3. Von meinem Vater habe ich zum Bau meines Einfamilienhauses im Jahr 1997 bereits einen Betrag von 150 000 Euro erhalten. Wir sind uns darüber einig, dass diese Zahlung als Abfindung für den heute hier erklärten Verzicht im Voraus geleistet worden ist.

3. „Erbentzug“ wegen nichtehelichen Zusammenlebens? 146

Als Ausfluss der Testierfreiheit kann der Erblasser einen gesetzlichen Erben durch Verfügung von Todes wegen (§ 1938 BGB) von der Erbfolge ausschließen. War das Motiv für die Enterbung bspw. der Umstand, dass das enterbte Kind in „wilder Ehe“ lebte, und hat der Betroffene später geheiratet, kommt eine Anfechtung wegen Motivirrtums, § 2078 Abs. 2 BGB, in Betracht, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser bei Kenntnis der wahren Sachlage die Enterbung nicht getroffen hätte. Entscheidend dabei ist allein, dass der Irrtum kausal war, nicht ob er vermeidbar, unvernünftig, nachvollziehbar o. ä. war oder nicht. Glei1 OLG Stuttgart v. 9.12.1957 – 8 W 329/57, NJW 1958, 347; OLG Stuttgart v. 27.10.1981 – 8 W 507/80, OLGZ 1982, 272; BayObLG v. 4.12.1986 – BReg. 1Z 30/86, Rpfleger 1987, 374. 2 Palandt/Weidlich, § 2352 BGB Rz. 6 m.w.N.; BGH v. 24.10.1973 – IV ZR 3/72, NJW 1974, 43; OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. 566

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ches kann gelten, wenn der Erblasser im Testament zwei Personen bedenkt, in der (irrigen) Annahme, diese seien verheiratet, jedoch zu erkennen gibt, dass er das Zusammenleben „ohne Trauschein“ missbilligt.1 Davon zu trennen ist die Frage der Anfechtungsmöglichkeit des Erbschaftserwerbs aufgrund „Unwürdigkeit“ des Erben, § 2339 Abs. 1 BGB. Jedenfalls nach der älteren Rechtsprechung kann solche Unwürdigkeit auch im Verschweigen einer anderweitigen intimen Beziehung liegen, es sei denn, es handelte sich um einen zurückliegenden Fehltritt, oder die schonungslose Offenlegung gegenüber dem Erblasser hätte dessen Gesundheitszustand gefährdet bzw. unterblieb mit Rücksicht auf das Wohl der Kinder.2 Die Erbunwürdigkeit ergibt sich in diesem Zusammenhang nicht aus dem „Nebenverhältnis“ als solchem, sondern aus der Unaufrichtigkeit gegenüber dem Erblasser, trotz Kenntnis der letztwilligen Verfügung, also im Verstoß gegen den Grundsatz „Wer Vertrauen erwartet, schuldet Offenheit“. Das bloße Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft stellt jedoch – jedenfalls nach der gewandelten gesellschaftlichen Auffassung – keinen Grund dar, den Pflichtteil wegen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels i.S.d. § 2333 Nr. 5 BGB zu entziehen.3

147

Letztwillige Verfügungen enthalten häufig „Wiederverheiratungsklauseln“, die den gemeinsamen Kindern oder sonstigen Schlusserben das Nachlassvermögen möglichst ungeschmälert auch für den Fall der Wiederverheiratung bzw. Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft erhalten sollen. Da solche Klauseln regelmäßig auf die Entstehung neuer Erb- bzw. Pflichtteilsansprüche des hinzutretenden Ehegatten/eingetragenen Lebenspartners abstellen und nicht den Eintritt weiterer fester sozialer Bindungen inkriminieren wollen, kommt eine erweiternde Auslegung für den Fall der Aufnahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht in Betracht, es sei denn, die Klausel zielt erkennbar darauf ab, auch Ansprüche möglicher Kinder aus der neuen Beziehung, auch ohne Trauschein, zu vermeiden.

148

Häufiger finden sich jedoch auflösende Bedingungen bspw. in Wohnungsrechtsvermächtnissen für den Fall, dass dauerhaft eine weitere Person (etwa der künftige Lebensgefährte – Abbedingung des § 1093 Abs. 2 BGB4 –, nicht jedoch Hauspersonal oder Pflegekräfte) in die Wohnung aufgenommen wird. Zur Konkretisierung des Tatbestands, der die auflösende Bedingung bildet, empfiehlt es sich, auf Normen abzustellen, die in der Rechtsprechung bereits eine hinreichende Konkretisierung erfahren haben, etwa i.S.d. § 20 SGB XII oder gem. § 6 Abs. 3 S. 2 BErzGG.

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IV. Lebzeitige Zuwendungen nichtehelicher Partner In der Praxis durchaus häufig sind Fälle, in denen nichteheliche oder lebenspartnerschaftsähnliche Lebensgefährten gemeinsam Investitionen im Eigentum nur eines Beteiligten schaffen, z.B. die Errichtung eines Eigenheims auf Grundbesitz 1 BayObLG v. 27.10.1983 – BReg. 1Z 35/83, FamRZ 1984, 422. 2 Vgl. im einzelnen Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. 2006, S. 334 f. 3 H.M., vgl. Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2003, Rz. 42. 4 Auch der nichteheliche Lebensgefährte zählt zur Familie i.S.d. § 1093 Abs. 2 BGB, BGH v. 7.5.1982 – V ZR 58/81, MDR 1982, 743 = FamRZ 1982, 774 = NJW 1982, 1868. Krauß

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eines Partners (etwa auf dem von dessen Eltern überlassenen Bauplatz). Aufwendungen finanzieller Natur, die nicht für den Konsum oder die gemeinsame Lebensführung bestimmt sind, sondern zu einer dauerhaften Bereicherung des Partners führen, werden regelmäßig nicht als dauerhafte Schenkung gewollt sein, weder im zivilrechtlichen noch schenkungssteuerlichen Sinn (Freibetrag in Steuerklasse III gem. § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG lediglich 20 000 Euro [nach altem Recht gar nur 5 200 Euro], Mindeststeuersatz für den übersteigenden Betrag 30 [nach altem Recht: 17] bis max. 50 %!), vgl. Rz. 184 ff. Laufende Unterstützungsleistungen an einen Lebensgefährten, v. a. soweit dadurch Sozialleistungen vermieden werden, sind einkommensteuerlich als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig1. 1. Zivilrichterliche Rückabwicklung 151

Die Rechtsprechung betont zunächst die rein tatsächliche und damit endgültige Natur von Zuwendungen – laufender oder einmaliger Art2 – während intakter Beziehung. So sei es fernliegend, in der Einräumung der Mitnutzung der im Alleineigentum eines Partners stehenden Wohnung einen „Leihvertrag“ zu sehen; vielmehr beruhe sie i.d.R. auf faktischer, also jederzeit beendbarer Grundlage3 (sog. Abwicklungs-, Abrechnungs- und Verrechnungsverbot)4. Haben die Lebensgefährten hinsichtlich der Tragung der gemeinschaftlichen Kosten (Miete einer gemeinsamen Wohnung) Absprachen getroffen, stehen diese demgemäß (als „anderweitige Bestimmung“ i.S.d. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB) einem Ausgleichsanspruch entgegen.5 Gleiches gilt, wenn die Lebensgefährten auf andere Weise einen Ausgleich für getätigte Investitionen schaffen, etwa durch Einräumung eines dinglichen Wohnungsrechtes6.

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Schlichte Schenkungen liegen (ebenso wenig wie unter Ehegatten) typischerweise nicht vor; der Sachverhalt ist vergleichbar den sog. „ehebedingten Zuwendungen“: Hier wie dort dienen die Zuwendungen der Verwirklichung der Lebensgemeinschaft aufgrund der bestehenden persönlichen Beziehungen und Bindungen, führen jedoch regelmäßig nicht zu einer den Empfänger einseitig begünstigenden und frei disponiblen Bereicherung, sondern sollen der Lebensgemeinschaft und damit auch dem „Schenker“ selbst zugutekommen.7 1 BFH v. 29.5.2008 – III R 23/07, FamRZ 2008, 2026, und zwar ohne Limitierung auf eine „Opfergrenze“. 2 Selbst in nennenswerter Höhe: 40 000 Euro, allerdings nach 17-jährigem Zusammenleben, davon vier Jahre in Pflege: BGH v. 31.10.2007 – XII ZR 261/04, MDR 2008, 147 = FamRZ 2008, 247 = ErbStB 2008, 230. 3 BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, MDR 2008, 1162 = ZNotP 2008, 325. 4 Den inneren Bindungen entsprechen bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft keine Pflichten i.S.d. § 1353 BGB, die im Trennungsfall hinsichtlich der Wohnung sich gem. § 1361b BGB auswirken können. 5 Auch, wenn die erfassten Zahlungspflichten aus der Zeit vor der Trennung erst danach erfüllt worden sind, vgl. BGH v. 3.2.2010 – XII ZR 53/08, MDR 2010, 575 = FamRZ 2010, 542 m. Anm. Wellenhofer = DNotZ 2010, 864. 6 OLG Naumburg v. 2.1.2012 – 8 W 7/11, NotBZ 2012, 479. 7 Vgl. BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, FamRZ 2008, 1822, 1824; Bruch, MittBayNot 2009, 142. Allerdings kann die behauptete Zweckabrede nach BGH v. 6.7.2011 – XII ZR 190/08, FamRZ 2011, 1563 m. Anm. Grziwotz = MDR 2011, 1109 = ZEV 2012, 47 nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, die Möglichkeit des Scheiterns einer Beziehung könne nie ausgeschlossen werden. 568

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Im Einzelfall kann jedoch eine „Rückabwicklung“ von Zuwendungen nach Beendigung des nichtehelichen Zusammenlebens insbesondere auf folgenden Grundlagen beruhen:

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a) Innengesellschaft Werden keine vertraglichen Regelungen getroffen wurden, gewähren die Gerichte1 teilweise auch einen Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung der §§ 730 ff. BGB, sofern durch nicht nur unerhebliche Beiträge des „weichenden“ Beteiligten eine über die Verwirklichung der Lebensgemeinschaft hinausgehende gemeinsame Wertschöpfung als Gesellschaftszweck festgestellt werden kann. Klare Kriterien fehlen, so dass eine Prognose für den Einzelfall nur schwer getroffen werden kann2. Aus Planung, Umfang und Dauer der Zusammenarbeit sollen sich jedoch Indizien für eine schlüssig zustande gekommene „Lebenspartner-Innengesellschaft“ ergeben können3. Dies gilt auch für Arbeitsleistungen, die zu einer messbaren (mindestens 5%igen)4 Vermögensmehrung geführt haben. Erforderlich ist jedoch stets die Absicht, einen „gemeinschaftlichen Wert“ zu schaffen, der nicht nur für die Dauer der Lebensgemeinschaft gemeinsam genutzt werden, sondern beiden auch wirtschaftlich dauerhaft zugutekommen sollte5. Dies ist in erster Linie denkbar bei Vermögenswerten, die zur Einkünfteerzielung dienen (Mietobjekte, Unternehmen, Freiberuflerpraxen), während das Familienwohnhaus eher als Teil der Verwirklichung der nichtehelichen Le1 BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, MDR 2006, 997 = FamRZ 2006, 607 m. zust. Anm. Hoppenz S. 610 und krit. Anm. Volmer S. 844 fordert jedoch einen zumindest schlüssig zustande gekommenen Vertrag (in Abweichung von BGH v. 24.3.1980 – II ZR 191/79, MDR 1980, 736 = FamRZ 1980, 664 = NJW 1980, 1520); vgl. zum Ganzen auch Schlünder/Geißler, ZEV 2007, 64. 2 Ein Ersatz wurde bspw. abgelehnt von BGH v. 1.4.1965 – II ZR 182/62, FamRZ 1965, 368 (Errichtung eines Wohnhauses in gemeinsamer Arbeit), BGH v. 24.3.1980 – II ZR 191/79, BGHZ 77, 55 = MDR 1980, 736 = FamRZ 1980, 664 (Kaufpreiszahlung); BGH v. 23.2.1981 – II ZR 124/80, MDR 1981, 733 = FamRZ 1981, 530 = NJW 1981, 1502 (Ratenzahlung zur Finanzierung eines Pkw); BGH v. 20.1.1983 – II ZR 91/82, MDR 1983, 648 = FamRZ 1983, 349 = NJW 1983, 1055 (Zahlung von Handwerkerrechnungen); BGH v. 3.10.1983 – II ZR 133/82, FamRZ 1983, 1213 (Hausumbau); BGH v. 8.7. 1996 – II ZR 340/95, FamRZ 1996, 1141 = MDR 1996, 1035 = DNotZ 1997, 404 (Zuwendung einer Lebensversicherung); OLG München v. 28.7.1987 – 5 U 2074/87, FamRZ 1988, 58 (Renovierung einer Werkstatt); OLG Köln v. 7.11.1994 – 16 U 58/94, NJW-RR 1996, 518 (Geldbetrag für Geschäftsschulden); OLG Hamm v. 16.1.2001 – 29 U 54/00, FamRZ 2002, 159 (Aufwendungen für Wohnung im Haus der „Schwiegereltern“). Bejaht wurde der Aufwendungsersatz von BGH v. 24.6.1985 – II ZR 255/84, FamRZ 1985, 1232 = NJW 1986, 51 (Bebauung mit zwei Drei-Familien-Häusern als Renditeobjekt); OLG Köln v. 22.7.1992 – 11 U 50/92„ FamRZ 1993, 432 (Bau eines Doppelhauses in Eigenleistung); OLG Frankfurt v. 26.5.1999 – 19 U 98/98, ZEV 1999, 404 (Mitfinanzierung des Hauses); OLG Schleswig v. 20.7.2001 – 14 U 187/00, MittBayNot 2003, 54; vgl. weitere Nachweise bei Grziwotz, Partnerschaftsvertrag für die nichteheliche und nicht eingetragene Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. 2002, Fn. 135. 3 BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, FamRZ 2006, 607(609); vgl. eingehend Schulz, FamRZ 2007, 595 ff. 4 So OLG Schleswig v. 20.7.2001 – 14 U 187/00, MittBayNot 2003, 54. 5 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, FamRZ 2008, 1822, und BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, FamRZ 2008, 1828 m. Anm. Grziwotz. Krauß

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bensgemeinschaft als solchen gesehen werden wird1. Endet die Lebensgemeinschaft durch den Tod des Zuwendenden, sind allerdings Rückforderungsansprüche2 der Erben (ähnlich der Auflösung eines Verlöbnisses durch Tod: § 1301 Abs. 2 BGB) regelmäßig ausgeschlossen3 (vgl. auch Rz. 159); die Erben sind lediglich durch §§ 2325, 2329 BGB geschützt. 155

In keinem Fall ist jedoch ein solcher Ausgleichsanspruch auf Zahlung i.H.d. tatsächlich erbrachten Aufwendungen gerichtet, sondern auf Ausgleich des geschaffenen Mehrwerts, soweit er nach dem Verhältnis der wechselseitigen Beiträge auf den ausscheidenden Partner entfällt. Zugrunde zu legen ist also anders als bei Auflösung einer Ehe in Zugewinngemeinschaft nicht der Halbteilungsgrundsatz für die während des Zusammenlebens geschaffenen Werte. In entsprechender Weise haben Gerichte in allerdings nicht einheitlicher Rechtsprechung4 bei Aufnahme gemeinsamer Kreditverbindlichkeiten dem „scheidenden Partner“ einen Anspruch auf Freistellung gegen den „begünstigten Partner“ zuerkannt, wenn die Kreditaufnahme allein im Interesse des Letzteren erfolgte, also nicht zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele der Lebensgemeinschaft (Möbel, Pkw etc.) diente. b) Bereicherungsrecht

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In Abkehr von der Rechtsprechung des II. Zivilsenats5 hat der nunmehr zuständige XII. (Familienrechts-)Senat des BGH mit Entscheidungen v. 9.7.20086 und 18.2.20097 ausgeführt, dass – sofern keine vorrangigen vertraglichen bzw. quasi vertraglichen Regelungen zur Innengesellschaft feststellbar sind (etwa wegen Fehlens eines über die Lebensgemeinschaft hinausgehenden Zwecks) – eine zumindest teilweise Rückabwicklung auch nach bereicherungsrechtlichen Vorschriften, gestützt auf eine Zweckverfehlung i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB, in Betracht kommt. Erforderlich ist dann jedoch eine konkrete Zweckabrede, wie sie etwa vorliegen kann, wenn die Partner zwar keinen gemeinsamen Vermögenswert schaffen wollten (wie es für die Innengesellschaft erforderlich wäre), der eine aber das Vermögen des anderen in der Erwartung vermehrt habe, an dem geschaffenen Gegenstand langfristig partizipieren zu können. Dies wird die Ausnahme bleiben8; eine über die Ausgestaltung des nichtehelichen Zusam1 Löhnig, DNotZ 2009, 59, 60. 2 Auch hierfür gilt der Erbschaftsgerichtsstand der §§ 27, 28 ZPO: OLG Naumburg v. 27.11.2013 – 1 AR 25/13, FamRZ 2014, 955 = MDR 2014, 410 = ZEV 2014, 170. 3 BGH v. 31.10.2007 – XII ZR 261/06, FamRZ 2008, 247 m. Anm. Grziwotz. 4 Vgl. etwa BGH v. 20.1.1983 – II ZR 91/82, MDR 1983, 648 = FamRZ 1983, 349 = NJW 1983, 1055; OLG Hamm v. 19.10.1999 – 29 U 7/99, FamRZ 2001, 95, OLG Karlsruhe v. 11.2.1993 – 11 U 20/92, FamRZ 1994, 377. Der Freistellungsanspruch bezieht sich allerdings nur auf den Schuldsaldo bei Trennung. 5 Etwa BGH v. 6.10.2003 – II ZR 63/02, FamRZ 2004, 94, sowie BGH v. 8.7.1996 – II ZR 193/95, NJW-RR 1996, 1473. 6 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, FamRZ 2008, 1822, sowie BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, FamRZ 2008, 1828, m. Anm. Grziwotz. 7 BGH v. 18.2.2009 – XII ZR 163/07, FamRZ 2009, 849 = MDR 2009, 693 = ZNotP 2009, 199. 8 Bruch, MittBayNot 2009, 142; Langenfeld, ZEV 2008, 494. Allerdings kann die behauptete Zweckabrede nach BGH v. 6.7.2011 – XII ZR 190/08, NotBZ 2011, 390 m. Anm. Krause nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, die Möglichkeit des Scheiterns einer Beziehung könne nie ausgeschlossen werden. 570

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Rz. 158

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menlebens hinausgehende Zweckbestimmung kommt ohnehin nur bei solchen Leistungen in Betracht, die deutlich über das hinausgehen, was die Gemeinschaft Tag für Tag benötigt1. c) Wegfall der Geschäftsgrundlage Im Einzelfall können schließlich auch unter Lebensgefährten „unbenannte“, sog. „gemeinschaftsbezogene Zuwendungen“2 vorliegen, die wohl nicht der Form des § 518 Abs. 1 BGB unterliegen3. Sie können bei lebzeitigem Scheitern der Lebensgemeinschaft nach § 313 BGB anzupassen sein4 – allerdings auch im Fall der direkten Zuwendung eines Grundstücks selten durch dingliche Rückgewähr, sondern durch finanziellen Ausgleich5. Der BGH6 bejaht (wiederum in Abkehr von der früheren Rechtsprechung) solche Ansprüche, soweit der gemeinschaftsbezogenen Zuwendung, die über alltägliche Beiträge hinaus gehen muss7, die Vorstellung und Erwartung zugrunde lag, die Lebensgemeinschaft, deren Ausgestaltung sie diente, werde Bestand haben (diese Vorstellung muss sich nicht zu einer Zweckabrede i.S.d. Bereicherungsrechts – vgl. oben Rz. 156 – verdichtet haben). Solche Ansprüche können sogar bestehen, wenn die Partner Miteigentümer einer Immobilie je zur Hälfte sind, der eine aber erheblich höhere Beiträge hierzu geleistet hat als der andere8. Häufig ist ferner die Zuwendung eines Vermögenswertes, die der Absicherung des anderen Partners für den Fall dienen soll, dass der Zuwendende während des Bestandes der Lebensgemeinschaft verstirbt9.

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Ein korrigierender Eingriff sei allerdings nur gerechtfertigt, wenn dem Leistenden die Beibehaltung der geschaffenen Vermögensverhältnisse nach Treu und Glau-

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1 BGH v. 18.2.2009 – XII ZR 163/07, FamRZ 2009, 849 = MDR 2009, 693 = ZNotP 2009, 199; beweispflichtig ist der Bereicherungsgläubiger. 2 Bei Arbeitsleistungen spricht BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, MDR 2008, 1275 = FamRZ 2008, 1822 = DNotZ 2009, 52 m. Anm. Löhnig, von einem „Kooperationsvertrag“. 3 Die Frage stellt sich wegen § 518 Abs. 2 BGB praktisch nur bei der Zusage freiwilliger Unterhaltszahlungen; entgegen BGH v. 7.12.1983 – IVa ZR 160/82, MDR 1984, 472 = FamRZ 1984, 141 = NJW 1984, 797 (Anstandsschenkung gem. § 534 BGB) tendiert die neuere Rspr. (OLG Köln v. 22.11.2000 – 11 U 84/00, MDR 2001, 756 = FamRZ 2001, 1608) insoweit zur Formfreiheit, ebenso Wever, FamRZ 2008, 1485 (1491) (Fn. 78) für die ehebedingte Zuwendung. Auch § 1585c S. 2 BGB wird nicht analog gelten. Die Schriftform des § 761 BGB (Leibrentenversprechen) ist jedenfalls mit Leistungserbringung ebenfalls geheilt (BGH v. 17.3.1978 – V ZR 217/75, NJW 1978, 1577). 4 So etwa OLG Naumburg v. 14.2.2006 – 8 W 4/06, NJW 2006, 2418; OLG Düsseldorf v. 31.1.1997 – 7 U 59/96, NJW-RR 1997, 1497; vgl. Schulz, FamRZ 2007, 598 ff. 5 Vgl. Haußleiter/Schulz, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung, Kap. 6 Rz. 122. 6 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, MDR 2008, 1275 = FamRZ 2008, 1822 = MittBayNot 2009, 137 m. Anm. Bruch, sowie BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, FamRZ 2008, 1828, m. Anm. Grziwotz; ihm folgend KG v. 8.10.2009 – 8 U 196/07, NJW-RR 2010, 295. 7 Auch in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist davon auszugehen, dass solche, sich rasch verflüchtigenden Beiträge endgültig unentgeltlich zugewendet sind. 8 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, NJW 2008, 3282. 9 BGH v. 6.5.2014 – X ZR 135/11, FamRZ 2014, 1547: Sparbrief i.H.v. 25 000 Euro ist nach Beendigung der (nur fünf Jahre währenden) Lebensgemeinschaft gem. § 313 BGB zurückzugewähren. Krauß

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Rz. 159

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ben nicht zumutbar sei, insbesondere wenn die Vermögensmehrung beim Anderen noch dauerhaft vorhanden ist1. Der Zinsanteil aus der Bedienung eines Darlehens spiegelt allerdings die laufenden Wohnkosten im gemeinsamen Zusammenleben wider, ist also nicht auszugleichen2, jedenfalls nicht, wenn die Leistungen nicht deutlich über die Miete hinausgehen, die für vergleichbaren Wohnraum aufzuwenden wäre3. Es liegt nahe, im Ergebnis auf die Maßstäbe zurückzugreifen, die für den Ausgleich von Zuwendungen unter Ehegatten im Güterstand der Gütertrennung gelten. Die „faktische Lebensgemeinschaft“ hat sich damit im Fall gemeinsamer Investitionen4 zwischenzeitlich zu einer „ZusammenlebensRechtsgemeinschaft“ fortentwickelt5, ohne dass diesem „Binnenrecht der Solidargemeinschaft“ ein entsprechender Schutz nach außen korrespondiert (etwa hinsichtlich Haushaltsführungsschäden aus Delikt)6. 159

Anders verhält es sich nach h.M., wenn die nichteheliche Lebensgemeinschaft durch den Tod eines Partners beendet wird, und zwar sowohl beim Tod des „spendablen Partners“7 als auch beim Tod des „Zuwendungsempfängers“8: i.d.R. wollen die Beteiligten dann gerade nicht, dass in der Person ihrer Erben Ausgleichsansprüche gegen den anderen entstehen9. Die Geschäftsgrundlage ist dadurch nicht entfallen; auch eine Zweckverfehlung i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB scheidet aus10. Dies entspricht der gesetzlichen Wertung des § 1301 Abs. 2 BGB (Auflösung eines Verlöbnisses durch Tod)11; den Erben stehen allenfalls gesetzliche Ansprüche aus §§ 2325, 2329, 2287 BGB zu, wobei die „wirtschaftliche Ausgliederung“ i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB wohl erst mit Beendigung der Mitnutzung im Rahmen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft eintrat12.

1 Dies hat, so BGH v. 6.7.2011 – XII ZR 190/08, NotBZ 2011, 390 m. Anm. Krause, „wesentliche Bedeutung“. 2 BGH v. 19.9.2012 – XII ZR 136/10, FamRZ 2012, 1789 m. Anm. Hoppenz = MDR 2012, 1288 = DNotZ 2013, 610, Tz. 29. 3 BGH v. 8.5.2013 – XII ZR 132/12, FamRZ 2013, 1295 m. Anm. Grziwotz (instruktiver Überblick S. 1299). 4 Haushaltsführung und „Rückenfreihalten“ werden jedoch nicht berücksichtigt, Kindererziehung nur im Rahmen des Unterhalts nach § 1615l BGB. 5 So plakativ Grziwotz, FamRZ 2008, 1829, der die frühere Ablehnung des auf § 242 BGB gestützten Ansatzes durch den BGH schon zuvor heftig kritisiert hatte: Grziwotz, Partnerschaftsvertrag für die nichteheliche und nicht eingetragene Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. (2002), S. 70. 6 Vgl. Löhnig, DNotZ 2009, 59. 7 BGH v. 25.11.2009 – XII ZR 92/06, MDR 2010, 445 = FamRZ 2010, 277 m. Anm. Grziwotz; hierzu Muscheler, ZEV 2010, 147; Schlögel, MittBayNot 2010, 398. 8 Vgl. OLG Bbd. v. 27.5.2010 – 9 U 2/09 EE 2010, 167 m. zust. Anm. Möller; a.A. allerdings OLG Naumburg v. 3.9.2009 – 1 W 23/09, NJW-RR 2010, 224 (in einem PKHVerfahren) m. zust. Anm. Ruby/Schindler, ZEV 2010, 188. 9 Coester, JZ 2008, 315, 316, Löhnig, DNotZ 2009, 59 (61). 10 BGH v. 25.11.2009 – XII ZR 92/06, MDR 2010, 445 = FamRZ 2010, 277 m. Anm. Grziwotz; hierzu Muscheler, ZEV 2010, 147. 11 BGH v. 31.10.2007 – XII ZR 261/04, MDR 2008, 147 = FamRZ 2008, 247 m. Anm. Grziwotz (sog. „Umbuchungsfall“: Ein krebskranker Partner überwies wenige Wochen vor seinem Tod 40 000 Euro an seine langjährige Lebensgefährtin als „Umbuchung“). 12 Vgl. Schlögel, MittBayNot 2010, 400. 572

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Nichteheliche Partner

Rz. 161

B IX

2. Schenkungsteuer Die Übernahme von Zins- und Tilgungsleistungen auch bzgl. gemeinsamer Darlehen durch den Lebensgefährten über seine Miteigentumsquote hinaus kann1 ferner Schenkungsteuer auslösen2 (immaterielle Haushaltsführungsbeiträge sowie Kindererziehungsleistungen werden vom BFH nicht als „entgelttaugliche Gegenleistung“ gewertet)3. Zinszahlungen als Äquivalent der Nutzungsmöglichkeit (im Unterschied zum Tilgungsanteil) können jedoch bei gemeinsamem Bewohnen wohl unter die Befreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG („angemessener Unterhalt“) subsumiert werden4. Einmalige (Vermögens-)zuwendungen, die über bloße Gelegenheitsgeschenke i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 14 ErbStG hinausgehen, sind in keinem Fall privilegiert5, unterliegen also bei Überschreiten des Basisfreibetrages von 20 000 Euro der 30%igen Besteuerung in Steuerklasse III. Bei gemeinsamen Investitionen bieten sich z.B. gesellschaftsrechtliche Ausweichlösungen mit flexibler Quote an (Rz. 176).

160

Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen (gleich ob vorübergehender oder dauernder Natur, gleich ob schuldrechtlich oder dinglich gewährt, auch in Form einer verbilligten Miete) können grundsätzlich – auch wenn zivilrechtlich mangels Vermögenssubstanzverlustes keine Schenkung i.S.d. §§ 516 ff. BGB vorliegt – der Schenkungsteuer unterliegen6. Anders verhält es sich jedoch bspw., wenn der Eigentümer die Räume, hätte er sie nicht zur Mitbenutzung zur Verfügung gestellt, nicht vermietet7, sondern ausschließlich eigengenutzt hätte oder hätte leerstehen lassen8, da es dann an einer Entreicherung fehlt9. Die Mitbenutzung während der bestehenden Lebensgemeinschaft ist jedoch nicht steuerbar10, anders als die Gewährung eines zinslosen Darlehens, wo immerhin das Eigentum übergeht11. Wird das Mitbenutzungsrecht oder Nießbrauchsrecht dagegen aufschiebend befristet auf das Vorversterben des Eigentümers bestellt, liegt jedoch eine steuerbare Schenkung auf den Todesfall vor12.

161

1 Entgegen früherer Verwaltungsauffassung (BMF v. 3.1.1984, DB 1984, 327), vgl. Grziwotz, FamRZ 2008, 1830. Überblick bei Steiner, ErbStB 2011, 252 ff. 2 In casu wegen Geringwertigkeit der Zuwendung durch FG München v. 3.2.2006 – 4 V 2881/05, EFG 2006, 686 m. Anm. Loose, jedoch nicht besteuert (Zuwendungen i.H.d. üblichen Miete). 3 BFH v. 2.3.1994 – II R 59/92, FamRZ 1994, 887 = BStBl. 1994 II, S. 366; FG Hessen v. 2.4.2009 – 1 K 2778/07, ErbStB 2009, 209. 4 Für analoge Anwendung Schlünder/Geißler, ZEV 2007, 67, für unmittelbare Geltung Weimer, ZEV 2007, 316, da die Norm für gesetzlich geschuldeten und damit nicht freiwilligen Unterhalt ohnehin nicht erforderlich sei. Hinsichtlich des Tilgungsanteils hilft – allerdings nur bei Ehegatten – § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. 5 Von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 463 m.w.N. 6 Vgl. FG München v. 22.3.2006 – 4 K 1631/04, EFG 2007, 779; von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 465. 7 Dann liegt steuerpflichtige Zuwendung vor: FG Rh.-Pf. v. 18.4.2002 – 4 K 1869/01, DStRE 2002, 1078. 8 Gebel, DStZ 1992, 577, 580. 9 Vgl. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 7 Rz. 28. 10 FG Rheinland-Pfalz v. 18.4.2002 – 4 K 1869/01, DStRE 2002, 1078. 11 Vgl. umfassend Cornelius/Loleit, ErbStB 2014, 223 ff. 12 FG München v. 22.3.2006 – 4 K 1631/04, EFG 2006, 1262 m. Anm. Fumi. Krauß

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B IX

Rz. 162

Nichteheliche Partner

3. Gestaltungsalternativen a) Ausdrücklicher Schenkungscharakter aa) Unter Lebenden 162

Soweit solche Sachverhalte in das Gesichtsfeld juristischer Gestaltung gelangen, sollte daher – noch dringlicher als bei ehebedingten Zuwendungen – auf eine vertragliche Regelung gedrängt werden. Diese kann zum einen bestehen in der (mit Risikohinweis und der Verdeutlichung der wirtschaftlichen Folgen verbundenen) Klarstellung, dass es sich tatsächlich um eine Schenkung handele, die allenfalls unter den engen gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 528, 530 BGB rückgefordert werden könne. bb) Auf den Todesfall

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Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall (Lebensversicherung, Wertpapierdepots, Bankkonto- oder Sparguthaben) bieten eine Möglichkeit der Zuwendung von Vermögen am Nachlass vorbei, ohne die Formvorschriften letztwilliger Verfügungen bzw. Schenkungsversprechen von Todes wegen unter Überlebensbedingung (§ 2301 BGB) einhalten zu müssen. Die Bezugsberechtigung im Todesfall kann sogar in abstrakter Form zugunsten „der Lebensgefährtin, mit der die versicherte Person zum Eintritt des Versicherungsfalls in nichtehelicher Lebensgemeinschaft unter gleicher Meldeanschrift lebt“ bestimmt sein1.

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Erfährt der Lebensgefährte vom Abschluss der Lebensversicherung bereits zu Lebzeiten und nimmt diesen Umstand zustimmend zur Kenntnis, ist ein (noch formnichtiger) Schenkungsvertrag geschlossen; Heilung tritt dann bei der (i.d.R. gegebenen) widerruflichen Bezugsberechtigung mit dem Zeitpunkt des Versicherungsfalls ein, bei der unwiderruflichen Bezugsberechtigung sofort2. Erfolgt noch keine Abgabe des Schenkungsversprechens dem Lebensgefährten gegenüber zu Lebzeiten, kann es zum „Wettlauf“ zwischen der Lebensversicherung als Erklärungsbotin des verstorbenen Partners einerseits und den Erben, die den Widerruf erklären werden, andererseits kommen. b) Ehefiktion

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In Betracht kommt weiter – wenngleich selten gewünscht – die (wohl formfreie3) Vereinbarung, sich schuldrechtlich so zu stellen, als bestünde seit Beginn der gemeinsamen Investition eine Ehe mit gesetzlichem Güterstand („Ehefiktion“; an die Stelle der Zustellung eines Scheidungsantrags tritt dann z.B. die schriftliche Erklärung eines der beiden Beteiligten, die Lebensgemeinschaft nicht mehr fortsetzen zu wollen)4.

1 Vgl. von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 478. 2 Vgl. BGH v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02, MDR 2004, 451 = FamRZ 2004, 450 = NJW 2004, 767 (768). 3 A.A. MüKo.BGB/Wacke, 4. Aufl. 2000, Anh. § 1302 Rz. 47. 4 Zur Zulässigkeit einer solchen schuldrechtlichen Regelung Hausmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaft und Vermögensausgleich, S. 109. 574

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Nichteheliche Partner

Rz. 169

B IX

c) Darlehen Häufiger wird jedoch die Aufwendung den Charakter eines Darlehens unter nicht Verheirateten gewinnen1. Die Darlehensgewährung umfasst nur solche Zuwendungen, die unmittelbar der Errichtung bzw. dem Ausbau oder der Ausstattung des genannten Anwesens dienen oder zum Zweck der Tilgung bestehender hauserrichtungsbedingter Verbindlichkeiten erbracht werden. Zuwendungen zur laufenden Unterhaltung und Verwaltung des Anwesens, die Beteiligung an den Kosten des Verbrauchs, der Grundsteuer, Versicherung etc. werden regelmäßig nicht davon erfasst, ebenso wenig i.d.R. die Beteiligung an Schuldzinsen, da diese ein Ausgleich für die durch das gemeinsame Bewohnen vermittelten Nutzungsvorteile darstellen.

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Ebenso wenig werden erfasst Zuwendungen für die Finanzierung anderer Gegenstände der gemeinsamen Lebensführung (Urlaub, Pkw etc.), auch wenn dadurch eine Entlastung des anderen Beteiligten und damit erhöhte Leistungsfähigkeit bei der Übernahme hausbezogener Lasten eintritt. Arbeitsleistungen werden mit einem zu vereinbarenden Stundensatz (i.d.R. acht bis zehn Euro) in den Darlehensverbund einbezogen werden, soweit sie zu Ersparnis von Fremdleistungen i.R.d. Errichtung oder des Ausbaus geführt haben (also nicht bloße Reinigungsoder Haushaltsführungsarbeiten). Es ist ratsam, die Beteiligten zur Führung eines „Wirtschaftsbuchs“ mit periodischer gemeinsamer Abzeichnung als Obliegenheit zu verpflichten.

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Das Darlehen wird regelmäßig bis zur Rückzahlungsfälligkeit unverzinslich sein (die zinsfreie Gewährung bildet weiteren Ausgleich für das Bewohnen und die gemeinschaftliche Nutzung i.R.d. Lebensgemeinschaft). Rückzahlungsfälligkeit wird eintreten bei der Veräußerung des finanzierten Anwesens an einen Dritten, bei der Zwangsvollstreckung von dritter Seite oder Insolvenzeröffnung bzw. Ablehnung der Eröffnung mangels Masse, beim Versterben des Darlehensnehmers, beim Versterben des Darlehensgebers (sofern das Darlehen dann nicht als erlassen gelten soll)2 sowie im Fall einer Kündigung nach mindestens sechsmonatigem Getrenntleben analog § 1567 BGB. Zur Sicherung der Darlehensansprüche und der ab Rückzahlungsfälligkeit geschuldeten Zinsen wird typischerweise eine Grundschuld im Rang nach Fremdfinanzierungsgrundpfandrechten bestellt werden; teilweise wird auch der bedingt rückzahlungspflichtige Partner zum Abschluss einer Risikolebensversicherung angehalten sein.

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Klärungsbedürftig ist auch das Schicksal solcher Aufwendungen im Fall einer künftigen Eheschließung. Folgende Lösungen sind denkbar:

169

(1) Das Darlehen soll in diesem Fall nur für Aufwendungen bis zur Heirat gelten, i.Ü. findet jedoch der Zugewinnausgleich statt; die Darlehensverpflichtung bzw. -berechtigung ist dann im Anfangsvermögen des Ehemannes bzw. der Ehefrau zu berücksichtigen. (2) Denkbar ist natürlich der Fortbestand der Darlehensvereinbarung (dann regelmäßig gepaart mit einer Vereinbarung, dass i.Ü. das Hausanwesen beim 1 Vgl. hierzu N. Meyer, ZNotP 1999, 384ff; Everts, MittBayNot 2012, 258 ff und 337 ff, und Franck, ErbStB 2014, 100 ff. 2 So der Vorschlag von Schlögel, MittBayNot 2009, 109. Krauß

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B IX

Rz. 169

Nichteheliche Partner

Zugewinnausgleich nicht berücksichtigt werden soll, so dass allein das Darlehen zu einer teilweisen Rückvergütung führt). (3) Wird das Darlehen insgesamt aufgehoben, dürfte es sachgerecht sein, den Stichtag für die Bemessung des Anfangsvermögens zurückzubeziehen auf den tatsächlichen Baubeginn, um die bereits in der Vergangenheit (bisher durch das Darlehen i.H.d. Aufwands abgegoltene) tatsächliche Wertsteigerung des Anwesens hälftig (also nicht notwendig i.H.d. Darlehenssumme!) zu erfassen.1 (4) Häufig werden jedoch solche tatsächlich gemeinschaftlich finanzierten Investitionen nach Heirat zur ehebedingten Zuwendung in Höhe eines Halbanteils am Grundbesitz führen, im Rahmen dessen die bisherige Darlehensvereinbarung, möglicherweise auch die Rückbeziehung des Zugewinnausgleichsstichtags aufgehoben werden können. Eine solche Gesamtvereinbarung in Form einer Darlehensgewährung könnte bspw. wie folgt getroffen werden:

M 104 Darlehensvertrag zur Investitionsabsicherung unter Lebensgefährten I. Grundbuch- und Sachstand Das Grundbuch des Amtsgerichts München für … Blatt … wurde am … eingesehen. Dort ist im alleinigen Eigentum des Herrn … (nachstehend „Darlehensnehmer“) folgender Grundbesitz eingetragen:… Flst. Nr. … Frau … – nachstehend „Darlehensgeber“ genannt – trägt durch Zuwendungen aus ihrem Vermögen und Einkommen zur Errichtung und zur Tragung des Schuldendienstes für den geplanten Hausausbau und dessen Ausstattung bei. Diese Beiträge erfolgen insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, durch Mitbeteiligung an der Finanzierung (Verzinsung und Tilgung), Verauslagung von Materialkosten und Handwerkerrechnungen bei der Errichtung des Anwesens sowie durch die Übernahme solcher Arbeiten, für die sonst Handwerkerleistungen zugekauft werden müssten. Ggf: Die Betreuung des gemeinsamen Kindes, mit welchem Frau … schwanger ist, wird bis zu dessen … Lebensjahr als gleichwertiger Beitrag zum Zins- und Tilgungsdienst des Herrn … bezüglich des gemeinsam aufgenommenen Darlehens bei der … Bank angesehen. Da der Darlehensgeber nicht Miteigentümer des Grundstücks ist und dies – jedenfalls bis zu einer eventuellen Heirat zwischen beiden Beteiligten – nach dem übereinstimmenden Willen beider Beteiligten auch nicht werden soll, erfährt dadurch das Vermögen des Darlehensnehmers eine Mehrung, die ihm jedoch nicht schenkweise zugewendet werden soll. Vielmehr ist der Darlehensnehmer bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen zur Rückgewähr der erlangten Vorteile verpflichtet. Zur Regelung dieser Rechtsverhältnisse treffen die genannten Beteiligten die folgende 1 Vgl. Mayer, ZEV 1999, 387 mit Formulierungsvorschlag. 576

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Rz. 169

B IX

II. Darlehensvereinbarung 1. Der Darlehensgeber gewährt dem Darlehensnehmer in Form eines Darlehens Geldzuwendungen zur Durchführung des oben bezeichneten Vorhabens. Hierzu regeln die Beteiligten: a) Von dieser Darlehensvereinbarung umfasst und somit ausgleichspflichtig sind nur solche Zuwendungen, die unmittelbar der Errichtung bzw. Ausbau und Ausstattung des genannten Anwesens dienen oder zum Zweck der Verzinsung oder Tilgung bezüglich der hauserrichtungsbedingten Verbindlichkeiten erbracht werden. Zuwendungen, die lediglich der laufenden Unterhaltung und Verwaltung des Anwesens dienen (z.B. auch Beteiligung an den Kosten der Grundsteuer, der Brandversicherung etc.) werden hierbei nicht erfasst; sie bilden einen Ausgleich für die durch das gemeinsame Bewohnen vermittelten Nutzungsvorteile. Ebenso wenig werden erfasst Zuwendungen des Darlehensgebers für die Finanzierung anderer Gegenstände, etwa eines Pkw, auch wenn dadurch eine Entlastung des Darlehensnehmers und erhöhte Leistungsfähigkeit bei der Übernahme der hausbezogenen Lasten eintritt. Soweit die Beteiligten auch solche nicht unmittelbar hausbezogenen Zuwendungen als darlehensweise gewährt behandeln möchten, werden sie dies im nachstehend (b) genannten Wirtschaftsbuch vermerken. b) Die Beteiligten sind verpflichtet, Aufzeichnungen über Art, Zeitpunkt und Höhe der jeweiligen Einzelzuwendung, die durch diese Darlehensvereinbarung erfasst werden soll, vorzunehmen. Diese können etwa in Form eines „Wirtschaftsbuchs“ erfolgen. Den Eintragungen sind, sofern einschlägig, Belege beizufügen, die zumindest bis zur gemeinsamen Unterzeichnung und damit Genehmigung der Eintragungen aufzubewahren sind; eine solche abschnittsweise Genehmigung soll in regelmäßigen Abschnitten, mindestens jedoch auf Verlangen eines Partners, erfolgen. Bei der Eintragung in das Wirtschaftsbuch haben sich die Beteiligten auch darüber ins Benehmen zu setzen, wie etwaige Zuwendungen, die nicht unmittelbar in Geld stattfinden, zu bewerten sind. Die Beteiligten gehen derzeit davon aus, dass die Ableistung von Arbeitsstunden im Zusammenhang mit der Errichtung des Anwesens nur dann zu berücksichtigen ist, wenn sonst hierfür Handwerkerleistungen in Anspruch zu nehmen gewesen wären, und dass – sofern keine Festlegung erfolgt – für jede solche Arbeitsstunde acht Euro zu veranschlagen ist. c) Ausdrücklich wird klargestellt, dass eine Verpflichtung des Darlehensgebers zur Leistung eines bestimmten Mindestaufwands in Geldzuwendungen oder geldwerten Zuwendungen ausdrücklich nicht vereinbart wird, auch nicht während der Dauer der zwischen den Beteiligten derzeit bestehenden eheähnlichen Lebensgemeinschaft. 2. Bis zum Eintritt der Rückzahlungsfälligkeit des Darlehens ist dieses nicht zu verzinsen; die zinsfreie Gewährung bildet einen weiteren Ausgleich für die durch das gemeinschaftliche Bewohnen des Anwesens im Rahmen der Lebensgemeinschaft vermittelten Nutzungsvorteile. Ab Eintritt der Rückzahlungsfälligkeit ist der dann offene Betrag bis zur tatsächlichen Tilgung in Höhe von vier vom Hundert über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen. Die Zinsen sind quartalsweise im Nachhinein, spätestens jedoch mit der Hauptsache selbst, zur Zahlung fällig. Die Geltendmachung eines höheren Verzugsschadens bleibt vorbehalten. Krauß

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B IX

Rz. 169

Nichteheliche Partner

3. Die Rückzahlungsfälligkeit des dann gesamt geschuldeten Betrags tritt ein, wenn einer der nachstehenden Umstände verwirklicht wird, sofern die Beteiligten nicht einvernehmlich etwas anderes im konkreten Anwendungsfall bestimmen: a) Bei Veräußerung des finanzierten Anwesens (d.h. nicht lediglich unbebauter Grundstücksteile) an einen Dritten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine entgeltliche, teilentgeltliche oder unentgeltliche Veräußerung handelt; die Fälligkeit tritt binnen eines Monats nach dem Zeitpunkt der Veräußerung (Datum der notariellen Beurkundung) ein. b) Wenn die Zwangsvollstreckung von dritter Seite in den Pfandgegenstand oder der Grundschuld verhaftetes Zubehör betrieben wird, es sei denn, sämtliche Maßnahmen werden binnen drei Monaten aufgehoben, oder wenn über das Vermögen des Schuldner das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird, oder wenn der Schuldner die Richtigkeit seines Vermögensverzeichnisses an Eides statt versichert – in jedem dieser Fälle tritt die Fälligkeit mit Eintritt des jeweiligen Umstandes ein. c) Bei Versterben des Darlehensnehmers oder bei Versterben des Darlehensgebers; die Fälligkeit tritt in jedem dieser Fälle binnen drei Monaten nach dem Ableben ein und wirkt zugunsten bzw zulasten der Erben [alternativ: bei Versterben des Darlehensnehmers; die Fälligkeit tritt drei Monate nach dem Ableben ein. Bei Versterben des Darlehensgebers gilt Nr. 5]. d) Sofern die für das Darlehen nachstehend bestellte Grundschuld nicht die bedungene Rangstelle erhält, ihre Rechtswirksamkeit bestritten wird oder der vereinbarte Grundschuldrang nicht bis zur vollständigen Erfüllung aller Darlehensverpflichtungen bzw. dem Erwerb des Halbanteils erhalten bleibt; die Bestellung tritt binnen zwei Monaten nach Zurückweisung des Antrags auf Eintragung der Grundschuld am bedungenen Rang ein. e) Im Fall einer Kündigung des Darlehens im Ganzen oder in Teilen (in Höhe des gekündigten Betrags); die Fälligkeit tritt dann binnen drei Monaten nach Eingang der Kündigung (Übergabe-Einschreiben mit Rückschein oder öffentliche Zustellung) ein. Eine solche Kündigung kann jedoch durch den Darlehensgeber nur dann ausgesprochen werden, wenn die Beteiligten seit mindestens sechs Monaten getrennt leben, d.h. die zwischen den Beteiligten derzeit bestehende ehe-ähnliche Lebensgemeinschaft in analoger Anwendung der eherechtlichen Getrenntlebensbestimmungen (§ 1567 BGB) seit mindestens sechs Monaten nicht mehr besteht. Ein sonstiges, freies Kündigungsrecht wird ausdrücklich nicht vereinbart. Ausdrücklich wird klargestellt, dass eine frühere Tilgung – auch unabhängig von einem die Rückzahlungsfälligkeit bedingenden Umstand – dem Darlehensnehmer jederzeit möglich ist. 4. Sollten wir heiraten, bleiben die Vereinbarungen dieses Darlehens unberührt für alle Aufwendungen, die bis zur Heirat getätigt wurden, erfasst jedoch keine künftigen Aufwendungen mehr. Die Rückzahlungsfälligkeit für den erreichten Schuldsaldo kann unter den oben genannten Voraussetzungen (wobei § 1567 BGB unmittelbar, nicht nur entsprechend gilt) eintreten. Für nach Heirat getätigte Aufwendungen sollen die gesetzlichen Regelungen zum Zugewinnausgleich gelten bzw. deren ehevertragliche Abänderung. Darlehensschuld bzw. -anspruch sind bei Durchführung eines Zugewinnausgleichs im Anfangsvermögen zu berücksichtigen. Wir wurden auf alternative Regelungsmöglichkeiten hingewiesen 578

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Rz. 169

B IX

(z.B. die ehevertragliche Rückbeziehung des Anfangsvermögensstichtags auf den Beginn der Baumaßnahmen), wünschen diese jedoch derzeit nicht. Sollte nach Eheschließung der zuwendende Partner Miteigentum am Objekt übertragen erhalten, werden wir im Rahmen der Zuwendungsurkunde festlegen, ob dadurch die bereits entstandenen Pflichten aus dem Darlehensverhältnis aufgehoben sind. Treffen wir keine andere Regelung, ist dies bei mindestens hälftiger Beteiligung am Objekt der Fall. 5. Die Ansprüche aus dieser Darlehensvereinbarung sind auf Gläubigerseite nicht abtretbar oder verpfändbar. [Ggf: Stirbt der Darlehensgeber, bevor die Fälligkeit des Darlehens gem. Nr. 3 eingetreten ist, ist der nicht getilgte Darlehensbetrag erlassen; es handelt sich um eine auf den Todesfall aufgeschobene Schenkung]. Eine Anpassung oder Änderung dieser Vereinbarungen in einvernehmlicher Form behalten sich die Beteiligten ausdrücklich vor, vereinbaren jedoch hierfür das Erfordernis schriftlicher Niederlegung und Unterzeichnung durch beide Beteiligten. Erfüllungsort ist der Wohnsitz der Gläubigerin. Sämtliche Zahlungen sind auf ein noch bekanntzugebendes Konto der Gläubigerin zu bewirken. Die Überweisungen erfolgen auf Kosten und Gefahr des Schuldners. 6. Zur Sicherung der Ansprüche aus dieser Darlehensvereinbarung vereinbaren die Beteiligten nachstehend die Bestellung eines Grundpfandrechts am finanzierten Anwesen im Rang nach den zur Fremdfinanzierung erforderlichen Eintragungen. III. Grundschuldbestellung und weitere Absicherung (sofern gewünscht) Zur Sicherung des Anspruchs der Gläubigerin bestellt Herr … daher zugunsten von Frau … eine Grundschuld ohne Brief in Höhe von … Euro (in Worten Euro …) nebst 18 v.H. Jahreszinsen ab heute, die nachträglich jeweils am 31.12. eines Jahres fällig sind, und einer einmaligen, sofort fälligen Nebenleistung in Höhe von fünf v.H. und bewilligt und beantragt deren Eintragung am Vertragsobjekt im Grundbuch an zunächst nächstoffener Rangstelle mit der Maßgabe, dass – der jeweilige Eigentümer der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde unterworfen ist (§ 800 ZPO), – die Abtretung der Grundschuld der Zustimmung des jeweiligen Eigentümers bedarf, was hiermit vereinbart ist. Die Grundschuld wird hiermit gekündigt; der Zugang der Kündigung wird bestätigt. Der Gläubiger wird an einer Abtretung der Grundschuld an etwaige Finanzierungsgläubiger mitwirken, sofern sichergestellt ist, dass die dadurch zu sichernKrauß

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B IX

Rz. 170

Nichteheliche Partner

den Darlehen der Tilgung der Darlehensrestschuld dienen. Aus diesem Grunde wurden Zinsen und Nebenleistungen der Grundschuld denen eines Grundpfandrechts bei Fremdfinanzierung vergleichbar gestaltet. III. Rangvorbehalt Der Eigentümer behält sich die einmal ausübbare Befugnis vor, im Rang vor dem hier bestellten Grundpfandrecht für beliebige Gläubiger Grundpfandrechte bis zum Gesamtbetrag von … Euro nebst Zinsen bis zu 20 % jährlich und einmaligen Nebenleistungen bis zu 10 % des Hauptsachebetrages jeweils ab dem Tag der Bestellung eintragen zu lassen. Die Eintragung des Rangvorbehaltes bei vorbestelltem Grundpfandrecht wird bewilligt und beantragt. Eine Verpflichtung des Schuldners zum Abschluss einer Risikolebensversicherung mit Einsetzung des Gläubigers als Bezugsberechtigten besteht ausdrücklich nicht. Auf Vollstreckungsunterwerfung in das sonstige Vermögen des Schuldners wegen eines abstrakt anzuerkennenden Betrages wird derzeit trotz notariellen Hinweises verzichtet. IV. Abschriften und Ausfertigungen Die Kosten dieser Urkunde und ihres Vollzuges trägt der Schuldner. Von dieser Urkunde erhalten die Beteiligten und das Grundbuchamt je eine Ausfertigung [im Falle des Erlasses der Restschuld nach dem Tod des Darlehensgebers: ferner das Finanzamt – Schenkungsteuerstelle – eine beglaubigte Abschrift].

d) Wohnungsleihe 170

Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung, auch aufschiebend befristet auf den eigenen Todesfall, an den Lebensgefährten, stellt nach überwiegender Auffassung (vgl. Rz. 181) zivilrechtlich keine Schenkung dar, so dass insbesondere keine Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2325 BGB) der Verwandten des verstorbenen Lebensgefährten ausgelöst werden und – sofern letzterer hinsichtlich der Erbfolge gebunden war – auch keine „Verfolgungsrechte“ zugunsten des Vertragserben i.S.d. § 2287 BGB bestehen1. Die Existenz der nichtehelichen Lebensgemeinschaft an sich genügt nicht als Nachweis des ausreichenden „lebzeitigen Eigeninteresses“ zur Abwehr der §§ 2287 ff. BGB2.

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Die Vereinbarung einer Leihe ist nach der Rechtsprechung des IV. und des V. Senats des BGH selbst dann formfrei zulässig, wenn das Kündigungsrecht auf Lebenszeit des Verleihers ausgeschlossen wird, der begünstigte Partner als Entleiher also auf den Tod des Leihers „fest“ eingesetzt ist: Es sollen weder § 2301

1 Vgl. BGH v. 11.7.2007 – IV ZR 218/06, ZEV 2008, 192 m.w.N.; teilweise kritisiert durch die Lit., vgl. J. Mayer, ZEV 2008, 192; Frieser, ErbR 2008, 34, 37 ff., wonach ein langfristiger Leihvertrag einer Substanzverlagerung gleichkomme. 2 OLG Köln v. 30.9.1991 – 2 W 140/91, FamRZ 1992, 607 = NJW-RR 1992, 200. 580

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Nichteheliche Partner

Rz. 173

B IX

BGB noch § 518 BGB gelten1. Der Familiensenat des BGH hat jedoch diese Frage ausdrücklich offengelassen und tendiert demnach wohl dazu, dass die notarielle Beurkundung nach §§ 518, 2301 BGB Wirksamkeitserfordernis sei2. Werden keine vom Gesetz abweichenden Regelungen getroffen, kann der Verleiher jedoch das Dauerschuldverhältnis jederzeit kündigen; bei einer Veräußerung der verliehenen Sache gilt § 566 BGB nicht analog3. Wird zur Vermeidung solcher zivilrechtlicher Schwächen ein Wohnungsrecht bzw. Nießbrauchsrecht auf den Todesfall zugewendet, stellt dies jedoch eine Schenkung dar4. Erbschaftsteuerlich ist auch die Leihe auf den Todesfall als Erwerb von Todes wegen gem. § 3 Abs. 1 ErbStG steuerbar5. e) Miteigentümervereinbarungen Auch bei originärem Miteigentum beider Lebensgefährten können Regelungen erforderlich sein. Denkbar sind Erwerbsrechte eines Partners (regelmäßig zum anteiligen Verkehrswert, den im Dissensfall ein Sachverständiger als Schiedsgutachter zu ermitteln hat), v. a. aber Ausführungen zur Frage, ob Abweichungen von der quotenentsprechenden Tragung der Finanzierungslasten bei Veräußerung gänzlich unbeachtlich bleiben sollen (analog der Situation beim gesetzlichen Güterstand), nur für bestimmte Zeiträume (Erziehung eines gemeinsamen Kindes) außer Betracht bleiben sollen oder aber zu einer entsprechenden disquotalen Beteiligung am Veräußerungsnettoerlös führen.6

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Eher abzuraten ist von pauschalen Ausschlüssen des Versteigerungsrechtes – in mancher sonst ausweglosen Situation stellt die (Drohung mit der) Teilungsversteigerung das einzige Druckmittel zu vernünftigem Verhandeln dar. Haben Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft beim gemeinsamen Erwerb einer Immobilie die Teilungsversteigerung ausgeschlossen, liegt7 im Scheitern der Lebensgemeinschaft kein Wegfall der Geschäftsgrundlage! Auch der Sterbefall ist kein wichtiger Grund, der gem. § 749 BGB zur Aufhebung der Gemeinschaft berechtigen würde8. Naheliegend ist jedoch, im Rahmen einer Nutzungsvereinbarung nach §§ 745, 1010 Abs. 1 BGB die Weiterbenutzung der gemeinsamen Wohnung nach dem Tod des Partners zu regeln9:

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1 Grundlegend BGH v. 11.12.1981 – V ZR 247/80, BGHZ 82, 354 = MDR 1982, 394, bestätigt durch BGH v. 11.7.2007 – IV ZR 218/06, ZEV 2008, 192, m. Anm. J. Mayer; DNotI-Gutachten v. 19.12.1997, Nr. 1227, jedoch offengelassen in BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, BGHZ 176, 262 = MDR 2008, 1162. 2 BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, BGHZ 176, 262, Tz. 20 = MDR 2008, 1162. 3 BGH v. 17.3.1994 – III ZR 10/93, BGHZ 125, 293, 301; OLG Köln v. 23.4.1999 – 19 U 13/96, NJW-RR 2000, 152. 4 BGH v. 27.9.1995 – IV ZR 217/93, NJW-RR 1996, 133; OLG Karlsruhe v. 18.3.1999 – 17 U 19/97, ZEV 2000, 108, 109. 5 FG München v. 24.1.2007 – 4 K 816/05, EFG 2007, 779. 6 Formulierungsvorschläge bei Mayer, ZEV 2003, 454 ff. 7 Nach BGH v. 6.10.2003 – II ZR 63/02, FamRZ 2004, 94 = MDR 2004, 154 = DStR 2004, 50. 8 LG Konstanz v. 12.12.2008 – 2 O 410/08 D, ZErb 2010, 247. 9 Angelehnt an Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, § 15 Rz. 101. Krauß

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B IX

Rz. 174

Nichteheliche Partner

M 105 Nutzungsabrede zur Sicherung des Lebensgefährten Herr … und Frau … vereinbaren als Miteigentümer der gemeinsam genutzten Immobilie … (Grundbuch von … Blatt …), dass ab dem Tod des Erstversterbenden der verbleibende Miteigentümer das Recht hat, den Grundbesitz zu eigenen Wohnzwecken auf Lebenszeit zu nutzen. Die Nutzungsvereinbarung ist auflösend bedingt für den Fall, dass die Miteigentümer zum Zeitpunkt des Ablebens des Erstversterbenden den Grundbesitz nicht mehr in nichtehelicher Lebensgemeinschaft (§ 20 SGB XII) gemeinsam bewohnen. Die Nutzung ist nur zu gewähren, wenn der Berechtigte die für das Objekt anfallenden laufenden Unkosten (Grundsteuer, Umlage an die Hausverwaltung, Versicherungskosten), die Schönheitsreparaturen sowie die Verbrauchskosten trägt. Im Übrigen gelten die Vorschriften über die Leihe, §§ 598 ff. BGB, entsprechend, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Kündbarkeit. Die Beteiligten beantragen und bewilligen die Eintragung der aufschiebend befristeten und auflösend bedingten Nutzungsvereinbarung in das Grundbuch bei beiden Miteigentumsanteilen an nächstoffener Rangstelle.

f) Erwerbsrechte 174

In Betracht kommt weiterhin, bereits im Zeitpunkt der gemeinsamen Investition ein- oder gegenseitige Erwerbsrechte, gerichtet auf den Miteigentums- bzw. Gesamthandsanteil des anderen Partners, für den Fall des Scheiterns der Lebensgemeinschaft zu vereinbaren. Solche „Ankaufsrechte“ dürften – vergleichbar Rückforderungsrechten bei Ehegattenzuwendungen für den Fall des Scheiterns der Ehe, gestützt auf den Rechtsgedanken des § 852 Abs. 2 ZPO (Zugewinnausgleich)1 – nicht pfändbar sein. Regelungsbedürftig ist: (1) zum einen, wer bei gegenseitigen Ankaufsrechten zunächst zur Ausübung befugt ist. Denkbar ist bspw., insoweit auf die Höhe der bisher erbrachten Tilgungsleistungen abzustellen (wobei zur Vermeidung von Missbräuchen Sondertilgungen nach Eintritt der Trennung oder auch in einem knappen Rückwirkungszeitraum zuvor nicht mehr berücksichtigt werden sollten)2 oder aber demjenigen Partner, der gemeinsame Kinder bis zu einem bestimmten Lebensalter betreut, das Vorrecht zu gewähren3 oder aber das Los entscheiden zu lassen4. (2) Festzulegen ist weiterhin der Übernahmepreis (anteiliger Verkehrswert, der ggf. durch einen Sachverständigen als Schiedsgutachter festzusetzen ist, oder aber anteiliger Verkehrswert abzgl. eines „Lebensgefährtenabschlags“ von 1 Vgl. BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 102/02, MDR 2003, 776 = DNotZ 2004, 298; ebenso Schlögel, MittBayNot 2009, 102. Das LG Koblenz, RNotZ 2001, 391, bejaht allerdings die Pfändbarkeit der Annahmebefugnis aus einem Angebot des Vaters an den Sohn nach Übertragung eines GmbH-Geschäftsanteils. 2 Vgl. Schlögel, MittBayNot 2009, 108. 3 So etwa Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte, Rz. 1715, im Rahmen einer Ehegattengesellschaft. 4 So Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte, Rz. 1708 unter Bezugnahme auf Langenfeld, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen, 5. Aufl. (2005), Rz. 1217. 582

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 174

B IX

bspw. 15 % oder aber die tatsächliche Höhe des eingebrachten Eigenkapitals zuzüglich einer geringen Verzinsung, wobei jedoch insoweit – vergleichbar der Darlehenslösung, s. Rz. 166 ff. – Beiträge zu laufenden Aufwendungen und wohl auch die Tragung der Zinslasten, als Äquivalent zur ersparten Miete, nicht berücksichtigt werden können). (3) Zu bestimmen ist weiter die Ausübungsfrist; nach deren fruchtlosem Ablauf wird dasselbe Erwerbsrecht dem anderen Partner zustehen; macht keiner der Partner hiervon Gebrauch, wird teilweise vereinbart, dass sodann jeder der Beteiligten die Mitwirkung beim Verkauf an Dritte verlangen kann, sofern mindestens 90 % des von einem Sachverständigen ermittelten Verkehrswerts erzielt werden. Besteht die Befürchtung, dass die Erfüllung der wechselseitigen Erwerbsrechte bei Miteigentumsanteilen durch (auch fraudulente) Belastung oder rasche Veräußerung vereitelt werden kann, sollten die bedingten Ansprüche durch wechselseitige Vormerkungen gesichert werden.

M 106 Wechselseitige Erwerbsrechte unter Lebensgefährten bei Scheitern der Beziehung Herr … und Frau … (nachstehend jeweils „Partner“ genannt) erwerben die Eigentumswohnung … grundbuchlich zu je hälftigem Miteigentum. Im Fall einer Trennung – diese gilt als erfolgt, wenn ein Partner sie dem anderen per Einschreiben mitgeteilt hat – bestehen wechselseitige Erwerbsrechte hinsichtlich des Miteigentumsanteils des anderen Partners nach folgender Maßgabe: 1. Zunächst ist binnen eines Monats nach Zugang des die Trennung herbeiführenden Einschreibens derjenige Partner zum Erwerb berechtigt, der bis zum Zeitpunkt der Trennung einen höheren Anteil an den Tilgungsaufwendungen des gemeinsam eingegangenen Darlehens sowie der unmittelbar von ihm getragenen Anschaffungs- und Herstellungkosten erbracht hat. Wird das Erwerbsrecht in diesem Zeitraum nicht ausgeübt, steht es dem anderen Partner inhaltsgleich binnen eines weiteren Monats zu. 2. Dem zur Übertragung verpflichteten Partner ist die Summe der von ihm erbrachten Tilgungsleistungen sowie der von ihm in Geld erbrachten Anschaffungs- und Herstellungsaufwendungen zu erstatten, zuzüglich eines Aufschlags von fünf Prozent als pauschalem Zinsausgleich, fällig binnen sechs Wochen nach Beurkundung des notariellen Übertragungsvertrags, in dem das Ankaufsverlangen erfüllt werden soll. Darüber hinaus ist der zur Übertragung verpflichtete Partner von gemeinsam eingegangenen objektbezogenen Verbindlichkeiten auch im Außenverhältnis freizustellen (befreiende Schuldübernahme oder Ablösung durch ein neues Darlehen des Übernehmenden bzw. Sondertilgung des gesamten Darlehens). Die Umschreibung des zu übertragenden Miteigentumsanteils darf erst nach Erstattung des Eigenkapitalbeitrags und Befreiung von den objektbezogenen Verbindlichkeiten erfolgen. 3. Zur Sicherung der wechselseitigen Erwerbsrechte wird die Eintragung je einer Vormerkung am Miteigentumsanteil zugunsten des anderen Partners bewilligt und beantragt. 4. Macht keiner der Partner von seinem Erwerbsrecht Gebrauch, sind beide Partner auf Verlangen auch nur eines Partners verpflichtet, das gemeinsam gehaltene Krauß

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B IX

Rz. 175

Nichteheliche Partner

Objekt nach der Trennung an Dritte zu veräußern. Dem Verlangen muss nur Folge geleistet werden, wenn dabei mindestens 90 Prozent des Verkehrswerts des Objekts erzielt werden. Der Verkehrswert wird im Dissensfall durch den Gutachterausschuss – für beide Teile verbindlich als Schiedsgutachter – bestimmt. Aus dem Erlös des Drittverkaufs sind zunächst gemeinsame objektbezogene Verbindlichkeiten zu tilgen; der Restbetrag steht beiden Partnern im Verhältnis ihrer Eigenkapitalbeiträge zu.

g) Innengesellschaft 175

Auch die ausdrückliche Begründung einer Innengesellschaft1 (zu deren richterlicher Schöpfung Rz. 154 f.) kommt in Betracht, ggf. mit reduziertem Abfindungsanspruch bei Kündigung, und gänzlichem Ausschluss von Ausgleichsansprüchen im Todesfall). Da kein Gesamthandsvermögen gebildet wird, ist der Vorgang grunderwerbsteuerlich irrelevant; andererseits unterliegt der Eigentümer uneingeschränkt dem Gläubigerzugriff Dritter. Zur partiellen2 Investitionssicherung können schließlich wechselseitige Zuwendungen auf den Todesfall vereinbart sein. h) Außengesellschaft bürgerlichen Rechts

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Besonders günstig erscheint die GbR-Lösung als Erwerbsform bei ungewissen künftigen Finanzierungsbeiträgen (z.B. zweier Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft), da sie „bewegliche Beteiligungsquoten“ ermöglicht. Würde die starre Bruchteilsgemeinschaft gewählt, könnten überobligationsmäßige Finanzierungsbeiträge eines Beteiligten nämlich Schenkungsteuer gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auslösen, sobald sie über den geringen Freibetrag hinausgehen, vgl. Rz. 160 f.3

M 107 Erwerbende GbR; bewegliche Beteiligungsquoten Die Erwerber erklären, dass die jeweilige Beteiligung am Vermögen der erwerbenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie am Liquidationserlös und etwaigen laufenden Gewinnen, ebenso die für die Abfindung eines Gesellschafters beim Ausscheiden maßgebliche Höhe der Beteiligung, dem Anteil des Gesellschafters an den jeweils zum Ende eines Kalenderjahres insgesamt ab heute geleisteten Finanzierungs- und Investitionsbeiträgen zueinander entspricht. Als zu berücksichtigende Beiträge gelten dabei Eigenkapitalleistungen auf die vereinbarten Gegenleistungen und künftige Aufwendungen zur Instandhaltung des Objekts sowie Bestandserweiterungen (nicht jedoch bloße Unterhaltungsmaßnahmen) sowie Tilgungsleistungen auf objektbezogene Darlehen (nicht jedoch Zinszahlungen, ebenso wenig laufende Kosten wie Grundsteuer, Versicherung, Verbrauchskosten, Reparaturen etc.). Arbeitsleistungen werden zusätzlich berücksichtigt, wenn hierdurch Fremdhandwerkerleistungen erspart wurden, al1 Zu den Anforderungen an eine Innengesellschaft BGH v. 12.11.2007 – II ZR 183/06, MittBayNot 2008, 233. 2 Nämlich auf den Todesfall begrenzten, also nicht z.B. den Fall der Trennung berücksichtigenden. 3 Vgl. von Proff zu Irnich, RNotZ 2008, 325; zur „Finanzierungs-GbR“ auch Milzer, NJW 2008, 1621. 584

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 176

B IX

lerdings nur in Höhe eines Stundenwerts von 15 Euro. Dienstleistungen zugunsten des Veräußerers, die im Rahmen des Erwerbsvertrags eingegangen wurden (z.B. hauswirtschaftliche Verrichtungen oder Pflegeleistungen) werden mit fünf Euro Stundenwert angesetzt. Leistungen von Eltern oder Geschwistern eines Gesellschafters sind dem betreffenden Gesellschafter zuzurechnen. Die Beteiligten verpflichten sich, über die wechselseitigen Beiträge, auch der zuzurechnenden Angehörigen, Buch zu führen und den Jahresendstand jeweils als Prozentverhältnis auszudrücken sowie diesen zu unterzeichnen; dies gilt schuldrechtlich und dinglich als Übertragung der entsprechenden Anteile mit Wirkung auf das betreffende Jahresende. Sie geben die entsprechenden Übertragungserklärungen bereits heute dem Grunde nach ab und nehmen sie entgegen. Nutzungsentschädigungen wegen unterschiedlicher Beteiligungshöhe können erst ab einer Kündigung in Höhe der anteiligen ortsüblichen Kaltmiete verlangt werden, ebenso sind dann die hälftigen (bei Alleinnutzung ausschließlichen) Verbrauchs- und Nebenkosten zu tragen. Die Gesellschaft kann vor dem … (Datum, z.B. 15 Jahre ab heute) nur aus wichtigem Grund gekündigt werden; als solcher gilt – die Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft über länger als sechs Monate durch schriftliche Mitteilung an den anderen Gesellschafter oder behördliche Ummeldung; – ebenso die Pfändung des Gesellschaftsanteils des anderen Gesellschafters oder die Insolvenzeröffnung bzw. dessen Ablehnung mangels Masse. – [sofern nicht für diesen Fall nachstehend die Anwachsungsregelung vereinbart ist]: sowie das Ableben des anderen Gesellschafters. Mit Wirksamwerden einer Kündigung hat der Kündigende binnen drei Monaten, im Fall der Kündigung wegen Beendigung der Lebensgemeinschaft zunächst binnen sechs Wochen der Gesellschafter mit der aktuell höheren Beteiligung, sodann binnen sechs weiterer Wochen der andere Gesellschafter, das Recht, vom Mitgesellschafter [sofern nachstehend keine Anwachsungsklausel im Todesfall: bzw. dessen Erben] anstelle einer Abfindung die Übernahme der im Gesellschaftsvermögen befindlichen Immobilie zu verlangen. Übernahmepreis ist die (auch im Außenverhältnis schuldbefreiende) Übernahme der für Erwerb, Umbau und Erhaltung des Objektes eingegangenen Verbindlichkeiten, gleich ob solche der Gesellschaft oder des ausscheidenden Gesellschafters, und der gegenüber dem Veräußerer ggf. noch zu erbringenden Pflichten (gleich ob auf Zahlen, Tun, oder Dulden gerichtet) mindestens jedoch – sofern der anteilige, hierauf anzurechnende Schuldübernahme- und Pflichtenerbringungsbetrag geringer ist – achtzig vom Hundert des anteiligen Verkehrswertes der im Gesellschaftsvermögen befindlichen Immobilie im Zeitpunkt des Übernahmeverlangens. Kommt über den Verkehrswert binnen eines Monats ab Übernahmeverlangen keine Einigung zwischen den Beteiligten zustande, bestimmt ihn der örtlich zuständige Gutachterausschuss gem. § 315 BGB; hinsichtlich der Gutachtenskosten gilt § 92 ZPO. Wird ein Übernahmeverlangen nicht fristgerecht gestellt oder wird bereits zuvor darauf verzichtet, ist das Gesellschaftsvermögen zu räumen und bestmöglich zu verkaufen; nach Ablauf von sechs Monaten [alternativ: eines Jahres etc] kann jeder Beteiligte den Verkauf zum dann bestehenden Meistgebot ohne weiteres Zuwarten verlangen. Nach Begleichung der VeräußerungsnebenKrauß

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B IX

Rz. 177

Nichteheliche Partner

kosten und Tilgung aller für Erwerb, Umbau, und Erhaltung eingegangenen Verbindlichkeiten ist der verbleibende Erlös im Verhältnis der dann bestehenden Beteiligungsquoten auszukehren. Verfügungen über Gesellschaftsanteile bedürfen der Zustimmung beider; die Geschäftsführung und Vertretung wird ebenfalls durch beide gemeinschaftlich wahrgenommen. Beim Tod eines Gesellschafters wird die Gesellschaft mit seinen Erben fortgesetzt. (Alternativ: Beim Tod eines Gesellschafters wächst dessen Beteiligung, sofern nicht zuvor gekündigt, mit allen Aktiva und Passiva dem anderen Gesellschafter, der somit Alleineigentümer wird, an; die Beteiligung ist also nicht vererblich. Eine Abfindung erhalten die Erben bzw. Vermächtnisnehmer des Verstorbenen nicht; sie können jedoch vom verbleibenden Gesellschafter uneingeschränkte Freistellung aus der (Mit-)schuld oder (Mit-)haftung von Verbindlichkeiten verlangen, die zur Finanzierung des Erwerbs, Umbaus, und der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens eingegangen wurden, gleich ob es sich um eine Gesellschaftsoder eine Gesellschafterschuld handelt, sowie Freistellung hinsichtlich aller etwa weiterhin noch an den Veräußerer zu erbringenden Leistungen verlangen, gleich ob auf Zahlung, Tun, oder Dulden gerichtet. Der wechselseitige Abfindungsausschluss beruht auf dem beiderseits etwa gleich hohen Risiko des Vorversterbens und ist im Interesse des jeweils Überlebenden vereinbart, stellt also nach Einschätzung der Beteiligten keine Schenkung dar.)

4. Ansprüche Dritter aufgrund lebensgemeinschaftsbedingter Zuwendungen 177

Zuwendungen unter nichtehelichen Lebensgefährten unterliegen nicht nur im internen Verhältnis zwischen den Partnern für den Fall der Beendigung der Lebensgemeinschaft der Rückforderung aufgrund gesetzlicher bzw. richterlicher Bestimmung (oben 1) bzw. vertraglicher Vereinbarung (oben 3), sondern auch im Verhältnis zu Dritten. So wird der Lebensgefährte regelmäßig die Voraussetzungen einer nahestehenden Person i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfüllen („wer im letzten Jahr vor der Handlung in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldner gelebt hat“), so dass entgeltliche Verträge unter Lebensgefährten binnen zwei Jahren, unentgeltliche binnen vier Jahren vor der Pfändung/der Insolvenz der erleichterten Gläubiger- bzw. Insolvenzanfechtung unterliegen (vgl. im Einzelnen § 133 InsO, § 3 AnfG).

178

Im Zusammenhang dieser Darstellung relevant sind insbesondere die Zugriffsmöglichkeiten Dritter, die sich bei einer Beendigung der Lebensgemeinschaft durch Tod aufgrund früherer Zuwendungen ergeben, seien sie gestützt auf das Kondiktionsrecht (mögliche Unwirksamkeit der Zuwendung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten, § 138 BGB, Rz. 179), das Pflichtteilsergänzungsrecht (Rz. 180 ff.) oder die Bestimmungen zum Schutz des Vertragserben (nachstehend Rz. 183): a) §§ 812, 138 BGB?

179

Ebenso wie letztwillige Verfügungen („Mätressen-Testament“, vgl. Rz. 58 ff.) verstoßen lebzeitige Zuwendungen in einer eheähnlichen bzw. lebenspartnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt und von inneren 586

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 181

B IX

Bindungen getragen ist, nicht gegen die guten Sitten, und zwar selbst dann nicht, wenn mindestens einer der Partner noch verheiratet ist1. Nachteilige Auswirkungen für Dritte (Unterhaltsgefährdung etc.) können allenfalls in Ausnahmefällen, bei Hinzutreten besonders rücksichtslosen oder illoyalen Verhaltens, die Unwirksamkeit gem. § 138 BGB rechtfertigen, etwa wenn ein Ehemann während eines Scheidungsverfahrens seinen Miteigentumsanteil am gemeinsamen Hausgrundstück an seine Lebensgefährtin veräußert, um auf diesem Umweg die Teilungsversteigerung zu erleichtern2. Im Übrigen aber sind die (insbesondere erbrechtlichen) Instrumente eines Ausgleichs zugunsten Dritter (§§ 2325 ff., 2287 f. BGB, Rz. 180 und 183 ff.) vorrangig. b) §§ 2325 ff. BGB Ist der vom Erblasser beschenkte überlebende Lebensgefährte zugleich dessen Erbe, wird er häufig Pflichtteilsergänzungsansprüchen des „übergangenen“ Ehegatten bzw. der „übergangenen“ Kinder des Zuwendenden ausgesetzt sein (§ 2325 Abs. 1 BGB), gegen die er sich zudem nicht mit Blick auf die Verletzung seines eigenen (nicht vorhandenen) Pflichtteilsrechts wehren kann (§ 2318 BGB). Wird er nicht Erbe, ist er möglicherweise dem Bereicherungsanspruch des § 2329 Abs. 1 BGB ausgesetzt. Auch wenn die „lebenspartnerschaftsbedingte Zuwendung“ ebenso wie die ehebedingte Zuwendung keine Schenkung im strengen Sinn darstellen mögen, zumal es am subjektiven Tatbestandsmerkmal fehlt, ist sie im Verhältnis zu Dritten ebenso wenig privilegiert wie jene. Sie ist demnach für Zwecke des Pflichtteilsrechts wie eine Schenkung zu behandeln3. Auch sie ist regelmäßig objektiv unentgeltlich, da keine Leistungen in Erfüllung einer Rechtspflicht entgolten, sondern allenfalls im Sinn einer belohnenden Schenkung anerkannt werden. Gesetzliche Unterhaltspflichten sind allenfalls im Fall der Geburt eines gemeinsamen Kindes gem. § 1615l BGB denkbar. Auch § 2330 BGB (Pflichtschenkung) hilft, da richterlich zum Schutz des Pflichtteilsrechts weitgehend zurückgedrängt, selten.

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Eine Schenkung im Rahmen der §§ 2325 ff. BGB und des § 2287 BGB4 liegt jedoch wohl nicht vor bei einer – objektiv unentgeltlichen – Leihe (Rz. 178), auch einer auf den Tod aufschiebend bedingten Leihe. Sie bedarf nach der Rechtsprechung des IV. und V. Senats des BGH selbst dann keiner Form, wenn das Kündigungsrecht auf Lebenszeit des Verleihers ausgeschlossen wird, der begünstigte Partner als Entleiher also auf den Tod des Leihers „fest“ eingesetzt ist: Es sollen weder § 2301 BGB noch § 518 BGB gelten5. Der Familiensenat des BGH hat

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1 Vgl. BGH v. 28.9.1990 – V ZR 109/89, MDR 1991, 514 = FamRZ 1991, 168 = NJW 1991, 830 (831). 2 OLG Schleswig v. 29.9.1994 – 14 U 138/94, FamRZ 1995, 735. 3 Grundsatzentscheidung des BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 169/90, BGHZ 116, 167 (170); zur ausdr. Anerkennung der unbenannten Zuwendung unter Lebensgefährten vgl. BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 39/06, FamRZ 2008, 1828 = NJW 2008, 3282 und BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, MDR 2008, 1275 = FamRZ 2008, 1822 = DNotZ 2009, 52 m. Anm. Löhnig. 4 So ausdr. BGH v. 11.7.2007 – IV ZR 218/06, ZEV 2008, 192 m.w.N. 5 Grundlegend BGH v. 11.12.1981 – V ZR 247/80, BGHZ 82, 354 = MDR 1982, 394, bestätigt durch BGH v. 11.7.2007 – IV ZR 218/06, ZEV 2008, 192 m. Anm. J. Mayer; DNotI-Gutachten v. 19.12.1997, Nr. 1227, jedoch offengelassen in BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, MDR 2008, 1162 = FamRZ 2008, 1404 m. Anm. Grziwotz. Krauß

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B IX

Rz. 182

Nichteheliche Partner

diese Frage ausdrücklich offengelassen und tendiert demnach wohl dazu, dass die notarielle Beurkundung nach §§ 518, 2301 BGB Wirksamkeitserfordernis sei1. Die zivilrechtliche Schwäche der Leihe, insbesondere der Leihe auf den Todesfall, liegt jedoch darin, dass der Verleiher jederzeit kündigen kann und im Fall der Veräußerung der verliehenen Sache der Erwerber nicht analog § 566 BGB in die Pflichten des Entleihers eintritt2. Die Zuwendung eines Wohnungsrechts bzw. Nießbrauchsrechts auf den Todesfall – wodurch sich diese zivilrechtlichen Schwächen sich vermeiden lassen – stellt hingegen eine Schenkung dar3. Erbschaftsteuerlich ist auch die Leihe auf den Todesfall als Erwerb von Todes wegen steuerbar, § 3 Abs. 1 ErbStG4. 182

Immerhin sind nichteheliche Lebensgefährten gegenüber Ehegatten insoweit „privilegiert“, als der Anlaufhemmungstatbestand des § 2325 Abs. 3, 2. Halbs. BGB (Beginn der Frist nicht vor Auslösung der Ehe), der für § 2329 BGB analog gilt, nicht auf Zuwendungen in nichtehelicher Lebensgemeinschaft Anwendung findet, und zwar selbst dann nicht, wenn die Lebensgefährten nach der Zuwendung heiraten5. 5. §§ 2287 f. BGB

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Der Vertrags-/Schlusserbe (§ 2287 BGB) bzw. der bindend eingesetzte Vermächtnisnehmer (§ 2288 BGB) ist gegenüber Zuwendungen unter nichtehelichen Lebensgefährten in gleicher Weise geschützt; auch insoweit (wie bei § 2325 BGB) gilt die lebensgemeinschaftsbedingte Zuwendung, auch wenn sie nicht subjektiv unentgeltlich ist, als auslösende „Schenkung“. Die Anforderungen an die „Beeinträchtigungsabsicht“ sind dabei eher gering; das erforderliche lebzeitige Eigeninteresse ist bspw. nicht allein durch das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu bejahen6. Allenfalls eine Zuwendung, die als Gegenleistung für tatsächlich erbrachte Versorgung und Pflege durch den Lebensgefährten aufgrund nachträglich entstandener Pflegebedürftigkeit gewährt wird, kann gegenüber dem „Verfolgungsrecht“ des Vertragserben/-vermächtnisnehmers geschützt sein7; Gleiches gilt, wenn der Lebensgefährte die Kinder aus der Ehe des Zuwendenden mitbetreut hat. Altruistische Motive, wie etwa der Wunsch nach Versorgung und Besserstellung des Lebensgefährten, vermögen jedoch in keinem Fall vor §§ 2287 f. BGB zu schützen8.

1 BGH v. 30.4.2008 – XII ZR 110/06, MDR 2008, 1162. 2 BGH v. 17.3.1994 – III ZR 10/93, BGHZ 125, 293 = MDR 1995, 368 (301); OLG Köln v. 23.4.1999 – 19 U 13/96, MDR 1999, 1271 = NJW-RR 2000, 152. 3 BGH v. 27.9.1995 – IV ZR 217/93, NJW-RR 1996, 133; OLG Karlsruhe v. 18.3.1999 – 17 U 19/97, ZEV 2000, 108 (109). 4 FG München v. 24.1.2007 – 4 K 816/05, EFG 2007, 779. 5 DNotI-Gutachten v. 12.12.2001, Nr. 1255; OLG Düsseldorf v. 31.5.1996 – 7 U 120/95, FamRZ 1996, 1506 = NJW 1996, 3156, a.A. nur OLG Zweibrücken v. 22.2. 1988 – 4 U 121/87, FamRZ 1994, 1492. 6 OLG Köln v. 30.9.1991 – 2 W 140/91, FamRZ 1992, 607 = NJW-RR 1992, 200. 7 OLG Köln v. 30.4.1987 – 24 U 472/86, NJW-RR 1987, 1484. 8 OLG Celle v. 15.6.2006 – 6 U 99/06, FamRZ 2006, 1876 = RNotZ 2006, 477. 588

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 187

B IX

V. Schenkung- und Erbschaftsteuer unter nichtehelichen Lebensgefährten Schenkung- und erbschaftsteuerrechtlich zählen nichteheliche (gleich- oder verschiedengeschlechtliche) Partner, auch wenn sie gemeinsame Kinder haben, zur Steuerklasse III, so dass sie lediglich über einen Freibetrag von (seit 1.1.2009) 20 000 Euro (zuvor: 5 200 Euro) verfügen, § 15 ErbStG. Übersteigende Erwerbe (jeweils unter Zusammenrechnung aller Schenkungen und Erbschaften vom selben Veräußerer binnen zehn Jahren, § 16 ErbStG) unterliegen einem Steuersatz von einheitlich 30 %, über sechs Mio. Euro von 50 %, mit Härtausgleich gem. § 19 Abs. 3 ErbStG. Dies gilt auch für Verlobte1. Hinzu kommt ein Freibetrag (für Hausrat einschließlich sonstiger beweglicher Gegenstände) von insgesamt 10 300 Euro, § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Die weiteren objektbezogenen Befreiungen (z.B. Übertragung des Familienheims zu Lebzeiten und von Todes wegen, § 13 Abs. 1 Nr. 4a und 4b) stehen nichtehelichen Partnern nicht zur Verfügung, allerdings (seit 1.1.2009) eingetragenen Lebenspartnern, s. Rz. 207.

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Lebzeitige oder letztwillige Zuwendungen an Personen, die den Zuwendenden/ Erblasser gepflegt oder unterhalten haben, ohne hierzu gesetzlich verpflichtet gewesen zu sein, sind bis zu 20 000 Euro (bis zum 31.12.2008: bis zu 5 200 Euro) gem. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG steuerbefreit (Pflegepauschbetrag). Voraussetzung ist jedoch stets die unentgeltliche Pflege-/Unterhaltsgewährung, an der es bspw. fehlt bei der Erbringung der Pflege im Rahmen eines vergüteten Dienstleitungsverhältnisses, § 611 BGB, oder als vertraglich ausbedungene Gegenleistung für eine Immobilienübertragung2. Die Weitergabe des staatlichen Pflegegeldes (vgl. § 37 SGB XI) an die tatsächlich pflegende Person ist zu Lebzeiten steuerfrei, § 13 Abs. 1 Nr. 9a ErbStG, um die Motivationswirkung nicht zu gefährden.

185

Bei der Schenkung oder Vererbung tatsächlichen Betriebsvermögens (auch von Vermögen der Land- und Forstwirtschaft, einer freiberuflicher Praxis etc) bewirkt allerdings die Tarifbegrenzung des § 19a Abs. 1 bis 4 ErbStG, dass die Steuerbelastung auf das Niveau der Steuerklasse I reduziert wird (ohne dass die personenbezogenen Freibeträge angehoben würden!) Technisch wird für den steuerpflichtigen Erwerb die Steuer nach der tatsächlichen Steuerklasse des Erwerbers (hier: III) und alternativ nach Steuerklasse I ermittelt; der Differenzbetrag ist mit dem zuvor ermittelten Anteil (Wert des begünstigten Vermögens nach Abzug aller Verschonungsabschläge und des Abzugsbetrags sowie der mit dem Vermögen wirtschaftlich im Zusammenhang stehenden abzugsfähigen Schulden und Lasten einerseits zum Wert des gesamten Vermögensanfalls andererseits) zu multiplizieren; dieser Entlastungsbetrag ist dann bei der Ermittlung der festzusetzenden Steuer abzuziehen.

186

Die Tarifbegrenzung unterliegt demselben Vorbehalt der Behaltensregelung (§ 13a Abs. 5 ErbStG) wie der Verschonungsabschlag von 85 %, allerdings hat das Ergebnis der Lohnsummenprüfung nach § 13a Abs. 1 ErbStG auf die Gewährung

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1 Selbst bei einem Versterben nach Bestellung des Aufgebots bleibt es bei Steuerklasse III, vgl. BFH, BStBl. 1998 II, S. 396. 2 Es genügt nach FG Nürnberg v. 1.3.2007 – IV 23/2005, ErbStB 2007, 231, dass die Beteiligten eine Grundbesitzübertragung als angemessene Gegenleistung für spätere Pflege angesehen haben. Krauß

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B IX

Rz. 188

Nichteheliche Partner

des Tarifabschlags keinen Einfluss. Sinkt – aufgrund Verstoßes gegen die Behaltensregelungen – der Verschonungsabschlag, ist auch der Abzugsbetrag neu zu berechnen (regelmäßig mit der Folge einer Reduzierung, sofern der nichtbegünstigungsfähige Anteil über 150 000 Euro steigt), so dass der steuerpflichtige Teil des Betriebsvermögens höher wird und demnach auch der Entlastungsbetrag des § 19a ErbStG sich erhöht. 188

Die Einsetzung des nichtehelichen Lebenspartners zum Vorerben führt dazu, dass dieser den gesamten ihm zugewendeten Nachlass zu versteuern hat. Der Vorerbe gilt als Erbe (§ 6 Abs. 1 ErbStG). Da der Lebenspartner der Steuerklasse III angehört (§ 15 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG) und ihm nur ein Freibetrag von 20 000 Euro zur Verfügung steht, ist er immer einer hohen Erbschaftsteuerbelastung ausgesetzt (Steuersatz mindestens 30 %).

189

Der Nacherbe hat, wenn der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben eintritt, ein Wahlrecht (§ 6 Abs. 2 ErbStG). Auf seinen Antrag hin ist der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen. Von diesem Antragsrecht muss unbedingt Gebrauch gemacht werden, da Kinder aus früheren Verbindungen gegenüber ihren leiblichen Eltern einen Freibetrag von 400 000 Euro haben (§§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Tritt die Nacherbschaft nicht mit dem Tod des Vorerben ein, sondern z.B. dann, wenn dieser erneut eine neue Lebensgemeinschaft in fester sozialer Bindung begründet, wird gem. § 6 Abs. 3 ErbStG eine vom Vorerben entrichtete Steuer dem Nacherben angerechnet. Im Hinblick auf die hohe Steuerbelastung, die der Vorerbe zu tragen hatte, dürfte der Nacherbe keine Erbschaftsteuer mehr zu zahlen haben.

190

Der Nachvermächtnisnehmer wird gem. § 6 Abs. 4 ErbStG wie der Nacherbe besteuert.

191

Wird dem nichtehelichen Partner ein Vermögensgegenstand im Wege des Vermächtnisses zugewendet, unterliegt die Zuwendung ebenfalls der Erbschaftsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Hier gelten, soweit die Steuerklasse und der Freibetrag betroffen sind, keine Besonderheiten. Der nichteheliche Partner hat auch hier lediglich einen Freibetrag von 20 000 Euro; Sachvermächtnisse versprechen seit 2009 (Bewertung mit dem gemeinen Wert) keine Besserung. Lediglich auf der Verschonungsebene kann bei Betriebsvermögen eine Linderung erreicht werden, vgl. Rz. 186 ff.

VI. Erbrecht der eingetragenen Lebenspartner 1. Gesetzliches Erbrecht 192

Für gleichgeschlechtliche Partner wurden durch das Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz – LPartG) v. 16.1.2001, das am 1.8.2001 in Kraft trat, gesetzliche Erbrechte begründet1. Die gesetzlichen 1 BGBl I, 266; Zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vgl. BVerfG v. 17.7.2002 – 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543 ff.; zum Gesetzgebungsverfahren s. BT-Drucks. 14/3751, 14/4545, 14/4550, BR-Drucks. 738/00; Muscheler, Das Recht der eingetragenen Lebenspartnerschaft (2001), Rz. 8 ff.; Röthel in Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Kap. 2 Rz. 13 ff. 590

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 194

B IX

Erbrechte des LPartG stehen aber nur den gleichgeschlechtlichen Partnern zu, die in Lebenspartnerschaft i.S.v. § 1 LPartG leben. Eine Lebenspartnerschaft kann nur zwischen volljährigen unverheirateten Personen gleichen Geschlechts, die nicht in gerader Linie miteinander verwandt sind, begründet werden. Beide Partner müssen bei gleichzeitiger Anwesenheit vor der zuständigen Behörde erklären, miteinander eine Partnerschaft auf Lebenszeit führen zu wollen. Überdies war von ihnen in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung des Gesetzes1 eine Erklärung über ihren Vermögensstand abzugeben (§ 1 LPartG). Mit der Einführung der Zugewinngemeinschaft als dem gesetzlichen Güterstand (§ 6 n.F. LPartG) und der Gütertrennung (§ 7 n.F. LPartG i.V.m. § 1414 BGB) ist diese Erklärung entbehrlich geworden. Welche Behörde für die Entgegennahme der Erklärung der Lebenspartner zuständig war, ist in den Ausführungsgesetzen der Länder zum Lebenspartnerschaftsgesetz geregelt. Die Publizitätsakte sind ebenfalls landesgesetzlich geregelt2. Auch eine im Ausland bereits geschlossene „gleichgeschlechtliche Ehe“ ist auf Antrag erneut in das deutsche Partnerschaftsregister gem. § 35 PStG einzutragen3. Die erbrechtlichen Regelungen für Lebenspartner sind den erbrechtlichen Regelungen der Ehepartner im Wesentlichen nachgebildet4. Die Bestimmungen sind in § 10 LPartG zusammengefasst, der eine Art „Kurzfassung“ des gesamten Erbrechts enthält. § 10 LPartG gilt, wie in Rz. 2 bereits ausgeführt, nur für eingetragene Lebenspartnerschaften, nicht, auch nicht im Wege der Analogie, für gleichgeschlechtliche oder verschiedengeschlechtliche Lebenspartner ohne Eintragung. Die Bestimmungen zum gesetzlichen Erbrecht des überlebenden Lebenspartners, enthalten in § 10 Abs. 1 und Abs. 2 LPartG, entsprechen inhaltlich den gesetzlichen Bestimmungen zum Erbrecht unter Ehegatten, wobei § 10 Abs. 1 S. 1 LPartG den Regelungen in § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB, § 10 Abs. 1 S. 2 LPartG wiederum § 1931 Abs. 1 S. 2 BGB, § 10 Abs. 2 S. 1 der Bestimmung des § 1931 Abs. 2 BGB und § 10 Abs. 2 S. 2 LPartG der Regelung in § 1931 Abs. 4 BGB entspricht. Voraussetzung ist stets, dass im Zeitpunkt des Todes noch eine rechtsgültig begründete Lebenspartnerschaft bestand, diese also nicht rechtskräftig durch gerichtliches Urteil gem. § 15 LPartG aufgehoben wurde oder sie aus anderen Gründen nichtig ist (etwa wegen bereits bestehender Ehe).5

193

Nach § 10 Abs. 1 LPartG ist der überlebende Ehepartner neben Verwandten der ersten Ordnung zu 1/4, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern zur Hälfte der Erbschaft gesetzlicher Erbe. Sind weder Verwandte der ersten noch der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, erhält der überlebende Lebenspartner die gesamte Erbschaft (§ 10 Abs. 2 LPartG).

194

1 Das LPartG v. 16.1.2001 wurde in Teilen neu gefasst durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts, in Kraft seit 1.1.2005 (BGBl. 2004 I, 3396), vgl. BT-Drucks. 15/4052 v. 27.10.2004; Grziwotz, DNotZ 2005, 13. 2 S. Einzelheiten bei Röthel in Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Kap. 2 Rz. 157–216. 3 OLG München v. 6.7.2011 – 31 Wx 103/11, FamRZ 2011, 1526 = MittBayNot 2013, 321. 4 Zum Erbrecht der Lebenspartner vgl. v. Dickhut/Harrach in Schwab (Hrsg.), Die eingetragene Lebenspartnerschaft, S. 248; HK-LPartG/Kemper, § 10. 5 Durch das Lebenspartnerschaftüberarbeitungsgesetz v. 15.12.2004 hat § 1306 BGB eine Änderung erfahren, so dass die bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nach dem Wortlaut gesetzlich mögliche Bigamie beseitigt wurde. Krauß

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591

B IX

Rz. 195

Nichteheliche Partner

195

Zusätzlich stehen ihm die Haushaltsgegenstände, soweit sie nicht Zubehör eines Grundstücks sind, und die Geschenke zur Begründung der Lebenspartnerschaft als Voraus zu. Auch hier ist bereits eine Gleichstellung mit dem Ehegatten vollzogen, dem gem. § 1932 BGB der Voraus zusteht.

196

Wie beim Erbrecht der Ehepartner hat der Güterstand der Lebenspartner, der in § 6 a.F. LPartG als Vermögensstand bezeichnet wurde, Auswirkungen auf die Erbquote. Leben die Lebenspartner im Vermögensstand der Ausgleichsgemeinschaft, der der Zugewinngemeinschaft entspricht, erhöhte sich die Erbquote um 1/4 (§§ 10 Abs. 1, 6 Abs. 2 S. 4 LPartG, § 1371 Abs. 1 BGB). Gleiches gilt für den ab 1.1.2005 geltenden gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Im Güterstand der Vermögenstrennung, die eintrat, falls der Lebenspartnerschaftsvertrag oder die Ausgleichsgemeinschaft unwirksam vereinbart worden war (§ 6 Abs. 3 a.F. LPartG), entfiel die Quotenveränderung, die § 1931 Abs. 4 BGB für die Ehegatten bei Zusammentreffen mit Kindern des Erblassers vorsieht. Die Quotenveränderung entfällt ebenfalls bei Gütertrennung, die ab 1.1.2005 anstelle der Vermögenstrennung in notarieller Urkunde vereinbart werden kann.

197

Das gesetzliche Erbrecht entfällt, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Aufhebung der Lebenspartnerschaft gegeben waren und der Erblasser die Aufhebung beantragt oder ihr zugestimmt hatte oder der Erblasser einen Antrag auf Aufhebung der Lebenspartnerschaft wegen unzumutbarer Härte gestellt hatte und der Antrag begründet war (§§ 10 Abs. 3, 15 Abs. 1, 2 LPartG). Die in § 10 Abs. 3 S. 1 LPartG enthaltene „Vorverlagerung“ der Wirkung der Aufhebung entspricht in weiten Zügen § 1933 S. 1 BGB;1 allerdings fehlt eine dem § 1933 S. 2 BGB entsprechende Regelung, so dass im Bereich des § 15 Abs. 2 S. 2 LPartG erst die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung, nicht bereits der auf § 15 Abs. 2 S. 2 LPartG i.V.m. § 1314 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 BGB gestützte Aufhebungsantrag zum Entfallen des Erbrechts führt.

198

Das gesetzliche Erbrecht entfällt ferner (auch ohne gesonderte Verweisung in § 19 LPartG) für den Fall der Erbunwürdigkeitserklärung, § 2344 BGB (§§ 2339 ff. BGB sprechen allgemein nur von Erblasser und Erben, erfassen also auch das Verhältnis zwischen eingetragenen Lebenspartnern) sowie für den Fall des Erbverzichts, für den in § 10 Abs. 7 LPartG „die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über den Erbverzicht entsprechend gelten“ lässt. Da diese Verweisung enger ist als bspw. die Verweisung auf das Pflichtteilsrecht in § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG (wo das Gesetz ergänzt „mit der Maßgabe, dass der Lebenspartner wie ein Ehegatte zu behandeln ist“), gilt allerdings die Vermutungsregelung des § 2350 Abs. 2 BGB nicht entsprechend (wonach bei einem Verzicht durch einen Abkömmling des Erblassers im Zweifel davon auszugehen sei, dass der Verzicht nur zugunsten der anderen Abkömmlinge und des Ehepartners – aber eben nicht des Lebenspartners – gelten solle)2. Ebenso ohne ausdrückliche Verweisung in 1 Allerdings mit dem Unterschied, dass nach § 10 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 LPartG nur der Antrag des Erblassers und die in der Person des Überlebenden liegenden Gründe zu einem Wegfall des Erbrechts führen, während es in § 1933 S. 1 BGB stets genügt, dass die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe überhaupt vorliegen, gleichgültig, bei welchem der Ehegatten diese Gründe gegeben sind, vgl. Kaiser, FPR 2005, 286 (289). 2 Vgl. N. Mayer, ZEV 2001, 169, 173; Braun in Erbrecht, Ordnungsnr. 20: LPartG, § 10 Rz. 16, a.A. die wohl h.M., z.B. MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2350 Rz. 10. 592

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 200

B IX

§ 10 LPartG entfällt das gesetzliche Erbrecht als Folge einer Ausschlagung, da auch § 1942 BGB allgemein von „dem Erben“ spricht. In Bezug auf die „Sondererbfolge“ in Personengesellschaftsanteile können sich Auslegungsfragen ergeben, wenn z.B. ältere Gesellschaftsverträge sog. qualifizierte Nachfolgeklauseln enthalten, denen zufolge z.B. „Ehegatten“ nachfolgeberechtigt sind. Stammt der Vertrag aus einer Zeit, in der die eingetragene Lebenspartnerschaft noch nicht gesetzlich existierte, und kam es den Beteiligten erkennbar auf Personen an, die in rechtlich gesicherter Weise dem Gesellschafter besonders nahe stehen, dürfte auch der eingetragene Lebenspartner als Ehegatte „gelten“1.

199

IPR-rechtlich gilt für Sterbefälle bis zum 16.8.2015 aus deutscher Sicht Art. 17b Abs. 1 S. 2, 1. Hs. EGBGB. Danach bestimmen sich die erbrechtlichen Folgen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft grundsätzlich nach dem Erbstatut des verstorbenen Partners (aus deutscher Sicht also derzeit nach dessen Staatsangehörigkeit im Todeszeitpunkt, Art. 25 Abs. 1 EGBGB, vorbehaltlich einer Rückoder Weiterverweisung des dadurch berufenen Rechts und vorbehaltlich einer Nachlassspaltung aufgrund Sonderanknüpfung nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB). Soweit dessen Heimatrecht die eingetragene Lebenspartnerschaft erbrechtlich nicht berücksichtigt2 (anders, wenn gesetzliche Erbansprüche gewährt werden, die aber hinter dem deutschen Niveau zurückbleiben), gilt gem. Art. 17b Abs. 1 S. 2, 2. Hs. EGBGB auch für die erbrechtlichen Folgen (wie etwa für die güterrechtlichen Folgen ohnehin) das Recht des Registrierungsstaates, also bei Begründung der Lebenspartnerschaft in Deutschland § 10 LPartG. Umgekehrt wird aufgrund einer (rechtspolitisch verfehlten) Kappungsregelung (Art. 17 Abs. 4 EGBGB) das ggf. anzuwendende ausländische Erbrecht, soweit es (wie etwa in den Niederlanden) weitergehende Erbansprüche gewährt, „verkürzt“ auf die Regelungen des deutschen Rechts. Für Sterbefälle ab 17.8.2015 wird Art. 17b Abs. 1 S. 2 EGBGB freilich durch die (auch für eingetragene Lebenspartner uneingeschränkt geltende, vgl. deren Art. 23 Abs. 2b) EuErbVO verdrängt3 und soll daher aufgehoben werden4, so dass sich das Erbstatut primär nach dem letzten gewöhnliche Aufenthalt des Verstorbenen richtet (Art 21 Abs. 1 EuErbVO), sofern keine abweichende Rechtswahl zugunsten des Staatsangehörigkeitsrechtes (z.B. gem. Art. 22 EuErbVO) getroffen wurde. Erfolgt Wegzug in ein Gebiet mit geringeren erbrechtlichen Ansprüchen, und führt die Rechtswahl (da auch das Heimatrecht keine ausreichenden Ansprüche gewährt) nicht weiter, hilft künftig nur die testamentarische Einsetzung (da die bisher in Art. 17b Abs. 1 S. 2 EGBGB enthaltene Hilfsanknüpfung an das Recht des Registrierungsstaates, also bei inländischer Registrierung das deutsche Recht, entfällt). Es ist fraglich, ob eine gesetzliche Nachlassbeteiligung des überlebenden eingetragenen Lebenspartners (auch ohne Testament) in solchen Fällen durch Anwendung des ordre-public-Vorbehalts (Art. 35 EuErbVO) erreicht werden kann (Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Ausrichtung, vgl. Erwägungsgrund 58 EuErbVO, Art. 21 EU-Charta)5.

200

1 Gutachten DNotI-Report 2011, 33 ff. 2 Etwa bei in Luxemberg eingetragener Lebenspartnerschaft: Hertel, ZErb 2014, 132, ebenso in Italien. 3 Coester, ZEV 2013, 115 ff. 4 Vgl. Art. 15 Nr. 3 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht vom März 2014. 5 Vgl. Bruns, ZErb 2014, 181 (182). Krauß

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593

B IX 200a

Rz. 200a

Nichteheliche Partner

Die Vorfrage, ob eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft i.S.d. EuErbVO überhaupt existiert, wird allerdings (leider) nicht durch die EuErbVO beantwortet, sondern nach dem am Ort des angerufenen Gerichtes geltenden Recht. Dies kann zu Problemen führen, wenn letzteres z.B. die in einem anderen Mitgliedsstaat eingetragene Lebenspartnerschaft nicht als gültig ansieht oder eigenen bzw. ausländischen Staatsangehörigen die Anerkennung einer solchen Partnerschaft verweigert1. 2. Gewillkürtes Erbrecht

201

Lebenspartner können wie Ehepartner ein gemeinschaftliches Testament errichten (§ 10 Abs. 4 LPartG). Es muss jedoch im Zeitpunkt der Errichtung bereits eine wirksame Lebenspartnerschaft bestehen, die spätere Begründung, selbst wenn bereits ein Verlöbnis2 besteht, genügt nicht. Gem. § 10 Abs. 4 S. 2 LPartG gelten §§ 2266 bis 2272 BGB entsprechend, so dass Lebenspartner – in gleicher Weise wie Ehegatten – ihre Verfügungen wechselbezüglich treffen können, auch in der erleichterten Form des § 2267 BGB. Dass eingetragene Lebenspartner einen Erbvertrag errichten können, bedarf keiner gesetzlichen Erwähnung, da dort keine besondere persönliche Beziehung zwischen den Vertragsparteien erforderlich ist. Gesetzlich wurde insoweit im Rahmen der materiellen Bestimmungen des BGB, die bisher ausdrücklich auf Ehegatten zugeschnitten sind, eine Erweiterung auch auf den eingetragenen Lebenspartner vorgenommen (so etwa in §§ 2275 Abs. 3, 2279 Abs. 2, 2280, 2290 Abs. 3 S. 2, 2292 BGB) bzw. – dann bewusst – nicht vorgenommen (§§ 2275 Abs. 2 S. 1, 2276 Abs. 2 BGB).

202

Auch das Erbrecht des Lebenspartners bei gewillkürter Erbfolge entfällt im Fall der Aufhebung der Lebenspartnerschaft, es sei denn, es ist anzunehmen, dass der Erblasser die Verfügung von Todes wegen zugunsten des Lebenspartners auch für den Fall der Aufhebung der Lebenspartnerschaft getroffen haben würde (§ 10 Abs. 5 LPartG, § 2077 Abs. 3 BGB). Da § 10 Abs. 5 LPartG (anders als § 10 Abs. 3 LPartG, s. oben Rz. 197) sämtliche Aufhebungsgründe in § 2077 BGB umfasst, können Verfügungen zugunsten des anderen Lebenspartners in einem Testament früher entfallen als das gesetzliche Erbrecht.

203

Dem Lebenspartner steht ebenso wie dem Ehegatten ein Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils zu, wenn der Erblasser den überlebenden Ehepartner durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen hatte (§ 10 Abs. 6 LPartG). Da § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG die Vorschriften des BGB über den Pflichtteil entsprechend Anwendung finden lässt „mit der Maßgabe, dass der Lebenspartner wie ein Ehegatte zu behandeln ist“, ist der Lebenspartner dem Ehegatten auch beim Pflichtteil dritter Personen gleichgestellt, etwa in Bezug auf § 2325 Abs. 3 BGB (Nichtanlaufen der 10-Jahres-Frist hinsichtlich der Pflichtteilsergänzung, sofern Zuwendungen unter eingetragenen Lebenspartnern stattfinden). Wo immer in §§ 2303 ff. BGB demnach vom „Ehegatten“ die Rede ist, ist auch der eingetragene Lebenspartner zu lesen. 1 Zu Recht plädieren Mansel/Thorn/Wagner, IPrax 2011, 1 (3) daher für eine Kollisionsrechtsharmonisierung auch zu diesen Vorfragen. 2 Das gem. § 1 Abs. 4 LPartG auch zwischen künftigen Lebenspartnern bestehen kann. 594

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Krauß

Nichteheliche Partner

Rz. 207

B IX

Ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht als Lebenspartner oder das Pflichtteilsrecht ist zulässig. Erbverzichtsvertrag und Pflichtteilsverzichtsvertrag bedürfen der notariellen Beurkundung (§ 10 Abs. 7 LPartG, § 2348 BGB). Auch ohne ausdrückliche Erwähnung in § 10 LPartG entfällt der Pflichtteil ferner dann, wenn er gem. § 2335 BGB wirksam entzogen wurde oder die Pflichtteilsunwürdigkeit nach §§ 2344, 2345 Abs. 2 BGB festgestellt wurde1.

204

3. Schenkung- und Erbschaftsteuer Während für gleichgeschlechtliche Partner, die in einer Lebenspartnerschaft leben, durch § 10 LPartG ein gesetzliches Erbrecht wie für Ehegatten begründet wurde, ist ihnen eine steuerrechtliche Gleichstellung mit den Ehegatten zunächst versagt geblieben. Diese war im Gesetz zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze (Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz – LPartGErgG)2 dergestalt vorgesehen, dass auch Verpartnerten die Ehegattenprivilegien der §§ 5, 15 und 16 ErbStG (u.a. Freibetrag von 307 000 Euro, Steuerklasse I) zukommen sollten. Das LPartErgG fand während der 14. Legislaturperiode im Bundesrat jedoch keine Mehrheit; das Vermittlungsverfahren blieb ohne Ergebnis. Demnach wurden Verpartnerte für Schenkungs- und Sterbefälle bis Ende 2008 wie fremde Personen behandelt (Personenfreibetrag 5 200 Euro). Lediglich über güterrechtliche Modelle (Beendigung des gesetzlichen Güterstandes durch Wechsel bspw. in die Gütertrennung oder durch Tod) konnten Freibeträge in Höhe des gesetzlich geschuldeten Zugewinnausgleichs (§ 5 Abs. 1 und 2 ErbStG) genutzt werden.

205

Im Rahmen der Erbschaftsteuerreform 2009 wurde die Gleichstellung Verpartnerter mit Ehegatten zumindest teilweise herbeigeführt: Sie zählen zwar für alle Schenkungs- und Sterbefälle ab 2009 (die bis 30.6.2009 mögliche „Vorausoption“ für Sterbefälle der Jahre 2007 und 2008 zugunsten der neuen Rechtslage gilt nicht für die Freibeträge, Art. 3 Abs. 1 ErbStRG!) weiterhin zur Steuerklasse III (Steuersatz demnach einheitlich 30 % bis sechs Mio. Euro), verfügen aber wie Ehegatten über einen Freibetrag von nunmehr 500 000 Euro – dieser hat sich also fast verhundertfacht – zuzüglich des steuerfreien Zugewinnausgleichs gem. § 5 Abs. 1 und 2 ErbStG bei Beendigung des gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft durch Ehevertrag oder Tod.

206

Hinzu kommt die Möglichkeit der steuerfreien Übertragung des (jeweiligen) selbst genutzten Anteils am „Familienheim“ unter Verpartnerten gem. (dem inhaltlich erweiterten, auch auf Objekte innerhalb der EU/des EWR erstreckten) § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG, unabhängig vom Güterstand; diese objektbezogene

207

1 Vgl. Kaiser, FPR 2005, 286 (289). 2 BT-Drucks. 14/4545 Anl. 2; BR-Drucks. 738/00 mit Anl. 2. Das Gesetzesvorhaben wurde aufgespalten in einen nicht zustimmungsbedürftigen Teil, der im LPartG geregelt wurde, und einen zustimmungsbedürftigen Teil, der im LPartErgG geregelt war. Art. 12 LPartErgG enthielt eine Änderung von §§ 1, 3, 6 LPartG, Art. 2 enthielt Änderungen von immerhin 71 Bundesgesetzen, mit denen u.a. die sozial- und steuerrechtliche Gleichstellung von Lebenspartnern und Ehepartnern erreicht werden sollte. Das BVerfG hat die Aufspaltung des Gesetzeswerkes in zustimmungsbedürftigen und nicht zustimmungsbedürftigen Teil als nicht willkürlich und zulässig angesehen, BVerfG v. 17.7.2002 – 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543 (2545/2546). Krauß

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B IX

Rz. 208

Nichteheliche Partner

Steuerbefreiung ist an keine Nachbewohnzeiten geknüpft und kann mehrfach ausgenutzt werden („Familienheimschaukel“). Für Ehegatten und Verpartnerte neu ist ab 2009 ferner die in § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG geschaffene Freistellung der letztwilligen Zuwendung des selbst genutzten Familienheims, allerdings unter der (bis zum letzten Tag einzuhaltenden) Voraussetzung, dass der hinterbliebene Verpartnerte das Objekt zehn Jahre lang selbst nutzt, sofern er hieran nicht durch zwingende Gründe (eigenen Tod, erhebliche Pflegebedürftigkeit etc) gehindert ist. 208

Gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 ErbStG bleibt nunmehr ferner (wie unter Ehegatten) der Erwerb von Hausrat bis zu einem Betrag von 41 000 Euro und von anderen beweglichen Gegenständen, die üblicherweise zur Ausstattung einer gemeinschaftlichen Wohnung gehören, bis zu einem Wert von 12 000 Euro steuerfrei. Darüber hinaus erhält der überlebende Lebenspartner den Versorgungsfreibetrag gem. § 17 Abs. 1 ErbStG in Höhe von 256 000 Euro. Die spürbar gesteigerte erbschaftsteuerliche Attraktivität der eingetragenen Lebenspartnerschaft ist Hauptursache für die seit Anfang 2009 deutlich zunehmende Registrierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften.

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Krauß

X. Der minderjährige Erbe Schrifttum: Baumann, Erbausschlagung gegen Abfindung bei minderjährigen Ersatzerben – Zugleich Anmerkungen zum Beschl. des OLG Köln v. 26.4.2012 – II-12 UF 10/12, DNotZ 2012, 803; Damrau, Auswirkungen des Testamentsvollstreckeramtes auf elterliche Sorge, Vormundsamt und Betreuung, ZEV 1994, 1; Damrau, Minderjährige Kinder aus geschiedenen Ehen als Erben, ZEV 1998, 90; Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, 2002; Fembacher/Franzmann, Rückforderungsklauseln und Pflichtteilsklauseln in Überlassungsverträgen mit Minderjährigen, MittBayNot 2002, 78; Frenz, Familienrechtliche Anordnungen, DNotZ 1995, 908; Fröhler, Erbausschlagung und FamFG, BWNotZ 2012, 160; Fröhler, Erbausschlagungen von Eltern für ihr minderjähriges Kind, BWNotZ 2013, 88; Horn, Testamentsgestaltung für Eltern von minderjährigen Kindern, ZEV 2013, 297; Ivo, Die Erbausschlagung für das minderjährige Kind, ZEV 2002, 309; Keim, Grenzen der Anrechenbarkeit lebzeitiger Zuwendungen auf den Pflichtteil, MittBayNot 2008, 8; Kirchner, Vormundschaft und Testamentsvollstreckung im Elterntestament, MittBayNot 1997, 203; Mensch, Die Ausschlagung Minderjähriger, BWNotZ 2013, 144; Menzel/Wolf, Der minderjährige Kommanditist – bei Gründung, unentgeltlicher Anteilsübertragung und Erwerb von Todes wegen, MittBayNot 2010, 186; Ott, Vormundbenennung durch letztwillige Verfügung, BWNotZ 2014, 138; Rastätter, Grundstücksschenkungen an Minderjährige, BWNotZ 2006, 1; Sagmeister, Die Erbausschlagung bei minderjährigen Nach- und Ersatzerben, ZEV 2012, 121. Rz.

I. Der Begriff des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Lebzeitige Zuwendungen mittels vorweggenommener Erbfolge 1. Ausgangsdifferenzierung . . . . . . . 2. Kinder unter sieben Jahren . . . . . . 3. Sieben- bis 17-jährige Kinder . . . . 4. Lediglich rechtlicher Vorteil a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nießbrauchsvorbehalt . . . . . . . c) Vermieteter bzw. verpachteter Grundbesitz . . . . . . . . . . . . . d) Rücktrittsvorbehalt . . . . . . . . . e) Wohnungs- und Teileigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anordnung der Pflichtteilsanrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . g) Anordnung der Erbausgleichung und sonstige Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Schenkung eines Kommanditanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 4 8 10 11 12 13 15 16 21 22

III. Gestaltung durch Verfügung von Todes wegen des beschenkten Minderjährigen 1. Ausgangsproblematik . . . . . . . . . . 2. Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 24 27

Rz.

IV. Gestaltung durch letztwillige Verfügung zugunsten Minderjähriger 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsrechtsentzug zulasten der Eltern unter Benennung eines Ergänzungspflegers . . . . . . . 3. Verwaltungsanordnung gegenüber den Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Benennung eines Vormundes für die eigenen minderjährigen Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis . . . 6. Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes für minderjährige nicht aus einer Ehe entstammende Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Testamentsvollstreckung bei minderjährigen Erben . . . . . . . . . .

29 30 33 36 38

39 40

V. Minderjährige Enkelkinder als Nutznießer letztwilliger Pflichtteilsbeschränkung . . . . . . . . . . . . .

47

VI. Schutz minderjähriger Kinder des erstversterbenden Ehegatten in Patchwork-Familien durch Ausbildungsunterhaltsvermächtnis .

51

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Fröhler

BX

Rz. 1

Minderjähriger Erbe Rz.

VII. Gestaltung durch Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- bzw. Zuwendungsverzichtsvertrag 1. Praktische Relevanz bei Beteiligung Minderjähriger . . . . . . . . . . 2. Ausgangsdifferenzierung nach Verzichtsart a) Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag . . . . . . . . . . . . b) Zuwendungsverzichtsvertrag . c) Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . 3. Differenzierung nach der Rolle des Minderjährigen a) Das minderjährige Kind als Verzichtender (§ 2347 Abs. 1 BGB) b) Das minderjährige Kind als Erblasser (§ 2347 Abs. 2 BGB)

53

55 65 72

75 79

VIII. Die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinsantrag 85 IX. Gestaltung durch Erbschaftsausschlagung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgangsproblematik für die Erbschaftsausschlagung minderjähriger Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Vertretung des minderjährigen Kindes a) Grad der Geschäftsfähigkeit . . b) Vertretungstatbestände . . . . . . 4. Genehmigungsbedürftigkeit a) Gesetzessystematik . . . . . . . . . b) Fallgruppen aa) Anfall durch Erbausschlagung eines nicht vertretungsberechtigten Elternteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. bb) Werthaltiger Nachlass . . . cc) Erbausschlagung nur für eines von mehreren Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gesetzlicher Vertreter wird durch Erbausschlagung für das eingesetzte Kind selbst Erbe . . . . . . . . . ee) Erbausschlagung durch längstlebenden Elternteil für sich und das Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Erbausschlagung für das Kind durch den daneben berufenen Elternteil . . . . . . . . . . . . . . . c) Genehmigungserteilung . . . . . 5. Problematik Kontrollvertreter . . . 6. Besondere örtliche Zuständigkeit zur nachlassgerichtlichen Protokollierung . . . . . . . . . . . . . . . .

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X. Vermögensverzeichnispflicht . . . 121 89 95 96 97 98

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XI. Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft als ausschließliche Erfüllung einer Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 125 XII. Pflichtteilsanspruch und Ergänzungspflegschaft 1. Alleinerbschaft des längstlebenden Ehegatten und Pflichtteilsanspruch des minderjährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Alleinerbschaft des minderjährigen Kindes und Pflichtteilsanspruch des längstlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

I. Der Begriff des minderjährigen Kindes 1

Aus dem Umkehrschluss zur Regelung des § 2 BGB, die ausdrücklich den Eintritt der Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres1 definiert, und der Vorschrift des § 106 BGB, wonach die Altersgruppe der sieben- bis siebenzehnjährigen Kinder lediglich den bereits beschränkt geschäftsfähigen Teil der Minderjährigen darstellt, folgt zugleich, dass ein Kind von seiner Geburt bis unmittelbar vor Vollendung des 18. Lebensjahres, mithin vom ersten Lebenstag bis zum Ablauf des 17. Lebensjahres minderjährig ist.2 Nach § 188 Abs. 2 Alt. 2 1 Gesetz zur Neuregelung des Volljährigenalters v. 31.7.1974, BGBl. 1974 I, S. 1713. 2 Staudinger/Knothe, § 104 Rz. 1. 598

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Rz. 4

i.V.m. § 187 Abs. 2 S. 2 BGB endet die Minderjährigkeit daher mit Ablauf desjenigen Tages des 17. Lebensjahres eines Kindes, der dem Tag vorangeht, der nach seiner Zahl dem Tag der Geburt als Anfangstag entspricht. Danach ist bspw. ein am 16.7.1996 geborenes Kind bis unmittelbar vor Ablauf des 15.7.2014 minderjährig und mit Ablauf des 15.7.2014 am 16.7.2014 um 00.00 Uhr volljährig.1 Bis zum Inkrafttreten des § 2 BGB zugrundeliegenden Gesetzes zur Neuregelung des Volljährigenalters vom 31.7.1974 galt als Volljährigkeitsstichtag noch der durch Reichsgesetz vom 17.2.1975 eingeführte Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres.2

II. Lebzeitige Zuwendungen mittels vorweggenommener Erbfolge 1. Ausgangsdifferenzierung

Beratungssituation: Die Eltern M und F verfügen über ein sehr großes Vermögen. Sie erwägen aus steuerlichen Gründen bereits zu Lebzeiten Grundbesitzübertragungen an ihre noch minderjährigen Kinder. Die betroffenen Objekte sind teilweise vermietet. Die Eltern möchten eventuelle Verfügungen über den Grundbesitz kontrollieren können. Neben oder anstelle von letztwilligen Zuwendungen auf den Tod des Zuwendenden kommen insbesondere zum Zwecke der Reduzierung von Pflichtteils-, Sozialhilferegress- bzw. Steuerlasten (zu den Vor- und Nachteilen lebzeitiger Vermögensübertragungen im Allgemeinen s. Kap. B I Rz. 21 ff.) auch zugunsten minderjähriger Kinder lebzeitige Vermögensübertragungen als Ausstattung, Schenkung bzw. gemischte Schenkung in Betracht.

2

Bei unentgeltlichen Zuwendungen an minderjährige Kinder bis zum Ablauf deren 17. Lebensjahres ist wiederum zwischen i.S.d. § 104 Nr. 1 BGB geschäftsunfähigen und nach § 107 BGB beschränkt geschäftsfähigen minderjährigen Beschenkten zu unterscheiden.

3

2. Kinder unter sieben Jahren Kinder sind nach § 104 Nr. 1 BGB bis zur Vollendung ihres 7. Lebensjahres, mithin gem. § 188 Abs. 2 Alt. 2 i.V.m. § 187 Abs. 2 S. 2 BGB bis zum Ablauf desjenigen Tages ihres 7. Lebensjahres, der dem Tag vorangeht, der nach seiner Zahl dem Tag der Geburt als Anfangstag entspricht – bspw. ein am 16.7.2007 geborenes Kind bis unmittelbar vor Ablauf des 15.7.20143 –, geschäftsunfähig. Sie bedürfen unabhängig davon, ob ein in Rede stehendes Rechtsgeschäft für sie lediglich rechtlich vorteilhaft ist, stets einer gesetzlichen Vertretung, ohne die das Rechtsgeschäft nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig ist, da die insoweit missverständlich formulierte Regelung des § 107 BGB nicht für alle, sondern ausschließlich für nach § 106 BGB beschränkt geschäftsfähige Minderjährige gilt. Nach § 1629 Abs. 1 S. 2 BGB vertreten die Eltern ihr Kind vorbehaltlich einer Entscheidung nach § 1671 Abs. 1 BGB grundsätzlich gemeinschaftlich. Sind die Eltern bei der Ge1 Staudinger/Kannowski, § 2 Rz. 2; Staudinger/Knothe, § 104 Rz. 2. 2 Staudinger/Kannowski, § 2 Rz. 1. 3 Staudinger/Kannowski, § 2 Rz. 2; Staudinger/Knothe, § 104 Rz. 2. Fröhler

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burt des Kindes nicht miteinander verheiratet, vertritt die Mutter das Kind aufgrund alleinigen elterlichen Sorgerechts gem. § 1629 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 1626a Abs. 3 BGB allein, soweit beide Elternteile keine Sorgeerklärung i.S.d. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben haben, sie einander nicht geheiratet haben und das Familiengericht ihnen die elterliche Sorge nicht nach §§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 1671 BGB1 gemeinsam oder einem allein übertragen hat.2 5

Die Eltern können insoweit nach §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB insbesondere dann von der Vertretung ausgeschlossen sein, wenn das Rechtsgeschäft zwischen dem Kind und einem Elternteil oder einem Verwandten in gerader Linie geschlossen wird. In derartigen Fällen ist die Bestellung und Mitwirkung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 BGB erforderlich.

Beratungshinweis: Wird erst im notariellen Beurkundungstermin festgestellt, dass ein Ergänzungspfleger bestellt werden muss, ist aber der Vertragsinhalt mit dem nach §§ 23a Abs. 1 Nr. 1, 23b Abs. 1 S. 1 GVG i.V.m. § 151 Nr. 5 FamFG sachlich zuständigen Familiengericht inhaltlich bereits besprochen, muss im Hinblick auf die Insichgeschäftsbeschränkung nach § 181 BGB3 darauf geachtet werden, dass die für den noch zu bestellenden Ergänzungspfleger auftretende Person nicht zugleich anderweitig Partei bzw. Vertreter einer Partei des Vertrags ist, da auch ein Gericht nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien und damit keine wirksame Genehmigung zu einem Insichgeschäft erteilen kann.4 6

Soweit das Rechtsgeschäft für das Kind jedoch lediglich rechtlich vorteilhaft ist, findet der Rechtsgedanke des § 181 BGB und damit auch das Vertretungsverbot der §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB sowohl bei geschäftsunfähigen als auch bei dann ohnehin insoweit alleine handlungsfähigen beschränkt geschäftsfähigen minderjährigen Kindern keine Anwendung.5 Zur Abgrenzung zwischen vorteilhaften und nachteiligen Rechtsgeschäften s. Rz. 10 ff.

7

Je nach Regelungsgegenstand bedürfen sowohl Eltern als auch Ergänzungspfleger der familiengerichtlichen Genehmigung (Eltern nach § 1643 Abs. 1 i.V.m. §§ 1821, 1822 BGB bzw. §§ 1643 Abs. 2, 2347 Abs. 1 BGB; Ergänzungspfleger nach § 1915 Abs. 1 i.V.m. §§ 1821, 1822 BGB bzw. § 2347 Abs. 1 BGB). Dies gilt insbesondere nach § 2347 Abs. 1 BGB für Pflichtteilsverzichtsverträge und Grundbesitzübertragungen unter Rückübertragungsvorbehalt i.S.d. § 1821 Abs. 1 Nr. 4 BGB bzw. vereinbarter (teil-)entgeltlicher Gegenleistung bspw. durch Darlehensübernahme i.S.d. § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB als gemischte Schenkung. Umgekehrt löst weder die lediglich rechtlich vorteilhafte und damit keinen Ergänzungspfleger voraussetzende Grundbesitzübertragung unter Nieß1 §§ 1626a, 1671 BGB neu gefasst und § 1672 BGB aufgehoben mit Wirkung v. 19.5. 2013 durch Gesetz v. 16.4.2013, BGBl. 2013 I, S. 795. 2 Fröhler, BWNotZ 2013, 88; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 53. 3 Zur Anwendbarkeit des § 181 BGB bei Vertretung ohne Vertretungsmacht Fröhler, BWNotZ 2006, 97, 102 f. 4 BGH v. 9.7.1956 – 5 Blw 11/56, BGHZ 21, 229, 234; RG v. 13.5.1909 – IV 248/08, RGZ 71, 162, 164; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 54. 5 BayObLG v. 29.5.1998 – 2Z BR 85/98, NJW 1998, 3574 f.; Fröhler, BWNotZ 2006, 97, 104. 600

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Rz. 10

brauchsvorbehalt (vgl. dazu Rz. 11) noch die rechtlich nachteilige und daher eine Genehmigung eines Ergänzungspflegers erfordernde Übertragung von Wohnungseigentum (vgl. dazu Rz. 15) eine familiengerichtliche Genehmigungspflicht aus, da vor allem jeweils keine Entgeltlichkeit i.S.d. § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB vorliegt, insbesondere die aus dem Wohnungseigentum resultierende persönliche Haftung gesetzlich bedingt und nicht vereinbart ist.1 3. Sieben- bis 17-jährige Kinder Minderjährige Kinder zwischen sieben und 17 Jahren sind nach § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig. Sie bedürfen zu einer Willenserklärung dann der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, wenn sie dadurch nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangen. Dies gilt auch dann, wenn das betroffene nachteilige Rechtsgeschäft unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Volljährigkeit des Beschenkten vereinbart wird, da der diesbezügliche Schutzzweck nicht ausschließlich auf die Verhinderung von Nachteilen noch während der Minderjährigkeit des minderjährigen Beschenkten beschränkt ist, sondern auch solche nach Erreichen der Volljährigkeit erfasst, wenn diese noch während der Minderjährigkeit des Beschenkten angelegt werden.2 Zur Abgrenzung zwischen vorteilhaften und nachteiligen Rechtsgeschäften Rz. 10 ff.

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Ist das in Rede stehende Rechtsgeschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft und daher eine Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters erforderlich, gelten der Vertretungsausschluss nach §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB und die Notwendigkeit eines Ergänzungspflegers i.S.d. § 1909 BGB. Im Rahmen der familiengerichtlichen Genehmigungserfordernisse nach §§ 1643, 1821, 1822 bzw. 2347 BGB (zum Genehmigungsverfahren vgl. Rz. 17) bedarf eine Grundstücksveräußerung selbst dann der gerichtlichen Genehmigung nach § 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB, wenn diese Veräußerung durch eine GbR erfolgt, an der auch der gesetzlich Vertretene beteiligt ist, sowie deren Satzung nicht nach dem Gesellschaftszweck den Erwerb samt der Veräußerung von Grundbesitz vorsieht und dadurch ausnahmsweise die Genehmigung zum Gesellschaftsbeitritt i.S.d. § 1822 Nr. 3 BGB bereits die Grundbesitzveräußerung nach § 1821 Abs. 1 Nr. 3 BGB miterfasst, da die Änderung der BGH-Rspr. zur Rechtsfähigkeit einer GbR den Schutz des gesetzlich Vertretenen nicht einschränkt.3

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4. Lediglich-rechtlicher Vorteil a) Allgemeines Ein lediglich rechtlicher Vorteil kommt insbesondere bei Schenkungen in Betracht. Maßgebend ist zum Schutz des Kindes dabei grundsätzlich entgegen der früheren Durchbrechung des Abstraktionsprinzips (Gesamtbetrachtung des 1 Fembacher/Franzmann, MittBayNot 2002, 78, 82; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 55. 2 KG v. 31.8.2010 – 1 W 167/10, FamRZ 2011, 736 = FGPrax 2011, 79, 80; Langenfeld/ Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 56. 3 OLG Nürnberg v. 4.10.2012 – 15 W 1623/12, FamRZ 2013, 1055 = MDR 2012, 1344 = NJW 2013, 82 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 57; Michael, notar 2013, 367 (369). Fröhler

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schuldrechtlichen und dinglichen Vertrags1) nunmehr eine isolierte Prüfung alleine des dinglichen Erwerbsgeschäfts. Die Auflassung bleibt selbst bei rechtlichem Nachteil gerichtlich genehmigungsfrei und kann – ggf. auch ohne Rechtsgrund – im Grundbuch vollzogen werden.2

Beratungshinweis: Es sollte im Falle einer eventuellen isolierten Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Vertrags jedoch unbedingt auf die Risiken einer drohenden Kondiktion hingewiesen und erwogen werden, den Grundbuchvollzug nach § 53 BeurkG einvernehmlich auch von der Wirksamkeit des Grundgeschäfts abhängig zu machen. b) Nießbrauchsvorbehalt 11

Eine der praktisch häufigsten Gestaltungen in diesem Zusammenhang ist die unentgeltliche Übertragung von Grundbesitz durch Eltern auf ihre Kinder bzw. von Großeltern an ihre Enkel unter Nießbrauchsvorbehalt, über den meist auch die außergewöhnlichen Lasten durch den Nießbrauchsberechtigten getragen werden. Dabei gelten derartige Übertragungen nur unter der Voraussetzung als für den Übernehmer lediglich rechtlich vorteilhaft, dass der Nießbrauchsberechtigte auch sämtliche Kosten für außergewöhnliche Ausbesserungen und Erneuerungen sowie die außergewöhnlichen Grundstückslasten trägt,3 wobei es keinen Unterschied macht, ob der Nießbrauch bereits auf dem übertragenen Grundbesitz lastet oder erst anlässlich der Übertragung vorbehalten wird. Selbst wenn die laufenden öffentlichen Lasten durch den Übernehmer zu tragen sind, handelt es sich um unschädliche, typischerweise ungefährliche Rechtsnachteile, die die lediglich rechtliche Vorteilhaftigkeit nicht in Frage stellen.4

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Die dingliche Übertragung ist jedoch – im Gegensatz zu einer isolierten ausschließlich schuldrechtlichen Schenkungsvereinbarung, durch die noch kein gesetzlicher Eintritt in einen Mietvertrag ausgelöst wird und deren dinglicher Vollzug erst in einem gesonderten späteren Vertrag nach Eintritt der Volljährigkeit des Beschenkten geregelt werden soll, soweit keine in einem solchen Fall für den Beschenkten doch nachteilige schuldrechtliche interne Haftungsfreistellungsverpflichtung zugunsten des Schenkers mitvereinbart ist5 – dann nicht mehr lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn der Grundbesitz bei Übergabe bereits vermietet oder verpachtet war – unproblematisch soll hingegen die bloße Möglichkeit einer späteren Vermietung bzw. Verpachtung durch den Nießbrauchsberechtigten sein –,

c) Vermieteter bzw. verpachteter Grundbesitz

1 BGH v. 9.7.1980 – V ZB 16/79, MDR 1981, 37 = FamRZ 1981, 761 = NJW 1981, 109. 2 BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, MDR 2011, 25 = FamRZ 2010, 2065 = NJW 2010, 3643 ff.; BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415 (416 ff.); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 58. 3 OLG Celle v. 7.11.2003 – 4 W 186/13, FamRZ 2014, 673 = RNotZ 2014, 317 (318 f.) unter Aufgabe seiner entgegengesetzten früheren Rspr. v. 16.2.2001 – 4 W 324/00; Stößer, FamRB 2014, 94. 4 BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415 (41f f.); OLG Karlsruhe v. 3.12.1999 – 11 Wx 134/99, FamRZ 2001, 181; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 59. 5 KG v. 31.8.2010 – 1 W 167/10, FamRZ 2011, 736 = FGPrax 2011, 79 (80). 602

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da den Erwerber insbesondere gem. §§ 536a, 581 Abs. 2, 586 Abs. 2 BGB Schadens- und Aufwendungsersatzpflichten sowie die Pflicht zur Rückgewähr einer durch den Mieter oder Pächter geleisteten Sicherheit treffen können.1

Beratungshinweis: Da nach der vorstehenden Entscheidung die bloße Möglichkeit einer späteren Vermietung bzw. Verpachtung durch den Nießbrauchsberechtigten insoweit unschädlich ist, wird vereinzelt zur Ermöglichung der lediglich rechtlichen Vorteilhaftigkeit der Übertragung vorgeschlagen, dass der Übergeber/Nießbrauchsberechtigte mit dem Mieter bzw. Pächter für den Zeitraum der Überlassung einen Aufhebungsvertrag schließt.2 Hiervon ist jedoch abzuraten, da auf diese Weise die Vorgaben der vorstehenden BGH-Rechtsprechung unzulässig umgangen werden und die Notwendigkeit einer Ergänzungspflegerbestellung nicht entfällt.3 d) Rücktrittsvorbehalt Erfolgt die Schenkung an geschäftsunfähige Kinder unter einem Rücktrittsvorbehalt bspw. für den Fall von Verfügungen ohne Zustimmung ihrer Eltern, ist eine entsprechende Rückforderungsklausel nur dann mit der Folge der Entbehrlichkeit der Mitwirkung eines Ergänzungspflegers i.S.d. § 1909 BGB trotz Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung i.S.v. § 1821 Abs. 1 Nr. 4 BGB lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn sich die Haftung des Übernehmers auf den Zustand des Zugewendeten im Zeitpunkt der Geltendmachung der Rückübertragung beschränkt, keine Wert- oder Schadensersatzpflicht insbesondere wegen zwischenzeitlicher Verschlechterung der Sache droht4 und der Übernehmer Ersatz für seine zwischenzeitlichen Verwendungen verlangen kann. Dabei ist insbesondere ausdrücklich zu regeln, dass das Haftungsrisiko nicht über die gesetzlichen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsrechte wegen Verarmung des Schenkers nach § 528 BGB oder erfolgten Widerrufs bei grobem Undank nach § 530 BGB hinausgeht. Damit sind bei Ausübung des Rücktrittsrechts vor allem Ansprüche des Berechtigten auf Wert- bzw. Schadensersatz, insbesondere wegen zwischenzeitlicher Verschlechterung der Sache auszuschließen.5 Die Eintragung einer sichernden Erwerbsvormerkung schadet der lediglich rechtlichen Vorteilhaftigkeit ebenso wenig6 wie die Einräumung derartiger Rückübertragungsansprüche zugunsten Dritter7.

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Einstweilen frei.

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1 BGH v. 3.2.2005 – V ZB 44/04, DNotZ 2005, 625 (626 f.); krit. dazu Fembacher, DNotZ 2005, 627 (629 f.); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 60. 2 Everts, ZEV 2005, 211. 3 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 60. 4 BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, FamRZ 2005, 359 = MDR 2005, 323 = NJW 2005, 415 (416). 5 BayObLG v. 22.5.1974 – Breg. 2Z 20/74, DNotZ 1975, 219 (220); OLG Köln v. 10.11. 1997 – 14 Wx 10/97, FamRZ 1998, 1326 = Rpfleger 1998, 159; OLG Dresden v. 2.4. 1996 – 3 W 336/96, MittBayNot 1996, 288 (289 ff.); Fembacher/Franzmann, MittBayNot 2002, 78 (82 f.). 6 OLG Dresden v. 2.4.1996 – 3 W 336/96, MittBayNot 1996, 288 (290). 7 OLG Köln v. 10.11.1997 – 14 Wx 10/97, FamRZ 1998, 1326 = Rpfleger 1998, 159; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 61. Fröhler

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M 108 Lediglich rechtlich vorteilhafter Rückübertragungsvorbehalt (Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) (Eingang; Übertragung; Rückübertragungsvorbehalt) … Die vorstehend vorbehaltene Rückübertragung richtet sich ausschließlich nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts und kann nur Zug-um-Zug gegen Ersatz der Verwendungen des Übernehmers bzw. dessen Gesamtrechtsnachfolgern (Erben) verlangt werden.1 …

e) Wohnungs- und Teileigentum 15

Der schenkweise Erwerb von Wohnungs- bzw. Teileigentum ist seit Inkrafttreten der WEG-Novelle zum 1.7.2007 aufgrund der persönlichen, unbeschränkten und einer Handelsgesellschaft i.S.d. §§ 128, 129 HGB ähnlichen Haftung jedes Wohnungseigentümers nach § 10 Abs. 8 WEG bzw. § 16 Abs. 2 WEG stets rechtlich nachteilig, ohne dass es auf eine nach früherem Gesetzesstand noch maßgebende konkrete Prüfung einer nicht unerheblichen Verschärfung der gesetzlichen Regelungen durch die Gemeinschaftsordnung2 oder eines Eintritts in einen Zahlungspflichten auslösenden Verwaltervertrag3 ankommt.4 Das Rechtsgeschäft wird in derartigen Fällen selbst dann nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn ein Nießbrauch bestellt ist und der Nießbrauchsberechtigte auch die außergewöhnlichen Lasten trägt, da sich eine solche Regelung nicht auf das Verhältnis zwischen Übernehmer und übrigen Wohnungseigentümern auswirkt.5 Zwar ist dann ein Ergänzungspfleger i.S.d. § 1909 BGB erforderlich, mangels Einschlägigkeit des § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB gleichwohl eine familiengerichtliche Genehmigung entbehrlich.6 Soweit einem Kind Wohnungs- bzw. Teileigentum jedoch vermächtnisweise zugeteilt ist, erfolgt die Übereignung im Wege einer insofern ausreichenden Erfüllung einer testamentarischen Verbindlichkeit sogar ohne Erfordernis eines Ergänzungspflegers,7 jedoch bedarf die diesbezügliche Auflassung 1 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 61. 2 BGH NJW v. 9.7.1980 – V ZB 16/79, MDR 1981, 37 = FamRZ 1981, 761 = NJW 1981, 109: z.B. Wiederaufbaupflicht nach Gebäudezerstörung. 3 OLG Celle v. 29.7.1976 – 4 Wx 9/76, NJW 1976, 2214; BayObLG v. 30.7.1979 – BReg. 2Z 1/79, NJW 1981, 144 – nach zwischenzeitlicher Anerkennung der Teilrechtfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft als alleinigem Verwaltervertragspartner dürfte jedoch insoweit kein rechtlicher Nachteil mehr bestehen können, vgl. DNotIGutachten, DNotI-Report 2008, 131, 132. 4 BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, NJW 2010, 3643 f.; OLG München v. 6.3.2008 – 34 Wx 14/08, RNotZ 2008, 346 (348). 5 BayObLG v. 18.9.1997 – 2Z BR 85/97, FamRZ 1998, 1619 = Rpfleger 1998, 70 (71). 6 Fembacher/Franzmann, MittBayNot 2002, 78 (82). 7 OLG München v. 22.8.2012 – 34 Wx 200/12, FamRZ 2013, 494 m. Anm. Zimmermann = DNotZ 2013, 205 (206 ff.) m. zust. Anm. Müller; OLG München v. 23.9.2011 – 34 Wx 311/11, FamRZ 2012, 740 = DNotZ 2012, 193 unter Aufgabe seiner entgegengesetzten früheren Rspr. ZEV 2011, 263; BayObLG v. 8.4.2004 – 2Z BR 068/04, DNotZ 2004, 925 (926 f.); DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2008, 131 (132 f.). 604

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dann ausnahmsweise nach § 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1822 Nr. 10 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung wegen Übernahme einer fremden Verbindlichkeit durch gesamtschuldnerische persönliche Haftung aller Bruchteilseigentümer für Lasten und Kosten des Wohnungs- und Teileigentums aus § 16 Abs. 2 WEG, wenn das Wohnungs- und Teileigentum lediglich in Bruchteilen übertragen wird.1 f) Anordnung der Pflichtteilsanrechnung Eine Pflichtteilsanrechnungsbestimmung i.S.d. § 2315 BGB ist im Gegensatz zur Anordnung einer Ausgleichungspflicht nach § 2050 BGB (dazu Rz. 21) nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, da der Anrechnungspflichtige nach § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB das Risiko ggf. erheblicher Wertminderungen am Zuwendungsgegenstand zwischen Zuwendung und Erbfall (zB bei Aktien) trägt.2 Die empfangsbedürftige Anrechnungserklärung kann daher weder persönlich durch ein minderjähriges Kind noch durch die nach § 1795 Abs. 1 BGB von der Vertretung ausgeschlossenen Eltern für ein geschäftsunfähiges Kind wirksam entgegengenommen werden. Hierzu bedarf es vielmehr eines Ergänzungspflegers i.S.d. § 1909 BGB, der seinerseits analog §§ 1822 Nr. 2, 2347 Abs. 1 BGB3 eine familiengerichtliche Genehmigung benötigt.

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Im diesbezüglichen Genehmigungsverfahren ist nach Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 die zuvor bereits verfassungsrechtlich gebotene Vorbescheids-4 durch eine Suspensivlösung ersetzt worden. Dabei wird die gerichtliche Genehmigung entgegen der früheren Rechtslage (FGG) noch nicht mit ihrer Bekanntgabe an den gesetzlichen Vertreter, sondern gem. § 40 Abs. 2 S. 1 FamFG erst mit Rechtskraft wirksam, die nach § 45 FamFG durch Ablauf der Rechtsmittelfrist eintritt, die wiederum gegenüber dem Kind, dem der Genehmigungsbeschluss nach §§ 40 Abs. 3, 41 Abs. 3 FamFG bekannt zu geben ist, nur dann zu laufen beginnt, wenn die Genehmigungsentscheidung dem Verfahrensbeistand des Kindes analog § 158 FamFG5 und bei einem über 14-jährigen Kind nach § 164 S. 1 FamFG zusätzlich dem Kind selbst bekannt gegeben wird. Die Beschwerdefrist beträgt nach § 63 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 S. 1 FamFG bezüglich der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts jeweils zwei Wochen ab schriftlicher Bekanntgabe des Genehmigungsbeschlusses an den jeweiligen Beteiligten. Bis zu einer endgültigen höchstrichterlichen oder gesetzlichen Klärung dieser Problematik kann als zusätzliche Absicherung ein weiterer Ergänzungspfleger

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1 OLG München v. 22.8.2012 – 34 Wx 200/12, FamRZ 2013, 494 m. Anm. Zimmermann = DNotZ 2013, 205 (206 ff.) m. zust. Anm. Müller; KG v. 15.7.2010 – 1 W 312/10, NZM 2011, 78 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 62. 2 MüKo.BGB/Lange, § 2315 Rz. 9; Staudinger/Haas, § 2315 Rz. 26 und 32; Keim, MittBayNot 2008, 8 (12); insoweit offengelassen OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 018/07, DNotZ 2008, 199 ff.; a.A. OLG Dresden v. 2.4.1996 – 3 W 336/96, MittBayNot 1996, 288 (291) ohne Erörterung des Risikos eines ggf. erheblichen Zuwendungswertverlustes jenseits des Pflichtteilsanrechnungsbetrags. 3 MüKo.BGB/Lange, § 2315 Rz. 9; Staudinger/Haas, § 2315 Rz. 32; Bamberger/Roth/ J. Mayer, § 2315 Rz. 8. 4 BVerfG v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96, NJW 2000, 1709 ff. 5 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 145 (148 f.): auf vermögensrechtliche Angelegenheiten findet § 158 FamFG analog Anwendung; a.A. Zorn, Rpfleger 2009, 421 (426): einem zweiten Ergänzungspfleger mit der alleinigen Aufgabe der Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses. Fröhler

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gem. § 1909 BGB zur Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses und zur Erklärungen eines Rechtsmittelverzichts bestellt werden.1 18

Einstweilen frei.

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Weiter ist zu beachten, dass nach § 75 FamFG – unter den dort genannten Voraussetzungen – alternativ unter Übergehung der Beschwerdeinstanz auf Antrag unmittelbar die Rechtsbeschwerde (Sprungrechtsbeschwerde) zulässig ist, für die nach § 75 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 566 Abs. 2 S. 2, 548 ZPO eine einmonatige Antragsfrist gilt. Für die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses i.S.d. § 46 S. 1 FamFG soll selbst hinsichtlich eines Antrages auf Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde, der im Gegensatz zu der nach § 64 FamFG beim Gericht des ersten Rechtszuges einzulegenden Beschwerde beim Rechtsbeschwerdegericht zu stellen ist, kein Notfristzeugnis erforderlich sein.2

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Die Frist läuft auch dann nicht, wenn die nach § 39 FamFG vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung fehlt oder hinsichtlich des geforderten Mindestinhalts unrichtig ist, wobei nach dem seit 19.5.2013 neu hinzugefügten Satz 2 des § 39 Abs. 1 FamFG3 ausdrücklich nicht auf die Möglichkeit der Sprungrechtsbeschwerde hingewiesen werden muss.4

Beratungshinweis: Das Familiengericht prüft dabei im Genehmigungsverfahren unter Gesamtabwägung aller Umstände, ob das Gesamtgeschäft im Ganzen für das Mündel vorteilhaft ist, ohne jede Einzelregelung isoliert auf ihre Wirkung zu untersuchen, so dass eine Pflichtteilsanrechnung je nach Inhalt der sonstigen Regelungen ggf. auch dann genehmigungsfähig sein kann, wenn der Anrechnungswert nicht auf den beim Erbfall noch vorhandenen Zuwendungswert begrenzt wird.5 Um trotz eventueller Wertverluste des Übergabeobjektes nach der Übertragung die Erteilung der familiengerichtlichen Genehmigung des Zuwendungsvertrags nicht alleine wegen des Inhalts der Anrechnungsbestimmung zu gefährden, sollte sicherheitshalber gleichwohl ausdrücklich vorgesehen werden, dass die Höhe des Anrechnungsbetrags auf den Wert des Zuwendungsobjekts im Zeitpunkt des Todes des Übergebers begrenzt6 und die Anrechnungspflicht im Falle eines Rückübertragungsvorbehalts durch eine seitens des Zuwendenden veranlasste Rückübertragung auflösend bedingt ist.7

1 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 64; Schaal, notar 2010, 393 (405). 2 BGH v. 9.12.2009 – XII ZB 215/09, FamRZ 2010, 284 = DNotI-Report 2010, 41 (42). 3 BGBl. 2012 I, S. 2418. 4 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 67. 5 OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 018/07, DNotZ 2008, 199 ff. 6 Vgl. dazu Fembacher/Franzmann, MittBayNot 2002, 78 (85). 7 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 67. 606

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M 109 Lediglich rechtlich vorteilhafte Anordnung der Pflichtteilsanrechnung (Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) (Eingang; Übertragung; Rückübertragungsvorbehalt) … Der Zuwendungsempfänger … (Name) hat sich den Zuwendungswert i.S.d. § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB, der klarstellend mit … Euro vorbehaltlich eines zusätzlich zu berücksichtigenden Kaufkraftschwunds zwischen Zuwendung und Erbfall festgestellt wird, auf den Tod des Zuwendenden, … (Name), auf Pflichtteilsansprüche anrechnen zu lassen, höchstens jedoch in Höhe des Wertes zum Zeitpunkt des Todes des Zuwendenden. Zusatz bei Rückübertragungsvorbehalt: Die vorstehende Anrechnungspflicht ist durch eine seitens des Zuwendenden veranlasste Rückübertragung des Zuwendungsobjektes auflösend bedingt.1 …

g) Anordnung der Erbausgleichung und sonstige Vorbehalte Eine Grundbesitzschenkung unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts,2 dinglicher Übernahme eines Grundpfandrechts, Erbausgleichungsanordnung nach § 2050 Abs. 3 BGB im Gegensatz zu einer schuldrechtlich verpflichtenden Auflage i.S.d. § 525 BGB,3 Ausschlusses der Aufhebung der Miteigentümergemeinschaft4 bzw. Vorbehalt oder Übernahme eines dinglichen Vorkaufsrechts5 ist ebenso wie der Erwerb unter Nießbrauchsvorbehalt (vgl. Rz. 11) lediglich rechtlich vorteilhaft. Umgekehrt verkörpert die Übernahme einer Reallast wegen der aus § 1108 Abs. 1 BGB resultierenden persönlichen Haftung des Eigentümers einen

1 2 3 4 5

Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 67. BayObLG v. 15.2.1979 – 2Z 29/58, Rpfleger 1979, 197. BGH v. 10.11.1954 – II ZR 165/53, NJW 1955, 1353. LG Münster v. 30.9.1998 – 5 T 757/98, FamRZ 1999, 739 = Rpfleger 1999, 73 f. BayObLG v. 29.5.1998 – 2Z BR 85/98, DNotZ 1999, 589 (592 f.). Fröhler

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rechtlichen Nachteil, soweit diese nicht durch abweichende Vereinbarung und deren Grundbucheintragung1 ausgeschlossen ist.2 h) Schenkung eines Kommanditanteils 22

Die schenkweise Übertragung eines Kommanditanteils an ein minderjähriges Kind ist dann lediglich rechtlich vorteilhaft und bedarf weder der Bestellung eines Ergänzungspflegers noch nach §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 3 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung, wenn eine persönliche Haftung des beschenkten minderjährigen Kindes auf die bereits erbrachte Kommanditeinlage beschränkt wird, das Haftungsrisiko i.S.d. § 176 Abs. 2 HGB zwischen Eintritt und Handelsregistereintragung ausgeschlossen ist, indem die Wirksamkeit der Abtretung unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung des Anteilsübergangs gestaltet wird, und eine ausschließlich vermögensverwaltende Kommanditgesellschaft ohne Ausrichtung auf Erwerbsgeschäfte betroffen ist.3 Im Gegensatz dazu bedarf die Beteiligung eines minderjährigen Kindes an einer auf Erwerbsgeschäfte gerichteten Personengesellschaft der familiengerichtlichen Genehmigung analog §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 3 BGB.4

III. Gestaltung durch Verfügung von Todes wegen des beschenkten Minderjährigen 1. Ausgangsproblematik

Beratungssituation: Der 17-jährige K hat von seinen Großeltern mütterlicherseits schenkweise eine Eigentumswohnung übertragen bekommen. Er erkrankt schwer und möchte nun seinerseits letztwillig regeln, dass diese Wohnung bei seinem Tod ausschließlich in das Eigentum seiner Mutter und nicht an die nichtehelichen Kinder seines Vaters fällt. 23

Soweit nicht im Falle letztwilliger Zuwendungen an minderjährige Kinder durch Nacherbfolge- oder Nachvermächtnisanordnung bzw. bei diesbezüglichen lebzeitigen Übertragungen mittels Rückübertragungs- bzw. Erwerbsvorbehalt geregelt ist, an wen das betroffene Vermögen auf den Tod des Zuwendungsempfängers fällt, stellt sich die Frage, ob und ggf. inwieweit das minderjährige Kind selbst als Erblasser durch Verfügung von Todes wegen entsprechende Anordnungen treffen kann. Dabei ist zwischen Testament und Erbvertrag zu unterscheiden. 2. Testament

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Nach § 2229 Abs. 1 BGB ist ein minderjähriges Kind testierfähig und kann daher wirksam ein Testament errichten, wenn es das 16. Lebensjahr vollendet hat. Es 1 Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, Rz. 1310. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 68. 3 OLG Jena v. 22.3.2013 – 2 WF 26/13, FamRZ 2014, 140 = RNotZ 2013, 636 ff.; OLG Bremen v. 26.6.2008 – 2 W 38/2008, ZEV 2008, 608; Menzel/Wolf, MittBayNot 2011, 186 (187 ff.); Gerono, MittBayNot 2013, 389 f. 4 OLG Frankfurt v. 27.5.2008 – 20 W 123/08, FamRZ 2009, 620 = ZEV 2008, 607 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 10. Kap. Rz. 69; MüKo.BGB/Wagenitz, § 1822 Rz. 22. 608

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bedarf dazu dann gem. § 2229 Abs. 2 BGB nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Dies folgt zwingend aus dem Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Testamentserrichtung nach § 2064 BGB.1 Aus Gründen des Minderjährigenschutzes ist nach § 2233 Abs. 1 BGB zusätzliches zwingendes diesbezügliches Wirksamkeitserfordernis, dass der minderjährige Erblasser das Testament durch Erklärung gegenüber dem Notar oder durch Übergabe einer offenen Schrift errichtet. Beide Varianten gewährleisten die aufgrund fehlender Volljährigkeit des Testierers erforderliche fachkundige erbrechtliche Beratung durch einen Notar als staatliches Organ vorsorgender Rechtspflege.2 Bei Übergabe einer offenen Schrift muss der Minderjährige gegenüber dem Notar die Erklärung abgeben, dass diese seinen letzten Willen enthalte. Darauf, ob das Schriftstück vom Erblasser selbst oder von einem Dritten verfasst ist, kommt es nicht an. Der Notar hat bei der Testamentsbeurkundung eine Amtspflicht zu umfassender Prüfung der Rechtslage und Belehrung des Erblassers über die rechtliche Tragweite der Verfügungen. Die über die Testamentserrichtung aufgenommene Niederschrift (Protokoll) ist den Beteiligten vorzulesen, von ihnen zu genehmigen und durch die Beteiligten und den Notar zu unterschreiben (§§ 8, 13 BeurkG). Auf Verlangen des Erblassers hat der Notar bei der Beurkundung bis zu zwei Zeugen oder einen zweiten Notar zuzuziehen und dies in der Niederschrift, die auch von diesen Personen zu unterschreiben ist, zu vermerken. Die Niederschrift über die Errichtung des Testaments ist von dem Notar nach § 34 BeurkG in einen Umschlag zu nehmen, der mit dem Amtssiegel verschlossen wird und sodann in die besondere amtliche Verwahrung des nach § 344 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FamFG örtlich zuständigen Nachlassgerichts3 zu geben ist. Dem Erblasser soll nach § 346 Abs. 3 FamFG ein Hinterlegungsschein erteilt werden.

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Daraus folgt zugleich, dass insbesondere ein eigenhändiges, ein durch Übergabe einer verschlossenen Schrift errichtetes oder ein Testament eines noch nicht sechzehnjährigen Minderjährigen nicht wirksam errichtet werden kann, sondern nichtig ist.4 Maßgebender Bezugszeitpunkt ist dabei die Errichtung des Testaments, so dass auch durch späteres Erreichen der Volljährigkeit keine Heilung eintritt.5

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M 110 Notariell beurkundetes Testament durch Übergabe einer offenen Schrift6 (Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) Heute, am …, ist vor mir, Notar … mit Amtssitz in …, im Amtszimmer des Notariats in … erschienen: Herr/Frau … (alle Vornamen, Nachname und ggf. Geburtsname des Erblassers), geb. am … in …, (bei Geburt im Inland:) Geburtsstandesamt …, Geburtenregister1 2 3 4 5 6

Staudinger/Baumann, § 2229 Rz. 20 und 22. Staudinger/Baumann, § 2233 Rz. 8. Dazu Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz.13 bis 29. Staudinger/Baumann, § 2233 Rz. 11. Staudinger/Baumann, § 2233 Rz. 12. In Anlehnung an Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 81 M 81.2. Fröhler

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nummer …, (bei Geburt im Ausland:) Staat der Geburt …, wohnhaft …, ausgewiesen durch … (amtlicher Lichtbildausweis) … oder: dem Notar persönlich bekannt, zusätzliche nicht registerpflichtige Angabe: Sohn/Tochter des … und der …, Zusätzlich liegt zum Nachweis des Geburtsortes und der Geburtenregisternummer eine Geburtsurkunde des/der Erschienenen vor oder: Bei Beurkundung liegt keine Geburtsurkunde vor. Herr/Frau … weiß, dass das Testament im Erbfall nur dann sicher aufgefunden werden kann, wenn er/sie seinen/ihren Geburtsort heute richtig angegeben hat. Gleichwohl verzichtet er/sie trotz Belehrung auf eigene Vorlage und zudem auf spätere Einholung einer Geburtsurkunde, sondern besteht stattdessen auf sofortige Beurkundung. Der Notar wird insoweit von jeder Haftung freigestellt. Trotz Belehrung wünscht Herr/Frau … keine vorherige Testamentsregistereinsicht. Herr/Frau … hat das sechzehnte Lebensjahr vollendet und ist aufgrund des persönlichen Eindrucks des Notars, den dieser heute während der gemeinsamen Unterredung gewonnen hat, uneingeschränkt testierfähig … (ggf. weitere Ausführungen über den Gesundheitszustand, insbesondere bei erkrankten Erblassern). Auf die Hinzuziehung eines Zeugen oder zweiten Notars wird verzichtet. Herr/Frau … möchte ein öffentliches Testament durch Übergabe einer offenen Schrift ohne Hinzuziehung von Zeugen errichten. Er/Sie übergibt dem Notar eine offene Schrift, die dieser Niederschrift beigefügt wird. Dabei erklärt Herr/Frau … gegenüber dem Notar mündlich, dass diese Schrift seinen/ihren letzten Willen enthalte. Der Notar besprach den Inhalt dieser Schrift mit Herrn/Frau …. Ergänzend belehrt der Notar ihn/sie insbesondere darüber, dass gem. § 27 BeurkG Zuwendungen an den beurkundenden Notar oder dessen Einsetzung zum Testamentsvollstrecker selbst dann unwirksam sind, wenn der Notar hiervon keinerlei Kenntnis hatte. Zum Zwecke der Kostenberechnung gibt Herr/Frau den derzeitigen Wert seines/ihres Vermögens netto mit … Euro bzw. brutto mit … Euro an. Sodann kennzeichnete der Notar die offene Schrift durch den darauf aufgebrachten Vermerk „Urkundenrolle Nr. …“. Schließlich fügte der Notar die übergebene Schrift der Niederschrift bei. Vom Notar vorgelesen, vorab zur Durchsicht vorgelegt, von dem/der Erschienenen genehmigt und wie folgt unterschrieben:

3. Erbvertrag 27

Im Gegensatz zur Maßgeblichkeit der Testierfähigkeit bei Testamentserrichtung ist für die Wirksamkeit eines Erbvertrags unter Beteiligung eines minderjährigen Kindes als Erblasser nach § 2275 BGB der Grad dessen Geschäftsfähigkeit entscheidend. Grundsätzlich kann daher nach § 2275 Abs. 1 i.V.m. §§ 104, 106 BGB ein Minderjähriger als Erblasser einen Erbvertrag nicht wirksam abschließen.

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Als Ausnahme dazu ermöglicht § 2275 Abs. 2 bzw. 3 BGB gleichwohl einen wirksamen persönlichen Erbvertragsschluss des nach § 1303 Abs. 2 BGB ehemündigen mindestens sechzehnjährigen minderjährigen Kindes als Erblasser mit seinem volljährigen Ehegatten bzw. mit seinem ggf. sogar ebenfalls minder610

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jährigen1 Verlobten, wobei das Verlöbnis entweder auf Eheschließung oder nach § 1 Abs. 4 LPartG auf Begründung einer Lebenspartnerschaft2 ausgerichtet sein kann, soweit der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen zustimmt bzw. genehmigt. Dabei ist nur dann eine zusätzliche familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, wenn der gesetzliche Vertreter ein Vormund ist. Der bei Errichtung des Erbvertrags minderjährige Erblasser kann nach Erreichen der Volljährigkeit seinen noch nicht genehmigten Erbvertrag selbst wirksam genehmigen, nach dem Tod des anderen Vertragsteils jedoch nur dann, wenn dieser nicht seinerseits Erblasser ist.3 Der beurkundende Notar hat dabei lediglich gem. §§ 17 Abs. 2, 18 bzw. 28 BeurkG darauf hinzuweisen, dass der Erbvertrag zu seiner Wirksamkeit der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters bzw. ggf. des Familiengerichts bedarf und bis zu deren Erteilung schwebend unwirksam ist, darf jedoch die Beurkundung, auch wenn keine Gefahr in Verzug ist, nicht nach § 11 Abs. 1 S. 1 BeurkG verweigern.4 Dieses jeweilige Privileg gilt nicht entsprechend für bereits eingetragene Lebenspartner, da die Begründung einer Lebenspartnerschaft nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG anders als die Ehemündigkeit bzw. die Berechtigung zur Eingehung eines auf Eheschließung oder Lebenspartnerschaftsbegründung ausgerichteten Verlöbnisses ausnahmslos Volljährigkeit voraussetzt.5

IV. Gestaltung durch letztwillige Verfügung zugunsten Minderjähriger 1. Übersicht

Beratungssituation: M und F sind voneinander geschieden und haben eine minderjährige Tochter T. F möchte letztwillig sicherstellen, dass sie allein von T beerbt wird, der Nachlass jedoch nicht der Verfügungsmacht des M untersteht. Je nach Zielrichtung einer letztwilligen Verfügung stehen dem letztwillig Verfügenden hinsichtlich betroffener Minderjähriger beschränkt auf das zugewendete Vermögen insbesondere folgende Gestaltungsinstrumentarien zur Verfügung: – Verwaltungsrechtsentzug zulasten der Eltern nach § 1638 Abs. 1 BGB, – Verwaltungsanordnung gegenüber den Eltern gem. § 1639 BGB, – Benennung bzw. Ausschluss einer Person als Vormund nach § 1776 bzw. § 1782 BGB samt Verpflichtungsbefreiung, – Benennung der Person eines Ergänzungspflegers gem. § 1917 BGB samt Verpflichtungsbefreiung, 1 Erman/Kroll-Ludwigs, vor § 1297 Rz. 7; Erman/Kappler/Kappler, § 2275 Rz. 2. 2 Erman/Kappler/Kappler, § 2275 BGB Rz. 2; HK-BGB/Hoeren, § 2275 Rz. 6; MüKo. BGB/Musielak, § 2275 Rz. 2; NK-BGB/Kornexl, § 2275 Rz. 15;Wellenhofer, NJW 2005, 705, 709; 3 BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159; Staudinger/Kanzleiter, § 2275 Rz. 9. 4 Bamberger/Roth/Litzenburger, § 2275 Rz. 6; HK-BGB/Hoeren, § 2275 Rz. 6; Jauernig/Stürner, § 2275 Rz. 1; MüKo.BGB/Musielak, § 2275 Rz. 10; NK-BGB/Kornexl, § 2275 Rz. 23; Palandt/Weidlich, § 2275 Rz. 2. 5 Erman/Kappler/Kappler, § 2275 Rz. 2. Fröhler

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– Anordnung von Testaments- bzw. Vermächtnisvollstreckung bzw. Ernennung des Testaments- bzw. Vermächtnisvollstreckers, – Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis nach § 1640 Abs. 2 BGB.1 2. Verwaltungsrechtsentzug zulasten der Eltern unter Benennung eines Ergänzungspflegers 30

Nach § 1638 Abs. 1 BGB kann ein Erblasser durch letztwillige Verfügung – ebenso wie ein lebzeitig Verfügender durch Anordnung bei Zuwendung – bestimmen, – dass den Eltern des minderjährigen Begünstigten beschränkt auf das von Todes wegen zugewendete Vermögen das gesetzliche Verwaltungsrecht entzogen wird, – welche Person stattdessen nach § 1917 BGB als Ergänzungspfleger zur diesbezüglichen Verwaltung berechtigt ist, – den Pfleger gem. §§ 1915, 1803 BGB zu bestimmten Maßnahmen bzw. Unterlassungen bei der Vermögensverwaltung anweisen2 und – für diese Person unmittelbar die in den §§ 1852 bis 1854 BGB bezeichneten Befreiungen ganz oder teilweise anordnen, zu denen insbesondere der Ausschluss folgender gesetzlicher Erfordernisse gehört: – Bestellung eines Gegenpflegers, – Sperrvermerke und Mitwirkung eines Gegenpflegers bzw. des Familiengerichts bei der Anlegung von Geld, – Genehmigungserfordernis durch einen Gegenpfleger bzw. das Familiengericht bei Verfügungen über Forderungen und Wertpapiere, – Hinterlegung von Inhaber- und Orderpapieren samt Veranlassung der Eintragung des Vermerks in das Bundes-/Landesschuldbuch – Rechnungslegung.

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Statt durch einen Ergänzungspfleger kann der Erblasser das von ihm dem Minderjährigen zugewendete Vermögen auch mittels Testamentsvollstrecker (s. dazu Rz. 40 ff.) verwalten lassen. Im Gegensatz zur Pflegschaft wird die Testamentsvollstreckung insbesondere auch über das achtzehnte Lebensjahr des bedachten Kindes hinaus angeordnet und unabhängig von gerichtlichen Genehmigungen geführt.

Beratungshinweis: Hierbei ist im Einzelnen sehr sorgfältig abzuwägen, ob und inwieweit auf die gesetzliche Vorgabe zum Minderjährigenschutz tatsächlich verzichtet werden soll. An Stelle einer vollständigen Befreiung einerseits oder vollumfänglichen Beibehaltung der gesetzlichen Beschränkungen andererseits kommt alternativ auch eine nach einzelnen Befreiungstatbeständen differenzierende Entscheidung über teilweise Befreiung bzw. Beschränkung in Betracht. Dies gilt insbesondere für eine bloße lockernde Befreiung von der Rechnungspflicht nach § 1854 Abs. 1 BGB mit der Folge, 1 Horn, ZEV 2013, 297 (301 ff.). 2 Horn, ZEV 2013, 297 (302). 612

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Rz. 33

dass dem Familiengericht gem. § 1854 Abs. 2 BGB ersatzweise nach dem Ablauf von grundsätzlich jeweils zwei Jahren zumindest eine Übersicht über den Bestand des der Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen ist. Insbesondere im Rahmen eines Geschiedenentestaments möchten voneinander geschiedene frühere Ehegatten mit gemeinschaftlichen minderjährigen Kindern häufig dafür Sorge tragen, dass auf ihren Tod der jeweils andere Ehegatte nicht mittels Sorgerechts für die zu Erben eingesetzten gemeinsamen Kinder auf das Nachlassvermögen Zugriff nimmt.

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M 111 Benennung eines Pflegers für minderjährige Kinder des Erblassers (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Soweit meine Kinder bei meinem Tod noch minderjährig sind, ordne ich hiermit an, dass mein von mir geschiedener Ehegatte … (Vor- und Nachname) in der Vermögenssorge für unsere Kinder hinsichtlich desjenigen Nachlassvermögens beschränkt ist, das diese durch Erbfolge, vermächtnisweise oder als Pflichtteil von mir erhalten. Als Pfleger benenne ich hierfür … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift), ersatzweise … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift). Der Pfleger wird hiermit gem. §§ 1915, 1803 BGB angewiesen, das meinen Kindern von mir zugewendete Vermögen so zu verwalten, dass ihre jeweilige schulische und berufliche Ausbildung sichergestellt ist. Hierbei sollen je nach individuellen Fähigkeiten auch Auslandsaufenthalte für Schul-, Studien-, Berufsausbildungs- oder Praktikumszeiten ermöglicht werden. Jeder dieser Pfleger ist im Sinne der §§ 1852 bis 1855, 1909, 1917 BGB vollumfänglich befreit. Alternativ: Jeder dieser Pfleger wird von der Rechnungspflicht nach § 1854 Abs. 1 BGB mit der Folge befreit, dass dem Familiengericht gem. § 1854 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzweise nach dem Ablauf von mindestens zwei Jahren eine Übersicht über den Bestand des der Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen ist. Eine familiengerichtliche Anordnung längerer Vorlagefristen nach § 1854 Abs. 2 S. 2 BGB wird hiermit jedoch ausgeschlossen. Sollte keiner der von mir vorstehend Genannten das Amt des Pflegers übernehmen bzw. sollten alle Genannten später nach Amtsübernahme wegfallen, ist ein durch das Familiengericht eingesetzter anderer Pfleger nicht im o.g. Sinne befreit. …

3. Verwaltungsanordnung gegenüber den Eltern Gem. § 1639 BGB kann ein Erblasser durch letztwillige Verfügung – ebenso wie ein lebzeitig Verfügender durch entsprechende Anordnung bei Zuwendung – bestimmen, auf welche Weise die Eltern das – sei es unmittelbar durch Erbfolge oder in Gestalt eines erfüllten schuldrechtlichen Vermächtnisses bzw. Pflichtteilsanspruchs1 angefallene – Zugewendete zu verwalten haben. Andernfalls 1 Horn, ZEV 2013, 297 (301 f.). Fröhler

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richtet sich die Verwaltung nach den gegenüber § 1639 BGB dispositiven1 gesetzlichen Regelungen, die insbesondere gem. § 1642 BGB die Anlage des Kindesgeldes nach den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung vorschreiben, ohne jedoch Ausgaben für außergewöhnliche Kosten des minderjährigen Kindes wie bspw. einen Auslandsaufenthalt auszuschließen,2 und nach § 1649 BGB lediglich die Verwendung der Einkünfte und damit grundsätzlich nicht auch der Substanz des Kindesvermögens selbst für den Unterhalt erlauben. 34

Im Gegensatz zur Führung einer Vormundschaft besteht somit insbesondere für die Eltern als gesetzliche Vertreter ihres minderjährigen Kindes keine Verpflichtung zur mündelsicheren versperrten Geldanlage i.S.d. §§ 1807 Abs. 1 Nr. 5, 1809 BGB.

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Eine typische Gestaltungsvariante zugunsten des bedachten minderjährigen Kindes ist der letztwillige Ausschluss von Verwendungen aus dem zugeteilten Vermögen an andere als das minderjährige Kind, insbesondere an dessen Eltern oder minderjährige unverheiratete Geschwister i.S.d. § 1649 Abs. 2 BGB.

M 112 Verwaltungsanordnung zugunsten minderjähriger Kinder gegenüber Eltern (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Vermächtnisweise erhält mein Enkel … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift), ersatzweise dessen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung … mein gesamtes bei der … – Bank angelegtes Geld-, Spar- und Wertpapiervermögen. Mein Enkel … (Vorund Nachname) ist derzeit noch minderjährig. Ich ordne hiermit an, dass das aus diesem ihm bzw. dem Ersatzvermächtnisnehmer zugewendeten Vermächtnis resultierende Vermögen ausschließlich ihm selbst und insbesondere entgegen § 1649 Abs. 2 BGB weder seinen Eltern noch seinen minderjährigen unverheirateten Geschwistern ausgekehrt werden darf. …

4. Benennung eines Vormundes für die eigenen minderjährigen Kinder 36

Sind nach dem Tod beider Eltern zurückbleibende Kinder noch minderjährig, muss für diese gem. § 1773 Abs. 1 BGB ein Vormund bestellt werden. Dabei wird der Vormund nach § 1779 BGB grundsätzlich durch das Familiengericht bestimmt. Die Eltern können jedoch bereits vorsorglich gem. § 1776 BGB einen Vormund benennen, der vom Familiengericht nach § 1778 BGB lediglich bei schwerwiegenden entgegenstehenden Gründen, insbesondere im Falle des Widerspruchs eines bereits mindestens 14-jährigen nicht geschäftsunfähigen Mündels oder bei Gefährdung des Mündelwohls, übergangen werden darf. Eine derartige Bestimmung ist jedoch nur dann wirksam, wenn den Eltern zur Zeit ihres 1 BeckOK-BGB/Veit, § 1642 Rz. 5. 2 Horn, ZEV 2013, 297 (301); Palandt/Götz, § 1642 Rz. 3. 614

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Todes die Personen- und Vermögenssorge für das betroffene Kind zusteht. Der Vormund kann dabei nach § 1777 Abs. 3 BGB ausschließlich durch letztwillige Verfügung wirksam benannt werden. Ein bspw. nicht beurkundeter maschinengeschriebener Text der Eltern wäre daher mangels Erfüllung der Testamentsform unbeachtlich. Gem. §§ 2270 Abs. 2 bzw. 2278 Abs. 2 BGB kann die gemeinsame Benennung in einem gemeinschaftlichen Testament bzw. Erbvertrag nicht wechselbezüglich bzw. vertragsmäßig bindend erfolgen. Vielmehr ist nach § 1776 Abs. 2 BGB die Benennung durch den zuletzt verstorbenen Elternteil stets vorrangig. Der Vormund kann gem. §§ 1852–1855 BGB befreit werden.

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M 113 Vormundbenennung für minderjährige Kinder auf den Tod beider Eltern (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Unsere beiden Kinder … (Vor- und Nachname) und … (Vor- und Nachname) sind derzeit noch minderjährig. Soweit sie beim Tod des Längstlebenden von uns bzw. bei unserem gleichzeitigen Tod noch minderjährig sind, benennt jeder von uns … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft in … (Wohnanschrift), ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft in … (Wohnanschrift) zu deren Vormund. Unsere Kinder sollen möglichst gemeinsam aufwachsen können. Jeder genannte Vormund ist im Sinne der §§ 1852 bis 1855 BGB vollumfänglich befreit. Alternativ: Jeder genannte Vormund wird von der Rechnungspflicht nach § 1854 Abs. 1 BGB mit der Folge befreit, dass dem Familiengericht gem. § 1854 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzweise nach dem Ablauf von mindestens zwei Jahren eine Übersicht über den Bestand des der Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen ist. Eine familiengerichtliche Anordnung längerer Vorlagefristen nach § 1854 Abs. 2 S. 2 BGB wird hiermit jedoch ausgeschlossen. Sollte keiner der von mir vorstehend Genannten das Amt des Vormundes übernehmen bzw. sollten alle Genannten später nach Amtsübernahme wegfallen, ist ein durch das Familiengericht eingesetzter anderer Vormund nicht im o.g. Sinne befreit. …

5. Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis Nach § 1640 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann ein Erblasser durch letztwillige Verfügung – ebenso wie ein lebzeitig Verfügender durch entsprechende Anordnung bei Zuwendung – bestimmen, dass die Eltern hinsichtlich des so letztwillig Zugewendeten abweichend vom Grundsatz des § 1640 Abs. 1 BGB (s. dazu Rz. 122 ff.) trotz Überschreitens der diesbezüglichen Wertgrenze von 15 000 Euro doch kein Vermögensverzeichnis zu erstellen, mit Versicherung der Richtig- und Vollständigkeit zu versehen und dem Familiengericht vorzulegen haben. Fröhler

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Beratungshinweis: Hierbei sollte der Erblasser sehr sorgfältig abwägen, ob er auf diese gesetzliche Vorgabe zum Minderjährigenschutz tatsächlich verzichtet. Bejahendenfalls erlangt das Familiengericht auch nach § 156 Abs. 1 FamFG keine Kenntnis von dem Anfall des Vermögens und hat dann auch keinerlei Veranlassung zu Überprüfungen, die jedoch im Interesse des Erblassers liegen können. M 114 Befreiung von der Vorlagepflicht für ein Vermögensverzeichnis (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Zu meinem alleinigen Erben setze ich hiermit meinen Enkel … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift) ein, ersatzweise die Abkömmlinge eines wegfallenden Erben nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung, wiederum ersatzweise tritt Anwachsung ein. Es ist keine Nacherbfolge angeordnet. Mein Enkel … (Vor- und Nachname) ist derzeit noch minderjährig. Ich ordne hiermit an, dass nach § 1640 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf die Erstellung und Vorlage eines Vermögensverzeichnisses gem. § 1640 Abs. 1 BGB an das Familiengericht verzichtet wird. …

6. Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes für minderjährige nicht aus einer Ehe entstammende Kinder 39

Nach § 1777 Abs. 3 BGB kann eine leibliche Mutter durch letztwillige Verfügung hinsichtlich ihrer minderjährigen, nicht aus einer Ehe entstammenden Kinder anordnen, dass nach ihrem Tod abweichend von § 1680 Abs. 2 BGB anstelle des leiblichen Vaters ein Vormund zum gesetzlichen Vertreter bestellt wird. Zudem kann sie den Vormund benennen und ihn innerhalb der o.g. Optionen aus den Regelungen der §§ 1852 bis 1855 BGB befreien (s. dazu Rz. 30). Soweit beide Elternteile keine gemeinsame Sorgeerklärung i.S.d. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben haben, sie einander auch später nicht geheiratet haben und das Familiengericht ihnen die elterliche Sorge nicht nach §§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 1671 BGB gemeinsam oder einem allein übertragen hat,1 so muss das Familiengericht beim Tod der Mutter nach § 1680 Abs. 2 BGB diese elterliche Sorge dann auf den leiblichen Vater übertragen, wenn dies dem Wohl der Kinder nicht widerspricht.

Beratungshinweis: Zur Vermeidung einer im Einzelfall ungerechtfertigten Sorgerechtsübertragung auf den leiblichen Vater sollte die leibliche Mutter in ihrer letztwilligen Verfügung eventuell vorhandene Gründe für eine negative Kindeswohlprüfung aufführen. Hierzu gehören insbesondere Umstände, aufgrund derer nicht zu erwarten ist, dass der Vater die Belange der 1 §§ 1626a, 1671 BGB neu gefasst und § 1672 BGB aufgehoben mit Wirkung vom 19.5. 2013 durch Gesetz v. 16.4.2013, BGBl. 2013 I, S. 795. 616

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Kinder ernsthaft wahrnehmen würde, insbesondere wenn er zu den Kindern jeglichen Kontakt gemieden und sich um diese niemals gekümmert hatte.

M 115 Ausschluss der Sorgerechtsübertragung und Benennung eines Vormundes durch die Mutter für ihre minderjährigen nicht aus einer Ehe stammenden Kinder (Verfügung von Todes wegen – Auszug) Meine beiden o.g. Kinder entstammen nicht aus einer Ehe. Mit dem leiblichen Vater, Herrn … (Vor- und Nachname), wurde keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben. Wir haben auch nach der Geburt der Kinder keine Ehe miteinander geschlossen. Er hat sich um die Kinder seit deren Geburt nicht gekümmert und zu ihnen auch keinen Kontakt gesucht. Eine Übertragung der elterlichen Sorge auf ihn als den leiblichen Vater würde dem Wohl der Kinder nach § 1680 Abs. 2 BGB widersprechen. Soweit meine beiden o.g. Kinder bei meinem Tod noch minderjährig sind, benenne ich … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift), ersatzweise … (Vor- und Nachname) geb. am … (Geburtsname), wohnhaft in … (Anschrift) zu deren Vormund. Der Vormund ist im Sinne der §§ 1852 bis 1855 BGB vollumfänglich befreit. Alternativ: Der Vormund wird von der Rechnungspflicht nach § 1854 Abs. 1 BGB mit der Folge befreit, dass dem Familiengericht gem. § 1854 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzweise nach dem Ablauf von mindestens zwei Jahren eine Übersicht über den Bestand des der Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen ist. Eine familiengerichtliche Anordnung längerer Vorlagefristen nach § 1854 Abs. 2 S. 2 BGB wird hiermit jedoch ausgeschlossen. Sollte keiner der von mir vorstehend Genannten das Amt des Vormundes übernehmen bzw. sollten alle Genannten später nach Amtsübernahme wegfallen, ist ein durch das Familiengericht eingesetzter anderer Vormund nicht im o.g. Sinne befreit. …

7. Testamentsvollstreckung bei minderjährigen Erben Soweit sich Ehegatten als Erblasser für eine von den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Testamentsvollstreckung entscheiden, die auch über das 18. Lebensjahr ihrer von ihnen bedachten zunächst noch minderjährigen Kinder hinausgeht und eine eventuelle Ergänzungspflegschaft für die Ausführung der Testamentsvollstreckeraufgaben samt damit ggf. verbundenen gerichtlichen Genehmigungserfordernissen vermeidet, stellt sich vielfach die Frage, inwieweit auf den Tod des Erstversterbenden eine Ernennung des Längstlebenden von ihnen zum Testamentsvollstrecker möglich ist, verneinendenfalls, ob ein Ersatztestamentsvollstrecker bestimmt, und bejahendenfalls, wer als solcher ernannt wird.

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Zwar ist auch bei einer Testamentsvollstreckung durch den ausdrücklich von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiten längstlebenden Ehegatten als zugleich alleinigem gesetzlichen Vertreter der zunächst noch minderjährigen Kinder nicht ausschließbar, dass ein Ergänzungspfleger bestellt wird, der zugunsten

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der noch minderjährigen Kinder deren Kontrollrechte wahrnimmt. Dabei besteht zwar kein genereller Interessengegensatz zwischen elterlichem Sorgerecht und Testamentsvollstreckeramt des gesetzlichen Vertreters, doch kann zur Wahrnehmung der Rechte des Vertretenen gegenüber dem gesetzlichen Vertreter als Testamentsvollstrecker – nicht jedoch zur Wahrnehmung der Rechte des Vertretenen aus dem Nachlassvermögen – je nach Einzelfall eine Ergänzungspflegschaft erforderlich sein.1 42

Grundsätzlich darf weder der Alleinvollerbe2 noch der alleinige Vorerbe3 alleiniger Testamentsvollstrecker sein, da er als alleiniger Erbe ohnehin wie ein an seiner Stelle eingesetzter Testamentsvollstrecker verfügen kann und eine zusätzliche Anordnung der Testamentsvollstreckung überflüssig, sinnlos und daher unzulässig wäre. Etwas Anderes soll nur dann gelten, wenn sich die Testamentsvollstreckung auf die sofortige Erfüllung eines Vermächtnisses beschränkt, somit insbesondere nicht der Dauerverwaltung dient und das Nachlassgericht bei groben Pflichtverstößen einen anderen Testamentsvollstrecker bestimmen kann.4 Daher kann insbesondere der längstlebende Ehegatte als Alleinvorerbe im Gegensatz zu einem Mitvorerben5 nicht zugleich Nacherbenvollstrecker i.S.d. § 2222 BGB sein und dabei auch die Nacherbenrechte der als Nacherben eingesetzten zunächst minderjährigen und später volljährigen Kinder mit der Folge nicht wahrnehmen, dass entweder ein fremder in derartigen Konstellationen gerade nicht gewünschter Ersatztestamentsvollstrecker oder ein noch weniger gewollter Ergänzungspfleger zur Wahrnehmung der Rechte des Vertretenen nicht nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter, sondern dann auch erstmals aus dem Nachlassvermögen erforderlich wäre.6

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Wird hingegen hinsichtlich der zunächst noch minderjährigen und später volljährigen, aber noch bis zu einem bestimmten Alter zu kontrollierenden Kinder eine Vermächtnislösung gewählt, die auch mittels Vor- und Nachvermächtnis ausgestaltbar ist, kann über das Gestaltungsinstrument der Vermächtnisvollstreckung nach § 2223 BGB der längstlebende Ehegatte selbst als Alleinerbe zugleich unproblematisch zum Vermächtnisvollstrecker ernannt werden.7

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Unter eine derartige Vermächtnisvollstreckung kann zudem die Überwachung einer Auflagenvollziehung fallen, bspw. die Bezahlung der Grabpflege oder der Versorgung eines Haustieres aus einem vermachten Geldbetrag. Daneben ist die Vermächtnisvollstreckung auch zum Zwecke der Verwaltung eines einem Vermächtnisnehmer zugewendeten Vermächtnisgegenstandes zulässig, bspw. eines Miteigentumsanteils an einem Betriebsgrundstück, das aus steuerlichen Gründen minderjährigen Kindern vermächtnisweise zugeteilt wurde, bis diese ein be1 BGH v. 5.3.2008 – XII ZB 2/07, MDR 2008, 805 = ZEV 2008, 330 (331 f.). 2 RG v. 15.2.1940 – IV 111/39, RGZ 163, 57 (58); RG v. 26.10.1911 – Rep. IV 34/11, RGZ 77, 177, 178; BayObLG v. 8.9.2004 – 1Z BR 59/04, NJW-RR 2005, 232 (233). 3 OLG Zweibrücken v. 30.6.1999 – 3 W 124/99, FamRZ 2000, 323 = ZEV 2001, 27. 4 BGH v. 26.1.2005 – IV ZR 296/03, FamRZ 2005, 1829 = FamRZ 2005, 614 = MDR 2005, 690 = ZEV 2005, 204, 205 m. Anm. Adams. 5 BayObLG v. 12.7.1994 – 1Z BR 148/93, FamRZ 1995, 124 = NJW-RR 1995, 711 (713); Staudinger/Reimann, § 2222 Rz. 16; a.A. BeckOK-BGB/J. Mayer, § 2222 Rz. 5. 6 RG v. 26.10.1911 – Rep. IV 34/11, RGZ 77, 177, 178; MüKo.BGB/Zimmermann, § 2222 Rz. 4; Soergel/Damrau, § 2222 Rz. 6; Staudinger/Reimann, § 2222 Rz. 15. 7 BayObLG v. 8.9.2004 – 1Z BR 59/04, NJW-RR 2005, 232 (233). 618

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stimmtes Alter erreicht haben werden. Eine Vermächtnisvollstreckung erfasst zudem Abwicklungsvollstreckungsaufgaben zur Erfüllung der dem Vermächtnisnehmer auferlegten Beschwerungen wie bspw. von Nachvermächtnissen, kann im Grundbuch eingetragen werden,1 ermöglich dem Vermächtnisvollstrecker die nachlassgerichtliche Ausstellung eines Vermächtnisvollstreckerzeugnisses zur Legitimation im Rechtsverkehr,2 wird jedoch anders als die Testamentsvollstreckung mangels Beschränkung der Verfügungsrechte des Erben nicht im Erbschein vermerkt.3 Ein Vermächtnisvollstrecker kann dabei alleine auf die Aufgabe der Vermächtnisvollstreckung beschränkt oder zusätzlich auch (sonstiger) Testamentsvollstrecker sein.

Beratungshinweis: Erwägen Ehegatten unter gegenseitiger Alleinerbeneinsetzung eine Testamentsvollstreckungsanordnung auf den Tod des Erstversterbenden bezüglich der zunächst noch minderjährigen Kinder bis über das Erreichen deren Volljährigkeit hinaus, ggfs. auch unter Nachvermächtnisanordnung, und soll der Längstlebende von ihnen zwingend zugleich Testamentsvollstrecker sein, kann dies regelmäßig ausschließlich mittels Vermächtnisvollstreckung nach § 2223 BGB erreicht werden, da der Alleinerbe in anderen Testamentsvollstreckungsvarianten grundsätzlich als Testamentsvollstrecker ausgeschlossen ist. M 116 Anordnung von Vermächtnisvollstreckung (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Wir ordnen sowohl auf den Tod des Erstversterbenden als auch auf den Tod des Längstlebenden von uns sowie im Falle unseres gleichzeitigen Todes Testamentsvollstreckung nach folgender Maßgabe an: Auf den Tod des Erstversterbenden ist der Längstlebende von uns, ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), wiederum ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), als Testamentsvollstrecker ernannt. Ersatzweise ist das Nachlassgericht ersucht, einen geeigneten Testamentsvollstrecker zu ernennen. Dabei ist die Testamentsvollstreckung auf eine bloße Vermächtnisvollstreckung und diesbezüglich darauf beschränkt, die nach Nr. …. (Bezifferung) dieses Testaments geschuldeten Grundbesitzvermächtnisse anteilig an unsere Abkömmlinge unter Aufhebungsversteigerungserschwernis nach § 1010 BGB, Nießbrauchsund Rückübertragungsvorbehalt Zug um Zug gegen entsprechende dingliche Absicherung durch Eintragung eines Vermerks nach § 1010 BGB, des Nießbrauchs mit Löschungszusatz und einer Rückübertragungsvormerkung in dort genannter Weise durch Grundbuchvollzug zu erfüllen sowie sodann während der dort vorgesehenen Dauer insgesamt bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des jüngsten Vermächtnisnehmers zu verwalten. 1 Staudinger/Reimann, § 2223 Rz. 20. 2 Prütting/Helms/Fröhler, § 354 FamFG Rz. 20 f.; Staudinger/Reimann, § 2223 Rz. 19. 3 Prütting/Helms/Fröhler, § 352 FamFG Rz. 52. Fröhler

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Auf den Tod des Längstlebenden von uns sowie im Falle unseres gleichzeitigen Todes ist … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), wiederum ersatzweise … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft … (Wohnanschrift), als Testamentsvollstrecker ernannt. Ersatzweise ist das Nachlassgericht ersucht, einen geeigneten Testamentsvollstrecker zu ernennen. Dabei ist die Erbauseinandersetzung zunächst bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des jüngsten Miterben unter Verwaltung aller Erbteile aufzuschieben und sodann unter Berücksichtigung der nach Nr. …. (Bezifferung) dieses Testaments vorgesehenen Teilungsanordnung, im Übrigen nach billigem Ermessen auszuführen. Der Testamentsvollstrecker ist dabei zur Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlass in unbeschränktem Umfang berechtigt und unter Beachtung seiner Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Verwaltung von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Alternativ: Der Testamentsvollstrecker ist entgegen der Vermutung aus § 2209 S. 2 BGB nicht in unbeschränktem Umfang zur Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlass berechtigt und auch nicht unter Beachtung seiner Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Verwaltung von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. … 46

Der Erblasser kann das von ihm einem Minderjährigen zugewendete Vermögen statt durch einen Testamentsvollstrecker auch mittels Ergänzungspfleger (s. dazu Rz. 30) verwalten lassen. Im Gegensatz zur Testamentsvollstreckung wird die Ergänzungspflegschaft jedoch nicht über das achtzehnte Lebensjahr des bedachten Kindes hinaus angeordnet und unterliegt nach § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB im Umfang des Vormundschaftsrechts je nach Regelungsgegenstand, dort insbesondere nach den §§ 1821, 1822 BGB, verschiedenen gerichtlichen Genehmigungsvorbehalten.

V. Minderjährige Enkelkinder als Nutznießer letztwilliger Pflichtteilsbeschränkung Beratungssituation: Die Eltern M und F möchten letztwillig sicherstellen, dass ihr Nachlass nicht aufgrund Überschuldung ihres Kindes im Wege der Verwertung durch dessen Gläubiger aufgezehrt wird. Sie erwägen daher eine Nacherbfolgeanordnung samt Testamentsvollstreckung und Pflichtteilsbeschränkung zugunsten ihrer Enkelkinder. 47

Überschuldete oder der Verschwendung ergebene Abkömmlinge kann der Erblasser gem. § 2338 BGB in guter Absicht in ihren Pflichtteilsrechten beschränken, um das Familienvermögen zu schützen. Voraussetzung ist dabei, dass die Überschuldung bzw. Verschwendungssucht sowohl bei Errichtung der letztwilligen Verfügung – hieran wird die Anwendung des § 2338 BGB insbesondere gegenüber behinderten Abkömmlingen, denen zu diesem Zeitpunkt zumeist lediglich eine spätere Überschuldung drohen wird, häufig scheitern – als auch im Erbfall besteht und den späteren Erwerb der Erbschaft in erheblichem Maß gefährdet. 620

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Die Pflichtteilsbeschränkung nach § 2338 BGB ist ausschließlich gegenüber Abkömmlingen i.S.d. § 2303 BGB – dabei jedoch ungeachtet des Grades – und nur dann eröffnet, wenn der Erblasser die gesetzlichen Erben des zu beschränkenden Abkömmlings auf dessen Tod – ein anderes Ereignis ist hingegen nicht ausreichend – als Nacherben bzw. Nachvermächtnisnehmer nach dem Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile einsetzt und/oder auf Lebenszeit des zu beschränkenden Abkömmlings Verwaltungstestamentsvollstreckung mit Weisung zur Auskehrung des jährlichen Reinertrages an den zu beschränkenden Abkömmling anordnet. § 2338 BGB schützt daher unter Beschränkung jeglicher Pflichtteilsansprüche des Abkömmlings insbesondere durch Anordnung der Nacherbfolge bzw. Verwaltungstestamentsvollstreckung mittels der Regelungen nach §§ 2111 ff. bzw. 2211 BGB vor Verfügungen des betroffenen Abkömmlings und vor einem Gläubigerpfändungszugriff nach § 2115 bzw. § 2214 BGB sowie hinsichtlich der Erbschaftsnutzungen gem. § 863 ZPO.

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Auch für Erbfälle bis zum 31.12.2009 galten derartige Beschränkungen bei Wahrung des Rahmens des § 2338 BGB trotz der zwischenzeitlich aufgehobenen Regelung des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB selbst dann als wirksam, wenn der dem Abkömmling hinterlassene Erbteil nicht größer als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils war.1

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Beratungshinweis: Die gesetzlichen Regelungen verweisen dabei teilweise auf die Vorschriften über die Pflichtteilsentziehung. Gem. §§ 2338 Abs. 2 S. 1, 2336 Abs. 2 BGB muss die letztwillige Verfügung den Grund der Beschränkung angeben. Nach §§ 2338 Abs. 2 S. 1, 2336 Abs. 3 BGB obliegt demjenigen die Beweislast für die Voraussetzungen der Beschränkung, der sich darauf beruft. Soweit möglich sollten daher bereits bei Errichtung der letztwilligen Verfügung vorhandene Nachweise benannt und sicher sowie auch später noch auffindbar verwahrt werden. Eine analoge Anwendung der Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht nach den §§ 2338 BGB, 863 ZPO auf überschuldete Ehegatten ist nicht möglich. Insoweit kommen ausschließlich pflichtteilsanfällige Gestaltungen – bspw. eine Nacherbenanordnung mit Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung oder ein bloßes Nießbrauchs- bzw. Wohnungsrechtsvermächtnis unter Erbausschluss – in Betracht.

M 117 Testamentarische Pflichtteilsbeschränkung des Kindes durch Eltern zugunsten minderjähriger Enkelkinder (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Zu meinen Erben setze ich zu gleichen Teilen meinen Sohn/meine Tochter … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum) in … (Geburtsort), wohnhaft … (Wohnanschrift) und meine Tochter/meinen Sohn … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum) in … (Geburtsort), wohnhaft … (Wohnanschrift) ein. 1 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Kap. Rz. 145 ff.; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 88 Rz. 36 ff. Fröhler

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Ersatzerben meines Sohnes/meiner Tochter … (Vor- und Nachname), sind dessen/ deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung. Hierzu zählen ohne Einschränkung auch nicht aus einer Ehe stammende Kinder und deren Abkömmlinge. Meine Tochter/mein Sohn … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum) in … (Geburtsort), wohnhaft … (Wohnanschrift) ist suchtkranke Alkoholikerin/ suchtkranker Alkoholiker und dadurch erheblich überschuldet. Ihr/Sein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde zwischenzeitlich mangels Masse abgelehnt. Wegen daraus resultierender weitreichender Gefährdung ihres/seines späteren Erwerbs ist sie/er nach § 2338 BGB lediglich von den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB nicht befreite Vorerbin/nicht befreiter Vorerbe. Nacherbfolge tritt gem. § 2338 BGB mit dem Tod meiner Tochter/meines Sohnes ein. Nacherben sind die gesetzlichen Erben meiner Tochter/meines Sohnes i.S.d. §§ 2338, 2066 BGB. Die Nacherbanwartschaft ist weder vererblich noch veräußerlich, auch nicht an die Vorerbin/den Vorerben. Zugleich ist die Vorerbin/ der Vorerbe nach § 2338 BGB durch Verwaltungs- und Nacherbenvollstreckung i.S.d. § 2222 BGB beschränkt, hat jedoch Anspruch auf den ihrer/seiner Erbquote entsprechenden jährlichen Reinertrag. Schlägt meine Tochter/mein Sohn ihren/ seinen Erbteil aus und verlangt sie/er den Pflichtteil, unterliegt dieser den für den Erbteil angeordneten Beschränkungen. Ersatzerben der Vorerbin sind die Nacherben, zu deren Gunsten dann alle hiesigen Beschränkungen entfallen. Zum Testamentsvollstrecker ist mein Sohn/meine Tochter … (Vor- und Nachname) ernannt. Ersatzweise ersuche ich das Nachlassgericht, eine geeignete Person als Testamentsvollstrecker zu ernennen. Der Testamentsvollstrecker ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit und unterliegt in der Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlass keinen Beschränkungen. Dem Testamentsvollstrecker steht eine angemessene Vergütung zu, wobei diese an den Empfehlungen des Deutschen Notarvereins (Neue Rheinische Tabelle mit eventuellen Fortschreibungen) ausgerichtet sein soll, der Testamentsvollstrecker die Vergütung nach billigem Ermessen festsetzen darf1 und der Vergütungsanspruch erst dreißig Jahre nach meinem Tod verjährt.2 …

VI. Schutz minderjähriger Kinder des erstversterbenden Ehegatten in Patchwork-Familien durch Ausbildungsunterhaltsvermächtnis Beratungssituation: Die Eheleute F und M sowie die minderjährigen Kinder KF, KM und KFM bilden eine Patchwork-Familie. F und M möchte sich letztwillig zunächst gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Es soll jedoch auch sichergestellt sein, dass jedem Kind des erstversterbenden Ehegatten, das nicht zugleich Kind des Längstlebenden ist, eine Ausbildung finanziert wird. 51

Häufig besteht eine sog. Patchwork-Familie aus zwei miteinander verheirateten Ehepartnern, von denen jeder ein Kind oder mehrere Kinder aus seiner vorheri1 Odersky, notar 2010, 23. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Kap. FBsp. 15; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 88 M. 88.4. 622

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gen anderweitigen Beziehung hat und die zudem mindestens ein gemeinsames Kind haben. Soweit sich die Eheleute für eine Vollerbeneinsetzung des längstlebenden Ehegatten mit Schlusserbenberufung aller Kinder auf den Tod des längstlebenden Ehegatten anstelle einer Trennungs- bzw. Herausgabevermächtnislösung unter freiem auch quotenmäßig nicht nach Stämmen beschränktem Abänderungsvorbehalt des längstlebenden Ehegatten entscheiden, sind minderjährige Kinder ausschließlich des erstversterbenden Ehegatten besonders schutzbedürftig, zumal dann kein Anspruch auf Ausbildungsgewährung nach § 1371 Abs. 4 BGB besteht, da es an der dazu erforderlichen gesetzlichen Erbfolge zugunsten des längstlebenden Ehegatten aus § 1371 Abs. 1 BGB bzw. dessen dem gleichzusetzenden letztwilligen Erbeinsetzung gemäß gesetzlicher Erbfolge1 fehlt.

Beratungshinweis: Da nach dem Tod des leiblichen Elternteils als erstversterbendem Ehegatten den Stiefkindern gegenüber ihrem Stiefelternteil als längstlebendem Ehegatten keine gesetzlichen Unterhaltsansprüche zustehen, empfiehlt sich auf den Tod des Erstversterbenden zugunsten dessen nicht gemeinschaftlicher, insbesondere minderjährigen Abkömmlinge, die noch keine Berufsausbildung abgeschlossen haben, zumindest für den Ausbildungsunterhalt ein entsprechendes Vermächtnis bzw. alternativ oder ergänzend eine Unterhaltsvereinbarung der Eheleute.2 M 118 Ausbildungsunterhaltsvermächtnis in Patchwork-Familie (Verfügung von Todes wegen – Auszug) … Vermächtnisweise erhält derjenige nichtgemeinschaftliche Abkömmling des erstversterbenden Ehegatten, der kein Abkömmling des längstlebenden Ehegatten ist und noch keine Berufsausbildung abgeschlossen hat, auf den Tod des erstversterbenden Ehegatten aus dessen Nachlass ein Geldvermächtnis, das sich nach den voraussichtlichen Kosten der Berufsausbildung bemisst, sofort mit dem Erbfall fällig ist und erst dreißig Jahre nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten verjährt. Der erstversterbende Ehegatte ersucht das Nachlassgericht, einen geeigneten Testamentsvollstrecker zu ernennen, der sodann Art und Höhe der Zahlung zu bestimmen hat und dem eine angemessene Vergütung zusteht, wobei diese an den Empfehlungen des Deutschen Notarvereins (Neue Rheinische Tabelle mit eventuellen Fortschreibungen) ausgerichtet sein soll, der Testamentsvollstrecker die Vergütung nach billigem Ermessen festsetzen darf3 und der Vergütungsanspruch erst dreißig Jahre nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten verjährt.4 …

1 Erman/Budzikiewicz, § 1371 Rz. 20. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Kap. Rz. 13 f.; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 88 Rz. 3. 3 Odersky, notar 2010, 23. 4 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 6. Kap. FBsp. 2; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 88 M. 88.1. Fröhler

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VII. Gestaltung durch Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- bzw. Zuwendungsverzichtsvertrag 1. Praktische Relevanz bei Beteiligung Minderjähriger

Beratungssituation: Die Eheleute M und F haben zwei gemeinsame Kinder K1 und K2. M ist zudem Vater eines minderjährigen nichtehelichen Kindes N, das bei der leiblichen Mutter FN lebt und keinen engeren Kontakt zu ihm hat. M möchte seine künftige Vermögensnachfolge zuverlässig gestalten. Hierzu soll FN vorab finanziell abgefunden werden. M ist sich unschlüssig, ob dazu ein Erbverzichts- oder vielmehr ein bloßer Pflichtteilsverzichtsvertrag das richtige Gestaltungsmittel ist. 53

Regelungen über Erbverzichts-, Pflichtteilsverzichts- bzw. Zuwendungsverzichtsverträge können auch bei Beteiligung minderjähriger Kinder erhebliche praktische Relevanz aufweisen. Dies gilt sowohl für die Mitwirkung Minderjähriger auf Erblasser- als auch auf Verzichtendenseite. Soll bspw. eine bestimmte Immobilie bzw. Firmenbeteiligung lebzeitig von einem auf den anderen Elternteil oder von Elternseite auf ein Geschwisterkind des Minderjährigen gegen diesbezügliche Abfindung übertragen werden, kommt dafür ein gegenständlich beschränkter, auflösend um die Nichtbegleichung der vereinbarten Abfindungszahlung bedingter Pflichtteilsverzichtsvertrag mit dem Minderjährigen auf Verzichtendenseite in Betracht. Wird hingegen eine letztwillige Zuordnung gewünscht und widerspricht diese einer erbrechtlichen Bindung des Längstlebenden nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils, kann insoweit neben der Änderung der Verfügung von Todes wegen und dem Pflichtteilsverzichtsvertrag zusätzlich ein entsprechender entgeltlicher Zuwendungsverzichtsvertrag zur Aufhebung der entgegenstehenden erbrechtlichen Bindung erforderlich werden.

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Umgekehrt sind Konstellationen vorstellbar, in denen auf den Tod eines minderjährigen Kindes, solange dieses kinderlos und nicht verheiratet ist, dessen Nachlass ausschließlich auf einen bestimmten Elternteil übergehen soll, da dieses Vermögen bei dem anderen Elternteil aufgrund dessen gefahr- und haftungsgeneigter beruflicher Tätigkeit abstrakt gefährdet erscheint. Insoweit kommt insbesondere noch vor Entstehung von konkreten Ansprüchen Dritter ein Pflichtteilsverzichtsvertrag dieses in guter Absicht übergangenen abstrakt gefährdeten Elternteils mit dem minderjährigen Kind auf Erblasserseite in Betracht. 2. Ausgangsdifferenzierung nach Verzichtsart a) Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag

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Gem. § 2346 BGB können Verwandte bzw. der Ehegatte durch Vertrag mit dem Erblasser auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht (Abs. 1), beschränkt auf das gesetzliche Erbrecht unter Aufrechterhaltung oder Vorbehalt des Pflichtteilsrechts1 oder beschränkt auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht unter Aufrecht1 Mot. V S. 472; BayObLG v. 10.2.1981 – BReg 1Z 125/80, BayObLGZ 1981, 30, 33; Bamberger/Roth/J. Mayer, § 2346 Rz. 15; jurisPK-BGB/Hau, § 2346 Rz. 18; MüKo. BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 11; Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 3; Reul, MittRhNotK 1997, 373, 378; Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 9; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 35; a.A. Harrer, ZBlFG 1915, 1, 11. 624

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erhaltung des Erbrechts (Abs. 2) verzichten. Der Verzicht, der auch auf einen bloßen Bruchteil des gesetzlichen Erbrechts in Gestalt eines Erbteils an dem ansonsten anfallenden Gesamtnachlass bzw. einen Teil eines Erbteils beschränkt werden kann,1 muss dabei durch einen gegenseitigen Vertrag, der nach § 2348 BGB der notariellen Beurkundung bedarf, vereinbart werden. Hierbei hat der Erblasser gem. § 2347 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB im Gegensatz zum Verzichtenden höchstpersönlich mitwirken und darf daher, solange er nicht geschäftsunfähig ist, weder rechtsgeschäftlich noch gesetzlich vertreten werden. Ein Verstoß gegen dieses Höchstpersönlichkeitsgebot führt grundsätzlich zur Nichtigkeit des Verzichtsvertrags.2 Da das Gesetz keine gleichzeitige Anwesenheit beider Parteien vorsieht, können Verzichtsverträge, wie häufig praktiziert, nach § 128 BGB durch jeweils gesondert beurkundete Antrags- und Annahmeerklärung wirksam zustande kommen. Verträge über einen Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht können nur zu Lebzeiten des Erblassers wirksam vereinbart werden.3 Teilweise wird in der Literatur abweichend hiervon differenzierend vertreten, dass Pflichtteilsverzichtsverträge anders als ein Erbverzichtsvertrag auch noch – z.B. durch isolierte Annahme des Verzichtenden – nach dem Tod des Erblassers wirksam zustande kommen können, da hierdurch die gesetzliche Erbfolge nicht berührt wird,4 wobei sich diese Ansicht bislang jedoch in der Rechtsprechung nicht hat durchsetzen können.5

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Rechtsfolge eines Erbverzichtsvertrags ist die unmittelbare Veränderung der gesetzlichen Erbfolge dahingehend, dass der Verzichtende und – soweit es sich dabei um einen Abkömmling oder Seitenverwandten des Erblassers handelt und keine andere Regelung getroffen ist – gem. § 2349 BGB seine Abkömmlinge beim Erbfall von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind, als wenn sie zurzeit des Erbfalls nicht mehr lebten. Nach § 2310 S. 2 BGB werden die durch Erbverzicht ausgeschlossenen Verzichtenden bei der Erbteilsfeststellung zur Berechnung von Pflichtteilen anders als gem. § 2310 S. 1 BGB bei ausschließlichem Pflichtteilsverzichtsvertrag, Erbschaftsausschlagung, Erbunwürdigerklärung oder Ausschluss durch letztwillige Verfügung nicht mitgezählt. Wurde eine Erstreckung des Erbverzichts auf die Abkömmlinge entgegen § 2349 BGB ausgeschlossen, werden diese gemäß ihrem Eintrittsrecht nach § 1924 Abs. 3 BGB mitgezählt.

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Erbverzichts- und/oder Pflichtteilsverzichtsverträge sind Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Daraus folgt, dass sich Willensmängel nach den §§ 116 ff. BGB, eine teilweise Unwirksamkeit nach § 139 BGB statt nach § 2085 BGB und eine Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB statt nach § 2078 BGB richten.6 Widerrufsoder Rücktrittsvorbehalte sind unzulässig und dürften regelmäßig in zulässige auflösende Bedingungen umzudeuten sein.7

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1 MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2346 Rz. 14. 2 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319, 321; Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 26; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 1. 3 BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260 = NJW 1997, 521. 4 Mayer, MittBayNot 1997, 85. 5 Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 1. 6 Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 21. 7 Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 3. Fröhler

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Gem. § 2349 BGB erstreckt sich die Wirkung eines Erbverzichts eines Abkömmlinge oder eines Seitenverwandten des Erblassers auf dessen Abkömmlinge, sofern nicht ein anderes bestimmt wird. Nach überwiegender Ansicht gilt diese Vermutungsregelung über den Wortlaut hinaus auch für einen Pflichtteilsverzichtsvertrag.1 Zur Vermeidung von Auslegungsrisiken ist jedoch zu empfehlen, dass sowohl beim Erbverzichts- als auch beim Pflichtteilsverzichtsvertrag ausdrücklich klargestellt wird, ob eine Wirkungserstreckung auf die Abkömmlinge des Verzichtenden gewollt ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass eine derartige Erstreckung auf Abkömmlinge lediglich bei verzichtenden Abkömmlingen oder Seitenverwandten des Erblassers, nicht jedoch bei verzichtenden Ehegatten des Erblassers oder dessen Eltern eintritt.2

Beratungshinweis: Die Unterscheidung zwischen einem reinen Pflichtteilsverzichtsvertrag einerseits und einem Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag andererseits gewinnt erhebliche Bedeutung zur Bestimmung der für die übrigen Pflichtteilsberechtigten maßgebenden Pflichtteilsquoten. Gem. § 2310 S. 2 BGB wird bei der Feststellung des für die Berechnung des Pflichtteils maßgebenden Erbteils derjenige nicht mitberücksichtigt, der durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist. Umgekehrt wird gleichwohl mitberücksichtigt, wer lediglich auf seine Pflichtteilsrechte und nicht zugleich auch auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet hat.3 Der Erblasser sollte zur Vermeidung einer ungewollten Erhöhung der Pflichtteilsquoten weiterer nicht verzichtender Pflichtteilsberechtigter darauf dringen, dass der Verzichtende lediglich auf sein Pflichtteils- und nicht zugleich auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet.4 M 119 Vertrag über entgeltlichen auflösend bedingten Pflichtteilsverzicht des minderjährigen Kindes (Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) … Als Ergänzungspfleger verzichte ich, … (Vor- und Nachname), hiermit namens des von mir vertretenen minderjährigen Kindes, … (Vor- und Nachname), geb. am …, für dieses und mit Wirkung für dessen Abkömmlinge gegenüber seiner Mutter … (Vor- und Nachname), geb. am …, auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht, einschließlich eventueller Ausgleichspflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche. Der Verzicht erfolgt dadurch auflösend bedingt, dass als Gegenleistung auf das Konto IBAN: … BIC: … des verzichtenden Kindes nicht bis spätestens zehn Wochen nach Eingang der familiengerichtlichen Genehmigung zu diesem Vertrag mit Rechtskraftvermerk beim beurkundenden Notar ein Geldbetrag von … Euro (Abfindungsbetrag) gutgeschrieben sein wird, und ist insoweit gegenständlich beschränkt, als bei der Bewertung des Nachlasses auf den Tod der Mutter … (Vor- und Nachname) zum Zwecke der Pflichtteilsberechnung der Wert ihrer Eigentumswohnung in … (genauer Grundbuchbeschrieb) nicht berücksichtigt 1 2 3 4

Erman/Simon, § 2349 Rz. 1. Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 4. BGH v. 17.3.1982 – V ZR 27/81, NJW 1982, 2497. Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 5.

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Minderjähriger Erbe

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Rz. 63

wird. Der Abfindungsbetrag ist vier Wochen nach Eingang der familiengerichtlichen Genehmigung zu diesem Vertrag mit Rechtskraftvermerk beim beurkundenden Notar und Absendung einer diesbezüglichen schriftlichen Mitteilung durch den Notar an die Mutter zur Zahlung fällig. Ich, … (Vor- und Nachname), nehme hiermit den vorstehenden gegenständlich beschränkten auflösend bedingten Pflichtteilsverzicht meines minderjährigen Kindes an. … (Genehmigungseinholung samt Doppelvollmacht)

Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträge können bedingt bzw. befristet vereinbart werden. Hiervon wird insbesondere bei Pflichtteilsverzichtsverträgen zwischen Eltern und Kindern auf den Tod des erstversterbenden Elternteils regelmäßig Gebrauch gemacht, indem der Verzicht der Kinder von der Erbeinsetzung des längstlebenden Ehegatten durch den erstversterbenden Ehegatten und dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Ausschlusses des Ehegattenerbrechts nach § 1933 BGB, insbesondere vom Ausbleiben einer Eheauflösung, abhängig gemacht wird. Dabei sollte, da der Pflichtteilsverzicht noch zu Lebzeiten des Erblassers wirksam werden muss (vgl. dazu Rz. 56), eine auflösende und keine aufschiebende Bedingung verwendet werden. Ein Rücktrittsvorbehalt kann hingegen nicht wirksam vorgesehen werden. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu § 2293 BGB. Er ist jedoch möglicherweise in eine auflösende Bedingung umzudeuten.

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Erbringt der Erblasser für einen Pflichtteilsverzicht keine Gegenleistung, liegt darin gleichwohl keine Schenkung. Umgekehrt erfolgt eine Schenkung des Erblassers an den Verzichtenden, wenn die von ihm geleisteten Abfindungszahlungen die Summe aus Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen übersteigt.1

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Ein Erbverzicht kann im Hinblick auf den Grundsatz der Universalsukzession nicht gegenständlich beschränkt werden, es sei denn es liegt ein auf ein Vermächtnis bezogener Zuwendungsverzicht vor.2 Im Gegensatz dazu ist ein auf bestimmte Nachlassgegenstände beschränkter reiner Pflichtteilsverzichtsvertrag zulässig, da der vom Verzicht betroffene Pflichtteilsanspruch lediglich einen rechnerischen Geldausgleichsposten darstellt und von dem Grundsatz der Universalsukzession, die einem gegenständlichen Erbverzicht entgegensteht, nicht erfasst ist. Neben der Beschränkung des Pflichtteilsverzichts auf einen bestimmten Nachlassgegenstand ist die Beschränkung auf eine bestimmte Zahlungssumme, eine besondere Bewertungsart, einen Bruchteil oder auf Pflichtteilsergänzungsansprüche anerkannt.3

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Ähnlich der gerichtlichen Überprüfung von Eheverträgen wird nunmehr auch eine gerichtliche Ausübungs- und Wirksamkeitskontrolle für Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträge, insbesondere hinsichtlich eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage für einen unter Eheleuten geschlossenen isolierten Pflichtteils-

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1 Reimann/Bengel/J. Mayer, A Rz. 183; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 6 f. 2 Nieder/Kössinger, § 19 Rz. 12. 3 Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 8. Fröhler

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Rz. 64

Minderjähriger Erbe

verzichtsvertrag erwogen.1 Dies ist auch bei Beteiligung eines Minderjährigen zu beachten. Daher sollte bei Beurkundung auf diesbezügliche eventuelle Risiken hingewiesen werden. Bspw. kann eine ausdrücklich beabsichtigte spätere Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments oder Erbvertrags Geschäftsgrundlage für einen vorab vereinbarten wechselseitigen Pflichtteilsverzichtsvertrag sein.2 Nach Eintritt des Erbfalls bleibt ein abstrakter Erbverzichtsvertrag, soweit keine Anfechtung möglich ist, grundsätzlich wirksam, ggf. kommt jedoch eine Anpassung eines dem Erbverzicht möglicherweise zugrunde liegenden schuldrechtlichen Grundgeschäfts in Betracht.3 Es empfiehlt sich daher, das jeweilige Motiv für eine Verzichtserklärung ausdrücklich in die Urkunde aufzunehmen.4 64

Ein Erbverzichtsvertrag, durch den der Begünstigte aufgrund unrichtig geschilderter Ausgangstatsachen die alters- und erfahrungsmäßig schwächere Position des Verzichtenden ausnutzt und verstärkt, kann nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und daher nichtig sein.5 Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag ist nicht allein deshalb sittenwidrig, weil der verzichtende Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt der Beurkundung und beim Tod des Erblassers hilfebedürftig ist.6 Im Gegensatz dazu kann jedoch ein erst nach dem Tod des Erblassers zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und den Erben des Erblassers vereinbarter unentgeltlicher Pflichtteilserlassvertrag sittenwidrig sein.7 b) Zuwendungsverzichtsvertrag

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Im Gegensatz zu einem lediglich das gesetzliche Erbrecht betreffenden Erbverzichtsvertrag können gem. § 2352 BGB durch letztwillige Verfügung als Erbe oder Vermächtnisnehmer Bedachte durch Vertrag mit dem Erblasser auf ihre diesbezügliche gewillkürte Zuwendung verzichten. Ist diese Zuwendung durch Erbvertrag angeordnet, sind Besonderheiten zu beachten (vgl. dazu Rz. 68). Ein Zuwendungsverzichtsvertrag ist in der Praxis insbesondere dann bedeutsam, wenn der Erblasser bei mehrseitigem Erbvertrag oder gemeinschaftlichem Testament seinerseits aufgrund vertragsmäßig bzw. wechselbezüglich bindend gewordener Verfügungen nicht mehr frei über seinen eigenen Nachlass verfügen kann oder testierunfähig und daher ausschließlich über den gesetzlichen Vertreter i.S.d.§§ 2352 S. 3, 2347 Abs. 2 BGB handlungsfähig ist. Ist der Erblasser hingegen testierfähig und bspw. aufgrund Abänderungsvorbehalts dazu in der Lage, von ihm bereits getroffene letztwillige Verfügungen von Todes wegen durch Testament abzuändern, bedarf es keines Zuwendungsverzichtsvertrags. Soweit der längstlebende Ehegatte als Erblasser aus einem gemeinschaftlichen Testament mit dem erstverstorbenen Ehegat1 Wendt, ZNotP 2006, 2 ff. 2 OLG Nürnberg v. 12.11.2002 – 3 U 1192/02, RNotZ 2003, 187 (188 ff.). 3 BGH v.29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 = DNotZ 1997, 806, 808 f. 4 Reimann/Bengel/J. Mayer, A Rz. 184; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 11. 5 OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, FamRZ 2007, 418 = MittBayNot 2006, 428 (429 f.) – Verzicht des nichtehelichen Kindes gegenüber dem leiblichen Vater. 6 OLG Köln v. 9.12.2009 – 2 U 46/09, FamRZ 2010, 838 m. Anm. Dutta = RNotZ 2010, 139 (140 f.) – Verzicht der Sozialleistungen beziehenden Tochter gegenüber ihrer Mutter; Vaupel, RNotZ 2009, 497 (508). 7 VGH Mannheim v. 8.6.1993 – 6S 1068/92, NJW 1993, 2953 (2954 f.); Wurm/Wagner/ Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 12. 628

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Minderjähriger Erbe

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Rz. 66

ten resultierende Bindungen aus wechselbezüglich getroffenen Verfügungen aufheben möchte, kommt zumeist keine Anfechtung der eigenen bindenden Verfügung – sofern nicht ohnehin ein testamentarischer Anfechtungsausschluss vereinbart wurde – etwa im Falle der Wiederverheiratung nach §§ 2079, 2281 Abs. 1 BGB in Betracht, da diese regelmäßig auch die Nichtigkeit der wechselbezüglichen Verfügung des erstverstorbenen Ehegatten und damit der wichtigen Erbeinsetzung durch den erstversterbenden Ehegatten bewirken würde1 – etwas anderes soll jedoch dann gelten, wenn der längstlebende Ehegatte mangels Verwirkungsklausel auch gegenüber denjenigen Kindern gebunden ist, die von ihm beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt haben.2 Scheidet daher eine Anfechtung aus, kann ein Zuwendungsverzichtsvertrag mit den durch das gemeinschaftliche Testament bindend begünstigten Personen eine einvernehmliche Lösung ermöglichen.3 Insoweit stellt sich auch die hier relevante Problematik des Zuwendungsverzichtsvertrags mit einem minderjährigen Kind des längstlebenden Ehegatten. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass trotz einer derartigen vertraglichen Vereinbarung der zunächst wechselbezüglich bzw. vertragsmäßig gebundene Erblasser gleichwohl nicht frei verfügen kann, wenn und soweit der Zuwendungsverzichtsvertrag Dritte nicht erfasst, die an die Stelle der verzichtenden Vertragspartner als durch die Bindung geschützte Berechtigte nachrücken. Aufgrund der zwischenzeitlich gem. Art. 229 § 23 Abs. 4 S. 2 EGBGB für Erbfälle seit dem 1.1.2010 in Kraft getretenen Erbrechtsreform verweist § 2352 S. 3 n.F. BGB nunmehr auf die Erstreckungsregelung für Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträge nach § 2349 BGB. Daraus folgt, dass ein Zuwendungsverzicht eines Abkömmlings oder Seitenverwandten des Erblassers auch die Abkömmlinge dieses Verzichtenden erfasst, soweit der Zuwendungsverzichtsvertrag nichts anderes regelt. Hierbei handelt es sich um eine Dispositivnorm und nicht um eine Auslegungsregel.4 Damit werden ebenso wie beim Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht keine anderen als die in § 2349 BGB genannten Ersatzerben, insbesondere keine ersatzweise berufenen Geschwister des Erblassers erfasst (sehr wohl jedoch deren Abkömmlinge, wenn Geschwister des Erblassers unmittelbar bedacht waren und verzichtet haben). Diesen gegenüber entfaltet ein Zuwendungsverzicht nur dann Wirkung, wenn die Ersatzberufung um eine Zuwendungsverzichtsvereinbarung auflösend bedingt vereinbart worden ist. Die Erstreckungswirkung gilt unabhängig davon, ob der Zuwendungsverzicht entgeltlich oder unentgeltlich5 bzw. umfassend, eingeschränkt oder teilweise vereinbart wurde,6 und erfasst aufgrund des Wortlauts nicht nur insbesondere über § 2069 BGB auslegungsbedingt berufene, sondern auch ausdrücklich eingesetzte Ersatzerben.7 Eine Beschränkung der Erstreckungswirkung des Zuwendungsverzichts auf einzelne von mehreren betroffenen Abkömmlingen dürfte unzulässig sein.8 1 2 3 4 5 6 7

Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 33. Nieder/Kössinger, § 14 Rz. 83. Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 168. Keim, RNotZ 2009, 574 (575). Schaal/Grigas, BWNotZ 2008, 2 (24). DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 173 (175). Odersky, notar 2009, 362 (365); DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 173 (175); Keim, RNotZ 2009, 574 (575), zweifelnd Schaal/Grigas, BWNotZ 2008, 2 (24). 8 Keim, RNotZ 2009, 574 (575); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 169. Fröhler

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Rz. 67

Minderjähriger Erbe

Gegenstand des Zuwendungsverzichts sind nach § 2352 BGB Erbeinsetzungen oder Vermächtnisse, die auf einer Verfügung von Todes wegen beruhen. Anderweitige Begünstigungen, insbesondere der Voraus des Ehegatten oder Auflagen sind hiervon nicht erfasst. Die vom Verzicht erfasste Zuwendung muss exakt bezeichnet werden. Es kommen ausschließlich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verzichtsvertrags bereits angeordnete Zuwendungen in Betracht. Gegenständliche Beschränkungen des Zuwendungsverzichtes sind möglich, soweit sie sich auf einzelne Vermächtnisgegenstände oder ideelle Erbteile beziehen. Auch kann ein Zuwendungsverzicht auf die Berechtigung des Erblassers zur Anordnung von Auflagen, Vermächtnissen, Testamentsvollstreckungen bzw. Vor- und Nacherbschaftsregelungen beschränkt werden.1 Bezüglich einer Erbeinsetzung ist eine gegenständliche Beschränkung auf einzelne Nachlassgegenstände jedoch unzulässig, soweit diese dem Erben nicht vorausvermächtnisweise zugeteilt sind und sich der Verzicht gegenständlich auf das Vorausvermächtnis beschränkt. Hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen gelten die Regelungen des Erbverzichtsvertrags über § 2352 S. 3 BGB entsprechend. Das zugrunde liegende Kausalgeschäft – vor allem eine Abfindungsregelung – bedarf der notariellen Mitbeurkundung.2

M 120 Vertrag über entgeltlichen auflösend bedingten Zuwendungsverzicht des minderjährigen Kindes (Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) … Die Eheleute … (Vor- und Nachname) und … (Vor- und Nachname) haben am … (Datum) vor dem Notar … (Name) in … (Ort) unter UR … (Urkundenrollennummer) ein gemeinschaftliches Testament beurkunden lassen. Danach hat der erstversterbende Ehegatte den längstlebenden Ehegatten zum alleinigen Vollerben und der längstlebende Ehegatte die gemeinschaftliche Tochter … (Vor- und Nachname) zur Schlusserbin eingesetzt, ersatzweise deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung. Sämtliche vorstehenden Verfügungen sind mit wechselbezüglich bindender Wirkung angeordnet. … (Vor- und Nachname des erstversterbenden Ehemanns) ist zwischenzeitlich verstorben. Die Tochter … (Vor- und Nachname) ist derzeit noch minderjährig und hat keine Kinder. Das gemeinschaftliche Testament enthält keinen Änderungsvorbehalt zugunsten des längstlebenden Ehegatten. Der Ergänzungspfleger,… (Vor- und Nachname), verzichtet hiermit namens des von ihm vertretenen minderjährigen Kindes,… (Vor- und Nachname), geb. am …, für dieses und mit Wirkung für dessen Abkömmlinge gegenüber dessen Mutter … (Vor- und Nachname), geb. am …, auf das dem Kind im vorstehend genannten gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich zugeteilte Erbrecht, ohne zugleich auf dessen gesetzliches Erb- oder Pflichtteilsrecht zu verzichten. Dieser Verzicht steht unter der auflösenden Bedingung, dass die nachstehend vereinbarte Gegenleistung nicht bis spätestens zehn Wochen nach Eingang der familiengerichtlichen Genehmigung zu diesem Vertrag mit Rechtskraftvermerk beim beurkundenden 1 BGH v. 27.1.1982 – IVa ZR 240/80, FamRZ 1982, 370 = NJW 1982, 1100 (1101 f.). 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 171. 630

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Minderjähriger Erbe

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Rz. 69

Notar durch Gutschrift auf dem unten genannten Konto erbracht sein wird. Der vorstehende gegenständlich beschränkte auflösend bedingte Zuwendungsverzicht wird hiermit von der Mutter … (Vor- und Nachname der Ehefrau als längstlebendem Erblasser) angenommen. Als Gegenleistung verpflichtet sich hiermit die Mutter … (Vor- und Nachname der durch den Verzicht Begünstigten) ihrem minderjährigen Kind … (Vor- und Nachname der Verzichtenden) gegenüber, bis spätestens vier Wochen nach Eingang der familiengerichtlichen Genehmigung zu diesem Vertrag mit Rechtskraftvermerk beim beurkundenden Notar und Absendung einer diesbezüglichen schriftlichen Mitteilung durch den Notar einen Geldbetrag von … Euro (Höhe) durch Gutschrift auf deren Konto IBAN: … BIC: … zu bezahlen. … (Genehmigungseinholung samt Doppelvollmacht)

Für einen Verzicht auf erbvertragliche Zuwendungen sieht § 2352 S. 2 BGB Besonderheiten vor. Danach kann wirksam nur auf solche durch Erbvertrag erfolgte Zuwendungen verzichtet werden, die einem Dritten zukommen. Diese Einschränkung gilt zunächst nicht für einseitige letztwillige Verfügungen, die in Erbverträgen enthalten sind. § 2352 S. 2 BGB meint lediglich vertragsmäßig bindende Verfügungen von Todes wegen. Sind derartige vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag zwischen lediglich zwei Personen ausschließlich zugunsten eines dieser beiden Personen angeordnet worden, so kann ein Zuwendungsverzichtsvertrag nicht wirksam abgeschlossen werden.1 Ist die Zuwendung durch einen Erbvertrag, an dem ausschließlich zwei Personen mitgewirkt haben, zugunsten einer dritten Person angeordnet worden, ist ein Zuwendungsverzichtsvertrag zwischen Erblasser und Drittpersonen unzweifelhaft möglich. Haben bei Beurkundung des Erbvertrags neben dem Notar drei Personen mitgewirkt, ist unklar, ob eine Zuwendung an einen Dritten i.S.d. § 2352 S. 2 BGB erfolgt ist, um einen wirksamen Zuwendungsverzichtsvertrag mit diesem abschließen zu können. Denkbar ist, die Person des Dritten i.S.d. § 2352 S. 2 BGB rein formell zu definieren und einen Zuwendungsverzichtsvertrag bereits dann auszuschließen, wenn die Drittperson den in Rede stehenden Erbvertrag lediglich mitunterschrieben hat, ohne Vertragspartner zu sein.2 Stellt man hingegen funktionell darauf ab, ob der Dritte unabhängig von einer förmlichen Mitunterzeichnung des Erbvertrags Vertragspartner gewesen ist, sind Zuwendungsverzichtsverträge mit Personen, die zwar den Erbvertrag zur Kenntnisnahme mitunterschrieben haben, aber nicht Vertragspartner geworden sind, zulässig (vgl. dazu Kap. B XV Rz. 80).3

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Für den Fall, dass ein Zuwendungsverzichtsvertrag wegen Wegfalls des Verzichtenden vor Eintritt des Erbfalls und gleichzeitiger Ersatzerbenberufung ins Leere geht, sollten hilfsweise Ausgleichsregelungen mitbeurkundet werden. Hier empfiehlt sich insbesondere die Verpflichtung zur Rückerstattung bereits erbrachter

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1 OLG Hamm v. 14.2.1977 – 15 W 159/75, DNotZ 1977, 751, 753 ff. 2 OLG Celle v. 8.7.1959 – 4 Wx 7/59, NJW 1959, 1923 unter Verweis auf den Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und den Sprachgebrauch auch der §§ 123 Abs. 2, 328, 333, 362 Abs. 2, 414, 571 BGB; BayObLG v. 11.7.1925 – Reg. III Nr. 77/1925, JFG 3, 166, 167 f.; a.A. Endemann, JW 25, 279. 3 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 172. Fröhler

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Rz. 70

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Abfindungszahlungen an den Verzichtsbegünstigten und die Verpflichtung des Verzichtenden auf Abtretung des vom Zuwendungsverzichtsvertrag anvisierten Erbteils an den Verzichtsbegünstigten gegen Bezahlung einer neuen Abfindung.1 Diese Erbteilsabtretungsverpflichtung muss sich im Rahmen des § 311b Abs. 5 BGB bewegen. Sie ist nur dann zwingend zu vollziehen, wenn die Erben des Verzichtenden mit den Ersatzerben identisch sind und damit in diese Verpflichtung eintreten. 70

Ein wirksam abgeschlossener Zuwendungsverzichtsvertrag verhindert analog § 2346 BGB den Anfall der bindend vorgesehenen Zuwendung an den Verzichtenden, der so behandelt wird, als hätte er den Erbfall nicht erlebt.2 Soweit infolge der Wirkungserstreckung nach §§ 2352 S. 3, 2349 BGB aufgrund Wegfalls des Verzichtenden kein ausdrücklich berufener oder durch Auslegung zu ermittelnder Ersatzberufener nachrückt (s. dazu Rz. 66), wird die vom Zuwendungsverzicht betroffene bindende Verfügung gegenstandslos, jedoch anders als bspw. nach Anfechtung oder Widerruf nicht unwirksam. Folglich bleiben die Verfügungen, die mit der vom Zuwendungsverzicht betroffenen Verfügung korrespondieren, anders als nach Anfechtung oder Widerruf ebenfalls bestehen. Dem Erblasser ist nunmehr die Möglichkeit eröffnet, abweichend von der bisherigen Bindung anderweitige letztwillige Verfügungen zu treffen, muss diese dann jedoch noch anordnen, um insbesondere das verbleibende gesetzliche Erbrecht des vom Verzicht Betroffenen auszuschalten. Es empfiehlt sich daher, dass der Erblasser parallel zu dem Zuwendungsverzicht eine neue Verfügung von Todes wegen errichtet und mit pflichtteilsberechtigten Verzichtenden einen Pflichtteilsverzichtsvertrag mit Wirkungserstreckung nach § 2349 BGB auf deren Abkömmlinge schließt. Von einem Erbverzichtsvertrag ist hingegen zur Vermeidung einer ungewünschten Erhöhung der Pflichtteilsquoten nicht mitwirkender anderer Pflichtteilsberechtigter nach § 2310 S. 2 BGB (s. Rz. 57 ff.) nachhaltig abzuraten. Wird ausschließlich ein Zuwendungsverzichtsvertrag ohne weitergehenden Verzichtsvertrag geschlossen, bleibt das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht des Verzichtenden unberührt. Entsprechendes gilt bei im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheirateten Ehegatten hinsichtlich der Ansprüche aus § 1371 Abs. 3 BGB.3

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Ein durch vertragsmäßig bindende Verfügung aus Erbvertrag bzw. durch wechselbezüglich bindende Verfügung aus gemeinschaftlichem Testament Begünstigter kann gegenüber dem gebundenen Erblasser, der einem Dritten eine Schenkung zuwendet, auf den Schutz der §§ 2287 f. BGB durch zuwendungsverzichtsähnlichen Vertrag wirksam verzichten, sofern die Beurkundungsform des § 2348 BGB und ein eventuelles aus dem Rechtsgedanken des § 2347 Abs. 1 BGB resultierendes gerichtliches Genehmigungserfordernis gewahrt bleiben.4 Wegen der durch die Rechtsprechung bejahten Nähe eines derartigen Verzichtsvertrags zum Zuwendungsverzichtsvertrag i.S.d. § 2352 BGB dürfte insoweit auch von einer analog §§ 2352 S. 3, 2349 BGB eintretenden Wirkungserstreckung auf Ab1 Reimann/Bengel/J. Mayer, Muster 84; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 173. 2 KG v. 18.8.1896 – 1 Wx 18/37, JFG 15, 98, 99; MüKo.BGB/Wegerhoff, § 2352 Rz. 12. 3 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 174. 4 BGH v. 12.7.1989 – IVa ZR 174/88, MDR 1989, 1086 = FamRZ 1989, 1076 m. Anm. Damrau, FamRZ 1991, 552 = DNotZ 1990, 803, 804 f. 632

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Minderjähriger Erbe

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Rz. 74

kömmlinge verzichtender Abkömmlinge bzw. Seitenverwandter des Erblassers auszugehen sein, zumal der Schutz der §§ 2287 f. BGB nicht weiter reichen kann als die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments bzw. Erbvertrags.1 c) Vertragsaufhebung Ein Vertrag über Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht kann nach § 2351 BGB durch entsprechenden Aufhebungsvertrag beseitigt werden, ohne dass dazu die Zustimmung der von der Wirkungserstreckung erfassten Abkömmlinge oder der dadurch Begünstigten erforderlich ist.2 Ebenso wie beim Abschluss des Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsvertrags ist neben notarieller Beurkundung grundsätzlich die höchstpersönliche Mitwirkung des Erblassers erforderlich. Zur Problematik der diesbezüglichen gesetzlichen Vertretung s. Rz. 82 f.

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Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Verweisung in § 2352 S. 3 BGB auf § 2351 BGB sind Zuwendungsverzichtsverträge nach dem Regelungszweck ebenfalls analog § 2351 BGB vertraglich aufhebbar.3 Auch insoweit dürfte eine Wirksamkeitserstreckung auf Abkömmlinge verzichtender Abkömmlinge bzw. Seitenverwandter des Erblassers erfolgen.4 Zur Problematik der diesbezüglichen gesetzlichen Vertretung auf Erblasserseite s. Rz. 84.

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Ein Aufhebungsvertrag i.S.d. § 2351 BGB kann nur dann wirksam abgeschlossen werden, wenn sowohl der Erblasser als auch der Verzichtende zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch leben5 Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Folge, dass sich Willensmängel der Beteiligten nach den §§ 116 ff. BGB, eine teilweise Unwirksamkeit nach § 139 BGB statt nach § 2085 BGB und eine Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB statt nach § 2078 BGB richten. Die sukzessive Beurkundung von Angebot und Annahme i.S.d. § 128 BGB ist zulässig.

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1 Keim, RNotZ 2009, 574, 577; DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 173, 174 f.: wahlweise Zustimmungsvereinbarung zur konkreten Schenkung, Zuwendungsverzichtsvertrag auf Gestattung derartiger Schenkungen oder umfassender Zuwendungsverzichtsvertrag mit bindender Neueinsetzung des Verzichtenden auf den Rest durch den Erblasser jeweils unter ausdrücklicher Ablehnung der Begründung von Kanzleiter, ZEV 1997, 261, 266 über einen Erstrechtschluss aus dem Nichterfordernis der Zustimmung des Ersatznacherben bei Zustimmung eines Nacherben zu einer nach § 2113 BGB zustimmungspflichtigen Grundbesitzveräußerung; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 175. 2 Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 21. 3 BGH v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = MittBayNot 2008, 481, 482 ff. m. Anm. Müller; LG Kempten v. 7.12.1977 – 4 T 147/77, MittBayNot 1978, 63, 64; Erman/Simon, § 2352 Rz. 10; a.A. Kornexl, Der Zuwendungsverzicht, 1998, Rz. 554 ff. 4 Keim, RNotZ 2009, 574, 577; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 177. 5 BGH v. 24.6.1998 – IV ZR 159/97, MDR 1998, 1481 m. Anm. Steiner = FamRZ 1998, 1293 = MDR 1998, 1229 = NJW 1998, 3117, 3118 f.; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 23. Fröhler

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Rz. 75

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3. Differenzierung nach der Rolle des Minderjährigen a) Das minderjährige Kind als Verzichtender (§ 2347 Abs. 1 BGB) 75

Schließt das auf sein Pflichtteilsrecht verzichtende minderjährige Kind mit seinen Eltern einen Pflichtteilsverzichtsvertrag, sind die Eltern nach § 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 BGB von der Vertretung ausgeschlossen ist, so dass insoweit für den Minderjährigen ein Ergänzungspfleger i.S.d. § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB erforderlich ist.

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Nach § 2347 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB entfällt die zum Abschluss eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags unter Beteiligung eines minderjährigen Kindes grundsätzlich erforderliche familiengerichtliche Genehmigung nur für den Fall, dass dieser Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrag mit dem unter elterlicher Sorge stehenden Minderjährigen unter Ehegatten oder Verlobten geschlossen wird.

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Die Erteilung der familiengerichtlichen Genehmigung setzt stets voraus, dass zugunsten des Minderjährigen eine vollentgeltliche Gegenleistung erbracht wird.

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Da zur Aufhebung eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags nach § 2351 BGB eine Verweisung auf § 2347 Abs. 1 BGB in Ansehung des Verzichtenden fehlt, kann der beschränkt geschäftsfähige minderjährige Verzichtende als lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft i.S.d. § 107 BGB ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters persönlich allein1 bzw. der geschäftsunfähige minderjährige Verzichtende zwar nur über seinen gesetzlichen Vertreter, aber ohne Bedürfnis einer familiengerichtlichen Genehmigung handeln.2 War der aufzuhebende Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags entgeltlich geschlossen worden, ist die Aufhebung wegen der damit verbundenen Rückzahlungsverpflichtung des minderjährigen Verzichtenden für diesen nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, wegen des Vertretungsausschlusses der Eltern nach § 1795 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB vertritt nur ein Ergänzungspfleger nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB, mangels Verweisung des § 2351 BGB auf § 2347 Abs. 1 BGB in Ansehung des Verzichtenden bleibt das Rechtsgeschäft jedoch ebenfalls familiengerichtlich genehmigungsfrei.

M 121 Aufhebungsvertrag über den entgeltlichen Pflichtteilsverzicht des minderjährigen Kindes (Notarielles Beurkundungsprotokoll – Auszug) … Das von mir,… (Vor- und Nachname), als Ergänzungspfleger vertretene minderjährige Kind, … (Vor- und Nachname), geb. am …, und dessen Mutter … (Vorund Nachname), geb. am …, haben am … (Datum) vor dem Notar … (Name) in … (Amtssitz) unter UR … (Urkundenrollennummer) einen entgeltlichen gegenständlich beschränkten auflösend bedingten Pflichtteilsverzichtsvertrag beurkunden lassen, durch den das von mir,… (Vor- und Nachname), als Ergänzungspfle1 Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1. 2 Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1; Staudinger/Schotten, § 2351 Rz. 22; Langenfeld/ Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 176. 634

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ger vertretene minderjährige Kind,… (Vor- und Nachname), für sich und mit Wirkung für seine Abkömmlinge gegenüber seiner Mutter … (Vor- und Nachname) auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht, einschließlich eventueller Ausgleichspflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche verzichtet hat. Der Verzicht erfolgte dadurch auflösend bedingt, dass als Gegenleistung auf das Konto des verzichtenden minderjährigen Kindes IBAN: … BIC: … nicht bis spätestens … (Datum der Gutschrift auf diesem Konto) ein Geldbetrag von … Euro (Abfindungsbetrag) gutgeschrieben wird, und ist ausschließlich insoweit gegenständlich beschränkt, als bei der Bewertung des Nachlasses auf den Tod der Mutter … (Vor- und Nachname) zum Zwecke der Pflichtteilsberechnung der Wert deren Eigentumswohnung in … (genauer Grundbuchbeschrieb) nicht berücksichtigt wird. Wegen des weiteren Inhalts wird auf die vorstehende Bezugsurkunde verwiesen. Sie liegt bei Beurkundung urschriftlich vor. Ihr Inhalt ist uns bekannt. Auf erneutes Verlesen und Beifügen verzichten wir. Die erforderliche familiengerichtliche Genehmigung wurde mit Rechtskraftvermerk erteilt. Die auflösende Bedingung ist durch Erfüllung der Zahlungsverpflichtung endgültig ausgefallen. Der Pflichtteilsverzichtsvertrag ist damit wirksam geblieben. Wir heben hiermit den vorstehend genannten Pflichtteilsverzichtsvertrag (Bezugsurkunde) mit sofortiger Wirkung dadurch auflösend bedingt auf, dass im Wege der Rückabwicklung der ursprünglich von der Mutter an die minderjährige Tochter überwiesene Abfindungsbetrag nicht bis spätestens acht Wochen ab einschließlich morgen auf das Konto der Mutter IBAN: … BIC: … gutgeschrieben wird. Uns ist bekannt, dass der heutige Aufhebungsvertrag den Pflichtteilsverzicht beseitigt und den gesetzlichen Ausgangszustand wieder herstellt, soweit die auflösende Bedingung nicht eintritt. Mangels Verweisung des § 2351 BGB auf § 2347 Abs. 1 BGB in Ansehung des Verzichtenden ist das Rechtsgeschäft familiengerichtlich genehmigungsfrei. …

b) Das minderjährige Kind als Erblasser (§ 2347 Abs. 2 BGB) Gem. § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB kann – anders als nach § 2274 BGB bei einem Erbvertrag – für einen nach § 104 Nr. 1 BGB mangels Vollendung des siebenten Lebensjahres geschäftsunfähigen minderjährigen Erblasser dessen gesetzlicher Vertreter in Durchbrechung des Höchstpersönlichkeitsgebots aus § 2347 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB einen Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrag abschließen. Hierzu ist nach § 2347 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. i.V.m. Abs. 1 BGB eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, im Falle gesetzlicher Vertretung kraft elterlicher Sorge jedoch nur dann, wenn dieser Vertrag weder mit dem Ehegatten noch mit dem Verlobten des gesetzlich vertretenen Erblassers abgeschlossen wird. Die erst i.S.d. § 40 Abs. 2 S. 1 FamFG mit Rechtskraft nach § 45 FamFG durch Ablauf der Rechtsmittelfrist wirksame Genehmigung (s. zum Genehmigungsverfahren ausführlich Rz. 17 bis 20) muss dem gesetzlichen Vertreter gegenüber noch während Bestehens seiner Vertretungsmacht und zu Lebzeiten des Erblassers erklärt werden. Soweit der gesetzliche Vertreter nach § 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB von der Vertretung ausgeschlossen ist, muss die Willenserklärung durch einen Ergänzungspfleger i.S.d. § 1909 Abs. 1 S. 1 Fröhler

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BGB abgegeben werden. Eine Vertretung durch Vollmacht bzw. eine vollmachtlose Vertretung unter späterer Nachgenehmigung kommt angesichts des grundsätzlichen Höchstpersönlichkeitsgebots aus § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB selbst dann nicht in Betracht, wenn Bevollmächtigter der gesetzliche Vertreter ist.1 80

Soweit der gesetzliche Vertreter zugleich verzichtender Vertragspartner ist, dürfte zumindest bei einem reinen Pflichtteilsverzichtsvertrag kein Vertretungsausschluss i.S.d. §§ 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB eintreten, da der Pflichtteilsverzicht für den Erblasser lediglich rechtlich vorteilhaft ist.2 Da bei einem Erbverzichtsvertrag nicht ausgeschlossen werden kann, dass aufgrund nunmehr ausgelöster Änderung der gesetzlichen Erbfolge bei gleichzeitiger geschäftsunfähigkeitsbedingter Verhinderung des Erblassers an einer eigenen letztwilligen Verfügung für diesen nicht lediglich ein rechtlicher Vorteil eintritt,3 sollte insoweit sicherheitshalber ein Ergänzungspfleger bestellt werden, der für den geschäftsunfähigen Erblasser handelt.

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Ein beschränkt geschäftsfähiger minderjähriger Erblasser kann bei Abschluss eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags nach § 2347 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB ausschließlich persönlich handeln, ohne hierzu der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder der Genehmigung des Familiengerichts zu bedürfen.4

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Zur Aufhebung eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags nach § 2351 BGB ist der geschäftsunfähige minderjährige Erblasser von dem grundsätzlichen Erfordernis der höchstpersönlichen Mitwirkung befreit, für den nach § 2351 i.V.m. § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB sein gesetzlicher Vertreter handelt, der wiederum nach § 2351 i.V.m. § 2347 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. i.V.m. Abs. 1 S. 1 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung bedarf.

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Mangels Verweisung auf § 2347 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB ist für den beschränkt geschäftsfähigen minderjährigen Erblasser angesichts der ihn betreffenden Nachteiligkeit zwar die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, jedoch keine gerichtliche Genehmigung erforderlich.5

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Für Zuwendungsverzichtsverträge, die trotz Fehlens einer ausdrücklichen Verweisung in § 2352 S. 3 BGB auf § 2351 BGB nach dem Regelungszweck analog § 2351 BGB vertraglich aufhebbar sind,6 ist nach wie vor unklar, ob angesichts der Verweisung des § 2351 BGB auf § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB dem Abschluss eines Vertrags über Zuwendungsverzichtsaufhebung, bei dem der gesetzliche Vertreter den zwischenzeitlich testierunfähigen Erblasser vertritt, das Höchstpersönlich1 OLG Düsseldorf v. 6.7.2001 – 7 U 205/00, NJW-RR 2002, 584; Erman/Simon, § 2347 Rz. 2; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 9. 2 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2004, 197 (198). 3 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2004, 197 (198), worin letztlich jedoch der lediglich rechtliche Vorteil bejaht wird. 4 Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Rechtsformularbuch, Kap. 90 Rz. 9. 5 Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1; Staudinger/Schotten, § 2351 Rz. 13. 6 BGH v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = MittBayNot 2008, 481 (482 ff.) m. Anm. Müller; LG Kempten v. 7.12.1977 – 4 T 147/77, MittBayNot 1978, 63 (64); Erman/Simon, § 2352 Rz. 10; a.A. Kornexl, Der Zuwendungsverzicht, 1998, Rz. 554 ff. 636

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Rz. 87

keitsgebot des § 2065 BGB entgegensteht1 und ob ein Aufhebungsvertrag zurückwirkt.2

VIII. Die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinsantrag Nach § 2353 BGB wird ein als Erbnachweis benötigter Erbschein ausschließlich auf entsprechenden Erbscheinsantrag erteilt. Der Erbscheinsantrag ist als solcher verfahrensrechtlich zunächst formfrei zulässig. Insbesondere propagiert § 25 FamFG keine Zulässigkeitsvoraussetzung in Form eines Schriftformerfordernisses i.S.d. § 126 BGB, sondern zeigt lediglich Möglichkeiten der Antragstellungsform auf.3 Gleichwohl soll der Erbschein verfahrensrechtlich schriftlich oder durch Niederschrift zur Geschäftsstelle beantragt werden.4

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Gleichwohl wird der Erbscheinsantrag jedoch im Hinblick auf das grundsätzliche Erfordernis einer eidesstattlichen Versicherung aller Erben – für den Vorerbschein jedoch nicht der Nacherben – i.S.d. §§ 2356 Abs. 2 S. 1, 2357 Abs. 4 BGB (dass dem Antragsteller „nichts bekannt sei, was der Richtigkeit seiner Angaben entgegensteht“), die auch nachgereicht werden kann5 und grundsätzlich höchstpersönlich ohne Möglichkeit einer Bevollmächtigung (anders aber die Ausnahme für Geschäftsunfähige, s. unten Rz. 87) abzugeben ist,6 regelmäßig gerichtlich protokolliert bzw. notariell beurkundet werden,7 soweit das Nachlassgericht die eidesstattliche Versicherung nicht ausnahmsweise einzelnen Miterben oder insgesamt gem. §§ 2356 Abs. 2 S. 2, 2357 Abs. 4 BGB erlässt.8

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Die erforderliche höchstpersönliche Abgabe der eidesstattlichen Versicherung obliegt geschäftsfähigen Erben,9 Parteien kraft Amtes (zB Testamentsvollstreckern, Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter),10 gesetzlichen Vertretern für Geschäftsunfähige (zB Eltern, Vormund bzw. Betreuer),11 wobei der Vertretungsausschluss nach § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB mangels diesbezüglichen Rechtsstreits nicht einschlägig ist, aber das Nachlassgericht im Falle eines Interessenkonflik-

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1 Vgl. dazu Müller, MittBayNot 2008, 484 (485); Keim, RNotZ 2009, 574 (577). 2 Müller, MittBayNot 2008, 484 (485); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 5. Kap. Rz. 177. 3 Staudinger/Herzog, § 2353 Rz. 30; MüKo.BGB/J. Mayer, § 2353 Rz. 63. 4 Horndasch/Viefhues/Heinemann, § 352 FamFG Rz. 6. 5 Staudinger/Herzog, § 2353 Rz. 31. 6 KG v. 3.5.1967 – 1 W 791/67, OLGZ 1967, 247, 249; BayObLG v. 13.1.1961 – BReg. 1 ZS 143/58, BayObLGZ 1961, 4, 10; OLG München v. 4.4.1936 – 8 III 32/36, DNotZ 1937, 702 (703); Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 113 f. 7 OLG Köln v. 2.11.2009 – I-2 Wx 88/09, 2 Wx 88/09, FamRZ 2010, 1013 = FGPrax 2009, 287 (289). 8 Prütting/Helms/Fröhler, § 352 FamFG Rz. 19. 9 BayObLG v. 13.1.1961 – BReg. 1 ZS 143/58, BayObLGZ 1961, 4 (10); Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 113 f. 10 KG v. 3.5.1967 – 1 W 791/67, OLGZ 1967, 247 (249); Staudinger/Herzog, § 2356 Rz. 58; Litzenburger, ZEV 204, 450 (451); Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 113 f. 11 LG Berlin v. 18.11.1975 – 83 T 460/75, Rpfleger 1976, 60; Prütting/Helms/Fröhler, § 352 FamFG Rz. 19; Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 114. Fröhler

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tes dem zuständigen Betreuungs- bzw. Familiengericht die Nachlassakte unter Hinweis auf die diesbezügliche Problematik zwecks Prüfung etwaiger Maßnahmen nach § 1629 Abs. 2 S. 2 bzw. § 1796 BGB vorzulegen hat,1 Vorsorgebevollmächtigten für zwischenzeitlich Geschäftsunfähige (nicht aber für Geschäftsfähige)2 sowie analog § 455 Abs. 2 ZPO eidesfähigen minderjährigen Erben nach Vollendung des 16. Lebensjahres (insoweit ggf. gem. § 2358 Abs. 1 BGB zusätzlich gesetzlichen Vertretern).3 88

Daraus folgt, dass für einen minderjährige Erben nach dessen Alter zu differenzieren ist: Ein minderjähriger Erbe gibt die eidesstattliche Versicherung ab einschließlich Vollendung des 16. bis unmittelbar vor Vollendung des 17. Lebensjahres persönlich und sicherheitshalber zusätzlich durch seinen gesetzlichen Vertreter (Eltern, Vormund bzw. Pfleger), jedoch vor Vollendung des 16. Lebensjahres ausschließlich durch seinen gesetzlichen Vertreter (Eltern, Vormund bzw. Pfleger) ab.

IX. Gestaltung durch Erbschaftsausschlagung 1. Allgemeines

Beratungssituation: Die verwitwete F möchte die Erbschaft nach ihrem verstorbenen Ehemann M für sich selbst und für das gemeinsame minderjährige Kind K ausschlagen. Sie möchte diesbezüglich insbesondere wissen, was insoweit zu beachten ist und ob sie dazu einer gerichtlichen Genehmigung bedarf. 89

Gem. § 1942 Abs. 1 BGB geht die Erbschaft zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers von selbst auf den Erben über. Dies geschieht auch dann, wenn der Erbe vom Erbfall keinerlei Kenntnis hat. Einer Annahmeerklärung oder eines behördlichen bzw. gerichtlichen Aktes bedarf es nicht. Insbesondere ist eine Annahmeerklärung durch den gesetzlichen Vertreter auch für das minderjährige Kind ohne gerichtliche Genehmigung wirksam – gleiches gilt für eine durch Ablauf der Ausschlagungsfrist, die je nach Kenntnisstand der gesetzlichen Vertreter ausgelöst wird, eintretende Annahme4 – und unterliegt, da sie weder empfangsbedürftige Willenserklärung ist, noch die anderen Miterben Erklärungsadressat sind, nicht den Beschränkungen der §§ 181, 1795 BGB.5

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Der Anfall der Erbschaft kann jedoch durch Ausschlagung, Erbunwürdigkeitserklärung oder Anfechtung einer zu Grunde liegenden Verfügung von Todes wegen rückwirkend beseitigt werden. Häufigster Anlass einer Erbausschlagung ist die Überschuldung des Nachlasses. Der Fiskus (Staat) kann die ihm als gesetz1 BayObLG v. 25.9.1961 – BReg. 1Z 141, 149/61, NJW 1961, 2309. 2 Litzenburger, ZEV 204, 450 (452); Staudinger/Herzog, § 2356 Rz. 58. 3 Prütting/Helms/Fröhler, § 352 FamFG Rz. 19; Zimmermann, Erbschein und Erbscheinsverfahren, Rz. 114; Lange/Kuchinke, § 39 II 4; Staudinger/Herzog, § 2356 Rz. 58; MüKo.BGB/J. Mayer, § 2356 Rz. 49; Bamberger/Roth/Siegmann/Höger, § 2356 Rz. 7; Erman/Simon, § 2356 Rz. 6; a.A. OLG Colmar v. 3.7.1907 – Az. n.v., OLGR 16, 64 (65). 4 OLG Koblenz v. 16.7.2007 – 5 W 535/07, FamRZ 2008, 1031. 5 DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2010, 47 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 1. 638

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Rz. 91

lichem Erben angefallene Erbschaft anders als seine letztwillige Einsetzung gem. § 1942 Abs. 2 BGB nicht ausschlagen. Eine Ausschlagung der Erbschaft ist nach § 1946 BGB erst nach dem Erbfall möglich. Sie erfolgt gem. § 1945 Abs. 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht entweder zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form. Bei Bevollmächtigung bedarf die Vollmacht nach § 1945 Abs. 3 S. 1 BGB der öffentlich beglaubigten Form i.S.d. § 129 BGB.

Beratungshinweis: Eine von § 1945 Abs. 3 BGB ausdrücklich zugelassene Bevollmächtigung vermag jedoch für die eigenen letztwilligen Verfügungen des Ausschlagenden wegen des Höchstpersönlichkeitsgebotes aus § 2065 BGB keine Wirkung nach § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB auszulösen, so dass insoweit ein erbrechtlich gebundener längstlebender Ehegatte seine Testierfreiheit nur dann wiedererlangen kann, wenn er seine Einsetzung durch den Erstverstorbenen persönlich ausschlägt.1 Die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft, die zu einem Fortbestehen der Sozialhilfebedürftigkeit des vorläufigen Erben führt, ist entgegen früherer obergerichtlicher Rechtsprechung2 nach Ansicht des BGH grundsätzlich wegen der aus Art. 14 Abs. 1 GG resultierenden negativen Erbfreiheit des Erben samt damit verbundener Ablehnungsmöglichkeit gegenüber erbrechtlichen Zuwendungen nicht i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig.3 Bei einem Behindertentestament kommt eine gerichtliche Genehmigung zu einer Ausschlagung der Vorerbenstellung dann nicht in Betracht, wenn die darin vorgesehenen Zuwendungen den Behinderten besser stellen als bei einem Sozialhilfezugriff auf den durch die Ausschlagung ausgelösten Pflichtteil.4

Beratungshinweis: Soweit die Ausschlagung nach § 1945 Abs. 1, 2. Hs. i.V.m. § 129 BGB in öffentlich beglaubigter Form erstellt und bei dem Nachlassgericht eingereicht bzw. unmittelbar zur Niederschrift des Nachlassgerichts erklärt wird, muss zur Vermeidung einer etwaigen gerichtlichen Zurückweisung darauf geachtet werden, dass damit ausschließlich das allgemein nach § 343 FamFG örtlich zuständige Nachlassgericht oder das seit 1.9.2009 nach § 344 Abs. 7 FamFG speziell für Erbausschlagungen zuständige Gericht am Wohnsitz des Ausschlagenden, über dessen Zuständigkeit bisherige Unsicherheiten im Verfahren vor einem ersuchten Gericht beseitigt werden sollen, betraut wird. Dabei sind mit größter Vorsicht die Voraussetzungen eines Wohnsitzes nach den §§ 7 ff. BGB zu prüfen (s. dazu Rz. 107 ff.), insbesondere fehlt am Studienort wohnhaften Studenten regelmäßig der dazu erforderliche nicht nur vorrübergehende Domizilwille.5 Wird eine Erbaus1 Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rz. 44; ähnlich, aber missverständlich OLG Zweibrücken v. 13.11.2007 – 3 W 198/07, FamRZ 2008, 646 = DNotZ 2008, 384 (385) m. Anm. Müller; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 4. 2 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484 ff.; OLG Hamm v. 16.7.2009 – 15 Wx 85/09, ZEV 2009, 471 ff. m. krit. Anm. Leipold. 3 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, ZEV 2011, 258 (259 ff.); LG Aachen v. 4.11.2004 – 7 T 99/04, ZEV 2005, 120 (121). 4 OLG Köln v. 29.6.2007 – 16 Wx 112/07, FamRZ 2008, 1113; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 5. 5 BVerfG v. 22.6.1990 – 2 BvR 116/90, NJW 1990, 2193 (2194); OLG Düsseldorf v. 6.11.1990 – 6 UF 195/90, FamRZ 1992, 103. Fröhler

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schlagungserklärung von einem örtlich unzuständigen Gericht entgegengenommen, gilt sie gleichwohl analog § 2 Abs. 3 FamFG als wirksam und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingegangen,1 es sei denn, das Gericht gibt die dadurch dann unwirksam werdende Erklärung wegen Unzuständigkeit an den Erklärenden zurück.2 92

§ 344 Abs. 7 FamFG begründet aufgrund seines Regelungszwecks trotz des unpräzisen und unvollständigen Wortlauts neben ausdrücklich benannten Erbausschlagungen und deren Anfechtung auch eine Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts für die Anfechtung der Erbschaftsannahme, der Fristversäumnis und der Ausschlagung des Pflichtteilsberechtigten und neben der ausdrücklich erwähnten Entgegennahme auch für die Protokollierung derartiger Erklärungen.3 Die in öffentlich beglaubigter Form durch den Erben am Ort seines Wohnsitzes vor einem Notar erklärte Ausschlagung sollte daher zur Vermeidung von postalischen Verzögerungs- bzw. Verlustgefahren persönlich vor Ort beim Wohnsitzgericht i.S.d. § 344 Abs. 7 FamFG gegen Eingangsbestätigung fristwahrend4 abgegeben werden.

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Gem. § 1947 BGB kann die Ausschlagung nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen. Nach § 1944 Abs. 1 BGB beträgt die Ausschlagungsfrist sechs Wochen, dann, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält, jedoch sechs Monate. Hinsichtlich des Beginns der Ausschlagungsfrist ist zu differenzieren: Ist der Erbe durch Verfügung von Todes wegen berufen, beginnt die Frist gem. § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB nicht vor der nach § 348 Abs. 2 FamFG mündlich gegenüber dem im Eröffnungstermin anwesenden Erben bzw. nach § 348 Abs. 3 FamFG schriftlich erfolgenden Bekanntgabe der Verfügung, bei erst späterer Kenntniserlangung (bspw. aufgrund verloren gegangener Post) ist dieser spätere Zeitpunkt maßgebend, während eine frühere Kenntnis nicht schadet.5

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Bei gesetzlicher Erbfolge – auch bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen, die den gesetzlichen Erben lediglich beschränkt bzw. beschwert, nicht jedoch bei einer solchen, die eine gewillkürte Erbeinsetzung entsprechend der gesetzlichen Erbfolge vorsieht – beginnt die Ausschlagungsfrist bereits mit dem Zeitpunkt, in dem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Hierzu ist Kenntnis der das Erbrecht begründenden Familienverhältnisse und des Nichtvorhandenseins einer die gesetzliche Erbfolge ausschließenden Verfügung erforderlich. Die Ausschlagungsfrist beginnt daher bspw. dann nicht zu laufen, wenn der Erbe irrtümlich annimmt, aufgrund eines Testamentes berufen zu sein, obschon er tatsächlich gesetzlicher Erbe ist. Dabei steht selbst grob fahrlässige Unkenntnis der Kenntnis nicht gleich.6 1 BayObLG v. 22.12.1997 – 1Z BR 138/97, MittBayNot 1998, 192, 193; Heinemann, FamFG für Notare, Rz. 288; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 81. 2 Heinemann, FamFG für Notare, Rz. 289; Palandt/Edenhofer, 68. Aufl., § 1945 Rz. 7 zu § 7 FGG; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 81. 3 Heinemann, ZErb 2008, 293, 295; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 67 ff. 4 Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 68; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 7. 5 Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 4; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 8. 6 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 10. 640

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Minderjähriger Erbe

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Rz. 98

2. Ausgangsproblematik für die Erbschaftsausschlagung minderjähriger Kinder Abweichend von anderweitiger gesetzlicher Vertretung durch Vormund, Betreuer bzw. Pfleger i.S.d. (§§ 1908i bzw. 1915 BGB i.V.m.) § 1822 Nr. 2 BGB sind Erbausschlagungen von Eltern für ihr minderjähriges Kind nach § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB durch besondere Erleichterungen im Rahmen der Wirkungsamkeitsvoraussetzungen privilegiert.

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3. Gesetzliche Vertretung des minderjährigen Kindes a) Grad der Geschäftsfähigkeit Erbausschlagungen betreffende Erklärungen unterliegen den allgemeinen Regelungen über die Geschäftsfähigkeit.1 Danach muss eine Erbausschlagung für einen geschäftsunfähigen Erben ausschließlich durch dessen gesetzlichen Vertreter erfolgen, während ein beschränkt geschäftsfähiger Erbe gem. §§ 107, 111 BGB eine Erbschaft entweder vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter oder mit dessen Einwilligung persönlich ausschlagen kann.2 Wird ein gesetzlich vertretenes minderjähriges Kind zwischen Abgabe durch Absendung der Erklärung und deren Zugang volljährig, ist die Ausschlagungserklärung der Eltern gleichwohl analog § 130 Abs. 2 BGB ausreichend.3

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b) Vertretungstatbestände Nach § 1629 Abs. 1 S. 2 BGB vertreten die Eltern ihr Kind vorbehaltlich einer Entscheidung nach § 1671 Abs. 1 BGB, grundsätzlich gemeinschaftlich. Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, vertritt die Mutter das Kind aufgrund alleinigen elterlichen Sorgerechts gem. § 1629 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 1626a Abs. 3 BGB allein, soweit beide Elternteile keine Sorgeerklärung i.S.d. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben haben, sie einander nicht geheiratet haben und das Familiengericht ihnen die elterliche Sorge nicht nach §§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 1671 BGB gemeinsam oder einem alleine übertragen hat.4

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4. Genehmigungsbedürftigkeit a) Gesetzessystematik Während ein Vormund, Betreuer bzw. Pfleger für eine Ausschlagung gem. (§§ 1908i bzw. 1915 BGB i.V.m.) § 1822 Nr. 2 BGB ausnahmslos der familienbzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf, erfordert die Erbausschlagung bzw. Ausschlagung einer Nacherbschaft i.S.d. § 2142 BGB5 durch Eltern bzw. den allein sorge- und damit vertretungsberechtigten Elternteil für das minderjährige Kind mangels entsprechenden Verweises durch § 1643 Abs. 1 BGB auf § 1822 Nr. 2 BGB nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB nur dann eine familien1 Fröhler, BWNotZ 2012, 160 (166). 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 12. 3 OLG Karlsruhe v. 22.7.1965 – 5 W 134/64, OLGZ 1965, 260 (261 f.); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 20. 4 §§ 1626a, 1671 BGB neu gefasst und § 1672 BGB aufgehoben mit Wirkung v. 19.5. 2013 durch Gesetz v. 16.4.2013, BGBl. 2013 I, S. 795. 5 BeckOK/Veit, § 1643 Rz. 4; Ivo, ZEV 2002, 309 (310). Fröhler

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Rz. 99

Minderjähriger Erbe

auf § 1822 Nr. 2 BGB nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB nur dann eine familiengerichtliche Genehmigung, wenn kein Ausnahmetatbestand i.S.d. § 1643 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB eröffnet oder stattdessen eine Gegenausnahme nach § 1643 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB einschlägig ist. Eine familiengerichtliche Genehmigung ist dabei nach § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn das Kind ausschließlich dadurch Erbe geworden ist, dass der allein oder mitvertretende Elternteil seinerseits zuvor die Erbschaft mit Wirkung nach § 1953 Abs. 2 BGB ausgeschlagen hat, ohne neben dem Kind berufen gewesen zu sein.1 Insoweit sind insbesondere die nachstehenden Fallgruppen bedeutsam. b) Fallgruppen aa) Anfall durch Erbausschlagung eines nicht vertretungsberechtigten Elternteils 99

Insbesondere bedarf bspw. die mangels Sorgeerklärung oder familiengerichtlicher gemeinsamer Übertragung der elterlichen Sorge alleinsorgeberechtige Mutter eines minderjährigen nichtehelichen Kindes bezüglich der von ihr für das Kind erklärten Ausschlagung nach dessen Großeltern väterlicherseits dann nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB mangels Ausnahmetatbestands i.S.d. § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung, wenn diesem Kind die Erbschaft aufgrund der Ausschlagung des nichtsorgeberechtigten Vaters angefallen ist.2 Darüber hinaus besteht ein Genehmigungserfordernis mangels gesetzlich vermuteten generell-abstrakten Interessengleichlaufs auch dann, wenn die ein gemeinsames Sorgerecht begründende Sorgeerklärung bzw. familiengerichtliche Sorgerechtsübertragung zwar vor der gemeinsamen elterlichen Erbausschlagung für das Kind, aber erst nach der Ausschlagungserklärung des bislang nicht vertretungsberechtigten Vaters für sich selbst erfolgt.3 bb) Werthaltiger Nachlass

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Schlägt jedoch bspw. der mitvertretungsberechtigte Vater die Erbschaft nach seiner vermögenden verwitweten Mutter zunächst für sich selbst und sodann gemeinsam mit seiner Ehefrau für das gemeinsame minderjährige und zugleich für ihn einzige Kind aus, ist selbst dann keine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, wenn der Nachlass einen hohen Wert hat und die Ausschlagung wirtschaftlich unvernünftig erscheint, da die Regelung des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB das konkrete Ausschlagungsmotiv unbeachtlich lässt, generell abstrakt ausgerichtet ist, der Entlastung der Gerichte dient und deren Neigung zur Versagung von Genehmigungen in Zweifelsfällen unterbinden soll.4

1 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 23. 2 OLG Naumburg v. 19.10.2006 – 3 WF 194/06, FamRZ 2007, 1047; BeckOK/Veit, § 1643 BGB Rz. 5.1; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 86; DNotI, DNotIReport 2002, 139; Ivo, ZEV 2002, 309 (311). 3 Ivo, ZEV 2002, 309 (311), BeckOK/Veit, § 1643 Rz. 5.1; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 24. 4 Staudinger/Engler, § 1643 Rz. 37; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 25; MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 19; Ivo, ZEV 2002, 309 (310). 642

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Fröhler

Minderjähriger Erbe

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Rz. 102

cc) Erbausschlagung nur für eines von mehreren Kindern Schlägt bspw. die mitvertretungsberechtigte Mutter die Erbschaft nach ihrem Vater zunächst für sich selbst und sodann gemeinsam mit ihrem Ehemann selektiv für lediglich eines von zwei gemeinsamen minderjährigen Kindern aus, um sie für das andere Kind alleine anzunehmen, ist entgegen dem Wortlaut des insoweit teleologisch zu reduzierenden Tatbestands des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB sehr wohl eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, da durch die mittelbare Weiterleitung der Erbschaft an das andere nicht von der Ausschlagung erfasste Kind die generell-abstrakte Vermutung aus § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB ihrerseits generell-abstrakt widerlegt ist.1

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dd) Gesetzlicher Vertreter wird durch Erbausschlagung für das eingesetzte Kind selbst Erbe Verstirbt bspw. ein Ehemann, der neben seiner Ehefrau einen Sohn, eine verwitwete Tochter und von dieser einen minderjährigen Enkel hinterlässt sowie testamentarisch die Tochter zur Alleinerbin und den minderjährigen Enkel zum alleinigen Ersatzerben einsetzt, dann bedarf diese Tochter, die ihre testamentarische Alleinerbeneinsetzung mit dem Ziel der Herbeiführung der mit ihrer Mutter und ihrem Bruder gemeinsamen gesetzlichen Erbfolge nach § 1948 BGB ausschlägt, zur Ausschlagung der testamentarischen Ersatzerbeneinsetzung ihres von ihr kraft alleinigen Sorgerechts vertretenen minderjährigen Sohnes entgegen dem Wortlaut des insoweit teleologisch zu reduzierenden Tatbestands des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB ebenfalls einer familiengerichtlichen Genehmigung. Dies folgt in derartigen Konstellationen im Wege des Erst-Recht-Schlusses aus der Gegenausnahmeregelung des § 1643 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB, die sogar bei einer ursprünglichen Berufung des erstausschlagenden Elternteils neben dem Kind ein generell-abstraktes familiengerichtliches Genehmigungserfordernis begründet.2 Trotz dieses Genehmigungserfordernisses besteht kein Vertretungsverbot i.S.d. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB, da § 181 BGB aufgrund der materiellen Empfangszuständigkeit des Nachlassgerichts auf derartige amtsempfangsbedürftige Erklärungen nicht anwendbar ist und der Genehmigungstatbestand des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB typischerweise auch derartige Interessenkonflikte betrifft.3 1 OLG Hamm v. 13.12.2013 – I-15 W 374/13, MittBayNot 2014, 350 f.; KG v. 13.3.2012 – 1W 747/11, ZEV 2012, 332 f.; Engler, FamRZ 1972, 7 (8); Staudinger/Engler, § 1643 Rz. 38; BeckOK/Veit, § 1643 Rz. 5.1; Erman/Döll, § 1643 Rz. 22; Erman/J. Schmidt, § 1945 Rz. 8; Fröhler, BWNotZ 2013, 88 (89); MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 25; Palandt/Götz, § 1643 Rz. 2; a.A. (unter Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers) Sagmeister, ZEV 2012, 121 (123 ff.); Sagmeister, MittBayNot 2014, 352 f.; Baumann, DNotZ 2012, 803 (807); Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 26; Litzenburger, ZEV 2012, 333; Mensch, BWNotZ 2013, 144 (145 f.). 2 OLG Frankfurt v. 2.6.1954 – 1 Wx 18/54, NJW 1955, 466; Engler, FamRZ 1972, 7 (8); Staudinger/Engler, 2009, § 1643 Rz. 39; BeckOK/Veit, § 1643 Rz. 5.1; Erman/Döll, § 1643 Rz. 22; MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 25. 3 BayObLG v. 5.8.1983 – 1Z 25/83, Rpfleger 1983, 482 f. (unter Hinweis auf die Möglichkeit einer punktuellen Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB); Ivo, ZEV 2002, 309, 313; Coing, NJW 1985, 6, 10; Palandt/Ellenberger, § 181 Rz. 13; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 27; a.A. Buchholz, NJW 1993, 1161, 1166; Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, Rz. 32. Fröhler

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Rz. 103

Minderjähriger Erbe

ee) Erbausschlagung durch längstlebenden Elternteil für sich und das Kind 103

Verstirbt bspw. der überschuldete Ehemann ohne Hinterlassung einer Verfügung von Todes wegen, sind die Ehefrau sowie das minderjährige einzige Kind nebeneinander gesetzliche Erben und schlägt dann die Ehefrau ihren Erbteil aus, bedarf die Ausschlagung durch die Ehefrau für das Kind nach § 1643 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BGB insgesamt der Genehmigung,1 da die Ehefrau zunächst neben dem Kind berufen war, das Kind zudem einen originären nicht erst durch Ausschlagung seiner Mutter (der Ehefrau) angefallenen Erbteil hat und die aufgrund der eigenen Ausschlagung der Ehefrau durch den Anfall beim Kind nach § 1953 Abs. 2 BGB rückwirkend auf den Erbfall ausgelöste Erbteilserhöhung gemeinsam mit dessen originärem Erbteil insoweit -anders als in Ansehung hier nicht relevanter Vermächtnisse bzw. Auflagen nach § 1935 BGB- einheitlich behandelt wird,2 obwohl die durch die Ausschlagung der Ehefrau dem Kind angefallene Erbteilserhöhung ein für sich isoliert betrachtet genehmigungsfreier Tatbestand wäre und die Ausschlagung der Mutter ein wirtschaftliches Ausschlagungserfordernis indiziert.3 Diese Konstellation ist streng von einer zulässigen Teilausschlagung mehrerer Erbteile i.S.d. § 1951 BGB zu unterscheiden (s. dazu nachstehend Rz. 104).

M 122 Ausschlagung einer Erbschaft durch den längstlebenden Elternteil für sich und das Kind (Notarieller Entwurf mit Unterschriftsbeglaubigung – Auszug) An das Amtsgericht – Nachlassgericht – … (Ort) Nachlass des … (Vor- und Nachname des Erblassers), verstorben am … (Sterbedatum) in … (Sterbeort), geb. am … (Geburtsdatum), zuletzt wohnhaft gewesen in … (letzte Wohnanschrift) Ihr Zeichen: … (Aktenzeichen) Am … (Sterbedatum) ist mein Ehemann … (Vor- und Nachname des Erblassers), zuletzt wohnhaft gewesen in … (letzte Wohnanschrift) in … (Sterbeort) verstorben. Ein Testament hat er nicht hinterlassen. Als gesetzliche Erben kommen dessen und mein gemeinsamer minderjähriger Sohn … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum) sowie ich, … (Vor- und Nachname), als Witwe in Betracht. Der Nachlass ist überschuldet. Ich schlage hiermit für mich selbst und gleichzeitig als alleiniger Inhaber des elterlichen Sorgerechts für unseren gemeinsamen vorstehend genannten minderjährigen Sohn die Erbschaft nach meinem verstorbenen Ehemann … (Vor- und Nachname des Erblassers) aus allen möglichen Berufungsgründen und ohne jede Bedingung aus, somit hinsichtlich unseres Sohnes sowohl hinsichtlich des ihm durch meine Ausschlagung als auch bezüglich des 1 MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 21; Staudinger/Engler, § 1643 Rz. 40. 2 BeckOK/Müller-Christmann, § 1935 Rz. 6. 3 Fröhler, BWNotZ 2012, 160, 165 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 28; Wurm/Wagner/Zartmann/Fröhler, Kap. 93 Rz. 15. 644

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Fröhler

Minderjähriger Erbe

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Rz. 103

ihm direkt mit dem Erbfall angefallenen Erbteils. Die erforderliche familiengerichtliche Genehmigung werde ich samt Rechtskraftvermerk gemeinsam mit einem Nachweis über deren mir gegenüber erfolgte Bekanntgabe unverzüglich beim zuständigen Familiengericht beantragen und sodann unverzüglich nach Erhalt eigenverantwortlich an das Nachlassgericht weiterleiten. Über die Bedeutung der heutigen Ausschlagung bin ich belehrt. Mir ist bekannt, dass diese hiesige Erklärungen von mir unverzüglich vorab alleine und nach Erhalt zusätzlich gesondert die mir dann überlassene Ausfertigung des familiengerichtlichen Genehmigungsbeschlusses samt Rechtskraftvermerk gemeinsam mit einem Nachweis über deren mir gegenüber erfolgte Bekanntgabe an das zuständige Nachlassgericht zu übersenden sind und der dortige jeweilige rechtzeitige Eingang der Unterlagen von mir überprüft werden sollte.1 … (Ort, Datum) … (Unterschrift) (notarielle Unterschriftsbeglaubigung) …

M 123 Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung zu einer Erbschaftsausschlagung für das gesetzlich vertretene minderjährige Kind An das Amtsgericht – Familiengericht – … (Ort) Mein minderjähriges Kind … (Vor- und Nachname), geb. am … (Geburtsdatum), wohnhaft in … (Wohnanschrift), ist kraft gesetzlicher Erbfolge zunächst zu 1/2 – Erbteil, aufgrund meiner Erbausschlagung hinsichtlich des anderen Erbteils von 1/2 sodann zu 1/1 Alleinerbe seines am … (Sterbedatum) verstorbenen Vaters … (Vor- und Nachname des Erblassers), geb. am …, zuletzt wohnhaft gewesen in … (letzte Wohnanschrift), geworden. Von dem Anfall der Erbschaft habe ich am … (Datum) Kenntnis erlangt. Da der Nachlass überschuldet ist, habe ich im Interesse meines minderjährigen Kindes die Erbschaft durch notariell beglaubigte Erklärung vom … (Errichtungsdatum) ausgeschlagen. Durch dieselbe Erklärung habe ich zudem den mir zunächst selbst zugefallenen Erbteil von 1/2 ausgeschlagen und diesen sodann nach § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB namens meines Kindes ausgeschlagen. Die Erklärung ist in beglaubigter Abschrift beigefügt. Ich beantrage, die Ausschlagungserklärung schnellst möglich familiengerichtlich zu genehmigen, auf dem Genehmigungsbeschluss das Datum der Rechtskraft zu vermerken und mir den Genehmigungsbeschluss rechtzeitig vor Ablauf der Ausschlagungsfrist schnellst möglich durch Übersendung einer Beschlussausfertigung mit Rechtskraftvermerk bekannt zu geben, damit ich diese sodann beim Nachlassgericht einreichen kann.2 1 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. FBsp. 2. 2 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. FBsp. 3. Fröhler

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Rz. 104

Minderjähriger Erbe

… (Ort, Datum) … (Unterschrift)

ff) Erbausschlagung für das Kind durch den daneben berufenen Elternteil 104

Eine zur Genehmigungsbedürftigkeit führende Gegenausnahme i.S.d. § 1643 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB von der eigentlichen Genehmigungsbefreiung nach § 1643 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB kann auch aufgrund bloßer Rückwirkungsfiktion nach § 1953 Abs. 2 BGB ausgelöst werden. Verstirbt bspw. der verwitwete Vater, der seine Tochter als einziges Kind zu 2/3 Erbteil testamentarisch ohne dortige weitere letztwillige Verfügung als Erbe und ohne Hinterlassung einer anderweitigen Verfügung von Todes wegen eingesetzt hat, schlägt sodann diese Tochter ihren gesetzlichen Erbteil von 1/3 für sich selbst und sodann als alleine sorgeberechtigte Mutter für ihren nichtehelichen minderjährigen Sohn aus, dann bedarf sie zur letztgenannten Erbausschlagung für den Sohn nach § 1643 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung, da sie nach § 1953 Abs. 2 BGB rückwirkend auf den Erbfall mit 2/3 testamentarischem Erbteil neben dem Kind mit 1/3 gesetzlichem Erbteil berufen war, eine Interessenkollision nicht ausgeschlossen ist und das Festhalten der Tochter an ihrem testamentarischen Erbteil von 2/3 sogar für eine Werthaltigkeit des Nachlasses spricht.1 c) Genehmigungserteilung

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In derartigen Konstellationen muss die familiengerichtliche Genehmigung für die Ausschlagung als einseitige amtsempfangsbedürftige Erklärung gemeinsam mit einem Nachweis über deren Bekanntgabe gegenüber dem gesetzlichen Vertreter i.S.d. § 1643 Abs. 3 i.V.m. § 1828 BGB bis zum Ablauf der Ausschlagungsfrist rechtskräftig beim Nachlassgericht vorliegen.2 Wird die Erteilung der Genehmigung innerhalb dieser Frist beantragt und verzögert sich daher die Erteilung der gerichtlichen Genehmigung aufgrund des dortigen Verfahrens, kann ein Fall höherer Gewalt i.S.d. §§ 206, 1944 Abs. 2 S. 2 BGB vorliegen, der den Lauf der Ausschlagungsfrist hemmt, wobei jedoch die nach Zugang der rechtskräftigen Genehmigung für deren Übermittlung an das Nachlassgericht noch benötigte Zeit nicht in den Hemmungszeitraum einbezogen wird und daher der Antrag auf Genehmigungserteilung rechtzeitig vor Fristablauf gestellt werden sollte.3 5. Problematik Kontrollvertreter

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Die lange Zeit zwischen den Obergerichten heftig umstrittene Frage, ob und ggf. wann im Verfahren auf Genehmigung einer Erbausschlagung für ein minderjäh1 Ivo, ZEV 2002, 309 (313); Staudinger/Engler, § 1643 Rz. 40; a.A. MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 22. 2 Erman/Döll, § 1643 Rz. 26; Erman/Saar, § 1831 Rz. 3; Erman/J. Schmidt, § 1945 Rz. 8; Fröhler, BWNotZ 2012, 160, 166. 3 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 153/65, OLGZ 1966, 337, 338 ff.; Fröhler, BWNotZ 2012, 160, 166; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 35; Prütting/ Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 87. 646

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Fröhler

Minderjähriger Erbe

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Rz. 107

riges Kind ein Ergänzungspfleger bestellt werden muss,1 ist durch Beschluss des BGH v. 12.2.2014 entschieden worden: Danach ist zur Entgegennahme des Beschlusses über die beantragte familiengerichtliche Genehmigung und für die Entscheidung über die diesbezügliche Erteilung eines Rechtsmittelverzichts bzw. die Einlegung von Rechtsmitteln nach § 9 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB innerhalb des Genehmigungsverfahrens für ein vertretenes geschäftsunfähiges bzw. noch nicht 14-jähriges beschränkt geschäftsfähiges minderjähriges Kind nur dann ein Ergänzungspfleger erforderlich, wenn die Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB festgestellt sind.2 Dies folgt dann daraus, dass diesem Kind der Beschluss mangels eigener Verfahrensfähigkeit i.S.d. § 9 Abs. 1 FamFG nach § 41 Abs. 3 FamFG nicht persönlich, wegen dortiger erheblicher generell-abstrakter Interessengegensätze aus den grundrechtsgleichen Rechten auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG und faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip)3 auch nicht dem die Genehmigung namens des Vertretenen beantragenden gesetzlichen Vertreter4 – unabhängig davon, ob dies ein Elternteil oder als Vormund das Jugendamt ist – und schließlich nicht einem Verfahrensbeistand i.S.d. § 158 Abs. 4 S. 6 FamFG bekannt gegeben werden kann, da dieser kein gesetzlicher Vertreter des Kindes ist und hier das Vermögen statt – wie jedoch für eine Kindschaftssache erforderlich – die Person des Kindes betroffen ist.5 Die Bekanntgabe erfolgt nach § 164 i.V.m. § 151 Nr. 1 FamFG jedoch gegenüber dem Kind selbst, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat und nicht gem. § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig ist,6 da es dann nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähig ist und gem. § 60 Abs. 1 FamFG ein eigenes selbständiges Beschwerderecht hat.7 6. Besondere örtliche Zuständigkeit zur nachlassgerichtlichen Protokollierung § 344 Abs. 7 FamFG regelt erstmals für die Entgegennnahme einer Erklärung im Zusammenhang mit einer Erbschaftsausschlagung die ergänzende besondere ört1 Grds. bejahend: OLG Celle v. 4.5.2011 – 10 UF 78/11, ZErb 2011, 198; OLG Celle v. 11.9.2012 – 10 UF 56/12, FamRB 2012, 336 (Stößer); KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, MDR 2010, 815 = MittBayNot 2010, 482; OLG Köln v. 10.8.2010 – 4 UF 127/10, FamRZ 2011, 231; OLG Karlsruhe v. 5.9.2012 – 20 WF 135/12, n.v.; Prütting/Helms/ Fröhler, § 344 FamFG Rz. 88; a.A. OLG Brandenburg v. 6.12.2010 – 9 UF 61/10, FamRZ 2011, 1305 = MittBayNot 2011, 240 (Notwendigkeit eines konkreten – nicht nur abstrakten – Interessengegensatzes für Ausschluss der Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters). 2 BGH v. 12.2.2014 – XII ZB 592/12, MDR 2014, 420 = FamRZ 2014, 640 m. Anm. Zorn = DNotI-Report 2014, 70 f.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 36. 3 BVerfG v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96, NJW 2000, 1709, wobei in durch Rechtspfleger geführten Verfahren mangels diesbezüglicher Richtereigenschaft i.S.d. Art. 92 GG kein Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG eröffnet ist. 4 BVerfG v. 18.1.2000 – 1 BvR 321/96, NJW 2000, 1709, 1710. 5 OLG Celle v. 4.5.2011 – 10 UF 78/11, FamRZ 2011, 1304 = ZErb 2011, 198; OLG Celle v. 11.9.2012 – 10 UF 56/12, FamRZ 2013, 651; KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, FamRZ 2010, 1171 = MDR 2010, 815 = MittBayNot 2010, 482; OLG Köln v. 10.8.2010 – 4 UF 127/10, FamRZ 2011, 231; OLG Karlsruhe v. 5.9.2012 – 20 WF 135/12, n.v. 6 KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, FamRZ 2010, 1171 = MDR 2010, 815 = MittBayNot 2010, 482. 7 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 8. Kap. Rz. 36. Fröhler

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Rz. 108

Minderjähriger Erbe

liche Zuständigkeit auch desjenigen Nachlassgerichts, in dessen Bezirk der Erklärende seinen Wohnsitz hat, neben dem allgemein nach § 343 FamFG zuständigen Nachlassgericht. 108

Der diesbezügliche Wohnsitz bestimmt sich nach den Regelungen der §§ 7, 8, 9 und 11 BGB.1 Maßgebend ist dabei grundsätzlich der räumliche Schwerpunkt (Mittelpunkt) der gesamten Lebensverhältnisse des Erblassers.2 Dabei wird zwischen dem selbständig gewählten Wohnsitz nach §§ 7 bzw. 8 BGB einerseits und dem abgeleiteten gesetzlichen Wohnsitz i.S.d. §§ 9 bzw. 11 BGB andererseits unterschieden.

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Der gewählte Wohnsitz wird durch Niederlassung an einem Ort, der nach dem Willen des Erblassers dem ständigen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse dienen soll,3begründet.4 Dies gilt uneingeschränkt auch für Ordensangehörige. Kirchenrechtliche Besonderheiten, wie bspw. eine Wohnsitzfiktion für Ordensschwestern am Sitz des Mutterhauses, sind unbeachtlich.5 Bei dauernder Anstaltsunterbringung i.S.v. § 1906 BGB wird der Wohnsitz am Ort der Anstalt begründet.6 Der erforderliche Domizilwille setzt voraus, dass am Ort der Niederlassung der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dauerhaft beibehalten werden soll.7 Indizien für den Willen zur dauerhaften Beibehaltung des Lebensmittelpunktes ergeben sich regelmäßig aus einer bereits fortgeschrittenen Dauer des tatsächlichen Aufenthaltes bzw. aus dem Bemühen, an dem Wohnort bessere Wohnbedingungen zu finden, bspw. an Stelle einer bisher gemeinsam mit Dritten genutzten Unterkunft eine eigene Wohnung zu beziehen.8 Grundsätzlich ist der unter Aufgabe der bisherigen Wohnung erfolgende Umzug in ein Hospiz als Sterbeort auf Dauer ausgerichtet.9 Entsprechendes gilt für den Einzug in ein Pflegewohnzentrum, wenn der Gesundheitszustand eine auf unbegrenzte Dauer angelegte medizinische und pflegerische Betreuung erfordert und keine Möglichkeit einer Veränderung ersichtlich ist.10 Der erforderliche Domizilwille fehlt jedoch, wenn die Niederlassung lediglich mit dem Ziel einer vorübergehenden Wohnungsnahme erfolgt. So begründet insbesondere ein Student am Universitätsort nur unter besonderen Umständen seinen Wohnsitz,11 da sich die für 1 BayObLG v. 17.12.1984 – 1 ZS AllgReg 94/84, Rpfleger 1985, 66. 2 BGH v. 14.2.1962 – IV ZR 192/61, LM Nr. 3 zu § 7 BGB; BayObLG v. 17.12.1984 – Allg. Reg. 94/84, FamRZ 1985, 533 = BayObLGZ 1984, 289 (290); Palandt/Ellenberger, § 7 Rz. 1; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 11. 3 BayObLG v. 14.2.1962 – IV ZR 192/61, BayObLGZ 1985, 158 (161). 4 BVerwG v. 9.11.1967 – VIII C 141/67, NJW 1968, 1059. 5 BayObLG v. 25.11.1960 – Allg. Reg. 71/60, BayObLGZ 1960, 455, 456. 6 OLG Rostock v. 16.6.1915 – Az. ist n.v., OLGR 33, 19; OLG Oldenburg v. 1.3.1899 – Az. ist n.v., SeuffA 55 Nr. 64; MüKo.BGB/Schmitt, § 7 Rz. 49. 7 BVerwG v. 21.5.1985 – 1 C 52/82, NJW 1986, 674. 8 BGH v. 30.11.1983 – IVb ARZ 50/83, MDR 1984, 473 = FamRZ 1984, 162 = NJW 1984, 971; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 23. 9 OLG Düsseldorf v. 7.1.2002 – 3 Sa 3/01, FamRZ 2002, 1128 = Rpfleger 2002, 314; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 23. 10 OLG Düsseldorf v. 27.8.2009 – I-3 Sa 1/09, FGPrax 2009, 271; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – I-3 Sa 5/12, FamRZ 2013, 807 = FGPrax 2013, 27; Keidel/Zimmermann, § 343 FamFG Rz. 41. 11 BVerfG v. 22.6.1990 – 2 BvR 116/90, NJW 1990, 2193, 2194; OLG Düsseldorf v. 6.11. 1990 – 6 UF 195/90, FamRZ 1992, 103. 648

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den Willen zu einem ständigen Aufenthalt maßgebende berufliche Entwicklung regelmäßig erst nach Abschluss des Studiums absehen lässt. Entsprechendes gilt für den regelmäßig nicht auf Dauer, sondern lediglich zur vorübergehenden medizinischen Versorgung ausgerichteten Krankenhausaufenthalt eines Patienten.1 Die polizeiliche Anmeldung am neuen Wohnort und Abmeldung am früheren Wohnort kann nur gemeinsam mit weiteren Faktoren einen Domizilwillen manifestieren.2 Ausreichend ist insoweit etwa bei Umzug in ein Frauenhaus, jedenfalls bei größerer Entfernung vom bisherigen Wohnort, ein dort unbefristet angelegter Aufenthalt,3 im Rahmen des Möglichen im Hinblick auf das Alter mitumziehender Kinder deren dortige Schulanmeldung,4 während eine kurzzeitige, bspw. auf drei Wochen beschränkte Befristung nicht genügt.5 Hierbei ist jeweils ohne Bedeutung, dass ein Frauenhaus üblicherweise nur dem vorübergehenden Aufenthalt dient, da bereits ein beabsichtigter anschließender Umzug in eine andere Unterkunft im gleichen Ort, bspw. eine Sozialwohnung, ausreicht.6 Der Wohnsitz nicht voll Geschäftsfähiger wird entweder durch alleinige Bestimmung des gesetzlichen Vertreters nach § 7 BGB oder durch eigene Handlung des nicht voll Geschäftsfähigen begründet bzw. aufgehoben,7 die dann jedoch nach § 8 Abs. 1 BGB grundsätzlich der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bedarf, der dazu jedoch als Betreuer bzw. Vormund seinerseits hinsichtlich des gerichtlich bestimmten Aufgabenkreises die Berechtigung zur Aufenthalts- bzw. Wohnungsbestimmung benötigt.8 Von diesem Erfordernis ist ein verheirateter oder verheiratet gewesener nicht geschäftsunfähiger Minderjähriger nach § 8 Abs. 2 BGB befreit, wenn dieser, der das 16. Lebensjahr vollendet haben und dessen künftiger Ehegatte volljährig sein muss, auf seinen Antrag durch das Familiengericht nach § 1303 Abs. 2 BGB von der Notwendigkeit der eigenen Volljährigkeit befreit worden ist,9 und dessen Wohnsitz der gesetzliche Vertreter dann weder begründen noch aufheben kann.10 Der Wohnsitz anderer nicht voll geschäftsfähiger, mithin auch niemals verheiratet gewesener minderjähriger Kinder richtet sich gem. § 11 BGB nach dem Wohnsitz ihres Personensorgeberechtigten, mithin regelmäßig der Eltern, hilfsweise eines Vormunds bzw. Pflegers, soweit nicht nach § 7 i.V.m. § 8 Abs. 1 BGB ein anderer Wohnsitz begründet 1 OLG Düsseldorf v. 7.1.2002 – 3 Sa 3/01, FamRZ 2002, 1128 = Rpfleger 2002, 314; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – I-3 Sa 5/12, FamRZ 2013, 807 = FGPrax 2013, 27; Keidel/Zimmermann, § 343 FamFG Rz. 41; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 24. 2 BayObLG v. 14.11.1988 – AR 1Z 75/88, FamRZ 1989, 526 = NJW-RR 1989, 262, 263; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – I-3 Sa 5/12, FamRZ 2013, 807 = FGPrax 2013, 27. 3 OLG Karlsruhe v. 10.2.1995 – 2 UF 290/94, FamRZ 1995, 1210 = NJW-RR 1995, 1220 bei Entfernung von 100 km; OLG Karlsruhe v. 7.5.2009 – 16 WF 61/09, MDR 2009, 931 = FamRZ 2009, 1768 = NJW-RR 2009, 1598. 4 OLG Nürnberg v. 8.9.1993 – 11 WF 1097/93, FamRZ 1994, 1104 (1105). 5 BGH v. 14.12.1994 – XII ARZ 33/94, FamRZ 1995, 728 = NJW 1995, 1224 (1225). 6 OLG Karlsruhe v. 10.2.1995 – 2 UF 290/94, FamRZ 1995, 1210 = NJW-RR 1995, 1220; OLG Nürnberg v. 8.9.1993 – 11 WF 1097/03, FamRZ 1994, 1104, 1105; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 25. 7 MüKo.BGB/Schmitt, § 8 Rz. 1; Staudinger/Weick, § 8 Rz. 1. 8 BayObLG v. 12.5.1992 – 1Z AR 22/92, FamRZ 1992, 1222 = NJW-RR 1993, 460, 461; OLG Düsseldorf v. 29.10.2012 – I-3 Sa 5/12, FamRZ 2013, 807 = FGPrax 2013, 27. 9 MüKo.BGB/Schmitt, § 8 Rz. 11; Staudinger/Weick, § 8 Rz. 5. 10 MüKo.BGB/Schmitt, § 8 Rz. 11. Fröhler

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wird. Ein Betreuter bedarf nur dann einer Zustimmung nach § 8 Abs. 1 BGB, wenn er geschäftsunfähig ist oder einem Einwilligungsvorbehalt i.S.d. § 1903 BGB untersteht, und bestimmt im Übrigen seinen Wohnsitz allein, wobei dann der Betreuer seinerseits bei entsprechend bestimmtem Aufgabenkreis kraft eigener Vertretungsmacht aus § 1902 BGB den Wohnsitz des Betreuten nach § 7 BGB bestimmen kann. Soweit § 8 Abs. 1 BGB einschlägig ist, muss über dessen Wortlaut hinaus anstelle der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Willensausübung durch denjenigen genügen, der durch den Geschäftsunfähigen bzw. beschränkt Geschäftsfähigen, als dieser noch geschäftsfähig war, rechtsgeschäftlich bevollmächtigt worden ist. Dies ergibt sich aus einem Erst-Recht-Schluss zu § 1906 Abs. 5 BGB, nach dem eine Vollmacht einer gesetzlichen Vertretung sogar bei freiheitsentziehender Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt gleichsteht. Ist das Vorhandensein der Geschäftsfähigkeit ungewiss, wird sie insoweit unterstellt.1 111

Nach § 7 Abs. 3 BGB wird der Wohnsitz analog zu seiner Begründung kumulativ durch objektive tatsächliche Wohnsitzaufgabe und subjektiven Domizilaufgabewillen aufgehoben. Wird der bisherige Wohnsitz ohne Begründung eines neuen Wohnsitzes aufgehoben, entsteht ein Status der Wohnungslosigkeit.2

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Gem. § 11 BGB ist für ein minderjähriges Kind kraft Gesetzes der Wohnsitz seines Personensorgeberechtigten gesetzlicher Wohnsitz. Sind beide Elternteile personensorgeberechtigt – dies ist bei verheirateten Eltern regelmäßig nach § 1626 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB, bei nicht verheirateten Eltern lediglich ausnahmsweise aufgrund einer Sorgeerklärung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB bzw. nach einer gerichtlichen Sorgerechtsübertragung iSv. § 1672 Abs. 2 BGB der Fall –, begründen sie mit ihrem gemeinsamen Wohnsitz zugleich den gesetzlichen Wohnsitz ihres minderjährigen Kindes. Haben gemeinsam personensorgeberechtigte Eltern unterschiedliche Wohnsitze, erhält das Kind – auch wenn es nach der Begründung getrennter Wohnsitze geboren ist3 – bis zu einer eventuellen gerichtlichen Sorgerechtsübertragung i.S.v. § 1671 BGB einen entsprechenden gesetzlichen Doppelwohnsitz.4 Es ist jedoch auch dann von einem gemeinsamen Wohnsitz der Eltern auszugehen, wenn ein davon abweichender Aufenthalt eines Elternteils im Ausland ohne dauerhafte Trennung der Eltern lediglich zwecks Verhinderung der Schulpflicht erfolgt.5 Die Eltern können dann jedoch gemeinschaftlich nach § 7 i.V.m. § 8 BGB einen davon abweichenden alleinigen Wohnsitz am Wohnort eines von ihnen6 bzw. neben oder zusätzlich zu dem bisherigen einen neuen Wohnsitz, bspw. in einer Pflegefamilie,7 begründen. 1 BayObLG v. 24.8.1989 – AR 1Z 90/89, FamRZ 1990, 301 = Rpfleger 1990, 73 (Wohnsitzaufhebung); Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 26. 2 MüKo.BGB/Schmitt, § 9 Rz. 44. 3 KG v. 16.4.1964 – 2 W 564/64, NJW 1964, 1577, 1578. 4 BGH v. 30.11.1983 – IVb ARZ 50/83, MDR 1984, 473 = FamRZ 1984, 162 = NJW 1984, 971; OLG Brandenburg v. 21.3.2003 – 9 AR 9/02, FamRZ 2003, 1559 = FGPrax 2003, 129; OLG Karlsruhe v. 7.5.2009 – 16 WF 61/09, NJW-RR 2009, 1598. 5 VG Aachen v. 15.4.2011 – 9 K 1917/10, n.v. (vorübergehender Aufenthalt in Belgien). 6 BGH v. 3.11.1993 – XII ARZ 27/93, NJW-RR 1994, 322. 7 OLG Köln v. 30.10.1995 – 16 Wx 186/95, FamRZ 1996, 859 (860); OLG Brandenburg v. 18.12.2008 – 9 UF 64/08, FamRZ 2009, 1499; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 42. 650

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Ist – nach § 1626a Abs. 2 BGB (nicht verheiratete Mutter ohne Sorgeerklärung), § 1666 BGB (Entziehung des Sorgerechts), §§ 1671, 1672 BGB (Übertragung des Sorgerechts) bzw. §§ 1680, 1681 BGB (Tod bzw. Todeserklärung eines Elternteils; Entziehung des Sorgerechts) – nur ein Elternteil personensorgeberechtigt, wird nach § 11 S. 1, 2. Hs. BGB allein dessen Wohn- bzw. Doppelwohnsitz gesetzlicher Wohnsitz des Kindes. Der alleinsorgeberechtigte Elternteil kann nach § 7 i.V.m. § 8 BGB neben oder zusätzlich zu dem bisherigen einen neuen Wohnsitz wählen, bspw. am Ort des durch das Kind ständig besuchten Internats.1 Steht das Personensorgerecht – nach § 1773 BGB (Vormund) bzw. nach § 1909 BGB (Pfleger) – einem Dritten zu, ist nach § 11 S. 2 BGB dessen Wohnsitz maßgebend. Die vorstehenden Anmerkungen gelten dann entsprechend.

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Wird der den gesetzlichen Wohnsitz begründende Vertreter des minderjährigen Kindes wohnsitzlos, ist auch das Kind wohnsitzlos,2 wenn nicht daneben nach § 7 i.V.m. § 8 BGB ein gewählter Doppelwohnsitz besteht, der nunmehr zum alleinigen Wohnsitz wird.

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Nach § 11 S. 3 BGB verliert ein minderjähriges Kind seinen gesetzlichen Wohnsitz, soweit nicht ein anderer gesetzlicher Wohnsitz begründet wird, erst durch gewählte Aufhebung i.S.d. § 7 Abs. 3 BGB, die während der Minderjährigkeit durch den gesetzlichen Vertreter nach § 8 BGB bzw. nach Erreichen der Volljährigkeit durch das Kind selbst, dessen Bevollmächtigten oder den gesetzlichen Vertreter nach § 8 BGB ausgeübt wird. Insbesondere hebt die Anmeldung eines Kindes durch seine Eltern zu einem mehrjährigen auswärtigen Internatsaufenthalt dessen abgeleiteten Wohnsitz aus § 11 S. 1 BGB nicht auf.3 Entsprechendes gilt für einen auswärtigen Aufenthalt des minderjährigen Kindes bis zum dortigen Ausbildungsabschluss.4 Wird das minderjährige Kind volljährig, verwandelt sich der gesetzliche in einen gewählten Wohnsitz und besteht bis zu dessen Aufgabe fort.5

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Nach § 7 Abs. 2 BGB kann der gewählte Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen. Dies setzt voraus, dass der jeweilige Wohnort beim jeweiligen Aufenthaltswechsel Schwerpunkt der Lebensverhältnisse ist.6 Eine bloße Ausrichtung auf längere Besuche ist nicht ausreichend.7 Ein Doppelwohnsitz kann zudem insbesondere aus gesetzlichem Wohnsitz für das minderjährige Kind bei Trennung seiner gemeinsam personensorgeberechtigten Eltern seinerseits als gesetzlicher Wohnsitz oder durch Wahl eines zusätzlichen gewillkürten Wohnsitzes begründet werden. Trotz Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot eines Wohnsitzwechsels wird der neue Wohnsitz gleichwohl begründet. Zugleich bleibt jedoch der bisherige Wohnsitz als Doppelwohnsitz bestehen.8 Derartige

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1 BayObLG v. 14.11.1988 – AR 1Z 75/88, FamRZ 1989, 526 = NJW-RR 1989, 262 (263). 2 Erman/Westermann, § 11 Rz. 2; MüKo.BGB/Schmitt, § 11 Rz. 13; Palandt/Heinrichs, § 11 Rz. 6; a.A. Staudinger/Weick, § 11 Rz. 12. 3 BayObLG v. 14.11.1988 – AR 1Z 75/88, FamRZ 1989, 526 = NJW-RR 1989, 262, 263; Staudinger/Weick, § 11 Rz. 11. 4 OVG Saarbrücken v. 29.10.2012 – 3 A 238/12, n.v. 5 MüKo.BGB/Schmitt, § 11 Rz. 11; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 46. 6 PreußOVG v. 8.2.1916 – Az. ist n.v., OLGR 35, 26. 7 BVerwG v. 21.5.1985 – 1 C 52/82, NJW 1986, 674. 8 Palandt/Ellenberger, § 7 Rz. 9. Fröhler

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gesetzliche Verbote sind ihrerseits nur dann wirksam, wenn sie mit höherrangigem Recht, insbesondere dem europarechtlichen Anspruch auf Freizügigkeit nach Art. 8a EGV und dem Grundrecht auf freie Wahl des Wohnsitzes nach Art. 11 Abs. 1 GG vereinbar sind.1 117

Bestehen mehrfache Wohnsitze, ist nach § 2 Abs. 1 FamFG unter mehreren örtlich zuständigen Gerichten das zuerst mit der Sache befasste Gericht zuständig.

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Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für den aus ererbtem Ausschlagungsrecht nach § 1952 BGB Ausschlagenden bzw. Anfechtenden, für den demnach dessen eigener Wohnsitz und nicht der Wohnsitz des verstorbenen Erben des Ausgangserblassers maßgegend ist.2

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Wird in derselben Urkunde nicht nur die Ausschlagung des aktuellen Erben, sondern zusätzlich auch diejenige des aufgrund dessen Ausschlagung in der Erbfolge nächstberufenen Erben aufgenommen, muss zwingend beachtet werden, dass das Wohnsitzgericht für diesen nächstberufenen Erben ebenfalls nur dann nach § 344 Abs. 7 FamFG örtlich zuständig ist, wenn auch dieser im Gerichtsbezirk seinen Wohnsitz hat.3

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Die Zuständigkeit nach § 344 Abs. 7 FamFG ist nicht ausschließlich. Aus der Formulierung „auch“ in § 344 Abs. 7 S. 1 FamFG und der Übersendungspflicht aus § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG ergibt sich vielmehr, dass das nach § 343 FamFG allgemein zuständige Nachlassgericht daneben örtlich zuständig bleibt. § 2 Abs. 1 FamFG ist insoweit nicht anwendbar.4 Wird eine Ausschlagungserklärung von einem örtlich unzuständigen Gericht entgegengenommen, gilt sie gleichwohl analog § 2 Abs. 3 FamFG als wirksam und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingegangen,5 es sei denn, das Gericht gibt die dadurch unwirksam werdende Erklärung wegen Unzuständigkeit an den Erklärenden zurück.6 Entsprechendes gilt analog § 2 Abs. 3 FamFG, wenn die Entgegennahme durch ein international unzuständiges Gericht erfolgt.7

X. Vermögensverzeichnispflicht 121

Nach § 1640 Abs. 1 BGB sind die Eltern dazu verpflichtet, folgende Positionen in einem Vermögensverzeichnis schriftlich aufzulisten: – dasjenige Vermögen, das ein minderjähriges Kind von Todes wegen (Erbfolge, Vermächtnis bzw. Pflichtteil)8 bzw. 1 2 3 4 5

MüKo.BGB/Schmitt, § 7 Rz. 33; Prütting/Helms/Fröhler, § 343 FamFG Rz. 49. Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 72a. Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 72d und Rz. 78. Heinemann, ZErb 2008, 293, 299. BayObLG v. 22.12.1997 – 1Z BR 138/97, MittBayNot 1998, 192 (193); Heinemann, FamFG für Notare, Rz. 288. 6 Heinemann, FamFG für Notare, Rz. 289; Palandt/Edenhofer, 68. Aufl., § 1945 Rz. 7 zu § 7 FGG; Prütting/Helms/Fröhler, § 344 FamFG Rz. 81. 7 BayObLG v. 11.3.1994 – 1Z BR 109/93, NJW-RR 1994, 505 (507); Prütting/Helms/ Fröhler, § 344 FamFG Rz. 82. 8 Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 7.

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– sonst anlässlich eines Sterbefalls (Leistungen aus Lebensversicherung1 bzw. aufgrund Auflage i.S.d. § 1940 BGB2), – als anstelle von Unterhalt gewährte Abfindungen (zB bei einem verheirateten Kind nach § 1585 Abs. 2 bzw. § 1585c BGB3) bzw. – als unentgeltliche Zuwendungen (Schenkungen nach §§ 516 ff. BGB, Ausstattungen nach § 1624 BGB bzw. Schenkungen von Todes wegen nach § 2301 BGB4) erwirbt und – das ihrer Verwaltung unterliegt. Sodann ist dieses Vermögensverzeichnis mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu versehen und dem Familiengericht einzureichen.

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Die Inventarisierungspflicht besteht jedoch nur dann, wenn der Wert des Vermögenserwerbs den Betrag von 15 000 Euro nicht übersteigt. Dieser Wert ist einerseits für jeden einzelnen Erwerb isoliert maßgebend, andererseits ausnahmsweise bei einem mehrfachen Erwerb aufgrund desselben Ereignisses (zB aufgrund des Todes derselben Person sowohl Vermächtnis als auch Lebensversicherungssumme an denselben Begünstigten) in Höhe der diesbezüglichen Summe auf die o.g. Wertgrenze anzurechnen.5 Dabei ist jeweils der Verkehrswert statt des Steuerwerts maßgebend. Zudem sind auf den jeweiligen Gegenstand entfallende Verbindlichkeiten zur Ermittlung des Nettowertes abzugsfähig. Die Inventarisierungspflicht entfällt zudem, soweit der Erblasser bei letztwilliger Zuwendung in der zugrunde liegenden Verfügung von Todes wegen (s. dazu Rz. 38) bzw. der lebzeitig Zuwendende im Rahmen der lebzeitigen Zuwendung eine abweichende Anordnung getroffen hat.

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Diese Vermögensverzeichnispflicht wird durch die besondere verfahrensrechtliche gesetzliche Meldepflicht nach § 356 Abs. 1 FamFG flankierend abgesichert. Danach hat das Nachlassgericht das gem. § 152 Abs. 2 bzw. Abs. 3 FamFG zuständige Familiengericht über den von Todes wegen erfolgten Erwerb zu informieren, wenn nach Art. 21 EGBGB ein deutsches Sorgerechtsstatut besteht.6 Im Falle einer Verletzung der Mitteilungspflicht drohen Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung.7 Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 356 Abs. 1 FamFG und des Umstandes, dass dieser auch in Kenntnis der diesbezüglichen Fachdiskussion unverändert aus § 74a FGG übernommen wurde, statuiert die Vorschrift keine weitergehende Mitteilungspflicht für einen anderweitig erfolgten Vermögenserwerb anlässlich des Sterbefalls, bspw. in Gestalt bestimmter Versicherungsleistungen bzw. Sparverträge.8 Dabei erscheint gleichwohl eine entsprechende Mitteilung an das Familiengericht sinnvoll und empfehlenswert.

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1 2 3 4 5 6 7 8

BT-Drucks. 8/2788, S. 56. Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 8. Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 9. Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 10. Staudinger/Engler, § 1640 Rz. 14. Bahrenfuss/Schaal, § 356 FamFG Rz. 4. OLG München v. 6.6.2002 – 1 U 4182/00, Rpfleger 2003, 657 (658 f.). Bassenge/Roth, § 356 FamFG Rz. 1; Jansen/Müller-Lukoschek, § 74a FGG Rz. 7; Keidel/Zimmermann, § 356 FamFG Rz. 5; Bahrenfuss/Schaal, § 356 FamFG Rz. 3; a.A. Keidel/Winkler, 15. Aufl., § 74a FGG Rz. 2. Fröhler

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Eine erfolgte Mitteilung ist nicht anfechtbar, da sie keine Endentscheidung verkörpert.1

XI. Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft als ausschließliche Erfüllung einer Verbindlichkeit 125

Eine Erbauseinandersetzung erfolgt mangels Teilungsanordnung des Erblassers i.S.d. § 2048 oder anderweitiger vorheriger wirksamer bindender Vereinbarung nur dann ausschließlich in Erfüllung einer Verbindlichkeit und erfordert daher mangels Ausschlusses der gesetzlichen elterlichen Vertretungsmacht aus § 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 1909 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 BGB keine Bestellung eines Ergänzungspflegers, wenn diese gemäß den gesetzlichen Regelungen der §§ 2042 ff. BGB durchgeführt wird.2 Nach § 2042 Abs. 2 i.V.m. §§ 752 ff. BGB ist dies durch Teilung in Natur in reale Teile, bei diesbezüglicher Unmöglichkeit hilfsweise durch Verkauf bzw. Zwangsversteigerung und Erlösteilung, nicht jedoch durch Umwandlung in eine Bruchteilsgemeinschaft zu bewirken,3 die dann mangels ausschließlicher Erfüllung einer Verbindlichkeit vielmehr dem Vertretungsausschluss des § 1795 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB und damit dem Erfordernis einer Ergänzungspflegschaft nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB unterliegt.4

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Das Gesetz sieht nach §§ 753, 2047 BGB den Verkauf von Nachlassgegenständen durch Zwangsversteigerung sowie die Teilung des nach Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten verbleibenden Überschusses und damit gerade nicht den freihändigen Verkauf samt unmittelbarer Teilung des Erlöses vor.5 Gleichwohl kann ein gesetzlicher Anspruch auf teilweise Auseinandersetzung des Kaufpreises als Nachlassforderung i.S.d. § 2041 BGB gemäß den jeweiligen Erbquoten bestehen, dessen ausschließliche Erfüllung eine Anwendbarkeit des § 181 BGB ausschließt, wenn keine Interessen eines beteiligten Miterben insbesondere aufgrund erbrechtlicher Ausgleichungspflicht bzw. aus Schuldverhältnissen entgegenstehen und ein wirksamer Vertrag zugrunde liegt.6

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Soweit im Rahmen einer Erbauseinandersetzung eine Ergänzungspflegschaft wegen der Minderjährigkeit von Erben erforderlich ist, muss für jeden Miterben ein gesonderter Ergänzungspfleger bestellt werden, da sich hier alle Miterben i.S.d. § 181 BGB einander gegenüberstehen.7 Gleiches gilt zudem im Falle einer Ver1 Keidel/Zimmermann, § 356 FamFG Rz. 8. 2 BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff.; RG v. 3.10.1918 – IV 213/18, RGZ 93, 334, 336. 3 BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff.; RG v. 9.11.1907 – V 154/07, RGZ 67, 61, 64. 4 BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff.; RG v. v. 9.11.1907 – V 154/07, RGZ 67, 61, 64; a.A. unter Missachtung der Regelung nach § 2042 i.V.m. §§ 752 ff. LG Köln v. 26.1.1951 – 6 T 28/51, DNotZ 1951, 229; Riedel, DNotZ 1951, 229, 231. 5 RG v. 3.10.1918 – IV 213/18, RGZ 93, 334, 336 f. 6 RG v. 3.10.1918 – IV 213/18, RGZ 93, 334, 337. 7 BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff.; RG v. 3.10.1918 – IV 213/18, RGZ 93, 334, 335; RG v. 9.11.1907 – V 154/07, RGZ 67, 61, 63 f.; OLG München v. 17.6. 2010 – 31 Wx 70/10, MDR 2011, 49 = BWNotZ 2011, 29; OLG Zweibrücken v. 15.2. 1980 – 1 U 99/79, OLGZ 1980, 213, 214 f., Menzel/Wolf, MittBayNot 2010, 186 f.; Haegele, Rpfleger 1959, 159 f. 654

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Fröhler

Minderjähriger Erbe

BX

Rz. 130

äußerung durch alle Miterben auf derselben Verkäuferseite an einen Dritten als Käufer, wenn der Kaufpreis sofort im Wege der Teilerbauseinandersetzung, bei der sich alle Miterben wiederum gegenüberstehen, verteilt und nicht zunächst auf dem Erbengemeinschaftskonto verbucht wird sowie Interessen eines beteiligten Miterben insbesondere aufgrund erbrechtlicher Ausgleichungspflicht bzw. aus Schuldverhältnissen entgegenstehen. Der alleinige Umstand einer Erbauseinandersetzung begründet mangels Verweises durch § 1643 Abs. 1 BGB auf den diesbezüglich einschlägigen Tatbestand des § 1822 Nr. 2 BGB noch keine familiengerichtliche Genehmigungspflicht. Diese kann jedoch dadurch ausgelöst werden, dass die Erbauseinandersetzung ihrerseits andere von § 1643 Abs. 1 BGB erfasste Genehmigungstatbestände erfasst, insbesondere bei einer dabei oftmals betroffenen Verfügung über ein Grundstück nach § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB.

128

XII. Pflichtteilsanspruch und Ergänzungspflegschaft 1. Alleinerbschaft des längstlebenden Ehegatten und Pflichtteilsanspruch des minderjährigen Kindes Wird der erstversterbende alleine durch den längstlebenden Ehegatten beerbt, steht dem erbrechtlich übergangenen Kind ein Pflichtteilsanspruch zu, dessen Verjährung nach § 207 Abs. 1 S. 2 Buchst. a bzw. b BGB auch bei dessen Minderjährigkeit bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt ist. Nach überwiegender Ansicht liegt alleine in einer derartigen Konstellation kein Grund für eine Interessenkollisison, die die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft rechtfertigen könnte, vielmehr sind dazu zusätzliche konkrete Anhaltspunkte erforderlich.1 Zudem hätte eine Ergänzungspflegschaft allenfalls Sicherungsaufgaben, während die eigentliche Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche dem Kind nach Erreichen der Volljährigkeit vorbehalten bliebe.2

129

2. Alleinerbschaft des minderjährigen Kindes und Pflichtteilsanspruch des längstlebenden Ehegatten Wird umgekehrt das minderjährige Kind testamentarischer Alleinerbe und steht dem erbrechtlich übergangenen längstlebenden Ehegatten und Vater ein Pflichtteilsanspruch zu, begründet dieser Umstand seinerseits alleine noch keine Interessenkollision, die eine Ergänzungspflegschaft rechtfertigen würde, solange nicht konkrete Anhaltspunkte dafür hinzutreten, aus denen deutlich wird, dass der Vater seinen Verpflichtungen als gesetzlicher Vertreter des Alleinerben nicht nachkommt.3

1 BeckOK/J. Mayer, § 2317 Rz. 6; Palandt/Weidlich, § 2317 Rz. 4; Staudinger/Haas, § 2317 Rz. 47; a.A. Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, § 9 Rz. 77; krit. Horn, ZEV 2013, 297, 300. 2 BayObLG v. 7.12.1988 – BReg. 1a Z 8/88, FamRZ 1989, 540 ff. 3 BayObLG v. 11.2.1982 – BReg. 1Z 117/81, FamRZ 1982, 737 = Rpfleger 1982, 180 ff. Fröhler

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655

130

XI. Die Unternehmensnachfolge Schrifttum: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 36. Aufl. 2014; Brey/Merz/Neufang, Verschonungsregelungen beim Betriebsvermögen, BB 2009, 692; Brox, Erbrecht, 24. Aufl. 2010; Honig, HwO Kommentar, 4. Aufl. 2008; Hüffer, Aktiengesetz, 11. Aufl. 2014; Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, 5. Aufl. 2013; Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2011; Lutter/Hommelhoff, Kommentar zum GmbHG, 18. Aufl. 2012; Meincke, Erbschaft- und SchenkungsteuerG, 16. Aufl. 2012; Michalski, Kommentar zum GmbHG, Bd. I, 2. Aufl. 2010; Mönch/Heinmann, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz; Münchner Kommentar BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013; Priester/Mayer, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 3, 4. Aufl. 2012; Gummert/Weipert, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1 und 2, 4. Aufl. 2012; Rowedder/ Schmidt-Leithoff, GmbH-Gesetz, 5. Aufl. 2013; Schlegelberger, Handelsgesetzbuch, 6. Aufl. 2002; Schmidt, K., Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch (Bd. 1–6), 1996; Schmidt, K., Handelsrecht, 6. Aufl. 2014; Schmidt, L., Einkommensteuergesetz, 33. Aufl. 2014; Scholz, GmbH-Gesetz (Bd. 1) 11. Aufl. 2012; Semrau, Das Unternehmertestament, 2. Aufl. 2010; Spiegelberger, Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2009; Staub/Canaris, Großkommentar HGB, 5. Aufl. 2009; Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 5. Aufl. 2005; Tettinger/Wank, Gewerbeordnung, 8. Aufl. 2011. Rz.

I. Vorbemerkung 1. Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge a) Ziele der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorweggenommene Erbfolge . c) Vorsorge für den worst case und Alternativen . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten in Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfolgsfaktoren für Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konfliktpotential reduzieren . . . . 5. Family Governance . . . . . . . . . . . . 6. Familienverfassung . . . . . . . . . . . .

1 2 4 7 9 10 11 12

II. Einzelunternehmen 1. Nachfolge eines einzelnen Erben a) Nachfolge im Allgemeinen . . b) Handelsrechtliche Haftung . . c) Registerrechtliche Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gewerberechtliche Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Steuerrechtliche Folgen aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . bb) Betriebsveräußerung und -aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Entscheidungsmöglichkeiten des Erben (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 656

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Stein

14 15 30 33 37 42 51

Rz.

(2) Betriebsunterbrechung . . . (3) Betriebsverpachtung . . . . . (4) Einbringung in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft . . . . . . . . . 2. Nachfolge einer Erbengemeinschaft a) Fortsetzung des Unternehmens durch die Erbengemeinschaft aa) Fortsetzung als Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . bb) Fortsetzung als Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fortsetzung des Unternehmens durch einen oder mehrere Miterben ohne Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft aa) Verpachtung an einzelne Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verpachtung an Personengesellschaft – mitunternehmerische Betriebsaufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verpachtung an GmbH – klassische Betriebsaufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Betriebsveräußerung, Betriebsaufgabe, Betriebsunterbrechung . . . . . . . . . . . . . .

55 59 77

93 101

114

118 127 135

B XI

Unternehmensnachfolge Rz. d) Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft aa) Allgemeiner Grundsatz . . bb) Auseinandersetzung über reinen Betriebsvermögensnachlass (1) Auseinandersetzung ohne Betriebsaufgabe . . . . (2) Auseinandersetzung mit Betriebsaufgabe und Realteilung . . . . . . . . . . . . . cc) Auseinandersetzung über Mischnachlass (1) Auseinandersetzung durch Realteilung ohne Abfindungszahlung . . . . . . (2) Auseinandersetzung durch Realteilung mit Ausgleichszahlung . . . . . . (3) Auseinandersetzung durch Realteilung unter Einbeziehung von Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . dd) Erbfallschulden, insbesondere Vermächtnis und Vorausvermächtnis (1) Sachvermächtnis . . . . . . . . (2) Geldvermächtnis, Pflichtteilsansprüche . . . . (3) Vermächtnis an Rechten und von Beteiligungen . . . 3. Gesichtspunkte für die Erbeinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

148 156

162 165

166

170 177 180 190

III. Personengesellschaft 1. Regelungsgrundsätze für die Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Nachfolgeklauseln im Einzelnen a) Fortsetzung ohne Erben (Fortsetzungsklausel) . . . . . . . . b) Einfache Nachfolgeklausel . . . c) Qualifizierte Nachfolgeklausel d) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . e) Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . . f) Vor- und Nacherbschaft bei erbrechtlichen Nachfolgeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Haftung der Erben bzw. Nachfolger a) Auflösung der Gesellschaft . . b) Fortsetzung der Gesellschaft ohne Erben . . . . . . . . . . . . . . . . .

206

216 231 244 252 259 269 283 286

Rz. c) Erbrechtliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten bei der Nachfolge in eine Kommanditbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Firma, Handelsregisteranmeldung a) Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Handelsregisteranmeldung aa) Gesetzlicher Regelfall: Fortsetzung ohne Erben . . bb) Auflösungsklausel . . . . . . cc) Erbrechtliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel und Eintrittsklausel . . . . . . . . . 6. Ertragsteuerrechtliche Folgen im Erbfall und bei der Erbauseinandersetzung a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . b) Auflösung und Liquidation der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . c) Fortsetzungsklausel . . . . . . . . . d) Einfache Nachfolgeklausel . . . e) Qualifizierte Nachfolgeklausel f) Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . .

287 301 303 306 317 321 322 324 327

328 330 336 345 360 370

IV. Kapitalgesellschaft 1. Nachfolge in der GmbH a) Regelungsgrundsätze und Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag zur Nachfolge . c) Maßnahmen zur Durchsetzung der Nachfolgeklausel aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . bb) Abtretungsklauseln . . . . . cc) Einziehung . . . . . . . . . . . . . dd) Kaduzierung . . . . . . . . . . . . d) Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verwaltungsrechte, Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vor- und Nacherbschaft . . . . . g) Erbeinsetzung und Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . h) Die Haftung der Erben . . . . . . . 2. Nachfolge in der Aktiengesellschaft a) Grundsatz der Vererblichkeit von Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . Stein

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390 395 401 404 417 427 431 440 442 447 457

461 657

B XI

Rz. 1

Unternehmensnachfolge Rz.

b) Ausweichlösungen für eine Nachfolgeregelung . . . . . . . . . . 467 3. Ertragsteuerrechtliche Folgen im Erbfall und bei der Erbauseinandersetzung a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 b) Abwicklung und Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft aa) Abtretung, Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483

Rz. bb) Qualifizierte Nachfolge (1) Reiner betrieblicher Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mischnachlass . . . . . . . . . . c) Betriebsaufspaltung . . . . . . . . . d) Erbeinsetzung . . . . . . . . . . . . . .

484 487 488 495

V. Fremdgeschäftsführung . . . . . . . . . 498 1. Empirische Erkenntnisse . . . . . . . 499 2. Chancen und Risiken . . . . . . . . . . 501 3. Beteiligung des Familienfremden als Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . 506

I. Vorbemerkung 1. Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge a) Ziele der Unternehmensnachfolge 1

Ziele der Unternehmensnachfolge sind typischerweise die Sicherung des Familienunternehmens des Übergebers, des überlebenden Ehegatten und der weichenden Erben, die Minimierung von Steuern und Belastungen sowie die Streitvermeidung innerhalb der Familie. Hinzu kommen besondere persönliche Ziele. Es geht also darum, die Ausgangslage umfassend zu erfassen und zu prüfen, ob und bei Zielkonflikten, welche Ziele wie realisierbar sind (ggf. unter Setzung von Prioritäten). b) Vorweggenommene Erbfolge

2

Die vorweggenommene Erbfolge ist der Idealfall der Unternehmensnachfolge, sowohl zur Sicherung der Unternehmenskontinuität als auch zur steuerlichen Optimierung. Sie setzt aber voraus, dass geeignete Nachfolger im erforderlichen Augenblick bereitstehen. Die vorweggenommene Erbfolge ist aber erst gelungen, wenn der Übergeber und dessen Ehegatte einen zufriedenen und wirtschaftlich gesicherten dritten Lebensabschnitt genießen können.

3

Emotionale Hindernisse aus Sicht des Unternehmers, die dazu führen können, dass die vorweggenommene Erbfolge „auf die lange Bank“ geschoben wird, sind die Angst vor Verlust der gesellschaftlichen Stellung, von Macht, der Lebensaufgabe, der Veränderung des eigenen Status in der Familie und der sozialen Umgebung, sodann die Angst vor Veränderung des „eigenen“ Unternehmens und dem Entstehen familiärer Konflikte. Schließlich kann schlicht der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit verdrängt werden. Der Nachfolger kann als Konkurrent empfunden werden; es gibt die Sorge um das Lebenswerk verbunden mit Zweifeln an der Kompetenz des Nachfolgers und ggf. altersbedingt eine Tendenz, Innovation generell abzulehnen. Junioren plagen als – potentielle – Unternehmensnachfolger womöglich der Erwartungsdruck, die Wahrnehmung des Seniors als Konkurrent, die mangelnde Identifikation mit dem Unternehmen, die Sorge, dass Tradition Tatendrang bremst, dass sie andere Wertvorstellungen (z.B. hinsichtlich des denkbaren zeitlichen Engagements und der Rücksichtnahme vor den Belangen der Familie) haben. 658

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 8

B XI

c) Vorsorge für den worst case und Alternativen Ist eine vorweggenommene Erbfolge nicht möglich oder sinnvoll, ist als Vorsorge für den worst case die Nachfolge von Todes wegen unter Berücksichtigung der Rechtsform in den Blick zu nehmen (unter II. bis IV.). In Betracht kommt aber auch – jedenfalls zur Überbrückung – die Fremdgeschäftsführung (unter V.).

4

Hingegen dürfte die Verpachtung des Unternehmens an einen Dritten i.d.R. keine Lösung darstellen, weil der Verpächter am Ende der Pachtzeit nicht „sein“ Unternehmen zurückerhält, sondern ein vom Pächter geprägtes. Ausnahmen können ggf. branchenabhängig bestehen, insbesondere in der Landwirtschaft oder Hotellerie, in denen die Immobilie prägend ist.

5

Ist auch das alles keine erfolgversprechende Lösung, kann man an Stiftungsgestaltungen und den Verkauf des Unternehmens an Dritte denken. Der Gang an die Börse kann sich als Kombination aus Fremdgeschäftsführung und teilweisem Verkauf anbieten. Eine Alternative kann auch die Beteiligung Dritter (auch von Finanzinvestoren) sein, die neben Kapital auch know- how und ihr Netzwerk zur Verfügung stellen.

6

2. Besonderheiten in Familienunternehmen Ausgewählte Literaturhinweise1: Baus, Die Familienstrategie, 4. Aufl. 2013; May (Hrsg.), Das INTES-Handbuch Familienunternehmen, 2008; Scherer/Blanc/Kormann/Groth/ Wimmer, Familienunternehmen, 2. Aufl. 2012; Ward, Perpetuating the Family Business, 2004.

In allen Fällen muss man sich der Besonderheiten von Familienunternehmen bewusst sein. Familienunternehmen sind ein Erfolgsmodell. Kennzeichnend für viele dieser Unternehmen sind die nachhaltige, langfristige Ausrichtung, das Denken über Generationen hinweg, ein überdurchschnittliches soziales Engagement sowie eine regionale Verwurzelung. Die Einheit von Familie und Unternehmen ist im besten Fall Kraftquelle für den Erfolg. Allerdings gibt es auch erschreckende Beispiele dafür, dass sich die Familie als Achillesferse des Unternehmens erweisen kann.

7

Um das Unternehmen über Generationen in den Händen der Familie zu erhalten ist zu beachten, dass viele typische Besonderheiten auf der Verbindung zweier Systeme beruhen, die verschiedenen Regeln folgen: Familie und Unternehmen. Mit der gebotenen Vereinfachung gesagt, treffen verschiedene Systeme aufeinander, die nach unterschiedlichen Maßstäben und Werten ausgerichtet sind. Während die Familie Geborgenheit und Liebe schenkt, gelten im Unternehmen die Gesetze der Marktwirtschaft. Das Zusammentreffen der Rollen, der an einem Familienunternehmen beteiligten Personen kann vereinfacht mit dem DreiKreise-Modell veranschaulicht werden:

8

1 Umfassende Literaturhinweise finden sich auf der homepage der Stiftung Familienunternehmen (http://www.familienunternehmen.de). Stein

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659

B XI

Rz. 9

Unternehmensnachfolge

1

3

Familie ,,Liebe“ 4

Unternehmen ,,Leistung“

7

5

6

2 Eigentum Beteiligung ,,Geld“

8 Andere ,,stakeholder“

(1) Nur Familienmitglied (2) Gesellschafter der nicht der Familie angehört und nicht Manager ist (3) Fremdmanager (4) Der Familie angehöriger Manager, der nicht Gesellschafter ist (z.B. Schwiegersohn) (5) Der Familie zugehöriger Gesellschafter, der nicht Manager ist (6) Fremdmanager, der am Unternehmen beteiligt ist (7) Gesellschafter-Geschäftsführer aus der Familie (8) Banken, Geschäftsfreunde, Arbeitnehmer etc.

3. Erfolgsfaktoren für Familienunternehmen 9

Die wesentlichen Erkenntnisse aus der Beratungspraxis sind: – Die generellen Herausforderungen der Familienunternehmen sind typisch und vorhersehbar. Jede Familie hat aber ihre Besonderheiten. Standardlösungen gibt es nicht. – Die typischen Herausforderungen, vor denen Familienunternehmen stehen, sollten rechtzeitig erkannt und als Chance angenommen werden. – Zeit- und/oder Entscheidungsdruck können unüberwindliche Hindernisse werden. Die Grundlagenentscheidungen sind zu fällen, bevor eine konkrete Entscheidung ansteht. Kommunikation und Prozesse müssen rechtzeitig „geübt“ werden. – Kontinuität als Familienunternehmen bedarf der ständig aktualisierten Planung. Die Erwartungen der Familien müssen mit der Strategie des Unternehmens abgestimmt werden. So vertragen sich hohe private Liquiditätserfordernisse i.d.R. nicht mit größeren Investitionserfordernissen im Unternehmen. – Ein Bekenntnis der Familienmitglieder zur Familie und zum Unternehmen ist als sinnstiftendes Element unverzichtbar. 4. Konfliktpotential reduzieren

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Besonderes Konfliktpotential entsteht schlicht aus der Tatsache, dass es eine Mehrzahl von Gesellschaftern mit unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen gibt. Mit der Anzahl der Gesellschafter steigt entsprechend das Risiko aus der Zersplitterung der Beteiligung. In Betracht kommen insbesondere folgende Maßnahmen, um den Gesellschafterkreis klein zu halten: – „Thronfolgelösungen“, also die Übertragung des Unternehmens an nur einen Nachfolger. Damit sind aber etliche Nachteile verbunden, u.a. die Benachteiligung anderer Geschwister (was Pflichtteils[ergänzungs]ansprüche auslösen kann) und das Risiko der Fehlauswahl bzw. fehlender – geeigneter – Nachfolger in der gewählten Linie im weiteren Generationenübergang. 660

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 13

B XI

– Realteilung des Unternehmens als besonders liquiditätsschonende Maßnahme. Wirtschaftliche Voraussetzung ist, dass eine Teilung in mehrere Unternehmen sinnvoll erfolgen kann. Steuerlich ist zu prüfen, ob im Rahmen des §§ 16 Abs. 3 S. 2, 6 Abs. 3 und 5 EStG sowie des UmwStG eine steuerneutrale Übertragung möglich ist.1 – „Family-Buy Out“, also das Ausscheiden von Mitgesellschaftern gegen Abfindung, wobei die Finanzierung der Abfindung eine erhebliche Belastung darstellen kann, was den Anwendungsbereich dieser Lösung limitiert. 5. Family Governance Will oder kann diese Familie keinen solchen Weg im Interesse der Vermeidung (ggf. auch nur potentieller) Konflikte gehen, empfiehlt es sich mit der Familie ebenso professionell umzugehen mit dem Unternehmen. Das Schlagwort der „Family Governance“ steht für sämtliche Maßnahmen mit der Zielsetzung, einen ausreichenden Zusammenhalt innerhalb der Eigentümerfamilie sicherzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass diese ein eindeutiges Bekenntnis zum Familienunternehmen und der damit verbundenen unternehmerischen Verantwortung abgibt. Die Familienmitglieder sollen ein gemeinsames Verständnis von Rollen, Zielen und Werten entwickeln und „Spielregeln“ und Verhaltensmaßstäbe vereinbaren, die ein langfristiges Miteinander ermöglichen.

11

6. Familienverfassung Eine Familienverfassung ist sozusagen das Grundgesetz der Familie, das die wichtigsten unternehmenspolitischen Grundhaltungen und Entscheidungsprozesse innerhalb der Familie langfristig regelt. Eine Besonderheit der Familienverfassung ist, dass sie keine rechtliche Bindungswirkung entfalten soll, sondern den Charakter einer unverbindlichen Absichtserklärung hat.2 Sie hat die Funktion, eine prinzipielle Verständigung über Fragen herbeizuführen, die in verschiedenen Verträgen einer konkreten juristischen Lösung zugeführt werden sollen. Sie ist daher Grundlage der juristisch bindenden Gesellschaftsverträge und der anderen Vereinbarungen zwischen Familienmitgliedern (Poolvereinbarungen, Erbverträge, Eheverträge etc.). Die Familienverfassung wirkt zunächst nach innen, innerhalb der Familie. Sie demonstriert aber auch nach außen den Zusammenhalt der Familie und die auf Kontinuität angelegten Ziele der Familie. Sie ist damit auch Instrument der Unternehmenskommunikation mit externen Stakeholdern wie z.B. Fremdmanagern, Banken, Geschäftspartnern. Die Familienverfassung sollte in allgemeinverständlicher Sprache verfasst werden; juristische Termini werden möglichst vermieden.

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Inhalte einer Familienverfassung können u.a. sein: die Werte und Ziele der Familie, das Rollenverständnis (z.B. zu Kernfragen wie der Führung des Unternehmens und der Mitarbeit von Familienmitgliedern unterhalb der Geschäftsführungs-

13

1 Weiterhin ist natürlich auf eine etwaige Belastung mit Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer und die Einhaltung von „Behaltefristen“ zu achten. Entsprechendes gilt für ausländische Steuern bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. 2 Vgl. etwa Baus, Familienstrategie, S. 133ff; Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 ff.; Spiegelberger in FS Rödl, 89, 94 f.; Lange in, FS Hennerkes, 135, 146 ff. Stein

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B XI

Rz. 14

Unternehmensnachfolge

ebene sowie der Beteiligungsverhältnisse), die Vermittlung des Wissens der Grundlagen des Unternehmens, bei größeren Familien die Bildung von Institutionen und Verfahrensregeln. Auf der Grundlage der Familienverfassung werden anschließend die verbindlichen Verträge (Gesellschaftsverträge, Geschäftsordnungen etc.) und Regelungen (z.B. Testamente) erlassen.

II. Einzelunternehmen 1. Nachfolge eines einzelnen Erben

Beratungssituation: Ein kinderloses Ehepaar hat sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Der Ehemann betreibt ein Tischlerhandwerk als Einzelunternehmen. Der Betrieb hat einen wirtschaftlichen Umfang, der einem vollkaufmännischen Geschäftsbetrieb entspricht. Die Anmeldung zum Handelsregister ist unterblieben. Der Ehemann verstirbt vor seiner Ehefrau. Seine Eltern sind bereits vorverstorben. Die Ehefrau hat im Betrieb die Buchhaltung erledigt, verfügt jedoch nicht über die Befähigung zur Eintragung in die Handwerkerrolle. Die erbrechtliche Lage ist einfach und übersichtlich. Die Erbin muss jedoch relativ schnell Entscheidungen über die Fortführung des Betriebs fällen, um handelsrechtliche und steuerliche Folgen zu vermeiden. a) Nachfolge im Allgemeinen 14

Da das Vermögen als Ganzes gem. § 1922 BGB auf den Erben übergeht, fällt auch das Handelsgeschäft des Einzelkaufmanns mit allen Aktiva und Passiva in den Nachlass. Der Erbe kann gem. § 22 Abs. 1 HGB die Firma fortführen, wenn der Erblasser nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet hat. Insofern erwirbt der Erbe bei Eintritt des Erbfalles nicht nur das Handelsgeschäft, sondern auch das Recht zur Firmenfortführung1. Dem Erben steht es jedoch frei – wie einem Erwerber unter Lebenden –, das Handelsgeschäft unter neuer Firma fortzuführen. Maßgeblich für diese Entscheidung können auch haftungsrechtliche Überlegungen sein. b) Handelsrechtliche Haftung

15

aa) Für Geschäftsverbindlichkeiten, die der Erblasser begründet hat, haftet der Erbe nach den Grundsätzen der Erbenhaftung mit der Möglichkeit der Beschränkung der Haftung in den vorgesehenen Fällen (vgl. Kap. C V). Allerdings wird die bloße Erbenhaftung durch die handelsrechtliche Haftung gem. § 27 HGB ergänzt bzw. überlagert, so dass es zu einer Haftung des Erben mit seinem persönlichen Vermögen für die Geschäftsverbindlichkeiten des Erblassers kommen kann.

16

bb) Diese handelsrechtliche Haftung setzt ohne weiteres dann ein, wenn der Erbe das Handelsgeschäft unter der Firma des Erblassers fortführt. § 27 Abs. 1 HGB verweist insoweit auf § 25 Abs. 1 HGB. Der Erbe ist in dieser Hinsicht ei1 Vererbbarkeit der Firma: Kuchinke, ZIP 1987, 681; Palandt/Edenhofer, § 1922 Rz. 9. 662

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Unternehmensnachfolge

Rz. 20

B XI

nem Erwerber unter Lebenden gleichgestellt. Bei Firmenfortführung haftet er demgemäß für die durch den Erblasser begründeten Verbindlichkeiten persönlich mit seinem gesamten Vermögen. cc) Stellt der Erbe das Handelsgeschäft innerhalb von drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt, in dem er Kenntnis von der Erbschaft erlangt hat, ein, entsteht gem. § 27 Abs. 2 HGB keine persönliche handelsrechtliche Haftung. Der Erbe haftet für Altverbindlichkeiten des Erblassers nur nach den Grundsätzen der Erbenhaftung.

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Die Geschäftseinstellung wirkt hinsichtlich der Haftung für Geschäftsverbindlichkeiten des Erblassers zurück. Von dieser Rückwirkung des Ausschlusses der persönlichen Haftung werden auch Verbindlichkeiten erfasst, die der Erbe im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses begründet hat (Nachlasserbenschulden § 1967 Abs. 2 BGB), allerdings nur, wenn dem Geschäftspartner die Absicht bekannt oder erkennbar war, dass der Erbe nur mit Wirkung für den Nachlass handeln wollte1. Dazu reicht u.U. der Vertragsabschluss im Namen der bisherigen Firma, wenn diese sich vom Namen des Erben unterscheidet2. Ist Letzteres nicht der Fall, muss eine zusätzliche Klarstellung erfolgen, da anderenfalls der Geschäftspartner behaupten könnte, dass der Erbe sich persönlich beim Vertragsabschluss verpflichten wollte, zumindest jedoch den Rechtsschein der persönlichen Verpflichtung erweckt hat. Für die Beurteilung im Einzelfall wird es allerdings auf die sonstigen Umstände des Geschäftsabschlusses ankommen.

18

Die persönliche Haftung wird gem. § 27 Abs. 2 S. 1 HGB nur vermieden, wenn das Geschäft tatsächlich innerhalb der drei Monate eingestellt wurde, d.h. nach Einstellung keine neuen Geschäfte abgeschlossen und Verbindlichkeiten begründet werden. Unberührt bleibt die Abwicklung der vor der Einstellung begründeten Geschäfte, insbesondere die Erfüllung von Verbindlichkeiten und die Einziehung von Forderungen. Diese Tätigkeit ist im Interesse des Nachlasses erforderlich und als bloße Verwaltung des Nachlasses zu betrachten, nicht jedoch als Fortführung des Handelsgeschäfts. Insofern sind dafür die Grundsätze der Erbenhaftung ausschließlich maßgebend.

19

Veräußert der Erbe das Handelsgeschäft mit Firma an einen Dritten oder wird das Handelsgeschäft – z.B. durch eine Erbengemeinschaft – innerhalb der dreimonatigen Bedenkzeit mit Firma auf eine OHG übertragen, ist strittig, ob darin eine Einstellung des Handelsgeschäfts i.S.d. § 27 Abs. 2 HGB zu sehen ist3. Folglich haftet der Erbe persönlich und unbeschränkt für Altverbindlichkeiten des Erblassers, allerdings unter Anwendung der Ausschlussfrist von fünf Jahren gem. § 26 HGB. Die dagegen von K. Schmidt vertretene Auffassung4 hat sich nicht durchgesetzt, da Rechtsprechung und Literatur nach wie vor die Übertragung und Fortführung der Firma und nicht den Übergang des Unternehmens in den Mittelpunkt der

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1 Baumbach/Hopt, § 27 Rz. 9. 2 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 99/65, BB 1968, 769; Baumbach/Hopt, § 27 Rz. 9. 3 Dagegen: RG v. 2.12.1903 – I 293/03, RGZ 56, 196; Schlegelberger/Hildebrandt, § 27 Rz. 9; a.A. K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 IV 3a; Baumbach/Hopt, § 27 Rz. 3, 9; MüKo.HGB-Thiessen, § 27 Rz. 49 f. 4 K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 IV 3a. Stein

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Rz. 21

Unternehmensnachfolge

Betrachtung stellen; so auch das Reichsgericht in der vorzitierten Entscheidung. Diese entscheidende Stellung der Firma im System der Haftung ist bei der gegenwärtigen Gesetzeslage wohl auch unvermeidlich (so z.B. § 25 HGB). 21

Konsequenterweise wird dagegen in der Übertragung des Handelsgeschäfts ohne Firma nach allerdings strittiger Auffassung eine Einstellung des Handelsgeschäfts gem. § 27 Abs. 2 HGB gesehen1, so dass der Erbe nur nach den Grundsätzen der Erbenhaftung für Altverbindlichkeiten des Erblassers haftet.

22

dd) Nach überwiegend vertretener Auffassung führt der Verweis des § 27 Abs. 1 HGB auf § 25 HGB auch dazu, dass der Erbe bei Fortführung des Handelsgeschäfts die Möglichkeit hat, die persönliche handelsrechtliche Haftung für Geschäftsverbindlichkeiten des Erblassers auszuschließen, wenn er die Geschäfte unter einer anderen Firma fortsetzt. Die Aufgabe der bisherigen Firma hat unverzüglich zu erfolgen. Der Erbe muss dafür die erforderlichen Schritte sofort unternehmen. Entscheidend ist, er darf keine Geschäfte unter der bisherigen Firma mehr tätigen. Die neue Firma muss sich deutlich von der bisherigen Firma unterscheiden, ein bloßer Nachfolgezusatz reicht nicht.

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ee) Der Verweis des § 27 Abs. 1 HGB auf § 25 HGB soll den Erben auch berechtigen, von der Möglichkeit des § 25 Abs. 2 HGB Gebrauch zu machen. Demgemäß ist er berechtigt, seine handelsrechtliche Haftung für Verpflichtungen, die der Erblasser begründet hat, durch Eintragung eines haftungsbeschränkenden Vermerks in das Handelsregister auszuschließen2. Ein dahingehender Antrag könnte wie folgt lauten3:

M 124 Eintragung eines haftungsbeschränkenden Vermerks in das Handelsregister … wird beantragt, in das Handelsregister einzutragen, dass der Übergang der im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten bei dem Erwerb des Geschäfts kraft Erbfolge durch N.N. ausgeschlossen ist.

Die Haftung des Erben nach den Grundsätzen der Erbenhaftung für die durch den Erblasser begründeten Verpflichtungen bleibt von diesem handelsrechtlichen Haftungsausschluss unberührt. Diese Erbenhaftung für Altverbindlichkeiten tritt in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 an die Stelle der ansonsten bei Übertragung unter Lebenden fortwirkenden Haftung des Veräußerers für die von ihm begründeten Verbindlichkeiten. 24

Die Befürworter4 der entsprechenden Anwendung des § 25 Abs. 2 HGB auf den die Firma fortführenden Erben gehen davon aus, dass die Verweisung des § 27 Abs. 1 HGB auf § 25 HGB eine Gesamtverweisung ist (bzw. ein Normenzusammenhang besteht), während die Gegenmeinung5 anführt, dass die Verweisung 1 2 3 4 5

Baumbach/Hopt, § 27 Rz. 9; anders K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 IV 3b. Baumbach/Hopt, § 27 Rz. 8; Schaub, ZEV 1994, 71 (73). Schaub, ZEV 1994, 73. Baumbach/Hopt, § 27 Rz. 8; Schaub, ZEV 1994, 73. Schlegelberger/Hildebrandt, § 27 Rz. 14; K. Schmidt, NJW 1985, 2790.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 29

B XI

nur eine Rechtsfolgeverweisung darstellt. Auf den bloßen Wortlaut des § 27 Abs. 1 HGB lässt sich weder die eine noch die andere Auffassung stützen. Daraus resultieren u.a. wohl die Zweifel1, ob die Eintragung eines Haftungsvermerks in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 HGB die handelsrechtliche Enthaftung des Erben sicher herbeiführen kann. Allerdings wäre es wohl inkonsequent, den Ausschluss der persönlichen Haftung für Altverbindlichkeiten durch Firmenänderung (s. Rz. 22) anzuerkennen, jedoch die Nutzung eines Vermerks gem. § 25 Abs. 2 HGB auszuschließen. Da beide Möglichkeiten auf die Verweisung des § 27 Abs. 1 HGB auf § 25 HGB gestützt werden, stehen oder fallen also auch beide mit Anerkennung oder Ablehnung der Gesamtverweisung des § 27 Abs. 1 HGB auf § 25 HGB.

25

Selbst wenn § 25 Abs. 2 HGB auf den Erben Anwendung findet, bleibt die zeitgerechte Ausübung des Rechts durch den Erben praktisch schwierig. Der Haftungsausschluss ist Dritten gegenüber nur wirksam, wenn er in das Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht wurde. Eintragung und Bekanntmachung müssen im Falle des Erwerbs unter Lebenden mit der Übernahme zusammenfallen. Es soll jedoch ausreichend sein, wenn der Haftungsvermerk unverzüglich nach Übernahme angemeldet wird. In der Rechtsprechung sind sechs oder zehn Wochen Verzögerung nicht mehr als „alsbald“ angesehen worden2.

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Der Erbe ist natürlich nicht in der Lage, die Zeitgleichheit zwischen Übernahme und Anmeldung zu erreichen, da ihm das Handelsgeschäft mit Eintritt des Erbfalles anfällt. Er kann deshalb nur versuchen, die Anmeldung unverzüglich zu bewirken3. Da die Rechtsnachfolge und damit die Berechtigung zur Anmeldung gem. § 12 Abs. 2 HGB, so weit „tunlich“, durch öffentliche Urkunde nachzuweisen ist, kann die Anmeldung daran scheitern, dass dem Erben die erbrechtlichen Nachweise für seine Berechtigung zur Anmeldung noch nicht vorliegen4 (also Erbschein oder Urkunde über letztwillige Verfügung mit Eröffnungsprotokoll).

27

Insbesondere bei gesetzlicher Erbfolge oder eigenhändigem Testament ist i.d.R. ein Erbschein in Ausfertigung erforderlich, um diesen Nachweis zu führen, jedenfalls ist die Dringlichkeit, die die Anmeldung für den Erben hat, keineswegs ein Grund, um die Vorlage der öffentlichen Urkunde „untunlich“ zu machen. Ist der Erbschein beim gleichen Gericht beantragt, kann das Registergericht zwar die Akten des Nachlassgerichts beiziehen, um die Nachfolge von Amts wegen zu prüfen, das hätte jedoch wenig Aussicht auf Erfolg, wenn der Erbschein noch nicht erteilt wurde, weil die Prüfungen und Ermittlungen des Nachlassgerichts noch andauern.

28

Eine verspätete Anmeldung schließt die Eintragung des Haftungsvermerks aus. Unverschuldete Verspätung befreit nicht von dieser Rechtsfolge. Das Registergericht wird im Zweifel die Rechtzeitigkeit der Anmeldung prüfen. ff) Die besonderen handelsrechtlichen Haftungsregeln gelten nur für ein kaufmännisches Handelsgeschäft, und zwar unabhängig davon, ob die Firma einge1 2 3 4

Sudhoff, Unternehmensnachfolge, S. 1142. Baumbach/Hopt, § 25 Rz. 15 m.Nw. Schaub, ZEV 1994, 73. Nieder, Rz. 1069 und Baumbach/Hopt, § 25 Rz. 15. Stein

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Rz. 30

Unternehmensnachfolge

tragen wurde oder nicht. Ist ein Einzelunternehmer nach den Regelungen des § 1 HGB nicht Kaufmann und hat er auch nicht gem. § 2 HGB durch Eintragung in das Handelsregister die Kaufmannseigenschaft erworben, entfällt die handelsrechtliche Haftung des Nachfolgers mit seinem privaten Vermögen für Altverbindlichkeiten, die der Erblasser begründet hat. Allerdings kann bei Fortführung des Unternehmens unter der gleichen Bezeichnung eine Rechtsscheinhaftung für Altverbindlichkeiten entstehen.1 c) Registerrechtliche Anmeldung 30

Führt der Erbe das Handelsgeschäft unter bisheriger Firma fort, ist er gem. § 31 HGB verpflichtet, den Wechsel des Inhabers unter Angabe der Firma und Zeichnung seiner Unterschrift anzumelden. Gem. § 12 Abs. 1 HGB sind die Nachweise für den Rechtsübergang von Todes wegen, soweit „tunlich“, durch öffentliche Urkunde dem Registergericht vorzulegen. Dabei sind die Dokumente elektronisch einzureichen, § 12 Abs. 2 HGB.

31

War die Eintragung der Firma trotz Vorliegens der Kaufmannseigenschaft bisher unterblieben, muss der Erbe diese Eintragung nunmehr nachholen und zugleich den Inhaberwechsel anmelden2. Diese Anmeldung könnte wie folgt lauten:

M 125 Inhaberwechsel – registerrechtliche Anmeldung … wird beantragt, in das Handelsregister einzutragen, dass ich mit Sitz in … einen Handel mit … unter Firma … betreibe. Der bisherige Firmeninhaber verstarb am … und wurde von mir allein beerbt. Ausfertigung des Erbscheins … lege ich mit der Bitte um Rückgabe bei. Ich führe die Firma unverändert fort. 32

Führt der Erbe das Handelsgeschäft unter veränderter Firma fort, ist diese Änderung unter Vorlage der Nachweise für den Erwerb von Todes wegen ebenfalls anzumelden. War die Firma durch den Erblasser noch nicht angemeldet, muss als Erstes die Anmeldung der Firma selbst nachgeholt werden. Das Gleiche gilt bei der bloßen Löschung der Firma, wenn z.B. das Handelsgeschäft eingestellt wird oder bei der Anmeldung eines haftungsbeschränkenden Vermerks in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 HGB. d) Gewerberechtliche Genehmigungen

33

Erfordert die Führung eines Unternehmens besondere Befähigungen oder Genehmigungen nach der Gewerbeordnung, erlischt mit dem Tode des betreffenden Gewerbetreibenden die personengebundene Erlaubnis.

34

Ausnahmen bestehen nach § 46 GewO für den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner sowie für minderjährige Erben und für zur Nachlassverwaltung eingesetzte Personen. Das Fortführungsprivileg ist auf die genannten Personen beschränkt und gilt nur für das stehende Gewerbe3. Die für den Betrieb erforder1 Vgl. etwa MüKo.HGB/Thiessen § 25 Rz. 124. 2 Schaub, ZEV 1994, 731; Baumbach/Hopt, § 22 Rz. 7 und 13. 3 Tettinger, § 46 GewO Rz. 1, 4. 666

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Unternehmensnachfolge

Rz. 39

B XI

lichen Qualifikationen können durch einen Stellvertreter gem. § 45 GewO sichergestellt werden. Gewerbetreibender ist der Erbe, nicht der Stellvertreter. Möglich ist auch die Fortführung in eigener Person, wenn die geforderten persönlichen Befähigungen bestehen. Bei den in § 47 GewO genannten Gewerben werden besondere Qualifikationen verlangt, die eine spezielle Erlaubnis für die Stellvertretung voraussetzen. Für eine Übergangszeit von einem Jahr kann die Behörde nach § 46 Abs. 3 GewO gestatten, den Betrieb ohne Stellvertreter fortzuführen. Die Entscheidung steht im Ermessen der Behörde.

35

Auch bei Fortführung eines Handwerksbetriebs besteht nach § 4 Abs. 1 HandwO ein Erbenprivileg1. Der Betrieb darf zunächst fortgeführt werden, aber Abs. 2 des § 4 HandwO legt dem Inhaber eines zulassungspflichtigen Handwerksbetriebs generell die Verpflichtung auf, einen ausgeschiedenen Betriebsleiter unverzüglich zu ersetzen. Benötigt er dafür mehr Zeit, muss er nachweisen, alle Möglichkeiten zur Beschaffung eines neuen Betriebsleiters ausgeschöpft zu haben. Kann oder will er das nicht oder wird die Zeit ohne Betriebsleiter unangemessen lang, muss gem. § 13 die Löschung in der Handwerksrolle erfolgen; auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an.2

36

e) Steuerrechtliche Folgen aa) Grundsatz Die persönliche Einkommensteuerpflicht endet mit dem Tod des Erblassers. Der Erblasser wird auf den Todeszeitpunkt für die bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen Einkünfte veranlagt. Von diesem Zeitpunkt an tritt der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger auch steuerlich in die Rechtsstellung des Erblassers ein.

37

Durch das Finanzamt ergeht ein gesonderter Bescheid für die Einkünfte bis zum Todeszeitpunkt. Der Bescheid ist an den Erben zu adressieren. Die Steuerschuld des Erblassers ist Nachlassverbindlichkeit. Die veranlagten Einkünfte bis zum Todeszeitpunkt werden den Einkünften des Erben nicht zugerechnet. Diese Zurechnung erfolgt erst für die Einkünfte, die nach dem Todeszeitpunkt anfallen. Ist der Erbe, wie im Ausgangsbeispiel, Ehegatte, ist die Zusammenveranlagung für das ganze Todesjahr möglich, wenn zum Zeitpunkt des Todes die Ehegatten nicht dauernd getrennt gelebt haben3. Für das Folgejahr kann eine fiktive Anwendung der Splittingtabelle erfolgen (sog. Gnadensplitting).

38

Diese vorstehenden Grundsätze gelten auch dann, wenn ein Gewerbebetrieb zum Nachlass gehört. Der Erbe setzt den Betrieb des Erblassers ertragsteuerlich fort unter notwendiger Fortführung der Buchwerte (§ 6 Abs. 3 EStG). Der bis zum Todestag entstehende Gewinn (Schätzung oder Zwischenbilanz) wird dem Erblasser zugerechnet und ist zusammen mit den übrigen Einkünften in der Veranlagung des Erblassers auf den Todeszeitpunkt zu erfassen. Die nach diesem Zeitpunkt anfallenden Gewinne aus dem hinterlassenen Gewerbebetrieb sind Einkünfte des Erben.

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1 Honig, § 4 Rz. 1–3. 2 Für verschiedene Gewerbe bestehen Besonderheiten. 3 Schmidt/Loschelder, EStG, § 32a Rz. 14. Stein

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Rz. 40

Unternehmensnachfolge

40

Die ertragsteuerrechtliche Fortführung des Gewerbebetriebs durch den Erben und der damit verbundene Eintritt des Erben in die Rechtsstellung des Erben auch hinsichtlich des Ertragsteuerrechts erfasst nach der Rechtsprechung nicht das Recht zum Verlustabzug nach § 10d des EStG für Verlustvorträge des Erblassers.1

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Für die Gewerbesteuer galt bisher bereits, dass ein Verlustabzug nach § 10a GewStG nicht auf den Erben übergeht. Allerdings ergibt sich das daraus, dass bei der Gewerbesteuer mit dem Tode des Erblassers nicht nur die persönliche Steuerpflicht (§ 5 GewStG), sondern auch die sachliche Steuerpflicht (§ 2 GewStG) endet. Der Übergang des Betriebs auf den Erben führt zu einem Unternehmerwechsel, so dass die Gewerbesteuerpflicht des Erben neu begründet wird. bb) Betriebsveräußerung und -aufgabe

42

Veräußert der Erbe den Gewerbebetrieb oder gibt er ihn auf, so sind der Veräußerungsgewinn (Veräußerungspreis abzüglich Buchwerte und Veräußerungskosten) oder der Aufgabegewinn (Gemeiner Wert abzüglich Buchwerte und Aufgabekosten) beim Erben, nicht beim Erblasser anzusetzen. Das gilt selbst dann, wenn der Erblasser die Veräußerung bzw. Aufgabe angeordnet oder den Veräußerungsvertrag selbst abgeschlossen hat und der Gewerbebetrieb erst durch den Erben in Vollzug des Vertrags übergeben wird2. Im Übrigen kommt es nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Erbe den Gewerbebetrieb aufgibt oder veräußert.

43

Der Aufgabe- bzw. Veräußerungsgewinn wird nicht dem laufenden Gewinn zugerechnet und ist grundsätzlich als außerordentliche Einkünfte nach den §§ 16, 34 bzw. 34b EStG begünstigt. Sind im Aufgabegewinn auch Gewinne aus Anteilen an Kapitalgesellschaften enthalten gilt insoweit stattdessen die 40 %-ige Steuerbefreiung des § 3 Nr. 40 EStG (Teileinkünfteverfahren).

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Alternativ zur Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG (Progressionsglättung) findet in bestimmten Grenzen ein ermäßigter Steuersatz von 56 % auf Veräußerungs- und Aufgabegewinn nach § 34 Abs. 3 EStG Anwendung3. Diese Ermäßigung gilt für Gewinne bis zu 5 Millionen Euro und wird einmal im Leben gewährt. Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist (wie bei dem Freibetrag gem. § 16 Abs. 4 EStG). Allerdings gilt in jedem Falle der Mindeststeuersatz (ab 2009 14 %). Die Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG bleibt wahlweise anwendbar und wird nicht an diese persönlichen Voraussetzungen beim Steuerpflichtigen gebunden. Von der Begünstigung des § 34 EStG sindgem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG Veräußerungsgewinne ausgenommen, die dem Teileinkünfteverfahren unterliegen (insbesondere die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften gem. § 17 EStG).

45

Voraussetzung für die Begünstigung des Veräußerungsgewinns ist im Allgemeinen (unabhängig von den persönlichen Voraussetzungen für die spezielle Regelung zum ermäßigten Steuersatz), dass der Gewerbebetrieb oder Teilbetrieb ins1 BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2088, 608; BMF, BStBl. I 2008, 809. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 590. 3 Schmidt/Wacker, EStG, § 34 Rz. 58. 668

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Unternehmensnachfolge

Rz. 50

B XI

gesamt veräußert wird, wobei es darauf ankommt, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen Gegenstand der Veräußerung sind. Eine steuerlich begünstigte Aufgabe eines Gewerbebetriebs oder Teilbetriebs liegt unter folgenden Voraussetzungen vor:

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– wenn der Erbe den Beschluss fasst, den Betrieb oder Teilbetrieb aufzugeben; – die bisherige gewerbliche Tätigkeit endgültig eingestellt wird; – alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang, d.h. innerhalb kurzer Zeit klar und eindeutig in das Privatvermögen überführt oder anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt oder an Erwerber veräußert werden, entweder an einen oder mehrere Erwerber, wobei daneben auch teilweise Überführung in das Privatvermögen möglich bleibt und – dadurch der Betrieb „als selbständiger Wirtschaftsorganismus“ aufhört zu bestehen1. Wird die Betriebsaufgabe allmählich und außerhalb der vorgenannten Voraussetzungen durchgeführt, ist der dadurch erzielte Entnahme- oder Veräußerungsgewinn nicht begünstigt und wird dem laufenden Gewinn zugerechnet.

47

Die bloße Betriebsunterbrechung führt nicht zur Aufgabe, wenn die Betriebsgrundlagen im Wesentlichen erhalten werden und die Wiederaufnahme des im Wesentlichen identischen Gewerbebetriebs möglich ist. Das gilt auch für die Betriebsverpachtung ohne Aufgabeerklärung (vgl. Rz. 59 ff.).

48

Auf die Freibetragsregelung des § 16 Abs. 4 EStG kann sich auch der Erbe bei Veräußerung und Aufgabe des Gewerbebetriebs berufen. Die Grenzen dieser Regelung sind eng. Der Freibetrag kann im Leben nur einmal geltend gemacht werden. Ferner setzt seine Gewährung voraus, dass der Erbe das 55. Lebensjahr vollendet hat oder im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, wird ein Freibetrag von bis zu 45 000 Euro gewährt. Übersteigt der gesamte Veräußerungsgewinn den Betrag von 136 000 Euro, reduziert sich der Freibetrag um den Betrag, den der Veräußerungsgewinn den Betrag von 136 000 Euro übersteigt. Als Veräußerungsgewinn für die Bestimmung der Freibetragsgrenze gilt der gem. § 34 EStG begünstigte Gewinn.2

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Bei einem Veräußerungsgewinn von bis zu 136 000 Euro kann demgemäß der volle Freibetrag in Anspruch genommen werden. Liegt der Veräußerungsgewinn über 181 000 Euro, entfällt der Freibetrag vollständig. Im Bereich zwischen 136 000 Euro und 181 000 Euro errechnet sich beispielhaft der Freibetrag wie folgt:

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Veräußerungsgewinn abzüglich

160 000 Euro 136 000 Euro 24 000 Euro Freibetrag 45 000 Euro ./. 24 000 Euro = 21 000 Euro.

1 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 173. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 578 will auch den nach § 16 II 3, III 5 EStG laufenden Gewinn einbeziehen. Stein

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B XI

Rz. 51

Unternehmensnachfolge

Beratungshinweis: Hat der Erbe selbst einen oder mehrere Gewerbebetriebe, wird er wohl zu überlegen haben, ob die einmalige Vergünstigung des Freibetrages ausgerechnet beim ererbten Gewerbebetrieb zur Anwendung gelangen soll. Da der Freibetrag nur auf Antrag gewährt wird, hat er es in der Hand, diese einmalige Möglichkeit für andere Betriebsaufgaben bzw. Betriebsveräußerungen in Reserve zu halten. cc) Entscheidungsmöglichkeiten des Erben (1) Allgemeines 51

Ist ein einzelner Erbe Nachfolger des Erblassers hinsichtlich des Betriebsvermögens, sind für ihn die möglichen Entscheidungen nach Anfall der Erbschaft begrenzt. In erster Linie muss er die Entscheidung fällen, ob er willens oder in der Lage ist, das Unternehmen fortzuführen, so weit das Unternehmen selbst überhaupt eine sinnvolle Fortführung zulässt. Ist das nicht der Fall, kann er das Unternehmen veräußern oder aufgeben unter Inanspruchnahme der Begünstigungen des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns bzw. der Steuervorteile hinsichtlich des Aufgabe- bzw. Veräußerungsgewinns, die dem Unternehmer in Person zustehen.

Beratungshinweis: Es sollte ferner beachtet werden, dass in Abhängigkeit von den gefällten Entscheidungen auch handelsrechtlich hinsichtlich der persönlichen Haftung für Altverbindlichkeiten des Erblassers bei Firmenfortführung die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet werden. Ist z.B. die Betriebsaufgabe nicht ausgeschlossen, sollte während der handelsrechtlichen dreimonatigen Bedenkzeit bei notwendigen Rechtsgeschäften darauf geachtet werden, dass diese bei Verwendung der bisherigen Firma nur für den Nachlass und nicht mit persönlicher Verpflichtung abgeschlossen werden. 52

Entscheidet sich der Erbe für die Betriebsaufgabe oder Veräußerung des Betriebs, fallen für ihn allerdings die Begünstigungen bei der Erbschaftsteuer für betriebliches Vermögen (Verschonungsabschlag 100 bzw. 85 %) weg, da die fünf- oder siebenjährige Behaltensfrist des § 13a Abs. 5, Abs. 8 ErbStG nicht eingehalten wird.

53

Abgesehen von dieser einschneidenden Folge der Betriebsaufgabe oder Betriebsveräußerung kann es für den Erben auch noch andere Gründe geben, von der Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe unmittelbar nach dem Erbfall Abstand zu nehmen oder sofort eine Entscheidung zu fällen (berufliche Gründe, persönliche Einkommensteuerverhältnisse usw.).

54

Kann oder will der Erbe den Betrieb im Zeitpunkt des Anfalls nicht fortführen, möchte er jedoch die ertragsteuerlichen Folgen der Betriebsaufgabe und Betriebsveräußerung vermeiden, hat er folgende Möglichkeiten: – Betriebsunterbrechnung – Betriebsverpachtung – Einbringung der wesentlichen Betriebsgrundlagen in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (z.B. GmbH & Co. KG).

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Unternehmensnachfolge

Rz. 59

B XI

(2) Betriebsunterbrechung Bei der Betriebsunterbrechung wird von einem „Ruhen des Gewerbebetriebs“ ausgegangen, so dass eine Betriebsaufgabe nicht vorliegt. Voraussetzung für die Anerkennung einer Betriebsunterbrechung ist, dass die noch vorhandenen Wirtschaftsgüter jederzeit die Wiederaufnahme des wirtschaftlich identischen Betriebs gestatten und aus den Umständen erkennbar wird, dass die gewerbliche Tätigkeit innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes wieder aufgenommen wird. Dazu müssen zumindest die wesentlichen Betriebsgrundlagen erhalten werden. Die Veräußerung z.B. von Warenbeständen ist hierfür nicht schädlich, wenn diese nach Wiederaufnahme des Betriebs jederzeit wieder beschafft werden können.1 Während der Betriebsunterbrechung kann der Erbe grundsätzlich jederzeit zur Betriebsaufgabe oder zur Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs übergehen. Der Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn ist dann begünstigt.

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Die Zeit einer Betriebsunterbrechung kann auch genutzt werden, um eventuell einen Nachfolger zu finden, an den der Betrieb als Ganzes veräußert oder verpachtet wird. Wird der Betrieb in dieser Weise unterbrochen, sollte er handelsrechtlich allerdings eingestellt und die eingetragene Firma gelöscht werden, um die Entstehung einer persönlichen handelsrechtlichen Haftung für Altverbindlichkeiten zu vermeiden. Für die handelsrechtliche Einstellung ist es erforderlich, dass die werbende geschäftliche Tätigkeit vollständig aufhört.

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Das wiederum beeinträchtigt nicht die steuerliche Bewertung als Betriebsunterbrechung, die ja nur voraussetzt, dass die für die Wiederaufnahme der werbenden Tätigkeit erforderlichen Wirtschaftsgüter zurückbehalten werden und es wahrscheinlich ist, dass innerhalb eines überschaubaren Zeitraums die werbende Tätigkeit in identischer Weise wieder aufgenommen wird. Allerdings empfiehlt sich in der Praxis eine klarstellende Anzeige der Betriebseinstellung als bloße Betriebsunterbrechung beim zuständigen Finanzamt.

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In der Tat kann der steuerpflichtige Erbe handelsrechtlich jederzeit eine neue werbende Tätigkeit aufnehmen und eine Firma zum Handelsregister anmelden. Dabei kann er eine neue Firma wählen, ohne dass dies steuerliche Rückwirkungen auf die identitätswahrende Fortführung hat, da diese nicht an die Firma, sondern an die „wirtschaftliche Identität“ gebunden ist. Da die alte Firma gelöscht wurde, kann für die Neuaufnahme der Geschäftstätigkeit diese Firma gewählt werden, allerdings besteht dann wohl die Gefahr, dass der Rechtsschein verursacht wird, es handele sich um die Fortsetzung des ursprünglichen Handelsgeschäfts mit der Folge der persönlichen handelsrechtlichen Haftung für Altverbindlichkeiten des Erblassers.

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(3) Betriebsverpachtung (aa) Es liegt auf der Hand, dass die Betriebsunterbrechung und die handelsrechtliche Einstellung des Geschäftsbetriebs aus wirtschaftlicher Sicht wenig sinn1 Da es sich bei den Vorräten um ihrer Art nach kurzfristig wieder beschaffbare Waren handelt, sind diese nicht als funktional wesentliche (vgl. Rz. 24.03 i.V.m. 20.06 UmwSt-Erlass 2011) Betriebsgrundlagen anzusehen (vgl. BFH v. 24.6.1976 – IV R 200/72, BStBl. II 1976, 672; weitergehend sogar noch BFH v. 24.4.1986 – IV R 282/84, BStBl. II 1986, 672). Stein

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Rz. 60

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voll sind, wenn betriebliche Kreditverbindlichkeiten bestehen, die wegen der fehlenden Einnahmen nicht bedient werden können. Außerdem führt die Stilllegung des Gewerbebetriebs über die Länge der Zeit zu einem allgemeinen Wertverlust. 60

Der Erbe kann zur Vermeidung dieser Konsequenzen anstelle der Betriebsunterbrechung oder während der Betriebsunterbrechung auch zu einer Betriebsverpachtung übergehen, die ihrerseits vom Standpunkt des Verpächters vorübergehende Betriebsunterbrechung ist1.

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Gegenstand der Betriebsverpachtung muss ein lebender Gewerbebetrieb (oder Teilbetrieb) als Ganzes oder die Nutzung der wesentlichen Betriebsgrundlagen sein, so dass der Pächter den Gewerbebetrieb im Wesentlichen fortführen kann. Der im Zusammenhang mit der Verpachtung übliche Verkauf von Vorräten ist für die Anerkennung einer Betriebsverpachtung unschädlich, wenn diese nicht ausnahmsweise wesentliche Betriebsgrundlage sind. Die bei der Verpachtung noch vorhandenen Wirtschaftsgüter müssen es zulassen – wie bei der Betriebsunterbrechung im engeren Sinne –, den Betrieb später durch den Erben identitätswahrend fortzusetzen. Der subjektive Fortsetzungswille wird bis zu einer Aufgabeerklärung oder Betriebsveräußerung vermutet2. Der Erbe tritt auch hinsichtlich des Rechts zur Betriebsverpachtung in die Position des Erblassers ein. Demgemäß ist es nicht erforderlich, dass der Erbe vor der Verpachtung den Betrieb selbst geführt hat, es genügt, wenn dies beim Erblasser der Fall war.

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Bei der Verpachtung des ganzen Betriebs kann der Erbe als Verpächter sowohl am Beginn der Verpachtung als auch während der Pachtzeit die Betriebsaufgabe erklären. Ihm steht insofern weiter das Wahlrecht zur Fortführung als Betriebsvermögen oder zugunsten einer begünstigten Betriebsaufgabe zu. Während der Pachtzeit kann er den Betrieb als Ganzes (wesentliche Betriebsgrundlagen) auch an den Pächter steuerlich begünstigt veräußern. Die Erhaltung des Wahlrechts während der Pachtzeit setzt voraus, dass während dieser Zeit die spätere identitätswahrende unmittelbare Fortführung des Betriebs durch den Erben ständig aufrechterhalten wird. Insofern hängt das Fortbestehen des Wahlrechts in ganz erheblichem Maße vom Verhalten des Pächters ab. Stellt der Pächter z.B. den Betrieb ein oder verändert er die wesentlichen Betriebsgrundlagen so, dass die identitätswahrende Fortführung des Betriebs nicht mehr möglich ist (z.B. bauliche Veränderungen auf dem Grundstück) oder duldet der Verpächter den ersatzlosen Verbrauch wesentlicher Betriebsgrundlagen, kann das zu einer durch die Umstände erzwungenen Betriebsaufgabe führen, wenn nicht der Verpächter durch seine Mitwirkung, Zustimmung oder Duldung sogar Gefahr läuft, dass es zu einer schleichenden Betriebsaufgabe kommt. Schädlich für den Fortbestand des Wahlrechts ist auch die Änderung des Unternehmensgegenstandes, die zu einem Wechsel in der Branche führt. Bloße wirtschaftliche Anpassung, Modernisierung oder Strukturwandel durch den Pächter gefährden das Wahlrecht nicht3.

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Endet der Pachtvertrag, ohne dass der Erbe unverzüglich einen neuen Pachtvertrag abschließt oder den Betrieb selbst fortführt, führt die Beendigung des Pacht1 BFH v. 17.4.1997 – VIII R 2/95, BStBl. 1998 II, 388. 2 Ob unwiderlegliche Vermutung, vgl. Schmidt, EStG, § 16 Rz. 706. 3 Schmidt, EStG, § 16 Rz. 700. 672

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Rz. 68

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vertrags zur Betriebsaufgabe1 zumindest dann, wenn durch ersatzlosen Verbrauch der Wirtschaftsgüter der Betrieb nicht mehr fortgeführt werden kann.

Beratungshinweis: Um die Zwangsaufgabe in jedem Falle zu vermeiden, kann die rechtzeitige Einbringung des Betriebsvermögens in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft angezeigt sein (vgl. Rz. 77 ff.). (bb) Der Verpächter ist hinsichtlich der Erhaltung seines Wahlrechts zur steuerlichen Fortführung des Betriebsvermögens oder der Betriebsaufgabe vom Verhalten des Pächters abhängig. Die Vertragsgestaltung muss deshalb zur Sicherung der steuerlichen Position des Verpächters genutzt werden. In jedem Falle sollte dem Pächter vertraglich eine Betriebspflicht auferlegt und der Unternehmensgegenstand des verpachteten Betriebs vereinbart werden, und zwar mit der Verpflichtung des Pächters, bei Abweichungen oder Erweiterungen die Zustimmung des Verpächters einzuholen.

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Mit Ausnahme des Umlaufvermögens, das i.d.R. verkauft wird (unter Abgrenzung der Forderungen und Verbindlichkeiten; Vereinbarungen über die durch den Pächter fortzuführenden Verträge), sollte der Betrieb als Ganzes verpachtet werden, d.h. mit dem gesamten Anlagevermögen. Die Aussonderung einzelner Wirtschaftsgüter ist nur ganz ausnahmsweise vorzunehmen und wenn sicher ist, dass es sich nicht um wesentliche Betriebsgrundlagen handelt. Zweckmäßigerweise wird dem Vertrag ein Anlageverzeichnis beigefügt (u.U. unter Verwendung des fortlaufend geführten Abschreibungsverzeichnisses). Dem Pächter ist die Verpflichtung aufzuerlegen, die Substanz des Unternehmens zu erhalten und die Betriebsanlagen insoweit zu warten und erforderlichenfalls zu ersetzen. Werden Ersatzanschaffungen vorgenommen, gehen diese kraft Gesetzes in das Eigentum des Verpächters über, soweit es sich um Grundstücksinventar handelt (§ 582a BGB). Bei anderen Gegenständen des Anlagevermögens sind dazu gesonderte Vereinbarungen erforderlich.

65

Das überlassene Unternehmen ist bei Übergabe an den Pächter bzw. bei Rückgabe an den Verpächter jeweils zu schätzen. Der Ausgleich von Differenzen zwischen den Schätzwerten ist im Einzelnen zu regeln. Im Interesse des Verpächters wäre insbesondere die Vollständigkeit des Anlagevermögens bei Rückgabe des Unternehmens gesondert zu vereinbaren, soweit es sich um wesentliche Betriebsgrundlagen handelt. Diese betrieblichen Anlagen können für diesen Zweck auch speziell im Vertrag definiert werden.

66

Bringt der Pächter neue Anlagegüter in das Unternehmen ein, die nicht als Ersatzbeschaffung für die übernommenen betrieblichen Anlagen zu werten sind, bleiben diese Wirtschaftsgüter im Eigentum des Pächters. Die vertragliche Regelung eines Übernahmerechts des Verpächters kann zweckmäßig sein. Wird ein solches Recht vereinbart, gilt gem. § 583a BGB zwingend ein Entschädigungsanspruch des Pächters zum Schätzwert.

67

Die im Unternehmen des Verpächters bestehenden Arbeitsrechtsverhältnisse gehen gem. § 613a BGB auf den Pächter über – (Gleiches gilt für die Rückgabe des Unternehmens bei Beendigung der Pacht. In der Praxis ist auf eine den Anforderungen der Rechtsprechung genügende Belehrung der Arbeitnehmer zu achten.

68

1 Schmidt, EStG, § 16 Rz. 714. Stein

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673

B XI 69

Rz. 69

Unternehmensnachfolge

Im Einzelnen könnten folgende Formulierungen für den Pachtvertrag verwendet werden:

M 126 Betriebsverpachtung Pachtvertrag Der Pächter ist verpflichtet, das (oben näher) bezeichnete Unternehmen im derzeit bestehenden Umfang fortzuführen und zu erhalten. Abweichungen und Erweiterungen bedürfen der Zustimmung des Verpächters. Der wirtschaftliche Charakter des Unternehmens darf nicht geändert werden. … Der Pächter hat die wesentlichen Betriebsgrundlagen zu erhalten und einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechend nach den Maßstäben der ertragsteuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten zu ersetzen. Die ersatzweise angeschafften Gegenstände werden Eigentum des Verpächters. … Die betrieblichen Anlagen umfassen: … Der Verpächter ist berechtigt/verpflichtet, Neuanschaffungen, die nicht als Ersatzbeschaffungen anzusehen sind, am Ende der Pachtzeit zum Schätzwert zu übernehmen. … Die Parteien sind sich darin einig, dass die mit dem Verpächter bestehenden Arbeitsverhältnisse samt den daraus resultierenden Rechten und Pflichten gem. § 613a BGB am Stichtag auf den Pächter übergehen – einschließlich der Verpflichtungen aus der Zusage betrieblicher Altersversorgung. Rechtzeitig vor dem Übergang der Arbeitsverhältnisse hat der Verpächter alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse gem. § 613a BGB auf den Pächter übergehen, in Übereinstimmung mit § 613a Abs. 5 BGB schriftlich über (1.) den Betriebsübergang, (2.) den geplanten Zeitpunkt des Betriebsübergangs, (3.) den Grund für den Betriebsübergang, (4.) die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs für die Arbeitnehmer und (5.) die in Aussicht genommenen Maßnahmen zu unterrichten. Zugleich hat der Verpächter diesen Arbeitnehmern eine Frist von einem Monat zu setzen, innerhalb derer sie den Verpächter oder den Pächter schriftlich unterrichten müssen, ob sie dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen. Die Parteien haben sich gegenseitig über die eingegangenen Widersprüche zu unterrichten. [weitere Regelungen zur Abwicklung, insbesondere bei Widersprüchen] 70

(cc) Die Unternehmensverpachtung führt steuerrechtlich zur Entstehung zweier unabhängiger Betriebe, die jeweils gesondert bilanzieren. Der Verpächter führt die bisherige AfA-Reihe fort. Der Pächter kann das Anlagevermögen nicht aktivieren. Das gilt auch für Wirtschaftsgüter, die der Pächter im Rahmen seiner Substanzerhaltungspflicht ersatzweise angeschafft hat. Der Verpächter hat diese Wirtschaftsgüter mit den Anschaffungskosten des Pächters zu aktivieren. Vor 674

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 76

B XI

Ersatzanschaffung muss der Verpächter allerdings seinen Anspruch auf Ersatzbeschaffung im Rahmen der Substanzerhaltungspflicht des Pächters aktivieren und diesen nach Ersatzbeschaffung mit den jeweiligen Anschaffungskosten verrechnen. Demgegenüber hat der Pächter für seine Verpflichtung zur Erneuerung der Wirtschaftsgüter eine Rückstellung zu bilden, wenn während der Laufzeit des Pachtvertrags mit einer Ersatzbeschaffung zu rechnen ist. Die Höhe richtet sich nach der Nutzungsdauer der Wirtschaftsgüter und den Wiederbeschaffungskosten am Bilanzstichtag1. Wirtschaftsgüter, die der Pächter außerhalb seiner Substanzerhaltung neu anschafft, werden durch den Pächter aktiviert und abgeschrieben. Am Ende der Pachtzeit kann es allerdings entweder zu einem Entnahmegewinn oder Veräußerungsgewinn des Pächters kommen. Letzteres insbesondere dann, wenn dem Verpächter ein Übernahmerecht zusteht und er den Pächter zum Schätzwert entschädigt.

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(dd) Der Verpächter erzielt aus der Verpachtung des Unternehmens weiterhin Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb. Er unterfällt jedoch nicht mehr der Gewerbesteuerpflicht.2

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(ee) Wird ein Betrieb verpachtet, der Handelsgewerbe gem. § 1 HGB oder der gem. § 2 HGB in das Handelsregister eingetragen ist, ist der Inhaberwechsel durch den Erben und den Pächter zum Handelsregister anzumelden. Ist noch der Erblasser im Register eingetragen, muss der Erbe zugleich seine Gesamtrechtsnachfolge anmelden (vor Vorlage der erforderlichen Urkunden, vgl. Rz. 30 ff.). Sofern bei einem Handelsgewerbe gem. § 1 HGB eine Eintragung überhaupt noch nicht erfolgte, ist dies durch den Erben unter Nachweis seiner Gesamtrechtsnachfolge nachzuholen, und zwar unter Angabe der bisherigen Firma.

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Will der Pächter die Firma fortführen, bedarf es der Zustimmung des Erben. Zur Vermeidung der handelsrechtlichen Haftung für Altverbindlichkeiten des Handelsgewerbes kann der Pächter einen haftungsbeschränkenden Zusatz gem. § 25 Abs. 2 HGB zum Handelsregister anmelden. Die Firmenfortführung durch den Pächter hat für den Erben allerdings zur Folge, dass er für die Altverbindlichkeiten des verpachteten Handelsgewerbes auch handelsrechtlich und nicht nur nach den Grundsätzen der Erbenhaftung haftet. Diese Folge kann er nur vermeiden, wenn es ihm seinerseits gelingt, unverzüglich nach Anfall des Handelsgeschäfts einen Haftungsbeschränkungsvermerk analog zu § 25 Abs. 2 HGB zur Eintragung anzumelden (vgl. dazu Rz. 23 f.).

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Für die Veräußerung und Aufgabe von Vermögen der Land- und Forstwirtschaft gilt im Grundsatz die vorstehend erläuterte Rechtslage. § 14 EStG verweist insoweit auf § 16 EStG.

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Erbschaftsteuerlich werden allerdings die Betriebsverpachtung und die Betriebsunterbrechung problematisch mit Blick auf das Erfordernis der Einhaltung der Mindestlohnsummen während der fünf- bzw. siebenjährigen Behaltensfrist für Betriebsvermögen (§ 13a Abs. 1 S. 2 ErbStG). Wird die Mindestlohnsumme unter-

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1 Schmidt, EStG, § 5 Rz. 701 bis 705. 2 R 2.2 GewStR. Stein

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B XI

Rz. 77

Unternehmensnachfolge

schritten, vermindert sich der nach § 13b Abs. 4 ErbStG zu gewährende Verschonungsabschlag mit Wirkung für die Vergangenheit in demselben prozentualen Umfang, wie die Mindestlohnsumme unterschritten wird (§ 13a Abs. 1 S. 5 ErbStG). Die Betriebsverpachtung bzw. die Betriebsunterbrechung kann allerdings ohne vorgenannte erbschaftsteuerliche Restriktionen von den Erben gewählt werden, wenn das Unternehmen ohne Arbeitnehmer betrieben wurde oder das Unternehmen nicht mehr als 20 Beschäftigte hat, weil in diesen Fällen die Einhaltung der Mindestlohnsumme nicht erforderlich ist (§ 13a Abs. 1 S. 4 ErbStG). (4) Einbringung in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft 77

(aa) Bei Betriebsunterbrechung oder Verpachtung des Betriebs besteht für den Erben das Risiko, dass es entweder zu einer „schleichenden Betriebsaufgabe“ kommt, die zu nicht begünstigten Entnahme- oder Veräußerungsgewinnen führt, oder eine unerwartete bzw. unerwünschte Betriebsaufgabe eintritt, wenn der Pachtvertrag vorzeitig endet bzw. bei regulärer Beendigung nicht sofort eine Neuverpachtung oder die Fortführung durch den Erben möglich ist. Dieses Risiko kann durch Einbringung des Betriebs oder der wesentlichen Betriebsgrundlagen in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft, also z.B. in eine GmbH & Co. KG, ausgeschlossen werden.

78

Die Einbringung in die Gesellschaft kann entweder durch Einzelrechtsübertragung oder auf der Grundlage der §§ 152 ff. UmwG durch Ausgliederung zur Aufnahme durch eine Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bzw. Sonderrechtsnachfolge erfolgen. In beiden Fällen ist die Personengesellschaft (hier also GmbH & Co. KG) zuvor zu gründen; das gilt auch für die Ausgliederung zur Aufnahme auf der Grundlage des UmwG. Die Ausgliederung zur Neugründung kann nur erfolgen, wenn der aufnehmende Rechtsträger eine GmbH ist (§§ 158 ff. UmwG).

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(bb) Soll die Einbringung auf der Grundlage des UmwG durch Ausgliederung erfolgen, ist die Existenz eines kaufmännischen Handelsgeschäfts gem. §§ 1 oder 2 HGB erforderlich. War die Firma noch nicht eingetragen, ist diese Eintragung vor der Ausgliederung durch den Erben anzumelden. Das Gleiche gilt für seine Rechtsnachfolge, wenn noch der Erblasser im Handelsregister eingetragen ist. Um die persönliche handelsrechtliche Haftung für Altverbindlichkeiten des Erblassers auszuschließen, kann der Erbe nur von der Möglichkeit der Eintragung eines haftungsbeschränkenden Vermerks oder einer sofortigen Änderung der Firma Gebrauch machen. Ob die Übertragung des kaufmännischen Unternehmens auf einen neuen Rechtsträger die Wirkungen des § 27 Abs. 2 HGB auslöst, nämlich die handelsrechtliche Enthaftung des Erben, ist strittig, wird aber nach dem unter Rz. 17 ff. Gesagten überwiegend abgelehnt. Da jedoch gem. § 155 UmwG die Firma des ausgliedernden Unternehmens erlischt, erfolgt die Übertragung ohne Firma, so dass aus diesem Grunde die Anwendung von § 27 Abs. 2 HGB möglich bleiben sollte (dazu Rz. 20 ff.). In der Tat ist bei einer vermögensverwaltenden Gesellschaft die Führung einer bestimmten Firma nicht erforderlich, abgesehen davon, dass der neue Rechtsträger eine Firma unter Anknüpfung an die bisherige Firma bilden kann, wenn diese gelöscht ist1. 1 Trotz der Nichtanwendung von § 18 UmwG auf die Ausgliederung; so Kallmeyer, UmwG, § 155 Rz. 3; Schmitt/Hörtnagel/Stratz/Hörtnagel, UmwG, § 155 Rz. 4. 676

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 83

B XI

Die Ausgliederung setzt voraus, dass die auszugliedernden Vermögensgegenstände in einen Spaltungsplan bzw. Spaltungs- und Übernahmevertrag aufgenommen werden, der zu beurkunden ist. Ein Ausgliederungsbericht ist gem. § 153 UmwG allerdings nicht erforderlich. Gehören Grundstücke zu den ausgegliederten Vermögenswerten, fällt bei Übertragung auf eine Personengesellschaft (also auch GmbH & Co. KG) im Rahmen der Befreiung gem. § 5 Abs. 2 GrEStG keine Grunderwerbsteuer an.

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Möglich ist auch die Ausgliederung einzelner Unternehmens- oder Vermögensteile. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen werden, da andernfalls ein nicht begünstigter Veräußerungs- bzw. Entnahmegewinn entsteht, abgesehen davon, dass die Gefahr einer unbeabsichtigten Betriebsaufgabe herbeigeführt wird. Steuerlich reicht es allerdings aus, wenn der Zusammenhalt der wesentlichen Betriebsgrundlagen durch die steuerliche Verhaftung einzelner Wirtschaftsgüter (z.B. Grundstück) als Sonderbetriebsvermögen (gewillkürtes oder notwendiges Sonderbetriebsvermögen) gewährleistet ist1. Das ist i.d.R. durch Begründung eines Nutzungsverhältnisses zwischen der Personengesellschaft und dem einbringenden Erben gewährleistet. Allerdings kann es problematisch sein, ob bei einer vermögensverwaltenden Gesellschaft ein Wirtschaftsgut wirklich „für betriebliche Zwecke angeschafft, hergestellt oder eingelegt wird und objektiv ein wirtschaftlicher oder tatsächlicher Zusammenhang mit dem Betrieb“ (hier neuer Rechtsträger) vorliegt2. Selbst „gewillkürtes Sonderbetriebsvermögen“ setzt voraus, dass das Wirtschaftsgut unmittelbar oder mittelbar geeignet ist, den Betrieb der Gesellschaft oder die Beteiligung des Mitunternehmens (hier des einbringenden Erben) objektiv zu fördern3 und subjektiv dazu bestimmt ist, dem Betrieb der Gesellschaft zu dienen und dies rechtlich und klar zum Ausdruck kommt (also z.B. Begründung eines Nutzungsverhältnisses)4. Das mag z.B. bei einem Grundstück, das der Gesellschaft zur Nutzung überlassen wurde, die es ihrerseits im Zuge der Vermögensverwaltung in eine Verpachtung von Vermögenswerten einbezieht, der Fall sein. In jedem Falle sollte dieser Aspekt im Einzelfall gründlich geprüft werden und im Zweifel ist es sicherer, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen von der Ausgliederung erfasst und auf den neuen Rechtsträger auch eigentumsrechtlich übertragen werden.

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Die Ausgliederung ist ausgeschlossen, wenn die Verbindlichkeiten des Einzelkaufmannes sein Vermögen (zu Verkehrswerten) übersteigen. Auch beim Erben kommt es auf sein Gesamtvermögen an, also auf den Nachlass und sein sonstiges Privatvermögen. Eine Sonderbehandlung des Nachlasses findet in dieser Hinsicht nicht statt, da Zweck dieser Regelung der Schutz der Gläubiger des Kaufmanns ist und der Nachlass auch den persönlichen Gläubigern zur Verfügung steht, wenn diese auch unter Umständen nachrangig im Verhältnis zu den Nachlassgläubigern behandelt werden.

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Nach Anmeldung der Ausgliederung prüft das Registergericht bei der Eintragung, ob eine Überschuldung vorliegt, was allerdings mehr hypothetisch ist, da

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1 Tz. 24.05 UmwSt-Erlass 2011. 2 BFH v. 11.11.1987 – I R 7/84, BStBl. 1988 II, 424, im Übrigen Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 513 ff. 3 Schmidt, EStG, § 15 Rz. 527 ff. 4 BFH v. 7.4.1992 – VIII R 86/87, BStBl. 1993 II, 21. Stein

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B XI

Rz. 84

Unternehmensnachfolge

bei der Ausgliederung zur Aufnahme ein Gesamtvermögensverzeichnis des Kaufmannes nicht vorgelegt werden muss1, also auch kein Gesamtverzeichnis des Nachlasses. Stellt das Registergericht jedoch eine Überschuldung fest, ist die Eintragung abzulehnen. 84

Mit Eintragung der Ausgliederung wird die bisherige Einzelfirma vom Handelsregister von Amts wegen gelöscht, jedenfalls dann, wenn das gesamte Unternehmen ausgegliedert wurde oder insbesondere – bei Ausgliederung einzelner Vermögensgegenstände –, wenn nach der Ausgliederung keine materiellen Voraussetzungen mehr für die Fortsetzung des bisher betriebenen Handelsgeschäfts bestehen.

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Da der Erbe die Ausgliederung in dem hier behandelten Zusammenhang aus steuerlichen Gründen vornehmen wird, entfällt die Fortführung durch ihn in jedem Fall, da die wesentlichen Betriebsgrundlagen ausgegliedert werden müssen.

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Die Ausgliederung wird wirksam, wenn sie im Register eingetragen ist. Zu diesem Zeitpunkt geht gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG auch das ausgegliederte Vermögen auf den neuen Rechtsträger, die Gesellschaft, über. Von diesem Zeitpunkt an erhöht sich die Einlage des Erben durch Aufbuchung auf sein Kapitalkonto. Die Höhe der bei Gründung der Gesellschaft angemeldeten Hafteinlage des Erben als Kommanditist bleibt davon unberührt.

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(cc) Es ist für die angestrebten steuerlichen Zwecke jedoch auch ausreichend, wenn die Vermögenswerte des Handelsgeschäfts unter Verzicht auf das Verfahren der Ausgliederung nach UmwG im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf die zuvor gegründete GmbH & Co. KG übertragen werden. Dafür ist ein Übertragungsvertrag erforderlich, in dem die einzelnen Vermögenswerte so genau als möglich aufgeführt werden und die Parteien, also der Erbe und die Gesellschaft, sich über den Eigentumsübergang einigen. Ist ein Grundstück Gegenstand der Einbringung, sind Beurkundung und Auflassung erforderlich (Grunderwerbsteuerpflicht entfällt, s.o. Rz. 80). Wie bei der Umwandlung erhöht sich die Einlage des Erben als Kommanditist durch Aufbuchung auf sein Kapitalkonto, wodurch sich sein Gesellschaftsanteil erhöht. Die Einbringung erfolgt insoweit gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen.

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Im Übrigen kann der Erbe – ähnlich wie bei der Ausgliederung nach UmwG – einzelne Wirtschaftsgüter von der Übertragung auf die Gesellschaft ausnehmen und diese der Gesellschaft zur Nutzung überlassen, so dass Sonderbetriebsvermögen entsteht. Ertragsteuerlich gelten diese Wirtschaftsgüter als in die Gesellschaft „eingebracht“2.

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(dd) Gem. § 24 UmwStG kann die Gesellschaft die Buchwerte fortführen, allerdings entfällt die steuerliche Rückwirkung um acht Monate bei Einzelrechtsnachfolge. Diese gilt nach § 24 Abs. 4. 2. Hs. UmwStG nur für die Gesamtrechtsnachfolge bzw. Sonderrechtsnachfolge durch Ausgliederung nach UmwG3. 1 Schmitt/Hörtnagel/Stratz/Hörtnagel, UmwG, § 152 Rz. 30. 2 Tz. 24.05 UmwSt-Erlass 2011; Schmitt/Hörtnagel/Stratz/Schmitt, UmwStG, § 24 Rz. 33 ff. 3 Schmitt/Hörtnagel/Stratz/Schmitt, UmwStG, § 24 Rz. 149. 678

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 92

B XI

Durch die auf Antrag mögliche Fortführung der Buchwerte wird die Aufdeckung stiller Reserven vermieden. In jedem Falle sichert die Einbringung des Betriebs oder wesentlicher Betriebsgrundlagen in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft den/die Erben gegen erzwungene oder unerwünschte Betriebsaufgabe. Außerdem ergibt sich für die Nutzung der Wirtschaftsgüter eine höhere Flexibilität (so z.B. ist eine branchenfremde Verpachtung möglich; ferner die Umgestaltung des Betriebs oder der Wegfall einzelner Wirtschaftsgüter mit Auflösung wesentlicher Betriebsgrundlagen).

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Soll das Unternehmen verpachtet werden, ist die Einbringung in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft vor Abschluss des Pachtvertrags ratsam. Allerdings kann der Erbe auch während der Pachtzeit das verpachtete Unternehmen oder die wesentlichen Betriebsgrundlagen steuerlich neutral in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft gem. § 24 UmwStG einbringen, da auch ein ruhender Betrieb steuerlich neutralgem. § 24 UmwStG auf eine Personengesellschaft übertragen werden kann1. Das ist nur durch Übertragung der Wirtschaftsgüter im Wege der Einzelrechtsnachfolge möglich, da die Ausgliederung zur Aufnahme in eine Gesellschaft voraussetzt, dass diese Ausgliederung durch den Inhaber eines kaufmännischen Unternehmens vorgenommen wird. Inhaber des Unternehmens und damit Kaufmann ist jedoch nicht der Verpächter, sondern der Pächter. Allerdings entfällt durch die Einbringung das Wahlrecht des Erben zur begünstigten Aufgabe des verpachteten Betriebs, da die gewerblich geprägte Personengesellschaft kraft Gesetzes grundsätzlich nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb und gewerblichem Betriebsvermögen erzielt2, so dass auch wieder Gewerbesteuerpflicht besteht. Die Reaktivierung des Wahlrechts ist allerdings möglich, wenn die GmbH als persönlich haftender Gesellschafter durch eine natürliche Person ersetzt wird, so dass eine „normale“ Personengesellschaft entsteht – oder ein Kommandistist zur Geschäftsführung berufen wird und es so zur „Entprägung“ kommt. Die Personengesellschaft kann durch Erklärung aller Gesellschafter den Betrieb aufgeben, da das Wahlrecht nur einheitlich ausgeübt werden kann3.

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Der Übergang der Verpächterstellung auf die gewerblich geprägte Personengesellschaft richtet sich nach § 571 BGB. Werden einzelne verpachtete Wirtschaftsgüter nicht auf die Gesellschaft übertragen, sondern in das Sonderbetriebsvermögen eingelegt, findet § 571 BGB auf diese Wirtschaftsgüter keine Anwendung, da die Gesellschaft selbst diese Wirtschaftsgüter nur aufgrund vertraglicher Überlassung nutzt, der Erbe also zivilrechtlich Eigentümer bleibt. Die weitere Verpachtung dieser einzelnen Wirtschaftsgüter bedarf dann einer Vereinbarung zwischen den Erben und der Gesellschaft.

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2. Nachfolge einer Erbengemeinschaft

Beratungssituation: Herr E hat ein Elektrofachunternehmen geführt. Er verstirbt, ohne ein Testament errichtet zu haben, und hinterlässt seine Ehefrau sowie einen Sohn im Alter von 20 Jahren, der Elektrotechnik studiert, 1 Vgl. Schmitt/Hörtnagel/Stratz/Schmitt, UmwStG, § 24 Rz. 58 m.w.N. 2 Schmidt, EStG, § 16 Rz. 703. 3 BFH, VIII R 2/95, BStBl. 1998 II, 388. Stein

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B XI

Rz. 93

Unternehmensnachfolge

und eine Tochter von zwölf Jahren. Die Eheleute lebten im gesetzlichen Güterstand. Frau E. verfügt über keine einschlägige berufliche Qualifikation. a) Fortsetzung des Unternehmens durch die Erbengemeinschaft aa) Fortsetzung als Erbengemeinschaft 93

Die Erbengemeinschaft kann ohne Auseinandersetzung als Erbengemeinschaft die Einzelfirma des Erblassers fortsetzen1. Sie ist dann Inhaber des einzelkaufmännischen Handelsgeschäfts und führt das Handelsgeschäft als Unternehmensträger in gesamthänderischer Verbundenheit2. Die Fortführung des Handelsgeschäfts durch die Erbengemeinschaft ist für unbestimmte Dauer möglich, der konkludente Abschluss eines Gesellschaftsvertrags wird darin nicht gesehen3. Allerdings wird der stillschweigende Abschluss eines Gesellschaftsvertrags bei Fortsetzung des Handelsgeschäfts durch die Erbengemeinschaft von der Rechtsprechung in Einzelfällen vorausgesetzt, ohne dass diese Frage eindeutig entschieden ist4. In der Literatur wird immerhin die Auffassung vertreten, dass unter bestimmten Gegebenheiten der stillschweigende Abschluss eines Gesellschaftsvertrags angenommen werden kann5. Dagegen spricht jedoch, dass sowohl für die Mitglieder der Erbengemeinschaft als auch für den Rechtsverkehr eine unsichere Lage über den Status der Gemeinschaft entsteht, wenn nicht anhand klarer Kriterien beurteilt werden kann, wann ein solcher schlüssiger Abschluss eines Gesellschaftsvertrags anzunehmen ist und wann nicht.

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Es ist jedoch auch unbestritten, dass die Verfassung der Erbengemeinschaft wenig geeignet ist, ein Unternehmen zu führen6. Für das Innenverhältnis der Erben zueinander hat der BGH entschieden, dass hinsichtlich eines zum Nachlass gehörenden Handelsunternehmens das Recht der OHG anzuwenden sei7. Dieser allgemeine Grundsatz lässt ausreichend Raum für Zweifel, da im Einzelfall entschieden werden muss, ob das Handelsrecht lückenfüllend oder gar verdrängend in das Erbrecht bzw. hinsichtlich der §§ 2038 ff. BGB eingreift. Für das Außenverhältnis ist eine derartige analoge Anwendung im Interesse des Verkehrsschutzes nicht möglich. Die Unzulänglichkeit des Erbrechts wird deshalb insbesondere bei der Vertretung sichtbar. Während bei der OHG jeder Gesellschafter einzeln die Geschäfte der Gesellschaft führen und diese verwalten und vertreten kann, wird die Erbengemeinschaft durch ihre sämtlichen Mitglieder vertreten, wobei § 2038 BGB Ausnahmen zulässt, wenn auch beschränkt. Überwiegend wird angenommen, dass die daraus resultierende Schwerfälligkeit in 1 Durch den BGH durch zwei Entscheidungen bestätigt: BGH v. 21.5.1955 – IV ZR 7/55, NJW 1955, 1227 und BGH v. 8.10.1984 – II ZR 223/83, NJW 1985, 136; Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 37. 2 Hierzu K. Schmidt, Handelsrecht, § 5 I 3b. 3 Strothmann, ZIP 1985, 973; K. Schmidt, NJW 1985, 2787 (2788); Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 38. 4 Zur Rechtsprechung: K. Schmidt, NJW 1985, 2787. Gegen eine solche Annahme spricht wohl auch BGH v. 21.5.1955 – IV ZR 7/55, NJW 1955, 1227. 5 Baumbach/Hopt, § 105 Rz. 7. 6 Strothmann, ZIP 1985, 974; K. Schmidt, Handelsrecht, § 5 I 3b. 7 BGH v. 21.5.1955 – IV ZR 7/55, NJW 1955, 1227; hier ging es um die Tätigkeitsvergütung eines Miterben, der nach Unfall und Arbeitsunfähigkeit des anderen Erben das Unternehmen allein geführt hatte. 680

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 96

B XI

der Führung des Unternehmens nur durch Erteilung einer Vollmacht an einzelne Miterben beseitigt werden kann1. Das ist wohl zutreffend. Es handelt sich dabei jedoch nur um eine privatrechtliche Vollmacht, die nicht in das Handelsregister eingetragen werden kann. Die Prokuraerteilung an einzelne Miterben wird durch die h.M. ausgeschlossen2. Im alltäglichen Geschäftsablauf werden allerdings einzelne Erben handeln bzw. Geschäfte abschließen. In diesen Fällen kann es zu einer Duldungs- und Anscheinsvollmacht kommen3, wenn nicht ohnehin gem. § 2038 BGB von einer „notwendigen Maßregel“ auszugehen ist, die jeder Miterbe auch allein treffen kann4. Hier bewegt sich das Verwaltungsrecht der Erbengemeinschaft in einem handelsrechtlichen Spannungsverhältnis, das zu einer den Rechtsverkehr erleichternden und die Einzelvertretung fördernden Auslegung führen sollte. Allerdings geht es wohl zu weit und überdehnt die Grenzen der §§ 2038, 2040 BGB, generell davon auszugehen, dass für die Erbengemeinschaft als kollektiver Unternehmensträger organschaftliche Einzelvertretung gilt5. Wäre das zutreffend, müssten in entsprechender Anwendung des § 125 HGB abweichende Vereinbarungen zwischen den Miterben möglich sein, die mit Außenwirkung im Handelsregister eingetragen werden können. Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar können die Miterben im Innenverhältnis durch Vereinbarung einem Miterben die Geschäftsführung übertragen, jedoch ist die Übertragung der Vertretungsmacht nicht durch die handelsrechtliche Publizität des Registers in Analogie zu § 125 HGB, sondern nur durch privatrechtliche Vollmacht möglich. Die gesetzliche Verwaltungs- und Vertretungsbefugnis gem. § 2038 BGB bleibt erhalten.

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Ist – wie im Ausgangsbeispiel – ein Minderjähriger Mitglied der Erbengemeinschaft, kann die Fortführung des Handelsgeschäfts ohne Genehmigung des Familiengerichts erfolgen6. An dieser Lage hat sich auch durch das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz7 nichts geändert8, jedoch ist durch dieses Gesetz die Möglichkeit einer speziellen Haftungsbeschränkung für den Minderjährigen eingeführt worden9. Gem. § 1629a BGB ist die Haftung für Verbindlichkeiten aus Geschäften, die während der Minderjährigkeit durch die Eltern als gesetzliche Vertreter oder durch andere vertretungsberechtigte Personen für den Minderjährigen abgeschlossen werden oder aufgrund eines Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, auf das bei Eintritt der Volljährigkeit noch vorhandene Vermögen beschränkt. Deshalb muss gem. § 24 HGB bei Anmeldung von natürlichen Personen (Kaufmann, Gesellschafter) das Geburtsdatum des Inhabers oder

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1 Strothmann, ZIP 1985, 974 (975). 2 Strothmann, ZIP 1985, 975, unter Hinweis auf BGH v. 24.9.1959 – II ZR 46/59, BGHZ 30, 391, 397, Baumbach/Hopt, § 48 Rz. 2; anders jedoch Glanegger u.a., Handelsgesetzbuch, § 27 Rz. 3; a.A. auch K. Schmidt, NJW 1985, 2789. 3 Strothmann, ZIP 1985, 975. 4 Palandt/Weidlich, § 2038 Rz. 11 ff. 5 K. Schmidt, NJW 1985, 2789; K. Schmidt, Handelsrecht, § 5 I 3a (Erbengemeinschaft kann „ähnlich einer Gesamthandsgesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen“); Palandt/Weidlich, § 2038 Rz. 14. 6 BGH v. 8.10.1984 – II ZR 223/83, NJW 1985, 136; Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 33. 7 BGBl. 1998 I, 2487. 8 Zu den Einzelheiten des Gesetzes vgl. Behnke, NJW 1998, 3078. 9 Das Gesetz geht auf eine Entscheidung des BVerfG von 1986 zurück, NJW 1986, 1859; Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 39. Stein

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B XI

Rz. 97

Unternehmensnachfolge

Gesellschafters zum Register mit angemeldet werden. Damit soll der Schutz des Rechtsverkehrs gewährleistet werden. Allerdings gilt § 15 Abs. 1 und Abs. 3 HGB unverändert weiter, so dass bei Nicht- oder Falscheintragung die Vermutungen des § 15 Abs. 1 und 3 HGB zulasten des Minderjährigen greifen würden. Dagegen richtet sich Behnke, der es für erforderlich hält, im Interesse der Verfassungskonformität § 15 Abs. 1 und 3 zum Schutze des Minderjährigen nicht anzuwenden, d.h. das Schutzinteresse des Minderjährigen soll Vorrang vor dem Gutglaubensschutz des § 15 Abs. 1 und 3 HGB genießen1. Ob dieser Vorrang des Minderjährigenschutzes gegenüber dem Gutglaubensschutz anzuerkennen ist, muss gegen-wärtig wohl als strittig bezeichnet werden2. Für den Vorrang des Gutglaubensschutzes zumindest bei Nichteintragung (§ 15 Abs. 1 HGB) spricht allerdings, dass es der Gesetzgeber offensichtlich bewusst unterlassen hat, die Wirkung des § 15 Abs. 1 und 3 HGB zugunsten des Minderjährigenschutzes einzuschränken. Das Problem entschärft sich hinsichtlich der Nichteintragung (§ 15 Abs. 1 HGB) allerdings durch die Pflicht des Registergerichts, von Amts wegen die Vollständigkeit der Anmeldung zu prüfen. 97

Hinsichtlich der gewerberechtlichen und handwerksrechtlichen Voraussetzungen der Erbengemeinschaft zur Weiterführung gelten die Vorschriften, die unter Rz. 36 erläutert wurden. Es ist ausreichend, wenn ein Mitglied der Erbengemeinschaft über die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Erbenprivilegien verfügt (s. Ausgangsbeispiel Mutter und minderjährige Tochter). Abgesehen von den Erbenprivilegien würde es auch ausreichend sein, wenn ein Miterbe über die erforderlichen berufsrechtlichen Voraussetzungen verfügt, um den Betrieb zu führen (in unserem Ausgangsbeispiel hätte z.B. der Sohn nach Studienabschluss die Voraussetzungen erworben).

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(1) Wie unter Rz. 20 ff. dargelegt, wird die reine Erbenhaftung für die zum Nachlass gehörenden Verbindlichkeiten durch § 27 HGB ergänzt bzw. überlagert. Diese Folgen treffen auch die Erbengemeinschaft in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit. Wird nur ein Miterbe bei der Fortführung des Handelsunternehmens tätig, haften nach herrschender Auffassung die übrigen aufgrund der persönlichen handelsrechtlichen Haftung nur, wenn sie den tätigen Miterben zur Fortführung bevollmächtigt haben (auch stillschweigend, es sei denn, die Miterben haben angenommen, der tätige Miterbe sei Alleininhaber3). Diese Auffassung ist zu Recht unter Hinweis auf die Nachfolge der Erbengemeinschaft und ihrer unbestrittenen Unternehmensträgerschaft abgelehnt worden, so dass die nicht auseinander gesetzte Erbengemeinschaft grundsätzlich bei Fortsetzung und Eintritt der persönlichen handelsrechtlichen Haftung insgesamt einstehen muss4. Die alleinige Fortführung des Handelsunternehmens durch einen Miterben ohne Zustimmung der übrigen Erben überschreitet die Grenzen der Befug1 Behnke, NJW 1998, 3081 (3082); Baumbach/Hopt, § 15 Rz. 6. 2 Für den Vorrang des Gutglaubenschutzes Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 34, § 15 Rz. 6, anders für § 15 Abs. 3 HGB, wo in jedem Falle der Schutz des Minderjährigen vorgehen soll; anderer Auffassung Glanegger u.a., § 15 Rz. 10a, der den Vorrang des Gutglaubenschutzes für h.M. hält. 3 Baumbach/Hopt, § 27 Rz. 3, unter Hinweis auf BGH v. 24.9.1959 – II ZR 46/59, BGHZ 30, 395; BGH v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, BGHZ 32, 67; BGH v. 27.3.1961 – II ZR 294/59, BGHZ 35, 13. 4 K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 IV 2c) cc). 682

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Unternehmensnachfolge

Rz. 100

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nisse des tätigen Miterben gem. § 2038 BGB, abgesehen davon, dass mindestens bei Handelsregistereintragung der Erbengemeinschaft die Berufung der Miterben auf die Fortführung durch einen einzigen Erben entfällt. Unabhängig davon ist es sehr risikoreich, wenn die Miterben die Fortführung durch einen einzelnen Miterben hinnehmen und sich darauf verlassen, dass nur diesen die eventuelle handelsrechtliche Haftung für Altverbindlichkeiten des Erblassers trifft. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Miterben nicht nur persönlich handelsrechtlich für Altverbindlichkeiten des Erblassers, sondern auch für die durch den tätigen Miterben begründeten Neuverbindlichkeiten haften.

Beratungshinweis: In der Beratung sollte darauf hingewirkt werden, dass bei Fortführung des Handelsgeschäfts durch einen einzelnen Miterben ohne Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ein Zweifel über die Stellung der zurücktretenden Miterben nicht auftritt. Zu diesem Zweck könnte ein Pachtvertrag zwischen Erbengemeinschaft einerseits und fortführungswilligem Miterben abgeschlossen werden, womit dieser Inhaber und damit alleiniger Kaufmann wird (vgl. dazu Rz. 73 ff.). Die Eintragung im Handelsregister muss unverzüglich dieser Lage angepasst werden. Im Sachverhalt des Ausgangsbeispiels bietet sich als Zwischenlösung die Verpachtung des Unternehmens an die Mutter an, bis der studierende Sohn in der Lage ist, in das Geschäft einzutreten oder dieses zu übernehmen. Gehören Minderjährige zur Erbengemeinschaft, wird für diese die Haftungsbeschränkung gem. § 1629a BGB wirksam, und zwar unabhängig davon, ob fortgeführt wird oder nicht. Bei Abschluss eines solchen Pachtvertrags wäre allerdings die Bestellung eines Ergänzungspflegers für die minderjährige Tochter erforderlich, so dass gem. § 1822 Nr. 4 BGB auch die familiengerichtliche Genehmigung eingeholt werden muss. (2) Entscheidet sich die Erbengemeinschaft für die Fortsetzung des Handelsunternehmens unter gleicher Firma, ist die Erbengemeinschaft als neuer Inhaber zum Handelsregister anzumelden und einzutragen1. Auch bei Firmenfortführung wird ein auf die Erbengemeinschaft hinweisender „Rechtsformzusatz“ für notwendig gehalten, und zwar in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 1 HGB2, obwohl die „Erbengemeinschaft“ i.S.d. § 19 Abs. 1 HGB keine „Rechtsform“ ist. Es ergibt sich so eine etwas umständliche Firmenbezeichnung, z.B. „Karl Müller Nachfolger in Erbengemeinschaft“. Der „Nachfolger“-Zusatz ist zulässig, aber nicht zwingend. Jedenfalls ist die so gebildete Firma in das Handelsregister einzutragen.

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(3) Die Erbengemeinschaft kann sich jedoch auch entschließen, bei Fortführung eine andere Firma zu wählen, z.B. um die handelsrechtliche Haftung für Altverbindlichkeiten des Erblassers auszuschließen (vgl. Rz. 22). Soll eine Personenfirma gebildet werden, müssen die Namen sämtlicher Erben in die Firma aufgenommen werden3 (also z.B. Käthe Meyer, Jan und Willi Schulze in Erbengemeinschaft). Diese etwas umständliche Firmenbezeichnung kann durch Bildung einer Sachfirma oder Fantasiefirma vermieden werden. Die Sachfirma muss dem Unternehmensgegenstand entnommen werden (str.)4, die Fantasiefirma kann frei ge-

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1 2 3 4

Baumbach/Hopt, § Baumbach/Hopt, § Baumbach/Hopt, § Baumbach/Hopt, §

1 Rz. 37. 19 Rz. 2 – h.M. 22 Rz. 2. 1 Rz. 8, 9. Stein

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Rz. 101

Unternehmensnachfolge

wählt werden. In beiden Fällen ist es erforderlich, dass die gewählte Firma zur Kennzeichnung geeignet ist und ausreichende Unterscheidungskraft besitzt. Der Rechtsformzusatz ist auch bei der Sach- oder Fantasiefirma erforderlich, d.h. der Zusatz „in Erbengemeinschaft“ ist der Firma hinzuzufügen. bb) Fortsetzung als Gesellschaft 101

(1) Die Erbengemeinschaft kann das Handelsgeschäft auf eine OHG überführen und die wirtschaftliche Tätigkeit in diesem zweckmäßigen Rahmen fortführen.

Beratungshinweis: Da nach den Ausführungen in Rz. 93 ff. unsicher ist, ob und unter welchen Umständen der stillschweigende Abschluss eines Gesellschaftsvertrags oder die Fortführung des Handelsunternehmens als OHG durch konkludentes Handeln angenommen werden kann, sollte in der Beratung darauf hingewirkt werden, dass eine klare Regelung durch die Miterben erfolgt. 102

(2) Steuerlich ist die Erbengemeinschaft bereits mit Anfall des Handelsunternehmens eine Mitunternehmerschaft („geborene Mitunternehmerschaft“)1. Das gilt bis zur (Teil-)Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft.2 Entscheidet sich die Erbengemeinschaft für die Fortführung des Unternehmens in der Rechtsform einer OHG, muss sie das Handelsunternehmen oder zumindest dessen wesentlichen Betriebsgrundlagen im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf eine zuvor durch alle Miterben gegründete OHG übertragen, und zwar unter gleichzeitiger Aufhebung und Teilauseinandersetzung der Erbengemeinschaft, die mit der Einbringung insoweit erlischt. Die Beendigung der Erbengemeinschaft einschließlich des Unternehmens sollte entweder im Einbringungsvertrag oder Gesellschaftsvertrag ausdrücklich festgestellt werden. Mit der Einbringung und dem Erlöschen der Erbengemeinschaft treten für die Regelung der Innenbeziehungen der bisherigen Miterben die betreffenden gesellschaftsrechtlichen Regelungen an die Stelle des § 2038 BGB.

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Die Erbengemeinschaft kann jedoch auch einzelne Wirtschaftsgüter (auch wesentliche Betriebsgrundlagen) zurückbehalten und diese der OHG pachtweise überlassen, so dass sie weiterhin für betriebliche Zwecke zur Verfügung stehen. Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft in Bezug auf diese Wirtschaftsgüter kann unterbleiben. Es entsteht zwischen der Erbengemeinschaft und der OHG eine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung, so dass die „Rest“-Erbengemeinschaft ertragsteuerrechtlich gewerbliche Mitunternehmerschaft bleibt. Die Einkünfte aus der Verpachtung unterliegen der Gewerbesteuer. Ein solches Verfahren bietet sich z.B. für Grundstücke an, da auf diese Weise der erhebliche Beurkundungsaufwand, der bei Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft und Überführung auf die OHG anfallen würde, erspart werden kann. Ferner können betriebliche Verbindlichkeiten, die insbesondere mit dem Grundstück verbunden sind, im Betriebsvermögen verbleiben, ohne dass es einer Mitwirkung der Gläubiger bedarf. Die eingebrachten Vermögenswerte werden den Konten der Gesellschafter im Verhältnis ihrer bisherigen Erbquote gutgeschrieben, so dass 1 § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 erfasst auch Erbengemeinschaften, vgl. Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 171. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 383. 684

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Rz. 107

B XI

die Gesellschafter in diesem Verhältnis steuerlich Mitunternehmer bleiben. Im Übrigen kann die Gesellschaftgem. § 24 UmwStG auf Antrag die Buchwerte fortführen (zum Wahlrecht der Gesellschaft vgl. Rz. 89 f.). Denkbar ist auch, dass die Erben ihre Erbanteile in die Gesellschaft einbringen. Die Erbengemeinschaft erlischt dann durch Konfusion. Allerdings setzt das voraus, dass die Erbengemeinschaft hinsichtlich des übrigen Nachlasses vollständig auseinander gesetzt ist. I.d.R. wird die Einbringung der Vermögenswerte im Wege der Einzelrechtsnachfolge zweckmäßiger sein, insbesondere wenn der Nachlass insgesamt unübersichtlich ist. Allerdings wird durch die Einbringung der Erbanteile eine Gesamtrechtsnachfolge möglich, was angesichts der Nichtanwendbarkeit des UmwG auf die Erbengemeinschaft (h.M.)1 von Bedeutung sein kann. Steuerlich macht es keinen Unterschied, ob die Einbringung in Einzelrechtsnachfolge oder Gesamtrechtsnachfolge erfolgt, § 24 UmwStG findet in beiden Fällen Anwendung, so dass das Wahlrecht hinsichtlich des Wertansatzes besteht.

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Die Umwandlung der Erbengemeinschaft auf der Grundlage des UmwG wird verneint, weil der als numerus clausus anzusehende personelle Geltungsbereich des UmwG hinsichtlich der einzelnen Umwandlungsarten (soweit sie relevant sind) die Erbengemeinschaft nicht erfasst. Auch die Tatsache, dass die Erbengemeinschaft ein einzelkaufmännisches Unternehmen fortführt, kann nicht zur analogen Anwendung der Ausgliederungsvorschriften der §§ 152 ff. UmwG führen2.

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(3) Ist – wie im Ausgangsbeispiel – ein Minderjähriger Mitglied der Erbengemeinschaft, bedürfen die Fortführung des Handelsunternehmens als OHG und der Abschluss des Gesellschaftsvertrags der familiengerichtlichen Genehmigung. Wird – wie im Ausgangsbeispiel – die gesetzliche Vertreterin auch Gesellschafterin, muss ein Ergänzungspfleger bestellt werden. Die Ergänzungspflegschaft bezieht sich nur auf den Abschluss des Vertrags, nicht auf die Entscheidung in Einzelangelegenheiten der Geschäftsführung der OHG, selbst dann nicht, wenn Gesellschafterbeschlüsse erforderlich sind. Der Minderjährige wird bei der Beschlussfassung durch seinen gesetzlichen Vertreter vertreten (im Ausgangsbeispiel handelt die Mutter für die minderjährige Tochter), ohne dass es im Einzelfall der Genehmigung des Familiengerichts bedarf. Bei fundamentalen Änderungen des Gesellschaftsvertrags besteht allerdings ein Genehmigungserfordernis3; in diesem Falle ist auch die Mitwirkung eines Ergänzungspflegers notwendig. Die Beschränkung der Haftung des Minderjährigen gem. § 1629a BGB gilt auch in Bezug auf seine Gesellschafterstellung in der OHG.

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Kommt nur ein Miterbe für die unmittelbare Führung der Geschäfte der OHG in Frage, (wie im Ausgangsbeispiel die Mutter), sollte zweckmäßigerweise bei der inhaltlichen Gestaltung des Gesellschaftsvertrags darauf Rücksicht genommen werden. Dementsprechend kann diesem Miterben gem. § 114 Abs. 2 HGB die alleinige Geschäftsführung und gem. § 125 HGB die alleinige Vertretung der Ge-

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1 K. Schmidt, NJW 1985, 2785 (2786); Kallmeyer, § 3 UmwG Rz. 2 (für Verschmelzung). 2 Schmitt/Hörtnagel/Stratz/Hörtnagel, UmwG, § 152 Rz. 4 (str,); anders etwa Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 37. 3 Palandt/Götz, § 1822 BGB Rz. 9. Stein

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B XI

Rz. 108

Unternehmensnachfolge

sellschaft übertragen werden. Die übrigen Gesellschafter sind dann von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen. Die Vertretungsregelung ist zum Register anzumelden. 108

(4) Die für die OHG zu wählende Firma hängt z.T. davon ab, welche der in Rz. 17 ff. behandelten Alternativen die Erbengemeinschaft wählt. Grundsätzlich kann die Einzelfirma des zum Nachlass gehörenden Handelsunternehmens auch bei Fortsetzung der Geschäfte durch eine OHG fortgeführt werden, allerdings unter Hinzufügung des Rechtsformzusatzes1. Die Hinderungsgründe für die unmittelbare Fortführung der Firma, die sich aus § 155 (§§ 125, 18) UmwG u.U. ergeben2, bestehen nicht, da das UmwG auf die Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge keine Anwendung findet. Die persönliche handelsrechtliche Haftung der Miterben für Altverbindlichkeiten des Erblassers ist in diesem Falle allerdings unvermeidlich, was jedoch unerheblich ist, da die Erben als OHG-Gesellschafter ohnehin auch persönlich haften und die OHG bei Firmenfortführung die Haftung für die Altverbindlichkeiten übernimmt. Wird die Firma durch die OHG nicht fortgeführt, bleibt es bei der Erbenhaftung für Altverbindlichkeiten, wenn die Übertragung des Unternehmens innerhalb der Bedenkfrist gem. § 27 Abs. 2 HGB erfolgt (vgl. Rz. 17 ff.).

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(5) Die Anmeldung der OHG zum Handelsregister erfolgt in Abhängigkeit davon, ob die Firma fortgeführt wird oder nicht. Wird die Firma nicht fortgeführt, ist die OHG mit neuer Firma anzumelden. Damit kann die Löschung der bisherigen Firma verbunden werden. Soll die Firma fortgeführt werden, ist die Fortsetzung der Firma durch die OHG bei gleichzeitiger Löschung des bisherigen Inhabers (also Erbengemeinschaft) anzumelden. War die Erbengemeinschaft noch nicht als Inhaber eingetragen, ist diese Anmeldung zur Voreintragung nachzuholen.

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Die Miterben können anstelle der OHG auch eine KG als neuen Rechtsträger wählen. Die Übertragung des Handelsunternehmens bzw. der wesentlichen Betriebsgrundlagen vollzieht sich nach den gleichen Regeln und Grundsätzen. Die KG bietet sich – wie im Ausgangsbeispiel – insbesondere dann an, wenn nicht alle Miterben aktiv in der Gesellschaft tätig sein wollen und können. Der aktive Miterbe wird dann persönlich haftender Gesellschafter und die inaktiven Miterben treten in die Stellung eines Kommanditisten zurück.

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Zur Risikobegrenzung ist allerdings auch die Fortführung des Handelsunternehmens als GmbH & Co. KG möglich, wobei der oder die aktiven Gesellschafter Geschäftsführer der GmbH werden. Da die GmbH & Co. KG auch Personengesellschaft ist, können das Handelsunternehmen bzw. die wesentlichen Betriebsgrundlagen steuerlich nach § 24 UmwStG eingebracht werden, d.h. auf Antrag zu Buchwerten, wenn nicht von der Möglichkeit eines anderen Wertansatzes Gebrauch gemacht wird. Die GmbH ist von einer Beteiligung am Vermögen der Gesellschaft auszuschließen. Vorsorglich sollten jedoch die Miterben zu gleichen Anteilen wie an der KG selbst an der GmbH beteiligt werden, was im Interesse der Vermeidung von Konflikten zwischen der Geschäftsführung und den nicht daran beteiligten Gesellschaftern zweckmäßig ist. 1 Baumbach/Hopt, § 22 Rz. 16. 2 Schmitt/Hörtnagel/Stratz/Hörtnagel, UmwG, § 155 Rz. 4. 686

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Unternehmensnachfolge

B XI

Rz. 117

Hat die Erbengemeinschaft die Stufe der Personengesellschaft erreicht, kann auch ohne weiteres und mit begrenztem Aufwand auf der Grundlage des UmwG durch einfachen Rechtsformwechsel (§§ 190 ff. UmwG) der Übergang zu einer Kapitalgesellschaft vollzogen werden. Im Rahmen der §§ 20, 25 UmwStG kann der Formwechsel in eine GmbH steuerneutral vollzogen werden.

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Führen alle Miterben das zum Nachlass gehörende Handelsunternehmen fort, bleiben den Erben grundsätzlich die erbschaftsteuerlichen Vergünstigungen der §§ 13a, 13b ErbStG erhalten1.

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b) Fortsetzung des Unternehmens durch einen oder mehrere Miterben ohne Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft aa) Verpachtung an einzelne Erben Häufig wird die gesamte Erbengemeinschaft nicht willens und in der Lage sein, an der Fortsetzung des Unternehmens mitzuwirken. In einem solchen Falle müsste die Erbengemeinschaft hinsichtlich des Unternehmens auseinander gesetzt und das Unternehmen auf den oder auch die fortsetzungsbereiten Erben übertragen werden. Das kann jedoch für die weichenden Erben erhebliche einkommensteuerliche Folgen haben, insbesondere wenn der Nachlass im Wesentlichen aus dem Unternehmen besteht, da bei der Auseinandersetzung u.U. stille Reserven aufgedeckt werden müssen.

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Es mag insofern für die Erbengemeinschaft zweckmäßiger sein, zumindest hinsichtlich des Betriebsvermögens eine Auseinandersetzung zu vermeiden und als Erbengemeinschaft den Betrieb an einzelne Erben zu verpachten. Ein solches Vorgehen bietet sich insbesondere im Ausgangsbeispiel an. Die Mutter könnte alleine als Pächterin das Unternehmen fortsetzen, ohne dass die Erbengemeinschaft hinsichtlich des Betriebsvermögens auseinander gesetzt wird.

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Ist, wie in unserem Ausgangsbeispiel, ein Minderjähriger Mitglied der Erbengemeinschaft, muss die Mutter als gesetzliche Vertreterin den Antrag auf Bestellung eines Ergänzungspflegers stellen, der bei Abschluss des Pachtvertrags für den Minderjährigen handelt. Ferner bedarf das Rechtsgeschäft selbst bei Beteiligung eines Ergänzungspflegers gem. § 1822 Nr. 4 BGB der Genehmigung durch das Familiengericht.

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Einkommensteuerlich verbleibt es auf der Ebene der Erbengemeinschaft bei der bei Anfall der Erbschaft entstandenen Mitunternehmerschaft. Das zum Nachlass gehörende Handelsunternehmen ist nach wie vor Betriebsvermögen der Erbengemeinschaft. Allerdings tritt durch die Verpachtung des Unternehmens eine Betriebsunterbrechung im weiteren Sinne ein. Der Wegfall der erbschaftsteuerlichen Begünstigung von verpachteten Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern wegen Nichteinhaltung der Mindestlohnsumme (§ 13 Abs. 1 ErbStG) begrenzt auch hier den Anwendungsbereich des Verpachtungsmodells.

117

1 Zu den Auswirkungen von Umwandlungen in der ErbSt vgl. etwa Rödder/Dietrich, Ubg. 2014, 90 ff. Stein

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B XI

Rz. 118

Unternehmensnachfolge

bb) Verpachtung an Personengesellschaft – mitunternehmerische Betriebsaufspaltung 118

In Abhängigkeit von der Entscheidung in der Erbengemeinschaft kann das vorstehende Pachtmodell auch aufgestockt werden. So könnte im Ausgangsbeispiel der studierende Sohn nach Studienabschluss in das Geschäft der Mutter eintreten (§ 28 HGB), so dass beide das Unternehmen als Gesellschaft fortsetzen (z.B. OHG). Dieser Vorgang stellt sich handelsrechtlich als Einbringung des bisherigen einzelkaufmännischen Unternehmens der Pächterin in eine Personengesellschaft dar1 (entweder Ausgliederung gem. § 152 UmwG oder Einzelrechtsübertragung – vgl. dazu und zur registerrechtlichen Anmeldung Rz. 77 ff.). Der Mitunternehmeranteil am betrieblichen Vermögen der Erbengemeinschaft kann in das Sonderbetriebsvermögen eingelegt werden. Der Mitunternehmeranteil ist nur steuerlich selbstständig, nicht zivilrechtlich. Zivilrechtlich einbringungsfähig wäre nur der Erbanteil der Pächterin, was jedoch weder zivilrechtlich noch steuerlich sinnvoll bzw. zweckmäßig wäre, da auf diese Weise die Personengesellschaft an der Erbengemeinschaft beteiligt wäre. Allerdings muss die Personengesellschaft in den bisherigen Pachtvertrag zwischen Pächterin und Erbengemeinschaft eintreten.

119

Steuerlich erfolgt die Einbringung auf der Grundlage des § 24 UmwStG, d.h. die Wirtschaftsgüter des Einzelunternehmens (nicht die gepachteten Wirtschaftsgüter) können z.B. auf Antrag zu Buchwerten eingebracht werden (mit Wahlrecht für andere).

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Das Verhältnis des eintretenden Mitgliedes der Erbengemeinschaft zum Gesamthandsvermögen, das durch die Einbringung des Einzelunternehmens der Pächterin entsteht, lässt sich alternativ wie folgt gestalten: – Das eingebrachte Vermögen wird ausschließlich zugunsten des Kapitalkontos (Festkapitalkonto) der Pächterin gebucht; das eintretende Mitglied der Erbengemeinschaft leistet vorerst keine oder eine geringfügige Einlage in bar. Gleichzeitig wird eine Vereinbarung der Gesellschafter über das Verhältnis der Festbeteiligung getroffen und der Eintretende verpflichtet sich, einen Teil der ihm zustehenden Gewinne zur Auffüllung seines Kapitalkontos bis zur Höhe des vereinbarten Festanteils in der Gesellschaft zu belassen. – Die Pächterin kann dem eintretenden Sohn jedoch auch einen Anteil an den von ihr eingebrachten Buchwerten unentgeltlich zuwenden, der dann auf das Festkapitalkonto des Eintretenden gebucht wird. Keinesfalls sollte der eintretende Gesellschafter für die Beteiligung an den eingebrachten Vermögenswerten des bisherigen Einzelunternehmens eine Zahlung an den Inhaber in dessen Privatvermögen leisten, da es sich um die Veräußerung eines Bruchteils des Einzelunternehmens handeln würde, die zu einem nicht begünstigten Veräußerungsgewinn führt2. Nachdem jedoch der Gesetzgeber den § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG dahingehend geändert hat, dass nur die Veräußerung des gesamten Anteils eines Gesellschafters an einer Gesellschaft zu begünstigten Veräußerungsgewinnen führt, hat die Veräußerung eines Bruchteils des Mitunternehmeranteils einen nicht begünstigten laufenden Gewinn zur Folge3. 1 Baumbach/Hopt, § 28 Rz. 2. 2 Vgl. Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 204. 3 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 410, 417, 565; BFH v. 16.9.2004 – IV R 11/03, BStBl. II 2004, 1068 (allerdings keine Rückwirkung auf Fälle aus der Vergangenheit). 688

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Unternehmensnachfolge

Rz. 125

B XI

Erhöhen sich die Mitunternehmeranteile am Betriebsvermögen der Erbengemeinschaft im jeweiligen Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter der Personengesellschaft, die das Unternehmen gepachtet hat (Betriebsgesellschaft), dergestalt, dass die gesamten Gesellschafter der Betriebsgesellschaft über eine Mehrheit in der Erbengemeinschaft (Besitzgesellschaft) verfügen, besteht die Möglichkeit, dass eine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung im Verhältnis Betriebsgesellschaft zur Besitzgesellschaft entsteht. Eine derartige Konstellation tritt im Ausgangsbeispiel ein, wenn Mutter und Sohn Gesellschafter der Betriebsgesellschaft werden, da sie zugleich zu 3/4 an der Erbengemeinschaft beteiligt sind. Die mitunternehmerische Betriebsaufspaltung verdrängt die Eigenschaft der Mitunternehmeranteile an der Erbengemeinschaft als Sonderbetriebsvermögen.

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Die mitunternehmerische Betriebsaufspaltung führt dazu, dass das Besitzunternehmen, hier also die Erbengemeinschaft, hinsichtlich des zum Nachlass gehörenden Betriebsvermögens, selbstständiger Gewerbebetrieb wird. Infolgedessen werden auch die Miterben, die nicht Gesellschafter der Betriebsgesellschaft sind (im Ausgangsbeispiel also die minderjährige Tochter) gewerbesteuerpflichtig. Demgemäß unterliegen die Einnahmen aus der Verpachtung (anders als sonst bei der Betriebsverpachtung) der Gewerbesteuerpflicht. Ob das wünschenswert oder hinnehmbar ist, hängt von den Umständen ab.

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Die Existenz einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung ist anhand folgender Kriterien zu prüfen: – Sachliche Verflechtung: Die Besitzgesellschaft (hier die Erbengemeinschaft) überlässt der Betriebsgesellschaft (schuldrechtlich, dinglich) mindestens eine wesentliche Betriebsgrundlage zur Nutzung; diese Voraussetzung ist in jedem Falle dann gegeben, wenn ein Unternehmen als Ganzes an die Betriebsgesellschaft verpachtet wird; im Übrigen ist – wie üblich – anhand der steuerlichen Erfordernisse zu prüfen, ob ein zur Nutzung überlassenes Wirtschaftsgut eine wesentliche Betriebsgrundlage für die Betriebsgesellschaft darstellt1.

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– Gewinnerzielungsabsicht auf Seiten der Besitzgesellschaft (strittig – nur Auffassung der Finanzverwaltung): Sie ist für die mitunternehmerische Betriebsaufspaltung zu fordern, wenn – wie bei einer Erbengemeinschaft – eine weder originär gewerblich tätige noch eine gewerblich geprägte Personengesellschaft als Besitzunternehmen einer gewerblich tätigen Betriebsgesellschaft Wirtschaftsgüter überlässt. Werden diese Wirtschaftsgüter unentgeltlich oder nur teilentgeltlich überlassen, ist die Gewinnerzielungsabsicht zu verneinen, so dass auch die mitunternehmerische Betriebsaufspaltung entfällt2, die von den Betriebsgesellschaftern gehaltenen Mitunternehmeranteile an der Besitzgesellschaft bleiben dann Sonderbetriebsvermögen.

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– Personenidentität oder Beherrschungsidentität: Die Gesellschafter der Betriebsgesellschaft und der Besitzgesellschaft sind identisch oder die identischen Gesellschafter besitzen zumindest in beiden Gesellschaften mehrheitliche Anteile, so dass sie beide Gesellschaften „beherrschen“ (Beherrschungsidentität) und in der Lage sind, in beiden Gesellschaften einen einheitlichen

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1 Zu den Einzelheiten, vgl. Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 808 m.w.N. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 858. Stein

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B XI

Rz. 126

Unternehmensnachfolge

geschäftlichen Betätigungswillen durchzusetzen (Sonderfall: gleichgerichtete Interessen geschlossener Personengruppen)1. Trotz mehrheitlicher Beteiligung liegt eine „Beherrschung“ nicht vor, wenn Beschlüsse in einer der Gesellschaften nur einstimmig gefasst werden können und ein nicht an der Betriebsgesellschaft beteiligter Besitzgesellschafter insoweit damit faktisch ein Vetorecht hat. Ob das im Grundsatz für die Verwaltung des Nachlasses durch die Erbengemeinschaft gem. § 2038 BGB der Fall ist, kann wegen § 2038 BGB unklar sein, ist aber wohl zu bejahen. Die Erbengemeinschaft kann jedoch auch spezielle Vereinbarungen treffen und z.B. einem Mitglied alle Verwaltungsrechte übertragen. Auf diese Weise können die Voraussetzungen für eine „Beherrschungsidentität“ in jedem Falle geschaffen werden. 126

Abgesehen davon, dass hinsichtlich der allgemeinen Verwaltungsrechte die Erbengemeinschaft als mehrheitsbestimmt anzusehen wäre, würden jedenfalls die Voraussetzungen für eine einstimmige Beherrschung nicht ohne weiteres deshalb eintreten, weil die Mutter als Gesellschafterin der Betriebsgesellschaft in der Besitzgesellschaft die minderjährige Tochter gesetzlich vertritt. Die Zurechnung des Anteils der minderjährigen Tochter zur Mutter ist zwar möglich, da die Mutter die einzige Sorgeberechtigte ist2, kann jedoch nur dann gelten, wenn es Beweisanzeichen dafür gibt, dass die Rechte aus dem Anteil des minderjährigen Kindes in Gleichsetzung mit den Rechten des elterlichen Anteils ausgeübt werden3. cc) Verpachtung an GmbH – klassische Betriebsaufspaltung

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Das Modell der Betriebsverpachtung kann auch durch Gründung einer Kapitalgesellschaft gestaltet werden. Demgemäß wäre daran zu denken, dass im Ausgangsbeispiel die Mutter eine GmbH gründet (einfache Bargründung) und mit dieser als Betriebsgesellschaft das Unternehmen fortführt. Der Betrieb wird durch die Erbengemeinschaft an die GmbH verpachtet. Der Sohn könnte entweder sofort als Gründungsgesellschafter eintreten oder später von der Mutter einen Teilgeschäftsanteil erwerben. Wird der Teilgeschäftsanteil nicht unentgeltlich übertragen, ist der eventuell erzielte Veräußerungsgewinn begünstigt gem. § 17 Abs. 3 EStG (Teileinkünfteverfahren).

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Durch den Erwerb eines Anteils an der GmbH durch den Sohn kann eine klassische Betriebsaufspaltung entstehen. Hinsichtlich der Höhe des Pachtzinses ist darauf zu achten, dass dieser dem Fremdvergleich standhält, da anderenfalls bei Überhöhung die Gefahr einer verdeckten Gewinnausschüttung entsteht. Liegt der Pachtzins unter der durch Fremdvergleich ermittelten Höhe, wird dadurch die Entstehung der Betriebsaufspaltung nicht verhindert4.

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Tritt eine Betriebsaufspaltung nicht ein, erzielt die Erbengemeinschaft Einnahmen aus Gewerbebetrieb (bei Verpachtung des ganzen Betriebs) oder aus Vermietung und Verpachtung bei Erklärung der Betriebsaufgabe gegenüber dem Finanzamt; eine Gewerbesteuerpflicht besteht nicht. 1 2 3 4

Dazu Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 822 ff. R 15.7 Abs.8 EStR. Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 849. Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 819. Allerdings führt dies zur Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach dem BMF-Schreiben v. 8.11.2010, BStBl. I 2010, 1292.

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 134

B XI

Soll im Ausgangsbeispiel die Betriebsaufspaltung vermieden werden, könnte vor Abschluss des Pachtvertrags mit der GmbH eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft angezeigt sein, bei der das Betriebsvermögen der Erbengemeinschaft auf Miterben übertragen wird, die nicht Gesellschafter der Betriebsgesellschaft sind und in der Besitzgesellschaft das Einstimmigkeitsprinzip vereinbart wurde.

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Durch eine ungleichgewichtige Verschiebung der Beteiligungen an Betriebsgesellschaft einerseits und Besitzgesellschaft andererseits wird allerdings nicht immer die Betriebsaufspaltung vermieden, da u.U. eine „durch gleich gerichtete Interessen geschlossene Personengruppe“ entsteht, bei der eine Beherrschungsidentität angenommen wird1, wenn die „geschlossene Personengruppe“ ausschließlich oder mehrheitlich an beiden Gesellschaften beteiligt ist.

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Beispiel: A ist mit 70 %, B mit 30 % an der Betriebsgesellschaft beteiligt. An der Besitzgesellschaft besteht eine Beteiligung von A in Höhe von 20 % und von B in Höhe von 80 %. Es liegt Betriebsaufspaltung vor. Die Betriebsaufspaltung würde nur entfallen, wenn die Beteiligungsverhältnisse extrem entgegengesetzt sind (also z.B. bei A und B 5 % zu 95 % in der Betriebsgesellschaft und 95 % zu 5 % in der Besitzgesellschaft).

Die vorstehenden Grundsätze gelten auch, wenn Familienangehörige an beiden Gesellschaften mit jeweils unterschiedlichen Anteilen beteiligt sind. Bei Eheleuten kann die Zusammenfassung der Anteile ausnahmsweise selbst dann erfolgen, wenn beide nur an einer Gesellschaft und nur einer an der anderen Gesellschaft beteiligt sind.

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Beispiel: Ehemann ist Alleingesellschafter der GmbH (Betriebsgesellschaft), beiden Eheleuten gehört jedoch jeweils zur Hälfte das der GmbH zur Nutzung überlassene Grundstück.

Voraussetzung für die ausnahmsweise Zusammenfassung und damit für das Vorliegen der Betriebsaufspaltung ist jedoch, dass „Beweisanzeichen“ für gleich gerichtete wirtschaftliche Interessen vorliegen, z.B. Stimmrechtsbindung in der Grundstücks-GbR oder anderweitige Übertragung der Verwaltungsrechte durch Ehefrau an Ehemann oder eine „mehrere Unternehmen umfassende, planmäßige, gemeinsame Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse“2. An die Erfüllung dieser Voraussetzungen sind strenge Anforderungen zu stellen.

133

Eine derartige Zusammenfassung ist ausgeschlossen, wenn ein Ehepartner Alleingesellschafter der Betriebs-GmbH und der andere Ehepartner Eigentümer des Grundstücks ist, das der GmbH zur Nutzung überlassen wurde (Wiesbadener Modell).

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1 Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 823 m.w.N. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 846. Stein

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B XI

Rz. 135

Unternehmensnachfolge

c) Betriebsveräußerung, Betriebsaufgabe, Betriebsunterbrechung

Beratungssituation: Der Inhaber eines Baubetriebs verstirbt und hinterlässt seine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder. Da ein Testament nicht vorhanden ist, tritt gesetzliche Erbfolge ein. Die Ehefrau ist im sozialrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig. 135

In Fällen wie dem vorstehenden Beispiel wird bei Beratung zu prüfen sein, ob das Unternehmen veräußert werden kann. Ist das der Fall, kann die Erbengemeinschaft eine Betriebsveräußerung vornehmen: Der Veräußerungsgewinn entsteht auf der Ebene der Erbengemeinschaft am Unternehmen. Er ist dann den einzelnen Erben quotal nach ihren Erbanteilen zuzurechnen und als Veräußerungsgewinngem. § 34 EStG begünstigt. Für die berufsunfähige Ehefrau ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit, den persönlichen Freibetrag gem. § 16 Abs. 4 EStG sowie den ermäßigten Steuersatz von 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes gem. § 34 Abs. 3 EStG in Anspruch zu nehmen).

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Die Erbengemeinschaft kann den Betrieb jedoch auch aufgeben, wenn alle Mitunternehmer, d.h. alle Miterben, die Aufgabeerklärung abgeben (zur Betriebsaufgabe vgl. Rz. 42 ff.). Der Aufgabegewinn ist gem. 34 EStG begünstigt. Der dauernd berufsunfähigen Ehefrau stehen zudem die persönlichen ertragsteuerlichen Vergünstigungen zu.

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Für die Abwicklung der Betriebsaufgabe gibt es auf der Ebene der Miterben zwei Möglichkeiten: – Die Wirtschaftsgüter bleiben nach Betriebsaufgabe im „Privatvermögen“ der Erbengemeinschaft, d.h. sie sind dann privates Gesamthandsvermögen. Die Erbengemeinschaft wird insoweit nicht auseinander gesetzt. Der Aufgabegewinn ist den Miterben quotal zuzurechnen. Die Aufgabe der Mitunternehmeranteile, die mit der Betriebsaufgabe verbunden ist, berührt nicht die Fortexistenz der Erbanteile; gesonderte Mitunternehmeranteile am Einzelunternehmen bilden nur eine steuerliche Kategorie, die die bestehenden privatrechtlichen Verhältnisse nicht berührt. – Die Wirtschaftsgüter werden real geteilt, d.h. die Aufgabe des Gewerbebetriebs wird zumindest mit einer Teilauseinandersetzung der Erbengemeinschaft verbunden. In diesem Falle bestimmt sich der Aufgabegewinn jedes Miterben nach der Differenz des Buchwertes seines Kapitalkontos zum gemeinen Wert des ihm zugeteilten Wirtschaftsgutes (zuzüglich oder abzüglich von Ausgleichszahlungen – Spitzenausgleich)1. Die zweite behandelte Variante der Abwicklung führt zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft in ertragsteuerlicher Hinsicht.

138

Sind, wie im Ausgangsbeispiel, Minderjährige an der Erbengemeinschaft beteiligt, bedarf die Veräußerung des Unternehmens der familiengerichtlichen Genehmigung gem. §§ 1643, 1822, Nr. 3 BGB. Eine Genehmigung ist – wie auch bei der bloßen Fortführung – nicht erforderlich, wenn das Erwerbsgeschäft aufgegeben 1 So die Auffassung der Finanzverwaltung, BMF-Schreiben v. 14.3.2006, BStBl. I 2006, 253, Tz. 14. 692

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wird. Wird mit der Aufgabe allerdings eine Auseinandersetzung bzw. Teilauseinandersetzung der Erbengemeinschaft verbunden, ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers für jeden der beteiligten Minderjährigen erforderlich, soweit – wie im Ausgangsbeispiel – der einzige Sorgeberechtigte selbst Mitglied der Erbengemeinschaft ist. In der vorstehenden Beratungssituation können die Betriebsaufgabe und die Realisierung des Aufgabegewinns günstig sein, weil zumindest ein Miterbe (nämlich die Mutter) auch den persönlichen Freibetrag gem. § 16 Abs. 4 EStG und die Begünstigung gem. § 34 Abs. 3 EStG in Anspruch nehmen kann. Allerdings fallen bei der Betriebsaufgabe wie auch bei der Betriebsveräußerung anteilig die erbschaftsteuerlichen Vergünstigungen für Betriebsvermögen gem. §§ 13a, 13b ErbStG weg, soweit die Aufgabe des Betriebs innerhalb der jeweiligen gesetzlichen Behaltensfrist erfolgt (vgl. § 13b Abs. 5, S. 1, Nr. 1 ErbStG), es sei denn, der Veräußerungserlös wird innerhalb von sechs Monaten in begünstigtes Vermögen reinvestiert (§ 13b Abs. 5 S. 2 ErbStG).

139

In der Beratung wird deshalb für Erwerbe bis 31.12.2008 auch zu prüfen sein, ob eine Betriebsunterbrechung angezeigt oder ob die Einbringung in eine gewerblich geprägte Personengesellschaftzweckmäßig ist. In diesen Fällen lässt sich die Realisierung eines Aufgabegewinns vermeiden, und die Erhaltung des erbschaftsteuerlichen Freibetrages für Betriebsvermögen nach der bis dahin gültigen Regelung bleibt möglich.

140

In diesem Rahmen kann auch die Verpachtung des Unternehmens an Dritte erfolgen. Allerdings helfen diese Überlegungen aus rein erbschaftsteuerlicher Sicht wegen des drohenden Verlustes der Vergünstigungen für Betriebsvermögen nicht weiter. Daher muss mehr als früher abgewogen werden, ob die ertragsteuerlichen Vorteile oder die erbschaftsteuerlichen Vorteile überwiegen, wenn im konkreten Fall sowohl die Weiterführung des Betriebs als auch die Betriebsverpachtung möglich ist.

141

d) Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft aa) Allgemeiner Grundsatz Da die Erbengemeinschaft mit Anfall der Erbschaft hinsichtlich des Betriebsvermögens in die Rechtsposition des Erblassers eintritt und bei einer Mehrheit von Erben kraft Gesetzes eine Mitunternehmerschaft in Bezug auf das Betriebsvermögen entsteht, ist jede Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft über das Betriebsvermögen zugleich Auseinandersetzung der Mitunternehmerschaft, u.U. mit erheblichen ertragsteuerlichen Folgen. Das gilt insbesondere dann, wenn im Rahmen der Erbauseinandersetzung Betriebe geteilt werden, einzelne Wirtschaftsgüter in diese Teilung einbezogen oder zur Abfindung bzw. zur Erfüllung von Vermächtnissen dem Betriebsvermögen entnommen werden müssen.

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Die vorstehende Problematik besteht nach herrschender Auffassung auch dann, wenn der Erblasser eine Teilungsanordnung erlassen hat, in der das Betriebsvermögen einem bestimmten Miterben zugewiesen wurde1, da auch bei Teilungs-

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1 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 611. Stein

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anordnung nach Auffassung der Finanzverwaltung eine Mitunternehmerschaft hinsichtlich des Betriebsvermögens nach Erbquoten entsteht und die Teilungsanordnung nur als Anweisung des Erblassers für die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft angesehen wird1. Hinsichtlich der Gewinnzurechnung erfolgt eine Rückberechnung des Betriebsvermögensübergangs auf den durch Teilungsanordnung bestimmten Erben, wenn die Teilungsanordnung keine anderen Bestimmungen trifft, die Erben sich vom Erbfall an nach den Regelungen der Teilungsanordnung verhalten und eine zeitnahe Vollziehung vorgenommen wird2.

Beratungshinweis: In der Beratung ist von der h.M. auszugehen, so dass dem Erblasser die Teilungsanordnung als Instrument zur Sicherung des unmittelbaren steuerneutralen Übergangs des Unternehmens von Todes wegen auf den Nachfolger nicht zur Verfügung steht. 144

Nach § 6 Abs. 5 EStG ist die Übertragung eines einzelnen Wirtschaftsgutes zu Buchwerten (allerdings zwingend ohne Wahlrecht) in folgenden Fällen möglich: – unentgeltlich oder gegen Gewährung von Gesellschafterrechten erfolgende Übertragung aus einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft und umgekehrt, – unentgeltlich oder gegen Gewährung von Gesellschafterrechten erfolgende Übertragung aus dem Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft in das Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers im Rahmen derselben Mitunternehmerschaft und umgekehrt, – unentgeltlich zwischen den jeweiligen Sonderbetriebsvermögen verschiedener Mitunternehmer derselben Mitunternehmerschaft.

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Ausgeschlossen ist in den vorstehenden Fällen jedoch die Buchwertübertragung insoweit, wie sich dadurch der Anteil „einer Körperschaft, einer Personenvereinigung oder Vermögensmasse“ an dem Wirtschaftsgut erhöht (vgl. § 6 Abs. 5 S. 5 EStG).

Beratungssituation: An der A-GmbH & Co. KG sind die A-GmbH zu 50 % und A persönlich zu 50 % als Kommanditist beteiligt. A bringt aus seinem Einzelunternehmen ein Grundstück in die A-GmbH & Co. KG ein (Buchwert 100 000 Euro/Teilwert 500 000 Euro). Im Umfang der Beteiligung der A-GmbH von 50 % ist die Übertragung nur zu Teilwerten möglich, d.h. es sind 250 000 Euro als Teilwert und 50 000 Euro als Buchwert anzusetzen. A erzielt einen Entnahmegewinn von 200 000 Euro. Beratungshinweis: Unter dem Gesichtspunkt der vorstehenden Regelung ist es umso dringlicher, bei Gründung einer GmbH & Co. KG sicherzustellen, dass die Komplementär-GmbH nicht am Vermögen der Gesellschaft beteiligt wird. 146

Für die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bedeutet dies, dass die Abfindung eines ausscheidenden Miterben mit einem Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens des Nachlasses und die Übertragung eines Wirtschaftsgutes des Be1 BMF v. 14.3.2006, BStBl. I 2006, 253 Tz. 56. 2 BFH v. 4.5.2000 – IV R 10/99, BStBl. II 2002, 850. 694

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triebsvermögens an einen Miterben aufgrund eines Vorausvermächtnisses zu Buchwerten erfolgt, wenn das jeweilige Wirtschaftsgut durch den Miterben wieder in ein Betriebsvermögen eingelegt wird. Die ertragsteuerliche Behandlung der Realteilung einer Mitunternehmerschaft durch Zuteilung von Einzelwirtschaftsgütern entspricht der Regelung des § 6 Abs. 5 EStG1. Demgemäß hat die Realteilung einer Mitunternehmerschaft unter Fortführung der Buchwerte entsprechend den vorstehenden Grundsätzen zu erfolgen2. Für die Erbauseinandersetzung sind diese Möglichkeiten der Realteilung naturgemäß von erheblicher Bedeutung.

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bb) Auseinandersetzung über reinen Betriebsvermögensnachlass (1) Auseinandersetzung ohne Betriebsaufgabe

Beratungssituation: E hat ein Autohaus geführt. Er verstirbt ohne Testamentserrichtung und hinterlässt seine Ehefrau und einen Sohn. Der Sohn möchte das Autohaus fortführen. Wesentliches Privatvermögen ist im Nachlass nicht vorhanden. Das Autohaus hat einen Verkehrswert von 1,5 Millionen Euro. Im Betriebsvermögen befindet sich ein Grundstück, das fremd vermietet ist. Es hat einen Wert von 500 000 Euro (Buchwert 100 000 Euro) und erzielt eine Mieteinnahme von 25 000 Euro pro Jahr. Die Mutter möchte aus dem Unternehmen ausscheiden. Der Sohn würde ihr gerne das fremd vermietete Grundstück zumindest in Anrechnung auf die Abfindung für die Übertragung des Mitunternehmeranteils überlassen. Ob darüber hinaus weitere Abfindungen bis zur vollen Höhe des auf die Mutter entfallenden Anteils zu erbringen sind, ist zwischen den Parteien noch nicht besprochen. Die Liquiditätslage des Unternehmens ist sehr gut. Das Ausscheiden der Mutter setzt im vorliegenden Falle eine Gesamtauseinandersetzung der Erbengemeinschaft voraus. Will bei einer Gesamtauseinandersetzung – wie im vorstehenden Beispiel – nur ein Miterbe das Unternehmen fortführen und besteht der Nachlass nur aus Betriebsvermögen, kann der weichende Erbe – hier also die Mutter – seinen Mitunternehmeranteil am Betriebsvermögen veräußern bzw. aufgeben, so dass dem fortführenden Erben dieser Anteil am Gesamthandsvermögen gegen Abfindung anwächst. Der weichende Erbe erzielt hinsichtlich seines veräußerten bzw. aufgegebenen Mitunternehmeranteils einen ggf. begünstigten Aufgabegewinn bzw. Veräußerungsgewinn; der fortführende Erbe hat Anschaffungskosten3. In Höhe seiner Erbquote erwirbt er allerdings unentgeltlich und müsste in diesem Umfang die Buchwerte fortführen.

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Wird die Abfindung dadurch gewährt, dass – wie im Beispiel durch die Miterben beabsichtigt – eine Sachwertabfindung in Gestalt des fremd vermieteten Grundstücks geleistet wird, muss der fortführende Erbe das Wirtschaftsgut zu diesem Zweck entnehmen und erzielt insoweit einen nicht begünstigten Entnahmegewinn, wenn der Teilwert höher als der Buchwert ist. Im vorliegenden Falle würde der Verkehrswert des Grundstücks jedoch nicht ausreichen, um den Ab-

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1 Schmidt/Wacker, EStG § 16 Rz. 532. 2 Vgl. Schmidt/Wacker, EStG § 16 Rz. 530 ff. 3 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 610. Stein

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Unternehmensnachfolge

findungsanspruch der weichenden Erbin zu befriedigen. Der übernehmende Erbe hätte demgemäß noch die Differenz in Geld auszugleichen. Sachwertabfindung und Ausgleichszahlung bilden dann zusammen die Grundlage für die Errechnung des allerdings begünstigten Aufgabe- bzw. Veräußerungsgewinns der weichenden Erbin (Abfindungserlös abzüglich Buchwert der Beteiligung der weichenden Erbin und Aufgabe- bzw. Veräußerungskosten). 150

Die weichende Erbin könnte das ihr zur Abfindung überlassene Grundstück in ein anderes Betriebsvermögen einlegen. Hinsichtlich des Grundstücks erzielt der Erwerber in diesem Falle keinen Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn, der fortführende Miterbe hat keine Anschaffungskosten. Er erwirbt unentgeltlich.1

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Ein Betriebsvermögen steht einem weichenden Erben – wie auch im Ausgangsbeispiel – nicht immer zur Verfügung. Im vorliegenden Falle könnte dieser Weg durch Gründung einer gewerblich geprägten Personengesellschaft (einer GmbH & Co. KG) frei gemacht werden. Die weichende Erbin würde das als Abfindung erhaltene Grundstück zu Buchwerten (zwingend) in das Sonderbetriebsvermögen dieser Gesellschaft einlegen (dann auch Erzielung gewerblicher Einkünfte anstelle von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung). Hierzu ist es erforderlich, dass die weichende Erbin das Grundstück zunächst an die neue GmbH & Co. KG verpachtet und diese wiederum das Grundstück an das nutzende Unternehmen unterverpachtet. Eine direkte Einbringung in das Gesamthandsvermögen der GmbH & Co. KG scheitert wohl am Wortlaut des § 16 Abs. 3 EStG, der für die Buchwertfortführung ausdrücklich die Überführung in ein Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen fordert und damit die Einbringung in ein Gesamthandsvermögen nicht ausreichen lässt.2 Der Aufwand der gesonderten Gründung einer Gesellschaft nur für den vorgenannten Zweck wird sich nur dann lohnen, wenn der Aufgabe- bzw. Veräußerungsgewinn aus der Zuteilung des Grundstücks erheblich ist und tatsächlich vermieden werden soll.

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In der Beratung müsste jedoch – in Abhängigkeit von den Umständen – deutlich gemacht werden, dass die von den Miterben angestrebte Übertragung des Grundstücks auf die weichende Erbin wegen des zusätzlichen nicht begünstigten Entnahmegewinns beim übernehmenden Erben nicht die günstigste Lösung ist. Es könnten folgende Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden:

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– Da die Liquiditätslage des Unternehmens günstig ist, könnten der weichenden Erbin diese Mittel zugewiesen werden (liquide Mittel betragen z.B. 250 000 Euro), während der Betrieb ungeteilt beim fortführenden Miterben verbleibt. Bei reinem Betriebsvermögensnachlass ist es allerdings fraglich3, ob in dieser Zuteilung der liquiden Mittel eine steuerneutrale Realteilung zu sehen ist, da die Finanzverwaltung diese Form der Realteilung ausdrücklich nur für Nachlässe mit Privatvermögen4 ausdrücklich anerkannt hat. Die Schaffung von Mischnachlässen durch Überführung der liquiden Mittel in das Privatvermögen (durch Entnahme beider Miterben), die dann zu einer zeitnahen steuerlich neutralen Realteilung dergestalt führt, dass der eine Miterbe das Betriebsver1 2 3 4

Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 614. Vgl. Schmidt/Wacker, EStG § 16 Rz. 543. Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 610. BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 30.

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mögen, der andere die liquiden Mittel im Privatvermögen erhält, könnte als Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO angesehen werden1. Im Zweifel nimmt die Finanzverwaltung dann die Zahlung einer Abfindung an die weichende Erbin an. Das gilt jedoch nicht, wenn sich im „Zuge der Verwaltung des Nachlasses privates Nachlassvermögen“ gebildet hat. Diese Mittel können dann nach den von der Finanzverwaltung aufgestellten Grundsätzen zur Realteilung eingesetzt werden. Insofern lässt sich ein erwünschtes Ergebnis durch angemessenen Zeitablauf herstellen, wenn die Miterben liquide Mittel des Unternehmens zeitlich getrennt nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung entnehmen und im Nachlass belassen. Es ist insofern denkbar, durch zeitliche Verschiebung der Auseinandersetzung eine steuerlich neutrale Realteilung herbeizuführen. Allerdings wird es immer von den Umständen abhängen, ob ein derartiger massiver Mittelabfluss aus dem Unternehmen wirtschaftlich vernünftig und vertretbar ist. Erfüllt z.B. im Ausgangsbeispiel die Mutter die persönlichen Voraussetzungen für die Tarifbegünstigunggem. § 16 Abs. 4 EStG sowie § 34 Abs. 3 EStG, könnten liquide Mittel in angemessenem Umfang eingesetzt werden, um die Veräußerung des Mitunternehmeranteils durch die Mutter an den Sohn vorzunehmen. Um sicherzustellen, dass ein begünstigter Aufgabegewinn durch die Mutter erzielt wird, müsste der gesamte nach der Erbfolge auf sie entfallende Mitunternehmeranteil2 veräußert werden, da die Begünstigung des erzielten Gewinnes bei Veräußerung eines Bruchteils des Mitunternehmeranteils nicht mehr gewährt wird3. – Die weichende Erbin könnte ihren Mitunternehmeranteil im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich gegen lebenslängliche Versorgungsleistung übertragen4 (dauernde Last). Die Versorgungsleistung ist für den übernehmenden Sohngem. § 10 EStG als Sonderausgabe abzugsfähig. Bei der weichenden Miterbin fallen sonstige Einkünftegem. § 22 EStG an5.

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– Die Erbengemeinschaft könnte den zum Nachlass gehörenden Betrieb im Ganzen auch an den Erben, der das Unternehmen fortführen möchte, verpachten. Die Fortführung kann durch den Miterben in einer von ihm zu wählenden Rechtsform erfolgen. Die Erbengemeinschaft und damit die Mitunternehmerschaft am Betriebsvermögen wird nicht auseinander gesetzt.

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(2) Auseinandersetzung mit Betriebsaufgabe und Realteilung

Beratungssituation: E hat einen Baubetrieb geführt, in dem neben dem Bereich Hochbau ein Bereich für Trockenbau und ein weiterer Malerbereich bestehen. Der Gesamtbetrieb hat einen Verkehrswert von 1,5 Millionen Euro und einen Buchwert von 600 000 Euro. Als er ohne Testament ver1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 33. 2 So ausdrücklich die seit 2001 geltende Neufassung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG. 3 Schmidt-Wacker, EStG, § 16 Rz. 411; BFH v. 13.7.2004 – VIII R 48/02, BStBl. II 2004, 1060. 4 Schmidt-Wacker, EStG, § 16 Rz. 47 ff. 5 Schmidt-Wacker, EStG, § 22 Rz. 78 ff. Stein

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stirbt, hinterlässt er seine Ehefrau, eine Tochter und einen Sohn, der bereits im Betrieb tätig war. Der Sohn möchte nur den Maler-Teilbetrieb fortsetzen (Verkehrswert 250 000 Euro). Ehefrau und Tochter wollen insbesondere zwei im Betriebsvermögen befindliche Grundstücke im Werte von jeweils 625 000 Euro wirtschaftlich verwerten. Wesentliches Privatvermögen ist im Nachlass nicht vorhanden. 156

Befindet sich im Nachlass nur Betriebsvermögen und setzt sich die Erbengemeinschaft durch Zuteilung von Einzelwirtschaftsgütern auseinander, führt das zur Betriebsaufgabe1. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft erzielen dann einen begünstigten Aufgabegewinn, es sei denn die Erben legen das erhaltene Wirtschaftsgut wieder in anderes eigenes Betriebsvermögen ein. Wird die Realteilung – wie im vorstehenden Beispiel vorgesehen – so vollzogen, dass ein Miterbe einen Teilbetrieb erhält und den übrigen Miterben Einzelwirtschaftsgüter zugeteilt werden, die – wie im Ausgangsbeispiel – nicht in ein anderes eigenes Betriebsvermögen eingelegt werden sollen, ist die Realteilung personenbezogen zu werten2.

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Für die Mitglieder der Erbengemeinschaft, die ein Einzelwirtschaftsgut erhalten, bleibt es wegen der Aufgabe ihrer Mitunternehmeranteile bei der Erzielung des Aufgabegewinns (gemeiner Wert des Wirtschaftsgutes abzüglich Buchwert der Beteiligung abzüglich Aufgabekosten). Ist ein Wertausgleich zu zahlen, erhöht oder vermindert dieser den Aufgabegewinn. Im vorliegenden Fall müsste die Tochter jeweils an die Mutter und an den Bruder einen Betrag von 125 000 Euro als Ausgleich zahlen. Die Rechnung für die Mutter würde sich deshalb wie folgt darstellen: Erhaltenes Wirtschaftsgut + Ausgleichszahlung von der Tochter ./. Buchwert der Beteiligung Aufgabegewinn

625 000 125 000 300 000 450 000

Euro Euro Euro Euro

625 000 125 000 125 000 150 000 225 000

Euro Euro Euro Euro Euro

Die Rechnung für die Tochter ergibt: Erhaltenes Wirtschaftsgut ./. Ausgleichszahlung an die Mutter ./. Ausgleichszahlung an den Bruder ./. Buchwert der Beteiligung Aufgabegewinn

Die Tochter hat im Umfang der Ausgleichszahlungen Anschaffungskosten und müsste die Buchwerte des erhaltenen Grundstücks verhältnismäßig aufstocken (sie erwirbt 3/5 unentgeltlich, 2/5 entgeltlich, so dass sich zwei AfA-Reihen ergeben). Der Sohn hat kein Wahlrecht, er muss zwingend die Buchwerte des von ihm übernommenen Teilbetriebs fortführen. Da der gemeine Wert des Teilbetriebs nur 250 000 Euro beträgt, hat er einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 125 000 Euro gegenüber seiner Schwester.

1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 11. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 551. 698

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B XI

Noch nicht eindeutig geklärt ist, wie der Gewinn des Miterben, der einen Teilbetrieb mit Buchwertfortführung und einem Ausgleichsbetrag erhält1, zu berechnen ist. Der BFH nimmt an, dass ein Gewinn in Höhe des Ausgleichsbetrages entsteht2. Demgegenüber hat die Finanzverwaltung bei der Realteilung einer Erbengemeinschaft mit Zuteilung von Teilbetrieben zuzüglich Ausgleichszahlungen den Gewinn dadurch errechnet, dass von der Ausgleichszahlung der Bruchteil des Buchwertes abgezogen wurde, für den der Ausgleichsverpflichtete den Wertausgleich zu leisten hatte (hier also das Grundstück); Gewinn ist der danach rechnerisch verbleibende Ausgleichsbetrag3.

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Berechnungsbeispiel: Dem Sohn stehen am betrieblichen Nachlass 1/4 zu. Er erhält aber durch den Teilbetrieb nur 1/ 6 Er hat deshalb Anspruch auf Ausgleich von 1/ 12 Der ausgeglichene Buchwertanteil entspricht 1/ 12 vom Gesamtbuchwert 600 000 Euro begünstigter Gewinn

= 375 000 Euro = 250 000 Euro = 125 000 Euro 50 000 Euro 75 000 Euro

Den zugeteilten Teilbetrieb erwirbt der Sohn im Übrigen unentgeltlich. Der durch den Spitzenausgleich erzielte Veräußerungserlös ist bei der Realteilung einer Erbengemeinschaft bei Zuteilung von Betrieben oder Teilbetrieben nicht tarifbegünstigt4. Der Gewinn rechnet grundsätzlich nicht zum Gewerbeertrag nach § 7 S. 1 GewStG. Ab Erhebungszeitraum 2002 ist der Gewinn aus der Aufdeckung der stillen Reserven aber nach § 7 S. 2 GewStG als Gewerbeertrag zu erfassen, soweit er nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligtem Mitunternehmer entfällt. Würden jedoch die bei der Aufteilung erworbenen Wirtschaftsgüter insgesamt ins Privatvermögen übertragen, führt dieser Vorgang zu einer nach §§ 16 und 34 EStG steuerbegünstigten Betriebsaufgabe. Aufgabegewinn ist der Gewinn, der sich aus dem Entnahmegewinn (Übertragung der Wirtschaftsgüter ins Privatvermögen) und dem Gewinn aus der Abfindungszahlung ergibt.5 Da die Veräußerung eines Bruchteils des auf den Sohn entfallenden Mitunternehmeranteils nicht mehr unter § 16 EStG fällt und insoweit der erzielte Gewinn nicht mehr begünstigter Gewinn, sondern laufender Gewinn ist, kann eine etwa bleibende Unsicherheit über die steuerliche Einordnung des Gewinns nicht mehr dadurch beseitigt werden, dass der Sohn vor der Realteilung einen entsprechenden Bruchteil seines Mitunternehmeranteils an seine Schwester für 125 000 Euro veräußert. Dieser Veräußerungsgewinn wäre für Fälle nach 2001 nicht mehr begünstigt, so dass keine größere Sicherheit, sondern u.U. eine Verschlechterung der steuerlichen Behandlung des Spitzenausgleiches eintreten würde.

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In der Beratung sollte geprüft werden, welche Ziele Mutter und Tochter mit der wirtschaftlichen Verwertung der Grundstücke verfolgen. Sollten diese vermietet

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Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 619. BFH v. 1.12.1992 – VIII R 57/90, BStBl. II 1994, 607. BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 17. BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 14 Bsp. BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 14. Stein

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Rz. 161

Unternehmensnachfolge

oder bebaut und vermietet werden, müsste man prüfen, ob die Realteilung mit Entnahme von Einzelwirtschaftsgütern in das Privatvermögen je nach Lage und Absicht der Beteiligten wegen des Aufgabegewinns (wenn auch begünstigt) vielleicht vermieden werden soll. Nach Zuteilung des Malerbetriebs an den Sohn könnte dieser nach Zahlung des Spitzenausgleiches aus der Erbengemeinschaft ausscheiden. Die verbleibenden Miterben würden in fortgesetzter Erbengemeinschaft und Mitunternehmerschaft den verbleibenden Teilbetrieb fortführen, vorausgesetzt, dass die wesentlichen Betriebsgrundlagen dieses Teilbetriebs noch vorhanden sind (Auseinandersetzung durch Zuweisung von Teilbetrieben). Es besteht dann die Möglichkeit, das Betriebsvermögen steuerlich neutral aufgrund § 24 UmwStG in eine zuvor gegründete GmbH & Co. KG einzubringen, an der die Tochter zu 3/ 8 und die Mutter zu 5/ 8 als Kommanditisten beteiligt sind. Danach können die Miterben unter Einstellung der gewerblichen Tätigkeit zur angestrebten wirtschaftlichen Verwertung (Bebauung und/oder Vermietung und Verpachtung) im Rahmen der Gesellschaft übergehen. 161

Soweit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft durch Veräußerung bzw. Entnahmen erfolgt, droht eine Verletzung der Behaltensfristen der §§ 13a Abs. und 19a Abs. 5 ErbStG, die allenfalls im Rahmen der Reinveinvestitionsklausel geheilt werden kann.

Beratungshinweis: In der Beratung sollte darauf geachtet werden, dass die Miterben die alte Firma im Handelsregister löschen lassen. Der den Malerbetrieb fortführende Miterbe müsste dann eine neue Firma anmelden. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, die Haftung der Erben für Altverbindlichkeiten der Firma des Erblassers auf den Nachlass zu beschränken. Die verbleibenden Miterben könnten die Löschung der alten Firma beantragen, spätestens zugleich mit der Eintragung der neu zu firmierenden GmbH & Co. KG. cc) Auseinandersetzung über Mischnachlass (1) Auseinandersetzung durch Realteilung ohne Abfindungszahlung

Beratungssituation: E hat, da seine Ehefrau bereits vorverstorben war, in seinem Testament seine beiden Kinder T und L zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. Als er verstirbt, gehören zum Nachlass ein Malerbetrieb mit einem Verkehrswert von 5 Millionen Euro (Buchwert: 500 000 Euro), Kapitalanlagen in Höhe von 1 Million Euro im Privatvermögen und Grundbesitz außerhalb des Betriebsvermögens mit einem Verkehrswert von 5 Millionen Euro. T möchte den Betrieb fortsetzen, L dagegen nicht. Es soll eine möglichst steuerneutrale Auseinandersetzung durchgeführt werden. 162

Ist wie im Ausgangsbeispiel sowohl Betriebsvermögen als auch Privatvermögen im Nachlass vorhanden, räumt die Finanzverwaltung eine steuerneutrale Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bei Realteilung ein, wenn diese so erfolgen kann, dass eine Abfindung nicht gezahlt werden muss1. T und L könnten sich im Ausgangsbeispiel im Wege der Gesamtauseinandersetzung dahingehend einigen, dass T den Betrieb und 500 000 Euro der Kapitalanlagen bekommt, L die Grundstücke und Kapitalanlagen in Höhe von 500 000 Euro. L würde danach sei1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 32. 700

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nen Mitunternehmeranteil aufgeben, sodass dieser dem T anwächst. T hätte so unentgeltlich erworben und müsste zwingend die Buchwerte fortführen. Es ist im vorliegenden Fall jedoch auch denkbar, dass die Erben nur eine gegenständliche Teilauseinandersetzung durchführen und T bei Übernahme des Betriebs unter Minderung seines Anteils am Restvermögen der Erbengemeinschaft an dieser beteiligt bleibt. Das wird u.U. dann zweckmäßig sein, wenn der Restnachlass nur aus Grundstücken besteht, die eine vernünftige Teilung nicht zulassen oder die Veräußerung eines Grundstücks zum Zwecke der wertmäßigen Teilung erfolgen müsste und die Spekulationsfrist von zehn Jahren gem. § 23 EStG Abs. 1 Nr. 1 unter Einrechnung der Vorbesitzzeit des Erblassers noch nicht abgelaufen ist.

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Übernimmt im Übrigen ein Erbe im Rahmen der Realteilung ohne Ausgleichszahlung Grundstücke, erwirbt er diese unentgeltlich und muss zwingend die Buchwerte fortführen1. Das Gleiche gilt naturgemäß für die Resterbengemeinschaft, wenn zuvor eine gegenständliche Teilauseinandersetzung ohne Abfindung stattgefunden hat.

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(2) Auseinandersetzung durch Realteilung mit Ausgleichszahlung

Beratungssituation: E hinterlässt seine Kinder T und L und hat diese zu gleichen Teilen zu Erben eingesetzt. Zum Nachlass gehören eine Sanitärfirma mit einem Verkehrswert von 1 Million Euro (Buchwert 250 000 Euro) und das Wohngrundstück mit einem Verkehrswert von 500 000 Euro. T möchte den Betrieb fortsetzen, L nicht. Im vorliegenden Fall ist, wenn L seine Mitunternehmerschaft an T veräußert, eine steuerneutrale Auseinandersetzung nicht möglich. Selbst wenn L das Wohngrundstück übernimmt, bliebe T zu einer Ausgleichszahlung von 250 000 Euro an L verpflichtet. L erzielt insofern aus der Veräußerung seiner Mitunternehmerschaft einen Erlös von 250 000 Euro. Der in dem Erlös steckende Veräußerungsgewinn ist allerdings nicht tarifbegünstigt2. T hat Anschaffungskosten. Er erwirbt 3/4 des Betriebs unentgeltlich und 1/4 entgeltlich. Für den unentgeltlichen Teil führt er die Buchwerte fort. Für den entgeltlichen Teil stockt er die Buchwerte auf, und zwar mit den Anschaffungskosten, die sich aus der Differenz zwischen Abfindungszahlung und Bruchteil des erworbenen Buchwertes ergeben. Für L errechnet sich der Veräußerungsgewinn aus der Differenz zwischen Abfindungszahlung und Bruchteil des Buchwertes, der an T übertragen wurde. Die Berechnung wird wie folgt durchgeführt: Gesamtnachlass: Davon: L T L erhält:

1,5 Millionen Euro 750 000 750 000 500 000 250 000 750 000

Euro Euro Euro Grundstück Euro Abfindung für Betrieb Euro

1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 32. 2 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 36, Beispiel 18. Stein

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T erhält: zahlt

Unternehmensnachfolge 1 000 000 Euro Betrieb ./. 250 000 Euro Abfindung 750 000 Euro

Die Abfindungszahlung betrifft nach Übertragung des Grundstücks 500 000 Euro an L noch 1/4 des Betriebsvermögens, dessen Buchwert 62 500 Euro ausmacht (1/4 von 250 000 Euro). Demgemäß hat L einen Veräußerungsgewinn von 250 000 Euro ./. 62 500 Euro = 187 500 Euro: T hat Anschaffungskosten von 187 500 Euro (nämlich ebenfalls 250 000 Euro Zahlung abzüglich des dafür übernommenen 1/4 des Buchwertes). L führt hinsichtlich des Grundstücks die bisherigen Buchwerte fort. (3) Auseinandersetzung durch Realteilung unter Einbeziehung von Verbindlichkeiten

Beratungssituation: E hinterlässt seine Ehefrau und einen Sohn ohne letztwillige Verfügung. Zum Nachlass gehören ein Elektrofachhandelsgeschäft mit einem Verkehrswert von 1 Million Euro und ein Privatgrundstück mit einem Verkehrswert von 800 000 Euro. Hinsichtlich des Grundstücks besteht noch eine Darlehensverbindlichkeit von 400 000 Euro. Mutter und Sohn wollen die Erbengemeinschaft auseinandersetzen. Der Sohn soll das Geschäft erhalten und die Mutter das Grundstück. 166

Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass zum Nachlass gehörende Verbindlichkeiten im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zum Ausgleich eingesetzt werden können1. Schulden im Nachlass können insofern zur Manövriermasse bei der steuerlich neutralen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft werden.

167

Im Ausgangsbeispiel könnte die Mutter ihren Mitunternehmeranteil am Geschäft aufgeben, so dass das Betriebsvermögen dem Sohn anwächst. Der Sohn überlässt der Mutter das Grundstück und übernimmt von den Darlehensverbindlichkeiten 300 000 Euro. Danach verbleiben dem Sohn an realen Werten 700 000 Euro (1 Million Euro ./. 300 000 Euro) und der Mutter 700 000 Euro (800 000 Euro ./. 100 000 Euro Restschuld). Der Sohn übernimmt den Betrieb zu Buchwerten und muss diese zwingend fortführen. Die Zuordnung der durch den Sohn übernommenen Verbindlichkeiten hängt davon ab, mit welcher Vermögensart diese im Zusammenhang stehen. Im ungeteilten Nachlass war die Verbindlichkeit Teil des Privatvermögens. Aufgrund der Übernahme der Verbindlichkeiten durch den Sohn im Zusammenhang mit der Zuteilung des Betriebs wird die Verbindlichkeit in Höhe der übernommenen Quote (also 300 000 Euro) Betriebsschuld, so dass die Schuldzinsen als Betriebsausgaben abgesetzt werden können.

168

Dieser „Umwandlungsvorgang“ wirkt allerdings auch in umgekehrter Richtung, so dass aus einer Betriebsschuld eine Privatschuld werden kann. Das wird deutlich, wenn das Ausgangsbeispiel wie folgt wertmäßig abgewandelt wird: Betriebsvermögen Davon: Betriebliche Verbindlichkeit aus Investitionskredit Grundstück im Privatvermögen schuldenfrei 1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 34. 702

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Stein

1 000 000 Euro 300 000 Euro 1 100 000 Euro

Unternehmensnachfolge

Rz. 170

B XI

Angenommen, auch bei dieser Konstellation soll der Sohn den Betrieb übernehmen, ergäbe sich folgende Auseinandersetzungsrechnung: Mutter übernimmt: Grundstück im Privatvermögen ./. Teil der betrieblichen Verbindlichkeit Sohn übernimmt: Betrieb + Verminderung betriebliche Verbindlichkeit

1 100 000 Euro 50 000 Euro 1 050 000 Euro 1 000 000 Euro 50 000 Euro 900 000 Euro

Die steuerlichen Ergebnisse entsprechen denen im Ausgangsbeispiel (Buchwertfortführung des Sohnes), allerdings verwandelt sich die betriebliche Verbindlichkeit, soweit sie von der Mutter übernommen wird, in eine Privatschuld.

Beratungshinweis: In der Beratung wäre bei einer solchen Konstellation zu prüfen, ob dieses Ergebnis zweckmäßig ist. Als Gestaltungsalternative wäre zu empfehlen, dass die Erbengemeinschaft nur eine gegenständliche Teilauseinandersetzung vornimmt. Dem Sohn könnte in diesem Falle der Betrieb zugeteilt werden (Übergang erfolgt zu Buchwerten) unter gleichzeitiger Minderung seines Anteils an der Erbengemeinschaft. Die Verbindlichkeiten bleiben dann Teil des Betriebsvermögens. Alternativ kann die Mutter das Grundstück vermieten. Die Schuldübernahme wäre dann durch die Vermietung veranlasst, die Zinsen könnten als Werbungskosten geltend gemacht werden. Für die Verwendung von Nachlassverbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft spielt es keine Rolle, ob die Verbindlichkeiten noch durch den Erblasser begründet werden oder ob diese erst nach dem Erbfall im Zusammenhang mit der Verwaltung des Nachlasses entstanden sind. Allerdings geht die Finanzverwaltung davon aus, dass ein Missbrauchs-Tatbestand gem. § 42 AO vorliegt, wenn die Erbengemeinschaft in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Auseinandersetzung Verbindlichkeiten begründet, um eine steuerlich neutrale Auseinandersetzung zu ermöglichen1. Die Auseinandersetzung unter Verwendung von Nachlassverbindlichkeiten, die zeitnah im Verlaufe der Verwaltung des Nachlasses durch die Erbengemeinschaft begründet werden, hängt demgemäß davon ab, ob die Notwendigkeit für die Aufnahme von Darlehensmitteln überzeugend nachgewiesen werden kann.

169

dd) Erbfallschulden, insbesondere Vermächtnis und Vorausvermächtnis (1) Sachvermächtnis Ist der Erbe oder die Erbengemeinschaft verpflichtet, aufgrund eines Vermächtnisses einen Vermögensgegenstand an einen Dritten herauszugeben (Sachvermächtnis), so erwirbt dieser unentgeltlich. Beim Erben bzw. der Erbengemeinschaft können sich jedoch erhebliche steuerliche Auswirkungen ergeben, wenn Gegenstand des Vermächtnisses ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens ist. 1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 33. Stein

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703

170

B XI

Rz. 171

Unternehmensnachfolge

Beratungssituation: E hat seinen einzigen Sohn D zum Alleinerben eingesetzt. Gegenstand des Nachlasses ist auch ein Betrieb. Seinem Enkel F hat er als Vermächtnis einen Pkw vermacht, der Gegenstand des Betriebsvermögens ist. 171

Der Erbe D hat im vorliegenden Falle ein Sachvermächtnis durch Herausgabe des Pkw zu erfüllen. Zu diesem Zweck muss er das Fahrzeug dem Betriebsvermögen entnehmen und erzielt dabei einen nicht begünstigten Entnahmegewinn (laufender Gewinn). Der Enkel F erwirbt das Fahrzeug unentgeltlich. Das gilt auch dann, wenn das im Wege eines Sachvermächtnisses zugewandte Wirtschaftsgut wieder einem Betriebsvermögen zugeführt wird1.

Beratungssituation: E hat seinen einzigen Sohn D zum Alleinerben eingesetzt. Gegenstand des Nachlasses ist auch ein Betrieb. Auf einem betrieblichen Teilgrundstück betreibt der Enkel F eine Autowerkstatt. E hinterlässt dieses Teilgrundstück als Vermächtnis seinem Enkel F. 172

Im vorstehenden Beispiel müsste der Sohn D unter Erzielung eines Entnahmegewinns das Grundstück entnehmen, um es auf F zu übertragen. Obwohl F das Grundstück in sein Betriebsvermögen überführt, ist die Entnahme zu Buchwerten nicht möglich. Der Vermächtnisnehmer erwirbt auch in diesem Falle unentgeltlich und hat keine Anschaffungskosten. Er führt allerdings den Entnahmewert weiter. Anders ist die Rechtslage, wenn Gegenstand des Vermächtnisses ein ganzer Betrieb oder Teilbetrieb ist.

173

Bei einem Vorausvermächtnis, dessen Gegenstand ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens ist, kann das Wirtschaftsgut zu Buchwerten entnommen und unentgeltlich auf den Vermächtnisnehmer übertragen werden, wenn es der Vermächtnisnehmer in ein anderes Betriebsvermögen einlegt2. Der Vorausvermächtnisnehmer wird mit Eintritt des Erbfalls Mitunternehmer des Betriebsvermögens, so dass auf die Entnahme des Wirtschaftsgutes § 6 Abs. 5 EStG Anwendung findet.

Beratungssituation: E hat seine Söhne B und C jeweils zur Hälfte zu Erben eingesetzt. Zum Nachlass gehört ein Autohaus. Auf einem betrieblichen Teilgrundstück hatte B bereits vor dem Erbfall eine eigene Autovermietung betrieben. Herr E ordnet im Wege des Vorausvermächtnisses an, dass dem B das von ihm genutzte Teilgrundstück zufallen soll. Im Ergebnis der jetzigen Rechtslage entnimmt die Erbengemeinschaft das Grundstück zum Buchwert. Der Vermächtnisnehmer führt in seinem Betriebsvermögen die Buchwerte zwingend fort. Er erwirbt unentgeltlich und hat demgemäß keine Anschaffungskosten. 174

Ist ein ganzer Betrieb oder ein Teilbetrieb Gegenstand eines Vermächtnisses oder Vorausvermächtnisses, muss dieser zu Buchwerten dem Nachlass entnommen und auf den Vermächtnisnehmer übertragen werden, der im Übrigen unentgeltlich erwirbt und zwingend die Buchwerte fortführt. Abweichend von der Übertra1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 60. 2 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 65. 704

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 180

B XI

gung eines Einzelwirtschaftsgutes werden Vermächtnis und Vorausvermächtnis in diesem Falle steuerlich gleichbehandelt1. Die Übertragung erfolgt steuerlich neutral sowohl auf Seiten des Erben bzw. der Erbengemeinschaft. Allerdings sind nach Auffassung der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung der Erbengemeinschaft die Einkünfte aus dem Betrieb bis zur Übertragung zuzurechnen, da der Vermächtnisnehmer nicht originär vom Erblasser und damit auch nicht mit Eintritt des Erbfalles, sondern aufgrund eines schuldrechtlichen Herausgabeanspruchs von den Erben zum Zeitpunkt der Übertragung erwirbt. Etwas anderes soll nur gelten, wenn dem Vermächtnisnehmer bereits ab Erbfall die Sachherrschaft bzw. wirtschaftliches Eigentum zustand2.

175

Eine weit verbreitete Gegenmeinung geht davon aus, dass dem Vermächtnisnehmer die betrieblichen Einkünfte schon ab Erbfall zustehen (unter Berufung auf § 2184 BGB)3. Die Rechtsprechung ist dieser Auffassung bisher nicht gefolgt.

176

(2) Geldvermächtnis, Pflichtteilsansprüche Sind die Erben mit der Verpflichtung beschwert, als Vermächtnis Dritten (oder auch einem Vorausvermächtnisnehmer) bestimmte Geldzahlungen zu leisten, handelt es sich immer um Privatschulden, auch wenn die Mittel dem Betriebsvermögen entnommen werden4. Demgemäß ist ein zur Tilgung der Vermächtnisverpflichtung aufgenommener Kredit keine Betriebsschuld und die Zinsen sind betrieblich nicht abzugsfähig. Allerdings ist ein Kredit dann Betriebsmittel, wenn das Vermächtnis aus liquiden Mitteln des Betriebs erfüllt wurde und der Kredit zur Deckung der betrieblichen Aufwendungen aufgenommen wurde (Grenze jedoch § 4 Abs. 4a EStG).

177

Die vorstehende Rechtslage gilt auch für die Erfüllung anderer Erbfallschulden (Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen, Gleichstellungsgelder, Erbersatzansprüchen).

178

Ein Rentenvermächtnis hat beim Erben die gleiche Folge wie ein Geldvermächtnis, d.h. es führt nicht zu Anschaffungskosten des Erben, ein etwaiger Zins- oder Ertragsanteil ist nicht als Betriebsausgabe abzugsfähig, auch nicht als Sonderausgabe. Etwas anderes gilt nur bei Versorgungsleistungen, wenn diese dem überlebenden Ehegatten oder einem erbberechtigten Abkömmling gewährt werden; diese Versorgungsleistung ist beim Belasteten als Sonderausgabe abzugsfähig (dauernde Last) und führt zur Ertragsteuerpflicht des Begünstigten5. Diese Rechtslage gilt auch, wenn ein Vermächtnisnehmer mit Leistungen der vorstehenden Art belastet wird (Untervermächtnis).

179

(3) Vermächtnis an Rechten und von Beteiligungen Möglich ist auch die Bestellung eines Nießbrauches im Wege des Vermächtnisses. 1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 68. 2 BFH v. 24.9.1991 – VIII R 349/83, BFHE 166, 124; dazu Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 28. 3 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 28 m.w.N. 4 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 593 m.w.N. 5 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 600. Stein

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705

180

B XI

Rz. 181

Unternehmensnachfolge

Beratungssituation: Der Erblasser hinterlässt seinem Sohn im Wege des Vorausvermächtnisses den zum Nachlass gehörenden Betrieb und beschwert ihn mit einem Nießbrauch am Betriebsgrundstück zugunsten der Ehefrau des Erblassers (Untervermächtnis). 181

Das Untervermächtnis stellt einen Zuwendungsnießbrauch an einem Einzelwirtschaftsgut dar. Die Nießbrauchsbestellung führt zumindest bei Grundstücken (anders u.U. bei kurzlebigen Anlagegütern1) nicht zur Entnahme2. Entnommen werden die laufenden Nutzungen3. Überlässt der Nießbraucher das Grundstück weiter dem Betrieb zur Nutzung und werden dafür Zahlungen geleistet, sind diese Zahlungen nicht als Betriebsausgaben abziehbar, soweit sie den zu entnehmenden Nutzungen entsprechen oder niedriger sind.

182

Ist der Erbe eines Betriebs mit einem Vermächtnis beschwert, das ihn verpflichtet, einem Dritten einen Nießbrauch am Unternehmen einzuräumen, entsteht ein der Unternehmensverpachtung entsprechendes Verhältnis. Der Nießbraucher wird Unternehmer und erzielt demgemäß Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit, allerdings bleibt die AfA-Berechtigung für die überlassenen Anlagegüter beim Nießbrauchbesteller. Bei diesem wird der Betrieb wie ein ruhender Betrieb behandelt. Er bleibt AfA-berechtigt, kann aber bei unentgeltlicher Überlassung mangels Einkünften Verluste, die durch die Abschreibungen entstanden sind, nicht geltend machen4. Dem Nießbrauchsbesteller bleibt allerdings wie dem Unternehmensverpächter das Wahlrecht zur Betriebsaufgabe.

Beratungshinweis: In der Beratung sollte berücksichtigt werden, dass die Verwendung des Nießbrauchs zur Versorgung oder Gleichstellung anderer Erben als dem Unternehmensnachfolger nach den dargelegten steuerlichen Konsequenzen wenig zweckmäßig ist. Das gilt im Übrigen auch für den sog. Ertragsnießbrauch am Unternehmen (sei es quotal, sei es vollständig), bei dem der gesamte Gewinn dem Erben als Betriebsinhaber zugerechnet wird, der jedoch die Auskehrung der Gewinne bei Unentgeltlichkeit des Nießbrauches nicht als Betriebsausgabe abziehen kann, als Sonderausgaben allenfalls, soweit die Voraussetzungen für eine Versorgungsleistung vorliegen. 183

Soll – wie im Ausgangsbeispiel – der Sohn Unternehmensnachfolger werden, die Ehefrau (oder auch andere Abkömmlinge) jedoch an den Erträgnissen zu ihrer finanziellen Sicherstellung beteiligt werden, ist neben einer Versorgungsleistung als dauernde Last, sofern die Voraussetzungen vorliegen, an die vermächtnisweise Zuweisung einer stillen Beteiligung zu denken. Der Erblasser sollte im Vorfeld bei der Errichtung des Testaments prüfen oder prüfen lassen, ob eine typische stille Beteiligung oder eine atypische Beteiligung zweckmäßig ist, und dementsprechend Anordnungen im Testament treffen.

184

Eine atypische stille Gesellschaft liegt nur vor, wenn die Voraussetzungen für die Mitunternehmerstellung des still Beteiligten erfüllt sind (Beteiligung am Ge1 Sudhoff/von Sothen, S. 800. 2 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241. Nicht ganz unumstritten, vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 5 Rz. 653, 655 m. entsprechenden Nachweisen. 3 Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 5 Rz. 655. 4 Paus, BB 1990, 1675 (1676). 706

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 189

B XI

winn und Verlust, Beteiligung an den stillen Reserven, Vorhandensein von Mitunternehmerinitiative in Gestalt bestehender Mitwirkungsrechte bei der Geschäftsführung, wobei Mitwirkungsrechte im Umfang der einem Kommanditisten zustehenden Rechte ausreichen)1. Liegt eine atypische stille Gesellschaft vor, ist der still Beteiligte am Gewinn und Verlust wie ein Mitunternehmer beteiligt. Er erzielt gewerbliche Einkünfte. Gewinne und Verluste werden durch eine einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung ermittelt. Liegen bei einer Kapitalanlage in das Unternehmen die vorstehenden Voraussetzungen nicht vor, ist der Beteiligte jedoch entsprechend seiner Einlage am Gewinn (u.U. am Verlust) beteiligt und sind weitere Indizien vorhanden (Beispiele: Entnahme-, Kontroll- und Informationsrechte), ist (in Abgrenzung zum partiarischen Darlehen) eine typische stille Gesellschaft gegeben2.

185

Der still Beteiligte erzielt hinsichtlich seiner Gewinne Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 EStG (mit Freigrenze, im Übrigen Einbehaltung von 25 % des Gewinnanteils als Kapitalertragsteuer). Für den Betrieb stellen diese dem still Beteiligten zufließenden Gewinne abzugsfähige Betriebsausgaben dar, da die Einlage bei einer typischen stillen Gesellschaft als Fremdkapital angesehen wird.

186

Wird die Kapitalbeteiligung – wie beim Vermächtnis – unentgeltlich erworben, sieht die Rechtsprechung eine Gewinnbeteiligung von 15 % des gemeinen Wertes (d.h. hier Nennkapital) als Höchstgrenze an, in besonderen Fällen (z.B. Beschränkung der Verlustbeteiligung) soll eine Kürzung auf 12 % eintreten3.

187

Der Erblasser muss bei der Anordnung des Vermächtnisses mindestens den Kapitalumfang der stillen Beteiligung bestimmen. Weitere Bestimmungen sind zweckmäßig, können aber notfalls in der Ausgestaltung den Beteiligten überlassen werden. Hat der Erblasser keine Festlegungen darüber getroffen, ob es sich um eine typische oder atypische Beteiligung handelt, und können sich die beteiligten Miterben nicht einigen, würde im Zweifel eine typische stille Beteiligung als vermacht anzunehmen sein.

188

Der Vermächtnisnehmer erwirbt die stille Beteiligung vom Erben unentgeltlich; auf Seiten des Betriebsinhabers ergeben sich keine Anschaffungskosten. Das gleiche Ergebnis tritt ein, wenn dem Miterben der Betrieb im Wege des Vorausvermächtnisses zugefallen ist und er nunmehr verpflichtet ist, einem anderen Miterben (im Ausgangsbeispiel der Mutter) eine stille Beteiligung am Unternehmen einzuräumen. Es handelt sich dann um ein Untervermächtnis, für das die gleichen ertragsteuerrechtlichen Regeln gelten wie für das Vermächtnis.

189

Beratungshinweis: Wird das Betriebsvermögen einem Miterben im Wege des Vorausvermächtnisses zugewandt, erhält der Vorausvermächnisnehmer den Verschonungsabschlag (85 %/100 %) bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen4.

1 2 3 4

Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 341. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 20 Rz. 91. Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 776, 782 m.w.N. R E 13. b Abs. 1 S. 4 Nr. 1 ErbStG. Stein

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707

B XI

Rz. 190

Unternehmensnachfolge

3. Gesichtspunkte für die Erbeinsetzung 190

Hat der Erblasser sich nicht entschließen können, zu Lebzeiten Maßnahmen für die Nachfolge in Bezug auf sein Einzelunternehmen zu treffen, ist er auf die Gestaltung der Nachfolge durch letztwillige Verfügung angewiesen. Erbrecht und Steuerrecht setzen Grenzen für eine wirtschaftlich und steuerlich sinnvolle Nachfolgeregelung.

191

Gehört zu einem Nachlass ein Einzelunternehmen und setzt der Erblasser mehrere Erben ein, ohne Vorkehrungen für den Übergang des Unternehmens auf einzelne Erben zu treffen, entsteht steuerlich unvermeidlich eine Mitunternehmerschaft.

192

Verbindet der Erblasser die letztwillige Verfügung mit einer Teilungsanordnung, kann er auf diese Weise zwar sicherstellen, dass ein bestimmter Miterbe, den er als Nachfolger ausersehen hat, nachfolgt. Die ertragsteuerlichen Probleme der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bleiben jedoch bestehen, da nach Auffassung der Finanzverwaltung auch bei einer Teilungsanordnung davon auszugehen ist, dass der Gesamtnachlass zunächst auf die Erbengemeinschaft als Ganzes übergeht, um dann in Vollziehung der Teilungsanordnung auseinander gesetzt zu werden. Der einzelne Erbe folgt insofern hinsichtlich des ihm durch Teilungsanordnung zugedachten Vermögensgegenstandes erst infolge der Erbauseinandersetzung nach. Das gilt auch für das Betriebsvermögen.

Beratungssituation: Der Erblasser hinterlässt 2012 seine Ehefrau und die Kinder A und B. Zum Vermögen gehören ein Unternehmen mit einem Wert von 1 Million Euro sowie Grundstücke im Wert von 1,5 Millionen Euro und Kapitalanlagen (im Privatvermögen) von 2 Millionen Euro. Der Erblasser hat die Erben zu jeweils einem Drittel des Nachlasses eingesetzt und angeordnet, dass dem Sohn Anton das Unternehmen sowie ein Anteil am Kapitalvermögen zufallen sollen, soweit der Unternehmenswert geringer ist, als das ihm zugedachte Drittel am Nachlass (bedingte Zuweisung eines Vermögenswertes im Rahmen der Teilungsanordnung). Die Ehefrau soll die Grundstücke sowie ebenfalls unter der Bedingung, dass deren Wert geringer ist als ein Drittel des Nachlasses, einen entsprechenden Anteil am Kapitalvermögen erhalten. Der Tochter soll das Kapitalvermögen abzüglich der als Ausgleich abzugebenden Anteile zufallen. gem. 193

Im vorliegenden Beispiel vollzieht sich die Auseinandersetzung wie bei einem Mischnachlass. Da der Wert des Betriebsvermögens geringer ist als der wertmäßige Anteil des Sohnes Anton am Gesamtnachlass (dieser beträgt im Beispiel 1,5 Millionen Euro), kann die Teilungsanordnung steuerlich neutral dadurch vollzogen werden, dass dem Sohn Anton das Unternehmen ohne Abfindungszahlungen an die übrigen Miterben zugeteilt wird. Die Ehefrau erhält die Grundstücke, deren Wert ihrem Nachlassanteil von 1,5 Millionen Euro entsprechen, und die Tochter Berta hat ihrem Bruder von den im Privatvermögen befindlichen Kapitalanlagen einen Anteil von 500 000 Euro herauszugeben.

194

Allerdings werden die Wertverhältnisse zwischen Privatvermögen und Betriebsvermögen häufig dem Ausgangsbeispiel entgegengesetzt sein, so dass die größere Masse im Betriebsvermögen liegt. Dieser Fall würde eintreten, wenn das Ausgangsbeispiel wie folgt abgewandelt wird: 708

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Stein

Unternehmensnachfolge Betriebsvermögen Grundstücke Kapitalanlagen

Rz. 197

B XI

= 2 Millionen Euro = 1,5 Millionen Euro = 1 Million Euro.

In diesem Falle würde im Rahmen der Erbauseinandersetzung und in Vollzug der Teilungsanordnung dem Sohn zwar der Betrieb zuzuteilen sein, seine Schwester hätte jedoch wegen der Aufgabe ihres Mitunternehmeranteils am Betriebsvermögen einen Abfindungsanspruch in Höhe von 500 000 Euro, der auch nicht als außerordentlicher Gewinn gem. §§ 16, 34 EStG begünstigt ist. Sohn A hat Anschaffungskosten und müsste die Buchwerte des Betriebs dementsprechend aufstocken. Die Auseinandersetzung mit der Mutter kann sich steuerlich neutral vollziehen, da ihr mit den Grundstücken ein Vermögenswert zufällt, der dem Wert ihres Erbanteils entspricht (Realteilung bei Auseinandersetzung eines Mischnachlasses). Die Anwendung des Instruments der Teilungsanordnung bei Vorhandensein von Betriebsvermögen wird auf diese Weise zum ertragsteuerlichen Lotteriespiel. Das umso mehr, als das Wertveränderungsrisiko bei dieser Vermögensart am größten ist und der Erblasser bei Errichtung seines Testaments nicht in der Lage ist, diese Veränderungen vorauszusehen. Im Übrigen liegt in dieser Unsicherheit nicht nur ein ertragsteuerliches, sondern auch ein unternehmerisches Risiko, wenn nämlich der Betriebsnachfolger aufgrund großer Wertunterschiede in den zugeteilten Vermögenswerten gezwungen ist, das Unternehmen mit erheblichen Abfindungszahlungen zu belasten.

195

Um den Zufall bei der Teilungsanordnung insbesondere dann auszuschalten, wenn Betriebsvermögen zum Nachlass gehört, hat der Erblasser die Möglichkeit, durch Aussetzung von Vorausvermächtnissen Spitzen auszugleichen.

196

Beratungssituation: Im Ausgangsbeispiel beträgt das Betriebsvermögen 2 Millionen Euro; die Grundstücke haben einen Wert von 1,25 Millionen Euro; an Kapitalanlagen sind 1,25 Millionen Euro vorhanden. Der Erblasser hat seine Ehefrau, seinen Sohn A und seine Tochter B mit je 1/ 3 zu Erben eingesetzt. Ferner hat er im Wege der Teilungsanordnung verfügt, dass sein Sohn das Betriebsvermögen (nebst betrieblichem Freibetrag der Erbschaftsteuer), seine Ehefrau die Grundstücke und die Tochter die Kapitalanlagen erhalten soll. Für den Fall, dass das Betriebsvermögen den Wert des Erbanteils des Sohnes überschreitet, hat er bestimmt, dass dem Sohn dieser Teil als Vorausvermächtnis zufallen soll. Bei Eintritt des Erbfalles entsteht auch in diesem Falle eine Mitunternehmerschaft am Betriebsvermögen. Die durch Teilungsanordnung bestimmte Auseinandersetzung vollzieht sich hinsichtlich des Privatvermögens ohne Schwierigkeiten durch Zuteilung der Grundstücke bzw. der Kapitalanlagen an die Ehefrau und die Tochter. Der Sohn erhält das Betriebsvermögen, das ihm aber nicht vollständig nach den Grundsätzen der Realteilung zufällt, da den übrigen Miterben ein Abfindunganspruch als Ausgleich für den höheren Wert des Betriebsvermögens zusteht. Da dieser höhere Wert jedoch dem Sohn als Vorausvermächtnis zugewandt wurde, hat er einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die übrigen Miterben, dass diese auf ihren Ausgleichsanspruch verzichten. Dieser Wertanteil fällt dem Sohn zu, der insoweit unentgeltlich das Betriebsvermögen erwirbt. Anschaffungskosten fallen bei ihm nicht an. Erbschaftsteuerrechtlich Stein

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709

197

B XI

Rz. 198

Unternehmensnachfolge

vermindert sich der steuerbare Erwerb um den Wertverlust, der sich für die betroffenen Miterben aus dem Vorausvermächtnis ergibt. 198

Der Erblasser ist bei einer Teilungsanordnung durch die Korrekturmöglichkeiten, die sich aus Vorausvermächtnissen ergeben können, in der Lage, ein zweckmäßiges ertragsteuerrechtliches und auch betriebswirtschaftliches Ergebnis hinsichtlich des Betriebsvermögens zu erreichen. Allerdings kann diese Lösung bei den zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht voraussehbaren Wertverschiebungen zwischen den vorhandenen Vermögenswerten zu unerwünschten Benachteiligungen der Erben, denen das Betriebsvermögen nicht zufällt, führen. Der Erblasser könnte dem vorbeugen, indem er das Vorausvermächtnis zugunsten des Betriebsnachfolgers wertmäßig begrenzt, beispielsweise durch folgende Formulierung:

M 127 Begrenzung des Vorausvermächtnisses Mein Sohn Anton soll mein Unternehmen X erhalten. Übersteigt der Wert des Betriebsvermögens den wertmäßigen Anteil meines Sohnes Anton am Gesamtnachlass, vermache ich ihm diesen übersteigenden Wert als Vorausvermächtnis, jedoch nur bis zur Höhe von 1/ 5 des Wertes des Gesamtnachlasses. Für den darüber hinausgehenden Wert des ihm zufallenden Betriebsvermögens ist er seinen Miterben gegenüber ausgleichspflichtig. 199

In diesem Falle treten hinsichtlich der Wertdifferenz, die durch das Vorausvermächtnis gesetzt ist, die oben beschriebenen Folgen ein. Die das Vorausvermächtnis übersteigende Wertdifferenz führt zur Abfindungszahlung gegen Aufgabe der Mitunternehmeranteile und damit bei den Empfängern nicht zu einem begünstigten Aufgabegewinn. Der Betriebsnachfolger hat in dieser Höhe Anschaffungskosten.

Beratungshinweis: Der Erblasser sollte insbesondere bei derartigen Gestaltungen, mit denen Vermögenswerte im Wege der Teilungsanordnung zugeordnet werden und die einen steuerlich „empfindlichen“ Vermögenswert (wie einen Betrieb) zum Gegenstand haben, in Betracht ziehen, dass der Schutzmechanismus des § 2306 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB durch die Miterben eingesetzt werden kann, mit der Folge, dass die scheinbar aus allen Gesichtspunkten ausgewogene Nachfolgeregelung erheblich gestört wird. In jedem Falle ist eine komplexe erbvertragliche Regelung vorzuziehen, mit der alle Miterben im Vorfeld des Erbfalles Klarheit über die Nachlassteilung gewinnen und sich ihrerseits verpflichten können, z.B. auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zu verzichten. Überhaupt sollte der Abschluss von Pflichtteilsverzichtsverträgen bei komplexen Gestaltungen, die Verfügungen über Betriebsvermögen treffen, immer in Betracht gezogen werden. 200

Um den Schwierigkeiten der Teilungsanordnung zu entgehen, wird auch eine gegenständliche Erbeinsetzung mit Bestimmung der Erbquoten nach dem Wert der zugewiesenen Vermögensgegenstände empfohlen1. Hiergegen ist allerdings zu Recht vorgebracht worden, dass die Auslegung eines solchen Testaments Un1 Felix, GmbHR 1990, 566; Nieder, Rz. 476. 710

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 203

B XI

sicherheiten verursachen kann, da noch keine Rechtssicherheit für dieses Modell besteht und da es u.U. fraglich ist, ob im Einzelfall eine Vermächtniszuweisung oder eine Teilungsanordnung mit Vermächtniszuweisung beabsichtigt war, abgesehen davon, dass es dem Nachlassgericht überlassen bleibt, die Quoten anhand der gegenständlichen Erbeinsetzung zu errechnen1. Dazu sollte in jedem Falle in die letztwillige Verfügung aufgenommen werden, welche Werte anzusetzen sind, die Werte bei Testamentserrichtung oder bei Erbfall. Bereits die Notwendigkeit dieser Auswahl macht deutlich, dass Wertverschiebungen drohen können, die die gleichen Unsicherheiten hinsichtlich der Erbauseinandersetzung verursachen, wie eine Teilungsanordnung. Natürlich bleibt auch bei der gegenständlichen Erbeinsetzung die Möglichkeit verfügbar, durch Vorausvermächtnisse eingetretene Wertverschiebungen auszugleichen. Um die Entstehung einer Mitunternehmerschaft am Betriebsvermögen des Nachlasses zu vermeiden, wäre es auch möglich, dass der Erblasser den Nachfolger zum Alleinerben einsetzt und diesen mit Vermächtnissen zugunsten der übrigen durch den Erblasser zu bedenkenden Personen beschwert. Diese Lösung kann dann zu ertragsteuerlichen Problemen führen, wenn das Privatvermögen des Nachlasses nicht ausreicht, um die Vermächtnisschulden zu erfüllen. Die steuerliche Last bzw. Nachteile liegen dann ausschließlich beim Alleinerben. Muss der Alleinerbe ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens an den Vermächtnisnehmer herausgeben, erzielt er einen nicht begünstigten Entnahmegewinn. Das gilt selbst dann, wenn der Vermächtnisnehmer das Wirtschaftsgut in ein anderes Betriebsvermögen einlegt. Die Begünstigung zur steuerneutralen Entnahme des Wirtschaftsgutes nach § 6 Abs. 5 EStG wird nur bei einem Vorausvermächtnis wirksam. Erfüllt der Alleinerbe das Vermächtnis mit liquiden Mitteln des Unternehmens, entnimmt er diese zur Erfüllung einer Privatschuld. Sofern der Alleinerbe Verbindlichkeiten begründet, um die Vermächtnisschulden zu erfüllen, sind die Zinsen nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig.

201

Eine Nachlassgestaltung, die in so erheblichem Umfange auf Vermächtnissen aufbaut, ist außerdem durch das Recht der Pflichtteilsberechtigten zur Vermächtnisausschlagung gem. § 2307 BGB mit Unsicherheiten behaftet, auch in zeitlicher Hinsicht wegen der fehlenden Ausschlagungsfrist. Allerdings kann der Alleinerbe gem. § 2307 Abs. 2 BGB dem Vermächtnisnehmer eine Frist setzen. Auch der Erblasser selbst kann durch Verwirkungsklausel im Testament (entweder Verwirkung des Vermächtnisses oder der Ausschlagung) Fristen für die Ausübung des Ausschlagungsrechts gem. § 2307 BGB bestimmen. Die Pflichtteilslast des Alleinerben, die mit der Ausschlagung entsteht, verursacht jedoch die gleichen steuerlichen Probleme wie das Vermächtnis selbst, sofern das Betriebsvermögen für die Erfüllung in Anspruch genommen werden muss.

202

Der Erblasser kann jedoch auch die umgekehrte Lösung wählen und bei Erbeinsetzung der übrigen Miterben dem Nachfolger den Betrieb als Vermächtnis zuwenden. Da es sich um einen ganzen Betrieb handelt, erfolgt die Übertragung durch die Erbengemeinschaft nach § 6 Abs. 3 EStG steuerlich neutral, d.h. es wird kein Aufgabe- bzw. Veräußerungsgewinn erzielt. Der Vermächtnisnehmer erwirbt unentgeltlich und muss die Buchwerte fortführen2.

203

1 Sudhoff/Scherer, § 6 Rz. 3, 14. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 27 m.w.N. Stein

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711

B XI

Rz. 204

Unternehmensnachfolge

204

Wird der Nachfolger auch Miterbe, so dass der Betrieb als Vorausvermächtnis auf ihn übergeht, gilt ertragsteuerrechtlich das vorstehend Gesagte. Allerdings ist auch bei dieser Lösung die Gefahr gegeben, dass die übrigen Miterben von ihren Rechten gem. § 2306 BGB Gebrauch machen und dadurch eine Störung in der geplanten Nachfolge eintritt.

205

Die vorstehenden Grundschemata für die Gestaltung der letztwilligen Verfügung können im Einzelfall sicher noch weiter untersetzt, verfeinert oder mit weiteren Details konstruiert werden, jedoch sind die Grenzen der Nachfolgeregelungen für Unternehmen, die ausschließlich auf letztwilligen Verfügungen beruhen, dadurch nicht zu beseitigen. Diese ergeben sich sowohl aus den rechtlichen Regelungen des Erbrechts als auch den Vorgaben des Steuerrechts. Eine sinnvolle Nachfolgeregelung sollte deshalb bereits durch Maßnahmen zu Lebzeiten vorbereitet werden, so dass die letztwillige Verfügung darauf aufbauen und gewissermaßen den Schlusspunkt setzen kann.

III. Personengesellschaft 1. Regelungsgrundsätze für die Nachfolge 206

Für die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts gilt gem. § 727 BGB der gesetzliche Regeltatbestand, dass die Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters aufgelöst wird. Diese gesetzliche Regelfolge kann nur durch eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zur Fortsetzung der Gesellschaft beim Tode eines Gesellschafters ausgeschlossen werden (Fortsetzungsklausel). Sind Bestimmungen über die Nachfolge von Erben nicht getroffen, führt die Fortsetzungsklausel nur zur Fortführung der Gesellschaft zwischen den verbleibenden Gesellschaftern; der verstorbene Gesellschafter scheidet aus der Gesellschaft aus. Falls keine abweichende Bestimmung getroffen wurde, fällt der Abfindungsanspruch des verstorbenen Gesellschafters in den Nachlass.

207

Gem. § 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 HGB führt der Tod eines Gesellschafters der OHG zum Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters und zur Fortführung der Gesellschaft durch die verbleibenden Gesellschafter. Es tritt insofern die Rechtsfolge einer Fortsetzungsklausel kraft Gesetzes ein. Auch in diesem Falle gilt, dass mangels abweichender Bestimmungen der Abfindungsanspruch des verstorbenen Gesellschafters in den Nachlass fällt. Die Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben erfolgt nur, wenn es dafür eine ausdrückliche Regelung gibt.

208

Die Kommanditbeteiligung an einer Gesellschaft ist gem. § 177 HGB kraft Gesetzes vererblich. Die Fortsetzung der Gesellschaft ohne Erben setzt eine gesellschaftsvertragliche Regelung voraus, mit der ein Ausschluss der Nachfolge von Erben vereinbart wird.

209

Die stille Gesellschaft wird im Zweifel beim Tod des Inhabers aufgelöst, nicht jedoch wenn der stille Gesellschafter verstirbt (§ 234 Abs. 2 HGB)1. Dieser Grundsatz wird auf das Verhältnis zwischen Hauptbeteiligten und Unterbeteiligten entsprechend angewandt, so dass die Innengesellschaft beim Tode des Haupt1 Baumbach/Hopt, § 234 Rz. 4. 712

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 213

B XI

beteiligten, nicht jedoch bei Versterben des Unterbeteiligten, aufgelöst wird. Vertragliche Regelungen des Innenverhältnisses der Beteiligten können diese gesetzlichen Rechtsfolgen abwandeln. Eröffnen Nachfolgeklauseln oder die gesetzliche Regelung die Nachfolge, geht bei mehreren Erben der auf den einzelnen Erben nach seiner Erbquote entfallende Anteil im Wege der Sondererbfolge direkt über; der Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters wird insoweit in mehrere selbstständige Anteile geteilt1. Trotz dieser Sondererbfolge gehört der Gesellschaftsanteil nach nunmehr wohl einhelliger Auffassung der Rechtsprechung zum Nachlass2, wobei die unterschiedlichen Lösungsansätze des II. Senats und des IVa. Senats (einerseits Sondererbfolge hinsichtlich der persönlich wirkenden Mitgliedschaftsrechte, wobei die Vermögensrechte wie z.B. Abfindungsguthaben in den Nachlass fallen; andererseits Einheit beider Rechte, die in dieser Einheit zum Nachlass gehören) zu gleichwertigen Lösungen führen3. Maßgebend für diese Rechtsprechung war u.a. die Ordnung des Haftungszugriffs durch Nachlassgläubiger einerseits und Eigengläubiger des Erben andererseits4. Insofern hat diese Entscheidung in erster Linie haftungsrechtliche Folgen. Die wertmäßige Zurechnung des Gesellschaftsanteils zum Nachlass zum Zwecke der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft oder der Wertberechnung für Pflichtteilsansprüche erfolgt – davon unabhängig – ohnehin.

210

Findet eine Nachfolge nicht statt und steht den Erben ein Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft zu, fällt dieser in den Nachlass.

211

Wird die Gesellschaft beim Tode eines Gesellschafters aufgelöst (gesetzliche Folge bei der GbR, vertragliche Folge bei OHG und KG), wird sie Abwicklungsund Liquiditätsgesellschaft. Der Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben des verstorbenen Gesellschafters fällt in den Nachlass. Es ist deshalb konsequent, wenn davon ausgegangen wird, dass die Erbengemeinschaft als Ganzes in die Gesellschaft eintritt5. Der Erbengemeinschaft stehen die Mitwirkungsund Verwaltungsrechte des Erblassers zu, insoweit diese nicht persönlicher Natur waren. Führen die Gesellschafter die Liquidation selbst durch, muss die Erbengemeinschaft gem. § 146 Abs. 1 S. 2 HGB einen gemeinsamen Vertreter bestellen. Dieser Vertreter wird Liquidator, nicht die von ihm vertretenen Erben6.

212

Wird während der Liquidation ein Fortsetzungsbeschluss gefasst, bedarf dieser mangels abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelung der Zustimmung aller Gesellschafter und Erben7. Jedoch dürfen die Erben diese gem. § 424 BGB nicht verweigern und auf Auseinandersetzung bestehen, wenn ihnen eine Abfindung in Höhe der Liquidationsquote gezahlt wird und sie von der Haftung frei-

213

1 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186; vgl. Palandt/Sprau, § 727 Rz. 3. 2 Dazu zusammenfassend BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, NJW 1996, 1284 unter Hinweis auf die Urteile des Erbrechtssenats v. 4.5.1983, NJW 1983, 2376; BGH v. 14.5. 1986 – IVa ZR 155/84, NJW 1986, 2431. 3 Vgl. dazu zusammenfassend: Ulmer, JuS 1986, 856 (860); vgl. Palandt/Weidlich, § 1922 Rz. 19. 4 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, NJW 1986, 2431. 5 BGH v. 20.5.1981 – V ZB 25/79, NJW 1982, 170; Palandt/Weidlich, § 1922 Rz. 15. 6 Baumbach/Hopt, § 146 Rz. 2. 7 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, WM 1987, 116; Baumbach/Hopt, § 131 Rz. 30, 31. Stein

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Rz. 214

Unternehmensnachfolge

gestellt werden1. Sind Minderjährige als Erben oder Gesellschafter beteiligt, so bedarf der Fortsetzungsbeschuss der familiengerichtlichen Genehmigung (§ 1822 Nr. 3 BGB) bzw., sofern die gesetzlichen Vertreter Mitgesellschafter sind, der Bestellung eines Ergänzungspflegers (§§ 181, 1795 Abs. 2, 1629 Abs. 2 BGB). 214

Wird die Gesellschaft aufgrund eines Beschlusses fortgesetzt, wird jeder Miterbe Gesellschafter, und zwar mit einem seiner Erbquote entsprechenden Anteil am Gesellschaftsanteil des Erblassers. Die Erbengemeinschaft in gesamthänderischer Verbundenheit kann nicht Gesellschafter einer werbend tätigen nicht auf Auseinandersetzung gerichteten Gesellschaft sein.

215

Die Gesellschafter haben bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags zwischen folgenden Grundsituationen eine Auswahl zu treffen: – Fortsetzung der Gesellschaft ohne Erben, – Fortsetzung der Gesellschaft mit allen vom Erblasser eingesetzten Erben (einfache Nachfolgeklausel), – Fortsetzung der Gesellschaft nur mit Erben, die im Gesellschaftsvertrag besonders definiert wurden (qualifizierte Nachfolgeklausel), – Eintrittsrecht besonders definierter oder vom Erblasser zu benennender Erben bzw. von dritten Personen, die nicht Erben sind (rechtsgeschäftliche Nachfolge- oder Eintrittsklausel).

Beratungshinweis: Für den Erblasser kommt es darauf an, die letztwillige Verfügung auf die gesellschaftsrechtliche Regelung abzustimmen. Im Grundsatz gilt, dass in die Gesellschaft nur nachfolgen kann, wenn dies durch die gesellschaftsrechtliche Regelung gestattet ist. Der Erblasser muss diesen nachfolgeberechtigten Personen auch den Gesellschaftsanteil zuwenden, ansonsten geht die Nachfolgeberechtigung ins Leere. Das kann insbesondere bei der qualifizierten Nachfolgeklausel dramatische Folgen haben. Im Grundsatz lässt sich feststellen, dass das Gesellschaftsrecht hinsichtlich der Nachfolge im Zweifel immer Vorrang vor dem Erbrecht hat. 2. Die Nachfolgeklauseln im Einzelnen a) Fortsetzung ohne Erben (Fortsetzungsklausel) 216

aa) Soll eine GbR beim Tode eines Gesellschafters fortgesetzt werden, ist eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag erforderlich.

M 128 Fortsetzung einer GbR nach Tod eines Gesellschafters Verstirbt ein Gesellschafter, scheidet dieser aus der Gesellschaft aus. Die Gesellschaft wird ausschließlich zwischen den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt. Der Anteil des verstorbenen Gesellschafters wächst den übrigen Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung an der Gesellschaft an.

1 BGH v. 21.10.1985 – II ZR 57/85, WM 1986, 68. 714

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Unternehmensnachfolge

Rz. 220

B XI

Bei der OHG tritt diese Folge gem. § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB kraft Gesetzes ein. Trotzdem sollte die vorstehende Klausel zur Klarstellung in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden. Auch die Anwachsung des Anteils des verstorbenen Gesellschafters an die übrigen Gesellschafter ist eine Folge, die sich ohne weiteres aus der Gesetzeslage ergibt (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 738 Abs. 1 BGB).

217

Der Klarstellung bedarf in jedem Falle die Situation, wenn bei einer nur noch zweigliedrigen Gesellschaft ein Gesellschafter verstirbt. Unklar ist, ob bei Erlöschen der Gesellschaft generell Gesamtrechtsnachfolge eintritt oder nur, wenn der verbleibende Gesellschafter vom verstorbenen Gesellschafter erbt oder unter Lebenden erwirbt.1 Erwirbt der verbleibende Gesellschafter ohne weiteres als Gesamtschuldner auch dann, wenn er nicht erbt oder erwirbt, führt er als Einzelkaufmann das Unternehmen fort und müsste eine Abfindung an die Erben zahlen. Ist das nicht der Fall, müsste bei Versterben eines Gesellschafters, der nicht durch den verbleibenden Gesellschafter beerbt wird, die Gesellschaft liquidiert werden, da sie aufgehört hat zu bestehen. Die Liquidation wäre mit den Erben durchzuführen.

218

Wäre Liquidation die gesetzliche Folge, könnte diese nur verhindert werden, wenn dem alleinigen verbleibenden Gesellschafter, der nicht Erbe wird, das Recht zur Übernahme des Vermögens der Gesellschaft gesellschaftsvertraglich ausdrücklich eingeräumt wurde, so dass dieser bei Ausübung dieses Rechts ohne weiteres in der Lage ist, das Handelsgeschäft als Einzelkaufmann fortzuführen. Um Klarheit für die Erben zu schaffen, sollte die Ausübung des Übernahmerechts und dessen Befristung vorsorglich geregelt werden. Die im vorstehenden Formulierungsbeispiel genannte Klausel könnte insofern um folgende Formulierung ergänzt werden:

219

M 129 Einräumung des Rechts zur Übernahme des Gesellschaftsvermögens Verbleibt nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters nur noch ein einzelner Gesellschafter, ist dieser berechtigt, das Vermögen der Gesellschaft mit allen Aktiva und Passiva zu übernehmen und das Handelsgeschäft fortzuführen. Die Übernahme setzt eine schriftliche Übernahmeerklärung des verbleibenden Gesellschafters voraus, die den Erben innerhalb von drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt des Todes des verstorbenen Gesellschafters, zugestellt werden muss. Wird innerhalb der vorgenannten Frist eine solche Erklärung nicht abgegeben, tritt Liquidation ein.

Wird bei einer KG für den Fall des Todes eines Kommanditisten die Fortsetzung der Gesellschaft ohne Erben angestrebt, genügt es, wenn die an sich gesetzlich vorgesehene Nachfolge ausgeschlossen wird. Dafür reicht die oben angegebene Fortsetzungsklausel aus. Im Übrigen ist die allgemeine Fortsetzungsklausel auch in verschiedenen Varianten denkbar, so z.B. die Kombination mit einer Nachfolgeklausel dergestalt, dass nur für einzelne Gesellschafter bei ihrem Versterben die Nachfolge von Erben ausgeschlossen sein soll oder die Fortsetzung 1 Baumbach/Hopt, § 131 Rz. 35. Stein

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B XI

Rz. 221

Unternehmensnachfolge

der Gesellschaft überhaupt entfällt, wenn bestimmte Gesellschafter versterben (z.B. wenn diese für den Geschäftszweig der Gesellschaft die entscheidende Tätigkeit entfaltet haben). 221

bb) Sind die Erben des verstorbenen Gesellschafters von der Nachfolge ausgeschlossen, steht ihnen ein Abfindungsanspruch zu (§§ 738 BGB, 740 i.V.m. §§ 105 Abs. 3, 161 HGB). Der Abfindungsanspruch fällt ungeteilt in den Nachlass. Ist eine besondere Regelung nicht getroffen, umfasst der Abfindungsanspruch den Anteil des verstorbenen Gesellschafters am Wert des Gesellschaftsvermögens und zwar den vollen Wert des lebenden Unternehmens (Verkehrswert)1. Stille Reserven (auch ein eventueller Firmenwert) werden demgemäß aufgedeckt.

222

Nach der vom BGH vertretenen Rechtsauffassung sind auch Ansprüche des Gesellschafters, die sich auf laufende geschäftliche Ergebnisse beziehen und die auf dafür eingerichtete Konten (unterschiedlich bezeichnet als Darlehenskonto, variables Kapitalkonto oder laufendes Konto) gesondert erfasst werden (Gewinne, Verluste, Entnahmen, Einlagen), einzubeziehen und können nicht selbstständig geltend gemacht werden, zumindest dann nicht, wenn nicht sicher ist, ob die Gesamtrechnung für den Abfindungsempfänger positive Ergebnisse erbringt2. Das soll auch für Forderungen gelten, die einem Gesellschafter als Drittgläubiger gegen die Gesellschaft zustehen3.

223

Neben dem Abfindungsanspruch steht dem ausgeschiedenen Gesellschafter bzw. den Erben gem. § 738 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Schuldbefreiung zu. Falls die Erben bereits in Anspruch genommen wurden, haben sie einen Freistellungsanspruch. Daneben muss die Gesellschaft zur Nutzung überlassene Gegenstände herausgeben. Bestehende Überlassungsverträge bleiben weiter wirksam. Waren Vereinbarungen zur Überlassung nicht getroffen, kann mit Rücksicht auf Treu und Glauben die vorübergehende Einräumung eines entgeltlichen Nutzungsrechts geboten sein.

Beratungshinweis: Bei derartigen Gegenständen wird es sich i.d.R. steuerlich um Sonderbetriebsvermögen des Erblassers handeln. Wenn kein Erbe nachfolgt, werden die Wirtschaftsgüter aus dem Sonderbetriebsvermögen durch die Erben entnommen, bestenfalls handelt es sich um eine Betriebsaufgabe, so dass erhebliche ertragsteuerliche Konsequenzen eintreten. Bei der gesellschaftsrechtlichen Nachfolgegestaltung ist dies zu beachten. Ist eine gesellschaftsrechtliche Regelung zur Fortsetzung der Gesellschaft ohne Erben vereinbart, sollte Sonderbetriebsvermögen noch durch den Erblasser in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) eingebracht werden. 224

Anstelle der Vollabfindung des ausscheidenden Gesellschafters bzw. seiner Erben wird häufig eine Regelung im Gesellschaftsvertrag vereinbart, die eine Beschränkung der Abfindung vorsieht4. 1 Baumbach/Hopt, § 131 Rz. 49. 2 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 70/80, WM 1981, 487; Palandt/Sprau, § 738 Rz. 2 und § 730 Rz. 5. 3 BGH v. 20.10.1977 – II ZR 92/76, WM 1978, 89; Baumbach/Hopt, § 145 Rz. 6. 4 Dazu s. unten Rz. 439 ff. 716

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Unternehmensnachfolge

Rz. 228

B XI

Erbschaftsteuerlich zu beachten ist, dass nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG als Schenkung auf den Todesfall auch der auf dem Ausscheiden eines Gesellschafters beruhende Übergang des Anteils oder des Teils des Anteils eines Gesellschafters einer Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft bei dessen Tod auf die anderen Gesellschafter oder die Gesellschaft gilt, soweit der bewertungsrechtliche Wert, der sich für seinen Anteil zur Zeit seines Todes nach den erbschaftsteuerlichen Vorschriften ergibt, Abfindungsansprüch Dritter übersteigt. Danach stellt die Differenz zwischen der in der Praxis oftmals anzutreffenden gesellschaftsvertraglichen Verpflichtung zur Buchwertabfindung und dem Verkehrswert des Anteils bei den verbleibenden Gesellschaftern eine Bereicherung dar, die der Erbschaftsteuer unterliegt.

225

cc) Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der völlige Ausschluss der Abfindung beim Tode eines Gesellschafters zulässig ist1. Die Rechtsfolgen einer gesellschaftsvertraglichen Klausel, mit der eine Abfindung vollständig ausgeschlossen wird, werden in Abhängigkeit von den Umständen unterschiedlich beurteilt. Gilt die Regelung für alle Gesellschafter, liegt keine Schenkung, sondern entgeltliches Rechtsgeschäft vor. Die Gegenleistung wird in der Chance eines jeden Gesellschafters zur Erhöhung seines Gesellschaftsanteils gesehen2.

226

In der Klausel kann jedoch auch eine teilentgeltliche oder unentgeltliche Zuwendung liegen, wenn die persönlichen Umstände der Gesellschafter stark voneinander abweichen (z.B. sehr unterschiedliches Lebensalter, unheilbare Krankheit eines Beteiligten), so dass die eintretende Unausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung (Chance des Erwerbs beim sehr viel älteren Gesellschafter ist geringer) eine Teilentgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit der mit dem Ausschluss der Abfindung bezweckten Zuwendung herbeiführt.

227

Liegt Unentgeltlichkeit oder Teilentgeltlichkeit vor, handelt es sich um ein Schenkungsversprechen auf den Todesfall des Schenkers. Soweit durch den Gesellschaftsvertrag die gem. § 2301 BGB bestimmte Form des Schenkungsversprechens nicht gewahrt wird, wird im vertraglich vereinbarten Ausschluss der Abfindung die Vollziehung der Schenkung gesehen, so dass der Formmangel gem. § 518 Abs. 2 BGB geheilt ist. Nach der Rechtsprechung des BGH kann nämlich eine vollzogene Schenkung auch dann vorliegen, wenn das Vollziehungsgeschäft unter einer Befristung oder Bedingung abgeschlossen ist. Der Schenker muss alles getan haben, was von seiner Seite zum Erwerb des Zuwendungsgegenstandes durch den Beschenkten erforderlich ist. Es genügt für den Vollzug der Schenkung unter einer Bedingung, dass für den Beschenkten ein dingliches Erwerbs- oder Anwartschaftsrecht begründet wurde, das bei Eintritt der Bedingung das Anwartschaftsrecht zwangsläufig zu einem Vollrecht erstarkt3. Diese Voraussetzungen sind bei einer Klausel, mit der die Gesellschafter im Todesfalle das entschädigungslose Anwachsen an die übrigen Gesellschafter vereinbaren, gegeben. Der Gesellschaftsanteil bzw. der Abfindungsanspruch fällt damit nicht in den Nachlass.

228

1 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (194); BGH v. 9.7.1968 – V ZR 80/66, BGHZ 50, 307; BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 (56); BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338. 2 BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, WM 1971, 1338. 3 BGH v. 25.5.1970 – III ZR 141/68, WM 1970, 1114; auch BGH v. 6.3.1970 – V ZR 57/67, WM 1970, 638. Stein

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B XI 229

Rz. 229

Unternehmensnachfolge

Ob im Zusammenhang mit der Ausschlussklausel z.B. Pflichtteilsergänzungsansprüche entstehen können, hängt ganz wesentlich davon ab, ob die Umstände auf ein entgeltliches Rechtsgeschäft oder auf eine Schenkung hindeuten. Ist eine Schenkung nicht auszuschließen, kommt es darauf an, ob die Frist ab „Vollzug“ zählt (Vereinbarung der Klausel) oder ab Erwerb.

Beratungssituation: E hat drei Kinder (A, B, C). Er hat sein Einzelunternehmen in eine OHG eingebracht, in die die Kinder A und B eingetreten sind. Im Gesellschaftsvertrag ist vereinbart, dass den Mitgesellschaftern der Geschäftsanteil des E im Falle seines Todes entschädigungslos anfallen soll. 230

Im vorliegenden Falle handelt es sich eindeutig um eine unentgeltliche Zuwendung. Der Gesellschaftsanteil geht bei Versterben des E am Nachlass vorbei unmittelbar auf A und B über. Das ist steuerlich und unternehmensorganisatorisch eine angemessene Lösung. Allerdings wird es darauf ankommen, ob E in seinem Testament für einen angemessenen Ausgleich zugunsten des Kindes C gesorgt und was er bei Zuwendung seines Geschäftsanteils an A und B hinsichtlich der Anrechnung auf Erb- und Pflichtteil und eventueller Ausgleichspflichten angeordnet hat.

Beratungshinweis: Klauseln wie die vorstehende sollten aus steuerlichen und unternehmerischen Überlegungen verwendet werden, nicht um den Versuch zu machen, Erb- oder Pflichtteilsansprüche anderer Kinder zu umgehen, da das erstens sehr unsicher ist und zweitens zu unnötigen Streitereien führt, die die Unternehmensnachfolge eher behindern als fördern. b) Einfache Nachfolgeklausel 231

Soll die Gesellschaft beim Tode eines Gesellschafters mit allen Erben fortgesetzt werden, bedarf dies der ausdrücklichen Regelung im Gesellschaftsvertrag, sowohl bei der OHG als auch bei der GbR. Für die Kommanditbeteiligung tritt diese Folge kraft Gesetzes ein. Derartige Regelungen, die an die Nachfolge von Erben keine besonderen Anforderungen stellen oder die gezielte Nachfolge bestimmter Personen anstreben, werden als einfache Nachfolgeklausel bezeichnet.

M 130 Einfache Nachfolgeklausel Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern mit den Erben fortgesetzt. 232

Ist eine solche Klausel vereinbart, folgt jeder Erbe nach, den der Erblasser zum Erben seines Gesellschaftsanteils einsetzt. Der Erblasser kann insofern allen Erben den Gesellschaftsanteil zuwenden oder durch Teilungsanordnung bestimmte Erben bedenken. Hat er ein Testament nicht errichtet, sind die gesetzlichen Erben zur Nachfolge berechtigt. Für die Gesellschaft ergibt sich daraus allerdings der Nachteil, dass sie jeden Eintretenden akzeptieren muss, notfalls auch eine große Zahl von Erben.

233

Der Gesellschaftsanteil geht gesplittet nach Erbquoten im Wege der Sondererbfolge unmittelbar auf die Erben über (vgl. Rz. 245). Wurden die Gesellschafts718

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Unternehmensnachfolge

Rz. 237

B XI

anteile einem oder mehreren Erben durch Teilungsanordnung zugewiesen, treten trotzdem alle Erben die Erbfolge im Wege der Sonderrechtsnachfolge an. Die durch Teilungsanordnung bedachten Erben haben dann einen Anspruch auf Übertragung der Teilgesellschaftsanteile gegen die Erben, denen keine Anteile zugewiesen wurden1. Unberührt davon bleiben die Ansprüche der nicht bedachten Erben im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft (z.B. Ausgleich eines Mehrempfangs durch den Erben, dem der Gesellschaftsanteil zufällt). Die Sondererbfolge beseitigt insoweit nicht die erbrechtlichen Grundsätze, wie ja auch der Gesellschaftsanteil trotz Sondererbfolge Teil des Nachlasses bleibt. Auf die Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter hat das keine Auswirkungen, da die Nachfolge für die vom Erblasser bestimmten Erben zulässig ist. Die durch den Erblasser ausgeschlossenen Erben haben nur Ausgleichsansprüche gegenüber den bedachten Erben, nicht gegenüber der Gesellschaft. Der Erblasser kann über seinen Gesellschaftsanteil auch im Wege des Vermächtnisses bzw. Vorausvermächtnisses verfügen. In diesem Falle geht der Gesellschaftsanteil im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf die Erben über und der Vermächtnisnehmer hat einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung. Da es sich um eine rechtsgeschäftliche Übertragung handelt, bedarf diese der Zustimmung der übrigen Gesellschafter2. Allerdings ist die Zustimmung nicht erforderlich, wenn der Gesellschaftsvertrag auch die Nachfolge von Vermächtnisnehmern gestattet. Die vorgenannte Klausel könnte insofern wie folgt gefasst werden:

234

M 131 Nachfolgeklausel Vermächtnisnehmer Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern mit den Erben sowie den Vermächtnisnehmern fortgesetzt.

Im Gegensatz zu den Erben hat der Vermächtnisnehmer es in der Hand, ob er die Übertragung des Gesellschaftsanteils annehmen will oder nicht, so dass das Vermächtnis einem erbrechtlich begründeten Eintrittsrecht gleichkommt. Der Erblasser kann bei einem Vermächtnis auch einen Teilgesellschaftsanteil zuwenden, was allerdings eine weitere Zersplitterung des Gesellschaftsanteils zur Folge hat.

235

Die Erben folgen mit Anfall der Erbschaft automatisch in die Gesellschaft nach. Das gilt auch für Minderjährige, wobei die Nachfolge nicht der Genehmigung des Familiengerichts bedarf (wegen der besonderen Haftungsregelungen vgl. Rz. 265).

236

In der Tat können die Erben bei einer Nachfolgeklausel die Nachfolge nur durch Ausschlagung der Erbschaft verhindern. Um die Lage der Nachfolger-Erben zu erleichtern, gewährt die gesetzliche Regelung gem. § 139 HGB den Nachfolgern in eine OHG-Gesellschafterstellung oder als persönlich haftender Gesellschafter in eine Kommanditgesellschaft gem. § 139 Abs. 1 HGB das Recht, ihr Verbleiben in der Gesellschaft von der Einräumung der Stellung eines Kommanditisten abhängig zu machen. Das Recht des Nachfolger-Erben zur Umwandlung ist zwingend ausgestaltet und darf vertraglich nicht ausgeschlossen werden (§ 139

237

1 Palandt/Weidlich, § 2048 Rz. 4. 2 BGH v. 20.11.1975 – III ZR 112/73, WM 1976, 251. Stein

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B XI

Rz. 238

Unternehmensnachfolge

Abs. 5 HGB). Im Übrigen kann jeder Miterbe das Wahlrecht einzeln und unabhängig von den übrigen Miterben ausüben. Wird ein Vorerbe Gesellschafter, ist er zur Ausübung des Umwandlungsrechts berechtigt. Der Nacherbe ist an seine Entscheidung gebunden. 238

Der Nachfolger-Erbe muss innerhalb von drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt der Kenntnis des Erbfalls (mindestens jedoch in der Ausschlagungsfrist), einen dahingehenden Antrag stellen (§ 139 Abs. 3 HGB). Wird dieser Antrag durch die übrigen Gesellschafter abgelehnt, kann der Nachfolger-Erbe sein fristloses Ausscheiden aus der Gesellschaft erklären oder als vollhaftender Gesellschafter in der Gesellschaft verbleiben.

239

Scheidet er aus der Gesellschaft aus, stehen ihm Abfindungsansprüche in dem im Gesellschaftsvertrag bestimmten Umfang zu. Dabei kann es von Bedeutung sein, dass er nicht „von Todes wegen“ ausscheidet, sondern sein Ausscheiden einer Kündigung aufgrund besonderer gesetzlicher Bestimmungen gleichsteht. Diese Gesetzeslage führt u.U. zu einem im Vorfeld nicht kontrollierbaren Ablauf der Nachfolge. Gesellschaftsvertrag und Testament sollten deshalb korrespondierende Bestimmungen treffen, um den Übergang der Beteiligung auf den oder die Nachfolger in planvoller Weise vollziehen zu können.

240

Soll die Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung erleichtert werden, kann im Gesellschaftsvertrag die Zustimmung der übrigen Gesellschafter im Vorfeld erteilt werden (Umwandlungsklausel). Es handelt sich dann um einen Vertrag zugunsten Dritter, der dem Nachfolger-Erben das Recht einräumt, durch einfache Erklärung die Umwandlung zu vollziehen. Eine dahingehende Klausel könnte wie folgt formuliert werden:

M 132 Umwandlungsklausel Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern mit den Erben sowie den Vermächtnisnehmern fortgesetzt. Erben und Vermächtnisnehmer haben das Recht, durch schriftliche Erklärung gegenüber den übrigen Gesellschaftern innerhalb von drei Monaten, gerechnet vom Todestag des verstorbenen Gesellschafters, die Umwandlung ihrer ererbten Beteiligung in eine Kommanditbeteiligung zu vollziehen.

Die Frist im Formulierungsbeispiel ist kürzer als die gesetzliche Frist gem. § 139 Abs. 5 HGB, die dort mit dem Zeitpunkt der Kenntnis des Anfalls der Erbschaft beginnt. Das ist jedoch zulässig, da es sich um ein vertraglich eingeräumtes Recht handelt. 241

Sind sich Erblasser und übrige Gesellschafter einig, dass die Umwandlung unerwünscht ist, kann eine gesellschaftsvertragliche Regelung die Ausübung dieses Rechts durch die Nachfolger-Erben jedoch nicht verhindern (wegen § 139 Abs. 5 HGB). Allerdings könnte der Erblasser im Rahmen der letztwilligen Verfügung den Erben Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung ihres Umwandlungsanspruches auferlegen (Auflage oder bedingte Erbeinsetzung), da § 139 Abs. 5 HGB nicht für erbrechtliche Verfügungen gilt. Die Folgen für die Nachfolger-Erben sind allerdings sehr hart, da sie sich in die Stellung eines persönlich haften720

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Unternehmensnachfolge

Rz. 242

B XI

den Gesellschafters begeben müssen, wenn sie die Erbschaft nicht ausschlagen wollen. Abgesehen davon liegen die Verhältnisse i.d.R. auch nicht so einfach, dass entweder die eine oder die andere jeweils entgegengesetzte Lösung infrage käme.

Beratungssituation: E ist mit zwei weiteren Gesellschaftern an der OHG X. beteiligt. Er hat drei Kinder A, B und C. Mit den beiden übrigen Gesellschaftern hat er sich geeinigt, dass im Erbfalle nur eines der Kinder in seine Stellung als persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter eintritt. Den übrigen soll eine Kommanditbeteiligung eingeräumt werden. Das Bestimmungsrecht soll Herrn E zustehen. Um die vereinbarte Nachfolgeregelung abzusichern, vereinbaren die Gesellschafter folgende Klausel:

M 133 Nachfolgeklausel: Rechtsstellung der Erben Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft mit den Erben des verstorbenen Gesellschafters fortgesetzt. Jeweils ein Erbe soll persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter werden, die übrigen Erben erhalten eine Kommanditbeteiligung. Das Auswahl- und Bestimmungsrecht steht dem jeweiligen Gesellschafter zu. Hat dieser eine Bestimmung unterlassen, kann diese durch die Erben getroffen werden (oder … soll diese durch die übrigen Gesellschafter getroffen werden).

Unterlässt der Erblasser die Benennung, kann diese zwar durch die Erben vorgenommen werden1, die beabsichtigte Gestaltung ist jedoch dann zu versagen, wenn kein Erbe bereit ist, persönlich haftender Gesellschafter zu werden. Das Gleiche gilt für das im vorstehenden Formulierungsvorschlag als Alternative vorgesehene Benennungsrecht der übrigen Gesellschafter. Es verstößt zwar nicht gegen § 2065 Abs. 2 BGB2, ist jedoch wegen § 139 Abs. 5 HGB wirkungslos, wenn der Erblasser in der letztwilligen Verfügung nicht für die Durchsetzung gesorgt hat3. Der Erblasser könnte den als persönlich haftenden Gesellschafter vorgesehenen Nachfolger mit der Auflage beschweren, von seinem Recht zur Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung keinen Gebrauch zu machen.

Beratungshinweis: Im Übrigen wird in dem hier verwendeten Beispiel wiederum deutlich, dass lebzeitige Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße Nachfolge am zweckmäßigsten sind. Der Erblasser könnte im vorstehenden Beispiel dem vorgesehenen vollhaftenden Nachfolger z.B. bereits eine Minimalbeteiligung als persönlich haftender Gesellschafter einräumen. Erbt er dann den Gesellschaftsanteil des Erblassers ganz oder teilweise, ist ihm die Ausübung des Wahlrechts in Bezug auf eine Kommanditistenstellung verwehrt, da jeder Gesellschafter immer nur einen einheitlichen Gesellschafts1 Zur Ausübung des Bestimmungsrechts der Erben, selbst wenn diese nicht gesondert im Gesellschaftsvertrag oder Testament geregelt ist, vgl. BFH v. 23.6.1966, WM 1966, 1035. 2 Palandt/Weidlich, § 2066 Rz. 5. 3 Vgl. dazu BGH v. 20.12.1962 – II ZR 209/60, ref. in BB 1963, 323. Stein

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B XI

Rz. 243

Unternehmensnachfolge

anteil innehaben kann1. Im vorstehenden Beispiel ist mit Ausnahme des einzelnen Erben, der persönlich haftender Gesellschafter werden soll, vorgesehen, dass die übrigen Erben als Kommanditisten eintreten. Für diese Erben wird die Umwandlung automatisch vollzogen, es bedarf keiner besonderen Erklärung. 243

Der Gesellschaftsvertrag kann die Regelung von Einzelheiten in der Nachfolge vorsehen, z.B.: – Ausschluss des Widerspruchsrechts bzw. Stimmrechts der Kommanditisten2, – Ausschluss der Nachfolger von der Geschäftsführung, – Beschränkungen oder Neuverteilung der Stimmrechte für einzelne Gesellschafter (z.B. zusätzliche Stimmrechte für einzelne Gesellschafter, sofern damit nicht das Verbot der Abspaltung der Stimmrechte umgangen wird)3, – Pflicht einer Mehrheit von Erben, einen gemeinsamen Vertreter zu benennen. c) Qualifizierte Nachfolgeklausel

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Haben die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass nur bestimmte Personen oder Personengruppen beim Tode eines Gesellschafters nachfolgen können, ist der Erblasser in seinen Verfügungsmöglichkeiten eingeschränkt. Er kann den Gesellschaftsanteil nur solchen Erben zuwenden, die diese Voraussetzungen erfüllen. Beachtet er diese Voraussetzungen nicht bei der Errichtung seines Testaments, läuft er Gefahr, dass seine Verfügung ins Leere geht, weil der Bedachte gesellschaftsrechtlich nicht nachfolgen kann.

245

Wendet der Erblasser den Gesellschaftsanteil vertragsgemäß den zugelassenen Personen zu, erwerben diese den Anteil unmittelbar dinglich in Sondererbfolge, auch bei einer Mehrheit von Erben4. Die Zuweisung des Gesellschaftsanteils zu einem von mehreren Erben ist in diesem Falle keine Teilungsanordnung, da der Gesellschaftsanteil bei Eintritt des Erbfalls unmittelbar dinglich auf den bestimmten Erben übergeht. Für den Erwerb durch den allein Berechtigten bedarf es insofern keiner Mitwirkung der übrigen Miterben5. Allerdings gehört der Gesellschaftsanteil auch bei Sonderrechtsnachfolge des qualifizierten Nachfolgers zum Nachlass, insofern gilt das Gleiche wie bei der Sondererbfolge von Erben in Gesellschaftsanteile generell (vgl. Rz. 210).

246

Entspricht nur einer von mehreren Erben, denen der Erblasser die Beteiligung zugewandt hat, den Voraussetzungen des Gesellschaftsvertrags für die Nachfolge, soll nach Auffassung des BGH dieser in den gesamten Gesellschaftsanteil 1 Baumbach/Hopt, § 139 Rz. 8, 37. 2 Dazu Baumbach/Hopt, § 164 Rz. 6 m.w.N. 3 Dazu BGH v. 22.2.1960 – VII ZR 83/59, NJW 1960, 963; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 357. 4 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225. Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung von diesem Grundsatz aus, vgl. BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 229/81, NJW 1983, 2376; vgl. Palandt/Weidlich, § 1922 Rz. 17, 18. 5 Vgl. die plastische Formulierung von K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1341: „Die qualifizierte Nachfolgeklausel wirkt wie eine dinglich wirkende Teilungsanordnung.“. 722

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Unternehmensnachfolge

Rz. 250

B XI

nachfolgen, nicht nur hinsichtlich des auf ihn nach dem Testament entfallenden Bruchteils1.

Beratungssituation: Im Gesellschaftsvertrag einer OHG, die eine Elektroinstallationsfirma betreibt, ist vorgesehen, dass nur Erben nachfolgen können, die eine elektrotechnische Fachausbildung oder eine betriebswirtschaftliche Ausbildung durchlaufen haben. E hinterlässt zwei Kinder, die er je zur Hälfte als Erben eingesetzt hat. Der Sohn A ist Elektroinstallateur und hat eine Monteurprüfung abgelehnt, die Tochter B ist Lehrerin. Nachfolgen könnte Sohn A, die Erbeinsetzung der Tochter B geht ins Leere. Der Sohn tritt in die volle Gesellschafterstellung seines Vaters ein, d.h. der Gesellschaftsanteil geht im gesamten Umfang mit unmittelbarer dinglicher Wirkung auf ihn über. Wird ein nachfolgeberechtigter Erbe aufgrund einer qualifizierten Nachfolgeklausel Gesellschafter, steht den Erben, die von der Nachfolge ausgeschlossen sind, kein Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft zu, auch wenn sie vom Erblasser in Verkennung der Rechtslage als Erben des Gesellschaftsanteils eingesetzt wurden. Insofern fällt dem nachfolgeberechtigten Erben nicht nur das Recht auf Mitgliedschaft in der Gesellschaft, sondern auch der damit verbundene Vermögenswert zu.

247

Fällt dem zugelassenen Nachfolger der Wert des Gesellschaftsanteils nach dieser Rechtslage vollständig zu, bleiben die erbrechtlichen Ausgleichsansprüche anderer Miterben davon unberührt. Übersteigt dessen Wert die Erbquote des Nachfolgers, ist dieser in Höhe der Differenz zur Abfindung seiner Miterben verpflichtet. Der Erblasser kann eine derartige Abfindungsverpflichtung durch ein Vorausvermächtnis in Höhe des übersteigenden Wertes zugunsten des Nachfolgers verhindern.

248

Im schlimmsten Fall kann allerdings die Erbeinsetzung völlig von der gesellschaftsrechtlichen Regelung abweichen.

249

Beratungssituation: Im Gesellschaftsvertrag ist vorgesehen, dass beim Tode eines Gesellschafters nur dessen Abkömmlinge in die Gesellschaft nachfolgen können. Der Erblasser und seine Ehefrau haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt. Sohn A ist Schlusserbe. In diesem Fall scheitert die Nachfolge, da die Erbin nicht in die Gesellschaft nachfolgen kann. Demgemäß würde der verstorbene Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheiden, so dass diese verpflichtet wäre, eine Abfindung an die Erbin zu zahlen, wenn das durch Gesellschaftsvertrag nicht ausgeschlossen ist. Auf diese Weise wäre die Gesellschaft u.U. mit plötzlichen und unerwarteten Abfindungszahlungen belastet. Der BGH hat bei ähnlichen Sachverhalten entschieden, zugunsten des gesellschaftsrechtlich Berechtigten, jedoch erbrechtlich ausgeschlossenen Nachfolgers eine Eintrittsklausel anzunehmen, die diesem nach eigener Entscheidung das Recht einräumt, in die Gesellschaft einzutreten2, wobei eine angemessene Frist 1 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225. 2 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, NJW 1978, 264. Stein

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B XI

Rz. 251

Unternehmensnachfolge

für seinen Eintritt zu setzen wäre. Allerdings gelten dafür bestimmte Voraussetzungen, u.a. dass dem zur Nachfolge Berufenen der Vermögenswert der Beteiligung zur Verfügung steht. Das wäre im Beispielsfall zumindest zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht gewährleistet. Ob darin eine conditio sine qua non für das Eintrittsrecht zu sehen ist, ist nach der Entscheidung des BGH nicht ganz klar. Der BGH hat zwar die Möglichkeit erwähnt, dass der Berechtigte die Einlage in Höhe der Gesellschaftsbeteiligung ja auch selbst erbringen kann, hat das aber wegen der Nichtrelevanz für den entschiedenen Fall nicht weiter behandelt, aber auch nicht ausgeschlossen, so dass wohl auch von einem Eintrittsrecht auszugehen ist, wenn dem gesellschaftsrechtlich designierten Nachfolger die Abfindungsansprüche nicht zur Verfügung stehen. In der Tat könnte eine solche Handhabung in derartigen Fällen zu einer praktischen Lösung führen, vorausgesetzt sie ist für den Nachfolger wirtschaftlich tragbar. Zweckmäßig wäre es im vorliegenden Beispiel, dass sich der Sohn wegen der Abfindung direkt mit der Mutter auseinander setzt, um die aufwändige Auseinandersetzung der Mutter mit der Gesellschaft zu vermeiden. Die Mutter könnte dann die Abfindungsansprüche gegen die Gesellschaft gegen Entgelt an den Sohn abtreten. Sinnvoll könnte es auch sein, wenn der Sohn der Mutter anstelle der Abfindung eine Unterbeteiligung an seinem Gesellschaftsanteil einräumt, und zwar in einem Umfang, der ihm einen Anteil am Gewinn belässt, mit dem seine Mitarbeit in der Gesellschaft angemessen vergütet wird. Im Innenverhältnis zwischen Hauptund Unterbeteiligtem könnte vereinbart werden, dass beim Tode der Unterbeteiligten diese aus der Innengesellschaft ausscheidet und die Unterbeteiligung dem Hauptbeteiligten ohne Entschädigung anwächst. Denkbar wäre eine postmortale Gestaltung durch Ausschlagung der gesellschaftsvertragliche nicht nachfolgeberechtigten Erben – ggf. gegen Ausgleichszahlung, wenn die dann zur Nachfolge von Todes wegen berufenen Erben qualifiziert wären. 251

Gesellschaftsvertragliche Ersatzlösungen für den Fall einer erbrechtlich völlig fehlgeschlagenen Regelung sind natürlich ebenfalls möglich. Denkbar ist z.B., dass den im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Nachfolgern, die nicht Erben des Gesellschaftsanteils geworden sind, durch eine gesellschaftsrechtliche Bestimmung ein Eintrittsrecht eingeräumt wird. Allerdings würde der Nachfolger, da ihm der Vermögenswert, also der Abfindungsanspruch, erbrechtlich nicht zugewandt wurde, eine Einlage in Höhe der Beteiligung des Erblassers zu erbringen haben, es sei denn, dass der Gesellschaftsvertrag Abfindungsansprüche nicht nachfolgeberechtigter Erben ausschließt, so dass dem Nachfolger dieser Vermögenswert bei Eintritt zufallen würde. Eine solche Regelung entzieht zwar dem Erblasser die Dispositionsbefugnis über einen Vermögenswert, das ist jedoch auch bei einer Fortsetzungsklausel ohne Abfindung der Erben der Fall (vgl. Rz. 216 ff.).

M 134 Eintrittsklausel Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft mit den direkten Abkömmlingen des Erblassers unter Ausschluss von Enkeln oder entfernteren Abkömmlingen fortgesetzt. Sind die Berechtigten nicht Erben des Gesellschaftsanteils und ist ihnen dieser auch nicht in anderer Weise, z.B. als Vermächtnis, zugewandt worden, 724

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Unternehmensnachfolge

Rz. 253

B XI

haben die vorgenannten Nachfolger unter Ausschluss des Abfindungsrechts der Erben das Recht, innerhalb von drei Monaten nach dem Tod des Gesellschafters in die Gesellschaft einzutreten. Üben mehrere Berechtigte das Eintrittsrecht aus, fällt ihnen der Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters zu gleichen Teilen zu. Wird innerhalb der vorgesehenen Frist eine Eintrittserklärung nicht abgegeben, setzen die verbleibenden Gesellschafter die Gesellschaft unter Ausschluss der Abfindung der Erben die Gesellschaft fort.

Wenn eine derartige Regelung in Bezug auf eine vom Erblasser dann vielleicht tatsächlich abweichend vorgenommene Verfügung eingreift, widerspricht dies nicht den erblichen Grundsätzen der Testierfreiheit, da die Gesellschafter berechtigt sind, zu Lebzeiten Vereinbarungen zu treffen, die sie hinsichtlich der fraglichen Gesellschafts- und Vermögensrechte binden (dazu auch Rz. 210 ff.). Auch der „qualifizierte“ Nachfolger kann von dem in § 139 Abs. 1 HGB vorgesehenen Recht Gebrauch machen und den Antrag stellen, als Kommanditist in die Gesellschaft einzutreten. Da der Gesellschaftsvertrag wegen der zwingenden Geltung dieses Rechts (§ 139 Abs. 5 HGB) den Nachfolger in der Ausübung seines Umwandlungsrechts nicht beschränken darf, kann nur der Erblasser durch letztwillige Verfügung die Nachfolge als persönlich haftender Gesellschafter sicherstellen.

252

d) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel

Beratungssituation: Herr E ist Gesellschafter einer OHG und möchte sicherstellen, dass sein Enkel D bei seinem Tode in die Gesellschaft nachfolgt. D arbeitet bereits in der Gesellschaft mit. Die übrigen Gesellschafter sind mit einer Nachfolge des D einverstanden. D ist im Testament nur als Ersatzerbe nach seinem Vater eingesetzt. Um die Erbfolge für den übrigen Nachlass nicht zu belasten, möchte er im Einverständnis mit den übrigen Gesellschaftern eine Regelung treffen, die dem D außerhalb des Erbrechts die Nachfolge in die Gesellschaft sichert. aa) Um einem Dritten, der nicht Erbe ist, die Nachfolge zu ermöglichen, kann dies durch eine rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel bewirkt werden, mit der die Gesellschafter vereinbaren, dass bei Versterben des Gesellschafters der Dritte unmittelbar mit dinglicher Wirkung in die Gesellschafterstellung des E einrückt. Diese Lösung könnte auch im Ausgangsbeispiel zum Ziel führen.

252

Wird die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel nur einseitig zwischen den Gesellschaftern vereinbart, ohne dass der Begünstigte mitwirkt, scheitert die Nachfolge allerdings an der Nichtigkeit der Vereinbarung, da eine Verfügung zugunsten Dritter als unzulässig angesehen wird1. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Klausel ist die Mitwirkung des Begünstigten zu Lebzeiten des Erblassers. Dieser muss die Verfügung annehmen, sei es durch Mitunterzeichnung des Gesellschaftsvertrags, sei es durch besondere Erklärung. Ist der vorgesehene Nachfolger bereits an der Gesellschaft beteiligt, wirkt er als Gesellschafter an der Übertragung mit und erteilt insoweit seine Zustimmung.

253

1 U.a. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225; MüKo.BGB/Schäfer, § 727 Rz. 50; Brox, Erbrecht, Rz. 787. Stein

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B XI

Rz. 254

Unternehmensnachfolge

254

Sofern die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel als wirksam anzusehen ist, liegt eine aufschiebend bedingte Anteilsübertragung unter Lebenden auf den Todesfall vor. Der Formmangel der Übertragung (gem. § 2301 BGB) wird durch die Vollziehung (§ 518 Abs. 2 BGB) geheilt.

255

Mit der Übertragung des Gesellschaftsanteils gehen auch die mit der Mitgliedschaft des Gesellschafters verbundenen Vermögenswerte auf den Erwerber über, es sei denn, der Gesellschaftsvertrag sieht etwas anderes vor. Hat der Gesellschafter in seinem Testament über die Vermögenswerte in Gestalt der Abfindung anders verfügt und diese z.B. den Erben zugewandt, geht diese Verfügung ins Leere, da er bereits lebzeitig durch die rechtsgeschäftliche Nachfolge anderweitige Verfügungen getroffen hat. Der rechtsgeschäftlich bestimmte Nachfolger erwirbt den Gesellschaftsanteil unmittelbar mit dinglicher Wirkung beim Tode des Gesellschafters, so dass die Beteiligung am Nachlass vorbeigeleitet wird. Gehört der Nachfolger zum Kreis der Ausgleichsverpflichteten gem. §§ 2050 ff. BGB, können sich daraus Ansprüche der übrigen Erben ergeben. Ansonsten ist die Einbeziehung des Gesellschaftsanteils in die Berechnung eines eventuellen Pflichtteilsergänzungsanspruches möglich.

256

Die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel könnte wie folgt formuliert werden:

M 135 Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel (Beim Tod eines Gesellschafters wird die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt.)1 Beim Tod des Gesellschafters A geht dessen Beteiligung einschließlich des damit verbundenen Kapitalanteils sowie aller Forderungen und Verbindlichkeiten auf seinen Sohn B über, der diesen Vertrag als künftiger Gesellschafter neben den anderen Gesellschaftern zwecks Begründung der Anwartschaft auf unmittelbaren und automatischen Übergang der Beteiligung auf ihn beim Tode seines Vaters kraft Rechtsgeschäft unter Lebenden mitunterzeichnet. Den Erben des A stehen keine Abfindungsansprüche gegen die Gesellschaft zu. 257

bb) Ist die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel nicht klar genug formuliert oder fehlt es an der Annahmeerklärung des Begünstigten, kann sie in eine Eintrittsklausel oder – sofern der im Gesellschaftsvertrag benannte Nachfolger auch Erbe ist – in eine qualifizierte erbrechtliche Nachfolgeklausel umgedeutet werden. Die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel kann die jeweils gewünschte Ersatzvariante auch selbst bestimmen. Das ist unter Umständen dann zweckmäßig, wenn die unmittelbare Mitwirkung bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrags nicht möglich ist.

M 136 Erweiterte rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel Verstirbt der Gesellschafter A, geht der Gesellschaftsanteil einschließlich des Kapitalanteils sowie aller Forderungen und Verbindlichkeiten auf dessen Sohn B über, der durch Unterzeichnung dieses Gesellschaftsvertrags die Übertragung kraft Rechtsgeschäft annehmen kann. Ist die Annahme erfolgt, erwirbt er eine 1 Text in der Klammer ist nur bei BGB-Gesellschaft erforderlich. 726

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Unternehmensnachfolge

Rz. 259

B XI

Anwartschaft auf unmittelbaren und automatischen Übergang der Beteiligung beim Tode seines Vaters. Ein Abfindungsanspruch der Erben des Gesellschafters ist in diesem Falle ausgeschlossen. Ist die Annahme der Übertragung durch den B nicht zu Lebzeiten des Gesellschafters A erfolgt, steht dem B das Recht zu, innerhalb von drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt des Todes des Gesellschafters A, in die Gesellschaft einzutreten. Macht B von diesem Recht fristgerecht Gebrauch, gilt hinsichtlich der mit dem Gesellschaftsanteil verbundenen Vermögenswerte das Vorstehende. Tritt er nicht in die Gesellschaft ein, setzen die übrigen Gesellschafter die Gesellschaft (unter Ausschluss eines Abfindungsanspruches der Erben) fort.

Der in Klammern gesetzte Wortlaut, wenn er denn von den Gesellschaftern gewünscht wird, führt zu einer Fortsetzungsklausel mit Abfindungsausschluss der Erben (vgl. Rz. 226). Die Gesellschafter können auf diese Formulierung jedoch auch verzichten, so dass dann die Erben einen Abfindungsanspruch geltend machen können (dazu Rz. 221).

258

Beratungshinweis: Nachfolger, die aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel in die Gesellschaft eintreten, können die gem. § 139 Abs. 1 HGB gewährten Rechte nicht geltend machen, da diese nur den Erben zustehen. Die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel bietet insofern eine Möglichkeit, diese Rechte des Nachfolgers auch durch Gesellschaftsvertrag zu umgehen. Der Nachfolger folgt bei den vorgenannten Formulierungsbeispielen in die Rechtsposition des verstorbenen Gesellschafters nach. War dieser persönlich haftender Gesellschafter, wird es auch der Nachfolger; Entsprechendes gilt, wenn der Vorgänger Kommanditist war. Die Formulierung der Klausel kann aber auch so gewählt werden, dass durch Angabe einer bestimmten Rechtsstellung (also persönlich haftender Gesellschafter oder Kommanditist) eine andere Rechtsstellung als die des verstorbenen Gesellschafters vorbestimmt wird. e) Eintrittsklausel

Beratungssituation: E ist Gesellschafter der X OHG. Da sein Sohn A aufgrund seiner beruflichen Entwicklung als Nachfolger infrage kommt, möchte er diesem das Recht einräumen, in die Gesellschaft nachzufolgen, ohne einen Zwang auf seinen Sohn auszuüben, in die Gesellschaft nachzufolgen oder die Erbschaft auszuschlagen, wie das bei der normalen Nachfolgeklausel der Fall wäre. aa) Wie bereits in Rz. 251 als Ersatzlösung erwähnt, kann durch Gesellschaftsvertrag auch einer Person das Recht eingeräumt werden, beim Tode eines Gesellschafters in die Gesellschaft nachzufolgen. Anders als bei der Nachfolgeklausel vollzieht sich der Erwerb des Gesellschaftsanteils des verstorbenen Gesellschafters nicht unmittelbar mit dinglicher Wirkung, sondern der Begünstigte erwirbt das Recht, durch Aufnahmevertrag oder durch einseitige Gestaltungserklärung (je nach Formulierung dieses Rechts) in die Gesellschaft einzutreten. Das Gesamtgeschäft setzt sich insofern aus einem schuldrechtlichen und vollziehenden Teil zusammen. Der schuldrechtliche Teil besteht aus der gesellStein

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B XI

Rz. 260

Unternehmensnachfolge

schaftsvertraglichen Klausel und ist regelmäßig – da ohne Mitwirkung des Berechtigten vereinbart – ein Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall. Gem. § 331 BGB steht dem Eintrittsberechtigten das Recht im Zweifel erst mit dem Tode des Gesellschafters zu, so dass bis dahin die Gesellschafter ohne Zustimmung des Berechtigten die Klausel aufheben können. 260

Schuldrechtlich wird auch bestimmt, wie der Rechtserwerb dinglich durchgeführt werden soll, (also wie oben festgestellt, durch einseitige Gestaltungserklärung des Berechtigten i.d.R. innerhalb einer bestimmten Frist oder durch Abschluss eines Aufnahmevertrags).

261

bb) Eintrittsberechtigt kann sowohl ein Erbe sein (wie möglicherweise im Ausgangsbeispiel) als auch ein Dritter, der nicht Erbe ist und auch nicht zum Kreis der gesetzlich Erbberechtigten gehört. Die Person des Eintrittsberechtigten kann sich unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, entweder durch namentliche Benennung („beim Tod des Gesellschafters E hat Herr A das Recht, in die Gesellschaft einzutreten“) oder durch eine von Namen abstrahierende Definition („ältester Sohn des E“, „Abkömmlinge mit einer Qualifikation als …“).

262

Es genügt auch eine Regelung, wonach der Eintrittsberechtigte von den Erben, Mitgesellschaftern oder Dritten (z.B. Testamentsvollstrecker) zu bestimmen ist. Das Drittbestimmungsverbot aus § 2065 Abs. 2 BGB gilt bei der Eintrittsklausel nicht, da es sich um einen rechtsgeschäftlichen Übergang handelt und somit ein erbrechtlicher Verfügungstatbestand nicht erforderlich ist. Ferner kann sich der Erblasser vorbehalten, die Person durch letztwillige Verfügung festzulegen oder die Eintrittsberechtigung an bestimmte Voraussetzungen (Qualifikationen) zu knüpfen. Insoweit bestehen vielfältige, den individuellen Bedürfnissen der Gesellschafter gerecht werdende Gestaltungsmöglichkeiten. Die Art und Weise des Vollzugs sollte allerdings ausdrücklich geregelt werden.

Beratungshinweis: Der Gesellschafter, dessen Nachfolge geregelt wird (also z.B. E im Ausgangsbeispiel), muss daran interessiert sein, dass der Eintrittsberechtigte sein Recht auch ohne Mitwirkung der übrigen Gesellschafter ausüben kann, da dieser sonst von deren Handlungen abhängt und notfalls seinen Anspruch gerichtlich durchsetzen muss. Demgemäß ist die Vollziehung durch einseitige Gestaltungserklärung innerhalb einer bestimmten Frist, die unmittelbar die Mitgliedschaft in der Gesellschaft herbeiführt, wohl vorzuziehen, unabhängig davon, dass die Gesellschafter und der Eintretende Einzelheiten dann noch durch entsprechende Vereinbarungen regeln können. Wird die Entstehung der Mitgliedschaft dagegen an den Abschluss eines Aufnahmevertrags gebunden, besteht das Recht des Begünstigten aus einem Anspruch auf Abschluss eines derartigen Aufnahmevertrags. 263

Unterlässt es der Gesellschaftsvertrag, eine Frist für die Abgabe der Erklärung zu bestimmen, ist von einer angemessenen Frist auszugehen. Der Gesellschaftsvertrag kann eine Pflicht zum Eintritt nicht bestimmen, da dies ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter wäre, abgesehen davon, dass das auch sinnwidrig wäre, da ja gerade das Ziel der Eintrittsklausel die Schaffung eines Rechts ist, das dem Begünstigten die Entscheidung vorbehält. Der Erblasser kann natürlich durch letztwillige Verfügung (z.B. durch eine Auflage oder bedingte Erbeinsetzung) einen Zwang zur Ausübung des Eintrittsrechts ausüben, aber das wird i.d.R. ge728

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Unternehmensnachfolge

Rz. 267

B XI

rade nicht gewollt sein, wie z.B. bei der Motivlage wie im Ausgangsbeispiel. In der Tat wäre bei der strikten Zielstellung des Erblassers, dass der Erbe nachfolgt, die Vereinbarung einer Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag wohl die zweckmäßigere Lösung. Ist der Eintrittsberechtigte minderjährig, bedarf die Abgabe der Eintrittserklärung bzw. der Aufnahmevertrag gem. §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 3 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung. Sofern ein Elternteil Mitgesellschafter ist, ist wegen § 1795 BGB ein Ergänzungspfleger zu bestellen.

264

cc) Im Gesellschaftsvertrag sollte auch die künftige Rechtsstellung des Eintrittsberechtigen (persönlich haftender Gesellschafter oder Kommanditist) geregelt werden. Die Bestimmung des Gesellschaftsvertrags dazu ist bei Ausübung des Eintrittsrechts für den Berechtigten bindend, da ihm die Rechte gem. § 139 Abs. 1 HGB nicht zustehen. Soll der Berechtigte Kommanditist werden, ist der Eintritt im Hinblick auf § 176 Abs. 2 HGB aufschiebend bedingt auf die Registereintragung zu vollziehen.

265

dd) Bei der Eintrittsklausel wird die Mitgliedschaft in der Gesellschaft am Nachlass vorbeigeführt. Ob das auch für die mit der Mitgliedschaft verbundenen Vermögenswerte (Kapitalanteil, Forderungen, Verbindlichkeiten) gilt, hängt von den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags oder des Testaments zum Abfindungsanspruch ab. Enthält der Gesellschaftsvertrag keine Regelungen zum Abfindungsanspruch, fällt dieser in den Nachlass. Ist der Eintrittsberechtigte zwar Erbe, ist ihm aber der Abfindungsanspruch nicht gesondert zugewandt worden, muss er sich mit seinen Miterben auseinander setzen, um diesen Anspruch zu erlangen, wobei ohnehin bei erbrechtlicher Zuwendung des Eintrittsrechts wohl davon auszugehen ist, dass im Wege einer Teilungsanordnung auch der mit dem Gesellschaftsanteil verbundene Vermögenswert dem Berechtigten zufällt (u.U. auflösend bedingt durch Ausübung des Eintrittsrechts)1. Tritt der Berechtigte in die Gesellschaft ein, verwandelt sich der Abfindungsanspruch dann in einen Kapitalanteil zurück. Ist der Berechtigte überhaupt nicht Erbe und sind im Gesellschaftsvertrag keine Regelungen zum Kapitalanteil getroffen worden, erwirbt der Berechtigte die Mitgliedschaft ohne die damit verbundenen Vermögenswerte. Er muss dann eine Einlage erbringen, die der Höhe seines Anteils entspricht oder – falls der Abfindungsanspruch in den Nachlass gefallen ist – von den Erben den Abfindungsanspruch erwerben, um ihn wiederum in einen Kapitalanteil zu verwandeln.

266

Die Einräumung des Eintrittsrechts hat allerdings nur praktischen Sinn, wenn dem Berechtigten auch zugleich die Vermögenswerte der Beteiligung zur Verfügung stehen2. Nach Auffassung des BGH kann dies in zweifacher Hinsicht erfolgen:

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– Dem Berechtigten wird der Abfindungsanspruch durch Vermächtnis oder Erbeinsetzung zugewandt. – Im Gesellschaftsvertrag wird ein Abfindungsanspruch der Erben ausgeschlossen; die übrigen Gesellschafter, denen dann der Kapitalanteil anwächst, halten diesen Kapitalanteil treuhänderisch für den Berechtigten, um ihn dann 1 Vgl. auch BGH v. 25.5.1987 – II ZR 195/86, WM 1987, 981, allerdings bei einem anderen Sachverhalt. 2 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, NJW 1978, 261. Stein

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B XI

Rz. 267

Unternehmensnachfolge

bei Eintritt auf diesen zu übertragen1 (Treuhandlösung). Diese Übertragungsverpflichtung sollte ausdrücklich geregelt werden. Bei der Zuwendung handelt es sich um eine Schenkung unter Lebenden auf den Todesfall. Da der betreffende Gesellschafter die Schenkung zu Lebzeiten vollzogen hat, ist ein eventueller Formmangel gem. § 518 Abs. 2 BGB geheilt2.

Beratungssituation: E ist Gesellschafter der X-OHG. Im Gesellschaftsvertrag ist vorgesehen, dass dem vom Gesellschafter für den Fall seines Todes bestimmten Nachfolger ein Eintrittsrecht zustehen soll. Der Gesellschaftsvertrag enthält keine besonderen Bestimmungen über die Abfindung. E möchte das Eintrittsrecht nebst Kapitalanteil seinem Neffen K zuwenden. Bei Errichtung des Testaments könnte Herr E folgende Verfügung treffen:

M 137 Vermächtnis: Eintrittsrecht Mein Neffe K ist bei meinem Tode berechtigt, als mein Nachfolger gemäß den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags in die X-OHG einzutreten. Für den Fall, dass er von seinem Eintrittsrecht Gebrauch macht, wende ich ihm meinen Kapitalanteil mit allen Ansprüchen, Forderungen und Verbindlichkeiten als Vermächtnis zu.

Die Eintrittsklausel könnte wie folgt formuliert werden:

M 138 Eintrittsklausel Jeder Gesellschafter kann für seinen Todesfall eine Person bestimmen, die berechtigt ist, als Nachfolger in die Gesellschaft einzutreten. Der Berechtigte kann innerhalb von drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt des Todes des Gesellschafters, eine Erklärung über seinen Eintritt abgeben. Wird eine derartige Erklärung abgegeben, ist der Berechtigte vom Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung bei allen Gesellschaftern Gesellschafter und tritt in die Rechte und Pflichten des verstorbenen Gesellschafters mit Ausnahme höchstpersönlicher Rechte ein. Hat der verstorbene Gesellschafter keine Bestimmung eines Nachfolgers vorgenommen, kann dies durch die Erben erfolgen. Der Berechtigte muss in diesem Falle bei Abgabe seiner Erklärung die Bestimmung durch die Erben schriftlich nachweisen. Im Übrigen verbleibt es bei der vorgenannten Erklärungsfrist. Ein Abfindungsanspruch der Erben ist ausgeschlossen. Macht der Begünstigte von seinem Eintrittsrecht Gebrauch, sind die Gesellschafter verpflichtet, ihm den Kapitalanteil des verstorbenen Gesellschafters mit den Forderungen und Verbindlichkeiten unentgeltlich zu übertragen. Wird eine Erklärung durch den Berechtigten nicht innerhalb der vorgegebenen Frist abgegeben, setzen die übrigen Gesellschafter die Gesellschaft fort. Forderungen des Gesellschafters gegen die Gesellschaft, die diesem als Drittgläubiger zustanden, stehen den Erben zu. 1 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, NJW 1978, 261. 2 Dazu auch BGH v. 9.11.1966 – VIII ZR 73/64, BGHZ 46, 198. 730

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Unternehmensnachfolge

Rz. 271

B XI

Im vorstehenden Formulierungsbeispiel führt der Nichteintritt des Berechtigten für die übrigen Gesellschafter zu einer Lage, die der Fortsetzungsklausel mit Erwerb der Vermögenswerte, die mit dem Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters verbunden sind, entspricht (vgl. Rz. 226). Soll das vermieden werden, ist eine Regelung aufzunehmen, wonach die verbleibenden Gesellschafter den Erben eine Abfindung schulden. Allerdings hängt die Gesellschaft in Bezug auf die Belastung mit Abfindungsansprüchen dann vollständig von der Entscheidung des Berechtigten ab. Insofern sollten die Gesellschafter eine derartige Regelung sehr wohl abwägen.

268

f) Vor- und Nacherbschaft bei erbrechtlichen Nachfolgeklauseln aa) Wird eine Personengesellschaft beim Tode eines Gesellschafters mit den Erben fortgesetzt, so sind mangels abweichender Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags Erben i.S.d. Gesellschaftsvertrags auch Vor- und Nacherben1. Eine Nachfolgeklausel gilt insofern sowohl für den Vor- als auch für den Nacherben, wenn beide die Voraussetzungen erfüllen. Von ausschlaggebender Bedeutung ist es, dass die Gesellschafterstellung vererblich ist, so dass nur erbrechtliche Nachfolgeklauseln die Gesellschafterstellung des Vor- und Nacherben sichern können.

269

Scheitert die Nachfolge des Vorerben, weil er die gesellschaftsvertraglichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so kann die Nachfolgeklausel im Wege ergänzender Vertragsauslegung in eine Eintrittsklausel des Nacherben umzudeuten sein2. Das wird allerdings nur in besonderen Fallgestaltungen durchführbar sein. Die besondere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass bei der Begründung eines Eintrittsrechts für den Nacherben diesem die mit der Mitgliedschaft verbundenen Vermögenswerte nicht zustehen, da diese aufgrund der letztwilligen Verfügung dem Vorerben zufallen. Dieser hätte demnach Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben und auf laufende Gewinne. In der vorzitierten BGH-Entscheidung ging es um ein aufschiebend bedingtes Vermächtnis hinsichtlich des Gesellschaftsanteils zugunsten des nachfolgeberechtigten Vermächtnisnehmers. Der BGH hat aufgrund der besonderen Fallkonstellation die Lücke der letztwilligen Verfügung und der Vertragsgestaltung dahingehend ausgefüllt, dass das Vermächtnis bereits vor Eintritt der Bedingung dem Vermächtnisnehmer anfällt, so dass er bei Eintritt in die Gesellschaft auch den Abfindungsanspruch der Vorerben einbringt, den dieser verpflichtet war, ihm abzutreten.

270

Wenn ein Fall gescheiterter Nachfolge durch den Vorerben eintritt und die Umdeutung der Nachfolgeklausel in ein Eintrittsrecht des Nacherben möglich ist, sollten sich Vor- und Nacherbe darauf einigen, dass der Vorerbe seine Ansprüche auf Auseinandersetzungsguthaben an den Nacherben abtritt und dieser ihm dafür eine Unterbeteiligung einräumt, die mit dem Tode des Vorerben als Gegenstand des auf den Nacherben übergehenden Nachlasses diesem zufällt. Die Unterbeteiligung könnte hinsichtlich ihres Kapitalwertes auf den Stand des Auseinandersetzungsguthabens bei Eintritt des Vorerbenfalles festgeschrieben werden. Zuwächse stünden dann dem in die Gesellschaft eingetretenen Nacherben unmittelbar zu. Bei der Gewinnaufteilung zwischen Vor- und Nacherben wäre der Vorerbe auf eine angemessene Verzinsung des Auseinandersetzungs-

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1 BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47. 2 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, NJW 1978, 264. Stein

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B XI

Rz. 272

Unternehmensnachfolge

guthabens zu beschränken, so dass dem Nacherben der Gewinnanteil aus seiner Tätigkeit in der Gesellschaft verbleibt. 272

bb) Für die Gesellschaft ist die Mitgliedschaft eines Vorerben u.U. belastend, da der Vorerbe in gewissem Umfang in seiner Handlungsfähigkeit hinsichtlich der Gestaltung der Gesellschaftsverhältnisse beschränkt ist. Das kann sich aus der Verfügungsbeschränkung des Vorerben gem. § 2113 Abs. 2 BGB ergeben, wonach unentgeltliche Verfügungen über einen Gegenstand der Erbschaft unwirksam sind.

273

Die Gefahr einer unentgeltlichen Verfügung besteht insbesondere dann, wenn die Gesellschafter Änderungen für das Gesellschaftsverhältnis vereinbaren. Die Grenze zwischen Unentgeltlichkeit und Entgeltlichkeit ist bei Veränderungen des Gesellschaftsverhältnisses u.U. schwer zu ziehen. Im Grundsatz dürfen Eingriffe in das bestehende Gesellschaftsverhältnis nicht zu Wertminderungen des Gesellschaftsanteils führen, so dass es bei den Verfügungen, die der Vorerbe mit der Folge von Minderungen der Gesellschafterstellung trifft, auf die Gegenleistung bzw. den Ausgleich ankommt1. Die Rechtsprechung hat sich bei der Beurteilung teils stärker am reinen Wertmaßstab orientiert2, teils aber zusätzlich allgemeine Bewertungsgesichtspunkte herangezogen3. So sollen nach dem vorzitierten Urteil des BGH Veränderungen des Gesellschaftsvertrags, die „förmlich die Mitgliedschaftsrechte und -pflichten zum Nachteil eines Gesellschafters/ Vorerben beschneiden“, hinsichtlich der Entgeltlichkeit „… auch danach beurteilt werden, ob sie im Hinblick auf gewandelte Verhältnisse und künftige Entwicklungen des Gesellschaftsunternehmens im Gesellschaftsinteresse geboten sind, oder im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen der Erhaltung und Stärkung des Unternehmens dienen und damit im Ergebnis wirtschaftlich auch dem Vorerben zugute kommen“4.

274

In jedem Falle sollen Änderungen der Gesellschaftsverhältnisse als entgeltlich zulässig sein, wenn sie alle Gesellschafter gleichermaßen betreffen, es sei denn, sie wirken sich – bei formaler Gleichheit – einseitig zuungunsten des Gesellschaftsanteils des Vorerben aus5. Ungleichheit der Behandlung ist jedoch keine Unentgeltlichkeit, wenn der Vorerbe einer Veränderung zulasten der Beteiligung zustimmt, dies aber eine Konzession dafür ist, dass die Mitgesellschafter zusätzliche Leistungen erbringen, die der Erhaltung oder Stärkung des Unternehmens dienen6.

275

Die Kündigung der Beteiligung ist als entgeltliche Verfügung zu werten, wenn die Abfindung objektiv vollwertig ist7. Ebenso ist die Aufnahme bzw. das Ausscheiden sonstiger Gesellschafter dann entgeltlich, wenn der Wert der Beteiligung nicht beeinträchtigt wird8. 1 2 3 4 5 6 7

Im Einzelnen hierzu Paschke, ZIP 1985, 129. BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, NJW 1984, 362. BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177. BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177. BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177. BGH v. 6.10.1980 – II ZR 268/79, BGHZ 78, 177. BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, NJW 1984, 362; Unentgeltlichkeit liegt vor, wenn der Vorerbe den Gesellschaftsanteil gegen ein Leibrentenversprechen veräußert, BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47. 8 Paschke, ZIP 1985, 129 (135). 732

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Unternehmensnachfolge

Rz. 280

B XI

Liegt Unentgeltlichkeit einer Verfügung des Vorerben vor, wird diese unwirksam, was für die Gesellschaft zur Folge haben kann, dass bei Eintritt des Nacherbfalles die getroffene Entscheidung rückabgewickelt werden muss1. Um das zu vermeiden, kann die Zustimmung des Nacherben gem. § 2120 BGB eingeholt werden. Das führt aber letzten Endes dazu, dass ein außenstehender Dritter in Entscheidungen eingreift. Insgesamt besteht bei Vorhandensein eines VorerbenGesellschafters die Gefahr, dass die Gesellschafter bei der notwendigen Anpassung der Gesellschaftsstruktur an wirtschaftliche Bedürfnisse oder gar bei Sanierungsmaßnahmen in Zwänge geraten, die eine flexible Gestaltung der inneren Verhältnisse ausschließt.

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Beratungshinweis: Vielleicht mit Ausnahme von Gesellschaftern im engeren Familienkreis sollte der Eintritt von Vorerben in die Gesellschaft möglichst vermieden werden. Das kann durch den gesellschaftsvertraglichen Ausschluss der Nachfolge von Vorerben geschehen. Soll ein Erbe zu seinen Lebzeiten an den Erträgnissen des Gesellschaftsanteils teilhaben, könnte der als Nacherbe in Betracht gezogene Erbe unmittelbar mit dem Gesellschaftsanteil bedacht werden, so dass er beim Erbfall in die Gesellschaft eintreten kann. Der zu versorgende Erbe erhält dann im Wege des Vermächtnisses eine Unterbeteiligung am Gesellschaftsanteil. Denkbar ist natürlich auch ein Nießbrauch, der jedoch ertragsteuerrechtlich nur dann sinnvoll ist, wenn es sich um einen Unternehmensnießbrauch handelt, der dem Nießbraucher eine Stellung als Mitunternehmer einräumt (was im Grundsatz die Zuordnung von Mitverwaltungsrechten, Beteiligung am Risiko und an den stillen Reserven voraussetzt) und ihn nicht nur am Ertrag beteiligt (Ertragsnießbrauch). Erhält der Nießbraucher eine mitunternehmerische Stellung, steht er einem Unterbeteiligten gleich, allerdings kann die dingliche Absicherung, die der Nießbrauch gewährt, für den Bedachten von Bedeutung sein.

277

Soll eine derartige Gestaltung gewählt werden, muss diese nach dem Gesellschaftsvertrag zulässig sein. In den meisten Fällen ist im Gesellschaftsvertrag vorgesehen, dass neben der Abtretung des Gesellschaftsanteils auch jede sonstige Verfügung in Bezug auf den Gesellschaftsanteil sowie dessen dingliche Belastung der Zustimmung der übrigen Gesellschafter bedarf. Diese Zustimmung müsste dann der Nachfolger-Erbe einholen, da er bei Zuweisung der Rechte in Erfüllung des Vermächtnisses die betreffende Verfügung bereits als Gesellschafter trifft.

278

cc) Tritt der Vorerbe in die Gesellschaft ein, ist er formal im Innenverhältnis der Gesellschafter zueinander vollwertiger Gesellschafter, was allerdings durch die erbrechtlichen Bindungen des Vorerben beträchtlich eingeschränkt wird (vgl. Rz. 272 f.).

279

Der Vorerbe hat auch das Umwandlungsrecht gem. § 139 Abs. 1 HGB. Die Ausübung durch ihn bindet den Nacherben2. Diesem steht das Recht nur zu, wenn es der Vorerbe nicht ausgeübt hat und bei Eintritt des Nacherbfalls noch persönlich haftender Gesellschafter ist.

280

1 Paschke, ZIP 1985, 129 (137). 2 BGH v. 25.5.1977 – IV ZR 15/76, BGHZ 69, 47, 52; BGH v. 9.3.1981 – II ZR 173/80, NJW 1981, 1560. Stein

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B XI

Rz. 281

Unternehmensnachfolge

281

Der Vorerbe hat allein Anspruch auf die entnahmefähigen Gewinne, während die stillen Reserven und Rücklagen dem Nachlass des Erblassers zufallen und auf den Nacherben übergehen1. Entnahmefähige Gewinne, die der Vorerbe bis zum Eintritt des Nacherbfalles nicht entnommen hat, fallen allerdings in seinen eigenen Nachlass.

282

Der Nacherbe tritt bei Eintritt des Nacherbfalles in die Gesellschafterstellung so ein, wie sie zu diesem Zeitpunkt besteht. Voraussetzung ist natürlich, dass die Nachfolgeklausel das gestattet. Kann er nicht nachfolgen, steht ihm ein eventueller Abfindungsanspruch zu. 3. Die Haftung der Erben bzw. Nachfolger a) Auflösung der Gesellschaft

283

Wird die Gesellschaft beim Tode eines Gesellschafters aufgelöst, fallen die Mitgliedschaftsrechte in den Nachlass und die Erbengemeinschaft tritt als solche in die Abwicklungsgesellschaft ein; Ansprüche aus der Liquidation stehen der Erbengemeinschaft als Ganzes zu (wegen der Auflösung vgl. Rz. 211 ff.).

284

Geht die Gesellschaft mit dem Tode eines Gesellschafters in das Abwicklungsstadium über, haften die Erben für Altverbindlichkeiten und für Neuverbindlichkeiten aus der Abwicklung nur nach den Grundsätzen der Erbenhaftung2. Dabei haftet die Abwicklungsgesellschaft selbst den Gesellschaftsgläubigern nach wie vor mit ihrem gesamten Vermögen, der Durchgriff auf die persönliche Haftung der Gesellschafter beschränkt sich bei den Erben-Mitgliedern der Abwicklungsgesellschaft jedoch auf den Nachlass, wozu auch die Ansprüche der Erbengemeinschaft gehören, die ihr aus der Abwicklung zustehen. Auch die Haftung der Erben für Verpflichtungen des Erblasser-Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft bei der GbR (u.a. Nachschusspflicht gem. § 735 BGB) ist nach den Grundsätzen der Erbenhaftung beschränkbar.

285

Dasselbe gilt auch für einen Erbennachfolger, der in die Gesellschaft einrückt, wenn die Gesellschaftgem. § 139 Abs. 4 HGB aufgelöst wird. b) Fortsetzung der Gesellschaft ohne Erben

286

Wird die Gesellschaft aufgrund einer Fortsetzungsklausel zwischen den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt, geht die persönliche Haftung des Erblassers für die während seiner Mitgliedschaft entstandenen Forderungen gegen die Gesellschaft (z.B. gem. §§ 128, 160 HGB) innerhalb der fünfjährigen Ausschlussfrist auf die Erben über, die jedoch ihre Haftung nach den Grundsätzen der Erbenhaftung beschränken können. Die Frist beginnt mit dem „Ende des Tages der Eintragung“ des Ausscheidens des verstorbenen Gesellschafters3. Da die Erben bei der Fortsetzungsklausel keine Gesellschafterstellungen erlangen, scheidet eine Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die nach dem Tode des Erblassers entstehen, aus. Ausnahmsweise kann es zu einer Anscheinshaftung der Er1 BGH v. 21.11.1989 – IVa ZR 220/88, NJW 1990, 514. 2 BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, NJW 1982, 45; vgl. Baumbach/Hopt, § 139 Rz. 49. 3 Zur Frist Baumbach/Hopt, § 160 Rz. 1 ff. 734

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 290

B XI

ben gem. § 15 HGB für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach dem Ausscheiden des Erblassers kommen, wenn das Ausscheiden des Erblassers nicht in das Register eingetragen und bekannt gemacht wurde, wobei allerdings die Grundsätze der Erbenhaftung Anwendung finden1. Soweit die Erben durch Dritte in Anspruch genommen werden, besteht ein Schuldbefreiungsanspruch gegen die Gesellschaft (§ 738 Abs. 1 S. 2 BGB), wenn nicht durch Gesellschaftsvertrag ein solcher Anspruch ausgeschlossen ist.

Beratungshinweis: Da die fünfjährige Ausschlussfrist erst mit Eintragung des Ausscheidens des Erblasser-Gesellschafters beginnt und die Gefahr einer nach dem Tode des Erblassers entstehenden Anscheinshaftung der Erben besteht, sollten sich die Erben so schnell wie möglich um die Handelsregistereintragung bemühen. c) Erbrechtliche Nachfolgeklausel aa) Wird ein Erbe oder werden mehrere Erben aufgrund einer Nachfolgeklausel vollhaftende Gesellschafter einer Personengesellschaft des Handelsrechts, ohne von den Möglichkeiten des § 139 Abs. 1 HGB Gebrauch zu machen, haften diese Erben wie ein neu eintretender Gesellschafter unter Lebenden gem. § 130 HGB für die vor ihrer Nachfolge begründeten Verbindlichkeiten (Altverbindlichkeiten) der Gesellschaft unbeschränkt und persönlich2. Ob daneben zugleich die beschränkbare Erbenhaftung für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft besteht, ist wegen der Haftung nach § 130 HGB für die nachfolgenden Erben eher von theoretischer Bedeutung. Die nachfolgenden Erben sind insoweit den Erben gleichgestellt, die ein kaufmännisches Unternehmen unter gleicher Firma fortführen und gem. § 27 Abs. 1 HGB für Altverbindlichkeiten des Erblassers auch persönlich haften (Rz. 25).

287

In der persönlichen Haftung des Nachfolgers für Altverbindlichkeiten liegt kein unzulässiger Zwang zur Übernahme von Verpflichtungen, da dem Nachfolger nach § 139 Abs. 1 HGB das Wahlrecht zur Umwandlung seines Gesellschaftsanteils in eine Kommanditbeteiligung zusteht3.

288

Auch in der GbR haftet ein neu eintretender Gesellschafter für Verbindlichkeiten, die vor seinem Eintritt begründet wurden, wie durch den BGH nunmehr klargestellt worden ist4. Das gilt auch für den Nachfolger-Erben. Der nachfolgende Erbe haftet allerdings ohnehin für die persönlichen Verpflichtungen des Erblassers, dafür gelten jedoch die Grundsätze der Erbenhaftung. Auf diesen Unterschied wird es jetzt nicht mehr ankommen.

289

bb) Folgt ein Erbe aufgrund einer qualifizierten Nachfolgeklausel in die Gesellschaft nach, ohne dass er von der in § 139 Abs. 1 HGB vorgesehenen Umwandlung seiner Gesellschafterstellung in die eines Kommanditisten Gebrauch

290

1 Dazu BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98; Grundsatz wurde hier allerdings nicht im Zusammenhang mit Fortsetzungsklausel entwickelt, ist aber generell anwendbar. 2 BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, NJW 1982, 45. 3 Vgl. dazu Emmerich, ZHR 1986, 193 (203). 4 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, NJW 2003, 1803; Boehme, NZG 2003, 764. Stein

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B XI

Rz. 291

Unternehmensnachfolge

macht, gilt das oben Gesagte für diesen Erben ebenfalls. Die weichenden Erben bleiben allerdings für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft nach den Grundsätzen der Erbenhaftung haftbar. Daneben besteht die Gefahr, dass sie gutgläubigen Dritten gegenüber aus der Anscheinshaftung (§ 15 Abs. 1 HGB) auch für Neuverbindlichkeiten nach dem Erbfall haften (allerdings auch als Erben, d.h. beschränkbar auf den Nachlass, vgl. Rz. 22 ff.). Es ist jedoch davon auszugehen, dass die weichenden Erben einen Ausgleichsanspruch gegen den Nachfolger unter dem Gesichtspunkt des § 426 BGB haben, u.U. auch Aufwendungsersatz aus §§ 677, 681, 667 BGB.

Beratungshinweis: Die den weichenden Erben drohende Anscheinshaftung gem. § 15 Abs. 1 HGB gibt dringende Veranlassung, die Eintragung des Nachfolgers und die dementsprechende Löschung des Erblassers so schnell als möglich zu bewirken. 291

Für Sozialansprüche der Gesellschafter gegen den Erblasser haften alle Erben, nicht nur der Nachfolger1. Auch in diesem Falle ist von einem eventuellen Freistellungsanspruch der weichenden Erben gegenüber dem Nachfolger auszugehen.

292

Nach der Regelung des § 139 Abs. 1 HGB kann der Nachfolger eines persönlich haftenden Gesellschafters sein Verbleiben in der Gesellschaft von der Einräumung einer Kommanditistenstellung abhängig machen (vgl. Rz. 237). Mehreren Nachfolgern steht das Recht gesondert und unabhängig voneinander für ihren Bruchteil am Gesellschaftsanteil zu. Das Wahlrecht entfällt, wenn ohnehin die Nachfolgeklausel vorsieht, dass der Nachfolger nur als Kommanditist in die Gesellschaft einrücken kann (Umwandlungsklausel). Für die Geltendmachung des Umwandlungsanspruches durch den Nachfolger gilt eine Verjährungsfrist von drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt der Kenntnis des Anfalls der Erbschaft (sog. Schwebezeit). Ist die Frist für die Ausschlagung der Erbschaft noch nicht abgelaufen, endet die Verjährungsfrist erst mit deren Ablauf.

293

Wird der Umwandlungsanspruch durch den Nachfolger geltend gemacht, hängen die Haftungsfolgen von der Entscheidung der Gesellschafter bzw. den daraufhin durch den Nachfolger unternommenen Schritten ab. – Die übrigen Gesellschafter können den Antrag des Nachfolgers ablehnen. Dieser hat danach die Möglichkeit, als persönlich haftender Gesellschafter in der Gesellschaft zu verbleiben, dann gilt die in Rz. 230 erläuterte Haftungslage, d.h. der Nachfolger haftet persönlich auch für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft und für die Verbindlichkeiten, die in der Schwebezeit entstanden sind (Letztere als Zwischenneuschulden bezeichnet). – Macht der Nachfolger bei Ablehnung seines Antrages jedoch von der Möglichkeit Gebrauch, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aus der Gesellschaft auszuscheiden, so haftet er in der Schwebezeit für die in Rz. 294 genannten Zwischenneuschulden zwar persönlich wie ein vollhaftender Gesellschafter (entsprechend der Rechtsstellung des Erblassers), aber beschränkbar nach den Grundsätzen der Erbenhaftung. Die gleiche Haftung gilt für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft, die zu Lebzeiten des Erblassers begründet wurden. 1 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, JR 1986, 504. 736

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Unternehmensnachfolge

Rz. 295

B XI

Beratungshinweis: Das Haftungsprivileg des Nachfolgers gem. § 139 Abs. 4 HGB gilt nur, wenn er innerhalb der Schwebezeit ausscheidet. Insofern ist es für ihn zweckmäßig, den Antrag auf Umwandlung mit der Erklärung zu verbinden, dass er im Falle der Ablehnung des Antrages aus der Gesellschaft ausscheidet. Erteilen die übrigen Gesellschafter innerhalb der Frist keine Antwort, gilt der Antrag als abgelehnt. – Nimmt die Gesellschaft den Antrag auf Umwandlung an, wird der Nachfolger automatisch Kommanditist. Ihm stehen von diesem Zeitpunkt an auch nur die Rechte eines Kommanditisten zu. Die weitergehenden Rechte des Erblassers als persönlich haftender Gesellschafter und ihm persönlich eingeräumte Rechte entfallen; Letzteres jedenfalls dann, wenn diese dem gesetzlichen Leitbild des Kommanditisten widersprechen. Mit Erwerb der Kommanditistenstellung gilt für den Nachfolger die Haftung eines Kommanditisten gem. §§ 171, 172 HGB für alle Verbindlichkeiten, die von da ab entstehen (Neuschulden). Nach strittiger Auffassung soll mit Umwandlung seines Gesellschaftsanteils in eine Kommanditbeteiligung die Kommanditistenhaftung neben der Haftung aus § 139 Abs. 4 HGB für Altverbindlichkeiten und Zwischenneuschulden zurückwirken (entsprechend § 173 HGB)1. Dagegen spricht der Wortlaut des § 139 Abs. 4 HGB, der den Schluss zulässt, dass die Schwebezeit eine besondere Haftungsperiode sein soll, dafür lässt sich jedoch anführen, dass jeder Gesellschafter, der in eine Gesellschaft eintritt, für die bereits bestehenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, der Kommanditist eben gem. § 173 HGB nach den für ihn geltenden Bestimmungen2. Immerhin wird auch nicht zwischen der Haftung für Altschulden und Zwischenneuschulden einerseits und Neuschulden andererseits unterschieden, wenn der in Rz. 238 genannte Fall eintritt, d.h. wenn der Nachfolger die Schwebezeit verstreichen lässt, ohne einen Antrag auf Umwandlung seiner Beteiligung zu stellen. Der Streit hat im Übrigen nur dann praktische Bedeutung, wenn die in das Handelsregister einzutragende Hafteinlage als nicht oder nicht voll eingezahlt gilt. Das ist allerdings für den Nachfolger eine höchst bedeutsame Frage, da sie generell seine Haftung als Kommanditist betrifft.

294

In jedem Falle ist es nach Umwandlung seiner Gesellschafterstellung in eine Kommanditbeteiligung erforderlich, die Hafteinlage zu bestimmen, die in das Register eingetragen werden soll3. Da seine Beteiligung als Kommanditist aus den bestehenden Kapitalverhältnissen des Erblassers umgerechnet werden muss, hat der Nachfolger darauf zu achten, dass sich daraus nicht ein unnötiges Haftungsrisiko ergibt, wenn er am Ende eine Hafteinlage zur Eintragung bringt, die durch die Kapitalverhältnisse nicht gedeckt ist. Die Art und Weise der Umrechnung ist strittig. Der Gesetzgeber hat mit seiner Wortkargheit in § 139 Abs. 1 HGB (der „auf ihn entfallende Teil der Einlage des Erblassers“ soll „als seine Kommanditisteneinlage anerkannt“ werden) nicht zur Aufhellung des Problems beigetragen.

295

1 Baumbach/Hopt, § 139 Rz. 47, allerdings nur Verweis auf strittige Meinungen; für die Anwendung des § 173 HGB in jedem Falle Emmerich, ZHR 150, 193 (212). 2 Dafür Wolf, Der Betrieb 2003, 429. 3 Unterscheidung von „Haftsumme“ und „Beitrag“, vgl. Glanegger, § 139 HGB Rz. 23. Stein

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B XI

Rz. 296

Unternehmensnachfolge

296

Ob überhaupt feste Regeln anzuwenden sind oder überhaupt bestehen, ist unklar. Eine Mindermeinung geht davon aus, dass die „bedungene“ Einlage des ursprünglich persönlich haftenden Gesellschafters der Bestimmung der Hafteinlage zugrunde zu legen ist. Wurde diese nicht eingezahlt, führt das zu einer Einlageverpflichtung des Nachfolgers, die bei Nichterfüllung eine persönliche Haftung in Höhe der Hafteinlage zur Folge hat (§ 171 Abs. 1, 1. Hs. HGB). Ist keine Einlage bedungen, geht dieses Verfahren ins Leere, so dass es dann auf die Vereinbarung der Gesellschafter ankommen soll1. Daran wird erkennbar, dass es sehr schwierig ist, dieses Problem überhaupt in feste Regeln zu fassen. In der Tat sind Gesellschaftsverträge und Buchungsverfahren in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich. Im Grunde genommen kommt es darauf an, wie sich die Gesellschafter untereinander selbst hinsichtlich ihrer Anteile an den Buchwerten der Gesellschaft stellen, so dass es überhaupt sinnvoll wäre, für die Höhe der Hafteinlage den Weg der Vereinbarung zu eröffnen oder dem Nachfolger dafür ein Wahlrecht einzuräumen2.

297

Wenn eine Regel für erforderlich gehalten wird, entspricht es dem Anliegen der „Umwandlung“ der Beteiligung am ehesten, wenn die Kapitalkonten des Erblassers saldiert werden, d.h. also z.B. Festkapitalkonto (effektiv), variables Konto und – falls vorhanden – Verlustvortragskonto3. Auf diese Weise finden auch Überentnahmen (variables Kapitalkonto) Berücksichtigung. Nicht erbrachte Einlagen bleiben außerhalb der Berechnung oder sind – je nach Buchungsverfahren – abzuziehen4. Auf diese Weise gelangt man am ehesten zum rechnerisch tatsächlich vorhandenen Kapital, so dass die Anmeldung einer Hafteinlage in dieser Höhe sicherstellt, dass diese als eingezahlt gelten kann und persönliche Haftungsrisiken des Nachfolgers für die Zukunft nicht bestehen. Dieses Verfahren entspricht wohl der h.M.5, setzt letzten Endes aber bei der Ermittlung bereits eine Einigung aller Beteiligten voraus.

298

Ergibt sich bei dieser Ermittlung ein negatives Kapital, soll ein „Erinnerungsbetrag“ als Hafteinlage gelten (1 Euro)6. Der freiwilligen Erhöhung auf einen „sichtbaren Betrag“ durch den Kommanditisten steht nichts entgegen (also z.B. 500 Euro), allerdings müsste dieser Betrag dann auch als Hafteinlage eingezahlt werden.

Beratungshinweis: Es ist nicht völlig sicher, ob in der Zeit zwischen Vollzug der Umwandlung (Annahme des Antrags durch die übrigen Gesellschafter) und Eintragung des Nachfolgers als Kommanditist im Handelsregister § 176 Abs. 2 HGB Anwendung findet oder nicht7. Da die Umwandlung nicht – wie z.B. der rechtsgeschäftliche Erwerb – bedingt durch die Eintra1 So generell K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1577. 2 So Heymann/Emmerich, § 139 Rz. 45. 3 Vgl. dazu Baumbach/Hopt, § 139 Rz. 41, mit Überblick über die verschiedenen Auffassungen. 4 Baumbach/Hopt, § 139 Rz. 41 m.w.N. 5 Baumbach/Hopt, § 139 Rz. 42. 6 Baumbach/Hopt, § 139 Rz. 42. 7 Baumbach/Hopt, § 139 Rz. 60, hält die Nichtanwendung des § 176 Abs. 2 HGB für die herkömmliche Ansicht, vgl. auch § 176 Rz. 10; Glanegger, § 139 Rz. 23 geht von der Anwendung des § 176 Abs. 2 HGB aus. 738

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Unternehmensnachfolge

Rz. 301

B XI

gung erfolgen kann, muss man dem Nachfolger zeitlich wohl Gelegenheit geben, die Eintragung zu bewirken. Allerdings ist es notwendig, die Eintragung unverzüglich zu beantragen, andernfalls ist die unbeschränkte persönliche Haftung für Verbindlichkeiten, die zwischen dem Erwerb der Kommanditistenstellung und der Eintragung entstehen, unvermeidlich. Zumindest bei Nachfolge in einen bereits eingetragenen Kommanditanteil des Erblassers wendet die Rechtsprechung § 176 Abs. 2 HGB nicht an, wenn der Erbe seiner Obliegenheit zur unverzüglichen Eintragung seiner Nachfolge nachkommt1. Trotz des Unterschieds dieser Fallkonstellation zur Umwandlung liegt darin u.U. ein Fingerzeig, dass dem Erben beim Erwerb einer Kommanditistenstellung eine – wenn auch sehr kurz bemessene – Schonfrist zur Bewirkung der Eintragung eingeräumt wird, so dass § 176 Abs. 2 HGB in dieser Zeit keine Anwendung findet. Nicht auszuschließen ist allerdings bei der Umwandlung die Begründung einer Anscheinshaftung gem. § 15 Abs. 1, § 128 HGB)2. Die in Rz. 297 ff. dargelegten Rechtsfolgen der Umwandlung, d.h. die Notwendigkeit der Bestimmung der Hafteinlage und die Haftungsfolgen für den Nachfolger, gelten auch dann, wenn der Erbe aufgrund einer Umwandlungsklausel automatisch in eine Kommanditistenstellung eintritt. Allerdings vereinfacht und verkürzt sich das Verfahren, da die Schwebezeit wegen der automatischen Umwandlung entfällt.

299

Hinsichtlich der Haftung für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft vor dem Tod des Erblassers gilt – wie auch bei Umwandlung durch Antrag – die persönliche Haftung (§ 128 HGB) in Verbindung mit der Möglichkeit, die Haftung nach erbrechtlichen Grundsätzen zu beschränken. Für Verbindlichkeiten, die nach seinem Einrücken entstehen, haftet er gem. §§ 171 und 172 HGB. Zur Frage, ob auch § 173 HGB Anwendung findet, d.h. ob er für Altverbindlichkeiten zusätzlich auch noch als Kommanditist haftet, kann auf Rz. 294 verwiesen werden. Bei einer automatisch wirksamen Umwandlungsklausel entfällt auch die Anwendung erbrechtlicher Haftungsgrundsätze für sog. Zwischenneuschulden in der Schwebezeit (§ 139 Abs. 4 HGB), da für den Nachfolger unmittelbar die Kommanditistenhaftung für alle Verbindlichkei-ten nach seinem Einrücken gilt (für die damit verbundenen Risiken bis zur Eintragung vgl. Rz. 294 f.).

300

Beratungshinweis: Sofern die Gesellschaft vor der Umwandlung des Gesellschaftsanteils des Nachfolgers in eine Kommanditbeteiligung OHG war, ist zugleich mit der Anmeldung des Kommanditisten die Umwandlung der Gesellschaft in eine KG anzumelden, verbunden mit einer Ergänzung der Firma um den neuen Rechtsformzusatz. d) Eintrittsklausel Macht der Begünstigte von seinem Recht zum Eintritt Gebrauch, gelten hinsichtlich der Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft die gleichen Grundsätze wie bei der Nachfolgeklausel (Rz. 231 ff.). Demgemäß haftet er für Altver1 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/98, NJW 1989, 3152; BGH v. 22.6.1989 – IX ZR 164/88, NJW 1989, 3155. 2 Baumbach/Hopt, § 176 Rz. 9. Stein

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301

B XI

Rz. 302

Unternehmensnachfolge

bindlichkeiten und Neuverbindlichkeiten unbeschränkt gem. §§ 128, 130 HGB, daneben bleibt die Haftung der Erben (einschließlich des Eintretenden, wenn dieser Erbe war) für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft nach den Grundsätzen der Erbenhaftung allerdings zeitlich begrenzt durch die Anschlussfrist des § 160 Abs. 1 HGB bestehen. 302

§ 139 HGB findet auf den Eintrittsberechtigten keine Anwendung, da er nicht durch Erbgang unmittelbar Nachfolger geworden ist. Allerdings kann er, wenn die Klausel nicht ohnehin schon seine künftige Rechtsstellung z.B. als Kommanditist festlegt, seinen Eintritt von einer Umwandlung des Gesellschaftsanteils des Erblassers von einem persönlich haftenden Anteil zu einer Kommanditbeteiligung abhängig machen. In jedem Falle sollte der Eintritt als Kommanditist aufschiebend bedingt auf die Eintragung der Kommanditistenstellung im Register erfolgen, um die Risiken des § 176 Abs. 2 HGB zu vermeiden. Das Gleiche gilt, wenn der Nachfolger – da im Gesellschaftsvertrag so vorgesehen – ohnehin nur als Kommanditist eintreten kann.1 e) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel

303

Da es sich in diesem Falle um eine rechtsgeschäftliche Übertragung unter Lebenden handelt, gelten die entsprechenden Vorschriften (§§ 128, 130 HGB) uneingeschränkt. Die Nachhaftung des Rechtsvorgängers (hier also des Erblassers) fällt auf die Erben. Diese haften nach den Grundsätzen der Erbenhaftung und unter Anwendung der Ausschlussfrist des § 160 Abs. 1 HGB. Wegen der drohenden Rechtsscheinhaftung gem. § 15 Abs. 1 HGB sollte die Eintragung der Nachfolge so schnell als möglich erfolgen.

304

Hat der Nachfolger bzw. Erwerber auch in diesem Falle die Absicht, die bisherige Rechtsstellung des Vorgängers in eine Kommanditbeteiligung umzuwandeln, kommt es hinsichtlich der Möglichkeiten und der Folgen auf den Inhalt der Übertragungsklausel an.

305

Wenn der Erwerber bereits zu Lebzeiten des Erblassers die Verfügung (z.B. durch Mitunterzeichnung des Gesellschaftsvertrags) angenommen hat und die Klausel eine Umwandlung nicht vorsieht, hängt es von der Zustimmung der übrigen Gesellschafter ab, ob diese der Umwandlung zustimmen. Der Nachfolger ist in jedem Falle mit Versterben des Erblassers Gesellschafter geworden und befindet sich in der gleichen Lage wie alle übrigen Gesellschafter. Sieht die Klausel eine Umwandlung vor oder stimmen die übrigen Gesellschafter dieser zu, haftet der Erwerber und Nachfolger bis zur Eintragung als Kommanditist unvermeidlich gem. § 176 Abs. 2 HGB persönlich. 4. Besonderheiten bei der Nachfolge in eine Kommanditbeteiligung

306

a) Für die Kommanditgesellschaft gelten die verschiedenen Möglichkeiten der Nachfolge, die vorstehend erläutert wurden, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass das gesetzliche Grundmodell (§ 177 HGB) die Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben vorsieht, sofern keine abweichenden vertraglichen Regelungen getroffen wurden. Die Sondererbfolge gilt auch für die Kommanditbetei1 Hierzu K. Schmidt, GmbHR, 2002, 341. 740

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Unternehmensnachfolge

Rz. 312

B XI

ligung; desgleichen die gleichzeitige Zugehörigkeit des Gesellschaftsanteils zum Nachlass1. War der Erbe bereits Gesellschafter, vereinigt sich die bisherige Beteiligung mit dem ererbten Gesellschaftsanteil, da jeder Gesellschafter nur mit einem Anteil an der Gesellschaft beteiligt sein kann, wobei die Art der ursprünglichen Beteiligung den Ausschlag gibt. War der Erbe persönlich haftender Gesellschafter, bleibt er dies, es erhöht sich jedoch sein Kapitalanteil. Im Innenverhältnis können Sonderbestimmungen für den Kommanditanteil weitergelten (z.B. Gewinnansprüche), wenn eine entsprechende Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag für diesen Fall getroffen ist2. War der Erbe bereits zuvor Kommanditist, erhöht sich sein Kommanditanteil.

307

Der Erbe tritt in die Kommanditistenstellung ein, wie sie beim Tod des Erblassers bestand.

308

Hinsichtlich der Haftung gilt § 173 HGB, d.h. der Nachfolger wird behandelt wie jeder andere eintretende Kommanditist3. War die Kommanditeinlage geleistet und liegt auch kein Fall des § 172 Abs. 4 HGB vor (Rückzahlung der Einlage, unzulässige Entnahmen, die die Kapitaleinlage unter den Betrag der Einlage herabmindern), besteht keine persönliche Haftung des Erben. Er haftet nur mit der Einlage. Insofern kommt es in diesem Falle auf die Unterscheidung zwischen Altverbindlichkeiten und Neuschulden nicht an. Unter dem Gesichtspunkt des § 176 Abs. 2 HGB muss er allerdings seine Nachfolge unverzüglich zur Eintragung anmelden, da anderenfalls eine volle persönliche Haftung entsteht (wobei es teilweise umstritten ist, ob der § 176 Abs. 2 auf den Erben-Nachfolger überhaupt Anwendung findet4).

309

War die Kommanditeinlage durch den Erblasser nicht geleistet oder liegt ein Fall des § 172 Abs. 4 HGB vor, haftet der Erbe persönlich bis zur Höhe des Betrages der Hafteinlage (vorausgesetzt, er ist eingetragen) für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die vor dem Tod des Erblassers entstanden sind. Da § 173 HGB (§§ 171, 172 HGB) voll durchgreift, ist für Altverbindlichkeiten die Beschränkung nach den Regeln der Erbenhaftung nicht möglich. Auch die Unterscheidung von Zwischenneuschulden und Neuschulden verliert ihren Sinn.

310

b) Scheidet der einzige persönlich haftende Gesellschafter durch Tod aus der Gesellschaft aus, ohne dass ein Nachfolger vorhanden ist, wird die Gesellschaft aufgelöst. Die verbleibenden Gesellschafter können jedoch einen neuen persönlich haftenden Gesellschafter (auch eine GmbH) aufnehmen und dann die Fortsetzung beschließen5.

311

Bei einer GmbH & Co. KG stimmen die gesetzlichen Grundmodelle über die Vererblichkeit des Geschäftsanteils an der GmbH und der Kommanditbetei-

312

1 Hierzu Götz, NZG 2004, 347. 2 Großkomm. HGB/Schilling, § 177 Rz. 19. 3 Teilweise umstritten, wobei die Gegenmeinung von einer Anwendung des § 139 Abs. 3 HGB ausgeht, der den § 173 HGB verdrängt; vgl. dazu Baumbach/Hopt, § 173 Rz. 15 m.w.N. 4 Dafür Götz, NZG 2004, 348 und auch wohl K. Schmidt, GmbHR 2002, 347. 5 Baumbach/Hopt, § 177 Rz. 1. Stein

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B XI

Rz. 313

Unternehmensnachfolge

ligung überein: Beide sind kraft Gesetzes vererblich. Dieser gesetzliche Normalfall liegt i.d.R. jedoch nicht vor, vielmehr ist davon auszugehen, dass sowohl im Gesellschaftsvertrag der KG als auch der GmbH Regelungen zur Nachfolge enthalten sind. Dabei ergibt sich allerdings die Besonderheit, dass der Geschäftsanteil an der GmbH zwingend gesetzlich vererblich ist und diese Vererblichkeit auch nicht vertraglich ausgeschlossen werden darf1. Stattdessen werden Klauseln aufgenommen, in denen unerwünschte Erben gezwungen werden, den ererbten Geschäftsanteil auf Beschluss der Gesellschafterversammlung an bestimmte Personen oder die Gesellschaft rechtsgeschäftlich zu übertragen, oder die Gesellschaft ist berechtigt, den Geschäftsanteil einzuziehen. Im Gegensatz dazu kann im KG-Vertrag die Nachfolge abweichend von der Erbfolge geregelt werden. 313

Sind beide Gesellschaftsverträge hinsichtlich der Nachfolge synchron gestaltet, ist die gleichmäßige Nachfolge in der GmbH und der KG gewährleistet. Darin muss in jedem Falle das Ziel der Nachfolgegestaltung liegen, da anderenfalls Geschäftsführung, die bei der GmbH liegt, und Mitgliedschaftsrechte als Kommanditist in der KG auseinander fallen.

314

Störungen in der Nachfolge können sich aus der unterschiedlichen Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags und aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers ergeben.

Beratungssituation: Der Gesellschaftsvertrag der GmbH verpflichtet die Erben, die nicht direkte Abkömmlinge des Erblassers sind, den Geschäftsanteil auf die Abkömmlinge zu übertragen, anderenfalls behält sich die Gesellschaft vor, den Geschäftsanteil einzuziehen, selbst zu erwerben oder einen Dritten zu bestimmen, auf den der Geschäftsanteil zu übertragen ist. 315

Im Gesellschaftsvertrag der KG ist vorgesehen, dass die Gesellschaft mit den vom Erblasser bestimmten Erben fortgesetzt wird. Die Gesellschaftsverträge stimmen in diesem Falle nicht vollständig überein. Der Erblasser könnte allerdings wegen der Flexibilität der Nachfolgeklausel im KG-Vertrag die Einheitlichkeit der Nachfolge sichern, indem er im Testament seine Kinder zu Nachfolgern in der Gesellschaft einsetzt (qualifizierte Nachfolgeklausel, Kinder folgen unmittelbar in Sondernachfolge nach, keine Teilungsanordnung). Ist weitere Erbin z.B. die Ehefrau, wäre es zweckmäßig, im Rahmen einer Teilungsanordnung den Kindern den Geschäftsanteil zuzuweisen, so dass die Ehefrau im Rahmen der Teilungsanordnung bereits verpflichtet wäre, ihren Anteil am gesamthänderisch gehaltenen Geschäftsanteil auf die Kinder zu übertragen. Unterlässt der Erblasser diese Anordnung, wäre diese Übertragung auf alle Fälle nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags vorzunehmen.

316

Beachtet der Erblasser diese vertraglichen Gegebenheiten jedoch nicht und setzt nur seine Ehefrau als Alleinerbin ein, folgt diese in die KG nach (ebenfalls qualifizierte Nachfolgeklausel), muss aber den ererbten Geschäftsanteil auf ihre Kinder übertragen. Diese wären dadurch an der Geschäftsführung, jedoch nicht an den Ergebnissen beteiligt (vorausgesetzt die GmbH hat, wie in der Regel, keinen Teil am Vermögen der Gesellschaft). Die Mutter ist an den Ergebnissen beteiligt, hat aber außer den beschränkten Rechten des Kommanditisten keine Mitwirkungsrechte an der Geschäftsführung. 1 Im Einzelnen dazu Götz, NZG 2004, 345. 742

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 322

B XI

5. Firma, Handelsregisteranmeldung a) Firma Scheidet ein Gesellschafter durch Tod oder auch unter Lebenden aus der Gesellschaft aus, bleiben bei einer Handelsgesellschaft nicht nur der Bestand der Gesellschaft, sondern auch die Firma unverändert. Das gilt auch dann, wenn der ausscheidende Gesellschafter Namensgeber war. Es gilt insoweit der Grundsatz der Fortführung der erworbenen Firma (§ 24 Abs. 1 HGB).

317

Gem. § 24 Abs. 2 HGB ist allerdings dem ausscheidenden Gesellschafter nicht aus firmenrechtlichen Gründen, sondern aus Gründen des Namensrechts das Recht eingeräumt, die Fortführung der Firma mit seinem Namen auszuschließen, indem er der Gesellschaft gegenüber seine Zustimmung zur Fortführung nicht erteilt. Eine derartige Zustimmung kann bereits im Gesellschaftsvertrag geregelt sein, was aber wohl nicht die Regel ist.

318

Verstirbt ein Gesellschafter, gehen die Rechte aus § 24 Abs. 2 HGB auf die Erben über1. Folgt ein Erbe unter Zustimmung der Namensfortführung nach und scheidet später aus, kann er das Recht aus § 24 Abs. 2 HGB nicht mehr geltend machen, da es nur den Namensgeber und dessen Erben unmittelbar schützt, nicht jedoch ein Dauerrecht für die Erben gewährt. Letzteres gilt auch bei Namensgleichheit2, es sei denn, der namensgleiche Erbe hat die ererbte Firma in eine mit Dritten gebildete Gesellschaft als abgeleitete Firma eingebracht3.

319

Für Kapitalgesellschaften gilt § 24 Abs. 2 HGB nicht4, damit auch nicht für die GmbH & Co. KG, soweit die GmbH namensgebend war.

320

b) Handelsregisteranmeldung aa) Gesetzlicher Regelfall: Fortsetzung ohne Erben Das Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters ist von allen Gesellschaftern und von den Erben, soweit deren Mitwirkung keine besonderen Hindernisse entgegenstehen (§§ 143 Abs. 2, 3 HGB), z.B. ungeklärte Erbfolge oder Unerreichbarkeit, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden5. Es besteht keine Gesamtanmeldungspflicht, d.h. bei Säumnis eines Anmeldepflichtigen darf die Anmeldung nicht zurückgewiesen werden, sondern unter Androhung von Zwangsgeld wird der Säumige zur Anmeldung angehalten (§§ 14 HGB i.V.m. §§ 374, 388 FamFG). Ferner besteht ein zivilrechtlicher Mitwirkungsanspruch aus Gesellschaftsvertrag.

321

bb) Auflösungsklausel Die Auflösung der Gesellschaft ist gem. §§ 143 Abs. 2, 3 HGB von den Gesellschaftern und – mangels besonderer Hindernisse – den Erben anzumelden. Dabei ist der Grund anzugeben (Tod des Gesellschafters). Die nach Auflösung stattfindende Liquidation ist wiederum von sämtlichen Erben und Gesellschaftern 1 2 3 4 5

Schaub, ZEV 1994, 71. Dazu insgesamt Baumbach/Hopt, § 24 Rz. 11. Baumbach/Hopt, § 24 Rz. 11; Glanegger, § 24 Rz. 5. Baumbach/Hopt, § 24 Rz. 12. BayObLG v. 22.12.1992 – 3Z BR 170/92, DStR 1993, 442; DNotZ 1994, 28. Stein

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743

322

B XI

Rz. 323

Unternehmensnachfolge

anzumelden (§ 148 HGB). Das Erlöschen der Gesellschaft nach durchgeführter Liquidation ist von allen Liquidatoren anzumelden (§ 157 HGB). 323

Im Falle eines nachträglichen Fortsetzungsbeschlusses ist die Fortsetzung von allen Gesellschaftern und Erben anzumelden (analog §§ 144 Abs. 2, 107 HGB). Bei Beteiligung eines Minderjährigen ist dazu die familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, jedenfalls dann, wenn er erst mit der durch den Erbfall bedingten Auflösung Gesellschafter wurde. cc) Erbrechtliche Nachfolgeklausel

324

Im Falle des unmittelbaren Gesellschaftseintritts durch Singularsukzession ist neben dem Ausscheiden (§ 143 Abs. 2, 3 HGB) und dem Eintritt des Nachfolgers (§ 107 HGB) die Art der Nachfolge anzugeben.

325

Das Haftungsbeschränkungsrecht aus § 139 HGB ist keine eintragungspflichtige Tatsache. Erfolgt die Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung, ist aber einzutragen, dass „der Erbe die Mitgliedschaft des Erblassers als Kommanditist mit einer Hafteinlage von … Euro fortführt“. In diesem Falle ist gleichzeitig von allen Gesellschaftern die Umwandlung in eine KG anzumelden (sonst Rechtsscheinhaftung).

326

Bleibt der Erbe Vollhaftender, ist die Nachfolge, wie oben dargestellt, anzumelden. Scheidet der Erbe aus, ist dies ebenfalls von allen Gesellschaftern und Erben anzumelden. dd) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel und Eintrittsklausel

327

Bei Bedingungseintritt des Todes oder bei Eintritt aufgrund einer Eintrittsklausel ist von den Gesellschaftern das Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters (§ 143 Abs. 2, 3 HGB) sowie der Eintritt des Nachfolgers (§ 107 HGB) anzumelden. Für das Ausscheiden sind zusätzlich die Erben anmeldepflichtig. 6. Ertragsteuerrechtliche Folgen im Erbfall und bei der Erbauseinandersetzung a) Vorbemerkungen

328

Rechtsprechung und Finanzverwaltung folgen hinsichtlich der Bewertung von Tatbeständen der Nachfolge in Gesellschaftsanteilen weitgehend den erbrechtlichen Vorgaben. Im Wesentlichen gelten die Regeln für Einzelunternehmen entsprechend.

329

Ertragsteuerrechtliche Probleme bereitet u.U. das steuerliche Sonderbetriebsvermögen, das aus Wirtschaftsgütern besteht, die der Erblasser als Gesellschafter der Gesellschaft zur Nutzung überlassen hat, ohne sie in das Gesamthandsvermögen der Gesellschaft einzubringen. Dieses Vermögen fällt immer in den Nachlass und wird Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft. b) Auflösung und Liquidation der Gesellschaft

330

Führt der Tod eines Gesellschafters zur Auflösung der Gesellschaft, so dass die Erbengemeinschaft als Ganzes in die Liquidationsgesellschaft eintritt, erwirbt die Erbengemeinschaft auch steuerlich eine Mitunternehmerstellung, wobei mittelbar die einzelnen Erben Mitunternehmer sind. 744

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 334

B XI

Wird durch die Abwicklungsgesellschaft das Unternehmen als Ganzes an einen Dritten veräußert, entsteht ein gem. §§§ 16, 34 EStG begünstigter Veräußerungsgewinn. Der auf die Erbengemeinschaft entfallende Anteil an diesem Gewinn (Anteil am Veräußerungserlös abzüglich Buchwert der Beteiligung des Erblassers) wird nach Erbquoten auf die einzelnen Erben aufgeteilt. Erfüllen einzelne Erben die persönlichen Voraussetzungen der Begünstigung gem. § 16 Abs. 4 EStG und § 34 Abs. 3 EStG, können sie diese hinsichtlich des auf sie entfallenden Anteils am Veräußerungsgewinn geltend machen.

331

Die Liquidationsgesellschaft kann sich auch durch Realteilung auseinander setzen (personenbezogene Aufgabe der Mitunternehmeranteile der Gesellschafter einschließlich der Erbengemeinschaft).

332

Beratungssituation: Der Erblasser E (zu 2/ 3) war mit den Gesellschaftern M (1/ 6) und S (1/ 6) in einer OHG verbunden, die einen Fliesenmarkt und einen Produktionsbereich Trockenbau und Fliesen unterhalten. Der Gesellschaftsvertrag sah vor, dass beim Tode des E die Gesellschaft aufgelöst wird. Erben des E sind A, B und C. Das Gesellschaftsvermögen besteht aus zwei Grundstücken (jeweils Standort des Produktionsbereiches und des Fliesenmarktes). Erbe B möchte den Fliesenmarkt weiterbetreiben. Durch die Auflösungsklausel ist eine Abwicklungsgesellschaft entstanden, an der die Erbengemeinschaft beteiligt ist. Entschließen sich die Gesellschafter, die Gesellschaft (d.h. steuerlich die Mitunternehmerschaft) real zu teilen, könnte der Erbengemeinschaft der Teilbetrieb Fliesenmarkt und das verbleibende bisher für den Trockenbau genutzte Grundstück den Gesellschaftern M und S zugeteilt werden. In der Annahme, dass die jeweiligen Verkehrswerte der Wirtschaftsgüter dem Bruchteil der Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen entsprechen, hat die Realteilung die Folge, dass M und S einen Aufgabegewinn erzielen (gemeiner Wert des ihnen zufallenden Grundstücks abzüglich Buchwert ihrer Beteiligung), es sei denn, beide legen das Grundstück in ein neues Betriebsvermögen ein (dann zwingende Fortführung der Buchwerte). Die Erbengemeinschaft muss die Buchwerte des Teilbetriebs fortführen. Ein Aufgabegewinn auf Seiten der Erbengemeinschaft fällt nicht an. Da die Miterben hinsichtlich des Teilbetriebs Mitunternehmer sind, müssten A und C ihre Mitunternehmeranteile im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft auf B übertragen. Zahlt B in diesem Zusammenhang eine Abfindung, ist das für A und C begünstigter Veräußerungserlös, B hat Anschaffungskosten.

333

Entschließen sich die Gesellschafter dagegen im Stadium der Abwicklung, die Gesellschaft fortzusetzen und werden dadurch die einzelnen Erben in Höhe ihrer Erbquote am ursprünglichen Gesellschaftsanteil des Erblassers unmittelbar Gesellschafter, hat das ertragsteuerlich keine Auswirkungen. Entschließt sich nur ein Erbe zur Fortführung, müssen die übrigen Erben ihre im Rahmen der Erbengemeinschaft bestehenden mittelbaren Mitunternehmeranteile auf den fortsetzungswilligen Erben übertragen. Wird dafür eine Abfindung gezahlt, erzielen die weichenden Erben einen begünstigten Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn. Die Einbeziehung dieser Übertragung in die steuerneutrale Realteilung des Gesamtnachlasses ist möglich.

334

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B XI

Rz. 335

Unternehmensnachfolge

Beratungshinweis: Gehört Sonderbetriebsvermögen zum Nachlass, sollte dies ebenfalls durch die Miterben auf den fortsetzungswilligen Erben übertragen werden, insbesondere wenn es sich um wesentliche Betriebsgrundlagen der Gesellschaft handelt. Umfasst die Abfindung, die der fortsetzungswillige Erbe an die Miterben zahlt, auch das Sonderbetriebsvermögen, erzielen die weichenden Miterben insgesamt einen begünstigten Veräußerungsgewinn. 335

Bei Zurückbehaltung des Teiles des Sonderbetriebsvermögens, das auf die weichenden Erben entfällt, wird dieses durch die weichenden Erben entnommen. Bei Überführung des Sonderbetriebsvermögens in das Privatvermögen bleibt die Veräußerung des damit verbundenen Mitunternehmeranteils tarifbegünstigt, weil die stillen Reserven des Sonderbetriebsvermögens bei Überführung in das Privatvermögens vollständig aufgedeckt werden1. c) Fortsetzungsklausel

336

Wenn im Rahmen einer gesellschaftsvertraglichen Regelung unter Fortsetzung der Gesellschaft zwischen den verbleibenden Gesellschaftern (oder bei einer zweigliedrigen Gesellschaft die Übernahme des Gesellschaftsvermögens durch den verbleibenden Gesellschafter) vorgesehen ist, dass den Erben ein Abfindungsanspruch zusteht, wird diese Abfindung als Erlös aus der begünstigten Veräußerung des Mitunternehmeranteils noch dem Erblasser zugerechnet. Die Fortsetzungsklausel wird insofern wie eine Veräußerung des Gesellschaftsanteils durch den Erblasser an seine Mitgesellschafter angesehen. Soweit die ertragsteuerrechtliche Begünstigung des Veräußerungsgewinns von persönlichen Voraussetzungen des Mitunternehmers abhängt, kommt es darauf an, ob der Erblasser diese Voraussetzungen in seiner Person erfüllt2. Auf Seiten der Erben wirkt sich der Zufluss der Abfindung in den Nachlass unmittelbar nicht aus, sie erwerben steuerlich neutral. Das gilt selbst dann, wenn einer der Erben seinerseits Gesellschafter ist.

337

Die Gesellschafter, denen der Anteil des Erblassers entsprechend der Höhe ihrer jeweiligen Beteiligung anwächst, haben Anschaffungskosten, auch der Erbe, der Gesellschafter ist3.

338

Hatte der Erblasser Sonderbetriebsvermögen, wird dieses mit dem Zeitpunkt seines Todes in das Privatvermögen überführt. Der gemeine Wert des Sonderbetriebsvermögens wird dem Veräußerungserlös (d.h. der Abfindung) für den Mitunternehmeranteil zugerechnet. Der Gewinn, der sich nach dieser Zusammenrechnung insgesamt ergibt, ist begünstigter Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn des Erblassers.

339

aa) Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Fortsetzungsklausel, die eine Abfindung ausschließt, wird im Familienkreis von einer unentgeltlichen Übertragung auf den Todesfall ausgegangen. 1 BFH v. 1.2.1990 – IV R 8/89, BStBl. II 1990, 428. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 661. 3 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 661. 746

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Unternehmensnachfolge

Rz. 344

B XI

Beratungssituation: E hat seine Söhne R und S in das Geschäft aufgenommen und dieses als OHG fortgeführt. Im Gesellschaftsvertrag ist vereinbart, dass bei Versterben des Gesellschafters E dessen Gesellschaftsanteil den übrigen Gesellschaftern anwächst und eine Abfindung an die Erben nicht zu zahlen ist. E hat außerdem eine Tochter und hinterlässt seine Ehefrau, die zusammen mit seinen Söhnen als Erben eingesetzt sind; allerdings ist erbvertraglich bestimmt, dass die Söhne sich den auf sie im Todesfall des E entfallenden Gesellschaftsanteil auf ihren Erbteil anrechnen lassen müssen. Im vorstehenden Falle handelt es sich bei der Regelung der Fortsetzungsklausel eindeutig um eine unentgeltliche Zuwendung auf den Todesfall, so dass der Gesellschaftsanteil des Herrn E seinen Söhnen R und S steuerlich neutral anwächst. Für die Erbengemeinschaft spielt der Gesellschaftsanteil nur insofern eine Rolle, als dessen Wert bei der Verteilung des Restnachlasses zulasten der Söhne zu berücksichtigen ist. Der betriebliche Freibetrag der Erbschaftsteuer gem. § 13a ErbStG bzw. ab 2009 der Verschonungsabschlag für Betriebsvermögen steht den Empfängern der Schenkung entsprechend ihrem Anteil am Gesellschaftsanteil des Erblassers unmittelbar zu, da die Schenkung mit Eintritt des Erbfalles als vollzogen gilt1.

340

bb) Haben Gesellschafter, die familiär im Übrigen nicht verbunden sind, den Ausschluss der Abfindung „auf Gegenseitigkeit“ in der Fortsetzungsklausel vereinbart und sind die Umstände der Gesellschafter (z.B. Lebensalter) ausgewogen, erwerben die verbleibenden Gesellschafter entgeltlich. Der Erblasser erzielt in diesem Falle einen Veräußerungsverlust; die erwerbenden Gesellschafter haben entweder den Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters abzustocken oder die Buchwerte des verstorbenen Gesellschafters fortzuführen und erzielen in Höhe der Buchwerte einen laufenden Gewinn2.

341

Die oben (Rz. 216 ff.) erläuterten Folgen gelten sinngemäß auch dann, wenn der Gesellschaftsvertrag bei einer zweigliedrigen Gesellschaft anstelle der Fortsetzungsklausel eine Übernahmeklausel enthält, die dem verbleibenden Gesellschafter das Recht einräumt, den Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters innerhalb einer bestimmten Frist zu übernehmen.

342

Ist eine Abfindung zu zahlen, ist zu berücksichtigen, dass die Erben bis zur Ausübung des Übernahmerechts Gesellschafter werden und der dann fällige Abfindungsanspruch zu einem Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn bei den Erben führt (quotal nach Erbanteilen)3. Insofern kommt es hinsichtlich der persönlichen Begünstigungstatbestände (§ 16 Abs. 4, § 34 Abs. 3 EStG) darauf an, ob der einzelne Erbe in seiner Person diese Voraussetzungen erfüllt.

343

Hatte der Erblasser Sonderbetriebsvermögen, wird dieses bei Ausübung des Übernahmerechts durch den verbleibenden Gesellschafter in das Privatvermögen der Erbengemeinschaft überführt, wobei allerdings der gemeine Wert des Sonderbetriebsvermögens der Abfindung hinzuzurechnen ist, so dass der erzielte Gewinn insgesamt begünstigt ist.

344

1 Gebel, Schenkung- und Erbschaftsteuerrecht, Rz. 473. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 663. 3 Der Erblasser hat in diesem Falle nur vorbereitende Maßnahmen für die Veräußerung getroffen; vgl. Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 664 m.w.N. Stein

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B XI

Rz. 345

Unternehmensnachfolge

d) Einfache Nachfolgeklausel 345

Wie. erläutert (Rz. 210), geht bei einer einfachen Nachfolgeklausel der Gesellschaftsanteil des Erblassers in Sondererbfolge geteilt nach Erbquoten unmittelbar auf sämtliche Erben über, und zwar unabhängig von einer etwa bestehenden Teilungsanordnung. Hatte der Erblasser Sonderbetriebsvermögen, wird dies Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft, bleibt aber betriebliches Vermögen für die Miterben-Gesellschafter (steuerlich erfolgt eine quotale Zurechnung zum einzelnen Miterben-Gesellschafter).

346

Erbfallschulden (Pflichtteilsansprüche, Geldvermächtnisse, Gleichstellungsgelder, Erbersatzansprüche), die die Miterben zu erfüllen haben, sind Privatschuld.

347

Wie bereits im Zusammenhang mit dem Einzelunternehmen erläutert, sind die steuerlichen Folgen eines Sachvermächtnisses sehr nachteilig, wenn Gegenstand des Sachvermächtnisses ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens ist.

Beratungssituation: Der Erblasser hat seine Ehefrau und seinen Sohn als Erben je zur Hälfte eingesetzt. Zum Nachlass gehört ein Gesellschaftsanteil an der X-OHG nebst Sonderbetriebsvermögen. Er hat ferner seinem Enkel F ein Teilgrundstück, das sich im Sonderbetriebsvermögen befindet, als Vermächtnis zugewiesen. Dieses Teilgrundstück war zeitweilig als betriebliches Lagergebäude verwendet worden, wird aber wegen der Verlegung der Lagerhaltung dafür nicht mehr benötigt. Enkel F betreibt eine kleine Software-Firma und wird diese in das Gebäude verlegen. Die Erbengemeinschaft muss das Grundstück zum gemeinen Wert entnehmen und unentgeltlich auf den Enkel übertragen. Der Entnahmegewinn ist als laufender Gewinn zu versteuern. Der Enkel führt den Entnahmewert fort. 348

Anders ist die Rechtslage bei Zuteilung eines Wirtschaftsgutes des Sonderbetriebsvermögens im Wege des Vorausvermächtnisses.

Beratungssituation: In Abwandlung des vorstehenden Beispiels hat der Erblasser seinem Sohn das betrieblich nicht mehr unmittelbar genutzte Grundstück als Vorausvermächtnis hinterlassen und dieser bringt es in das Betriebsvermögen eines von ihm betriebenen Einzelunternehmens ein (Verlegung der Betriebsstätte in das Gebäude). In diesem Falle überführt der Sohn das Grundstück des Sonderbetriebsvermögens in ein anderes Betriebsvermögen, so dass dieses nunmehr wieder steuerlich neutral dem Sonderbetriebsvermögen entnommen und zu Buchwerten in das andere Betriebsvermögen des Mitunternehmers eingelegt werden muss. 349

Die steuerlichen Grundsätze, die für die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft in Bezug auf Einzelunternehmen entwickelt wurden, gelten im Prinzip auch für die Auseinandersetzung, wenn zum Nachlass ein Gesellschaftsanteil an einer Personengesellschaft gehört.

350

Bei einer einfachen Nachfolgeklausel, wenn also sämtliche Miterben in Sondererbfolge jeweils einen Teil des Gesellschaftsanteils erworben haben, besteht auch hinsichtlich der steuerlichen Aspekte der Auseinandersetzung eine hohe 748

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 354

B XI

Flexibilität, insbesondere, wenn Sonderbetriebsvermögen nicht vorhanden ist. In der Tat lässt sich durch Verschiebung der Anteile ein Ausgleich mit anderen Vermögenswerten herstellen, da die Finanzverwaltung auch die Realteilung der Erbengemeinschaft unter Einbeziehung von Gesellschaftsanteilen bei Vorhandensein eines Mischnachlasses anerkennt1. Es wird allerdings sehr häufig der Fall sein, dass auch Sonderbetriebsvermögen mit dem Gesellschaftsanteil verbunden ist. Im Gegensatz zum Gesellschaftsanteil, der dinglich und steuerlich jedem Miterben direkt anfällt, wird das Sonderbetriebsvermögen Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft.

351

Beratungssituation: E hinterlässt seine Ehefrau und die Söhne R und S. Bei seinem Tode fällt sein Gesellschaftsanteil an der X-OHG von 48 % in den Nachlass. Zum Gesellschaftsanteil gehört als Sonderbetriebsvermögen ein Grundstück (Betriebsgrundstück der OHG); ferner ein Privatgrundstück. Der Wert des Gesellschaftsanteils beträgt 1,5 Millionen Euro, der Wert des Grundstücks im Sonderbetriebsvermögen beträgt 600 000 Euro und das Privatgrundstück wird mit 1,3 Millionen Euro geschätzt, ist aber mit 400 000 Euro Restkredit belastet. E hat die Erben zu gleichen Teilen eingesetzt, aber im Wege der Teilungsanordnung verfügt, dass der Sohn R 2/ 3 des Gesellschaftsanteils erhalten soll und Sohn S und die Mutter jeweils 1/ 6. Aufgrund der Erbfolge haben im vorstehenden Beispiel alle Erben einen gleich großen Teilgeschäftsanteil erworben. Um die Teilungsanordnung zu vollziehen, müssen Sohn S und die Mutter Bruchteile ihres Teilgeschäftsanteils auf R übertragen („abweichende Aufteilung“). Das Sonderbetriebsvermögen ist Gesamthandsvermögen geworden. Da alle Erben Gesellschafter bleiben, könnte es auch aus steuerlicher Sicht dabei bleiben.

352

Bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft und der damit verbundenen Verschiebung von Bruchteilen der erworbenen Gesellschaftsanteile (wie im Ausgangsbeispiel) ist es nicht mehr erforderlich, auf eine parallele quotale Zuteilung des Sonderbetriebsvermögens zu achten, wenn keiner der Miterben aus der Gesellschaft ausscheidet (jedenfalls soweit das Sonderbetriebsvermögen wesentliche Betriebsgrundlage ist) und die Auseinandersetzung darüber abfindungsneutral, also zu Buchwerten, stattfindet. Nach der seit 2001 bestehenden Rechtslage (§ 6 Abs. 3 EStG) ist es bei unentgeltlicher Übertragung von Bruchteilen von Mitunternehmeranteilen nicht mehr unbedingt erforderlich, Sonderbetriebsvermögen im quotalen Verhältnis mitzuübertragen (aber fünfjährige Behaltensfrist für Erwerber ist zu beachten).2

353

Natürlich können die Erben auch eine quotale Verteilung des Sonderbetriebsvermögens vornehmen, wenn gerade dadurch die steuerneutrale Auseinandersetzung ermöglicht wird. Die Miterben im Ausgangsbeispiel können unter Beachtung der Realteilung die steuerlich neutrale Auseinandersetzung des Betriebsvermögens wie folgt vornehmen3:

354

1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 253), Tz. 71. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 435. 3 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 670. Stein

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B XI

Rz. 355

R. erhält nur Betriebsvermögen wie folgt 16 % am Gesellschaftsanteil ererbt 8 % von der Mutter 8 % vom Bruder S Grundstück Sonderbetriebsvermögen 1/ 3 ererbt 1/ 6 von der Mutter 1/ 6 vom Bruder S Mutter erhält am Betriebsvermögen 16 % am Gesellschaftsanteil ererbt abzüglich 8 % an R 1/ 3 am Grundstück Sonderbetriebsvermögen abzüglich 1/ 6 an R Bruder S erhält am Betriebsvermögen 16 % am Gesellschaftsanteil ererbt abzüglich 8 % an R 1/ 3 am Betriebsgrundstück abzüglich 1/ 6 an R Ferner übernehmen: Mutter 1/ 2 Privatgrundstück S 1/ 2 Privatgrundstück

Unternehmensnachfolge

500 000 Euro 250 000 Euro 250 000 Euro 200 000 100 000 100 000 1 400 000

Euro Euro Euro Euro

500 000 ./. 250 000 200 000 ./. 100 000 350 000

Euro Euro Euro Euro Euro

500 000 ./. 250 000 200 000 ./. 100 000 350 000

Euro Euro Euro Euro Euro

650 000 Euro 650 000 Euro

Sohn R übernimmt die auf dem Grundstück lastende Verbindlichkeit von 400 000 Euro, die für ihn Betriebsschuld wird, so dass die Zinsen als Betriebsausgaben abgesetzt werden können. Insgesamt erhält jeder Erbe einen Wert von 1 Million Euro. Bei Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft wird das Privatgrundstück an die Mutter und S aufgelassen. Das Grundstück des Sonderbetriebsvermögens wird am zweckmäßigsten an eine GbR, bestehend aus R, S und Mutter übertragen, wobei die Miterben durch Gesellschaftsvertrag ihre Anteile an der GbR wie folgt festlegen: R 2/ 3, S 1/ 6, Mutter 1/ 6. Die Schaffung von Gesamthandsvermögen im Rahmen einer GbR ist wegen der künftigen Flexibilität der dann auch hier möglichen Verschiebung von Gesellschaftsanteilen der Bildung von Bruchteilseigentum vorzuziehen. 355

Hat der Erblasser durch Teilungsanordnung bestimmt, dass nur ein Teil der Erben Gesellschafter werden soll, so dass die übrigen ausscheiden, und ist in einem solchen Fall wesentliches Privatvermögen nicht vorhanden, müssen die Gesellschafter-Erben die weichenden Erben durch Ausgleichszahlungen abfinden. Auch diese Ausgleichszahlungen an die weichenden Erben führen zu Anschaffungskosten der Gesellschafter-Erben einerseits und zu einem Veräußerungsgewinn der weichenden Erben andererseits.

356

Ist Sonderbetriebsvermögen des Erblassers vorhanden, vollzieht sich die Auseinandersetzung wie folgt: Die weichenden Erben übertragen sowohl die auf sie 750

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Unternehmensnachfolge

Rz. 359

B XI

entfallenden Bruchteile am Gesellschaftsanteil auf die Gesellschafter-Erben als auch ihre Anteile am Sonderbetriebsvermögen. Dafür ist die Auseinandersetzung bzw. Teilauseinandersetzung der Erbengemeinschaft erforderlich, so dass die weichenden Erben die Vermögenswerte des Sonderbetriebsvermögens auch zivilrechtlich auf die Gesellschafter übertragen. Wird die Auseinandersetzung nur hinsichtlich des Gesellschaftsanteils selbst durchgeführt und bleibt es im Übrigen (z.B. auch hinsichtlich des Grundstücks des Sonderbetriebsvermögens) bei der Erbengemeinschaft, besteht die Gefahr, dass der Anteil der weichenden Erben am Sonderbetriebsvermögen steuerlich als entnommen gilt. Im Übrigen ist die durch die Gesellschaftererben an die weichenden Erben gezahlte Abfindung sowohl für die Übertragung des Mitunternehmeranteils als auch der Anteile am Sonderbetriebsvermögen als Veräußerungserlös zu betrachten. Die Gesellschafter-Erben haben in dieser Höhe Anschaffungskosten. Führt die Ausgleichszahlung zu unzumutbaren Liquiditätsbelastungen auf Seiten der Gesellschafter-Erben und ziehen die Miterben die Sachabfindung mit einem Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens in Betracht (z.B. einem Teilgrundstück, das für betriebliche Zwecke der Gesellschaft nicht mehr benötigt wird), erzielen die Gesellschafter-Erben einen nicht begünstigten Entnahmegewinn. Für den weichenden Erben ergibt sich hinsichtlich der Differenz zwischen Buchwert der übertragenen Beteiligung einschließlich Buchwert des auf ihn entfallenden Sonderbetriebsvermögens und dem gemeinen Wert des Wirtschaftsgutes ein begünstigter Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn.

357

Überführt der weichende Erbe das Wirtschaftsgut allerdings in ein anderes Betriebsvermögen (z.B. legt er es in sein Einzelunternehmen ein, um es dort betrieblich zu nutzen), ist die Entnahme zu Buchwerten zwingend (vgl. Rz. 147). Es wird weder ein Entnahmegewinn auf Seiten des Gesellschafter-Erbens noch ein Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn auf Seiten des weichenden Erben erzielt.

358

Ein besonders schwerwiegendes Problem besteht allerdings, wenn ein weichender Erbe ein Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens erhalten soll, das wesentliche Betriebsgrundlage für die Gesellschaft ist (z.B. Betriebsgrundstück).

359

Beratungssituation: Der Erblasser Herr E hält einen Gesellschaftsanteil an der X-OHG und hat der Gesellschaft ein Grundstück mit Gebäuden und Anlagen zur Nutzung überlassen, das von der Gesellschaft als Betriebsgrundstück genutzt wird. Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass die Gesellschaft mit den Erben des Gesellschafters fortgesetzt wird. Herr E setzt seinen Sohn und seine Ehefrau zu gleichen Teilen als Erben ein. Gleichzeitig bestimmt er, dass sein Sohn den Gesellschaftsanteil und seine Ehefrau das Grundstück erhalten soll. In diesem Falle wäre es wohl zweckmäßig, wenn sich die Erben darüber einig werden, die Teilungsanordnung nicht zu vollziehen. Wird die Teilungsanordnung vollzogen und erhält die Mutter das Grundstück und der Sohn den Geschäftsanteil, ist davon auszugehen, dass hinsichtlich des Grundstücks ein nicht begünstigter Entnahmegewinn des Erblassers erzielt wird, wenn das Grundstück in das Privatvermögen überführt wird1. Der Gesellschaftsanteil kann zum Buch1 So Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 647. Stein

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751

B XI

Rz. 360

Unternehmensnachfolge

wert weitergeführt werden, obwohl er seines funktionsbestimmenden Sonderbetriebsvermögens entkleidet wurde1. Insgesamt treten ähnliche Folgen wie bei der qualifizierten Nachfolgeklausel auf (s. oben Rz. 244 ff.).

Beratungshinweis: In Fällen wie dem vorstehenden ist es der steuerlichen Lage angemessener, wenn dem Sohn der gesamte Gesellschaftsanteil einschließlich Sonderbetriebsvermögen übertragen und der Erbanteil der Mutter in eine Unterbeteiligung umgewandelt wird, und zwar so, dass sie eine mitunternehmerische Stellung behält. e) Qualifizierte Nachfolgeklausel

Beratungssituation: Der Erblasser E hält einen Gesellschaftsanteil an der X-OHG und hat der OHG ein Grundstück zur Nutzung überlassen, das die Gesellschaft als Betriebsgrundstück nutzt. Im Gesellschaftsvertrag ist vorgesehen, dass nur ein einzelner Abkömmling in die Gesellschaft nachfolgt, den der Gesellschafter durch letztwillige Verfügung bestimmen kann. E hat einen Sohn A, einen Sohn B und eine Tochter C. Seine Ehefrau ist verstorben. Die Kinder sind zu gleichen Teilen zu Erben eingesetzt. E hat den Sohn A zum Nachfolger bestimmt und im Wege der Teilungsanordnung verfügt, dass dieser das Betriebsgrundstück, die beiden anderen Kinder jeweils eines der beiden im Privatvermögen befindlichen Grundstücke erhalten sollen. 360

aa) Im vorstehenden Beispiel handelt es sich hinsichtlich der Nachfolge in die Gesellschaft um eine qualifizierte Nachfolgeklausel. Die erbrechtliche Folge, dass nur der qualifizierte Nachfolger unmittelbar in die Gesellschaft nachfolgt, tritt auch im Ertragsteuerrecht ein, so dass die übrigen Erben im Zusammenhang mit dem Erbfall nicht Mitunternehmer werden, sondern nur der qualifizierte Erbe eine Mitunternehmerstellung in Bezug auf die Gesellschaft erlangt.

361

bb) Muss der qualifizierte Nachfolger Ausgleichszahlungen an weichende Erben leisten, handelt es sich nicht um eine Abfindung für den „entgangenen“ Gesellschaftsanteil, sondern um eine „Wertausgleichsschuld“, die Privatschuld ist und die eher als Vermächtnisschuld denn als Abfindungszahlung anzusehen ist2. Nach Auffassung der Finanzverwaltung führen derartige Zahlungen nicht zu Anschaffungskosten; aus dem Zufluss bei den weichenden Erben können keine Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinne entstehen3. Können, wie im vorliegenden Beispiel, die weichenden Erben mit Vermögenswerten aus dem Privatvermögen des Erblassers abgefunden werden, erfolgt dies grundsätzlich steuerlich neutral, da der Gesellschafter-Erbe eine Privatschuld mit Anteilen an privaten Wirtschaftsgütern erfüllt.

362

cc) Während der Gesellschaftsanteil auch steuerlich insgesamt an den übrigen Miterben vorbei auf den qualifizierten Nachfolger übergeht, fällt das Sonderbetriebsvermögen in das Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft. Daran vermag auch eine Teilungsanordnung nichts zu ändern, die – wie im Ausgangs1 BFH v. 1.2.1990 – IV R 8/89, DStR 1990, 254. 2 Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 672. 3 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 253 Tz. 72 ff.). Im Übrigen ständige Rechtsprechung, vgl. Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 672. 752

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 367

B XI

beispiel – dem Nachfolger das Sonderbetriebsvermögen zuweist. Infolgedessen steht dem qualifizierten Nachfolger das Sonderbetriebsvermögen nur in Höhe seiner Erbquote zu. In diesem Umfang bleibt es Sonderbetriebsvermögen. Der übrige Teil in Höhe der Erbquoten der weichenden Erben gilt als durch den Erblasser in das Privatvermögen entnommen, der insoweit die stillen Reserven aufdeckt und einen nicht begünstigten Entnahmegewinn erzielt1. Wird dann – wie im Ausgangsbeispiel – in Vollziehung der Teilungsanordnung durch die weichenden Erben deren quotaler Anteil am Sonderbetriebsvermögen auf den qualifizierten Nachfolger übertragen, legt dieser den Anteil zum Entnahmewert in das Sonderbetriebsvermögen ein und führt dann zwei AfA-Reihen. dd) Diese Nachteile lassen sich nur schwer vermeiden. Empfohlen wird die Einsetzung des vorgesehenen qualifizierten Nachfolgers zum Alleinerben (1). Ferner wird die Einbringung des Sonderbetriebsvermögens in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) diskutiert.

363

(1) Die Einsetzung des Nachfolgers als Alleinerbe soll im Zusammenhang mit der qualifizierten Nachfolge durch die Alleinerbenstellung des Nachfolgers sichergestellen, dass das Sonderbetriebsvermögen vollständig und unmittelbar auf ihn übergeht, so dass es im Erbfall als Sonderbetriebsvermögen des Nachfolgers fortgeführt werden kann.

364

(2) Die Einbringung des Sonderbetriebsvermögens zu Buchwerten in eine GmbH & Co. KG zu Lebzeiten des Erblassers ist im Rahmen des § 6 Abs. 5 S. 3 EStG möglich2. Selbst wenn eine Änderung des Charakters des Vermögens als Sonderbetriebsvermögen nicht eintritt, werden die in die GmbH & Co. KG eingebrachten Wirtschaftsgüter eigenständiges Betriebsvermögen3, das insoweit Vorrang vor der Einordnung der Gesellschaftsanteile an der GmbH & Co. KG als Sonderbetriebsvermögen hat4. Zwischen der neu gebildeten Besitzgesellschaft und der Gesellschaft, bei der der Erblasser Mitunternehmer ist (Betriebsgesellschaft), ist zweckmäßigerweise ein Pachtvertrag über das durch die Besitzgesellschaft der Betriebsgesellschaft weiterhin überlassene Sonderbetriebsvermögen abzuschließen und dementsprechend ein Pachtentgelt zu vereinbaren.

365

Verstirbt der Erblasser und ändert sich damit im Falle der qualifizierten Nachfolgeklausel die personelle Struktur der Besitzgesellschaft (GmbH & Co. KG), werden aufgrund der selbstständigen Betriebsvermögenseigenschaft der in der Besitzgesellschaft eingebrachten Wirtschaftsgüter stille Reserven nicht aufgedeckt5. Der Erblasser ist insoweit hinsichtlich seiner Verfügungen über das Sonderbetriebsvermögen sehr flexibel.

366

– Er kann in den Gesellschaftsvertrag der Besitzgesellschaft die gleiche qualifizierte Nachfolgeregelung aufnehmen wie in der Betriebsgesellschaft, also z.B. bestimmen, dass nur der durch den Erblasser benannte Nachfolger in die Gesellschaft einrücken darf. Damit würde die vollständig synchrone Nachfolge

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Vgl. Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 674 m.w.N. Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 675. Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 675. Geck, DStR 2000, 2031 (2033) mit Nachweisen aus der Finanzrechtsprechung. Die Problematik des Gesamtplans sollte sich bei der Nachfolge von Todes wegen nicht stellen. Stein

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B XI

Rz. 368

Unternehmensnachfolge

in der Betriebsgesellschaft und in der Besitzgesellschaft (ehemaliges Sonderbetriebsvermögen) eintreten, da der Nachfolger auch in die Besitzgesellschaft in Sondererbfolge unmittelbar und direkt nachfolgt. 368

– Der Erblasser kann es in der Besitzgesellschaft auch bei einer allgemeinen Nachfolgeklausel belassen, so dass sämtliche Erben in die Gesellschaft einrücken. Die durch die Erben in Sondererbfolge erworbenen Teilgesellschaftsanteile können entweder zur flexiblen Gestaltung der Erbauseinandersetzung eingesetzt werden, die eine möglichst steuerlich neutrale Realteilung ermöglicht, oder sie werden auch in Zukunft durch die Miterben-Gesellschafter gehalten, denen die Gewinne der Gesellschaft aus der Vermietung und Verpachtung zufließen. Bei dieser Gestaltungsalternative ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Geschäftsanteil an der Komplementär-GmbH aufgrund der gesetzlich vorgesehenen grundsätzlichen Vererblichkeit des Geschäftsanteils immer an die Erbengemeinschaft als Ganzes fällt; diese gesetzliche Folge kann durch Klauseln des Gesellschaftsvertrags nicht abgeändert werden. Belässt es der Erblasser hinsichtlich der Kommanditanteile der Besitzgesellschaft bei einer einfachen Nachfolgeklausel, treten allerdings durch die gesetzlich abweichende Nachfolge bei der Komplementär-GmbH keine Störungen oder Widersprüche auf. Sofern die Miterben-Gesellschafter Teilgesellschaftsanteile im Zuge der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft auf einzelne Miterben übertragen, sollten entsprechende Bruchteile an der Komplementär-GmbH mitübertragen werden. Noch einfacher ist es, die Anteile an der Komplementär-GmbH auf die KG zu übertragen (sog. Einheits-KG), so dass ein getrennte Nachfolge von vorneherein ausgeschlossen ist.

369

Hat der Erblasser allerdings hinsichtlich der Kommanditanteile eine qualifizierte Nachfolgeklausel in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen, so dass nur ein Miterbe nachfolgt, fällt der Geschäftsanteil an der GmbH in den Nachlass und wird Gesamthandsvermögen. Zugleich wird er steuerlich aus dem Betriebsvermögen der Personengesellschaft (also der GmbH & Co. KG) entnommen. Sofern jedoch die Komplementär-GmbH am Vermögen der Gesellschaft nicht beteiligt ist (was die Regel sein sollte), entstehen daraus i.d.R. keine gravierenden steuerlichen Probleme. Es wäre jedoch zweckmäßig, wenn der Erblasser durch Teilungsanordnung bestimmt, dass der Gesellschaftsanteil an der Komplementär-GmbH dem qualifizierten Nachfolger zufallen soll. Im Übrigen kann der Erblasser die gesamthänderische Nachfolge der Erbengemeinschaft in den Geschäftsanteil auch verhindern, indem er noch zu Lebzeiten dem qualifizierten Nachfolger diesen Geschäftsanteil aufschiebend bedingt auf den Tod des Schenkers unentgeltlich überträgt, wobei die Vertragsparteien im Schenkungsvertrag (Beurkundung erforderlich!) auch das Verfügungsgeschäft aufschiebend bedingt vollziehen, so dass mit Eintritt des Erbfalles der Geschäftsanteil an der Komplementär-GmbH dem qualifizierten Nachfolger unmittelbar zufällt. Der Erblasser kann sich im Übrigen weitere Verfügungen vorbehalten, so dass das Rechtsgeschäft unter der zusätzlichen Bedingung abgeschlossen wird, dass derartige Verfügungen nicht getroffen werden. f) Eintrittsklausel

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Da die Eintrittsklausel dem oder den Erben das Recht einräumt, in die Gesellschaft einzutreten, hängen die ertragsteuerlichen Folgen von der Entscheidung der Begünstigten ab. 754

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 375

B XI

aa) Macht keiner der begünstigten Erben von diesem Eintrittsrecht Gebrauch und ist für diesen Fall vorgesehen, dass die Gesellschaft eine Abfindung zahlt, treten die Folgen einer Fortsetzungsklausel ein. Der Erblasser erzielt einen auf der Grundlage des Abfindungsanspruches zu errechnenden tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn (§§ 16, 34 EStG)1.

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bb) Treten die Erben aufgrund der Eintrittsklausel in die Gesellschaft ein und war vereinbart, dass innerhalb der Eintrittsfrist die übrigen Gesellschafter den Gesellschaftsanteil des Erblassers, der ihnen vorübergehend anwächst, treuhänderisch für die Erben halten, wickelt sich die Nachfolge nach den Grundsätzen der einfachen Nachfolgeklausel ab, d.h. der Gesellschaftsanteil geht unentgeltlich auf die Erben über, so dass ertragsteuerliche Auswirkungen zunächst vermieden werden.

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Ist nach dem Gesellschaftsvertrag jedoch davon auszugehen, dass die Erben in jedem Falle einen Abfindungsanspruch erwerben, mit dem sie bei Ausübung ihres Eintrittsrechts dann ihre Einlageverpflichtung begleichen, erzielt der Erblasser einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn. Die Finanzverwaltung geht jedoch auch in diesem Falle davon aus, dass die Folgen der einfachen Nachfolgeklausel gelten, wenn der Eintritt innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt, so dass der Erblasser, d.h. der Nachlass, keine ertragsteuerlichen Lasten hinsichtlich eines Veräußerungsgewinns zu tragen hat2. Das ist ohne Zweifel eine Billigkeitslösung.

373

Die Sechsmonatsfrist will die Finanzverwaltung auch dann zur Anwendung bringen, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag die oben erläuterte Treuhandvariante ergibt (d.h. wenn die verbleibenden Gesellschafter bis zur Entscheidung der Erben über den Eintritt den Gesellschaftsanteil des Erblassers für die Erben treuhänderisch halten). Das ist wohl zu Recht kritisiert worden3. In der Tat setzt die Finanzverwaltung unabhängig von den Entscheidungsfristen des Gesellschaftsvertrags eine eigene Frist für diese Entscheidung. Angenommen, der Gesellschaftsvertrag sieht für die Entscheidung der Erben eine Frist von zwölf Monaten vor, sind die Erben nach dieser Auffassung der Finanzverwaltung gezwungen, eine frühere Entscheidung zu fällen, um zu vermeiden, dass der Abfindungsanspruch, der auch bei der Treuhandlösung verdeckt im Hintergrund steht, die ertragsteuerliche Folge eines Veräußerungsgewinns beim Erblasser auslöst.

374

cc) Können nach dem Gesellschaftsvertrag alle Erben in die Gesellschaft eintreten, macht aber nur ein einzelner Erbe oder ein Teil von ihnen von diesem Eintrittsrecht Gebrauch, so geht die Finanzverwaltung davon aus, dass in diesem Falle die Grundsätze, die für die qualifizierte Nachfolgeklausel gelten, entsprechend anzuwenden sind4. Das würde aber zivilrechtlich voraussetzen, dass den eintretenden Erben der Gesellschaftsanteil nach dem Gesellschaftsvertrag auch voll zufällt, was in dem zitierten BMF-Schreiben stillschweigend vorausgesetzt wird, so dass im entgegengesetzten Falle abweichende ertragsteuerliche Folgen eintreten. Erlaubt der Gesellschaftsvertrag eindeutig nur, dass überhaupt nur be-

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BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 253), Tz. 70. BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 253), Tz. 70. Schmidt/Wacker, EStG, § 16 Rz. 677. BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 253), Tz. 79. Stein

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B XI

Rz. 376

Unternehmensnachfolge

stimmte Erben eintreten, steht die Anwendung der Grundsätze einer qualifizierten Nachfolgeklausel außer Zweifel. 376

Finden die Regelungen der qualifizierten Nachfolgeklausel Anwendung, haben die Erben, die nicht eintreten, keinen Abfindungsanspruch gegen den oder die Erben, die nachfolgen, so dass sie keinen Veräußerungserlös erzielen; der oder die eintretenden Erben haben deshalb auch keine Anschaffungskosten. Der Wertausgleich, den die eintretenden Erben an die übrigen Miterben u.U. zu zahlen haben, ist Privatschuld und insofern ertragsteuerlich neutral.

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Die vorstehende Regelung gilt allerdings auch nur, soweit der Eintritt der fortsetzungswilligen Erben innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt. Im Übrigen findet sie, wie bei der unter Rz. 372 geschilderten Alternative, unabhängig davon Anwendung, ob den eintretenden Erben der Gesellschaftsanteil über eine Treuhandlösung zufällt oder der Abfindungsanspruch des Erblassers in den Nachlass fällt und von den Erben zur Erfüllung ihrer Einlageverpflichtung eingebracht wird.

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dd) Die vorstehend erläuterte ertragsteuerliche Folge kann dann nicht gelten, wenn die fortsetzungswilligen Erben nur hinsichtlich eines ihrer Erbquote entsprechenden Teils des Gesellschaftsanteils des Erblassers die Nachfolge antreten bzw. nach dem Gesellschaftsvertrag auch nur antreten können, so dass nicht der gesamte Gesellschaftsanteil auf die eintretenden Erben übergeht.

Beratungssituation: Erblasser E ist Gesellschafter der X-OHG. Im Gesellschaftsvertrag ist vorgesehen, dass die Erben der Gesellschafter das Recht haben, innerhalb von neun Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls, entsprechend ihrer Erbquote am Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters in die Gesellschaft einzutreten. Ferner ist bestimmt, dass die Gesellschaft den Erben, die keinen Gebrauch von ihrem Eintrittsrecht machen, eine Abfindung zahlt. E setzt seine drei Kinder A, B und C zu gleichen Teilen als Erben ein. A und B entschließen sich, in die Gesellschaft einzutreten. C macht von seinem Eintrittsrecht keinen Gebrauch. Im Beispiel würden A und B unentgeltlich in den auf sie entfallenden Bruchteil des Gesellschaftsanteils nachfolgen. Für den Anteil des C zahlt die Gesellschaft eine Abfindung, die zu einem Veräußerungserlös des Erblassers führt. C hat im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft Anspruch auf diese Abfindung (Folgen einer Teilnachfolgeklausel; hinsichtlich des C treten die Folgen einer Fortsetzungsklausel ein: Der Bruchteil des C wächst den übrigen Gesellschaftern an. Der Veräußerungsgewinn ist insoweit nicht begünstigter laufender Gewinn, weil bezogen auf den Erblasser eine Veräußerung eines Teilmitunternehmeranteils vorliegt (§ 16 Abs. 1 EStG)1. 379

ee) Ist einem Nichterben das Recht eingeräumt worden, in die Gesellschaft einzutreten, bleibt die Erbengemeinschaft überhaupt nur in den Vorgang eingebunden, soweit der Abfindungsanspruch betroffen ist. Ist dem Nichterben der Abfindungsanspruch vermächtnisweise zugewandt, gelten für seinen Eintritt die Regeln der einfachen Nachfolgeklausel, jedenfalls bei der Treuhandlösung2. 1 Schmidt/Wacker, § 16 Rz. 676. 2 Schmidt/Wacker, § 16 Rz. 679. 756

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Unternehmensnachfolge

Rz. 391

B XI

Lässt sich aus dem Gesellschaftsvertrag eine Treuhandlösung nicht entnehmen und fällt der Abfindungsanspruch in den Nachlass, so dass der Erblasser einen Veräußerungserlös erzielt und die Erbengemeinschaft dann den Abfindungsanspruch schuldrechtlich auf den Vermächtnisnehmer übertragen muss, kommt es hinsichtlich der steuerlichen Folgen darauf an, ob die Finanzverwaltung die für Erben geltenden Grundsätze1 auch auf den Vermächtnisnehmer anwendet. Ist das der Fall und macht der Vermächtnisnehmer innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall von seinem Eintrittsrecht Gebrauch, würden auch in diesem Falle die Folgen der einfachen Nachfolgeklausel gelten, d.h. der Erblasser erzielt mit der Abfindung keinen Veräußerungserlös und der Gesellschaftsanteil geht jedenfalls steuerlich unmittelbar auf den Vermächtnisnehmer über. Wenn der Begünstigte von seinem Eintrittsrecht keinen Gebrauch macht, treten die Folgen der Fortsetzungsklausel ein. Das Gleiche gilt, wenn der Begünstigte zwar eintritt, der Erblasser ihm aber den Abfindungsanspruch nicht vermächtnisweise und auch nicht in anderer Weise (z.B. rechtsgeschäftlich) zugewandt hat. In diesem Falle müsste der Begünstigte seine Einlageverpflichtung aus eigenen Mitteln erfüllen.

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IV. Kapitalgesellschaft 1. Nachfolge in der GmbH a) Regelungsgrundsätze und Nachfolge Der Gesellschaftsanteil an der GmbH ist grundsätzlich vererblich (§ 15 Abs. 1 GmbHG). Dies gilt auch für die Unternehmergesellschaft, die sich als Variante der GmbH lediglich in § 5a GmbHG von der klassischen GmbH unterscheidet. Die Vererblichkeit kann, anders als bei der Personengesellschaft, auch nicht durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden2. Eine Sondererbfolge einzelner Erben ist nicht möglich, der Geschäftsanteil fällt sämtlichen Erben grundsätzlich gesamthänderisch an. Sie treten mit dem Erbfall automatisch in die Rechtsposition des Erblassers ein (mit Ausnahme persönlicher Rechte, so wenn der Erblasser Geschäftsführer war). Der Rechtsübergang muss der Gesellschaft nicht – wie bei freiem Erwerb – gem. § 16 Abs. 1 GmbHG angezeigt werden, um wirksam zu sein3. Der Gesellschaftsanteil bleibt bei diesem Übergang ungeteilt, so dass nur die Erbengemeinschaft als Ganzes und einheitlich die Rechte aus dem Gesellschaftsvertrag wahrnehmen kann. Zweckmäßigerweise sollte die Erbengemeinschaft einen gemeinsamen Vertreter bestellen, der im Verhältnis zur Gesellschaft Erklärungen abgeben und entgegennehmen kann. Davon geht § 18 Abs. 3 GmbHG auch aus. Ist ein gemeinsamer Vertreter durch die Miterben nicht bestellt worden, kann die Gesellschaft nach Ablauf eines Monats nach dem Erbfall Rechtshandlungen gegenüber einem einzelnen Miterben mit Wirkung für alle Miterben vornehmen. Diese Regelung erleichtert die Lage der Gesellschaft, wenn mehrere Miterben vorhanden sind.

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Als weitere Sicherung der Gesellschaft ist im Gesellschaftsvertrag sehr häufig vereinbart, dass eine Mehrheit von Erben die Stimmrechte in der Gesellschafter-

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1 BMF v. 14.3.2006 (BStBl. I 2006, 235), Tz. 70. 2 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 1; Lutter/Hommelhoff, § 15 Rz. 2. 3 Höger, GmbHR 1999, 945; Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 10. Stein

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B XI

Rz. 392

Unternehmensnachfolge

versammlung nur durch einen einzelnen bestellten Vertreter ausüben kann, so dass die Stimmrechte entfallen, wenn ein Vertreter nicht vorhanden ist. Der Gesellschaftsvertrag kann auch vorsehen, dass bis zu einer endgültigen Nachfolgeregelung die Verwaltungsrechte in Bezug auf den Geschäftsanteil vollständig ruhen, so dass die Stimmrechte nicht ausgeübt werden können1. 392

Angesichts der vorstehend erläuterten Regelungsgrundsätze setzt die gezielte Nachfolgeregelung voraus, dass in den Gesellschaftsvertrag Regelungen aufgenommen werden, die die gewünschte Nachfolge sichern. Dabei ist es i.d.R. auch erforderlich, nicht nur die Person/Personen zu bestimmen, die berechtigt sind nachzufolgen, sondern auch die Mittel und das Verfahren anzugeben, wie diese Nachfolge herbeigeführt werden soll, da aufgrund der allgemeinen auch durch Gesellschaftsvertrag nicht zu beseitigenden Vererblichkeit des Geschäftsanteils dieser durch zusätzliche Rechtsgeschäfte oder Rechtshandlungen der Gesellschaft auf den gewünschten Nachfolger überführt werden muss.

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Enthält der Gesellschaftsvertrag nur eine allgemeine Klausel, nach der eine bestimmte Person zur Nachfolge berechtigt sein soll, und ist diese Person nicht Erbe oder Alleinerbe, kann allerdings davon ausgegangen werden, dass der Erbe dann verpflichtet ist, den Geschäftsanteil auf die zur Nachfolge berechtigte Person zu übertragen2. Den Erben fällt dann der Geschäftsanteil kraft Gesellschaftsvertrags bereits mit dieser Verpflichtung an. Unsicher ist aber, ob die Gesellschaft bei einer solchen allgemeinen Regelung den Geschäftsanteil einziehen darf3, da ohne ausdrückliche Regelung im Gesellschaftsvertrag die Einziehung eines Geschäftsanteils nicht zulässig ist (§ 34 Abs. 1 GmbHG)4.

394

Es ist jedenfalls aufgrund der gegebenen Gesetzeslage für eine möglichst reibungslose Abwicklung der Nachfolge erforderlich, eine Regelung im Gesellschaftsvertrag in doppelter Hinsicht vorzunehmen: – Die Nachfolge als solche zu regeln (d.h. ob es eine Nachfolge geben soll, wer im einzelnen Nachfolger sein kann oder welcher Personenkreis zur Nachfolge zugelassen ist). – Die Mittel und Wege, um dieses Ziel zu erreichen (Rechte und Pflichten der Gesellschaft einerseits und der Erben andererseits, um die im Gesellschaftsvertrag vorzunehmende Nachfolgeregelung zu verwirklichen). – Zweckmäßigerweise werden Regelungen darüber getroffen, ob und welche Abfindungen Erben erhalten sollen, die zur Nachfolge nicht berechtigt sind. b) Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag zur Nachfolge

395

I.d.R. wird das Bedürfnis der Gesellschafter dahin gehen, eine Regelung zur Nachfolge in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen, insbesondere, wenn es auf die Mitwirkung der Gesellschafter bei der Geschäftstätigkeit ankommt, wie das 1 Zur Beschränkung von Rechten durch Gesellschaftsvertrag vgl. MüHdb GesR III, § 25 Rz. 45, 46; Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 34. 2 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 19, 20. 3 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 20. 4 Wolff, GmbHR 1999, 958 (959); vgl. wegen weiterer Voraussetzungen BGH v. 19.6. 2000 – II ZR 73/99, NZG 2000, 1027. 758

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Unternehmensnachfolge

Rz. 399

B XI

bei einer mehr personalistischen Struktur der Fall ist. Die Gesellschafter sind in der Ausgestaltung der Klausel frei, so dass die Regelungsmöglichkeiten vom völligen Ausschluss der Nachfolge bis zur generellen Nachfolge aller Erben reicht; Letzteres entspricht allerdings der gesetzlichen Regelung und wäre nicht regelungsbedürftig. Entsprechend diesem sehr breiten Spektrum der Möglichkeiten sind die Nachfolgeregelungen auch vielgestaltig, so dass man allenfalls wiederkehrende Grundmuster identifizieren kann. Nachfolgeklauseln können vorsehen, dass die Gesellschaft nur mit einem oder mehreren näher bezeichneten Erben fortgesetzt wird, z.B. dem ältesten Sohn oder einem namentlich benannten Erben. Eine solche Bestimmung kann dann noch mit Merkmalen der beruflichen Qualifikation verbunden werden.

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M 139 Bestimmung des Gesellschafter-Nachfolgers (I) Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft nur mit dem ältesten Sohn des Gesellschafters fortgesetzt, vorausgesetzt, dieser hat bei Eintritt des Erbfalls ein betriebswirtschaftliches Studium abgeschlossen. Ist das nicht der Fall, ist die Fortsetzung der Gesellschaft mit Erben des verstorbenen Gesellschafters ausgeschlossen. Erben, die danach nicht zur Fortsetzung berechtigt sind, haben den Geschäftsanteil … (es folgen die Maßnahmen zur Durchsetzung der Nachfolgeregelung).

Achtung: In der Praxis sollte bei solchen Klauseln Zurückhaltung geübt werden, weil sie den Kreis potentieller Nachfolger ggf. weit über Gebühr einengen. Warum nicht die jüngste Tochter eintreten soll, wenn sie über die erforderlichen menschliche und fachliche Eignung verfügt, wäre kritisch zu hinterfragen (insbesondere wenn kein Söhne mit der geforderten fachlichen Qualifikation zur Verfügung stehen).

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Die Gesellschafter können auch vereinbaren, dass die Gesellschaft immer nur mit einem einzelnen Erben fortgesetzt wird, dessen Bestimmung dem Erblasser oder der Erbengemeinschaft überlassen wird.

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M 140 Bestimmung des Gesellschafter-Nachfolgers (II) Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft nur mit dessen Alleinerben oder – wenn mehrere Erben vorhanden sind – mit einem vom Gesellschafter letztwillig bezeichneten oder durch die Miterben bestimmten einzelnen Erben fortgesetzt. Wird der Gesellschafter nicht durch einen Alleinerben beerbt oder erfolgt – bei mehreren Erben – keine Benennung des nachfolgeberechtigten einzelnen Erben, sind die Erben verpflichtet … (es folgen die von der Gesellschaft zu bestimmenden Maßnahmen zur Durchsetzung).

Der Gesellschaftsvertrag kann es überhaupt der Gesellschaft überlassen, aus dem Kreis der Erben einen oder mehrere Nachfolger zu bestimmen. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen § 2065 Abs. 2 BGB, da nicht die Zuwendung durch die Gesellschaft bestimmt wird, sondern die Nachfolge in die GesellStein

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B XI

Rz. 400

Unternehmensnachfolge

schaft. Die Zuwendung bleibt den übrigen Erben in Form der Abfindung, die der ausgewählte Erbe an seine Miterben zu zahlen hat, erhalten.

M 141 Bestimmung des Gesellschafter-Nachfolgers (III) Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft mit dem oder den Erben fortgesetzt, die durch die Gesellschaft zur Nachfolge zugelassen sind. Nicht zugelassene Erben sind verpflichtet, ihren Anteil am Geschäftsanteil des verstorbenen Gesellschafters … (es folgen die Maßnahmen, die die Gesellschaft ergreifen kann, um die Regelungen zur Nachfolge durchzusetzen). 400

Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch auch die Nachfolge von Erben überhaupt ausschließen.

M 142 Ausschluss von Erben von der Gesellschafter-Nachfolge Verstirbt ein Gesellschafter, wird die Gesellschaft mit dessen Erben nicht fortgesetzt. Die Erben sind verpflichtet … (es folgen die Maßnahmen der Gesellschaft).

c) Maßnahmen zur Durchsetzung der Nachfolgeklausel aa) Allgemeines 401

Wegen der Rechtslage, die beim Tode eines Gesellschafters hinsichtlich des von ihm gehaltenen Geschäftsanteils vorliegt, erfordert die Durchsetzung der Nachfolgeregelung, dass der Gesellschaft das Recht zusteht, die Durchführung bestimmter Rechtsgeschäfte von den Erben zu verlangen oder selbst die erforderlichen Rechtshandlungen vorzunehmen. Als Instrumente kommen dafür in insbesondere Betracht: – Die Abtretung des der Erbengemeinschaft zustehenden Geschäftsanteils an den qualifizierten Nachfolger oder die Gesellschaft oder die anderen Gesellschafter, – die Einziehung des Geschäftsanteils durch die Gesellschaft.

402

Hängt die Durchsetzung einer bestimmten Nachfolgeregelung von einer Entscheidung bzw. Erklärung der Gesellschaft ab (z.B. Zulassung zur Nachfolge), so ist die Gesellschaft verpflichtet, diese Erklärung innerhalb einer bestimmten Frist abzugeben, die – wenn sie nicht im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist – angemessen sein muss. Unterlässt es die Gesellschaft, innerhalb dieser Frist ihre Rechte auszuüben, kann dies dazu führen, dass die Rechte verwirkt sind1 oder ein Verzicht anzunehmen ist2. Es bleibt dann bei der durch Erbfolge eingetretenen Rechtslage. Die Erben können der Gesellschaft auch ihrerseits eine Frist set1 Zur Einziehung: OLG München v. 6.7.1984 – 23 U 1899/84, ZIP 1984, 1349; zur Verwirkung: OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 U 1/98, NZG 1999, 167; vgl. Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 31. 2 Priester, GmbHR 1981, 206; vgl. Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 31. 760

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Unternehmensnachfolge

Rz. 406

B XI

zen, so z.B. wenn die Zulassung zur Nachfolge von einer Entscheidung der Gesellschaft abhängt. Andererseits ist die Gesellschaft aber nicht verpflichtet, ihre diesbezüglichen Rechte auszuüben, die Erben können also keine „Befreiung“ vom Geschäftsanteil durch Einziehung verlangen. Auch der Begünstigte ist seinerseits nicht verpflichtet, von der ihm angedienten Abtretung des Geschäftsanteils Gebrauch zu machen. Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags hinsichtlich der Nachfolge werden eben nicht automatisch vollzogen, sondern räumen der Gesellschaft oder dem Begünstigten Rechte ein, die nach freiem Ermessen ausgeübt werden können.

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bb) Abtretungsklauseln (1) Regelungen des Gesellschaftsvertrags, die die Nachfolge auf bestimmte Personen beschränken oder die Nachfolge von einer Entscheidung der Gesellschaft abhängig machen, sind i.d.R. mit einer Verpflichtung der Erben verbunden, den Geschäftsanteil auf den benannten oder auf den durch die Gesellschaft bestimmten Nachfolger zu übertragen.

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M 143 Verpflichtung der Erben zur Geschäftsanteilsübertragung Erben, die danach nicht zur Nachfolge berechtigt sind, sind verpflichtet, den Geschäftsanteil auf den nachfolgeberechtigten Gesellschafter zu übertragen. Der Berechtigte kann den Anspruch unmittelbar gegen die nichtberechtigten Erben geltend machen. oder Die Erben sind verpflichtet, den Geschäftsanteil auf den oder die von der Gesellschaft benannten Personen zu übertragen.

Der Begünstigte erlangt durch seine Benennung einen schuldrechtlichen Anspruch auf Abtretung des Geschäftsanteils. Dieser Anspruch soll dem Begünstigten, der im Gesellschaftsvertrag (§ 15 Abs. 3 und 4 GmbH) selbst genannt ist, bereits unter Lebenden zugewandt sein. Der Gesellschaftsvertrag wird insoweit als Vertrag zugunsten Dritter angesehen, durch den der Dritte das Übernahmerecht gegenüber den Erben oder Miterben erwirbt1 (auch als Eintrittsklausel bezeichnet). Er ist deshalb in jedem Falle selbst zur Geltendmachung seines Anspruchs berechtigt. Trotzdem ist zu empfehlen, diese Berechtigung zur Durchsetzung des Anspruches – wie in der oben genannten Formulierung – dem Begünstigten unmittelbar zuzuordnen.

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Wird der Begünstigte wie in dem zweiten vorgenannten Beispiel erst durch die Gesellschaft bestimmt oder ist auch bei Benennung des Begünstigten dessen Berechtigung zur Geltendmachung unklar, hat die Gesellschaft selbst diesen Anspruch und kann verlangen, dass die Miterben den Gesellschaftsanteil auf den im Gesellschaftsvertrag benannten oder durch die Gesellschaft bestimmten

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1 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 106; MüHdb GesR III, § 25 Rz. 23. Stein

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B XI

Rz. 407

Unternehmensnachfolge

Begünstigten übertragen1. Die Gesellschaft kann insoweit auf Erfüllung klagen. Die Abtretung selbst bedarf der notariellen Beurkundung. 407

(2) Die Gesellschaft kann den Geschäftsanteil eines verstorbenen Gesellschafters selbst erwerben, wenn der Gesellschaftsvertrag diese Option einräumt. Allerdings bedarf es bei Ausübung dieser Berechtigung eines Gesellschaftsbeschlusses, der die Geschäftsführung zur Ausübung dieses Rechts berechtigt, es sei denn, im Innenverhältnis ist die Geschäftsführung auch ohne vorgegebenen Beschluss berechtigt, den Erwerb vorzunehmen (was eher unwahrscheinlich ist).

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Voraussetzung für den Erwerb ist, dass die Stammeinlage auf den Geschäftsanteil voll geleistet wurde und die Gesellschaft über freie Mittel verfügt, die nicht bilanziell durch das Stammkapital gebunden sind, um den Erwerb durchzuführen (§ 33 Abs. 1 GmbHG). Wird ein Geschäftsanteil entgegen diesen Regelungen erworben, ist das Rechtsgeschäft, und zwar sowohl das Verpflichtungsals auch das Verfügungsgeschäft, unheilbar nichtig2. Hat die Gesellschaft einen eigenen Geschäftsanteil wirksam erworben, ruhen die Mitgliedschaftsrechte einschließlich des Stimmrechts und der Gewinnbezugsrechte3.

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(3) Nach h.M. und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH kann die Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag auch ermächtigt werden, die Abtretung des Geschäftsanteils selbst vorzunehmen (Zwangsabtretung4, bei eigenem Erwerb ist wohl die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB erforderlich, die i.d.R. nicht mit einer allgemeinen Ermächtigung verbunden ist). Die nach § 185 Abs. 1 BGB erforderliche Einwilligung wird in der Vereinbarung des Gesellschaftsvertrags gesehen, aus der die Berechtigung der Gesellschaft hervorgeht. Ist im Zusammenhang mit der Nachfolge eine solche Ermächtigung vorgesehen und erfordert die Nachfolgeregelung die Abtretung des Geschäftsanteils durch nicht qualifizierte Erben, kann die Gesellschaft demgemäß für die Erben handeln und die Abtretung vornehmen, die dann durch den Abtretungsempfänger anzunehmen ist. Die Ermächtigung zur Abtretung schließt das Recht zur Teilung des Geschäftsanteils ein, falls mehrere Personen zur Nachfolge berufen sind5. Dieses Rechtsgeschäft bedarf der Beurkundung.

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Kommt der berechtigte Nachfolger aus dem Kreise der Miterben, wird es allerdings wohl zweckmäßiger sein, die Abtretung im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft vorzunehmen.

411

Ferner kann der Gesellschaftsvertrag vorsehen, dass überhaupt jede Abtretung von der Genehmigung durch die Gesellschaft abhängig gemacht wird (§ 15 Abs. 5 GmbHG). Eine solche Bestimmung findet sich i.d.R. in Gesellschaftsverträgen (Vinkulierung von Geschäftsanteilen). Die Befassung der Gesellschafterversammlung mit dieser Genehmigung ist durch das Gesetz nicht ausdrücklich 1 MüHdB GesR III, § 25 Rz. 23. 2 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 33 Rz. 23; vgl. MüHdb GesR III, § 27 Rz. 8. 3 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 33 Rz. 44. 4 BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, NJW 1983, 2880. Dazu Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 107 m.w.N.; vgl. MüHdb GesR III, § 25 Rz. 24. 5 So lag der Fall auch im vorstehend zitierten BGH-Urteil. 762

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Unternehmensnachfolge

Rz. 416

B XI

vorgesehen, ist aber häufig in den Gesellschaftsverträgen geregelt. Auch in diesem Falle ist der Beschluss Grundlage für die durch die Gesellschaft abzugebende Erklärung. Fehlt es an einer solchen Bestimmung, sind die Geschäftsführer allein für die Genehmigung und Abgabe der Erklärung zuständig. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine derartige Genehmigungsklausel, ist auch in diesem Falle die Abtretung bis zur Erteilung der Genehmigung schwebend unwirksam. Gem. § 16 Abs. 1 GmbHG ist die Abtretung von Geschäftsanteilen ferner bei der Gesellschaft anzumelden (häufig durch Vorlage der Urkunde oder Übersendung einer beglaubigten Abschrift). Bis zur Anmeldung gilt der Gesellschaft gegenüber nur derjenige als Erwerber, dessen Erwerb ordnungsgemäß angemeldet wurde (§ 16 Abs. 1 GmbHG). Die Erklärungen der Gesellschaft gegenüber dem Vorinhaber vor Anmeldung muss der Erwerber gegen sich gelten lassen. Die Anmeldung ist allerdings keine Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit der Abtretung, auch keine Verpflichtung des Erwerbers1, er hat jedoch die vorgenannten Folgen zu tragen. In welchem Umfang die vorgenannten Bestimmungen für die im Zusammenhang mit der Nachfolge erforderlichen Abtretungen von Bedeutung sind, hängt von den Umständen ab.

412

Das Erfordernis der Genehmigung der Abtretung bleibt auch erhalten, wenn die Erbengemeinschaft den Geschäftsanteil auf den oder die Miterben überträgt, die zur Nachfolge berufen sind. Auch in diesem Falle besteht die Notwendigkeit der Anmeldung gem. § 16 Abs. 1 GmbHG.

413

Keine Genehmigung ist erforderlich, wenn die Abtretung des Geschäftsanteils im Rahmen der Nachfolge auf ausdrückliche Weisung der Gesellschaft vorzunehmen ist, da sie dann als erteilt gelten kann. Allerdings bleibt der Erwerber zur Anmeldung des Erwerbs gem. § 16 Abs. 1 GmbHG verpflichtet.

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Vor Auseinandersetzung kann nur die Erbengemeinschaft über den im Nachlass befindlichen Geschäftsanteil verfügen. Aufgrund der i.d.R. bestehenden allgemeinen Zustimmungserfordernisse, die oben erläutert wurden, und eventueller Beschränkungen der Nachfolge, die sich aus Nachfolgeklauseln oder daraufhin zulässigen Rechtshandlungen der Gesellschaft ergeben, wäre eine derartige Verfügung bis zur Genehmigung unwirksam oder die Gesellschaft hätte gegen die veräußernden Erben oder den Erwerber einen Anspruch auf Durchsetzung der Nachfolgeregelung, denn der Geschäftsanteil geht auch auf den Erwerber mit den im Gesellschaftsvertrag geregelten Beschränkungen über.

415

Der BGH2 hat allerdings entschieden, dass unabhängig von gesellschaftsrechtlichen Genehmigungserfordernissen oder Veräußerungsbeschränkungen jeder Miterbe zur Veräußerung seines Erbanteils berechtigt bleibt und dass für diese Veräußerung gesellschaftsrechtliche Genehmigungserfordernisse nicht gelten, da die Beachtung von privatrechtlichen Genehmigungserfordernissen in Bezug auf einen einzelnen Nachlassgegenstand eine unzulässige Beschränkung der erbrechtlichen Verfügungsbefugnisse gem. § 2033 BGB zur Folge hätte. Diese in der Literatur viel diskutierte Entscheidung3 führt zwar zur Umgehung des Geneh-

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1 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 16 Rz. 6. 2 BGH v. 5.11.1984 – II ZR 147/83, BGHZ 92, 386. 3 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 27 m.w.N. Stein

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B XI

Rz. 417

Unternehmensnachfolge

migungserfordernisses, belässt aber einem nach dem Gesellschaftsvertrag zur Nachfolge Berechtigten u.U. einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung gegen den Erwerber des Erbanteils1. cc) Einziehung 417

(1) Die Einziehung eines Geschäftsanteils ist dann gem. § 34 GmbHG möglich, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Einziehung vorsieht. Ohne eine solche Regelung ist selbst die Einziehung mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters nicht zulässig. Erlaubt eine Bestimmung des Gesellschaftsvertrags die Einziehung, kann diese mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters (auch der Erben) jederzeit ohne besonderen Grund erfolgen.

418

Eine Zwangseinziehung, d.h. eine Einziehung gegen den Willen des betroffenen Gesellschafters, ist nur dann möglich, wenn ein besonderer Grund vorliegt und dieser als Einziehungstatbestand ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag geregelt ist2.

419

Die Einziehung ist nur zulässig, wenn die Stammeinlage auf den betreffenden Geschäftsanteil voll eingezahlt ist3. Außerdem darf die Einziehung bzw. das aufgrund der Einziehung zu zahlende Entgelt nicht dazu führen, dass das Stammkapital angegriffen wird (§§ 34, 30 GmbHG)4. Das Einziehungsentgelt muss also aus freien, nicht durch die Stammeinlage gebundenen Mitteln erfolgen.

420

Die Einziehung setztgem. § 46 Nr. 4 GmbHG einen Beschluss der Gesellschafterversammlung voraus. Auf dieser Grundlage geben die Geschäftsführer in vertretungsberechtigter Anzahl die erforderlichen Erklärungen für die Gesellschaft ab.

421

Die Einziehung führt zur Vernichtung des Geschäftsanteils, ohne dass sich das Stammkapital ändert. Nach herkömmlicher Auffassung wächst den verbleibenden Gesellschaftern der untergegangene Geschäftsanteil an, so dass sie den Nennwert ihrer bisherigen Geschäftsanteile durch Aufstockung bis zur Höhe des Nennbetrages des gesamten Stammkapitals anpassen können. Eine Verpflichtung dazu besteht nicht. Die Anpassung erfordert einen Beschluss der Gesellschafterversammlung, der nicht Satzungsänderung ist und insofern mit einfacher Mehrheit gefasst wird5. Dem Registergericht ist eine angepasste Liste der Gesellschafter zu übersenden.

422

Der eingezogene Geschäftsanteil kann jedoch auch neu gebildet und ausgegeben werden6, dann muss allerdings die Anpassung der Nennwerte der Geschäftsanteile der übrigen Gesellschafter unterbleiben. 1 BGH v. 5.11.1984 – II ZR 147/83, BGHZ 92, 386. 2 Scholz/Westermann, GmbHG, § 34 Rz. 13; vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 28. 3 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 34 Rz. 3, 20. 4 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 16 Rz. 6; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, NJW 2000, 2819. 5 H.M., vgl. Scholz/Westermann, § 34 Rz. 67; vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 3. 6 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 33, § 28 Rz. 43; auch: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34 Rz. 9. 764

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Rz. 426

B XI

(2) Im Zusammenhang mit dem Tod eines Gesellschafters kann die Einziehung insbesondere dann eine Rolle spielen, wenn die Gesellschaft mit den Erben nicht fortgesetzt werden soll und auch eine Übernahme durch andere Personen nicht erwünscht ist. In der Tat ist dann die Einziehung ein sehr effektives Mittel, um die schlichte Fortsetzung der Gesellschaft durch die verbleibenden Gesellschafter zu sichern. Dabei ist es nicht unerheblich, dass im Zusammenhang mit der Einziehung keine Beurkundung erforderlich ist, da der Gesellschafterbeschluss und die Zustellung einer schriftlichen Erklärung an die Inhaber des Geschäftsanteils (hier die Erben) ausreicht.

423

Die Einziehung kann aber auch angewandt werden, wenn die Erben es unterlassen, trotz Aufforderung die Abtretung des Geschäftsanteils an die nachfolgeberechtigten Personen vorzunehmen. In diesem Falle müsste allerdings der Geschäftsanteil neu gebildet und an die gewünschten Nachfolger ausgegeben werden. Enthält der Gesellschaftsvertrag allerdings eine Ermächtigung für die Gesellschaft, die Abtretung selbst vorzunehmen, wäre dieses Verfahren wohl vorzuziehen.

424

Ob die Einziehungsklausel für den zuerst genannten Zweck (schlichter Ausschluss der nichtberechtigten Erben) oder auch für das zuletzt genannte Verfahren eingesetzt werden kann, hängt von der Formulierung der Klausel ab. I.d.R. sind Klauseln anzutreffen, die das Recht zur Einziehung mit der Verpflichtung der Erben kombinieren, den Geschäftsanteil an den Nachfolgeberechtigten zu übertragen (dazu Formulierungsbeispiel in Rz. 426).

425

Das Einziehungsrecht ist i.d.R. an bestimmte Fristen gebunden. Ist das nicht der Fall, muss den nichtberechtigten Erben das Recht zugestanden werden, der Gesellschaft eine Frist für die Ausübung des Einziehungsrechts zu setzen. Läuft die gesellschaftsvertraglich geregelte oder die durch die Erben gesetzte Frist ab, ohne dass die Gesellschaft das Einziehungsrecht ausübt, ist das Recht zur Einziehung verwirkt oder es muss von einem Verzicht ausgegangen werden1. Ist eine Frist weder im Gesellschaftsvertrag noch durch die Erben gesetzt, kann das Einziehungsrecht nach einem gewissen Zeitablauf verwirkt sein.

426

M 144 Einziehungsklausel Verstirbt ein Gesellschafter, sind die Erben verpflichtet, den Geschäftsanteil des verstorbenen Gesellschafters an einen von der Gesellschaft benannten Dritten, einen näher bezeichneten Gesellschafter oder an die Gesellschaft abzutreten, wenn den Erben die schriftliche Aufforderung innerhalb von zwei Monaten nach Eintritt des Erbfalls zugeht. Die Frist ist gewahrt, wenn einem einzelnen Miterben diese Aufforderung zugegangen ist. Erfüllen die Erben die vorstehende Verpflichtung nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Aufforderung, ist die Gesellschaft nach eigener Wahl berechtigt, den Geschäftsanteil einzuziehen oder die Abtretung selbst vorzunehmen. Die Verwaltungsrechte in Bezug auf den Geschäftsanteil ruhen bis zur dinglichen Wirksamkeit der Abtretung bzw. – wenn die Gesellschaft die Erben nicht innerhalb der vorgesehenen Frist zur Abtretung aufgefordert hat – bis zum Ablauf der 1 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 35; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, NJW 2000, 2819. Stein

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B XI

Rz. 427

Unternehmensnachfolge

dafür vorgesehenen Frist. Das gilt auch für die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung über die Einziehung bzw. Abtretung.

dd) Kaduzierung 427

Die Kaduzierung ist an sich ein Instrument, um bei Nichteinzahlung des Stammkapitals den betreffenden Gesellschafter auszuschließen (§§ 21 bis 25 GmbHG). Dazu ist Fristsetzung mit Androhung des Ausschlusses erforderlich sowie Nachfristsetzung für die Einzahlung der Stammeinlage (eingeschriebener Brief). Nach erfolglosem Versuch, den Rechtsvorgänger des betreffenden Gesellschafters in Anspruch zu nehmen, kann die Gesellschaft zur Verwertung des Geschäftsanteils gem. § 23 GmbHG schreiten, wobei die gesetzliche Regelung die öffentliche Versteigerung vorsieht, andere Verwertungsmöglichkeiten jedoch mit Zustimmung des betreffenden Gesellschafters möglich sind. Demgemäß ist es auch zulässig, im Gesellschaftsvertrag eine Vereinbarung zu treffen, die es der Gesellschaft gestattet, einen freien Verkauf oder eine anderweitige Verwertung vorzunehmen1.

428

Der Gesellschaftsanteil geht durch die Kaduzierung nicht unter. Der betroffene Gesellschafter verliert allerdings sämtliche Rechte, die mit dem Geschäftsanteil verbunden sind (Vermögensrechte, Verwaltungsrechte, Verfügungsrechte), jedoch bleiben die Gewinnansprüche, die vor der Kaduzierung entstanden sind, erhalten; desgleichen Ansprüche für Leistungen, die er erbracht hat (allerdings mit der Verpflichtung, alle bis zur Kaduzierung fälligen Nebenleistungen zu erbringen)2. Die Verfügungsrechte gehen jedoch auf die Gesellschaft über, wobei nicht ganz klar ist, wem der Geschäftsanteil an sich zusteht. Es ist wohl am überzeugendsten, davon auszugehen, dass der Geschäftsanteil nach der Kaduzierung ein treuhänderisch gebundenes Sondervermögen der Gesellschaft darstellt, über das nur sie im Rahmen der gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglich geregelten Voraussetzungen verfügen kann3.

429

Der Vorteil der Kaduzierung liegt gerade in Bezug auf ihre Anwendung für eine Nachfolgeregelung allerdings darin, dass der Geschäftsanteil nicht – wie bei der Einziehung – untergeht und für den Erwerb durch den vorgesehenen Nachfolger zur Verfügung steht. Allerdings stehen der unmittelbaren Anwendung der gesetzlichen Regelung für die Zwecke der Durchsetzung der Nachfolgeregelung wiederum die gesetzlichen Voraussetzungen entgegen. Das gilt bereits für die erste Voraussetzung, dass die Kaduzierung die Nichteinzahlung der Stammeinlage erfordert. Hat der verstorbene Gesellschafter die Einzahlung vorgenommen oder nehmen die Erben die Einzahlung z.B. nach Anforderung vor, entfallen die gesetzlichen Voraussetzungen. Ähnliches gilt für die Einbeziehung des Rechtsvorgängers oder die Versteigerung des Geschäftsanteils. Ferner sind auch die wirtschaftlichen Folgen sicher nicht immer adäquat, denn der „Mehrerlös“ aus der Verwertung soll der Gesellschaft zustehen4. Letzteres bedeutet einen Aus1 Scholz/Emmerich, GmbHG, § 23 Rz. 8. 2 Scholz/Emmerich, GmbHG, § 21 Rz. 27; auch: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 21 Rz. 14. 3 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 21 Rz. 44 f.; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 21 Rz. 29 m.w.N. oder auch: MüHdb GesR III, § 25 Rz. 44. 4 Scholz/Emmerich, GmbHG, § 23 Rz. 14; vgl. auch Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 23 Rz. 8. 766

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Unternehmensnachfolge

Rz. 432

B XI

schluss der Abfindung der Erben, was nur gerechtfertigt wäre, wenn die Nachfolgeregelung des Gesellschaftsvertrags einen solchen Ausschluss generell vorsieht. Obwohl Zielstellung und Voraussetzungen der Kaduzierung von den Erfordernissen abweichen, die in Bezug auf die Durchsetzung einer Nachfolgeregelung bestehen, wird die Anwendung dieses Rechtsmittels in diesem Zusammenhang diskutiert1. Wenn also die Kaduzierung überhaupt als Instrument der Durchsetzung der Nachfolgeregelung (z.B. anstelle der Einziehung) verwendet werden soll, muss der Gesellschaftsvertrag die gesetzlichen Voraussetzungen und das Verfahren anpassen, d.h. z.B. die Frage der Einzahlung des Stammkapitals, den Rechtsvorgänger und die Versteigerung ausklammern und das Problem des „Erlöses“ gesondert regeln. § 25 GmbHG steht dem nicht entgegen, da diese Vorschrift nur die Rechtsfolgen zulasten des säumigen Gesellschafters zur Beitreibung der nicht gezahlten Stammeinlage zwingend ausgestaltet, so dass im Gesellschaftsvertrag die dahingehenden Rechte der Gesellschaft nicht ausgeschlossen werden dürfen.

430

M 145 Kaduzierungsklausel Kommen die Erben der Aufforderung der Gesellschaft zur Abtretung des Geschäftsanteils innerhalb der bestimmten Frist nicht nach, ist diese berechtigt, den Geschäftsanteil zu kaduzieren. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung des Kaduzierungsverfahrens gem. § 21 GmbHG finden keine Anwendung. Die Gesellschaft ist berechtigt, den kaduzierten Geschäftsanteil unter Berücksichtigung der Abfindungsansprüche der Erben gem. § … frei zu verwerten. Der Erlös steht den Erben als Abfindung zu.

d) Abfindung aa) Können die Erben nicht in die Gesellschaft nachfolgen, steht ihnen sowohl bei der Einziehung als auch im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Abtretung der Geschäftsanteile ein Abfindungsanspruch zu. Dieser richtet sich entweder gegen die Gesellschaft (bei Einziehung oder Erwerb durch die Gesellschaft) oder gegen den Erwerber. Sind keine Regelungen im Gesellschaftsvertrag getroffen, richtet sich der Abfindungsanspruch nach dem Verkehrswert, also nach dem Entgelt, das für diesen Geschäftsanteil bei freier Veräußerung erzielt werden könnte. Dieser wird im Zweifel nach den Grundsätzen objektivierter Unternehmensbewertung erfolgen (IDW S1).

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bb) In vielen Fällen wird jedoch vereinbart, dass nur eine begrenzte Abfindung zu zahlen ist, oder die Zahlung einer Abfindung wird überhaupt ausgeschlossen. Maßgebend dafür ist die Absicht der Gesellschafter, die Gesellschaft bei Versterben eines Gesellschafters gegen existenzgefährdenden Liquiditätsabfluss zu schützen. Allerdings gilt dieser Gesichtspunkt nur, wenn der Geschäftsanteil eingezogen oder durch die Gesellschaft erworben wird, nicht jedoch wenn ein anderer Gesellschafter oder ein Dritter den Geschäftsanteil erwirbt, da die Vermögenslage der Gesellschaft bei Erwerb durch andere Gesellschafter oder Dritte

432

1 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 108, MüHdb GesR III, § 25 Rz. 42, 43, 44. Stein

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B XI

Rz. 433

Unternehmensnachfolge

nicht berührt wird. In diesem Falle können aber Überlegungen der einzelnen Gesellschafter zum Tragen kommen, dem von ihnen ins Auge gefassten Nachfolger den Eintritt in die Gesellschaft wirtschaftlich zu erleichtern oder überhaupt erst möglich zu machen. Das gilt insbesondere, wenn der Nachfolger aus dem Familienkreise kommt oder dieser gar Miterbe ist. Wirtschaftlich wäre die Gesellschaft angesichts der Notwendigkeit einer Refinanzierung der Abfindung duch den Erwerber mit vergleichbaren Abflüssen belastet (und wenn diese durch quotale Ausschüttungen erfolgt sogar noch mit höheren). 433

Im Zusammenhang mit der Zahlung einer Abfindung bei Ausscheiden eines Gesellschafters durch Tod ist allerdings zu Recht vorgetragen worden, dass es nicht nur darum gehen kann, die Existenzbedingungen der verbleibenden Gesellschafter zu sichern, sondern es den Gesellschaftern überlassen bleiben muss, zu bestimmen, in welchem Umfang die Erben an dem Wert des Geschäftsanteils teilhaben sollen. Dieses Bestimmungsrecht wird als Ausfluss der Testierfreiheit betrachtet1. Das gilt auch in Bezug auf einen Nachfolger, der den Geschäftsanteil unmittelbar erwirbt.

434

Die Beschränkung der Abfindung der Höhe nach oder der Ausschluss der Abfindung wird unter diesem Gesichtspunkt2 und auch unabhängig davon3 für zulässig gehalten. Wird die Abfindung nicht ausgeschlossen, sondern beschränkt, prüft die Rechtsprechung die Klausel jedoch nach den allgemeinen Wertungsprinzipien. Ist ein grobes Missverhältnis zwischen Abfindung nach vereinbarter Klausel und tatsächlichem Wert des Geschäftsanteils festzustellen, kann – wenn die Abfindungsklausel von Anfang an vereinbart war – eine Anpassung erforderlich sein. Ist die beschränkende Klausel später aufgenom-men worden, als der wirkliche Wert bereits über der Grenze der vereinbarten Abfindung lag, kann das zur Nichtigkeit führen. Nach Auffassung des BGH ist eine Klausel dann als nichtig anzusehen, „wenn die mit ihr verbundene Einschränkung des Abflusses von Gesellschaftskapital vollkommen außer Verhältnis zu der Beschränkung steht, die erforderlich ist, um im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand der Gesellschaft … zu sichern“4.

435

Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Gesellschafter ist allerdings eine Klausel, wonach das Einziehungsentgelt auf den Nennwert zuzüglich eines nach Jahren der Zugehörigkeit zur Gesellschaft gestaffelten Betrages (mit Höchstbegrenzung) begrenzt war, in der vorzitierten Entscheidung für zulässig gehalten worden.

436

In einer späteren Entscheidung hat der BGH ein im Erbfall zu zahlendes Einziehungsentgelt von 220 % des Nennbetrages des Geschäftsanteils als zulässig angesehen, obwohl der wirkliche Wert um das 200fache höher lag (kein Verstoß gegen § 138 BGB)5. 1 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 42, 43, 44. 2 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 41; Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 109. 3 Vgl. Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 31, 33, der spezifische Gesichtspunkte der Gesellschaft und des gesellschaftsrechtlichen Verbandes in den Mittelpunkt stellt; vgl. MüHdb GesR III, § 25 Rz. 41. 4 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, NJW 1992, 892; für die Zulässigkeitsgrenzen im Einzelnen: Hülsmann, GmbHR, 2001, 411. 5 BGH v. 7.10.1996 – II ZR 238/95, DStR 1997, 336. 768

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Unternehmensnachfolge

Rz. 440

B XI

Die von der Rechtsprechung für die Prüfung von Abfindungsklauseln entwickelten Grundsätze sind überwiegend im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Gesellschaftern zu Lebzeiten angewandt worden. Ob dies auch ohne weiteres auf das Ausscheiden im Todesfall gilt, ist nicht ganz sicher, jedenfalls sprechen die weiter oben dargelegten Grundsätze in Bezug auf die Testierfreiheit des Erblassers im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Abfindungsklauseln dagegen. Immerhin lässt die vorstehend wiedergegebene Entscheidung des BGH, die im Erbfall einen sehr großen Unterschied zwischen Klauselabfindung und wirklichem Wert als zulässig ansieht, erkennen, dass eine besondere Beurteilung im Erbfall auch durch den BGH für notwendig gehalten wird.

437

cc) Die Begünstigung, die sich aus dem Ausschluss der Abfindung oder ihrer Beschränkung ergibt, wird bei Einziehung bzw. Erwerb durch die Gesellschaft als Zuwendung an die übrigen Gesellschafter, bei Erwerb durch einen Nachfolger an diesen gesehen. Es handelt sich dann um eine auf den Todesfall bedingte Schenkung unter Lebenden (§ 2301 BGB), und zwar unabhängig davon, ob alle Gesellschafter gleichermaßen oder nur ein einzelner Nachfolger begünstigt sind1. Teils wird allerdings in der bloßen Beschränkung eine gesellschaftsspezifische Ausgestaltung der Beteiligungsrechte und -pflichten gesehen, wohingegen der völlige Ausschluss der Abfindung zu einer Schenkung auf den Todesfall führen soll2. Die Frage, ob in der gegenseitigen Begünstigung der Gesellschafter eine Entgeltlichkeit der Zuwendung gesehen werden kann, wie das teilweise bei den Personengesellschaften geschieht (vgl. Rz. 226 f.), bleibt in der Diskussion zur GmbH weitestgehend offen, stellt sich aber vielleicht auch deshalb nicht, weil der Geschäftsanteil als eigenständiges dingliches Vermögensrecht derartige Überlegungen ausschließt.

438

Soweit die Beschränkung oder der Ausschluss einer Abfindung zu einer Schenkung führt, bleibt insoweit die Rechtsposition der Erben gem. §§ 2325 ff. BGB (Pflichtteilsergänzung) oder – soweit ein Miterbe begünstigter Nachfolger wird – gem. § 2050 BGB erhalten.

439

e) Verwaltungsrechte, Beschränkungen Im Zusammenhang mit der Nachfolgeregelung kann der Gesellschaftsvertrag die mit dem Geschäftsanteil verbundenen Rechte ändern oder beschränken und insofern eine neue Inhaltsbestimmung vornehmen3. Demgemäß kann der Gesellschaftsvertrag die mit dem Geschäftsanteil verbundenen Stimmrechte verändern und das Gewinnbezugsrecht aufheben (zeitweilig oder auf Dauer). Ob das auch in dieser Kombination möglich ist, also Stimmrecht und Gewinnbezugsrecht gleichzeitig aufzuheben, wird nicht ganz einheitlich beurteilt, ist aber wohl überwiegend akzeptiert4. Schließlich ist es möglich und durchaus zweckmäßig, dass bei Versterben eines Gesellschafters das Ruhen der Verwaltungs1 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 111, MüHdb GesR III, § 25 Rz. 40; zur Schenkungsfolge: Peetz, GmbHR, 2000, 756; im Allgemeinen zur steuerlichen Auswirkung: Gottschalk, GmbHR 2000, 1798. 2 Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 30; MüHdb GesR III, § 28 Rz. 22. 3 Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 34; MüHdb GesR III, § 25 Rz. 45, 46. 4 Scholz/Seibt, GmbHG, § 14 Rz. 31 ff., § 15 Rz. 34; Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 32. Stein

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440

B XI

Rz. 441

Unternehmensnachfolge

rechte bis zur Übertragung auf den berechtigten Nachfolger oder bis zur Einziehung des Geschäftsanteils angeordnet wird1. 441

Die gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelung kann jedoch nicht die unentziehbaren Rechte aufheben (z.B. Auskunfts- und Einsichtsrecht des Gesellschafters, Teilnahme an Gesellschafterversammlungen, Berechtigung zur Anfechtungsklage, Berechtigung zur Auflösungsklage und zur Bestellung von Liquidatoren sowie zum Austritt aus der Gesellschaft)2. f) Vor- und Nacherbschaft

442

Die Verfügung einer Vorerbschaft ist möglich. Der Vorerbe muss jedoch nach den Grundsätzen der Nachfolgeregelung des Gesellschaftsvertrags nachfolgeberechtigt sein. Ist er das nicht, liegt aber eine solche Berechtigung beim Nacherben vor, ist fraglich, ob die Gesellschaft unter diesen Umständen den Geschäftsanteil einziehen3 oder den Vorerben zur Abtretung an einen nichtbeteiligten Dritten zwingen kann4. Immerhin könnte an eine Lösung gedacht werden, die die Rechtsprechung in solchen Fällen für Personengesellschaften entwickelt hat, wonach der Nacherbe zum Eintritt berechtigt wird unter gleichzeitigem Anspruch des Vorerben auf die Gewinnzuteilung und den Abfindungsanspruch, wenn dieser während der Vorerbschaft fällig werden sollte (z.B. bei Ausscheiden des Nacherben aus der Gesellschaft), sowie des Anspruchs auf eine Liquidationsquote (vgl. Rz. 217). Der Vorerbe erlangt insoweit eine mit dem Nießbrauch vergleichbare Stellung.

443

Sind Vor- und Nacherbe zur Nachfolge berechtigt, wird der Vorerbe Gesellschafter, ihm folgt bei Eintritt des Nacherbfalles der Nacherbe nach, soweit er dann noch die Voraussetzungen für die Nachfolge erfüllt.

444

Der Vorerbe unterliegt hinsichtlich der Verfügungen den allgemeinen erbrechtlichen Bestimmungen, insbesondere denen des § 2113 Abs. 2 BGB. Wie auch im Recht der Personengesellschaften kann es problematisch sein, ob in der Ausübung der Verwaltungsrechte eine unentgeltliche Verfügung liegen kann. Grundsätzlich ist das nicht der Fall, selbst wenn die Ausübung dieser Rechte wirtschaftlich nachteilige Auswirkungen für den Nacherben hat5. Schadenersatzansprüche des Nacherben bleiben möglich6, ohne dass die im Zusammenhang mit der Ausübung der Verwaltungsrechte erfolgten Mitwirkungshandlungen unwirksam sind.

445

Unentgeltlich und damit unwirksam kann eine Verfügung jedoch sein, die in die Verwaltungs- und Vermögensrechte des Geschäftsanteils zum einseitigen Nachteil des Vorerben eingreift. Satzungsänderungen oder Maßnahmen, die den Gesell1 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 99; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 34 Rz. 43, 46. 2 Scholz/Seibt, GmbHG, § 14 Rz. 32; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rz. 11. 3 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 60; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rz. 19 f. 4 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 60; Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 113; 5 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 115; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rz. 20. 6 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 115. 770

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Unternehmensnachfolge

Rz. 449

B XI

schafter gleichermaßen betreffen, sind dagegen nicht als unentgeltliche Verfügung anzusehen1. Insofern gelten ähnliche Grundsätze wie im Recht der Personengesellschaft (Rz. 445). Für die übrigen Gesellschafter liegt in der Möglichkeit der Unwirksamkeit einer Verfügung des Vorerben hinsichtlich seiner Mitwirkung an der Verwaltung ein Risiko, so dass der Eintritt eines Vorerben in die Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag häufig ausgeschlossen wird.

446

g) Erbeinsetzung und Erbauseinandersetzung Der Erblasser ist bei letztwilliger Verfügung über den Geschäftsanteil rechtlich i.S.d. Testierfreiheit nicht eingeschränkt. Die Durchsetzung des testierten Willens kann aber durch gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen eingeschränkt sein. Verfügungsspielraum bleibt ihm z.B. dann, wenn aufgrund der Nachfolgeklausel mehrere Erben für die Nachfolge infrage kommen, so z.B. wenn der Gesellschaftsvertrag die Fortsetzung der Gesellschaft mit den Abkömmlingen des Erblassers vorsieht. Ist dagegen nach dem Gesellschaftsvertrag nur die Fortsetzung der Gesellschaft mit einer bestimmten näher bezeichneten Person möglich oder ist vorgesehen, dass nur ein einzelner Erbe (oder ein Abkömmling, z.B. der älteste) nachfolgt, engt das den praktischen Entscheidungsspielraum des Erblassers ein; errichtet er ein Testament und zieht dabei die Regelungen des Gesellschaftsvertrags nicht in Betracht, geht seine Verfügung ins Leere.

447

Sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass nur ein einzelner Erbe oder eine bestimmte Gruppe von Erben nachfolgen können, hat der Erblasser es in der Hand, durch Verteilung des Nachlasses unter Berücksichtigung des Geschäftsanteils einerseits und des übrigen Vermögens andererseits unter den Erben einen Ausgleich herzustellen. Soll der Nachfolger den Geschäftsanteil ohne Verkürzung seiner Teilhabe am übrigen Nachlass erhalten, könnte der Erblasser ihm den Geschäftsanteil im Wege des Vorausvermächtnisses zuwenden. Besteht das Vermögen jedoch hauptsächlich aus dem Geschäftsanteil, bleibt ihm nur die Möglichkeit, den zur Nachfolge berechtigten Erben hinsichtlich des Geschäftsanteils einzusetzen und den übrigen Erben eine Unterbeteiligung zu einem bestimmten Bruchteil oder einen Nießbrauch hinsichtlich der Gewinnansprüche (mit Quote) zuzuwenden. Zu beachten sind dabei jedoch gesellschaftsrechtliche Bestimmungen, die eine derartige Verfügung über den Geschäftsanteil von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig machen oder sie gar völlig ausschließen. Sind Verfügungen dieser Art nicht zugelassen oder erwünscht, kann der Erblasser dem Nachfolger im Wege der Teilungsanordnung den Geschäftsanteil unter der Bedingung zuweisen, dass er eine bestimmte Abfindung an die übrigen Erben zahlt.

448

Können alle Erben oder eine Mehrzahl von ihnen nachfolgen, bleibt es dem Erblasser überlassen zu entscheiden, ob er im Wege der Teilungsanordnung oder des Vorausvermächtnisses einem oder nur einigen Erben den Geschäftsanteil zuwenden will oder ob alle Erben entsprechend ihrer Erbquote oder mit einem bestimmten ihnen durch Teilungsanordnung zugewiesenen Anteil nachfolgen sollen.

449

1 Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 41; Hachenburg/Zutt, GmbHG, § 15 Rz. 114; vgl. Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 46. Stein

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B XI

Rz. 450

Unternehmensnachfolge

450

Werden die Erben nur Mitberechtigte, müssen die Beschwerungen in Kauf genommen werden, die kraft Gesetzes für eine Mehrheit von Mitberechtigten bestehen (§ 18 GmbHG) oder die im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sind. Die Mitberechtigten können ihre Rechte „nur gemeinschaftlich ausüben“ (§ 18 Abs. 1 GmbHG), sie können dafür auch einen gemeinsamen Vertreter bestellen. Letzteres ist häufig durch Gesellschaftsvertrag vorgeschrieben, kann aber von der Gesellschaft ohne eine solche Bestimmung nicht verlangt werden, es sei denn, die gemeinschaftliche Ausübung der Rechte ist für die Gesellschaft unzumutbar1.

451

Sind alle Erben zur Nachfolge berechtigt, können die Erben aufgrund einer eigenen Entscheidung den Geschäftsanteil auch auf einen einzelnen Miterben übertragen, ohne dass der im Gesellschaftsvertrag gem. § 15 Abs. 5 GmbHG etwa vorgesehene Genehmigungsvorbehalt (Vinkulierung) der Gesellschaft anwendbar ist2. Anderenfalls könnte die Gesellschaft eine im Gesellschaftsvertrag zugelassene Nachfolge verhindern.

452

Auf die Abtretung bei Auseinandersetzung der Erben findet § 11 Abs. 3 GmbHG Anwendung, d.h. es ist notarielle Beurkundung erforderlich. Die Anmeldung des Erwerbs gem. § 16 Abs. 1 GmbHG bei der Gesellschaft ist zwar vom Grundsatz her beim Erbanfall nicht erforderlich, ist aber wohl bei der Übertragung auf Miterben geboten, da der mit § 16 Abs. 1 angestrebte Schutz der Gesellschaft hinsichtlich der von ihr gegenüber den Gesellschaftern abgegebenen Erklärungen oder vorgenommenen Rechtshandlungen auch in diesem Falle beachtlich ist. Allerdings müssen sich die Erben auch nach dem Erbfall der Gesellschaft gegenüber legitimieren, z.B. durch Vorlage des Erbscheines, was einer Anmeldung gleichkommt3.

453

Hat der Erblasser den Geschäftsanteil im Wege des Vorausvermächtnisses einem der Erben zugewandt, gelten die Grundsätze der Vinkulierung wie bei einem Erben (oben Rz. 451), da der Vorausvermächtnisnehmer in jedem Falle Erbe bleibt und kein Grund ersichtlich ist, weshalb der ihm gesondert zugefallene Nachlassgegenstand anders behandelt werden soll. Davon unterschieden wird der Fall, dass ein Dritter, der nicht Erbe ist, als Vermächtnisnehmer mit einem Geschäftsanteil bedacht wird.

454

Bei Übertragung des Geschäftsanteils in Erfüllung der schuldrechtlichen Verpflichtung der Erben auf den Vermächtnisnehmer, wird die Anwendung einer eventuellen Vinkulierungsklausel nach herrschender Auffassung für unvermeidlich gehalten4. Die Aufrechterhaltung des Zustimmungsvorbehaltes bei einem Vermächtnis hat allerdings auch bedenkliche Seiten, wenn im Übrigen sämtliche Erben nachfolgen können. Dem Erblasser wird dann die Möglichkeit genommen, einer Person den Geschäftsanteil zu hinterlassen, ohne ihn zum Erben einzusetzen. Dagegen mag der Erblasser gute Gründe haben, jemand aus dem Verband der Erbengemeinschaft herauszuhalten, ihn aber gesondert mit dem Geschäfts1 Vgl. Scholz/Seibt, GmbHG, § 18 Rz. 20; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 18 Rz. 11. 2 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 102 m.w.N.; MüHdb GesR III, § 25 Rz. 26. 3 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 99; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rz. 12. 4 Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 36; vgl Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 38; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rz. 12. 772

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 457

B XI

anteil zu bedenken. Immerhin könnte der Vermächtnisnehmer zum Kreise der gesetzlichen Erben gehören. Der Zustimmungsvorbehalt müsste allerdings in jedem Fall dann entfallen, wenn sich die Nachfolgeklausel nicht nur auf die Erben, sondern auch auf die Vermächtnisnehmer bezieht, wie das z.B. für Personengesellschaften empfohlen wird (vgl. Rz. 133). Hat der Erblasser einen Vermächtnisnehmer eingesetzt, der aufgrund der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags nicht nachfolgen kann, ist die Erfüllung der Vermächtnisschuld durch die Erben von Anfang an unmöglich. Es gilt dann § 2171 BGB, d.h. das Vermächtnis ist unwirksam. Wenn jedoch die Nachfolge des Vermächtnisnehmers nach den Regelungen des Gesellschaftsvertrags durchaus möglich war, aber durch Ausübung des Zustimmungsvorbehaltes der Gesellschaft (Vinkulierungsklausel) ausgeschlossen wird, bleibt das Vermächtnis wirksam, die Erben werden jedoch von ihrer Leistungspflicht frei (§ 275 BGB)1.

455

Schadenersatzansprüche könnte der Vermächtnisnehmer nur geltend machen, wenn die Erben die Unmöglichkeit der Leistung zu vertreten haben, was regelmäßig nicht der Fall sein wird. Wird der Geschäftsanteil an einen der Gesellschaft genehmen Dritten abgetreten oder zieht die Gesellschaft den Geschäftsanteil gegen Entgelt ein, steht allerdings das Abtretungs- bzw. Einziehungsentgelt dem Vermächtnisnehmer zu (§ 281 BGB)2. Der Vermächtnisnehmer ist insoweit auch selbst berechtigt, seine Erfüllungsansprüche an den genehmen Dritten abzutreten. Der Erbe kann auch verpflichtet sein, dem Vermächtnisnehmer die Ansprüche aus der Beteiligung abzutreten (Gewinnanspruch, Anteil am Liquidationserlös)3. Ob er auch generell zum Wertersatz verpflichtet ist, ist unklar, wird aber überwiegend verneint4.

456

h) Die Haftung der Erben Eine Haftungsverpflichtung des Gesellschafters kann sich im Grundsatz nur aus der Innenbeziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ergeben und kann u.a. offene Einlageverpflichtungen, Nachschusspflichten oder Rückzahlungsverpflichtungen des Gesellschafters gem. §§ 30 bis 32 GmbHG betreffen. Es steht außer Frage, dass die Erben mit dem Erbfall in die Rechtsposition des Erblassers eintreten und zwar selbst dann, wenn sie später den Geschäftsanteil abtreten müssen oder dieser eingezogen wird. Bleiben die Erben in der Gesellschaft, gilt das ganz selbstverständlich. Hinsichtlich der Haftung der Erben sind beide Tatbestände gleich zu behandeln. Selbst wenn die unmittelbar mit dem Geschäftsanteil verknüpften Pflichten (z.B. Einzahlung des Stammkapitals) bei erzwungener Abtretung auf den Erwerber übergehen, bleibt der veräußernde Erbe hinsichtlich derartiger Verbindlichkeiten gesamtschuldnerisch verpflichtet5. 1 MüHdb GesR III, § 25 Rz. 56. Anders Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 112, der auch in diesem Falle davon ausgeht, dass ein Fall des § 2171 BGB vorliegt, aber dem Vermächtnisnehmer das Recht einräumt, den Erfüllungsanspruch abzutreten. 2 Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 36; MüHdb GesR III, § 25 Rz. 56. 3 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 112; Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 37; MüHdb GesR III, § 25 Rz. 56. 4 Scholz/Seibt, GmbHG, § 15 Rz. 37; MüHdb GesR III, § 25 Rz. 56. 5 Vgl. im Allgemeinen dazu Scholz/Seibt, GmbHG, § 16 Rz. 37 ff.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 18 Rz. 5; vgl. Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 19. Stein

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B XI

Rz. 458

Unternehmensnachfolge

458

Die h.M. geht davon aus, dass die Erben für die vor Beginn ihrer Mitgliedschaft entstandenen Verbindlichkeiten und Pflichten des Erblassers die Haftung nach den Grundsätzen der Erbenhaftung beschränken können1.

459

Für Neuverbindlichkeiten, die nach dem Erbfall jedoch vor der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bzw. vor Abtretung an den qualifizierten Nachfolger unter Mitwirkung des oder der Erben entstehen (z.B. Kapitalerhöhung), haften die Erben ebenfalls nicht persönlich, und zwar unabhängig davon, ob zugleich der Nachlass mitverpflichtet wird oder daneben eine beschränkte Erbenhaftung besteht2.

460

Für die weitere Frage, wann die beschränkte Erbenhaftung in eine persönliche Haftung umgewandelt wird, kann auf die Nachlassauseinandersetzung bzw. Abtretung an einen Dritten verwiesen werden3. Von da an haften der dritte Erwerber oder der oder die Miterben, die den Geschäftsanteil übernehmen, voll persönlich auch für Altverbindlichkeiten, soweit diese unmittelbar mit dem Geschäftsanteil verknüpft sind und bei Übertragung auf den Erwerber übergehen. Für die Erben bleibt es bei der solidarischen Mithaftung nach den Grundsätzen der Erbenhaftung. Allerdings versagt die Anknüpfung an die Auseinandersetzung oder Abtretung an Dritte, wenn überhaupt nur ein Erbe vorhanden ist, der nachfolgt oder wenn die Erbengemeinschaft gesamthänderisch den Geschäftsanteil auf Dauer hält. Deshalb sollte die Umwandlung der Haftung von einer beschränkbaren Erbenhaftung in eine solche persönlicher Natur ganz allgemein dann eintreten, wenn die Nachfolge i.S.d. Gesellschaftsvertrags endgültig geworden ist. Die Endgültigkeit der Nachfolge kann durch die Gesellschaft eher und leichter festgestellt werden als der Zeitpunkt der Nachlassauseinandersetzung. 2. Nachfolge in der Aktiengesellschaft a) Grundsatz der Vererblichkeit von Aktien

461

Aktien sind grundsätzlich vererblich. Die erbrechtliche Nachfolge darf nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Dieser Grundsatz gilt selbst für die Fälle, in denen – wie bei vinkulierten Namensaktien – nach dem Aktienrecht rechtsgeschäftliche Verfügungen über Aktien unter Zustimmungsvorbehalt gestellt werden dürfen4, so dass auch bei vinkulierten Namensaktien die Erben ohne weiteres nachfolgen, da die Gesamtrechtsnachfolge von der Vinkulierung nicht erfasst wird.

462

Allerdings können bei vinkulierten Namensaktien Übertragungen von Aktien auf einen Vermächtnisnehmer oder auf einen Erben im Zuge der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig gemacht werden, da diese Übertragungen durch die Gesamtrechtsnachfolge nicht mehr erfasst sind, es sich vielmehr um rechtsgeschäftliche Verfügungen handelt. 1 Scholz/Seibt, GmbHG, § 18 Rz. 27; Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 103; vgl. Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 20. 2 Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 103a; auch Michalski, GmbHG, § 15 Rz. 20. 3 Scholz/Seibt, GmbHG, § 18 Rz. 27; Hachenburg/Zutt, GmbHG, Anh. § 15 Rz. 103a; vgl. Michalski, GmbHG, § 18 Rz. 66. 4 Hüffer, AktG, § 68 Rz. 11. 774

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Unternehmensnachfolge

Rz. 467

B XI

Voraussetzung für die Ausübung des Zustimmungsvorbehaltes ist eine entsprechende Regelung in der Satzung. Zuständig für die Erteilung der Zustimmung ist der Vorstand1 (wenn die Satzung nicht die Zuständigkeit der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrates begründet). Bis zur Erteilung der Zustimmung ist die Übertragung der vinkulierten Namensaktien schwebend unwirksam2. Die Erwerber von Namensaktien (auch der oder die Erben) müssen ihren Erwerb bei der Gesellschaft zur Eintragung in das Aktienbuch anmelden (§ 68 Abs. 3 AktG).

463

Folgt die Erbengemeinschaft ohne Auseinandersetzung nach, ist jede Einflussmöglichkeit der Gesellschaft ausgeschlossen. Auch die Erbengemeinschaft als Ganzes kann bei Namensaktien die Anmeldung bei der Gesellschaft vornehmen und sich in das Aktienbuch eintragen lassen. Allerdings kann sie ihre Rechte nur ausüben, wenn ein gemeinsamer Vertreter bestellt wird3.

464

Das Aktienrecht bietet allerdings auch die Möglichkeit, die Einziehung von Aktien in der Satzung zu regeln (§ 237 AktG). Die Satzung kann die Fälle der Einziehung regeln oder die Einziehungsmöglichkeit generell ohne Nennung von Gründen aufnehmen,4 so dass auch die Einziehung bei erbrechtlicher Nachfolge möglich werden kann. Die Einziehungsbefugnis kann aber gegenüber einem Aktionär nur ausgeübt werden, wenn sie bei Übernahme oder Zeichnung der Aktien schon bestand (§ 237 Abs. 1 AktG). Die Einziehung selbst wird nach den Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung durchgeführt. Die Anwendung dieser Bestimmungen kann unterbleiben, wenn die Einziehung zulasten des Bilanzgewinns oder anderen Gewinnrücklagen erfolgt (§ 237 Abs. 3 AktG).

465

Bei Einziehung von Aktien wird ein Einziehungsentgelt fällig. Dieses kann höher oder niedriger als der wirkliche Aktienwert sein. Bei angeordneter Zwangseinziehung (wenn also bei Eintritt eines Tatbestandes die Einziehung zwingend erfolgen muss) ist die Regelung der Abfindung in der Satzung vorgeschrieben, in anderen Fällen wird es empfehlenswert sein, insbesondere wenn die Abfindung von „angemessenem Entgelt“ abweicht. In der Satzung kann auch geregelt werden, dass die Einziehung ohne Entgelt erfolgt5.

466

b) Ausweichlösungen für eine Nachfolgeregelung Da das Aktienrecht selbst nur sehr beschränkte Möglichkeiten für eine gezielte Nachfolgeregelung zur Verfügung stellt, wird häufig auf schuldrechtliche Nebenvereinbarungen der Aktionäre oder einer Gruppe von Aktionären (Poolvereinbarungen, Konsortialverträge) zurückgegriffen. Derartige schuldrechtliche Nebenabreden der Aktionäre außerhalb der Satzung sind im Aktienrecht zulässig. Gegenstand solcher Vereinbarungen sind häufig das Stimmenverhältnis und die Stimmrechtsausübung. Ferner können Vorerwerbsrechte bei Veräußerung der Aktien durch einen Partner eines derartigen Vertrags oder Ankaufsrechte bei 1 2 3 4 5

Hüffer, AktG, § Hüffer, AktG, § Hüffer, AktG, § Hüffer, AktG, § Hüffer, AktG, §

68 Rz. 15. 68 Rz. 16. 69 Rz. 2 ff. 237 Rz. 12, 15. 237 Rz. 17. Stein

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B XI

Rz. 468

Unternehmensnachfolge

Eintritt bestimmter Ereignisse, z.B. bei Versterben eines Vertragspartners, geregelt werden. Insofern lassen sich dann in gewissem Umfang die fehlenden Nachfolgeregelungen in der Satzung selbst ersetzen. 468

Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Aktien in eine OHG oder GbR einzulegen, so dass die Nachfolge in der für Personengesellschaften üblichen Weise sehr flexibel und nach den Bedürfnissen der Beteiligten geregelt werden kann. Die Nachfolge wird dann von den Grundsätzen beherrscht, wie sie für Personengesellschaften gelten. Die Aufnahme von Nachfolge- und Abfindungsregelungen ist möglich. Inhaber der Aktien ist in diesen Fällen die Gesellschaft. Bei Namensaktien wird auch diese in das Aktienbuch eingetragen. Allerdings entfallen bei dieser Gestaltung die Begünstigungen der §§ 13a, 13b ErbStG weil Beteiligungen i.S.d. § 13b Abs. 1 Nr. 3 S. 1 ErbStG nur unmittelbare Beteiligungen sind1. 3. Ertragsteuerrechtliche Folgen im Erbfall und bei der Erbauseinandersetzung a) Grundsatz

469

Gehören zum Nachlass Anteile an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen des Erblassers, folgen die Erben ertragsteuerlich unmittelbar in die Rechtsposition des Erblassers nach. Sie erwerben unentgeltlich. Sind mehrere Erben vorhanden, wird ihnen der Anteil ertragsteuerrechtlich in Bruchteilen entsprechend ihrer Erbquote zugerechnet2. Da die Anteile an einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich vererblich sind, tritt diese Folge unabhängig davon ein, ob ein bestimmter Miterbe oder ein Teil der Miterben unter Ausschluss der übrigen zur Nachfolge berufen sind oder nicht.

470

Die Anschaffung und Veräußerung von Anteilen im Privatvermögen wird durch die §§ 17, 20 EStG erfasst3. Damit unterliegen Gewinne und Verluste entweder dem Teileinkünfteverfahren (insbesondere bei wesentlichen Beteiligungen und einbringungsverbundenen Anteilen i.S.v. § 22 UmwStG) oder der Abgeltungssteuer (i.d.R. bei nicht wesentlichen Beteiligungen).

471

Für Beteiligungen im Betriebsvermögen, die veräußert werden, gilt das Teileinkünfteverfahren (40 % steuerfreie Einnahmen und Aufwendungen, § 3 Nr. 40 EStG). Eine Ausnahme davon bildet die Veräußerung sog. einbringungsgeborener Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 a.F. UmwStG (bis 12.12.2006) bzw. sog. einbringungsverbundener Anteile i.S.v. § 22 Abs. 1 n.F. UmwStG (ab 13.12.2006). Solche Anteile entstehen durch Einbringung von Einzelunternehmen oder Mitunternehmeranteilen in Kapitalgesellschaften gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, wenn die Einbringung unterhalb des Teilwertes bzw. gemeinen Wertes erfolgte, also z.B. zum Buchwert. Nach der früheren Regelung des § 21 Abs. 1 a.F. UmwStG wurde ein Veräußerungsgewinn innerhalb von sieben Jahren nach der Einbringung aus solchen Anteilen vom Halbeinkünfteverfahren ausgeschlossen und unterlag als i.d.R. begünstigter Veräußerungsgewinn gem. § 16 EStG insgesamt der Einkommensteuer. Nach Ablauf der Siebenjahresfrist galt dann wieder das Halbeinkünfteverfahren bzw. Teileinkünfteverfahren. Die Konzeption 1 E 13b.6 Abs. 2 S. 3 ErbStG. 2 Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 17 Rz. 55 f. 3 Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 17 Rz. 12 (Ausnahme: Altanteile i.S.d. Übergangsregelung). 776

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Unternehmensnachfolge

Rz. 474

B XI

des Umwandlungssteuerrechts nach dem SEStEG sieht hingegen eine rückwirkende Nachbesteuerung des Einbringungsvorganges innerhalb der Siebenjahresfrist vor, wobei jeweils 1/7 pro Jahr der Nichtveräußerung von der rückwirkenden Versteuerung abgeschmolzen wird. Im Übrigen gilt das seit 2009 das Teileinkünfteverfahren. Diese Regelungen der Besteuerung von Einkünften aus der Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften gelten auch dann, wenn im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bei Übertragung der Beteiligung auf einen Miterben durch diesen Abfindungszahlungen an weichende Erben geleistet werden.

472

Beratungshinweis: Um so mehr muss darauf geachtet werden, dass die Entstehung und Entwicklung der Beteiligungen zumindest für einen siebenjährigen Zeitraum zurück verfolgt werden kann. Dies betrifft im Übrigen auch die Frage nach eventuellen nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung, die vom Erblasser getätigt wurden und nicht immer aus der Bilanz der Kapitalgesellschaft ersichtlich sind. Der Veräußerungsgewinn einer im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligung berechnet sich im Grundsatz wie folgt: Veräußerungspreis abzüglich Anschaffungskosten und Veräußerungskosten.

473

Für die Errechnung der Steuerlast nach dem Halbeinkünfteverfahren werden die 40 % des Veräußerungspreises nach dem Teileinkünfteverfahren steuerfrei gestellt, gleichzeitig finden 40 % der Anschaffungskosten und der Veräußerungskosten keine Berücksichtigung. Beispiel Teileinkünfteverfahren: Veräußerungspreis Anschaffungskosten Veräußerungskosten steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn

200 000 Euro 10 000 Euro 5 000 Euro

./. ./.

120 000 6 000 3 000 111 000

Euro Euro Euro Euro

Auf diesen Veräußerungsgewinn ist der Regelsteuersatz anwendbar, wobei ein eventueller Freibetrag, der sich aus § 17 Abs. 3 EStG ergeben könnte, vor Berechnung des Regelsteuersatzes vom Veräußerungsgewinn abzusetzen wäre. Bei der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft ist zu beachten, dass Abfindungszahlungen unter Umständen nur für einen Teil des Wirtschaftsgutes an weichende Erben gezahlt werden, wenn z.B. der übernehmende Miterbe bereits einen Anteil daran entsprechend seiner Erbquote unentgeltlich erworben hat. Ferner ergeben sich bei Realteilungen sehr häufig steuerlich neutrale Teilübertragungen, die berücksichtigt werden müssen. Gerade für Realteilungsfälle mit Spitzenausgleich ist in Zukunft eine Zerlegung des Gesamtvorganges in Einzelschritte erforderlich. Die Handhabung durch die Finanzverwaltung ist derzeit offen. Es ist denkbar, dass folgendes Verfahren zur Anwendung gelangt: Beispiel: A und B erben je zur Hälfte. Zum Nachlass gehören eine Beteiligung an der X-GmbH von 40 % mit einem Verkehrswert von 400 000 Euro (Anschaffungskosten 20 000 Euro) Stein

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B XI

Rz. 475

Unternehmensnachfolge

und ein Grundstück im Privatvermögen mit einem Verkehrswert von 200 000 Euro. B übernimmt das Grundstück; A erhält die gesamte Beteiligung und zahlt an B eine Abfindung von 100 000 Euro. B erzielt einen Veräußerungserlös von 100 000 Euro. Für die ertragsteuerliche Behandlung ergibt sich folgende Rechnung: B überträgt seinen Bruchteil von 20 % an A. Er erhält wegen der im Übrigen stattfindenden Realteilung jedoch nur für 10 % eine Vergütung, nämlich und überträgt die übrigen 10 % unentgeltlich an B. Die Anschaffungskosten für 10 % des Anteils betragen Bei Anwendung des Teileinkünfteverfahrens beträgt der Erlös und betragen die Anschaffungskosten so dass sich ein steuerbarer Veräußerungsgewinn von für B ergibt.

100 000 Euro 5 000 Euro. 60 000 Euro ./. 250 000 Euro 57 000 Euro

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Für Anteile an Kapitalgesellschaften, die die Wesentlichkeitsgrenze gem. § 17 Abs. 1 EStG unterschreiten, d.h. also innerhalb der letzten fünf Jahre seit Erwerb zu keinem Zeitpunkt die Grenze von 1 % am Nennwert des Stammkapitals bzw. Grundkapitals erreicht haben, galt bei Anschaffungen bis einschließlich 2008 § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Demgemäß waren Gewinne aus Veräußerungen, die nach Ablauf eines Jahres nach Anschaffung erfolgten, bislang steuerfrei; Gewinne aus Veräußerungen innerhalb der Jahresfrist unterlagen hingegen dem Halbeinkünfteverfahren1. Die Gewinne aus der Veräußerung einbringungsgeborener Anteile i.S.v. § 21 a.F. UmwStG aus der Einbringung eines Unternehmens in die Kapitalgesellschaft unter dem Teilwert wurden als Veräußerungsgewinne i.S.v. § 16 EStG in voller Höhe besteuert.

476

Hinsichtlich der Anteile, die durch Erbschaft erworben werden, wird dem Erwerber die Anschaffung des Erblassers zugerechnet2. Wurde im Rahmen der Erbauseinandersetzung eine Abfindung für die Übernahme gezahlt, ist das „Anschaffung“, womit eine neue Frist i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 2 für eine Weiterveräußerung in Gang gesetzt wurde. Im Rahmen der Übergangsregelungen für „Altanteile“ sind diese Grundsätze weiter zu berücksichtigen,

477

Gehört der Anteil an einer Kapitalgesellschaft zu einem Betriebsvermögen (Einzelbetrieb oder Mitunternehmerschaft), findet auf die Veräußerung des Anteils durch das Einzelunternehmen oder die Mitunternehmerschaft ebenfalls das Teileinkünfteverfahren Anwendung.

478

Für die Veräußerung oder Aufgabe eines Betriebs oder eines Mitunternehmeranteils gelten die Bestimmungen des § 16 EStG, allerdings mit der Maßgabe, dass der auf einen im Betriebsvermögen befindlichen Anteil an der Kapitalgesellschaft entfallende Veräußerungserlös oder gemeine Wert zu 60 % für die Errechnung des erzielten Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinns anzusetzen ist.

479

Das Teileinkünfteverfahren gilt auch dann, wenn eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft dem Betriebsvermögen entnommen wird für den dabei erzielten Entnahmegewinn (§ 3 Nr. 40 Buchst. a EStG). 1 Schmidt/Weber-Grellet, § 22 Rz. 5, 6. 2 Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 17 Rz. 80 ff. 778

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Unternehmensnachfolge

Rz. 483

B XI

Für die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft über einen Nachlass, zu dem das Betriebsvermögen eines Einzelunternehmers oder ein Mitunternehmeranteil an einer Personengesellschaft gehört, gelten die oben (Rz. 142 ff.) skizzierten Grundsätze, allerdings ist bei Zahlung von Abfindungen oder eines Spitzenausgleichs der erzielte steuerbare Gewinn unter Berücksichtigung des Teileinkünfteverfahrens für die im Betriebsvermögen befindliche wesentliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zu errechnen.

480

Wird ein einzelner Miterbe bei der Auseinandersetzung über einen Betriebsvermögensnachlass mit einer Kapitalbeteiligung im Betriebsvermögen abgefunden, ohne dass es sich dabei um eine wesentliche Betriebsgrundlage handelt, ist auf den dann anfallenden Entnahmegewinn ebenfalls das Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren anzuwenden.

481

Fällt ein im Privatvermögen gehaltener einbringungsgeborener oder einbringungsverbundener Anteil in den Nachlass, ist die Vorbesitzzeit des Erblassers anzurechnen, so dass es insgesamt für die Veräußerung durch die Erbengemeinschaft auf den Ablauf der Sperrfrist ankommt. Ist ein solcher Anteil Gegenstand einer Erbauseinandersetzung und muss in diesem Zusammenhang eine Abfindung gezahlt werden, sollte die Erbengemeinschaft den Ablauf der Sperrfrist abwarten, um die Anwendung des Halb- bzw. Teileinkünfteverfahrens auf die gezahlte Abfindung zu ermöglichen. Das Gleiche gilt für die Auseinandersetzung über ein Betriebsvermögen, zu dem ein einbringungsgeborener bzw. einbringungsverbundener Anteil gehört.

482

b) Abwicklung und Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft aa) Abtretung, Einziehung

Beratungssituation: Erblasser E ist mit 30 % an der X-GmbH beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass beim Tode des E dessen Geschäftsanteil auf Beschluss der Gesellschaft entweder eingezogen wird oder die Erben verpflichtet sind, nach Maßgabe des Beschlusses den Geschäftsanteil an einen von der Gesellschaft zu benennenden Erwerber zu übertragen. E verstirbt und wird zu gleichen Teilen von seinen Kindern A und B beerbt. Die Gesellschaft beschließt die Einziehung und zahlt an die Erben das im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Einziehungsentgelt für den Verkehrswert des Geschäftsanteils. Man einigt sich auf einen Wert von 400 000 Euro. Da mit Eintritt des Erbfalles A und B jeweils ein Bruchteil von 15 % des gesamten Nennkapitals des 30 %-Anteils des E am gesamten Nennkapital angefallen ist, erlöst jeder von ihnen 200 000 Euro. E ist Mitgründer der Gesellschaft und hat bei Gründung der Gesellschaft eine Stammeinlage von 15 000 Euro übernommen und voll eingezahlt. Ertragsteuerlich müssen A und B folgende Rechnung aufmachen: Veräußerungserlös für 15 % Anschaffungskosten für 15 % zu versteuernder Gewinn

200 000 Euro 7 500 Euro

anteiliger Ansatz 120 000 Euro ./. 4 500 Euro 115 500 Euro

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483

B XI

Rz. 484

Unternehmensnachfolge

bb) Qualifizierte Nachfolge (1) Reiner betrieblicher Nachlass

Beratungssituation: Erblasser E ist an der X-GmbH mit 30 % beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass die Gesellschaft jeweils nur mit dem ältesten Abkömmling fortgesetzt wird. E wird bei seinem Tode von seinen Kindern A (ältestes Kind), B und C zu gleichen Teilen beerbt. Nennenswertes weiteres Vermögen neben der Beteiligung ist nicht vorhanden. 484

Aufgrund der qualifizierten Nachfolgeklausel kann im vorliegenden Falle nur A nachfolgen. B und C müssen ihren Bruchteil am Geschäftsanteil von jeweils 10 % auf A übertragen. Da anderes Vermögen im Nachlass nicht vorhanden ist, lässt sich eine ertragsteuerneutrale Auseinandersetzung nicht herbeiführen. Zahlt A jeweils eine Abfindung an B und C, erzielen diese einen Veräußerungserlös, der wie im unter aa) behandelten Fall zu versteuern ist.

485

Um Abfindungszahlungen zu vermeiden, die für A mit erheblichen Liquiditätsbelastungen und für B und C bei einem hohen Wert des Anteils zu beträchtlichen steuerlichen Belastungen führen, könnten die Erben prüfen, ob die Übertragung der Bruchteile des B und C an A unter gleichzeitiger Einräumung von Rechten am Geschäftsanteil erfolgen kann (z.B. Nießbrauch am Gewinnstammrecht mit einer ihrem Bruchteil entsprechenden Quote oder Einräumung einer Unterbeteiligung). Dadurch könnte die Auseinandersetzung weitgehend ertragsteuerlich neutral gestaltet werden. Allerdings setzt das voraus, dass die Einräumung dieser Rechte nach dem Gesellschaftsvertrag zulässig ist bzw. die Gesellschaft dazu die Zustimmung erteilt.

486

Die Erbschaftsteuervergünstigungen für betriebliches Vermögen finden auf Kapitalbeteiligungen, die im Privatvermögen gehalten werden, allerdings nur Anwendung, wenn der Erblasser (oder Schenker) mit „mehr als einem Viertel“ am Nennkapital der Gesellschaft unmittelbar beteiligt ist (§ 13a, § 13b ErbStG). Trotz Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 Abs. 1 EStG auf 1 % ist der Ansatz „von mehr als einem Viertel“ für die Anwendung der betrieblichen Vergünstigungen auf Kapitalbeteiligungen in § 13a, § 13b ErbStG unverändert geblieben. (2) Mischnachlass

Beratungssituation: Erblasser E ist an der A-GmbH mit 30 % beteiligt (Verkehrswert 1,2 Millionen Euro, Anschaffungskosten 150 000 Euro), unterhält daneben ein Einzelunternehmen E (Verkehrswert 1,2 Million Euro, Buchwert 300 000 Euro) und besitzt ein Privatgrundstück mit einem Verkehrswert von 600 000 Euro. Nachfolgeberechtigt in der A-GmbH ist nur der Erbe R. E hat seine drei Kinder R, S und T zu gleichen Teilen zu Erben eingesetzt und bestimmt, dass R die Anteile an der A-GmbH, S das Einzelunternehmen E und T das Privatgrundstück erhalten soll. 487

Nach dem Erbfall vollziehen die Erben die Teilungsanordnung, indem S und T die ihnen angefallenen Bruchteile am A-Geschäftsanteil an R abtreten, R und T ihre Mitunternehmeranteile am E-Einzelunternehmen auf S übertragen und das 780

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 488

B XI

Grundstück an T aufgelassen wird. Ausgangswert der ertragsteuerrechtlichen Rechnung ist der jedem Erben zufallende Wert von 1 Mio. Euro. Danach haben R und S jeweils 200 000 Euro zu viel und T 400 000 Euro zu wenig bekommen. Im Verhältnis von R und S führt die Realteilung zu einem vollständigen Ausgleich, so dass Abfindungen nicht zu leisten sind. Dagegen erhält T von R und S jeweils 200 000 Euro. Die steuerliche Belastung ist unterschiedlich, da einerseits Abfindungen für Anteile an einer Kapitalgesellschaft gezahlt werden, für die das Teileinkünfteverfahren gilt, andererseits der Mitunternehmeranteil an einem Betriebsvermögen auszugleichen ist, insofern also § 16 Abs. 1 und 2 EStG gelten, allerdings unter Anwendung der Begünstigung des § 34 Abs. 1 und 2 (der ermäßigte Steuersatz gem. § 34 Abs. 3 EStG gilt nur in den dort geregelten engen persönlichen Grenzen). Da auch für T die Grundsätze der Realteilung gelten, bezieht sich die Ertragsteuerrechnung nur auf den Spitzenausgleich, der ihm nach Gegenrechnung des ihm zufallenden Sachwertes zusteht. T muss folgende Rechnung aufmachen: 1) Von R (Geschäftsanteil A) (das entspricht 1/ 6 des Verkehrswertes, so dass 1/ 6 der Anschaffungskosten anzurechnen ist. zu versteuernder Veräußerungsgewinn 2) Von S (Mitunternehmeranteil Einzelunternehmen) 1/ 6 des Buchwertes zu versteuernder Veräußerungsgewinn Insgesamt zu versteuern

200 000 Euro ./. 25 000 Euro

200 000 50 000 150 000 255 000

Euro Euro Euro Euro

davon 60 % 120 000 Euro

./. 15 000 Euro 105 000 Euro – – 150 000 Euro

Der unter 2) errechnete steuerbare Gewinn unterliegt allerdings der Regelung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG, d.h. es handelt sich um außerordentliche Einkünfte, die Fünftelregelung findet Anwendung. Sofern die persönlichen Voraussetzungen vorliegen, können außerdem der ermäßigte Steuersatz (mindestens der Eingangssteuersatz)gem. § 34 Abs. 3 EStG in Anspruch genommen werden. c) Betriebsaufspaltung

Beratungssituation: E ist an der A-GmbH mit 60 % beteiligt. Er hat sein ehemaliges Einzelunternehmen an die A-GmbH verpachtet, so dass steuerlich eine Betriebsaufspaltung besteht. Die Gesellschafter der A-GmbH haben im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass die Gesellschaft bei Versterben eines Gesellschafters nicht mit den Erben fortgesetzt wird. E verstirbt und hinterlässt seine Ehefrau als Alleinerbin. aa) Besteht – wie im vorstehenden Beispiel – eine Betriebsaufspaltung, ist im Erbfalle immer die Gefahr vorhanden, dass die persönlichen Voraussetzungen für die Betriebsaufspaltung entfallen und eine Betriebsaufgabe hinsichtlich des Betriebsunternehmens erfolgt. Das hat nicht nur zur Folge, dass die stillen Reserven der im Betriebsunternehmen befindlichen Wirtschaftsgüter aufgedeckt werden, sondern dass es auch zu einer Entnahme der Beteiligung an der Betriebsgesellschaft kommt. Im vorstehenden Beispielsfall könnte die Verpachtung des Einzelunternehmens u.U. subsidiär gleichzeitig die Voraussetzungen einer BeStein

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B XI

Rz. 489

Unternehmensnachfolge

triebsverpachtung erfüllen1, so dass die Erbin weiterhin gewerbliche Gewinne erzielt und insofern der Betrieb erhalten wird. Es tritt dann eine Betriebsunterbrechung im weiteren Sinne ein (vgl. Rz. 55 ff.). Allerdings wird der Anteil an der Betriebsgesellschaft in jedem Falle entnommen, so dass der Entnahmegewinn zu versteuern ist. Dieser unterliegt der Versteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren. 489

Schwierig wird die Lage dann, wenn die Voraussetzungen für eine Betriebsverpachtung nicht mehr vorliegen. Ist, wie im vorliegenden Fall, abzusehen, dass die Erben die Betriebsgesellschaft nicht fortsetzen, sollte bei einer Betriebsaufspaltung sichergestellt werden, dass das Betriebsvermögen des Besitzunternehmens auch nach Wegfall der Betriebsaufspaltung Betriebsvermögen bleibt. Im vorliegenden Falle hätte der Erblasser sein Einzelunternehmen bereits zu Lebzeiten bei Entstehung der Betriebsaufspaltung in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft einbringen können (GmbH & Co. KG). Fallen bei Existenz einer derartigen Gesellschaft die Voraussetzungen der Betriebsaufspaltung weg, besteht keine Gefahr, dass eine Betriebsaufgabe erfolgt. Ein anderer Schutzmechanismus kann darin bestehen, dass im Besitzunternehmen eine gewerbliche Tätigkeit aufgenommen wird, was allerdings nicht immer möglich sein wird2.

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bb) Der Erblasser kann durch eine entsprechende Rechtsform die Nachfolge auch dann gestalten, wenn mehrere Erben vorhanden sind und nur ein Erbe in der Betriebskapitalgesellschaft nachfolgen soll.

Beratungssituation: E ist an der A-GmbH mit 60 % beteiligt. Er ist ferner alleiniger Kommanditist einer GmbH & Co. KG sowie der Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH. Die GmbH & Co. KG hat an die A-GmbH ein Betriebsgrundstück und Anlagen verpachtet. Es besteht eine Betriebsaufspaltung. Der Anteil an der A-GmbH befindet sich im Sonderbetriebsvermögen. E gehören ferner Grundstücke im Privatvermögen. In die A-GmbH kann nur der Sohn R nachfolgen; in der Komplementär-GmbH und in der Kommanditgesellschaft sind sämtliche Erben zur Nachfolge zugelassen. In seinem Testament setzt er seine Ehefrau zu 1/ 2, seine Kinder S und T zu je 5/24 und seinen Sohn R zu 2/24 zu Erben ein. Ferner bestimmt er, dass der Geschäftsanteil an der A-GmbH auf den Sohn R im Wege des Vorausvermächtnisses übergehen soll. 491

Beim Eintritt des Erbfalles folgen sämtliche Erben entsprechend ihrer Erbquote nach, und zwar in die A-GmbH, die Komplementär-GmbH und die Kommanditgesellschaft. Veränderungen sind nur notwendig hinsichtlich des Anteils an der A-GmbH. Demgemäß übertragen S, T und die Ehefrau ihre Bruchteile an der A-GmbH zur Erfüllung des Vorausvermächtnisses an R. Diese Abtretung führt dazu, dass die Bruchteile der Erben S, T und Ehefrau aus deren Sonderbetriebsvermögen in das Sonderbetriebsvermögen des Erben R – also steuerneutral – übertragen werden. Im Übrigen entfällt mit dieser Übertragung die Betriebsaufspaltung, da die personellen Voraussetzungen nicht mehr bestehen (der Nachfolger in der Betriebs-GmbH ist nur mit 2/24 an der Besitzgesellschaft beteiligt). Wegen der Rechtsform der Besitzgesellschaft hat das jedoch keine ertragsteuer1 Vgl. Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 865. 2 Vgl. für die mögliche Ausweichgestaltung: Schmidt/Wacker, EStG, § 15 Rz. 865. 782

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Unternehmensnachfolge

Rz. 494

B XI

lichen Folgen für dieses. Werden jedoch die Anteile an der Betriebsgesellschaft ins Privatvermögen überführt werden dadurch die stillen Reserven aufgedeckt1. cc) Sofern es sich beim Betriebsunternehmen um eine Kapitalgesellschaft handelt (was meistens der Fall ist), hat die Erbengemeinschaft auch in anderen als den vorgenannten Fällen i.d.R. etwas Zeitspielraum, um das Verhältnis von Betriebs- und Besitzgesellschaft neu zu ordnen, da unabhängig von der jeweiligen speziellen Nachfolge eines einzelnen Miterben in der Betriebs-GmbH mit dem Erbfall sämtliche Erben Gesellschafter der Betriebs-GmbH werden und die Nachfolge des einzelnen Miterben (oder auch die Einziehung durch die Gesellschaft) ein gesondertes Rechtsgeschäft voraussetzen, so dass nicht automatisch nachteilige Folgen hinsichtlich des Wegfalls der Betriebsaufspaltung eintreten können. Die Erben befinden sich allerdings in einer schwierigen Lage, wenn der Erblasser z.B. durch Teilungsanordnung die Beteiligung an einen Miterben und die Vermögenswerte in der Besitzgesellschaft an einen anderen Miterben zuordnet. In diesem Falle können die Erben nur versuchen, durch Gestaltungen im Nachhinein die drohenden steuerlichen Folgen abzuwenden, sofern das möglich ist (etwa nach dem Vorbild des vorstehenden Beispiels).

492

Ist das Betriebsvermögen der Besitzgesellschaft nicht durch eigene gewerbliche Prägung gegen eine Aufdeckung der stillen Reserven gesichert, sollte die Betriebsaufspaltung im Rahmen der Überlegungen zur Nachfolge (wenn nicht auch aus anderen Gründen) überhaupt vermieden werden. Ein dafür häufig empfohlenes und auch steuerlich anerkanntes Verfahren ist z.B. das Wiesbadener Modell. In diesem Falle hält ein Ehegatte allein sämtliche Anteile an der Kapitalgesellschaft und der andere Ehegatte ist Eigentümer z.B. des Grundstücks, das an die Betriebsgesellschaft als Betriebsgrundstück verpachtet ist. Die Finanzverwaltung rechnet in diesem Falle die jeweiligen Anteile bzw. die Eigentümerstellung der Ehegatten nicht zusammen, so dass eine Betriebsaufspaltung nicht entsteht. Allerdings besteht hier Gefahr, dass durch den Erbfall die bis dahin verhinderte Betriebsaufspaltung eintritt, wenn die Ehegatten sich gegenseitig zu Erben einsetzen.

493

Wenn andere Vorkehrungen zu Lebzeiten nicht getroffen werden, müsste für den Erbfall eine Gestaltung gewählt werden, die den Zusammenfall beider Vermögenswerte verhindert. Das ist natürlich nur möglich, wenn der Familienkreis dafür die Voraussetzungen bietet.

494

Beratungssituation: E ist alleiniger Gesellschafter der E-GmbH. Frau E ist Eigentümerin des Betriebsgrundstücks und hat dieses an die E-GmbH verpachtet. Das Ehepaar hat drei Kinder A, B und C, wobei A und B als Nachfolger in der Betriebs-GmbH vorgesehen sind. Im vorstehenden Fall könnte Frau E das Kind C zum Alleinerben einsetzen mit der Bestimmung, dass das Vermögen des Nachlasses mit Ausnahme des Grundstücks ihrem Ehemann als Vermächtnis zufallen soll. Herr E könnte seine Ehefrau als Erbin einsetzen, wenn er die Voraussetzungen dafür schafft, dass der Gesellschaftsanteil bei seinem Tode unmittelbar auf A und B übergeht. 1 BFH v. 22.10.2013 – X R 14/11, BStBl. I 2014, 158. Stein

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B XI

Rz. 495

Unternehmensnachfolge

d) Erbeinsetzung 495

Die Grundvarianten für die Erbeinsetzung bei Vorhandensein von Betriebsvermögen gelten im Prinzip auch für die Gestaltung der Erbfolge in Bezug auf den Anteil an einer Kapitalgesellschaft im Privatvermögen (i.S.d. § 17 EStG, d.h. ab 1 %). Die Problemlage ist ähnlich, wenn auch nicht ganz vergleichbar, da das Betriebsvermögen aus einer Anzahl von Wirtschaftsgütern besteht, der Anteil an einer Kapitalgesellschaft jedoch selbst ein einzelnes Wirtschaftsgut darstellt. Wie in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt, kann es trotzdem zu ertragsteuerlich relevanten Abfindungszahlungen kommen, da mit Eintritt des Erbfalles sämtliche Erben in den Anteil (steuerlich zu Bruchteilen) nachfolgen. Die unmittelbare Sondernachfolge des erwünschten Nachfolgers ist – anders als z.B. bei der qualifizierten Sondernachfolge – aus Gründen der Gesetzeslage im Recht der Kapitalgesellschaften nicht möglich. Um den Anteil an der Kapitalgesellschaft außerhalb der Erbauseinandersetzung zu halten, könnte der Erblasser u.a. die nachstehenden Möglichkeiten in Betracht ziehen.

496

Der Erblasser kann den Geschäftsanteil im Wege der Schenkung aufschiebend bedingt auf den Todesfall gem. § 2301 BGB auf den vorgesehenen Nachfolger übertragen, so dass dieser bei Eintritt des Erbfalles unmittelbar auf den Erwerber übergeht.

497

Der Erblasser nutzt für die Nachfolge in der Kapitalgesellschaft die größere Flexibilität des Rechts der Personengesellschaft.

Beratungssituation: E ist an der X-GmbH mit 30 % beteiligt. In die Gesellschaft sollen seine Kinder A und B, nicht jedoch Kind C und die Ehefrau nachfolgen. E könnte mit A und B eine GbR gründen, an der A und B mit einem Minianteil beteiligt werden. Mit Zustimmung der Gesellschaft legt er seinen Anteil an der X-GmbH in die GbR ein, behält sich jedoch die Geschäftsführung vor und wird in der GmbH ständiger Bevollmächtigter der GbR. Gleichzeitig wird im Gesellschaftsvertrag der GbR entweder eine qualifizierte Nachfolgeklausel zugunsten des A und B oder eine Fortsetzungsklausel unter Ausschluss der Abfindung der Erben vereinbart. Im Gesellschaftsvertrag kann zudem vereinbart werden, dass in dem Umfange wie durch die Nachfolge- oder Fortsetzungsklausel den Gesellschaftern A und B der Gesellschaftsanteil anwächst, eine Anrechnung auf ihren Erbanteil bzw. Pflichtteil erfolgt.

V. Fremdgeschäftsführung 498

Wer unter Familienunternehmen nur das inhabergeführte Unternehmen in Familienbesitz sieht, für den ist die Beteiligung familienfremder Personen an der Unternehmensleitung oder gar am Unternehmen ein Widerspruch. Da jedoch häufig innerhalb der Familie kein potentieller Nachfolger geeignet oder willens ist, eine Übergangszeit zu überbrücken ist, stellt sich häufig die Frage, ob Fremdmanagement einen Lösungsansatz bietet.

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Stein

Unternehmensnachfolge

Rz. 501

B XI

1. Empirische Erkenntnisse Man kann man eine Anzahl von Faktoren benennen, die die Etablierung eines Fremdmanagements begünstigen1:

499

– die Größe des Unternehmens, – den Internationalisierungsgrad des Unternehmens, – den fehlenden Unternehmer/Nachfolger in der Familie („Notnagel“), – einen quantitativer Bedarf an Führungskräften, der in der Familie nicht zu decken ist (was regelmäßig mit der Größe des Unternehmens korrespondiert), – eine zeitliche Lücke, bis ein Nachfolger aus der Familie die erforderlichen Fähigkeiten erworben bzw. unter Beweis gestellt hat, – etwaige Konflikte zwischen Gesellschaftern oder Gesellschafterstämmen, so dass externe Manager zur Vermeidung weiteren Streits über die Besetzung einer Position innerhalb der Familie oder die Unternehmensstrategie dienen und ggf. Mediationsaufgaben wahrnehmen sollen, – eine Tradition, dass nur oder überwiegend Familienfremde die Geschäftsleitung übernehmen oder gar die Mitarbeit im Unternehmen gänzlich ausgeschlossen wird („Haniel“)2. Die Einsatzarten familienfremder Manager auf Geschäftsleitungsebene reichen vom Allein-Geschäftsführer, dem Mit-Geschäftsführer neben Mitgliedern der Familie (ggf. als Vorsitzendem der Geschäftsleitung) bis zum Einsatz als Geschäftsführer in Tochterunternehmen im In- und Ausland.

500

2. Chancen und Risiken Chancen und Risiken sind vor einer Entscheidung der Familie abzuwägen. Für einen Fremdmanager kann sprechen, dass er – Effizienz und Leistungsstärke schon (in einem anderen) Unternehmen bewiesen hat, – frischen Schwung von außen in das Unternehmen bringt, also der Betriebsblindheit entgegenwirkt (gilt natürlich nur für Personen, die erhebliche Erfahrung in anderen Unternehmen gesammelt haben), – eine Professionalisierung der Entscheidungsfindung und Unternehmensführung bewirkt.

1 INTES-Studie Fremdmanager in Familienunternehmen 2005; INTES/WHU Forschungspapier Nr. 4, Erfolgsfaktoren in Familienunternehmen mit familienfremden Management, 2006; PwC, Fremdmanager in Familienunternehmen, Gratwanderung zwischen Professionalisierung und Identitätswahrung, Ergebnisse einer Umfrage zur Rolle familienfremder Führungskräfte im Topmanagement, 2008. 2 Hier differieren allerdings die Studien auf den ersten Blick deutlich. Nach der PwCStudie ist nur in 15 % der Unternehmen das operative Geschäft vollständig in der Hand fremder Manager, wohingegen sich 43 % der Unternehmen in der INTES-Studie 2010 bewusst für ein Fremdmanagement ohne Familie entscheiden haben. Stein

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501

B XI 502

Rz. 502

Unternehmensnachfolge

Sorgen bestehen bei der Familie oft hinsichtlich folgender Punkte: Es wird befürchtet, dass – die Loyalität zum Unternehmen und der Inhaberfamilie geringer ist als bei Familienangehörigen (principle agent), – die Akzeptanz durch die Familie und in der Belegschaft geringer ist, – der Ruf des Unternehmens leiden könnte,. – die Verweildauer im Unternehmen familienfremder Manager geringer ist als die von Familienmitgliedern, so dass die gewünschte Kontinuität in der Unternehmensführung nicht gewährleistet ist,. – die Risikoneigung externer Manager höher ist als in der Familie, – der Einfluss des Fremdmanagements auf die langfristige Strategie des Unternehmens den Einfluss der Familie auf richtungsweisende Entscheidungen verringert.

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Umgekehrt stellen sich auch Fremdmanagern vor einem Wechsel in ein Familienunternehmen eine Vielzahl von Fragen, z.B.: – Akzeptiert die Familie Lösungen, die nicht von ihr stammen? – Schenkt die Familie einem Fremden den notwendigen Vertrauensvorschuss? Besteht eine Fehlerkultur, die nicht bei der ersten kleineren Fehlentscheidung zur Trennung führt? – Erlauben die Entscheidungsprozesse im Unternehmen und in der Familie ein professionelles Arbeiten? – Erhalte ich unternehmerischen Freiraum (den ich in einem Konzern nicht hätte) durch flache Hierarchien), oder werde ich von der Familie „überspielt“? – Erhalte ich eine langfristige Perspektive (insbesondere im ländlichen Raum eine sehr hoch gewichtete Fragestellung)?

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Die Rahmenbedingungen für den Einsatz fremder Führungskräfte müssen also stimmen, damit ein erfolgreicher gemeinsamer Weg beschritten werden kann. Begünstigende Faktoren sind regelmäßig: – Die Kultur der Familie und die Einstellung des Managers „passen“ zueinander. – Für das Unternehmen und die Familie gelten Regeln, die eine good governance gewährleisten. Verantwortung und Kompetenz sollten klar geregelt sein. – Die Familie wird in die Entscheidung und Auswahl familienfremder Manager eingebunden.

505

Die langfristige Ausrichtung der Familienunternehmen legt es nahe, auch die Vergütungsstruktur am langfristigen Unternehmenserfolg auszurichten.

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Unternehmensnachfolge

Rz. 510

B XI

3. Beteiligung des Familienfremden als Gesellschafter Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Familienunternehmen ist, dass der PrincipalAgent-Konflikt in Familienunternehmen reduziert ist, weil die Interessen der handelnden Personen und der Gesellschafter in einem höheren Maße gleichgerichtet sind als bei kapitalmarktorientierten Unternehmen. Die Beteiligung Familienfremder wirkt in die entgegengesetzte Richtung. Wer bei Beteiligung Familienfremder an der Geschäftsführung dauerhaft die Principal-Agent-Problematik überwinden möchte, kann über eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung nachdenken. Damit verbunden ist – jedenfalls in der Erwartung – eine längerfristige Perspektive, eine höhere emotionale Bindung und ein deutlich gesteigerter Status des Geschäftsleitungsmitglieds, das in den Gesellschafterkreis „aufsteigt“.

506

Dabei ist eine Vielzahl von Folgefragen zu beachten. Zunächst stellt sich wirtschaftlich die Frage, zu welchen Bedingungen die Beteiligung übernommen wird; unmittelbar damit verknüpft ist die Frage der Exit-Szenarien, wobei nach dem Zeitpunkt und der – korrespondierenden – Abfindung zu fragen ist (naked in – naked out, Nominalwert, Buchwert, Verkehrswert oder sonstiger [Zwischen-]Wert).

507

Auslöser für den – u.U. automatischen – Ausstieg kann die Beendigung der Stellung als Geschäftsführer sein. Häufig wird dabei nach dem Grund des Ausscheidens differenziert (Abberufung durch die Gesellschafterversammlung, Abberufung aus wichtigem Grund durch die Gesellschafterversammlung, Kündigung des Managers, Change-of-Control-Fälle etc.).

508

Gesellschaftsrechtlich ist inzwischen höchstrichterlich geklärt, dass eine Abfindung der Geschäftsführer unter dem Verkehrswert zulässig ist, wenn der Erwerb auch zu einem korrespondierenden Wert erfolgte1. Der Gesellschaftsvertrag ist an die geänderte Gesellschafterstruktur anzupassen. Werden mehrere Personen beteiligt, stellt sich die Frage, ob die Beteiligung von diesen unmittelbar oder mittelbar über eine gemeinsame Gesellschaft gehalten werden soll.

509

Nicht zu vernachlässigen sind steuerliche Fragen. Auf Seiten der Gesellschafter kann eine Veräußerung vorliegen, die zur Aufdeckung stiller Reserven führt. Auf Seiten des Fremdmanagers treten Probleme auf, wenn der Kaufpreis unterhalb des Verkehrswerts liegt. Hier kann bei einer Bereicherungsabsicht eine Schenkung vorliegen, was unter Fremden jedoch nicht der Lebenserfahrung entspricht. Ist der Geschäftsführer schon vor dem Beteiligungserwerb für das Unternehmen tätig kann ein steuerpflichtiger Lohnzufluss vorliegen. Schließlich ist darauf zu achten, dass etwaige Finanzierungskosten steuerlich abzugsfähig sind.

510

1 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, DStR 2005, 1913 („Managerbeteiligung“). Stein

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XII. Stiftung und Trust als Instrumente der Nachfolgeplanung Schrifftum: Augsten/Jordan, Guidelines für unternehmensnahe Stiftungen, ZErb 2009, 167; Bisle, Asset Protection durch den Einsatz inländischer Familienstiftungen, DStR 2012, 525; Blumers, Die Familienstiftung als Instrument der Nachfolgeregelung, DStR 2012, 1; Brill/Strahl, Gestaltungsaspekte zur Unternehmensnachfolge mit Familienstiftungen, GWR 2012, 364; Büch, Das sittenwidrige Stiftungsgeschäft, ZEV 2010, 440; Damrau, Vor-Stiftung und Pflichtteilsanspruch sowie dessen Verjährung, ZEV 2010, 12; Fasselt/Schulte, Die Gründung der Minrath Familienstiftung – ein Praxisbericht, Die Stiftung – Sonderausgabe Familienunternehmen 2012, 72; Feldner/Stoklassa, Die Familienstiftung als Instrument der Vermögensnachfolge, ErbStB 2014, 201, 227; Fischer/ Ihle, Satzungsgestaltung bei gemeinnützigen Stiftungen, DStR 2008, 1692; FunkeLachotzki, Steuerliche Neuerungen im Stiftungs- und Spendenrecht, EStB 2009, 75; Haas, Die Besteuerung der Destinatäre der Familienstiftung, DStR 2010, 1011; Heuser/ Frye, Die deutsche Familienstiftung – steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für Familienvermögen, BB 2011, 983; Hübner/Currle/Schenk, Die nichtrechtsfähige Stiftung als Familienstiftung, DStR 2013, 1966; Jochum, Die Vermögensstockspende – Deutscher Sonderweg oder europäisches Pionierstück?, IStR 2012, 325; Kessler/Müller, Zahlungen einer Familienstiftung an Familienangehörige als Einkünfte aus Kapitalvermögen – Schuldner der Kapitalertragsteuer, DStR 2011, 614; Königer, Nutzung der erbschaftsteuerlichen Begünstigungen der §§ 13a, 13b ErbStG durch Familienstiftungen, ZEV 2013, 433; Mannek, Anteile an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften bei der Erbschaft-/Schenkungsteuer, NWB 2013, 3449; Möller, Die Überführung von Treuhandstiftungen in rechtsfähige Stiftungen, ZEV 2007, 565; Müller, Auswirkungen der Abgeltungsteuer auf die Errichtung gemeinnütziger Stiftungen, BB 2010, 2342; Müller/Spanke, Auswirkungen der Abgeltungsteuer auf die Errichtung gemeinnütziger Stiftungen, BB 2010, 2342; Mutter/Schwarz, Keine Angst vor der Selbstanzeige – Nacherklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen bei Vermögensbindung in Stiftungen oder Trusts, IStR 2009, 807; Naumann zu Grünberg, Die Stiftung in der Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug: Einsatzmöglichkeiten und Stiftungsstatut, ZEV 2012, 569; Orth, Verluste gemeinnütziger Stiftungen aus Vermögensverwaltung, DStR 2009, 1397; Pauli, Steuerrechtliche Auswirkungen auf Stifterebene bei Errichtung einer Stiftung, FR 2011, 600; Pauli, Stiftung und Testamentsvollstreckung als Gestaltungsmittel zur Sicherung des Erblasserwillens, ZEV 2012, 461; Piltz, Erbschaftsteuerliche Neuorientierung bei Familienstiftungen?, ZEV 2011, 236; Preißer/Scheibe, Stiftung – Lexikon des Steuerrechts, Themenlexikon vom 1.10.2010; Schewe, Stiftung und Dauertestamentsvollstreckung, ZEV 2012, 236; Schienke-Ohletz, Das aktuelle Stiftungsspendenregime, ErbStB 2010, 342; Schiffer/Pruns, Die unternehmensverbundene Stiftung – ein Überblick zur vielfältigen Praxis, BB 2013, 2755; Schiffer/Pruns, Steuerliche Aspekte der Unternehmensnachfolge mit Stiftungen, NWB 2012, 1829; Schiffer/Pruns, Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge, NWB 2012, 910; Segna, Die Verbrauchsstiftung – ein Fremdkörper im Stiftungsrecht?, JZ 2014, 126; Seidel, Stiftungs- und Stiftungssteuerrecht – aktuelle Beratungsaspekte, ErbStB 2010, 204; Seifried/Volland, Finanzverwaltung erleichtert Übergang von Unternehmensvermögen auf gemeinnützige Stiftungen, ZEV 2012, 242; Van Randenborgh, Unterliegt eine nicht-rechtsfähige Familienstiftung der Erbersatzsteuer?, BB 2013, 2780; Wachter, Stiftungsgründung und Grunderwerbsteuer, DStR 2012, 1900; Weisheit, Zur Abfärbewirkung bei Beteiligung einer gemeinnützigen Körperschaft an einer Personengesellschaft, DB 2012, 142; Wenhardt, Die Familienstiftung als beliebtes Gestaltungsmittel nutzen, Gestaltende Steuerberatung 2010, 211; Werner, Aktuelle Probleme der unselbständigen Stiftung, ZErb 2013, 1; Werner, Die Doppelstiftung, ZEV 2012, 244; Werner, Die Haftung des Stiftungsvorstands, ZEV 2009, 366; Werner, Die Familienheimstiftung als Instrument der Asset 788

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Stein

B XII

Stiftung und Trust

Protection, ZEV 2014, 66; Zensus/Schmitz, Die Familienstiftung als Gestaltungsinstrument zur Vermögensübertragung und – sicherung, NJW 2012, 1323. Ausländische Stiftungen: Bisle, Erbschaftsteuerreform – ein Blick über die Grenzen, IStR 2009, 2041; Carlé, Aktuelle Rechtsprechung zur ausländischen Familienstiftung, ErbStB 2011, 172; Daragan, Die Zurechnung des Vermögens und der Erträge einer kontrollierten Liechtensteiner Stiftung, DB 2011, 2223; Götz, Ertragssteuerliche Behandlung von Auslandsstiftungen, SB 2010, 235; Götz, Wird § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG von § 15 Abs. 11 AStG verdrängt?, DStR 2014, 1047; Hosp/Langer, Die Besteuerung einer liechtensteinischen Familienstiftung, PIStB 2011, 232; Hosp/Langer, Die liechtensteinische Familienstiftung: Nischenprodukt oder ernstzunehmende Alternative für den deutschen Investor?, BB 2011, 1948; Hüttemann, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden Spendenabzugs, IStR 2010, 118; Kraft/Schulz, Zwischengesellschaften im Kontext ausländischer Familienstiftungen – Entwicklungen durch das Jahressteuergesetz 2013, IStR 2012, 897; Lennert/Blum, Der Durchgriff durch ausländische Stiftungen aufgrund des deutschen ordre public – Eine Anmerkung zum Urteil des OLG Düsseldorf vom 30.4.2010, I-22 U 126/06, IStR 2011, 492; Ludwig/Jorde, Die „neue“ österreichische Stiftungsbesteuerung und Überlegungen aus deutscher Sicht, IStR 2009, 19; Schiffer, Stiftungen: Gutes tun in ganz Europa?, BB 2012, 457; Stöber, Die geplante Europäische Stiftung, DStR 2012, 804. Stiftungen im Internet (Auswahl, alle mit – teilweise sehr umfangreichen – LinkSammlungen): Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V. (www.stiftungen.org); Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (www.stifterverband.de); Maecenata Institut für Dritter-Sektor Forschung (www.maecenata.de und www.maecenata-management.de); Bertelsmann Stiftung (www.bertelsmann-stiftung.de oder www.ratgeber-stiften.de); Stiftungszentrum Stifter für Stifter (www.stiftungszentrum.org). Rz.

I. Grundlagen 1. Motive für die Errichtung einer Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmerische Motive . . . b) Gemeinnützige Motive . . . . . . c) Persönliche Motive . . . . . . . . . d) Steuerliche Motive . . . . . . . . . . e) Asset Protection . . . . . . . . . . . . 2. Arten der Stiftungen . . . . . . . . . . . 3. Die privatrechtliche Stiftung a) Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . b) Stiftungsverfassung . . . . . . . . . aa) Stiftungszweck . . . . . . . . . bb) Stiftungsvermögen . . . . . . cc) Stiftungsorganisation . . . . c) Stiftungsgründung . . . . . . . . . . aa) Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden . . . . . . . . . bb) Das Stiftungsgeschäft durch Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . cc) Anerkennung . . . . . . . . . . . d) Stiftungsaufsicht . . . . . . . . . . . . e) Rechnungslegungs- und Prüfungspflichten . . . . . . . . . . . f) Rechtsstellung der Begünstigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 4 5 6 8 13 14 15 17 20 23 27 29 33 34 36 37

Rz.

g) Änderung der Stiftungssatzung h) Einfluss von Pflichtteilsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Typologie der häufigsten Stiftungsarten 1. Gemeinnützige Stiftung . . . . . . . . 2. Inländische Familienstiftung . . . . 3. Gemeinnützige Familienstiftung 4. Doppelstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verbrauchsstiftung . . . . . . . . . . . . . 6. Unternehmensträgerstiftung . . . . a) Stiftungsunternehmen und Beteiligungsträgerstiftung . . . b) Zweckmäßige Satzungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 40

43 44 47 51 56 57 58 63

III. Steuerrechtliche Fragen . . . . . . . . 1. Besteuerung der Stiftungserrichtung a) Einkommensteuer . . . . . . . . . . b) Erbschaft- und Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . d) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . 2. Die laufende Besteuerung a) Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . b) Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . .

66

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67 71 78 79 81 85

B XII

Stiftung und Trust Rz.

c) Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . 86 d) Gemeinnützige Stiftungen aa) Anforderungen . . . . . . . . . . 87 bb) Steuerbegünstigungen . . . 90 cc) Spenden an die gemeinnützige Stiftung . . . . . . . . . 99 e) Familienstiftung . . . . . . . . . . . . 104 f) Doppelstiftung . . . . . . . . . . . . . 108 3. Besteuerung der Stiftungsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Ausländische Stiftungen und verwandte Rechtsinstitute . . . . . . 113 1. Deutsches Ertragsteuerrecht . . . . a) Anteile an Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betriebsvermögen/Mitunternehmeranteile . . . . . . . . . . . . . . c) Zurechnung von Einkünften . 2. Erbschaft- und Schenkungsteuer 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Trust a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilrechtliche Grenzen des Einsatzes von Trusts . . . . . . . . aa) Errichtung eines Nachlasstrusts . . . . . . . . . . . . . . .

114 115 116 117 120 122 123 125 126

Rz. bb) Trust unter Lebenden . . . . cc) Wirksamkeit der Vermögensübertragung . . . . . dd) Anwendungsbereich des Trusts aus zivilrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . c) Ertragsteuern aa) Beschränkte Steuerpflicht nach § 2 Nr. 1 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zurechnung von Einkünften . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anwendungsbereich des Trusts aus ertragsteuerlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . d) Erbschaftsteuer aa) Rechtslage bis zum 4. März 1999 . . . . . . . . . . . . bb) Rechtslage nach dem 4. März 1999: Neuregelung durch das StEntlG 1999/2000/2002 . . . . . . . . .

131 132 135

136 137 139 140

141

V. Alternative Rechtsformen zur Erreichung von Stiftungszielen 1. Die Stiftungs-GmbH . . . . . . . . . . . 155 2. Die unselbständige Stiftung . . . . . 161

Beratungssituation: U, ein 65-jähriger Unternehmer, will sein Lebenswerk bewahren und sicherstellen, dass das Unternehmen, ein GmbH & Co. KGKonzern unter dem Dach einer Holding-GmbH & Co. KG, weiter betrieben wird. Zudem verfügt er über erhebliches Privatvermögen. Er hat der Presse entnommen, dass Stiftungen steuerlich gefördert werden und möchte wissen, ob die Errichtung einer Stiftung ein geeignetes Instrument für seine Nachlassplanung darstellt. Pro Stiftung

Kontra Stiftung

– Perpetuierung des Stifterwillens (Möglichkeit ewiger „Testamentsvollstreckung“) – Eingeschränkte Mitbestimmung und Publizität – Nahezu beliebige Zwecksetzung – Instrument für Unternehmenskontinuität, insbesondere wenn ein Nachfolger aus der Familie fehlt – Absicherung der Familie auf Dauer möglich – Asset Protection möglich

– Kontrolle und Motivation der Organe schwer zu gewährleisten – Kosten der Stiftungserrichtung und -verwaltung – Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche weichender Erben (§§ 2303 ff. BfB) – Unübersichtliche und uneinheitliche Rechtslage wegen unterschiedlicher Landesstiftungsgesetze und Verwaltungspraxis – Vergleichsweise geringe Flexibilität nach dem Tod des Stifters

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Stein

Stiftung und Trust Pro Stiftung

Rz. 1

B XII

Kontra Stiftung – Stiftungsvermögen muss relativ groß sein – Aufsicht durch Behörden – ErbSt bei Stiftungserrichtung und -auflösung (§§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG) – Ertragsteuerliche Belastung bei Übertragung von Vermögensgegenständen auf Stiftung möglich – Grunderwerbsteuerliche Belastung bei mittelbarer und unmittelbarer Übertragung von Immobilien möglich

I. Grundlagen 1. Motive für die Errichtung einer Stiftung Das Interesse an Stiftungen ist unvermindert hoch. Deutschland erlebt seit Mitte der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts einen Stiftungsboom. In den letzten Jahren wurden im Schnitt über 600 rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts gegründet. Den „typischen“ Stifter gibt es nicht. Es gibt eine Vielzahl von Motiven, die das Interesse potenzieller Stifter auf diese Rechtsform lenkt. So vielfältig wie die möglichen Gründe für eine Stiftungsgründung sind die Einsatzgebiete der Stiftung. Um die Komplexität zu bewältigen, bietet es sich an, verbreitete Interessenlagen als Ausgangspunkt der Beratungsüberlegungen zu wählen. Die Gründe für die Errichtung einer Stiftung sind vielschichtig. Der folgende Katalog ist daher nur beispielhaft. – Unternehmerische Motive: – Unternehmenskontinuität, insbesondere wenn – geeignete – Nachfolger in der Familie fehlen – Wunsch, die Fortentwicklung des Unternehmens auch nach dem eigenen Tode selbst bestimmen zu wollen – keine Mitbestimmung nach dem MitbestG und DrittelbG – Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen – keine Publizität – Verbesserung der Eigenkapitalquote – Gemeinnützige Motive – Persönliche Motive: – Zusammenhalt und finanzielle Absicherung der Familie – Sicherung des Lebenswerks – Denkmal für den Stifter und dessen Familie Stein

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1

B XII

Rz. 2

Stiftung und Trust

– Schaffung eines Wunscherben – Katastrophenauffangstiftung – Steuerliche Optimierung – Schutz des Vermögens vor dem Zugriff von Gläubigern (Asset Protection) a) Unternehmerische Motive 2

Häufig werden Stiftungen als Alternative erwogen, wenn die Unternehmensnachfolge geregelt werden soll. Eines der Gestaltungsmodelle, durch das die Unternehmenskontinuität gewährleistet werden kann, ist die Stiftung. Es gibt eine Vielzahl von Gründen, Unternehmen schon zu Lebzeiten des Eigners oder mit dessen Tode auf eine Stiftung zu übertragen. Im Mittelpunkt steht häufig die Sorge um die Fortführung eines Unternehmens. Vielfach ist keiner der Abkömmlinge bereit, die Nachfolge anzutreten, oder der Unternehmensinhaber möchte verhindern, dass aus seiner Sicht zur Unternehmensführung ungeeignete Abkömmlinge langfristig die Existenz des Unternehmens gefährden. Sind keine nahen Verwandten vorhanden, wird es häufig das Bestreben sein, einen Übergang auf entferntere Blutsverwandte, die bisher in keiner Beziehung zum Unternehmen gestanden haben, zu verhindern. Wird die Gefahr gesehen, dass Pflichtteilsberechtigte aus der Unternehmenssubstanz abgefunden werden müssen, kann im Zusammenwirken mit den Pflichtteilsberechtigten eine Gestaltung gewählt werden, die deren Alimentierung durch die Stiftung beinhaltet. Eine Rolle mag auch der Wunsch des Unternehmers spielen, die Fortentwicklung des Unternehmens auch nach dem eigenen Tode selbst bestimmen zu wollen. Durch die Formulierung des Stiftungszweckes und die Einsetzung von Vertrauenspersonen als Organe der Stiftung lassen sich die Vorstellungen des Stifters mittelfristig perpetuieren. Der Stifter kann zudem langfristig bestimmen, wie die Erträge des Unternehmens verwendet werden sollen. Der Übergang der unternehmerischen Verantwortung und der unternehmerischen Initiative von Generation zu Generation wird durch die Gründung einer Stiftung vermieden.

2a

Der Stiftungsgedanke mit seinem Verzicht auf eine verbandsrechtliche Verfassung steht darüber hinaus der Idee vom Unternehmen an sich nahe. Anstoß für unternehmensverbundene oder unternehmenstragende Stiftungen geben ferner Überlegungen zur Vermeidung der Mitbestimmung und der Publizität. b) Gemeinnützige Motive

3

Seit der Jahrtausendwende erhält die Stiftungsidee starke Impulse aus der gesetzlichen Förderung des dritten Sektors. Die Gesellschaft bedarf des Engagements nicht staatlicher Stellen, insbesondere von Privatpersonen für soziale, humanitäre, kulturelle und sonstige gemeinnützige Aufgaben. Stifter möchten gesellschaftliche Verantwortung übernehmen oder Ideen umsetzen. Der Staat fördert die Verfolgung gemeinwohlorientierter Zwecke unter bestimmten Voraussetzungen durch steuerliche Begünstigungen, insbesondere den Spendenabzug und die Steuerbefreiung gemeinnütziger Körperschaften. In diesem Zusammenhang ist auch die Beseitigung nicht mehr finanzierbarer Erbschaft- und Schenkungsteuer nach einem Erbfall oder einer Schenkung durch Übertragung des erworbenen Vermögens auf eine gemeinnützige Stiftung zu sehen (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). 792

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 6

B XII

c) Persönliche Motive Das Stiftungsmodell kann dem Zusammenhalt und der finanziellen Absicherung der Familie dienen. Teilweise soll das Lebenswerk gesichert und dem Stifter ein Denkmal gesetzt und dessen Namen verewigt werden. Entspricht kein Angehöriger den Vorstellungen des Erblassers, kann die Schaffung eines Wunscherben im Vordergrund stehen. Ferner ist an eine Katastrophenauffangstiftung zu denken, etwa wenn alle Familienmitglieder in derselben Gefahr umkommen (z.B. bei einem Flugzeugabsturz) oder versterben, ohne dass Abkömmlinge in der gewünschten Linie vorhanden sind.

4

d) Steuerliche Motive Mit der Übertragung auf eine Stiftung sollen die Belastung mit Einmalsteuern (Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie vergleichbare ausländische Steuern) beim Vermögenstransfer auf die folgenden Generationen gesenkt oder vermieden und/oder ertragsteuerliche Vorteile bei der Übertragung von Vermögen auf die Stiftung erzielt werden. Ein wesentliches Argument für die Gründung einer Stiftung wird vielfach bei gemeinnützigen Stiftungen auch die Erbschaftsteuerund Schenkungsteuerfreiheit des Überganges sein, die im Unternehmen zu einer Liquiditätsschonung führt. Allerdings erkauft sich der Stifter diese steuerliche Begünstigung durch eine Einschränkung des Stiftungszweckes auf die steuerlich zulässigen Zwecke. Denkbar ist auch, die Gemeinnützigkeit der Stiftung mit einer finanziellen Unterstützung der Angehörigen des Stifters zu verbinden.

5

e) Asset Protection1 Personen mit einem erhöhten Haftungsrisiko (z.B. persönlich haftende Gesellschafter von Personen(handels)gesellschaften, Mitglieder von Organen, Freiberufler, etc.) können die Übertragung von Vermögen auf eine Stiftung erwägen, um Gläubigern den Zugriff auf das Vermögen für den Haftungsfall zu verwehren. Gleichzeitig soll der Familie trotzdem eine Nutzungsmöglichkeit erhalten werden. Voraussetzung ist in allen Fällen eine rechtzeitige Übertragung des Vermögens vor Eintritt der Krise bzw. des Haftungsfalls, damit weder strafrechtliche Sanktionen2 noch eine Anfechtung der Vermögensübertragung (§§ 3,4 AnfG, 133, 134 InsO) drohen. Vorsatz § 133 I InsO

Entgeltliche Geschäfte § 3 II AnfG

§ 133 II InsO

Schenkung

Norm

§ 3I AnfG

§ 4 AnfG § 134 InsO

Tatbestand

Rechtshandlung mit entgeltlicher Vertrag unentgeltliche Leistung dem Vorsatz der Gläu- mit einer nahestebigerbenachteiligung henden Person

1 Vgl. v. Oertzen, Asset Protection im deutschen Recht, 2. Aufl. 2012, S. 65 ff.; Bisle, DStR 2012, 525; Werner, ZEV 2014, 66 ff. zur Familienheimstiftung. 2 Insbesondere wg. Bankrotts, Gläubiger- und Schuldnerbegünstigung (§§ 283 Nr. 1, 283c, und 283d StGB). Stein

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793

6

B XII

Rz. 7

Frist

Stiftung und Trust Vorsatz

Entgeltliche Geschäfte

Schenkung

wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte

Gläubigerbenachteiligung, wenn Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung nicht bekannt

kein gebräuchliches Gelegenheitsgeschenk geringen Werts

10 Jahre

2 Jahre

4 Jahre

vor der Anfechtung bzw. Antrag auf Insolvenzeröffnung Rechtsfolge

7

schuldrechtlicher Rückgewähranspruch bzw. Duldung der Zwangsvollstreckung

In den wenigsten Fällen wird nur ein einziges Motiv festzustellen sein, sondern in der Regel eine Kombination verschiedener Gestaltungsziele. Die Vor- und Nachteile von Stiftungsmodellen können nur an der Eignung zur Umsetzung dieser Zielvorstellungen gemessen werden, wobei einige Ziele im Konflikt miteinander stehen können. Je nach der Gewichtung der einzelnen Beweggründe ist die Stiftung als Instrument der Nachfolgeplanung unterschiedlich geeignet. In der Ausgangsberatungssituation wäre U also zu befragen, welche Ziele er verfolgen will, welchen seiner Zielvorstellungen er besonderes Gewicht beimisst und wie die näheren Umstände des Einzelfalls sind. 2. Arten der Stiftungen

8

Eine Legaldefinition der Stiftung existiert nicht. Stiftungen können in vielerlei Hinsicht unterschieden werden. Hinzuweisen ist zunächst auf die Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichen, kirchlichen und privatrechtlichen Stiftungen. Unter den Letzteren ist wiederum zwischen unselbständigen und selbständigen Stiftungen zu unterscheiden. Das Vermögen einer unselbständigen Stiftung ist zivilrechtlich dem Stiftungsträger zugeordnet, da die unselbständige Stiftung nicht rechtsfähig ist. Bei der selbständigen Stiftung handelt es sich demgegenüber um eine juristische Person des Privatrechts.

9

Die privatrechtliche Stiftung nach §§ 80 ff. BGB ist ein selbständiger Rechtsträger, der zur Verwirklichung bestimmter Sonderzwecke geschaffen ist und nicht aus einem Personenverband besteht1. Die Stiftung hat keine außenstehenden Eigentümer oder Mitglieder, sondern lediglich eine auf Dauer zweckgewidmete Vermögensmasse, Stiftungsorgane und Destinatäre; konstituierende Merkmale einer privatrechtlichen Stiftung sind folglich der Stiftungszweck, das Stiftungsvermögen und die Stiftungsorganisation2.

10

In Anlehnung an § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG spricht man von einer Familienstiftung, wenn die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist.3 1 Vgl. MüKo.BGB/Reuter, Vor § 80 Rz. 51. 2 Vgl. Staudinger/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 4. 3 Entscheidend sind in erster Linie die Bezugsberechtigungen der Familienmitglieder (vgl. BFH v. 18.11.2009 – II R 46/07, BFH/NV 2010, 898). 794

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 14a

B XII

Als gemeinnützige Stiftung wird eine Stiftung bezeichnet, deren Zweck den Gemeinnützigkeitsanforderungen der §§ 51 ff. AO genügt.

11

Die Stiftung kann in verschiedener Weise Bezug zu einem Unternehmen haben. Oberbegriff für unternehmensverbundene Stiftungen ist die Bezeichnung als Unternehmensträgerstiftung1. Entweder wird das Unternehmen von der Stiftung selbst geführt oder aber an der das Unternehmen tragenden Gesellschaft ist eine Stiftung mittelbar oder unmittelbar beteiligt. In dem ersten, in der Praxis weniger vorkommenden Fall, spricht man von einem Stiftungsunternehmen2, im zweiten Fall von Beteiligungsträgerstiftungen3.

12

3. Die privatrechtliche Stiftung a) Rechtsquellen Die privatrechtliche Stiftung entsteht nach § 80 BGB durch das Stiftungsgeschäft als Akt der Privatautonomie und die Anerkennung durch die zuständigen Behörden der Bundesländer.

13

Für privatrechtliche Stiftungen gelten materiell-rechtlich die §§ 80–88 BGB, während die Landesgesetze4 bislang überwiegend verfahrensrechtliche, aber auch ergänzende materielle Regelungen enthalten5. Die materiellen Regelungen in den Ländergesetzen werden insoweit verdrängt, wie die §§ 80 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 1 BGB eine abschließende Regelung der Voraussetzungen enthalten6. b) Stiftungsverfassung Die drei konstitutiven Elemente der Stiftung sind – wie bereits erwähnt – der Stiftungszweck, das Stiftungsvermögen und die Stiftungsorganisation. Diesen Elementen ist bei der Satzungsgestaltung größte Sorgfalt zu widmen. § 81 Abs. 1 BGB verlangt eine Satzung mit Regelungen über

14

– den Namen der Stiftung, – den Sitz der Stiftung, – den Zweck der Stiftung, – das Vermögen der Stiftung und – die Bildung des Vorstandes der Stiftung. Im Übrigen ist der Stifter in der Gestaltung der Satzung frei. Es empfehlen sich auf jeden Fall Regelungen zu folgenden Punkten: 1 Im Anschluss an den Bericht der Studienkommission des Deutschen Juristentages, DJT-Stiftungsrecht, S. 42 f.; O. Schmidt, Die Errichtung von Unternehmensträgerstiftungen durch Verfügung von Todes wegen, 1997, S. 1; Staudinger/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 132; Schick/Rüd, Stiftung und Verein als Unternehmensträger, S. 2 f. 2 Berndt, Stiftung und Unternehmen, Rz. 6. 3 So auch Staudinger/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 132. 4 Download der Gesetzestexte auch über www.stiftungsgesetze.de möglich. 5 Öffentlich-rechtliche Stiftungen spielen als Instrument der Nachfolgeplanung nur eine untergeordnete Rolle und werden daher an dieser Stelle nicht behandelt. 6 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 81 BGB, BT-Drucks. 14/8765, S. 9. Stein

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14a

B XII

Rz. 15

Stiftung und Trust

– weitere Stiftungsorgane neben dem Vorstand, – Verwendung der Erträge/Stellung der Destinatäre, – Satzungsänderung/Aufhebung/Zusammenlegung – insbesondere mit anderen Stiftungen, – Vermögensanfall bei Aufhebung und – Vermögenserhalt und -verzehr/Vermögensumschichtung.

Beratungshinweis: Geringe gesetzliche Regelungsdichte und individuelle Zielvorstellungen der Stifter, die auf Dauer festgeschrieben werden sollen, verlangen eine auf die Erfordernisse des Einzelfalls maßgeschneiderte Stiftungssatzung. Von der ungeprüften Übernahme sog. „Mustersatzungen“1 kann nur abgeraten werden. Sie bieten aber zusammen mit Checklisten wertvolle Arbeitsgrundlagen. aa) Stiftungszweck 15

Der Stiftungszweck ist die Seele der Stiftung2. Grundsätzlich ist der Stifter nach § 80 Abs. 2 BGB frei, den Zweck der Stiftung zu gestalten, solange der Stiftungszweck das Gemeinwohl nicht gefährdet (sog. Prinzip der gemeinwohlkonformen Allzweckstiftung). Der Stiftungszweck ist die Leitlinie der Stiftungstätigkeit. An ihm haben sich die Organe der Stiftung auch auf lange Sicht auszurichten. Der Stiftungszweck bedarf daher einer sorgfältigen Formulierung, die auch die spätere Tätigkeit in einem möglicherweise wirtschaftlich und gesellschaftlich veränderten Umfeld ermöglicht. Fehlt diese Flexibilität, droht eine Erstarrung, weil eine Änderung des Stiftungszwecks durch die Stiftungsbehörde als „Notanker“ nach § 87 S. 1 BGB nur zulässig ist, wenn die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist3. Zweckmäßigkeitserwägungen bleiben bis zu dieser Grenze ausgeschlossen.4

16

Nach dem im Stiftungszweck festgelegten Personenkreis, der durch die Stiftung begünstigt ist, wird zwischen privatnützigen und öffentlichen Stiftungen unterschieden. Stiftungen, deren Zweck nur einem durch konkrete Merkmale begrenzten Personenkreis zugute kommen (z.B. Angehörige einer bestimmten Familie, Arbeitnehmer eines bestimmten Unternehmens), fallen unter die erste Kategorie. Im Gegensatz dazu wird durch die öffentliche Stiftung unmittelbar stets die Allgemeinheit begünstigt. Der Begriff der gemeinnützigen Stiftung i.S.d. §§ 51 ff. AO ist enger als der der öffentlichen Stiftung. Gemeinnützige Stiftungen sind immer auch öffentliche Stiftungen. Nicht jede öffentliche Stiftung erfüllt aber die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung. bb) Stiftungsvermögen

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Die Stiftung kann ausschließlich mit ihrem Vermögen arbeiten, denn sie hat keine Gesellschafter. Das Stiftungsvermögen ist das Stiftungskapital oder Grund1 Z.B. auf der homepage des Bundesverbandes deutscher Stiftungen (http://www.stif tungen.org/de/news-wissen/stiftungsgruendung/formulare-muster-checklisten.html). 2 Liermann in Deutsches Stiftungswesen 1948–1966, 154. 3 Vgl. nur Palandt/Ellenberger, § 87 Rz. 1. 4 Vgl. MüKo.BGB/Reuter, § 87 Rz. 4 796

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 22

B XII

stockvermögen. Dies kann in Form von so genannten Zustiftungen ergänzt werden. Bei unternehmensverbundenen Stiftungen gehört insbesondere das Unternehmen mittel- oder unmittelbar zum Stiftungsvermögen. Alle Stiftungsgesetze gehen davon aus, dass das Grundstockvermögen in seiner Substanz auf Dauer erhalten werden muss (Grundsatz der Vermögenserhaltung). Es darf also nicht verschenkt, verbraucht, beträchtlich unter Wert veräußert oder in anderer Weise verringert werden. Abweichungen von diesem Grundsatz werden nur gestattet, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht.1 Auch außerhalb der Verbrauchsstiftung kann sich dies auch mit Blick auf evtl. ratsame Vermögensumschichtungen empfehlen, oder wenn sich der Stifterwille nicht anders verwirklichen lässt.

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Ein Mindestvermögen ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich vorgeschrieben, allerdings werden Stiftungen regelmäßig erst bei einem Vermögen ab 50 000 bis 100 000 Euro anerkannt, weil sich die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszweckes i.S.d. § 80 Abs. 2 BGB andernfalls nur darlegen lässt, wenn ein Konzept zur Einwerbung von Zustiftungen und/oder Spenden plausibel gemacht werden kann2. Auf jeden Fall sollte das Stiftungsvermögen in einem angemessenen Verhältnis zu den Stiftungszwecken stehen, deren Verfolgung aus den Früchten des Stiftungsvermögens finanziert werden muss.

19

cc) Stiftungsorganisation Die Organisation der Stiftung bestimmt sich in erster Linie nach der durch den Stifter zumindest in ihrem Rahmen abgesteckten Satzung, der Stiftungsverfassung. In zweiter Linie ergibt sich die Stiftungsorganisation aus dem BGB sowie in geringem Umfang aus den Landestiftungsgesetzen. Gesetzliche Mindestanforderung ist, dass die Stiftung einen Vorstand haben muss (§§ 86 i.V.m. 26 Abs. 1 BGB). In der Praxis sind daneben noch Kontrollorgane wie Kuratorien und Beiräte üblich. Es besteht ein breiter Gestaltungsspielraum.

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Spätestens nach dem Tod des Stifters ist es regelmäßig sinnvoll, wenn das Kontrollorgan den Vorstand bestimmt und die Anstellungsverträge mit den Vorstandsmitgliedern abschließt. Für das Kontrollorgan selber findet sich häufig ein Kooptationsverfahren, d.h. die Selbstergänzung durch einstimmigen oder mehrheitlichen Beschluss. In Ermangelung eines Kontrollorgans, ist die Kooptation auch für den Vorstand zweckmäßig. Denkbar ist auch, dass es wegen bestimmter Sachzusammenhänge geborene Mitglieder gibt (z.B. Vorsitzender der Geschäftsführung eines bestimmten Unternehmens, Präsident einer Universität etc.). Im Übrigen könnte die Satzung bestimmte Soll-Eigenschaften der Mitglieder definieren, die allerdings keine allzu starre Regel enthalten sollten.

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Die Amtszeit aller Organmitglieder sollte beschränkt werden, etwa in Anlehnung an die aktienrechtlichen Regelungen. Sinnvoll ist eine Höchstaltersbegrenzung.

22

1 Vgl. etwa Hof in Seifart/v. Campenhausen, Stiftungsrechtshandbuch, 3. Aufl., § 9 Rz. 60. 2 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 80 BGB; BT-Drucks. 14/8765, S. 8. Stein

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B XII

Rz. 23

Stiftung und Trust

c) Stiftungsgründung 23

Die Errichtung einer Stiftung ist ein zweistufiger Vorgang. Gem. § 80 S. 1 BGB entsteht eine Stiftung durch das privatrechtliche Stiftungsgeschäft und die staatliche Anerkennung seitens der zuständigen Landesbehörde. Der Ablauf der Stiftungsgründung stellt sich wie folgt dar:

24

Der Stifter erklärt seinen Willen, Vermögen zu stiften, entweder zu Lebzeiten schriftlich oder in Form einer letztwilligen Verfügung. Trotz aller Kritik gilt bis heute im Stiftungsrecht noch ein Konzessionssystem. Der zuständigen Landesbehörde werden das Stiftungsgeschäft und die Stiftungssatzung entweder durch den Stifter selbst oder im Falle der Errichtung von Todes (§ 83 S. 1 BGB) wegen durch die Erben, den Testamentsvollstrecker oder das Nachlassgericht zugeleitet. Die Stiftung wird von ihr bei Vorliegen der Voraussetzungen anerkannt. Die Anerkennung ist ein gebundener Verwaltungsakt und keine Ermessensentscheidung; der Stifter hat einen Rechtsanspruch auf Anerkennung.1

Beratungshinweis: Trotz des Rechts auf Anerkennung einer Stiftung kann es zweckmäßig sein, die Stiftungssatzung im Vorfeld einer abschließenden Festlegung mit der zuständigen Behörde abzustimmen, um etwaige Beanstandungen im Vorfeld auszuräumen und von der Erfahrung der Mitarbeiter profitieren zu können. 25

Bei Gründung gemeinnütziger Stiftungen wird die Stiftungsbehörde gegebenenfalls eine steuerliche Beurteilung des zuständigen Finanzamts einholen2. Es empfiehlt sich, die Abklärung mit dem Finanzamt aus zeitlichen Gründen und zur Vermeidung von Unstimmigkeiten zwischen Stifter, Finanzamt und Stiftungsbehörde parallel zum Anerkennungsverfahren selbst durchzuführen.

26

Sobald die Anerkennung vorliegt, ist der lebende Stifter verpflichtet, das Vermögen auf die Stiftung zu übertragen (§ 82 S. 1 BGB). Bei einer Stiftung von Todes wegen geht das Vermögen entweder im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über oder wird von den Erben aufgrund eines Vermächtnisses oder einer Auflage auf die Stiftung übertragen. aa) Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden

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Das Stiftungsgeschäft ist ein einseitiges Rechtsgeschäft in Form einer einseitigen nicht empfangsbedürftigen schriftlichen Willenserklärung (§ 81 Abs. 1 S. 1 BGB). Es muss nach § 81 Abs. 1 S. 2 BGB die verbindliche Erklärung des Stifters enthalten, ein Vermögen zur Erfüllung eines von ihm vorgegebenen Zweckes zu widmen, und eine Satzung mit den Regelungen gem. § 81 Abs. 1 S. 2 BGB.

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Genügt das Stiftungsgeschäft den Erfordernissen des § 81 Abs. 1 S. 3 BGB nicht und ist der Stifter verstorben, verweist § 81 Abs. 1 S. 4 BGB auf § 83 S. 2 bis 4 BGB, so dass eine Heilung möglich ist.

1 Vgl. etwa Palandt/Ellenberger, § 80 Rz. 4. 2 Vgl. auch FG Hessen v. 8.3.2204 – 4 K 1260/01, EFG 2004, 1251. 798

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Stiftung und Trust

Rz. 30

B XII

bb) Das Stiftungsgeschäft durch Verfügung von Todes wegen Grundsätzlich stehen für die letztwillige Errichtung einer Stiftung von Todes wegen nach § 83 BGB alle erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Das Stiftungsgeschäft von Todes wegen i.S.d. § 83 BGB kann sowohl durch testamentarische Verfügung als auch in Form eines Erbvertrages vorgenommen werden. Die Genehmigung wird entweder durch die Erben, einen Testamentsvollstrecker oder – hilfsweise – durch das Nachlassgericht eingeholt (§ 83 S. 1 BGB). Die beste Gewähr für die unverfälschte Umsetzung des Stifterwillens bietet die Beifügung der Satzung zur erbrechtlichen Regelung.1 Das ist aber nicht zwingend. Während das Stiftungsgeschäft unter Lebenden eine präzise Stiftungssatzung mit den Mindestinhalten des § 81 Abs. 1 S. 3 BGB verlangt, kann der Erblasser sich bei der Errichtung von Todes wegen auf die Angabe der Eckdaten beschränken, wenn er sicherstellt, dass seine Wünsche nach seinem Tod in geeigneter Form umgesetzt werden. Die wunschgemäße Umsetzung der letztwilligen Verfügungen liegt mangels besonderer Regelungen in den Händen der Stiftungsbehörde, die nach § 83 S. 2 BGB eine unvollständige Satzung ergänzt oder eine Satzung erstmals gibt.

29

Obwohl die Stiftungsbehörde nach § 83 S. 2 Hs. 2 BGB den Willen des Stifters berücksichtigen soll, erscheint es insbesondere bei nicht ausformulierten Satzungen ratsam, die Umsetzung des Erblasserwillens durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung abzusichern2. Der Erblasser muss dabei die Person des Testamentsvollstreckers nicht unbedingt selbst bestimmen, sondern kann dies einem Dritten (§ 2198 BGB) oder dem Nachlassgericht (§ 2200 BGB) überlassen. Empfehlenswert ist es allerdings, mit dieser Aufgabe eine Person zu beauftragen, die sowohl über die erforderlichen geschäftlichen Erfahrungen als auch über ein hinreichendes Maß an Sachverständnis für das Stiftungsrecht verfügt – und natürlich das Vertrauen des Stifters genießt. Regelmäßig dürfte es genügen, die Aufgabe des Testamentsvollstreckers auf die Herbeiführung einer Stiftungsgenehmigung und die anschließende Vermögensübertragung zu beschränken3. Dann handelt es sich um einen Fall der Abwicklungsvollstreckung.

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Beratungshinweis: Wegen möglicher Probleme bei der Anerkennung der Stiftungssatzung empfiehlt es sich, dem Testamentsvollstrecker die Befugnis einzuräumen, die Stiftungssatzung soweit zu ändern und zu ergänzen, dass die Anerkennung erteilt werden kann. Bedenkenswert ist auch eine Befugnis zur Anpassung an geänderte Umstände, wenn zwischen Errichtung der letztwilligen Verfügung und Todeszeitpunkt die rechtlichen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich gravierend verändert haben. Dazu sollten die übergeordneten Ziele klar formuliert werden, die eine Anpassung entsprechend dem Erblasserwillen erlauben. Im Zweifel steht der ausgewählte Testamentsvollstrecker dem Stifter näher als eine Behörde, was eine angemessene Umsetzung des Stifterwillens durch den Testamentsvollstrecker erwarten lässt. Ob eine darüber hinausgehende Dauertestamentsvollstreckung in Angelegenheiten der Stiftung zweckmäßig ist, erscheint 1 Um die Stiftung nicht mit einer schon im Todeszeitpunkt unzeitgemäßen Satzung zu belasten, sollte das Testament auch insoweit regelmäßig geprüft werden (mindestens alle drei bis fünf Jahre). 2 Vgl. Bengel/Reimann/Maier, Handbuch der Testamentsvollstreckung, Kap. V, Rz. 297. 3 Vgl. Staudinger/Rawert, § 83 Rz. 18. Stein

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B XII

Rz. 31

Stiftung und Trust

angesichts möglicher Interessenkonflikte zwischen Stiftungsvorstand als Vertreter einer von Todes wegen begünstigten Person und dem Testamentsvollstrecker in seiner Eigenschaft als Nachlassverwalter zweifelhaft1. Zu vermeiden ist aber eine Klausel, wonach das Inkrafttreten der Satzung bei gemeinnützigen Stiftungen von einer behördlichen Anerkennung abhängt, weil nach der Rechtsprechung bis zur Anerkennung keine wirksame Satzung i.S.d. § 60 Abs. 1 AO vorliege, woran auch die bindende Beauftragung eines Testamentsvollstreckers nichts ändere2. 31

Einstweilen frei.

32

Die Behandlung des Stiftungsvermögens im Zeitraum zwischen dem Todestag des Stifters und der Genehmigung der Stiftung ist bislang nicht abschließend geklärt. § 84 BGB fingiert lediglich für die Zuwendung des Stifters eine Rückwirkung auf den Todeszeitpunkt. Zu befriedigenden Ergebnissen gelangt man mit der Rechtsfigur einer nicht rechtsfähigen Vorstiftung, die allerdings stiftungsrechtlich nach wie vor umstritten ist3. cc) Anerkennung

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Neben dem Stiftungsgeschäft ist gem. § 80 Abs. 1 BGB die Anerkennung der Stiftung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll.4 Nach § 80 Abs. 2 BGB ist die Anerkennung zu erteilen, wenn das Stiftungsgeschäft den Anforderungen des § 81 Abs. 1 BGB genügt, die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint und der Stiftungszweck das Gemeinwohl nicht gefährdet. d) Stiftungsaufsicht

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Da es keine bundesrechtlichen Regelungen über die Stiftungsaufsicht gibt, haben die Länder insoweit von ihrem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht. Dabei werden den Aufsichtsbehörden nach bestehendem Landesrecht (meist in Anlehnung an die Kommunalaufsichtsregelungen) insbesondere Unterrichtungsund Prüfungsrechte eingeräumt. Oft ist die Aufsichtsbehörde auch zu Ersatzvornahmen von gesetzlich oder satzungsmäßig gebotenen Maßnahmen ermächtigt. Auch die Abberufung von evident ungeeigneten Organmitgliedern sowie die Bestellung von fehlenden Organmitgliedern in dringenden Fällen ist ihr in der Regel landesrechtlich gestattet. Aus Verfassungsgründen muss sich die staatliche Aufsicht für Privatstiftungen grundsätzlich auf eine reine Rechtsaufsicht beschränken5. In Bezug auf Privatstiftungen und insbesondere Familienstiftungen ist teils die Aufsicht ausdrücklich eingeschränkt worden6. 1 Vgl. O. Schmidt, ZEV 2000, 438 ff. 2 Vgl. FG Hessen v. 8.3.2004 – 4 K 1260/01, EFG 2004, 1251; Schiffer, DStR 2005, 508 (513). 3 Vgl. Hof in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 6 Rz. 271 ff. m.w.N. 4 Übersicht über die zuständigen Behörden samt Adressen auf der Homepage des Bundesverbandes deutscher Stiftungen (www.stiftungen.org). 5 Vgl. etwa § 10 Abs. 1 NdsStiftG; BVerwG v. 22.9.1972 – VII C 27.71, BVerwGE 40, 347 ff. 6 Vgl. z.B. § 10 Abs. 2 NdsStiftG. 800

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 38

B XII

Beratungshinweis: Die Stiftungssatzung sollte vorausschauend Regelungen enthalten, die ein Eingreifen der Stiftungsaufsicht in der Regel überflüssig machen. Hierdurch wird verhindert, dass eine regelmäßig mit wirtschaftlichen Sachverhalten nicht vertraute Verwaltungsbehörde richtungsweisende Entscheidungen in der Stiftung trifft. Es liegt im eigenen Interesse der Stiftung, Kontrollorgane vorzusehen und ein effektives Risikomanagementsystem einzurichten. Einstweilen frei.

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e) Rechnungslegungs- und Prüfungspflichten1 In fast allen Bundesländern bestehen gesetzliche Vorlagepflichten, die die Prüfung der Wirtschaftsführung ermöglichen sollen. Hierzu hat die Stiftung der Aufsichtsbehörde eine Jahresabrechnung mit einer Vermögensübersicht und einen Bericht über die Erfüllung des Stiftungszwecks vorzulegen. In einigen Bundesländern soll schon vor Beginn des Rechnungsjahrs ein Haushaltsplan bzw. Voranschlag erstellt werden2. Auch kann mitunter die Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer verlangt werden3.

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f) Rechtsstellung der Begünstigten Die Rechtsstellung der Destinatäre bestimmt im Wesentlichen der Stiftungszweck. Nur in dessen Rahmen sind Zuwendungen aus Mitteln der Stiftung zulässig. Mangels abweichender Satzungsregelung haben die Destinatäre grundsätzlich keinerlei Mitgliedschaftsrechte und dementsprechend weder (Mit-)Verwaltungs- noch Kontrollbefugnisse4. Der Stifter sollte prüfen, ob es nicht im Einzelfall sinnvoll ist, den Destinatären solche Rechte in der Satzung einzuräumen. Entsprechende Regelungen sollten allerdings hinsichtlich Umfang und Modalitäten der Rechtsausübung sorgfältig gestaltet sein und ggf. eine Ermächtigung zugunsten der satzungsändernden Organe zur Aufhebung oder Änderung dieser Regelungen vorsehen.

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Leistungsansprüche der Destinatäre entstehen grundsätzlich nur, wenn die Satzung im Hinblick auf bestimmte Destinatäre Leistungspflichten konkretisiert, Stiftungsorgane diese (satzungskonform) zuerkennen oder diese durch Vertrag begründet werden.5 Qualifikation und Umfang der Ansprüche sind umstritten6.

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1 Vgl. zur Prüfungs- und Publizitätspflicht etwa Staudinger/Rawert, Vorbem. §§ 80 ff. Rz. 75 ff., 117 ff.; §§ 6, 14 11 PublG. Zur Rechnungslegung von Stiftungen s. insbesondere IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung von Stiftungen (IDW RS HFA 5 v. 6.12. 2013, zu ERS HFA 5 s. auch Doll/Koss, WPg 2013, 805; Hüttemann, DB 2013, 1561. 2 Vgl. Art. 16 Abs. 1 S. 3 BayStiftG. 3 Vgl. Art. 16 Abs. 4 S. 1 BayStiftG. Zur Prüfung s. insbesondere IDW Prüfungsstandard: Prüfung von Stiftungen (IDW PS 740), FN-IDW 2000, 142. 4 Vgl. Hof in Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 3. Aufl., § 6 Rz. 156 ff. 5 Vgl. BGH v. 7.10.2009 – Xa ZR 8/08, MDR 2010, 70 = BB 2010, 170: keine Schenkung sondern Rechtsgrund der Zuwendung ist die Satzung (mit der Folge, dass keine Beurkundung nach § 518 BGB erforderlich ist). 6 Vgl. Staudinger/Rawert, § 85 Rz. 34 ff. Stein

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801

B XII

Rz. 39

Stiftung und Trust

Es dürfte sich in der Regel empfehlen, Ansprüche der Destinatäre auszuschließen oder eindeutig klarzustellen, in welchem Umfang ihnen klagbare Ansprüche zustehen und in welchem Verfahren diese geltend zu machen sind1. g) Änderung der Stiftungssatzung 39

Satzungsänderungen sind nur zulässig, wenn sie in der Satzung selbst ausdrücklich vorgesehen oder vom Gesetz gestattet werden. Letzteres setzt in der Regel eine wesentliche Veränderung der vom Stifter zugrunde gelegten Verhältnisse voraus, die eine Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich erscheinen lässt (§ 87 Abs. 1 BGB)2. Um die Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen zu erleichtern, empfiehlt es sich daher, autonome Satzungsänderungen durch den Vorstand oder ein Kontrollorgan zuzulassen. Unter welchen Voraussetzungen eine Satzungsänderung möglich sein soll, ist konkret zu regeln. Es ist ein Mittelweg zu finden zwischen zu detaillierten Regelungen, die eine Anpassung tendenziell erschweren, und Generalklauseln, die die Umgehung des Stifterwillens befürchten lassen. h) Einfluss von Pflichtteilsrechten

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In erbrechtlicher Hinsicht ist bei der Stiftungserrichtung von Todes wegen und unter Lebenden immer an pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge und den Ehegatten des Stifters zu denken. Da diese Ansprüche auf Ausgleich in Geld gerichtet sind und sich nach dem Verkehrswert des Nachlasses richten3, drohen erhebliche Probleme bei der Aufbringung der erforderlichen liquiden Mittel. Bei der Stiftung unter Lebenden sind Pflichtteilsergänzungsansprüche entsprechend §§ 2325 ff. BGB gegeben4. Um die Belastung des Stiftungsvermögens mit Pflichtteilsansprüchen zu vermeiden, gibt es verschiedene Wege: – Zunächst können Pflichtteilsansprüche schon zu Lebzeiten vertraglich ausgeschlossen werden, indem sich der Stifter mit den Berechtigten über den Verzicht auf Pflichtteilsansprüche in notarieller Form einigt. Das ist sicherlich die beste Lösung, weil sämtliche Unwägbarkeiten auf diese Weise ausgeschlossen werden. – Oder aber die Übertragung des Vermögens auf die Stiftung erfolgt so frühzeitig, dass die Ausgleichsansprüche der Pflichtteilsberechtigten durch Zeitablauf jedes Jahr zu 1/ 10 abschmelzen und nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren vollkommen ausgeschlossen sind (§ 2325 Abs. 3 BGB). Das setzt aller-

1 Hinzuweisen ist auf das Urteil des FG Bremen v. 16.6.2010 – I K 18/10, ZEV 2010, 1801 (rkr.), wonach das Stiftungsgeschäft ein Vertrag i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG sein könne, wenn die Destinatäre Rechtsansprüche gegenüber der Stiftung erwerben (krit. dazu etwa Piltz, ZEV 2011, 236 [238 ff.]) 2 Vgl. Staudinger/Rawert, § 87 Rz. 4, 5. 3 Vgl. etwa Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, S. 81. 4 Vgl. BGH v. 10.12.2003 – IV ZR 249/02, MDR 2004, 755 = FamRZ 2004, 453 = FamRB 2004, 363 = ZEV 2004, 115; Rawert/Katschinski, ZEV 1996, 161 ff. m.w.N.; Medicus, FS Heinrichs, 1998, 381 ff.; LG Baden-Baden v. 31.7.1998 – 2 O 70/98, FamRZ 1999, 1465 = ZEV 1999, 152. 802

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Stiftung und Trust

Rz. 42

B XII

dings voraus, dass der Stifter schon frühzeitig bereit ist, sich von seinem Vermögen zu trennen1. – Schließlich kann der Stifter Teile seines Vermögens zugunsten der Pflichtteilsberechtigten zurückbehalten, mit denen die Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche befriedigt werden können. – Bei Errichtung einer Stiftung unter Lebenden könnte der Liquiditätsbedarf auch durch Lebensversicherungen auf das Leben des Stifters abgesichert werden, wobei die Versicherungssumme so bemessen wird, dass die Stiftung alle Pflichtteilsberechtigten ausbezahlen kann. Der Erwerb der Stiftung ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steuerpflichtig, wenn der Stifter Versicherungsnehmer und die Stiftung Berechtigte ist. Stimmen Versicherungssumme und Aufwand für Pflichtteilsansprüche überein, ergibt sich wegen der Behandlung des Pflichtteils als abzugsfähige Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG kein steuerpflichtiger Erwerb2. Spenden an gemeinnützige Stiftungen sind anders als Zuwendungen in den Vermögensstock wegen des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung im Zeitpunkt des Erbfalls im Normalfall nicht mehr vorhanden, so dass die Stiftung selber entreichert i.S.d. § 2329 BGB ist. Die Herausgabepflicht des Dritten scheitert regelmäßig daran, dass dieser nicht festgestellt werden kann und/oder selber bereits entreichert ist3.

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Einstweilen frei.

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II. Typologie der häufigsten Stiftungsarten 1. Gemeinnützige Stiftung

Beratungssituation: U, ein 65-jähriger Unternehmer, will sein Lebenswerk bewahren und sicherstellen, dass das Unternehmen, ein GmbH & Co. KG – Konzern unter dem Dach einer Holding GmbH & Co. KG, weiter betrieben wird; gleichzeitig fördert er verschiedene Einrichtungen im gemeinnützigen Bereich und will sein Vermögen nach seinem Tode deren Zwecken widmen. Die Familie ist hinreichend durch Privatvermögen versorgt und unterstützt sein Anliegen.

1 Ein Nießbrauchsvorbehalt ist in dieser Hinsicht schädlich. Die 10-Jahres-Frist für Pflichtteilsergänzungsanprüche beginnt nicht zu laufen, weil die Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt keine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB ist (BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, MDR 1994, 1015 = FamRZ 1994, 885 = NJW 1994, 1791 f.), weil der Erblasser sich nicht endgültig von seinem Vermögen getrennt hat, solange er die Früchte ziehen kann. Die 10-Jahres-Frist beginnt mit der Anerkennung der Stiftung zu laufen (vgl. etwa Damrau, ZEV 2010, 12). 2 Wegen der Probleme im Zusammenhang mit Pflichtteilsabfindung und Erbschaftsteuer sei hingewiesen auf Crezelius, BB 2000, 2333 ff. 3 Vgl. Kollhosser, ZEV 2004, 117 (118). Stein

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Rz. 43

Stiftung und Trust

Pro Gemeinnützige Stiftung

Kontra Gemeinnützige Stiftung

– Weitgehende steuerliche Begünstigungen bei der Errichtung und in der laufenden Besteuerung: – Spendenabzug (§ 10b EStG) – Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 13 Nr. 16 lit. b) ErbStG) – Buchwertfortführung bei Entnahmen aus einem Betriebsvermögen zur Einbringung in eine gemeinnützige Stiftung (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG) möglich – umfassende Befreiung von der Kapitalertragsteuer (§§ 44a Abs. 4 i.V.m. 44c Abs. 1 EStG) – Befreiung von der Körperschaftsteuer (§ 5 Nr. 9 KStG) – Befreiung von der Gewerbesteuer (§ 3 Nr. 6 GewStG) – postmortale Übertragung: rückwirkendes Erlöschen der Erbschaftund Schenkungsteuer (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG)

– Beschränkung auf bestimmte steuerbegünstigte Zwecke (§§ 52–54 AO) – Beachtung der Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts für Satzung und tatsächliche Geschäftsführung erforderlich und Aufsicht durch die Finanzverwaltung (§§ 55–63 AO) – Zuwendungen an den Stifter und seine Angehörigen sind nur in beschränktem Umfang möglich (§ 58 Nr. 5 AO) und führen bei den Empfängern zu steuerpflichtigen Einkünften – Bei Aufhebung der Stiftung können nur das Grundstockvermögen und Zustiftungen an den Stifter zurück übertragen werden, nicht aber Vermögenszuwächse (Vermögensbindung, § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) und das Rückforderungsrecht schließt den Spendenabzug aus – Einschränkung und Gefährdung der Gemeinnützigkeit bei wirtschaftlicher Betätigung (wirtschaftliche Geschäftsbetriebe) oder Verlustausgleich

Unternehmenskontinuität ist ein Ziel, das vielen Unternehmern am Herzen liegt. Die Stiftung verspricht eine „ewige Testamentsvollstreckung“ und scheint daher diesem Anliegen optimal Rechnung zu tragen. Denn die Stiftung ist an die Vorgaben des Stifters gebunden wie der Testamentsvollstrecker an die des Erblassers, unterliegt aber nicht der zeitlichen Beschränkung der Testamentsvollstreckung auf dreißig Jahre nach § 2210 BGB. Gleichzeitig ist die Übertragung von Vermögen auf eine gemeinnützige Stiftung in vielerlei Hinsicht steuerlich privilegiert. Die wesentlichen steuerlichen Gesichtspunkte werden in Rz. 87 ff. skizziert. 2. Inländische Familienstiftung

Beratungssituation: Abwandlung: U ist der Ansicht, dass seine Familienangehörigen weder zur Führung des Unternehmens geeignet sind noch mit Geld umgehen können. Er möchte aber ihre Versorgung sicherstellen und erwägt deswegen die Errichtung einer Familienstiftung, um eine dauerhafte Vermögensverwaltung zugunsten der Familie einzuführen. Pro Familienstiftung

Kontra Familienstiftung

– Versorgung des Stifters und seiner Familie uneingeschränkt möglich

– Erbersatzsteuer alle 30 Jahre (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) – Grundsätzlich unwiderrufliche Entscheidung – Zusammenhalt der Familie kann bei weitgehender Entmündigung leiden

– Verzicht auf Pflichtteilsrechte wahrscheinlich leichter zu erreichen, wenn die Pflichtteilsberechtigten Destinatäre sind (ggf. Anspruch auf Leistungen in der Satzung verankern) 804

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Stein

Stiftung und Trust Pro Familienstiftung

Rz. 45

B XII

Kontra Familienstiftung

und/oder in Organen der Stiftung mitwirken – Laufender Erwerb von Destinatären unterliegt nicht der ErbSt aber der ESt-Steuerklassenprivileg des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG: StKl. abhängig vom Verwandtschaftsgrad zum entferntest Berechtigten – Erbersatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) ist kalkulierbarer – Begünstigungen der §§ 13a, 13b ErbStG stehen zur Verfügung – Gestaltungsinstrument zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung1

Die Familienstiftung ist der Prototyp der privaten Stiftung. Eine Legaldefinition findet sich im BGB nicht. Gleichwohl wird ihrer typologischen Sonderstellung durch einige Landesrechte und das Steuerrecht Rechnung getragen. Unter einer Familienstiftung versteht man insbesondere

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– Stiftungen, die wesentlich im Interesse einer oder mehrerer Familien errichtet worden sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG), – Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind (§ 15 Abs. 2 AStG), Unter den Begriff der Familie fallen regelmäßig alle Personen, die von § 15 AO erfasst werden. Die erforderliche Intensität des Familienbezugs wird durchgängig quantitativ aufgefasst. Vor dem Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts wurde von Reuter und Rawert vertreten, dass reine Unterhaltsstiftungen (Familienstiftungen) wegen der Umgehung der erbrechtlichen Vorschriften über die zeitliche Beschränkung von Nachlassbindungen unzulässig sind2. Die h.M. sah bereits jedoch nach altem Recht keine Zulässigkeitsbeschränkung in dieser Hinsicht3. Nach neuem Recht bestehen an der Zulässigkeit der Familienstiftung keine grundlegenden Zweifel, da der Gesetzgeber offensichtlich der Bund-Länder-Arbeitsgruppe gefolgt ist, die für eine Einschränkung oder ein Verbot der Familienstiftung keine Gründe gesehen hat.4 1 Vgl. etwa Zensus/Schmitz, NJW 2012, 1323 (1328 ff.). 2 Vgl. Staudinger/Rawert, Vorbem. §§ 80 ff. Rz. 185 ff.; MüKo.BGB/Reuter, Vor § 80 Rz. 17 ff. 3 Vgl. Pöllath in Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 2. Aufl., § 14 Rz. 29 m.w.N. 4 Vgl. Palandt/Ellenberger, § 80 Rz. 8; Pöllath/Richter in Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 3. Aufl. 2009, § 13 Rz. 29 mwN; MüKo.BGB/Reuter, §§ 80, 81 Rz. 96, will die Zulässigkeit an weitere Voraussetzungen für die Begünstigung der Familienangehörigen knüpfen, hält aber wg. des Verbots der Umgehung des Fideikommissverbots ansonsten an der Unzulässigkeit fest; Hüttemann, ZHR 167 (2002) 35 (63) will die Klärung dieser Frage nach wie vor der Wissenschaft und Praxis überlassen wissen, und regt an zu prüfen, inwieweit das Verbot der Fideikommisse und erbrechtliche Wertungen zu einem Eingreifen des Gemeinwohlvorbehalts führen. Stein

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B XII 46

Rz. 46

Stiftung und Trust

Jedoch sollten bei der Errichtung einer Stiftung im dynastischen Interesse zum Zwecke einer ewigen Testamentsvollstreckung eine Vielzahl praktischer Probleme berücksichtigt werden: – Die Entscheidung zur Einbringung von Vermögen in eine Familienstiftung ist grundsätzlich endgültig. Es kann geradezu als Beratungsfehler gelten, auf die Gefahr des Vermögensverlustes nicht hinzuweisen. Regelmäßig wird es sich empfehlen, dem Stifter ein Aufhebungsrecht einzuräumen und den Heimfall des Vermögens an ihn für diesen Fall vorzusehen. – Als grundsätzlicher Nachteil von privaten Stiftungen kann sich das Fehlen von Gesellschaftern erweisen. Die Entscheidung unabhängiger Teilnehmer am Markt birgt noch immer die beste Richtigkeitsgewähr. Diese Kontrolle von außen fehlt der Stiftung. Das kann der flexiblen und schnellen Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen insbesondere bei unternehmensverbundenen Stiftungen im Wege stehen. – Die Möglichkeiten der Kontrolle über die Organe kann sich als Achillesferse erweisen. Soweit die Organe der Stiftung (regelmäßig Vorstand und Aufsichtsrat/Kuratorium) der Familie keine Rechenschaft über ihre Tätigkeit geben müssen, besteht immer die Gefahr, dass die Stiftung zu deren Selbstbedienungsladen wird. Da Familienstiftungen i.d.R. nicht gemeinnützig sind, müssen die Organe nicht mit der Überprüfung der Geschäftsführung durch die Finanzverwaltung rechnen. Unter diesem Gesichtspunkt ist besonders zu berücksichtigen, dass die Stiftungsaufsicht über Familienstiftungen in einigen Bundesländern eingeschränkt ist. Eine Möglichkeit, dieser Missbrauchsgefahr entgegenzuwirken, ist die Vertretung der Familie im Kontrollorgan und die Gewährung klagbarer Ansprüche der Destinatäre. – Der dauerhafte Ausschluss der Familienmitglieder von Entscheidungen über das Familienvermögen kann den Zusammenhalt zwischen Familienstiftung und den begünstigten Familienmitgliedern, aber auch innerhalb der Familie nachhaltig belasten. Auch unter diesem Gesichtspunkt empfiehlt sich die institutionelle Einbindung der Familie. – Die Stiftung soll in vielen Fällen das unternehmerische Vakuum füllen, indem eine für Familienfremde attraktive Struktur geschaffen und die Grundlage für ein erfolgreiches Fremdmanagement gelegt wird. Diese Annahme mag richtig sein, soweit der Einfluss nicht sachgerechter Befindlichkeiten aus der Familiensphäre auf die Tagesgeschäfte ausgeschaltet wird. Allerdings stellt sich die Frage, welche Anreize für eine „shareholder value“-bezogene Unternehmensführung bestehen, wenn die wirtschaftlichen Nutznießer (die Destinatäre) von maßgeblicher Einflussnahme ausgeschlossen werden.

Beratungshinweis: Trotz aller grundsätzlichen Probleme zeigen erfolgreiche Beispiele von Familienstiftungen, dass die Gestaltungsziele Unternehmenskontinuität und dauerhafte Versorgung der Familie durchaus verwirklicht werden können. Zwei Faktoren dürften wesentlich sein: eine maßgeschneiderte Satzung und eine sorgsame Besetzung der Ämter.

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 49

B XII

3. Gemeinnützige Familienstiftung

Beratungssituation: Abwandlung: Ihr Mandant U möchte sowohl die Familie versorgt wissen als auch sein Vermögen nach dem Tod gemeinnützige Zwecken widmen. Wenn die Versorgung der Familie nicht hinreichend abgesichert ist, ist zu prüfen, wie die Zielsetzungen, die Allgemeinheit zu unterstützen und den Unterhalt der Familie abzusichern, miteinander versöhnt werden können. Von besonderem Interesse im Hinblick auf die Versorgung von Angehörigen ist die Regelung des § 58 Nr. 6 AO. Danach darf die Stiftung bis zu einem Drittel ihres Einkommens dazu verwenden, den Stifter und seine nächsten Angehörigen zu unterhalten, ihre Gräber zu pflegen und ihr Andenken zu ehren (sog. gemeinnützige Familienstiftung). Trotz der auf den ersten Blick geringen Quote ist diese Gestaltung wegen der steuerlichen Vorteile der Gemeinnützigkeit nicht unattraktiv. Die Finanzverwaltung interpretiert diese Vorschrift allerdings sehr restriktiv. Aus dem Begriff der nächsten Angehörigen wird geschlossen, dass die Versorgung weiterer Generationen über die Enkel hinaus ausgeschlossen sei1. Der Begriff umfasse nur Ehegatten, Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel (auch falls durch Adoption verbunden), Geschwister, Pflegeeltern, Pflegekinder. Maßstab für die Angemessenheit der Unterhaltsleistungen an den Stifter und dessen nächste Angehörige sei der Lebensstandard des Zuwendungsempfängers – nicht des Stifters2. Sei deren Unterhalt anderweitig in angemessener Höhe gewährleistet, liege keine unschädliche Zuwendung vor3. Die Satzung dürfte danach nicht generell Ausschüttungen in Höhe eines Drittels des Einkommens der Stiftung ohne Bezug auf die Angemessenheit erlauben.

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Beratungshinweis: Bei der Formulierung der Stiftungssatzung sollte man sich bei den möglichen Ausschüttungen eng am Gesetzeswortlaut orientieren. Dokumentieren Sie die Angemessenheit des Unterhalts. Die Einholung einer verbindlichen Auskunft ist sicherlich überlegenswert, wobei wegen der Umstände des Einzelfalls nicht absehbar ist, ob im eine solche Absicherungen erhältlich sein wird. Der Versorgungszweck wird vereitelt, wenn die Stiftung nicht über genügende Erträge verfügt. Es ist daher vielfach nicht möglich, auf der Grundlage einer auf einen Mindestbetrag festgesetzten Zuwendung die Versorgung der Angehörigen sicherzustellen, ohne möglicherweise in späteren Zeiträumen die Gemeinnützigkeit zu gefährden. Denn die Vermögenssubstanz darf außerhalb der Auflösung nicht an die Familie ausgekehrt werden (§§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 4, 61 AO).

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Nach der Rechtsprechung des BFH4 kann eine fixierte Zahlung ohne Verstoß gegen das Gemeinnützigkeitsrecht dadurch gewährleistet werden, dass die Zahlungsverpflichtung der Stiftung bei Übergang des Vermögens auferlegt wird. Der BFH vertritt die Auffassung, dass die entsprechenden Mittel der Stiftung in die-

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1 AEAO zu § 58 Nr. 5 Tz. 6. 2 AEAO zu § 58 Nr. 5 Tz. 7. 3 OFD Magdeburg, Vfg. v. 18.5.2004 – S 1900-22-St 217, S 0171-155-St 217, KStK § 5 KStG Karte 8.70 Blatt 1. 4 BFH v. 21.1.1988 – II R 16/95, BStBl. 1998 II, 758 f. Stein

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Rz. 50

Stiftung und Trust

sem Fall von Anfang an das Stiftungsvermögen belasten. Allerdings hält die Finanzverwaltung an ihrem Nichtanwendungserlass1 unverändert fest2. Nach Auffassung des BMF sind Zahlungen aufgrund von Auflagen in die Drittelgrenze des § 58 Nr. 6 AO einzubeziehen. Darüber hinausgehende Verpflichtungen müssten aus dem Vermögensstamm erbracht werden. Dies wird aber u.U. gegen den Grundsatz der Vermögensbindung und die Stiftungssatzung verstoßen und erfordert im Übrigen bei Geldleistungsverpflichtungen auch entsprechende Liquidität. 50

Eine Alternative besteht darin, dass sich der Stifter vor der Übertragung der Vermögensgegenstände einen Teil der Erträge vorbehält, insbesondere durch Bestellung eines Nießbrauchs. Das ist für die Gemeinnützigkeit unschädlich, weil das Vermögen bereits im Zeitpunkt des Übergangs gemindert ist.3 4. Doppelstiftung

Beratungssituation: Abwandlung: Ihr Mandant U hat der Tagespresse entnommen, dass größere Familienunternehmen in zwei Stiftungen überführt worden seien, bei denen eine Stiftung der Familie diene und die andere gemeinnützig sei. Er möchte wissen, wie diese Gestaltung funktioniert und ob sie für ihn empfehlenswert ist. Pro Doppelstiftung

Kontra Doppelstiftung

– Steuerliche Optimierung möglich – „Umgehung“ der gemeinnützigkeitsrechtlichen Restriktionen möglich

– relativ aufwendige und komplizierte Gestaltung – Gefahr des Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO, vor allem bei extrem gegenläufigen Vermögens- bzw. Gewinnbeteiligungen) – einige ungeklärte Rechtsfragen4

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Das Konzept der Doppelstiftung kann als rechtlicher und steuerrechtlicher Ansatz für ein optimiertes Kombinationsmodell aus zwei selbständigen Stiftungen bezeichnet werden, das im Rahmen der Unternehmensnachfolge eingesetzt wird. Eine gemeinnützige Stiftung soll neben einer Familienstiftung den Anliegen Rechnung tragen, sowohl die Allgemeinheit zu unterstützen als auch die Versorgung der Familie auch über die Drittel-Grenze des § 58 Nr. 6 AO hinaus sicherzustellen und deren Einfluss auf das Unternehmen zu bewahren. Gleichzeitig soll die Steuerbelastung aus Anlass des Generationenwechsels minimiert werden.

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Modell: Das Unternehmen wird von einer Kapitalgesellschaft getragen. In der Praxis ist dies fast immer eine GmbH. Andere Gesellschaftsformen wie die Personengesellschaft (wegen der steuerlichen Nachteile, die daraus resultieren, dass die Beteiligung als Mitunternehmer immer einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb darstellt5) oder die AG (insbesondere wegen des Prinzips der formellen 1 BMF v. 6.11.1998, BStBl. 1998 I, 1446. 2 BMF v. 9.4.2013, Nr. 50, BStBl. 2013 I, 522. 3 OFD Magdeburg, Vfg. v. 18.5.2004 – S 1900-22-St 217, S 0171-155-St 217, KStK § 5 KStG Karte 8.70 Blatt 1. 4 Vgl etwa Werner, ZEV 2012, 244 (246 ff.). 5 BFH v. 27.7.1988 – I R 113/84, BStBl. 1989 II, 134 f. 808

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Stiftung und Trust

Rz. 56

B XII

Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 AktG und weil Vorzugaktien nach § 139 Abs. 2 AktG nur bis 50 % des Grundkapitals gewährt werden dürfen) sind hierfür wenig tauglich1. Die beiden Stiftungen sind Gesellschafter der (Holding-)Kapitalgesellschaft. Denkbar ist folgende Vorgehensweise: Zunächst ist der Unterhaltsbedarf der Familie zu ermitteln. Alle Geschäftsanteile, die für den Unterhalt der Familie nicht benötigt werden, werden auf eine gemeinnützige Stiftung übertragen. Die restlichen Geschäftsanteile werden ganz oder teilweise auf eine Familienstiftung übertragen, die entscheidenden Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens erhält, indem die Stimmrechte der von der gemeinnützigen Stiftung gehaltenen Anteile beschnitten oder ausgeschlossen werden.

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Familienstiftung und gemeinnützige Stiftung müssen in gemeinschaftlicher Verantwortung für die erfolgreiche Zukunft des Unternehmens eng zusammenarbeiten. Das gemeinsame Interesse soll die notwendige Kooperation im Kreise der Gesellschafter gewährleisten.

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Das Modell der Doppelstiftung hat den Nachteil, dass es verhältnismäßig kompliziert ist. Der Regelungsbedarf, um den Ausgleich unterschiedlicher Interessen von vielen Beteiligten (Leitung der gemeinnützigen Stiftung, Leitung und Berechtigte der Familienstiftung und Unternehmensführung) konfliktarm und stabil durchzuführen, darf nicht unterschätzt werden. Ob die Gestaltung steuerlich günstiger ist als eine gemeinnützige Familienstiftung, ist im Einzelfall zu prüfen. Neben der Umgehung gemeinnützigkeitsrechtlicher Restriktionen können auch erbschaftsteuerliche Gesichtspunkte ausschlaggebend sein. Durch inkongruente Verteilung von Kapital, Stimmrechten und Gewinnbezugsrechten lässt sich zwar die Steuerbelastung weiter optimieren, es wächst aber auch die Gefahr, dass die Gestaltung als missbräuchlich i.S.d. § 42 AO angesehen wird.

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5. Verbrauchsstiftung Kleine und mittlere Stiftungen können mit der Ausschüttung ihrer jährlichen Erträge für ihren guten Zweck nur wenig Kapital erbringen. Für Stifter, die noch zu ihren Lebzeiten mit ihrem Vermögen möglichst viel bewirken wollen, ist die Form der Verbrauchsstiftung eine Alternative zu der „traditionellen“ Stiftung, da diese auch ihre Vermögensausstattung ganz bzw. teilweise zur Erfüllung ihrer Stiftungszwecke verwenden kann. Unter welchen Voraussetzungen Verbrauchsstiftungen anerkennungsfähig sind, war in der Vergangenheit nicht geregelt, so dass die Praxis uneinheitlich war. § 80 Abs. 2 S. 2 BGB in der Fassung des Ehrenamtsstärkungsgesetzes bestimmt nun, dass „bei einer Stiftung, die für eine bestimmte Zeit errichtet und deren Vermögen für die Zweckverfolgung verbraucht werden soll (Verbrauchsstiftung), die dauernde Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint, wenn die Stiftung für einen im Stiftungsgeschäft festgelegten Zeitraum bestehen soll, der mindestens zehn Jahre umfasst“.

1 Vgl. Schnitger, ZEV 2001, 104 (105). Stein

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B XII

Rz. 57

Stiftung und Trust

Pro Verbrauchsstiftung

Kontra Verbrauchsstiftung

– geringes Stiftungsvermögen ist ausreichend – die Verbrauchsstiftung darf ihr gesamtes Stiftungskapital mit einsetzen bis zur Erreichung des gesetzten Ziels – der Stifter hat die Möglichkeit, die Geschicke der Stiftung von Anfang an zu steuern (Mitwirkungsrecht im Stiftungsvorstand) – die Verbrauchsstiftung kann sowohl selbständig rechtsfähig als auch nicht rechtsfähig unselbständig errichtet werden – nahezu beliebige Zwecksetzung – zeitlich begrenzt – Möglichkeit einer Kombination von Ewigkeitsstiftung mit der Verbrauchsstiftung zur Erlangung von Zusatzbegünstigungen

– Mindestlebensdauer der Stiftung darf 10 Jahre nicht unterschreiten – keine zusätzlichen Begünstigungen von Spenden in den Vermögensstock von Verbrauchsstiftungen1

6. Unternehmensträgerstiftung 57

Die Zulässigkeit unternehmensverbundener Stiftungen steht nach dem Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts grundsätzlich nicht mehr in Frage2. Umstritten ist, ob trotzdem Grenzen der Zweckgestaltung bestehen. Unzulässig bleibt wohl die Unternehmensselbstzweckstiftung3. Darunter versteht man eine Stiftung, deren einziger Zweck darin besteht, ein Unternehmen zu betreiben. Insoweit ist auch bei Gründung einer Stiftung & Co. zu beachten, dass es unzulässig ist, eine Stiftung ausschließlich zu dem Zweck zu gründen, Komplementärin der Kommanditgesellschaft zu sein4. In der Praxis ist allerdings eine Stiftung genehmigungsfähig, die im Interesse des Stiftungszwecks als Komplementärin Unternehmensaktivitäten ausübt.5 a) Stiftungsunternehmen und Beteiligungsträgerstiftung

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Es ist zweckmäßig, zwischen dem Stiftungsunternehmen und der Beteiligungsträgerstiftung zu unterscheiden.

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Beim Stiftungsunternehmen wird das Unternehmen von der Stiftung selbst betrieben. Die Stiftung wird dann nicht nur Träger des Vermögens des Unterneh1 OFD Frankfurt/M., Vfg. v. 13.6.2008, DB 2008, 2002 (2168) und § 10b Abs. 1a S. 2 EStG i.d.F. des Ehrenamtsstärkungsgesetzes, s. auch BMF-Schreiben v. 15.9.2014, BStBl. I 2014, 1278. 2 Das war nach altem Recht umstritten: für Unzulässigkeit etwa: MüKo.BGB/Reuter, Vor § 80 Rz. 6; Staudinger/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz 132; h.M. zulässig, vgl. etwa: Soergel/Neuhoff, Vor § 80 Rz. 65 ff.; K. Schmidt, DB 1987, 261 (262). 3 Hüttemann, ZHR 167 (2003), 35 (60 f.); K. Schmidt, DB 1987, 261; ganz h.M., vgl. Staudinger/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 160. 4 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1667. 5 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1667. 810

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Stiftung und Trust

Rz. 62

B XII

mens, sondern zugleich der Unternehmer selbst. War der Unternehmer wegen des Betreibens des Unternehmens Kaufmann i.S.d. Handelsrechts, so ist es jetzt auch die Stiftung. Bei einer Beteiligungsträgerstiftung ist die Stiftung an der das Unternehmen betreibenden Gesellschaft lediglich beteiligt. Die Stiftung kann entweder an einer Kapitalgesellschaft oder an einer Personengesellschaft beteiligt sein. Es kommt auch vor, dass sie an einer Holding beteiligt ist, die Muttergesellschaft weiterer Unternehmen ist.

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Bei der personengesellschaftlichen Gestaltung kann die Stiftung Gesellschafterin einer oHG oder KG werden. Bei der Beteiligung an einer oHG oder als Komplementärin an einer KG (Stiftung & Co.) ist jedoch zu beachten, dass die Stiftung dann auch unbeschränkt haftet. Während die Stiftung als Gesellschafterin einer oHG hier zu Lande äußerst selten ist, wird die Stiftung & Co. wegen ihrer haftungs-, bilanz-, und mitbestimmungsrechtlichen Vorteile häufiger empfohlen1. Die Vorteile2 einer Stiftung & Co.-Konstruktion sind im Wesentlichen die folgenden Punkte:

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– Bei der Stiftung & Co. ist die beschränkte Haftung natürlicher Personen noch umfassender, denn eine Durchgriffshaftung für die hinter einer Komplementär-Kapitalgesellschaft stehenden Gesellschafter ist bei der KomplementärStiftung als rechtsfähigem Sondervermögen denkgesetzlich ausgeschlossen. – Während die Kapitalgesellschaft & Co. als gewerblich geprägte Personengesellschaft gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG stets und in vollem Umfang und unabhängig von ihrer Tätigkeit als Gewerbebetrieb gilt, ist die Tätigkeit einer Stiftung & Co. nur dann als Gewerbebetrieb anzusehen, wenn sie tatsächlich die allgemeinen Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 EStG erfüllt. – Eine Stiftung ist, gerade in der Rolle des Komplementärs, in der Lage, nach dem Tod die Ausführung des Stifterwillens zu garantieren, ohne dass etwa eine zeitliche Beschränkung vorliegen würde. – Die Regeln über die Unternehmensmitbestimmung finden auf die unternehmensverbundenen Stiftungen in keinem Fall Anwendung, da die Stiftung nicht zu den enumerativ aufgezählten Rechtsformen der Mitbestimmungsgesetze gehört3. – Die Publizität lässt sich allerdings durch die Konstruktion der Stiftung & Co. nicht vermeiden (§ 264a HGB). Des Weiteren kann die Stiftung auch an einer Kapitalgesellschaft wie z.B. einer GmbH oder AG beteiligt werden. Diese Gesellschaften können ihrerseits Muttergesellschaften weiterer Beteiligungsgesellschaften (Personen- oder Kapitalgesellschaften) sein. Durch die Rechtsform der Stiftung sind dem Konzernaufbau 1 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1669; Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1940 ff. 2 Vgl. Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1940 (1942 ff.). 3 Vgl. §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 MitBestG 1976; § 1 DrittelbG; § 1 Abs. 1 u. 2 MontanMitBestG; § 1 Abs. 1 MitBestErgG; allerdings findet in einem Betrieb eines Unternehmens rechtsformunabhängig die betriebliche Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz statt (§ 1 BetrVG 1972). Stein

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B XII

Rz. 63

Stiftung und Trust

(§§ 18, 19 AktG analog) grundsätzlich keine Grenzen gesetzt1. Vorteilhaft an der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist die bestehende Haftungsbeschränkung für die Stiftung selbst. b) Zweckmäßige Satzungsregelungen 63

Ein Unternehmer als natürliche Person kann flexibel auf Marktveränderungen oder vorher nicht bedachte Konstellationen reagieren. Eine Stiftung ist auf ihren Stiftungszweck festgelegt. Dies kann bei Unternehmen, die in der Rechtsform einer Stiftung betrieben werden, zu Problemen führen. Versuche, durch die Satzung Gremien einzurichten, die den Willen der Stiftung autonom, d.h. losgelöst vom Stiftungszweck, bilden, sind nicht zulässig2. Für die Reaktion auf veränderte Verhältnisse bleibt lediglich eine Zweck- und Satzungsmodifikation, die aber immer die festgeschriebene Absicht des Stifters zu beachten hat und zudem der Zustimmung der Aufsichtsbehörde bedarf. Die gebotene Flexibilität kann nur durch Regelungen in der Satzung erreicht werden, die den Organen einen angemessenen Spielraum einräumen. Auf verständliche Wünsche des Unternehmenseigners, in der Stiftungssatzung den Erhalt und die Führung des Unternehmens unabänderlich festzulegen, sollte in der Beratungspraxis mit Skepsis reagiert werden. Es ist zu bedenken, dass die Satzung und der Stiftungszweck im Kern für die Ewigkeit bestehen bleiben und niemand Veränderungen des Marktes genau voraussehen kann.

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Einfacher stellt sich die Lage bei Beteiligungsträgerstiftungen dar. Auch hier sollte aber darauf geachtet werden, dass eine Umstrukturierung der das Unternehmen tragenden Gesellschaft oder deren Veräußerung durch die Stiftungssatzung nicht behindert wird. Ein marktgerechts Handeln des Stiftungsvorstandes kann auch dazu zwingen, Handlungen vorzunehmen, zu denen sich der Stifter zu Lebzeiten nicht hätte entschließen wollen. Zu diesen Maßnahmen muss gegebenenfalls auch die Trennung von dem Unternehmen oder Unternehmensteilen gehören.

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Insbesondere bei gemeinnützigen Stiftungen muss der denkbare Interessengegensatz zwischen Stiftungsvorstand und Unternehmensmanagement gesehen werden. Der Stiftungsvorstand wird bestrebt sein, einen möglichst hohen Ertrag für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu haben. Das Unternehmensmanagement wiederum hat die Aufgabe, das Unternehmen auf einer gesicherten Kapitalbasis in die Zukunft zu führen. Dieser Zielkonflikt kann insbesondere hinsichtlich des Ausschüttungsverhaltens zu Friktionen führen und muss einer allen Interessen zuträglichen Lösung zugeführt werden. In der Regel empfiehlt es sich trotzdem, die Unternehmensführung von dem Stiftungsvorstand auch personell zu trennen. Dies gilt umso mehr, als die Verwaltung einer gemeinnützigen Stiftung vielfach andere Persönlichkeiten erfordern wird, als dies bei der täglichen Führung eines Unternehmens der Fall ist.

1 Berndt, Stiftung und Unternehmen, Rz. 1858. 2 Vgl. MüKo.BGB/Reuter, § 85 Rz. 3; Staudinger/Rawert, § 85 Rz. 8. 812

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 68

B XII

III. Steuerrechtliche Fragen Beratungssituation: Ihr Mandant ist sich sicher, dass er sein Vermögen auf eine Stiftung übertragen möchte. Er will von Ihnen wissen, ob die Übertragung zu Lebzeiten steuerlich günstiger ist. Ferner möchte er wissen, wie die Erträge der Stiftung steuerlich belastet werden. Er ist gewillt, die steuerlich günstigste Gestaltung zu wählen. Eine umfassende Darstellung der Besteuerung von Stiftungen ist im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich. Daher sollen ohne Anspruch auf Vollständigkeit nur einige wesentliche steuerliche Aspekte im Lebenszyklus einer Stiftung von der Errichtung bis zur Auflösung oder Aufhebung beschrieben werden.

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1. Besteuerung der Stiftungserrichtung a) Einkommensteuer Die einkommensteuerlichen Folgen der Stiftungserrichtung – und späterer Zustiftungen – richten sich danach, welche Vermögensgegenstände auf die Stiftung übertragen werden. Die Stiftungserrichtung ist für den Stifter ertragsteuerfrei, sofern die Stiftung mit Mitteln aus dem Privatvermögen ausgestattet wird. Auch bei der unentgeltlichen Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S.d. § 17 EStG erfolgt keine Besteuerung. Da weder ein Kaufpreis gezahlt noch eine Gegenleistung in Form von Gesellschaftsrechten gewährt wird, fehlt es an einer Veräußerung der wesentlichen Beteiligung. Der Tatbestand des § 17 Abs. 1 S. 2 EStG greift nur bei verdeckten Einlagen in Kapitalgesellschaften. Somit wird kein Gewinnrealisierungstatbestand erfüllt. Das gilt auch für einbringungsgeborene Anteile i.S.d. § 21 UmwStG a.F.1. Auch nach dem SEStEG greifen keine Ersatzrealisationstatbestände i.S.d. § 22 Abs. 1 UmwStG. § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 1 UmwStG betrifft nur die verdeckte Einlage in ein Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft.2 § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 6 UmwStG knüpft nur an die Person des Einbringenden oder der übernehmenden Gesellschaft an. Soweit man bei unentgeltlicher Rechtsnachfolge verlangt, dass der Rechtsnachfolger die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG erfüllt,3 sollte jedenfalls bei einer inländischen Stiftung keine Ersatzrealisation erfolgen, weil das Recht zur Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile unberührt bleibt. Eine Veräußerung innerhalb der Sperrfrist durch die Stiftung wäre dann wohl aber als Ersatzrealisation anzusehen.

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Werden allerdings Einzelgegenstände aus dem Betriebsvermögen unentgeltlich übertragen, so führt dies u.U. zu einem steuerpflichtigen Entnahmegewinn. Nur in den Fällen der Übertragung des Wirtschaftsgutes auf eine steuerbefreite Stiftung kann gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG der Buchwert des entnommenen Wirtschaftsguts fortgeführt und so die Realisierung stiller Reserven vermieden werden4. Durch den Verzicht auf die Besteuerung der in den zugewendeten Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven soll die Bereitschaft zu Sachspenden

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1 Vgl. auch Götz, Inf 1997, 141 (144). 2 Patt in D/P/M, UmwStG, § 22 Rz. 40. 3 Vgl. Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl. 2013, § 22 Rz. 130; Patt in D/P/M, UmwStG, § 22 Rz. 50. 4 Für den Spendenabzug rechnet die Finanzverwaltung (FinMin Sachsen v. 28.8.1992, DStZ 1992, 639) die anfallende USt dem Entnahmewert hinzu. Stein

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Rz. 69

Stiftung und Trust

für gemeinnützige Stiftungen gefördert werden. Die Steuerentlastung durch die Nichtversteuerung der stillen Reserven kann die sich durch den Sonderausgabenabzug ergebende Entlastung bei Ansatz des Teilwerts übersteigen. Das ist im Einzelfall zu prüfen. Das Buchwertprivileg gilt über die Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG auch für Kapitalgesellschaften1. Wenn der Stifter oder nahe Angehörige aber zugleich Gesellschafter der GmbH sind, droht die Einstufung der Spende als verdeckte Gewinnausschüttung2. 69

Werden hingegen ein ganzer Betrieb bzw. Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil unentgeltlich auf eine Stiftung übertragen, so kommt es gem. § 6 Abs. 3 S. 1 EStG zu keiner Aufdeckung stiller Reserven3. Die Unentgeltlichkeit wird nicht dadurch aufgehoben, dass im Falle der Stiftungserrichtung von Todes wegen Erbfallschulden, wie Pflichtteilsauszahlungen oder Vermächtnisse, erfüllt werden müssen4. Soweit ein Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil übertragen wird, ist die Stiftung als Rechtsnachfolgerin gem. § 6 Abs. 3 S. 3 EStG an die Buchwerte gebunden.

69a

Bei Übertragung von Teilmitunternehmeranteilen und der unentgeltlichen Aufnahme in ein Einzelunternehmen nach § 6 Abs. 3 S. 1 2. HS und S. 2 EStG soll die Übertragung nur auf natürliche Personen zulässig sein5. Im Falle des § 6 Abs. 3 S. 1 2. HS EStG ergibt sich die Beschränkung in der Person des Aufnehmenden unmittelbar aus dem Gesetz. Die Beschränkung lässt sich damit rechtfertigen, dass der Gesetzgeber nur die sukzessive Übertragung von Betriebsvermögen im Rahmen der vorweggenommen Erbfolge innerhalb des Leitbildes des Familienunternehmens begünstigen wollte6. Nach Auffassung des BMF ergibt sich aus der Entscheidung des BFH vom 24.8.20007, dass das funktional wesentliche Sonderbetriebsvermögen quotal mitübertragen werden müsse. Daher muss Tz. 1 des BMF-Schreibens vom 3.3.2005 wohl so verstanden werden, dass der Verweis in Abs. 1 eine gesetzliche Ausnahmeregelung für den Fall der unterquotalen Übertragung enthält, die aber erst recht nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EStG eingreift. Damit ist eine steuerneutrale Übertragung von Teilmitunternehmeranteilen auf eine gemeinnützige 1 Vgl. nur R 32 I Nr. 1 KStR. 2 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 83/06, BFH/NV 2008, 988; BFH v. 10.6.2008 – I B 19/08, BFH/NV 2008, 1704; Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl. 2010, § 7 Rz. 24. 3 Das BMF-Schreiben v. 3.3.2005 – IV B 2-S 2241-14/06 (BStBl. 2005 I, 458) ist in diesem Punkt unglücklich formuliert. Nach Tz. 1 können „Übertragender und Aufnehmender natürliche Personen, Mitunternehmerschaften und Kapitalgesellschaften sein. Beispiel 1 in Tz. 2 unterstellt auch die „unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils auf eine steuerbefreite Körperschaft (z.B. Stiftung), zu der keine gesellschaftsrechtlichen Verbindungen bestehen“. Auf die Steuerbefreiung kann es im Rahmen des § 6 Abs. 3 S. 1 EStG nicht ankommen. § 6 Abs. 3 S. 1 EStG. Tz. 1 meint also offensichtlich alle Körperschaften, nicht nur Kapitalgesellschaften (Schmidt/Kulosa, EStG, § 16 Rz. 653). 4 BFH v. 17.10.1991 – IV R 97/89, FamRZ 1992, 1286 = BStBl. 1992 II, 392 (396). 5 Vgl. Tz. 1 a.E. BMF-Schreiben v. 3.3.2005 – IV B 2 - S 2241 - 14/06, BStBl. 2005 I, 458; Schmidt/Kulosa, EStG, § 16 Rz. 653; HHR/Gratz, EStG, § 6 Rz. 1365 m.w.N. 6 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 14/7084 zu Art. 1 Nr. 3 Buchst. a UntStFG, S. 2. 7 Vgl. BFH v. 24.8.2000 – IV R 51/98, DStR 2000, 1768. 814

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 74

B XII

Stiftung nicht möglich, weil die Buchwertverknüpfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG nur für einzelne Wirtschaftsgüter gilt. Eine Ausweichgestaltung wäre z.B. einen Teilmitunternehmeranteil nach § 20 UmwStG steuerneutral in eine Kapitalgesellschaft einzulegen und die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft zu stiften, oder den Teilmitunternehmeranteil nach § 24 UmwStG in eine GmbH & Co. KG einzubringen und den so erhaltenen ganzen Mitunternehmeranteil auf die Stiftung zu übertragen. Die Problematik der sog. Gesamtplanrechtsprechung ist allerdings derzeit noch nicht völlig geklärt und daher zu beachten.1 Auf Ebene der Stiftung selbst löst die Übertragung des Grundstockvermögens keine Körperschaft- oder Gewerbesteuer aus, da die Stiftungserrichtung in die Vermögenssphäre der Stiftung fällt2.

70

Die Rückwirkungsfiktion nach § 84 BGB gilt auch für das Steuerrecht. Die subjektive Körperschaftsteuerpflicht der Stiftung beginnt bei von Todes wegen errichteten Stiftungen ab dem Zeitpunkt des Vermögensanfalls3.

70a

b) Erbschaft- und Schenkungsteuer Die unentgeltliche Übertragung von Vermögenswerten auf eine Stiftung unterliegt grundsätzlich der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG4). Allerdings bestimmt § 13 Nr. 16 lit. b) ErbStG, dass Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen steuerfrei sind.

71

Steuerschuldner ist bei einer Stiftung von Todes wegen die Stiftung allein, bei einer Stiftung unter Lebenden auch der Stifter (§ 20 Abs. 1 ErbStG).

72

Grundsätzlich ist die höchste Steuerklasse III anzuwenden. Jedoch richtet sich bei inländischen Familienstiftungen gem. § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG die Steuerklasse nach dem Verwandtschaftsgrad des nach der Stiftungsurkunde entferntesten Berechtigten im Verhältnis zum Erblasser oder Schenker. Auf die Berechtigung im Zeitpunkt der Errichtung kommt es nicht an. Es genügt, wenn diese später im Laufe der Generationenfolge eintritt. Sie müssen auch nicht über klagbare Ansprüche verfügen, sondern lediglich nach der Satzung Vermögensvorteile aus der Stiftung erlangen können5.

73

Der persönliche Freibetrag nach § 16 ErbStG richtet sich ebenfalls nach den für § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG geltenden Grundsätzen6.

74

Beratungshinweis: Die Bezugsberechtigung sollte nach Möglichkeit auf Angehörige der Steuerklasse I beschränkt werden. Das sind der Ehegatte, die Kinder und Stiefkinder und deren Abkömmlinge sowie die Eltern und Voreltern bei Erwerben von Todes wegen. 1 Vgl. etwa Schmidt/Kulosa, EStG, § 6 Rz 650 f.; Nöcker, DStR 2013, 1530; Kanzler, NWB 2014, 902. 2 Vgl. Berndt, Stiftung und Unternehmen, Rz. 781 m.w.N. 3 BFH v. 17.9.2003 – I R 85/02, DB 2004, 288 (289). 4 Bei Zustiftungen § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. 5 Vgl. R E 15.2 Abs. 1 ErbStR. 6 Vgl. R E 15.2 Abs. 2 ErbStR und H E 15.2 „Freibetrag bei Errichtung einer Familienstiftung“ ErbStH 2011. Stein

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815

B XII

Rz. 75

Stiftung und Trust

75

Das Steuerklassenprivileg des § 19a ErbStG beim Erwerb von Betriebsvermögen steht nur natürlichen Personen, nicht aber Stiftungen zu.

76

Die Steuerbegünstigungen der §§ 13a, 13b ErbStG stehen auch der Stiftung zur Verfügung. Je nachdem, wie hoch der Anteil von Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG ist, kann der Erwerber keine, eine 85-prozentige (§ 13a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 13b Abs. 4 ErbStG) oder eine 100%ige Verschonung (§ 13a Abs. 8 ErbStG) von der Versteuerung erhalten, wenn innerhalb der Behaltensfrist weder die Lohnsumme unter die kritische Größe von 400 % in fünf Jahren bzw. 700 % in sieben Jahren sinkt (§ 13a Abs. 1 S. 2 und Abs. 8 ErbStG) noch ein schädliches Ereignis i.S.d. § 13a Abs. 5 eintritt.1

77

Die Erbschaftsteuer entsteht bei von Todes wegen errichteten Stiftungen mit der staatlichen Anerkennung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 lit. c Alt. 1 ErbStG). Die Rückwirkungsfiktion des § 84 ErbStG gilt nicht. Wertsteigerungen zwischen dem Eintritt des Erbfalls und der Anerkennung unterliegen somit der ErbSt2. Dies gilt auch dann, wenn diese Wertsteigerungen auf Erträgen beruhen, die der Körperschaftsteuer unterlagen3. Im Ergebnis droht eine ungemilderte Doppelbelastung mit ErbSt und KSt.

Beratungshinweis: Grundsätzlich ist bereits deswegen zu empfehlen, die Stiftung unter Lebenden zu errichten. Dabei kann die Stiftung entweder mit vergleichsweise geringem Vermögen ausgestattet werden und das Stiftungsvermögen von Todes wegen aufgestockt werden oder bereits die Spendenabzugshöchstbeträge ausgenutzt werden (Zweitakt-Modell). So lässt sich die Besteuerung des Vermögenszuwachses zwischen Todeszeitpunkt und Anerkennung vermeiden4. Zudem kann der Stifter als Organmitglied das Leben der Stiftung mit gestalten und ggf. durch Zeitablauf Pflichtteilsergänzungsansprüche vermeiden oder verringern. c) Grunderwerbsteuer 78

Der unentgeltliche Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden i.S.d. ErbStG sind nach § 3 Nr. 2 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit.5 Da die Befreiung nur voraussetzt, dass die Übertragung nach dem ErbStG steuerbar ist, kommt es nicht darauf an, ob im Ergebnis eine Belastung mit ErbSt entsteht6. Das ist insbesondere bei gemeinnützigen Stiftungen und wegen Gestaltung der Bemessungsgrundlage steuerfreien Übertragungen von Bedeutung. 1 Die passive Formulierung hat einen bedauerlichen Hintergrund: In vielen Fällen hat der Erwerber selber keinen oder nur einen sehr bedingten Einfluss, ob schädliche Vorgänge sich ereignen oder nicht – etwa weil er nur Minderheitsgesellschafter und/oder ohne Einfluss auf die Geschäftsführung ist. 2 BFH v. 25.10.1995 – II R 20/92, BStBl. 1996 II, 99 (101 f.). 3 Vgl. BFH v. 25.10.1995 – II R 20/92, BStBl. 1996 II, 99 (101 f.); H 24 ErbStH 2003. 4 Vgl. Ebeling, ZEV 1998, 93. 5 Übersicht bei Wachter, DStR 2012, 1900 ff.; zur Anwendung auf §§ 1 Abs. 2a und 3 GrEStG vgl. BFH v. 23.5.2012 – II R 21/10, BStBl. II 2012, 793; s. auch FG Köln v. 25.9.2013 – 5 K 3747/09, EFG 2014, 568, Rev. II R 35/14. 6 Vgl. auch Koordinierter Ländererlass, Finanzbehörde Hamburg v. 28.12.2004 – 53 S-4505-003/03, lexinform 578938. 816

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 85

B XII

d) Umsatzsteuer Sachspenden eines Unternehmers können Eigenverbrauch sein, müssen es aber nicht. Maßgebend ist, ob die Spende vorwiegend durch das Unternehmen oder die unternehmerischen Interessen des Unternehmens veranlasst ist oder nicht. Steht das persönliche Interesse des Spenders im Vordergrund, liegt eine umsatzsteuerpflichtige Wertabgabe aus dem Unternehmen vor1. Zu beachten ist ferner die Umsatzsteuerbarkeit nach § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG.2

79

Die unentgeltliche Übertragung eines Unternehmens auf eine Stiftung stellt regelmäßig eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S.d. § 1 Abs. 1a S. 2 UStG dar. Die Übertragung von Anteilen ist steuerfrei nach § 4 Nr. 8f UStG.

80

2. Die laufende Besteuerung a) Körperschaftsteuer Stiftungen mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht nach dem sog. Welteinkommensprinzip. Grundsätzlich können Stiftungen nach § 8 Abs. 2 KStG Einkünfte aus allen sieben Einkunftsarten erzielen – allerdings wegen der fehlenden persönlichen Voraussetzungen mit Ausnahme von Einkünften aus selbständiger Arbeit und nicht selbständiger Tätigkeit.

81

Satzungsgemäße Zuwendungen der Stiftung an begünstigte Personen sind mit dem Körperschaftsteuersatz (derzeit 15 %) vorbelastet. Die Körperschaftsteuer ist gem. § 10 Nr. 1 KStG nicht als Betriebsausgabe abziehbar. Hinzu kommt die Vorbelastung mit dem Solidaritätszuschlag von derzeit 5,5 %.

82

§ 8b KStG gilt auch für Stiftungen, weil keine Beschränkung auf bestimmte Körperschaften besteht. Dividenden (wenn eine Mindestbeteiligung von 10 % i.S.d. § 8b Abs. 4 KStG nF („Schachtelprivileg“) vorliegt) und Veräußerungsgewinne aus der Beteiligung an Kapitalgesellschaften bleiben daher steuerfrei. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass 5 % der Dividenden und Veräußerungsgewinne etc. nach § 8b Abs. 3 und 5 KStG als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben gelten. Die KESt wird bei der Veranlagung angerechnet (§ 36 Abs. 2 EStG i.V.m. § 31 KStG).

83

Umstritten ist, ob Zustiftungen körperschaftsteuerpflichtige Einkünfte i.S.d. § 8 Abs. 2 KStG darstellen oder ob es sich um Einlagen handelt, die sich auf der Vermögensebene abspielen3.

84

b) Gewerbesteuer Die Stiftung ist nur dann gewerbesteuerpflichtig, wenn sie auch einen Gewerbebetrieb unterhält, da sie nicht in den Kreis der Gewerbebetriebe kraft Rechtsform des § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG fällt4. 1 2 3 4

Vgl. Bunjes/Geist/Zeuner, UStG, 7. Aufl., § 1 Anm. 41. Vgl. Jachmann/Thiesen, DStZ 2002, 355. Vgl. Berndt, Stiftung und Unternehmen, Rz. 960. Vgl. Hennerkes/Schiffer, BB 1992, 1940 ff. Stein

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85

B XII

Rz. 86

Stiftung und Trust

c) Schenkungsteuer 86

Satzungsmäßige Zuwendungen unterliegen nicht der Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, weil sie aufgrund einer Rechtspflicht und damit nicht freigebig erfolgen. Zuwendungen aufgrund einer Auflage des Stifters sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG steuerpflichtig. Im Folgenden wird auf einige Besonderheiten der einzelnen Stiftungsarten hingewiesen. d) Gemeinnützige Stiftungen aa) Anforderungen

87

Wie erwähnt, müssen gemeinnützige Stiftungen den Anforderungen der §§ 51 ff. AO genügen. Dazu müssen Stiftungen ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen. In den Vorschriften der §§ 52–54 AO wird eine Reihe von anerkennungsfähigen steuerbegünstigten Zwecken genannt, die nur beispielhaft und nicht abschließend zu verstehen sind. Die steuerbefreite Stiftung hat nach Satzung und tatsächlicher Handhabung eine Reihe besonderer Beschränkungen zu beachten. Auf einige Gesichtspunkte von besonderem praktischem Interesse sei kurz hingewiesen.

88

Insbesondere gilt das Gebot, die Erträge zeitnah steuerbegünstigt zu verwenden. Die Thesaurierung von Erträgen ist in begrenztem Umfang gem. § 58 Nr. 3 AO möglich. So darf ein Drittel der Überschüsse aus Vermögensverwaltung in eine freie Rücklage eingestellt werden. Gleiches gilt für weitere 15 % ihrer sonstigen nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO zeitnah zu verwendenden Mittel. Trotz der durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz1 erweiterten Erleichterungen kann das Stiftungsvermögen durch Bildung von Rücklagen nur eingeschränkt aufgestockt werden. Die Finanzierungsverantwortung des Stifters ist entsprechend groß. Die Verwendung zeitnah zu verwendender Mittel für Tochtergesellschaften, die nicht steuerbegünstigt sind, ist schädlich2. Ebenso kritisch ist die Verwendung von Erträgen, um Verluste am Vermögensstamm wieder auszugleichen.

89

Das Stiftungsvermögen darf gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO auch bei Auflösung oder Aufhebung der Stiftung nur für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden. Wird von dem Gebot der Vermögensbindung in der Satzung oder tatsächlich abgewichen oder verstößt die Stiftung gegen die sonstigen Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts, so verliert die Stiftung rückwirkend alle Steuerbegünstigungen der letzten zehn Jahre (§§ 61, 63 AO). Die Vfg. der OFD Magdeburg v. 18.5.2004 stellt klar, dass es zulässig ist, das Stiftungskapital und Zustiftungen bei der Hingabe von der gemeinnützigkeitsrechtlichen Vermögensbindung auszunehmen – allerdings ist dann bei der Hingabe kein Spendenabzug möglich3.

1 BGBl. 2013 I, 556. 2 Vgl. zur ordnungsmäßigen Mittelverwendung etwa OFD Frankfurt, Vfg. v. 9.9.2003 – S 0174 A-16 St II 1.03, DStR 2003, 2071, wobei nach Auffassung der Finanzverwaltung keine zeitnah zu verwendenden Mittel eingesetzt werden dürfen (OFD Rheinland v. 20.9.2012, DStR 2013, 44), vgl. auch Volland, ZEV 2013, 320. 3 OFD Magdeburg, Vfg. v. 18.5.2004 – S 1900-22-St 217, S 0171-155-St 217, KStK § 5 KStG Karte 8.70 Blatt 1. 818

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 93

B XII

bb) Steuerbegünstigungen Folgende wichtige Steuerbegünstigungen werden einer gemeinnützigen Stiftung gewährt:

90

– Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 13 Nr. 16 lit. b) ErbStG), – Buchwertfortführung bei Entnahmen aus einem Betriebsvermögen zur Einbringung in eine gemeinnützige Stiftung (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 EStG), – umfassende Befreiung von der Kapitalertragsteuer (§§ 44a Abs. 4 i.V.m. § 44c Abs. 1 EStG), – Befreiung von der Körperschaftsteuer (§ 5 Nr. 9 KStG), – Befreiung von der Gewerbesteuer (§ 3 Nr. 6 GewStG), – Befreiung von der Grundsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) GrStG). Die Steuerbefreiung nach § 13 Nr. 16 lit. b ErbStG soll laut Erlass des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen v. 12.11.20031 nicht zur Anwendung kommen, wenn die gemeinnützige Stiftung nur als Vorerbin eingesetzt wird, Nacherben die Abkömmlinge des Erblassers oder Dritte sind und der Nacherbfall durch Umstände in Person des Nacherben herbeigeführt wird. Es fehle an der dauerhaften Bindung des Vermögens i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO2.

91

Aus steuerrechtlicher Sicht hat eine gemeinnützige Stiftung vier Sphären:

92

– ideeller Bereich, – Vermögensverwaltung, – Zweckbetrieb und – wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb. Im ideellen Bereich verwirklicht die Stiftung ihre Satzungszwecke, ohne Leistungen gegen Entgelt zu erbringen. Dieser Bereich rechtfertigt die Steuerbegünstigung der Einnahmen aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Zuschüssen. Solange die Stiftung lediglich ihr Vermögen verwaltet und die Früchte aus dem Vermögen zieht (§ 14 S. 3 AO), ist dies ertragsteuerlich ebenfalls nicht relevant3. Einer steuerbefreiten Stiftung ist es aber auch nicht verwehrt, neben der Vermögensverwaltung wirtschaftlich tätig zu werden, also einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu unterhalten. Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb führt lediglich zur partiellen Steuerpflicht (§ 3 Nr. 6 S. 2 GewStG, § 5 Nr. 9 S. 2 KStG), soweit kein sog.

1 DStZ 2004, 133. 2 In diese Richtung scheint auch das BFH Urt. v. 16.1.2002 – II R 82/99, BStBl. 2002 II, 303 zu weisen, das zumindest eine dauerhafte Möglichkeit der Fruchtziehung verlangt. Kritisch aber Söffing/Thoma, BB 2004, 855. 3 Für die Zwecke der USt ist zu prüfen, ob eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt und die Fruchtziehung ggf. steuerbefreit ist, wie etwa im Falle der Grundstücksvermietung nach § 4 Nr. 12 UStG. Bei Zinseinnahmen dürfte regelmäßig keine nachhaltige gewerbliche oder berufliche Tätigkeit vorliegen (vgl. etwa BFH v. 15.1.1987 – V R 3/77, BStBl. 1987 II, 512). Stein

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819

93

B XII

Rz. 94

Stiftung und Trust

Zweckbetrieb vorliegt (§§ 65–68 AO).1 Lediglich Einnahmen aus vermögensverwaltender Tätigkeit und aus Zweckbetrieben bleiben im Ergebnis steuerfrei. 94

Die Beteiligung der Stiftung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft als Mitunternehmer stellt in jedem Fall einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb dar2. Lediglich bei bei der Beteiligug an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft gilt dies nicht3. Sollen also Beteiligungen an Mitunternehmerschaften auf eine gemeinnützige Stiftung übertragen werden, empfiehlt es sich, die Personengesellschaften zunächst in Kapitalgesellschaften umzuwandeln oder eine Kapitalgesellschaft zwischenzuschalten. Das ist ohne Aufdeckung stiller Reserven im Rahmen der §§ 20, 25 UmwStG möglich. Zwar ist die Steuerbelastung ab dem Inkrafttreten der Definitivbesteuerung durch das Steuersenkungsgesetz auf Ebene einer Tochterkapitalgesellschaft oder im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs identisch, es besteht aber die Gefahr, dass der Umfang des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs die Gemeinnützigkeit insgesamt gefährdet, weil die wirtschaftliche Tätigkeit bei einer Gesamtbetrachtung nicht der Stiftung das Gepräge geben darf4. Die Praxis der Finanzverwaltung ist teilweise sehr restriktiv.

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Die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft überschreitet grundsätzlich nicht den Rahmen der Vermögensverwaltung5. Letzteres gilt nicht, wenn die Stiftung tatsächlich entscheidenden Einfluss auf die laufende Geschäftsführung ausübt, was insbesondere bei einer Personalunion der Geschäftsführung von Stiftung und Gesellschaft anzunehmen ist6. Die Stiftung sollte daher nicht zu starken (über gewöhnliche Gesellschafterrechte hinausgehenden) Einfluss auf die laufende Geschäftsführung nehmen können. Für die kautelarjuristische Praxis empfahl es sich bisher, laufende Entscheidungen nicht auf die Ebene der Gesellschafterversammlung zu verlagern. Nach Inkrafttreten des StSenkG dürfte im Ergebnis keine unterschiedliche Steuerbelastung entstehen, weil Dividenden und Veräußerungsgewinne nach § 8b KStG steuerbefreit sind, so dass eine KStSchuld aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb „Beteiligung“ wegen Anrechnung der KapESt nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG oder Erstattung der KapESt nach §§ 44b, 44a EStG kaum entsteht. Es bleibt aber auch hier die Problematik, ob nicht die Gemeinnützigkeit insgesamt durch den Umfang des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gefährdet ist. Die Qualifikation als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb findet nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht statt, wenn die Kapitalgesellschaft ihrerseits ausschließlich Vermögensverwaltung betreibt7.

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Die Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen an eine Tochterkapitalgesellschaft führt nach den Grundsätzen der Betriebsaufspaltung zu einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, es sei denn, das Betriebsunternehmen ist selbst ver1 Gestaltungstipps zur Vermeidung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs bei Söffing/Thoma, ErbStB 2005, 315. 2 BFH v. 27.7.1988 – I R 113/84, BStBl. 1989 II, 134 f. 3 BFH v. 25.5.2011 – I R 60/10, BStBl. II 2011, 858, dazu etwa Weisheit, DB 2012, 142. 4 Vgl. etwa Troll/Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger Vereine und Stiftungen, E 2; OFD Kiel Vfg. v. 25.8.2003 – S 0174 A-St 262, n.v.; krit. Walkenhorst, DStR 2009, 717 (721). 5 Vgl. etwa Lex, DB 1997, 349 ff. 6 Vgl. BFH v. 30.6.1971 – I R 57/70, BStBl. 1971 II, 753. 7 AEAO zu § 64 Abs. 1 Nr. 3 S. 2. 820

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 101

B XII

mögensverwaltend oder gemeinnützig tätig. Nach h.M. bleibt die Gemeinnützigkeit im Übrigen unberührt1. Sofern die Stiftung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält, unterliegt dieser einer Belastung in Höhe von 15 % Körperschaftsteuer nebst 5,5 % Solidaritätszuschlag. Wenn sich die Stiftung an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, sind die Gewinnausschüttungen ebenfalls mit 15 % Körperschaftsteuer nebst 5,5 % Solidaritätszuschlag vorbelastet. Die Kapitalertragsteuer wird der steuerbefreiten Körperschaft nach § 44c Absatz 2 EStG erstattet. Weiterhin ist unabhängig davon die Belastung mit Gewerbesteuer zu berücksichtigen, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs vorliegen.

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Das Gebot der satzungsmäßigen Mittelverwendung nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO bezieht sich auf sämtliche aus Mitteln der Körperschaft aufzubringende Vergütungen, so dass auch unangemessene Vergütungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gezahlt werden, zur Versagung der Gemeinnützigkeit führen können2.

98

cc) Spenden an die gemeinnützige Stiftung Zuwendungen an eine gemeinnützige Stiftung können im Rahmen des § 10b Abs. 1 EStG grundsätzlich als Spende in Form von abzugsfähigen Sonderausgaben einkommensteuerrechtlich berücksichtigt werden bis zu einer Höhe von insgesamt

99

– 20 % des Gesamtbetrags der Einkünfte bzw. – 4 % – der Summe der gesamten Umsätze und der im Kalenderjahr aufgewendeten Löhne und Gehälter. Der Spendenabzug setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass die Verwendung zu gemeinnützigen Zwecken auf Dauer sichergestellt ist und kein Rückfluss an den Stifter in der Satzung vorgesehen ist3.

100

Spenden in den Vermögensstock einer gemeinnützigen Stiftung können auf Antrag des Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum der Zuwendung und in den folgenden neun Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag von 1 Mio. Euro abgezogen werden.4 Diese Abzugsmöglichkeit ist zusätzlich zu dem oben genannten Spendenabzug möglich. Es kommt nicht darauf an, ob die Spende bei der Gründung oder später (sog. Zustiftung) erfolgt. Im Rahmen der Zusammenveranlagung von Ehegatten verdoppelt sich der Gesamtbetrag pauschal auf 2 Mio. Euro. Der Betrag kann nur alle zehn Jahre einmal ausgeschöpft werden. Das gilt entsprechend für die Gewerbesteuer (§ 9 Nr. 5 GewStG), nicht aber für die Körperschaftsteuer (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG enthält keine entsprechende Regelung). Ob ein sachlicher Grund besteht, diese Privilegierung anderen steuerbefreiten Körperschaften als Spendenempfängern vorzuenthalten, ist umstritten5.

101

1 2 3 4 5

Lex, DB 1997, 349 (351 f.); Schick, DB 1999, 1187 (1190); Götz, INF 2004, 628 (632). BFH v. 28.10.2004 – I B 95/04, BFH/NV 2005, 160. BFH v. 5.2.1992 – I R 63/91, BStBl. 1992 II, 748. § 10b Abs. 1a S. 1 EStG. Verfassungsmäßigkeit bejahend Crezelius/Rawert, ZEV 2000, 421 (424), krit. Thiel, DB 2000, 392 (395). Stein

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821

B XII

Rz. 102

Stiftung und Trust

102

Durch wiederholte Zuwendungen des Stifters kann dieser, ggf. im Wege des Spendenvor- oder -rücktrags, den Spendenabzugsrahmen in jedem Jahr ausschöpfen und dadurch eine erhebliche Senkung der Steuerbelastung herbeiführen. Bei einem Übergang des Vermögens von Todes wegen ist dagegen kein Spendenabzug möglich1.

103

Übersicht: Spendenabzug bei Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen des Privatrechts Norm

„Anlass“

Zeitrahmen Besondere Voraussetzung

Höhe

1. § 10b Abs. 1 allg. Spendenabzug S. 1 EStG, § 9 Nr. 5 S. 1 GewStG § 9 Nr. 5 S. 1 GewStG

jährlich

a) 20 % des GdE oder b) 0,4 % (Umsätze + Löhne + Gehälter)

2. § 10b Abs. 1a Stiftung EStG, § 9 Nr. 5 S. 3 GewStG

alle 10 Jahre Zuwendung 1 000 000 Euro Zusätzlich, in den VerVerdoppemögenslung bei stock Ehegatten bei Zusammenveranlagung

keine

Anmerkung

e) Familienstiftung2 104

§ 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG begünstigt nur die Zuwendungen, die einer Stiftung unmittelbar bei ihrer Errichtung gemacht werden. Für spätere Zuwendungen, also die sog. Zustiftungen, greift stets die Steuerklasse III, auch wenn sie vom Stifter selbst stammen3. Nach h.M. soll § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG auch eingreifen, wenn der Stifter sich im Stiftungsgeschäft bereits zu feststehenden späteren Zuwendungen verpflichtet4.

Beratungshinweis: In der Stiftungssatzung sollten ggf. bereits bei Errichtung der Stiftung weitere Zustiftungen durch den Stifter verbindlich festgelegt werden, um auch insoweit in den Genuss der günstigeren Steuerklasse des § 15 Abs. 1 ErbStG zu gelangen. 105

Bei Familienstiftungen sind die Zuwendungen an die Destinatäre nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu versteuern, jedenfalls wenn die Leistungsempfänger unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können5. 1 BFH v. 23.10.1996 – X R 75/94, BStBl. 1997 II, 239 f. 2 Hierzu: Korezkij, ZEV 1999, 132 ff. 3 BFH v. 9.12.2009 – II R 22/08, BStBl. II 2010, 363 = FamRZ 2010, 644; RE 15.2 Abs. 3 ErbStR 2011 Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 15 Anm. 21. 4 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 15 Rz. 112. 5 Vgl. BFH v. 3.11.2010 – I R 98/09, BStBl. II 2011, 417; BMF-Schreiben v. 27.6.2006, BStBl. I 2006, 417. 822

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Stiftung und Trust

Rz. 110

B XII

Alle 30 Jahre seit dem Zeitpunkt der Stiftungserrichtung wird durch § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ein Erbfall fingiert. Die Familienstiftung wird im Rahmen der Erbersatzsteuer so besteuert, als ob eine natürliche Erbfolge auf zwei Kinder (über 27 Jahren) erfolgt wäre. Die Steuerpflicht erstreckt sich auf das gesamte zum Stichtag vorhandene Vermögen. Die Steuer wird unabhängig vom Kreis der Berechtigten nach dem Steuersatz der Klasse I, der für die Hälfte des steuerpflichtigen Vermögens gelten würde, berechnet (§ 15 Abs. 2 S. 3 ErbStG). Die Steuerschuld kann entweder gem. § 24 ErbStG auf 30 Jahre in Raten verteilt oder, soweit es sich um Betriebsvermögen handelt, gem. § 28 Abs. 2 ErbStG bis zu zehn Jahre gestundet werden1.

106

Die Erbersatzsteuer ist auf den ersten Blick ein gravierender Nachteil der Familienstiftung. Sie ist allerdings im Einzelfall günstiger als die Besteuerung des Vermögensüberganges von Todes wegen, z.B. wenn weniger als zwei Kinder als Erben in Betracht kommen, oder die Altersstruktur eine schnellere Erbfolge als den gesetzlichen Turnus von dreißig Jahren wahrscheinlich macht. Nicht zuletzt hat sie den Vorteil, dass die Steuerbelastung planbar ist2.

107

f) Doppelstiftung Jede der Stiftungen unterliegt ihren eigenen steuerlichen Regelungen für gemeinnützige Stiftungen bzw. Familienstiftungen. Die gemeinnützige Stiftung ist körperschaftsteuerfrei (§ 5 Nr. 9 KStG), die Familienstiftung ist steuerpflichtig, bezieht aber regelmäßig nur steuerfreie Dividenden (§ 8b KStG). Hingegen sind aber die Zuwendungen aus der Familienstiftung bei den Destinatären zur Hälfte steuerpflichtig, während sie bei Zahlung durch eine gemeinnützige Familienstiftung voll steuerpflichtig wären (§ 22 Nr. 1 S. 2 lit. a) i.V.m. § 3 Nr. 40 lit. i EStG).

108

3. Besteuerung der Stiftungsaufhebung Bei der Aufhebung der gemeinnützigen Stiftung muss das Vermögen grundsätzlich für gemeinnützige Zwecke verwendet werden, um nicht die Folgen des § 61 Abs. 3 AO herbeizuführen. Dieser Grundsatz der Vermögensbindung gilt allerdings nur für das Vermögen, das das Dotationskapital einschließlich der geleisteten Sacheinlagen übersteigt (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 AO). Es ist also auch bei gemeinnützigen Stiftungen eine Bestimmung möglich, nach der die Einlagen an den Stifter bzw. dessen Erben zurückzugeben sind. Allerdings scheidet bei einer solchen Satzungsbestimmung die Geltendmachung der Einlage als Spende i.S.d. § 10b EStG aus3.

109

Da § 11 Abs. 1 KStG nur für Kapitalgesellschaften gilt, sind für die Stiftung über die Generalverweisung des § 8 KStG die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes einschlägig. Die Folge ist, dass bei steuerpflichtigen Stiftungen mit Be-

110

1 Vgl. hierzu Korezkij, ZEV 1999, 132 (135); zur Anzeigepflicht des Vorstandes vgl. Ebeling, DStR 1999, 665 f. 2 Dem Risiko unvorhergesehener Liquiditätsabflüsse durch ErbSt kann außerhalb von Stiftungsmodellen natürlich auch durch Versicherungsgestaltungen oder den Aufbau von Liquiditätsreserven vorgebeugt werden. 3 AEAO Tz. 14 zu § 55. Stein

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823

B XII

Rz. 111

Stiftung und Trust

triebsvermögen die stillen Reserven zu versteuern sind. Allerdings ist ein Aufgabegewinn gewerbesteuerfrei1. 111

Erwerbe anlässlich der Aufhebung einer Stiftung gelten gem. § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG als Schenkung unter Lebenden. Für die Bestimmung der Steuerklasse und des persönlichen Freibetrages gilt – unabhängig vom Sitzort, also auch bei ausländischen Stiftungen – als Schenker der Stifter (§ 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG). Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll die Änderung des Stiftungszwecks einer Familienstiftung (die Richtlinie2 spricht etwas schwammig von Stiftungscharakter) eine Aufhebung der bestehenden Stiftung und Errichtung einer neuen Stiftung anzusehen sein. Das ist aber mangels Vermögenstransfers nicht aufrechtzuerhalten3.

112

Übersicht: Unterschiede in der steuerlichen Behandlung von steuerbegünstigter Stiftung und Familienstiftung Steuerbegünstigte Stiftung

Familienstiftung

Errichtung

erbschaft- und schenkungsteuerbefreit

Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer (Steuerklasse abhängig vom Verwandschaftsverhältnis des zum Stifter entferntest Begünstigten)

Spendenabzug für das Stiftungskapital

Im Rahmen des § 10b EStG (s.o.), soweit satzungsgemäß keine Rückgewähr an den Stifter möglich ist

nein

Laufende KSt- und GewSt-Belastung der Stiftung

– Einkunftsarten wie bei – Steuerfreiheit mit Ausnatürlichen Personen nahme der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe, – GewSt bei gewerblichen die keine Zweckbetriebe Einkünften sind – Zahlungen an Destinatäre – Freibetrag nach § 24 KStG nicht abzugsfähig und § 11 Abs. 1 Nr. 2 GewStG: 5 000 Euro

Zahlungen an Destinatäre

Drittelgrenze des § 58 Nr. 6 AO beachten

aus den Erträgen uneingeschränkt möglich

Erbersatzsteuer

Nein

Ja, alle 30 Jahre wird Vermögensübergang auf 2 Kinder fingiert (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 15 Abs. 2 S. 3 ErbStG)

1 Vgl. H 7.1 Abs. 2 „Veräußerungs- und Aufgabegewinn“ GewStR. 2 R E2 Abs. 4 ErbStR 2011. 3 Vgl. auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG § 7 Rz. 338; Kapp/Ebeling, ErbStG, § 7 Rz. 155; Schuck in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, ErbStG, 3. Aufl., § 7 Rz. 156; hingegen sieht Königer, ZEV 2013, 433 (435 ff.) diese Satzungsänderung als Gestaltungsinstrument für die Anwendung der §§ 13a, 13 ErbStG bei bestehenden Familienstiftungen. 824

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 112 Steuerbegünstigte Stiftung

B XII

Familienstiftung

Beteiligung an Kapitalgesellschaften

– Im Bereich der Vermösteuerfrei im Rahmen des gensverwaltung steuerfrei § 8b KStG, Anrechnung der KESt (Erstattung der KESt) – Im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb steuerfrei im Rahmen des § 8b KStG, Anrechnung der KESt

Beteiligungen an Mitunternehmerschaften

Steuerpflichtig – Steuerpflichtig (begründen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb), Ausnahme gewerblich geprägte Personengesellschaften – Problem: Infizierung des ideellen Bereichs

IV. Ausländische Stiftungen und verwandte Rechtsinstitute Beratungssituation: Ihr Mandant betritt verunsichert Ihre Kanzlei. Er berichtet von einem Golffreund, der seit Jahren keine Steuern mehr in Deutschland zahle. Er habe das Vermögen auf Stiftungen und Trusts in verschiedenen Steueroasen übertragen. Wie das steuerlich funktioniere, könne er allerdings nicht erklären. Darum würden sich seine Berater kümmern. Ihr Mandant fragt, ob und wie eine solche Gestaltung auch für ihn möglich sei. Pro Ausländische Stiftung

Kontra Ausländische Stiftung

– Diskrete Vermögensverwaltung möglich – Teilweise sehr flexibles Stiftungsrecht

– Steuerersparnis nur in wenigen Fällen erzielbar – mögliche steuerliche Nachteile bei Übertragung von Betriebsvermögen und wesentlichen Beteiligungen (Entstrickungsbesteuerung) – Kosten der Stiftungserrichtung und -verwaltung – Effektive Kontrolle fremder Vermögensverwalter nach dem Recht des Sitzstaates teilweise schwierig – Rückführung des Vermögens zum Stifter oder seinen Angehörigen nach dem Recht des Sitzstaates teilweise schwierig – Ungünstige erbschaftsteuerliche Behandlung: a) Errichtung und spätere Übertragung von Vermögen steuerpflichtig in StKl. III (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 1 ErbStG; Steuerklassenprivileg des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG gilt nur für inländische Stiftungen!) Stein

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B XII

Rz. 113

Pro Ausländische Stiftung

Stiftung und Trust Kontra Ausländische Stiftung b) Aufhebung steuerpflichtig, wobei die StKl. vom Verwandtschaftsgrad zum Errichter abhängt (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 1 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG)

113

Deutschland wird von wohlhabenden Personen regelmäßig als Hochsteuerland empfunden. Das wirft die Frage auf, ob und in welchem Umfang durch Gewinnund Vermögensverlagerungen in Niedrigsteuerländer die deutsche Steuerlast gemindert werden kann1. Ein komplette Abhandlung dieses Themas ist aus Platzgründen nicht möglich. 1. Deutsches Ertragsteuerrecht

114

Ausländische Privatstiftungen üben als Instrument der Vermögensnachfolge einen außerordentlichen Reiz aus. In der Beratungspraxis kommt die Errichtung einer ausländischen Privatstiftung trotz zivilrechtlicher Vorteile in dieser Gestaltung nur dann in Betracht, wenn eine Vermögensübertragung durch einen deutschen Stifter ohne steuerliche Nachteile möglich ist. a) Anteile an Kapitalgesellschaften

115

Bei – wesentlichen – Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG führt die Einbringung in eine ausländische Privatstiftung als einer nicht in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Person zur Entstrickungsversteuerung nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG2. Die Steuerstundung nach § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 AStG setzt nach dem Wortlaut voraus, dass der Rechtsnachfolger der Einkommensteuer unterliegt. Die Übertragung auf eine Körperschaft ist nicht erfasst. Diese Gesetzeslücke sollte im Wege der Analogie geschlossen werden3. b) Betriebsvermögen/Mitunternehmeranteile

116

Bei einer Einbringung in eine ausländische Stiftung ist eine Gewährung von Gesellschaftsrechten aus zivilrechtlichen Gründen nicht denkbar. §§ 20 ff. UmwStG sind daher grundsätzlich nicht anwendbar. Nach dem BFH-Urteil v. 17.7.20084 sollte auch bei der Übertragung auf eine ausländische Stiftung § 6 Abs. 3 EStG anwendbar sein. Soweit es nicht zu einer Steuerentstrickung nach § 4 Abs. 1 S. 3 EStG kommt, würden stille Reserven also in den Grenzen des § 6 Abs. 3 EStG nicht aufgedeckt.

1 Angemerkt sei, dass die Errichtung einer ausländischen Stiftung nur zum Zwecke der Steuerhinterziehung nach Auffassung des OLG Düsseldorf v. 30.4.2010 – I 22 U 126/06, ZEV 2010, 528 dem Ordre Public widerspricht; dazu etwa Lennert/Blum, IStR 2011, 492. 2 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStG, § 6 Rz. 62 ff. 3 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStG, § 6 Rz. 221; a.A. wohl Ludwig/Jorde, IStR 2009, 19 (23), die eine Nachversteuerung annehmen. 4 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BFH/NV 2008, 1941. 826

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 120

B XII

c) Zurechnung von Einkünften Ausländische Stiftungen verhindern die Zurechnung von Einkünften zum Errichter nicht in allen Fällen. Nach § 15 Abs. 1 AStG werden dem Stifter, wenn er unbeschränkt steuerpflichtig ist, sonst den unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, die bezugs- oder anfallsberechtigt sind, Vermögen und Einkünfte einer Familienstiftung entsprechend ihrem Anteil zugerechnet1. Familienstiftungen sind nach der Legaldefinition des § 15 Abs. 2 AStG Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind. In diesen Fällen werden die auf die Stiftung verlagerten Erträge doch auf deutschem Steuerniveau versteuert, wobei die ausländischen Steuern nach § 12 AStG anrechenbar sind.

117

Der Gesetzgeber hat mit dem JStG 2009 auf die europarechtlichen Bedenken gegen § 15 AStG2 reagiert und mit § 15 Abs. 6 AStG eine Rückausnahme vorgesehen, wenn eine Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat und nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der Stifter bzw. Begünstigten rechtlich und tatsächlich entzogen ist und zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat, in dem die Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz hat, auf Grund Amtshilferichtlinie oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen3. Auch die Neuregelung begegnet europarechtlichen Bedenken4, soweit eine effektive Amtshilfe gewährleistet ist5.

118

Wird aus der ausländischen Stiftung ausgeschüttet, unterliegt die Ausschüttung bei den Destinatären der Besteuerung, soweit nicht bereits die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 1 gegriffen hat (§ 15 Abs. 11 AStG). Auf diese Einkünfte sollte das Teileinkünfteverfahren anwendbar sein6.

119

2. Erbschaft- und Schenkungsteuer Ausländische Sachverhalte werden im Ergebnis unter die wirtschaftlich vergleichbaren Tatbestände des ErbStG subsumiert. Von der Rechtsprechung wird ein zweistufiger Typenvergleich vorgenommen. Zunächst sind die Privatrechtsinstitutionen zu vergleichen. Entspricht die ausländische Regelung der deutschen strukturell, sind unmittelbar die entsprechenden Tatbestände des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts anwendbar. Entsprechen die ausländischen Rechtsgebilde nicht den deutschen, ist eine Anpassung der Rechtsposition des 1 Eine Zurechnung nach § 15 AStG scheidet allerdings aus, wenn die Einkünfte dem Stifter unmittelbar zuzurechnen sind, vgl. BFH v. 22.10.2010 – I R 86/09, BStBl. 2014, 361. 2 Vgl. Mitteilung der Kommission, IStR Länderbericht v. 5.8.2004, Heft 15/2004, 1; Kellersmann/Schnitger, IStR 2005, 253 (259 ff.). Rundshagen in Strunk/Kaminski/ Köhler, § 15 AStG Rz. 30; Wassermeyer/Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStG, § 15 Rz. 19.2 ff. 3 Dazu Schulz/Werz, ErbStB 2008, 177 (180 ff.). 4 Vgl. Hey, IStR 2009, 181 (182 ff.). 5 Vgl. BFH v. 22.10.2010 – I R 84/09, BStBl. I 2014, 361. 6 Schulz/Werz, ErbStB 2008, 177 (180). Stein

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827

120

B XII

Rz. 121

Stiftung und Trust

potenziell Steuerpflichtigen an das deutsche Recht erforderlich1. Die Errichtung einer ausländischen Stiftung durch Stifter mit Wohnsitz im Inland oder nach einem Wegzug innerhalb der ersten fünf Jahre unterliegt daher der Erbschaft- und Schenkungsteuer nach § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG2. 121

Auf den Erwerb der Stiftung ist stets Steuerklasse III anzuwenden, weil die Privilegierung des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG lediglich auf Stiftungen mit Sitz im Inland anwendbar ist3. Als Kehrseite des Auslandssitzes entfällt nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG die Erbersatzsteuer des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, wenn sich nicht die Geschäftsleitung der Stiftung im Inland befindet. 3. Fazit

122

Die Errichtung einer ausländischen Familienstiftung ist regelmäßig nur sinnvoll, wenn ein Inlandsbezug vermieden werden kann. Hierzu ist regelmäßig eine langfristige Planung erforderlich (Wohnsitzverlegung, Ablauf der erweitert unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 S. 2 lit. b ErbStG, Verzicht auf die Einbringung von steuerverhaftetem Inlandsvermögen). Im Einzelfall mag bei bestehendem Inlandsbezug bereits die Vermeidung der Erbersatzsteuer ausreichen, um eine ausländische Stiftung attraktiv werden zu lassen. 4. Der Trust Pro Trust

Kontra Trust

– Bewährtes Instrument zur Vermeidung der Nachlassverwaltung im angelsächsischen Rechtskreis (probate) – Instrument zur Abschirmung des Vermögens vor Haftungsrisiken im angelsächsischen Rechtskreis (asset protection trust)

– Kosten der Errichtung und Verwaltung – Errichtung nur im Common Law Rechtskreis oder in nachahmenden Jurisdiktionen möglich – Inlandsvermögen kann nicht mit dinglicher Wirkung auf einen Trust übertragen werden (Sekundärstruktur erforderlich) – Erhebliche einkommensteuerliche Nachteile bei Übertragung von Betriebsvermögen und wesentlichen Beteiligungen möglich (Entstrickungsund Wegzugsbesteuerung) – Zurechnung der laufenden Einkünfte des Trusts nach § 15 AStG zum Errichter oder den Begünstigten (keine Abschirmwirkung!)

1 BFH v. 12.5.1970 – II 52/64, BStBl. 1972 II, 462 (463); 1986, 615 (617); Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 2 Rz. 4. 2 Vgl. Wachter, DStR 2000, 1037 (1042). Die Ausnahme einer fehlenden Verfügungsbefugnis der Stiftung (BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, FamRZ 2007, 1980 = BStBl. II 2007, 669) dürfte in der Regel nicht vorliegen. 3 Thömmes/Stockmann, IStR 1999, 261 ff. gelangen mit gewichtigen Argumenten zu dem Ergebnis, dass § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG gegen die Diskriminierungsverbote des EGV verstößt; zustimmend Kellersmann/Schnitger, IStR 2005, 253 (255 ff.). 828

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Stein

Stiftung und Trust Pro Trust

Rz. 123

B XII

Kontra Trust – Ungünstige erbschaftsteuerliche Behandlung: a) Errichtung und spätere Übertragung von Vermögen steuerpflichtig in StKl. III1 S. b) Auflösung, wobei die StKl. vom Verwandtschaftsgrad zum Errichter abhängt2 c) sowie von Zwischenerwerben, wobei die StKl. vom Verwandtschaftsgrad zum Errichter abhängt3 – Bei Ausschüttungen droht ungemilderte Doppelbelastung mit ESt und ErbSt

a) Einleitung Der Trust ist ein Rechtsinstitut, das für den angloamerikanischen Rechtskreis typisch ist. Er ist dem kontinentaleuropäischen, insbesondere dem deutschen Recht, unbekannt. Die Grundstruktur eines Trusts basiert auf der Unterscheidung zwischen common law und equity. Es besteht ein rechtliches Dreiecksverhältnis zwischen einem Vermögensgeber (grantor oder settlor genannt), einem Vermögensverwalter (trustee) und den Begünstigten (beneficiary). Der Vermögensgeber überträgt den so genannten legal title nach common law auf den trustee. Den Begünstigten steht das laufende Einkommen oder die Vermögenssubstanz in equity zu. Die Grundstruktur kann wie folgt dargestellt werden4:

1 2 3 4

§ 3 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 1 ErbStG. § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG. § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 ErbStG i.V.m. § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG. Vgl. Watrin, Erbschaftsteuerplanung internationaler Familienunternehmen, 1997, S. 165. Stein

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B XII 124

Rz. 124

Stiftung und Trust

Trusts können in einer Vielzahl von Erscheinungsformen auftreten, die eine einheitliche Behandlung unmöglich machen1. Als Instrument zur generationsübergreifenden Regelung der Unternehmensnachfolge haben sich im angelsächsischen Rechtskreis sog. dynastische Trusts bewährt. Unter dem Gesichtspunkt der Haftungsabschirmung sind die sog. asset protection trusts weit verbreitet. Fraglich ist, ob dies auch eine Gestaltungsalternative aus deutscher Perspektive ist. b) Zivilrechtliche Grenzen des Einsatzes von Trusts

125

Das deutsche internationale Privatrecht zieht dem Einsatz von Trusts als Instrument eines Vermögenstransfers enge Grenzen. aa) Errichtung eines Nachlasstrusts

126

Errichtung und Durchführung eines Nachlasstrusts unterliegen dem Erbstatut2. Nach Art. 25 Absatz 1 EGBGB ist auf alle materiell-rechtlichen Fragen der Rechtsnachfolge von Todes wegen das durch die Staatsangehörigkeit des Erblassers bestimmte Recht anzuwenden. Wo der Deutsche lebt und ob er weitere Staatsangehörigkeiten hat, ist aus Sicht des deutschen IPR unerheblich (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Eine Rechtswahl weg vom deutschen Recht ist nicht zulässig. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 25 Abs. 2 EGBGB3.

127

Enthält die letztwillige Verfügung eines Deutschen die Anordnung zur Errichtung eines Nachlasstrusts, ist die Rechtsfolge die Unwirksamkeit dieser Anordnung4. Um dem Erblasserwillen gleichwohl Geltung zu verschaffen, ist die Trust-Anordnung mangels ausdrücklicher Kollisionsnorm in ein entsprechendes deutsches Rechtsinstitut umzudeuten5.

128

Keiner zivilrechtlichen Umdeutung bedarf es hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens, das aufgrund der kollisionsrechtlichen Rechtsspaltung nach Art. 3 Abs. 3 EGBGB dem ausländischen Belegenheitsrecht unterliegt. Ein deutscher Erblasser kann sich daher mit Anerkennung des deutschen internationalen Erbrechts grundsätzlich eines letztwillig angeordneten Trusts zur Übertragung seines im angloamerikanischen Rechtskreis belegenen Immobiliarvermögens bedienen, da für dieses im Rahmen der Nachlassspaltung regelmäßig das Belegenheitsrecht berufen ist.

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Für Erbfälle ab dem 17.8.2015 gilt die EUErbVO (Art. 84). Die Errichtung, Funktionsweise und Auflösung eines Trusts sind nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. j EUErbVO vom Anwendungsbereich ausgenommen. Nach Abs. 13 der Erwägungen sollen 1 Vgl. den Überblick über die Trusttypen bei Schindhelm/Stein, StuW 1999, 31 ff. 2 Vgl. Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rz. 410; Siemers/Müller, ZEV 1998, 206, 207; Wittuhn, Das internationale Privatrecht des Trust, 1987, S. 95. 3 Vgl. auch Palandt/Heldrich, Art. 25 EGBGB Rz. 7 m.w.N. zur Rechtswahl. 4 § 2084 BGB bewirkt, dass die Unwirksamkeit der Trust-Anordnung regelmäßig nicht auf die übrigen Verfügungen durchschlägt. 5 Vgl. LG Freiburg v. 3.4.2013 – E NG 246/2010, lexinform 4016581: Umdeutung in Vor- und Nacherbschaft, sowie bei deutschem Trustee in Testamentsvollstreckung; Sieker, IStR 1995, 344 (345); noch zweifelnd in: Der US-Trust, S. 91; ebenso Graue, FS Ferid, S. 151 (178 f.). 830

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 134

B XII

„Fragen im Zusammenhang mit der Errichtung, Funktionsweise oder Auflösung von Trusts… auch vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Dies sollte nicht als genereller Ausschluss von Trusts verstanden werden. Wird ein Trust testamentarisch oder aber kraft Gesetzes im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge errichtet, so sollte im Hinblick auf den Übergang der Vermögenswerte und die Bestimmung der Berechtigten das nach dieser Verordnung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht gelten.“ Damit verbleibt es für das anwendbare Erbrecht bei der Grundregel des Art. 21 Abs. 1 EUErbVO, wonach das Rechts des Staates anwendbar ist, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Unter Umständen kann auch nach Art. 21 Abs. 2 das Recht des Staates anwendbar sein, zu dem engere Verbindung bestand. Die Staatsangehörigkeit ist nicht mehr maßgeblich. Art. 22 lässt eine umfassende Rechtswahl für den gesamten Nachlass zu. Eine Nachlassspaltung gibt es demnach nicht mehr.

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bb) Trust unter Lebenden Die Anknüpfung des IPR im Falle von inter vivos Trusts ist mangels Regelung umstritten1. Für Gestaltungsüberlegungen entscheidend ist die Möglichkeit der freien Rechtswahl (Art. 27 EGBGB), die zumindest bei schuldrechtlich ausgestalteten Trusts Spielraum schafft.

131

cc) Wirksamkeit der Vermögensübertragung Selbständig anzuknüpfen ist nach deutschem IPR die Frage, ob eine Vermögensverfügung wirksam ist2. Nach Ansicht des BGH3 können Forderungen, die nach deutschem Recht begründet sind, aus dogmatischen Gründen nicht auf einen Trust übertragen werden, weil dem deutschen Recht die Aufteilung der Rechtsstellung zwischen common law und equity unbekannt sei. Aus deutscher Perspektive sei die Übertragung auf den Trust unwirksam und das entstehende Rechtsverhältnis umzudeuten, z.B. in eine Treuhandvereinbarung.

132

Im deutschen internationalen Sachenrecht gilt das Recht des Lageortes für alle Übereignungstatbestände; eine Rechtswahl ist nicht möglich4. Entsprechend der Behandlung von Forderungen kann folglich aus deutscher Perspektive kein Inlandsvermögen wirksam auf einen Trust transferiert werden5.

133

Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. h und k EUErbVO werden weder Fragen des Gesellschaftsrechts noch der dinglichen Art der Rechte von der Verordnung erfasst. Demnach ändert sich an der Rechtslage insoweit nichts.

134

1 Übersicht über die verschiedenen Auffassungen bei Schindhelm/Stein, StuW 1999, 31 (37 f.). 2 Vgl. von Oertzen, IStR 1995, 149 (151); Real, RIW 1996, 54 (56); Staudinger/Stoll, Internationales Sachenrecht, Rz. 295. 3 BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, MDR 1985, 212 = IPRax 1985, 221 (223 f.). 4 Ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. zuletzt Urt. v. 25.9.1996 – VIII ZR 76/95, IStR 1997, 159 f. mit umfassenden Nw. auch der h.L. 5 Vgl. auch Soergel/Lüderitz, EGBGB, Art. 38 Anh. II Rz. 58; Siemers/Müller, ZEV 1998, 206 (208); differenzierend nach Trust-Typen Daragan, ZEV 2007, 204 (207 ff.). Stein

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B XII

Rz. 135

Stiftung und Trust

dd) Anwendungsbereich des Trusts aus zivilrechtlicher Sicht 135

Aus Sicht des deutschen IPR verbleiben bei deutschem „Inlandsbezug“ für den Einsatz eines Trusts zwei sinnvolle Anwendungsfelder: – Nachlasstrust über Auslandsvermögen im Common-Law-Rechtskreis, auf das Belegenheitsrecht anwendbar ist, – Inter-Vivos-Trust über Auslandsvermögen1, wobei durch Einbringung von Inlandsvermögen. in ausländische Gesellschaften Auslandsvermögen geschaffen werden kann (soweit die Einbrigung keine nachteiligen anderen, insbesondere steuerlichen Folgen hat)2. c) Ertragsteuern aa) Beschränkte Steuerpflicht nach § 2 Nr. 1 KStG

136

Der Trust bildet eine selbständige Vermögensmasse i.S.d. § 2 Nr. 1 KStG3. Er unterliegt daher mit den inländischen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht. Praktisch dürfte sich das wegen der fehlenden zivilrechtlichen Übertragbarkeit von Inlandsvermögen auf einen Trust kaum auswirken. bb) Zurechnung von Einkünften

137

Die Zurechnung von Einkünften hängt von der Stellung des Trust-Errichters ab. Hat er eine derartig starke Rechtsposition, dass der Trust bei wirtschaftlicher Betrachtung einem Treuhandverhältnis entspricht4, sind die Einkünfte ihm zuzurechnen.

138

Andernfalls wird der Trust seit der Entscheidung des BFH v. 5.11.19925 regelmäßig als Zweckvermögen i.S.d. § 15 Abs. 4 AStG qualifiziert. Das Einkommen des Trusts wird daher zunächst dem unbeschränkt steuerpflichtigen Errichter nach § 15 Abs. 1, 2 AStG zugerechnet. Falls die Zurechnung zum Errichter ausscheidet, wird das Einkommen den Begünstigten zugerechnet, wenn sie unbeschränkt steuerpflichtig sind. Unklar ist aber das Verhältnis zwischen mehreren Begünstigten, von denen einige bezugs-, andere anfallberechtigt sind6.

1 Ggf. ist das Inlandsvermögen durch Einbringung in eine ausländische Kapitalgesellschaft im Common-Law-Rechtskreis in Auslandsvermögen umzuwandeln. Das ist aus steuerlichen Gründen nur eingeschränkt empfehlenswert. Insbesondere droht die Aufdeckung stiller Reserven im Betriebsvermögen und bei wesentlichen Beteiligungen i.S.d. § 6 AStG. 2 Vgl. auch von Oertzen/Stein/Reich, ZEV 2013, 109 (112 ff.) zur Qualifikation von Grundstücksgesellschaften im IPR als bewegliche Sachen. 3 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. 1993 II, 388. 4 Das dürfte in Betracht kommen bei einem grantor trust oder einem revocable trust. 5 Az.: I R 39/92, BStBl. 1993 II, 388 (389); ebenso BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. 1994 II, 727. 6 Vgl. Flick/Wassermeyer, AStG, § 15 Rz. 42; Krabbe in Lademann/Söffing/Brackhoff, § 15 AStG Rz. 18. 832

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 143

B XII

cc) Anwendungsbereich des Trusts aus ertragsteuerlicher Sicht Aus ertragsteuerlicher Sicht lässt sich durch die Errichtung eines Trusts kein steuerlicher Vorteil erzielen. In vielen Konstellationen droht eine Doppelbesteuerung. Insbesondere die Zurechnung zu inländischen Begünstigten kann zu erheblichen Problemen führen, wenn diese keinen Anspruch auf Zahlung der auf die Bezugsberechtigung entfallenden Steuern haben.

139

d) Erbschaftsteuer aa) Rechtslage bis zum 4. März 1999 Bei einer Reihe von Trusttypen war in der Vergangenheit die Übertragung von Vermögen auf einen Trust nicht steuerpflichtig, weil die Übertragung als aufschiebend bedingt angesehen worden ist. Weder der Trustee noch die Begünstigten waren im Zeitpunkt der Übertragung bereichert. Erst im Augenblick der Ausschüttung aus dem Trust an die Begünstigten entstand die Erbschaft- oder Schenkungsteuer, es sei denn es bestünde ein gesicherte Anspruch des Begünstigten auf die Auszahlung von Erträgen1.

140

bb) Rechtslage nach dem 4. März 1999: Neuregelung durch das StEntlG 1999/2000/2002 Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 hat sich die Lage für solche Erwerbe erheblich verschlechtert, für die die Steuer nach dem 4.3.1999 entstanden ist oder entsteht: Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG ist „die vom Erblasser angeordnete Bildung oder Ausstattung einer Vermögensmasse ausländischen Rechts, deren Zweck auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist“ steuerpflichtig. Eine entsprechende Regelung findet sich für Übertragungen unter Lebenden in § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG. § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG unterwirft den Vermögensanfall aus einem Trust der Schenkungsteuer. Ergänzende Regelungen finden sich in § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. c ErbStG (Zeitpunkt der Steuerentstehung), § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG (Person des Schenkers bei Auflösung) und § 20 Abs. 1 ErbStG (Steuerschuldner). Seitdem gelten Trusts eher als Steuerrisiko.

141

Der Tatbestand ist beklagenswert vage. Die Finanzverwaltung hat sich einer Stellungnahme bislang enthalten. Relativ aktuelle Entscheidungen der Finanzgerichtsbarkeit geben Anlass sich dem Thema erneut zuzuwenden: Zwei Entscheidungen des BFH, die Stiftungen betreffen, und eine Serie von drei Entscheidung des FG Baden-Württemberg die sich mit einem US-Erbfall unter Einsatz von US-Trusts beschäftigen.

142

Nach dem BFH-Urteil v. 28.6.20072 unterliegt die Übertragung von Vermögen auf eine liechtensteinische Stiftung nicht der Schenkungsteuer, wenn die Stiftung nach den getroffenen Vereinbarungen und Regelungen im Verhältnis zum Stifter nicht tatsächlich und rechtlich frei verfügen kann (LS). Maßgeblich sei

143

1 Vgl. BFH v. 7.5.1986 – II R 137/79, BStBl. II 1986, 615; BFH v. 21.4.1982 – II R 148/79, BStBl. II 1982, 597; BFH v. 12.5.1970 – II 52/64, BStBl. II 1972, 462; BFH v. 7.6.1989 – II B 4/89, BFH/NV 1990, 235, jeweils m.w.N.; s. ferner Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 2 Tz. 120 m.w.N. 2 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, FamRZ 2007, 1980 = BStBl. 2007 II, 669 (671). Stein

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833

B XII

Rz. 144

Stiftung und Trust

das Innenverhältnis des Empfängers zum Leistenden. Im Entscheidungsfall standen dem Stifter sämtliche Rechte am Vermögen und Ertrag der Stiftung allein zu, er konnte dem Stiftungsrat Änderungen des Stiftungsreglements auftragen, über die Anlage des Vermögens entscheiden und jederzeit die Rückübertragung des Vermögens herbeiführen. Bei einem solchen Strohmanngeschäft fehle es an der Vermögensentäußerung. Das sei im Falle des freien Widerrufsvorbehaltes anders, weil der Beschenkte bis zum Widerruf frei über das geschenkte Vermögen verfügen könne. Die Grundgedanken dieser Entscheidung können auf Trust-Gestaltungen übertragen werden.1 So dürfte die Übertragung von Vermögen auf einen Grantor’s Trust2 bei hinreichenden Herrschaftsrechten des Grantors keine Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 ErbStG auslösen. Hingegen steht der Revocable Trust der Schenkung unter Widerrufsvorbehalt nahe, so dass im Regelfall dieser Tatbestand erfüllt werden dürfte. 144

Wie umfassend die Herrschaftsrechte ausgestaltet sein müssen, ist weiterhin nicht abschließend geklärt. Habammer3 hatte in Anlehnung an die Erfordernisse von Treuhandverhältnissen gefolgert, das wirtschaftliche Eigentum liege unter Berücksichtigung der Rechtsprechung4 nur dann beim Errichter, wenn folgende Voraussetzungen gegeben seien: – der Verwalter müsse das Trustverhältnis jederzeit widerrufen können, – der Verwalter müsse an die Weisungen des Errichters strikt gebunden sein, – das Trustverhältnis müsse jederzeit und ohne Bedingungen kündbar sein, – der Errichter müsse einen wesentlichen Einfluss auf die Anlageentscheidungen des Verwalters haben. Auch wenn die Argumentation über das wirtschaftliche Eigentum nicht der aktuellen Argumentationsstruktur des BFH entspricht, stimmen die Kriterien mit der Begründungslinie des BFH weitgehend überein.

145

Etwas großzügiger ist die Rechtsprechung des FG Baden-Württemberg 5. Die insgesamt drei Entscheidungen betreffen im Ergebnis wohl einen Erbfall. Der Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die 1986 verstorbene Erblasserin (B) war US-Staatsangehörige und lebte in den USA. Ihr Sohn S ist ebenfalls USStaatsangehöriger, jedoch mit Wohnsitz in Deutschland. B errichte testamentarisch einen Trust zugunsten ihres Sohnes und einen zugunsten ihrer Enkeltochter (G), die „Alt-Trusts“. S und G hatten Anspruch auf Auskehrung des Trusteinkommens, nicht aber des Trustvermögens vor dessen Beendigung (fixed interest trust). Am 1.7.1997 errichtete G einen sog. Grantor’s Trust in den USA, deren alleinige Begünstigte G ist. Auf diesen Trust übertrug sie sämtliche Rechte aus dem zu ihren Gunsten errichten Trusts der B. Das Vermögen des Grantor’s Trusts ist entweder mit dem Tod, spätestens nach Vollendigung des 1 Vgl. etwa Jülicher, ZErb 2007, 361 (363). 2 Grantor trusts zeichnen sich dadurch aus, dass der Errichter (Grantor) sich bestimmte Rechte vorbehält, typischerweise die Rechte, den Trust zu widerrufen oder aufzulösen und zu ändern, und sich die Kontrolle über das Trustvermögen vorbehält. 3 Habammer, DStR 2002, 425 (427, 430). 4 Vgl. BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. 1984 II, 751; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. 1993 II, 388. 5 FG BW v. 15.7.2010 – 7 K 38/07, EFG 2011, 164. 834

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Stiftung und Trust

Rz. 151

B XII

37. Lebensjahres an G auszukehren. Die Erträge werden begrenzt und altersabhängig gestaffelt an G ausgezahlt. Das FA wollte die Ausschüttungen aus dem Alt-Trust unter Zwischenschaltung des Grantor’s Trust einer dreifachen Besteuerung unterwerfen, nämlich – Ausschüttungen aus dem Alt-Trust sowohl als Erwerbe der G und zugleich als Zuwendungen der G an den Grantor’s Trust und – die Ausschüttungen aus dem Grantor’s Trust. Das FG Baden-Württemberg stellt darauf ab, dass der Grantor’s Trust ausschließlich im Interesse der Errichterin gegründet wurde, der sowohl das Vermögen als auch die akkumulierten Erträge zustanden, wohingegen temporäre Ausschüttungsbeschränkungen als unschädlich gesehen und die fehlende Möglichkeit, Anlageentscheidungen zu beeinflussen oder jederzeit den trust zu widerrufen, nicht thematisiert wurden. Es zeigt, sich dass die Grenzbestimmung bei Typusbegriffen besonders schwer fällt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Trust keine rechtliche Verselbständigung wie bei einer juristischen Person erfährt, scheint es sachgerecht zu sein, die Anforderungen entsprechend zurückhaltender zu setzen, auch um den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen derartig vage Rechtsbegriffe1 Rechnung zu tragen. Dieser Auffassung hat sich augenscheinlich die Finanzverwaltung angeschlossen, da keine Revision anhängig ist.

146

Insbesondere bei einem geplanten Wegzug in den angelsächsischen Rechtskreis könnte die Errichtung eines Grantor’s Trust eine interessante Alternative sein, wenn im Zuzugsstaat der Trust die Steuerbelastung vermeidet oder reduziert.

147

Enden allerdings die Sonderrechte des Grantors, z.B. mit dessen Tod, ohne dass der Trust aufgelöst wird, droht jetzt allerdings die erstmalige Ausstattung des Trusts i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG2.

148

Welche zeitliche Komponente ein Trust erfüllen muss, damit ein Trust auf Vermögensbindung gerichtet ist, bleibt allerdings weiter unklar. Mit Blick auf die Regelung des § 21 Abs. 1 S. 4 ErbStG sollte eine Mindestbindungsdauer von fünf Jahren gegeben sein.3

149

Der Erwerb durch einen Trust unterliegt immer der ungünstigsten Steuerklasse III. Das Steuerklassenprivileg für Familienstiftungen nach § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG scheitert wie in der Vergangenheit am fehlendem Sitz in Inland4.

150

Bei der Auflösung des Trusts wird der Vermögensanfall bei den Anfallsberechtigten wieder steuerlich erfasst (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2, 1. Alt. ErbStG). Die Steuerklasse bestimmt sich allerdings nach dem persönlichen Verhältnis zwischen dem Trusterrichter und dem einzelnen Begünstigten (§ 15 Abs. 2 S. 2, 2. Alt. ErbStG).

151

1 Vgl. zur Kritik insoweit etwa Schindhelm/Stein, FR 1999, 880 (881 ff.); Söffing/Kirsten, DB 1999, 1626 (1628); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 2 Rz. 127a. 2 Vgl. Jülicher, ZErb 2007, 361 (365). 3 Vgl. Schindhelm/Stein, FR 1999, 883 (885); Jülicher fordert eine gewisse Mindestbindungsdauer, Troll/Gebel/Jülicher, § 2 Rz. 125. 4 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 2 Rz. 127. Stein

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835

B XII

Rz. 152

Stiftung und Trust

152

Aus dem Urteil des BFH zur Anwendung des § 15 Abs. 2 S. 2 ErbStG bei der Auflösung von Familienstiftungen1, wonach sich der Regelungsinhalt darauf beschränkt, die anwendbare Steuerklasse zu bestimmen, kann man schlussfolgern, dass bei Verwendung mehrerer Trusts, die unter den Begriff der selbständigen Vermögensmasse fallen und deren Vermögen nicht dem Errichter zugerechnet werden kann, von einer Multiplikation der Freibeträge nach § 16 ErbStG auszugehen ist und keine Zusammenrechnung der verschiedenen Erwerbe aus den unterschiedlichen Trusts nach § 14 ErbStG erfolgt.2 Das eröffnet Gestaltungsoptionen für die vorweggenommene Erbfolge, wenn der Errichter und der Trust (sowie das Trustvermögen, was sich bereits zivilrechtlich mit Ausnahme vermögensverwaltender transparenter Auslandsgesellschaften bereits aus dem IPR ergibt, s.o.) nicht im Inland steuerlich ansässig sind. Andernfalls macht die prohibitive Besteuerung der Übertragung von Vermögen auf einen Trust in Steuerklasse III die Effekte im 2. Schritt der Gestaltung zu Nichte.

153

Steuerpflichtig sind darüber hinaus (anders als bei Ausschüttungen an Destinatäre einer Stiftung) auch die Erwerbe sog. Zwischenberechtigter während der Laufzeit des Trusts (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2, 2. Alt. ErbStG). Mangels gesetzlicher Definition ist unklar, ob als Zwischenberechtigte nur die Anfallberechtigten oder nur die Zwischennutzungsberechtigten anzusehen sind oder jeder Erwerber, der vor der Auflösung Zuwendungen aus dem Trustvermögen bezieht. Das Nebeneinander der Besteuerung nach alter und neuer Rechtslage bei Alt-Trusts wird man wohl nur durch eine Billigkeitsregelung lösen können, soweit es zu einer doppelten Besteuerung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG kommt.3 Der BFH sieht jeglichen Erwerb während des Bestehens eines Trusts als Zwischenerwerb, weil andernfalls Vermögenssubstanz und -erträge steuerfrei ausgezahlt werden könnten4.

154

In den meisten Fällen hat der Trust als Steuergestaltungsinstrument der Unternehmensnachfolge in Deutschland ausgedient. Der Trust erweist sich häufig als Steuerfalle, wenn einer der Beteiligten (Errichter oder Bezugsberechtigte) im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Bei engen Bezügen zu Deutschland mag er in Einzelfällen noch aus außersteuerlichen Gründen sinnvoll sein (z.B. Vermeidung des Nachlassverfahrens im angelsächsischen Rechtskreis), wobei er wegen der steuerlichen Fallstricke äußerst behutsam zu gestalten ist.

V. Alternative Rechtsformen zur Erreichung von Stiftungszielen Beratungssituation: Nachdem Sie Ihrem Mandanten die Vor- und Nachteile der Stiftung ausführlich geschildert haben, fragt er, ob es eine Alternative gibt, mit der er seine Ziele der langfristigen Förderung gemeinnütziger Ziele erreichen kann. 1 BFH v. 30.11.2009 – II R 6/07, BStBl. 2010 II, 237. 2 von Oertzen/Stein, ZEV 2010, 500 (502f.), wohl auch Watrin, ZEV 2011, 105 (110). Die ggf. resultierende Doppelbelastung durch Einkommen- und Erbschafsteuer wird auch durch § 15 Abs. 11 AStG nicht vermieden (vgl. Götz, DStR 2014, 1047 [1049]). 3 FG BWv. 15.7.2010 – 7 K 37/07, EFG 2011, 162. 4 BFH v. 27.9.2012 – II R 45/10, BStBl. II 2013, 84; a.A. aber FG Hessen v. 10.2.2014 – 1 V 2602/13, EFG 2014, 1014. 836

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 159

B XII

1. Die Stiftungs-GmbH Die Errichtung einer Stiftung ist wegen verschiedener Nachteile, insbesondere ihrer verminderten Flexibilität, dem Grundsatz der Vermögensbindung und der Aufsicht der Stiftungsbehörden, nicht für alle Konstellationen die optimale Gestaltung. Eine Rechtsform, auf die potenzielle Stifter ausweichen könnten, ist die Stiftungs-GmbH. Darunter versteht man eine GmbH, die durch entsprechende Gestaltung des Gesellschaftsvertrags zur Erfüllung von Stiftungszwecken geeignet ist. Die beim Gründer verbleibende Dispositionsfreiheit erlaubt die Aufhebung der Stiftungs-GmbH oder die Änderung ihres Zweckes1. Schließlich unterliegt die Stiftungs-GmbH keiner staatlichen Aufsicht.

155

Der wesentliche Vorteil einer Stiftungs-GmbH, nämlich die Verbandsautonomie, also die Fähigkeit der Gesellschafter, die Rechtsverhältnisse frei zu bestimmen, ist zugleich die Achillesferse. Durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag kann gewährleistet werden, dass der Gesellschaftszweck und die übrigen Bestandteile des Gesellschaftsvertrags nur unter erhöhten Voraussetzungen geändert werden können. Es lässt sich aber nicht verhindern, dass die künftigen Gesellschafter sich einvernehmlich über den ursprünglichen Willen des Stifters/Gründers hinwegsetzen. Kautelarjuristisch kann versucht werden, die Hürden durch qualifizierte Mehrheitserfordernisse und Sonderrechte zugunsten geeigneter Gesellschafter und Stimmbindungsvereinbarungen oder Treuhandverhältnisse in praxi unüberwindbar hoch zu setzen.

156

Die AG eignet sich wegen des Grundsatzes der formellen Satzungsstrenge nicht als Ersatzrechtsform. Nach § 23 Abs. 5 AktG darf die Satzung von den Vorschriften des AktG nur abweichen, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist. Auch ergänzende Bestimmungen sind nur zulässig, wenn das AktG keine abschließende Regelung enthält2. Die Perpetuierungsvorstellungen eines potenziellen Stifters lassen sich deswegen kaum umsetzen.

157

Die Gefahr ungewollter Strukturentscheidungen wird bei einer GmbH, die gemeinnützige Zwecke verfolgt („gGmbH“), durch die Restriktionen des Gemeinnützigkeitsrechts weiter reduziert. Denn hier übt die Finanzverwaltung eine weitgehende Kontrolle aus. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist weitgehend rechtsformneutral. Die Versorgung des „Stifters“ und seiner Angehörigen im Rahmen der Drittel-Lösung des § 58 Nr. 6 AO ist allerdings nicht möglich, weil die Vorschrift auf Stiftungen beschränkt ist. Zudem gilt die Erbschaftsteuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. b ErbStG nur für den Übergang von Vermögen auf eine gemeinnützige GmbH, nicht aber für die Vererbung der Anteile an einer gemeinnützigen GmbH.

158

Der erweiterte Spendenabzug des § 10b Abs. 1a EStG steht nur Stiftungen, nicht aber anderen gemeinnützigen Körperschaften zu.

159

1 Das ist bei der Stiftung nach Anerkennung gem. § 81 Abs. 2 S. 1 BGB nicht mehr möglich. Allerdings ist § 81 Abs. 2 S. 1 BGB im Ergebnis dispositiv, in dem die Befugnis zur Auflösung durch den Stifter vorbehalten wird, so dass sich dieser Nachteil durch Gestaltung der Satzung vermeiden lässt. 2 Vgl. MüKo.AktG/Pentz, § 23 Rz. 157. Stein

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837

B XII 160

Rz. 160

Stiftung und Trust

Die Finanzverwaltung lässt den Abzug einer auflösend bedingten Last i.S.d. § 7 ErbStG zu, um die gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen zu berücksichtigen.1 2. Die unselbständige Stiftung2

161

Die Errichtung einer unselbständigen Stiftung stellt insbesondere dann eine Alternative zur selbständigen Stiftung dar, wenn das zur Verfügung stehende Vermögen für die angestrebten Zwecke zu gering ist, gleichwohl ein gewisser Einfluss auf die Umsetzung der Stiftungszwecke sichergestellt werden soll oder eine stiftungsartige Außendarstellung gewünscht wird.

162

Von unselbständigen Stiftungen spricht man, wenn ein Stifter ein bestimmtes Vermögen bestimmten Zwecken auf Dauer widmet, ohne dass diese Vermögensmasse eine juristische Person ist. Das Stiftungsgeschäft kleidet sich bei Errichtung unter Lebenden regelmäßig in die Form einer Schenkung unter Auflage oder eines Treuhandgeschäfts mit Elementen eines Auftragsverhältnisses oder eines Dienstvertrags3.

163

Bei der Errichtung einer unselbständigen Stiftung von Todes wegen sind die erbrechtlichen Gestaltungsformen zu beachten, wobei Einigkeit besteht, dass es sich um eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis unter Auflage handelt4. Die von Todes wegen errichtete Stiftung entsteht mit dem Erbfall5.

164

Ungeklärt ist, ob eine nichtrechtsfähige Stiftung Familienstiftung i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nr. 4 und 15 Abs. 2 ErbStG sein kann6.

165

Stiftungsträger kann jede natürliche oder juristische Person sein, insbesondere auch eine rechtsfähige Stiftung7. Der Auswahl des Trägers kommt in diesen Gestaltungen überragende Bedeutung zu, insbesondere muss sich die Organisation der unselbständigen Stiftung an der unvermeidlichen Bindung an den Träger orientieren. Zweckmäßigerweise wählt man eine Einrichtung, die bereits die vom Stifter angestrebten Zwecke verfolgt. Eine effektive Kontrolle des Trägers lässt sich nur durch ein mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattetes Kontrollorgan erreichen. Zudem ist dessen dauerhafte Besetzung mit geeigneten Personen entscheidend. Mangels staatlicher Aufsicht und rechtlicher Verselbstän1 Gleichlautender Ländererlass v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1362, dazu etwa Mannek, NWB 2013, 3449. 2 Vgl. Wochner, ZEV 1999, 125 ff. 3 Nach h.M. kommen beide Rechtsformen alternativ in Betracht, wohingegen einige Autoren nur einen der Vertragstypen für einschlägig halten (vgl. zum Meinungsstreit etwa Hof, in: Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 2. Aufl., § 36 Rz. 28 ff.; Staudinger/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 241.). 4 Hof in Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 3. Aufl., § 36 Rz. 102 ff.;Staudinger/Rawert, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rz. 252. 5 BFH v. 16.11.2011 – I R 31/10, BFH/NV 2012, 786. 6 Vgl. Esskandari in Gürsching/Stenger, § 1 ErbStG Rz. 29; Hübner/Currle/Schenk, DStR 2013, 1966 ff.; van Randenborgh, BB 2013, 2780 ff. 7 Hüttemann/Herzog, DB 2004, 1001 (1002); Hof in Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 3. Aufl., § 36 Rz. 59; einschränkend OFD München, Vfg. v. 7.3.2003, ZEV 2003, 239 (240). 838

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Stein

Stiftung und Trust

Rz. 167

B XII

digung ist die präzise Ausgestaltung der „Stiftungssatzung“ von überragender Bedeutung. Die nicht rechtsfähige Stiftung kann als anderes Zweckvermögen eigenständiges Körperschaftsteuersubjekt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG sein, wenn sie wirtschaftlich selbständig ist1. Liegt diese Voraussetzung vor, entspricht die steuerliche Behandlung im Wesentlichen der von rechtsfähigen Stiftungen, insbesondere kann die unselbständige Stiftung steuerbegünstigt tätig sein2. Dem Stifter steht nach h.M. der erhöhte Sonderausgabenabzug für Spenden an privatrechtliche Stiftungen zu3. Gleichfalls führen Zuwendungen an unselbständige gemeinnützige Stiftungen zum rückwirkenden Erlöschen der ErbSt nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG4.

166

Übersicht: Stiftung, unselbständige Stiftung und GmbH im Vergleich

167

Merkmale

Rechtsfähige Stiftung

Unselbständige Stiftung

GmbH

1. Maßgebliche Vorschriften

§§ 80–88 BGB und Landesstiftungsgesetze

Allgemeines VerGmbHG tragsrecht (meist Treuhand, teils Auflagenschenkung)

2. Zweck der Gesellschaft

Beliebige Zwecke Beliebige Zwecke mit Ausnahme der Unternehmensselbstzweckstiftung

Beliebige Zwecke

3. Rechtsfähigkeit

Ja

Nein

Ja

4. Kaufmannseigenschaft

Nein

Nein

Ja (§ 6 HGB)

5. Registereintragung

Nein, es sei denn Landesstiftungsregister

Nein

Ja, GmbH entsteht erst mit der Eintragung

6. Mindestkapital

Nicht vorgeschrieben, aber i.d.R. 50 000 Euro (§ 80 Abs. 2 BGB)

Nicht vorgeschrieben

25 000 Euro

Durch Organe des Stiftungsträgers, wenn nicht abweichend geregelt

Geschäftsführung durch die Geschäftsführer gemeinschaftlich, soweit nichts anderes geregelt ist (§ 35 Abs. 1 und 2 GmbHG)

I. Gesellschaftsrecht

7. Geschäftsführung Durch Vorstand

1 BFH v. 24.3.1993 – I R 27/92, BStBl. 1993 II, 637. 2 OFD Frankfurt, Vfg. v. 30.8.2011, DB 2012, 204; umfassend Hüttemann/Herzog, DB 2004, 1001, 1002 ff. m.w.N. 3 Hüttemann/Herzog, DB 2004, 1001 (1006) m.w.N. 4 OFD München, Vfg. v. 7.3.2003, ZEV 2003, 239; Hüttemann/Herzog, DB 2004, 1001 (1006) m.w.N.; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 29 Rz. 95. Stein

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B XII

Rz. 167

Merkmale

Stiftung und Trust Rechtsfähige Stiftung

Unselbständige Stiftung

GmbH

8. Vertretung

Gesamtvertretung durch alle Vorstände, sofern in der Satzung nichts anderes geregelt ist (§ 85 i.V.m. § 26 BGB); Nachweis der Vertretungsmacht nur durch Bestätigung der Stiftungsaufsichtsbehörde

Durch Organe des Stiftungsträger, wenn nicht abweichend geregelt

Vertretung durch die Geschäftsführer. Der Vertretungsnachweis kann mittels Handelsregisterauszug ohne weiteres erbracht werden.

9. Haftung

Haftung ist auf das Je nach VertragsStiftungsvermögen gestaltung begrenzt, mangels Gesellschafter keine Durchgriffshaftung möglich

10. Freie AnteilsNein, weil kein übertragbarkeit Gesellschafter

11. Vererblichkeit

Nein, aber Übertragung des Vertragsverhältnisses nach allgemeinen Regeln des Grundverhältnisses möglich

Nicht möglich, weil Nachfolge in kein Gesellschafter Grundverhältnis möglich

Haftung ist auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt, soweit keine Regeln über die Kapitalerhaltung verletzt werden (§§ 30 ff. GmbHG) oder Durchgriffshaftung Ja, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist (§ 15 GmbHG).

möglich

12. Rechtsfolge des grundsätzlich keine Regelungsbedürftig Todes eines Gesellschafters/Stifters

Übergang der Geschäftsanteile auf die Erben, soweit nichts anderes geregelt (Vinkulierung)

13. Testamentsvollstreckung

Für Errichtung der Stiftung von Todes wegen möglich

Für Errichtung der Stiftung von Todes wegen möglich

Für Errichtung der GmbH von Todes wegen möglich

14. zivilrechtliche Beendigung

Aufhebung der Stiftung, wenn Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist

Nach Regelung im Grundverhältnis

Anmeldung der Liquidation beim Handelsregister und Beachtung des Sperrjahres (§§ 60 ff. GmbHG)

Nein, aber Rechnungslegung nach Maßgabe der Landesstiftungsgesetze

Nein

Ja, §§ 238 ff., 264 ff. HGB

II. Rechnungslegung 1. Buchführungsund Bilanzierungspflicht nach den §§ 238 ff. HGB 840

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Stein

Stiftung und Trust Merkmale

Rz. 167 Rechtsfähige Stiftung

B XII

Unselbständige Stiftung

GmbH

2. Pflicht zur ErEntfällt weiterung des Jahresabschlusses um einen Anhang und zur Aufstellung eines Lageberichts

Entfällt

Ja, § 264 Abs. 1 HGB, Lagebericht nicht bei kleinen GmbHs i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB (§ 264 Abs. 1 S. 3 HGB)

3. Pflicht zur PrüNach Maßgabe der fung des Jahres- Landesstiftungsabschlusses gesetze durch einen Wirtschaftsprüfer

Nein

Ja, §§ 316 ff., wenn nicht kleine GmbH i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB

4. Pflicht zur Verentfällt öffentlichung im Bundesanzeiger

Nein

Ja

Stein

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XIII. Landwirtschaftliches Sondererbrecht Schrifttum: Adlerstein/Desch, Das Erbrecht in den neuen Bundesländern, DtZ 1991, 193; Bahrs, Die Agrarreform 2005: Ein neues Kapitel im landwirtschaftlichen Steuerrecht, INF 2005, 176 ff. und 224 ff.; Bell/Jennissen, Betriebsbewertung unter Berücksichtigung von Altenteilsverpflichtungen, 2007; Bendel, Landwirtschaftliches Sondererbrecht in den fünf neuen Bundesländern, Agrarrecht 1991, 1; Bendel, Verlust der Hofeigenschaft durch Erbfall, Agrarrecht 2003, 325; BMF; Bewertung von mit land- und forstwirtschaftlichem Grund und Boden im Zusammenhang stehenden Milchlieferrechten, BStBl. 2003 I 78; BMF, Ertragsteuerliche Behandlung von Biogasanlagen BStBl., 2006 I 248; Böck, Ertragswert und Schuldenabzug, MittBayNot 1984, 243; Deutsche Gesellschaft für Agrarrecht, Leitfaden für die Ermittlung des Ertragswerts landwirtschaftlicher Betriebe, Agrarrecht 1994, 5; Dressler, Vor- und Nacherbschaft im Höferecht, Agrarrecht 2001, 265; Evangelisches Bauernwerk in Württemberg e.V., Materialien zur Hofübergabe, 25. Aufl. (2006); Fassbender, Überlegungen zum landwirtschaftlichen Erbrecht, Agrarrecht 1998, 188; Fassbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo, Höfeordnung, Höfeverfahrensordnung und Überleitungsvorschriften, 3. Aufl. 1994; Frey, Zur Praxis des Hofübergangs in Rheinland-Pfalz, Agrarrecht 1989, 322; Gerold, Vererbung landwirtschaftlicher Betriebe in Hessen (1989); Glas, Strukturveränderungen in der Landwirtschaft – Höfe-, gesellschafts- und steuerrechtliche Konsequenzen, Beilage zu Agrarrecht 7/2002; Härtel, Handbuch des Fachanwalts Agrarrecht, 2012; Hartmann, Landesgesetz über die Einführung einer Höfordnung in Rheinland-Pfalz mit Landwirtschaftsrecht von Rheinland-Pfalz (1954); Hartwig, Die Berücksichtigung der Nachlassverbindlichkeiten bei der Abfindung und Ergänzungsabfindung weichender Erben (§§ 12, 13 HöfeO) (1997); Haselhoff, Neugestaltung der Hoferbfolgebestimmungen in der Bundesrepublik, RdL 1993, 225; Hausmann, Die Vererbung von Landgütern nach dem BGB – de lege lata et ferenda (2000); Hausmann, Landwirtschaftliches Erbrecht, in: Hausmann/Hohloch (Hg.), Handbuch des Erbrechts (2008), 1711; Hiller, Beratungsempfehlungen zur Vereinbarung von Altenteilsleistungen, INF 2005, 108; Hoffmann-Fölkersamb, Hofübergabe, 6. Aufl. 1994; Horn, Gegenleistungen und Vorbehalte bei Übergabeverträgen, NWB Fach 19, 3841 (Stand Dez. 2007); Hornstein, Stand und Entwicklung der Hofnachfolge in Baden-Württemberg (1986); Hutmacher, Umsatzsteuerliche Aspekte der eisernen Verpachtung eines luf Betriebs, INF 2007, 214; Ivo, Der Verzicht auf Abfindungs- und Nachabfindungsansprüche gem. §§ 12, 13 HöfeO, ZEV 2004, 316; Jacobs, Das bremische Höfegesetz (1992); Janke, Zur Geltung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR, NJ 2001, 117; Kannewurf, Die Höfeordnung vom 24. April 1947, Entstehungsgeschichte und Einordnung in die Entwicklung des Anerbenrechts (2004); Köhne, Der leistungsfähige Betrieb, Agrarrecht 1991, 29; Köhne, Das landwirtschaftliche Sondererbrecht im Lichte des agrarstrukturellen Wandels, Agrarrecht 1995, 321 ff.; Köhne, Perspektiven der Unternehmensbewertung in der Landwirtschaft, Agrarrecht 1998, 155; Köhne, Landwirtschaftliche Taxationslehre 4. Aufl. (2007); Kreuzer, Grundlinien des landwirtschaftlichen Sondererbrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Beilage II zu Agrarrecht 5/1990; Kronthaler, Landgut, Ertragswert und Bewertung im Bürgerlichen Recht (1991); Lange, Auswirkungen der Hofaufhebung auf die Bindung des Hofeigentümers durch Erb- oder Übergabevertrag (1997); Lange/Wulff, Hessisches Landwirtschaftserbrecht (1950); Lange/Wulff/Lüdtke-Handjery, Höfeordnung, 10. Aufl. (2001); Liesenborghs, Das Höferecht in Baden-Württemberg, Agrarrecht 1974, 310; Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, Einkommensteuer – Umsatzsteuer – Erbschaftsteuer, Loseblattsammlung; Märkle, Brennpunkte der Abgrenzung zwischen luf und gewerblicher Tätigkeit, DStR 1998, 1369; J. Mayer, Die Rückforderung der vorweggenommenen Erbfolge, DNotZ 1996, 604; J. Mayer, Pflichtteil und Ertragswertprivilegierung, MittBayNot 2004, 334; J. Mayer, Der Übergabevertrag in der anwaltlichen und notariellen Praxis, 2. Aufl. 2001; J. Mayer in Staudinger, BGB, Art. 64 EGBGB; Meyer zu Berstenhorst, Die Hofübergabe in heutiger Zeit, BWNotZ 1997, 114; Müller-Feldhammer, Das Ertragswertverfahren bei der Hofübergabe, ZEV, 1995, 161; Netz, Das landwirtschaftliche 842

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Erbrecht in Deutschland, RdL 2004, 1; Netz, Grundstücksverkehrsgesetz, 6. Aufl. (2013); OFD München/Nürnberg, Verf. v. 4.4.2005: Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistung – Ermittlung der Erträge bei Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen gem. § 13a EStG, ZEV 2005, 300; Pagenstecher, Rheinland-Pfälzische Höfeordnung novelliert, RdL 1967, 148; Piltz, Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe bei Erbfall, Schenkung und Scheidung (1999); Paus, Zurechnung des Gewinns in Fällen einer „Nachabfindungsklausel“ in der Landwirtschaft, DStZ 2006, 75; Pritsch, Höferecht in Rheinland-Pfalz, DNotZ 1953, 618; Ritzrow, Mitunternehmerschaft bei Ehegatten in der LuF, StBP 2007, 17; Ruby, Das Landwirtschaftserbrecht: Ein Überblick, ZEV 2006, 351; Ruby, Landwirtschaftserbrecht: Das Landgut im BGB, ZEV 2007, 263; Ruby in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2011, zu Nr. 12 (GrdstVG); Ruby in BeckOGK Art 64, 137 EGBGB; Saure, Das Landwirtschaftsrecht in Hessen (1950); von Schömberg, Die ertragsteuerlichen Folgen bei der Veräußerung und Entnahme von Grund und Boden und immateriellen Wirtschaftsgütern in der LuF, DStZ 2001, 145; Schnekenburger, Einkommensteuerliche und umsatzsteuerliche Rahmenbedingungen bei der Gestaltung der Betriebsnachfolge unter veränderten Rahmenbedingungen, HLBS Schriftenreihe Heft 178, 43; Schrader, Vermietung und Verpachtung im landwirtschaftlichen Bereich, NWB Fach 7, 6551 (Dez. 2005); Söbbecke, Landwirtschaftserbrecht: Die Nordwestdeutsche Höfeordnung, ZEV 2006, 395; Söbbecke, Landwirtschaftserbrecht: Die Hofübergabe zu Lebzeiten, ZEV 2006, 493; Spellenberg, Der Anwendungsbereich der §§ 2049, 2312 BGB, in FS Münkner (2000), 371; Spiegelberger, Die steuerlichen Folgen bei der Umschichtung von Vermögenseinheiten durch den Begünstigten im Rahmen eines Versorgungsvertrags, HLBS-Schriftenreihe Heft 168, 23; Spiegelberger, Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. (2009); Stark, Die hessische Landgüterordnung (1995); Steffen, Höfeordnung mit Höfeverfahrensordnung (1977; Nachtrag 1987); Steffen, Landwirtschaftliches Erbrecht in der früheren DDR, RdL 1991, 141; Stöcker, Pflichtteilsvereitelung durch das Landwirtschaftserberbrecht: Ein Lösungsvorschlag de lege ferenda, FamRZ 1993, 1261; Tiedtke, Geschäftswert der Beurkundung von Hofübergabeverträgen, ZNotP 2001, 326; Tykwer, Hofnachfolge in Westfalen/Lippe (1997); Weber, Gedanken zum Ertragswertprinzip des § 2312 BGB, BWNotZ 1992, 14; Wehner/Johannson, Hofübergabe (7. Aufl., 2000); Weidlich, Ertragswertanordnung und Ehegattenbeteiligung an einem Landgut, ZEV 1996, 380 ff.; Wiegand, Die Besteuerung der LuF aus der Sicht der BFH-Rechtsprechung des Jahres 2006, INF 2007, 141 ff. und 180 ff.; Wöhrmann, Höfeordnung für Rheinland-Pfalz, RdL 1953, 8; Wöhrmann, Das Landwirtschaftserbrecht, Kommentar zur Höfeordnung, zum BGB-Landguterbrecht und zum GrdstVG-Zuweisungsrecht, 10. Aufl. (2011); Zechiel, Die „Ertragswertklausel“ in der bayerischen Notariatspraxis und ihr Bedeutungswandel bei verfassungsmäßiger Anwendung des § 2312 BGB (1993). Rz.

I. Zielsetzungen des Landwirtschaftserbrechts . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis der Anerbengesetze zum BGB-Landguterbrecht 1. Historische Entwicklung . . . . . . . 2. Wann gilt ein Anerbengesetz? . . . 3. Überblick über die regionalen anerbenrechtlichen Sondervorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. BGB-Landguterbrecht i.V.m. §§ 13 ff. GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinsame Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB . . . . . . . . . a) Begriff des Landguts i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB . . . . . . . . . .

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Rz.

b) Begünstigter Personenkreis i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB . . . . . c) Ertragswert eines Landguts i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB . . . . . aa) Bewertungsregeln der Bundesländer (1) 18 als Multiplikator . . . . . (2) 25 als Multiplikator . . . . . (3) 17 als Multiplikator . . . . . bb) Ermittlung des jährlichen Reinertrags . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Voraussetzungen des § 2049 Abs. 1 BGB a) Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . b) Anordnung des Übernahmerechts durch den Erblasser . . . Ruby

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht Rz.

c) Übernehmer gehört zum begünstigten Personenkreis des § 2303 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Hof geht als wirtschaftliche Einheit über . . . . . . . . . . . . . . . . e) Übernahmepreis in Ablebensverfügung geht vor . . . . . . . . . . f) Ausübung des Übernahmerechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . h) Ertragswertermittlung . . . . . . . 3. Weitere Voraussetzungen des § 2312 BGB a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . b) Landgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übernehmer gehört zum Personenkreis des § 2303 BGB . . . d) Anordnung des Erblassers oder Fall des § 2049 BGB . . . . . e) Ertragswertansatz ist gerechtfertigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Geltendmachung des Übernahmerechts . . . . . . . . . . . . . . . g) Kein Nachabfindungsanspruch h) § 2312 BGB und vorweggenommene Erbfolge . . . . . . . . 4. Vererbung des Landguts bei fortgesetzter Gütergemeinschaft gem. § 1515 BGB . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen des § 1515 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahren auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs aus der Erbengemeinschaft nach §§ 13 ff. GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . a) Erbengemeinschaft kraft gesetzlicher Erbfolge . . . . . . . . b) Landwirtschaftlicher Betrieb . c) Hofstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ertragshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antragsteller ist Miterbe . . . . . f) Landwirtschaftsgericht . . . . . . g) Zuweisungsobjekt . . . . . . . . . . h) Zuweisungsempfänger . . . . . . i) Zuweisungsverfahren . . . . . . . j) Zuweisungsbeschluss . . . . . . . k) Nachabfindungsansprüche . . .

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IV. Anerbengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Historische Entwicklung a) Höfeordnung für NordrheinWestfalen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein 112 844

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Rz. b) Badisches Gesetz die geschlossenen Hofgüter betreffend . . . c) Württembergisches Gesetz über das Anerbenrecht . . . . . . . d) Hessische Landgüterordnung . e) Rheinland-pfälzisches Landesgesetz über die Höfeordnung . f) Bremisches Höfegesetz . . . . . . 2. Vergleichende Darstellung der Anerbenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Land-/forstwirtschaftliche Besitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mit einer zu ihrer Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle . . . . c) Betriebsgröße . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsträger des Hofs . . . . . . . e) Eintragung der Anerbenhöfe in öffentliche Register . . . . . . . f) Bestimmung des Hoferben durch Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Bestimmung des Hoferben kraft Anerbengesetzes aa) Anerbenordnungen . . . . . . bb) Konkurrenz innerhalb der ersten Anerbenordnung . . cc) Der Ehegatte als Anerbe im Verhältnis zu den nachfolgenden Anerbenordnungen . . . . . . . . . . . . . . h) Vererbung von Ehegattenhöfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Rechtswirkungen des Hoferbfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Abfindung der weichenden Erben zu Erbquoten nach dem Hofwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten bei der Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Nachlassverbindlichkeiten im Außenverhältnis . . . . . . . . . m) Nachlassverbindlichkeiten im Innenverhältnis . . . . . . . . . . n) Voraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Sonderansprüche der weichenden Erben . . . . . . . . . . . . . . p) Sonderansprüche des überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . q) Nachabfindungsansprüche der weichenden Erben bei Veräußerung des Anerbenhofs r) Hofausschlagung . . . . . . . . . . . . s) Hoffolgezeugnis . . . . . . . . . . . .

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Rz. V. Hofübergabe zu Lebzeiten . . . . . . 173 1. Inhalt des Hofübergabevertrags, insbesondere Altenteil . . . . . . . . . a) Wohnrecht für Übergeber . . . . b) Versorgungsleistungen des Übernehmers . . . . . . . . . . . . . . . c) Rückforderungsklauseln . . . . . d) Gleichstellungs- und Abfindungszahlungen . . . . . . . . . . . .

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Rz. e) f) g) h)

Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . . . Nachabfindungsklausel . . . . . . § 1365 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . Genehmigung nach GrdstVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsnatur des Hofübergabevertrags und Pflichtteil . . . . . . . . .

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I. Zielsetzungen des Landwirtschaftserbrechts Das BVerfG stellte in seinem Beschluss vom 20.3.1963, in dem der Erbvorrang des männlichen Geschlechts in der damaligen Fassung der nordwestdeutschen HöfeO wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärt wurde, klar, dass die höferechtliche Sondernachfolge nicht privaten Interessen des Hoferben dient, sondern dem öffentlichen Interesse.

1

Beratungshinweis: Im Erbengespräch zur Vorbereitung der Hofübergabe ist auf die besondere Interessenlage im Landwirtschaftserbrecht hinzuweisen, um bei den weichenden Erben Verständnis für deren „Benachteiligung“ zu wecken. Dieses Verständnis wird insbesondere durch die Aufnahme von sog. „Spekulations- bzw. Nachabfindungsklauseln“ zugunsten der weichenden Geschwister in Hofübergabeverträge gefördert. Solche Klauseln gewähren den weichenden Erben eine Abfindung bis hin zur Gleichstellung mit dem Hofübernehmer, wenn Teile des Hofs oder der Hof insgesamt aus dem land- und forstwirtschaftlichen Vermögen herausgenommen werden. Doch nicht nur über der Sondernachfolge der HöfeO, sondern über dem gesamten Landwirtschaftserbrecht steht das „öffentliche Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Höfe in bäuerlichen Familien, um die Volksernährung sicherzustellen“. Es „wirkt deshalb der Zerschlagung bäuerlicher Betriebe, der Zersplitterung des Bodens und der bei der Abfindung der weichenden Erben drohenden Gefahr der Überschuldung entgegen.“1 Dieser Hinweis des BVerfG gilt für die Höfeordnung, für die rudimentären Regelungen des BGB-Landguterbrechts und die landesrechtlichen Anerbengesetze gleichermaßen. Ziel des gesamten Landwirtschaftserbrechts ist es, den leistungsfähigen Hof vor einer Zerschlagung im Erbgang zu bewahren, indem es ihn als wirtschaftliche Einheit einem zur Familie gehörigen Hoferben zuweist und den übrigen Miterben Abfindungsansprüche gewährt, die sich nicht am Verkehrswert, sondern am landwirtschaftlichen Hofwert orientieren.

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Bereits diese vom BVerfG aufgezeigte Zweckbestimmung des Landwirtschaftserbrechts weist darauf hin, dass es nicht – wie es zuweilen scheinen mag – Aufgabe der Rechtsprechung ist, möglichst viele Höfe zu den Vorzugsbedingungen des Landwirtschaftserbrechts „zu vererben“. Der Strukturwandel in der Land-

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1 BVerfG v. 20.3.1963 – 1 BvR 505/59, NJW 1963, 947. Ruby

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wirtschaft1 zeigt, dass es keinesfalls sinnvoll ist, Höfe, die wegen ihrer zu geringen Betriebsgröße letztlich nicht überlebensfähig sind, unter Vorzugsbedingungen als wirtschaftliche Einheit auf Nebenerwerbslandwirte übergehen zu lassen. Mancher mag es bedauern, aber im öffentlichen Interesse liegt die Entwicklung wirtschaftlich attraktiver und international wettbewerbsfähiger, d.h. größerer landwirtschaftlicher Betriebsstrukturen. Dieser Wandel darf durch eine strukturkonservierende Auslegung des Landwirt-schaftserbrechts nicht blockiert werden2. Die Erhaltung unwirtschaftlicher Betriebe über erbrechtliche Vorzugsbedingungen bindet landwirtschaftliche Einheiten, die von leistungsfähigen Betrieben zur Stärkung ihrer Leistungsfähigkeit hinzugepachtet oder erworben werden könnten. Das Landwirtschaftserbrecht darf die im öffentlichen Interesse liegende Entwicklung zur effizienten landwirtschaftlichen Betriebsstruktur nicht verhindern.

Beratungshinweis: Die weichenden Erben sind darüber aufzuklären, dass der Hof im Geltungsbereich der regionalen Anerbengesetze aufgrund der besonderen Interessenlage des Landwirtschaftserbrechts erbrechtlich verselbstständigt ist und nach den Anerbengesetzen im Wege der Sondererbfolge übergeht (Ausnahmen: BadHofGG und HessLandgüterO). Außerhalb der Anerbengebiete wird die besondere Zielsetzung des Landwirtschaftserbrechts über das Zuweisungsverfahren nach den §§ 13 ff. GrdstVG erreicht. 3

Um leistungsfähige Höfe in bäuerlichen Familien zu erhalten, durchbrechen – mit Ausnahme Badens und Hessens – die Anerbengesetze sogar den das BGBErbrecht beherrschenden Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 Abs. 1 BGB) und lassen eine Sondererbfolge unmittelbar in den Hof zu. Findet also Anerbenrecht Anwendung, geht der Hof nebst Zubehör nicht mit dem Vermögen als Ganzes in die Gesamthand der Erben über. Der Hof geht erbrechtlich eigene Wege. Er wird aus dem Gesamtnachlass herausgebrochen und als rechtlich selbständige Vermögensmasse gesondert vererbt. Es liegt dann eine der Nachlassspaltung vergleichbare Situation vor, bei der im Grundsatz das Hofvermögen nach Anerbenrecht und das hoffreie Vermögen nach den Vorschriften des BGB vererbt wird3.

3a

Die landwirtschaftsfreundliche Sonderhoferbfolge der Anerbengesetze steht demnach im Gegensatz zur Gesamtrechtsnachfolge des BGB. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass die meisten landwirtschaftlichen Betriebe nicht über die speziellen Anerbengesetze vererbt werden. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Höfe in der Bundesrepublik geht bereits zu Lebzeiten durch Hofübergabeverträge über oder wird im Weg der gewillkürten Erbfolge vererbt. Nur wo solche individuellen Regelungen fehlen, erfolgt die Vererbung nach dem Gesetz, wobei hier wiederum die Höfe ganz überwiegend im Wege des BGB-Landguterbrechts übergehen und nur eine kleine Minderzahl im Wege der regional geltenden Anerbengesetze. Nur bei den Anerbenrechten kommt es zur „Nachlassspaltung“ (Aus1 Im Zeitraum 1971 bis 1991 nahm in der Bundesrepublik die Gesamtzahl der Betriebe um 44,3 % ab und ihre durchschnittliche Größe von 12,4 auf 20,25 ha LF zu, vgl. Schmitt, Agrarrecht 1996, 15 ff. 2 Vgl. Köhne, Agrarrecht 1995, 321. 3 Da der Hof bzw. Hoferbe aber im Außenverhältnis auch für nichtbetriebliche Nachlassverbindlichkeiten haftet, liegt keine echte Nachlassspaltung vor, vgl. Rz. 149. Zur Haftung Innenverhältnis s. Rz. 150. 846

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nahme: BadHofGG und HessLandGO), beim BGB-Landguterbrecht hingegen nicht. Nach dem BGB-Landguterbrecht geht der Hof als einer von mehreren Nachlassgegenständen an den Alleinerben oder die Gesamthand der Miterben über. Die Sondererbfolge bleibt also auf die Anerbengesetze beschränkt. Um den Hof als leistungsfähige wirtschaftliche Einheit in der Hand des Hoferben zu erhalten, wird dieser privilegiert, und zwar sowohl im BGB-Landguterbrecht (§§ 2049, 2312 BGB) als auch in den Anerbengesetzen der Länder. Der Hoferbe hat die sog. „weichenden Miterben“ zwar mit einem Geldbetrag abzufinden; doch liegt dieser weit unter dem Verkehrswert des Hofs. Durch diese Abfindungsprivilegierung soll verhindert werden, dass der Hof mit Schulden übermäßig belastet und damit in seiner Überlebensfähigkeit beeinträchtigt wird. Nach der Rechtsprechung verfolgen solche Abfindungsprivilegien, „den Zweck, den Hof auch nach dem Erbfall in seinem Bestand zu erhalten und einem der Erben die Weiterführung zu ermöglichen“1, oder, wie es der BGH in einem Urteil aus den Sechzigerjahren ausdrückte, „dem Übernehmer des Landguts dessen weitere Bewirtschaftung in der bisherigen Weise zu ermöglichen … und so das Landgut im Besitze der Familie zu erhalten“2.

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Wie bereits erwähnt, ist dabei zu beachten, dass nicht jeder Klein- oder Kümmerbetrieb schutzwürdig ist. Das öffentliche Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Betriebe, das die Benachteiligung der weichenden Erben rechtfertigt, besteht nicht bei unwirtschaftlichen kleinen Betriebseinheiten. Hier ist es umgekehrt gerade sinnvoll, dass solche Betriebe aufgelöst werden und die damit frei werdenden landwirtschaftlichen Flächen von leistungsfähigen Betrieben zur Stärkung ihrer Ertragskraft genutzt werden können. Auf diesen Punkt sollten traditionellem Denken verhaftete Hofübergeber genauso nachdrücklich hingewiesen werden wie unkritische Richter3. Unwirtschaftliche Betriebseinheiten verdienen den Schutz des Landwirtschaftserbrechts nicht.

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Für Höfe, die dem BGB-Landguterbrecht unterliegen, werden die Zielsetzungen des Landwirtschaftserbrechts über die §§ 2049, 2312 BGB und insbesondere das Zuweisungsverfahren nach §§ 13 ff. GrdstVG erreicht. Die in verschiedenen Bundesländern geltenden Anerbengesetze enthalten besondere Abfindungsregelungen.

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II. Verhältnis der Anerbengesetze zum BGB-Landguterbrecht Die besondere Rechtslage im Landwirtschaftserbrecht, die durch räumliche Zersplitterung gekennzeichnet ist, ist ohne einen kurzen Blick in die Rechtsgeschichte nicht zu verstehen. 1. Historische Entwicklung Das Erbrecht der Landwirtschaft in Deutschland präsentiert sich aus historischen Gründen uneinheitlich. Neben bzw. vor das Erbrecht des BGB können – je 1 BGH v. 21.3.1973 – IV ZR 157, 71, NJW 1973, 995. 2 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. 3 Vgl. aber auch BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951 und s. Rz. 35a. Ruby

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nach Bundesland – landesrechtliche Anerbengesetze bzw. die Höfeordnung als partielles – auf die vier norddeutschen Höfeordnungsländer begrenztes – bundesrechtliches Anerbenrecht treten. Von 1933 bis 1947 galt im gesamten Reichsgebiet das Reichserbhofgesetz als einheitliches Anerbenrecht. Das Reichserbhofgesetz hatte im Dritten Reich für die „Erbhöfe“ die Testierfreiheit des Erblassers weitgehend beseitigt und die Rechte der weichenden Erben zugunsten des Hoferben stark eingeschränkt. Das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 45 vom 20.2.1947 hat die gesamte Reichserbhofgesetzgebung aufgehoben und die zum 1.1.1933 geltenden Landes-Anerbengesetze wieder in Kraft gesetzt. Die norddeutsche Höfeordnung und die rheinlandpfälzische Höfeordnung allerdings sind neue, nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Gesetze. 8

Wie war die Rechtslage in der Zeit vor dem Reichserbhofgesetz? Infolge der Aufklärung und der französischen Revolution wurden die bäuerlichen Sondererbrechte seit Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aufgehoben. In den Ländern des Reiches sollten auch die Bauernhöfe nach allgemeinem Recht vererbt werden. Dennoch hielten sich in vielen Gegenden die seit alters her bewährten Anerbensitten, die insbesondere die Hofübergabeverträge beeinflussten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzte dann die Gegenbewegung ein, die mittlerweile abbröckelnden Anerbensitten durch Anerbengesetze zu stützen. Eine erste 1855 von Bayern ausgehende Welle der Anerbengesetzgebung versuchte, den Gedanken des Fideikommiss ins bäuerliche Erbrecht zu tragen und die Höfe unter Abschaffung der Testierfreiheit nach bestimmten Regeln innerhalb der Familie zu vererben1. Aus einer zweiten Welle gingen die „modernen“ Anerbengesetze in Baden, Württemberg, Hessen und Bremen hervor.

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Diese landesrechtlichen Anerbengesetze aus der Zeit vor dem BGB gelten trotz des Inkrafttretens des BGB über den 1.1.1900 hinaus fort. Gem. Art. 55 EGBGB traten die privatrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze zum 1.1.1900 nämlich nur insoweit außer Kraft, als nicht im BGB selbst oder im EGBGB etwas anderes bestimmt ist. Nach Art. 64 EGBGB aber bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über das Anerbenrecht in Ansehung landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Grundstücke nebst deren Zubehör durch das Inkrafttreten des BGB unberührt. Dieser landesgesetzgeberische Vorbehalt gilt nicht nur für ältere, bereits vor dem BGB geltende Anerbengesetze, sondern wirkt bis heute. So wurde z.B. die rheinland-pfälzische Höfeordnung erst 1953 verabschiedet.

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Die (Weiter-)Geltung der regionalen Anerbenrechte sollte allerdings nicht zu einer Beschneidung der Testierfreiheit führen. Deshalb wurde in Art. 64 II EGBGB bestimmt, dass die Freiheit des Erblassers, von Todes wegen frei über die dem Anerbenrecht unterliegenden Grundstücke verfügen zu können, nicht durch Landesgesetze beschränkt werden kann. Mit anderen Worten: Die Testierfreiheit des Erblassers nach dem BGB geht den regionalen Anerbenrechten vor. Auch in einem Anerbenrechts-Gebiet kann der Erblasser jede ihm beliebige Person zum Hoferben bestimmen und ist nicht an die Vorgaben der landesrecht1 Vgl. Art. 64 Abs. 2 EGBGB, der eine Einschränkung der Testierfreiheit durch Landesgesetze im Hinblick auf dem Anerbenrecht unterliegende Grundstücke nicht mehr zulässt. 848

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lichen Anerbenordnung gebunden. Aufgrund der Testierfreiheit steht ihm auch das Recht zu, den Hof, der nach der regionalen Anerbenordnung ungeteilt auf den Anerben übergehen soll, letztwillig auf mehrere Erben aufzuteilen.

Beratungshinweis: Dem Hofübergeber bzw. Erblasser ist anzuraten, die Hofübergabe bereits lebzeitig durch Übergabevertrag (s. Rz. 173 ff. mit Formulierungsbeispiel) oder zumindest durch letztwillige Verfügung zu regeln. Auf die teilweise antiquiert wirkenden Anerbenrechte sollte er sich nicht verlassen. So ist bspw. die undifferenziert pauschale Berufung des ältesten Kindes zum Anerben wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig. M 146 Testament mit Drittbestimmung der Teilungsanordnung nach § 2049 BGB Ich setze meine Kinder A, B und C zu gleichen Teilen, also zu je 1/ 3 Erbanteil, zu meinen Erben ein. Im Wege der Teilungsanordnung soll eines meiner Kinder das Recht erhalten, meinen gesamten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zum Ertragswert nach § 2049 BGB zu übernehmen, nämlich meine Grundstücke … (Beschrieb der zur Land- und Forstwirtschaft gehörenden Grundstücke nach dem Grundbuch) … samt meinem gesamten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb mit allen Aktiven und Passiven, dem toten und lebenden Inventar, den Vorräten und Geräten, soweit diese in meinem Eigentum stehen, den betrieblichen Beteiligungen, Geschäftsanteilen und Geschäftsguthaben (… Einzelaufstellung sinnvoll …). Die Zuteilung kann der Testamentsvollstrecker nach seinem billigen Ermessen verbindlich vornehmen. Er hat dabei dasjenige meiner Kinder auszuwählen, das für die betriebliche Nachfolge am geeignetsten erscheint. Diesem Kind kommt auch der besondere Abzugsbetrag für Betriebe der Land- und Fortswirtschaft nach § 13a Abs. 2 ErbStG in voller Höhe zu.1

Beratungshinweis: Diese Gestaltung kann nur gewählt werden, wenn zuvor die einkommensteuerlichen und erbschaftsteuerlichen Auswirkungen ermittelt und mit der Mandantschaft besprochen sind. Einkommensteuerlich droht die Aufdeckung stiller Reserven mit entsprechender ertragsteuerlicher Belastung. Erbschaftsteuerlich ist zu beachten, dass für die Besteuerung die Teilungsanordnung grundsätzlich unbeachtlich ist. Es erfolgt eine Besteuerung nach Erbquoten. Allerdings geht das Erbschaftsteuerrecht in § 13a Abs. 3 ErbStG über das frühere Recht insoweit hinaus, als die steuerlichen Verschonungsregeln (Verschonungsabschlag und Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG) jetzt auch dem durch Teilungsanordnung Begünstigten zugute kommen. Die Gestaltung mit Drittbestimmung der Teilungsanordnung sollte aber dennoch nur erwogen werden, wenn der Hofübernehmer aufgrund der Minderjährigkeit der infrage kommenden Abkömmlinge noch nicht feststeht. Der sicherste Weg bei einem bereits feststehenden Hofübernehmer erfolgt über die Alleinerbeneinsetzung desselben mit Ertragswertanordnung nach § 2312 Abs. 2 BGB und möglicherweise Vermächtnisbeschwerung zugunsten der weichenden Geschwister. 1 § 13a Abs. 3 S. 2 ErbStG. Ruby

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Rz. 11

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2. Wann gilt ein Anerbengesetz? 11

Bei dem dargestellten Nebeneinander von BGB-Landguterbrecht und Anerbenrecht ist im konkreten Fall zunächst zu fragen, welches Recht Anwendung findet. Hierbei ist folgende Prüfungsreihenfolge zu beachten: (1) Ist die Betriebsnachfolge durch Verfügung von Todes geregelt, so dass die gewillkürte Nachfolge als Berufungsgrund BGB-Landguterbrecht und Anerbenrechten vorgeht? (2) Oder liegt kein Testament/Erbvertrag vor? (3) Liegt der Hof in einem Anerbenrechtsgebiet? (4) Untersteht der Hof dem Anerbengesetz (z.B. weil er in die Höferolle eingetragen ist)? Nur wenn die letzten drei Fragen mit „Ja“ beantwortet werden können, findet Anerbenrecht Anwendung. Ansonsten bleibt es beim Erbrecht des BGB, das durch die §§ 13 ff. GrdstVG ergänzt wird (§§ 13 ff. GrdstVG regeln das Verfahren für die Zuweisung eines Hofs an einen einzelnen Erben, wenn ein Hof einer Erbengemeinschaft aufgrund gesetzlicher Erbfolge gehört). 3. Überblick über die regionalen anerbenrechtlichen Sondervorschriften

12

Das allgemeine BGB-Landguterbrecht (ergänzt durch das Zuweisungsverfahren nach §§ 13 ff. GrdstVG) gilt (jedenfalls subsidiär) für die gesamte deutsche Landwirtschaft. Das BGB-Landguterbrecht tritt aber immer dann zurück, wenn anerbenrechtliche Sondervorschriften eingreifen. Ein reines BGB-(GrdstVG-)Erbrecht finden wir in Bayern, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen1.

13

Für rund 4 400 gesetzlich festgestellte Höfe im Hochschwarzwald gilt zwingend das Badische Gesetz die geschlossenen Hofgüter betreffend.

13a

Entgegen verbreiteter Auffassung gilt das württembergische Anerbenrecht für den Fall, dass der Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren ist, immer noch fort. Ansonsten ist es mit Ablauf des 31.12.2000 außer Kraft getreten. Das württembergische Gesetz über das Anerbenrecht von 1930 galt/gilt für das frühere Württemberg-Baden (entspricht den heutigen Regierungsbezirken Stuttgart und Karlsruhe) für (rechtstatsächlich allerdings nur ganz vereinzelt) in die Höferolle eingetragene Betriebe. Im nördlichen Teil Baden-Württembergs war das fakultative Höferecht schon immer „so gut wie totes Recht“2. Sonst galt/gilt BGB(GrdstVG-)Erbrecht. Mit Ablauf des 31.12.2000 ist das württembergische Anerbengesetz außer Kraft getreten (Ausnahme: Fortgeltung, wenn Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren wurde und keine die Hofnachfolge regelnde Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat). 1 Sämtliche Landesanerbengesetze sowie die Höfeordnung sind abgedruckt in Wöhrmann, Das Landwirtschaftserbrecht, 10. Aufl. 2011. Diesem Kommentar zur Höfeordnung, zum BGB-Landguterbrecht und zum GrdstVG-Zuweisungsrecht sind auch die nachstehenden Angaben zur Anzahl der eingetragenen bzw. festgestellten Höfe entnommen. 2 Kreuzer, Agrarrecht 1977, Beilage I S. 15. 850

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Für das frühere Land Württemberg-Hohenzollern, das dem heutigen Regierungsbezirk Tübingen entspricht, besteht die gleiche Rechtslage, nachdem 1985 das Gesetz über das Anerbenrecht der im ehemaligen Württemberg-Baden geltenden Fassung identisch angeglichen wurde. Die weitaus meisten der rund 7 000 dem württembergischen Anerbenrecht unterfallenden Höfe liegen im Regierungsbezirk Tübingen. Es ist ebenfalls am 31.12.2000 aufgrund des 3. Rechtsbereinigungsgesetz außer Kraft getreten (GVBl. 1996, 29). Seit dem 1.1.2000 gilt in Baden-Württemberg demnach grundsätzlich – bis auf die badischen Hofgüter des Hochschwarzwalds – BGB-(GrdstVG-)Erbrecht, es sei denn, der Erblasser ist vor dem 1.1.1930 geboren. Gem. Art. 28 des 3. Rechtsbereinigungsgesetzes bleiben nämlich die aufgehobenen Rechtsvorschriften für Erbfälle nach dem 31.12.2000 dann noch anwendbar, wenn der Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren war.

13b

In Rheinland Pfalz sind von den rund 47 000 landwirtschaftlichen Betrieben ca. 6 600 in die Höferolle eingetragen. Für die eingetragenen Betriebe gilt das rheinland-pfälzische Landgesetz über die Höfeordnung, für die Mehrzahl der Betriebe das BGB-(GrdstVG-)Erbrecht.

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Bei rund 45 000 Betrieben in Hessen gilt die Hessische Landesgüterordnung nur für die 155 Höfe, die in die Landesgüterrolle bei den Landwirtschaftsgerichten eingetragen sind, ansonsten gilt BGB-(GrdstVG-)Erbrecht.

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Von den rund 500 landwirtschaftlichen Betrieben Bremens gilt für 159 Betriebe das Bremischen Höfegesetz, falls der Hof in die Höferolle beim Grundbuchamt eingetragen ist, (§ 1 BremHöfeG).1 Dieses Gesetz ist mit Ablauf des 31.12.2014 außer Kraft getreten (§ 32 BremHöfeG). Ursprünglich sollte es nach § 32 BremHöfeG a.F. bereits mit Ablauf des 31.12.2009 außer Kraft treten. Dieser Termin wurde aber durch das genannte Änderungsgesetz 2009 auf den Ablauf des 31.12. 2014 verschoben

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In den vier Höfeordnungsländern Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gilt die Höfeordnung. S. hierzu unter Rz. 112.

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III. BGB-Landguterbrecht i.V.m. §§ 13 ff. GrdstVG Das Landguterbrecht des BGB i.V.m. dem in §§ 13 ff. GrdstVG geregelten Zuweisungsverfahren gilt für die Vererbung von Höfen, die entweder nicht in ein Höferegister2 oder mit einem entsprechenden Vermerk im Grundbuch eingetragen sind, oder solche, die in einem Bundesland liegen, in dem es kein Anerbenrecht gibt, wie in den neuen Bundesländern3, Bayern, Berlin oder dem Saarland.

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Einstweilen frei.

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1 Bremisches Höfegesetz v. 18.7.1899 in der Neufassung v. 19.7.1948, zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 23 des Gesetzes v. 24.11.2009; Höferolle, VO v. 19 7.1948, zuletzt geändert durch Gesetz v. 4.11.2009. 2 Bzw. aufgrund negativer Hoferklärung gelöscht wurden. 3 Die Verfassung der früheren DDR vom 7.10.1949 betrachtete die Anerbengesetze auf ihrem Gebiet als gegenstandslos, vgl. Palandt/Weidlich, Art. 64 EGBGB Rz. 3. Ruby

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Rz. 19

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Beratungshinweis: Falls der Erblasser sich nicht entschließen kann, den Hof zu Lebzeiten zu übergeben1, sollte er den Hoferben auf jeden Fall im Testament oder Erbvertrag bestimmen, wenn kein Anerbenrecht gilt. Hinterlässt der Erblasser keine letztwillige Verfügung und fällt der Hof im Erbgang an eine Erbengemeinschaft, muss sich derjenige Miterbe, der den Hof weiterführen will, im Rahmen der Erbauseinandersetzung mit den anderen Miterben über die Zuteilung des Hofs einigen. Kommt eine solche Einigung über die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nicht zustande, kann dem Miterben, der den Hof weiterführen will, auf seinen Antrag hin gem. §§ 13 ff. GrdstVG das Alleineigentum an dem Hof durch das Landwirtschaftsgericht zugewiesen werden. Der Hof kann also im Geltungsbereich des BGB-Landguterbrechts niemals im Wege der gesetzlichen Erbfolge von selbst auf den Hoferben übergehen, wie dies im Anerbenrecht2 der Fall ist. Die in der Rechtspraxis oftmals extrem lange Wartezeit3 bis zur gerichtlichen Zuweisung des Hofs an einen Miterben und die mit ihr einhergehende Ungewissheit kann zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen, wenn nicht zum Ruin des Hofs führen. Im Geltungsbereich des BGB-Landguterbrechts sollte folglich der künftige Erblasser, der zu Lebzeiten noch nicht übergeben will, aber bereits weiß, wer den Hof fortführen kann und dazu auch bereit ist, dem auserkorenen Hofnachfolger den Hof entweder durch Einsetzung als Alleinerbe oder im Wege des Vermächtnisses zuwenden. M 147 Antrag auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs An das Amtsgericht … – Landwirtschaftsgericht – Antrag auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebes nach §§ 13 ff. Grundstücksverkehrsgesetz Beteiligte des Zuweisungsverfahrens: 1. Herr … – Antragsteller – Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwälte … 2. … 3 …. 4 …. – Antragsgegner – Vorläufiger Gegenstandswert: … 1 In rund 90 % der Fälle erfolgt die Übergabe lebzeitig. 2 Bis auf das BadHofGG und die HessLandgüterO. 3 Vermutlich bedingen die geringe Rechtspraxis einzelner Landwirtschaftsgerichte und der Geschäftsverteilungsplan einzelner Amtsgerichte eine längere Einarbeitungszeit. 852

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Rz. 19

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Namens und mit Vollmacht des Antragstellers beantrage ich gem. § 15 LwVG eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, in der ich folgende Anträge stellen werde: 1. Der landwirtschaftliche Betrieb des am 9.6.2014 verstorbenen Landwirts Franz Bauer, zuletzt wohnhaft Paradiesgasse 1, 78048 Villingen-Schwenningen, wird dem Antragsteller ungeteilt zugewiesen. 2. Die nachfolgend genannten Grundstücke, aus denen der Betrieb besteht, werden dem Antragsteller zu Alleineigentum zugewiesen: Flst. Nr. 241 … … Erbbaurecht an Flst. 1617/1 … Grundbuch von Unterkirnach Bl. 1276 Flst. Nr. 7168 …

Wirtschaftsart und Lage … (Gewann)…, Landwirtschaftsfläche

Größe …

… Str. Gebäude und Freifläche



Gründland-…



3. Die vorhandenen Eigentümergrundschulden auf den unter Antragsziffer 2 genannten Grundstücken werden auf den Antragsteller übertragen. 4. Da gesamte vorhandene Inventar des landwirtschaftlichen Betriebs des verstorbenen Franz Bauer wird auf den Antragsteller übertragen. 5. Der Antragsteller hat an die Beteiligten zu 2 bis 4 als Miterben jeweils eine Abfindung zu leisten, die nach deren Anteilen an der Erbengemeinschaft nach Franz Bauer auf Ertragswertgrundlage zu bestimmen ist. 6. Die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegner. Begründung: Der Antragsteller begehrt die Zuweisung des landwirtschaftlichen Betriebs seines am 9.6.2014 in Villingen-Schwenningen verstorbenen Vaters Franz Bauer (Erblassers). Sämtliche Voraussetzungen für eine Zuweisung nach §§ 13 ff. GrdstVG liegen vor, was sich aus dem Nachstehenden ergibt: 1. Der vorbezeichnete landwirtschaftliche Betrieb stand im Eigentum des Erblassers. Dieser ist noch im Grundbuch als Eigentümer eingetragen, wie sich aus den als Anlage K 1 beigefügten Grundbuchauszügen ergibt. Der Erblasser hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Nach ihm ist mithin gesetzliche Erbfolge eingetreten. Gesetzliche Erben sind die Beteiligten, nämlich …, wie sich aus dem als Ruby

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Rz. 20

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Anlage K 2 beigefügten Erbschein des Nachlassgerichtes Villingen, Az …. vom … ergibt. 2. Der landwirtschaftliche Betrieb ist mit einer zur Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle versehen, die sich in der Paradiesgasse 1 in Villingen-Schwenningen befindet. Die Erträge reichen zum Unterhalt einer bäuerlichen Familie aus. So wurde für das Wirtschaftsjahr 2012/2013 aus den konkreten Buchhaltungswerten des Betriebs ein Reinertrag in Höhe von 69. 589 Euro ermittelt, wie sich aus den als Anlage K 3 beigefügten Betriebsergebnisberechnungen des Steuerberaters … ergibt. 4. Ausschlussgründe für die Zuweisung nach § 14 GrdstVG liegen nicht vor, insbesondere konnten sich die Beteiligten über eine Auseinandersetzung nicht einigen, ein Ausschluss der Auseinandersetzung liegt nicht vor und es ist auch kein Testamentsvollstrecker zur Bewirkung der Auseinandersetzung vorhanden. 5. Von den gesetzlichen Erben ist nur der Antragsteller zur Fortführung des landwirtschaftlichen Betriebs geeignet, weil … (z.B.). – die Geschwister des Antragstellers landwirtschaftsfremde Berufe ausüben – die Mutter des Antragstellers aus Alters- und Gesundheitsgründen zur betrieblichen Arbeit nicht in der Lage ist. Der Antragsteller ist bereit und in der Lage den väterlichen Betrieb fortzuführen. Er ist im väterlichen Betrieb aufgewachsen. Seine landwirtschaftliche Ausbildung hat er als … abgeschlossen, wie sich aus dem als Anlage K 4 beigefügten Zeugnis über die Qualifikation als Landwirt vom … ergibt. Er hat im väterlichen Betrieb seit … als … mitgearbeitet und den Betrieb seit dem Tod des Vaters alleine fortgeführt. Ein der Zuweisung entgegenstehender Erblasserwille ist nicht ersichtlich, was für die Zuweisung im vorliegenden Falle ausreicht … 6. Die Geschwister als Antragsgegner sind mit den nach § 16 GrdstVG festzusetzenden Leistungen abzufinden. 7. Um eine gütliche Einigung nicht unversucht zu lassen, unterbreitet der Antragsteller (nochmals) folgenden Vergleichsvorschlag … 8. Ein Gerichtskostenvorschuss wurde nicht entrichtet. 9. Soweit weitere Angaben und Unterlagen erforderlich sind, wird höflich um einen entsprechenden richterlichen Hinweis gebeten.

1. Gemeinsame Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB 20

Das BGB enthält kein geschlossenes Sondererbrecht für Höfe. Die BGB-Vorschriften, die den vom BGB verwendeten Begriff des „Landguts“ kennen, lassen sich an einer Hand abzählen: §§ 2049, 2312, 1515, 330 und 98 BGB. Diese Rege854

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lungen sind derart lückenhaft, dass man eigentlich gar nicht von einem „BGBLandguterbrecht“ sprechen sollte. Die beiden wichtigsten Vorschriften, §§ 2049 und 2312 BGB, greifen zudem nur bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen. Liegt also keine Ablebensverfügung vor, kommt „BGB-Landguterbrecht“ nicht zur Anwendung. Das Fehlen einer gesetzlichen Sonderhoferbfolge im BGBLandguterbrecht musste folglich durch das Zuweisungsverfahren nach §§ 13 ff. GrdstVG abgefedert werden. a) Begriff des Landguts i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB Mangels einer Legaldefinition ist für die Bestimmung des Begriffs „Landgut“ auf die Rechtsprechung zurückzugreifen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist unter einem „Landgut“ i.S.v. §§ 2312, 2049 BGB eine Besitzung zu verstehen, die eine zum selbstständigen und dauernden Betrieb der Landwirtschaft einschließlich der Viehzucht oder der Forstwirtschaft geeignete und bestimmte Wirtschaftseinheit darstellt und mit den nötigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen ist. Sie muss eine gewisse Größe erreichen und für den Inhaber eine selbstständige Nahrungsquelle darstellen, ohne dass eine Ackernahrung i.S.v. § 14 Abs. 1 GrdstVG vorliegen muss. Das Bestimmungsrecht obliegt insoweit dem Eigentümer im Rahmen der Verkehrsauffassung. Der Betrieb kann auch nebenberuflich geführt werden, wenn er nur zu einem erheblichen Teil zum Lebensunterhalt seines Inhabers beiträgt1.

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aa) Das Landgut muss als „Besitzung“ im Eigentum des Erblassers stehen2.

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bb) Bei einem Landgut kann es sich selbstredend nur um einen Betrieb handeln, welcher der Landwirtschaft zuzurechnen ist. Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe der Urproduktion, in dem durch Bodennutzung pflanzliche und tierische Rohstoffe erzeugt werden, was neben Viehzucht und Ackerbau auch Forstwirtschaft, Gärtnerei, gewerbsmäßigen Gartenbau und landwirtschaftliche Nebengewerbe einschließt3. Da die Bodennutzung ein entscheidendes Tatbestandsmerkmal ist, sind Agrarfabriken, die Massentierhaltung auf der Grundlage zugekauften Futters betreiben, keine BGB-Landgüter, sondern Gewerbebetriebe, die nach den allgemeinen Vorschriften vererbt werden4. Auch eine Pferdepension ist nicht als Landgut i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB anzusehen, da sie in ihrem Gesamtbild nicht vom Betrieb einer Landwirtschaft im Sinne einer Urproduktion geprägt ist. Das gilt nach dem OLG München5 auch dann, wenn die Pferdepension auf einem landwirtschaftlichen Anwesen mit insgesamt ca. 14,8 ha, bestehend aus Wohnhaus, Wirtschaftsgebäuden, Grünland und Forstland betrieben wird, um sich hierdurch auf die veränderten Markt- und Lebensbedingungen einzustellen. 1996 war die auf dem Hof bis dahin betriebende Milchwirtschaft aufgegeben und auf eine Pferdepension umgestellt worden. Zum Zeitpunkt des Todes der Erblas-

23

1 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 2 Wöhrmann, S. 408 ff. 3 OLG Oldenburg v. 17.12.1991 – 5 U 82/91, FamRZ 1992, 726 = NJW-RR 1992, 463; vgl. auch die Legaldefinitionen für Landwirtschaft in § 585 Abs. 1 S. 2 BGB und § 1 Abs. 2 GrdstVG. 4 Wöhrmann, S. 411. 5 OLG München v. 14.1.2003 – 23 U 1830/02, NJW-RR 2003, 1518. Ruby

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serin 1999 waren dort fünf Pensionspferde untergestellt. Das auf den Grünflächen geerntete Raufutter wurde zum Teil an die eingestellten Pferde verfüttert, im Übrigen an Dritte verkauft. Das erwirtschaftete Holz wurde zum Teil vom Bekl. selbst verbraucht, zum Teil an Dritte verkauft. Es wurde ein Jahresgewinn von 16 364 DM aus folgenden Umsätzen erwirtschaftet: Grünlandbewirtschaftung mit 12 022 DM, Pensionspferdehaltung mit 14 000 DM, Forstwirtschaft mit 3 087 DM und Milchquotenverpachtung mit 3 862 DM. Die Erträge aus Grünland- und Forstbewirtschaftung waren nach Auffassung des OLG derart gering, dass allein hierauf ein erhaltungswürdiger Betrieb nicht gestützt werden kann. Der für die Pflichtteilsberechnung maßgebende Verkehrswert des Anwesens betrug zum Zeitpunkt des Erbfalls 2,099 Mio. DM (Ertragswert 147 000 DM). 24

cc) Die „gewisse Größe“ hat keinen eigenständigen Aussagegehalt: Vom Kleinbauern bis zum Rittergutsbesitzer soll das Gut in der Familie bleiben1. Die „gewisse Größe“ ist immer dann erreicht, wenn die Besitzung so groß ist, dass sie im zu entscheidenden Fall für den Inhaber eine selbstständige Nahrungsquelle darstellt. Dass dies schon bei 1,6 ha Eigenbesitz und 2 ha Zupachtfläche der Fall sein soll, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 3 GG) abzulehnen: Den Miterben kann kein Sonderopfer abverlangt werden, um nicht erhaltenswerte Betriebseinheiten und letztlich deren Eigentümer zu privilegieren2. Die „gewisse Größe“ des Landguts braucht aber nicht die einer „Ackernahrung“ zu haben. Das Landgut muss also nicht diejenige Menge Landes umfassen, die notwendig ist, um eine Familie unabhängig vom Markt und der allgemeinen Wirtschaftslage zu ernähren und zu bekleiden und den Wirtschaftsablauf des Hofs zu erhalten3.

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dd) Selbstständige Nahrungsquelle, die zu einem erheblichen Teil zum Lebensunterhalt des Inhabers beiträgt: Die Frage, ob nur Vollerwerbshöfe oder auch Nebenerwerbsbetriebe zu den Vorzugsbedingungen für Landgüter vererbt werden können, hat der BGH zugunsten der Nebenerwerbsbetriebe entschieden4. Ein Landgut könne auch vorliegen, wenn der Inhaber neben der Landwirtschaft einen anderen Beruf ausübe und aus dessen Erträgnissen den Familienunterhalt mitbestreite5. Begründet wird diese Auffassung damit, dass die Einkünfte aus den Nebenerwerbsbetrieben für Familien im ländlichen Raum existenzsichernd seien. Beachtung mag hier finden, dass mittlerweile mehr Nebenerwerbs- als Vollerwerbslandwirte gezählt werden6.

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Nach der Landgutdefinition des BGH kann jedoch nicht jeder Nebenerwerbsbetrieb ein Landgut sein. Da der Hof eine „selbstständige Nahrungsquelle“ darstellen muss, ist hierfür Voraussetzung, dass der Hof in erheblichem Umfang zum Gesamteinkommen des Inhabers und seiner Familie beiträgt. Für Wöhrmann liegt dieser erhebliche Einkommensanteil bei mindestens 15–20 % des Gesamteinkommens7. 1 2 3 4 5

Kegel, Cohn-Festschrift, S. 102. OLG Oldenburg Rdl, 1957, 220. So die Definition in § 2 Abs. 2 des früheren Reichserbhofgesetzes. BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. Unveröffentlichtes Urteil des BGH v. 8.4.1964 – III ZR 49/66; vgl. auch Johannsen, WPM 1970, 328; Haegele, BWNotZ 1975, 35; MüKo.BGB/Frank, § 2312 Rz. 3 Fn. 17. 6 Während 1971 der Anteil der Nebenerwerbslandwirte noch bei 43,6 % lag, betrug er 1992 bereits 55,8 %, vgl. Schmitt, Agrarrecht 1996, 15 ff. 7 Wöhrmann, S. 414.

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Die Vorgaben der Höfeordnung oder anderer Anerbenrechte für die Hofeigenschaft sind für den Landgutbegriff des BGB jedenfalls nicht heranzuziehen. So hat der BGH entschieden, dass die nach der HöfeO vorausgesetzte Mindestertragskraft bei einem Landgut nicht gegeben zu sein brauche, wenn nur die Voraussetzungen der BGH-Landgutdefinition vorliegen1.

26a

Ein Nebenerwerbsbetrieb kann zwar auch dann als Landgut gelten, wenn sein Ertrag nicht für den vollen Unterhalt des Inhabers ausreicht. Der Ertrag muss dann aber wenigstens einen erheblichen Teil seines Einkommens bilden. Diese Voraussetzung muss beim Erbfall vorliegen oder vom Erben oder seinen Abkömmlingen bei realistischer Betrachtung in Zukunft wieder verwirklicht werden können. Diese Voraussetzungen waren in einem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall2 bei einem Zuschussbetrieb nicht gegeben. Das OLG Stuttgart stellte zunächst fest, dass landwirtschaftliche Grundstücke ein Landgut bilden, wenn sie zum selbstständigen Betrieb einer Landwirtschaft geeignet und bestimmt sind. Eine bestimmte Betriebsgröße sei nicht erforderlich. Insbesondere sei nicht erforderlich, dass eine Ackernahrung vorhanden sei, dass also die Besitzung eine Familie unabhängig vom Markt und der allgemeinen Wirtschaftslage tragen können muss. Ein Landgut könne auch vorliegen, wenn der Inhaber noch einen anderen Beruf ausübe und aus dessen Erträgnissen seinen und seiner Familie Unterhalt mitbestreite. Doch müsse der Besitz eine gewisse Größe erreichen und deshalb für den Inhaber eine selbstständige Nahrungsquelle darstellen. Das setze voraus, dass der Besitz zum selbstständigen Betrieb der Landwirtschaft geeignet sei. Das sei aber nur der Fall, wenn der Besitz einen erheblichen Teil des Einkommens des Inhabers abwerfe, also kein Zuschussbetrieb ist.

26b

Nach dem DAG-Leitfaden für die Ertragswertermittlung3 sind nur solche Betriebe als leistungsfähig einzustufen, bei denen die drei Erfolgskriterien Gewinn, Eigenkapitalbildung im Betrieb und die „Entlohnung“ der eingesetzten Produktionsfaktoren4 ein angemessenes Niveau für eine längerfristige (d.h. etwa für eine Generation) wirtschaftliche Existenz erreichen. Das Gewinnniveau muss zeigen, dass eine ernst zu nehmende Erwerbstätigkeit und nicht etwa ein Hobby vorliegt. Die erzielbare Eigenkapitalbildung muss im Lichte der Fremdkapitalbelastung und der weiteren Betriebsentwicklung gewürdigt werden. Die „Entlohnung“ der eigenen Produktionsfaktoren „Arbeit“, „Kapital“ und „Boden“ aus dem Gewinn muss in etwa vergleichbaren marktüblichen Löhnen, Zinsen und Pachten entsprechen. Ferner werden gefordert das „Vorliegen einer Buchführung“, welche die Ernsthaftigkeit der wirtschaftlichen Betätigung belege, und die Selbstbewirtschaftung, was eine dauerhafte, nicht nur vorübergehende Verpachtung ausschließt.

27

ee) Eignung zum dauernden Betrieb der Landwirtschaft: Für die Anwendung der §§ 2049, 2312 BGB kommt es auf die Verhältnisse zur Zeit des Erbfalls an. Die mangelnde Eignung und Widmung des Hofs zum dauernden Betrieb der Landwirtschaft kann folglich nicht daraus abgeleitet werden, dass die Grundstücke

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1 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 2 OLG Stuttgart v. 30.12.1985 – 2 U 42/85, NJW-RR 1986, 822. 3 Agrarrecht 1994, 5 (6). 4 Nämlich Arbeit, Kapital und Boden. Ruby

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seit dem Erbfall ziemlich heruntergekommen sind1. Die Eignung der Wirtschaftseinheit zum dauernden Betrieb der Landwirtschaft geht durch vorübergehende Stilllegungen oder vorübergehende Verpachtungen nicht verloren. Stilllegungen oder Verpachtungen sind in diesem Sinne lediglich „vorübergehend“, wenn eine Besitzung vorhanden ist, die den landwirtschaftlichen Betrieb auch in Zukunft ermöglicht, und wenn zudem die begründete Erwartung besteht, dass der stillgelegte Betrieb durch den Eigentümer oder einen Abkömmling künftig wieder aufgenommen wird2. Für diese Wertung kommt es auf die Verhältnisse zur Zeit des Erbfalls an3. Unschädlich ist es, wenn der Hof im Zeitpunkt des Erbfalls (vorübergehend) nicht mehr bewirtschaftet wird. 29

Nach der BGH-Rechtsprechung stehen eine verhältnismäßig kleine landwirtschaftlich nutzbare Fläche von 5,6 ha Acker und Grünland sowie 2,0 ha Wald, die Verpachtung eines Teils des Grundbesitzes und das hohe Alter der noch funktionsfähigen Maschinen der Einordnung eines Betriebs als Landgut i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB in Gestalt einer Nebenerwerbsstelle grundsätzlich nicht entgegen4. Obwohl der Hof im Zeitpunkt des Erbfalls nicht als geschlossene Einheit und die nicht verpachteten Teile unwirtschaftlich geführt wurden, wurde die Landguteigenschaft bejaht. Entscheidend für die Bejahung der Landguteigenschaft sei nämlich eine aus der objektivierenden Sicht eines unvoreingenommenen Beobachters abgegebene Prognose nach den Verhältnissen beim Erbfall, wobei neben der Beschaffenheit, der Lage und der sonstigen objektiven Verhältnisse des Betriebs selbstverständlich auch die Absichten, Vorstellungen und die Ausbildung der Beteiligten von Bedeutung seien. Demzufolge seien in erster Linie nicht die subjektiven Absichten des Erben oder seines Abkömmlings als seines möglichen Nachfolgers entscheidend. Auch müsse die Möglichkeit einer (erneuten) Betriebsausweitung in Betracht gezogen werden.

29a

So entfällt die Landguteigenschaft eines Hofs nicht einmal dann, wenn seine Bewirtschaftung bereits seit Jahren vollständig aufgegeben ist, das lebende und tote Inventar verkauft, die Ländereien an verschiedene Pächter verpachtet sind und der übernehmende Erbe den Betrieb weder wieder aufnehmen kann noch will5, sofern der Hof bei „realistischer Betrachtungsweise“ nach dem Tode des Erben von einem Abkömmling des Erblassers fortgeführt werden wird.

29b

Die Feststellung, ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind oder nicht, ist Aufgabe des Tatrichters. Die künftige Fortführung der Bewirtschaftung darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, obliegt dem Erben, der auf den Pflichtteil in Anspruch genommen wird6.

1 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 2 BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. 3 BGH v. 14.12.1994 – IV ZR 113/94, MDR 1995, 288 = FamRZ 1995, 352 = NJW 1995, 1352. 4 BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. 5 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 6 BGH v. 27.9.1989 – IVb ZR 75/88, MDR 1990, 227 = FamRZ 1989, 1276 = NJW-RR 1990, 68. 858

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Die langfristige Verpachtung steht dabei der kurzfristigen Verpachtung als vorübergehende Verpachtung gleich. Nach OLG Oldenburg1 verliert ein als Wirtschaftseinheit verpachteter Hof seine Landguteigenschaft nicht, wenn er nach dem Erbfall durch den Pächter fortgeführt wird. Dies steht der weiteren Beurteilung des Besitzes als Landgut jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Fortführung des bisherigen landwirtschaftlichen Betriebs durch einen pflichtteilsberechtigten Angehörigen möglich und beabsichtigt ist. Dem Fehlen von Inventar kommt insoweit keine maßgebliche Bedeutung zu2. Etwas anderes gilt, wenn der Hof auf Dauer an Familienfremde verpachtet ist und keine Fortführung des Hofs durch einen pflichtteilsberechtigten Abkömmling möglich oder beabsichtigt ist. In diesem Falle verliert der Hof die Landguteigenschaft.

30

ff) Weitere Bestimmung zum landwirtschaftlichen Betrieb im Rahmen der Verkehrsanschauung: Nach § 13 Abs. 1 S. 2 GrdstVG sollen solche Grundstücke eines Hofs von der Betriebszuweisung ausgenommen werden, von denen nach ihrer Lage und Beschaffenheit anzunehmen ist, dass sie in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werden. Diese Regelung hat vor allem landwirtschaftlich genutzte Grundstücke, die Bauland oder Bauerwartungsland geworden sind, im Auge. Die weitere landwirtschaftliche Nutzung solcher Grundstücke wäre angesichts ihrer Wertsteigerung ökonomisch unsinnig.

31

Beratungshinweis: Bauland, Bauerwartungsland und auskiesungsreife Grundstücke sind bei Auseinandersetzung und Pflichtteilsberechnung mit dem Verkehrswert anzusetzen. Stellt man auf die BGH-Landgutdefinition ab, läge die Bestimmung des Eigentümers, einen Hof, dessen Grundstücke Bauland geworden sind, weiterhin landwirtschaftlich zu nutzen, außerhalb des von der Verkehrsanschauung vernünftigerweise gezogenen Rahmens. Infolgedessen verliert ein Hof, dessen bislang landwirtschaftlich genutzten Grundstücke im Zeitpunkt des Erbfalls Baulandoder Bauerwartungsland geworden sind, die Landgutseigenschaft, sofern unter Berücksichtung aller Umstände nicht erwartet werden kann, dass sie weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden. Dies dürfte regelmäßig der Fall sein.

31a

So hat das OLG Stuttgart in einem Urteil zum Pflichtteilsrecht3 entschieden, dass landwirtschaftliches Gelände in Großstadtnähe, dessen Verkehrswert das „reichlich Dreifache“ bis Sechsfache des landwirtschaftlichen Ertragswerts beträgt, kein „Landgut“ i.S.d. BGB darstellt. Beruhe die allgemeine Wertschätzung eines Grundstücks nicht mehr in erster Linie auf der landwirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeit, sondern mindestens gleichermaßen oder sogar überwiegend auf Erwägungen, die dem allgemein wirtschaftlichen Bereich angehörten, liege kein „Landgut“ i.S.d. BGB mehr vor. Von einem „Landgut“ könne dann nicht mehr gesprochen werden, wenn ein gewinnträchtiges Grundstück in Stadtrandlage zwar noch landwirtschaftlich genutzt werde, es sich aber um eine „in der hier gegebenen Stadtrandlage teilweise zufällig gewordene derzeitige Nutzungsart“ handele. Hier müsse der gemeine Wert in der Nähe des Verkehrswerts gesucht werden, zumal der Verkehrswert dieses Geländes weniger als den zehnten

31b

1 OLG Oldenburg v. 17.12.1991 – 5 U 82/91, FamRZ 1992, 726 = NJW-RR 1992, 463. 2 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. 3 OLG Stuttgart v. 18.1.1967 – 13/6 U 194/63, NJW 1967, 2410. Ruby

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B XIII

Rz. 32

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Teil des Gesamtbetriebs ausmache und somit eine an den Verkehrswerten orientierte Abfindung den Betrieb keinesfalls in seiner Existenz gefährde. 32

Wie gesehen verliert ein Hof, dessen Grundstücke Bau- oder Bauerwartungsland sind, die Landguteigenschaft. Sind nur Teile des Hofs Bauland oder Bauerwartungsland geworden, verliert der Hof die Landguteigenschaft zwar nicht. Aber es sind diejenigen Hofteile, die als Bauland oder Bauerwartungsland eine enorme Wertsteigerung erfahren haben, im Rahmen des § 2049 BGB mit dem Verkehrswert anzusetzen. Gleiches gilt für auskiesungsreife Grundstücke.

33

gg) Nach der vom BGH gegebenen Definition müssen Wohn- und Wirtschaftsgebäude in einem Umfang vorhanden sein, die eine ordnungsmäßige Bewirtschaftung ermöglichen.

34

hh) Wegen der subsidiären Natur des BGB-Landguterbrechts gelten die Bestimmungen der §§ 2049, 2312 BGB nicht, wenn Anerbengesetze der Länder oder die Höfeordnung Anwendung finden. Diese enthalten Sonderregelungen1. b) Begünstigter Personenkreis i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB

35

§§ 2049, 2312 BGB begünstigen den Landgutübernehmer zulasten der Miterben und Pflichtteilsberechtigten.

Beratungshinweis: Soll die Ertragswertbegünstigung bei der Abfindung der weichenden Erben oder im Pflichtteilsrecht greifen, muss der Hof auf einen pflichtteilsberechtigten Abkömmling oder einen sonst nach § 2303 BGB Pflichtteilsberechtigten übergehen. Vom Gesetz ist aber von vornherein nur ein bestimmter Personenkreis in diesem Sinne begünstigt. Der Erbe, der das Landgut erhält, muss selbst zum Kreis der in § 2303 BGB bezeichneten pflichtteilsberechtigten Personen gehören (§ 2312 Abs. 3 BGB). Die auch im öffentlichen Interesse der Erhaltung eines leistungsfähigen Hofs liegende Begünstigung des übernehmenden Erben ist also von vornherein zugleich stark personenbezogen. 35a

Hierzu hat der BGH2 richtungsweisend ausgeführt, dass bei dem tief greifenden Strukturwandel in der Landwirtschaft die Auflösung eines Betriebs nicht von vornherein als eine für die Agrarstruktur nachteilige Maßnahme anzusehen sei. Allerdings wiesen trotz dieses Strukturwandels die landwirtschaftlichen Betriebe und auch die Wirtschaftsauffassung der Landwirte noch zahlreiche typische Eigenheiten auf, die sie von der gewerblichen Wirtschaft unterschieden. Es bestehe bei der Mehrheit der Landwirte weiterhin eine starke innere Bindung an Grund und Boden. Dieser sei in der Landwirtschaft im Unterschied zur gewerblichen Wirtschaft nicht nur Standort, sondern maßgebender Produktionsfaktor. Die besonderen Produktionsbedingungen setzten dem landwirtschaftlichen Betrieb von der Natur her Schranken und führten zu einem Betriebsrisiko eigener 1 Vgl. z.B. § 10 BadHofGG, wonach für die Pflichtteilsberechnung der Ertragswert maßgebend ist. 2 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 860

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 37

B XIII

Art. Insoweit sei die Landwirtschaft gegenüber den gewerblichen Betrieben in natürlicher und wirtschaftlicher Hinsicht benachteiligt. Deshalb verstoße es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass der ein Landgut übernehmende Erbe besser behandelt werde als die weichenden Erben oder Pflichtteilsberechtigten. Das könne indessen nur so lange gelten, wie im Einzelfall davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer der vom Gesetz begünstigten Personen, erreicht werden wird. c) Ertragswert eines Landguts i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB Das Schlagwort „Erbrecht ist Bewertungsrecht“ bewahrheitet sich nirgends so sehr wie bei der Bewertung von landwirtschaftlichen Betrieben. Hier prallen Verkehrswert und Ertragswert als Größen aufeinander, zwischen denen Welten liegen können. So beträgt der Ertragswert oft nur ein Sechstel oder gar nur ein Vierzehntel des Verkehrswertes. Im gleichen Maße wie bei einer Ertragswertanordnung die Abfindungs- und Pflichtteilshoffnungen der weichenden oder enterbten Kinder schrumpfen, steigt in der Regel die Härte der Auseinandersetzung vor und außerhalb des Gerichts. Hier gilt es, für den Interessenvertreter des Hoferben beim „Kampf um den Ertragswert“ dem Gericht klarzumachen, dass „Bauern reiche Leute mit sehr geringem Einkommen sind“. Wie im außerlandwirtschaftlichen Bereich ist der Verkehrswert eines Landguts zu definieren als der durch Schätzung zu ermittelnde hypothetische Erlös, der für das Landgut im Verkaufsfalle erzielbar wäre. Der Verkehrswert des Landguts ist für die Erbauseinandersetzung bzw. Pflichtteilsberechnung dann maßgebend, wenn weder die Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB noch die der §§ 13 ff. GrdstVG erfüllt sind und auch keine anerbenrechtlichen Sonderregelungen vorliegen. Das BGB-Landguterbrecht weist dem so genannten Ertragswert in den §§ 2049 BGB und 2312 BGB eine besondere Bedeutung zu. Nach der Auslegungsregel des § 2049 BGB ist als Übernahmewert im Zweifel nicht der Verkehrswert, sondern der Ertragswert anzusetzen, wenn nach dem letzten Willen des Erblassers ein Landgut durch einen Miterben übernommen werden soll. Die Berechnung der Pflichtteilszahlungen erfolgt in diesen Fällen gem. § 2312 BGB ebenfalls nach dem Ertragswert.

36

Beratungshinweis: Der Ertragswert wird aus einer – regional unterschiedlichen – Vervielfältigung des jährlichen Reinertrags ermittelt. Gem. § 2049 Abs. 2 BGB wird der Ertragswert auf der Grundlage des „Reinertrags, den das Landgut nach seiner bisherigen wirtschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung nachhaltig gewähren kann“, ermittelt. Von dieser Definition ausgehend hat die Deutsche Gesellschaft für Agrarrecht u.a. folgende Bewertungskriterien aufgestellt1: – Maßgebend ist die bisherige wirtschaftliche Bestimmung als Landgut, und zwar selbst dann, wenn eine andere wirtschaftliche Bestimmung zweckmäßiger wäre. – Abzustellen ist auf eine objektiv ordnungsmäßige Bewirtschaftung, selbst wenn sie gar nicht stattgefunden hat. 1 DGA-Leitfaden, Agrarrecht 1994, 5. Ruby

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B XIII

Rz. 38

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

– Das Landgut muss den Reinertrag nachhaltig, d.h. dauerhaft und möglichst in gleich bleibender Höhe gewähren können. – Dient eine gewerbliche Einkunftsquelle (z.B. Brennerei, die selbst erzeugte Rohstoffe verarbeitet) dem landwirtschaftlichen Hauptbetrieb, liegt ein Nebenbetrieb vor, der bei der Reinertragsermittlung des Hofs einbezogen wird. – Sind landwirtschaftliche und gewerbliche Betätigung so miteinander verflochten, dass sie nicht ohne schwer wiegende Nachteile für den einen oder anderen Teil voneinander getrennt werden können, liegt ein gemischter Betrieb vor, der im Ganzen nach seinem wirtschaftlichen Schwerpunkt entweder landwirtschaftlich oder gewerblich einzustufen ist. – Bei Doppelbetrieben können landwirtschaftlicher und gewerblicher Teil ohne wesentliche wirtschaftliche Nachteile voneinander getrennt werden, so dass der landwirtschaftliche Betrieb mit seinem Ertragswert anzusetzen ist. – Hofesfreies Vermögen ist bei der Ermittlung des Reinertrags abzugrenzen. – Bei der Ermittlung des Reinertrags sind vom „Betriebseinkommen“ ein Entgelt für die Betriebsleitung (sog. Unternehmerlohn), die Fremdlöhne, ein Lohnanspruch für die noch nicht entlohnten Familienarbeitskräfte und Pachtzinsen abzuziehen. Demzufolge ist der Reinertrag eine Restgröße für die Entlohnung des eigenen Bodens und des gesamten Betriebskapitals. Der Faktor Arbeit wurde bereits durch den Abzug der realen Löhne wie der fiktiven Löhne nicht entlohnter Familienarbeitskräfte berücksichtigt. 38

Wie der Reinertrag beurteilt und wie auf seiner Grundlage der Ertragswert errechnet werden soll, bestimmt die „Teildefinition“ in § 2049 Abs. 2 BGB nicht. Das BVerfG hat hierzu festgestellt, dass der Ertragswert nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ein bestimmtes Vielfaches des Reinertrags ist, wobei der Reinertrag nicht nach dem Bewertungsgesetz ermittelt wird, sondern wegen der Besonderheit jedes Einzelfalles nach betriebswirtschaftlichen Jahresabschlüssen1.

38a

Dafür überlässt es Art. 137 EGBGB den Landesgesetzgebern, Grundsätze über die Feststellung des Ertragswerts von Landgütern zu normieren. Dieser Vorbehalt ist jedoch nicht unbegrenzt. Länder, die von ihm Gebrauch machen, haben die Bewertungsregelung des § 2049 Abs. 2 BGB zu beachten. So wurde vom BVerfG2 die Berechnung des Ertragswerts auf der Grundlage des steuerlichen Einheitswerts für nichtig erklärt. Die unterschiedlichen Zwecke und Ziele, welche die Festsetzung des in § 2049 BGB definierten Ertragswerts und des steuerlichen Einheitswerts bestimmen, haben zur Folge, dass die Werte nach unterschiedlichen Grundsätzen und in abweichenden Verfahren ermittelt werden. So sei die Legalumschreibung des Ertragswerts in § 2049 Abs. 2 BGB Bestandteil einer erbrechtlichen Bewertungsregelung, die aus Gründen einer gerechten Nachlassbeteiligung von Erben oder übergangenen Erben eine konkrete, individuelle und aktuelle Ermittlung möglichst wahrer Werte von Nachlassgegenständen vorschreibe. Die steuerliche Einheitswertfestsetzung hingegen habe eine der erbrechtlichen Nachlassbewertung nicht vergleichbare Zielsetzung und erfolge in einem der Massenbewertung Rechnung tragenden Verfahren. 1 OLG Düsseldorf v. 27.9.1985 – 7 UF 12/85, FamRZ 1986, 168. 2 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. 862

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 40a

B XIII

§ 2049 stellt sich als gesetzliche Umschreibung der einen Ertragswert bildenden Kriterien dar (vgl. die auf sie verweisenden §§ 2312 Abs. 1, 1934b, 1515 Abs. 2 S. 3 BGB, § 16 Abs. 1 GrdstVG)1.

38b

Die Bundesländer haben allerdings keine abschließenden Regelungen getroffen, wie der Ertragswert im Einzelnen genau zu ermitteln ist. Sie haben sich auf die Festlegung von Kapitalisierungsfaktoren beschränkt. Nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ist der Ertragwert nämlich ein bestimmtes Vielfaches des Reinertrags. Je nach Bundesland wird der Ertragswert als das 17- bis 25-fache des jährlichen Reinertrags definiert. Mathematisch abgeleitet werden die Kapitalisierungsfaktoren aus der Ertragswertermittlung durch Abdiskontierung der zukünftig zu erwartenden Reinerträge2.

39

Ohne eine solche gesetzliche Regelung ist nach dem BVerfG bei jeder einzelnen Wertfestsetzung der nach den örtlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in Betracht kommende Kapitalisierungsfaktor zu ermitteln3. Die für die Bewertungspraxis bei Untätigkeit des Landesgesetzgebers entstehenden Probleme habe der Gesetzgeber im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit in Kauf genommen. Dies ist rechtsgeschichtlich begründet:

39a

Als sich bei den Beratungen des ersten Entwurfs des BGB abzeichnete, dass die Bestrebungen, das gesamte Anerbenrecht als reichsrechtliche Regelung in das BGB aufzunehmen, scheitern würden, wurde im Interesse der Erhaltung eines gesunden Grundbesitzerstandes das Ziel verfolgt, es einem der engsten Familienangehörigen im Erbfall zu ermöglichen, ein Landgut zum Ertragswert zu übernehmen. Dazu sah ein Entwurf eine dem § 2049 Abs. 2 BGB inhaltlich vergleichbare Umschreibung der Kriterien des Ertragswerts vor. Das Einführungsgesetz sollte es den Einzelstaaten überlassen, für die Feststellung des Übernahmewerts Ausführungsvorschriften zu schaffen. Es wurde ein darüber hinausgehender Antrag gestellt, in das BGB aufzunehmen, als Ertragswert des Landguts sei das 25-fache oder ein anderes Vielfaches des festgestellten jährlichen Reinertrags anzusetzen. Dieser Antrag fand keine Zustimmung. Die Zweite Kommission vertrat die Ansicht, bei der Größe und Vielgestaltigkeit des deutschen Wirtschaftsgebiets sei eine allgemeine Vorschrift misslich, wonach überall ein bestimmtes Vielfaches des Reinertrags als Kapitalwert anzunehmen sei. Die Berechnung werde nach den örtlichen Verhältnissen und der Art der Kulturen variieren. Am richtigsten sei es, in diesem Punkt der Ländergesetzgebung einen weit gehenden Spielraum zu lassen. Selbst wenn aber ein Land die Vorschriften über die Ertragswertfestsetzung nicht ergänze, sei es mithilfe eines Bewertungssachverständigen möglich, schon aufgrund der im BGB getroffenen Regelung zu einer bestimmten Ertragswertfestsetzung zu kommen4.

40

Vor diesem Hintergrund stellte das BVerfG5 fest, dass das BGB bei der Berechnung erbrechtlicher Ausgleichsansprüche die Verwirklichung der Einzelfall-

40a

1 So BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. 2 Ertragswert = jährlicher Reinertrag × 100/Kalkulationszinsfuß; vgl. die ausführliche Darstellung bei Wöhrmann/Stöcker, 7. Aufl., S. 543, die ab der 8. Aufl. leider fehlt. 3 So BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. 4 Vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich I, S. 186 ff. 5 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. Ruby

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B XIII

Rz. 41

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

gerechtigkeit anstrebe. Dazu nehme es in Kauf, dass der individuelle Ertragswert nicht problemlos bestimmt werden könne, die realitätsgerechten Ertragsbedingungen in der Regel durch Gutachten eines Bewertungssachverständigen festgestellt werden müssten und auch die Art und Weise der betriebswirtschaftlichen Feststellung des Reinertrags anhand der von § 2049 Abs. 2 BGB vorgegebenen Kriterien nicht unumstritten seien. aa) Bewertungsregeln der Bundesländer (1) 18 als Multiplikator 41

Bspw. bestimmt § 48 BaWü AGBGB, dass bei der Berechnung des Ertragswerts zunächst der jährliche Reinertrag des Landguts „durch Schätzung“ zu ermitteln ist. Als Ertragswert gilt dann das 18-fache des jährlichen Reinertrags.

42

Art. 68 BayAGBGB gibt für Bayern ebenfalls das 18-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert an.

43

In Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fehlt es an der Festsetzung eines Vervielfältigers durch die Landesgesetzgeber. Der DAG-Leitfaden für die Ermittlung des Ertragswerts landwirtschaftlicher Betriebe1 empfiehlt „aus der vom BVerfG geforderten betriebswirtschaftlichen Sicht“2 den Multiplikator „18“, soweit die Bundesländer einen Multiplikator nicht bestimmt haben. Dem Multiplikator „18“ liege zugrunde, dass Abfindungen und Ausgleichszahlungen regelmäßig durch eine Mischfinanzierung aus Eigen- und Fremdkapital erfolgten, wobei ein langfristig maßgeblicher Zinssatz von 5,5 % unterstellt werde. Die vom BVerfG für erforderlich gehaltene regionale Differenzierung des Kapitalisators sei nicht sachgerecht, da sich regionale Unterschiede in der Betriebswertigkeit im Reinertrag, nicht aber im Multiplikator niederschlügen.

44

In Schleswig-Holstein wäre nach dieser Empfehlung ebenfalls der Multiplikator 18 anzuwenden, nachdem § 23 AGBGB, das den doppelten Einheitswert als Ertragswert bestimmt hatte, vom BVerfG3 für nichtig erklärt wurde. (2) 25 als Multiplikator

45

In Berlin hingegen errechnet sich der Ertragswert aus dem 25-fachen jährlichen Reinertrag, Art. 83 PreußAGBGB.

46

Gleiches gilt für Bremen gem. § 14 des Bremischen Höfegesetzes, der für Landgüter analog anzuwenden sein dürfte.

47

In Hessen gilt das 25-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert, und zwar sowohl für die ehemals preußischen Gebietsteile (Hessen-Kassel) als auch für die ehemals zu Hessen-Darmstadt zählenden Gebietsteile, Art. 83 PreußAGBGB (Hess. GVBl. II 230 – 2), Art. 106, 130 AGBGB (Hess. GVBl. II 230 – 1). 1 Agrarrecht 1994, 5. 2 Vgl. BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. 3 BVerfG v. 26.4.1988 – 2 BvL 13, 14/86, NJW 1988, 2723. 864

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Rz. 55

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In Nordrhein-Westfalen ist 25 Kapitalisierungsfaktor gem. Art. 83 PreußAGBGB (SGV NW 40), wobei sich dies für das Gebiet des alten Landes Lippe (heutiger Regierungsbezirk Detmold) aus § 46 AGBGB ergibt (GS Fürstentum Lippe S. 489).

48

In Rheinland-Pfalz gilt das 25-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert, § 24 RhPfAGBGB.

49

Im Saarland ist ebenfalls der 25-fache jährliche Reinertrag maßgebend, Art. I § 32 des Gesetzes zur Vereinheitlichung und Bereinigung landesrechtlicher Vorschriften (5. RBG).

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(3) 17 als Multiplikator In Niedersachsen gilt das 17-fache des jährlichen Reinertrags als Ertragswert, § 28 AGBGB i.V.m. § 3 Abs. 2 und 4 des Reallastengesetzes.

51

bb) Ermittlung des jährlichen Reinertrags Reinertrag ist derjenige Betrag – um es mit Müller-Feldhammer1 plastisch zu formulieren –, der „am Monatsende bzw. Jahresende dem Landwirt übrig bleibt“. Unter Reinertrag ist also der Betrag zu verstehen, den der Hof nach Abzug sämtlicher Kosten und nach angemessener Entlohnung der Arbeitskräfte erbringen kann. Kurz gesagt ist Reinertrag der Überschuss des Rohertrags (Summe aller landwirtschaftlichen Betriebseinnahmen) über den Aufwand (Summe aller landwirtschaftlichen Betriebsausgaben)2.

52

Der Rohertrag umfasst dabei alle landwirtschaftlichen Betriebseinnahmen, den Wert von Naturalentnahmen, den Mietwert der Wohnung, den Wert der Bestandsveränderungen an Vieh und den Wert der selbst erzeugten Vorräte.

53

Vom Rohertrag sind als Aufwand abzuziehen die landwirtschaftlichen Betriebsausgaben, Löhne, Betriebssteuern, Abschreibungen, der Wert der Bestandsveränderungen an zugekauften Vorräten, der fiktive Lohnanspruch des Betriebsinhabers einschließlich der mitarbeitenden Familienmitglieder. Der Abzug eines fiktiven Unternehmerlohns führt häufig zu keinem oder einem negativen Reinertrag, was in der Konsequenz bedeutet, dass die weichenden Erben kein Abfindung erhalten dürften. Der landesrechtliche Multiplikator spielt hier keine Rolle mehr, denn „18 mal null ergibt eben nur null“. In solchen Fällen werden dann positive Reinerträge erzielt, indem von den Bewertungssachverständigen prozentuale Abschläge vom fiktiven Unternehmerlohn vorgenommen werden. Ob solche nach ihrem freien Ermessen von den Sachverständigen vorgenommenen Abschläge das geeignete Mittel sind, „um einen Ertragswert zu retten“, erscheint sehr fragwürdig.

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Keinen Aufwand stellen hingegen die Ausgaben für Neubauten und Neuanschaffungen, soweit sie zu aktivieren sind, Zinsen, Mieten, Renten, persönliche Steuern und Versicherungen dar. Zugepachtete Flächen sind in Erbfällen mit dem Wert des nach der Laufzeit zu berechnenden Nutzungsrechts anzusetzen, da nur

55

1 ZEV 1995, 163. 2 Palandt/Weidlich, § 2049 Rz. 2. Ruby

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Rz. 56

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dieses auf den Erben übergeht. Subjektive Faktoren, die auf die Person des Wirtschafters abstellen, können bei der Ermittlung des Reinertrags keine Berücksichtigung finden, da nach § 2049 Abs. 2 BGB von dem Reinertrag bei „ordnungsmäßiger Bewirtschaftung“ als objektivem Kriterium auszugehen ist. 2. Weitere Voraussetzungen des § 2049 Abs. 1 BGB1

Beratungssituation: Der Erblasser will ein Testament errichten, in dem er einem pflichtteilsberechtigten Abkömmling oder seinem Ehegatten den Hof zum Ertragswert zukommen lassen will. a) Erbengemeinschaft 56

Mit dem Erbfall entsteht eine Erbengemeinschaft. b) Anordnung des Übernahmerechts durch den Erblasser

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Der Erblasser hat durch Testament2 oder Erbvertrag3 angeordnet, dass einer der Miterben ein Übernahmerecht bezüglich eines zum Nachlass gehörenden Landguts haben soll. In dieser „Anordnung“ eines Übernahmerechts liegt eine bedingte Teilungsanordnung. Der Erblasser überlässt dem bedachten Miterben die freie Entscheidung darüber, ob er das Landgut übernehmen will oder nicht. Der Anspruch auf Zuweisung des Landguts an den Miterben steht also unter einer Wollensbedingung. Erst die Geltendmachung des Übernahmerechts durch den betreffenden Miterben bringt den Anspruch auf Übertragung des Landguts bei der Auseinandersetzung zum Entstehen.

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Die Einordnung des Übernahmerechts als Teilungsanordnung setzt voraus, dass der Landgutübernehmer durch die Einräumung des Übernahmerechts wertmäßig nicht bevorzugt werden soll. Da der Hof auf den ersten Blick zu Vorzugsbedingungen auf den Übernahmeberechtigten übergeht, fällt es zunächst schwer, das Übernahmerecht als Teilungsanordnung zu akzeptieren. Da § 2049 BGB die Übernahme zum „niedrigeren Ertragswert“ statt zum „höheren Verkehrswert“ anordnet, könnte auch ein Vorausvermächtnis vorliegen Das RG4 jedenfalls sieht in § 2049 BGB eine Teilungsanordnung. Es hatte 1942 einen Fall zu entscheiden, in dem in einem Ehegattentestament aus dem Jahre 1909 unter anderem folgende Anordnung getroffen war: „Bei der Teilung des Nachlasses des Längstlebenden von uns soll unser Sohn Robert das Recht haben, unser Gut W. mit allen dazugehörigen Ländereien zum Preise von 120 000 Mark zu übernehmen.“ Hierzu führte das RG aus, eine sich äußerlich als Teilungsanordnung darstellende, in Anrechnung auf den Erbteil vorzunehmende Zuweisung bestimmter Nachlassgegenstände könne eine Begünstigung des Miterben, dem die Gegenstände zugewiesen sind, zulasten der übrigen Miterben und demnach ein Vermächtnis darstellen, soweit der Übernahmepreis unter dem Werte der zugeteilten Gegenstände angesetzt sei. Es sei Sache der Auslegung, zu ermitteln, ob 1 Zu den gemeinsamen Voraussetzungen der §§ 2049, 2312 BGB s. Rz. 20 ff. 2 Eine formnichtige Übernahmeanordnung kann für das Zuweisungsverfahren nach dem GrdstVG bedeutend sein, § 15 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. 3 Vgl. § 2299 Abs. 1 BGB. 4 RG v. 13.11.1942 – VII 60/42, RGZ 170, 163 (169 ff.). 866

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Rz. 60

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sich im Einzelfall mit einer derartigen Anordnung die Absicht einer über die Teilungsregelung hinausgreifenden vermächtnismäßigen Begünstigung verbinde. Die Meinung des OLG Düsseldorf, es liege eine solche Begünstigungsabsicht vor, weil das betreffende Gut W. im Jahre 1939 auf 380 000 Reichsmark zu schätzen gewesen sei, wies das RG zurück. Entscheidend sei die Vorstellung der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Erheblich sei daher die klägerische Behauptung, im Jahr der Testamentserrichtung 1909 habe der Preis von 120 000 Mark, zu dem der Beklagte das Gut erhalten sollte, seinem damaligen landwirtschaftlichen Wert, dem Ertragswert, entsprochen. Unter der Voraussetzung, im Jahre 1909 habe der Ertragswert des Guts 120 000 Mark betragen, liegt für das nachfolgend wörtlich zitierte RG „…, die Annahme nahe, dass die Eheleute z.K. [die Erblasser] den Übernahmepreis dem den Verhältnissen, insbesondere der Fortsetzung der landwirtschaftlichen Nutzung des Guts, angemessenen Wert anpassen und damit, wie im Falle des § 2049 BGB, eine reine Teilungsanordnung treffen wollten.“ Damit ist durch das RG jedenfalls für den Fall des § 2049 BGB klargestellt, dass dieser eine reine Teilungsanordnung regelt. Der Grund, in § 2049 BGB eine reine Teilungsanordnung zu sehen, liegt darin, dass der „landwirtschaftliche Wert“ als Übernahmepreis den Gutsübernehmer nicht bevorzugt. In Anbetracht des Schutzzwecks des § 2049 BGB, die Existenz des Hofs gegen Überschuldung zu sichern, ist nämlich der „wirkliche Wert“ eines Landguts nach der Wertung des Gesetzgebers im Ertragswert („landwirtschaftlicher Wert“) und nicht im Verkehrswert zu finden. Gerade in Anbetracht der derzeitigen schlechten Ertragslage in der Landwirtschaft wird dies niemand ernsthaft in Abrede stellen können. Bessert sich die Ertragssituation in der Landwirtschaft, geht damit automatisch eine Steigerung des landwirtschaftlichen Gutwerts, des Ertragswerts eben, einher. Wird der Hof vom Hoferben weiterbetrieben, versteht sich von selbst, dass der „wirkliche Wert“ des Hofs nur im Ertragswert zu finden ist. In gleicher Weise erklärte sich der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vor dem BVerfG dahin gehend, dass bei landwirtschaftlicher Nutzung „der Betrieb für den Eigentümer keinen höheren materiellen Wert als den Ertragswert“ habe1. Bei einer Aufgabe des Hofs hingegen lässt sich ein durch Schätzgutachten ermittelter Verkehrswert in der Mehrzahl der Fälle nicht realisieren, da landwirtschaftliche Grundstücke von den überlebensfähigen Großbetrieben zumeist nicht zugekauft, sondern zu günstigsten Konditionen zugepachtet werden2.

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In der Landgutzuweisung kann eine Alleinerbeneinsetzung liegen, wenn das Landgut den ganz überwiegenden Teil des Erblasservermögens darstellt.

59a

c) Übernehmer gehört zum begünstigten Personenkreis des § 2303 BGB Der Landgutübernehmer muss zum Personenkreis des § 2303 BGB gehören, so dass ihm zumindest theoretisch ein Pflichtteilsanspruch zustehen könnte, also auch dann, wenn er bspw. durch einen näher stehenden Abkömmling vom Pflichtteilsrecht ausgeschlossen wird. Beim Landgutübernehmer muss es sich 1 BVerfG v. 14.12.1994 – 1 BvR 720/90, MDR 1995, 288 = FamRZ 1995, 405 – (15/95), Agrarrecht 1995, 52. 2 Beispielhaft erklärte ein ehemaliger Landwirt nach Aufgabe seines Hofs gegenüber dem Verfasser: „Die Großen brauchen meine Äcker nicht zu kaufen, die bekommen sie so oder so!“ – wobei dies natürlich regional unterschiedlich sein kann. Ruby

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Rz. 60a

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

also um einen Abkömmling, den Ehegatten oder einen Elternteil des Erblassers handeln. Dies folgt aus der ratio legis des § 2312 BGB, die auch für § 2049 BGB gilt: Erhaltung leistungsfähiger Betriebe in bäuerlichen Familien. 60a

Weitere besondere persönliche Voraussetzungen des Übernehmers sind nicht zu fordern. So ist die teilweise geforderte „Bedürftigkeit des Übernehmers“1, die es verhindert, dass er Abfindungs- und Pflichtteilsansprüche nach dem Verkehrswert erfüllen kann, kein Kriterium für die Anwendung des § 2049 BGB. Das öffentliche Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Betriebe besteht unabhängig von den privaten Vermögensverhältnissen des Übernehmers.

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Auch kann die in der Höfeordnung und anderen Anerbengesetzen vorausgesetzte „Wirtschaftsfähigkeit des Übernehmers“ nicht für BGB-Landgüter über Art. 64 EGBGB als besondere persönliche Voraussetzung des Landgutübernehmers nach § 2049 BGB eingeführt werden2. Art. 64 Abs. 1 EGBGB spricht lediglich aus, dass die landesrechtlichen Anerbengesetze vom BGB-Landguterbrecht unberührt bleiben, nicht jedoch dass landesrechtliche Anerbengesetze für die Auslegung des BGB-Landguterbrechts heranzuziehen sind. Wäre Letzteres der Fall, müsste bspw. nach dem Wegfall der Württembergischen Anerbengesetze seit dem 1.1.2001 das Wirtschaftsfähigkeit voraussetzende BadHofGG3 für Baden und Württemberg Anwendung finden4. Während nach den Württembergischen Anerbengesetzen die Wirtschaftsfähigkeit in Württemberg bislang keine Rolle spielte, würde seit 2001 Badisches Anerbenrecht in Württemberg die Anwendung des § 2049 BGB bestimmen. Auch eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs des BadHofGG auf den badischen Landesteil würde hier nicht weiterhelfen. Das BadHofGG gilt nur für einen Teil Südbadens. Insbesondere in Nordbaden galt bis zum 31.12.2000 Württembergisches Anerbenrecht. Wäre die Auffassung richtig, wonach die in einem Landesanerbengesetz vorausgesetzte „Wirtschaftsfähigkeit“ im entsprechenden Land auch für die Auslegung des § 2049 BGB heranzuziehen wäre, würde im Jahre 2001 über das bereits 1898 für den südbadischen Hochschwarzwald verkündete BadHofGG für den nordbadischen Landesteil erstmals seit 102 Jahren die „Wirtschaftsfähigkeit“ zum Tatbestandsmerkmal des § 2049 BGB. Das kann nicht richtig sein. d) Hof geht als wirtschaftliche Einheit über

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Das Übernahmerecht bezieht sich auf ein Landgut5 als wirtschaftliche Einheit. Wird der Hof nicht als Einheit übertragen, sondern sollen einzelne Miterben jeweils nur Bruchteile des Hofs erhalten, ist § 2049 BGB nicht anwendbar6. 1 MüKo.BGB/Frank, 4. Aufl. 2004, § 2049 Rz. 6. 2 So aber Wöhrmann, S. 423, der für die Höfeordnungsländer Rheinland-Pfalz, Hessen und Teile Baden-Württembergs die in den jeweiligen Anerbenrechten vorausgesetzte Wirtschaftsfähigkeit des Hoferben auf den Landgutübernehmer des § 2049 BGB ausdehnen will. 3 Nach § 8 BadHofGG kann nicht Anerbe werden, wem zur Zeit des Erbfalls zur Besorgung all seiner Angelegenheiten ein Betreuer bestellt ist. Das württembergische Anerbenrecht hingegen fordert keine Wirtschaftsfähigkeit des Übernehmers. 4 Eine – nebenbei bemerkt – für einen gestandenen schwäbischen Landwirt wohl unzumutbare Vorstellung. 5 Zum Begriff des Landguts s. Rz. 21 ff. 6 BGH v. 21.3.1973 – IV ZR 157/71, NJW 1973, 995. 868

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e) Übernahmepreis in Ablebensverfügung geht vor Im Testament oder Erbvertrag darf der Erblasser keinen Übernahmepreis bestimmt haben. § 2049 Abs. 1 BGB ordnet als Auslegungsregel an, dass nur im Zweifel anzunehmen ist, dass das Landgut zum Ertragswert angesetzt werden soll. Hatte der Erblasser einen anderen Willen, gilt dieser.

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f) Ausübung des Übernahmerechts Eine Frist für die Ausübung des Übernahmerechts ist nicht vorgeschrieben. Allerdings kann das Übernahmerecht nach den allgemeinen Grundsätzen verwirkt werden.

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g) Rechtsfolgen Die Miterben sind verpflichtet, dem vom Erblasser als Landgutübernehmer bestimmten Miterben das Alleineigentum am Landgut einzuräumen.

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h) Ertragswertermittlung Nunmehr ist der Ertragswert gem. § 2049 Abs. 2 BGB auf der Grundlage des jährlichen Reinertrags zu ermitteln (s. Rz. 36 ff.). Die wertmäßige Anrechnung des Landguts auf den Erbanteil des Miterben zum Ertragswert soll an folgendem Beispiel1 verdeutlicht werden. Der Erblasser setzt seine drei Kinder zu Erben ein. Dem Sohn S wendet er das Recht zu, das zum Nachlass gehörende Landgut, das einen Verkehrswert von 500 000 Euro hat, zum Ertragswert zu übernehmen. Der Ertragswert soll 250 000 Euro betragen. Der sonstige Nachlass hat einen Wert von 500 000 Euro. Nachlassverbindlichkeiten sollen keine vorhanden sein. Der Nachlasswert setzt sich aus dem Ertragswert des Landguts von 250 000 Euro und dem sonstigen Nachlasswert von 500 000 Euro zusammen. Da jedem der Kinder ein Drittel Erbteil zukommt, erhalten sie gem. § 2047 BGB jeweils 250 000 Euro bzw. der Landgutübernehmer das Landgut mit dem entsprechenden Ertragswert. Läge kein Ansatz zum Ertragswert vor, hätte jeder Miterbe ein Drittel aus dem Verkehrswertnachlass von 1 Million Euro, also 333 333,33 Euro zu erhalten. Die Differenz von 166 666,66 Euro zu den 500 000 Euro Verkehrswert des Hofs wären als Ausgleichszahlung je zur Hälfte vom Landgutübernehmer an seine Geschwister auszukehren. Im Beispielsfall bewirkt die Ertragswertansetzung nach § 2049 BGB eine Einsparung von 166 666,66 Euro für den Landgutübernehmer.

Wie ist ein angeordneter Übernahmepreis bei der Auseinandersetzung anzusetzen? Denkbar ist auch, dass der Erblasser einen Übernahmepreis von 400 000 Euro für das Landgut anordnet, das einen Ertragswert von 250 000 Euro hat. Jetzt setzt sich der Nachlasswert aus dem Übernahmepreis von 400 000 Euro zuzüglich des sonstigen Nachlasswerts von 500 000 Euro zusammen. Von den 900 000 Euro stehen jedem Miterben ein Drittel Anteil, also 300 000 Euro zu. Der Landgutübernehmer muss an jeden Miterben eine Abfindung von 50 000 Euro zahlen. Gegenüber einer reinen Verkehrswertabrechnung hat er immerhin noch 100 000 Euro eingespart.

1 Nach Wöhrmann, S. 453. Ruby

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Rz. 67

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3. Weitere Voraussetzungen des § 2312 BGB1 § 2312 BGB als die dem § 2049 BGB entsprechende Bewertungsregel im Pflichtteilsrecht setzt voraus: a) Anwendbarkeit 67

§ 2312 findet beim Eingreifen anerbenrechtlicher Bestimmungen i.S.d. Art. 64 EGBGB keine Anwendung, da diese die Höfebewertung für die Pflichtteilsberechnung selbst regeln (§ 12 Abs. 10 HöfeO, § 10 Abs. 2 BadHofGG, Art. 15 WürttAnerbenG, § 24 BremHöfeG, § 26 HessLandgüterO, § 20 RhPfHöfeO).

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§ 2312 BGB gilt nach seinem Normzweck entsprechend, wenn das Landgut bereits zu Lebzeiten des Erblassers durch Hofübergabevertrag vom Erblasser auf den Übernehmer übergegangen ist und gegen den Übernehmer Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend gemacht werden (s. Rz. 78)2. b) Landgut

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Zum Nachlass bzw. fiktiven Nachlass gehört ein Landgut (s. Rz. 21 ff.) als wirtschaftliche Einheit. Eine Pferdepension ist nicht als Landgut i.S.v. §§ 2049, 2312 BGB anzusehen, da sie in ihrem Gesamtbild nicht vom Betrieb einer Landwirtschaft im Sinne einer Urproduktion geprägt ist (s. Rz. 21 ff.) c) Übernehmer gehört zum Personenkreis des § 2303 BGB

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Der Alleinerbe (§ 2312 Abs. 2 BGB) oder mit dem Recht der Landgutübernahme ausgestattete Miterbe (§ 2312 Abs. 1 BGB) muss zu den in § 2303 BGB bezeichneten abstrakt pflichtteilsberechtigten Personen zählen, § 2312 Abs. 3 BGB. Das Bewertungsprivileg des § 2312 BGB findet also nur Anwendung, wenn der das Landgut übernehmende Mit- oder Alleinerbe zum Kreis der generell Pflichtteilsberechtigten gehört, d.h. Ehegatte, Abkömmling oder Elternteil ist. Belanglos ist, ob der Übernehmer im Einzelfall tatsächlich einen Pflichtteilsanspruch hat (§ 2317 BGB) oder durch Näherstehende ausgeschlossen wird (§ 2309 BGB). Mit dem Normzweck des § 2312 BGB, das Landgut im Besitze der Familie als leistungsfähige Einheit zu erhalten, wäre es schwerlich zu vereinbaren, wenn das Ertragswertprivileg nur dem einzigen Sohn des Erblassers zukäme, während es dem Enkelkind des Erbassers versagt bliebe, selbst wenn es als einziges Familienmitglied geeignet und gewillt wäre, den Hof zu übernehmen.

70a

Fällt das Landgut an eine Erbengemeinschaft, ohne dass einem der Miterben ein Übernahmerecht zusteht, kommt eine Anwendung von § 2312 BGB nicht in Betracht.

70b

Ist das Übernahmerecht oder das Landgut selbst letztwillig als Vermächtnis zugewiesen, ist fraglich, ob der Vermächtnisnehmer zum begünstigten Personenkreis zu rechnen ist. Bei einem Übernahme-Vorausvermächtnis zugunsten eines Miterben ist dieses gegenüber einer Teilungsanordnung als Privilegierung anzu1 Zu den gemeinsamen Voraussetzungen von §§ 2049, 2312 s. Rz. 20 ff. 2 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. 870

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sehen, so dass hier §§ 2312, 2049 BGB erst recht zur Anwendung wird kommen müssen. Wird das Landgut selbst dem Erwerber letztwillig durch bloßes Vermächtnis zugewandt, müsste nach dem Normzweck das Bewertungsprivileg entgegen dem Wortlaut der Norm wie beim Miterben, der das Landgut per Teilungsanordnung erhält, ebenfalls greifen. Für das den Miterben bedenkende Vorausvermächtnis wird dies zu Recht bejaht, da es sich gegenüber einer Teilungsanordnung als Besserstellung darstellt1. Bei einem bloßen Vermächtnisnehmer lehnt die h.M. ein solches Bewertungsprivileg ab2. Legt man aber die Argumentation des BGH3 zur Anwendbarkeit des § 2312 BGB im Falle der lebzeitigen Hofübergabe zugrunde, wird man auch bei einer vermächtnisweisen Zuwendung des Landgutes dem Vermächtnisnehmer das Ertragswertprivileg einräumen müssen. Der BGH ist der Auffassung, dass es bei der Pflichtteilsberechnung keinen Unterschied machen kann, ob der Übernehmer bereits zu Lebzeiten oder erst nach dem Tode des Erblassers das Landgut übernommen hat, sofern nur in beiden Fällen eine Ertragswertanordnung des Erblassers vorlag. Eine solche Anordnung ist nach den Ausführungen des BGH grundsätzlich zu unterstellen, wenn die Zuwendung des Landgutes unentgeltlich erfolgte. Da der BGH den lebzeitigen und den durch Erbfall bewirkten „Gutsantritt“ pflichtteilsrechtlich gleich behandelt sehen will, kann es keinen Unterschied machen, ob das Gut lebzeitig unentgeltlich übertragen oder durch Vermächtnis letztwillig zugewendet wird. In beiden Fällen muss § 2312 BGB – jedenfalls nach der Argumentation des BGH – zur Anwendung kommen. d) Anordnung des Erblassers oder Fall des § 2049 BGB Der Erblasser muss eine Anordnung getroffen haben, dass die Bewertung des Landguts nach dem Ertragswert zu erfolgen hat, oder zu einem anderen Übernahmewert, der zwischen Ertragswert und Verkehrswert liegt. Einer solchen Anordnung kommt es gleich, wenn die Auslegungsregel des § 2049 BGB greift. Nach ihr beinhaltet die Teilungsanordnung des Erblassers, die eine Übernahme des Landguts durch einen Miterben vorsieht, im Zweifel zugleich das Recht, das Landgut zum Ertragswert zu übernehmen. Auch einer ergänzenden Testamentsauslegung kann eine solche Anordnung des Erblassers entnommen werden, wenn sich ein entsprechender Anhalt im Testament findet (Andeutungstheorie)4. Hat der Erblasser seine Ehefrau im Testament zur alleinigen Erbin bestimmt und zudem ausdrücklich angeordnet, dass sie „zunächst“ den Hof erhalten soll, geht der IVa-Zivilsenat des BGH, wie er in einem Urteil vom 22.10. 1986 andeutet, offenbar davon aus, dass das Testament dahin ausgelegt werden kann, dass für die Berechnung des Pflichtteils des einzigen Sohnes, der nur zwei Tage nach der Testamentserrichtung adoptiert wurde, der Ertragswert des Landguts zugrunde zu legen ist5. Ist in einem Berliner Testament vorgesehen, dass ei1 Bamberger/Roth/Mayer, § 2312 Rz. 5 Fn. 14. 2 Staudinger/Haas, § 2312 Rz. 5, Bamberger/Roth/Mayer, § 2312 Rz. 5; Zechiel, Die „Ertragswertklausel“ in der bayerischen Notariatspraxis und ihr Bedeutungswandel bei verfassungsgemäßer Auslegung des § 2312, Diss. Würzburg 1993, S. 15. 3 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414 (1415 ff.), dazu ausf. Rz. 78. 4 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 = MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987, 951. 5 BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375 (376) = MDR 1987, 212 = FamRZ 1987, 378 = NJW 1987. 951. Ruby

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Rz. 72

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ner der Schlusserben das zum Nachlass gehörende Landgut übernehmen soll, ist bereits bei der Pflichtteilsberechnung nach dem erstversterbenden Ehegatten der Ertragswert des Landguts zugrunde zu legen, wenn ein für den Schlusserbfall berufener Miterbe den Pflichtteil aus dem Nachlass des Erstverstorbenen fordert1. Ist das Landgut bereits im Wege vorweggenommener Erbfolge übergegangen, gilt § 2312 BGB entsprechend, wenn im Übergabevertrag oder im Testament eine entsprechende Anordnung enthalten ist2. Ist derjenige, der das Landgut bereits zu Lebzeiten des Erblassers durch Übergabevertrag erhielt, später nicht Erbe geworden, werden der Erbe und der beschenkte Übernehmer richtigerweise für die Pflichtteilsergänzung (§§ 2325, 2329 BGB) nicht mit dem Verkehrswert, sondern nur mit dem Ertragswert haften. Dies wird jedenfalls dann gelten, wenn es bei der leb-zeitigen Landgutübernahme nur um eine vorweggenommene Erbfolge ohne Besonderheiten geht3. Eine unwirksame Pflichtteilsentziehung kann aber nicht ohne weiteres in eine solche Anordnung umgedeutet werden4. e) Ertragswertansatz ist gerechtfertigt 72

Wie mehrfach dargelegt, ist Grund der Begünstigung des Landgutübernehmers das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer vom Gesetz begünstigten Person. Deren verminderte Belastung im Pflichtteilsrecht dient allein dem Zweck der Erhaltung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit des Landguts, nicht aber in jedem Fall dem Erhalt der bisherigen Größe des Hofs als solche. Können nämlich einzelne besonders wertvolle Grundstücke des Landguts, die praktisch baureif sind, aus dem Hof herausgelöst werden, ohne dass die dauernde Lebensfähigkeit des Hofs dadurch gefährdet wird, ist für diese Grundstücke der Verkehrswert anzusetzen. Der Ertragswertansatz ist hier nicht mehr gerechtfertigt, zumal es nach dem Gesetz und nach allgemeiner Auffassung keine Nachabfindungen gibt5.

73

Mit dem Verkehrswert anzusetzen sind auch auskiesungsreife und für die Auskiesung benötigte Äcker, die unmittelbar an ein Kieswerk angrenzen und für die eine Genehmigung zum Abbau bereits erteilt ist. Gleiches gilt für landwirtschaftlich genutztes Gelände in Großstadtnähe6 als Bau- oder Bauerwartungsland. Unerheblich ist, ob der Erbe solche wertvollen Grundstücke verkaufen will oder nicht oder damit noch zuwartet, da ihr dauernder Verbleib beim Hof schon wegen der Wirtschaftlichkeit ihrer Veräußerung nicht gewährleistet erscheint. Zwar kann der Eigentümer festlegen, dass auch Bauland zum Landgut gehört, doch muss sich eine solche „Widmung“ im Rahmen der Verkehrsauffassung halten.

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Die Ertragswertberechnung ist nur gerechtfertigt, wenn das Landgut als geschlossene Einheit fortgeführt wird und lebensfähig ist. Subjektiv ist eine Absicht zur Betriebsfortführung oder wenigstens Absicht der Wiederaufnahme des 1 2 3 4 5 6

OLG Kiel, SchlHA 1934, 169, zit. nach Soergel/Dieckmann, § 2312 Rz. 5. BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. Soergel/Dieckmann, § 2312 Rz. 6. OLG Stuttgart v. 18.1.1967 – 13/6 U 194/63, NJW 1967, 2410. BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, BGHZ 98, 382 = MDR 1987, 389. OLG Stuttgart v. 18.1.1967 – 13/6 U 194/63, NJW 1967, 2410, und Müller-Feldhammer, ZEV 1996, 161.

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Rz. 78

B XIII

Betriebs durch den Erben oder Hofübernehmer selbst oder seine zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählenden Abkömmlinge in absehbarer Zeit erforderlich. Dies setzt eine Prognose aus objektivierender Sicht voraus1. Objektiv müssen also zusätzlich Anhaltspunkte für die Fortführungsabsicht vorliegen. Eine Verpachtung des Betriebs steht der Landguteigenschaft daher nicht ohne weiteres entgegen, wenn die Fortführungsabsicht durch objektive Anhaltspunkte belegt wird2. Eine dauerhafte Verpachtung an familienfremde Personen kann zum Fortfall der Landguteigenschaft führen, wenn noch weitere Umstände hinzukommen3. Der Ertragswertansatz ist nicht gerechtfertigt, wenn das Landgut auf mehrere Miterben zu Bruchteilen übergeht. Gehörte dem Erblasser nur der Bruchteil eines Landguts, kann dieser bei Übernahme durch Miterben im Zweifel nicht zum Ertragswert angesetzt werden4. Das Ertragswertprinzip gilt nach seinem Zweck also nur, wenn das Landgut im Alleineigentum einer natürlichen Person steht. Für den gütergemeinschaftlichen Anteil des Erblassers an einem Landgut hingegen soll § 2312 BGB analog gelten, wenn das Landgut als wirtschaftliche Einheit für einen Pflichtteilsberechtigten erhalten bleiben soll5.

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f) Geltendmachung des Übernahmerechts Das Übernahmerecht muss geltend gemacht worden sein, § 2312 Abs. 1 S. 1 BGB.

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g) Kein Nachabfindungsanspruch Ein Nachabfindungsanspruch für den Fall der Veräußerung des Landguts durch den Übernehmer innerhalb einer bestimmten Frist wie bei § 13 HöfeO (20 Jahre), § 23 BadHofGG (10 Jahre), Art. 14 WürttAnerbenG (15 Jahre), § 29 BremHöfeG (10 Jahre), § 18 HessLandgüterO (15 Jahre), § 26 RhPfHöfeO (15 Jahre) besteht nach dem BGB-Landguterbrecht nicht6.

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h) § 2312 BGB und vorweggenommene Erbfolge Wird das Landgut bereits zu Lebzeiten des Erblassers im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übergeben, ist bei der Geltendmachung von Pflichtteils1 2 3 4 5 6

BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/9, NJW 1992, 770. BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414 (1416). Vgl. OLG Oldenburg v. 17.12.1991 – 5 U 82/91, FamRZ 1992, 726 (727). BGH v. 21.3.1973 – IV ZR 157, 71, NJW 1973, 995. Soergel/Dieckmann, § 2312 Rz. 8. BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 143/85, BGHZ 98, 382 = MDR 1987, 389 = NJW 1987, 1260; a.A. Wöhrmann, § 2312 Rz. 2 ff., der aus der Entstehungsgeschichte der §§ 2049, 2312 BGB nachweist, dass der im BGB-Landguterbrecht fehlende Nachabfindungsanspruch Resultat einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Regelungslücke ist und diese Lücke durch analoge Anwendung der Landesanerbengesetze schließen will. Der Gedanke, dass sich die Rechtsprechung genötigt sehen könnte, einen Nachabfindungsanspruch im Wege der Rechtsfortbildung zu begründen, findet sich in BGH v. 9.10.1991 – IV ZR 259/90, MDR 1992, 56 = FamRZ 1992, 172. Ruby

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Rz. 78a

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ergänzungsansprüchen (§§ 2325 ff., 2329 BGB) gegen den Übernehmer § 2312 BGB analog anzuwenden. Hofübergabeverträge enthalten regelmäßig ein starkes erbrechtliches Moment, da sie die Erbfolge vorwegnehmen. Nach der BGHRechtsprechung1 kann es für die Bewertung zur Pflichtteilsberechnung keinen Unterschied machen, ob der Hof im Wege der vorweggenommenen oder eigentlichen Erbfolge auf den Übernehmer übergeht, sofern nur der Erblasser im Übergabevertrag oder in der letztwilligen Verfügung bestimmt hat, dass der Pflichtteil nach dem Ertragswert (oder einem höheren Übernahmepreis, der zwischen Ertragswert und Verkehrswert liegt) berechnet werden soll. Im Falle der lebzeitigen Übernahme des Grundbesitzes durch einen von mehreren Miterben „könne der Ertragswert gem. § 2312 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes maßgebend sein“; hinterlasse der Erblasser aber nur einen Erben, bedürfe es gem. § 2312 Abs. 2 BGB einer Anordnung des Erblassers, um den Ertragswert zur Grundlage der Pflichtteilsberechnung zu machen. Sei die Zuwendung des Hofs unentgeltlich erfolgt, sei nach der Lebenserfahrung zu schließen, dass der Zuwendende den Beschenkten möglichst günstig habe stellen wollen. Daher sei das Bestehen einer solchen Ertragswertanordnung zu unterstellen, solange offen sei, ob der Erblasser die Anrechnung des Ertragswertes angeordnet habe. Damit ist mit dem BGH bei unentgeltlichen Zuwendungen im Zweifel sowohl im Falle einer Erbengemeinschaft wie einer Alleinerbschaft von einer Ertragswertanordnung des Erblassers auszugehen, wobei diese aber im notariell beurkundeten Übergabevertrag oder der Verfügung von Todes wegen zumindest angedeutet sein muss. 78a

Entsprechend dem Stichtagsprinzip müssen allerdings die Voraussetzungen des § 2312 BGB im Zeitpunkt des Erbfalls noch gegeben sein, mögen sie auch vom Übernehmer erst nach der Übergabe herbeigeführt worden sein2.

Beratungshinweis: Wird der im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragene Hof zwischen Übergabe und Erbfall verkauft, aufgegeben oder verliert er seine Landguteigenschaft (z.B. Umstellung auf Pferdepension), errechnet sich die Pflichtteilsergänzung nicht nach dem Ertragswert, sondern nach dem oftmals sechs- bis einfach höheren Verkehrswert. 78b

Es reicht also nicht aus, wenn die Voraussetzungen des § 2312 BGB zwar im Zeitpunkt der Übergabe vorgelegen haben, aber nicht mehr im Zeitpunkt des Erbfalls. Die Belastung mit einem nach dem Verkehrswert ermittelten Pflichtteilsanspruch, vor der § 2312 BGB den landwirtschaftlichen Betrieb im öffentlichen Interesse schützen soll, tritt erst im Zeitpunkt des Erbfalls auf. Zuvor können keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden. Deshalb muss die geschützte Interessenlage auch noch im Zeitpunkt des Erbfalls vorliegen, um das Ertragswertprivileg zu erhalten. Hat der Beklagte das Landgut des Erblassers bereits zu dessen Lebzeiten im Wege vorweggenommener Erbfolge übernommen, den landwirtschaftlichen Betrieb jedoch schon vor dem Erbfall aufgegeben und den größten Teil der Ländereien verkauft, kann das Bewertungsprivileg des § 2312 BGB keine Anwendung finden. Der Berechnung des Pflichtteils ist in die1 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 159/63, NJW 1964, 1414. 2 BGH v. 14.12.1994 – IV ZR 113/94, MDR 1995, 288 = FamRZ 1995, 352 = NJW 1995, 1352 = ZEV 1995, 74: Soweit BGH, NJW 1964, 1414 (1416) unter 4. entnommen werden konnte, dass es für § 2312 BGB bei vorweggenommener Erbfolge auf den Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr ankomme, wurde diese Rechtsprechung aufgegeben. 874

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Rz. 79

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sem Fall der Verkehrswert des Landguts zugrunde zu legen. J. Mayer1 spricht hier von einem „erbrechtlichen Quantensprung“. Will der Übergeber dem Übernehmer solche Sprünge ersparen, muss er die weichenden Erben zu einem beschränkten Pflichtteilsverzicht bewegen.

M 148 Ertragswertvereinbarung mit beschränktem Pflichtteilsverzicht Hinsichtlich des landwirtschaftlichen Anwesens „Mönchweiler Hof“ mit allen Aktiven und Passiven wird vereinbart, dass für die Berechnung von Pflichtteilsrechten und -ansprüchen allein der Ertragswert nach § 2312 BGB zugrunde gelegt werden soll, wenn dieser niedriger als der Verkehrswert ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ertragswertbewertung vorliegen. Soweit dadurch in das gesetzliche Pflichtteilsrecht von Horst Kurz eingegriffen wird, verzichtet dieser für sich und seine Abkömmlinge insoweit auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht am einstigen Nachlass seiner Eltern …, die diesen beschränkten Pflichtteilsverzicht annehmen2.

§ 2312 BGB ist nicht anwendbar, wenn mehreren Pflichtteilsberechtigten das Landgut lebzeitig zu Bruchteilseigentum übertragen wird. Sowohl der Wortlaut wie der Normzweck stehen einer Anwendung des § 2312 BGB entgegen, da durch das Bruchteilseigentum die Gefahr einer Teilungsversteigerung hervorgerufen wird, was den Normzweck Erhaltung des Landgutes als Wirtschaftseinheit konterkariert3. Gleiches gilt, wenn ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling mit seinem Ehegatten zu Bruchteilseigentum erwirbt4 oder nur ein Miteigentumsanteil des Landgutgrundstückes zugewandt wurde. § 2312 BGB dürfte allerdings zur Anwendung kommen, wenn bei einer Übergabe an ein Kind, das in Gütergemeinschaft verheiratet ist, dessen Ehegatte nach § 1416 Abs. 1 S. 2 kraft Gesetzes Miteigentum erwirbt5.

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Wird der Betrieb eines vor der Übergabe bereits aufgegebenen Hofs zwischen Übergabe und Erbfall wieder aufgenommen oder wurden die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme geschaffen, kann der Ertragswert angesetzt werden. § 2312 BGB kann sogar anzuwenden sein, wenn der Übernehmer des zu Lebzeiten des Erblassers übergebenen Grundbesitzes die Voraussetzungen für eine dauerhafte Bewirtschaftung als Landgut erst zum Zeitpunkt des Erbfalls herstellt, etwa wenn die Bewirtschaftung im Zeitpunkt der Übergabe völlig aufgegeben war, der Übernehmer den Betrieb aber künftig selbst oder von einem Abkömmling dauerhaft wieder aufnehmen will6. Auch hier muss im Zeitpunkt des Erbfalls die – realisierbar erscheinende – Absicht des Übernehmers bestehen, den landwirtschaftlichen Betrieb auf Dauer fortzuführen. Es ist eine Prognose aus der objektivierenden Sicht eines unvoreingenommenen Betrachters anzustellen7.

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J. Mayer, ZEV 2000, 263 (267). Nach J. Mayer, ZEV 2000, 263 (267). BGH v. 15.12.1976 – IV ZR 27/75, FamRZ 1977, 195. Bamberger/Roth/Mayer, § 2312 Rz. 5 m.w.N.; Staudinger/Haas, § 2312 Rz. 15; Weidlich, ZEV 1996, 380 (381 ff.). 5 Weidlich, ZEV 1996, 380 (382). 6 BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. 7 BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. Ruby

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B XIII 80

Rz. 80

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Auf § 2312 BGB kommt es nicht mehr an, wenn das Landgut schon mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall übergeben worden ist (§ 2325 Abs. 3 BGB1) oder die aus dem Pflichtteilsrecht folgenden Ansprüche verjährt sind (§ 2332 BGB) 4. Vererbung des Landguts bei fortgesetzter Gütergemeinschaft gem. § 1515 BGB

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Haben Ehegatten die heute „vom Aussterben bedrohte“ Gütergemeinschaft2 (§§ 1415 ff. BGB) als ehelichen Güterstand gewählt, können sie des Weiteren vereinbaren, dass die Gütergemeinschaft nach dem Tode eines der beiden Ehegatten zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt werden soll (§§ 1483 ff. BGB). Man hat diese fortgesetzte Gütergemeinschaft als „witwer- oder witwenherrschaftliche Familiengutsverfassung alten Stils“ bezeichnet3. Diese fortgesetzte Gütergemeinschaft ermöglicht es nämlich dem überlebenden Ehegatten, das Gesamtgut bis zum eigenen Tod weiter nutzen zu können, ohne dass er den gemeinsamen Abkömmlingen, die anstelle des erstverstorbenen Ehegatten in die Gesamthandsgemeinschaft eintreten, ihre Anteile an der Vermögenshälfte des verstorbenen Ehepartners sofort herausgeben muss. Die Gütergemeinschaft wird hierzu zwischen dem überlebenden Ehegatten, dem ein Alleinverwaltungsrecht (§ 1487 Abs. 1 BGB) zukommt, und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen, welche in die rechtliche Stellung des verstorbenen Ehepartners eintreten, fortgesetzt. Der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut (§ 1416 BGB) gehört also nicht zum Nachlass, so dass das Erbrecht hierauf keine Anwendung findet, sondern nur für das sonstige Vermögen des Erblassers (Sondergut nach § 1417 und Vorbehaltsgut nach § 1418 BGB) gilt (§ 1483 Abs. 1 S. 3 BGB). Natürlich ersetzt wirtschaftlich gesehen der halbe Anteil der gemeinschaftlichen Abkömmlinge am Gesamtgut ihr bezüglich des Gesamtgutes nicht existierendes Erbrecht.

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Will der überlebende Ehegatte die Gütergemeinschaft mit den gemeinsamen Abkömmlingen nicht fortsetzen, kann er innerhalb von sechs Wochen seit dem Zeitpunkt, in dem er von dem Tode des anderen Ehegatten und der Fortsetzung der Gütergemeinschaft Kenntnis erlangt, durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ablehnen (§§ 1484, 1943 ff. BGB). In diesem Fall wird die Gütergemeinschaft aufgelöst und der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut fällt in den Nachlass. Auch nach Ablauf der Ablehnungsfrist kann der überlebende Ehegatte nach § 1492 BGB jederzeit durch einseitige Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht oder durch Vertrag mit den gemeinsamen Abkömmlingen die Gütergemeinschaft aufheben. Sodann ist die Gütergemeinschaft nach den allgemeinen Bestimmungen auseinander zu setzen (§ 1498 BGB). 1 Anders allerdings bei der Übergabe an die Ehefrau oder unter Nießbrauchsvorbehalt. 2 Die Gütergemeinschaft – auch die fortgesetzte Gütergemeinschaft – ist in BadenWürttemberg im ländlichen Bereich noch häufig anzutreffen. Sie wurde bis Mitte der 60er-Jahre vereinbart (Standardaussagen: „vom Notar damals empfohlen“ oder „wir wollten es so wie die Eltern“). Die Mandanten wissen in der Regel schon, dass für sie die Gütergemeinschaft gilt. Über die Rechtsfolgen der fortgesetzten Gütergemeinschaft sind sie aber keinesfalls im Bilde. 3 Boehmer, Zur Entwicklung und Reform des deutschen Familien- und Erbrechts, S. 105. 876

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Wird die Gütergemeinschaft jedoch zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt, so besteht das Gesamtgut nicht nur aus den Gegenständen, die bereits zum ehelichen Gesamtgut gehört haben; vielmehr fällt auch alles, was der überlebende Ehegatte aus dem Nachlass des verstorbenen Ehegatten oder nach Eintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft in sonstiger Weise erwirbt, in das Gesamtgut, soweit es sich nicht um Vorbehaltsgut oder Sondergut handelt (§ 1485 BGB). Der überlebende Ehegatte kann somit, will er nicht die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ablehnen oder die fortgesetzte Gütergemeinschaft aufheben, was für ihn jeweils mit den Nachteilen einer Gesamtgutsauseinandersetzung verbunden ist, grundsätzlich nichts mehr erwerben, ohne dass die gemeinsamen Abkömmlinge daran Anteil hätten.

81b

Dem überlebenden Ehegatten ist auch eine Regelung der Vermögensnachfolge nach seinem Tod weitgehend verwehrt. Zwar kann er durch letztwillige Verfügung in beliebiger Weise über seinen Nachlass (Sonder- und Vorbehaltsgut sowie halber Anteil am Gesamtgut) verfügen. Seine Erben haben sich jedoch sodann mit den Abkömmlingen über das Gesamtgut auseinander zu setzen. Zum einen ist die beendete Gütergemeinschaft zu liquidieren und zum anderen die Erbengemeinschaft auseinander zu setzen. Bei der Auseinandersetzung steht der Erbengemeinschaft nach dem längerlebenden Ehegatten die eine Hälfte des Auseinandersetzungsguthabens zu, den gemeinsamen Abkömmlingen die andere Hälfte. Die den Abkömmlingen zustehende Hälfte steht diesen wiederum gem. § 1503 BGB im Verhältnis ihrer fiktiven Erbteile nach dem zuerst verstorbenen Ehegatten zu. An alledem kann der längerlebende Ehegatte nichts ändern, und zwar auch dann nicht, wenn er wesentliche Teile des Gesamtgutes erst nach dem Tode des zuerst verstorbenen Ehegatten erworben hat.

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M 149 Auseinandersetzung bei fortgesetzter Gütergemeinschaft Formulierungsvorschlag für den immer noch in der Praxis anzutreffenden Fall, dass die Ehegatten fortgesetzte Gütergemeinschaft vereinbart hatten und der überlebende Ehepartner keine letztwillige Verfügung getroffen hat. Beim Vorhandensein von zwei gemeinschaftlichen Abkömmlingen könnten die Erbengemeinschaft nach dem überlebenden Elternteil und die Gesamthand durch folgende Vereinbarung abgewickelt werden: „Beurkundet zu … vor … sind anwesend … 1. T – nachfolgend Übergeberin genannt – 2. S – nachfolgend Übernehmer genannt – Die Anwesenden erklären zur öffentlichen Urkunde Vertrag zur Erbauseinandersetzung und Gesamtgutauseinandersetzung § 1 Vorbemerkung Am 10.2.2013 verstarb die Mutter der Vertragsparteien, Frau M, die nachfolgend als „Erblasserin“ bezeichnet wird. Die Erblasserin war in einziger Ehe verheiratet mit dem am 25.3.1992 vorverstorbenen Vater der Parteien V. Die Erblasserin und ihr Ehemann V, die beide zuletzt in Königsfeld wohnhaft waren, waren im Güterstand der Gütergemeinschaft miteinander verheiratet und hatten die FortsetRuby

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

zung der Gütergemeinschaft nach §§ 1483 ff. BGB mit den gemeinschaftlichen Abkömmlingen vereinbart (Ehe- und Erbvertrag des Notariats II Villingen vom 21.5.1974, Aktenzeichen …). Nach dem Tode von V waren die Vertragsparteien und die Erblasserin Gesamthänder der fortgesetzten Gütergemeinschaft, die auf Ableben des am 25.3.1992 verstorbenen M entstanden ist (vgl. Fortsetzungszeugnis des Notariates IV Villingen vom 2.7.1992, Az …). V hinterließ weder Vorbehalts- noch Sondergut. An der fortgesetzten Gütergemeinschaft waren die Übergeberin und der Übernehmer neben der Erblasserin entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen1 berechtigt. Die Erblasserin wurde zu gleichen Teilen von der Übergeberin und dem Übernehmer beerbt (vgl. gemeinschaftlicher Erbschein des Notariates IV Villingen vom 3.6.2013, Az.:…). § 2 Auseinandersetzung des Gesamtgutes und des Vorbehaltsgutes der Erblasserin (1) Zum bisherigen Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft gehörte folgender Grundbesitz, eingetragen im Grundbuch von Königsfeld:… (2) Zum bisherigen Vorbehaltsgut der Erblasserin gehörte folgender Grundbesitz,… (3) Die Erblasserin hinterließ kein Sondergut. (4) Auseinandersetzung Über den zum bisherigen Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft gehörenden Grundbesitz nebst beweglichen Gegenständen sowie das gesamte Vorbehaltsgut der Erblasserin setzen sich die Übergeberin und der Übernehmer dergestalt auseinander, dass der Übernehmer den gesamten Grundbesitz und alle beweglichen Gegenstände zu alleinigem Eigentum erhält und übernimmt. Die Übertragung und Übernahme durch den jeweiligen Eigentümer erfolgen mit allen Rechten und Pflichten, den Bestandteilen und etwaigem gesetzlichen Zubehör. § 3 Auflassung Einig über den bezeichneten Eigentumsübergang bewilligen und beantragen die Beteiligten den Vollzug im Grundbuch § 4 Besitzübergang, Gewährleistung Der Besitzübergang mit dem Übergang von Nutzen, Lasten und Gefahr erfolgt vorbehaltlich etwaiger im Folgenden vereinbarter Rechte des Übergebers sofort. 1 Beachte: § 1503 BGB. Im Beispiel sind die Kinder zu gleichen Teilen an der Gesamtgut-Hälfte des verstorbenen Ehemannes berechtigt („beerbte Ehe“), nicht etwa zu je 3/ 16 , wie ab und an zu lesen. Die Kinder treten anstelle des Ehemanns in die fortgesetzte Gütergemeinschaft – fGG – in dessen Hälfte ein. Dies zeigt sich auch bei der Halbteilung des Überschusses, falls die fGG auseinandergesetzt wird. Der nach der Berichtigung der Gesamtgutsverbindlichkeiten der fGG verbleibende Überschuss gebührt zu einer Hälfte dem überlebenden Ehegatten (oder seinen Erben – im Beispiel: seinen gesetzlichen Erben), zur anderen Hälfte den anteilsberechtigten Abkömmlingen (§§ 1498, 1476 I BGB). Die Verteilung der den Abkömmlingen zufallenden Hälfte bemisst sich nach § 1503 BGB. 878

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Rz. 81c

B XIII

Jegliche Gewährleistung für Sach- und Rechtsmängel aller Art ist ausgeschlossen. Die Grundschuld IIII/1 im Grundbuch von Königsfeld sichert Verbindlichkeiten, die allein vom Übernehmer zu bedienen sind. Pachtverhältnisse mit Dritten bestehen nicht. § 5 Kosten, Steuern Die Kosten dieses Vertrags und seines Vollzuges tragen die Beteiligten zu gleichen Teilen § 6 Ausgleichszahlung Der Übernehmer zahlt an die Übergeberin einen Gleichstellungsbetrag in Höhe von 60 500 Euro. Der Betrag ist binnen vier Wochen ab heute zur Zahlung fällig und bis dahin unverzinslich. Auf Sicherheiten, insbesondere Zahlung erst nach Erteilung der Bodenverkehrsgenehmigung und Weitergabe der Auflassung erst nach Zahlung, wird verzichtet. Der Gleichstellungsbetrag wurde wie folgt errechnet: Der gesamte übertragene Grundbesitz wurde bewertet mit rund 237 000 Euro. Hiervon sind Leistungen und Verwendungen, die der Übernehmer aus eigenen Mitteln zu Lebzeiten der Eltern auf den übertragenen Grundbesitz erbracht hat, abzuziehen in Höhe von – 116 000 Euro = 121 000 Euro hiervon 1/ 2 60 500 Euro. § 7 Verkaufsoption bei Baulandausweisung Sobald die im Auszug aus dem Liegenschaftskaster vom 23.8.2014 mit roter Farbe markierte Teilfläche des Flst. Nr. 335 der Gemarkung Königsfeld oder ein Anteil daran Bauland wird, ist die Übergeberin berechtigt, vom Übernehmer den Verkauf der Baulandfläche an Dritte zu marktüblichen Preisen zu verlangen. Veräußert der Übernehmer auf Verlangen der Übergeberin das vorstehend beschriebene Bauland, so hat er die Hälfte des Erlöses abzüglich der aus dem Erlös etwa zu entrichtenden Steuer und abzüglich eines Betrages von 2 Euro pro qm1 des verkauften Baulandes an die Übergeberin herauszugeben. Die Berechtigung, die Veräußerung des vorbeschriebenen Baulandes zu verlangen, erlischt mit Ableben der Übergeberin. Die Veräußerung des Baulandes kann von der Übergeberin nur höchstpersönlich verlangt werden. Die Ausübung dieser Berechtigung durch einen Bevollmächtigten, Betreuer, Pfleger oder eine sonstige Drittperson ist nicht möglich. Dingliche Sicherung wird nicht gewünscht. § 8 Grundstückserhaltungsklausel (1) Sofern die Übergeberin die in § 7 beschriebene Verkaufsoption ausübt, kann der Übernehmer verlangen, dass ihm die hälftige Teilfläche des zu veräußernden Baulandes als Eigentümer verbleibt, so dass diese Teilfläche von der Veräußerungspflicht nicht erfasst wird. Bei Ausübung dieses Gegenrechts ist der Übernehmer verpflichtet, der Übergeberin die andere hälftige Teilfläche, die vom ursprünglichen Grundstück abzuschreiben ist, zu alleinigem Eigentum zu übertra1 Ausgleich für die dann bereits geleistete Ausgleichszahlung nach § 6 des Vertrags. Ruby

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gen. Zu übertragen ist die Grundstückshälfte des Baulandes, die sich ergibt, wenn man die nordöstliche Grundstücksgrenze des Flst. Nr. 335 zu Flst. Nr. 334 parallel in Richtung Südwesten verschiebt. (2) Sollte aufgrund des Verlangens der Übergeberin Grundvermögen aus dem land- und forstwirtschaftlichen Vermögen des Übernehmers entnommen werden müssen und fällt deshalb ein einkommensteuerpflichtiger Entnahmegewinn an, so ist die durch diesen Gewinn verursachte Einkommensteuer von der Übergeberin zu ersetzen. … 81d

Bei allen geradezu gebetsmühlenhaft angeführten – für den landwirtschaftlichen Bereich oftmals nur vermeintlichen1 – Nachteilen der Gütergemeinschaft muss gesehen werden, dass es der einzige Güterstand ist, der auf den ersten Todesfall „pflichtteilsimmun“ ist, da der überlebende Ehegatte bei bloßem Gesamtgut keinen Pflichtteilsansprüchen ausgesetzt ist. Die Haftungsproblematik wird regelmäßig übertrieben, da eine Gesamtgutshaftung grundsätzlich nur für solche während der Ehe getätigten Rechtsgeschäfte, die mit Zustimmung des Ehegatten vorgenommen wurden, und bei gesetzlichen Ansprüchen besteht (Ansprüche aus unerlaubter Handlung, Gefährdungshaftung oder Unterhaltsverpflichtungen).

81e

Für den Fall der Auseinandersetzung der fortgesetzten Gütergemeinschaft kann nach § 1515 BGB jeder Ehegatte unter Zustimmung des anderen anordnen, dass ein Abkömmling ein Übernahmerecht am Gesamtgut insgesamt oder an einzelnen hierzu gehörenden Gegenständen gegen Wertersatz hat. Gehört zum Nachlass ein Landgut, kann im Interesse der ungeteilten Erhaltung des Landguts ein solches Übernahmerecht hinsichtlich des Landguts mit der Maßgabe angeordnet werden, dass das Landgut mit dem Ertragswert anzusetzen ist. a) Voraussetzungen des § 1515 BGB

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aa) Die Ehegatten leben im Güterstand der Gütergemeinschaft, § 1415 BGB.

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bb) Die Ehegatten haben gem. § 1483 BGB durch Ehevertrag vereinbart, dass die Gütergemeinschaft nach dem Tode eines Ehegatten zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt wird. Der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut fällt dann nicht in den Nachlass, so dass die Abkömmlinge keine Erbabfindung verlangen können. Vielmehr rücken die Abkömmlinge in den Anteil des verstorbenen Ehegatten ein („beerbte Ehe“). Ihnen steht jetzt neben dem überlebenden Ehegatten der hälftige Anteil am Gesamtgut zu (vgl. § 1503 BGB).

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cc) Die Anordnung, dass ein anteilsberechtigter Abkömmling das Recht haben soll, „bei der Teilung“ ein zum Nachlass gehörendes Landgut mit dem Ertragswert zu übernehmen, muss vom Erblasser letztwillig verfügt werden. Wird die Übernahmeanordnung in einem eigenhändigen oder notariellen Testament getroffen, so bedarf sie der notariell beurkundeten Zustimmungserklärung des anderen Ehegatten, da dessen Rechte am Landgut durch die Übernahmeanordnung 1 Vgl. Behmer, FamRZ 1988, 339 ff. 880

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Rz. 85

B XIII

betroffen sind, §§ 1515 Abs. 1 I, 1516 BGB. Diese Zustimmung ist unwiderruflich, § 1516 Abs. 2 BGB. Die Zustimmung ist entbehrlich, wenn die Ehegatten die Übernahmeanordnung in einem gemeinschaftlichen Testament (§ 1516 Abs. 3 BGB) oder einem Erbvertrag getroffen haben, da hier die Mitwirkung beider Ehegatten ohnehin gegeben ist. Die Anordnung könnte in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament lauten:

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M 150 Übernahmerecht für Landgut zum Ertragswert Wir ordnen gem. § 1515 BGB an, dass unser Sohn Volker, geboren am 3. Februar 1969, bei der Teilung das Recht haben soll, den zum Gesamtgut gehörenden Ziegelhof nebst Zubehör – … (grundbuchrechtliche Beschreibung) … – zu übernehmen. In diesem Falle ist der Hof nebst Zubehör mit dem Ertragswert anzusetzen.

dd) § 1515 Abs. 1 BGB spricht davon, dass dem anteilsberechtigten Abkömmling das Recht eingeräumt werden kann, bei der Teilung das Gesamtgut oder einzelne dazugehörende Gegenstände zu übernehmen. Zu einer Auseinandersetzung des Gesamtguts kommt es in folgenden Teilungsfällen: – bei Ablehnung der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch den überlebenden Ehegatten (§ 1484 BGB) innerhalb der Sechswochenfrist des § 1484 Abs. 1 BGB. Auf diese Weise kann sich der überlebende Ehegatte eine Erbquote am Gesamtgutanteil des vertorbenen Ehegatten sichern, der ansonsten bei Fortsetzung der Gütermeinschaft allein den anteilsberechtigten Abkömmlingen zusteht. Der Preis besteht in der Erb- und wohl auch Gesamtgutauseinandersetzung. – bei einer für den überlebenden Ehegatten jederzeit möglichen Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht, §§ 1492, 1497 BGB – bei notariell zu beurkundendem Vertrag über die Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und den anteilsberechtigten Abkömmlingen, § 1492 Abs. 2 BGB – bei Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten, § 1493 Abs. 1 BGB – beim Tod des überlebenden Ehegatten, § 1494 Abs. 1 BGB – bei Rechtskraft des Urteils, das der Klage eines anteilsberechtigten Abkömmlings auf Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft stattgibt, §§ 1496, 1495 BGB. Eine Aufhebungsklage kommt vor allem in Betracht, wenn der überlebende Ehegatte entweder zur Verwaltung des Gesamtguts unfähig ist oder sein Alleinverwaltungsrecht missbraucht und dadurch die Rechte des Abkömmlings für die Zukunft erheblich gefährdet. Gleiches gilt, wenn der überlebende Ehegatte betreut wird und die Verwaltung des Gesamtguts in den Aufgabenkreis des Betreuers fällt. Wird die fortgesetzte Gütergemeinschaft aufgrund einer Aufhebungsklage aufgehoben, so soll allerdings ein zugunsten des überlebenden Ehegatten gem. § 1515 Abs. 3 angeordnetes Landgut-Übernahmerecht nach h.M.1 entfallen. 1 Palandt/Brudermüller, § 1515 Rz. 2. Ruby

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Rz. 86

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ee) Das Übernahmerecht kann von dem Berechtigten form- und fristenfrei ausgeübt werden. b) Rechtsfolgen

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Die anderen Anteilsberechtigten sind verpflichtet, die Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem Übernahmeberechtigten das Alleineigentum am Landgut zu verschaffen.

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Gem. § 1515 Abs. 2 S. 2 BGB finden die Vorschriften des § 2049 BGB Anwendung (s. Rz. 21 ff.), wenn nach der Beendigung der Gütergemeinschaft das Gesamtgut auseinander gesetzt wird, §§ 1497 ff., 1475 ff. BGB. Hierbei wird das Landgut mit dem Ertragswert oder mit einem Preis, der den Ertragswert mindestens erreicht, sowohl bei der Ermittlung wie bei der Teilung des Überschusses angesetzt. 5. Verfahren auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs aus der Erbengemeinschaft nach §§ 13 ff. GrdstVG

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Bei dem Verfahren auf Zuweisung des landwirtschaftlichen Betriebs nach §§ 13 ff. GrdstVG handelt es sich um nichts anderes als um eine besondere Form der (Teil-)Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft. Als „Verfahren der Erbauseinandersetzung im Bereich des Landwirtschaftserbrechts“ hätte es seinen Platz im BGB finden müssen und bildet im Grundstücksverkehrsgesetz einen „Fremdkörper“1.

Beratungssituation: Ein Miterbe möchte den landwirtschaftlichen Betrieb, der einer durch gesetzliche Erbfolge entstandenen Erbengemeinschaft gehört, in seiner Gesamtheit übernehmen. 89a

Voraussetzung für diese besondere Form der (Teil-)Erbauseinandersetzung ist, dass ein Hof, für den kein Anerbengesetz gilt, im Wege der gesetzlichen Erbfolge auf eine Erbengemeinschaft übergegangen ist. Der Hof gehört dann als Teil des Gesamtnachlasses der Erbengemeinschaft. Bekanntlich kann jeder Miterbe jederzeit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen. Die Gefahr einer damit einhergehenden Zerschlagung des Hofs liegt auf der Hand. Der Bundesgesetzgeber hat für die Erhaltung der nach BGB-Recht vererbten Höfe keine Sondererbfolge wie die Anerbenrechte vorgesehen. Die Erhaltung eines leistungsfähigen Hofs wird über den Umweg der Betriebszuweisung nach dem GrdstVG erreicht. Mit diesem Zuweisungsverfahren nach §§ 13 ff. GrdstVG wird der Hofnachfolger ähnlich bevorzugt, wie dies die Anerbenrechte tun, und die Miterben werden ähnlich benachteiligt.

89b

Die Voraussetzungen des Hofzuweisungsverfahrens im Einzelnen: a) Erbengemeinschaft kraft gesetzlicher Erbfolge

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Der Hof muss einer durch gesetzliche Erbfolge entstandenen Erbengemeinschaft gehören, § 13 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. Ist die Erbengemeinschaft hingegen aufgrund einer Verfügung von Todes wegen entstanden, so findet das Zuweisungsverfah1 Wöhrmann, S. 473. 882

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 93

B XIII

ren nicht statt, und zwar selbst dann nicht, wenn die kraft letztwilliger Verfügung entstandene Erbengemeinschaft mit derjenigen identisch ist, die bei gesetzlicher Erbfolge entstünde1. Nur dann, wenn im Testament ausdrücklich erklärt wurde, es solle bei der gesetzlichen Erbfolge bleiben, kann davon ausgegangen werden, dass keine testamentarische Erbeinsetzung vorliegt; anders verhält es sich aber schon dann, wenn im Testament ausdrücklich eine Erbeinsetzung vorgenommen wurde. Eine durch gesetzliche Erbfolge entstandene Erbengemeinschaft liegt auch dann noch vor, wenn Mitglieder aus einer vorhergehenden älteren Erbengemeinschaft verstorben sind und kraft Gesetzes oder aufgrund einer letztwilligen Verfügung beerbt wurden. Dies gilt selbst bei mehreren Erbfällen hintereinander2. Mittelbar folgt aus dem Erfordernis des Entstehens einer Erbengemeinschaft durch gesetzliche Erbfolge auch, dass der Hof keinem Anerbenrecht unterliegen darf, das für den Hof eine Sondererbfolge vorsieht. Fällt der Hof unter ein Anerbengesetz, kommt eine Zuweisung nach dem GrdstVG dann in Betracht, wenn kein Anerbe vorhanden ist (vgl. § 10 HöfeO, § 7 Abs. 2 BadHofGG, § 11 Abs. 3 BremHöfeG) und daher nach BGB-Recht vererbt wird.

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b) Landwirtschaftlicher Betrieb Es muss sich um einen landwirtschaftlichen (s. Rz. 23) Betrieb handeln. Bei einem rein forstwirtschaftlichen Betrieb gilt das Zuweisungsverfahren nach dem GrdstVG nicht3. Im häufigen Fall des gemischt land- und forstwirtschaftlichen Betriebs kommt es auf die Gewichtung an. Auch bei gewerblicher und industrieller Produktion scheidet eine Zuweisung nach dem GrdstVG aus. Dies liegt darin begründet, dass im Hinblick auf die besonderen Abfindungsregeln für weichende Erben die Sondervorschriften der §§ 13 ff. GrdstVG nicht auf andere Fälle als den des landwirtschaftlichen Betriebs ausgedehnt werden können.

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c) Hofstelle Es muss eine „organisatorische Betriebseinheit“, bestehend aus landwirtschaftlichen Grundstücken und einer zur Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle, vorliegen, § 14 Abs. 1 S. 1 GrdstVG, die, falls sie im Zeitpunkt des Zuweisungsverfahrens vorübergehend ruht, die Möglichkeit bietet, den Betrieb alsbald wieder aufzunehmen Bei einem durch den Erblasser endgültig aufgegebenen Betrieb haben die Erben keinen landwirtschaftlichen Betrieb, sondern nur einen „ehemaligen landwirtschaftlichen Betrieb“ geerbt, so dass das Zuweisungsverfahren ausscheidet. Gleiches gilt, wenn die Hofstelle nicht nur vorübergehend fehlt.

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d) Ertragshöhe Die Erträge des Betriebs müssen im Wesentlichen zum Unterhalt einer bäuerlichen Familie ausreichen, § 14 Abs. 1 GrdstVG. Dabei ist auf den Lebensbedarf einer bäuerlichen Durchschnittsfamilie bestehend aus den Ehegatten und zwei 1 OLG Karlsruhe v. 19.12.1994 – 13 WLw 124/94 – (16/95), Agrarrecht 1995, 217. 2 Wöhrmann, S. 478. 3 Lange, GrdstVG, § 17 Anm. 3, 2. Aufl. 1964. Ruby

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minderjährigen Kindern abzustellen1. Der aus dem Hof als möglich zu erzielende Ertrag – erhöht um den Wohnwert des Anwesen für die Familie – muss im Wesentlichen, also wohl zu mindestens 80 %2, den statistischen Lebensbedarf eines Vier-Personen-Haushalts in der Landwirtschaft decken. 93a

Erträge sind die nachhaltig erzielbaren Überschüsse der Roherträge (Bareinnahmen aus der Landwirtschaft) über die Bewirtschaftungskosten einschließlich der Grundsteuer. Private Belastungen sind bei der Ertragsberechnung nicht abzuziehen. Erträge aus zugepachteten Grundstücken sind als Betriebserträge anzusehen, wenn gesichert erscheint, dass das Pachtland dem Erwerber zur Bewirtschaftung zustehen wird, § 14 Abs. 1 S. 2 GrdstVG.

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Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang ein Beschluss des OLG München vom 5.7.19943, wonach ein landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb, dessen Erträge erheblich unter den Regelsätzen nach dem früheren BSHG (jetzt SGB XII) liegen, nicht nach § 14 Abs. 1 GrdstVG zuweisungsfähig ist. Die Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz bieten eine praktikable und sichere Grundlage für die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs einer Familie bei bescheidener Lebensführung. Der so ermittelte Unterhaltsbedarf der bäuerlichen Durchschnittsfamilie muss im Wesentlichen durch den Betriebsertrag abgedeckt werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Hof nicht zuweisungsfähig. Die Begründung, die dem Kriterium Nebenerwerbsbetrieb kein besonderes Gewicht gibt und allein auf den Betriebsertrag abstellt, lässt vermuten, dass das OLG München diese Rechtsprechung nicht nur für Nebenerwerbsbetriebe, sondern auch für Höfe anwenden wird. Dem OLG München ist vorbehaltlos zuzustimmen, wenn es darauf hinweist, dass es sich bei einem „Hof“, dessen Ertrag erheblich unter den Sozialhilfesätzen liegt, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht mehr vertreten lasse, die weichenden Erben gem. § 16 GrdstVG nach dem geringen Ertragswert abzufinden, während andererseits der bedeutend höhere Sachwert durch Zuweisung dem Erwerber zuwächst.

94a

In dem vom OLG München zu entscheidenden Fall war aufgrund des Gutachtens eines Bewertungssachverständigen ein jährlicher Gewinn des Betriebs von 11 326 DM ermittelt worden, so dass von einem monatlichen Ertrag des landwirtschaftlichen Betriebs von 944 DM auszugehen war. Dieser Betrag lag erheblich unter den Mindestbeträgen der in Bayern geltenden Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz und bot deshalb nach der Überzeugung des Senats keine für den Unterhalt einer bäuerlichen Familie im Wesentlichen ausreichende Existenzgrundlage. Auch wenn der Sachverständige bei seinen Berechnungen den Wohnwert des Anwesens und die Möglichkeiten von Eigenentnahmen nicht berücksichtigt hat, reichen auch unter Zugrundelegung bescheidener Lebensverhältnisse 944 DM für den wesentlichen Unterhält einer vierköpfigen bäuerlichen Familie nicht aus. Die im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz betrugen in Bayern für Ehegatten insgesamt mindestens 904 DM und lagen für die beiden minderjährigen Kinder altersgruppenabhängig insgesamt zwischen mindestens 502 DM und mindestens 704 DM, wobei die laufenden Leistungen für Unterkunft und Heizung von 1 OLG Naumburg, RdL 2004, 264. 2 So Wöhrmann, S. 487. 3 OLG München v. 5.7.1994 – Lw W 1235/94-(216/94), Agrarrecht 1995, 56. 884

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Rz. 98a

B XIII

der Gewährung nach Regelsätzen ausgenommen sind und in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zusätzlich gewährt werden. e) Antragsteller ist Miterbe Antragsteller im Zuweisungsverfahren kann nur ein Miterbe sein, § 13 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. Der Antrag kann bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft gestellt werden. Der Antragsteller kann Zuweisung an sich selbst beantragen, aber auch an den Miterben, der nach § 15 GrdstVG als Erwerber in Betracht kommt. Der Antrag soll die Gegenstände bezeichnen, deren Zuweisung beantragt wird, § 32a LwVfG.

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f) Landwirtschaftsgericht Zuständig ist gem. § 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1, § 10 LwVfG das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Betrieb liegt, als Landwirtschaftsgericht.

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g) Zuweisungsobjekt Zuweisungsobjekt ist die Gesamtheit der Betriebsgrundstücke, so dass der Betrieb ungeteilt zugewiesen werden muss, § 13 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. Ist eine Aufteilung des Betriebs in mehrere Einzelbetriebe unter der Voraussetzung möglich, dass jeder Einzelbetrieb ausreichende Erträge sichert, so kann der Betrieb geteilt und die Einzelbetriebe können verschiedenen Miterben zugewiesen werden, § 13 Abs. 1 S. 1 GrdstVG.

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Von der Zuweisung sollen solche Grundstücke ausgenommen werden, für die nach ihrer Lage und Beschaffenheit anzunehmen ist, dass sie in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werden, wie z.B. Bauland, unter Umständen schon Bauerwartungsland, gewerbliche Grundstücke, Sand- und Steinbrüche. Da diese Grundstücke alsbald veräußert zu werden pflegen, ist den weichenden Erben eine Abfindung zu Ertragswerten nicht zumutbar.

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Nach einem Zuweisungsbeschluss des OLG Karlsruhe1 gilt dies auch für eine Gärtnerei, die mitten in einem Wohngebiet lag und von der Stadt nur deshalb im Bebauungsplan als Gärtnerei und nicht als Bauland ausgewiesen worden war, weil der Erblasser dies so gewollt hatte. Das OLG erwog bei seiner Entscheidung, dass die nach § 16 GrdstVG vorgesehene Abfindung des weichenden Miterben auf der Basis des Ertragswerts zu dem Verkehrswert des Grundstückes, der mit vier bis fünf Millionen DM angegeben wurde, in einem groben Missverhältnis stehe. Das Nachforderungsrecht des Miterben nach § 17 GrdstVG könne dieses Missverhältnis nicht hinreichend ausgleichen. Denn zum einen bestehe ein solches Nachforderungsrecht nur bei Verkauf innerhalb von 15 Jahren. Zum anderen sei die Nachforderung nach dem Wert zur Zeit der Zuweisung zu berechnen, so dass der weichende Miterbe an einer zwischenzeitlichen Wertsteigerung nicht teilnehme. Der Grundgedanke des § 13 Abs. 1 S. 2 BGB sei auch im zu entscheidenden Fall heranzuziehen. Selbst wenn der Antragsteller ernsthaft beabsichtige, die Gärtnerei über viele Jahre weiterzuführen, erscheine fraglich, ob

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1 OLG Karlsruhe v. 19.12.1994 – 13 WLw 124/94-(16/95), Agrarrecht 1995, 217. Ruby

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

er dies auch tatsächlich tun werde, wenn er als Alleineigentümer des Betriebs die Möglichkeit habe, durch den Verkauf mehrere Millionen DM zu erzielen. Langfristig sei auf jeden Fall abzusehen, dass die Gärtnerei am jetzigen Standort nicht bleiben werde, so dass es über kurz oder lang zu einer Realisierung des Verkehrswerts komme. Dann sei es aber grob ungerecht, wenn nicht gar verfassungswidrig, die weichenden Erben an diesem Verkehrswert nicht in voller Höhe teilhaben zu lassen. 98b

Werden solche Grundstücke ausnahmsweise dennoch zugewiesen, ist eine Nachabfindung nach § 17 GrdstVG zu zahlen, sofern die Veräußerung innerhalb der 15-Jahres-Frist erfolgt.

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Von der Zuweisung mit umfasst werden das Zubehör nach §§ 97, 98 BGB, dingliche Nutzungsrechte sowie Miteigentums-, Kapital- und Geschäftsanteile, wenn diese zur ordnungsmäßigen Bewirtschaftung des Betriebs notwendig sind, § 13 Abs. 1 S. 3 GrdstVG.

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Nach § 13 Abs. 3 GrdstVG ist eine Betriebszuweisung nur möglich, soweit die Sachen und Rechte gemeinschaftliches Vermögen der Erben sind. Der gesamte Hof muss sich also in der Hand der Erbengemeinschaft befinden, was regelmäßig nur nach einem Alleineigentümer als Erblasser der Fall ist. Bei hinterlassenen Anteilen an einer landwirtschaftlichen Personengesellschaft oder bei einer beendeten fortgesetzten Gütergemeinschaft ist dies genauso wenig der Fall, wie bei zwei Erbengemeinschaften nach einem verstorbenen Gütergemeinschafts- oder einem Bruchteilsgemeinschafts-Ehepaar. Hier ist der „Hof“ bzw. die entsprechende Gesamthand von vornherein „geteilt“ und damit auch von vornherein mit der Gefahr der Liquidation oder Teilungsversteigerung belastet, was seine besondere Schutzwürdigkeit erst gar nicht entstehen lässt, so dass die Ausnahme des schwerwiegenden Eingriffs in Art. 14 GG zum Nachteil der Miterben auch nicht mehr zu rechtfertigen ist.

100a

Bei einem Ehegattenhof fällt also die Miteigentumshälfte des längerlebenden Ehegatten nicht in den Nachlass nach dem Erstverstorbenen, wird nicht gemeinschaftliches Vermögen der Erbengemeinschaft und ist folglich nicht zuweisungsfähig. Der umgekehrte Weg, wonach die Miteigentumshälfte des Erblassers dem längerlebenden Ehegatten als Mitglied einer gesetzlichen Erbengemeinschaft nach dem Erstverstorbenen zugewiesen werden kann, wodurch dieser Alleineigentum am Hof erhält, wurde von den Oberlandesgerichten Oldenburg und Stuttgart in den Jahren 1966 und 1976 ausnahmsweise als zulässig anerkannt1. h) Zuweisungsempfänger

101

Die Voraussetzungen, die der Erwerber mitbringen muss, werden in § 15 GrdstVG beschrieben. Erwerber ist derjenige Miterbe, dem der Betrieb nach dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Erblassers zugedacht war. Mangels einer letztwilligen Verfügung wird der wirkliche Erblasserwille in der Regel nur schwer feststellbar sein. Bei der Ermittlung des wirklichen wie des mutmaßlichen Willens können insbesondere die bisherige Mitarbeit im Betrieb oder Willensbekundungen, die erforderlichenfalls durch Zeugenaussagen festzustellen 1 OLG Oldenburg, RdL 1966, 21; OLG Stuttgart, RdL 1976, 78. 886

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Rz. 102a

B XIII

sind, herangezogen werden. Letztlich ist nach dem mutmaß-lichen Willen davon auszugehen, dass der zur Bewirtschaftung des Betriebs am besten geeignete Miterbe den Hof erhalten soll. Kriterien für die Ermittlung des für die Fortführung des Betriebs am besten geeigneten Miterben können sein: – Qualität der landwirtschaftlichen Ausbildung – Qualität des Ausbildungsabschlusses – Maß der Erfahrung in der Landwirtschaft, vor allem auch durch Mitarbeit in dem zuzuweisenden Betrieb – geordnete oder zerrüttete Lebensverhältnisse des Zuweisungsprätendenten – Gesundheit und Alter der Bewerber Wenn allerdings der Wille des Erblassers, dass ein ganz bestimmter Miterbe nicht Hoferwerber sein soll, deutlich sichtbaren Ausdruck gefunden hat, dann kann diesem der Hof nicht zugewiesen werden, auch wenn er ansonsten der ideale Zuweisungsempfänger wäre. Der Zuwendungsempfänger muss schließlich entweder ein Abkömmling oder der Ehegatte des Erblassers sein. Handelt es sich um eine andere Person, so muss diese bereits bisher mit dem Betrieb durch Mitbewirtschaften und zugleich Bewohnen eng verbunden sein. Der Miterbe muss schließlich zur Übernahme und Fortführung der Bewirtschaftung des Betriebs bereit und geeignet sein. Die geforderte Eignung dürfte bei Minderjährigen kaum gegeben sein.

101a

i) Zuweisungsverfahren Das Verfahren selbst ist im LwVfG geregelt. Darüber hinaus ist zu beachten, dass § 14 Abs. 2 GrdstVG voraussetzt, dass sich die Erben nicht einigen können; insoweit ist ein Vermittlungsverfahren nach § 366 ff. FamFG vorrangig, nicht jedoch eine Klage auf Auseinandersetzung. Solange die Auseinandersetzung nach §§ 2043 ff. BGB ausgeschlossen ist oder ein Testamentsvollstrecker die Auseinandersetzung zu betreiben hat, darf eine Zuweisung ebenfalls nicht erfolgen, § 14 Abs. 3 GrdstVG. Ein gleichzeitig laufendes Teilungsversteigerungsverfahren kann für die Dauer des Zuweisungsverfahrens eingestellt werden, § 185 Abs. 1 ZVG.

102

Endet das Verfahren mit der Zuweisung des Betriebs, bestimmt sich der Geschäftswert nach § 48 Abs. 3 GNotKG, und es wird i.d.R. das Vierfache des letzten Einheitswerts des Betriebs als Geschäftswert angesetzt. Wird der Betrieb nicht zugewiesen, bestimmt sich der Geschäftswert nach § 46 GNotKG nach dem Verkehrswert. Die Gerichtskosten trägt in der Regel der im Zuweisungsverfahren unterliegende Teil, da dies billigem Ermessen entspricht (§ 44 LwVfG). Über die Erstattung außergerichtlicher Kosten, also insbesondere Anwaltskosten, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen. Da dem Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom Grundsatz her die Erstattung außergerichtlicher Kosten durch einen anderen wesenfremd ist, müssen besondere Gründe vorliegen, damit das Gericht durch besondere Anordnung, die außergerichtlichen Kosten ganz oder teilweise einem unterliegenden Beteiligten auferlegen kann (§ 45 Abs 1 S. 1 LwVfG). Dies hat dann aber zwingend zu geschehen, wenn der Beteiligte die Kosten durch ein unbegründetes Rechtsmittel oder durch grobes Verschulden verursacht hat (§ 45 Abs. 1 S. 2 LwVfG).

102a

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B XIII

Rz. 103

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

j) Zuweisungsbeschluss 103

Über den Zuweisungsantrag entscheidet das Landwirtschaftsgericht durch Beschluss, in dem der Erwerber und die zugewiesenen Gegenstände bezeichnet werden, §§ 21 Abs. 1, 32a S. 2 LwVfG. Mit Rechtskraft des Zuweisungsbeschlusses gehen das Eigentum an den zugewiesenen Sachen und die zugewiesenen Rechte auf den Erwerber über, § 13 Abs. 2 GrdstVG. Der Eigentumswechsel tritt also außerhalb des Grundbuchs ein. Ist in der Entscheidung ein späterer Zeitpunkt bestimmt, ist dieser maßgebend.

104

Die weichenden Miterben erhalten anstelle ihres Erbteils einen Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrags, der dem Wert ihres Anteils an dem zugewiesenen Betrieb entspricht, § 16 Abs. 1 S. 1 GrdstVG. Für die Errechnung der Abfindung der weichenden Erben wird der Betrieb mit seinem Ertragswert nach § 2049 Abs. 2 BGB angesetzt, § 16 Abs. 2 S. 2 BGB. Bei der Berechnung der Abfindung ist die Ausgleichung der Vorempfänge des Hofübernehmers zu berücksichtigen. Der Abfindungsanspruch der Erben sowie eine auf ihn bezogene Stundungs-, Verzinsungs- oder Sicherheitsanordnung sind vom Landwirtschaftsgericht ebenfalls im Zuweisungsbeschluss festzusetzen, § 16 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 GrdstVG.

105

Für Nachlassverbindlichkeiten haftet zunächst das hoffreie Vermögen, so dass die weichenden Erben erneut benachteiligt werden. Dabei ist die Sondervorschrift des § 16 Abs. 2 GrdstVG für die Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten zu beachten, die zur Zeit des Erwerbs der zugewiesenen Gegenstände noch bestehen. Hier werden die weichenden Miterben erneut benachteiligt, weil zunächst der hoffreie Nachlass haftet. Nachlassverbindlichkeiten sind gem. § 16 Abs. 2 S. 1 GrdstVG nämlich „aus dem außer dem Betriebe vorhandenen Vermögen zu berichtigen, soweit es ausreicht“. Reicht das hoffreie Vermögen zur Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten nicht aus, haften trotz Zuweisung des Betriebs an den Erwerber alle Mitglieder der Erbengemeinschaft in gleicher Weise als Gesamtschuldner für die Nachlassverbindlichkeiten.

105a

Nachlassverbindlichkeiten, die an einem zum Betrieb gehörenden Grundstück dinglich gesichert sind, kann das Landwirtschaftsgericht zwar auf Antrag aus dem Haftungsverband der Erbengemeinschaft herausnehmen und die alleinige Haftung des Erwerbers bestimmen. Dies setzt allerdings die wohl kaum zu erhaltende Zustimmung des betreffenden Gläubigers voraus, § 16 Abs. 2 S. 2 BGB.

106

Rechtsmittel gegen den Zuweisungsbeschluss sind die sofortige Beschwerde an das OLG und die Rechtsbeschwerden an den BGH, §§ 22, 24 LwVfG. k) Nachabfindungsansprüche

107

Wird der Hof oder werden Teile davon binnen 15 Jahren nach der Zuweisung veräußert, entstehen eventuell Nachabfindungsansprüche für die weichenden Erben, die sich aber nur nach dem Verkehrswert im Zeitpunkt der Zuweisung richten, so dass zwischenzeitliche Wertsteigerungen beim Zuweisungsempfänger verbleiben.

107a

Die gravierenden Nachteile, welche die weichenden Erben bei der Abfindung und der Erbenhaftung hinnehmen müssen, sind nur gerechtfertigt, wenn der Betrieb auch wirklich weitergeführt wird. Ist dies nicht der Fall, sondern zieht der 888

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Rz. 109

B XIII

Erwerber aus dem Betrieb binnen 15 Jahren nach dem Erwerb erhebliche Gewinne durch Veräußerung oder auf andere Weise, so hat der Erwerber die Miterben auf Verlangen so zu stellen, „wie wenn der in Betracht kommende Gegenstand im Zeitpunkt des Erwerbs verkauft und der Kaufpreis unter den Miterben entsprechend ihren Erbteilen verteilt worden wäre“, § 17 GrdstVG. Die Nachabfindung ist aber nur dann zu leisten, wenn die Veräußerung mit den Zwecken der Zuweisung im Widerspruch steht, was nicht per se der Fall sein muss. Werden die Veräußerungsgewinne reinvestiert, um den Betrieb zu erhalten, so ist dieser Zweck vom Zuweisungsrecht gedeckt. Hier fällt auf, dass sich die Höhe der Nachabfindungsansprüche der weichenden Miterben nicht nach dem später tatsächlich erzielten Kaufpreis richtet, sondern nach dem Wert zur Zeit der Zuweisung zu berechnen ist. Letztlich hat dies zur Folge, dass der weichende Miterbe an einer zwischenzeitlichen Wertsteigerung nicht teilnimmt1. Beispiel: Ein Betriebsgrundstück hatte im Zeitpunkt der Zuweisung einen Ertragswert von 10 000 Euro und einen Verkehrswert von 25 000 Euro. Bei zwei Miterben, von denen einer Zuweisungsempfänger ist, werden dem weichenden Miterben entsprechend seinem halben Erbteil 50 % des Ertragswerts, also 5 000 Euro, vom Landwirtschaftsgericht als Abfindung nach § 16 GrdstVG zugesprochen. Wird zehn Jahre später das Betriebsgrundstück für eine Million Euro verkauft, nachdem es zwischenzeitlich Bauland geworden ist, errechnet sich die Nachabfindung nach dem Verkehrswert im Zuweisungszeitpunkt. Die Hälfte des Verkehrswerts betrug damals 12 500 Euro. Da der weichende Erbe bereits 5 000 Euro erhalten hat, stehen ihm als Nachlassabfindung nur noch 7 500 Euro, die lediglich um den Kaufkraftschwund der letzten zehn Jahre zu bereinigen sind. Bei einer Kaufkraftänderung von bspw. 1,18 im Zehnjahreszeitraum kann der Zuweisungsempfänger also 991 150 Euro behalten.

Werden Gewinne auf andere Weise als durch Veräußerung erzielt und ist diese Gewinnerzielung den Zwecken des Zuweisungsrechts fremd, ist ebenfalls eine Nachabfindung zu leisten. Betroffen sind hier die Fälle einer landwirtschaftsfremden Unternehmertätigkeit, wie etwa das Betreiben eines Gewerbebetriebs, die Verpachtung eines Betriebsgrundstücks z.B. zum Betrieb einer Reitschule, Verträge, die die bergbauliche Nutzung von Betriebsgrundstücken gestatten, wenn Erbbaurechte bestellt oder wenn Enteignungsentschädigungen nicht für die Ersatzbeschaffung von neuen Betriebsgrundstücken verwendet werden.

108

Die Frage, ob einem Pflichtteilsberechtigten in analoger Anwendung des § 17 GrdstVG ebenfalls eine Nachabfindungsanspruch zustehen kann2, stellt sich nicht. Wenn der Erblasser einen Abkömmling, seinen Ehegatten oder die pflichtteilsberechtigten Eltern enterbt, liegt eine letztwillige Verfügung vor, die den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge verhindert. Ein Zuweisungsverfahren kommt nicht mehr in Betracht.

108a

Die Nachabfindungsansprüche verjähren in zwei Jahren nach Kenntnis des weichenden Erben vom Nachabfindungstatbestand, ohne diese Kenntnis in fünf Jahren nach dem Schluss des Jahres, in dem die Voraussetzungen des Nachabfindungsanspruchs erfüllt waren.

109

1 OLG Karlsruhe v. 19.12.1994 – 13 WLw 124/94-(16/95), Agrarrecht 1995, 217. 2 So Wöhrmann, S. 506. Ruby

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Rz. 110

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

IV. Anerbengesetze 110

Das bedeutendste Anerbenrecht ist die nordwestdeutsche Höfeordnung in den vier Ländern der ehemaligen Britischen Zone, nämlich in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Bei der Höfeordnung handelt es sich um partikulares Bundesrecht (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG), das ursprünglich als Besatzungsrecht am 24.4.1947 in Kraft trat. Das Kontrollratsgesetz Nr. 45 schaffte 1947 nicht nur das Reichserbhofgesetz ab, um die alten Landes-Anerbengesetze wieder aufleben zu lassen. Gleichzeitig wurde den Zonenbefehlshabern die Ermächtigung erteilt, Abänderungs- und Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Von dieser Ermächtigung wurde nur in der damaligen britischen Zone Gebrauch gemacht, indem dort die Höfeordnung eingeführt wurde. Bei der Höfeordnung handelt es sich um fakultatives Anerbenrecht. Zwar unterliegen nach § 1 HöfeO von Gesetzes wegen alle Höfe, die einen Wirtschaftswert von 10 000 Euro aufwärts haben, der Höfeordnung. Es steht jedoch im freien Belieben des Eigentümers, ob sein Hof weiterhin der Höfeordnung unterstehen soll. Durch seine „negative Hoferklärung“, die auch für alle seine Rechtsnachfolger wirkt1, und Löschung des Hofvermerks im Grundbuch (§ 1 Abs. 4 bis 7 HöfeO), geht die Hofeigenschaft verloren. Eine Hofstelle mit einem Wirtschaftswert zwischen 5 000 und 10 000 Euro wiederum kann dem Anerbenrecht unterstellt werden, wenn der Eigentümer erklärt, dass sie Hof sein soll und der Hoferbenvermerk im Grundbuch eingetragen wird (§ 1 Abs. 1, 3, 6 und 7 HöfeO, §§ 2 ff. HöfeVfO).

111

Auf jeweils ein Bundesland beschränken sich die besonderen Landes-Anerbengesetze. Wie bei der HöfeO hat es der jeweilige Eigentümer auch hier in der Hand, ob sein Hof dem Anerbengesetz seines Landes oder dem BGB-Landguterbrecht unterstehen soll. Nach der hessischen Landgüterordnung, der rheinland-pfälzischen Höfeordnung, dem württembergischen Anerbengesetz und dem bremischen Höfegesetz steht es im freien Belieben des Landwirts, ob er seinen Hof in die Höferolle einträgt und damit dem Anerbenrecht unterstellt oder nicht. Nur das badische Hofgütergesetz hat rund 4400 Höfe im Schwarzwald durch Gesetz zwingend dem Anerbenrecht unterstellt. 1. Historische Entwicklung a) Höfeordnung für Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein

112

Wichtigstes Anerbengesetz ist die nordwestdeutsche Höfeordnung für die ehemals britische Besatzungszone. Dort wurde gleichzeitig mit der Aufhebung des Reichserbhofgesetzes durch das Kontrollratsgesetz Nr. 45 mit Wirkung vom 24.4.1947 die Militärregierungsverordnung Nr. 84 als Ausführungsverordnung erlassen, die als Anlage B die Höfeordnung für die britische Zone in Kraft setzte. Sie gilt seit dem 1.7.1976 auf der Grundlage des 2. Gesetzes zur Änderung der Höfeordnung (BGBl. 1976 I, S. 881) in den Ländern Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen als partielles Bundesrecht (Art. 125, 72 Abs. 2, 74 Nr. 1 GG). Nach den Übergangsvorschriften (Art. 3 §§ 1–5) gilt 1 BGH v. 5.6.1992 – BLw 10/91, BGHZ 118, 356 = MDR 1992, 972 = FamRZ 1992, 1068. 890

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Rz. 114

B XIII

diese Neufassung in allen Erbfällen ab dem 1.7.1976, auch wenn Vereinbarungen oder letztwillige Verfügungen davor erfolgt sind. b) Badisches Gesetz die geschlossenen Hofgüter betreffend Auf eine sehr bewegte und die älteste Geschichte unter den noch geltenden Anerbengesetzen blickt das „Badische Gesetz die geschlossenen Hofgüter betreffend“ (BadHofGG) zurück. Es gilt für Teile des ehemaligen Landes Baden in der Fassung vom 12.7.1949 (GVBl. S. 288), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 30.6.1970 (GVBl. S. 289). Eine Besonderheit des BadHofGG im Vergleich zu anderen Anerbengesetzen ist, dass das BadHofGG kein fakultatives Höferecht ist. Die rund 4 400 Höfe im Schwarzwald, für die das BadHofGG heute noch Anwendung beansprucht, wurden durch Gesetz vom 23.5.1888 festgestellt. Diese gesetzliche Feststellung war aus folgenden Gründen notwendig geworden: In dem bodenqualitätsmäßig benachteiligten Gebiet des Schwarzwaldes reicht die Anerbensitte geschlossener Hofvererbung bis ins 15./16. Jahrhundert zurück. Nachdem durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 dieses bislang durch verschiedene Herrschaften zersplitterte Gebiet Baden zugeschlagen wurde, wurde im Edikt vom 23.3.1808 eine einheitliche Regelung getroffen, wonach „geschlossene Hofgüter“ grundsätzlich unter Miterben unteilbar sind. Geschlossene Hofgüter waren Höfe, die bislang aufgrund Gesetzes oder „rechtsgenüglichen Herkommens“ „stets unzertrennt von einem Inhaber auf den anderen übergegangen“ waren. Diese Feststellung bereitete aber in der Praxis Schwierigkeiten, so dass aufgrund eines von Amts wegen durchgeführten Feststellungsverfahrens 4943 Hofgüter durch Gesetz vom 23.5.1888 dem Anerbenrecht unterstellt wurden. Auf diese gesetzliche Feststellung greift das bei mehrfachen Änderungen heute noch gültige BadHofGG vom 20.8.1898 zurück. Einzige Unterbrechung stellt die Zeit vom 1.10.1933 bis 24.4.1947 dar, in der das Reichserbhofgesetz galt.

113

c) Württembergisches Gesetz über das Anerbenrecht Der in Baden-Württemberg bislang bestehende Zustand der Rechtsvielfalt wird bald der Vergangenheit angehören. Das württembergische Gesetz über das Anerbenrecht vom 14.2.1930, das in der Fassung vom 30.7.1948 (RegBl. WürttembergBaden S. 165) seit dem 24.4.1947 in Nordwürttemberg und seit dem 1.8.1948 in Nordbaden galt und in Südwürttemberg in der Fassung vom 8.8.1950 (RegBl Württemberg-Hohenzollern S. 279) anzuwenden war, ist am 31.12.2000 aufgrund des 3. Rechtsbereinigungsgesetzes von 1995 nahezu vollständig außer Kraft getreten1. Gem. Art. 28 des Rechtsbereinigungsgesetzes bleiben die aufgehobenen Rechtsvorschriften für spätere Erbfälle allerdings dann noch anwendbar, wenn der Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren wurde. Dies und die verzögerte Inkraftsetzung wurden laut amtlicher Begründung deshalb vorgesehen, um den von der Aufhebung der Gesetze betroffenen Hofinhabern eine angemessene Zeit einzuräumen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen2. Damit gilt nunmehr auch in Baden-Württemberg BGB-Landguterbrecht, sofern nicht das badische Recht der geschlossenen Hofgüter zu beachten ist oder das WürttAnerbenG 1 Drittes Rechtsbereinigungsgesetz v. 18.12.1995, Anl. 2 zu Art. 1, Gesetzblatt BW 1996, S. 29 ff. 2 Vgl. Faßbender, Agrarrecht 1998, 188. Ruby

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Rz. 115

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

noch ausnahmsweise Anwendung findet, weil der Erblasser vor dem 1.1.1930 geboren wurde. Solche Fälle kamen beim Verfasser in der Tat noch 2014 vor. d) Hessische Landgüterordnung 115

In Hessen wurden das durch das KRG Nr. 45 wieder eingeführte Anerbenrecht mit Wirkung vom 24.4.1947 aufgehoben und gleichzeitig die ehemalige Landgüterordnung für den Regierungsbezirk Kassel vom 1.7.1887 für das ganze Land Hessen als HessLandgüterO vom 1.12.1947 in Kraft gesetzt. Die HessLandgüterO hat sich mit einer Zuweisung des Landguts in der Erbauseinandersetzung begnügt, sich also nicht für eine Sondernachfolge entschieden. e) Rheinland-pfälzisches Landesgesetz über die Höfeordnung

116

Auf Anregung der Bauernschaft wurde am 7.10.1953 in Rheinland-Pfalz die RhPfHöfeO verabschiedet. Für Rheinland- Pfalz als klassischem Freiteilungsland ohne anerbenrechtliche Tradition war dies ein bemerkenswerter Vorgang. Hält man sich vor Augen, dass 40 Jahre später von den 1993 in Rheinland-Pfalz bestehenden 47 893 landwirtschaftlichen Betrieben 6 681 Betriebe, also fast 14 %, in die Höferolle eingetragen waren, ist das Experiment des Jahres 1953 als geglückt zu bezeichnen. f) Bremisches Höfegesetz

117

Das alte bremische Höfegesetz vom 18.7.1899 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg i.d.F. vom 19.7.1948 neu verkündet und seither mehrfach geändert. Es folgt dem Anerbensystem einer Sondernachfolge in den Hof. Es ist am 31.12.2014 außer Kraft getreten, so dass seit dem 1.1.2015 an das allgemeine (BGB-/GrdstVG) Landwirtschaftserbrecht für alle landwirtschaftlichen Betriebe in Bremen gilt1. 2. Vergleichende Darstellung der Anerbenrechte

118

Die Anerbenrechte werden nachfolgend in ihren wesentlichen Voraussetzungen dargestellt. Dabei wird jeweils unter einem Überbegriff (z.B. land-/forstwirtschaftliche Besitzung) die dazugehörende Gesetzespassage aus den unterschiedlichen Anerbengesetzen zitiert und anschließend eine kurze Erläuterung dazu gegeben: a) Land-/forstwirtschaftliche Besitzung

119

§ 1 Abs. 1 HöfeO (land- oder forstwirtschaftliche Besitzung)/§ 1 Abs. 1 Gesetz vom 12.7.1949 zur Wiedereinführung des BadHofGG2 (land- und forstwirtschaftliche Grundstücke)/Art. 1 Abs. 2 WürttAnerbenG (zum Betrieb der Land- oder Forstwirtschaft geeignete Besitzung)/§ 1 Abs. 2 BremHöfeG (landwirtschaftliche Besitzung)/§ 1 Abs. 2 HessLandgüterO (zum Betriebe der Land- oder Forstwirtschaft bestimmte Besitzung)/§ 2 Abs. 1 RhPfHöfeO: land- und forstwirtschaftlicher Betrieb. 1 § 32 BremHöfeG. 2 Bad. GVBl. 1949, 288. 892

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 121a

B XIII

Während nach den anderen Anerbenrechten auch rein forstwirtschaftliche Betriebe dem Anerbenrecht unterstehen, gilt dies nach § 1 Abs. 2 BremHöfeG nicht.

119a

b) Mit einer zu ihrer Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle § 1 Abs. 1 HöfeO (zur Bewirtschaftung geeignete Hofstelle)/§ 3 Abs. 1 S. 2 BadHofGG (mit den erforderlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen)/ Art. 1 Abs. 2 WürttAnerbenG (verlangt stattdessen „Besitzung, die einheitlich bewirtschaftet werden kann)/§ 1 Abs. 2 BremHöfeG (zur Bewirtschaftung geeignete Hofstelle)/§ 1 Abs. 2 HessLandgüterO (mit einem Wohnhaus versehene Besitzung)/§ 2 Abs. 1 RhPfHöfeO (Betrieb, der von der dazugehörigen Hofstelle aus bewirtschaftet werden kann).

120

Eine Hofstelle ist eine mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden bebaute Fläche, von der aus die zur Besitzung gehörenden Grundstücke (in räumlicher Hinsicht noch technisch und wirtschaftlich sinnvoll bewirtschaftet werden können. Geeignet ist eine Hofstelle, wenn sie Wohn- und Wirtschaftsgebäude in einem Umfang enthält, der eine ordnungsmäßige Bewirtschaftung der zum Hof gehörenden Ländereien ermöglicht. Bei der Beurteilung der Geeignetheit sind großzügige Maßstäbe anzulegen, so dass auch eine unzulänglich Hofstelle geeignet ist, wenn sie bisher zur Bewirtschaftung ausreichte oder die Beseitigung der Unzulänglichkeit zu erwarten ist. Nach dem Sitz der Hofstelle richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichs (§ 10 LwVG).

120a

c) Betriebsgröße § 1 Abs. 1 HöfeO (sofern sie einen Wirtschaftswert von mindestens 10 000 Euro hat)/§ 3 Abs. 1 S. 2 BadHofGG (zur Ernährung einer Familie völlig ausreichendes Besitztum)/Art. 1 Abs. 2 WürttAnerbenG (zur selbstständigen Nahrungsstelle geeignete Besitzung)/§ 1 Abs. 2 BremHöfeG (Besitzung von mindestens 2,5 Hektar)/§ 1 Abs. 2 bis 5 HessLandgüterO (Besitzung, die mindestens die Größe einer Ackernahrung hat. Als Ackernahrung gilt eine genutzte Landfläche, die notwendig ist, um eine Familie, unabhängig vom Markt und von der allgemeinen Wirtschaftslage, zu ernähren und zu bekleiden sowie den Betrieb aus sich selbst zu erhalten. Beim Weinbau ist als Ackernahrung eine genutzte Ländfläche anzusehen, deren eigene Erzeugung an Trauben zum Unterhalt einer Familie ausreicht. Beim Gemüse- oder Obstbau ist als Ackernahrung eine genutzte Landfläche anzusehen, die auch bei Umstellung auf die Betriebsarten der Abs. 3 und 4 die dort bestimmten Voraussetzungen erfüllt)/§ 2 Abs. 2 RhPfHöfeO (Der Hof soll bei einer den Ertragsbedingungen entsprechenden Wirtschaftsweise ausreichen, um aus seinem land- und forstwirtschaftlichen Ertrag über den notwendigen Betriebsbedarf hinaus eine bäuerliche Familie angemessen zu versorgen sowie Altenteils- und Abfindungsverpflichtungen zu erfüllen [Ackernahrung]).

121

Bezüglich der Anforderungen unterscheiden sich die süddeutschen Anerbenrechte klar von den norddeutschen. Die HöfeO und das BremHöfeG stellen mit einem Wirtschaftswert von 10 000 Euro aufwärts und der Größe von mindestens 2,5 Hektar eindeutige Bestimmungen auf. Der Wirtschaftswert der HöfeO ist nach § 46 BewG zu bestimmen. Danach beträgt der Wirtschaftswert das 18-fache des durchschnittlichen, nachhaltigen jährlichen Betriebsreinertrags ohne Wohngebäude.

121a

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B XIII 121b

Rz. 121b

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Die süddeutschen Anerbengesetze stellen auf die Ackernahrung ab, also darauf, ob das landwirtschaftliche Unternehmen völlig zum selbstständigen Unterhalt einer Familie ausreicht. Dass dieses Abgrenzungskriterium zu Auslegungsproblemen führen muss, liegt auf der Hand. Eine praktikable Lösung ist es auch hier, auf die Sozialhilfe, die einer durchschnittlichen bäuerlichen Familie mit den erwachsenen Eltern und zwei minderjährigen Kindern zusteht, abzustellen. Der Hofertrag muss folglich mindestens den Betriebsbedarf und die Sozialhilfebezüge, die einer bäuerlichen Durchschnittsfamilie zustehen, abdecken. d) Rechtsträger des Hofs

122

§ 1 Abs. 1 HöfeO (Besitzung, die im Alleineigentum einer natürlichen Person oder im gemeinschaftlichen Eigentum von Ehegatten [Ehegattenhof] steht oder zum Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft gehört)/§§ 19 ff. BadHofGG (Gehört ein geschlossenes Hofgut zu dem Gesamtgut einer Gütergemeinschaft)/Art. 6 Abs. 3, 17 Abs. 1 bis 3, 18, 19 Abs. 2 WürttAnerbenG (Gehört das Anerbengut zum Gesamtgut einer ehelichen Gütergemeinschaft)/§ 1 Abs. 2 S. 2 BremHöfeG (Besitzung muss im Alleineigentum einer natürlichen Person oder kraft ehelichen Güterrechts im Eigentum von Ehegatten stehen oder zum Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft gehören)/§§ 21 Abs. 1. 22 Abs. 1 HessLandgüter (Wenn das Landgut sich im Miteigentum der Ehegatten befindet)/§ 2 Abs. 1 RhPfHöfeO (Betrieb, der im Alleineigentum einer natürlichen Person oder im Eigentum von Ehegatten [Ehegattenhof] steht).

122a

Allen Anerbengesetzen ist gemein, dass juristische Personen nicht als Rechtsträger eines Anerbenhofs in Frage kommen. Hofinhaber kann zunächst eine Einzelperson sein, in deren Alleineigentum der Hof steht. Gemeinschaftliches Eigentum an Ehegattenhöfen (Bruchteilseigentum oder Gesamthandseigentum) kennen bis auf die HessLandgüterO alle Anerbengesetze. Die fortgesetzte Gütergemeinschaft ist wohl nur in § 1 Abs. 1 HöfeO, Art. 17 WürttAnerbenG und in § 1 Abs. 2 BremHöfeG als Rechtsträger eines Anerbenhofs vorgesehen. e) Eintragung der Anerbenhöfe in öffentliche Register

123 123a

Bei der Eintragung der Höfe in die unterschiedlichen Register ist folgendes Regelungssystem1 zu unterscheiden: Bei den „geborenen Höfen“ gilt das Anerbenrecht kraft Gesetzes – mit eingeschränkter Aufhebungsmöglichkeit der Hofeigenschaft: Anerbenrechtsgeltung kraft zwingenden Gesetzes, § 3 BadHofGG. Die badischen Hofgüter sind allesamt einzeln gesetzlich festgelegt worden, so dass dieser Numerus clausus nur ausnahmsweise erweitert werden kann, wenn ein Hofgut in mehrere kleinere Hofgüter zerlegt wird. Der Eintrag als Hofgut erfolgt in Abt. II des Grundbuchs. Nach § 3 BadHofGG bedarf die Auf-hebung der Geschlossenheit eines Hofguts der Genehmigung des Landeswirtschaftsamtes. – mit freier Aufhebungsmöglichkeit der Hofeigenschaft: Anerbenrechtsgeltung kraft dispositiven Gesetzes, § 1 IV HöfeO für geborene Höfe. Höfe mit einem 1 Nach Kreuzer, Agrarrecht 1977, Beilage I S. 17. 894

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 126

B XIII

Wirtschaftswert von 10 000 Euro und mehr unterliegen ohne weiteres kraft Gesetzes dem Höferecht. Es bedarf keines Antrags und keines Registereintrags. Es handelt sich um geborene Höfe, so dass eine Eintragung ins Grundbuch lediglich deklaratorisch wirkt. Die HöfeO ist jedoch dispositives Recht, so dass der Hofinhaber gegenüber dem Landwirtschaftsgericht erklären kann, dass seine Besitzung kein Hof i.S.d. HöfeO mehr sein solle („negative Hoferklärung“), worauf die Löschung des Hofvermerks im Grundbuch erfolgt. Bei den Antragshöfen gilt das Anerbenrecht erst aufgrund (fakultativer, konstitutiver) Registereintragung

124

– mit eingeschränkter Aufhebungsmöglichkeit: Anerbenrechtsgeltung kraft eingeschränkt „widerruflicher“ Eintragung, § 6 RhPfHöfeO. Nach der RhPfHöfeO kann der Hof zwar fakultativ der HöfeO unterstellt werden, doch kann das Amtsgericht – nach Anhörung des Höfeausschusses – dem Antrag auf Löschung eines Hofs in der Höferolle nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes stattgeben, – mit freier Aufhebungsmöglichkeit: Anerbenrechtsgeltung kraft frei widerruflicher Eintragung, § 1 Abs. 2, 4 bis 7 HöfeO, Art. 2 I WürttAnerbenG, §§ 1 Abs. 2, 3 BremHöfeG, §§ 3, 8 HessLandgüterO. Nach der HöfeO wird eine Besitzung von weniger als 10 000 Euro, mindestens jedoch 5 000 Euro Wirtschaftswert Hof, wenn der Eigentümer gegenüber dem Landwirtschaftsgericht eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgibt, dass sie Hof sein soll und der Hoferbenvermerk im Grundbuch eingetragen wird. Ausschluss der Anerbenrechtsgeltung durch letztwillige Verfügung? Unterliegt ein Hof dem Anerbenrecht kraft Gesetzes oder kraft Eintragung, kann dennoch die Geltung des Anerbenrechts durch letztwillige Verfügung nach allen landesrechtlichen Anerbengesetzen, jedoch nicht nach der bundesrechtlichen HöfeO, ausgeschlossen werden, § 16 I HöfeO, § 6 BadHofGG, Art. 6 Abs. 1 WürttAnerbenG, § 14 RhPfHöfeO.

125

Nach § 16 Abs. 1 HöfeO ist eine Verfügung von Todes wegen, welche die Erbfolge nach § 4 HöfeO ausschließt, nichtig. Will der Hofeigentümer diese „Erbfolge kraft Höferechts“ ausschließen1, muss er einen anderen Weg wählen. Die Hofeigenschaft geht durch „negative“ Hoferklärung und Löschung des Hofvermerks im Grundbuch verloren (§ 1 Abs. 4–7 HöfeO). Der damit bewirkte Verlust der Hofeigenschaft führt zum Ausschluss der Sondererbfolge, auch wenn zuvor der Eigentümer den Hoferben bindend bestimmt hatte2.

125a

f) Bestimmung des Hoferben durch Verfügung von Todes wegen § 7 Abs. 1 HöfeO (Der Eigentümer kann den Hoferben durch Verfügung von Todes wegen frei bestimmen)/§ 7 Abs. 1 BadHofGG, Art 8 Abs. 1 WürttAnerbenG (Trifft der Erblasser keine andere Bestimmung, so sind in folgender Rangordnung 1 Die Erbfolge kraft Höferechts sieht vor, dass der Hof auf nur einen Hoferben (§ 4 HöfeO) als Betriebs- und Wirtschaftseinheit (§ 1 HöfeO) mit Bestandteilen (§ 2 HöfeO) und Zubehör (§ 3 HöfeO) vererbt wird und sich die Abfindung der weichenden Erben nach §§ 12–14 HöfeO bestimmt. 2 BGH v. 14.5.1987 – BLw 2/87, MDR 1987, 932 = FamRZ 1987, 937 = NJW 1988, 710. Ruby

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als Anerben berufen …)/§ 8 BremHöfeG (Das Recht des Eigentümers, über den Hof von Todes wegen zu verfügen, wird durch dieses Gesetz nicht berührt)/§ 25 Abs. 1 HessLandgüterO (Der Guteigentümer ist befugt, in einem Testament oder in einer notariell oder vom Ortsgericht beglaubigten Urkunde die Zuweisungsregeln nach §§ 11 bis 23 der HessLandgüterO auszuschließen und unter den Miterben die Person zu bestimmen, die zur Übernahme des Landguts berechtigt sein soll)/§ 15 Abs. 1 RhPfHöfeO (Der Eigentümer kann den Hoferben durch Verfügung von Todes wegen frei bestimmen). 127

Nach allen Anerbenrechten ist es zulässig, dass der Eigentümer den Hoferben aufgrund letztwilliger Verfügung frei bestimmt. Einschränkungen kennen nur § 7 Abs. 2 HöfeO, welcher grundsätzlich die Wirtschaftsfähigkeit des Hoferben fordert, und § 15 Abs. 4 RhPfHöfeO, wonach der Hoferbe zur ordnungsmäßigen Bewirtschaftung des Hofs geeignet sein „soll“. Wirtschaftsfähig ist nach § 6 Abs. 7 HöfeO derjenige, der nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, nach seinen Kenntnissen und nach seiner Persönlichkeit in der Lage ist, den Hof selbstständig zu bewirtschaften. Das baden-württembergische Anerbenrecht kennt die Wirtschaftsfähigkeit als Voraussetzung sowohl für den gesetzlichen als für den testamentarischen Hoferben nicht. Nach § 8 BadHofGG ist vom Anerbenrecht ausgeschlossen, wer in allen Angelegenheiten unter Betreuung steht oder wem ein solcher Betreuer aufgrund eines binnen sechs Wochen nach dem Erbfall gestellten Antrags bestellt wird. g) Bestimmung des Hoferben kraft Anerbengesetzes aa) Anerbenordnungen

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§ 5 HöfeO: Wenn der Erblasser keine andere Bestimmung trifft, sind als Hoferben kraft Gesetzes in folgender Ordnung berufen: (1) die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, (2) der Ehegatte des Erblassers, (3) die Eltern des Erblassers, wenn der Hof von ihnen oder aus ihren Familien stammt oder mit ihren Mitteln erworben worden ist, (4) die Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge/§ 7 BadHofGG, Art. 8 Abs. 1 WürttAnerbenG (Trifft der Erblasser keine andere Bestimmung, so sind in folgender Rangordnung als Anerben berufen: 1. die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, 2. der Ehegatte des Erblassers, 3. die Eltern des Erblassers, wenn der Hof von ihnen oder aus ihren Familien stammt, 4. die Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge. Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge sind nur dann als Anerben berufen, wenn sie nach den Vorschriften des allgemeinen Rechts gesetzliche Erben sind)/§ 9 Abs. 2 BremHöfeG (Das Anerbenrecht gilt nur für die Abkömmlinge des Erblassers, es besteht auch dem überlebenden Ehegatten des Erblassers gegenüber – Ausnahme ist das Anerbenrecht des überlebenden Ehegatten an einem von ihm in die Gütergemeinschaft eingebrachten Hof nach § 20 Abs. 1 BremHöfeG)/§ 11 HessLandgüterO (Wird der Eigentümer eines Landguts von mehreren Nachkommen beerbt, so ist in Ermangelung einer entgegenstehenden letztwilligen Verfügung einer von diesen berechtigt, bei der Erbteilung das Landgut nach Maßgabe der §§ 12 bis 23 HessLandgüterO zu übernehmen)/§ 16 RhPfHöfeO (Trifft der Erblasser keine andere Bestimmung, sind als Hoferben kraft Gesetzes in folgender Ordnung berufen: 1. die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, 2. der Ehegatte des Erblassers, 3. die Eltern des Erblassers, 4. die Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge). 896

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Bis auf die HessLandgüterO, welche die Bestimmung des Gutserben dem Landwirtschaftsgericht überlässt, und dem BremHöfeG, die beide als Anerben grundsätzlich nur die Abkömmlinge des Erblassers zulassen, unterscheiden die Anerbengesetze verschiedene Anerbenordnungen, von denen die vorhergehende die nachfolgenden ausschließt. Gesetzliche Hoferben der ersten Anerbenordnung sind die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, § 5 Nr. 1 HöfeO, und zwar seit dem 1.4.1998 auch die nicht ehelichen Kinder und deren Abkömmlinge, soweit sie nach dem 1.7.1949 geboren sind, weil diese den ehelichen Kindern erbrechtlich jetzt gleichstehen. Während die zweite Anerbenordnung regelmäßig die Ehegatten der Erblasser berücksichtigt, sind in die dritte Ordnung die Eltern des Erblassers eingereiht, wobei die Herkunft des Hofs hier eine besondere Rolle spielt. In die vierte und letzte Anerbenordnung gehören jeweils die Geschwister und Geschwisterkinder.

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bb) Konkurrenz innerhalb der ersten Anerbenordnung § 6 Abs. 1 HöfeO (In der ersten Hoferbenordnung ist als Hoferbe berufen: 1. in erster Linie der Miterbe, dem vom Erblasser die Bewirtschaftung des Hofs im Zeitpunkt des Erbfalls auf Dauer übertragen ist, es sei denn, dass sich der Erblasser dabei ihm gegenüber die Bestimmung des Hoferben ausdrücklich vorbehalten hat; 2. in zweiter Linie der Miterbe, hinsichtlich dessen der Erblasser durch die Ausbildung oder durch Art und Umfang der Beschäftigung auf dem Hof hat erkennen lassen, dass er den Hof übernehmen soll; 3. in dritter Linie der älteste der Miterben oder, wenn in der Gegend Jüngstenrecht der Brauch ist, der jüngste von ihnen)/§ 7a Abs. 1 und 2 BadHofGG, Art. 8a Abs. 1 und 2 WürttAnerbenG (In der Anerbenordnung 1 ist der älteste der Erben zum Anerben berufen. Hat der Erblasser durch die Ausbildung oder durch Art und Umfang der Beschäftigung eines Kindes auf dem Hof erkennen lassen, dass dieses Kind den Hof übernehmen soll, so geht es allen anderen Kindern vor. Hat der Erblasser mehrere Kinder in gleicher Weise ausgebildet oder in gleichem Umfang auf dem Hof beschäftigt, ohne erkennen zu lassen, welches von ihnen den Hof übernehmen soll, so gehen diese Kinder allen übrigen Kindern vor; in ihrem Verhältnis zueinander gilt Ältestenrecht)/§ 11 BremHöfeG (Die Reihenfolge, in welcher die Abkömmlinge des Hofeigentümers zu Hoferben berufen sind, richtet sich prinzipiell nach dem Ältestenrecht: Die Abkömmlinge und an ihrer Stelle ihre Abkömmlinge sind in der Reihenfolge des Alters zu Anerben berufen. Ist der an erster Stelle berufene Abkömmling kein Landwirt, so tritt der nächstberufene jüngere Abkömmling, welcher Landwirt ist, an seine Stelle. Ist danach keiner der Abkömmlinge des Hofeigentümers als Anerbe berufen, erlöschen die Wirkungen der Eintragung in die Höferolle. Die Besitzung ist von Amts wegen in der Höferolle zu löschen)/§ 15 HessLandgüterO (Erachtet das Landwirtschaftsgericht mehrere der Erben als zur Übernahme des Guts geeignet, so ist demjenigen der Vorzug zu geben, der nach pflichtgemäßem Ermessen als am besten geeignet erscheint)/§ 17 RhPfHöfeO (Innerhalb der gleichen Ordnung entscheidet Ältestenrecht. Hat der Erblasser durch Art und Umfang der Beschäftigung eines Kindes auf dem Hof erkennen lassen, dass dieses Kind den Hof übernehmen soll, so geht es allen anderen Kindern vor. Hat der Erblasser mehrere Kinder in gleichem Umfang auf dem Hof beschäftigt, so gehen diese Kinder allen übrigen Kindern vor; unter ihnen gilt Ältestenrecht).

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Kommt es zur Konkurrenz von Anerben der ersten Ordnung, ist in den heutigen Anerbengesetzen der mutmaßliche Erblasserwille für die Bestimmung des Hof-

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erben primär entscheidend und nicht mehr das früher geltende Ältesten- oder Jüngstenrecht, das nur noch subsidiär zur Anerbenbestimmung heranzuziehen ist. So wird nach § 6 Abs. 1 HöfeO ein Abkömmling, dem die Bewirtschaftung des Hofs im Zeitpunkt des Erbfalls auf Dauer übertragen war, Hoferbe, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich einen anders lautenden Vorbehalt erklärt hat. Diese Vertrauenserwartung des Übernahmeprätendenten wird durch § 7 Abs. 2 S. 1 HöfeO abgesichert, indem diese Vorschrift dem Erblasser die Möglichkeit nimmt, eine andere Person letztwillig zum Hoferben zu bestimmen, solange der Abkömmling den Hof bewirtschaftet. 131a

Eine Ausnahme bildet die HessLandgüterO, die keine Sondernachfolge kennt, sondern nur ein Übernahmerecht, das in einem gerichtlichen Zuweisungsverfahren geltend zu machen ist. In diesem Zuweisungsverfahren bestimmt das Landwirtschaftsgericht den unter den Nachkommen am besten geeigneten zum Gutübernehmer. Zu beachten ist, dass die baden-württembergischen Anerbengesetze bei der Ermittlung des mutmaßlichen Erblasserwillens auf Ausbildung und Beschäftigung auf dem Hof abstellen, während der fast wortgleiche § 17 Abs. 3 RhPfHöfeO nur den Gedanken der Beschäftigung auf dem Hof berücksichtigt.

131b

Bremen regelt das Anerbenrecht nur für Abkömmlinge, soweit nicht bei einem Ehegattenhof der überlebende Ehegatte den Hof in die Gütergemeinschaft eingebracht hat. In diesem Fall tritt nach § 20 Abs. 1 BremHöfeG der überlebende Ehegatte als Anerbe ein. Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge, so geht die Hofeigenschaft verloren und die Löschung aus der Höferolle erfolgt von Amts wegen. Der Erbgang folgt dann gem. § 11 Abs. 3 BremHöfeG dem allgemeinen Erbrecht. cc) Der Ehegatte als Anerbe im Verhältnis zu den nachfolgenden Anerbenordnungen

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§ 6 Abs. 2 HöfeO (In der zweiten Hoferbenordnung scheidet der Ehegatte als Hoferbe aus, 1. wenn Verwandte der dritten und vierten Hoferbenordnung leben und ihr Ausschluss von der Hoferbfolge, insbesondere wegen der von ihnen für den Hof erbrachten Leistungen grob unbillig wäre; oder 2. wenn sein Erbrecht nach § 1933 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgeschlossen ist)/§ 7a Abs. 3 BadHofGG, Art. 8a Abs. 3 WürttAnerbenG (Der Ehegatte des Erblassers erhält, solange Verwandte der Anerbenordnung 3 und 4 leben, den Hof nur als Vorerbe. Die Vorschriften der §§ 2100 bis 2146 BGB finden entsprechende Anwendung. Nach dem Tode des Ehegatten wird derjenige Anerbe, der als Anerbe des Erblassers berufen wäre, wenn dieser erst in diesem Zeitpunkt gestorben wäre)/§ 16 Abs. 2 RhPfHöfeO (Der Ehegatte des Erblassers erhält, solange Verwandte der Hoferbenordnung 3 und 4 leben, den Hof nur vorläufig als Hofvorerbe. Die Vorschriften der §§ 2100 bis 2146 BGB finden entsprechende Anwendung; jedoch ist eine Befreiung von der Beschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB nicht zulässig. Mit dem Tode des Ehegatten oder dessen Wiederverheiratung wird derjenige Hoferbe, der als Hoferbe des Erblassers berufen wäre, wenn dieser erst in diesem Zeitpunkt gestorben wäre).

132a

In der zweiten Anerbenordnung kommt nur der überlebende Ehegatte als Hoferbe in Betracht, so dass hier keine Rangfolgen abzuklären sind. Doch ist das Verhältnis des überlebenden Ehegatten zu den Mitgliedern der nachfolgenden Anerbenordnungen abzuklären. 898

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 134

B XIII

Während die süddeutschen Anerbengesetze dem überlebenden Ehegatten nur eine Vorerbenstellung gewähren, wird dieser nach dem nordwestdeutschen Höfeordnungsrecht unbeschränkter Vollerbe, es sei denn, der Ausschluss von Verwandten der beiden nachfolgenden Hoferbenordnungen wäre wegen deren Leistungen für den Hof grob unbillig oder der Erblasser hat die Scheidung der Ehe begründeterweise beantragt.

132b

h) Vererbung von Ehegattenhöfen § 8 Abs. 1 HöfeO (Bei einem Ehegattenhof fällt der Anteil des Erblassers dem überlebenden Ehegatten als Hoferben zu)/§ 18 RhPfHöfeO (Der Ehegattenhof fällt beim Tode des einen Ehegatten dem anderen als Hoferben und, wenn der Hof nicht von ihm stammt, als Hofvorerben zu. Nach ihm wird derjenige Hoferbe, der als Hoferbe des Ehegatten, von dem der Hof stammt, berufen wäre, wenn dieser erst in diesem Zeitpunkt gestorben wäre. Sind solche Personen beim Tode des erstverstorbenen Ehegatten nicht vorhanden oder fallen sie später sämtlich weg, so erhält der überlebende Ehegatte die Stellung als endgültiger Hoferbe).

133

Ein Ehegattenhof i.S.d. HöfeO setzt gemeinschaftliches Eigentum der Ehegatten am Hof voraus, und zwar entweder in der Form des Gesamthandseigentums einer Gütergemeinschaft, BGB-Gesellschaft bzw. Erbengemeinschaft oder in der Form von Miteigentum nach Bruchteilen. Ein Ehegattenerbhof unterliegt nicht der Anerbfolge, sondern der Erbfolge nach § 8 HöfeO, wonach der überlebende Ehegatte Alleineigentümer des Gesamthofs wird, und zwar auch dann, wenn gemeinschaftliche Kinder als Angehörige der ersten Hoferbenordnung vorhanden sind. Der Erwerb des Alleineigentums am Ehegattenhof durch den überlebenden Ehegatten gilt – im Unterschied zum süddeutschen Anerbenrecht – ohne Rücksicht darauf, von welchem Ehegatten der Hof stammt. Die Erbfolge beim Tode des erstversterbenden Ehegatten ist im Verhältnis der Ehegatten zueinander zwingend geregelt, so dass sich die Ehegatten durch letztwillige Verfügung nur zu Vollerben einsetzen können. Die Ehegatten können einen Dritten gem. § 8 Abs. 2 HöfeO nur gemeinschaftlich als Hoferben bestimmen und eine solche Bestimmung auch nur gemeinschaftlich wieder aufheben. Haben die Ehegatten keinen Hoferben gemeinschaftlich bestimmt, kann der überlebende Ehegatte den Hoferben alleine bestimmen. Für einen Ehegattenhof gilt ausschließlich § 8 HöfeO, und zwar auch dann, wenn ein Hof erst nachträglich Ehegattenhof geworden ist und zuvor die Voraussetzungen einer formlosen Hoferbenbestimmung nach §§ 6, 7 HöfeO vorlagen1.

133a

Den baden-württembergischen Anerbengesetzen ist der Begriff des Ehegattenhofs nicht bekannt. Sie kennen nur Regelungen bezüglich der allgemeinen und der fortgesetzten Gütergemeinschaft. Bei der allgemeinen Gütergemeinschaft kann der überlebende Ehegatte verlangen, dass ihm bei der Auseinandersetzung das Anerbengut nebst Zubehör gegen Ersatz des Ertragswerts überlassen wird. Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass der verstorbene Ehegatte das Hofgut nicht in die Gütergemeinschaft eingebracht oder während der Gütergemeinschaft im Erbgang oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht erworben hat. Hatte hingegen der verstorbene Erblasser das Hofgut in die Gütergemeinschaft

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1 Vgl. Lange/Kuchinke, § 53 IV 1 m.w.N. Ruby

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eingebracht oder während der Ehe durch vorweggenommene oder eigentliche Erbfolge erworben, steht dem überlebenden Ehegatten kein Übernahmerecht zu. Jetzt fällt das Hofgut nebst Zubehör insgesamt in den Nachlass und ist gegen Ersatz des Ertragswerts dem Anteil des Verstorbenen an der Gütergemeinschaft zuzuschreiben, wenn derselbe einen Abkömmling hinterlassen hat, welcher das Hofgut als Alleinerbe erhält oder als Anerbe übernimmt (so § 19 BadHofGG und Art. 17 WürttAnerbenG)1. Wird eine fortgesetzte Gütergemeinschaft, zu der ein Hofgut gehört, zu Lebzeiten des überlebenden Ehegatten beendigt, gilt das Gesagte entsprechend. Allerdings steht dem überlebenden Ehegatten kein Übernahmerecht zu, wenn die fortgesetzte Gütergemeinschaft durch Aufhebungsurteil nach §§ 1495, 1496 BGB beendigt wird. Bei einer Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch den Tod des überlebenden Ehegatten sind die anteilsberechtigten Abkömmlinge zur Hofgutübernahme nach Anerbenrecht berechtigt (§§ 20, 21 BadHofGG). 135

§ 18 der RhPfHöfeO bestimmt den überlebenden Ehegatten für den Fall zum Hoferben, dass der Hof von ihm stammt. Stammt der Ehegattenhof hingegen vom Erblasser, fällt dem überlebenden Ehegatten der Hof nur als Vorerbe zu, sofern Verwandte des Erblassers der dritten und vierten Hoferbenordnung zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers leben. i) Rechtswirkungen des Hoferbfalls

136

§ 4 HöfeO (Der Hof fällt als Teil der Erbschaft kraft Gesetzes nur einem der Erben [dem Hoferben] zu)/§ 10 Abs. 1 BadHofGG (Der Anerbe ist berechtigt, das Hofgut nebst Zubehör zu dem Ertragswert zu übernehmen)/Art. 3 und 9 WürttAnerbenG (Hinterlässt der Eigentümer eines Anerbenguts mehrere Erben, so fällt das Anerbengut nebst Zubehör als Teil der Erbschaft einem der Erben [dem Anerben] zu)/§ 9 BremHöfeG (Gehört ein Hof zu einem Nachlass, und wird der Erblasser von mehreren Personen beerbt, so fällte der Hof nebst Zubehör als Teil der Erbschaft nur einem Erben [dem Anerben] zu)/§ 11 Abs. 1 HessLandgüterO (Wird der Eigentümer eines Landguts von mehreren Nachkommen beerbt, so ist in Ermangelung einer entgegenstehenden letztwilligen Verfügung einer von diesen berechtigt, bei der Erbteilung das Landgut nebst Zubehör nach Maßgabe der §§ 12 bis 23 zu übernehmen)/§ 14 RhPfHöfeO (Der Hof fällt, sofern der Eigentümer durch Verfügung von Todes wegen nichts anderes bestimmt hat, als Teil der Erbschaft kraft Gesetzes nur einem Erben zu).

136a

Die Anerbengesetze sehen abweichend von der in § 1922 BGB angeordneten Gesamtrechtsnachfolge grundsätzlich eine Sondernachfolge in den Anerbenhof vor. Der Hof geht mit dem Erbfall kraft Gesetzes auf einen einzigen Erben, den Hoferben, über. Der Rechtsübergang kraft Sondererbfolge erstreckt sich gem. §§ 2, 3 HöfeO auf das gesamte Zubehör, auf die Grundstücke, die vom Hof aus bewirtschaftet werden, und auf die dem Hof dienenden Rechte.

136b

Nur das BadHofGG und die HessLandgüterO haben sich diesem System der „dinglichen Hoferbfolge“ nicht angeschlossen. § 10 Abs. 1 BadHofGG gibt dem Anerben lediglich einen Anspruch gegen die restlichen Mitglieder der Erben1 Das WürttAnerbenG gewährt in diesem Falle dem überlebenden Ehegatten Rechte auf Nießbrauch und Altenteil gem. Art. 13 WürttAnerbenG. 900

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Rz. 140

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gemeinschaft, das Hofgut geschlossen zum Ertragswert1 zu übernehmen. Die gleiche Berechtigung spricht § 11 HessLandgüterO dem vom Landwirtschaftsgericht bestimmten Gutübernehmer zu.

M 151 Klageantrag zur Übernahme eines geschlossenen badischen Hofguts gegen Ertragswertabfindung 1. Die Beklagten werden verurteilt, der Auflassung des geschlossenen Hofgutes „Vogtsbauernhof“, Flst. Nr. 849/1 und Flst. Nr. 849 im Grundbuch von Schenkenzell, an die Klägerin zuzustimmen und deren Eintragung im Grundbuch als Alleineigentümerin zu bewilligen Zug um Zug gegen Zahlung von 68 000 Euro an die Klägerin und die Beklagten zu 1) und zu 2) in ihrer gesamthänderischen Gebundenheit als Erbengemeinschaft nach Elisabeth Edinger geborene Bauer, fällig in fünf gleichen zu 4 % verzinslichen Jahresraten. 2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

j) Abfindung der weichenden Erben zu Erbquoten nach dem Hofwert Statt einer dinglichen Berechtigung am Hof erhalten die weichenden Erben einen Abfindungsanspruch gegen den Hoferben. Abfindungsansprüche sind übertragbar, vererblich, pfänd- und verpfändbar2. Der Abfindungsanspruch entspricht den gesetzlichen Erbteilen bezogen auf den Hofswert. Zu beachten ist, dass der Hoferbe – sofern er zu den Miterben des Erblassers gehört – bei der Berechnung der Erbquote zu berücksichtigen ist (vgl. z.B. § 12 Abs. 3 HöfeO). Der Hofswert ist Bemessungsgrundlage des Abfindungsanspruchs und wird in den verschiedenen Anerbengesetzen unterschiedlich ermittelt.

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Nach § 12 Abs. 1 und 2 HöfeO bemisst sich der Abfindungsanspruch der weichenden Erben nach dem Hofswert im Zeitpunkt des Erbfalls. Als Hofswert gilt das Eineinhalbfache des zuletzt festgestellten steuerlichen Einheitswerts (Wirtschaftswert + Wohnwert) i.S.d. § 48 BewG. Kommen besondere Umstände des Einzelfalls, die für den Wert des Hofs von erheblicher Bedeutung sind, in dem Hofswert nicht oder ungenügend zum Ausdruck, so können auf Verlangen Zuschläge oder Abschläge nach billigem Ermessen gemacht werden, z.B. bei Bauerwartungsland3.

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§ 10 Abs. 1 BadHofGG bestimmt, dass der Anerbe berechtigt ist, das Hofgut nebst Zubehör zu dem Ertragswert zu übernehmen.

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Art. 4 WürttAnerbenG stellt auf den „Gutwert“ als 20-fachen jährlichen Reinertrag ab. Bei der Feststellung des Gutwerts wird zunächst der jährliche Reinertrag geschätzt, den das Gut nebst Zubehör nach seiner wirtschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger und gemeinüblicher Bewirtschaftung mit ent-

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1 Wobei der Anerbe nach § 11 Abs. 1 BadHofGG verlangen kann, den Ertragswert in fünf gleichen Jahresraten verzinslich mit 4 % zu entrichten. 2 Lange/Kuchinke, § 53 VI 1. 3 Dressel, NJW 1976, 1244 (1246). Ruby

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

lohnten fremden Arbeitskräften unter gewöhnlichen Verhältnissen im Durchschnitt nachhaltig gewähren kann. Die der Land- und Forstwirtschaft dienenden Gebäude und Betriebsmittel werden nicht besonders bewertet, sondern bei der Ermittlung des Ertragswerts einbegriffen. Von dem ermittelten jährlichen Ertrag sind alle dauernd auf dem Gute nebst Zubehör ruhenden Lasten mit Ausnahme der Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden abzuziehen. Der ermittelte Jahresertrag wird dann mit 20 multipliziert und so der Gutwert ermittelt. Das WürttAnerbenG weist gegenüber den anderen Anerbengesetzen die Besonderheit auf, dass bei Streitigkeiten über den Gutwert ein Schiedsgericht entscheidet, dem je ein Schiedsrichter des Anerben und der Miterben sowie – falls ein entsprechender Antrag gestellt wird – ein vom Landwirtschaftsministerium ernannter Vorsitzender angehören. 141

§ 14 BremHöfeG ermittelt den Hofwert bei der Erbteilteilung als den 25-fachen Jahresertrag (Reinertrag abzüglich Lasten). Grundlage ist auch hier der jährliche Reinertrag, der bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung des Hofs nebst Zubehör unter gewöhnlichen Verhältnissen mit entlohnten fremden Arbeitskräften im Durchschnitt nachhaltig erzielt wird. Von dem so ermittelten jährlichen Ertrag sind alle dauernd auf dem Hofe nebst Zubehör ruhenden Lasten und Abgaben abzuziehen.

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§ 16 HessLandgüterO bestimmt als Gutwert den Ertragswert nach § 2049 BGB. Als Ertragswert gilt das 25-fache des jährlichen Reinertrags.

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§ 21 Abs. 2 RhPfHöfeO legt als Ertragswert ebenfalls den 25-fachen jährlichen Reinertrag zurunde. k) Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten bei der Abfindung

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Bis auf das BadHofGG sehen alle Anerbengesetze den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten vom Hofswert vor, soweit sie im Verhältnis der Erben zueinander den Hof betreffen. So werden nach § 12 Abs. 3 HöfeO vom Hofswert die Nachlassverbindlichkeiten abgezogen, die den Hof betreffen und die der Hoferbe deshalb allein zu tragen hat. Abzuziehen sind folglich Altenteile oder lebenslange Nutzungsrechte, nicht jedoch Vermächtnisse oder Pflichtteilsansprüche. Die weichenden Erben erhalten entsprechend ihrer Erbquote einen Anteil von dem verbleibenden Betrag. Der für die Abfindung der weichenden Erben aufzuwendende Betrag muss dabei mindestens 1/ 3 des Hofwerts, d.h. in den Regel den halben Einheitswert, ausmachen.

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Bei der Feststellung des Gutwerts durch Vervielfältigung des jährlichen Ertrags sind nach Art. 4 Abs. 2 WürttAnerbenG alle dauernd auf dem Gut nebst Zubehör ruhenden Lasten mit Ausnahme der Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden abzuziehen.

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In gleicher Weise bestimmt § 14 Abs. 3 BremHöfeG bei der Ermittlung des Hofswerts den Abzug aller dauernd auf dem Hofe nebst Zubehör ruhenden Lasten und Abgaben vom Jahresertrag.

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Nach § 16 Abs. 1 S. 3 HessLandgüterO wird der für die Abfindung der Miterben maßgebliche Wert des Landguts ermittelt, indem vom Ertragswert die Nachlass902

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Rz. 151

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verbindlichkeiten abgezogen werden, die im Verhältnis der Erben zueinander der Gutsübernehmer allein zu tragen hat (nicht abzusetzen sind die Einsitz- und Unterhaltspflichten des Übernehmers gegenüber minderjährigen oder kranken Miterben gem. § 19 HessLandgüterO). § 21 Abs. 2 RhPfHöfeO sieht ebenfalls den Abzug der Nachlassverbindlichkeiten vom Ertragswert vor, um den für die Abfindung maßgeblichen Hofwert zu ermitteln.

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l) Nachlassverbindlichkeiten im Außenverhältnis Eine von der Bemessung der Abfindungsgrundlage unabhängige Frage ist die der Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten. Im Außenverhältnis zu den Nachlassgläubigern bildet das Anerbengut einen Bestandteil des Gesamtnachlasses. Bei den badischen und hessischen Anerbengesetzen, die nur ein Übernahmerecht bezüglich des Hofguts kennen, versteht sich dies von selbst. Aber auch bei den sonstigen Anerbengesetzen, die eine Sondererbfolge in das Anerbengut vorsehen, wird die Nachlassspaltung in Anerbengut und hofsfreien Nachlass nicht aufrechterhalten, sondern entsprechend dem allgemeinen Recht des BGB davon ausgegangen, dass der gesamte Nachlass haftungsrechtlich eine Einheit bildet. Folglich haften alle Miterben, also auch der Anerbe, im Außenverhältnis als Gesamtschuldner gem. § 2058 BGB für die gesamten Nachlassverbindlichkeiten, worauf § 15 Abs. 4 S. 1 BremHöfeG ausdrücklich hinweist. Dabei ist es ohne Belang, ob die Nachlassverbindlichkeiten den Hof oder das hofsfreie Vermögen betreffen.

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Nach §§ 15 Abs. HöfeO, 25 Abs. 1 RhPfHöfeO haftet der Anerbe ausdrücklich selbst dann für die Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldner, wenn er an dem übrigen Nachlass nicht als Miterbe beteiligt ist.

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Eine etwaige Haftungsbeschränkung im Außenverhältnis richtet sich nach den §§ 1975 ff. BGB. m) Nachlassverbindlichkeiten im Innenverhältnis Für das Innenverhältnis zwischen dem Anerben und den Miterben sehen die Anerbengesetze teilweise Sonderregelungen vor, um das Hofgut lebensfähig zu halten. Im Innenverhältnis haftet – in Entsprechung zum GrdstVG – nach § 15 Abs. 2 HöfeO, Art. 5 Abs. 1 S. 1 WürttAnerbenG, § 17 Abs. 1 HessLandgüterO und § 25 Abs. 2 RhPfHöfeO zunächst der hoffreie Nachlass und erst danach der Hof1. Soweit hiernach eine Nachlassverbindlichkeit zunächst aus dem hofsfreien Nachlass zu berichtigen ist, kann der Anerbe von den Miterben im Innenverhältnis also zunächst verlangen, dass diese die Nachlassschulden alleine tragen. Erst wenn der hoffreie Nachlass zur Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten nicht ausreicht, haftet der Anerbe mit dem Hof.

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Einen anderen Weg geht § 15 Abs. 2 BremHöfeG. Hiernach ist vorgesehen, dass die für die Abfindungsberechnung nach § 14 Abs. 3 BremHöfeG vom Hofswert abzusetzenden Schulden vom Anerben selbst dann allein zu übernehmen sind, wenn die Schulden den Hofswert übersteigen. Dem Anerben kann hier allenfalls ein Viertel des Hofwerts als Voraus verbleiben.

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1 Vgl. Lange/Kuchinke, § 53 VII. Ruby

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Rz. 152

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Eine Ausnahme bildet auch das BadHofGG, nach dem keine verschiedenen Erbmassen gebildet werden und bei dem infolgedessen für die Abwicklung der Nachlassschulden keine Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Erbrecht auftreten. n) Voraus

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Der Voraus des Hoferben1 wurde aus der HöfeO gestrichen, weil der Hoferbe durch diese pauschale Abgeltung für seine unterstellte Mitarbeit auf dem Hof einseitig begünstigt wurde. Dafür gewährt die HöfeO wieder die Anwendung des § 2057a BGB auf den Hoferben, die nach § 12 Abs. 3 S. 5 HöfeO a.F. ausgeschlossen war.. Auch das hessische und rheinland-pfälzische Anerbenrecht kennen keinen Voraus, so dass hier ebenfalls § 2057a BGB anwendbar ist.

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Einen echten Voraus kennen heute nur noch Art. 9 Abs. 2 WürttAnerbenG und § 15 Abs. 2 S. 2 BremHöfeG, die dem Anerben 1/4 des Hofwerts als Voraus zusprechen.

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Nach § 10 Abs. 3 BadHofGG muss dem Anerben mindestens 1/ 5 des Ertragswerts des Hofguts lastenfrei zukommen, wozu bei den weichenden Erben gegebenenfalls die Erbteile auf die Hälfte bzw. Pflichtteile auf ein Viertel reduziert werden. o) Sonderansprüche der weichenden Erben

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Mit Ausnahme des BadHofGG kennen alle Anerbengesetze neben dem allgemeinen Abfindungsanspruch noch Sonderansprüche für die weichenden Erben. Minderjährige Miterben können gegen den Anerben Ansprüche auf Einsitz, Unterhalt, Ausbildung oder Aussteuer haben. Zum einen werden Unterhaltsansprüche gewährt. So hat gem. § 12 Abs. 6 S. 2 und 3 HöfeO der Hoferbe einem minderjährigen Miterben die Kosten des angemessenen Lebensbedarfs und einer angemessenen Berufsausbildung zu zahlen oder bei Eingehung einer Ehe eine angemessene Ausstattung zu gewähren. Diese Leistungen sind auf die bis zur Volljährigkeit gestundete allgemeine Abfindung anzurechnen. Art. 12 WürttAnerbenG gibt dem minderjährigen Miterben gegen den Anerben einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Vorbildung zu einem Beruf sowie einer minderjährigen Miterbin auf eine angemessene Aussteuer im Falle ihrer Verheiratung.

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§ 24 Abs. 1 S. 1 RhPfHöfeO gibt unverheirateten Abkömmlingen des Erblassers bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres Anspruch auf Unterhalt und Einsitz auf dem Hofe, soweit dies zumutbar ist. Soweit die Mittel des Hofs dies gestatten, steht den Miterben ferner ein Anspruch auf Berufsausbildung und angemessene Aussteuer zu. Diese Leistungen sind auf den Abfindungsanspruch nach § 21 RhPfHöfeO anzurechnen. p) Sonderansprüche des überlebenden Ehegatten

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§ 14 Abs. 1 und 2 HöfeO, ähnlich § 23 RhPfHöfeO:Dem überlebenden Ehegatten des Erblassers steht, wenn der Hoferbe ein Abkömmling des Erblassers ist, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Hoferben die Verwaltung und Nutznie1 In Höhe von 3/10 am um die Nachlassverbindlichkeiten bereinigten Hofswert. 904

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 161

B XIII

ßung am Hof zu. Dieses Recht kann a) der Eigentümer durch Ehevertrag oder Verfügung von Todes wegen, b) das Gericht auf Antrag eines Beteiligten aus wichtigem Grunde verlängern, beschränken oder aufheben. Steht dem überlebenden Ehegatten die Verwaltung oder Nutznießung nicht zu, so kann er, wenn er Miterbe oder pflichtteilsberechtigt ist und auf die ihm nach § 12 zustehenden [allgemeinen Abfindungsansprüche] sowie auf alle Ansprüche aus der Verwendung eigenen Vermögens für den Hof verzichtet, vom Hoferben auf Lebenszeit den in solchen Fällen üblichen Altenteil verlangen/Art. 13 WürttAnerbenG (Ist der Ehegatte des Erblassers neben Abkömmlingen des Letzteren als Miterbe berufen, so erwirbt er mit der Beendigung der elterlichen Nutznießung oder, falls ihm diese nicht zusteht, sofort den Nießbrauch an dem Anerbengut nebst Zubehör bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs des Anerben und für die spätere Zeit den Anspruch gegen den Anerben auf lebenslänglichen, in derartigen Verhältnissen üblichen Unterhalt auf dem Gute [Altenteilsrecht]). Dem überlebenden Ehegatten stehen mit Ausnahme des badischen Rechts nach allen Anerbengesetzen Sonderansprüche zu. Insbesondere geht es um das Recht der Verwaltung und Nutznießung am Hof oder des Nießbrauchs am Hof bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Hoferben, der Abkömmling des Erblassers ist. Danach hat der überlebende Ehegatte das Altenteilsrecht, das allerdings im Falle der Wiederverheiratung durch eine Kapitalabfindung (§ 14 HöfeO) oder Geldrente (Art. 13 WürttAnerbenG) ersetzt wird. Die RhPfHöfeO hingegen gewährt den Anspruch auf angemessene Versorgung auf dem Hofe auch dem neuen Ehegatten, wenn dieser auf dem Hofe mitgearbeitet hat und die Teilhabe am Altenteil infolgedessen der Billigkeit entspricht.

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q) Nachabfindungsansprüche der weichenden Erben bei Veräußerung des Anerbenhofs Auch wenn man den der Abfindung der weichenden Erben zurunde zu legenden „landwirtschaftlichen Wert“ des Grundstücks als „wirklichen Wert“ eines Hofs ansieht, gilt dies nur so lange, wie der Hof weiter betrieben wird. Bei der Veräußerung des Hofs werden regelmäßig Veräußerungsgewinne realisiert, die über dem „landwirtschaftlichen Wert“ liegen. Um hier eine einseitige Bevorzugung des Hoferben auszugleichen, gewähren alle Anerbengesetze eine Ergänzung der allgemeinen Abfindung durch eine Nachabfindung. Die Nachabfindung wird gewährt, wenn der Hof innerhalb bestimmter Fristen nach dem Erbfall verkauft wird. Diese Nachabfindungsfristen schwanken zwischen zehn Jahren (§ 23 Abs. 1 BadHofGG, § 29 Abs. 1 S. 1 BremHöfeG), 15 Jahren (Art. 14 WürttAnerbenG, § 18 Abs. 1 S. 2 HessLandgüterO, § 26 RhPfHöfeO) und 20 Jahren (§ 13 HöfeO). Dabei sind die Tatbestände, welche die Nachabfindungsansprüche auslösen, in den einzelnen Anerbengesetzen sehr unterschiedlich.

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§ 13 HöfeO löst zum einen Nachabfindungsansprüche aus, wenn der Hoferbe innerhalb von 20 Jahren seit dem Erbfall den Hof oder Hofgrundstücke im Werte von 1/ 10 des Hofwerts veräußert; zum anderen, wenn der Hoferbe außerhalb einer ordnungsmäßigen Bewirtschaftung wesentliche Teile des Hofzubehörs veräußert oder verwertet, und schließlich, wenn er den Hof oder Teile davon in anderer Weise als land- bzw. forstwirtschaftlich nutzt und auf diese Weise erhebliche Gewinne erzielt.

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Rz. 162

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§ 10 BadHofGG sieht eine „Berichtigung der Auseinandersetzung“ dann vor, wenn das Hofgut binnen zehn Jahren nach dem Erbfall zu einem den Ertragswert übersteigenden Preis an einen Nichtabkömmling verkauft wird. Nicht nur die Miterben, sondern auch die beteiligten Pflichtteilsberechtigten können eine Nachzahlung vom Verkäufer verlangen. Diese Regelungen gelten entsprechend bei Tausch oder Zwangsversteigerung des Hofguts. Nach dem Gesetzeswortlaut ist einerseits eine Nachabfindung beim Verkauf von Teilen des Hofguts nicht zu gewähren, andererseits auch dann, wenn mit dem Erlös aus der Veräußerung des gesamten Hofguts ein Ersatzhofgut erworben wird.

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Nach Art. 14 WürttAnerbenG werden Nachabfindungsansprüche bei einer Veräußerung des Anerbenguts oder von Teilgrundstücken ausgelöst, soweit Letztere innerhalb der 15-Jahres-Frist 1/4 des Gutwerts überschreiten. Dies gilt allerdings nicht, wenn binnen eines Jahres nach dem Verkauf Ersatzgrundstücke erworben werden.

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§ 29 Abs. 3 S. 1 BremHöfeG gewährt den Nachabfindungsanspruch bereits dann, wenn Hofteile gegen ein Entgelt veräußert werden, das im Ganzen höher als 1/ 10 des Hofwerts ist.

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§ 18 Abs. 1 S. 1 HessLandgüterO setzt für die Nachabfindung voraus, dass durch Veräußerung oder auf andere, den Übernahmezwecken fremde Weise erhebliche Gewinne aus dem Gut oder Teilen desselben erzielt werden.

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Nach § 26 RhPfHöfeO ist bei einer Veräußerung oder Löschung des Hofs innerhalb der 15-Jahres-Frist der Nachabfindungsanspruch gegeben.

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Sind die vorstehend beschriebenen Nachabfindungstatbestände erfüllt, sollen die Miterben nach den Anerbengesetzen grundsätzlich so gestellt werden, als sei überhaupt keine Anerbenfolge eingetreten. Da der Anerbenzweck weggefallen ist, sind die Miterben im Grundsatz so zu stellen, wie sie stünden, wenn die normale Erbfolge eingetreten wäre und der Anerbe die ihm gewährten Vergünstigungen nicht erhalten hätte.

167a

Konsequent führen § 23 BadHofGG und Art. 14 WürttAnerbenG diese Berichtigungsauseinandersetzung durch. Als Ausgleichsgrundlage dient der erzielte Kaufpreis abzüglich des Aufwandes, der seit der Übernahme zur Verbesserung des Hofguts aufgebracht wurde. Selbstverständlich sind die allgemeinen Abfindungen, welche die Nachabfindungsberechtigten bereits als allgemeine Abfindung erhalten haben, auf ihren Anteil am Kaufpreis anzurechnen. Im Übrigen kommen sämtliche Begünstigungen, welche dem Verkäufer wegen seiner Eigenschaft als Anerbe zugekommen sind, in Wegfall.

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§ 13 HöfeO hat sich dieser Berechnungsmethode angeschlossen und sie zusätzlich um eine degressive Nachabfindung verfeinert: Erfolgt die Veräußerung später als 15 Jahre nach dem Erbfall, ist nur die Hälfte des Erlöses Abfindungsgrundlage, nach 10 bis 15 Jahren sind es noch 3/4. Zusätzlich zur Berücksichtigung der Eigenleistungen als Abzugsposten wird zusätzlich diese Degression bei der Nachabfindung dem Hoferben als pauschaler Ausgleich dafür gewährt, dass er den Hof längere Zeit besessen hat

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Die Berechnung nach § 26 RhPfHöfeO stellt für die Auseinandersetzung auf den Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalls und nicht auf den tatsächlich erzielten 906

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 172

B XIII

Verkaufserlös ab. Auf die rechtspolitische Unzulänglichkeit dieser Variante der Nachabfindung wurde schon beim regelungsgleichen § 17 GrdstVG hingewiesen (s. Rz. 107). r) Hofausschlagung § 11 HöfeO, § 19 S. 1 RhPfHöfeO:Der Hoferbe kann den Anfall des Hofs durch Erklärung gegenüber dem (Nachlass-)Gericht ausschlagen, ohne die Erbschaft in das übrige Vermögen auszuschlagen. Auf diese Ausschlagung finden die Vorschriften des BGB über die Ausschlagung der Erbschaft entsprechende Anwendung/§ 13 BadHofGG, Art 9 Abs. 3 WürttAnerbenG (Der Anerbe kann auf das Anerbenrecht verzichten, ohne die Erbschaft auszuschlagen. In diesem Fall geht das Anerbenrecht auf den nächsten Berechtigten über)/§ 9 Abs. 4 BremHöfeG (Es steht ihm aber frei, ohne die Erbschaft auszuschlagen, auf das Anerbenrecht zu verzichten).

170

Während der Erbe nach allgemeinem Recht die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft nicht auf einen Teil der Erbschaft beschränken kann (vgl. § 1950 BGB), kann der Anerbe die Erbschaft bezüglich des Anerbenhofs ausschlagen, ohne dass er dabei die Erbenstellung bezüglich des hoffreien Vermögens verliert. Schlägt der Anerbe aus, fällt der Anerbenhof dem nächstberufenen Anerben an.

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s) Hoffolgezeugnis § 18 Abs. 2 HöfeO (Diese [Landwirtschafts-]Gerichte sind auch zuständig für die Entscheidung der Frage, wer kraft Gesetzes oder kraft Verfügung von Todes wegen Hoferbe eines Hofs geworden ist, und für die Ausstellung eines Erbscheins. In dem Erbschein ist der Hoferbe als solcher aufzuführen. Auf Antrag eines Beteiligten ist in dem Erbschein lediglich die Hoferbfolge zu bescheinigen.)/Art. 10 WürttAnerbenG (Dem Anerben ist vom Nachlassgericht auf Antrag ein Nachfolgezeugnis auszustellen. Auf das Nachfolgezeugnis finden die Bestimmungen des BGB über den Erbschein entsprechende Anwendung. In dem Nachfolgezeugnis sind die Grundstücke anzugeben, die das Anerbengut bilden.)/§ 31 BremHöfeG (Das Nachlassgericht hat dem Anerben auf Antrag einen Erbschein über sein Erbrecht an dem Hof nebst Zubehör zu erteilen. Die Vorschriften der §§ 2353 bis 2370 BGB finden entsprechende Anwendung. Der Erbschein über das Erbrecht in das Hofsvermögen und der Erbschein über das Erbrecht an dem sonstigen Nachlass können auf Antrag in einer Urkunde vereinigt werden.)/§ 30 RhPfHöfeO (Gehört zu einem Nachlass ein Hof, so ist in dem Erbschein der Hoferbe als solcher aufzuführen. Ihm ist auf seinen Antrag ein auf die Hoferbfolge beschränkter Erbschein zu erteilen. Streitigkeiten über die Hoferbfolge kraft Gesetzes entscheidet das Landwirtschaftsgericht nach Anhörung des Höfeausschusses.).

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Ein Hoffolgezeugnis oder Hoferbschein ist ein auf die Hoferbfolge beschränkter Erbschein für einen Hof im Geltungsbereich einzelner Anerbengesetze. Er wird in den Bundesländern verschieden vom Landwirtschaftsgericht (§§ 14 ff. LwVfG) oder vom Nachlassgericht erteilt. Daneben ist auch ein Erbschein über den gesamten Nachlass oder ein auf das hoffreie Vermögen beschränkter möglich, den gleichfalls das Landwirtschaftsgericht zu erteilen hat. Für den Geltungsbereich des BadHofGG und der HessLandGO ist aufgrund des Anspruchscharakters der

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Rz. 173

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dort geltenden Übernahme- bzw. Zuweisungsberechtigung kein Hoffolgeerbschein vorgesehen, da systemwidrig1.

V. Hofübergabe zu Lebzeiten 173

In der Rechtspraxis geht die ganz überwiegende Mehrzahl der Höfe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge von einer Generation auf die andere über. Die Hofübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge ist in der gesamtdeutschen Landwirtschaft die übliche „Vererbungsform“. Der notariell zu beurkundende Hofübergabevertrag mit seiner seit jeher immensen praktischen Bedeutung ist der Nährboden, aus dem sich der Vertragstyp der vorweggenommenen Erbfolge für andere gesellschaftliche Bereiche entwickelte. Man darf die Hofübergabe ohne Übertreibung als „Mutter“ des Vertragstyps der vorweggenommenen Erbfolge im außerlandwirtschaftlichen Bereich bezeichnen.

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Trotz der immensen Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge in der Landwirtschaft wird die Hofübergabe auf diesem Wege im BGB nur in den §§ 330 und 593a BGB angesprochen. § 593a BGB regelt, dass der Hofübernehmer bei einer Hofübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge anstelle des Übergebers und bisherigen Pächters in den Pachtvertrag über ein hinzugepachtetes landwirtschaftliches Grundstück eintritt. § 330 BGB hingegen gewährt Dritten, insbesondere Geschwistern des Übernehmers, das Recht, unmittelbar vom Übernehmer Abfindungszahlungen zu fordern, sofern der Übernehmer dem Übergeber die Zahlung solcher Abfindungen an Dritte versprochen hat. 1. Inhalt des Hofübergabevertrags, insbesondere Altenteil

Beratungssituation: Die Eltern bzw. ein Elternteil wollen ihren Hof dem Nachfolger bereits zu Lebzeiten übergeben. Worauf ist zu achten? 175

Ein Hofübergabevertrag ist seinem idealtypischen Inhalt nach ein Vertrag, durch den die Eltern bei Lebzeiten ihr landwirtschaftliches Betriebsvermögen, insbesondere ihren Grundbesitz, mit Rücksicht auf die künftige Erbfolge an einen ihrer Abkömmlinge übergeben und dabei für sich einen ausreichenden Lebensunterhalt – je nach Region sog. Leibzucht, Leibgeding, Altenteil, Auszug, Ausgeding – und für die außer dem Übernehmer noch vorhandenen weiteren Abkömmlinge eine Abfindung ausbedingen. Gerade diese Auseinandersetzung zwischen dem Übergebenden und dem Übernehmer und zugunsten der übrigen Abkömmlinge bildet den typischen Inhalt solcher Verträge2. Die Gegenleistung des Übernehmers muss natürlich nicht immer ein Altenteil für die Eltern sein, hier gibt es zahlreiche Gestaltungsvarianten wie z.B. die Zahlung einer Geldsumme alleine oder verbunden mit einem Wohnrecht, bei dem zumeist noch eine Pflegeverpflichtung hinzutritt. Die Abfindung der Geschwister, die kein zwingendes Merkmal des Übergabevertrags darstellt, kann ebenfalls in vielfältiger Form erbracht werden. 1 Dass es solche in der Rechtswirklichkeit in gedankenloser Übernahme von Musterformularen aus der Zeit des Reichserbhofgesetzes gibt, ist dem Verf. bekannt. 2 Definition nach RG v. 9.7.1927 – V B 20/27, RGZ 118, 17 (20). 908

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 179

B XIII

Regelt der Übergabevertrag – wie gewöhnlich – die Altersversorgung des Übergebers und seines Ehegatten durch Leibgeding oder Altenteil, finden über Art. 96 EGBGB folgende Landesrechte über Altenteilsverträge Anwendung:

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– für Baden-Württemberg die §§ 6–17 des BadWürttAGBGB vom 26.11.1974 – für Bayern die Art. 7–23 des BayAGBGB vom 20.9.1982 – für West-Berlin der Art. 15 PreußAGBGB vom 20.9.1899 – für Bremen § 27 AGBGB vom 18.7.1899 – für Hessen die §§ 4–18 HessAGBGB vom 18.12.1984 – für Niedersachsen die §§ 5–17 des NdsAGBGB vom 4.3.1971 – für Nordrhein-Westfalen gelten in den ehemaligen preußischen Landesteilen die Bestimmungen des Art. 15 PreußAGBGB vom 20.9.1899 und im ehemaligen Land Lippe-Detmold das Lippische Gesetz zur Regelung des Leibzuchtrechts vom 12.8.1933 – für Rheinland-Pfalz die §§ 2–18 RhPfAGBGB vom 18.11.1976 – für das Saarland gilt in den ehemals preußischen Gebieten Art. 15 PreußAGBGB vom 20.9.1899, in den ehemals bayerischen Gebieten (Saar-PfalzKreis) Art. 32–48 des BayAGBGB vom 9.6.1899 – für Schleswig-Holstein die §§ 1–12 des SchlHAGBGB vom 27.9.1974 Der Altenteilsvertrag nach Art. 96 EGBGB i.V.m. den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften ist ein sozial motivierter Versorgungsvertrag, dessen Wesen darin liegt, dass die Übernehmergeneration in eine die Existenz wenigstens teilweise begründende Wirtschaftseinheit nachrückt, wobei ihre Interessen mit denen der Übergebergeneration, die auf dem von ihr übergebenen Grundstück ihren Ruhesitz erhält, gegeneinander abgewogen werden1.

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Diese landesrechtlichen Sonderbestimmungen über Altenteilsverträge regeln vor allem Fragen der Leistungserbringung und der Leistungsstörung. Unter Abwägung der Interessen des Übergebers und des typischerweise aus der nächsten Generation nachrückenden Übernehmers erschweren sie im Vergleich zum BGB die Rückabwicklung des Vertrags. Hinter dieser erschwerten Rückabwicklung steht die Überlegung, dass die Übernehmergeneration, die ihre Existenz auf die Hofübernahme gründet, Rechtssicherheit braucht2. Verletzt der Übernehmer seine Verpflichtungen aus dem Altenteilsvertrag, so ist der Übergeber nicht berechtigt, wegen Nichterfüllung, Verzugs oder positiver Vertragsverletzung vom Vertrag zurückzutreten. Insbesondere der Ausschluss des Herausgaberechts nach § 527 BGB wegen Nichtvollziehung der Auflage durch die Landesrechte ist von großer Bedeutung, vgl. z.B. § 13 BaWüAGBGB, Art. 17 BayAGBGB, § 16 HessAGBGB, § 13 RhPfAGBGB, § 7 PreußAGBGB, § 9 NdsAGBGB, § 5 SchlHAGBGB.

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Wegen der nach § 93 SGB XII möglichen Überleitung von Geldzahlungspflichten auf den Sozialhilfeträger verdienen die landesrechtlichen Vorschriften be-

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1 BGH v. 3.2.1994 – V ZB 31/93, BGHZ 125, 69 = MDR 1994, 478 = FamRZ 1994, 626 = NJW 1994, 1158 = ZEV 1994, 166 (167) = DNotZ 1994, 881. 2 Sudhoff/Stenger, Unternehmensnachfolge, 4. Aufl., S. 412. Ruby

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Rz. 180

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

sondere Beachtung, nach denen der Übergeber dem Übernehmer eine monatliche Rente zahlen muss, wenn der Übergeber die Wohnung durch besondere Umstände, die er nicht verschuldet hat, dauernd aufgeben muss, z.B. weil er als Pflegefall ins Heim muss. Die Geldrente ist ein Ersatz für die Befreiung von der Pflicht zur Wohnungsüberlassung, Dienstleistungen und ersparte Aufwendungen, vgl. § 14 BaWüAGBGB, Art. 18 BayAGBGB, § 14 HessAGBGB, § 14 RhPfAGBGB, § 16 NdsAGBGB, § 9 Abs. 3 PreußAGBGB, § 10 SchlHAGBGB. 180

Da diese landesrechtlichen Sonderbestimmungen dispositiv sind, finden sie nur Anwendung, sofern die Beteiligten nichts Anderes vereinbart haben. Die landesrechtlichen Sonderregeln können also ausgeschlossen werden, vgl. z.B. § 6 BaWüAGBGB, Art. 7 BayAGBGB, § 4 HessAGBGB, § 2 RhPfAGBGB, Art. 15 PreußAGBGB, § 5 NdsAGBGB, § 1 SchlHAGBGB.

Beratungshinweis: Wegen der möglichen Pfändung bzw. Überleitung nach dem SGB XII ist es empfehlenswert, die landesrechtlichen Vorschriften, die eine Geldrente als Ersatz für das Altenteil vorsehen, insgesamt abzubedingen1. 181

Das Altenteil, das nach § 7 BaWüAGBGB, Art. 16 BayAGBGB, § 17 HessAGBGB, § 18 RhPfAGBGB, § 6 NdsAGBGB, § 2 SchlHAGBGB durch Eintragung im Grundbuch dinglich abgesichert werden kann, umfasst typischerweise: a) Wohnrecht für Übergeber

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Die Verpflichtung des Übernehmers zur Wohnungsgewährung ist für das Altenteil charakteristisch und für den Übernehmer von existenzieller Bedeutung. Um dem Übergeber ein durchsetzbares Nutzungsrecht und eine Sicherung für den Fall der Gebäudezerstörung zu geben, wird empfohlen2, ein dinglich gesichertes Wohnungsrecht nach § 1093 BGB mit einer Wohnungsgewährungsreallast nach § 1105 BGB zu kombinieren. Vertraglich zu klären ist auch, wer die Instandhaltungs- und Versorgungskosten (Wasser, Strom, Heizung, Müll) trägt, und ob der Übergeber Dritten, insbesondere einem neuen Lebenspartner, die Ausübung des Wohnrechts überlassen und ob er Hofraum, Keller etc. mitbenutzen darf. b) Versorgungsleistungen des Übernehmers

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welche neben dem Wohnrecht für das Altenteil bestimmend sind. Sie sind durch Reallast dinglich abzusichern3. Typisch sind hier folgende Verpflichtungen des Übernehmers: – „Verköstigung des Übergebers“ durch Teilnahme an den täglichen Mahlzeiten oder Lieferung bestimmter Nahrungsmittel – „Pflege und Wart bei Alter und Krankheit“. In den meisten Fällen wird die Vermögensübertragung mit einer Verpflichtung zur Alters- oder Krankheitspflege kombiniert, wobei hier dem Übernehmer nur Pflegeleistungen bis zur Pflegestufe I auferlegt werden sollten. Zu klären ist, ob das Pflegegeld beim 1 Langenfeld/Günther, Rz. 548. 2 Langenfeld/Günther, Rz. 554. 3 Langenfeld/Günther, Rz. 555. 910

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 185

B XIII

Übergeber verbleibt. Alters- und Krankheitspflege sind entgeltliche Gegenleistungen für die Hofübergabe1. – Versorgung mit Naturalien, Strom, Wasser, Heizung – Rentenverpflichtungen – Tragung der Beerdigungskosten und Grabpflegekosten. Wird in einem Übergabe- und Altenteilsvertrag freie und standesgemäße Beerdigung versprochen, gehört dazu grundsätzlich auch das Setzen eines Grabmals, das den wirtschaftlichen Verhältnissen des Hofs entspricht. – Typisch für den Hofübergabevertrag sind neben dem Altenteil die nachfolgend beschriebenen Regelungen: c) Rückforderungsklauseln Durch eine Vormerkung im Grundbuch abgesicherte Rückforderungsklauseln sind sinnvolle Regelungen für typische Störfälle2, die es auch dem landwirtschaftlichen Übergeber erleichtern, sich von seinem Eigentum zu trennen, weil der Hof beispielweise wieder an den Übergeber zurückfällt, wenn der Übernehmer vor dem Übergeber stirbt. Ein zwischen Eltern als Übergebern und Abkömmlingen als Übernehmern vereinbarter Rückfall des verschenkten Gegenstandes bei Vorversterben des Übernehmers ist gem. § 29 ErbStG zudem bis auf den Nießbrauchswert des Nutzungszeitraums steuerfrei. Rückforderungsklauseln werden außerdem für den Fall vereinbart, dass der Übernehmer den Hof ohne Zustimmung des Übergebers veräußert oder belastet, dass in den Hof wegen Vermögensverfall des Übernehmers vollstreckt wird, oder für den Fall, dass der Hofübernehmer oder dessen Ehefrau die Scheidung beantragen. Da das BayObLG3 die Anwendung des § 530 BGB auf Hofübergabeverträge nur dann bejaht, wenn bei einem Vergleich des Hofwerts mit den als Altenteil vereinbarten Gegenleistungen ein überwiegend unentgeltliches Geschäft vorliegt, ist zu empfehlen, ein Rückforderungsrecht bei grobem Undank des Übernehmers vertraglich zu vereinbaren.

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d) Gleichstellungs- und Abfindungszahlungen Idealtypisch sind Gleichstellungs- und Abfindungszahlungen an die Geschwister des Erwerbers, auf die sich Übergeber, Übernehmer und weichende Erben bei einem „Erbengespräch“ geeinigt haben. Wurde der Hofübernehmer „zu gut bedacht“, wird ihm im Übergabevertrag ein „Gleichstellungsgeld“ auferlegt, wenn die Übergeber zu einer lebzeitigen Abfindungszahlung nicht in der Lage oder willens sind. Führen die oftmals mühevollen „Erbengespräche“ zur Vereinbarung von Gleichstellungs- oder Abfindungszahlungen, die von den Beteiligten als „fair“ akzeptiert werden, hat sich der Aufwand gelohnt, da in der Folge Streit in der Familie regelmäßig insoweit nicht mehr zu erwarten ist.

1 BGH v. 27.6.1990 – XII ZR 95/89, NJW-RR 1990, 1283 (1284). 2 Vgl. Langenfeld/Günther, Rz. 231 ff., 235 ff. 3 BayObLG v. 12.2.1996 – 1Z RR 15/94 – (87/96), Agrarrecht 1996, 402. Ruby

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Rz. 186

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e) Pflichtteilsverzicht 186

Ein Pflichtteilsverzicht weichender Erben, der durch eine Abfindungszahlung erkauft zu werden pflegt, ist nach der neueren BGH-Rechtsprechung1 noch dringender anzuraten als früher. Wie der BGH klargestellt hat, läuft die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht an, wenn der „Genuss“ am verschenkten Gegenstand vom Übergeber nicht aufgegeben wurde. Keinen „Genussverzicht“ übt der Übergeber aus, wenn er den Gegenstand trotz Eigentumswechsels im Wesentlichen weiterhin nutzen kann, wie dies beim uneingeschränkten Nießbrauchsvorbehalt der Fall ist. Ein umfassender Nießbrauch am Übergabehof ist dem Hofübergabevertrag zwar wesensfremd, bezüglich einzelner Grundstücke aber vorstellbar. Die im Rahmen der Hofübergabe mehr interessierende Frage, ob eine Grundstückszuwendung unter dem Vorbehalt eines Wohnungsrechts nach dieser Rechtsprechung eine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB darstellt und somit die Zehnjahresfrist in Gang setzt, wird uneinheitlich beantwortet2. f) Nachabfindungsklausel

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Eine Nachabfindungsklausel bzw. „Spekulationsklausel“ für den Fall, dass der Übernehmer erhebliche Gewinne erzielt, indem er Hofgrundstücke binnen einer auf 10, 15 oder 20 Jahre festzusetzenden Frist einer nicht landwirtschaftlichen Nutzung zuführt oder zu landwirtschaftsfremden Zwecken, bspw. als Bauland, veräußert, ist unbedingt zu empfehlen. g) § 1365 BGB

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Regelmäßig übergeben die Eltern einen Ehegattenhof gemeinsam. Gehört der Hof aber nur einem Ehegatten und bedarf der Vertrag als Geschäft über das Gesamtvermögen der Genehmigung des anderen Ehegatten (§ 1365 BGB), führt deren Verweigerung zur endgültigen Unwirksamkeit des Vertrags. h) Genehmigung nach GrdstVG

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Der Übergabevertrag bedarf gem. § 2 Abs. 1 S. 1 GrdstVG der Genehmigung, die bei der nach Landesrecht zuständigen Genehmigungsbehörde (z.B. Landwirtschaftsamt) zu beantragen ist. Der Antrag kann von den Vertragsparteien oder dem Übernehmer gestellt werden. Der Notar, der den Übergabevertrag beurkundet hat, gilt nach § 3 Abs. 2 GrdstVG als ermächtigt, die Genehmigung zu beantragen. Die Genehmigung ist nach § 8 Nr. 2 GrdstVG zwingend zu erteilen, wenn ein landwirtschaftlicher oder forstwirtschaftlicher Betrieb geschlossen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen wird und der Erwerber entweder der Ehegatte des Eigentümers ist oder der mit dem Eigentümer in gerader Linie oder bis zum dritten Grad in der Seitenlinie verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist. Das Genehmigungsprivileg nach § 8 Nr. 2 GrdstVG geht verloren, wenn der Übergeber einzelne Grundstücke für sich zurückbehält, weil der Hof dann nicht „geschlossen“ übertragen wird. In diesem Fall muss 1 BGH v. 24.4.1994 – IV ZR 132/93, ZEV 1994, 233. 2 Eine Leistung i.S.v. § 2352 Abs. 3 wird bejaht von Meyer, ZEV 1994, 204, verneint von Kerscher, Pflichtteilsrecht, S. 162 f.; vgl. auch OLG Bremen v. 25.2.2005 – 4 U 61/04, FamRZ 2005, 1781 = NJW 2005, 1726. 912

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Rz. 189

B XIII

überprüft werden, ob einer der Versagungsgründe nach § 9 GrdstVG vorliegt, also insbesondere, ob der Zurückbehalt eine „ungesunde Verteilung des Grund und Bodens bedeutet“.

M 152 Hofübergabevertrag Verhandelt am … in … vor dem Notar … Es sind erschienen, persönlich bekannt: 1. Eheleute A – Übergeber – 2. deren Sohn, Herr A. jun. – Übernehmer – und erklären zur öffentlichen Urkunde Hofübergabe1 § 1 Vertragsobjekt (1) Die Eheleute A sind zu je einhalb Miteigentum im Grundbuch von … Blatt … als Eigentümer des folgenden Vertragsobjekts eingetragen: (Beschrieb der übergebenen Grundstücke nach dem Grundbuch). (2) Das Vertragsobjekt ist nach dem Grundbuch lastenfrei. § 2 Übergabe Die Übergeber übergeben dem dies annehmenden Übernehmer das bezeichnete Vertragsobjekt im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. § 3 Auflassung Einig über den bezeichneten Eigentumsübergang bewilligen und beantragen die Beteiligten den Vollzug im Grundbuch. § 4 Betriebsübergabe (1) Mitübergeben ist der gesamte landwirtschaftliche Betrieb mit allen Aktiven und Passiven, dem toten und lebenden Inventar, den Vorräten und Geräten, soweit diese im Eigentum der Übergeber stehen, den betrieblichen Beteiligungen, Geschäftsanteilen und Geschäftsguthaben. Trotz Belehrung wird auf eine Einzelaufstellung in dieser Urkunde verzichtet. (2) Mitübergeben sind auch alle nicht in dieser Urkunde aufgeführten, zum Hof gehörenden weiteren Grundstücke und Miteigentumsanteile, soweit sie nicht ausdrücklich vorbehalten sind. Der Erwerber ist von dem Übereigner unter Befreiung von § 181 BGB bevollmächtigt, alle Erklärungen abzugeben, die zur Eigentumsumschreibung solcher Grundstücke oder Miteigentumsanteile noch erforderlich sein sollten. Die Vollmacht erlischt nicht mit dem Tod des Übereigners. Sie gilt nach dem Tod des Erwerbers für seinen Hofnachfolger. (3) Der Erwerber tritt ab dem Übergabetag in alle betrieblichen Rechte und Pflichten ein, vorbehaltlich der etwa erforderlichen Zustimmung Dritter. Er ist verpflichtet, die Buchwerte weiterzuführen. 1 Nach Langenfeld/Günther, S. 225 ff., Rz. 536 ff. Ruby

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Rz. 189

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

(4) Klarstellend wird vermerkt, dass der Hausrat, die Kleidung und alle die Gegenstände nicht mit übergehen, die zum persönlichen Gebrauch der Übergeber bestimmt sind. § 5 Grundstücksvorbehalt (1) Die Übergeber behalten sich das Eigentum an dem Grundstück (Beschrieb) vor. Der Notar hat auf mögliche Nachteile steuerlicher oder sozialrechtlicher Art hingewiesen, die mit diesem Vorbehalt verbunden sein können. (2) Sollte dieses Grundstück beim Tod des Letztversterbenden der Übergeber noch in dessen Eigentum stehen, so kann es der Übernehmer unentgeltlich übernehmen. Zur Abgabe der hierzu erforderlichen Erklärungen, insbesondere zur Auflassung, erhält der Übernehmer hiermit auf den Tod des Letztversterbenden der Übergeber unwiderruflich Vollmacht unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB. § 6 Besitzübergang, Gewährleistung (1) Der Besitzübergang mit Nutzen, Lasten und Gefahr erfolgt vorbehaltlich etwaiger im Folgenden vereinbarter Rechte der Übergeber sofort. (2) Jegliche Gewährleistung für Sach- und Rechtsmängel aller Art ist ausgeschlossen. § 7 Kosten, Steuern Die Kosten dieses Vertrags und seines Vollzugs und etwaige Schenkungsteuer trägt der Erwerber. § 8 Genehmigung Der Vertrag bedarf der Genehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz. Der Notar wird mit der Einholung der Genehmigung beauftragt. Sie gilt mit Eingang beim Notar allen Beteiligten als zugegangen. § 9 Altenteil (1) Der Übernehmer gewährt den Übergebern als Gesamtberechtigten gem. § 428 BGB, dem Überlebenden ungeschmälert, die folgenden Versorgungsleistungen, die im Grundbuch als Altenteil einzutragen sind, was hiermit bewilligt und beantragt wird: a) Wohnungsrecht zur ausschließlichen Benutzung der Einliegerwohnung des Hauses auf Flst. Nr. (Beschrieb) und zur Mitbenutzung des Kellers und des Hausgartens. Die Kosten der Heizung und Beleuchtung, für Wasser und Gas dieser Räume hat der Berechtigte zu tragen. Der Berechtigte darf weitere Personen, auch den Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, in die Wohnung aufnehmen. Er darf die Ausübung des Rechts Dritten nicht überlassen. b) Beim Ausfall des Wohnungsrechts aufschiebend bedingt durch das Erlöschen des Wohnungsrechts eine Reallast auf Wohnungsgewährung im Umfang des Wohnungsrechts. c) Reallast auf Pflege und Verpflegung in gesunden und kranken Tagen, auch bei dauernder Pflegebedürftigkeit, aber nur in den Räumen des beim Wohnungs914

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 189

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recht bezeichneten Hauses und soweit die häusliche Pflege nach Entscheidung des Hausarztes der Übergeber dem Übernehmer zugemutet werden kann, einschließlich Reinigung der Wohnräume, Waschen und Ausbessern von Kleidern und Wäsche. Dabei sind die hierfür erforderlichen persönlichen Dienstleistungen des Übernehmers und seiner Familienmitglieder kostenlos. Für die Kosten der Nahrungs- und Verbrauchsmittel, der Gegenstände des persönlichen Gebrauchs und die Arzt- und Arzneikosten hat jedoch der Übergeber zunächst seine eigenen Einkünfte zu verwenden. Der Übernehmer hat für sie nur aufzukommen, soweit die eigenen Einkünfte des Übergebers nicht ausreichen und nicht ein sonstiger Kostenträger für sie aufkommt. d) Beerdigungskosten, Grabstein und Grabpflege im ortsüblichen Umfang als weiteren Inhalt der Reallast auf Pflege und Verpflegung. (2) Im Übrigen gelten die Bestimmungen der §§ 7 bis 17 des Baden-Württembergischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, auf deren Inhalt der Notar hingewiesen hat, und zwar unabhängig davon, ob ein Vertrag gemäß Artikel 96 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vorliegt. § 10 Ausgleichszahlungen (1) Der Übernehmer hat an weichende Erben die folgenden Ausgleichszahlungen zu leisten: (Bezeichnung der Berechtigten und Beträge). (2) Auf Sicherungshypotheken und sonstige Sicherheiten wird verzichtet. § 11 Spekulationsklausel Veräußert der Erwerber oder sein Rechtsnachfolger den heute übergebenen Grundbesitz innerhalb von 15 Jahren ab heute ganz oder in Teilen, so hat er die Hälfte des Erlöses abzüglich der aus dem Erlös etwa zu entrichtenden Steuer an den Veräußerer, nach dessen Tod an seine Geschwister oder deren Abkömmlinge, nach Maßgabe der gesetzlichen Erbfolge herauszugeben. Die Herausgabepflicht besteht nicht, wenn der Erwerber den Veräußerungsgewinn wieder in den Betrieb investiert, wenn er den Betrieb wegen Berufsunfähigkeit aufgibt oder wenn er an Verwandte und Verschwägerte in gerader Linie veräußert. Als Veräußerung gilt auch die Veräußerung im Wege der Zwangsvollstreckung, Enteignung oder Umlegung. Dingliche Sicherung wird nicht gewünscht. § 12 Unterhaltsfreistellung Der Übernehmer ist verpflichtet, seine Geschwister (Namen) und deren Abkömmlinge von der gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber den Übergebern freizustellen. (Schlussvermerke)

Beratungshinweis: Bei Klagen, die Ansprüche aus einem mit der Überlassung eines Grundstücks in Verbindung stehenden Leibgedings-, Leibzuchts-, Altenteils- oder Auszugsvertrag zum Gegenstand haben, ist ohne Rücksicht auf den Streitwert das Amtsgericht zuständig, § 23 Nr. 2 lit. g GVG.

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

2. Rechtsnatur des Hofübergabevertrags und Pflichtteil

Beratungssituation: Nach dem Tode des Hofübergebers wollen dessen Kinder, für die es als Miterben nicht mehr viel zu erben gab, Ansprüche gegen das hofübernehmende Geschwisterkind (ebenfalls Miterbe) geltend machen 190

Als Schenkung kommt ein solcher Vertrag zustande, wenn die Parteien sich über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig sind (§ 516 BGB). Wegen der Gegenleistungen, die der Hofübernehmer zu erbringen hat, ist der Übergabevertrag jedenfalls keine reine Schenkung. Wegen der als Gegenleistung für die Übergabe vereinbarten Versorgungsleistungen, kann beim Hofübergabevertrag entweder eine Schenkung unter Auflage i.S.v. § 525 BGB oder eine gemischte Schenkung vorliegen. Die gemischte Schenkung setzt sich aus zwei entgeltlichen Teilen und einem unentgeltlichen Teil zusammen. Die Parteien wissen dabei, dass der Wert der einen Parteileistung über dem Wert der anderen Parteileistung liegt, und wollen, dass der überschießende Wertteil unentgeltlich gegeben wird1. Anders bei der Schenkung unter Auflage, bei der die Zuwendung insgesamt eine echte Schenkung bleibt. Hier wird der Zuwendung eine Bestimmung beigefügt, wonach der Empfänger zu einer Leistung verpflichtet ist, die er aus dem Zuwendungsgegenstand erbringen soll. Bei der gemischten Schenkung ist also nur der überschießende Wertteil, bei der Schenkung unter Auflage der ganze Gegenstand geschenkt. Die Einordnung des Übergabevertrags als gemischte Schenkung oder Schenkung unter Auflage hat im Pflichtteilsrecht weit reichende Bedeutung. Will man einen Übergabevertrag mit nicht gleichwertigen Versorgungsleistungen grundsätzlich entweder als entgeltliches Rechtsgeschäft oder aber als gemischte Schenkung ansehen, können sich für einen Pflichtteilsberechtigten erhebliche praktische Probleme bei der Durchsetzung seines Wertermittlungsanspruchs nach §§ 2314, 2325 BGB ergeben. Damit der Wertermittlungsanspruch hinsichtlich fiktiver Nachlassgegenstände besteht, muss eine (gemischte) Schenkung vorliegen; denn nur dann gehört der Schenkungsgegenstand zum fiktiven Nachlass. Dies stellt den darlegungs- und beweisbelasteten Pflichtteilsgläubiger vor erhebliche Probleme2. Läge hingegen eine Schenkung unter Auflage vor, gäbe es hinsichtlich des Wertermittlungsanspruchs keinerlei Probleme. Schon deshalb bedarf es sorgfältigster Prüfung, ob eine gemischte Schenkung oder eine Schenkung unter Auflage vorliegt. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Auflagenschenkung und (teil-)entgeltlichem Vertrag ist der Parteiwille3. Eine Auflagenschenkung liegt dann vor, wenn nach dem Vertragswillen der Parteien die Leistung des Beschenkten nicht „ für die Zuwendung“, sondern „aus der Zuwendung“ erfolgen soll, nämlich auf der Grundlage und aus dem Wert der Zuwendung4. Ein (teil-)entgeltlicher Vertrag liegt hingegen vor, wenn nach dem Parteiwillen die „Auflage“ vom Zuwendungsempfänger übernommen wird, „um im wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis Leistung gegen Gegenleistung wirtschaftlich auszutauschen“5. Nach dem Parteiwil1 BGH v. 6.3.1996 – IV ZR 374/94, NJW-RR 1996, 754. 2 Vgl. Soergel/Dieckmann, § 2314 Rz. 32; BGH v. 9.11.1983 – IVa ZR 151/82, MDR 1984, 297 = FamRZ 1984, 166 m. Anm. Dieckmann FamRZ 1984, 880 = NJW 1984, 487. 3 Palandt/Weidenkaff, § 525 Rz. 7. 4 BGH v. 2.10.1981 – V ZR 134/80, MDR 1982, 394 = NJW 1982, 818 (819). 5 RG v. 10.12.1925 – IV 374/25, RGZ 112, 210 (211). 916

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 191

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len müsste sich also der Übergeber mit der Hofhingabe eine wirtschaftliche (Gegen-)Leistung erkaufen wollen, damit Teilentgeltlichkeit und ggf. eine gemischte Schenkung bejaht werden könnte. Die Annahme eines solchen Parteiwillens wird jedoch der Interessenlage bei der Hofübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge im Allgemeinen nicht gerecht. Der Übergeber erstrebt zwar durchaus einen Vorteil (z.B. Leibgeding), will aber darüber hinaus auch seine Nachfolge im Wege vorweggenommener Erbfolge regeln. Die Übergabe der wirtschaftlichen Lebensgrundlage mit dem Einrücken des Übernehmers in die wirtschaftliche Stellung des Übergebers stellt das zentrale Motiv des Hofübergabevertrags dar, die Absicherung des Übergebers ist aus Sicht der Parteien regelmäßig ein selbstverständlicher und wichtiger, naturgemäß zeitlich begrenzter Annex. Die Parteien dürften sich in der Regel auch darüber einig sein, dass der Übernehmer die Altenteilspflichten nicht aus eigener Wirtschaftskraft erbringt (und regelmäßig auch nicht erbringen kann), sondern auf der Grundlage seiner neuen wirtschaftlichen Stellung als Hofübernehmer. Nicht für die Leistung der Hofübergabe, sondern wirtschaftlich gesehen, aus dem erhaltenen Wert, soll das Altenteil erbracht werden. Entscheidend ist, ob nach dem Parteiwillen die „Auflagen“ aus dem Wert bzw. Ertrag des Zuwendungsobjektes erbracht werden sollen oder unabhängig davon aus seinem sonstigen Vermögen. Im letzteren Fall ist das sonstige, unabhängig von der Zuwendung vorhandene Vermögen einzusetzen, um im Austausch dazu erst in den Besitz der Zuwendung zu gelangen. Es kann wohl kaum angenommen werden, dass dem Übergeber der Sinn dahin steht, selbst dann auf sein „Altenteil“ als Gegenleistung zu pochen, wenn trotz ordnungsmäßiger Bewirtschaftung durch den Übernehmer der hierfür erforderliche Ertrag aus dem Übergabeobjekt nicht mehr erwirtschaftet werden kann. Der Strukturwandel, in dem sich die Landwirtschaft befindet, ist Übergebern und Übernehmern leidvoll bekannt. Die Übergeber wissen, auf welches wirtschaftliche Risiko sich ihr Hofübernehmer einlässt. Sie verstehen das Altenteil daher nicht als Gegenleistung, sondern als Schenkungsauflage. Von einer Auflagenschenkung wird jedenfalls immer dann auszugehen sein, wenn aus Parteiensicht bei Vertragsschluss der Ertrag des Hofs die Altenteilsleistungen und den Familienunterhalt des Übernehmers abdeckt, so dass der Stamm des Betriebs nicht angegriffen zu werden braucht1. Als Schenkung unter Auflage wurden von der Rechtsprechung angesehen:

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– Hofübergabevertrag mit vereinbarten Leistungen des Übernehmers zur Versorgung des scheidenden Übergebers (lebenslanges unentgeltliches Altenteil bestehend aus ausschließlichem Wohnungsrecht, Verpflegung, monatlicher Rente, Zahlung von Beiträgen zur landwirtschaftlichen Alterskasse) bei gleichzeitigem Einrücken des Übernehmers in die Existenzgrundlage des Übergebers2. Auch stellt die Übernahme dinglicher Belastungen bei Schenkung eines Grundstücks in der Regel keine Gegenleistung des Beschenkten dar, sondern mindert lediglich den Wert des Geschenks. – Übergabevertrag, bei dem sich der Übergeber den Nießbrauch bestellen und nach seinem Tod zu zahlende Abfindungen an die Geschwister des Überneh1 Vgl. auch RG v. 10.12.1925, RGZ 112, 210, 212; a.A. J. Mayer, Übergabevertrag, S. 25 ff., der zu sehr auf den Wortlaut abstellt, wenn er kritisiert, dass weitreichende Pflegeverpflichtungen nicht „aus dem Schenkungsobjekt“ erbracht werden könnten. 2 BGH v. 7.4.1989 – V ZR 252/87, MDR 1989, 803 = NJW 1989, 2122 f. Ruby

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Rz. 192

Landwirtschaftliches Sondererbrecht

mers versprechen lässt, ist im Zweifel nicht als gemischte Schenkung, sondern als Schenkung unter Auflage anzusehen1. – Grundstücksübereignung unter Vorbehalt des Nießbrauchs2: „Die Abgrenzung zwischen Schenkung unter Auflage einerseits und Kaufvertrag oder gemischter Schenkung andererseits richtet sich danach, ob nach dem Parteiwillen Leistung und Gegenleistung in einem solchen Verhältnis stehen sollen, dass die Auflage die Leistung nur einschränkt, oder ob Leistung und Gegenleistung im Sinne eines Ausgleichs einander gleichgestellt werden. Ein typisches Beispiel für eine Schenkung mit Auflage ist die Übereignung eines Grundstücks unter Vorbehalt des Nießbrauchs“. – Überträgt der Übergeber das mit einem Wohnrecht (zugunsten des Übernehmers) verbundene Hauseigentum unter dem Vorbehalt seiner lebenslänglichen ausschließlichen Nutzung (Nießbrauch zugunsten Übergeber), so liegt darin eine reine Schenkung auch dann, wenn der Übernehmer sich außerdem verpflichtet, den Übergeber nach dessen Wahl entweder lebenslänglich zu verköstigen oder ihm eine monatliche Miete für das Wohnrecht (des Übernehmers) zu zahlen. Ob die weitere von dem Übernehmer einge-gange Verpflichtung, den Übergeber im Krankheitsfalle zu pflegen, die Unentgeltlichkeit der Eigentumsübertragung berührt oder nur als eine der Schenkung hinzugefügte Auflage zu betrachten ist, ist Tatfrage3. Ist nach dem zum Ausdruck gelangten Willen der Vertragschließenden die Pflegeauflage (im Sinne einer Nebensache) nur als eine Einschränkung der unentgeltlichen Zuwendung (als Hauptsache), nicht aber als eine auszutauschende Gegenleistung gewollt, liegt eine der Schenkung hinzugefügte Auflage vor. 192

Selbstverständlich unterliegt der Übergabevertrag nicht dem Erbrecht4, sondern den Normen für Rechtsgeschäfte unter Lebenden.

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Die Zuwendung des Hofs kann aber nach dem Erbfall erbrechtliche Wirkung haben. So kann sie aufgrund der gesetzlichen Vermutung des § 2050 BGB als Vorausleistung auf den künftigen Erbteil ausgleichungspflichtig sein, z.B. wenn der Hof als Ausstattung übergeben wurde oder der Erblasser für den Schenkungsanteil die Ausgleichung bei der Zuwendung angeordnet hat. Erbrechtliche Wirkungen kann die lebzeitige Hofübergabe auch nach § 2287 BGB bei Vorliegen einer gemischten Schenkung haben, wenn der Erblasser hinsichtlich des Hofs erbvertraglich oder durch gemeinschaftliches Ehegattentestament bereits gebunden war5.

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Am bedeutsamsten ist die Anwendung der §§ 2325, 2329 BGB. Das benachteiligte Kind ist regelmäßig auf Pflichtteilsergänzungsansprüche nach §§ 2325 ff. BGB verwiesen6. Da diese Vorschriften eine „Schenkung“ voraussetzen, kommt der genauen Qualifikation des Übergabevertrags entscheidende Bedeutung zu. 1 2 3 4

OGH Köln v. 18.11.1948 – II ZS 16/48, NJW 1949, 260. OLG Köln v. 10.11.1993 – 27 U 220/92, FamRZ 1994, 1242. OLG Bamberg v. 3.11.1948 – 1 U 113/48, NJW 1949, 788. BGH v. 30.1.1991 – IV ZR 299/89, BGHZ 113, 310 = MDR 1991, 511 = FamRZ 1991, 689. 5 BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 281 = MDR 1982, 124 = FamRZ 1982, 56 = FamRZ 1981, 1173. 6 Vgl. Reiff, Vorweggenommene Erbfolge und Pflichtteilsergänzung, NJW 1992, 2857. 918

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Landwirtschaftliches Sondererbrecht

Rz. 198

B XIII

Beispiel: Bei einer reinen Schenkung wird der Hof nebst Zubehör z.B. auf den einzigen Sohn übertragen, während die Tochter nichts erhält. Kurze Zeit nach der Übergabe stirbt der verwitwete Übergeber und wird vom Sohn allein beerbt. Der Nachlass soll 100 000 Euro betragen. Zur Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche der Tochter aus § 2325 BGB ist der Wert des verschenkten Grundstücks dem Nachlass hinzuzurechnen. Der Hof soll einen Verkehrswert von 500 000 Euro und einen Ertragswert von 250 000 Euro haben. Nach der Rechtsprechung ist auch bei der Berechnung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen gem. § 2312 BGB vom Ertragswert auszugehen1. Wegen des „stark ausgeprägten erbrechtlichen Momentes“ in den Übergabeverträgen unterliegt es keinen Bedenken, wenn der Bestimmung des Übernahmepreises in einem Gutüberlassungsvertrag in Ansehung der Berechnung des Pflichtteils die gleiche Bedeutung beigemessen wird wie einer entsprechenden Anordnung in einer letztwilligen Anordnung2. Für den Pflichtteilsergänzungs-anspruch ist der Wert übergebener Landgüter also unter entsprechender Anwendung der §§ 2049, 2312 BGB zu veranschlagen. Der hypothetische Nachlass beträgt im Beispiel also 350 000 Euro. Die Tochter kann von ihrem Bruder einen Pflichtteil in Höhe von 25 000 Euro und als Ergänzungspflichtteil weitere 62 500 Euro verlangen.

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Enthält der Übergabevertrag eine Auflage zugunsten des Schenkers, bspw. eine Verpflichtung zur Pflege des Schenkers, ist bei der Berechnung der ergänzungspflichtigen Zuwendung der Wert der Auflage vom Ertragswert des übergebenen Hofs abzuziehen. Während die Hofübergabe durch Schenkung einerseits den Nachlass verringert, kommt der Vollzug der Auflage dem Nachlass des Übergebers indirekt als ersparte Aufwendungen zugute. Wäre der Hof ohne Übergabe im Nachlass verblieben, hätten für die Pflege Zahlungen aufgewendet werden müssen, um die der Nachlass verringert wäre. Die Auflage stellt also einen Abzugsposten dar. Verpflichtet sich der Übernehmer im Übergabevertrag, seinen Vater zeit seines Lebens zu pflegen und zu versorgen (Wert: 20 000 Euro), so ist diese Pflegeverpflichtung eine Auflage zugunsten des Schenkers. Der Wert der Auflage ist daher vom Wert des übereigneten Grundstücks abzuziehen. Ergänzungspflichtig ist mithin nur die Differenz aus 250 000 Euro und 20 000 Euro, also 230 000 Euro. Die Schwester kann hier als Ergänzung ihres Pflichtteils 57 500 Euro verlangen.

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Sind die übergabevertraglichen Pflichten des Übernehmers nicht als Auflagen zu qualifizieren, kommt eine sog. gemischte Schenkung in Betracht. Da es die Privatautonomie den Parteien gestattet, den Wert ihrer Leistungen selbst zu bestimmen, können sie von einem voll entgeltlichen Vertrag ausgehen, selbst wenn sich Leistung und Gegenleistung wertmäßig nicht entsprechen. Zum Schutze des nicht am Vertragsschluss beteiligten Pflichtteilsberechtigten stellt die Rechtsprechung eine tatsächliche Vermutung auf, wonach bei einem auffallend groben Missverhältnis zwischen dem Wert der Leistung des Übergebers und dem der Leistung des Übernehmers zugunsten des Pflichtteilsberechtigten davon auszugehen ist, dass sich die Parteien über die unentgeltliche Zuwendung der Wertdifferenz einig waren.

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Wird diese Vermutung nicht widerlegt, so steht fest, dass eine gemischte Schenkung vorliegt. Übergibt der Vater in unserem Beispiel den Hof gegen Zahlung ei-

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1 BGH v. 4.5.1964 – III ZR 153/63, NJW 1964, 1414. 2 RG Warn 1909, 390. Ruby

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ner Kapitalsumme von 100 000 Euro, so wird in einem Prozess der Tochter gegen den Sohn vermutet, dass sich Vater und Sohn darüber einig waren, dass die Differenz zwischen dem Ertragswert von 250 000 Euro und des „Kaufpreises“ von 100 000 Euro unentgeltlich zugewendet wurde. Wird die Vermutung nicht widerlegt, so ist dem Nachlass des Vaters der Differenzwert von 150 000 Euro hinzuzurechnen. Die Tochter kann dann von ihrem Bruder eine Ergänzung ihres Pflichtteils im Wert von 37 500 Euro verlangen. 199

Bei einer Übergabe unter Vorbehalt des Nießbrauchs (oder eines sonstigen Nutzungsrechts, wie eines Wohnrechts) ist bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches der kapitalisierte Wert des Nutzungsrechts vom Ertragswert des Hofs abzuziehen1. Zuvor muss jedoch wegen des Niederstwertprinzips des § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB ermittelt werden, ob das übergebene Landgut zum Zeitpunkt der Schenkung oder zum Zeitpunkt des Erbfalls den niedrigeren Ertragswert hatte. Bei dieser Feststellung ist auf die Ertragswerte ohne Abzug des kapitalisierten Nießbrauchswerts abzustellen. War danach der Ertragswert zum Zeitpunkt der Schenkung niedriger, ist von dem Ertragswert im Zeitpunkt der Schenkung der Nießbrauchswert abzuziehen. Nur die sich hieraus ergebende Wertdifferenz ist fiktiv dem Nachlass zur Ermittlung des Ergänzungsnachlasses hinzuzurechnen.

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War allerdings der Ertragswert zum Zeitpunkt des Erbfalls niedriger als der Ertragswert zum Zeitpunkt der Schenkung, ist der Ertragswert zum Zeitpunkt des Erbfalls anzusetzen, ohne dass von ihm noch ein Nießbrauchswert abgezogen werden könnte.

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Hätte also der Übergeber das Landgut im Jahre 2009 mit einem inflationsbereinigten Ertragswert von 250 000 Euro übertragen und hat der Hof beim Tod des Erblassers im Jahre 2014 einen Ertragswert von 300 000 Euro, so ist nach dem Niederstwertprinzip der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung maßgebend. Hiervon ist der aufgrund der abstrakten Lebenserwartung zu ermittelnde kapitalisierte Nießbrauchswert abzuziehen, der im Beispielsfall 100 000 Euro betragen soll. Folglich sind 150 000 Euro fiktiv dem Nachlass hinzuzurechnen. Die Tochter hat einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 37 500 Euro gegen den Bruder als Alleinerben.

1 Mayer, ZEV 1994, 325 m.w.N. 920

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XIV. Die Schiedsgerichtsklausel (§ 1066 ZPO) Schrifttum: Böckstiegel, Schiedsgerichtsbarkeit in gesellschaftlichen und erbrechtlichen Angelegenheiten, 1996; Gsänger/Souren, Verfassungsrechtliche Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten im Familien-, Erb- und Gesellschaftsrecht, DNotZ 2007, 3; Habscheid, Die so genannte Schiedsgerichtsbarkeit der Internationalen Handelskammer, RIW 1998, 421; Haas, Letztwillige Schiedsverfügungen i.S. des § 1066 ZPO, ZEV 2007, 49; Kronke, Internationale Schiedsverfahren nach der Reform, RIW 1998, 257; Labes/Lörcher, Das neue Deutsche Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, MDR 1997, 420; Muscheler, Entlassung des Testamentsvollstreckers und letztwillige Schiedsklausel, ZEV 2009, 317; Otte, Die Schiedsklausel im Erbvertrag des Hauses Hohenzollern, FamRZ 2006, 309; Pawlytta, Erbrechtliches Schiedsgericht und Pflichtteilsrecht, ZEV 2003, 89; Schulze, Letztwillig eingesetzte Schiedsgerichte, MDR 2000, 314; Schütze, Ausgewählte Probleme des deutschen und internationalen Schiedsverfahrensrechts, 2005; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005; Voit, Privatisierung der Gerichtsbarkeit, JZ 1997, 120; Vollmer, Das Schiedsgutachtenrecht – Bestandsaufnahme und Fragen der Praxis, BB 1984, 1010; Walter, Schiedsverträge und Schiedsklauseln in der notariellen Praxis, MittRhNotK 1984, 69; Wegmann, Die Schiedsgerichtsbarkeit in Nachlasssachen, ZEV 2003, 20; Werner, Das Schiedsverfahren als Instrument zur Lösung erbrechtlicher Streitigkeiten, ZEV 2011, 506. Rz.

I. Bedeutung des Schiedsgerichts im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Anzuwendendes Recht 1. Schiedsrichterliches Verfahren im 10. Buch der ZPO . . . . . . . . . . . 2. Ad-hoc- und institutionelles Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung von anderen Formen der Streitbeilegung a) Schiedsgerichtsklausel und Entscheidungen staatlicher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schiedsklausel und Schiedsgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schiedspersonen und Gütestellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Entscheidungsbefugnisse des Schiedsgerichts 1. Zulässigkeit und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Schiedsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Einsetzung des Schiedsgerichts . . a) Einsetzung durch Testament und Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . b) Schiedsvereinbarungen der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entscheidungsbefugnisse des Schiedsgerichts und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Person des Schiedsrichters a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . b) Testamentsvollstrecker als Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die Durchsetzung von Schiedssprüchen 1. Wirkung des Schiedsspruchs . . . . 2. Durchsetzung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufhebung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Bedeutung des Schiedsgerichts im Erbrecht Beratungssituation: Der Mandant, ein bekannter Chirurg, ist sich nicht sicher, dass seine Kinder die im Testament geplanten Verfügungen ohne Grötsch

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weiteres erfüllen werden. Er möchte vermeiden, dass Probleme der Erbauseinandersetzung öffentlich werden oder gar vor Gericht kommen. Er wünscht eine zweckmäßige Testamentsgestaltung. 1

Erbfälle sind oftmals sehr komplex und streitträchtig. Selbst durch optimale Gestaltung der letztwilligen Verfügung lässt sich Streit nicht immer vollständig vermeiden. Eine Möglichkeit, den drohenden Streit wenigstens möglichst vermögens- und familienschonend beizulegen, besteht darin, gem. § 1066 ZPO eine Schiedsklausel in die letztwillige Verfügung aufzunehmen, um die Streitigkeiten den staatlichen Gerichten zu entziehen und einem ausgewählten Schiedsgericht zu unterstellen. Dies kann vielfältige Vorteile haben:

2

Da den staatlichen Gerichten häufig Spezialkenntnisse im Erbrecht fehlen, kann ein Schiedsgericht (als Kollektivorgan oder Einzelschiedsrichter) oft besser schlichten, denn als Schiedsrichter können spezialisierte Fachleute ausgewählt werden. Besonders wichtig ist dies, wenn es neben der erbrechtlichen Kompetenz auch auf weiteren, auch nicht-juristischen Sachverstand ankommt, wie etwa bei Unternehmen im Nachlass. Sachkunde, Fingerspitzengefühl, nachvollziehbare und erlebbare Unparteilichkeit eines Schiedsrichters können helfen, hier sachgerechte Lösungen zu finden.

3

Für Schiedsklauseln in Testamenten und Erbverträgen spricht auch, dass keine öffentlichen Auseinandersetzungen geführt werden müssen, die Angelegenheit kann familienintern gehalten werden. Gerade bei Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und deren familiäre und finanzielle Verhältnisse deshalb für eine breite Öffentlichkeit interessant sein können, ist dies besonders erstrebenswert.

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Für die Aufnahme von Schiedsklauseln in Testamente und Erbverträge sprechen weiter mögliches konzentriertes Herangehen und größeres Entscheidungstempo als bei Entscheidungen staatlicher Gerichte. Z.B. muss, um eine Erbteilung zu erreichen, wenn sich die Erben nicht einigen, ein Auseinandersetzungsplan bei Gericht eingereicht und auf den Abschluss eines umfassenden Auseinandersetzungsvertrags geklagt werden1, wofür unter Umständen auch umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Viele Auseinandersetzungsklagen scheitern aufgrund der Komplexität des Auseinandersetzungsplans. Vor dem Schiedsgericht muss dagegen nicht einmal ein förmlicher Antrag gestellt werden2. Auch viele verzögernde Förmlichkeiten der staatlichen Gerichtsbarkeit müssen im Schiedsverfahren nicht beachtet werden3. Zudem kann der Erblasser die Tätigkeit des Schiedsrichters bis zu den durch das Erbrecht, die guten Sitten und den ordre public gezogenen Grenzen steuern, indem die Schiedsklausel entsprechend ausgeformt wird. Gegebenenfalls kann auch dadurch auf den zeitlichen Ablauf Einfluss genommen werden. Insbesondere besteht auch die Möglichkeit, das Schiedsverfahren auf eine Instanz zu begrenzen.

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Schließlich ist zu berücksichtigen, dass weniger Kosten anfallen können, etwa durch die Begrenzung auf eine Instanz. Zudem kann der Erblasser die Vergütung des Schiedsrichters selbst bestimmen. Die Kostenregelung könnte wie folgt lauten: 1 S. hierzu die Ausführungen bei Kap. C XII Rz. 29 ff. 2 Kerscher/Krug/Spanke/Krug, § 31 Rz. 39. 3 Schütze, Rz. 15. 922

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Schiedsgerichtsklausel

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B XIV

M 153 Bestimmung der Schiedsrichtervergütung Der Schiedsrichter erhält für jeden Streitfall eine Gebühr entsprechend den Bestimmungen des RVG in der jeweils gültigen Fassung zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer. Der Gegenstandswert wird ebenfalls nach den Vorschriften des RVG ermittelt.

Der hauptsächliche Kostenvorteil liegt in der Vermeidung weiterer Instanzen.

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Für die Einsetzung eines Schiedsgerichts spricht außerdem, dass die Vergleichsquote von Schiedsgerichten die der staatlichen Gerichte deutlich übersteigt1, also eine größere Befriedung der Parteien erreicht werden kann.

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Zusammengefasst sind die Vorteile einer Schiedsklausel somit:

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– Der letzte Wille des Erblassers wird sofort oder mindestens in absehbarer Zeit erfüllt, langwierige Erbstreitigkeiten werden vermieden. – Der Schiedsrichter entscheidet nach freiem Ermessen und benötigt keinen förmlichen Antrag. – Der Schiedsrichter muss keine verzögernden Förmlichkeiten beachten. – Das Schiedsverfahren kann auf eine Instanz begrenzt werden, was insbesondere zu einer Kostenreduzierung führen kann. – Der Erblasser kann kompetente Personen einsetzen. – Der Familienfrieden kann besser gewahrt werden als bei einem öffentlichen Gerichtsverfahren. Der größte Nachteil der Schiedsgerichtsklausel besteht darin, dass nicht endgültig geklärt ist, welche Streitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt werden können und welche nicht, vgl. hierzu die folgenden Ausführungen. Dies ist wohl auch der Hauptgrund dafür, dass die Schiedsklausel trotz ihrer vielfältigen Vorteile immer noch relativ selten in letztwillige Verfügungen aufgenommen wird.

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II. Anzuwendendes Recht 1. Schiedsrichterliches Verfahren im 10. Buch der ZPO Das Schiedsgericht ist ein privates Gericht2. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist dabei der staatlichen Gerichtsbarkeit gleichgestellt3. Für die letztwillig angeordneten Schiedsgerichte ordnet § 1066 ZPO lediglich die entsprechende Anwendung des 10. Buches der ZPO an. § 1066 ZPO bestimmt für letztwillig angeordnete Schiedsgerichte die Zulässigkeit, bildet sozusagen die Rechtsgrundlage. Den materiellen Rahmen gibt das Erbrecht vor. 1 Schulze, MDR 2000, 314. 2 Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz. 3. 3 Kerscher/Krug/Spanke/Krug, § 31 Rz. 39, § 31 Rz. 5. Grötsch

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Rz. 11

Schiedsgerichtsklausel

Der Erblasser kann nach § 1066 ZPO durch letztwillige Verfügung (Testament und Erbvertrag) alle oder bestimmte Streitigkeiten1 unter Ausschluss der Tätigkeit der ordentlichen Gerichte einem Schiedsgericht übertragen.

M 154 Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit Streitigkeiten der Erben und sonstiger Nachlassbeteiligter aufgrund der getroffenen Verfügung von Todes wegen sind unter Ausschluss der ordentlichen Gerichte durch einen Schiedsrichter als Einzelrichter zu entscheiden. Der Schiedsrichter hat dabei zugleich die Funktion, sich auch in Bewertungsfragen gutachterlich verbindlich zu äußern und sonstige Bestimmungsrechte nach billigem Ermessen auszuüben. 12

Allerdings müssen die Streitigkeiten ihren Grund im Erbfall haben2. Es muss um Inhalt und Auslegung der Verfügung von Todes wegen gehen. Der Streitgegenstand muss schiedsfähig sein. Deshalb ist es zweckmäßig, das Muster in Rz. 11 noch zu ergänzen.

M 155 Bestimmung des Umfangs der Schiedsgerichtsbarkeit Der Schiedsrichter entscheidet über alle Fragen, die ihren Grund im Erbfall haben, sofern keine zwingenden gesetzlichen Bestimmungen entgegenstehen, prozess- und materiellrechtlich in freiem Ermessen, im Übrigen (falls vom Ermessen kein Gebrauch gemacht wird) nach den einschlägigen Bestimmungen der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes, jedoch mit der Maßgabe, dass die Verhandlung nicht öffentlich ist und Anwaltszwang nicht besteht.

2. Ad-hoc- und institutionelles Schiedsverfahren 13

Der Erblasser besitzt mehrere Möglichkeiten, Verfahrensregeln vorzuschreiben.

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a) Er kann nach § 1066 ZPO die entsprechende Anwendung des 10. Buches der ZPO anordnen. Der Schiedsrichter ist dann an die allgemeinen Regeln des 10. Buches gebunden. Die ZPO ist auch dann anzuwenden, wenn der Erblasser nur einen Schiedsrichter einsetzt, ohne Verfahrensregeln vorzuschreiben.

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b) Der Erblasser kann auch ein so genanntes ad-hoc-Schiedsgericht (Gelegenheitsschiedsgericht) einsetzen3. Das ad-hoc-Schiedsgericht zeichnet sich dadurch aus, dass der Erblasser dem Schiedsgericht die Verfahrensregeln vorschreibt. Verfahrensordnung, Bestellung des Schiedsrichters u.a. unterliegen der Parteidisposition bzw. der Entscheidung des Erblassers. Lediglich die Grenzen der Dispositionsbefugnis werden durch das Gesetz (§§ 1025 ff. ZPO) bestimmt. Die für die Einsetzung eines ad-hoc-Schiedsgerichts erforderliche Erfahrung wird dem Erblasser meistens fehlen, weshalb die Wahl eines ad-hoc-Schiedsgerichts ungünstig sein kann. Als Muster kann das Formulierungsbeispiel bei Rz. 11 dienen. 1 Walter, MittRhNotK 1984, 69. 2 Schütze, Rz. 294. 3 Kerscher/Krug/Spanke/Krug, § 31 Rz. 86. 924

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Keinesfalls sollte der Erblasser die Benennung des Schiedsrichters bzw. des Schiedsgerichts den Parteien überlassen. Dies führt regelmäßig zu Verzögerungen, nicht selten bereits zum Streit.

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c) Der Erblasser kann auch ein institutionelles Schiedsverfahren (vorfabriziertes Schiedsverfahren) wählen. Dies bietet sich aufgrund der Spezialmaterie an. Der Schiedsrichter ist dann an diese Schiedsordnung gebunden. Der Erblasser kann auch darauf verzichten, einen Schiedsrichter zu bestimmen und vielmehr das von den jeweiligen Institutionen angebotenen Schiedsgericht berufen. Spezielle Schiedsordnungen und Schiedsgerichte für Erbstreitigkeiten bieten insbesondere die Deutsche Schiedsstelle für Erbstreitigkeiten e.V. (DSE e.V.), Hauptstr. 18, 74918 Angelbachtal, und das Süddeutsche Erbschaftsgericht, Belgradstraße 43, 80796 München. Letzteres verhandelt und entscheidet als Dreier-Schiedsrichtergremium, bestehend aus einem Vorsitzenden Richter am LG a.D., einem Notar a.D. und einem Rechtsanwalt. Wählt der Erblasser diesen Weg, begibt er sich allerdings der Einflussnahme auf die Bestimmung der Person des Schiedsrichters.

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3. Abgrenzung von anderen Formen der Streitbeilegung a) Schiedsgerichtsklausel und Entscheidungen staatlicher Gerichte Letztwillige Schiedsklauseln werden als Ausnahme vom Grundsatz verstanden, dass staatliche Gerichtsbarkeit nur durch rechtsgeschäftliche Einigung, z.B. Schiedsvereinbarungen ausgeschlossen werden kann1. Diese Ausnahme regelt § 1066 ZPO, der zugleich auf die §§ 1025 ff. ZPO verweist. Die Einsetzung des Schiedsgerichts hat für die Parteien die gleiche Wirkung wie ein zwischen ihnen abgeschlossener Schiedsvertrag2. Allerdings müssen ein wirksames Testament oder ein wirksamer Erbvertrag vorhanden sein3.

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Konsequenz der Trennung von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit ist, dass staatliche Gerichte eine Klage abzuweisen haben, wenn sich der Beklagte vor Beginn der mündlichen Verhandlung auf eine wirksame Schiedsvereinbarung bzw. letztwillige Schiedsklausel beruft (§ 1032 Abs. 1 ZPO). Ist die Wirksamkeit strittig, kann dies geklärt werden durch ein Zwischenurteil gem. § 280 ZPO, einen Feststellungsprozess gem. § 256 Abs. 1 ZPO oder ein Antragsverfahren auf Unzulässigkeitserklärung des schiedsrichterlichen Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO vor dem Oberlandesgericht. Erweist sich eine Schiedsklausel als unwirksam, müssen die staatlichen Gerichte angerufen werden, es sei denn, die Erben treffen übereinstimmend eine Schiedsvereinbarung.

19

Reste staatlicher Entscheidungstätigkeit bleiben allerdings auch bei Begründung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts bestehen. So kann aus einem Schiedsspruch etwa nicht vollstreckt werden, sondern nur aus Entscheidungen der staatlichen Gerichte, die diesen Schiedsspruch für vollstreckbar erklären, § 794 Abs. 1 Nr. 4a, § 1060 ZPO.

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1 Schulze, MDR 2000, 314 (315). 2 Schulze, MDR 2000, 215. 3 Zöller/Geimer, § 1066 ZPO Rz. 15. Grötsch

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b) Schiedsklausel und Schiedsgutachten 21

Schiedsklausel und Schiedsvereinbarung beinhalten nur die Übertragung der Entscheidungskompetenz auf Schiedsrichter anstelle der staatlichen Gerichte1. Schiedsrichter oder Schiedsgericht entscheiden über Rechtsfolgen. Sie fällen einen Schiedsspruch.

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Schiedsgutachten stellen Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art verbindlich fest, die für eine Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sind2. Es handelt sich nicht um die Entscheidung eines Rechtsstreits3. Typische tatsächliche Feststellungen, die in Schiedsgutachten getroffen werden, sind Verkehrswerte von Immobilien und Betriebsvermögen.

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Für die Tätigkeit der Schiedsgutachter finden die Bestimmungen des 10. Buches der ZPO keine Anwendung, auch nicht entsprechend. Es gelten vielmehr die §§ 315 ff. BGB4. In der letztwilligen Verfügung sollte, um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, eindeutig zwischen Schiedsgerichtsklausel und Schiedsgutachtensklausel unterschieden werden.

24

Um die mitunter auch inhaltlich schwierigen Abgrenzungsfragen zwischen Schiedsrichter und Schiedsgutachter zu vermeiden, empfiehlt es sich, dem Schiedsrichter zugleich die Gutachtertätigkeit zu übertragen, sofern er für die zu begutachtende Frage sachverständig ist. Dies könnte wie folgt formuliert werden:

M 156 Bestimmung des Schiedsrichters und Schiedsgutachers bei Personenidentität Zum Schiedsrichter mit den nachfolgenden Funktionen bestimme ich …, ersatzweise … Der Schiedsrichter entscheidet als Einzelrichter und hat zugleich die Aufgabe, sich in Bewertungsfragen für alle Beteiligten bindend als Schiedsgutacher zu äußern. 25

Fehlt dem Schiedsrichter dagegen entsprechende Sachkunde, bietet es sich an, dem Schiedsrichter einen sachkundigen Schiedsgutachter zur Seite zu stellen. Dies könnte wie folgt formuliert werden:

M 157 Bestimmung des Schiedsrichters und Schiedsgutachers bei Personendiversität Zum Schiedsrichter mit den nachfolgenden Funktionen bestimme ich …, ersatzweise … Der Schiedsrichter entscheidet als Einzelrichter. […] Mein Sohn A erhält als Vorausvermächtnis das Haus in …, verzeichnet im Grundbuch des Amtsgerichts …, Gemarkung … Blatt …, Flurstück … zum Schätzpreis. Den Schätzpreis bestimmt verbindlich der von der IHK zu … öffentlich bestellte 1 2 3 4

Vollmer, BB 1984, 1011. Vollmer, BB 1984, 1010. BGH v. 4.6.1981 – III ZR 4/80, MDR 1982, 36 = BB 1982, 1077. Kerscher/Krug/Spanke/Krug, § 31 Rz. 4.

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und vereidigte Sachverständige als Schiedsgutachter für alle Beteiligten bindend. Die Kosten des Schiedsgutachters trägt der Nachlass.

Soll dagegen nur eine Schiedsgutachtertätigkeit angeordnet werden, könnte wie folgt formuliert werden:

26

M 158 Anordnung eines Schiedsgutachtens Mein Sohn A erhält als Vorausvermächtnis das Haus in …, verzeichnet im Grundbuch des Amtsgerichts …, Gemarkung … Blatt …, Flurstück … zum Schätzpreis. Den Schätzpreis bestimmt verbindlich der von der IHK zu … öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige … Die Kosten des Schiedsgutachters trägt der Nachlass.

c) Schiedspersonen und Gütestellen Diese Einrichtungen kommen unter den verschiedensten Bezeichnungen vor. Allen ist gemeinsam, den Versuch einer Einigung zwischen den Beteiligten zu unternehmen. Ziel ist Streitbeilegung durch Schlichtung, nicht durch Entscheidung.

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Die Schlichtung kann in mannigfaltigen Formen stattfinden, etwa in Form der Mediation. Sie ist ein freiwilliges, ebenfalls außergerichtliches Verfahren, bei dem die Beteiligten von einem Mediator bei der Lösung des Streitfalles unterstützt werden1. Der Mediator entscheidet im Gegensatz zum Schiedsgericht nicht2.

28

Die bei der Schlichtung erreichte Einigung wird in einem Protokoll festgehalten. Sind Gütestellen von der Landesjustizverwaltung eingerichtet oder anerkannt, stellt die protokollierte Einigung einen Vollstreckungstitel dar, § 794 Abs. 1 Nr.1 ZPO.

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III. Entscheidungsbefugnisse des Schiedsgerichts 1. Zulässigkeit und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Schiedsklausel Die Zulässigkeit eines letztwillig angeordneten Schiedsgerichts folgt aus § 1066 ZPO. Die Vorschrift erklärt die §§ 1025 ff. ZPO für analog anwendbar. Nach § 1030 ZPO können alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten von Schiedsgerichten entschieden werden.

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Die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer letztwillig angeordneten Schiedsklausel ergeben sich aus § 1066 ZPO. Mit der Formulierung in § 1066 ZPO „in gesetzlich statthafter Weise“ durch letztwillig eingesetzte Schiedsgerichte soll auf die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer letztwilligen Verfügung Bezug genommen werden3, die erfüllt sein müssen. Der Erblasser muss folglich testierfähig sein, und er muss die Anordnung der Schiedsklausel in einem Testa-

31

1 Kerscher/Krug/Spanke/Morawe, § 32 Rz. 3. 2 Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz. 18. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1937 Rz. 29. Grötsch

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ment oder Erbvertrag angeordnet haben. Auch die testamentarischen Formanforderungen müssen erfüllt sein, § 1031 ZPO gilt insoweit nicht. 2. Einsetzung des Schiedsgerichts 32

Auf der Grundlage von § 1066 ZPO kann der Erblasser ein Schiedsgericht durch letztwillige Verfügung einsetzen, das über die Ansprüche zu entscheiden hat, die sich aus seinen letztwilligen Anordnungen ergeben. Das Schiedsgericht kann aus einem Einzelschiedsrichter oder einem Kollektivorgan (Schiedsrichter und Beisitzer) bestehen. Ein Einzelschiedsrichter sollte genügen, wenn er sachkundig und erfahren sowie von den Parteien anerkannt ist. a) Einsetzung durch Testament und Erbvertrag

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Schiedsgerichte werden durch Testament oder Erbvertrag eingesetzt. Auch in gemeinschaftlichen Testamenten können Schiedsklauseln angeordnet werden. Die Anordnung ist jedoch nicht wechselbezüglich im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB, sofern man mit der überwiegenden Ansicht davon ausgeht, dass die Schiedsgerichtsanordnung keine Auflage im Sinne von § 1940 BGB ist 1. § 1031 ZPO gilt nicht. Es handelt sich um von beiden Eheleuten einseitig angeordnete Schiedsgerichte2. Bei gemeinschaftlichen Testamenten ist umstritten, ob eine vom längerlebenden Ehegatten nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten in einem Einzeltestament angeordnete letztwillige Schiedsklausel wirksam ist oder nicht. Da das Schiedsgericht dem staatlichen Gericht jedoch gleichgestellt ist, kann die nachträgliche Anordnung eines Schiedsgerichts keine Beeinträchtigung des Schlusserben sein, sodass die nachträgliche Anordnung als wirksam angesehen werden sollte3.

34

In Erbverträgen können ebenfalls Schiedsklauseln angeordnet werden. Soweit nur die Vertragspartner betroffen sind, ist die Klausel vertraglicher Natur4, §§ 1029 ff ZPO. Sind Nichtvertragspartner betroffen, gilt für diese § 1066 ZPO. Hier besteht dieselbe, soeben beschriebene Problematik wie bei gemeinschaftlichen Testamenten. b) Schiedsvereinbarungen der Parteien

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Nach Eintritt des Erbfalles können auch die Erben oder sonstige Beteiligte nach den allgemeinen Regeln (§§ 1025 ff. ZPO) einen Schiedsvertrag für die Entscheidung aller im Zusammenhang mit der Erbengemeinschaft entstehenden Streitigkeiten schließen5. Die Erben können auch durch Vereinbarung im gegenseitigen Einvernehmen die letztwillige Anordnung eines Schiedsgerichts abändern und staatliche Gerichte anrufen6. Um dies zu vermeiden wird empfohlen, dass der Erblasser dem mit einer Verwirkungsklausel begegnet7. So könnten die Erben, 1 Umfassende Darstellung des Meinungsstands bei Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz. 19ff; Haas, ZEV 2007, 52. 2 Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz. 31. 3 Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz. 31; sofern man die Schiedsklausel als Auflage ansieht, ist eine einseitige nachträgliche Anordnung dagegen unwirksam. 4 Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz. 31. 5 Wegmannn, ZEV 2003, 20. 6 Schulze, MDR 2000, 315. 7 Schulze, MDR 2000, 315; Steiner, ErbStB 2003, 307. 928

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Rz. 37

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die der letztwilligen Anordnung eines Schiedsgerichts durch den Erblasser nicht nachkommen wollen, auf den Pflichtteilsanspruch beschränkt werden, indem sie von der Erbfolge ausgeschlossen werden. Die Erben können sich aber selbstverständlich immer einigen, ohne den Schiedsrichter anzurufen. Anordnung eines Schiedsgerichts und Verwirkungsklausel haben dann ihren Zweck erfüllt. 3. Entscheidungsbefugnisse des Schiedsgerichts und ihre Grenzen Der mögliche Umfang der Schiedsgerichtsanordnung ist umstritten. Dies ist das am schwersten wiegende Problem im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit im Erbrecht. Denn bei allen Vorzügen der Schiedsgerichtsbarkeit bleibt stets zu beachten, dass nicht abschließend geklärt ist, über welche Fragen das Schiedsgericht entscheiden darf und für welche Fragen ausschließlich die staatliche Gerichtsbarkeit zuständig ist. So wird vertreten, das Schiedsgericht könne, soweit nichts anderes angeordnet ist, nach der Entscheidung des Erblassers alle Streitigkeiten über Ansprüche entscheiden, die sich auf die letztwilligen Verfügungen des Erblassers gründen bzw. über alle Streitigkeiten befinden, die im Zusammenhang mit dem Nachlass und seiner Abwicklung stehen. Andererseits wird eingeschränkt, das Schiedsgericht könne nur über dasjenige entscheiden, worüber auch der Erblasser unmittelbar disponieren kann1.

36

Als der Schiedsgerichtsbarkeit zuweisbar angesehen werden insbesondere Entscheidungen über

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– die Gültigkeit, Inhalt, Auslegung und Anfechtung von Testamenten2, – die Erbauseinandersetzung3, – Ausgleichspflichten unter Abkömmlingen (§§ 2050 ff. BGB)4, – Eintritt oder Ausfall einer Bedingung5, – Erfüllung von Auflagen und Ansprüche von Vermächtnisnehmern6, – die Erbberechtigung7, – Streitigkeiten zwischen Erben und Testamentsvollstreckern8, – Streitigkeiten wegen Berufung des Testamentsvollstreckers, nicht jedoch solche wegen seiner Entlassung9, – die gesetzliche Erbfolge10, – angeordnete Teilungsanordnungen11. Umfassende Darstellung zum Meinungsstreit: Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz 26. MüKo.BGB/Leipold, § 1937 Rz. 33. BGH v. 30.4.1959 – VII ZR 191/57, NJW 1959, 1493. Kerscher/Krug/Spanke/Krug, § 31 Rz. 8. Wegmann, ZEV 2003, 20 (21). Wegmann, ZEV 2003, 20 (21). MüKo.BGB/Leipold, § 1937 Rz. 33. Steiner, ErbStB 2003, 305. OLG Karlsruhe v. 28.7.2009 – 11 Wx 94/07, NJW-Spezial 2009, 632; Wegmann, ZEV 2003, 20 (21); a.A. Muscheler, ZEV 2009, 317. 10 MüKo/Leipold, § 1937 BGB Rz. 33. 11 Staudinger/Otte, vor § 1937 BGB, Rz. 8. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

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Rz. 38

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Der Schiedsrichter kann auch die Bestimmungsrechte wahrnehmen, die jedem Dritten übertragen werden können (§§ 2151, 2152, 2193 BGB).

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Nicht der schiedsgerichtlichen Entscheidung unterliegen dagegen Streitigkeiten mit Nachlassgläubigern, soweit deren Ansprüche nicht auf der letztwilligen Verfügung beruhen1, z.B. Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten gegen den Erblasser und Darlehensverbindlichkeiten des Erblassers.

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Ebenso unterfallen der Anordnungsbefugnis des Erblassers nicht die so genannten Fürsorgeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondere das Erbscheinsverfahren2. Dies ist einleuchtend, denn das Erbscheinsverfahren ist in den §§ 2353 ff. BGB zwingend vorgeschrieben, und das Nachlassgericht ist gehalten, eigene Ermittlungen anzustellen. Solche Entscheidungen obliegen auch dem Prozessgericht nicht. Wohl aber hat das Nachlassgericht Entscheidungen des Schiedsgerichts ebenso wie die des Prozessgerichts, z.B. über die Unwirksamkeit eines Testamentes, zu beachten und darf einen Erbschein nicht erteilen, der auf dem für unwirksam erklärten Testament beruht3.

41

Der Entscheidungsbefugnis eines Schiedsgerichts sind auch Streitigkeiten mit Dritten entzogen, die Nachlasswerte im Besitz haben, ohne sich auf ein Erbrecht zu berufen4.

42

Auch eine Streitentscheidung zu Lebzeiten des Erblassers über die Entziehung des Pflichtteils5 fällt nicht in die Kompetenz des Schiedsgerichts.

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Umstritten ist vor allem, ob ein letztwillig eingesetztes Schiedsgericht über Pflichtteilsansprüche entscheiden kann. Das wird überwiegend und mit unterschiedlicher Begründung abgelehnt6. Otte begründet seine Ablehnung damit, dass der Erblasser dem Schiedsgericht nur die Entscheidung über alle Fragen zuweisen könne, über die er kraft Testierfreiheit entscheiden kann. Die Pflichtteilsbestimmungen setzen der Testierfreiheit Grenzen, weshalb ein Schiedsgericht darüber nicht entscheiden könne7. Schiedsfähig sei, was der Erblasser kraft Testierfreiheit regeln kann8.

44

Nach richtiger Auffassung folgt aus § 1030 Abs. 1 ZPO, dass vermögensrechtliche und damit auch erbrechtliche Streitigkeiten grundsätzlich schiedsfähig sind. Dazu zählen auch Pflichtteilsansprüche9. Nach Haas können Pflichtteilsansprüche dennoch nicht dem Schiedsgericht zugewiesen werden, weil es in der Regel an der die Schiedsgerichtsbarkeit legitimierenden Privatautonomie zwischen den Beteiligungen fehlt10. Gegen diese Auffassung der Privatautonomie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

MüKo.BGB/Leipold, § 1937 Rz. 35. BayObLG v. 19.10.2000 – 1Z BR 116/99, FamRZ 2001, 873. Wegmann, ZEV 2003, 20. Steiner, ErbStB 2003, 304 (305). BGH v. 6.12.1989 – IVa ZR 249/88, MDR 1990, 420 = FamRZ 1990, 398 = NJW 1990, 911. MüKo.BGB/Leipold, § 1937 Rz. 34; Schulze, MDR 2000, 314; Mayer, ZEV 2000, 263 (267 ff.); Haas, ZEV 2007, 53. Staudinger/Otte, vor § 1937 BGB Rz. 8. Otte, FamRZ 2006, 312. Haas, ZEV 2007, 53. Haas, ZEV 2007, 51.

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Rz. 48

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bestehen im Zusammenhang mit dem Erbrecht Bedenken, schon weil die vom Erblasser Begünstigten aus seinem Vermögen etwas erhalten, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Die vom Gesetzgeber gewollte Befugnis des Erblassers, einseitig verpflichtend Schiedsgerichte einzusetzen, bindet die Adressaten der Erblasserentscheidung, ohne ihnen deswegen ein Ablehnungsrecht, z.B. durch Erbausschlagung zuzubilligen. Das Recht der Erbausschlagung besteht unabhängig davon. Auch wird wohl kaum ein Erbe nur deshalb das ihm Zugewendete ausschlagen, weil ihm das für Streitigkeiten angeordnete Schiedsgericht nicht passt1. Für die Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts bei Pflichtteilsansprüchen sprechen auch praktische Gründe, weil sonst erhebliche Abgrenzungsprobleme entstehen. So kann selbst der Erbe zusätzlich zu seinem Erbteil, über den das Schiedsgericht entscheiden kann, Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen (§ 2326 BGB). Ein Streit hierüber müsste dann vor einem staatlichen Gericht ausgetragen werden.

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Für die Kompetenzerstreckung des Schiedsgerichts auf Pflichtteilsansprüche werden weitere überzeugende Gründe angeführt. So können Pflichtteilsansprüche nicht deshalb von der Zuständigkeit des Schiedsgerichts ausgenommen werden, weil es sich um einen gesetzlichen Anspruch handelt. Wenn es der Erblasser bei der gesetzlichen Erbfolge belässt und ein Schiedsgericht einsetzt, hat es auch über gesetzliche Ansprüche zu entscheiden2. Des Weiteren sind Fragen der Ertragswertanordnung (§ 2312 BGB), die Verteilung der Pflichtteilslast (§ 2324 BGB), Entziehung des Pflichtteils (§ 2333 BGB), Pflichtteilsbeschränkung (§ 2338 BGB) auch als schiedsfähig anzusehen3.

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Die Kompetenz des Schiedsgerichts an die Testierfreiheit zu knüpfen und auf sie zu beschränken, erweist sich, wie oben dargelegt, als zu eng und ist nicht praktikabel, weil erhebliche Abgrenzungsprobleme bestehen. Sinnvoll ist es daher, das gesamte Pflichtteilsrecht als schiedsfähig anzusehen. Die Ausdehnung der Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts auf Pflichtteilsansprüche lässt sich begründen, wenn verlangt wird, dass der zu entscheidende Anspruch erbrechtlicher Natur sein muss und erst mit dem Erbfall entsteht. Geimer nennt als äußerste Grenze des Kompetenzbereichs des Schiedsgerichts die Entscheidung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Nachlass und seiner Abwicklung. Der Pflichtteilsberechtigte ist Nachlassgläubiger (wie der Vermächtnisnehmer auch), seine Anspruchsgrundlage ist erbrechtlicher Natur und sein Anspruch entsteht erst mit dem Erbfall. Das ergibt eine nachvollziehbare Abgrenzung zu den Streitfällen, für die das Schiedsgericht nicht zuständig ist.

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Solange allerdings der Meinungsstreit pro und kontra Entscheidungsbefugnis des Schiedsgerichts über Pflichtteilsansprüche nicht entschieden ist, sollte der Erblasser genau bestimmen, welche Kompetenzen das Schiedsgericht konkret

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1 Reaktionsmöglichkeiten, wie von Haas gefordert, sind allerdings in vertragsmäßigen Beziehungen unverzichtbar und regelmäßig auch vorgesehen, z.B. im Wohnungsmietrecht. Dort kann der Mieter jeweils kündigen, wenn der Vermieter einseitig die Miete erhöht oder Modernisierungsmaßnahmen anordnet. 2 Pawlytta, ZEV 2003, 92. 3 Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz. 27a. Grötsch

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Rz. 49

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haben soll und auch Ersatzbestimmungen vornehmen, wenn sich z.B. herausstellen sollte, dass über Pflichtteilsansprüche vom Schiedsgericht nicht entschieden werden darf. Ein Widerspruch zur oben dargelegten Auffassung besteht nicht, denn es könnte sein, dass der BGH die Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts bei Pflichtteilsansprüchen ablehnt1.

M 159 Anordnung der Schiedsgerichtsbarkeit bei Pflichtteilsansprüchen Alle Streitigkeiten über Wirksamkeit und Auslegung meines Testaments, über Abwicklung oder Auseinandersetzung meines Nachlasses entscheidet unter Ausschluss des Rechtsweges ein Schiedsrichter (ein Schiedsgericht). Das gilt auch für Streitigkeiten über geltend gemachte Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche, soweit hierfür nicht staatliche Gerichte zuständig sind. In diesem Fall sollen die Beteiligten die Zuständigkeit des Schiedsgerichts vereinbaren. 49

Das Schiedsgericht muss § 2065 BGB beachten2. Der Erblasser soll seine beabsichtigten Verfügungen durchdenken und seinen abschließenden Willen bilden. Er darf daher die Entscheidung über die Geltung seiner Verfügung, deren wesentlichen Inhalt, den zugewendeten Gegenstand und den Empfänger nicht offenlassen. Ebenso wenig wie der Testamentsvollstrecker kann auch der Schiedsrichter diese Entscheidung nicht für den Erblasser treffen. Der Gesetzgeber hat in § 2065 BGB den Weg gewählt, für den Fall unvollständiger Willensbildung, die auch durch Auslegung nicht zu beseitigen ist, es bei der gesetzlichen Erbfolge zu belassen3.

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Zunächst muss aber versucht werden, den erklärten Willen des Erblassers durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei zieht § 2065 BGB eine Grenze4, die auch der Schiedsrichter akzeptieren muss, wenn er Streitigkeiten über die Auslegung von Testamenten zu entscheiden hat. Der Schiedsrichter kann bei seiner Entscheidungstätigkeit letztwillige Verfügungen in dem Umfang auslegen, wie auch das staatliche Gericht dazu berechtigt wäre. Der Schiedsrichter tritt nicht an die Stelle des Erblassers, wohl aber an die des staatlichen Richters5.

51

Wird dem Schiedsrichter die Feststellung übertragen, ob eine Bedingung erfüllt ist, was möglich und zweckmäßig ist, wird der Schiedsrichter zum Schiedsgutachter, weil diese zu treffende Entscheidung nicht Streitentscheidung ist und auch keinen Streit voraussetzt6. Um solche Auslegungsprobleme zu vermeiden und die nötigen Entscheidungen ohne Verzögerung zu treffen, ist es zweckmäßig, dem Schiedsrichter zugleich Schiedsgutachtertätigkeit zu übertragen.

52

Unter Beachtung der Bestimmung des § 2065 Abs. 2 BGB kann der Schiedsrichter nicht – den Erben bestimmen7, 1 2 3 4 5 6 7

Gsänger/Souren, DNotZ 2007, 3. MüKo.BGB/Leipold, § 2065 Rz. 9. MüKo.BGB/Leipold, § 2065 Rz. 9. MüKo.BGB/Leipold, § 2065 Rz. 7. Staudinger/Otte, § 2065 Rz. 20 f. Staudinger/Otte, § 2065 Rz. 24 f. Kohler, DNotZ 1962, 129; Palandt/Weidlich, § 1937 Rz. 4.

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Rz. 57

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– bestimmen, ob eine letztwillige Verfügung gelten soll1, – ein formungültiges Testament für gültig erklären2. 4. Die Person des Schiedsrichters a) Allgemeines Der Erblasser kann die Person des Schiedsrichters frei wählen. Der Schiedsrichter sollte Gewähr für Neutralität bieten und im Erbrecht qualifiziert sein. Er sollte möglichst ein ausgewiesener Fachmann sein und Erfahrung in der Streitschlichtung haben. Kennt der Erblasser keinen geeigneten Schiedsrichter, kann er auf die unter Rz. 17 genannten Institutionen zurückgreifen.

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Der Erblasser sollte nicht nur die Person des Schiedsrichters sorgsam auswählen, sondern auch den Fall bedenken, dass die als Schiedsrichter benannte Person ausfallen kann.

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M 160 Bestimmung eines Ersatzschiedsrichters Zum Schiedsrichter mit den nachfolgend genannten Funktionen und Aufgaben benenne ich …, ersatzweise … Wiederum ersatzweise soll … einen Schiedsrichter benennen.

Fehlt ein geeigneter Ersatzschiedsrichter, sollte diesen ein Dritter benennen, nicht die Parteien.

55

M 161 Bestimmung eines Ersatzschiedsrichters durch Dritte Sollte der vorgesehene Schiedsrichter das Amt nicht antreten, so soll der Präsident der Industrie- und Handelskammer zu … einen Volljuristen als Schiedsrichter benennen, der auch wirtschaftliche und steuerliche Kenntnisse hat.

Rechtsanwälte und Notare sind grundsätzlich geeignete Schiedsrichter. Hat ein Rechtsanwalt oder Notar einen Erblasser bei der Testamentsabfassung beraten und ihm empfohlen, eine Schiedsklausel in das Testament oder den Erbvertrag aufzunehmen, verbietet es sich, wenngleich es noch rechtlich zulässig sein kann, ihn zum Schiedsrichter zu ernennen bzw. sollte er das ihm angetragene Amt nicht annehmen. Für Rechtsanwälte ergeben sich berufsrechtlliche Konsequenzen aus § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO, für Notare das Verbot aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG3.

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b) Testamentsvollstrecker als Schiedsrichter In Literatur und Rechtsprechung ist weitgehend anerkannt, dass Testamentsvollstrecker auch zugleich Schiedsrichter sein können4. Kohler hält die Perso1 2 3 4

Kohler, DNotZ 1996, 129. S. Kohler, DNotZ 1962, 129. Kerscher/Krug/Spanke/Krug, § 31 Rz. 40. Stellvertretend für andere Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, § 15 Rz. 332. Grötsch

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Rz. 58

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nalunion zwischen Testamentsvollstrecker und Schiedsrichter sogar für zweckmäßig1. 58

Unabhängig davon, welche Stellung zur Personalunion von Testamentsvollstrecker und Schiedsrichter bezogen wird, kann der Testamentsvollstrecker eine Reihe von Entscheidungen als Schiedsrichter nicht treffen. Der Testamentsvollstrecker kann nicht Schiedsrichter sein, wenn Streit über den Bestand seines Amtes besteht, weil niemand Richter in eigener Sache sein kann2. Mit dem Argument, dass niemand Richter in eigener Sache sein kann, wird eine Entscheidung eines Testamentsvollstreckers als Schiedsrichter abgelehnt, wenn der Testamentsvollstrecker selbst Partei, z.B. Miterbe einer Erbengemeinschaft, ist, zwischen der der Nachlass auseinanderzusetzen ist3. Kohler führt eine Reihe von Beispielen an, bei denen das der Fall sein soll, z.B. Streit über Rechtswirksamkeit von Testamenten, von deren Bestand auch die Bestellung zum Testamentsvollstrecker abhängt, sowie Streit über Rechte, die der Verwertung des Testamentsvollstreckers unterliegen4.

M 162 Bestimmung des Testamentsvollstreckers zum Schiedsrichter Soweit keine zwingenden Gesetze entgegenstehen, entscheidet der Schiedsrichter nach freiem Ermessen. Schiedsrichter und Schiedsgutachter ist der erstberufene Testamentsvollstrecker oder – falls er das Amt des Schiedsrichters oder Schiedsgutachters nicht ausüben will oder kann – der nächstberufene Testamentsvollstrecker.

IV. Die Durchsetzung von Schiedssprüchen 1. Wirkung des Schiedsspruchs 59

Der Schiedsspruch, mit dem das Schiedsverfahren endet, ist dem Urteil eines staatlichen Gerichts bis auf die Vollstreckbarkeit gleichgestellt. Die Vollstreckbarkeit muss dem Schiedsspruch – wie bei einem ausländischen Urteil – durch rechtsgestaltende Entscheidung des staatlichen Gerichts verliehen werden (§§ 1055, 1060)5. Damit Schiedssprüche unter den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen Urteil erlangen, müssen die förmlichen Erfordernisse des § 1054 ZPO erfüllt sein6.

60

Das Verfahren kann auch durch Schiedsvergleich enden (§ 1053 ZPO). Er hat dieselbe Wirkung wie ein Schiedsspruch zur Sache.

61

Rechtskräftige Schiedssprüche sind nur solche, die eine Endentscheidung in der Sache treffen, d.h. über den Streitgegenstand entscheiden. Die Rechtskraft eines 1 2 3 4 5 6

Kohler, DNotZ 1962, 129. Kerscher/Krug/Spanke/Krug, § 31 Rz. 41. Kohler, DNotZ 1962, 129. Kohler, DNotZ 1962, 129. Zöller/Geimer, § 1055 ZPO Rz. 1. Labes/Lörcher, MDR 1997, 420.

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Rz. 64

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Schiedsspruchs ist von Amts wegen zu beachten, was aus dem Gleichstellungsgrundsatz von Entscheidungen staatlicher Gerichte und Schiedsgerichten folgt. Der Schiedsspruch enthält auch eine Entscheidung über die Kosten (§ 1057 ZPO)1.

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2. Durchsetzung von Schiedssprüchen Aus einem rechtskräftigen Schiedsspruch findet, wie aus einem staatlichen Urteil, die Zwangsvollstreckung statt, wenn der Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt worden ist (§ 1060 ZPO).

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3. Aufhebung von Schiedssprüchen Nur ein staatliches Gericht kann auf Antrag einen Schiedsspruch aufheben, wenn die Voraussetzungen hierfür nach § 1059 ZPO vorliegen. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Schiedsspruchs zu stellen. Beschwer muss vorliegen, wobei Beschwer im Kostenpunkt ausreicht2.

1 Zum Honorar: Pawlytta, MAH Erbrecht, § 67 Rz. 49. 2 Zöller/Geimer, § 1059 ZPO Rz. 3. Grötsch

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XV. Der Erbverzicht (§§ 2346–2353 BGB) Schrifttum: Albrecht, Anm. zu BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, DNotZ 1997, 425 f.; Baumgärtel, Die Wirkung des Erbverzichts auf Abkömmlinge, DNotZ 1959, 63 ff.; Bengel, Die gerichtliche Kontrolle von Pflichtteilsverzichten, ZEV 2006, 192 ff.; Bestelmeyer, Das Pflichtteilsrecht der entfernteren Abkömmmlinge und Eltern des Erblassers im Anwendungsbereich des § 2309 BGB, FamRZ 1997, 1124 ff.; Blomeyer, Die vorweggenommene Auseinandersetzung der in gemeinschaftlichem Testament bedachten Kinder nach dem Tod des einen Elternteils, FamRZ 1974, 421 ff.; Bock, Die Änderung erbrechtlicher Vorschriften durch das 1. EheRG und ihre Auswirkungen auf die Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten, MittRhNotK 1977, 205 ff.; Bonefeld/Lange/ Tanck, Die geplante Reform des Pflichtteilsrechts, ZErb 2007, 292 ff.; Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 15. Aufl. 2002; Coing, Grundlagenirrtum bei vorweggenommener Erbfolge, NJW 1967, 1777 ff.; Coing, Zur Lehre vom teilweisen Erbverzicht, JZ 1960, 209 ff.; Cremer, Zur Zulässigkeit des gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichtsvertrages, MittRhNotK 1978, 169 ff.; Cypionka, Die Auswirkungen des Betreuungsrechts auf die Praxis des Notars, DNotZ 1991, 571 ff.; Deutsches Notarinstitut, Aus der Gutachtenpraxis des DNotI, DNotI-Report 2004, 197; Damrau, Die Bedeutung des Nichtehelichen-Erbrechts für den Unternehmer, BB 1970, 467 ff.; Damrau, Der Erbverzicht als Mittel zweckmäßiger Vorsorge für den Todesfall, 1966 (Nachdruck 1995); Damrau, Nochmals: Bedarf der dem Erbverzicht zugrunde liegende Verpflichtungsvertrag notarieller Beurkundung?, NJW 1984, 1163 ff.; Daragan, Anm. zu BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, DB 2001, 848; Dieckmann, Pflichtteilsverzicht und nachehelicher Unterhalt, FamRZ 1992, 633 ff.; Ebenroth/Fuhrmann, Konkurrenzen zwischen Vermächtnisund Pflichtteilsansprüchen bei erbvertraglicher Unternehmensnachfolge, BB 1989, 2049 ff.; Edenfeld, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, ZEV 1997, 70 ff.; Edenfeld, Die Stellung weichender Erben beim Erbverzicht, ZEV 1997, 134 ff.; Fette, Die Zulässigkeit eines gegenständlich begrenzten Pflichtteilsverzichts, NJW 1970, 743 ff.; Geck, Anm. zu BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, ZEV 2000, 123 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, 4. Aufl. 1994; Grziwotz, Gleichstellung der Lebenspartnerschaft nach dem Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts – Beratungs- und Gestaltungsprobleme, DNotZ 2005, 13 ff.; Grziwotz, Pflichtteilsverzicht und nachehelicher Unterhalt, FamRZ 1991, 1258 ff.; Habermann, Stillschweigender Erb- und Pflichtteilsverzicht im notariellen gemeinschaftlichen Testament, JuS 1979, 169 ff.; Haegele, Rechtsfragen zum Erbverzicht, BWNotZ 1971, 36 ff.; Hahn, Die Auswirkungen des Betreuungsrechts auf das Erbrecht, FamRZ 1991, 27 ff.; Harrer, Zur Lehre vom Erbverzicht, ZBlFG 15 (1915), 1 ff.; Hohloch, Anm. zu LG Bonn v. 3.9.1998 – 2 O 229/98, JuS 2000, 88; Holthaus, Leistungsstörungen beim entgeltlichen Erbverzicht, Diss. Münster 1992; Horn, Angriffsstrategien gegen erklärte Erb- und Pflichtteilsverzichte – und Vorkehrungen dagegen, ZEV 2010, 295 ff.; Hülsmeier, Die Abwertung der Rechtsstellung des Vertragserben, NJW 1981, 2043 ff.; Jackschath, Der Zuwendungsverzichtsvertrag, MittRhNotK 1977, 117 ff.; Kanzleiter, „Umverteilung“ des Nachlasses mit Zustimmung des Vertragserben und Eintritt der Ersatzerbfolge, ZEV 1997, 261 ff.; Kapfer, Gerichtliche Inhaltskontrolle von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen? – zugleich Anmerkung zum Urteil des OLG München vom 25.1.2006 – 15 U 4751/04, MittBayNot 2006, 385 ff.; Keim, Der stillschweigende Erbverzicht: sachgerechte Auslegung oder unzulässige Unterstellung?, ZEV 2001, 1 ff.; Keim, Die Reform des Erb- und Verjährungsrechts und ihre Auswirkungen auf die Gestaltungspraxis, ZEV 2008, 161 ff.; Keller, Die Form des Erbverzichts, ZEV 2005, 229 ff.; Klinck, Der Zuwendungsverzicht zulasten Dritter: Fortschritt durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts, ZEV 2009, 533 ff.; Korintenberg u.a., Kostenordnung, 15. Aufl. 2002; Kuchinke, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, JZ 1998, 143 f.; Kuchinke, Bedarf der dem Erbverzicht zugrunde liegende Verpflichtungsvertrag notarieller Beurkundung?, NJW 1983, 2358 ff.; Kuchinke, Der Erbverzicht zugunsten eines Dritten, Festschrift für Winfried 936

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Erbverzicht

Kralik zum 65. Geburtstag: Verfahrensrecht – Privatrecht, Hrsg.: Rechberger/Welser, 1986, 451 ff.; Kuchinke, Zur Aufhebung eines Erbverzichts mit Drittwirkung, ZEV 2000, 169 ff.; Kuchinke, Unterhalt und Erb- oder Pflichtteilsverzicht, FPR 2006, 125 ff.; Lange, Der entgeltliche Erbverzicht, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hermann Nottarp, Hrsg.: Mikat, 1961, 119 ff.; Larenz, Der Erbverzicht als abstraktes Rechtsgeschäft, JherJB 81 (1931), 1 ff.; v. Lübtow, Anm. zu BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, JR 1957, 340 ff.; Martin, Rechnerische Formeln aus dem Pflichtteilsrecht, ZBlFG 1914, 789 ff.; Mayer, Anm. zu OLG Celle v. 15.1.1998 – 22 W 115/97, ZEV 1998, 433 f.; Mayer, Der beschränkte Pflichtteilsverzicht, ZEV 2000, 263 ff.; Mayer, Nachträgliche Änderung von Anrechnungs- und Ausgleichungsbestimmungen, ZEV 1996, 441 ff.; Mayer, Zweckloser Zuwendungsverzicht?, ZEV 1996, 127 ff.; Mayer, Brennpunkte der vorweggenommenen Erbfolge: Unkalkulierbarer Elternunterhalt – Gefahren, Grenzen, Gestaltungsspielräume, ZEV 2007, 145 ff.; Mayer, Unliebsame Folgen des Pflichtteilsverzichts, ZEV 2007, 556 ff.; Metzler, Die Erstreckung der Wirkung des Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden nach § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB, Hereditare – Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht 1 (2011), 53 ff.; Münch, Infiziert der Ehevertrag erbrechtliche Verzichte oder Verfügungen?, ZEV 2008, 571 ff.; Muscheler, Anm. zu BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, JZ 1997, 853 ff.; Muscheler, Aufhebung des Erbverzichts nach dem Tod des Verzichtenden, ZEV 1999, 49 ff.; Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb, 2002; Muscheler, Die geplanten Änderungen im Erbrecht, Verjährungsrecht und Nachlassverfahrensrecht, ZEV 2008, 105 ff.; Muscheler, Inhaltskontrolle bei Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträgen, Festschrift für Sebastian Spiegelberger zum 70. Geburtstag, Hrsg.: Wachter, 2009, 1079 ff.; Muscheler, Erbrecht, 2010; Pentz, Auswirkungen des „entgeltlichen“ Erbverzichts eines Ankömmlings auf Pflichtteilsansprüche anderer, NJW 1999, 1835 ff.; Planck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, 4. Aufl. 1930; Reimann, Zur Kongruenz von ehevertraglicher Regelung und erbrechtlicher Gestaltung, Festschrift für Helmut Schippel zum 65. Geburtstag, Hrsg.: Bundesnotarkammer, 1996, 301 ff.; Reul, Erbverzicht, Pflichtteilsverzicht, Zuwendungsverzicht, MittRhNotK 1997, 373 ff.; Rheinbay, Anm. zu OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, ZEV 2000, 278 f.; Rheinbay, Erbverzicht – Abfindung – Pflichtteilsergänzung, 1983; Schindler, Pflichtteilsverzicht und Pflichtteilsverzichtsaufhebungsvertrag – oder: die enttäuschten Schlusserben, DNotZ 2004, 824 ff.; Schopp, Der „gegenständliche“ Pflichtteilsverzicht, RPfleger 1984, 175 ff.; Schotten, Anm. zu OLG Frankfurt a.M. v. 6.3.1997 – 20 W 574/95, Rpfleger 1998, 113 ff.; Schotten, Die Erstreckung der Wirkung eines Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, ZEV 1997, 1 ff.; Schramm, Möglichkeiten zur Einwirkung auf das Pflichtteilsrecht, BWNotZ 1959, 227 ff.; Skibbe, Anm. zu BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, ZEV 1999, 106; Speckmann, Der Erbverzicht als „Gegenleistung“ in Abfindungsverträgen, NJW 1970, 117 ff.; Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 1994; Strohal, Das deutsche Erbrecht, 3. Aufl. 1903; Stürzebecher, Zur Anwendbarkeit der §§ 320 ff. BGB auf den entgeltlichen Erbvertrag, NJW 1988, 2717 ff.; Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 4. Aufl. 2000; Tanck, Umfasst der Verzicht auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auch die Einrede nach § 2328 BGB?, ZErb 2001, 194 ff.; Theiss/ Boger, Möglichkeiten der Vorbeugung gegen Ansprüche aus §§ 2325, 2329 BGB wegen Abfindungen für Erb- bzw. Pflichtteilsverzichte, ZEV 2006, 143 ff.; Thode, Anm. zu BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, ZEV 1995, 143 f.; Wachter, Inhaltskontrolle von Pflichtteilsverzichtsverträgen?, ZErb 2004, 238 ff., 306 ff.; Weidlich, Gestaltungsalternativen zum zwecklosen Zuwendungsverzicht, ZEV 2007, 463 ff.; Weirich, Der gegenständlich begrenzte Pflichtteilsverzicht, DNotZ 1986, 5 ff.; Wendt, Unverzichtbares bei erbrechtlichen Verzichten, ZNotP 2006, 2 ff.; Westermann, Störungen bei vorweggenommener Erbfolge, Festschrift für Alfred Kellermann zum 70. Geburtstag, 1991, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Sonderheft 10, 505 ff.; Wohlschlegel, Anm. zu BFH v. 26.6.1996 – VIII R 67/95, ZEV 1997, 86 f.; Zellmann, Dogmatik und Systematik des Erbverzichts und seiner Aufhebung im Rahmen der Lehre von den Verfügungen von Todes wegen, Diss. Bochum 1990.

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Erbverzicht Rz.

I. Überblick 1. Begriff, Rechtsnatur und praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeines zu den drei Arten des Erbverzichts . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschränkungsmöglichkeiten beim Erbverzicht i.w.S. . . . . . . . . . a) Gegenständliche Begrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkungen und Beschwerungen . . . . . . . . . . . . . . . c) Befristungen und Bedingungen, insbesondere der Verzicht zugunsten Dritter . . . . . . 4. Allgemeine Vorteile des Erbverzichts i.w.S. für den Erblasser . . . 5. Anwendbare Vorschriften . . . . . . .

1 6 10 11 12 13 15 18

II. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB) 1. Allgemeines a) Vertragspartner des Erblassers b) Gegenstand des Erbverzichts i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Verzicht zugunsten eines anderen, insbesondere beim Verzicht eines Abkömmlings 2. Wirkungen a) Allgemeine Wirkungen aa) Wegfall des Verzichtenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erstreckung des Verzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden . . . . . . . . . . cc) Auswirkungen auf das gesetzliche Erbrecht Dritter dd) Auswirkungen auf das Pflichtteilsrecht Dritter . . ee) Wegfall des Dreißigsten . . ff) Bedeutung und Folgen für den Erblasser . . . . . . . . b) Besonderheiten beim Erbverzicht des Ehegatten aa) Allgemeine Wirkung . . . . bb) Güterrechtliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auswirkungen auf den nachehelichen Unterhaltsanspruch . . . . . . . . . . . 3. Zweckmäßigkeit a) Der Verzicht eines NichtPflichtteilsberechtigten . . . . . . b) Der Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten . . . . . . . . . . . . 938

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19 20 21

24 27 28 30 41 42 45 46

Rz.

III. Der isolierte Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . .

62 65 71

IV. Der Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . .

78 90 92

V. Kosten- und Gebührenfragen 1. Notarkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Gerichtsgebühren . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Kostenübersicht über die neben dem Erbverzicht bestehenden Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht . . . . . . . . . . . . . . 103 VI. Steuerliche Behandlung des Erbverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . 3. Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . VII. Das Kausalgeschäft zum Erbverzicht 1. Notwendigkeit und Inhalt eines Verpflichtungsgeschäfts (i.d.R. Abfindungsvertrag) . . . . . . . . . . . . . 2. Wirksamkeit des Kausalgeschäfts a) Beschränkungen in der Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) . . . . c) Sittenwidrigkeit und Wucher (§ 138 Abs. 1 und 2 BGB) . . . . d) Formverstoß (§ 125 BGB) . . . . e) Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) . . . . . . . . . . . . 3. Folgen eines unwirksamen oder fehlenden Kausalgeschäfts . . . . . . 4. Rücktritt vom Kausalgeschäft . . . 5. Leistungsstörungen beim Kausalgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 105 111 115

116 122 123 125 126 127 129 131 132 137 139

50 VIII. Verknüpfung des Kausalgeschäfts mit dem Erbverzicht i.w.S. . . . . . . 141 53 58

IX. Der Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. 1. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

Erbverzicht

Rz. 2

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Rz. 2. Probleme bei Anbahnung und Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Familien- bzw. betreuungsgerichtliche Genehmigung . . . c) Sonstige Zustimmungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . d) Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags im Zusammenhang mit anderen Verträgen (v.a. Übergabeverträgen) . . . . . . . . 4. Formerfordernisse, insbesondere stillschweigender Erbverzicht a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . b) Stillschweigender Erbverzicht c) Interessenkonflikt der Urkundsperson . . . . . . . . . . . . .

147 148 150 153 155

159 162 164 167

Rz. X. Vorbereitung und Gestaltung von Erbverzichtsverträgen (Checkliste und Formulierungsvorschläge) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der isolierte Pflichtteilsverzicht 4. Der Zuwendungsverzicht . . . . . . .

168 172 174 175

XI. Beseitigung der Wirkungen des Erbverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Aufhebungsvertrag (§ 2351 BGB) 2. Rücktritt und Widerruf . . . . . . . . . 3. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Störung der Geschäftsgrundlage . 5. Sittenwidrigkeit des Erbverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177 183 184 191 192

I. Überblick 1. Begriff, Rechtsnatur und praktische Bedeutung1 Das Rechtsinstitut des Erbverzichts regelt das BGB unter dem Titel „Erbverzicht“ im siebenten Abschnitt seines fünften Buches. Verwendet wird die Titelbezeichnung als Oberbegriff für verschiedene Formen des Verzichts, nämlich den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (Erbverzicht i.e.S., § 2346 Abs. 1 BGB), den (isolierten) Verzicht auf das Pflichtteilsrecht (Pflichtteilsverzicht, § 2346 Abs. 2 BGB) sowie den Verzicht auf testamentarische und erbvertragliche Zuwendungen (Zuwendungsverzicht, § 2352 BGB).

1

Im so verstandenen (weiteren) Sinne ist der Erbverzicht ein Vertrag zwischen dem Erblasser und einem künftigen gesetzlichen oder durch Verfügung von Todes wegen berufenen Erben, einem Pflichtteilsberechtigten oder Vermächtnisnehmer, durch den der Anfall des Erbrechts, die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs oder des Vermächtnisanspruchs ganz oder teilweise ausgeschlossen wird2. Dieser Ausschluss wird unmittelbar („dinglich“) durch den Erbverzichtsvertrag bewirkt, da dieser die – bis zum Erbfall regelmäßig unsichere – Aussicht des Verzichtenden, Erbe, Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer des Erblassers zu werden, sofort beseitigt und damit verhindert, dass die Aussicht im Erbfall zu einem subjektiven Recht erstarken kann3. Hierin zeigt sich zugleich der verfügende Charakter4 des Erbverzichtsvertrages, der – anders als ein

2

1 Frau RA Dr. Anke Schewe, LL.M., Frau Assessorin Dr. Eva-Maria Beckmann sowie Herrn Richter Martin Metzler gebührt mein herzlicher Dank für ihre wertvolle Mitarbeit an diesem Kapitel. 2 MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 2; Muscheler, Erbrecht, Rz. 2329. 3 Larenz, JherJB 81 (1931), 1 (5). 4 Lange/Kuchinke, § 7 I 5a (S. 169). Muscheler

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Rz. 3

Erbverzicht

Vertrag bloß schuldrechtlicher Natur wie etwa derjenige des § 311b Abs. 5 BGB – zur Herbeiführung der gewünschten Ausschlusswirkung nach dem Erbfall keine weiteren Vollzugsmaßnahmen erfordert. 3

Der Erbverzicht ist die einzige vom Gesetz zugelassene zeitlich vor dem Erbfall liegende Verfügung des Erbanwärters über seine Rechtsposition1. Indem der Verzichtende – im Einvernehmen mit dem Erblasser – auf seine erbrechtliche Aussicht verzichtet, trifft er – und nicht der Erblasser – eine Verfügung, wenngleich nur in einem negativen Sinne2. Der Erbverzicht ist, weil nicht der Erblasser verfügt, keine Verfügung von Todes wegen, insbesondere kein Erbvertrag, sondern erbrechtliches Verfügungsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall3.

4

Der Erbverzicht zählt zu den abstrakten Rechtsgeschäften4, deren Wirkungen unabhängig von der Wirksamkeit des zugrunde liegenden Kausalgeschäfts eintreten. Aus diesem Grund kann eine etwaige Verpflichtung des Erblassers zur Zahlung einer Abfindung niemals mit dem Erbverzicht selbst in einem synallagmatischen Verhältnis stehen, sondern lediglich mit der Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichts in der Form eines gegenseitigen Vertrags i.S.d. §§ 320 ff. BGB verbunden werden5 (zu den Verknüpfungsmöglichkeiten s. Rz. 141 ff.).

5

Die praktische Bedeutung des Erbverzichts ist groß und in stetigem Wachstum begriffen. Er begegnet heute namentlich in folgenden Konstellationen6: – Vorweggenommene Erbfolge zu Lebzeiten des Erblassers (Übertragung des wichtigsten Vermögensgegenstandes – Hof, Unternehmen etc. – an einen Nachfolger, verbunden mit Pflichtteilsverzicht der weichenden Erben gegen Abfindung) – Absicherung eines letztwillig verfügten Übergangs von Unternehmen oder Gesellschaftsanteilen an einen oder mehrere Nachfolger – Eingehung einer neuen Ehe („Abschichtung“ der erstehelichen Kinder mittels Abfindung und Verzicht oder umgekehrt Schutz der erstehelichen Kinder durch Verzicht des neuen Ehegatten) – Schutz des überlebenden Ehegatten vor (den Nachlass des Erstverstorbenen betreffenden) Pflichtteilsansprüchen der Schlusserben beim Berliner Testament.

1 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (325). 2 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (325). 3 Ganz h.M., z.B. BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, ZEV 2012, 145 (146); BGH v. 29.11. 1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 (154) = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 (154) = ZEV 1997, 69; BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327); OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – I-7 U 170/12, MDR 2014, 166 = ZEV 2014, 102 (103); BayObLG v. 10.2. 1981 – BReg. 1Z 125/80, MDR 1981, 673 = FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30 (33 f.); Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 1. Folgen der erbrechtlichen Qualifizierung für das IPR Reimann, ZEV 2009, 586 (591); für das Steuerrecht BFH v. 17.3.2010 – X R 38/06, FamRZ 2010, 1440 = ZEV 2010, 427 und BFH v. 20.10.1999 – X 132/95, ZEV 2000, 121; Muscheler, Erbrecht, Rz. 2335. 4 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327). 5 Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 20. 6 Vgl. etwa Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 3. 940

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 10

B XV

2. Allgemeines zu den drei Arten des Erbverzichts Wie bereits ausgeführt, verwendet das Gesetz den Begriff des Erbverzichts als Oberbegriff für drei Formen des Verzichts, bei denen der Gegenstand des Verzichts jeweils ein anderer ist.

6

Nach dem gesetzlichen Regelfall ist Gegenstand des Erbverzichts i.e.S. (§ 2346 Abs. 1 S. 1 BGB) das gesetzliche Erbrecht und das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB). Entgegen dem Wortlaut ist es jedoch möglich, allein auf das gesetzliche Erbrecht unter Vorbehalt des Pflichtteils zu verzichten1. Dies mag überraschen, erscheint ein Pflichtteilsrecht ohne zugrunde liegendes gesetzliches Erbrecht doch begrifflich ausgeschlossen2. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass ein auf das gesetzliche Erbrecht beschränkter Verzicht seinem Gegenstand nach genau den Teil betrifft, der dem potenziellen Erben von Seiten des Erblassers einseitig (durch Enterbung) genommen werden könnte. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb insoweit ein Verzicht des Erbanwärters nicht in Betracht kommen sollte. In beiden Fällen bleibt das gesetzliche Erbrecht als „Quelle des Pflichtteilsanspruchs“3 bestehen.

7

Was Gegenstand des (isolierten) Verzichts auf das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 2 BGB) ist, lässt sich unmittelbar dem Begriff entnehmen. Der (isolierte) Pflichtteilsverzicht verhindert das Entstehen aller aus dem Pflichtteilsrecht möglicherweise resultierenden Ansprüche, lässt jedoch das gesetzliche Erbrecht unberührt. Es liegt auf der Hand, dass dies gegenüber dem gesetzlichen Regelfall des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht, der neben der Entstehung des Pflichtteilsanspruchs zugleich den (auf gesetzlicher Erbfolge beruhenden) Anfall der Erbschaft verhindert, ein Weniger ist. Dies darf allerdings nicht zu einer falschen Vorstellung über die praktische Relevanz des (isolierten) Pflichtteilsverzichts verleiten. Um allen Missverständnissen vorzubeugen, sei schon hier festgestellt: Der (isolierte) Pflichtteilsverzicht hat von allen Formen des Erbverzichts die größte praktische Bedeutung! Anders als beim (uneingeschränkten) Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht wird bei ihm nämlich insbesondere vermieden, dass sich die Pflichtteilsquoten anderer pflichtteilsberechtigter Personen gem. § 2310 S. 2 BGB erhöhen (Näheres hierzu Rz. 15, 30 ff.).

8

Durch den Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) wird die für den Begünstigten in einem Testament oder Erbvertrag vorgesehene Zuwendung (Erbrecht oder Vermächtnis) wirkungslos. Technisch geschieht dies nicht so, dass der Zuwendungsverzicht die Verfügung von Todes wegen aufhebt, sondern so, dass er den Anfall der Zuwendung an den Verzichtenden verhindert (Näheres hierzu Rz. 90).

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3. Beschränkungsmöglichkeiten beim Erbverzicht i.w.S. Über die bereits erwähnten Beschränkungsmöglichkeiten des (isolierten) Verzichts auf das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 2 BGB) und des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht unter Vorbehalt des Pflichtteils hinaus kann der Erbverzicht i.w.S. rechtsgeschäftlich auch auf andere Weise beschränkt werden. Diese Be1 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 34 m.w.N. 2 So in der Tat Harrer, ZBlFG 15 (1915), 1 (11). 3 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 35. Muscheler

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schränkungsmöglichkeiten muss schon ein Überblick über das Thema anführen, da sie in der beratenden Praxis von großer Wichtigkeit sind. a) Gegenständliche Begrenzungen 11

Anders als Annahme und Ausschlagung der Erbschaft – die gem. § 1950 BGB nur im Hinblick auf das Ganze erfolgen und nicht auf einen Teil der Erbschaft beschränkt werden können – sind gegenständliche Begrenzungen des Verzichts bei allen Formen des Erbverzichts möglich und wirksam, weil in den §§ 2346 ff. BGB keine dem § 1950 BGB entsprechende Regelung enthalten ist1. Zu beachten ist jedoch, dass ein Teilverzicht in Ansehung des (gesetzlichen oder gewillkürten) Erbrechts nicht auf bestimmte Nachlassgegenstände bezogen werden darf2, da dies mit dem Grundsatz der Universalsukzession3 nicht in Einklang zu bringen wäre4. Ein Teilverzicht kann sich nur auf einen Bruchteil des Erbrechts richten5. U.U. kann jedoch ein gleichwohl erklärter Verzicht auf bestimmte Nachlassgegenstände in einen Bruchteilsverzicht umgedeutet werden6. Weitergehende Beschränkungsmöglichkeiten bestehen, wenn vom Verzicht lediglich Geldansprüche – wie der Pflichtteil oder ein Geldvermächtnis – betroffen sind. Diese Geldansprüche unterfallen nicht dem Typenzwang des Erbrechts7, und entsprechende Beschränkungen können daher nicht mit dem Grundsatz der Universalsukzession in Konflikt geraten. b) Beschränkungen und Beschwerungen

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In einem die Erbenstellung betreffenden Verzichtsvertrag kann auch die Übernahme von Beschränkungen und Beschwerungen geregelt werden8. So kann dem Erblasser z.B. das Recht eingeräumt werden, den Erben mit Vermächtnissen und 1 MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 13. 2 Ausnahme: Hoferbrecht nach HöfeO; vgl. OLG Oldenburg v. 14.10.1997 – 5 U 62/97, FamRZ 1998, 645 (646). 3 Eingehend hierzu Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb. 4 MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 14. 5 Coing, JZ 1960, 209 (211). 6 KG v. 18.2.1937 – 1. Wx 18/37, JFG 15 (1937), 98 (100). 7 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 10; Keim, ZEV 2010, 475 f. 8 Vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts bot sich die Übernahme von Beschränkungen und Beschwerungen in einem Verzichtsvertrag insbesondere dann an, wenn es sich bei dem Verzichtenden um einen Pflichtteilsberechtigten handelte. § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB, der bei Zuwendung einer Erbquote von nicht mehr als der Hälfte des gesetzlichen Erbteils bestimmte, dass zulasten eines Pflichtteilsberechtigten angeordnete Beschränkungen und Beschwerungen als nicht angeordnet galten, erfasste nämlich nicht die aufgrund eines Verzichts verfügten Belastungen (vgl. MüKo.BGB/ Strobel, § 2346 Rz. 16). Mit der Neuregelung des § 2306 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu Bonefeld/Lange/Tanck, ZErb 2007, 292 [293]; Keim, ZEV 2008, 161 [162]; Muscheler, ZEV 2008, 105 [107]) wurde die Unterscheidung nach der Erbquote in § 2306 Abs. 1 S. 1 und 2 a.F. BGB aufgegeben. Gem. § 2306 Abs. 1 BGB muss der pflichtteilsberechtigte Erbe stets ausschlagen, um den Pflichtteil verlangen zu können. Der automatische Wegfall der Beschränkungen und Beschwerungen nach § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB und damit ein wesentliches Motiv, dem Erblasser in einem Erbverzichtsvertrag das Recht einzuräumen, diese anzuordnen, sind entfallen. 942

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Auflagen zu belasten1, für eine lebzeitige Zuwendung nachträglich eine Ausgleichungspflicht anzuordnen2 (z.B. bei § 2315 BGB) bzw. nicht anzuordnen (z.B. bei § 2050 BGB), einen Testamentsvollstrecker zu ernennen3 (auch nur in Bezug auf den Erbteil des Verzichtenden4), eine Vollerbeinsetzung in eine Vor- oder Nacherbeinsetzung umzuwandeln usw. Zu beachten ist jedoch, dass die Vereinbarung eines solchen teilweisen Erbverzichts nicht zugleich die Anordnung der betreffenden Beschränkungen und Beschwerungen bewirkt. Als abstrakter Verfügungsvertrag rein negativen Inhalts vermag der Teilerbverzicht lediglich die erbrechtliche Stellung des Verzichtenden zu beschränken, nicht aber auch die Beschränkungen und Beschwerungen selber positiv anzuordnen, weil dies dem Typenzwang des Erbrechts widerspräche5. Der Erblasser muss solche Anordnungen vielmehr zusätzlich in einer entsprechenden Verfügung von Todes wegen treffen. c) Befristungen und Bedingungen, insbesondere der Verzicht zugunsten Dritter Der Erbverzicht lässt sich auch bedingt6 oder befristet7 vereinbaren. Die Bedingung kann sich sowohl aus den Auslegungsregeln des § 2350 Abs. 1 und 2 BGB8 als auch aus der Vereinbarung der Vertragsparteien ergeben. Die Wirksamkeit des Verzichts kann bspw. davon abhängig gemacht werden, dass der Verzichtende eine versprochene Abfindung erhält oder das Erbe bzw. ein Vermächtnis beim Erbfall einer ganz bestimmten Person zufällt. Durch die Befristung lässt sich der Erbverzicht zeitlich begrenzen, so dass der Verzichtende erst von einem bestimmten Zeitpunkt an Erbe wird oder seine Erbenstellung verliert. Termin bzw. Bedingung können noch nach dem Erbfall eintreten, weil – anders als bei schwebender Unwirksamkeit eines Erbverzichtsvertrags wegen im Zeitpunkt des Erbfalls noch fehlender familien- bzw. betreuungsgerichtlicher Genehmigung9 – keine unklaren erbrechtlichen Verhältnisse entstehen. Bei Termin und Bedingung gelangt man nämlich über §§ 2104, 2105 BGB zur Vor- und Nacherbfolge10: Ist im Zeitpunkt des Erbfalls eine aufschiebende Bedingung oder ein Anfangstermin noch nicht eingetreten, ist der Verzichtende Vorerbe, die durch seinen Wegfall Begünstigten sind Nacherben. Bei einem im Erbfall noch nicht eingetretenen Endtermin oder einer auflösenden Bedingung verhält es sich umgekehrt: Die Begünstigten sind Vorerben, und der Verzichtende ist Nacherbe. Tritt die Bedingung nicht ein – etwa weil eine andere Person Erbe oder Vermächtnisnehmer wird als diejenige, zu deren Gunsten der Verzicht erklärt worden ist –, ist der Erbverzichtsvertrag unwirksam11. Bei Anhaltspunkten für einen entsprechenden 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. RG v. 6.5.1909 – Rep. IV. 475/08, RGZ 71, 133 (136). BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. Coing, JZ 1960, 209 (211). Jackschath, MittRhNotK 1977, 117 (121). BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146); OLG Frankfurt v. 26.10.1951 – 6 W 1/51, DNotZ 1952, 488 (489); BayObLG v. 4.10.1957 – BReg. 1Z 147/57, BayObLGZ 1957, 292 (294). BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327); OLG München v. 14.5.2014 – 7 U 2983/13, BeckRS 2014, 10206. Die gesetzlichen Auslegungsregeln gelten nicht für alle Formen des Verzichts gleichermaßen. BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159. Nieder, Rz. 1143. S. statt vieler Staudinger/Schotten, § 2350 Rz. 16 m.w.N. Muscheler

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Willen der Vertragsparteien eröffnet sich jedoch die Möglichkeit, einen unwirksamen Erbverzicht i.S.d. § 2346 Abs. 1 BGB in einen isolierten Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB umzudeuten1. Die Unwirksamkeit eines zugunsten eines Pflichtteilsberechtigten abgeschlossenen Erbverzichtsvertrags bei Ausfall der Bedingung hat für diesen den unangenehmen Nebeneffekt, dass er nun doch nicht von der Pflichtteilsquotenerhöhung des § 2310 S. 2 BGB profitiert2. Es ist also nicht möglich, die begünstigende Wirkung des Erbverzichts zumindest für die Pflichtteilsquote des Dritten gem. § 2310 S. 2 BGB aufrechtzuerhalten3. (Zu den mit Bedingungen u.U. verknüpften Gefahren s. Rz. 155 ff.)

Beratungssituation: Der verzichtswillige Mandant möchte wissen, ob er durch einen Verzicht zugunsten eines Dritten bewirken kann, dass sein Erbteil ohne weiteres Zutun des Erblassers automatisch dem Dritten zufällt. 14

Unterfall eines bedingten Erbverzichts i.w.S. ist der Verzicht zugunsten eines Dritten (s. Rz. 21 ff., 67, 85). Unabhängig davon, ob die Bedingung vertraglich vereinbart oder gesetzlich vermutet wird, bewirkt der bedingte Erbverzicht nicht, dass die dem Verzichtenden verloren gegangene Rechtsstellung automatisch auf den Dritten übergeht4. Als erbrechtlicher Verfügungsvertrag rein negativen Inhalts löst er vielmehr lediglich die negative Wirkung aus, dass der Anfall der Erbschaft verhindert wird, und regelt damit ausschließlich das Verhältnis zwischen Erblasser und Verzichtendem.

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Die gegenteilige Ansicht5, nach der dem Begünstigten der Erbteil des Verzichtenden unverkürzt zufallen soll, überzeugt nicht. Dem relativen, also auf eine bestimmte Person bezogenen Erbverzicht – über den Fall der Anwachsung hinaus (s. hierzu Rz. 23) – eine übertragende Wirkung zuzuschreiben, widerspricht nicht nur dem Regelungsgehalt der grundsätzlichen Vorschrift des § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB, sondern auch der Gesetzessystematik6. Würde dem Begünstigten der volle Erbteil des Verzichtenden anwachsen, wäre er Zuwendungsempfänger aufgrund des Erbverzichtsvertrags, obwohl das Gesetz diesen gerade nicht als Verfügung von Todes wegen ausgestaltet hat. Bei bestehender Testierunfähigkeit könnte der Erblasser durch Abschluss eines Erbverzichtsvertrags – anders als bei Verfügungen von Todes wegen ist hierbei Vertretung möglich (vgl. Rz. 16) – eine Rechtsfolge (Begünstigung des Dritten) bewirken, die ihm nach den speziellen Regelungen des Testamentsrechts verwehrt bleibt. Es geht also nicht an, dem 1 BGH v. 17.10.2007 – IV ZR 266/06, MDR 2008, 87 = FamRZ 2008, 48 = NJW 2008, 298 (299). 2 OLG Düsseldorf v. 25.7.2008 – 7 U 22/06, ZEV 2008, 523 (524). 3 Im konkreten Fall des OLG Düsseldorf (Fn. 8) hat deswegen der zugunsten seines Bruders Verzichtende seinen aus der Unwirksamkeit des Erbverzichts resultierenden Pflichtteilsanspruch gegen den Alleinerben an den Bruder abgetreten. 4 Streitig; wie hier: KG v. 28.5.1925 – 1. ZS X 328/25, OLGE 46, 240; OLG München v. 9.6.1937 – Wx 175/37, JFG 15 (1937), 364 (365); OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203; MüKo.BGB/Strobel, § 2350 Rz. 9; Staudinger/Schotten, § 2350 Rz. 14; Soergel/Damrau, § 2350 Rz. 3; Nieder, Rz. 1147; Damrau, S. 38 f.; Kuchinke, FS Kralik, S. 451 (464); Lange/Kuchinke, § 7 III 1c (S. 179 f.); Muscheler, Erbrecht, Rz. 2380. 5 KG v. 12.2.1941 – 1 Wx 441/41, DNotZ 1942, 148 (149); AK/Teubner, § 2350 Rz. 9; RGRK/Johannsen, § 2350 Rz. 6; Erman/Simon, § 2350 Rz. 2. 6 Damrau, S. 38. 944

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Erbverzicht eine positive Übertragungswirkung zuzuschreiben, zumal Verfügungsgeschäfte zugunsten eines Dritten unzulässig sind1. Mag eine unmittelbare Übertragungswirkung auch der Interessenlage und dem mutmaßlichen Willen der Beteiligten entsprechen, so muss die Entscheidung über die Herbeiführung des Bedingungseintritts letztlich doch dem Erblasser obliegen. Wegen § 2302 BGB kann er nicht gezwungen sein, denjenigen zu begünstigen, zu dessen Gunsten verzichtet wird. Die Begründung einer solchen Bindung ist nur durch erbvertragliche Regelung möglich. Freilich kann im Erbverzichtsvertrag im Einzelfall gleichzeitig eine Erbeinsetzung des Begünstigten enthalten sein. Hierfür bedarf es allerdings nicht nur konkreter Anhaltspunkte im Vertrag selbst2, sondern zusätzlich der Beachtung der für Testament und Erbvertrag geltenden Vorschriften3. 4. Allgemeine Vorteile des Erbverzichts i.w.S. für den Erblasser Von allen Formen des Erbverzichts kommt dem (isolierten) Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) aus zwei Gründen die größte Bedeutung zu: – Für den Erblasser stellt der (isolierte) Pflichtteilsverzicht ein echtes Instrument der Nachfolgeplanung dar, durch den er uneingeschränkte Testierfreiheit erlangen kann. Anders als beim gesetzlichen Erbrecht, das durch Verfügung von Todes wegen ausgeschlossen werden kann, vermag der Erblasser einem Pflichtteilsberechtigten den Anspruch auf den Pflichtteil als Mindestteilhabe am Nachlass nicht einseitig zu entziehen. Erst durch einen (isolierten) Pflichtteilsverzicht gewinnt der Erblasser freie Hand für die von ihm gewünschten Vermögensdispositionen. Dieser Verzicht verschafft ihm die Freiheit, sein Vermögen (durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder durch Verfügung von Todes wegen) uneingeschränkt dem von ihm Auserwählten zukommen zu lassen. Er kann dafür Sorge tragen, dass – über die Möglichkeiten der HöfeO hinaus – landwirtschaftlicher Besitz oder ein Unternehmen in einer Hand bleibt, und dadurch die Gefahr einer etwaigen Vermögenszersplitterung – als Folge einer Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen – vermeiden. Ferner erhält der Erblasser die Gewissheit, dass derjenige, den er enterbt4 und der außerdem auf das Pflichtteilsrecht verzichtet hat, komplett und endgültig aus der Erbfolge ausscheidet. – Sind weitere Pflichtteilsberechtigte vorhanden, verringert sich durch den (isolierten) Pflichtteilsverzicht die Pflichtteilslast des/der Erben5. Dies ergibt sich daraus, dass es beim (isolierten) Pflichtteilsverzicht – anders als bei einem Ausschluss vom Pflichtteilsrecht infolge des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht gem. § 2346 Abs. 1 BGB – nicht zu einer Erhöhung der Pflichtteilsquoten gem. § 2310 S. 2 BGB kommt, die der Erblasser meist ebenso wenig wie eine gleich bleibende Pflichtteilslast wünscht (Näheres hierzu Rz. 30 f.). 1 2 3 4

So Rspr. und h.L., vgl. nur Palandt/Grüneberg, Einf v § 328 Rz. 8 f. m.N. Vgl. Soergel/Damrau, § 2350 Rz. 4. OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. Die zusätzliche Enterbung ist notwendig, weil der (isolierte) Pflichtteilsverzicht keinen Einfluss auf das gesetzliche Erbrecht hat. 5 Erfolgt der Verzicht von Seiten eines Abkömmlings oder Seitenverwandten des Erblassers, gilt dies freilich nur, wenn die Wirkung des § 2349 BGB (Erstreckung des Verzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden) nicht abbedungen wird. Muscheler

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Die eigentliche Bedeutung des Erbverzichts i.e.S. liegt darin, dass dieses Institut auch demjenigen Erblasser eine Erbfolgeregelung ermöglicht, der nicht oder nicht mehr in der Lage ist, eine Enterbung oder den Widerruf einer letztwilligen Zuwendung auszusprechen. Zu einer Enterbung ist der Erblasser nicht in der Lage, wenn er testierunfähig, d.h. testiergeschäftsunfähig (§ 2229 Abs. 4 BGB) oder noch nicht 16 Jahre alt (§ 2229 Abs. 1 BGB) ist. Jede Form der Vertretung ist ausgeschlossen, weil das Testament gem. § 2064 BGB nur höchstpersönlich errichtet werden kann. Beim Abschluss eines Erbverzichtsvertrags kann der testierunfähige Erblasser demgegenüber durch seinen gesetzlichen Vertreter vertreten werden (§ 2347 Abs. 2 S. 2 BGB), was seine Möglichkeiten, auf die Erbfolgeregelung Einfluss zu nehmen, erweitert (zur etwaigen Notwendigkeit einer familienbzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung Rz. 150 f.).

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Hauptanwendungsbereiche des Verzichts auf eine Zuwendung sind einmal die nach Errichtung der begünstigenden Verfügung eingetretene Testierunfähigkeit des Erblassers, zum anderen die Gebundenheit des Erblassers an in einem Erbvertrag oder einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen. Darüber hinaus ist der Zuwendungsverzicht zu Lebzeiten des Erbvertragspartners in den Fällen von Bedeutung, in denen dieser zur Aufhebung des Erbvertrags nicht bereit ist und kein Grund zum einseitigen Rücktritt vom Vertrag gem. §§ 2294 f. BGB vorliegt oder der Erblasser nicht riskieren will, dass der Vertragspartner seine eigene Verfügung nicht aufrechterhält (Näheres hierzu Rz. 90 ff.). 5. Anwendbare Vorschriften

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Auf den Erbverzicht als verfügenden Vertrag unter Lebenden sind die Vorschriften des Allgemeinen Teils über Rechtsgeschäfte, Willenserklärungen und Verträge anwendbar, soweit sich nicht aus der erbrechtlichen Natur des Erbverzichts und den zwingenden Vorschriften der §§ 2346 bis 2352 BGB etwas anderes ergibt1. So richtet sich etwa die Auslegung des Verzichtsvertrags nach den §§ 133, 157, 242 BGB, doch sind besondere Auslegungsregeln in § 2350 BGB zu beachten. Willensmängel beurteilen sich nach §§ 116 ff. BGB, so dass ein Motivirrtum i.S.d. §§ 2078 Abs. 2, 2281 BGB unbeachtlich ist. Die Frage einer teilweisen Nichtigkeit richtet sich nach § 139 BGB (nicht nach § 2085 BGB).

II. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB) 1. Allgemeines a) Vertragspartner des Erblassers 19

Den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht können Verwandte und der Ehegatte des Erblassers leisten (§ 2346 Abs. 1 S. 1 BGB). Ob der Verwandte im Erbfall tatsächlich der Nächstberufene zur gesetzlichen Erbfolge wäre, ist unerheblich. Daher können z.B. auch Abkömmlinge von Abkömmlingen des Erblassers zu Lebzeiten ihrer Eltern einen Verzichtsvertrag mit dem Erblasser schließen, obwohl sie im Erbfall gem. § 1924 Abs. 2 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen wären. Dies ergibt sich daraus, dass selbst dem Verlobten der Verzicht gestattet ist (vgl. § 2347 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB), obgleich vor der Eheschließung noch nicht ein1 Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 21. 946

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mal eine Aussicht auf ein gesetzliches Erbrecht besteht. Entsprechend ist schon vor der Adoption der Erbverzicht sowohl des Adoptierenden als auch des Angenommenen möglich1. b) Gegenstand des Erbverzichts i.e.S. Wenn nichts anderes vereinbart ist, umfasst der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht automatisch auch das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB). Er kann aber auch unter Vorbehalt des Pflichtteils vereinbart werden. Sinnvoll ist letzteres jedoch nur dann, wenn der Erblasser eine zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehörende Person ausschließlich von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen und ihr den Pflichtteil belassen will und er nicht in der Lage ist, diesem Ziel entsprechend zu verfügen, oder wenn er auf diese Weise sein Einvernehmen mit dem von der gesetzlichen Erbfolge Auszuschließenden dokumentieren möchte (vgl. Rz. 57).

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c) Der Verzicht zugunsten eines anderen, insbesondere beim Verzicht eines Abkömmlings Beim Verzicht eines Abkömmlings auf sein gesetzliches Erbrecht besteht – sofern der Verzichtsvertrag keine anders lautende Bestimmung enthält – eine gesetzliche Vermutung dafür, dass der Verzicht nur zugunsten der anderen Abkömmlinge und des Ehegatten des Erblassers erfolgt (§ 2350 Abs. 2 BGB). Zweck dieser Regelung ist es, die unbeabsichtigte Begünstigung entfernterer Verwandter des Erblassers zu verhindern2. Ein Erbverzichtsvertrag, bei dem die gesetzliche Vermutung des § 2350 Abs. 2 BGB eingreift, steht unter der auflösenden Bedingung, dass zumindest einer der Abkömmlinge des Erblassers oder dessen Ehegatte Erbe wird. Tritt diese Bedingung nicht ein, ist der Erbverzicht unwirksam, sofern nicht ein entgegenstehender Wille der Vertragschließenden anzunehmen ist.

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Vorstehendes gilt allgemein, wenn der Verzicht „zugunsten eines anderen“ erfolgt (§ 2350 Abs. 1 BGB). Auch hier steht der Verzicht unter der auflösenden Bedingung, dass der andere tatsächlich Erbe wird.

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Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, was geschieht, wenn derjenige, zu dessen Gunsten der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht erfolgt ist, nur teilweise von seinem Verzicht profitiert. Tritt die Bedingung nur teilweise ein, so soll der Erbverzicht – sofern man ihm wie nach der hier vertretenen Auffassung keine unmittelbare Übertragungswirkung zuschreibt (s. Rz. 14) – teils wirksam und teils unwirksam sein3. In einer Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahre 1925 ist § 2350 Abs. 1 BGB, nach dem im Zweifel anzunehmen ist, der Verzicht solle „nur für den Fall“ gelten, dass der Begünstigte Erbe wird, dahin ausgelegt worden, dass er dem Ver1 OLG Hamm v. 17.9.1951 – 7 W 325/51, RPfleger 1952, 89; Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 6. 2 Jackschath, MittRhNotK 1977, 117 (118 f.). Aus der Rspr. etwa OLG Hamm v. 2.12. 2011 – I-15 W 630/10, MittBayNot 2013, 65 (67) m. Anm. Kornexl. 3 KG v. 28.5.1925 – 1. ZS X 328/25, OLGE 46, 240 (241); OLG München v. 9.6.1937 – Wx. 175/37, JFG 15 (1937), 364 (366). Muscheler

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zicht nur „insoweit“ die Wirkung entziehen wolle, als er – bei Anwendung des § 2346 BGB – nicht zum Vorteil desjenigen gereiche, dem er nutzen soll1. Das hat zur Folge, dass der zu begünstigende Dritte den Anteil des Verzichtenden zur Quote erhält, auch wenn der Verzicht unter der Bedingung erklärt ist, dass der Anteil des Verzichtenden dem zu begünstigenden Dritten in vollem Umfang zugutekommt. Insoweit bleibt der Erbverzicht also wirksam, obgleich die Bedingung nicht voll eingetreten ist. Der übrige Anteil verbleibt dem Verzichtenden. Beispiel 1:2 Die Eheleute M und F schließen mit ihren Kindern einen Vertrag, in dem diese auf jedes Erbrecht am Nachlass des zuerst versterbenden Elternteils verzichten. Eine Verfügung von Todes wegen errichten M und F nicht. Nach dem Tod der F, die noch Geschwister hat, beantragt M beim Nachlassgericht einen Erbschein über sein alleiniges Erbrecht. Der Verzicht der Kinder schließt gem. § 2349 BGB zwar (grundsätzlich) auch deren Abkömmlinge ein, wirkt aber nicht zulasten der Erbberechtigten einer höheren Ordnung. Bei gesetzlicher Erbfolge und der Annahme eines Vollverzichts der Kinder wären daher die Geschwister der F neben M getreten. Nach Ansicht des OLG München ergab sich jedoch – selbst ohne Zuhilfenahme der Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB – unter anderem aus dem Zweck des Vertrages, dass der Verzicht nur dem überlebenden Ehegatten, nicht aber den gesetzlichen Erben zweiter Ordnung zugutekommen sollte. Demnach hat das Gericht ausgeführt, der Verzicht der Kinder sei gem. § 2350 Abs. 1 BGB insoweit unwirksam, als er den Anfall der Erbschaft an die Geschwister der F zur Folge hätte. Insoweit blieben also die Kinder neben M erbberechtigt. Beispiel 2:3 Der Erblasser E hat drei Kinder (K1, K2, K3). E und K1 schließen einen Erbverzichtsvertrag i.e.S. zugunsten des K2. E verstirbt, ohne eine Verfügung von Todes wegen errichtet zu haben, durch die der begünstigte K2 zu 2/ 3 Anteil zum Erben berufen wird. Bei gesetzlicher Erbfolge und Nichtvorhandensein eines Erbverzichts wäre jedes der Kinder zu 1/ 3 zur Erbschaft berufen. Da dem relativen Erbverzicht nach zutreffender Auffassung keine unmittelbar übertragende Wirkung zukommt (s. Rz. 14 f.), hätte die gesetzliche Erbfolge ohne Berücksichtigung des verzichtenden K1 zu einer Erbquote von je 1/ 2 für K2 und K3 geführt. Die im Verzicht des K1 enthaltene Bedingung, dass K2 den Anteil des K1 erhält, wäre damit nur zur Hälfte eingetreten. Aus diesem Grund ist der Erbverzicht des K1 lediglich zur Hälfte wirksam, zur anderen Hälfte aber unwirksam. Der Anteil, auf den K1 verzichtet hat, fällt K2 daher nur zur Hälfte zu, die andere Hälfte bleibt K1 erhalten. Folglich ist K1 zu 1/ 6, K2 zu 1/ 2 und K3 zu 1/ 3 als Erbe berufen. Wer dem Erbverzicht dagegen eine Übertragungswirkung zubilligt, kommt zu dem Ergebnis, dass die Erbschaft zu 2/ 3 K2 und zu 1/ 3 K3 zufällt.

2. Wirkungen a) Allgemeine Wirkungen aa) Wegfall des Verzichtenden 24

Gem. § 2346 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB ist der auf das gesetzliche Erbrecht Verzichtende von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr gelebt hätte. Für die Beurteilung der gesetzlichen Erbfolge gilt der Verzichtende also als vor dem Erbfall verstorben, was zu einer unmittel1 KG v. 28.5.1925 – 1. ZS X 328/25, OLGE 46, 240 (241). 2 Beispiel aus OLG München v. 9.6.1937 – Wx 175/37, JFG 15 (1937), 364 f. 3 Beispiel von Soergel/Damrau, § 2350 Rz. 3. 948

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baren Änderung der Erbfolge führt. Im Hinblick auf die gesetzliche Erbfolge wirkt sich der Verzicht damit genauso aus wie eine Enterbung (§ 1938 BGB), eine Ausschlagung (§ 1953 BGB) oder eine Erbunwürdigkeitserklärung (§ 2344 BGB). Der Anspruch auf den Pflichtteil bleibt bei der Enterbung jedoch unberührt, wohingegen der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht regelmäßig den Verzicht auf den Pflichtteil beinhaltet (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB). Zu beachten ist, dass sich der Wegfall des Verzichtenden immer nur auf den Erbfall derjenigen Person bezieht, mit der der Verzichtende den Verzichtsvertrag abgeschlossen hat. Ein allgemeiner Verzichtsvertrag, der den Verzichtenden in allen Erbfällen, die einen Bezug zu dem Vertragspartner aufweisen (etwa § 1925 Abs. 1 und 3 oder § 1926 Abs. 1, 3 und 4 BGB), ausschließt, ist nicht möglich.

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Beispiel:1 V schließt mit seinen Kindern aus erster Ehe einen Erbverzichtsvertrag und wird nach seinem Tod von seiner zweiten Ehefrau und seinem Sohn S aus zweiter Ehe beerbt. Kurz darauf verstirbt S. Der zwischen V und seinen Kindern aus erster Ehe geschlossene Erbverzichtsvertrag vermag nicht zu verhindern, dass ein Teil des väterlichen Vermögens den Kindern aus erster Ehe – im Erbgang nach S gem. § 1925 Abs. 1 BGB – zufällt.

Beachte: Da der uneingeschränkte Erbverzicht sowohl die Erbenstellung wie auch die Pflichtteilsberechtigung beseitigt, schließt er auch Abfindungs- und Nachabfindungsansprüche nach §§ 12, 13 HöfeO aus2.

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bb) Erstreckung des Verzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden Leistet ein Abkömmling oder Seitenverwandter des Erblassers einen Erbverzicht, erstreckt sich dieser – sofern der Verzichtsvertrag keine anders lautende Regelung enthält – von Gesetzes wegen auf die Abkömmlinge des Verzichtenden (§ 2349 BGB). Dies rechtfertigt sich dadurch, dass der Erbverzicht häufig mit einer Abfindung verbunden ist, die letztlich dem Stamm des Verzichtenden zugutekommt3. Freilich tritt die Erstreckungswirkung auch ein, wenn im Einzelfall keine Abfindung gezahlt wurde4.

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cc) Auswirkungen auf das gesetzliche Erbrecht Dritter Der Wegfall der Verzichtenden wirkt sich regelmäßig auf das gesetzliche Erbrecht Dritter aus. Durch den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht (einschließlich des Pflichtteilsrechts)5 können sich entweder die Erbquoten derjenigen er1 Beispiel nach OLG Frankfurt v. 27.7.1995 – 20 W 319/95, FamRZ 1995, 1450; ähnlich: BayObLG v. 17.2.2005 – 1Z BR 115/04, ZErb 2005, 188 (189) = FamRZ 2005, 1781 (1782). 2 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = FamRZ 1997, 287; zust. Edenfeld, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 = ZEV 1997, 70 (71). 3 Vgl. nur OLG Stuttgart v. 9.12.1957 – 8 W 329/57, NJW 1958, 347 (348); Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 3. 4 Ganz h.M., vgl. nur Baumgärtel, DNotZ 1959, 63 (64). 5 Nachstehendes gilt nicht, wenn der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht unter Vorbehalt des Pflichtteils erfolgt ist. § 2310 S. 2 BGB findet keine Anwendung, da die Pflichtteilsquote des Verzichtenden sonst nicht berechenbar wäre. Vgl. Staudinger/ Haas, § 2310 Rz. 17. Muscheler

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B XV

Rz. 28a

Erbverzicht

höhen, die neben dem Verzichtenden zu gesetzlichen (Mit-)Erben berufen gewesen wären1, oder es kann ein gesetzliches Erbrecht erst begründet werden. Die erste Möglichkeit tritt regelmäßig ein, wenn der Verzicht durch einen Abkömmling oder Seitenverwandten des Erblassers erfolgt und der Verzichtende selbst Abkömmlinge hat (die gem. § 2349 BGB ebenfalls erfasst sind). Beispiel 1: Erblasser E lebt mit Ehefrau G im Güterstand der Gütertrennung. Aus der Ehe stammen zwei Kinder (K1 und K2). K1 hat selbst zwei Kinder (A1 und A2). Im Erbfall wären G, K1 und K2 zu je 1/ 3 zur gesetzlichen Erbfolge berufen (§ 1931 Abs. 4, 1. Hs. BGB). Hat K1 jedoch auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet, ohne die Wirkung des § 2349 BGB abzubedingen, erhöhen sich die Erbquoten von G und K2 um jeweils 1/ 6. Beispiel 2: (wie Beispiel 1, jedoch:) E lebt mit G im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Im Erbfall wären G zu 1/ 2 (§§ 1931 Abs. 1 S. 1, 1371 Abs. 1 BGB) sowie K1 und K2 zu je 1/4 zur Erbfolge berufen. Durch den Verzicht des K1 erhöht sich ausschließlich die Erbquote von K2 um das 1/4 des K1. Für G bleibt es bei der Quote von 1/ 2.

28a

Wenn der Verzichtende zugunsten seiner Abkömmlinge die Wirkung des § 2349 BGB vertraglich abbedungen hat, wird das gesetzliche Erbrecht durch den Verzicht erst begründet. Die Abkömmlinge des Verzichtenden treten dann an die Stelle des Verzichtenden und werden die Nächstberufenen zur gesetzlichen Erbfolge. Die Erbquote derjenigen, die ohnehin gesetzliche Erben des Erblassers geworden wären, bleibt gleich. Beispiel 3: K1 hat in den Beispielsfällen 1 und 2 – entgegen der Vermutung des § 2349 BGB – ohne Wirkung für seine Abkömmlinge verzichtet. Aufgrund des Verzichts treten A1 und A2 – die ohne den Verzicht gem. § 1924 Abs. 2 BGB nicht zur Erbfolge berufen gewesen wären – an die Stelle ihres Vaters K1. Im Beispiel 1 erhalten sie jeweils 1/ 6, im Beispiel 2 jeweils 1/ 8.

29

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB. Der Verzicht eines Abkömmlings des Erblassers soll im Zweifel nur zugunsten der anderen Abkömmlinge und des Ehegatten des Erblassers gelten. Wird durch den Erbverzicht eines Abkömmlings also ein gesetzliches Erbrecht der gesetzlichen Erben zweiter (oder einer noch entfernteren) Ordnung (§§ 1925, 1926, 1928, 1929 BGB) begründet, ist der Erbverzicht bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge im Zweifel unwirksam (vgl. Rz. 21). Dem Verzichtenden bleibt damit das gesetzliche Erbrecht erhalten2. dd) Auswirkungen auf das Pflichtteilsrecht Dritter

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Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht wirkt sich auch aus, wenn es im Erbfall – aufgrund einer anderweitigen Verfügung des Erblassers – nicht zur gesetzlichen Erbfolge kommt. Ist im Erbfall überhaupt noch irgendeine Person pflicht1 Eine Ausnahme besteht für den Ehegatten, bei dem eine Erhöhung vom Güterstand abhängig ist, s. nachfolgende Beispiele. 2 Staudinger/Haas, § 2309 Rz. 10; Muscheler, Erbrecht, Rz. 2396. 950

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 32

B XV

teilsberechtigt, bewirkt ein Erbverzicht i.e.S. die Erhöhung ihrer Pflichtteilsquote. Dies liegt daran, dass derjenige, der durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist, bei der Feststellung des für die Berechnung des Pflichtteils maßgebenden Erbteils nicht mitgezählt wird (§ 2310 S. 2 BGB). Die Erhöhung der Pflichtteilsquoten soll einen Ausgleich für die bei einem Erbverzicht regelmäßig gezahlte Abfindung bieten, die ja ihrerseits zu einer Schmälerung des Erblasservermögens geführt hat1. Dem Gesetzgeber war – vor allem zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten2 – daran gelegen, Streitigkeiten über die Höhe etwaiger Abfindungen zu verhindern3, so dass die Zählregel der Einfachheit halber selbst dann anzuwenden ist, wenn der Verzichtende keine Abfindung erhalten hat4. Vor allem in dem Fall, dass keine Abfindung gezahlt wird, verschafft § 2310 S. 2 BGB einem Pflichtteilsberechtigten also „unverdiente“ Vorteile. Im Ergebnis erhält er nämlich aus dem ungekürzten Nachlass einen Pflichtteil, der um die Quote des Weggefallenen erhöht ist. Für den Erben, der gem. § 1967 BGB für Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten haftet, spielt daher ein etwaiger Erbverzicht i.e.S. keine Rolle. Die Höhe seiner Pflichtteilslast bleibt – unabhängig davon, wie viele Personen einen Erbverzicht i.e.S. erklärt haben – immer gleich, solange noch mindestens ein Pflichtteilsanspruch zu erfüllen ist5.

31

Beispiel 4: [wie Beispiel 2 (Rz. 28), jedoch:] E hat A1 testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt. Auf den Pflichtteil der G hat der Erbverzicht des K1 keinen Einfluss. Ihr Pflichtteil beträgt – unabhängig vom Verzicht des K1 – 1/ 8 (beachte § 1371 Abs. 2 BGB). Auf die Pflichtteilsquote von K2 wirkt sich ein Erbverzicht des K1 dagegen aus. Wäre dieser neben K2 pflichtteilsberechtigt, betrüge die Quote der Brüder jeweils 3/ 16 . Durch den Verzicht des K1 erhöht sich die Quote des K2 auf 6/ 16 . Die Pflichtteilslast des Erben A1 ist folglich in beiden Fällen gleich hoch.

(1) Einschränkung der Pflichtteilsberechtigung Dritter gem. § 2309 BGB In Ansehung des Pflichtteilsrechts Dritter ist vor allem § 2309 BGB zu beachten, der das Rangverhältnis mehrerer pflichtteilsberechtigter Personen regelt. Nach dieser Vorschrift sind entferntere Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers insoweit nicht pflichtteilsberechtigt, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Da derjenige den Pflichtteil nicht mehr verlangen kann, der uneingeschränkt auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet hat, vermag ein naher Pflichtteilsberechtigter, der einen Erbverzicht i.e.S. geleistet hat, einen entfernter Berechtigten nicht mehr zu verdrängen. Erstreckt sich die Wirkung seines Erbverzichts auch auf seine Abkömmlinge, weil die Wirkung des § 2349 BGB nicht abbedungen wurde, besteht damit nach nahezu einhelliger Auffassung in der Literatur (z.B.) die Möglichkeit, dass die abstrakt zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählenden Eltern des Erblassers – als nunmehr 1 OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 (3644) m.w.N. = ZEV 2000, 277 m. Anm. Rheinbay. 2 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2057). 3 Mot. V, S. 404. 4 Prot. V, S. 611 ff. 5 Rheinbay, S. 120. Muscheler

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B XV

Rz. 33

Erbverzicht

Nächstberufene zur gesetzlichen Erbfolge – aktuell pflichtteilsberechtigt werden1 (§ 2303 BGB). Dabei darf allerdings die Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB (s. Rz. 29) nicht eingreifen, denn anderenfalls versperrt der Verzichtende – da ihm sein gesetzliches Erbrecht erhalten bleibt – das Pflichtteilsrecht der entfernteren Verwandten nach §§ 1924, 1930 BGB2. 33

Zu beachten ist, dass die Pflichtteilsberechtigung der nachgerückten entfernteren Verwandten nach dem Wortlaut des § 2309 BGB „insoweit“ nicht besteht, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde3, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Im Fall des uneingeschränkten Erbverzichts kann die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter damit nur eingeschränkt sein, wenn der Verzichtende „das ihm Hinterlassene“ annimmt. Es stellt sich in einem solchen Fall die Frage, was im Rahmen eines Verzichts „hinterlassen“ ist.

34

Die für den Erbverzicht lebzeitig geleistete Abfindung ist – nach zwar strittiger, aber richtiger Auffassung – „hinterlassen“ i.S.d. § 2309 BGB4. Unabhängig davon, ob der Erbverzicht ohne oder mit Abfindung erklärt wurde, ist einem Abkömmling ferner jedenfalls dasjenige „hinterlassen“, was ihm – vor Abschluss des Erbverzichtsvertrags – unter Anordnung einer Anrechnungs- oder Ausgleichungspflicht zugewendet worden ist. Sowohl ein nachrückender Abkömmling als auch die Eltern des Erblassers haben sich solche lebzeitigen Zuwendungen auf ihre Pflichtteilsberechtigung anrechnen zu lassen5, weil zwischen derartigen 1 MüKo.BGB/Lange, § 2309 Rz. 8; Lange/Kuchinke, § 37 IV 2a (S. 874); RGRK/Johannsen, § 2309 Rz. 11; Bestelmeyer, FamRZ 1997, 1124 (1128); a.A. Soergel/Dieckmann, § 2309 Rz. 23, der nachstehend Berechtigte schon deshalb nicht für pflichtteilsberechtigt hält, weil der nähere Abkömmling wegen des im uneingeschränkten Erbverzicht enthaltenen Pflichtteilsverzichts einem Pflichtteilsberechtigten gleichstehe, der einen Pflichtteilsanspruch habe, ihn aber nicht geltend mache. 2 Staudinger/Haas, § 2309 Rz. 10. 3 Die Fiktion des § 2346 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB steht dem Vorrang des näheren Abkömmlings im Rahmen der von § 2309 BGB geforderten fiktiven gesetzlichen Erbfolge nicht entgegen. Die Rangfolge der hypothetischen gesetzlichen Erben bestimmt sich nicht nach den konkreten Umständen im jeweiligen Erbfall, sondern abstrakt nach den §§ 1924 ff. BGB; RG v. 6.6.1918 – Rep. IV 114/18, RGZ 93, 193 (194 f.); BGH v. 13.4.2011 – IV ZR 204/09, BGHZ 189, 171 Rz. 36; BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (475). Ist die Erstreckung des Erbverzichts eines Abkömmlings auf dessen Abkömmlinge abbedungen (§ 2349 Hs. 2 BGB), kann § 2309 2. Alt. BGB also grundsätzlich eingreifen. Zu prüfen ist dann nur noch, ob der nähere Abkömmling ein ihm „Hinterlassenes“ annimmt. 4 A.A. etwa Strohal, I § 50 III 1 (S. 429 f.), mit der Begründung, ein Abkömmling, der nicht bloß auf das Pflichtteilsrecht, sondern auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet habe, komme als ein Abkömmling, der entferntere Verwandte „im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde“, nicht mehr in Betracht. Anders auch für den Sonderfall, dass der nähere (durch Erbverzicht ausgeschlossene) und der entferntere Abkömmling demselben, und zwar dem einzigen Stamm gesetzlicher Erben angehören, BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (476). 5 RGRK/Johannsen, § 2315 Rz. 17, 21, 23. Auch hier wieder anders für den Sonderfall, dass näherer (verzichtender) und entfernterer Abkömmling dem einzigen Stamm angehören, BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (476). 952

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 36

B XV

Vorausgewährungen und dem späteren Erbfall ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Vorausgewährungen dem Pflichtteil gleichzustellen sind1. Zuwendungen, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Erbverzicht stehen, können die Pflichtteilsberechtigung der nachgerückten Verwandten dagegen grundsätzlich nicht beeinflussen, und zwar unabhängig davon, ob die Zuwendung aus einer Verfügung von Todes wegen herrührt oder als Schenkung unter Lebenden gewährt wird.

35

Beratungssituation: Der verheiratete Erblasser hat mit seinem einzigen Kind einen Erbverzichtsvertrag i.e.S. geschlossen. Die Wirkung des § 2349 BGB ist nicht abbedungen worden. Dem Vertrag lässt sich entnehmen, dass der Verzicht – entgegen der Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB – in jedem Fall wirksam sein soll. Der Erblasser möchte wissen, ob die durch den Verzicht seines Abkömmlings ausgelöste Pflichtteilsberechtigung seiner Eltern erhalten bleibt, wenn er seinen Abkömmling – trotz Erbverzichts – zum testamentarischen Erben bestimmt. Was der Verzichtende aus einer Verfügung von Todes wegen erhält, schränkt die Pflichtteilsberechtigung nachgerückter Personen nur ein, wenn das Zugewendete – nach dem zugrunde liegenden Kausalgeschäft (s. Rz. 116 ff.) – Gegenleistung für den Erbverzicht ist2. Ein als Abfindung ausgesetztes Vermächtnis zugunsten des Verzichtenden führt daher ohne weiteres zu einer eingeschränkten Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter.

35a

Zuwendungen von Todes wegen schränken die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter dagegen nicht ein, wenn sie nicht Abfindung für den Erbverzicht sind. Dies ergibt sich daraus, dass der Abkömmling, der – ohne entsprechende Gegenleistung – auf das Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet hat, entferntere Verwandte, die er im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hätte, infolge des Verzichts nicht ausschließt3. Soweit in der Kommentarliteratur Kipp/Coing und Dieckmann als Vertreter einer Ansicht4 zitiert werden, nach der sich der entferntere Verwandte alles anrechnen lassen muss, was dem verzichtenden Abkömmling von Todes wegen zugewendet wurde, werden die Ausführungen der Autoren unvollständig wiedergegeben. Kipp/Coing bejahen – im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung – eine Anrechnungspflicht zu Recht nur für den Fall, dass die Zuwendung von Todes wegen eine Abfindungsleistung darstellt5. Dieckmann tendiert ebenfalls hierzu, lässt die Frage aber offen6. Nach der hier vertretenen Auffassung hat der Erblasser damit nicht die Möglichkeit, die durch Erbverzicht begründete Anwartschaft der entfernteren pflichtteilsberechtigten Verwandten auf den Pflichtteil (ganz oder teilweise) wie-

36

1 Staudinger/Haas, § 2309 Rz. 23. 2 Kipp/Coing, § 9 I 1d (S. 58); Soergel/Dieckmann, § 2309 Rz. 24; zur gebotenen Einschränkung bei nur einem Stamm BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (476). 3 MüKo.BGB/Frank (3. Aufl.), § 2309 Rz. 14. 4 Auch Staudinger/Ferid/Cieslar (12. Aufl.), § 2309 Rz. 51 mit nicht nachvollziehbarem Argument. 5 Kipp/Coing, § 9 I 1d (S. 58). 6 Soergel/Dieckmann, § 2309 Rz. 24. Muscheler

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B XV

Rz. 37

Erbverzicht

der zu entziehen1. Für den obigen Beratungsfall bedeutet dies: Die Bestimmung des Verzichtenden zum testamentarischen Erben vermag die Pflichtteilsberechtigung der entfernteren Verwandten weder auszuschließen noch einzuschränken. Die ein anderes Ergebnis rechtfertigende Annahme, die testamentarische Erbeinsetzung sei Abfindung für den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht, wäre rein theoretisch. 37

Im Ergebnis stimmt mit den vorstehenden Ausführungen überein eine – in der Literatur heftig kritisierte2 – Entscheidung des OLG Celle3 zu den Auswirkungen eines entgeltlichen Erbverzichts, erklärt durch den bzw. die Erben erster Ordnung, auf den Pflichtteilsanspruch von Erben zweiter Ordnung. Das OLG hat die den pflichtteilsberechtigten Abkömmlingen für einen Erbverzicht gemachten lebzeitigen Zuwendungen eines Erblassers als das „Hinterlassene“ i.S.d. § 2309 BGB angesehen und sie auf den Pflichtteilsanspruch desjenigen angerechnet, dem der Erbverzicht pflichtteilsrechtlich zugutekommt. Beispiel 5:4 Erblasser E lebt mit Ehefrau F, die er testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzt hat, im Güterstand der Gütertrennung. Die einzigen Abkömmlinge des E, zwei Töchter aus erster Ehe, haben uneingeschränkt auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtet und sich hierfür je 50 000 DM auszahlen sowie je einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück und an Wohnungseigentum übertragen lassen. Nach dem Tod des E verlangt dessen noch lebende Mutter M von F den Pflichtteil.

37a

Bei gesetzlicher Erbfolge wären M und F gem. §§ 1931 Abs. 1 S. 1, 1925 Abs. 3, 1930 BGB zu je 1/ 2 als Erben berufen gewesen, da die Abkömmlinge des E infolge ihres Erbverzichts i.e.S. von der Erbfolge ausgeschlossen waren (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB). Weil E die F testamentarisch zu seiner Alleinerbin eingesetzt und damit zugleich die M durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen hat, wäre diese nach § 2303 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich pflichtteilsberechtigt. § 2309 BGB bestimmt jedoch, dass entferntere Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers insoweit nicht pflichtteilsberechtigt sind, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Das OLG Celle hat die lebzeitige Zuwendung des E an seine Abkömmlinge als „hinterlassen“ i.S.d. § 2309 BGB betrachtet und einen Pflichtteilsanspruch der M verneint. Der Zweck des § 2309 BGB liege darin, die Vervielfältigung der Pflichtteilslast zu verhindern und allen Pflichtteilsberechtigten zusammen höchstens die Hälfte dessen zukommen zu lassen, was ihnen bei gesetzlicher Erbfolge zufiele. Müsse sich der nachrückende Pflichtteilsberechtigte die – an ihm im Rang vorgehende Berechtigte – erfolgten Zuwendungen nicht anrechnen lassen und könne er deshalb seinerseits den vollen Pflichtteil verlangen, wäre aus dem Erb1 So auch Planck/Greiff, § 2309 Anm. II 1 und jedenfalls für den Sonderfall, dass nur ein Stamm existiert, (sonst offen) BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474 (476). 2 Mayer, Anm. zu OLG Celle v. 15.1.1998 – 22 W 115/97, FamRZ 1998, 774 = ZEV 1998, 433 f.; Pentz, NJW 1999, 1835 ff. 3 OLG Celle v. 15.1.1998 – 22 W 115/97, FamRZ 1998, 774 = NJW 1999, 1874 f.; wohl auch Soergel/Dieckmann, § 2309 Rz. 24. 4 Sachverhalt nach OLG Celle v. 15.1.1998 – 22 W 115/97, FamRZ 1998, 774 = NJW 1999, 1874. 954

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 38

B XV

lasservermögen zur Abtragung der Pflichtteilslast im Ergebnis mehr aufgebracht als nur die Hälfte dessen, was bei gesetzlicher Erbfolge auf die Pflichtteilsberechtigten zusammen entfiele. Dies sei nicht hinnehmbar, weil es dem Erblasser schließlich auch möglich sei, Pflichtteilsansprüche seiner Eltern dadurch abzuwehren, dass er seinen Abkömmlingen zu Lebzeiten unter Anordnung einer Anrechnungspflicht (§ 2315 Abs. 1 BGB) Zuwendungen macht, die den Wert ihrer Pflichtteilsansprüche erreichen, oder ihnen – falls sie die Zuwendung ablehnen – von Todes wegen nicht mehr als den Pflichtteil überlässt. Es sei nicht einzusehen, weshalb diese Möglichkeit nicht bestehen solle, wenn die lebzeitige Zuwendung statt mit einer Anrechnungsbestimmung mit einem Erbverzicht i.e.S. verknüpft werde. In der Praxis bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung auf die gegen die Entscheidung vorgebrachten entstehungsgeschichtlichen, grammatischen und teleologischen Argumente reagieren wird. Zuwendungen des Erblassers an den Verzichtenden Zuwendung durch Verfügung von Todes wegen, die als Gegenleistung für den Erbverzicht zu verstehen ist Zuwendung durch Verfügung von Todes wegen ohne sachlichen Zusammenhang zum Erbverzicht

Reduzierung des Pflichtteils nach § 2309 BGB ja nein (s. Beispiel Beratungssituation Rz. 35)

Zuwendung unter Lebenden, als Abfindung für den Erbverzicht

ja (ebenso OLG Celle)

Zuwendung unter Lebenden vor dem Erbverzicht, unter Anordnung einer Anrechnungspflicht für den Pflichtteil

ja

Zuwendung unter Lebenden, die weder Entgelt für den Erbverzicht noch mit einer Anrechnungsanordnung nach § 2315 BGB verbunden ist

37b

nein

Beachte: Mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung sollte man nicht darauf vertrauen, dass lebzeitige Zuwendungen, die der Erblasser dem Abkömmling für dessen Erbverzicht macht, als „hinterlassen“ i.S.d. § 2309 BGB angesehen werden und die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter insoweit eingeschränkt wird. (2) Einschränkung des Pflichtteilsrechts Dritter gegenüber dem Verzichtenden bei gewährter Abfindung Wie unter Rz. 30 ausgeführt, hat der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht – im Gegensatz zum isolierten Pflichtteilsverzicht – gem. § 2310 S. 2 BGB die Erhöhung der Pflichtteilsquote noch vorhandener Pflichtteilsberechtigter zur Folge. In den Fällen, in denen der Nachlass zur Befriedigung der (erhöhten) Pflichtteilsansprüche nicht ausreicht, stellt sich die Frage, ob gegen den weichenden Erben, dem für einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht eine Abfindung gewährt worden ist, nach §§ 2325, 2329 BGB Pflichtteilsergänzungsansprüche nach der gem. § 2310 S. 2 BGB erhöhten Pflichtteilsquote in Betracht kommen.

Muscheler

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B XV

Rz. 38a

Erbverzicht

Beispiel 6:1 Der Erblasser E hat zwei Söhne, A und B. Zur Vorwegnahme der Erbfolge überträgt er ein Hausgrundstück im Wert von 310 000 DM an B, der im Gegenzug auf alle ihm gesetzlich zustehenden Erb- und Pflichtteilsansprüche verzichtet. E wird allein von A beerbt. Im Nachlass befinden sich noch 45 000 DM. Außerdem hat A von E lebzeitige Zuwendungen in Höhe von 45 000 DM erhalten. Kann A von B Ergänzung seines Pflichtteils gem. § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB verlangen?

38a

Maßgeblich hierfür ist zunächst, ob die Abfindung für einen Erbverzicht überhaupt als „Schenkung“ i.S.d. §§ 2325, 2329 BGB qualifiziert werden kann. Entgegen gewichtigen Stimmen in der Literatur wird die Frage von der Rechtsprechung bejaht (s. hierzu Rz. 119 f.), die damit eine ungerechtfertigte Verkürzung der Ansprüche Pflichtteilsberechtigter – im Sinne der Ratio des § 2325 BGB und entsprechend dem Zweck der Abfindung als Vorwegnahme der Erbfolge – vermeiden will. Am deutlichsten lässt sich diese Verkürzungsgefahr am isolierten Pflichtteilsverzicht aufzeigen. Kämen Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen die für einen isolierten Pflichtteilsverzicht Abgefundenen mangels Schenkungscharakters der Abfindung nicht in Betracht, wäre es ein Leichtes, einen Pflichtteilsberechtigten zu übervorteilen, der nach dem Willen des Erblassers enterbt werden soll. Der Nachlass könnte durch entgeltliche Pflichtteilsverzichte anderer Pflichtteilsberechtigter geschmälert werden, die den Erblasser (kraft Gesetzes oder Verfügung von Todes wegen) beerben sollen. Dem Pflichtteilsberechtigten wäre nicht nur der Genuss der pauschalen Erhöhung seiner Pflichtteilsquote gem. § 2310 S. 2 BGB verwehrt, sondern er würde vollkommen leer ausgehen, wenn der Nachlass durch die lebzeitig gezahlten Abfindungen ausgehöhlt wäre. Nur wenn man die Abfindung als Schenkung qualifiziert – oder zumindest hinsichtlich des Abfindungsbetrages, der den Wert des Verzichts übersteigt, von einer (gemischten) Schenkung ausgeht2 –, lassen sich derart unbillige Ergebnisse vermeiden.

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Wie gezeigt ist es geboten, die Abfindung für einen (isolierten) Pflichtteilsverzicht als Schenkung i.S.d. §§ 2325, 2329 BGB zu qualifizieren. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass der Erblasser gerade in diesem Fall, der lediglich den Verzicht auf den an sich unentziehbaren Pflichtteil betrifft, die Erweiterung seiner Testierfreiheit „erkauft“3. Denn nach dem Willen der Parteien ist die Abfindung dazu bestimmt, den Pflichtteil abzugelten, was bei wirtschaftlicher Betrachtung auch durch Zuwendungen unter Anordnung einer Anrechnungspflicht zu erreichen wäre4. Die rechtliche Qualifizierung der Abfindung als Schenkung kann nun aber beim Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht nicht anders ausfallen. Bei diesem besteht jedoch die Gefahr, dass § 2310 S. 2 BGB – der die Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten verhindern will (s. Rz. 30) – kombiniert mit der Pflichtteilsergänzung zu einer Bevorzugung des Pflichtteilsberechtigten führt. Es käme nicht nur zur Erhöhung der Pflichtteilsquote (§ 2310 S. 2 BGB), sondern auch zu einer Hinzurechnung des Wertes des verschenkten Gegenstandes (Abfindung) zum Nachlass (§ 2325 Abs. 1 BGB). Damit 1 Beispiel nach OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 f. = ZEV 2000, 277 f. m. Anm. Rheinbay (unter Übernahme der Darstellung von Rheinbay leicht abgewandelt und vereinfacht). 2 Rheinbay, S. 73 ff., 183. 3 So aber Theiss/Boger, ZEV 2006, 143 (144). 4 MüKo.BGB/Lange, § 2325 Rz. 14, der für eine Einzelfallbetrachtung eintritt. 956

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 40a

B XV

stünde das widersinnige Ergebnis im Raum, dass dieselbe Abfindung zweimal in Ansatz zu bringen wäre1. Das OLG Hamm hat – in dem unter Rz. 38 geschilderten Beispiel 6 – „jedenfalls im Zweipersonenverhältnis“ eine Verdoppelung der Mindestbeteiligung am Nachlass abgelehnt und dementsprechend nur die Hälfte des Grundstückswertes als ausgleichspflichtige Schenkung angesetzt2: Die vom Gesetzgeber in § 2310 S. 2 BGB vorgesehene Erhöhung der Quote schließe einen Ergänzungsanspruch insoweit aus, als dadurch die Verringerung des Nachlasswerts durch eine Abfindung bereits ausreichend berücksichtigt sei3. Im Beispielsfall erhielt der Pflichtteilsberechtigte A im Wege der Pflichtteilsergänzung von dem Wert des Grundstücks damit nicht mehr als das, was er hiervon ohne den Erbverzicht des B als Pflichtteil erhalten hätte, also 1/4. In Ansehung der Abfindung hat das OLG Hamm damit im Ergebnis die rechtspolitisch verfehlte Vorschrift des § 2310 S. 2 BGB im Zweipersonenverhältnis korrigierend außer Acht gelassen und ihre unterschiedliche Behandlung für einen isolierten Pflichtteilsverzicht einerseits – bei dem der Pflichtteilsberechtigte von der Abfindung niemals mehr als seinen Pflichtteil beanspruchen könnte – und für einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht andererseits – bei dem es nach dem Wortlaut des § 2310 S. 2 BGB stets zu einer Erhöhung der Pflichtteilsquote kommt – beseitigt. Im Hinblick auf den Nachlass und die an A geleistete lebzeitige Zuwendung (zusammen 90 000 DM) verbleibt es dagegen (und muss es verbleiben) bei der durch den Erbverzicht des B bedingten Quotenerhöhung4. Gem. §§ 2326, 2327 BGB hat sich A von den 90 000 DM das anrechnen zu lassen, was seinen erhöhten Pflichtteil von 1/ 2 übersteigt, mithin 45 000 DM. Der Anspruch des A beläuft sich damit auf 32 500 DM (77 500 DM – 45 000 DM).

40

Auch der BGH5 hat im Hinblick auf die Erhöhung der Pflichtteilsquote nach § 2310 S. 2 BGB einen Pflichtteilsergänzungsanspruch hinsichtlich der für den Verzicht eines Abkömmlings auf das gesetzliche Erbrecht geleisteten Abfindung grundsätzlich abgelehnt. Der zu entscheidende Fall bot jedoch keinen Anlass, zu klären, ob mangels Schenkungscharakters der Abfindung § 2325 BGB schon tatbestandlich nicht eingreift oder aber der Kompensationskonstruktion über § 2310 S. 2 BGB zu folgen ist. Wenngleich der BGH ausdrücklich erwähnt, diese Streitfrage nicht entscheiden zu müssen, hat er doch in der Aufnahme eines Hinweises auf § 2310 S. 2 BGB in den ersten amtlichen Leitsatz des Beschlusses6

40a

1 MüKo.BGB/Frank (3. Aufl.), § 2325 Rz. 14; zustimmend Palandt/Weidlich, § 2325 Rz. 16. 2 OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 (3644). 3 OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 (3644). 4 Dies verkennt Rheinbay, Anm. zu OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = ZEV 2000, 278. 5 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1144 f.) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (77 f.) m. Anm. Schindler, 80 f. = ErbR 2009, 124 (124 f.). 6 Der erste amtliche Leitsatz des Beschlusses des BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 = FamRZ 2009, 418 = ZEV 2009, 77 = ErbR 2009, 124 lautet: „Wegen der Abfindung, die der Erblasser für den Verzicht eines Abkömmlings auf das gesetzliche Erbrecht leistet, steht einem weiteren Abkömmling ein Pflichtteilsergänzungsanspruch im Hinblick auf die Erhöhung seiner Pflichtteilsquote nach § 2310 Satz 2 BGB grundsätzlich nicht zu“. Muscheler

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B XV

Rz. 40b

Erbverzicht

seine Präferenz für die Kompensationslösung zum Ausdruck gebracht. Dieser Ansatz ist auch angesichts des Umstandes, dass der BGH in früheren Entscheidungen die Abfindung als unentgeltlich qualifiziert hat1, naheliegend. 40b

Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. § 2325 Abs. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 2329 Abs. 1 BGB) kommt jedoch in Betracht, soweit die Höhe der Abfindung gleichsam als gemischte Schenkung den sei es entgeltlichen, sei es durch § 2310 S. 2 BGB kompensierten Teil der ergänzungsanspruchsfreien angemessenen Abfindung übersteigt. Die maßgebliche Grenze, ab der die Abfindung unangemessen ist und Pflichtteilsergänzungsansprüche auslöst, bildet dabei die Erberwartung des Verzichtenden, mithin der Wert des Erbteils, auf den verzichtet wird2. Die Abkehr von der früheren Rechtsprechung, die den Wert eines vom Verzichtenden zu beanspruchenden Pflichtteils als Bezugsgröße wählte3, ist konsequent. Schließlich verzichtet der Vertragspartner beim Erbverzicht primär auf sein gesetzliches Erbrecht. Dass er damit gleichzeitig auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB), ist eine sekundäre Folge des Erbverzichts. Die frühere Rechtsprechung hat den Unterschied zwischen Erb- und isoliertem Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) in dieser Frage nivelliert. Auch der Umstand, dass der potentielle Erbe angesichts der Möglichkeit, jederzeit vom Erblasser enterbt zu werden (§ 1938 BGB), berechtigterweise nur auf seinen Pflichtteilsanspruch vertrauen darf, zwingt nicht zu einer anderen Betrachtung. Denn in dem Zeitpunkt, in dem der Erbverzichtsvertrag geschlossen wird, steht eine endgültige Enterbung des Vertragspartners nicht zwangsläufig fest. Sobald zwischen der Abfindung und der Erberwartung des Verzichtenden ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht, ist zu vermuten, dass die vom Erblasser gewährte Leistung über ein Entgelt oder eine an der Kompensation durch § 2310 S. 2 BGB orientierte angemessene Abfindung hinausgeht4. ee) Wegfall des Dreißigsten

41

Beim Verzicht eines zur gesetzlichen Erbfolge berufenen Hausangehörigen entfällt der Anspruch auf den Dreißigsten aus § 1969 BGB. ff) Bedeutung und Folgen für den Erblasser

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Mit dem Erbverzicht i.e.S. kann der endgültige Ausschluss einzelner Personen von der gesetzlichen Erbfolge herbeigeführt und damit gleichzeitig ein etwaiges Pflichtteilsrecht beseitigt werden. Während letzteres regelmäßig nur durch Verzichtsvertrag möglich ist, kann der Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge auch durch Enterbung erfolgen, wenn der Erblasser testierfähig ist (zu den Kos1 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 150/84, MDR 1986, 581 = FamRZ 1986, 258 = NJW 1986, 127 (129); BGH v. 28.2.1991 – IX ZR 74/90, BGHZ 113, 393 = MDR 1991, 645 = FamRZ 1991, 695 (397 f.) = NJW 1991, 1610 (1611). 2 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1145) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (78) = ErbR 2009, 124 (125). 3 So noch BGH v. 8.7.1985 – II ZR 150/84, MDR 1986, 581 = FamRZ 1986, 258 = NJW 1986, 127 (129). 4 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1145) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (79) = ErbR 2009, 124 (125). 958

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Erbverzicht

Rz. 46

B XV

ten Rz. 103). Der Vorteil eines Erbverzichtsvertrags gegenüber einer Enterbung liegt darin, dass der Erbverzicht – da er das Einverständnis des Verzichtenden erfordert – etwaige Streitigkeiten über die Wirksamkeit des Ausschlusses von der Erbfolge weitgehend vermeiden hilft. Noch zu seinen Lebzeiten erlangt der Erblasser damit ein hohes Maß an Gewissheit, dass es nach seinem Tod beim Ausschluss des Verzichtenden und – sofern die Wirkung des § 2349 BGB nicht abbedungen wird – seines Stammes bleibt. Der Erbverzicht i.e.S. führt zur uneingeschränkten Testierfreiheit des Erblassers, wenn nach dem Verzichtenden keine pflichtteilsberechtigten Personen zur gesetzlichen Erbfolge berufen wären. Nur in diesem Falle kann er die Erbschaft ungeschmälert dem in Aussicht genommenen Erben zukommen lassen. Ist beim Erbfall dagegen auch nur ein einziger Pflichtteilsberechtigter vorhanden, hat der Erbverzicht keinen Einfluss auf die Höhe der vom Erben zu entrichtenden Pflichtteilslast1 (s. Rz. 31).

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Der Erblasser wird durch den Erbverzicht nicht daran gehindert, den Verzichtenden (doch noch) durch Verfügung von Todes wegen zu bedenken2. Einer Aufhebung des Erbverzichts bedarf es hierzu nicht3. Es ist jedoch zu beachten, dass die infolge des Wegfalls des Verzichtenden begründete Anwartschaft eines entfernteren Verwandten auf den Pflichtteil nicht vereitelt werden kann (s. Rz. 32 ff.). Soll die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter wieder entfallen, muss zusätzlich die rechtliche Wirkung des Erbverzichts beseitigt, dieser also gem. § 2351 BGB aufgehoben werden.

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b) Besonderheiten beim Erbverzicht des Ehegatten

Beratungssituation: Die Ehefrau des Erblassers, mit der dieser einen Verzichtsvertrag abschließen will, möchte wissen, ob und inwieweit der Verzicht über das Erbrecht hinausgehende Wirkungen für sie haben kann. aa) Allgemeine Wirkung Der Erbverzicht eines Ehegatten erfasst auch den Voraus gem. § 1932 BGB, also den Anspruch auf die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände – soweit nicht Zubehör eines Grundstücks – und die Hochzeitsgeschenke.

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bb) Güterrechtliche Auswirkungen Leben die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, ist der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht auch dann nicht (automatisch) mit einem Verzicht auf den Zugewinn verbunden4, wenn die für Eheverträge vor1 Rheinbay, S. 120. 2 BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (267); BGH v. 13.4.2011 – IV ZR 204/09, BGHZ 189, 171 = FamRZ 2011, 971 m. Anm. Walker/Findeisen FamRZ 2011, 1051 = MDR 2011, 732 = ZEV 2011, 366 m. Anm. Haas/Hoßfeld = NJW 2011, 1878 Rz. 13–15; BGH v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, FamRZ 2012, 1379 m. Anm. Reimann = MDR 2012, 1099 = ZEV 2012, 474. 3 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 71. 4 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 16; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 69; Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 10. Muscheler

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Rz. 47

Erbverzicht

geschriebene Form des § 1410 BGB (notarielle Beurkundung bei gleichzeitiger Anwesenheit der Ehegatten) eingehalten ist. Allerdings hat der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht mittelbar Auswirkungen auf die Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten bei der durch Tod erforderlich werdenden Abwicklung des Güterstandes, die gem. § 1371 Abs. 2 BGB – gegebenenfalls erst nach Ausschlagung einer auf Verfügung von Todes wegen beruhenden Erbschaft oder eines Vermächtnisses – nur nach den Vorschriften der §§ 1373 bis 1383, 1390 BGB vorgenommen werden kann. 47

Maßgeblich für die Konsequenzen des Ehegattenverzichts im Erbfall ist, ob der Erbverzicht auf das gesetzliche Erbrecht unter Vorbehalt des Pflichtteilsrechts erfolgt ist oder nicht. Regelung im Verzichtsvertrag

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Konsequenzen im Erbfall

Ehegatte hat auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet

– Wird der Ehegatte weder Erbe (durch Verfügung von Todes wegen) noch mit einem Vermächtnis bedacht, besteht nur ein Anspruch auf Zugewinn (§ 1371 Abs. 2 BGB). – Wird der Ehegatte kraft Verfügung von Todes wegen Erbe oder Vermächtnisnehmer und schlägt er nicht aus, bleibt es bei der erbrechtlichen Lösung (stets ohne die sonst mögliche Aufstockung auf den Ergänzungspflichtteil nach §§ 2305, 2307 BGB). Eine Erhöhung des Erbteils nach § 1371 Abs. 1 BGB erfolgt nicht, weil ein gesetzlicher Erbteil aufgrund des Erbverzichts nicht vorhanden ist. Ein Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 2 BGB findet nicht statt. – Wird der Ehegatte durch Verfügung von Todes wegen bedacht und schlägt er die Erbschaft oder das Vermächtnis (jedenfalls das gesamte durch die Verfügung Zugewendete) aus, besteht „nur“ ein Anspruch auf den Zugewinn, nicht jedoch auf den Pflichtteil (§ 1371 Abs. 3, 2. Hs. BGB).

Ehegatte hat unter Vorbehalt des Pflichtteilsrechts auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet

– Wird der Ehegatte weder Erbe (durch Verfügung von Todes wegen) noch mit einem Vermächtnis bedacht, hat er Anspruch auf Zugewinn und den kleinen Pflichtteil1. – Wird der Ehegatte durch Verfügung von Todes wegen mit einer den kleinen Pflichtteil nicht erreichenden Quote zum Erben eingesetzt, besteht ein Anspruch auf den Zusatzpflichtteil bis zur Höhe des kleinen Pflichtteils (§ 2305 BGB). Schlägt der Ehegatte aus, kann er Zugewinnausgleich sowie den kleinen Pflichtteil verlangen. – Wird dem Ehegatten ein Vermächtnis hinterlassen, dessen Wert den kleinen Pflichtteil nicht erreicht, kann er das Vermächtnis entweder in der hinterlassenen Höhe annehmen und Aufstockung auf den kleinen Pflichtteil verlangen oder das Vermächtnis ausschlagen und Zugewinnausgleich sowie den kleinen Pflichtteil verlangen (§ 2307 BGB).

Zu den Folgen eines (isolierten) Pflichtteilsverzichts des Ehegatten s. Rz. 70. 1 Vgl. BGH v. 21.3.1962 – IV ZR 251/61, BGHZ 37, 58 (67). 960

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Erbverzicht

Rz. 51a

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In den anderen Güterständen hat der Erbverzicht i.e.S. keine güterrechtlichen Auswirkungen. Der Anteil am Gesamtgut vererbt sich bei der Gütergemeinschaft nach allgemeinen Regeln (§ 1482 BGB); bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft fällt er nicht in den Nachlass, sondern bleibt in der Gütergemeinschaft erhalten (§ 1483 Abs. 1 S. 3 BGB). Bezüglich des Sonder- und Vorbehaltsguts gelten die allgemeinen Bestimmungen (§ 1483 Abs. 1 S. 3, 2. Hs. BGB).

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cc) Auswirkungen auf den nachehelichen Unterhaltsanspruch Unterhaltsansprüche erlöschen grundsätzlich mit dem Tod des Unterhaltsverpflichteten (§§ 1615 Abs. 1, 1360a Abs. 3 BGB). Eine wichtige Ausnahme findet sich jedoch in § 1586b BGB, der den nachehelichen Unterhaltsanspruch beim Tod des Unterhaltsverpflichteten als Nachlassverbindlichkeit auf den Erben übergehen lässt. Diese Regelung wird unter den Voraussetzungen des § 1933 S. 3 BGB zugunsten des unterhaltsberechtigten Ehegatten für den Fall erweitert, dass der Erblasser während der Rechtshängigkeit eines von ihm gebilligten oder eingeleiteten Verfahrens auf Auflösung der Ehe verstirbt.

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Streitig ist, ob der nacheheliche Unterhaltsanspruch nach dem Tod des Verpflichteten durch den Erbverzicht des Unterhaltsgläubigers entfällt. Die h.M. in der Literatur1 bejaht dies vor allem mit dem Hinweis auf den Wortlaut des § 1586b Abs. 1 S. 3 BGB, nach dem der Erbe nur bis zur Höhe eines fiktiven Pflichtteilsanspruchs haftet. Soweit der Pflichtteilsanspruch durch den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht – wie regelmäßig – mitausgeschlossen sei, komme eine Haftung des Erben daher nicht in Betracht. Ein weiteres Argument entnimmt diese Ansicht den Gesetzesmaterialien, nach denen der Anspruch „gleichsam als Ersatz“ für die mit oder anlässlich der Ehescheidung eingebüßte Nachlassteilhabe bzw. zum Ausgleich für den Verlust des Erbrechts gewährt wurde2.

51

Gegen die genannte Lösung spricht, dass § 1586b BGB nicht etwa einen erbrechtlichen Anspruch begründet, sondern einen originär familienrechtlichen Unterhaltsanspruch – trotz Tod des Unterhaltsverpflichteten – aufrechterhält3. Der fiktive Pflichtteilsanspruch ist nicht Grundlage für den Unterhaltsanspruch, sondern lediglich Bemessungskriterium für die Haftungsgrenze4. Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich gegen diese Auffassung nichts herleiten. Die zitierte Aussage wird durch das Wort „gleichsam“ relativiert und macht sogar deutlich, dass überhaupt kein Recht existiert, das durch den Unterhaltsanspruch ausgewechselt werden soll5. Zudem steht die Lösung der h.M. im Widerspruch zu den regelmäßig vorhandenen Vorstellungen der Parteien des Verzichtsvertrags6.

51a

1 Dieckmann, FamRZ 1992, 633 (633); Gernhuber/Coester-Waltjen, § 30 XIII 2 (S. 461 Fn. 5); RGRK/Cuny, § 1586b Rz. 8; MüKo.BGB/Maurer, § 1586b Rz. 2; Palandt/ Weidlich, § 1586b Rz. 8; Soergel/Häberle, § 1586b Rz. 1. 2 BT-Drucks. 7/650, S. 151. 3 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 66. 4 Grziwotz, FamRZ 1991, 1258; Reul, MittRhNotK 1997, 373 (376); Mayer, ZEV 2007, 556 (557); Muscheler, FS Spiegelberger, 1079 (1091); Palandt/Brudermüller, § 1586b Rz. 7. 5 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 66. 6 Münch, ZEV 2008, 571 (575). Muscheler

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Rz. 52

Erbverzicht

Dies gilt sowohl dann, wenn der Verzicht im Zusammenhang mit der Scheidung, wie auch dann, wenn er lange vor der Scheidung vereinbart wurde. Nach alledem dürfte ein Unterhaltsanspruch des verzichtenden Ehegatten gem. § 1586b BGB fortbestehen. 52

Die vorstehenden Argumente lassen sich freilich nur teilweise für den aus § 1933 S. 3 BGB hergeleiteten Unterhaltsanspruch anführen, der nach dem Willen des Gesetzgebers, und diesmal im eigentlichen Sinne, den Ausgleich des Erbrechtsverlusts bewirken soll1. Obgleich dieser Verlust unmittelbar auf dem Verzichtsvertrag – und nicht auf dem Tod des Ehegatten während eines anhängigen Scheidungsverfahrens – beruhen würde, sollte (auch) der in § 1933 S. 3 BGB nur mittelbar auf § 1586b BGB gestützte Unterhaltsanspruch bei einem Erbverzicht des Ehegatten nicht entfallen, sondern genauso behandelt werden wie der unmittelbare Unterhaltsanspruch aus § 1586b BGB2, weil die Verweisung auf § 1586b BGB den Zweck verfolgt, den überlebenden Ehegatten genauso zu stellen wie er stehen würde, wenn es – den Tod des Erblassers als späteres Ereignis gedacht – zu einer rechtskräftigen Scheidung gekommen wäre3.

Beachte: Soll der Unterhaltsanspruch vom Erbverzicht des Ehegatten unberührt bleiben, ist – mangels höchstrichterlicher Entscheidungen zu diesem Fragenkomplex4 – dringend anzuraten, beim Abschluss des Verzichtsvertrags ausdrücklich zu vereinbaren, dass die Vorschrift des § 1586b BGB so gelten soll, als ob ein Verzicht nicht erklärt worden wäre. 52a

Nur nebenbei sei Folgendes bemerkt: Durch das LPartG und das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts wird der Lebenspartner im Erbrecht dem Ehegatten gleichgestellt5. Solange jedoch bei Lebenspartnern noch die Steuerklasse III Anwendung findet6, ist das Berliner Testament für Lebenspartner aus steuerrechtlichen Gründen nicht empfehlenswert, da selbst dann, wenn Kinder oder Abkömmlinge der Kinder des zweitversterbenden Lebenspartners Schlusserben werden, eine insgesamt hohe Erbschaftsteuerbelastung droht, so dass Vermächtnisse zugunsten des Lebenspartners empfehlenswert sind. Dies führt zu einer teilweisen Enterbung und damit zu Pflichtteils(ergänzungs)ansprüchen des betroffenen Lebenspartners gem. § 10 Abs. 6 LPartG. Wegen der Vererblichkeit des Pflichtteilsanspruchs und der dreijährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB) sollte ein Verzicht auf diese Ansprüche bei Errichtung einer entsprechenden Verfügung von Todes wegen erklärt werden7.

1 BT-Drucks. 7/4361, S. 52. 2 Muscheler, FS Spiegelberger, 1079 (1091); Reimann, FS Schippel, 301 (307); Reul, MittRhNotK 1997, 373 (376); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 66. 3 Bock, MittRhNotK 1977, 205 (209); Muscheler, FS Spiegelberger, 1079 (1091). 4 LG Ravensburg v. 31.1.2008 – 2 O 338/07, ZEV 2008, 598 (599) ist der Auffassung, dass ein Erb- und Pflichtteilsverzicht auch den Unterhaltsanspruch aus § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB ausschließt. Dazu krit. Münch, ZEV 2008, 571 (574 f.). 5 Grziwotz, DNotZ 2005, 13 (26). 6 FG Düsseldorf v. 1.12.2003 – 4 V 4529/03, DStRE 2004, 413. 7 Grziwotz, DNotZ 2005, 13 (27). 962

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 54

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M 163 Verzicht beim Ableben des Erstversterbenden und Bestehen der angeordneten Vermächtnisse Unter der Bedingung, dass beim Ableben des Erstversterbenden die vorstehend angeordneten Vermächtnisse bestehen, verzichtet jeder von uns auf die Geltendmachung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach dem Tod des Erstversterbenden. Wir nehmen diesen Verzicht gegenseitig an1.

3. Zweckmäßigkeit a) Der Verzicht eines Nicht-Pflichtteilsberechtigten Grundsätzlich ist der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht dann nicht zweckmäßig, wenn der Verzicht von Seiten eines Nicht-Pflichtteilsberechtigten erfolgt2. Der durch einen solchen Verzicht allein bewirkte Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge lässt sich meist auf einfachere und kostengünstigere Weise herbeiführen (s. Übersicht zu den Kosten, Rz. 103). Das bequemste und günstigste Mittel ist die Enterbung (durch positive Einsetzung eines anderen oder rein negatives Testament nach § 1938 BGB), die freilich – anders als der Erbverzichtsvertrag (s. Rz. 16, 148 ff.) – Testierfähigkeit des Erblassers voraussetzt. Weniger günstig ist demgegenüber eine – ebenfalls denkbare – vertragliche Verpflichtung zur Ausschlagung der Erbschaft. Vor dem Erbfall ist ein solcher Vertrag genauso formbedürftig wie der Erbverzichtsvertrag3, so dass sich beide Möglichkeiten kostenmäßig gleichstehen (s. Rz. 103). Der Nachteil des Ausschlagungsverpflichtungsvertrags liegt aber darin, dass sein Umfang niemals soweit reichen kann wie der Erbverzicht (Ausschluss der Abkömmlinge gem. § 2349 BGB), weil die Begründung einer Ausschlagungsverpflichtung der Abkömmlinge ohne deren Mitwirkung (als Vertrag zulasten Dritter) unzulässig wäre. Zudem wirkt der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag nur schuldrechtlich und birgt deshalb – wie jedes Verpflichtungsgeschäft – ein Prozessrisiko in sich. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Kapitel zur Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, Kap. C II. Rz. 130 ff. verwiesen.

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Beratungssituation: Der testierunfähige Erblasser und einer seiner potenziellen (nicht pflichtteilsberechtigten) gesetzlichen Erben wollen durch den Abschluss eines Erbverzichtsvertrags bewirken, dass der zukünftige Nachlassanteil des weichenden Erben einem/mehreren anderen gesetzlichen Erben zufällt. Sie möchten wissen, ob Alternativen in Betracht kommen und wann sich ein Erbverzicht empfiehlt. Es gilt (für Rz. 54–56a) zunächst das zu Rz. 53 Gesagte: Nur wenn der Erblasser nicht in der Lage ist, von Todes wegen zu verfügen, kommt der Erbverzicht überhaupt als zweckmäßiges Mittel zur Gestaltung der Erbfolge in Betracht. Alternativ ist dann auch an einen Vertrag zwischen gesetzlichen Erben gem. § 311b Abs. 5 BGB zu denken, in dem sich der weichende Erbe entweder zur Ausschla1 Formulierungsvorschlag von Grziwotz, DNotZ 2005, 13 (28). 2 Ausnahme: Der Erblasser ist zu einer Verfügung von Todes wegen nicht in der Lage, s. Rz. 16. 3 Für eine analoge Anwendung des § 312 Abs. 2 Satz 2 BGB: Soergel/Stein, § 1945 Rz. 15; für eine Analogie zu § 2348 BGB: Damrau, S. 28. Muscheler

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B XV

Rz. 55

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gung der Erbschaft oder zur Übertragung seines Nachlassanteils verpflichtet. Der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag mit anderen gesetzlichen Erben kann in seinen Rechtsfolgen niemals soweit reichen wie der Erbverzicht und ist auch sonst gegenüber diesem nachteilig, obwohl sich beide Möglichkeiten kostenmäßig gleichstehen (s. Rz. 103). Aus diesem Grund lässt er sich kaum als echte Alternative zum Erbverzicht bezeichnen. Anders verhält es sich dagegen mit dem Nachlassübertragungsverpflichtungsvertrag des § 311b Abs. 5 BGB. Je nachdem, wem der Nachlassanteil des weichenden Erben zufallen soll, treten Konstellationen auf, in denen entweder die Vor- und Nachteile eines solchen Vertrags im Einzelfall mit denen des Erbverzichts abzuwägen sind oder sich das gewünschte Ergebnis sogar nur durch den Nachlassübertragungsverpflichtungsvertrag erreichen lässt. 55

Beide Möglichkeiten sind im Einzelfall gegeneinander abzuwägen, wenn: (1) der Erblasser und einer der zukünftigen gesetzlichen Miterben wünschen, dass dessen Nachlassanteil dem einzigen anderen bzw. allen anderen Miterben zukommt, (2) der Erblasser und einer der zukünftigen gesetzlichen Miterben wünschen, dass der Nachlassanteil des Verzichtswilligen an dessen Abkömmling(e) fällt1 oder (3) der Erblasser und sein zukünftiger gesetzlicher Alleinerbe wünschen, dass die Erbschaft den/dem nächsten gesetzlichen Erben zufällt.

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In die Abwägung sollten folgende Gesichtspunkte einbezogen werden: – Der Verzicht hat – anders als ein Vertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB – unmittelbare erbrechtliche Wirkung. Den/dem Miterben fällt die Erbschaft direkt an, so dass sich ein weiterer Vollzug nach dem Erbfall erübrigt. Damit sind die Gefahren eines späteren Prozesses zur Durchsetzung der vertraglichen Verpflichtung von vornherein ausgeschaltet. Vermieden werden auch die für die Übertragung des Nachlassanteils gem. § 2033 Abs. 1 S. 2 BGB entstehenden Kosten, z.B. Beurkundungskosten. Außerdem ist gewährleistet, dass der Begünstigte den Nachlassanteil des Verzichtswilligen auch dann erhält, wenn dieser vor dem Erbfall verstirbt. Dies ist bei einem Vertrag nach § 311b Abs. 5 BGB nicht der Fall. Beispiel: Gesetzliche Erben des Erblassers E sind seine drei Kinder A, B und C. A hat sich verpflichtet, seinen Nachlassanteil auf B und C zu übertragen. A stirbt vor E und hinterlässt selbst Abkömmlinge.

Die Verpflichtung des A hat für B und C keinen Wert, und zwar unabhängig davon, ob die Abkömmlinge des A dessen Erben werden oder nicht. Sind die Abkömmlinge des A von diesem enterbt worden, kann sie dessen Verpflichtung, da nicht gem. § 1922 Abs. 1 BGB auf sie übergegangen, nicht treffen. Sie beerben E – neben B und C – kraft eigenen Rechts aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehung zu E (§ 1924 Abs. 3 BGB). Dieser Situation kann im Vertrag A-BC auch nicht dadurch vorgebeugt werden, dass die Verpflichtung 1 Sollen bei einem Erbverzicht die Abkömmlinge des Verzichtenden begünstigt werden, ist die Wirkung des § 2349 BGB auszuschließen. 964

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 55a

B XV

des A von vornherein auf dessen Abkömmlinge ausgedehnt wird, weil es sich hierbei um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter handeln würde. Werden die Abkömmlinge des A dessen Erben, erlischt die Verpflichtung des A, den durch den Tod des E erworbenen Nachlassanteil aus seinem Vermögen auf B und C zu übertragen. Die Leistung ist nachträglich subjektiv unmöglich geworden (§ 275 Abs. 1 BGB), weil der von A erwartete Nachlassanteil nie in sein Vermögen gelangt ist. – Unter Kostengesichtspunkten kann der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags in einem speziellen Fall ungünstiger sein als ein Vertrag unter künftigen gesetzlichen Erben nach § 311b Abs. 5 BGB. Dieser Fall ist stets gegeben, wenn Erblasser ein unter elterlicher Sorge stehender geschäftsunfähiger Minderjähriger ist, dessen Vermögen mehr als 25 000 Euro beträgt. Denn dann verursacht die nach § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB erforderliche familiengerichtliche Genehmigung stets eine halbe Gebühr. (§§ 28, 36 Abs. 1 S. 1 FamGKG i.V.m. Nr. 1310 KV FamGKG i.V.m. Vorbemerkung 1.3.1. Abs. 2 KV FamGKG. Bei bestehender Vormundschaft oder Pflegschaft ist die Erteilung der Genehmigung gem. §§ 28, 36 Abs. 1 S. 1 FamGKG i.V.m. Nr. 1310 Abs. 1 KV FamGKG dagegen gebührenfrei. Für die Betreuung ergibt sich die Gebührenfreiheit aus GNotKG, Anl. 1, Hauptabschnitt 1.) Der Kostenvorteil des Vertrags nach § 311b Abs. 5 BGB liegt auf der Hand, wenn dieser seinerseits keiner (kostenpflichtigen) Genehmigung bedarf. Bedarf er aber einer Genehmigung nach §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 1 BGB, weil sich ein unter elterlicher Sorge stehender Minderjähriger zur Übertragung seines gesetzlichen Erbteils oder seines Pflichtteils verpflichtet, käme es darauf nicht an, da auch sein Verzicht im Rahmen eines Erbverzichtsvertrags einer Genehmigung bedürfte (§ 2347 Abs. 1 S. 1 BGB) und die Genehmigungen hinsichtlich der Kosten gleichstehen. – In die Abwägung einzubeziehen war bislang auch ein Aspekt betreffend die steuerliche Behandlung einer Abfindung: Während die für einen Erbverzicht gewährte Abfindung der Schenkungsteuer unterliegt (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG), verhält sich das ErbStG nicht ausdrücklich zu der Frage, ob auch die Abfindung für einen Erbschaftsvertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB steuerbar ist. Die steuerrechtliche Relevanz hängt daher davon ab, ob man eine solche Abfindung für einen Erbschaftsvertrag nach § 311b Abs. 5 BGB als „freigebige Zuwendung“ i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG oder als entgeltliches Geschäft ansieht (zur zivilrechtlichen Qualifikation s. Rz. 117 ff.). Das FG München neigte zu Letzterem und verneinte daher die Schenkungsteuerpflichtigkeit für eine Abfindung, die der begünstigte Vertragspartner dem anderen als Gegenleistung für einen von diesem erbschaftsvertraglich erklärten „Verzicht“ auf sämtliche etwaige ihm am Nachlass von X zustehenden Pflichtteilsansprüche einschließlich Pflichtteilsergänzungsansprüche gewährte, wenn und soweit die gezahlte Summe dem Wert der („verzichteten“) Ansprüche entspricht1. Dieser Auffassung ist der BFH jetzt entgegengetreten2, so dass steuerliche Gründe als Abwägungskriterium zwischen einem Vertrag nach § 311b Abs. 5 BGB und einem Erbverzicht – anders als früher3 – nicht mehr in Betracht kommen. 1 FG München v. 7.7.1997 – 4 K 2747/93, ZEV 1998, 237 f. 2 BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, ZEV 2001, 163 ff.; abl. Daragan, Anm. zu BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, DB 2001, 848. 3 Vgl. noch Damrau, S. 34. Muscheler

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965

B XV 56

Rz. 56

Erbverzicht

Dem Willen der Beteiligten nur teilweise zum Erfolg zu verhelfen vermag der Erbverzicht in den Fällen, in denen (1) der Nachlassanteil eines Miterben nur einem von mehreren Miterben, (2) der Nachlassanteil eines Miterben nur einem seiner Abkömmlinge oder (3) die Erbschaft des Alleinerben nur einem von mehreren nach ihm berufenen gesetzlichen Erben zufallen soll.

56a

In den angeführten Konstellationen erfolgt der Erbverzicht unter der Bedingung, dass der Erbteil, der dem Verzichtenden bei gesetzlicher Erbfolge zufallen würde, dem Begünstigten zugutekommt. Allein durch den Erbverzicht ist das angestrebte Ziel jedoch nicht zu erreichen, vielmehr wäre zusätzlich eine Verfügung von Todes wegen erforderlich. § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB stellt den Verzichtenden so, als sei er vor dem Erbfall verstorben, und verhindert damit lediglich den Anfall der Erbschaft an ihn. Eine unmittelbar übertragende, das Erbrecht des begünstigten Dritten begründende Wirkung kommt dem Verzicht dagegen nicht zu (s. Rz. 14). Ohne eine erbeinsetzende Verfügung kann der Begünstigte den Erbteil des Verzichtenden damit nur zur Quote erlangen. Da die Bedingung in einem solchen Fall nur teilweise eintritt, ist der Verzicht nur zum Teil wirksam und zum anderen Teil unwirksam (s. Rz. 23). Das gewünschte Ergebnis lässt sich in den genannten Fällen nur durch einen Nachlassübertragungsverpflichtungsvertrag herbeiführen.

Beratungssituation: Der testierfähige Erblasser möchte einen gesetzlichen Erben von der Erbfolge ausschließen. Um üble Nachreden zu vermeiden, möchte er den Ausschluss jedoch nur im Einverständnis mit dem gesetzlichen Erben vornehmen. Was ist ihm zu raten? 57

In einem solchen Fall wird dem Erblasser daran gelegen sein, alles zu vermeiden, was den Anschein von Heimlichkeit erwecken könnte. Durch den Erbverzichtsvertrag wird das Einverständnis des von der gesetzlichen Erbfolge Ausgeschlossenen auf zuverlässige Weise dokumentiert. Hierin liegt auch der Vorteil gegenüber einem im privaten Bereich formlos eingeholten – für eine Enterbung freilich nicht notwendigen – „Einverständnis“, dessen „Einvernehmlichkeits“-Eindruck hinter dem des Erbverzichts zurückbleibt. Nach dem Erbfall könnte der Enterbte eher behaupten, das Einverständnis sei unter Druck zustande gekommen, und versuchen, die letztwillige Verfügung des Erblassers anzugreifen. b) Der Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten

58

Der Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten auf das gesetzliche Erbrecht beseitigt regelmäßig dessen Erb- und Pflichtteilsaussicht (§ 2346 Abs. 1 S. 2 BGB). Gerade die zuletzt genannte – von Gesetzes wegen automatisch eintretende – Folge des Erbverzichts macht aber die eigentliche Bedeutung aus, die der Erbverzicht eines Pflichtteilsberechtigten für den Erblasser hat.

Beratungssituation: Der Erblasser hat gehört, dass die Pflichtteilsaussicht eines Pflichtteilsberechtigten sowohl durch (uneingeschränkten) Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht als auch durch (isolierten) Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB beseitigt werden kann. Er möchte wissen, was zweckmäßiger ist. 966

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 61

B XV

Der (uneingeschränkte) Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten auf die gesetzliche Erbfolge beseitigt neben der Pflichtteilsaussicht zugleich die Erbaussicht. Letzteres kann – wie bei einem Nicht-Pflichtteilsberechtigten – regelmäßig auf einfachere und kostengünstigere Weise herbeigeführt werden (s. Rz. 53). Nur in dem Maße, in dem der Erbverzicht i.e.S. für einen Nicht-Pflichtteilsberechtigten als zweckmäßiges Mittel zur Beseitigung einer Erbaussicht in Betracht kommt, bietet er sich überhaupt auch für einen Pflichtteilsberechtigten an.

59

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem (uneingeschränkten) Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht und einem (isolierten) Pflichtteilsverzicht besteht in den Auswirkungen auf das Pflichtteilsrecht Dritter. Der (uneingeschränkte) Verzicht des Pflichtteilsberechtigten auf das gesetzliche Erbrecht beseitigt zwar seine Pflichtteilsaussicht, hat aber keinen Einfluss auf die Gesamthöhe der Pflichtteilslast, wenn im Erbfall auch nur eine pflichtteilsberechtigte Person vorhanden ist (s. Rz. 30 ff.). Bei der Feststellung des für die Berechnung des Pflichtteils maßgebenden Erbteils wird gem. § 2310 S. 2 BGB nämlich nicht mitgezählt, wer durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist. Mit anderen Worten: Die Pflichtteilsquoten Dritter erhöhen sich um den Anteil des durch Erbverzicht Ausgeschlossenen. Anders verhält es sich bei dem (isolierten) Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB, weil § 2310 S. 2 BGB bei diesem nicht anwendbar ist1. An der Nichtanwendbarkeit von § 2310 S. 2 BGB wird dem Erblasser gelegen sein, wenn er den Nachlass möglichst ungeschmälert einer bestimmten Person zukommen lassen und die Erhöhung der Pflichtteilsquoten weiterer pflichtteilsberechtigter Personen verhindern will.

60

Die durch § 2310 S. 2 BGB bewirkte Erhöhung der Pflichtteilsquote kann zur Folge haben, dass der (neben dem Verzichtenden vorhandene) Pflichtteilsberechtigte, der übersehen wurde, der nicht verzichten wollte oder dessen Verzicht unwirksam war, von dem Erben einen Geldbetrag verlangen kann, der weit über dem Wert dessen liegt, was er bei gesetzlicher Erbfolge erhalten hätte. Ob diese weitreichende Konsequenz des § 2310 S. 2 BGB in allen Fällen gerechtfertigt ist, erscheint zweifelhaft (zum Zweck des § 2310 S. 2 BGB s. Rz. 30). Die Belastung der Erben hatte der Gesetzgeber nicht vor Augen2. Doch ist das kein hinreichender Grund, an der eindeutigen Gesetzeslage zu deuteln. Die (meist ungewollte) Erhöhung der Pflichtteilsquoten ließe sich verhindern, indem der Erbverzicht i.e.S. unter der aufschiebenden Bedingung erklärt wird, dass jeder Pflichtteilsberechtigte einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht leistet, und zugleich unter der auflösenden Bedingung, dass der Verzicht nur so lange gelten soll, wie alle Einzelverträge wirksam sind3. Letztlich dient eine solche Konstruktion jedoch wiederum nicht dem Schutz des/der Erben, sondern ausschließlich dem Verzichtenden, der pflichtteilsberechtigt ist.

61

Beachte: Bei Testierfähigkeit des Erblassers ist ein Erbverzicht i.e.S. von Seiten eines Pflichtteilsberechtigten – wegen § 2310 S. 2 BGB – nur zweckmäßig, wenn alle vorhandenen Pflichtteilsberechtigten (wirksame) Erbverzichte abgeben oder keine weiteren Pflichtteilsberechtigten vorhanden sind. 1 Vgl. nur BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81, NJW 1982, 2497; Lange/Kuchinke, § 37 VII 2a (S. 897 Fn. 201). 2 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2057). 3 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2057). Muscheler

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B XV

Rz. 62

Erbverzicht

Anderenfalls ist dringend zum (isolierten) Pflichtteilsverzicht mit ergänzender Verfügung von Todes wegen zu raten1.

III. Der isolierte Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) 1. Allgemeines 62

Abgesehen von den seltenen Fällen einer Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 ff. BGB) ist der Pflichtteilsverzicht das einzige zweckmäßige Mittel zur Beseitigung einer Pflichtteilsaussicht. Ein Erlassvertrag zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem zugunsten der Erben ist nicht möglich, da § 328 BGB auf Verfügungsgeschäfte keine Anwendung findet und ein Pflichtteilsanspruch als ein bloß zukünftiges Forderungsrecht nicht Gegenstand eines Erlassvertrags sein kann2. Aus diesen Gründen kommt auch keine zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem vereinbarte Abtretung des zukünftigen Pflichtteilsanspruchs zugunsten der Erben in Betracht3. Denkbar wäre zwar, dass sich der Pflichtteilsberechtigte gegenüber dem Erblasser zugunsten der Erben vertraglich verpflichtet, seinen Pflichtteilsanspruch nicht geltend zu machen, ihn nach dem Erbfall den Erben zu erlassen oder an diese abzutreten, doch wäre eine solche Verpflichtung im Vergleich zum Pflichtteilsverzicht nachteilig. Obgleich dieselben Kosten entstünden, weil ein entsprechender schuldrechtlicher Vertrag zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten – wie der Pflichtteilsverzicht – notarieller Beurkundung bedarf (§ 2348 analog)4, wäre nicht in gleichem Maße sicher, dass sich das gewünschte Ergebnis nach dem Erbfall tatsächlich realisiert. Abgesehen von dem Risiko, dass die Verpflichtung gerichtlich durchgesetzt werden muss, ist zusätzlich im Falle eines Vorversterbens des Verpflichteten nicht in jedem Fall sichergestellt, dass die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegen die Erben unterbleibt. Ist der Verpflichtete nämlich Abkömmling des Erblassers und hinterlässt er seinerseits Abkömmlinge, haben diese beim Tod des Erblassers – sofern sie ihn nicht selbst beerben – einen originären Pflichtteilsanspruch gegen die Erben (vgl. Beispiel Rz. 55a).

63

Der Pflichtteilsverzicht kann uneingeschränkt erfolgen oder inhaltlich begrenzt werden5. Allgemein anerkannt ist heute, dass die Beschränkung auf einen Bruchteil des Pflichtteils zulässig ist6. Eine solche Beschränkung ist vereinbar mit der Rechtsstellung, auf die verzichtet wird, und gefährdet nicht den Grundsatz der Universalsukzession. Im Erbfall entsteht ohne Besonderheiten eine Erbengemeinschaft am gesamten Nachlass. Ob der Verzicht auch auf bestimmte Nachlassgegenstände bezogen sein kann, wird nicht einheitlich beantwortet. Im Hinblick auf den obligatorischen Charakter des Pflichtteilsanspruchs als eines bloßen Geldanspruchs im Gegensatz zum dinglich wirkenden Erbrecht erachtet die h.M. eine Beschränkung des Pflichtteilsverzichts auf bestimmte Nachlassgegenstände für zulässig (s. Rz. 11), mit der Folge, dass die betreffenden Gegen1 2 3 4 5 6

Rheinbay, S. 124; Schramm, BWNotZ 1959, 227 (230). Damrau, S. 47. Damrau, S. 48. KG v. 26.2.1973 – 12 U 2463/72, OLGZ 1974, 263 (265). Näher Mayer, ZEV 2000, 263. A.A. war noch Harrer, ZBIFG 15 (1915), 1 (11).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 66

B XV

stände bei der Berechnung des Pflichtteils unberücksichtigt bleiben1. Ein Verstoß gegen das für die Pflichtteilsberechnung geltende Verbot von Wertbestimmungen durch den Erblasser (§ 2311 Abs. 2 S. 2 BGB) ist darin nicht zu erblicken2, weil bei Vorliegen einer vertraglichen Vereinbarung darüber, dass zukünftige nachlasszugehörige Gegenstände bei der Berechnung ausgenommen sein sollen, keine einseitige Bestimmung durch den Erblasser getroffen ist3. Neben den in Rz. 12 und 63 genannten rechtsgeschäftlichen Verzichtsbeschränkungen kann der Pflichtteil auch auf eine bestimmte Summe festgelegt (dann ist an Wertsicherung zu denken!4) oder eine Vereinbarung zur Berechnungsweise des Pflichtteils5 getroffen werden6. Auf diese Weise lassen sich spätere Streitigkeiten über die Höhe oder Berechnung des Pflichtteils vermeiden. Darüber hinaus macht eine solche Vereinbarung für den späteren Erben die Pflichtteilslast kalkulierbar. Man kann den Pflichtteilsverzicht auch auf Pflichtteilsergänzungsoder Pflichtteilsrestansprüche (§§ 2325 ff., 2305, 2307 BGB) oder auf den Bruchteil beschränken, der den Wert eines erbvertraglich dem Verzichtenden vermachten Gegenstandes übersteigt. Durch die zuletzt genannte Gestaltung werden die Nachteile vermieden, die dem Verzichtenden im Erbfall aus den §§ 2310 S. 2, 2318 Abs. 1 und 2 BGB entstehen können, wenn Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind7. Ferner sind Vereinbarungen über die Stundung oder Ratenzahlung eines späteren Pflichtteilsanspruchs möglich8 (s. auch Rz. 76).

64

2. Wirkungen Der uneingeschränkte Pflichtteilsverzicht beseitigt das Pflichtteilsrecht insgesamt und verhindert die Entstehung sämtlicher Ansprüche, die mit dem Pflichtteil zusammenhängen. Ausgeschlossen sind daher auch der Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB), der Pflichtteilsanspruch bei Zuwendung eines Vermächtnisses (§ 2307 BGB) und der Pflichtteilsergänzungsanspruch (§§ 2325 ff. BGB)9.

65

In Ansehung beschränkter Pflichtteilsverzichtsverträge besteht lediglich bei der Beschränkung auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch (§§ 2325 ff. BGB) die Besonderheit, dass der aufgrund lebzeitiger Zuwendungen möglicherweise entstehende Anspruch auf den Ausgleichspflichtteil (§ 2316 BGB) hiervon unberührt bleibt10.

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1 2 3 4 5 6 7 8 9

10

Mayer, ZEV 2000, 263 m.w.N. A.A. Schopp, RPfleger 1984, 175 (176). H.M., Mayer, ZEV 2000, 263 m.w.N.; Cremer, MittRhNotK 1978, 169 (170). Mayer, ZEV 2000, 263 (267). Zu den damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. Mayer, ZEV 2000, 263 (267) m.w.N. Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 10; RGRK/Johannsen, § 2346 Rz. 24; Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 15. Nieder, Rz. 1145. Damrau, BB 1970, 467 (469); Weirich, DNotZ 1986, 5 (11). Vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts (vgl. hierzu Keim, ZEV 2008, 161 [162]; Muscheler, ZEV 2008, 105 [107] bewirkte der uneingeschränkte Pflichtteilsverzicht ferner den Ausschluss des von § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB angeordneten Wegfalls der Beschränkungen und Beschwerungen, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht überstieg. Mayer, ZEV 2000, 263. Muscheler

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B XV

Rz. 67

Erbverzicht

67

Zu beachten ist, dass die Auslegungsregeln des § 2350 Abs. 1 und 2 BGB bei einem isolierten Verzicht auf das Pflichtteilsrecht nicht gelten, weil dieser das gesetzliche Erbrecht des Verzichtenden unberührt lässt1. Demzufolge hat ein solcher Verzicht auch keinen Einfluss auf den Umfang der Erb- und Pflichtteilsrechte Dritter. Geht der Wille der Beteiligten dahin, dass der Pflichtteilsberechtigte auf seinen Pflichtteil nur verzichten will, wenn eine bestimmte Person Erbe und damit Pflichtteilsschuldner wird, ist daher eine entsprechende Bedingung zu vereinbaren2.

68

Wird der Verzichtende (gesetzlicher oder testamentarischer) Erbe und hat er als solcher Ansprüche aus Vermächtnissen und Pflichtteilsrechten zu erfüllen, kann er die Erfüllung der Ansprüche nicht nach §§ 2318 Abs. 2, 2319 und 2328 BGB in dem Umfang verweigern, dass ihm der eigene Pflichtteil verbleiben würde3. Denn der Betroffene hat nun einmal auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet.

69

Ein gegenständlicher Verzicht auf bestimmte Nachlassgegenstände führt dazu, dass diese bei der Berechnung des Pflichtteils nicht zu berücksichtigen sind4. Für die anderen Fälle des gegenständlichen Verzichts gelten keine Besonderheiten. Ihre Wirkung entspricht dem, was rechtsgeschäftlich vereinbart worden ist.

70

Beschränkt ein in Zugewinngemeinschaft lebender Ehegatte seinen Verzicht auf das Pflichtteilsrecht, so bleibt es bei der erbrechtlichen Lösung. Bei gesetzlicher Erbfolge erhält er den gem. §§ 1371 Abs. 1, 1931 BGB um 1/4 erhöhten Erbteil5. 3. Zweckmäßigkeit

71

Zweckmäßig ist der (isolierte) Pflichtteilsverzicht in allen Fällen, in denen der Erblasser sein Vermögen einem bestimmten Nachfolger als Ganzes erhalten und vermeiden möchte, dass es infolge der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zu einer Zersplitterung des Vermögens kommt. Hauptanwendungsfälle sind insoweit die Übertragung eines Familienwohnheims, eines Handelsgeschäfts bzw. einer Beteiligung an einer Gesellschaft entweder durch Verfügung von Todes wegen oder durch Übertragungsverträge im Wege vorweggenommener Erbfolge.

72

Im Zusammenhang mit Übergabeverträgen (etwa der Übertragung eines Grundstücks auf einen Abkömmling gegen Erbverzicht) kann (zusätzlich) ein gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht (eines Dritten) zweckmäßig sein, um zu verhindern, dass sich der Übernehmer im Erbfall in Ansehung des Übergabegegenstandes mit Pflichtteilsergänzungsansprüchen konfrontiert sieht. Häufig wird übersehen, dass solche Ergänzungsansprüche etwa dem Ehegatten des Übergebers auch dann zustehen können, wenn er im Zeitpunkt der Zuwendung mit dieser ausdrücklich einverstanden war6. Insbesondere bei Stiefeltern/Stiefkindern 1 Staudinger/Schotten, § 2350 Rz. 5, 23. 2 Zu deren Zulässigkeit Spanke, ZEV 2012, 345. 3 A.A. wohl Mayer, ZEV 2007, 556 (558). Tanck, ZErb 2001, 194 (196) spricht sich für einen Vorbehalt der Einreden im Rahmen eines Pflichtteilsverzichts aus. Dagegen spricht die Tatsache, dass die Vertragsparteien nicht über die Dritten gegenüber wirkenden Einreden disponieren können. 4 Fette, NJW 1970, 743 (744). 5 Nieder, Rz. 1144. 6 Mayer, ZEV 2000, 263 (265). 970

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 75

B XV

sollte der Abschluss eines gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichts hinsichtlich des Vertragsgegenstandes in Erwägung gezogen werden1, um den Übernehmer vor künftigen unliebsamen Überraschungen zu schützen. Soll der Pflichtteilsverzicht die einverständliche Enterbung des Verzichtenden zwecks Übertragung seines zukünftigen Nachlassanteils oder des gesamten Nachlasses auf einen Dritten im Wege der Erbfolge sicherstellen, kommt auch ein Vertrag unter zukünftigen gesetzlichen Erben gem. § 311b Abs. 5 BGB in Betracht.

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Beispiel: Die in einem Berliner Testament als zukünftige Schlusserben eingesetzten Abkömmlinge wollen sich nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils vorweg über den Nachlass des überlebenden Elternteils auseinandersetzen.

Die Vor- und Nachteile eines dinglichen Verzichts gegenüber einem schuldrechtlichen Vertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB sind in Rz. 55–56a. aufgeführt, auf die an dieser Stelle verwiesen wird.

73a

Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag kann sich auch zwischen dem Erblasser und der pflichtteilsberechtigten Person anbieten, die der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen zum Erben bestimmen will. Soll dem Erben ein Erbteil hinterlassen werden, der zwar größer ist als der Pflichtteil oder gar dem gesetzlichen Erbteil entspricht, jedoch mit Beschränkungen oder Beschwerungen i.S.d. § 2306 BGB belastet ist, lässt sich durch den Pflichtteilsverzicht das Risiko vermeiden, dass der Erbe die Erbschaft ausschlägt und den Pflichtteil verlangt2. Das ermöglicht dem Erblasser sicherzustellen, dass bspw. ein – vermutlich in den Nachlass fallendes – Unternehmen nach seinen Wünschen weitergeführt wird.

74

Durch den Pflichtteilsverzicht lässt sich bewerkstelligen, dass der in einem Berliner Testament (§ 2269 BGB) eingesetzte (pflichtteilsberechtigte) Schlusserbe beim Tod des erstversterbenden Ehegatten die Erbeinsetzung des Längstlebenden durch Geltendmachung des Pflichtteils nicht beeinträchtigen kann3. Mit Pflichtteilsstrafklauseln ist dieses Ergebnis de iure nicht und de facto nicht sicher zu erreichen. Diese bewirken nämlich nur, dass derjenige Schlusserbe, der beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil fordert, beim Tod des zuletzt Versterbenden ebenfalls nur den Pflichtteil erhält, verhindern aber eben nicht, dass der überlebende Ehegatte durch Pflichtteilsansprüche in Bedrängnis gebracht wird. Da ungewiss ist, welcher Ehegatte vorverstirbt, muss mit jedem Ehegatten ein Verzicht auf den Pflichtteil (aber streng bezogen auf das Vorversterben des jeweiligen Ehegatten) vereinbart werden. Im Hinblick auf die Gefahr einer späteren einvernehmlichen Beseitigung des Ehegattentestamentes, insbesondere soweit es um die darin enthaltene Einsetzung der Schlusserben geht, sollten die Verzichte – zum Schutz des als Schlusserben eingesetzten Pflichtteilsberechtigten – unter der auflösenden Bedingung erklärt werden, dass der Verzichtende tatsächlich Schlusserbe wird. Da sich nicht ausschließen lässt, dass der Verzichtende – nach dem Tod des Erstversterbenden – von einem bereits erfolgten lebzeitigen Widerruf des ihn begünstigenden Testamentes erst zu einem Zeitpunkt erfährt, in dem der Pflichtteilsanspruch bereits verjährt ist

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1 Mayer, ZEV 2000, 263 (265). 2 Esch/Baumann/Schulze zur Wiesche, S. 233 Rz. 869. 3 Damrau, S. 53; Mayer, ZEV 2000, 263 (265). Muscheler

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B XV

Rz. 76

Erbverzicht

(§ 2332 Abs. 1 BGB), sollte zudem in den Kausalvertrag zum Erbverzicht rein vorsorglich eine Klausel aufgenommen werden, die den jeweiligen Ehegatten im Falle seines Überlebens zur sofortigen Mitteilung gegenüber dem Verzichtenden verpflichtet. Bei Missachtung dieser Pflicht bestünden dann zumindest Schadensersatzansprüche gegen den überlebenden Ehegatten (oder seine Erben) in Höhe des verjährten Pflichtteilsanspruchs.

Beachte: Zum Schutz des in einem Berliner Testament als Schlusserben eingesetzten Pflichtteilsberechtigten sollte der Verzicht auf den Pflichtteil (nach dem Tod des Erstversterbenden) unter der auflösenden Bedingung erklärt werden, dass der Verzichtende Schlusserbe wird. Außerdem sollte der Kausalvertrag zum Erbverzicht den überlebenden Ehegatten verpflichten, dem Verzichtenden eine Testamentsänderung mitzuteilen. 76

Als weitere Möglichkeit bietet sich beim gemeinschaftlichen Testament auch eine Stundungsvereinbarung mit den Abkömmlingen an, die die Fälligkeit des Pflichtteilsanspruchs gegen den überlebenden Ehegatten hinausschiebt. Der Sache nach handelt es sich bei einer solchen Vereinbarung um einen zeitlich beschränkten Pflichtteilsverzicht, der die kurze Verjährung des Pflichtteilsanspruchs (§ 2332 BGB) unterbricht und zudem einen erbschaftsteuerlichen Vorteil bietet1. Dieser Vorteil liegt darin, dass mit der (genauer: „erst mit der“ und daher für die vorteilhafte Gestaltung unbedingt erforderlichen) Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs ein steuerbarer Erwerb von Todes wegen beim Pflichtteilsberechtigten eintritt (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG). Die Abkömmlinge können damit die Erbschaftsteuerfreibeträge nach dem Tod des Erstversterbenden in Anspruch nehmen, wohingegen der überlebende Ehegatte umgekehrt den Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit bei der Bemessung seiner Erbschaftsteuer in Abzug bringen darf (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG). Dies mindert die Steuerprogression im zweiten Erbfall und ermöglicht die Inanspruchnahme der Freibeträge gegenüber beiden Elternteilen. Gleichwohl birgt eine solche Stundungsvereinbarung auch Gefahren in sich. Ohne Wertsicherung und Sicherstellung der Zahlung besteht das Risiko, dass sich der Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Letztversterbenden nicht mehr realisieren lässt. Insoweit ist dringend zu empfehlen, dass sorgfältige Belehrungsvermerke in die Urkunde aufgenommen werden2. Zudem kann der erbschaftsteuerliche Vorteil von einer erhöhten Progressionsbelastung des Pflichtteilsberechtigten aufgezehrt werden3. Das resultiert daraus, dass eine für einen Zeitraum von über einem Jahr gestundete Forderung nach der Rechtsprechung des BFH gem. § 12 Abs. 3 BewG in einen Kapital- und einen Zinsanteil zu zerlegen und der Zinsanteil als Einnahme aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu versteuern ist4, sobald dem Pflichtteilsberechtigten die Geldsumme zufließt. Die zinslose Stundung eines Pflichtteilsanspruchs ist also steuerrechtlich verzinslich5!

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Sofern der Erblasser einer pflichtteilsberechtigten Person eine Zuwendung gemacht hat, ohne eine Anrechnungs- oder Ausgleichungsbestimmung zu treffen 1 2 3 4 5

Mayer, ZEV 2000, 263 (266). Mayer, ZEV 2000, 263 (265). Mayer, ZEV 2000, 263 (265). BFH v. 26.6.1996 – VIII R 67/95, ZEV 1997, 84 (85). Krit. hierzu Wohlschlegel, Anm. zu BFH v. 26.6.1996 – VIII R 67/95, ZEV 1997, 86 f.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 80

B XV

(§§ 2315 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB), kann eine solche noch nachträglich im Wege eines gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichts vereinbart werden.

IV. Der Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) 1. Allgemeines Grundsätzlich kann jede (natürliche oder juristische) Person durch Vertrag mit dem Erblasser auf eine bereits erfolgte (s. Rz. 81) Zuwendung von Todes wegen in Form einer Erbeinsetzung oder eines Vermächtnisses verzichten. Je nachdem, ob die Zuwendung in einem (einseitigen oder gemeinschaftlichen) Testament oder einem Erbvertrag enthalten ist, stellt das Gesetz unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen solchen Zuwendungsverzicht auf.

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Ist die Zuwendung in einem Testament enthalten, gilt § 2352 S. 1 BGB, der an die Person des Verzichtenden keine besonderen Anforderungen stellt. Bei einer in einem Erbvertrag enthaltenen Zuwendung ist danach zu differenzieren, ob die begünstigende Verfügung vertragsmäßig (§ 2278 Abs. 1 BGB) oder einseitig (§ 2299 Abs. 1 BGB) getroffen wurde. Der Grund für die Notwendigkeit dieser Differenzierung liegt darin, dass auf eine vertragsmäßig getroffene Verfügung gem. § 2352 S. 2 BGB nur ein „Dritter“ – also nicht der Vertragspartner des Erbvertrages1 – verzichten kann. Diese Einschränkung gilt für einen Verzicht auf eine einseitige Verfügung jedoch nicht2, weil auf eine solche gem. § 2299 Abs. 2 S. 1 BGB die Vorschriften über testamentarische Verfügungen – mithin im Verzichtsfall S. 1 des § 2352 BGB – anzuwenden sind.

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Dritter i.S.d. § 2352 S. 2 BGB ist, wer weder als Erblasser noch als dessen Vertragspartner am Abschluss des Erbvertrags beteiligt war3. Ein Zuwendungsverzicht kommt daher von vornherein nicht in Betracht, wenn eine vertragsmäßige Verfügung lediglich im Zweipersonenverhältnis und zugunsten des (einzigen) Vertragspartners erfolgt ist4, weil es dann zwangsläufig keinen Dritten geben kann. Ist die vertragsmäßige Verfügung demgegenüber in einem Erbvertrag, an dessen Abschluss mehr als zwei Personen beteiligt waren, an eine dieser Personen erfolgt, so muss geprüft werden, ob der (nunmehr verzichtswillige) Beteiligte materiellrechtlich als Vertragspartner anzusehen ist oder ob er den Vertrag nur formell (d.h. zur Kenntnisnahme) mitunterzeichnet hat. Bei einer lediglich formellen Beteiligung ist das Merkmal „Dritter“ erfüllt und ein Zuwendungsverzicht daher möglich, bei einer materiellrechtlichen Beteiligung dagegen nicht5.

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1 In seinem Fall hat die Aufhebung des Erbvertrags gem. § 2290 BGB Vorrang, weil sonst die für die Aufhebung des Erbvertrags geltenden strengeren Formvorschriften der §§ 2276 Abs. 1 S. 1, 2290 Abs. 4 BGB umgangen werden könnten, vgl. OLG Stuttgart v. 9.11.1978 – 8 W 564/78, OLGZ 1979, 129 (130). 2 Vgl. nur Jackschath, MittRhNotK 1977, 117 (119). 3 Palandt/Weidlich, § 2352 Rz. 3. 4 OLG Hamm v. 14.2.1977 – 15 W 159/75, DNotZ 1977, 751 (754); OLG Celle v. 8.7. 1959 – 4 Wx 7/59, NJW 1959, 1923. 5 BayObLG v. 11.5.1965 – BReg. 1a Z 3/65, BayObLGZ 1965, 188 (192 f.); OLG Stuttgart v. 9.11.1978 – 8 W 564/78, OLGZ 1979, 129 (130). Noch großzügiger – jeder am mehr als zweiseitigen Erbvertrag Beteiligte kann verzichten – OLG Hamm v. 2.12.2011 – I-15 W 603/10, FamRZ 2012, 1171 = MittBayNot 2013, 65 (66), ZEV 2012, 266 (267) und die h.L., z.B. Kornexl, MittBayNot 2013, 67 (68). Zur Problematik auch unten Rz. 95 f. Muscheler

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B XV

Rz. 81

Erbverzicht

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Gegenstand eines Zuwendungsverzichtsvertrags vermag nur eine Zuwendung in einer (bereits) bestehenden, noch wirksamen Verfügung von Todes wegen zu sein. Der Verzicht auf eine künftige Zuwendung ist nicht möglich1, denn verzichten kann gem. § 2352 S. 1 BGB nur, wer im Zeitpunkt des Verzichts (bereits) „bedacht“ ist. Aus diesem Grund kann sich auch der Verzicht nicht zusätzlich auf Zuwendungen erstrecken, die erst nach Abschluss des Zuwendungsverzichtsvertrags erfolgen.

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Auf ein Vermächtnis kann (ebenso wie auf die Erbenstellung) ganz oder teilweise verzichtet werden. Einem Verzicht nicht offen stehen die gesetzlichen Vermächtnisse des Voraus (§ 1932 BGB) und des Dreißigsten (§ 1969 BGB)2.

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Der Verzicht auf eine Zuwendung enthält nicht notwendig einen Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht3. Im Wege der Auslegung kann sich aber ein derart ausgedehnter Umfang ergeben4. Die Auslegung ist indes restriktiv zu handhaben5. Zur Vermeidung von Streitigkeiten empfiehlt sich, beim Abschluss des Zuwendungsverzichtsvertrags in jedem Fall genau festzuhalten, worauf sich der Verzicht erstrecken soll.

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Selbstverständlich kann auch der Zuwendungsverzicht beschränkt werden (arg. e contrario § 1950 BGB). Deshalb hat der (bereits gebundene) Erblasser bspw. die Möglichkeit, mit den in einem gemeinschaftlichen Testament als Schlusserben Eingesetzten notariell zu vereinbaren, dass ihm gestattet sein soll, ihnen durch letztwillige Verfügungen Beschränkungen in Form von Vermächtnissen6, der Ernennung eines Testamentsvollstreckers etc. aufzuerlegen. Soweit eine derartige Vereinbarung formlos getroffen wird, kann sie jedoch – außer in steuerlicher Hinsicht7 – keine Wirkungen entfalten8.

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Der Zuwendungsverzicht kann auch zugunsten bestimmter Personen erklärt werden. § 2350 Abs. 2 BGB findet allerdings nach einhelliger Meinung beim Zuwendungsverzicht keine Anwendung. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm sowie der Tatsache, dass sie in § 2352 BGB nicht genannt ist. Auch der Reformgesetzgeber hat sich bei der Neufassung des § 2352 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts nur für eine Aufnahme des § 2349 BGB und nicht auch des § 2350 BGB in die Verweisung des § 2352 S. 3 BGB entschieden. Daher wird beim Zuwendungsverzicht eines Abkömmlings 1 2 3 4 5 6 7 8

BayObLG v. 4.12.1986 – BReg.1Z 30/86, Rpfleger 1987, 374. Palandt/Weidlich, § 2352 Rz. 2. Für den umgekehrten Fall: RG v. 14.11.1918 – IV 261/18, LZ 1919, Sp. 594. Für den umgekehrten Fall: BGH v. 19.1.1972 – IV ZR 1208/68, DNotZ 1972, 500; OLG Celle v. 21.2.2011 – 6 W 32/11, FamRZ 2011, 1535. Lange/Kuchinke, § 7 III 3 (S. 182). OLG Köln v. 23.7.1982 – 6 U 199/81, FamRZ 1983, 837; Weidlich, ZEV 2007, 463 (467). FG München v. 15.9.1993 – 4 K 1274/89, UVR 1994, 58 f. (Anwendung des § 41 AO trotz nur mündlichen Erbverzichts); vgl. auch BFH v. 5.11.1998 – IV R 32/98, BFHE 187, 469 (473 f.). A.A. LG Düsseldorf v. 26.2.1988 – 20a S 124/87, MDR 1989, 360 = FamRZ 1988, 661 f., das dem in einem gemeinschaftlichen Testament Bedachten, der sich mit einer ihn belastenden letztwilligen Verfügung des überlebenden Ehegatten formlos einverstanden erklärt, die Berufung auf die Unwirksamkeit dieser Verfügung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben verweigert.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 86

B XV

im Zweifel nicht vermutet, dass der Verzicht nur zugunsten anderer Abkömmlinge und des Ehegatten gelten soll. Unverständlicherweise streitig – unverständlich, weil hier dieselben Argumente gelten wie bei § 2350 Abs. 2 BGB – ist dagegen die Anwendung des § 2350 Abs. 1 BGB, mithin die Frage, ob der Verzicht zugunsten eines anderen (gem. § 2350 Abs. 1 BGB ipso iure) im Zweifel nur für den Fall gelten soll, dass der andere die Zuwendung erhält1. Die Streitfrage hat keine große praktische Bedeutung, weil die Wirkungen der Norm nach allgemeiner Meinung durch eine entsprechende vertragliche Vereinbarung herbeigeführt werden können2. Sofern die Parteien einen Zuwendungsverzicht zugunsten bestimmter Personen wünschen, sollte dies ausdrücklich zum Vertragsinhalt gemacht und zudem vereinbart werden, dass der Zuwendungsverzicht nur dann gilt (Bedingung), wenn der zu Begünstigende anstelle des Verzichtenden Erbe oder Vermächtnisnehmer wird3. Ein derartiger Verzicht ist dann auflösend bedingt und wird unwirksam, wenn die Bedingung nicht eintritt.

Beratungssituation: Der Erblasser möchte wissen, ob er sich durch Abschluss eines Zuwendungsverzichtsvertrags mit dem in einem gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Schlusserben von der Bindung an seine wechselbezügliche Verfügung (§ 2271 Abs. 2 BGB) befreien kann. Es entspricht ganz herrschender Meinung, dass sich ein Erblasser durch Abschluss eines Zuwendungsverzichtsvertrags mit dem im gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Schlusserben von der Bindung an seine wechselbezügliche Verfügung befreien kann4. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die wechselbezügliche letztwillige Zuwendung, für die Bindung des Erblassers besteht, infolge des Verzichts gegenstandslos wird5. Gegenstandslos wird eine Zuwendung im gemeinschaftlichen Testament dann nicht, wenn dieses für den Fall, dass der Schlusserbe wegfällt, eine ausdrückliche oder stillschweigende Ersatzregelung enthält. Eine ausdrückliche Ersatzregelung (Bestimmung eines Ersatzerben oder Ersatzvermächtnisnehmers gem. §§ 2094, 2096, 2190 BGB) kann einem gemeinschaftlichen Testament nur entnommen werden, wenn der Wortlaut des Testaments insoweit zumindest einen – sei es auch nur versteckten – Anhaltspunkt bietet. Ist das nicht der Fall, kann die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB eingreifen, nach der die Abkömmlinge des Verzichtenden an dessen Stelle treten. Diesbezüglich gilt es jedoch Folgendes zu beachten: Mit der Neufassung des § 2352 S. 3 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts6 erstreckt sich die Wirkung des Zuwendungsverzichts eines Abkömmlings gem. § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB auf dessen Abkömmlinge, falls die Vertragsparteien nichts anderes bestimmt haben (s. Rz. 91). Hat also ein in einem gemeinschaftlichen Testament als Schlusserbe eingesetzter Abkömmling mit dem Erblasser einen Zuwendungsverzichtsvertrag geschlossen, verdrängt dieser eine ausdrückliche oder auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruhende Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Verzichtenden. Die wechselbezügliche Verfügung des Erblassers zugunsten des Verzichtenden wird 1 2 3 4 5 6

Vgl. Nieder, Rz. 1165. OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. MüKo.BGB/Strobel, § 2352 Rz. 5. S. z.B. OLG Köln v. 23.7.1982 – 6 U 199/81, FamRZ 1983, 837. OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. Vgl. hierzu Muscheler, ZEV 2008, 105 (109). Muscheler

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B XV

Rz. 86

Erbverzicht

mangels Berufung eines Ersatzerben gegenstandslos, der Erblasser kann wieder neu testieren. Beispiel:1 Die Ehegatten M und F haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und T, Tochter der F und Stieftochter des M, zur Schlusserbin bestimmt. Nach dem Tod der F kommen M und T überein, dass T auf das ihr durch das gemeinschaftliche Testament Zugewendete zugunsten eines ihrer fünf Kinder, ihrer Tochter A, verzichtet, und lassen die Vereinbarung notariell beurkunden. Danach verstirbt M. Ist A dessen Alleinerbin geworden?

Der zwischen M und T geschlossene Zuwendungsverzichtsvertrag beseitigt lediglich die erbrechtliche Position der T, hat aber keine unmittelbare Übertragungswirkung (s. Rz. 14 f.). A könnte deshalb allenfalls unter der Voraussetzung Alleinerbin des M geworden sein, dass M eine entsprechende Verfügung von Todes wegen getroffen hat. Einer solchen steht grundsätzlich die durch den Tod der F eingetretene Bindungswirkung an die wechselbezügliche Zuwendung zugunsten der T entgegen (§ 2271 Abs. 2 BGB). Allgemein anerkannt ist jedoch, dass sich ein Erblasser durch Abschluss eines Erbverzichtsvertrags mit dem im gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Schlusserben von der Bindung an seine wechselbezügliche Verfügung befreien kann. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass durch Abschluss des Zuwendungsverzichtsvertrags zwischen M und T die Bindung des M an seine Verfügung entfallen ist2. Ein solcher Schluss wäre indes voreilig. Die Bindungswirkung kann nur entfallen, wenn der Verzicht die Gegenstandslosigkeit der (gesamten) wechselbezüglichen letztwilligen Verfügung bewirkt. Diese wird nur gegenstandslos, wenn sie keine Ersatzregelung für den Fall enthält, dass der Bedachte (hier die T) wegfällt. Eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung ist dem gemeinschaftlichen Testament des Beispielsfalles nicht zu entnehmen. Es greift jedoch die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB ein. Obgleich T – als Stieftochter des M – nicht dessen „Abkömmling“ ist, wird sie einem solchen gleichgestellt. Mit Rücksicht darauf, dass die Testierenden bei einem Ehegattentestament den beiderseitigen Nachlass in der Regel als Einheit betrachten3, behandelt die h.M. als Abkömmling auch denjenigen, der lediglich Abkömmling des vorverstorbenen Ehegatten und gleichwohl als gemeinschaftlicher Erbe eingesetzt ist4. Hätte T (uneingeschränkt) auf ihre Schlusserbenstellung verzichtet, wären ihre fünf Kinder daher gem. § 2069 BGB zu gleichen Teilen an ihre Stelle getreten und mit dem Tode des M ersatzweise (Mit-)Erben geworden. Diese gesetzlich vermutete Ersatzerbenregelung greift jedoch nur dann ein, wenn sie nicht von dem zwischen M und T geschlossenen Zuwendungsverzichtsvertrag verdrängt wird. Gem. § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB erstreckt sich die Wirkung eines zwischen Abkömmling und Erblasser vereinbarten Zuwendungsverzichts auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, sofern nicht ein anderes bestimmt ist. M und T haben sich darüber geeinigt, dass T zugunsten ihrer Tochter A verzichtet, und so die Erstreckung der Verzichtswirkung auf A abbedungen. Als Ersatzerbin kommt allein A in Betracht, die rest1 Sachverhalt nach OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. 2 Weidlich, ZEV 2007, 463 (467) spricht von einem „starken Gesichtspunkt gegen eine Bindungswirkung“. 3 KG v. 21.3.1974 – 12 U 2102/73, OLGZ 1974, 257 (259 ff.). 4 MüKo.BGB/Leipold, § 2069 Rz. 5. 976

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 88

B XV

lichen vier Kinder sind von der Ersatzerbfolge ausgeschlossen (§ 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB). Daraus ergibt sich: Aufgrund der Berufung der A als Ersatzerbin (§§ 2069, 2096 BGB) ist die wechselbezügliche letztwillige Verfügung des M mit Abschluss des Zuwendungsverzichtsvertrags mit T nicht gegenstandslos geworden. M konnte sich nicht von der Bindungswirkung an seine Verfügung befreien. Letzteres ist gleichwohl unschädlich: A wird zwar nicht durch eine neue Verfügung von Todes wegen des M als dessen Alleinerbin eingesetzt. Vermittelt durch die auf § 2069 BGB beruhende Ersatzerbenfolge können M und T aber dasselbe Ergebnis schon mit der wechselbezüglichen Verfügung des M im gemeinschaftlichen Testament erreichen. Vorstehendes gilt auch für erbvertragliche Verfügungen nach Eintritt der Bindungswirkung.

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Der Ausschluss der Anwendung des § 2069 BGB durch § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB entspricht dem mutmaßlichen Willen der Eheleute insbesondere dann, wenn der Verzichtende vollständig abgefunden worden ist. Von einer vollständigen Abfindung kann ausgegangen werden, wenn der wirkliche Wert des Erbteils im Zeitpunkt des Verzichtsvertrags die Gegenleistung um nicht mehr als 10 % übersteigt1. Unter dieser Voraussetzung soll grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung2 dafür sprechen, dass die Abkömmlinge des Verzichtenden nicht zu dessen Ersatzerben berufen sind3; man müsse davon ausgehen, dass der Erblasser nicht denselben Stamm doppelt habe bedenken wollen4. Durch die vollständige Abfindung sei dem Willen des vorverstorbenen Ehegatten und damit dem Bindungszweck des § 2271 Abs. 2 BGB Genüge getan5, denn der Verzichtende bekomme der „Substanz“ nach das, was der Erblasser ihm und seinem Stamm habe zuwenden wollen6. Die tatsächliche Vermutung soll nicht nur dann gelten, wenn in der Verfügung von Todes wegen nicht ausdrücklich bestimmt ist, dass bei einem Erbverzicht gegen volle Abfindung die Ersatzberufung nicht gelten solle7, sondern im Gegenteil selbst dann, wenn in der Verfügung von Todes wegen eine ausdrückliche Ersatzerbenregelung im Sinne des § 2069 BGB getroffen ist8. Die Ersatzerbenregelung wäre in Fällen geleisteter Abfindungen also schon ohne die Regelung des § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB ausgeschlossen.

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Beispiel:9 Die Ehegatten M und F haben sich in einem Erbvertrag (jeweils vertragsmäßig) zu Alleinerben und die drei Kinder der F aus erster Ehe (K1–K3) zu Erben des Längstlebenden 1 OLG Köln v. 25.8.1989 – 2 Wx 21/89, FamRZ 1990, 99 (101). 2 Krit. hierzu Mayer, ZEV 1996, 127 (131), der aber durch ergänzende Auslegung i.d.R. zu demselben Ergebnis kommen will. 3 BGH v. 24.10.1973 – IV ZR 3/72, NJW 1974, 43 (44). 4 OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. 5 Baumgärtel, DNotZ 1959, 63 (68). 6 Blomeyer, FamRZ 1974, 421 (427). 7 In diesem Fall OLG Köln v. 25.8.1989 – 2 Wx 21/89, FamRZ 1990, 99 (101); anders noch OLG Stuttgart v. 9.12.1957 – 8 W 329/57, NJW 1958, 347 (348); OLG Düsseldorf v. 20.10.1972 – 7 U 51/72, DNotZ 1974, 367 (370). 8 BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430 = NJW-RR 1997, 1027 (1030); a.A. OLG Stuttgart v. 30.4.1997 – 19 U 13/97, OLGReport 1998, 111 f. 9 Sachverhalt nach BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430 = NJW-RR 1997, 1027. Muscheler

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B XV

Rz. 89

Erbverzicht

eingesetzt. Der jeweils Längstlebende von ihnen hat die Abkömmlinge seiner Erben zu Ersatzerben bestimmt. Sofern solche nicht vorhanden seien, trete, so heißt es im Erbvertrag weiter, Anwachsung unter den übrigen Erben ein. Eine Abänderung zugunsten anderer Personen solle jedenfalls nicht möglich sein. Nach dem Tod der F schlossen M und K1 einen „Übergabevertrag“, durch den K1 ein Hotel (Übergabegut) als „Erbteil“ nach dem M und der vorverstorbenen F erhielt und dafür auf die Ansprüche aus dem Erbvertrag ausdrücklich verzichtete. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte K1 zu notariell beglaubigter Urkunde, dass sie und ihr Stamm im Hinblick auf den Nachlass der F und des Erblassers M abgefunden seien. Durch notarielles Testament setzte M sodann den Extraneus A als Alleinerben ein.

Der Verzicht der K1 macht die vertragsmäßige Verfügung des M nicht gegenstandslos. Die ausdrückliche Ersatzerbenanordnung des Erbvertrags kam hier zwar für den durch Verzicht ausgelösten Wegfall des K1 nicht zum Zuge; das ergibt wegen der Abfindung zugunsten des K1 schon eine ergänzende Auslegung des Erbvertrags und schließlich § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB. Gleichwohl konnte M selbst über den Anteil, auf den K1 verzichtet hatte, nicht neu verfügen, weil für diesen gem. § 2094 Abs. 1 S. 1 BGB Anwachsung an K2 und K3 vorgesehen war. 89

Trotz vollständiger Abfindung soll die tatsächliche Vermutung für den Ausschluss des ganzen Stammes nicht bestehen, wenn die Gefahr ausgeschlossen ist, dass ohne Erstreckung des Erbverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden einer von mehreren Stämmen doppelt bedacht wird1. Beispiel: Die Ehegatten M und F haben sich in einem Erbvertrag vertragsmäßig jeweils zu Alleinerben und ihre beiden Kinder K1 und K2 zu Erben des Längerlebenden eingesetzt. Nach dem Tode des M verstirbt K1 kinderlos. F schließt mit K2, der mehrere Kinder hat, einen Zuwendungsverzichtsvertrag und zahlt hierfür eine vollständige Abfindung. F und K2 bedingen ausdrücklich die Erstreckung der Verzichtswirkung auf die Kinder des K2 (§ 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB) ab.

Da in diesem Fall nur noch ein Stamm vorhanden ist und deshalb nicht die Gefahr besteht, dass dieser doppelt bedacht wird, verbleibt es hier bei der Ersatzerbenregelung des § 2069 BGB. Der mutmaßliche Wille der Ehegatten im Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags spricht nämlich dafür, dass das beim Tod des Zuletztversterbenden vorhandene Vermögen den Enkelkindern zukommen soll, wenn der einzige noch lebende Sohn Schlusserbe weder sein konnte noch wollte2. 2. Wirkungen 90

Anders als beim Widerruf eines Testamentes (§§ 2253, 2254, 2258 BGB) und der Aufhebung eines Erbvertrags (§§ 2290 ff. BGB), durch welche die betreffende Verfügung von Todes wegen aufgehoben wird, verhindert der Zuwendungsverzicht lediglich den Anfall der Zuwendung an den Verzichtenden. Nur seine erbrechtliche Position wird beseitigt, nicht aber wird die Verfügung von Todes wegen aufgehoben. Weitere in der Verfügung von Todes wegen getroffene Bestimmun1 OLG Frankfurt v. 6.3.1997 – 20 W 574/95, FamRZ 1998, 57 (59). 2 OLG Frankfurt v. 6.3.1997 – 20 W 574/95, FamRZ 1998, 57 (59). 978

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 91

B XV

gen bleiben bestehen1, insbesondere weitere in einem Erbvertrag oder einem gemeinschaftlichen Testament getroffene wechselbezügliche Verfügungen. Nach früher absolut h.M. war § 2349 BGB beim Zuwendungsverzicht nicht anwendbar2. Das ergab sich daraus, dass § 2349 BGB in § 2352 a.F. BGB nicht genannt war3 und eine – ohne gesetzliche Grundlage erfolgende – Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden den im Gesetz verankerten Grundsatz der Selbstständigkeit aller einzelnen Erbrechte durchbrochen hätte4. Die Neufassung des § 2352 S. 3 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts5 sieht gerade zu dieser Streitfrage eine erhebliche Kehrtwende vor: Demnach erklärt § 2352 S. 3 BGB die Regelung des § 2349 BGB für anwendbar6. Die Aufnahme des § 2349 BGB in die Verweisung des § 2352 BGB ist eine nicht nur im Sinne der Rechtsklarheit wünschenswerte Neuerung, sondern befriedigt auch ein unabweisbares Bedürfnis. Der Zuwendungsverzicht ist gerade dann zweckmäßig, wenn eine anderweitige Beseitigung der Zuwendung wegen der Bindung an wechselbezügliche oder vertragsmäßige Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten bzw. Erbverträgen unmöglich ist (§§ 2270, 2271 Abs. 2 S. 1, 2278, 2289 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Befreiung von der Bindung scheitert jedoch dann, wenn an die Stelle des Verzichtenden dessen Abkömmlinge als Ersatzerben (§ 2096 BGB)7 oder Ersatzvermächtnisnehmer (§ 2190 BGB) treten (s. Rz. 86 f.). Die Erstreckung der Verzichtswirkung auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden (§ 2349 BGB) ermöglicht dem Erblasser wieder, frei zu testieren, und verschafft dem Zuwendungsverzicht die ihm zu1 LG Lübeck v. 20.2.1959 – 7 T 923/58, SchlHA 1959, 211. 2 KG v. 28.2.1907 – 1. ZS., OLGE 14, 311 (313); KG v. 22.10.1920 – ZS 1a, OLGE 41, 67 (69 f.); OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203; OLG Hamm v. 16.6.2009 – 15 Wx 312/08, ZEV 2009, 566; BayObLG v. 28.11.1983 – BReg. 1Z 38/83, FamRZ 1984, 422 = Rpfleger 1984, 65; BayObLG v. 23.4.1997 – 1Z BR 140/96, FamRZ 1997, 1430 = ZEV 1997, 377; OLG München v. 20.7.2005 – 31 Wx 18/05, DNotZ 2006, 68; OLG Stuttgart v. 9.12.1957 – 8 W 329/57, NJW 1958, 347 (348); a.A.: Staudinger/Schotten, § 2352 Rz. 42 ff.; Schotten, Anm. zu OLG Frankfurt v. 6.3.1997 – 20 W 574/95, FamRZ 1998, 57 = Rpfleger 1998, 113 (114); Schotten, ZEV 1997, 1 (4 f.). Weidlich, ZEV 2007, 463 (464) kritisiert die h.M. als „formal“. – Auch die Rspr. kam oft im Wege ergänzender Auslegung zur Annahme, dass der Erblasser die Ersatzerbenstellung der Abkömmlinge eines Verzichtenden nicht gewollt habe, vgl. zuletzt etwa OLG Hamm v. 16.6.2009 – 15 Wx 312/08, ZEV 2009, 566 (567); OLG Celle v. 21.2.2011 – 6 W 32/11, FamRZ 2011, 1535. 3 Kanzleiter, ZEV 1997, 261 (262); Reul, MittRhNotK 1997, 373 (386). 4 OLG Hamm v. 7.12.1981 – 15 W 171/81, MDR 1982, 320 = FamRZ 1982, 203. 5 V. 24.9.2009, BGBl. I, S. 3142. 6 Muscheler, ZEV 2008, 105 (109); Klinck, ZEV 2009, 533 ff.; J. Mayer, ZEV 2010, 2 (5 f.); Lehmann/Schulz, ZEV 2010, 361; Keim, RNotZ 2009, 574; Kanzleiter, DNotZ 2009, 805; Everts, ZEV 2010, 392; Langenfeld, NJW 2009, 3121 (3123); am ausführlichsten und intensivsten Metzler, Hereditare – Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht 1 (2011), 53 ff. 7 Nach BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, BGHZ 149, 363 = MDR 2002, 456 = FamRZ 2002, 747 = ZEV 2002, 150 (151) = NJW 2002, 1126 (1127) kann die Wechselbezüglichkeit einer Verfügung nicht auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB gestützt werden, wenn sich die Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge nicht aus einer vorrangigen individuellen Auslegung, sondern lediglich aus der Auslegungsregel des § 2069 BGB ergibt. § 2270 Abs. 2 BGB könne nicht mit § 2069 BGB kumuliert werden. Muscheler

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B XV

Rz. 92

Erbverzicht

kommende Geltung als Instrument zur Befreiung von der Bindung an wechselbezügliche oder vertragsmäßige Verfügungen. Anders ist dies weiterhin, wenn (1.) eine Anwachsung der Erbteile an die anderen Schluss- bzw. Vertragserben erfolgt, § 2094 BGB, (2.) andere als Abkömmlinge als Ersatzerben an die Stelle des Verzichtenden treten, (3.) der Verzichtende nicht Abkömmling oder Seitenverwandter des Erblassers ist oder (4.) im Verzichtsvertrag ausdrücklich die Erstreckung ausgeschlossen ist1. 3. Zweckmäßigkeit 92

Die Beseitigung einer auf einem (einseitigen) Testament beruhenden Zuwendung kann regelmäßig auf einfachere und kostengünstigere Weise als durch Erbverzicht, nämlich mittels Enterbungs- oder Widerrufstestament, erfolgen. Wird diese Möglichkeit aber durch eine nach Errichtung des begünstigenden Testamentes eingetretene Testierunfähigkeit des Erblassers ausgeschlossen, ist der Zuwendungsverzichtsvertrag das einzige Mittel, den Anfall einer Erbschaft bzw. die Entstehung eines Vermächtnisanspruchs zu verhindern (vgl. §§ 2352 S. 3, 2347 Abs. 2 S. 2 BGB).

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Beruht die Zuwendung auf einer in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen wechselbezüglichen Verfügung, vermag sich der Erblasser nach dem Tode seines vorverstorbenen Ehegatten von der Bindung an die von ihm getroffene Verfügung außer in den Fällen von § 2271 Abs. 2 BGB nur durch den Abschluss eines Zuwendungsverzichtsvertrags mit dem Bedachten zu befreien. Selbst wenn ein Anfechtungsgrund gegeben ist, kann dennoch ein Verzicht vorzugswürdig sein, denn dieser macht die Verfügung des Erblassers nur gegenstandslos, während die Anfechtung zu ihrer Vernichtung führt und damit gem. § 2270 Abs. 1 BGB zugleich die korrespektive Verfügung des anderen Ehegatten beseitigt.

94

Zu Lebzeiten beider Ehegatten, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem bei einem gemeinschaftlichen Testament ein Widerruf der Verfügung (noch) möglich wäre, kann der Zuwendungsverzicht zweckmäßig sein, wenn dem Erblasser daran gelegen ist, die weiter gehenden Auswirkungen des Widerrufs eines gemeinschaftlichen Testaments (Unwirksamkeit des Testamentes im Ganzen) zu vermeiden. Der Zuwendungsverzicht beseitigt ausschließlich die Zuwendung, hält die Wirkungen der gemeinsam errichteten Verfügung von Todes wegen im Übrigen aber aufrecht. Da der andere Ehegatte am Zuwendungsverzichtsvertrag nicht beteiligt sein muss, braucht er von diesem keine Kenntnis zu erlangen.

95

Beruht die Zuwendung auf einem Erbvertrag, besteht dieselbe Rechtslage: Mit dem Tod eines der Vertragschließenden tritt gem. § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB Bindungswirkung in dem Sinne ein, dass der Erbvertrag nicht mehr aufgehoben werden kann. Mithilfe des Zuwendungsverzichtsvertrags kann sich der Erblasser von dieser (über die normale Vertragsgebundenheit hinausgehenden) Bindungswirkung befreien. Zu Lebzeiten des Vertragspartners kann der Erbvertrag regelmäßig aufgehoben werden. Soll die Verfügung des Vertragspartners jedoch nicht gefährdet werden, ist der Zuwendungsverzicht durchaus zweckmäßig. 1 S. zu den Ausnahmen Muscheler, ZEV 2008, 105 (109). 980

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 96

B XV

Beachte: Die Verfügungsfreiheit des erbvertraglich oder durch wechselbezügliche Verfügungen gebundenen Erblassers tritt durch den Zuwendungsverzicht des Erstberufenen nicht ein, wenn Ersatzerbfolge oder ein Ersatzvermächtnis angeordnet ist (§§ 2096, 2190 BGB) oder Anwachsung erfolgt (§§ 2094, 2158 BGB)! Hat ein Abkömmling des Erblassers mit diesem einen Zuwendungsverzichtsvertrag geschlossen, so erstreckt sich dessen Wirkung gem. § 2352 S. 3 i.V.m. § 2349 BGB bei fehlender anderweitiger Bestimmung auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden und schließt insoweit eine ausdrückliche oder auf § 2069 BGB beruhende Ersatzerbfolge aus. Ein mehrseitiger Erbvertrag kann nicht durch Vertrag des Erblassers mit einem der letztwillig Bedachten aufgehoben werden. Es kann jedoch eine Umdeutung der Vereinbarung mit dem einen Bedachten in Frage kommen. Fraglich ist dabei, ob die Umdeutung in einen Zuwendungsverzicht am Wortlaut von § 2352 S. 2 BGB scheitert1; dieser verlangt erbvertragliche Zuwendung an einen „Dritten“.

95a

V. Kosten- und Gebührenfragen 1. Notarkosten Die Beurkundungsgebühr für Erbverzichtsverträge beträgt gem. KV GNotKG, Nr. 21100 das Doppelte der vollen Gebühr nach § 34 GNotKG; Nr. 21200 und Nr. 21201 KV (früher § 46 KostO) gelten nicht2, da der Erbverzicht keine Verfügung von Todes wegen, sondern ein Rechtsgeschäft unter Lebenden ist. Eine doppelte Gebühr entsteht auch bei isolierter Beurkundung des Kausalgeschäfts (Nr. 21100 KV, früher § 36 Abs. 2 KostO analog3). Die gleichzeitige Beurkundung von Kausal-(Abfindungs-) und Erbverzichtsvertrag stellt bei Vorliegen eines Austauschverhältnisses i.S.v. § 97 Abs. 3 GNotKG (früher § 39 Abs. 2 KostO) einen einheitlich zu bewertenden Vertrag dar4 (und zwar zwischen Eltern und Kind auch dann, wenn letzteres die Abfindung direkt von dem durch die Eltern lebzeitig begünstigten anderen Kind erhalten soll5), so dass der Wert der Leistung des einen Vertragspartners mit dem Wert des Erbverzichts zu vergleichen und für die Kostenberechnung von dem höheren Wert auszugehen ist6. Maßgeblich 1 Verneinend OLG Hamm v. 2.12.2011 – 15 W 603/10, ZEV 2012, 266 (267); BayObLG v. 11.5.1965 – BReg. 1aZ 3/65, BayObLGZ 1965, 188 = NJW 1965, 1552; noch offen OLG Hamm v. 14.2.1977 – 15 W 159/75, DNotZ 1977, 751 = Rpfleger 1977, 208. Tendenziell bejahend und damit für Scheitern Gockel, ZEV 2012, 268 (269). Wie die Rspr. und damit gegen Scheitern Kornexl, MittBayNot 2013, 67 (68). Vgl. auch oben Rz. 80. 2 Reimann, in: Korintenberg u.a., KostO, § 46 Rz. 9. 3 So noch Staudinger/Schotten (1996), Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 76; a.A. jetzt Staudinger/ Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 76, der annimmt, dass sowohl für das Kausalgeschäft als auch für den Erbverzicht jeweils die doppelte Gebühr nach § 36 Abs. 2 KostO zu erheben ist. § 38 Abs. 2 Nr. 6 KostO gelte nur für die konkret aufgeführten Verfügungsgeschäfte und daher nicht für den abstrakten Erbverzicht. 4 OLG Hamm v. 6.11.1970 – 15 W 49/70, DNotZ 1971, 611 (612) (für die Kombination von Übergabevertrag und Erbverzicht). Beachte: Der Begriff des Austauschverhältnisses i.S.v. § 97 Abs. 3 GNotKG (früher § 39 Abs. 2 KostO) ist nicht identisch mit dem Begriff des gegenseitigen Vertrags i.S.d. §§ 320 ff. BGB. 5 BGH v. 18.4.2013 – V ZB 77/12, FamRZ 2013, 1125 = MDR 2013, 879 = ZEV 2013, 458. 6 Bengel/Tiedtke in Korintenberg u.a., KostO, § 39 Rz. 30b. Muscheler

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B XV

Rz. 97

Erbverzicht

für die Frage, ob ein Austauschverhältnis vorliegt, ist der Vertrag, wobei dem mit ihm verfolgten wirtschaftlichen Zweck besondere Bedeutung zukommt1. Erfolgt die Beurkundung des Erbverzichts später als die des Kausalgeschäfts, verursacht jener zusätzlich – nach Nr. 21101 Nr. 2 KV GNotKG (früher: in entsprechender Anwendung des § 38 Abs. 2 Nr. 6 KostO) – (lediglich) die Hälfte der vollen Gebühr2. 97

Bei einem gegenseitigen Erbverzicht – z.B. durch Ehegatten – liegt ein Austauschvertrag i.S.d. § 97 Abs. 3 GNotKG (früher § 39 Abs. 2 KostO) vor, so dass nur der wertmäßig höhere Verzicht maßgeblich ist3. Wird der Erbverzicht mit einem Ehevertrag (vgl. § 100 GNotKG, früher § 39 Abs. 3 KostO) verbunden, fand schon nach früherem Recht die Privilegierung des § 46 Abs. 3 KostO – der Erbverzicht ist kein Erbvertrag – keine Anwendung. In diesem Fall ist heute wie früher der Wert jedes Vertrags gesondert festzustellen und aus der Summe das Doppelte der vollen Gebühr zu berechnen (§ 111 Nr. 2 GNotKG, früher § 44 Abs. 2 Buchst. a KostO)4.

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Der Geschäftswert für die Beurkundung des Erbverzichts bestimmte sich nach altem Recht aus § 39 Abs. 1 S. 1 KostO. Daher kam es auf den Wert des Rechtsverhältnisses an, auf das sich die beurkundete Erklärung bezog. Bezugsgegenstand ist beim Erbverzicht die künftige erbrechtliche Position des Verzichtenden, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wertmäßig nicht genau bezifferbar ist. Daher unterlag die Wertbestimmung nach § 30 Abs. 1 KostO freiem Ermessen5, wobei das Ermessen gem. § 30 Abs. 2 KostO an vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkten auszurichten war. Solche sind einerseits die Erbquote des Verzichtenden sowie das Reinvermögen des Erblassers. Teilweise wurde vertreten, es dürfe bei der Schätzung auch eine Prognose über die künftige Entwicklung des Erblasservermögens und das Erbrecht sowie die Erbquote des Verzichtenden gemacht werden. So wollte das OLG Stuttgart6 den Grad der Wahrscheinlichkeit berücksichtigt wissen, dass das Recht, auf das verzichtet wird, später auch tatsächlich geltend gemacht wird, und daher bei Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen zwischen in Scheidung lebenden Ehegatten wegen § 1933 BGB einen Wertabschlag vornehmen7. Die Berücksichtigung derartiger Prognosen führte im Ergebnis jedoch zu willkürlichen Entscheidungen und war deshalb schon nach altem Recht in der Sache abzulehnen8. Dies galt insbesondere deshalb, weil niemals sicher vorhergesagt werden kann, ob nicht unmittelbar nach Abschluss des Verzichtsvertrags der Erbfall eintritt9.

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Nach neuem Recht verhält sich die Sache wie folgt: Nach § 102 Abs. 4 S. 1, Abs. 1 S. 1 und 2 GNotKG ist Geschäftswert bei der Beurkundung eines Erbverzichts i.w.S, „wenn über den ganzen Nachlass oder einen Bruchteil verfügt wird, 1 2 3 4 5 6 7 8

OLG Hamm v. 6.11.1970 – 15 W 49/70, DNotZ 1971, 611 (612). So noch Staudinger/Schotten (1996), Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 76. Bengel/Tiedtke in Korintenberg u.a., KostO, § 39 Rz. 30b. OLG Stuttgart v. 20.8.1975 – 8 W 433/74, Rpfleger 1975, 409. OLG Stuttgart v. 20.5.1992 – 8 W 101/92, JurBüro 1992, 550. OLG Stuttgart v. 20.5.1992 – 8 W 101/92, JurBüro 1992, 550 (551). OLG Stuttgart v. 20.5.1992 – 8 W 101/92, JurBüro 1992, 550 (551). Reimann in Korintenberg u.a., KostO, § 30 Rz. 33; Bengel/Tiedtke in Korintenberg u.a., KostO, § 39 Rz. 30b. 9 OLG München v. 29.3.1939 – 8 Wx 107/39, DNotZ 1939, 682 (683).

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 101

B XV

der Wert des Vermögens oder der Wert des entsprechenden Bruchteils des Vermögens“. Es gelten dieselben Grundsätze wie für die Errechnung des Geschäftswerts bei Verfügungen von Todes wegen. Der Gesetzgeber hat damit die Berechnungsperspektive geändert, indem er nicht mehr auf den Zeitpunkt des Erbfalls abstellt, sondern für den Wert die Verhältnisse im Verzichtszeitpunkt für maßgeblich erklärt. Wahrscheinlichkeitserwägungen sollen keine Rolle mehr spielen. Somit kommt es auf die Wahrscheinlichkeit, dass der Verzichtende den Erblasser überlebt, dass das Vermögen des Erblassers bis zu seinem Tod sich ändert, dass es zu einer Scheidung kommt, nicht mehr an. Ein Pflichtteilsverzicht ist gebührenrechtlich wie eine quotale Erbeinsetzung in Höhe der Pflichtteilsquote zu bewerten (§ 102 Abs. 4 S. 2 GNotKG). Bei einem gegenständlich beschränkten Verzicht dürfte § 102 Abs. 3 GNotKG entsprechend anzuwenden sein, obwohl auf letztere Bestimmung in § 102 Abs. 4 S. 1, 1. Hs. GNotKG, anders als im 2. Hs., nicht ausdrücklich verwiesen wird1. Hat der Erblasser dem auf seinen Pflichtteil (oder Erbteil) Verzichtenden in der Vergangenheit Vermögenswerte unter Anrechnung auf den Pflichtteil zugewendet (§ 2315 BGB), besteht das Pflichtteilsrecht im Umfang der Anrechnung nicht mehr. Für den gebührenrechtlichen Geschäftswert sind die genannten Vermögenswerte in Höhe der Anrechnung wie schon nach altem Recht2 abzuziehen; dass dies wegen der neuen gesetzlichen Regelung nicht mehr in Betracht komme3, trifft nicht zu; auch die technischen Schwierigkeiten bei Ermittlung und Berechnung können das gegenteilige Ergebnis nicht begründen. Bei der Ermittlung des Geschäftswerts werden Verbindlichkeiten des Erblassers abgezogen, aber – auch das ist eine neue Regelung – nur bis zur Hälfte des Werts des Vermögens (§ 102 Abs. 4 S. 1, 1. Hs., Abs. 1 S. 2 GNotKG). Wird der Erbverzicht in einer Verhandlung zusammen mit weiteren – einen anderen Gegenstand betreffenden – Erklärungen beurkundet, galt nach altem Recht § 44 Abs. 2 KostO, wenn es sich bei den Erklärungen um rechtsgeschäftliche Erklärungen unter Lebenden handelte4. Es war somit, wenn alle Erklärungen demselben Gebührensatz unterlagen, dieser nur einmal nach den zusammengerechneten Werten zu berechnen. Wenn verschiedene Gebührensätze anzuwenden waren, war jede Gebühr für sich zu berechnen. Dasselbe gilt nach neuem Recht. Bei zusätzlicher Beurkundung einer Verfügung von Todes wegen (z.B. bei der Beurkundung des Erbverzichts als Rechtsgeschäft unter Lebenden mit gleichzeitiger Beurkundung eines Erbvertrags als Verfügung von Todes wegen) sind die Gebühren so zu erheben, als wären getrennte Urkunden aufgenommen worden (§ 111 Nr. 1 GNotKG)5.

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Das zur Kostenberechnung beim Erbverzichtsvertrag und dessen Kausalgeschäft Ausgeführte gilt entsprechend für die Aufhebung des Erbverzichts und des diesem zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts. Einschlägig ist § 97 GNotKG, wobei

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1 Wie hier Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 2014, § 102 Rz. 36. 2 OLG Stuttgart v. 20.5.1992 – 8 W 101/92, JurBüro 1992, 550; OLG München v. 3.11. 2005 – 32 Wx 111/05, MittBayNot 2006, 354 m. abl. Anm. Schwarz; krit. Bengel/ Tiedtke in Korintenberg u.a., KostO, § 46 Rz. 30b. 3 So Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 2014, § 102 Rz. 36. 4 BGH v. 18.4.2013 – V ZB 77/12, FamRZ 2013, 1125 = MDR 2013, 879 = ZEV 2013, 458 (459). 5 OLG Frankfurt v. 5.11.1964 – 6 W 386/64, JurBüro 1965, 74 (76). Muscheler

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B XV

Rz. 102

Erbverzicht

regelmäßig der Wert des Aufgehobenen, also des Verzichts, maßgebend ist. Es gilt der ermäßigte Gebührensatz nach Nr. 21102 Nr. 2 KV (1,0 Gebühr). 2. Gerichtsgebühren 102

Bedarf der Abschluss des Erbverzichtsvertrags bzw. dessen Aufhebung familiengerichtlicher Genehmigung, fällt hierfür eine halbe Gebühr an (§§ 28, 36 Abs. 1 S. 1 FamGKG i.V.m. Nr. 1310 KV FamGKG). Für die Ermittlung des Geschäftswerts gilt das zu den Notarkosten Ausgeführte entsprechend1. Die im Rahmen einer Vormundschaft oder Pflegschaft erteilte familiengerichtliche Genehmigung ist gem. §§ 28, 36 Abs. 1 S. 1 FamGKG i.V.m. Nr. 1310 Abs. 1 KV FamGKG kostenlos. Dasselbe gilt für die betreuungsgerichtliche Genehmigung gem. KV GNotKG, Hauptabschnitt 1 Nr. 11100 (früher § 91 S. 1, 2. Hs. KostO). 3. Kostenübersicht über die neben dem Erbverzicht bestehenden Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht

103

Die nachfolgende Übersicht fasst unter Kostengesichtspunkten noch einmal die Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht (nicht Pflichtteilsaussicht!) zusammen (s. auch Rz. 53 f.). Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht

Kosten (jeweils im Vergleich mit dem Erbverzicht)

aus jedem Berufungs- – Der Vertrag ist formbedürftig (§ 2348 BGB analog oder grund durch Ausschla§ 311b Abs. 5 S. 2 BGB analog); wie für den Erbverzicht gungsverpflichtungsfallen daher Beurkundungsgebühren an (= doppelte vertrag Gebühr; KV GNotKG, Nr. 21100). – Zusätzlich entstehen Kosten für die Ausschlagung (§ 1945 BGB), die der Beglaubigung bedarf (= 0,2 Gebühr, höchstens jedoch 70 Euro, KV GNotKG, Hauptabschnitt 5, Nr. 25100. – Der Erbverzicht verursacht eine doppelte Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21100). aufgrund Gesetzes durch Enterbung

– Das Privattestament verursacht keine Kosten. – Das öffentliche Testament verursacht eine einfache Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21200). – Der Erbverzicht verursacht eine doppelte Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21100).

aufgrund Testamentes – Der Widerruf kraft Privattestaments ist kostenfrei. Sofern durch Widerruf das Widerrufstestament in amtliche Verwahrung gegeben (§ 2254 BGB) werden soll, entsteht eine einmalige Pauschalgebühr von 75 Euro (statt wie früher, § 101 KostO, eine 1/4-Gebühr). – Die Gebühr für den Widerruf durch ein öffentliches Testament beträgt 1/ 2 (KV GNotKG, Nr. 21201). Erfolgt zugleich eine neue Verfügung über den Erbteil, entsteht (mindestens) eine volle Gebühr (§ 109 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2 GNotKG). – Der Erbverzicht verursacht eine doppelte Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21100). 1 Lappe in Korintenberg u.a., KostO, § 95 Rz. 48 f. 984

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Muscheler

Erbverzicht Möglichkeiten zur Beseitigung einer Erbaussicht aufgrund Erbvertrags durch Aufhebungsvertrag (§ 2290 BGB)

Rz. 104

B XV

Kosten (jeweils im Vergleich mit dem Erbverzicht)

– Die Aufhebung der vertragsmäßigen Verfügung kostet eine volle Gebühr (KV GNotKG, Nr. 21102 Ziffer 2; früher nur 0,5 Gebühr, § 46 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. KostO a.F.), während der Verzicht eine doppelte Gebühr auslöst (KV GNotKG, Nr. 21100). – Eine neue Verfügung über den entsprechenden Erbteil kann durch Privattestament kostenfrei erfolgen. Wird sie erbvertraglich vorgenommen, ist es für das neue Rechtsgeschäft gebührenmäßig gleich (doppelte Gebühr, mindestens jedoch 120 Euro), ob die Erbaussicht zuvor durch Aufhebungsvertrag oder Verzicht beseitigt worden ist (vgl. §§ 44 Abs. 1, 46, 36 Abs. 2 KostO a.F.; §§ 102, 109, 110, 111, KV GNotKG, Nr. 21100), so dass hier beide Möglichkeiten unter Kostengesichtspunkten gleich gut geeignet sind. Empfehlenswerter als ein Aufhebungsvertrag ist der Erbverzicht allein dann, wenn ein im alten Erbvertrag begünstigter Dritter Vertragspartner des neuen Erbvertrags werden soll, weil dann nur zwei (statt drei) Personen beteiligt sind1. Beispiel: Erblasser E hat mit X einen Erbvertrag geschlossen, durch den D begünstigt wird. Um die Voraussetzungen für einen neuen Erbvertrag mit D zu schaffen, kann der Erblasser entweder den alten Erbvertrag durch Vertrag mit X aufheben oder mit D einen Verzichtsvertrag schließen, durch den dem alten Erbvertrag die Grundlage entzogen wird. – Sollen Erbverzicht und neuer Erbvertrag oder Aufhebungsvertrag und neuer Erbvertrag im selben Akt geschlossen werden, wäre die zweite Alternative kostenrechtlich günstiger (vgl. § 109 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 111 Nr. 1 GNotKG).

VI. Steuerliche Behandlung des Erbverzichts Bei allen Steuerarten ist für das Bestehen einer Steuerpflicht nicht der abstrakte Erbverzicht i.w.S. selbst, sondern ausschließlich das dem Erbverzicht zugrunde liegende Kausalgeschäft maßgeblich2. Nur wenn der Erbverzicht hiernach gegen eine Abfindung erfolgt, kann ein Steuertatbestand erfüllt sein. Ein ohne Gegenleistung erklärter Erbverzicht ist sowohl einkommensteuer-3 als auch schenkungsteuerrechtlich4 irrelevant, denn er bewirkt weder eine vermögensrechtliche Bereicherung des Erblassers oder des Begünstigten noch eine unmittelbare Vermögensminderung des Verzichtenden, da dieser sich lediglich einer Erbaussicht begibt.

1 2 3 4

Damrau, S. 30. Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 85. Spiegelberger, Rz. 360. Brox, Rz. 284. Muscheler

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104

B XV

Rz. 105

Erbverzicht

1. Schenkungsteuer 105

Zivilrechtlich ist umstritten, ob die für einen Erbverzicht geleistete Abfindung als entgeltliche oder unentgeltliche Zuwendung einzuordnen ist1. Im Steuerrecht jedenfalls gilt sie gem. § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG als Schenkung unter Lebenden2. Hierdurch soll die Möglichkeit beseitigt werden, durch vertragliche Gestaltung die Steuer auf den Anfall von Vermögenswerten durch Erbgang oder Schenkung zu umgehen3. Daraus ergibt sich, dass der Wert des Erbverzichts vom Wert der Abfindung nicht abgezogen werden kann4.

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Gem. § 14 Abs. 1 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Zuwendungen zusammengerechnet und nach dem sich hieraus ergebenden Betrag besteuert. Freibeträge – insbesondere die des § 16 Abs. 1 ErbStG – kann der Beschenkte daher für innerhalb dieser Frist liegende Zuwendungen nur einmal geltend machen. Auch bringt die Addition der Zuwendungen meist einen höheren Steuersatz mit sich (§ 19 Abs. 1 ErbStG). Wegen dieser Nachteile ist zu erwägen, ob die Abfindung für einen Erbverzicht wenigstens in zwei Teilen erbracht werden kann, um in den Genuss eines niedrigeren Tarifs zu kommen und die Freibeträge mehrmals ausnutzen zu können. So könnte der Erblasser die von der Erbfolge auszuschließenden Personen zu einem Teil sofort abfinden und ihnen zum anderen Teil Vermächtnisse aussetzen5. Da zwischen Abfindung und Erbfall jedoch gem. § 14 Abs. 1 ErbStG wenigstens zehn Jahre liegen müssen, um ein steuerrechtlich vorteilhaftes Ergebnis zu erreichen, sollte eine entsprechende Vertragsgestaltung zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Erblasser noch einigermaßen sicher von einer ausreichend langen Lebensdauer ausgehen kann6.

107

Wendet der Erblasser seinem Ehegatten als Abfindung für einen Erbverzicht ein aufschiebend bedingtes Leibrentenstammrecht zu (Zahlung einer Geldrente auf den Todesfall), unterliegt der Erwerb auch dann der Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG, wenn die Rente ausschließlich der Altersversorgung dient7. Allerdings steht dem überlebenden Ehegatten in einem solchen Fall der besondere Versorgungsfreibetrag des § 17 Abs. 1 ErbStG zu8.

108

Gewährt nicht der Erblasser selbst, sondern ein Dritter die Abfindung, wird sie gleichwohl als Schenkung des Erblassers angesehen, so dass sich die für die Besteuerung des Erwerbs maßgebliche Steuerklasse allein nach dem Verhältnis

1 Vgl. z.B. MüKo.BGB/Lange, § 2325 Rz. 17 m.w.N.; Soergel/Dieckmann, § 2325 Rz. 18 m.w.N. 2 Zur steuerlichen Behandlung einer aufgrund eines Erbschaftsvertrags gem. § 312 Abs. 2 BGB geleisteten Abfindung s. BFH v. 25.1.2001 – II ZR 22/98, ZEV 2001, 163. Zu den (privilegierten) Zuwendungen unter Lebenden i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG gehören auch Abfindungen für einen Erbverzicht, BFH v. 27.10.2010 – II R 37/09, ZEV 2011, 49 (50). 3 BFH v. 25.5.1977 – II R 136/73, BFHE 122, 543. 4 BFH v. 16.1.1953 – III 192/52 U, BFHE 57, 150. 5 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2052). 6 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2052). 7 FG Nürnberg v. 12.9.1989 – VI 408/84, EFG 1990, 65 (66). 8 FG Nürnberg v. 12.9.1989 – VI 408/84, EFG 1990, 65 (67). 986

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 112

B XV

zwischen dem Verzichtenden und dem Erblasser bestimmt1. Dies eröffnet interessante Gestaltungsmöglichkeiten, etwa für Zuwendungen unter Geschwistern, wenn diese als Abfindung für einen gegenüber den Eltern ausgesprochenen Erbverzicht gewährt werden (günstige Steuerklasse I; Eltern können gleichwohl den Verzichtenden durch Verfügung von Todes wegen bedenken). Der Dritte kann den Abfindungsbetrag gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG als Nachlassverbindlichkeit von einem späteren Erwerb abziehen, wenn dieser durch den Verzicht veranlasst oder vergrößert worden ist2. Werden mit der Abfindung neben dem Erbverzicht weitere Gegenleistungen des Verzichtenden abgegolten, ist der Gesamtbetrag der Abfindung aufzuteilen3. Der Teil, den der Empfänger der Abfindung unabhängig von der Abfindungsvereinbarung bereits aus einem anderen Rechtsgrund zu beanspruchen hat, wird nicht allein deshalb steuerpflichtig, weil er als Abfindung geleistet worden ist4.

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Zuwendungen in Erfüllung eines Nachabfindungsanspruchs aus der Übergabe eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, die im Zusammenhang mit der freiwilligen – d.h. nicht im sachlichen Zusammenhang mit der Hofübergabe stehenden – Veräußerung einzelner Hofgrundstücke entstehen, sind nicht nach § 14a Abs. 4 EStG begünstigt5.

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2. Einkommensteuer

Beratungssituation: Der Erblasser beabsichtigt, den Abfindungsbetrag nicht in einer Summe, sondern in jährlichen Beträgen zu zahlen. Sein zum Verzicht bereiter Sohn möchte wissen, wie sich dies einkommensteuerrechtlich auswirkt. Allein die Tatsache, dass eine Leistung nicht in einem Betrag, sondern in Form wiederkehrender Zahlungen zu erbringen ist, vermag nach der Rechtsprechung6 des BFH deren Einkommensteuerbarkeit nicht zu begründen. Entscheidend ist allein, ob die Leistung als Einmalzahlung einkommensteuerbar wäre.

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Unabhängig davon, ob der Erbverzicht zivilrechtlich als entgeltliches oder als unentgeltliches Rechtsgeschäft beurteilt wird, beruht die für ihn gezahlte Abfindung grundsätzlich nicht auf einem einkommensteuerrechtlich relevanten Vermögenszuwachs. § 22 Nr. 3 EStG, der bei zivilrechtlicher Einordnung des Verzichts als entgeltliches Rechtsgeschäft als alleinige Rechtsgrundlage für die Besteuerung in Betracht käme, erfasst lediglich erwirtschaftetes Einkommen,

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1 BFH v. 25.5.1977 – II R 136/73, BFHE 122, 543, unter Aufgabe seiner früheren Rspr. BFH v. 16.1.1953 – III 192/52 U, BFHE 57, 150. Vgl. auch BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, ZEV 2001, 163 (für eine aufgrund eines Erbschaftsvertrags gem. § 312 Abs. 2 BGB geleistete Abfindung). 2 Meincke, ErbStG, § 7 Rz. 108. 3 Staudinger/Schotten, Einl zu §§ 2346 ff. Rz. 89. 4 Meincke, ErbStG, § 7 Rz. 109. 5 BFH v. 5.11.1998 – IV R 32/98, BFHE 187, 469 (473); s. auch BFH v. 22.9.1994 – IV R 82/93, BFHE 176, 27 ff. 6 BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (Abweichung von BFH v. 7.4.1992 – VIII R 59/89, BFHE 167, 515). Muscheler

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B XV

Rz. 113

Erbverzicht

dagegen grundsätzlich nicht die Umschichtung privaten Vermögens1. Ausnahmen von dem Satz, dass die Umschichtung privaten Vermögens nicht der Einkommensteuer unterliegt, gelten lediglich für Vermögensänderungen aufgrund von Spekulationsgeschäften (§§ 22 Nr. 2, 23 EStG) sowie für die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung (§ 17 EStG). Der Verzicht auf das Erbrecht ist ein veräußerungsähnlicher Vorgang der privaten Vermögensebene und damit, weil nicht durch eine besondere Ausnahmenorm erfasst, nicht einkommensteuerbar2. Sieht man die Abfindung dagegen als unentgeltliche Zuwendung an, ist sie nicht „erzielt“ i.S.v. § 2 Abs. 1 EStG und damit ebenfalls nicht einkommensteuerbar. Sie unterliegt vielmehr der Schenkungsteuer (und dies unabhängig von der zivilrechtlichen Einordnung). 113

Ein Erbverzicht gegen Zusage wiederkehrender Leistungen kann bei wertender Betrachtung auch nicht als „Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen“ beurteilt werden3, was die Bezüge einerseits für den Abgefundenen gem. § 22 Nr. 1 EStG steuerbar und andererseits für den Leistenden nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG als Sonderausgaben absetzbar machen würde. Idealtypus eines solchen Versorgungsvertrags ist die Hof- und Betriebsübergabe, bei der sich der Übergeber – ähnlich dem Nießbrauch – einen Teil der Erträge des übergebenen Vermögens in Form von Versorgungsleistungen zurückbehält4, die nunmehr vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden müssen5. Die Interessenlage bei einem solchen Vertrag ist eine völlig andere als bei einem Erbverzicht gegen Zusage wiederkehrender Leistungen6. Der Verzicht als „Übergabe“ erfolgt hier (meist) von Seiten der jüngeren Generation7, und das zu einem Zeitpunkt, in dem ein erbrechtlicher Anspruch noch nicht entstanden ist. Gerade weil im Zeitpunkt des Verzichts ein Anspruch noch nicht entstanden ist, kann auch die Abfindung für den Verzicht nicht als zurückbehaltener Ertrag aus dem aufgegebenen Recht angesehen werden8. Allenfalls ein in den wiederkehrenden Leistungen enthaltener Zinsanteil kommt als einkommensteuerrechtlich relevanter Zuwachs von Leistungsfähigkeit gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Betracht9.

1 Vgl. BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655 = MDR 1995, 1000 = FamRZ 1995, 1264 (661). 2 BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (122). Vgl. v. a. BFH v. 17.3.2010 – X R 38/06, FamRZ 2010, 1440 = ZEV 2010, 427. 3 BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (122). 4 BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (122). 5 BFH v. 15.7.1991 – GrS 1/90, BStBl. II 1992, 78 (84). 6 BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, DB 2000, 357 = ZEV 2000, 121 (122). 7 Geck, Anm. zu BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, ZEV 2000, 123. 8 Geck, Anm. zu BFH v. 20.10.1999 – X R 132/95, ZEV 2000, 123 (125). 9 BFH v. 25.10.1994 – VIII R 79/91, BStBl. II 1995, 121; zur Berechnung vgl. den Erlass des BFM v. 23.12.1996 – IV B 3-S. 2257-54/96 in ZEV 1997, 16 (20). Selbst § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG für den Verzicht nach § 2346 BGB jetzt definitiv ablehnend BFH v. 17.3. 2010 – X R 38/06, FamRZ 2010, 1440 = ZEV 2010, 427 (428); die Norm komme allenfalls in Betracht, wenn der Erbfall bereits eingetreten ist und ein Pflichtteilsberechtigter vom Erben unter Anrechnung auf seinen Pflichtteil wiederkehrende Leistungen erhält; in einem solchen Fall sei das Merkmal der Überlassung von Kapital zur Nutzung im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG jedenfalls dann erfüllt, wenn der Bedachte rechtlich befugt ist, den niedrigeren Barwert im Rahmen seines Pflichtteilsanspruchs geltend zu machen. 988

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Erbverzicht

Rz. 116

B XV

Die einem Erben vermächtnisweise auferlegten Unterhaltsleistungen sind nur dann gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG als dauernde Last abziehbar, wenn der Empfänger der Unterhaltsleistungen zum Zeitpunkt des Erbfalls gesetzlich erbberechtigt war1. Daraus ergibt sich, dass die in einer solchen Form gewährte Abfindung für einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht einkommensteuerrechtlich nicht absetzbar ist (zu weiteren Problemen dieser Art der Abfindungsgewährung s. Rz. 120 f.).

114

3. Grunderwerbsteuer Besteht die Abfindung für einen Erbverzicht in einer Grundstücksübertragung, gilt § 3 GrEStG. § 3 Nr. 2 GrEStG befreit von der Grunderwerbsteuer bei einem Grundstückserwerb von Todes wegen und bei Grundstücksschenkungen unter Lebenden im Sinne des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes. Die Vorschrift erfasst somit alle Vorgänge, die unter § 7 ErbStG fallen2, und damit auch die Grundstücksabfindung für den Erbverzicht. Eine Schenkung unter einer Auflage unterliegt gem. § 3 Nr. 2 S. 2 GrEStG jedoch der Besteuerung hinsichtlich des Werts solcher Auflagen, die bei der Schenkungsteuer abziehbar sind. Diese Einschränkung gilt jedoch nicht für die zum begünstigten Personenkreis des § 3 Nr. 6 GrEStG gehörenden Erwerber3, für die der Grundstückserwerb steuerfrei ist. Zu diesen zählen der Ehegatte (§ 3 Nr. 4 GrEStG) sowie Personen, die mit dem Übergeber in gerader Linie verwandt sind (§ 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG). Gem. § 3 Nr. 6 S. 2 und 3 GrEStG stehen den Abkömmlingen die Stiefkinder, den Verwandten in gerader Linie sowie den Stiefkindern auch deren Ehegatten gleich. Für Geschwister und Pflegekinder gilt die Privilegierung jedoch nicht4.

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VII. Das Kausalgeschäft zum Erbverzicht 1. Notwendigkeit und Inhalt eines Verpflichtungsgeschäfts (i.d.R. Abfindungsvertrag) Während man früher annahm, dass der Erbverzicht als Verfügungsgeschäft seine Rechtfertigung in sich selbst trage und daher keines Rechtsgrundes (causa) bedürfe5, ist es heute einhellige Meinung, dass der Erbverzicht – wie jedes sonstige Verfügungsgeschäft – ein Verpflichtungsgeschäft zur Grundlage haben muss, um kondiktionsfest zu sein6. Von der anderen Seite her betrachtet lässt sich die Sache so formulieren: Es kann durch einen Kausalvertrag eine wirksame Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichts begründet werden. Wesensnotwendiger Inhalt des Kausalgeschäfts ist ausschließlich die Verpflichtung zur Abgabe der für einen Erbverzicht erforderlichen Willenserklärungen. Die Vereinbarung einer etwaigen Gegenleistung (genauer: einer Pflicht zu ihrer Erbringung) ist nicht erforderlich, aber selbstverständlich möglich. 1 2 3 4 5 6

FG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 7 K 2787/95 E, EFG 2000, 117. Sack in Boruttau, GrEStG, § 3 Rz. 201. von Sothen in Sudhoff, § 55 Rz. 127. von Sothen in Sudhoff, § 55 Rz. 127. Lange in FS Nottarp, S. 119 (123) m.w.N. BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 (157) m.w.N. = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258; BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146); Lange/Kuchinke, § 7 I 5a (S. 169) m.w.N. Muscheler

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B XV

Rz. 117

Erbverzicht

117

Erfolgt die Verpflichtung zum Erbverzicht i.w.S. ohne Vereinbarung einer Gegenleistung (sog. unentgeltlicher Erbverzicht), ist das Kausalgeschäft nach allgemeiner Meinung1 keine Schenkung (§ 516 BGB) des Verzichtenden an den Erblasser oder an den durch den Verzicht Begünstigten, weil nur eine Chance, nicht aber ein subjektives Recht aufgegeben wird (arg. § 517 BGB).

118

Beinhaltet das Kausalgeschäft neben der Verpflichtung des Verzichtswilligen auch eine Verpflichtung des Erblassers zu einer Leistung, meist einer Abfindung, handelt es sich um einen sog. entgeltlichen Erbverzicht. Ein solcher ist gegenseitiger Schuldvertrag, für den die §§ 320 ff. BGB gelten. Der Zahlungsanspruch des Verzichtenden aus dem Kausalgeschäft ist rein schuldrechtlicher, nicht erbrechtlicher Natur2 (Ausnahme: Die Abfindung wird durch Vermächtnis zugewandt, s. Rz. 121). Er verjährt damit in der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB) mit einer Verjährungsfrist von zehn (§ 199 Abs. 4 BGB) statt – wie bei erbrechtlichen Ansprüchen – von 30 Jahren (§ 199 Abs. 3a BGB). Ob das Kausalgeschäft eines entgeltlichen Erbverzichts zivilrechtlich eine Schenkung (des Erblassers an den Verzichtenden) darstellt (zur steuerrechtlichen Qualifikation s. Rz. 105), wird in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt3. Die Frage ist nicht bloß theoretischer Natur, sondern durchaus auch von praktischer Bedeutung. Von ihrer Beantwortung hängt ab, ob die Abfindung Pflichtteilsergänzungsansprüche (§§ 2325, 2329 BGB) auslösen kann, ob der Erblasser die Möglichkeit hat, die Schenkung wegen groben Undanks nach § 530 BGB zu widerrufen oder wegen Notbedarfs nach § 528 BGB zurückzufordern, ob die Abfindung eine den Vertragserben beeinträchtigende Schenkung i.S.d. § 2287 BGB sein kann und Gläubiger die Abfindung als „unentgeltliche Leistung“ des Erblassers nach § 4 AnfG bzw. § 134 InsO wegen Gläubigerbenachteiligung anzufechten vermögen.

119

Der BGH hat (gegen die h.L.) die Abfindung für einen Erbverzicht als unentgeltliche Zuwendung4 qualifiziert. Zwar hatte er diese Einordnung ursprünglich (in seinem Urteil vom 8.7.1985) noch nicht allgemein getroffen, sondern nur beschränkt auf den Betrag, der oberhalb dessen liegt, was der auf das gesetzliche Erbrecht uneingeschränkt verzichtende Zuwendungsempfänger als Pflichtteil hätte beanspruchen können5. In seiner Entscheidung vom 28.2.1991 hat er jedoch weitergehend ausgeführt, die als Abfindung gewährte Zuwendung – gewährt für einen (isolierten) Pflichtteilsverzicht6, der dem Erblasser allein den Vorteil der Testierfreiheit bringen konnte – sei keine Gegenleistung, welche Unentgeltlichkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 a.F. AnfG ausschließe7. Dieses Ergebnis 1 S. statt vieler Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 121. 2 OLG Celle v. 26.7.2007 – 6 U 12/07, ZEV 2008, 485 (485). 3 Zum Meinungsstand s. z.B. Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 124 m.w.N.; Haegele, BWNotZ 1971, 36 (37 ff.) m.w.N.; Theiss/Boger, ZEV 2006, 143 (143 ff.). 4 So auch OLG Hamm v. 18.5.1999 – 10 U 65/98, MDR 2000, 337 m. Anm. Pentz = NJW 1999, 3643 f.; LG Münster v. 12.1.1983 – 14 O 696/82, NJW 1984, 1188 (1189). 5 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 150/84, MDR 1986, 581 = FamRZ 1986, 258 = NJW 1986, 127 (129). 6 Dieser erfolgte von Seiten des in einem notariellen gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Erben. 7 BGH v. 28.2.1991 – IX ZR 74/90, BGHZ 113, 393 = MDR 1991, 645 = FamRZ 1991, 695 (398). 990

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Erbverzicht

Rz. 119a

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entspricht dem mutmaßlichen subjektiven Willen der Parteien, die zumeist darüber einig sein dürften, dass durch den Vertrag eine künftige Erbfolgeregelung zeitlich vorweggenommen wird und die Abfindung praktisch nur ein Surrogat für den späteren (unentgeltlichen!) Erwerb von Todes wegen darstellt1. Der Erblasser hat zudem ein berechtigtes Interesse, die Abfindung unter den Voraussetzungen der §§ 528, 530 BGB zurückfordern zu können2. Der Verzichtende ist in einem solchen Fall hinreichend geschützt. Er haftet lediglich nach Bereicherungsgrundsätzen und ist zur Herausgabe der Abfindung nur gegen gleichzeitige Aufhebung des Erbverzichts verpflichtet3. Für die Auffassung des BGH spricht auch die Einheit der Rechtsordnung4: § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG behandelt die Abfindung für einen Erbverzicht als Schenkung unter Lebenden und unterwirft sie der Schenkungsteuer. Selbst die für einen Erbschaftsvertrag gem. § 311b Abs. 5 BGB (Verzicht auf die Geltendmachung des künftigen Pflichtteils) geleistete Abfindung stellt nach Ansicht des BFH eine freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar und ist damit ebenfalls steuerbar5. Neuerdings bezieht der BGH – zumindest im Rahmen der Frage, ob die Abfindung Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. § 2325 Abs. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 2329 Abs. 1 BGB) auslöst – nicht eindeutig Stellung6. In Abkehr zu seinem Urteil v. 8.7.1985 stellt er im Beschluss v. 3.12.20087 für den Maßstab einer über den entgeltlichen Teil der Abfindung hinausgehenden unentgeltlichen Zuwendung8 bzw. einer eine angemessene Abfindung übersteigenden Leistung9 nicht mehr auf den Wert des dem Verzichtenden zustehenden Pflichtteils, sondern auf den Wert des Erbteils ab, auf den verzichtet wird (s. Rz. 40). Entscheidender Zeitpunkt soll nach dem zweiten amtlichen Leitsatz10 die Erbringung der Abfindung sein. Sinnvollerweise können aber nur die für die Einigung über die Unentgelt1 LG Münster v. 12.1.1983 – 14 O 696/82, NJW 1984, 1188 (1189). 2 Coing, NJW 1967, 1777 (1779 f.) löst das Problem über eine Anwendung der §§ 2294, 2333 BGB. 3 Speckmann, NJW 1970, 117 (121). 4 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 139. 5 BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, ZEV 2001, 163; ablehnend: Daragan, Anm. zu BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, DB 2001, 848. 6 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1145) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (78) = ErbR 2009, 124 (125). 7 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 (1145) = FamRZ 2009, 418 (420) = ZEV 2009, 77 (78) = ErbR 2009, 124 (125). 8 So man die Abfindung als entgeltliches Geschäft ansieht. 9 So man zwar die Abfindung als unentgeltlich einstuft, § 2325 BGB aber dahingehend einschränkend auslegt, dass eine angemessene Abfindung durch die gleichzeitig mit dem Erbverzicht zugunsten der anderen Pflichtteilsberechtigten eintretende Erhöhung der Pflichtteilsquote gem. § 2310 S. 2 BGB kompensiert wird. § 2325 BGB löst bezüglich des die angemessene Höhe übersteigenden Teils der Abfindung Ergänzungsansprüche aus. 10 Der zweite amtliche Leitsatz des Beschlusses des BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, MDR 2009, 384 = NJW 2009, 1143 = FamRZ 2009, 418 = ZEV 2009, 77 = ErbR 2009, 124 lautet: „Das setzt voraus, dass sich die Abfindung in dem Zeitpunkt, in dem sie erbracht wird (Hervorhebung durch den Verf.), der Höhe nach im Rahmen der Erberwartung des Verzichtenden hält. Auf den Wert eines vom Verzichtenden zu beanspruchenden Pflichtteils kommt es insoweit nicht mehr an (der abweichende Standpunkt im Urt. des BGH v. 8.7.1985 – II ZR 150/84, MDR 1986, 581 = FamRZ 1986, 258 = NJW 1986, 127, unter II.2 wird aufgegeben).“ Muscheler

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B XV

Rz. 120

Erbverzicht

lichkeit notwendigen Vorstellungen der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses relevant sein1. 120

Als Abfindung kann die Zahlung eines Geldbetrages, die Übereignung eines Grundstücks, die Übertragung eines Rechtes u.Ä. geschuldet sein. Zu beachten ist jedoch, dass der Erblasser sich wegen § 2302 BGB nicht wirksam verpflichten kann, solche Leistungen mittels Verfügung von Todes wegen zuzuwenden. Allenfalls unter der Voraussetzung, dass die Verpflichtung sogleich erfüllt wird (mit dem Erbverzichtsvertrag also gleichzeitig eine Verfügung von Todes wegen verbunden wird), wäre auch die Verpflichtung wirksam2. Für diesen Fall ist § 2302 BGB teleologisch reduziert auszulegen3, denn die Vorschrift will lediglich die Testierfreiheit vor schuldvertraglicher Bindung schützen4. Eines Schutzes bedarf aber nicht, wer gleichzeitig testiert, sondern nur, wer sich verpflichtet, dies in Zukunft zu tun5.

Beachte: Soll die Abfindung durch eine zukünftig zu errichtende Verfügung von Todes wegen geleistet werden, so ist zu beachten, dass der Erblasser sich hierzu wegen § 2302 BGB nicht wirksam zu verpflichten vermag. Zum Schutz des Verzichtswilligen6 kann (und sollte!) in einem solchen Fall die Wirksamkeit des abstrakten Erbverzichts ausdrücklich davon abhängig gemacht werden, dass der Erblasser in einer bestimmten Art und Weise von Todes wegen verfügt bzw. Verfügungen von Todes wegen aufrechterhält. Ein solchermaßen bedingter Verzicht hat keinen Einfluss auf die Testierfreiheit des Erblassers7 und ist daher zulässig. 121

In Fällen, in denen die Abfindung für einen Erbverzicht i.e.S. oder für einen (isolierten) Pflichtteilsverzicht durch Vermächtnis zugewendet werden soll, muss zum Schutz eines pflichtteilsberechtigten Verzichtswilligen über den empfohlenen Bedingungszusammenhang hinaus die Vorschrift des § 2318 BGB beachtet werden. Nach § 2318 Abs. 1 BGB ist es dem Erben zur Bedienung eines Pflichtteils gestattet, den Anspruch des Vermächtnisnehmers einredeweise zu kürzen. § 2318 Abs. 2 BGB lässt dies gegenüber einem pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer jedoch nur insoweit zu, dass diesem der eigene Pflichtteil verbleibt. Zugunsten eines pflichtteilsberechtigten Erben wird das Kürzungsrecht durch § 2318 Abs. 3 BGB nochmals erweitert. Ist die Kürzungsmöglichkeit des § 2318 Abs. 1 BGB an sich schon ein gravierender Nachteil, so vergrößert sich die Gefahr noch durch folgenden Umstand: Erklärt der Pflichtteilsberechtigte einen Erbverzicht i.e.S. oder einen (isolierten) Pflichtteilsverzicht, entfällt für ihn der Schutz des § 2318 Abs. 2 BGB, wenn sich die Wertrelation zwischen Vermächtnisgegenstand und restlicher Erbschaft nach Abschluss des Verzichtsvertrags bis zum Eintritt des Erbfalls verschiebt. 1 Schindler, ZEV 2009, 80 (81). 2 Nach BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 = MDR 1989, 523 = FamRZ 1989, 496 (361) spricht die Verbindung von Erbverzicht und Vermächtnis in einer Urkunde für ein vertragsmäßiges Vermächtnis. 3 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 142. 4 BGH v. 9.2.1977 – IV ZR 201/75, NJW 1977, 950. 5 Stürzebecher, NJW 1988, 2717 (2719). 6 Als mahnendes Beispiel s. BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (33). 7 Vgl. nur etwa Nieder, Rz. 1154. 992

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Erbverzicht

Rz. 121

B XV

Beispiel:1 Der verwitwete Erblasser E, dessen Vermögen vor allem aus einem Unternehmen im Wert von 10 Mio. Euro besteht, möchte einen seiner drei Söhne, den S1, zum Alleinerben einsetzen. Mit S2 kommt im Jahre 1995 ein Erbverzicht i.e.S. zustande, und zwar unter der auflösenden Bedingung, dass E ein zugunsten des S2 testamentarisch ausgesetztes Vermächtnis aufrechterhält. Vermächtnisgegenstand ist ein Hausgrundstück, das im Zeitpunkt des Verzichts einen Wert von 2 Mio. Euro hat. Mit S3 kommt ein vertraglicher Erbverzicht nicht zustande, oder ein solcher stellt sich später als nichtig heraus. Im Zeitpunkt des Erbfalls beträgt der Wert des Hausgrundstücks rund 1,5 Mio. Euro, während der Wert des Unternehmens immer noch 10 Mio. Euro beträgt; weiteres nennenswertes Vermögen enthält der Nachlass nicht. S3 verlangt von S1 den Pflichtteil, S2 die Übereignung des Hausgrundstücks.

Der Pflichtteil des S3 beträgt die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils (§§ 2303 Abs. 1, 2310 S. 2 BGB), mithin 1/4 der sich auf einen Wert von insgesamt 11,5 Mio. Euro belaufenden Erbschaft, also 2,875 Mio. Euro. Diese Summe muss S1 als Erbe aufbringen, kann jedoch das zugunsten des S2 ausgesetzte Vermächtnis nach § 2318 Abs. 1 S. 1 BGB anteilig kürzen. Zur Berechnung der Kürzung bietet sich die (anerkannte) Formel von Martin2 an: Kurzungsbeitrag ¼ ¨

Vermachtnis ¨ Pflichtteil Gesamtnachlass

Der Kürzungsbetrag beläuft sich im Beispielsfall folglich auf rund 375 000 Euro [(1,5 Mio. Euro × 2,875 Mio. Euro): 11,5 Mio. Euro]. S1 kann die Erfüllung des Vermächtnisses verweigern, so lange S2 nicht diesen Betrag an ihn zahlt. Verweigert S2 die Zahlung, kann S1 statt des Vermächtnisgegenstandes dessen Schätzwert unter Abzug des Kürzungsbetrages leisten3. S2 erhält im Beispielsfall wegen des Kürzungsbetrages weniger als das, was ihm als Pflichtteil zugestanden hätte (1/ 6 von 11,5 Mio. Euro = rund 1,92 Mio. Euro). Wäre der Wert des Hauses im Erbfall noch ebenso hoch wie im Zeitpunkt des Verzichts, so hätte S3 einen Pflichtteilsanspruch von 3 Mio. Euro, der Kürzungsbetrag zulasten des Vermächtnisses (§ 2318 Abs. 1 BGB) betrüge 500 000 Euro, dem S2 verblieben wertmäßig 1,5 Mio. Euro, sein fiktiver Pflichtteil beliefe sich auf 1/ 6 von 12 Mio. Euro, also auf 2 Mio. Euro. Damit zeigt sich, dass der Einbruch in den Schutzbereich des § 2318 Abs. 2 BGB, den schon der Kürzungsmechanismus des § 2318 Abs. 1 BGB als solcher bewirkt, noch verstärkt wird durch nach dem Verzicht eintretende Wertverschiebungen zulasten des Vermächtnisnehmers4.

Beachte: Will eine pflichtteilsberechtigte Person auf ihr gesetzliches Erbrecht oder (isoliert) auf das Pflichtteilsrecht gegen Aussetzung eines Vermächtnisses verzichten, sollte die Abbedingung des § 2318 Abs. 1 BGB5 in Erwägung gezogen werden6. 1 2 3 4

Beispiel von Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2056) (abgewandelt). Martin, ZBlFG 1914, 789 (790). Vgl. Kipp/Coing, § 12 II 2a (S. 85). Bleiben die Wertverhältnisse gleich, erhält S2 im Beispielsfall immerhin 75 % seines fiktiven Pflichtteils, bei reduziertem Hauswert von 1,5 Mio. Euro erhält er nur rund 59 % des fiktiven Pflichtteils. 5 Gem. § 2324 BGB ist die Vorschrift dispositiv. 6 Ebenso Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2056). Muscheler

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B XV

Rz. 122

Erbverzicht

2. Wirksamkeit des Kausalgeschäfts 122

Wie jeder andere schuldrechtliche Vertrag kann auch das Kausalgeschäft zum Erbverzicht aus mannigfachen Gründen nichtig sein. Keiner näheren Erörterung bedürfen die Fälle, in denen Geschäftsunfähigkeit eines Vertragspartners vorliegt (§ 105 BGB) oder das Geschäft nur zum Schein abgeschlossen wird (§ 117 BGB). a) Beschränkungen in der Geschäftsfähigkeit

123

Die Wirksamkeit eines Kausalgeschäfts, an dem ein beschränkt Geschäftsfähiger beteiligt ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Regelungen der §§ 107 ff. BGB. Nach § 107 BGB bedarf der Minderjährige zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Ein ohne die erforderliche Einwilligung geschlossener Vertrag ist gem. § 108 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam und kann nur wirksam werden, wenn der Vertrag nachträglich genehmigt wird.

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Bei der Frage nach dem Erfordernis einer Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ist zunächst danach zu differenzieren, ob der beschränkt Geschäftsfähige sich als Verzichtswilliger oder als Erblasser am Abschluss des Kausalgeschäfts beteiligt. Im zuerst genannten Fall ist die Einwilligung stets erforderlich, da der Minderjährige eine Verpflichtung begründet1, mit dem Erblasser einen Erbverzichtsvertrag abzuschließen, was niemals lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Schließt der Minderjährige den Kausalvertrag in der Rolle des Erblassers, gilt das Vorstehende entsprechend, soweit er im Kausalvertrag eine Gegenleistung für den abstrakten Erbverzicht verspricht. Nach Damrau soll die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters sogar dann erforderlich sein, wenn der Kausalvertrag eine Verpflichtung des minderjährigen Erblassers zur Zahlung einer Abfindung nicht enthält2. Begründet wird dies mit dem Hinweis darauf, dass sich der minderjährige Erblasser in diesem Fall zumindest zum Abschluss eines Erbverzichtsvertrags verpflichtet3. Dem kann nicht gefolgt werden, denn ein Vertrag, in dem der Vertragspartner des minderjährigen Erblassers die Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichtsvertrags eingeht, ist materiell bloß einseitig verpflichtend4 und seinem Inhalt nach mit einem Schenkungsversprechen (§ 518 BGB) vergleichbar [wenn auch nicht mit ihm gleichzusetzen (s. Rz. 117)]. Auch für dieses ist allgemein anerkannt, dass der Minderjährige zum Abschluss eines ihn lediglich begünstigenden Schenkungsvertrags nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf5, wobei die Frage, ob die Schenkung lediglich rechtlich vorteilhaft ist, nach Auffassung des BGH grundsätzlich im Wege einer Gesamtbetrachtung des schuldrechtlichen und des dinglichen Geschäftes vorzunehmen ist6. Überträgt 1 2 3 4

Palandt/Ellenberger, § 107 Rz. 2. Damrau, S. 130. Damrau, S. 130. Einseitig verpflichtende Verträge kann der Minderjährige ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters schließen, wenn sie nicht zugleich eine Leistungspflicht kraft Gesetzes mit sich bringen. Zur Problematik MüKo.BGB/Schmitt, § 107 Rz. 30. 5 BGH v. 10.11.1954 – II ZR 165/53, BGHZ 15, 168 (170). 6 BGH v. 9.7.1980 – V ZB 16/79, BGHZ 78, 28 (35)= MDR 1981, 37 = FamRZ 1981, 761. Die Gesamtbetrachtung stößt dann an ihre Grenzen, wenn die Schenkung bereits bei isolierter Betrachtung zustimmungsbedürftig ist, BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415.

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Erbverzicht

Rz. 127

B XV

man diese Grundsätze auf das (wenn auch nicht formell, so doch materiell) lediglich den Vertragspartner des Minderjährigen verpflichtende Kausalgeschäft, dann ist nicht erkennbar, welcher rechtliche Nachteil dem Minderjährigen aus dem Geschäft erwachsen sollte. Im Gegenteil hat die Erlangung eines Anspruchs auf Abschluss des abstrakten Erbverzichtsvertrags ausschließlich eine Verbesserung seiner Rechtsstellung zur Folge, da es allein vom Willen des Minderjährigen abhängt, ob er seinen Anspruch realisiert und hierdurch seine Testierfreiheit erweitert. b) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) § 2302 BGB, nach dem ein Vertrag nichtig ist, durch den sich jemand verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben, steht der Wirksamkeit eines Verpflichtungsgeschäfts zum Erbverzicht nicht entgegen, weil der Erbverzichtsvertrag erbrechtliches Verfügungsgeschäft unter Lebenden – und nicht Verfügung von Todes wegen – ist. An § 311b Abs. 4 BGB, nach dem ein Vertrag über den Nachlass eines noch lebenden Dritten, über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten nichtig ist, scheitert die Wirksamkeit des Kausalgeschäfts deshalb nicht, weil der Erblasser nicht Dritter i.S. dieser Vorschrift ist1.

125

c) Sittenwidrigkeit und Wucher (§ 138 Abs. 1 und 2 BGB) Soweit ersichtlich ist in der Rechtsprechung bislang noch kein Fall entschieden worden, in dem das Verpflichtungsgeschäft zum Erbverzicht gegen die guten Sitten verstoßen hätte. Im Hinblick auf die auch hier geltende Vertragsfreiheit der Parteien, die autonom vereinbaren dürfen, unter welchen Voraussetzungen der Verzichtende auf sein zukünftiges Erbrecht verzichten will2, wird ein Sittenverstoß nur in ganz krassen Fällen in Betracht kommen. Auch die Voraussetzungen des Wuchertatbestandes werden nur unter ganz besonderen Umständen bejaht werden können.

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d) Formverstoß (§ 125 BGB) Analog § 2348 BGB bedarf das Kausalgeschäft zum Erbverzicht der notariellen Beurkundung, da sonst der Zweck des § 2348 BGB, den Verzichtswilligen vor unbedachten Folgen seines Handelns zu bewahren, nicht erreicht werden könnte3. 1 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (328). 2 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 173. 3 H.M., KG v. 26.2.1973 – 12 U 2463/72, OLGZ 1974, 263 (265); OLG Köln v. 30.6.2010 – 2 U 154/09, ZEV 2011, 385 (Form nicht nur im Interesse des Verzichtswilligen, sondern auch des Erblassers); LG Bonn v. 3.9.1998 – 2 O 229/98, ZEV 1999, 356; MüKo.BGB/Strobel, § 2348 Rz. 2; a.A. Lange, in: FS Nottarp, S. 119 (127). Offen BGH v. 14.12.1995 – IX ZR 242/94, FamRZ 1996, 412 = MDR 1996, 855 = ZEV 1996, 228; BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327); BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146). Vertretung des Erblassers ist beim Kausalgeschäft möglich, da § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB nicht gilt (s.u. Rz. 147); für die entsprechende Vollmacht ist im Regelfall gem. § 167 Abs. 2 BGB die Form des § 2348 BGB nicht erforderlich, Weidlich, ZEV 2011, 530 (531). Muscheler

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Rz. 128

Erbverzicht

Ein Formmangel wird allerdings durch einen formgerecht erklärten (abstrakten) Erbverzicht analog §§ 311b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S. 2, 2301 Abs. 2 BGB und § 15 Abs. 4 GmbHG geheilt1. 128

Enthält das formlos geschlossene Kausalgeschäft neben der Verpflichtung zum Erbverzicht noch eine weitere Verpflichtung, die den Vertrag aufgrund anderer Bestimmungen formbedürftig macht, vermag der Vollzug nur des Erbverzichts (oder nur des anderen Erfüllungsgeschäfts) nicht die Wirksamkeit des gesamten Kausalgeschäfts herbeizuführen2. Beispiel: Die Parteien verpflichten sich formlos zur Leistung eines Erbverzichts und (als Gegenleistung) zur Übereignung eines Grundstücks.

Schon wegen § 311b Abs. 1 S. 1 BGB bedarf ein solcher Vertrag zu seiner Wirksamkeit der notariellen Beurkundung, und zwar seinem gesamten Inhalt nach. So wenig wie Auflassung und Eintragung im Grundbuch auf die formunwirksame Verpflichtung zum Erbverzicht Einfluss haben3, so wenig vermag der formwirksam geschlossene Erbverzicht das gesamte Kausalgeschäft zu heilen4. Eine bestimmte Heilungsvorschrift dient immer nur der Behebung von Mängeln, die auf der Nichteinhaltung einer ganz bestimmten Formvorschrift beruhen5. Formmängel aus anderen Gründen bleiben dagegen weiterhin bestehen, mit der Folge, dass das gesamte Rechtsgeschäft unter den Voraussetzungen des § 139 BGB nichtig ist6. e) Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) 129

Die Anfechtung des Kausalgeschäfts zum Erbverzicht ist nach herrschender Meinung wegen der besonderen erbrechtlichen Natur des Verzichts nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich7. Anfechtungsgründe (für die keine Besonderheiten gelten) sind § 119 Abs. 1 BGB (Inhalts- und Erklärungsirrtum) sowie § 123 Abs. 1 BGB (arglistige Täuschung/widerrechtliche Drohung).

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Verpflichtet sich der Erblasser zur Zahlung einer Abfindung, ist die Anfechtung des Kausalgeschäfts nach § 119 Abs. 2 BGB nicht möglich, wenn sich die Parteien lediglich vom Wert des Erblasservermögens falsche Vorstellungen gemacht haben. Der Wert bildet keine Sacheigenschaft des Vermögens, und folglich muss ein Irrtum über ihn unbeachtlich bleiben8. Möglich ist die Anfechtung nach 1 LG Bonn v. 3.9.1998 – 2 O 229/98, ZEV 1999, 356 (357); Hohloch, Anm. zu LG Bonn v. 3.9.1998 – 2 O 229/98, JuS 2000, 88; MüKo.BGB/Strobel, § 2348 Rz. 5; Keller, ZEV 2005, 229 (233); Keim, ZEV 2012, 148 (149). Offen BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146). 2 Staudinger/Schotten, § 2348 Rz. 18; a.A. Damrau, NJW 1984, 1163 (1164). 3 A.A. BGH v. 17.3.1978 – V ZR 217/75, NJW 1978, 1577; Kuchinke, NJW 1983, 2358 (2360). 4 A.A. Damrau, NJW 1984, 1163 (1164). 5 Staudinger/Schotten, § 2348 Rz. 18; Keller, ZEV 2005, 229 (234). 6 Keller, ZEV 2005, 229 (234). 7 Vgl. nur Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 179. 8 Damrau, S. 136. 996

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Erbverzicht

Rz. 131

B XV

§ 119 Abs. 2 BGB dagegen, wenn Fehlvorstellungen über wertbildende Merkmale und/oder den Bestand des Erblasservermögens zu einem groben Bewertungsfehler bei der Berechnung der Abfindungshöhe geführt haben1. Die jeweilige Fehlvorstellung muss sich allerdings auf das gegenwärtige (beim Abschluss des Vertrags vorhandene) Vermögen des Erblassers beziehen. Ein Irrtum über die künftige Vermögensentwicklung ist im Hinblick auf den Risikocharakter des Erbverzichts ohne Belang2. f) Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) Fraglich ist, inwieweit Fehlvorstellungen des weichenden (weil verzichtenden) Erben über den gegenwärtigen oder künftigen Nachlass zu einer Anpassung des Kausalvertrags nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage führen können, die nun in § 313 BGB normiert sind. Nach der Rechtsprechung scheidet die Anpassung des Kausalgeschäfts zum Erbverzicht (i.d.R. also des Abfindungsvertrages) regelmäßig aus, soweit es um das Risiko der künftigen Wertentwicklung des Nachlasses für den Verzichtenden geht3. Dieses Risiko ist dem abstrakten Erbverzicht immanent und gehört deshalb – sofern die Parteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbaren – zur Geschäftsgrundlage eines jeden Erbverzichts4. Anders verhält es sich dagegen in den Fällen, in denen von Anfang an ein Irrtum über die Geschäftsgrundlage vorlag, etwa ein offensichtlicher Rechen- oder ein grober Bewertungsfehler5, oder sich nach Abschluss des Verzichtsvertrags herausstellt, dass der von den Parteien angestrebte (wenn auch nicht zum Vertragsinhalt gemachte) Zweck nicht erreicht werden kann6 (s. aber Rz. 130). Sofern dem Verzichtenden in solchen Fällen das Festhalten an der ursprünglichen Abfindung nach Maßgabe einer umfassenden Interessenabwägung nicht zumutbar ist7, sind die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anzuwenden8. Aufgrund nachträglich (nach Abschluss des Erbverzichtsvertrages) eingetretener Umstände kommt eine Vertragsanpassung wegen des Risikocharakters des Erbverzichts dagegen nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht9. 1 RG v. 6.3.1913 – IV 539/12, Recht 1913, Nr. 2885; MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 24; a.A. Holthaus, S. 20 ff.; einschränkend Lange in FS Nottarp, S. 119 (130 f.), der nur dem Erblasser ein Anfechtungsrecht zubilligen will. 2 BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (34). 3 BGH v. 30.1.1991 – IV ZR 299/89, BGHZ 113, 310 (314)= MDR 1991, 511 = FamRZ 1991, 689; BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (34). 4 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 190 m.w.N. 5 BGH v. 30.1.1991 – IV ZR 299/89, BGHZ 113, 310 (315) = MDR 1991, 511 = FamRZ 1991, 689 bzgl. einer vorweggenommenen Erbfolgeregelung ohne Erbverzichtsvertrag. 6 BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 62 (64). 7 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 (157 f.). 8 A.A. Lange, in: FS Nottarp, S. 119 (130); Coing, NJW 1967, 1777 (1780); AK/Teubner, Vor § 2346 Rz. 31. 9 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 191 m.w.N.; Edenfeld, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 = ZEV 1997, 70 (71). Muscheler

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B XV

Rz. 132

Erbverzicht

3. Folgen eines unwirksamen oder fehlenden Kausalgeschäfts

Beratungssituation: Nach Abschluss des abstrakten Erbverzichtsvertrags stellt sich die Nichtigkeit des Kausalgeschäfts heraus. Der Erblasser bzw. der Verzichtende möchte wissen, was zu tun ist. 132

Im Hinblick auf das Abstraktionsprinzip ist zunächst zu klären, ob die zur Nichtigkeit des Kausalgeschäfts führenden Gründe auch beim Abschluss des abstrakten Erbverzichtsvertrags vorlagen und damit auch dessen Nichtigkeit – gegebenenfalls nach Anfechtung – begründen können (Fehleridentität). Wichtig ist dies, weil die Wirkungen eines zwar rechtsgrundlosen, aber wirksamen Verzichts nicht automatisch wegfallen. Der Verzicht muss dann vielmehr gem. § 2351 BGB (s. Rz. 177 ff.) aufgehoben werden.

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Im Einzelnen gilt: Kausalgeschäft nichtig, abstrakter Erbverzicht wirksam Nach allgemeiner Meinung kann der Verzichtende die Wirkungen des Erbverzichts beseitigen.

– Streitig – aber in der Praxis irrelevant – ist, ob sich aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB ein Anspruch auf Aufhebung des Erbverzichts nach § 2351 BGB ergibt1. – Dies bejaht, wer die vom Erblasser erlangte vorteilhafte Rechtsstellung als „etwas“ i.S.d. Norm ausreichen lässt (wohl zutreffend). Wer dies verneint, billigt dem Verzichtenden ein Anfechtungsrecht (analog §§ 2078, 2281 BGB) oder ein Rücktrittsrecht (analog § 2295 BGB) in Bezug auf den Erbverzicht zu oder wendet die Grundsätze über den Wegfall/die Störung der Geschäftsgrundlage an oder lässt den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung durchgreifen. – Der Anspruch aus § 812 BGB (so er denn besteht) ist gerichtlich durchsetzbar und nach § 894 ZPO vollstreckbar.

Nach dem Tode des Erblassers ist die Aufhebung des Erbverzichts ausgeschlossen2 (s. Rz. 178). Der Anspruch des Verzichtenden richtet sich dann auf Wertersatz (§ 818 Abs. 2 BGB).

– Maßgeblich für die Wertbestimmung nach § 818 Abs. 2 BGB ist der objektive Verkehrswert der Leistung3. – Die entscheidende Frage lautet: Welchen Wert hatte der Erbverzicht zur Zeit des Erbfalles?

Ob der Anspruch auf Aufhebung des Erbverzichts bei Vorversterben des Verzichtenden gem. § 1922 Abs. 1 BGB auf dessen Erben übergeht, wenn der Verzicht noch

– Nach hier vertretener Auffassung können die Erben des Verzichtenden vom Erblasser den Abschluss des Aufhebungsvertrags mit den Abkömmlingen des Verzichtenden verlangen.

1 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 183 m.w.N. 2 OLG Koblenz v. 4.3.1993 – 6 W 99/93, MDR 1993, 656 = FamRZ 1993, 1498 = NJW-RR 1993, 708 (709). 3 BGH v. 24.11.1981 – X ZR 7/80, BGHZ 82, 299 = MDR 1982, 489 (307). 998

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Erbverzicht

Rz. 137

B XV

Kausalgeschäft nichtig, abstrakter Erbverzicht wirksam Rechtswirkungen entfalten kann – etwa weil sich der Verzicht gem. § 2349 BGB auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt –, ist nach der Rechtsprechung des BGH (s. Rz. 178) fraglich1. Der Erblasser hat gegen den Verzichtenden einen Anspruch auf Herausgabe einer gegebenenfalls geleisteten Abfindung aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB.

– Der Anspruch geht beim Tode des Erblassers auf dessen Erben über. – Beim Tode des Verzichtenden ist der Anspruch von den Erben des Verzichtenden zu erfüllen.

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Sowohl Kausalgeschäft als auch abstrakter Erbverzicht nichtig Der Erblasser hat gegen den Verzichtenden einen Anspruch auf Herausgabe einer gegebenenfalls geleisteten Abfindung aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB.

Möglich ist, dass das Kausalgeschäft zum Erbverzicht von vornherein fehlt. So kann es etwa in dem Fall liegen, dass der Erbverzicht in der dem Erblasser bekannten Erwartung einer später folgenden Abfindung erklärt wird, diese sich aber später nicht realisiert2. Haben die Parteien im Erbverzichtsvertrag nicht zumindest andeutungsweise zum Ausdruck gebracht, dass die Wirkung des Verzichts von der Leistung der Abfindung abhängig sein soll (Bedingung), besteht regelmäßig ein Bereicherungsanspruch des Verzichtenden auf Aufhebung des abstrakten Erbverzichtsvertrags aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB (vgl. das zu Rz. 133 Ausgeführte), gegebenenfalls aus § 812 Abs. 1 S. 2 2. Alt. BGB, wenn sich dem Erbverzichtsvertrag entnehmen lässt, dass die Parteien für den abstrakten Erbverzicht eine Zweckvereinbarung getroffen haben.

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Die Entgegennahme einer Abfindung, die ein Dritter im Vertrauen auf die Gültigkeit eines (formunwirksam beurkundeten) Erbverzichtsvertrags erbracht hat, beinhaltet als solche keine Verpflichtung zum Abschluss eines (nunmehr formgültigen) Erbverzichtsvertrags3.

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4. Rücktritt vom Kausalgeschäft Die Parteien können nur für das dem Erbverzicht zugrunde liegende Kausalgeschäft, nicht aber für den abstrakten Erbverzicht selbst ein vertragliches Rücktrittsrecht vereinbaren. In der Ausgestaltung des Rücktrittsrechts sind die Parteien frei. Sie können die Ausübung von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen oder bestimmen, dass der Rücktritt ohne Angaben von Gründen zulässig sein soll. 1 Dafür Muscheler, ZEV 1999, 49 (50); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 185. 2 Beispiel von Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 187. 3 BGH v. 14.12.1995 – IX ZR 242/94, FamRZ 1996, 412 = MDR 1996, 855 = NJW 1996, 1062 (1064). Muscheler

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Rz. 138

Erbverzicht

Der Rücktritt gestaltet das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um, mit der Folge, dass die Parteien verpflichtet sind, einander die empfangenen Leistungen zurückzugewähren (§ 346 BGB). Ansprüche nach Rücktritt

Einzelheiten

Der Erblasser kann eine bereits geleistete Abfindung grundsätzlich zurückverlangen.

– Mit dem Erbfall geht der Anspruch auf die Erben des Erblassers über. – Nach dem Tod des Verzichtsschuldners ist die Verpflichtung zur Rückgewähr von dessen Erben zu erfüllen, wenn der Verzichtsschuldner die Abfindung bereits erhalten, aber seinerseits den Erbverzicht nicht erklärt hat1. War der Verzicht bereits erklärt, geht der Rücktritt ins Leere, mit der Folge, dass dem Erblasser ein Anspruch auf Rückgabe der Abfindung nicht zusteht2.

Der Verzichtende hat Anspruch auf Aufhebung eines bereits geschlossenen Erbverzichtsvertrages.

– Der Anspruch ist gerichtlich durchsetzbar und wird nach § 894 ZPO vollstreckt.

Beachte: Ist der Aufhebungsvertrag nicht bis zum Tod des Erblassers geschlossen (s. Rz. 178), wird dessen Erbe (und wird formal, da die Aufhebung ein Vertrag ist, auch der Verzichtende) gem. § 275 Abs. 1 BGB von der Verpflichtung zur Leistung frei3. Dadurch entfällt die Geschäftsgrundlage für den Rücktritt4, mit der Folge, dass der Verzichtende die Abfindung vom Erben verlangen oder eine bereits erhaltene Abfindung behalten kann. Entsprechendes gilt, wenn der Aufhebungsvertrag beim Tod des Verzichtenden noch nicht geschlossen ist. Hier wird der Erblasser selbst von seiner Aufhebungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB frei, und auch hier entfällt die Geschäftsgrundlage für den Rücktritt. 5. Leistungsstörungen beim Kausalgeschäft 139

Bei einem Kausalgeschäft, in dem sich auch der Erblasser zu einer Leistung an den Verzichtenden verpflichtet, beurteilen sich Leistungsstörungen nach den §§ 320 ff. BGB. Besonderheiten bestehen nicht5. Neben dem Erfüllungsanspruch steht dem Erblasser wie auch dem Verzichtenden ein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 320 Abs. 1 BGB zu. Bei nicht vertragsgemäßer Erfüllung der Verpflichtung kann der Anspruchsberechtigte unter den Voraussetzungen der §§ 323, 326 Abs. 5 BGB vom Vertrag zurücktreten und nach § 346 Abs. 1 BGB Rückgewähr seiner Leistung fordern6 (zu den Wirkungen des Rücktritts s. Rz. 138).

1 2 3 4 5 6

Edenfeld, ZEV 1997, 134 (140). Reul, MittRhNotK 1997, 373 (381). BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (329). Reul, MittRhNotK 1997, 373 (381). Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 8; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 162. Erman/Simon, Vor § 2346 Rz. 3.

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 142

B XV

Zu beachten ist, dass der Erbverzichtsvertrag i.w.S. nur zu Lebzeiten des Erblassers abgeschlossen werden kann. Stirbt der Erblasser vorher, ist die Verpflichtung zum Abschluss eines Erbverzichtsvertrags nach richtiger, aber bestrittener Ansicht in eine Verpflichtung zur Ausschlagung bzw. zum Erlass des Pflichtteilsanspruchs umzudeuten1, sofern das zum selben Ergebnis führen würde wie der Erbverzicht2. Anderenfalls wird der Verzichtsschuldner nach allgemeiner Meinung gem. § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht frei und verliert gem. § 326 Abs. 1 BGB zugleich den Anspruch auf die Gegenleistung; eine bereits geleistete Abfindung kann der Erbe des Erblassers vom Verzichtenden gem. §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB zurückfordern. Stirbt der Verzichtswillige vor Abschluss des Erbverzichts i.w.S. und sollte sich der Verzicht nach dem Kausalvertrag auf die Abkömmlinge des § 2349 BGB erstrecken, so darf der Kausalvertrag nicht etwa dahin ausgelegt werden, dass nunmehr die Abkömmlinge des Verstorbenen zur Erklärung eines Erbverzichts verpflichtet wären; selbst wenn das von den Parteien des Kausalvertrags so gewollt gewesen sein sollte, kann diesem Willen nicht zur Rechtsgeltung verholfen werden (unzulässiger Vertrag zulasten Dritter). Vielmehr greifen hier von vornherein die §§ 275, 326 BGB ein.

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VIII. Verknüpfung des Kausalgeschäfts mit dem Erbverzicht i.w.S. Beratungssituation: Der Mandant möchte einen entgeltlichen Erbverzicht erklären, aber sicherstellen, dass sein Verzicht nur wirksam bleibt, wenn er die versprochene Abfindung erhält. Nach allgemeiner Meinung können abstrakter Erbverzicht und Kausalgeschäft durch eine dem Erbverzicht beigefügte aufschiebende oder auflösende Bedingung miteinander verknüpft werden3. Die Wirksamkeit des Verzichts kann sowohl von der Bedingung der (fristgerechten) Leistung der Abfindung als auch von der Erfüllung eines vom Erblasser zugunsten des Verzichtenden mit erbvertraglich bindender Wirkung ausgesetzten Vermächtnisses abhängig gemacht werden. Auch vermag der Eintritt von Rechtsbedingungen zur Wirksamkeitsvoraussetzung erhoben zu werden. So lässt sich etwa die Wirksamkeit eines früher oder gleichzeitig geschlossenen Abfindungsvertrags (als bloß subjektive Ungewissheit) in einen „Bedingungszusammenhang“ mit dem Erbverzicht bringen, mit der Folge, dass die Vorschriften der §§ 158 ff. BGB analog anzuwenden sind4.

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Die Bedingung für den Verzicht auf die Erbenstellung kann auch noch nach dem Erbfall eintreten, was den gesetzlichen Bestimmungen zur sog. konstruktiven Nacherbfolge (§§ 2104, 2105 BGB) zu entnehmen ist5. Zu den sich daraus erge-

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1 Dies ist streitig. Wie hier: Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 3; verneinend: Edenfeld, ZEV 1997, 134 (140); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 169. 2 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 3. 3 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (327); BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146 f.); BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (35); MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 25; Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 5; Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 5; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 153; Lange, in: FS Nottarp, S. 119 (124); a.A. nur Harrer, ZBlFG 15 (1915), 1 (9 ff.). 4 MüKo.BGB/Westermann, § 158 Rz. 52. 5 BayObLG v. 4.10.1957 – BReg. 1Z 147/57, BayObLGZ 1957, 292 (300). Muscheler

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B XV

Rz. 143

Erbverzicht

benden Rechtsfolgen vgl. Rz. 13, zu den mit Bedingungen verknüpften Gefahren vgl. Rz. 155 ff.

Beachte: Aus Gründen der Rechtsklarheit1 und zum Schutz des Verzichtenden empfiehlt es sich stets, den Erbverzicht und die Abfindungsleistung durch Vereinbarung eines gegenseitigen Bedingungsverhältnisses rechtsgeschäftlich miteinander zu verbinden2. Zur Vermeidung von Auslegungsstreitigkeiten sollte die Bedingung ausdrücklich vereinbart werden, weil das Vorliegen eines Bedingungsverhältnisses nicht bereits dann angenommen wird, wenn Erbverzicht und (entgeltliches) Kausalgeschäft in einer Urkunde erklärt werden3. Ein entsprechender Parteiwille muss wenigstens einen – wenn auch unvollkommenen – Ausdruck in der Urkunde finden. 143

Die wohl h.M.4 erachtet es darüber hinaus für zulässig, den abstrakten Erbverzicht und das Kausalgeschäft in der Weise miteinander zu verbinden, dass sie eine vertragliche Einheit bilden. Dies hat zur Folge, dass eine teilweise Unwirksamkeit im Zweifel das ganze Rechtsgeschäft nach § 139 BGB nichtig macht5. Sofern sich Erbverzicht und Abfindungsvereinbarung in einer Urkunde befinden, soll sogar eine tatsächliche Vermutung für die Einheitlichkeit beider Geschäfte sprechen6. Die Anwendung des § 139 BGB auf das Verhältnis zwischen abstraktem Verfügungsgeschäft einerseits und Kausalgeschäft andererseits ist jedoch nicht unbestritten. Sie wird teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass sie sich im Ergebnis über das Abstraktionsprinzip hinwegsetze7. Eine unwirksame Vereinbarung könne jedoch, so heißt es von dieser Seite, bei ausdrücklicher Verknüpfung regelmäßig nach § 140 BGB in einen zulässigen Bedingungszusammenhang umgedeutet werden8.

1 Zu den umstrittenen Rechtsfolgen eines wirksamen Erbverzichts bei fehlendem Rechtsgrund s. Rz. 133, 135. 2 Haegele, BWNotZ 1971, 36 (37). Dass auch die dingliche Wirksamkeit der Gegenleistung von Zustandekommen und Wirksamkeit des Erbverzichts qua Bedingung abhängig gemacht werden kann, ist immer dann unbestreitbar, wenn es sich nicht um Auflassung handelt (vgl. § 925 Abs. 2 BGB), BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (148). 3 BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (33); MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 26; Soergel/ Damrau, § 2346 Rz. 4; Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 154; a.A. Holthaus, S. 68 ff. 4 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 5; RGRK/Johannsen, § 2346 Rz. 5; AK/Teubner, Vor § 2346 Rz. 34; Lange, in: FS Nottarp, S. 119 (123 ff.); Weirich, DNotZ 1986, 5 (12); Westermann in: FS Kellermann, S. 505 (521); a.A. Palandt/Weidlich, § 2346 Rz. 8 unter Aufgabe der noch in Palandt/Edenhofer, 64. Aufl. 2005, Überbl. v. § 2346 Rz. 13 vertretenen gegenteiligen Auffassung. Die Anerkennung einer vertraglichen Einheit durch Parteiwillen führe zur Aufgabe des dem deutschen Recht wesentlichen Abstraktionsprinzips. 5 MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 27; Damrau, S. 99. 6 OLG Bamberg v. 30.1.1998 – 4 W 5/98, OLGReport 1998, 169 f.; RGRK/Johannsen, § 2346 Rz. 5. 7 Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2053); Larenz, JherJb 81 (1931), 1 (14); Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 151. 8 Holthaus, S. 83. 1002

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 148

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IX. Der Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. 1. Beteiligte Den Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB) bzw. den isolierten Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) können der Ehegatte und jeder Verwandte des Erblassers leisten. Darüber hinaus ist auch dem Verlobten des Erblassers und einem von diesem Anzunehmenden vor Ausspruch der Adoption ein Verzicht möglich, weil Gegenstand des Verzichts auch ein zukünftiges, noch entstehendes Erbrecht sein kann (s. Rz. 19). Der Fiskus vermag auf sein gesetzliches Erbrecht gem. § 1936 BGB nicht zu verzichten, da ihm das Gesetz auch das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft versagt (§ 1942 Abs. 2 BGB).

144

Den Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) kann jedermann leisten, der durch Verfügung von Todes wegen als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht ist (s. Rz. 78).

145

Vertragsgegner des Verzichtenden kann nur der Erblasser selbst sein (§§ 2346 Abs. 1 S. 1, 2352 S. 1 BGB).

146

2. Probleme bei Anbahnung und Abschluss des Erbverzichtsvertrags i.w.S. Für alle Erbverzichtsformen (für den Zuwendungsverzicht über § 2352 S. 3 BGB) ergibt sich aus § 2347 BGB, inwieweit bei Abschluss eines Erbverzichtsvertrags eine Vertretung zulässig ist, welche Anforderungen an die Geschäftsfähigkeit der Vertragsbeteiligten zu stellen sind und wann ein Erbverzicht familien- oder betreuungsgerichtlicher Genehmigung bedarf1. § 2347 BGB bezieht sich lediglich auf den abstrakten Erbverzicht, nicht aber auf das dem Erbverzicht zugrunde liegende Kausalgeschäft2.

147

a) Vertretung Der Erblasser kann den Erbverzichtsvertrag gem. § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich nur (höchst-)persönlich schließen. Wie bei der Testamentserrichtung (§ 2064 BGB) und beim Abschluss eines Erbvertrags (§ 2274 BGB) ist damit Vertretung des Erblassers im Willen und in der Erklärung ausgeschlossen3. Anders als bei sonstigen Rechtsgeschäften können die gesetzlichen Vertreter des beschränkt geschäftsfähigen Erblassers nicht für diesen handeln. Der beschränkt geschäftsfähige Erblasser muss den Erbverzichtsvertrag vielmehr selbst abschlie1 Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 1. 2 H.M., BGH v. 4.4.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 36, 319 (328); Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 4; MüKo.BGB/Strobel, § 2347 Rz. 2; Weidlich, ZEV 2011, 531; Keim, ZEV 2012, 148 (149). 3 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (321). Ein von einem bevollmächtigten Vertreter des Erblassers abgeschlossener und daher nichtiger Erbverzicht enthält regelmäßig auch den dem Erbverzicht zugrunde liegenden Kausalvertrag; dieser bleibt, da bei ihm Vertretung erlaubt ist, wirksam (BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319, [329]; OLG Düsseldorf v. 20.12.2013 – I-7 U 153/12, BeckRS 2014, 04905); Folge: Der Erblasser hat einen schuldrechtlichen (nicht erbrechtlichen, vgl. § 197 Abs. 1 Nr. 2 a.F. BGB) Anspruch auf erneuten und dann wirksamen Erbverzicht; dies übersehend OLG Düsseldorf v. 21.6.2011 – 3 Wx 56/11, ZEV 2011, 529 m. abl. Anm. Weidlich. Muscheler

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B XV

Rz. 149

Erbverzicht

ßen und bedarf hierzu nicht einmal der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, weil der abstrakte Erbverzicht für den Erblasser stets lediglich rechtlich vorteilhaft ist1. Das Prinzip des persönlichen Handelns durchbricht das Gesetz ausschließlich bei Geschäftsunfähigkeit des Erblassers (§ 2347 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. BGB). In diesem Fall ist der Erbverzichtsvertrag vom gesetzlichen Vertreter des Erblassers – also den Eltern bzw. dem Vormund des minderjährigen Kindes oder dem Betreuer des geschäftsunfähigen Volljährigen, wenn dies in seinen Aufgabenkreis fällt (§§ 1902, 1896 Abs. 2 S. 1 BGB) – zu schließen. Gegen die Erklärung eines Erb- und Pflichtteilsverzichts des Betreuers für den geschäftsunfähigen Betreuten könnte gem. §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB das Verbot des In-Sich-Geschäfts sprechen. Die h.M. nimmt jedoch eine teleologische Reduktion des § 181 BGB vor, wenn das Geschäft für den Vertretenen nach § 107 BGB lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Wenn ein beschränkt geschäftsfähiger Erblasser einen Erbverzichtsvertrag ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters selber abschließen kann, weil es sich bei dem Erbverzicht um ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft handelt, muss dies auch für den Abschluss mit einem geschäftsunfähigen Erblasser gelten2.

Beachte: Die Rechtswirksamkeit eines von einem Betreuer des Erblassers abgeschlossenen Erbverzichtsvertrags steht und fällt mit der Geschäftsunfähigkeit des Betreuten, und zwar auch dann, wenn ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist (§ 1903 Abs. 2 3. Var. BGB). Bei Zweifeln über die Geschäftsfähigkeit sollten sowohl der Betreuer als auch der Betreute den Erbverzichtsvertrag schließen3. 149

Anders als der Erblasser muss der Verzichtende den Erbverzichtsvertrag nicht persönlich abschließen4. Es gelten daher die allgemeinen Vertretungsregeln. Für den geschäftsunfähigen Verzichtenden (§ 104 BGB) handelt sein gesetzlicher Vertreter, für den in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten oder den unter Einwilligungsvorbehalt des Betreuers stehenden geschäftsfähigen Betreuten, der insoweit wie ein beschränkt Geschäftsfähiger behandelt wird, entweder der nur eingeschränkt Geschäftsfähige selbst (mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters) oder nur der gesetzliche Vertreter5. Auch rechtsgeschäftliche Vertretung ist zulässig. Die Erteilung der Vollmacht bedarf keiner Form (§ 167 Abs. 2 BGB), es sei denn, sie erfolgt unwiderruflich. b) Familien- bzw. betreuungsgerichtliche Genehmigung

150

Ein Erbverzichtsvertrag, der für einen geschäftsunfähigen Erblasser von dessen gesetzlichem Vertreter (Eltern, Vormund, Betreuer) geschlossen wird, bedarf grundsätzlich der familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung (§ 2347 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. BGB). Die familiengerichtliche Genehmigung ist nach § 2347 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. und Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB für den unter elterlicher Sorge stehenden Erblasser ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Verzichtsvertrag unter 1 2 3 4 5

Hahn, FamRZ 1991, 27 (29). DNotI-Report 2004, 197 (198). Cypionka, DNotZ 1991, 571 (586); Nieder, Rz. 1149. Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 6 m.w.N. Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 10–13.

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Erbverzicht

Rz. 152

B XV

Ehegatten oder Verlobten geschlossen wird1. Von vornherein keiner familienoder betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf dagegen der von einem in der Geschäftsfähigkeit beschränkten minderjährigen Erblasser und der von einem unter Betreuung stehenden geschäftsfähigen Erblasser selbst geschlossene Erbverzichtsvertrag2.

Beachte: In Ansehung des unter Betreuung stehenden Erblassers sollte die betreuungsgerichtliche Genehmigung vorsorglich eingeholt werden, wenn der Vertrag – wegen bestehender Zweifel an der Geschäftsfähigkeit – sowohl vom Betreuer als auch vom Betreuten geschlossen wurde, weil die Genehmigung jedenfalls bei Geschäftsunfähigkeit des Erblassers erforderlich ist3. Der für den Verzichtenden durch seinen gesetzlichen Vertreter ausgesprochene oder genehmigte Erbverzicht bedarf ebenfalls grundsätzlich der familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung, und zwar unabhängig davon, ob der Verzichtende geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig ist und ob er unter elterlicher Sorge (Ausnahme: Der Vertrag wird zwischen Ehegatten oder unter Verlobten geschlossen, § 2347 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB) oder Vormundschaft steht4. Darüber hinaus bedarf auch der von einem Betreuten, für den das Betreuungsgericht einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet hat (§ 1903 Abs. 1 S. 1 BGB), selbst abgeschlossene Vertrag der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, auch wenn der Betreuer dem Abschluss des Vertrags zugestimmt hat. In diesem Fall leistet der Betreuer zwar nicht selbst den Verzicht, so dass § 2347 Abs. 1 S. 2 BGB seinem Wortlaut nach nicht direkt anwendbar ist, doch erfordert der Zweck der Vorschrift deren analoge Anwendung5. § 2347 Abs. 1 BGB gilt auch, wenn der geschäftsunfähige Vertragserbe einer an sich unter § 2287 BGB fallenden Schenkung zustimmt, ohne einen förmlichen Erbverzicht zu vereinbaren6.

151

Die familien- bzw. betreuungsgerichtliche Genehmigung wird vom Rechtspfleger erteilt (§ 3 Nr. 2a RPflG), in Baden-Württemberg vom Notar7 (§§ 1 Abs. 1 und 2, 36 LFGG BW; vgl. Art. 147 EGBGB). Sie kann nur dem gesetzlichen Vertreter gegenüber erklärt werden (§§ 1643 Abs. 3, 1828, 1908i Abs. 1 BGB) und muss dem Vertreter vor dem Tod des Erblassers und vor dem Tod des Verzichtenden zugehen (Rz. 155 ff.). Wird die familien- bzw. betreuungsgerichtliche Genehmigung erst nach Abschluss des zu genehmigenden Vertrags erteilt, ist darüber hinaus zu beachten, dass der Vertrag Wirksamkeit erst erlangt, wenn die Genehmigung der Gegenseite durch den gesetzlichen Vertreter mitgeteilt wird (§ 1829 Abs. 1 S. 2 BGB; vgl. Rz. 157).

152

1 2 3 4 5 6 7

Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 32 m.w.N. Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 33 f. Soergel/Damrau, § 2347 Rz. 7. Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 15. Soergel/Damrau, § 2347 Rz. 7. BGH v. 27.1.1982 – IVa ZR 240/80, BGHZ 83, 44 = FamRZ 1982, 370 (50). Zu den Amtspflichten des Bezirksnotars/Familien- bzw. Betreuungsrichters bei der Entscheidung über die familien- oder betreuungsgerichtliche Genehmigung s. BGH v. 6.10.1994 – III ZR 134/93, MDR 1995, 823 = FamRZ 1995, 151 (damals noch zum Vormundschaftsrichter). Muscheler

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B XV

Rz. 153

Erbverzicht

c) Sonstige Zustimmungserfordernisse 153

Der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags durch einen Ehegatten bedarf – unabhängig vom Güterstand – nicht der Zustimmung des anderen Ehegatten. Die für die Zugewinngemeinschaft geltende Vorschrift des § 1365 BGB greift nicht ein, da sie nur Verfügungen über gegenwärtiges1, nicht aber solche über künftiges Vermögen – wie den Erbverzicht – betrifft. Für die Gütergemeinschaft ergibt sich die fehlende Notwendigkeit der Zustimmung aus dem Gedanken der §§ 1432 Abs. 1 S. 2, 1455 Nr. 2 BGB. Bei Gütertrennung bestehen von vornherein keine Zustimmungspflichten.

154

Der Erbverzicht i.e.S., der Pflichtteilsverzicht sowie der Zuwendungsverzicht eines Elternteils erstrecken sich gem. § 2349 BGB (ggf. i.V.m. § 2352 S. 3 BGB) ohne weiteres auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, selbst wenn diese im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht geboren sind2. Gleichwohl bedarf der Erbverzichtsvertrag keiner familiengerichtlichen Genehmigung3, weil Verzichtende – anders als nach § 2347 Abs. 1 BGB vorausgesetzt – nicht die Abkömmlinge selbst sind. d) Gefahren

155

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre kann ein Erbverzicht i.e.S.4 sowie ein Zuwendungsverzicht5 nur vor dem Eintritt des Erbfalls wirksam vereinbart werden6. Zur Begründung dieses Satzes verweist man insbesondere darauf, dass nur zu Lebzeiten des Erblassers in seiner eigenen Person ein sinnvolles und schutzwürdiges Interesse an einer Änderung der Erbfolgeregelung bestehe7. Die Sicherheit des Rechtsverkehrs erfordere, dass die mit dem Tod des Erblassers eingetretene Erbfolgeregelung auf einer festen Grundlage stehe und nicht durch nachträgliche Erklärungen umgestoßen werden könne8.

156

Fehlende Genehmigungen (etwa des Verzichtenden bei Vertretung ohne Vertretungsmacht, des gesetzlichen Vertreters, des Familien- oder Betreuungsgerichts) müssen aus dem genannten Grund bis zum Tode des Erblassers oder des Verzichtenden wirksam geworden9, d.h. gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugegangen sein. Die von § 184 Abs. 1 BGB angeordnete uneingeschränkte Rückwirkung der Genehmigung gibt es für den Erbverzicht nicht. 1 2 3 4 5 6

MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 8. Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 17. KG v. 22.10.1920 – ZS. 1a., OLGE 41, 67 (69). BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (329). Staudinger/Schotten, § 2352 Rz. 7. Eine nach dem Tod des Erblassers formlos abgegebene Verzichtserklärung, die auch als Erbschaftsausschlagung keine Wirkungen entfalten kann, begründet eine schuldrechtliche Verpflichtung zugunsten des Begünstigten, diesen so zu stellen, dass er den Anteil des Verpflichteten an einem Nachlass aus diesem erhält, vgl. OLG Köln v. 22.10.1974 – 15 U 21/74, VersR 1975, 221 (222). 7 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 (329). 8 BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159; OLG Koblenz v. 4.3.1993 – 6 W 99/93, MDR 1993, 656 = FamRZ 1993, 1498 = NJW-RR 1993, 708 (709); OLG München v. 14.4.1997 – 31 U 3732/96, ZEV 1997, 299 (300) m.w.N. 9 BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159.

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Erbverzicht

Rz. 159

B XV

Gleiches gilt für eine Mitteilung des gesetzlichen Vertreters gem. §§ 2347, 1829 Abs. 1 S. 2 BGB, die dem Erblasser nicht mehr zu seinen eigenen Lebzeiten oder zu Lebzeiten des Verzichtenden zugegangen ist1.

157

Obgleich ein (isolierter) Pflichtteilsverzichtsvertrag die gesetzliche Erbfolge unberührt lässt und daher die in Rz. 155 genannten Argumente nicht zum Tragen kommen, soll nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch er nur zu Lebzeiten des Erblassers geschlossen werden können2. Diese Rechtsprechung ist zwar verfehlt3, aber von der Praxis zu beachten. In Konsequenz der Rechtsprechung kann ein Angebot auf Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrags nach dem Tod des Erblassers nicht mehr angenommen werden, da der Vertragsschluss zu Lebzeiten beider Beteiligten erfolgen muss. Daher müssen auch die Wirksamkeit erst perfektionierende Genehmigungen bereits vor dem Tod eines der beiden Beteiligten vorliegen. Ist der Verzichtsvertrag unter einer Bedingung oder Befristung geschlossen, müsste er richtigerweise zur Wirksamkeit gelangen können, da im Zeitpunkt des Erbfalls von Seiten der Beteiligten alle erforderlichen Willenserklärungen abgegeben sind und es nicht mehr vom Willen der Beteiligten abhängt, ob endgültige Wirksamkeit eintritt. Ob der BGH dieser Einschätzung folgen wird, ist noch ungewiss, da er davon ausgeht, dass sich der Gegenstand des Verzichts, nämlich das Pflichtteilsrecht, mit Eintritt des Erbfalls in einen Pflichtteilsanspruch verwandelt, auf den sich Vereinbarungen in Bezug auf das Pflichtteilsrecht nicht mehr auswirken können.

158

Beachte: Nach dem Erbfall erteilte bzw. zugegangene Vertragserklärungen und Genehmigungen sind nach h.M. wirkungslos! Im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung sollte darauf hingewirkt werden, dass Erbverzichte i.e.S., Zuwendungsverzichte und (isolierte) Pflichtteilsverzichte möglichst schnell wirksam werden4. Die Aufnahme aufschiebender Bedingungen sollte bei Pflichtteilsverzichtsverträgen tunlichst vermieden werden; kommt man ohne Aufschub des Wirksamwerdens nicht aus, so empfiehlt sich, rein vorsorglich bei allen nicht sofort wirksam werdenden Pflichtteilsverzichtsverträgen zugleich auf alle künftigen – erst mit dem Tod des Erblassers entstehenden – Pflichtteilsansprüche zu verzichten5, auch wenn diese Möglichkeit umstritten ist6 (beachte auch Rz. 174 ff.). 3. Der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags im Zusammenhang mit anderen Verträgen (v.a. Übergabeverträgen) Bei Übergabeverträgen, durch den etwa Eltern ein Grundstück oder ihr landwirtschaftliches Anwesen einem Kind übertragen, das sich wegen eines künftigen 1 Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 19. 2 BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, BGHZ 134, 60 (64 f.) = FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260. 3 Muscheler, Anm. zu BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = MDR 1997, 260, JZ 1997, 853 (854 f.); Reul, MittRhNotK 1997, 373 (382 f.) m.w.N.; wohl auch Albrecht, Anm. zu BGH v. 13.11.1996 – IV ZR 62/96, FamRZ 1997, 173 = DNotZ 1997, 425. 4 Reul, MittRhNotK 1997, 373 (382). 5 Reul, MittRhNotK 1997, 373 (382 f.) m.N. 6 S. hierzu Mayer, ZEV 1996, 441 (445 ff.). Muscheler

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B XV

Rz. 160

Erbverzicht

Erbrechts für abgefunden erklärt, haben die Beteiligten im Allgemeinen keinen Erbverzicht im Auge. Die Abfindungserklärung bringt ihrem Zweck nach regelmäßig nur zum Ausdruck, dass vom Stande des gegenwärtigen Übergebervermögens her betrachtet die durch die Übergabe dem Abkömmling zugewendeten Vorteile dessen künftig zu erwartendem Erbteil entsprechen und der Abkömmling deshalb zugunsten der künftigen Miterben hinsichtlich dieses gegenwärtigen Vermögens als abgefunden zu gelten hat1. Im Zweifel wird eine nicht eindeutige Erklärung nach den §§ 133, 157, 242 BGB ausgelegt. Der Berater sollte deshalb bei Abschluss des Übergabevertrags bemüht sein, jegliche Zweifel über den Parteiwillen von vornherein auszuschließen. Beispiel:2 Der Übergabevertrag, durch den Eltern einem Abkömmling ihr landwirtschaftliches Anwesen unter Vereinbarung eines Leibgedinges übergeben, enthält folgende Bestimmung: „Der Übernehmer erkennt an, dass er durch die Übergabe mit allen seinen Ansprüchen gegen den Hof aus Mitarbeit und mit allen seinen Ansprüchen gegen den künftigen Nachlass seiner Eltern abgefunden ist, so dass ihm keine Ansprüche mehr zustehen. Er verzichtet hiermit mit Rücksicht auf diese Übergabe auf seine gesetzlichen Pflichtteilsansprüche gegenüber dem künftigen Nachlass seiner Eltern.“

Diesen Vertrag hat das BayObLG nach §§ 133, 157, 242 BGB dahin ausgelegt, dass lediglich ein Verzicht auf das Pflichtteilsrecht, nicht aber ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht erklärt worden sei. Der Aufnahme des Satzes „Er verzichtet … auf seine gesetzlichen Pflichtteilsansprüche …“ hätte es nicht bedurft, wenn bereits mit dem vorangehenden Satz ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht habe ausgesprochen werden sollen, da sich ein solcher zugleich auf das Pflichtteilsrecht erstreckt hätte3. Zudem sei es den Erblassern ersichtlich nur darauf angekommen, ihre eigene Versorgung bis zum Lebensende sicherzustellen, was sich zweifelsfrei aus der Vereinbarung über das Leibgeding ergebe. Es bestehe kein zwingender Grund zur Annahme, es sei den Eltern auch noch an einem Erbverzicht – etwa als zusätzliche Gegenleistung – gelegen gewesen. Ein Vertrag, durch den Eltern ihr landwirtschaftliches Anwesen unter Vereinbarung eines Leibgedinges einem Abkömmling übergeben, wohingegen dieser sich mit allen Ansprüchen gegen den künftigen Nachlass seiner Eltern für abgefunden erklärt, ausdrücklich aber nur auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet, enthält daher nicht notwendig einen Erbverzicht. 160

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn der Verzicht nicht vom Übernehmer eines Hofes (oder eines sonstigen Vermögensgegenstandes), sondern von (anderen) Abkömmlingen des Übergebers in einem weiteren notariellen Vertrag mit dem Erblasser erklärt wird. Bekunden die Abkömmlinge in einem solchen Vertrag ihr Einverständnis mit der Übertragung und erklären sie gleichzeitig, „abgefunden“ zu sein und „keine Erb- oder Pflichtteilsansprüche gegen Erblasser und … (als Hofesübernehmer)“ zu stellen, liegt ein umfassender Erbverzicht vor, wenn eine 1 RG v. 26.10.1931 – IV 83/31, LZ 1932, 102 f.; BayObLG v. 10.2.1981 – BReg.1Z 125/80, FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30 (36); OLG Hamm v. 4.4.1995 – 10 U 90/94, FamRZ 1996, 1176 = NJW-RR 1996, 906. 2 BayObLG v. 10.2.1981 – BReg.1Z 125/80, FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30. 3 BayObLG v. 10.2.1981 – BReg.1Z 125/80, FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30 (35). 1008

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Erbverzicht

Rz. 162

B XV

Beschränkung – auf die eigenständig vererbbare Vermögensmasse „Hof“ oder auf den sonstigen an einen Dritten übertragenen Gegenstand – weder ausdrücklich erklärt noch der notariellen Urkunde im Wege der Auslegung zu entnehmen ist1. Aus der gegenüber dem Erblasser abgegebenen Erklärung, keine Erb- oder Pflichtteilsansprüche gegen den Hofübernehmer (oder den Übernehmer des sonstigen Vermögensgegenstandes) zu stellen, lässt sich eine solche gegenständliche Beschränkung nicht herleiten, weil der Verzichtsvertrag nicht mit dem Hofübernehmer, sondern dem Erblasser abgeschlossen worden ist2. Bei Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen, die im Zusammenhang mit Erbverträgen geschlossen werden sollen, hat der Berater zu klären, ob der verzichtende Erbe den Verzicht nur in der Erwartung einer Abfindung erklären möchte3. Wird der Verzicht nämlich im Hinblick darauf erklärt, dass die im Erbvertrag als Vertragserbe eingesetzte Person nach dem Erbfall die Abfindung für den Verzicht leistet, bestehen Gefahren. Eine derartige Auszahlungsabrede zwischen dem Verzichtenden und dem erbvertraglich Begünstigten stellt, auch wenn sie gleichzeitig mit einem Erbvertrag und einem Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag getroffen wird, einen sog. Erbschaftsvertrag dar4, für den die Vorschrift des § 311b Abs. 4 und 5 BGB zu beachten ist. Daraus folgt zunächst, dass ein solches Auszahlungsversprechen gem. § 311b Abs. 5 S. 2 BGB notarieller Beurkundung bedarf5. Das Formerfordernis gilt auch dann, wenn der Erblasser einem zwischen gesetzlichen Erben geschlossenen Erbschaftsvertrag zugestimmt hat. Da der Abschluss eines Erbschaftsvertrags der Zustimmung des Erblassers nicht bedarf6, ist nämlich nicht einzusehen, weshalb Erbvertrag und Erbverzichtsvertrag nur vor dem Notar geschlossen werden können, der dazugehörige Erbschaftsvertrag allein wegen der Mitwirkung des Erblassers dagegen ohne Notar7. Ein weiteres Risiko, auf das der Berater hinzuweisen hat, besteht darin, dass bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob den Erbschaftsvertrag auch Personen zu schließen vermögen, die nicht zu den Nächstberufenen in der gesetzlichen Erbfolge gehören8.

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4. Formerfordernisse, insbesondere stillschweigender Erbverzicht a) Ausgangspunkt Der Erbverzichtsvertrag bedarf der notariellen Beurkundung (§ 2348 BGB). Heilung eines Formverstoßes analog § 311b Abs. 1 S. 2 BGB kommt nicht in Betracht. § 311b Abs. 1 S. 2 BGB greift hinsichtlich des Erbverzichts selbst dann nicht ein, wenn dieser mit einem Vertrag i.S.d. § 311b Abs. 1 S. 1 BGB verbun1 OLG Oldenburg v. 14.10.1997 – 5 U 62/97, FamRZ 1998, 645 (646). 2 OLG Oldenburg v. 14.10.1997 – 5 U 62/97, FamRZ 1998, 645 (646). 3 Thode, Anm. zu BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, MDR 1995, 609 = FamRZ 1995, 226 = ZEV 1995, 143 f. 4 OGH (Brit. Zone) v. 19.5.1949 – I ZS 241/48, OGHZ 2, 175 (178 ff.). 5 BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, MDR 1995, 609 = FamRZ 1995, 226 = ZEV 1995, 142. 6 BGH v. 11.5.1988 – IVa ZR 325/86, BGHZ 104, 279 (284) FamRZ 1988, 1041. 7 BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, MDR 1995, 609 = FamRZ 1995, 226 = ZEV 1995, 142 (143). 8 Thode, Anm. zu BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 238/93, MDR 1995, 609 = FamRZ 1995, 226 = ZEV 1995, 143 (144). Muscheler

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B XV

Rz. 163

Erbverzicht

den und hinsichtlich der Grundstücksübertragungspflicht Heilung eingetreten ist1. Gleichzeitige Anwesenheit der Vertragsbeteiligten verlangt das Gesetz beim Erbverzicht – anders als beim Erbvertrag – nicht, so dass auch die getrennte Beurkundung von Antrag und Annahme möglich ist2. Das Beurkundungserfordernis gilt auch für das dem abstrakten Erbverzicht zugrunde liegende Kausalgeschäft (s. Rz. 127). Eine entsprechende Anwendung des § 2348 BGB auf dingliche Vollzugsgeschäfte, die mit einem Erbverzicht im Zusammenhang stehen, kommt nicht in Betracht3. Der Notar muss den Erbverzicht i.e.S. und den Zuwendungsverzicht dem Zentralen Testamentsregister bei der Bundesnotarkammer melden (§ 78b Abs. 2 S. 1 BNotO), nicht aber den Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB4. 163

Durch Prozessvergleich wird die notarielle Beurkundung ersetzt (§ 127a BGB). Im Hinblick auf die gem. § 2347 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB angeordnete Höchstpersönlichkeit ist im Anwaltsprozess zu beachten, dass ein Erbverzicht nur bei persönlicher Anwesenheit des Erblassers wirksam vereinbart werden kann5. Wirksamwerden der Erblassererklärung nach § 127a BGB setzt voraus, dass der Verzicht sowohl vom Erblasser als auch vom Rechtsanwalt erklärt wird6. b) Stillschweigender Erbverzicht

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Besondere Aufmerksamkeit ist darauf zu richten, dass Erb- und Pflichtteilsverzicht nach der Rechtsprechung trotz § 2348 BGB auch stillschweigend geschlossen werden können7. Der BGH hat einen stillschweigenden Pflichtteilsverzicht erstmals 1956 in einem Fall angenommen, in dem sich Ehegatten in einem Erbvertrag gegenseitig zu Alleinerben und das am Vertragsschluss beteiligte Kind zur alleinigen Schlusserbin eingesetzt sowie ihren anderen Kindern Vermächtnisse nach dem Tod des längstlebenden Ehegatten ausgesetzt hatten8. Hier liege, so der BGH, ein auf den Tod des erstversterbenden Ehegatten bezogener Pflichtteilsverzicht der Schlusserbin vor: Mangels eines ausdrücklichen Verzichts seien die im Erbvertrag enthaltenen Erklärungen auszulegen. Dabei komme es zunächst darauf an, welches Ziel die Vertragschließenden durch den Abschluss des Erbvertrags hätten erreichen wollen. Insbesondere bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden, in der der gemeinsame Wille der Ehegatten nicht in einem gemeinschaftlichen Testament, sondern im Wege eines Erbvertrags mit dem als Schlusserben eingesetzten Abkömmling niedergelegt sei, könne – jedenfalls 1 BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146); OLG Düsseldorf v. 6.7.2001 – 7 U 205/00, FamRZ 2002, 1147 = NJW-RR 2002, 584. 2 Nieder, Rz. 1148; Keller, ZEV 2005, 229 (230). 3 BGH v. 7.12.2011 – IV ZR 16/11, MDR 2012, 229 = FamRZ 2012, 446 = ZEV 2012, 145 (146 ff.); Vorinstanz OLG Stuttgart v. 28.12.2010 – 1 U 113/10, BeckRS 2012, 02919. 4 Dazu Bormann, ZEV 2011, 628 (629). 5 BayObLG v. 18.3.1965 – BReg. 1b Z 4/65, BayObLGZ 1965, 86 (89). 6 BayObLG v. 18.3.1965 – BReg. 1b Z 4/65, BayObLGZ 1965, 86 (89); OLG Stuttgart v. 24.7.1989 – 8 W 458/88, MDR 1989, 995 = FamRZ 1989, 1253. 7 S. dazu auch Keim, ZEV 2001, 1. 8 BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, BGHZ 22, 364 ff. = LM § 2348 BGB Nr. 1 m. Anm. Johannsen = JR 1957, 339 m. abl. Anm. v. Lübtow. 1010

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Erbverzicht

Rz. 164b

B XV

grundsätzlich1 – davon ausgegangen werden, dass die Absicht bestanden habe, Pflichtteilsansprüche des Schlusserben nach dem Tode des zuerst versterbenden Ehegatten auszuschließen2. Die Verzichtserklärung der Schlusserbin liege darin, dass sie die im Erbvertrag getroffenen Anordnungen angenommen habe. Die Annahme des Verzichts durch die Erblasser sei in der Einsetzung des verzichtenden Abkömmlings als Schlusserbin zu sehen. In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der BGH 1977 in einem notariellen gemeinschaftlichen Testament, in dem Ehegatten ihre Kinder aus jeweils früherer Ehe als Erben eingesetzt und sich untereinander den Hausrat vermacht hatten, einen stillschweigend geschlossenen Erb- und Pflichtteilsverzicht der Ehegatten gesehen3. Die notwendigen Erklärungen müssten nicht ausdrücklich und für sich allein, sondern könnten auch im Zusammenhang mit anderen notariell beurkundeten Erklärungen abgegeben werden. Der Verzicht sei daher auch dann wirksam erklärt, wenn sich der Wille, auf den Pflichtteil verzichten zu wollen, stillschweigend aus diesen (anderen) beurkundeten Erklärungen ergebe4.

164a

In der Literatur sind die genannten Entscheidungen zu Recht kritisiert worden5. So hat man insbesondere darauf hingewiesen, dass der BGH die Rechtsprechung des RG – ohne diese überhaupt zu erwähnen – in ihr Gegenteil verkehrt habe6. Das Reichsgericht hatte noch ausgeführt, dass der Verzicht auf ein Recht nicht zu vermuten, sondern nur dann anzunehmen sei, wenn besondere Umstände auf einen Verzichtswillen schließen lassen7. Die Anerkennung eines stillschweigenden Verzichts birgt die Gefahr in sich, dass der Beweis- und Warnfunktion des § 2348 BGB nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Auch ist nicht ersichtlich, wie sich aus einem gemeinschaftlichen Testament, das selbst bei Vorliegen wechselbezüglicher Verfügungen keinen Vertrag darstellt und daher nicht als Vertrag beurkundet werden kann, im Wege der Auslegung ein beurkundeter Erbverzichtsvertrag ergeben soll. Nähme man einen solchen an, ergäbe sich das weitere Problem der Auswirkungen eines Testamentswiderrufs. Zumindest bei nicht wechselbezüglichen Verfügungen, bei denen der Widerruf durch eigenhändiges Testament erfolgen kann, müsste man, da der Pflichtteilsverzicht nach Auffassung des BGH am Zweck des gemeinschaftlichen Testaments ausgerich-

164b

1 Eine andere Auslegung sei möglich, wenn der Schlusserbe sich im Zusammenhang mit seiner Erbeinsetzung auch seinerseits zu Leistungen an die Erblasser verpflichtet habe, die wirtschaftlich als Gegenleistung für die eingegangene Bindung angesehen werden könnten, oder wenn sich die Erblasser den Rücktritt vom Vertrag vorbehalten hätten. Ob die Annahme eines Pflichtteilsverzichts des zum Schlusserben Eingesetzten auch ohne ausdrückliche Erklärung gerechtfertigt ist, wenn die Geltendmachung des Pflichtteils den anderen Abkömmlingen, zu deren Gunsten lediglich Vermächtnisse ausgesetzt waren, erlaubt sein soll, hat der BGH offengelassen. Vgl. BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, BGHZ 22, 364 (369). 2 BGH v. 15.12.1956 – IV ZR 101/56, BGHZ 22, 364 (368); zustimmend: Keller, ZEV 2008, 229 (230). 3 BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 114/75, NJW 1977, 1728 f.; s. auch OLG Düsseldorf v. 23.7. 1999 – 7 U 236/98, FamRZ 2000, 856 = NJW-FER 1999, 328 f. 4 BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 114/75, NJW 1977, 1728. 5 Vgl. etwa MüKo.BGB/Strobel, § 2348 Rz. 8; Lange/Kuchinke, § 7 I 5d (S. 171 f.) jew. m.w.N. 6 Vgl. etwa Habermann, JuS 1979, 169 (171). 7 RG v. 7.5.1927 – I 22/27, RGZ 116, 313 (316). Muscheler

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B XV

Rz. 165

Erbverzicht

tet ist, konsequenterweise über § 139 BGB zur Unwirksamkeit des Verzichts gelangen, was mit § 2351 BGB nicht in Einklang zu bringen wäre1. 165

Eine gewisse Annäherung an die kritischen Teile der Literatur lässt sich einer Entscheidung des OLG Koblenz von 2010 entnehmen2. Allerdings handelt es sich um ein obiter dictum, das für die Entscheidung des konkreten Falles nicht wirklich erforderlich war. Nach Zitierung der Rechtsprechung des BGH und der Kritik in der Literatur wird eine „vermittelnde Ansicht“ von J. Mayer3 dargestellt, wonach unter Berücksichtigung der Andeutungstheorie und der ergänzenden Auslegung zu prüfen sei, ob von einem stillschweigenden Erb- und Pflichtteilsverzicht auszugehen sei; OLG Hamm4 und BayObLG5 verlangten hierfür deutliche Anhaltspunkte, und das ist wohl auch die Ansicht des OLG Koblenz. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH sich irgendwann der ablehnenden Literatur oder wenigstens der vermittelnden Ansicht anschließen wird.

166

Zu beachten bleibt, dass auch ein formunwirksamer Erbverzicht steuerrechtlich beachtlich sein kann6. c) Interessenkonflikt der Urkundsperson Beispiel:7

167

Die Klägerin (Kl.) begehrt die Feststellung ihrer Miterbenstellung und macht gegen den Beklagten (Bekl.) daraus folgende Ansprüche im Wege der Stufenklage geltend, hilfsweise Ansprüche als Pflichtteilsberechtigte. Sie ist die Halbschwester des Bekl. Beide sind Kinder des 1999 verstorbenen Erblassers E. Die Kl. stammt aus der ersten Ehe des E mit der vorverstorbenen H, der Bekl. aus der zweiten Ehe des E mit der vorverstorbenen F. 1980 errichteten E und F ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich wechselseitig zu alleinigen Erben einsetzten und den Bekl. zum „Nacherben des Längstlebenden“. Der Kl. wurde ein Vermächtnis ausgesetzt. Beurkundet wurde das Testament vom Notar S 1, dem Schwiegervater des Bekl. F verstarb 1984 und wurde von E beerbt. 1988 schlossen E und die Kl. vor dem Notar S 2, dem Schwager des Bekl., einen Erbverzichtsvertrag. Darin verpflichtete sich E zur Zahlung von 190 000 DM zum Ausgleich aller denkbaren Ansprüche der Kl. an seinem dermaleinstigen Nachlass. Mit Erfüllung der Schenkung erklärte sich die Kl. wegen ihrer möglichen künftigen Erbteils- und Pflichtteilsansprüche nach E für abgefunden und verzichtete ausdrücklich und unwiderruflich gegenüber E auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht für sich und ihre Abkömmlinge. Zugleich erklärte sie ihren unwiderruflichen Verzicht auf jegliche Zuwendungen, die E in einer letzwilligen Verfügung zu ihren Gunsten getroffen hat, insbesondere auf das Vermächtnis aus dem gemeinschaftlichen Testament von 1980. Die Kl. hat behauptet, ihr sei nicht erläutert worden, wie sich die errechnete Ausgleichssumme zusammensetze, und es sei ihr auch kein Hinweis auf das tatsächliche 1 Habermann, JuS 1979, 169 (174). 2 OLG Koblenz v. 14.6.2010 – 2 U 831/09, MDR 2010, 1331 = FamRZ 2011, 146 = ZEV 2010, 473 (474 f.) m. Anm. Keim. 3 Bamberger/Roth/J. Mayer, BGB, 3. Aufl. 2008, § 2346 Rz. 8. 4 OLG Hamm v. 4.4.1995 – 10 U 90/94, FamRZ 1996, 1176 = NJW-RR 1996, 906. 5 BayObLG v. 10.2.1981 – BReg. 1Z 125/80, FamRZ 1981, 711 = MDR 1981, 673. 6 FG München v. 15.9.1993 – 4 K 1274/89, UVR 1994, 58 f. (Anwendung des § 41 AO trotz mündlichen Erbverzichts); vgl. auch BFH v. 5.11.1998 – IV R 32/98, BFHE 187, 469 (473 f.). 7 Sachverhalt nach OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – I-7 U 170/12, MDR 2014, 166 = ZEV 2014, 102. 1012

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Erbverzicht

Rz. 167

B XV

Vermögen des E zum damaligen Zeitpunkt erteilt worden. Hätte eine solche Belehrung stattgefunden, wäre deutlich geworden, auf welche Ansprüche sie letztlich verzichtete und in welchem Missverhältnis die vorgesehene Abfindungssumme zum Gesamtvermögen stand. Dieses habe schon zum damaligen Zeitpunkt geschätzt 2 Mio. Euro betragen. Sie ist der Ansicht, dass sowohl das Testament von 1980 als auch der Erbverzichtsvertrag von 1988 unwirksam seien, weil sowohl der Schwiegervater als auch der Schwager des Bekl. als Notar an der Beurkundung nicht hätten mitwirken dürfen. Höchst vorsorglich fechte sie ihre Willenserklärung aus dem Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag wegen Irrtums und arglistiger Täuschung an.

Der Beispielsfall ist wie folgt zu lösen: (1) Unwirksamkeit des Verzichts nach § 27 BeurkG kommt nicht in Frage. Die Norm bezieht sich auf Personen, die „in einer Verfügung von Todes wegen bedacht“ sind. Der Erbverzicht i.w.S. ist keine Verfügung von Todes wegen (s. Rz. 3). Außerdem wurde der Bekl. im Verzicht nicht „bedacht“. (2) Auch Unwirksamkeit des Verzichts auf Erbenstellung und Pflichtteil nach § 7 Nr. 3 BeurkG ist nicht gegeben. Zwar ist der Schwager mit dem Bekl. im zweiten Grad der Seitenlinie verschwägert (§ 1590 BGB) und gehört damit zu dem in § 7 Nr. 3 BeurkG angesprochenen Personenkreis. Es fehlt aber an der Verschaffung eines rechtlichen Vorteils. Der für den Bekl. günstige Wegfall eines eventuellen Miterben und Pflichtteilsberechtigten ist nur eine von weiteren Voraussetzungen abhängige Folge des Verzichts. Er zeitigt erstens nur einen möglichen, zweitens nur einen zukünftigen und drittens nur einen mittelbaren Vorteil. (3) Auch der Zuwendungsverzicht ist nicht unwirksam: (a) Das Vermächtnis beschwerte nur den Vater der Parteien (so die Auslegung des OLG Düsseldorf). (b) Selbst wenn man annähme, der Bekl. sei Beschwerter des Vermächtnisses, hätte der Zuwendungsverzicht diesem keinen rechtlichen Vorteil gebracht. Das Vermächtnis war nämlich nach §§ 7, 27 BeurkG, 125 BGB nichtig. Der Bekl. war in einer von seinem Schwiegervater beurkundeten Verfügung von Todes wegen bedacht worden. Dies führte nach § 139 BGB auch zur Unwirksamkeit der Vermächtnisanordnung; § 2085 BGB ist nicht anzuwenden, da beide Testierenden für den Fall der Nichtigkeit der Erbeinsetzung kein Interesse an einer Vermächtnisanordnung zugunsten der Halbschwester des Bekl. hatten. (c) Selbst wenn davon auszugehen wäre, der Zuwendungsverzicht wäre nichtig, so bliebe doch der Erb- und Pflichtteilsverzicht (§ 2346 BGB) wirksam, da anzunehmen wäre, dass E und die Kl. den Verzicht auf Erbe und Pflichtteil auch ohne den Zuwendungsverzicht geschlossen hätten. (4) Unwirksamkeit nach §§ 119, 123, 142 BGB ist ausgeschlossen. Eine Pflicht des E zur Aufklärung der Kl. über die Angemessenheit der ihr angebotenen Abfindung bestand nicht, arglistige Täuschung scheidet daher von vornherein aus. Wenn überhaupt ein Irrtum der Kl. vorlag, dann handelte es sich um einen irrelevanten Motivirrtum. (5) Auch Schadensersatzansprüche wegen Fehlverhaltens des E (und Vererbung der Ersatzpflicht auf den Bekl.) scheiden aus. E hat keine Pflicht im Rahmen eines zwischen ihm und der Kl. bestehenden Sonderverhältnisses verletzt. § 1618a BGB kommt nicht in Betracht.

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B XV

Rz. 168

Erbverzicht

X. Vorbereitung und Gestaltung von Erbverzichtsverträgen (Checkliste und Formulierungsvorschläge) 1. Allgemeines 168

– Vor allem in Ansehung des Erblassers ist zu beachten, dass dieser den Erbverzichtsvertrag grundsätzlich höchstpersönlich schließen muss (s. Rz. 148). Wird ein insoweit nicht dem Gesetz entsprechender (unwirksamer) Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag beurkundet, stellt dies eine Amtspflichtverletzung auch gegenüber demjenigen dar, dem der Ausschluss des Verzichtenden als gesetzlicher Erbe und Pflichtteilsberechtigter zugutegekommen wäre1.

169

– Der Erbverzicht sollte ausdrücklich erklärt werden (s. Rz. 164 ff.). Erklärt sich der Verzichtswillige „für völlig abgefunden“, reicht das nicht2. Bei Verträgen, in denen auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet wird, ist klar auszusprechen, ob etwaige Zuwendungen in bereits bestehenden Verfügungen miterfasst werden sollen oder nicht, weil nach der Rechtsprechung ein konkludenter Zuwendungsverzicht möglich ist3.

170

– Der Erbverzichtsvertrag lässt – anders als der ihm zugrunde liegende Kausalvertrag – keinen Rücktrittsvorbehalt zu, kann aber an den Eintritt einer Bedingung geknüpft werden (s. Rz. 13, 141).

171

– Sofern als Abfindung für einen Erbverzicht ein Vermächtnis ausgesetzt werden soll, ist zunächst § 2302 BGB zu beachten (s. Rz. 120 f.). Zudem besteht die Gefahr, dass es zwischen Vertragsschluss und Erbfall zu erheblichen Wertverschiebungen im Vermögen des Erblassers kommt. Es empfiehlt sich daher, schon im Kausalvertrag zum Erbverzicht ein Rücktrittsrecht vorzusehen, das wie folgt formuliert werden könnte:

M 164 Rücktrittsrecht bei Schmälerung der Abfindung (= Vermächtnisgegenstand) Falls die Leistung des Vermächtnisgegenstandes unmöglich wird oder der Vermächtnisgegenstand nicht nur unwesentlich an Wert verliert, hat der Verzichtende das Recht, vom Vertrag zurückzutreten und den Pflichtteil (bzw. den Gegenwert des Vermächtnisgegenstandes sofort) zu verlangen. Dasselbe gilt, falls in der Sphäre des Erblassers sonstige Umstände einzutreten drohen, die den ungeschmälerten Erhalt des Vermächtnisgegenstandes infrage stellen4. 171a

– Um eine Kürzung eines Vermächtnisses zu vermeiden, das als Abfindung für den Verzicht eines Pflichtteilsberechtigten auf das gesetzliche Erbrecht oder das Pflichtteilsrecht gedacht war, kann der Erblasser in seiner Verfügung von Todes wegen § 2318 Abs. 1 BGB abbedingen, was § 2324 BGB ausdrücklich zulässt. Insoweit empfiehlt sich folgende Formulierung: 1 BGH v. 14.12.1995 – IX ZR 242/94, FamRZ 1996, 412 = MDR 1996, 855 = NJW 1996, 1062 (1064). 2 RG v. 26.10.1931 – IV 83/31, LZ 1932, 102. 3 OLG Frankfurt v. 30.6.1993 – 20 W 201/93, MDR 1993, 986 = FamRZ 1994, 197. 4 Formulierungsvorschlag von Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2060). 1014

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Erbverzicht

Rz. 173

B XV

M 165 Vermächtnis als Abfindung – Kürzung vermeiden Eine anteilsmäßige Kürzung des Vermächtnisses wegen Pflichtteilsansprüchen ist nicht statthaft, sofern der Wert des Vermächtnisses im Zeitpunkt des Erbfalls den Wert des fiktiven Pflichtteils des verzichtenden Vermächtnisnehmers nicht übersteigt. § 2318 Abs. 2 BGB findet Anwendung1.

– Bei Erbverzichtsverträgen im Zusammenhang mit Übergabeverträgen ist besonders darauf zu achten, dass der Vertrag zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und dem Erblasser – nicht dem Übernehmer – geschlossen wird2.

171b

2. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht – Beim Verzicht eines Abkömmlings des Erblassers sind die §§ 2349, 2350 Abs. 1, 2350 Abs. 2 BGB zu beachten. Die Wirkung des § 2349 BGB sollte – wenn keine anderweitige Regelung gewünscht ist – im Vertrag erwähnt werden, damit nicht später der Einwand erhoben werden kann, der Berater habe nicht auf diese Rechtsfolge hingewiesen3.

172

– Sofern nichts anderes gewünscht ist, sollte beim Erbverzicht eines Ehegatten im Hinblick auf die Bestimmung des § 1586b BGB vorsorglich festgehalten werden, ob und wie der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt durch den erklärten Erbverzicht beeinträchtigt werden soll.

172a

– Beinhaltet das Erblasservermögen einen Hof, ist allgemein zu berücksichtigen, dass ein Erbverzicht auch Nachabfindungsansprüche nach § 13 HöfeO ausschließt. Wegen dieser weitreichenden Folgen muss eingehend erörtert werden, was der von der erbrechtlichen Beteiligung Auszuschließende überhaupt bewirken will, wenn er gegen Erhalt einer Abfindung zugunsten des Hoferben „verzichtet“:

173

(1) Soll lediglich eine isolierte Abfindungserklärung4 aus Anlass einer Zuwendung abgegeben werden? In einer solchen erklärt sich der Empfänger mit „allen Ansprüchen gegen den künftigen Nachlass der Eltern für abgefunden“. Eine derartige Erklärung wird nicht notwendig als Erb- und Pflichtteilsverzicht gesehen5, sondern dahin gehend verstanden, dass im Erbfall bei der erbrechtlichen Beteiligung des sich für abgefunden Erklärenden (Erb- oder Pflichtteil) das im Zeitpunkt der Übergabe vorhandene Vermögen des Übergebers rechnerisch berücksichtigt und wegen der erhaltenen Abfindung abgesetzt werden soll6. 1 2 3 4

Formulierungsvorschlag von Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049 (2060). Cremer, MittRhNotK 1978, 169 (170). Haegele, BWNotZ 1971, 36 (41). Begriff von Kuchinke, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 = JZ 1998, 143 f. 5 BayObLG v. 10.2.1981 – BReg.1Z 125/80, MDR 1981, 673 = FamRZ 1981, 711 = BayObLGZ 1981, 30 (35); BayObLG v. 17.1.1984 – BReg.1Z 65/83, FamRZ 1984, 1274 = MDR 1984, 403; BayObLG v. 29.3.1982 – BReg. 1Z 90/82, AgrarR 1983, 220 (221). 6 Kuchinke, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287, JZ 1998, 143 f. Muscheler

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B XV

Rz. 174

Erbverzicht

(2) Sofern im Zusammenhang mit einem Übergabevertrag oder einer Erbregelung wirklich ein Erb- und Pflichtteilsverzicht gewollt ist, hat sich die Beratung eingehend mit dem von den Parteien angestrebten Zweck auseinander zu setzen. Regelmäßig bezweckt der Verzicht des weichenden Erben die Erhaltung des elterlichen Hofes in einer Hand. Soweit dem Verzichtenden gerade hieran gelegen ist, besteht die Gefahr, dass seine Erwartung enttäuscht wird, wenn es alsbald nach dem Erbfall zu einer Veräußerung des Hofes kommt. Bereits im Vorfeld sollte den Interessen des Verzichtenden – im Hinblick auf die Schwierigkeiten einer Anpassung des Abfindungsvertrags nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage – dadurch Rechnung getragen werden, dass man entweder in den schuldrechtlichen Abfindungsvertrag eine Klausel aufnimmt, nach der die Veräußerung des Hofes binnen einer bestimmten Frist zur Erhöhung der vertraglich vereinbarten Abfindung führt, oder den abstrakten Erbverzicht unter die auflösende Bedingung stellt, dass der Hof innerhalb eines gewissen Zeitraums veräußert wird1. 3. Der isolierte Pflichtteilsverzicht 174

– Beim Verzicht eines Abkömmlings des Erblassers ist § 2349 BGB zu beachten (s. Rz. 91). Soll keine anderweitige Regelung getroffen werden, empfiehlt es sich, die Wirkung des § 2349 BGB im Vertrag zu erwähnen, damit nicht später der Einwand erhoben werden kann, der Berater habe auf diese Rechtsfolge nicht hingewiesen2.

174a

– Es muss beachtet werden, dass die Auslegungsregel des § 2350 Abs. 2 BGB beim isolierten Pflichtteilsverzicht nicht gilt. Bei in Richtung des § 2350 Abs. 2 BGB gehendem Willen des verzichtenden Abkömmlings ist daher eine entsprechende Bedingung aufzunehmen. Die Auslegungsregel des § 2350 Abs. 1 BGB gilt ebenfalls nicht; auch seine Rechtsfolge kann jedoch durch eine Bedingung erreicht werden.

174b

– Den Parteien ist das Nichteingreifen des § 2310 S. 2 BGB zu erklären. Diese Wirkung sollte, wenn sie im konkreten Fall relevant ist oder relevant werden kann, im Vertrag erwähnt werden.

174c

– Die Parteien sind darauf hinzuweisen, dass die gesetzliche Erbfolge unberührt bleibt. Dies könnte wie folgt festgehalten werden:

M 166 Isolierter Pflichtteilsverzicht berührt nicht gesetzliche Erbfolge Der Notar hat den Beteiligten die Bestimmungen des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts erläutert. Er hat darauf hingewiesen, dass das gesetzliche Erbrecht des Verzichtenden bestehen bleibt und der Pflichtteilsverzicht bezüglich des Erbrechts keine Wirkung entfaltet, wenn der Erblasser nicht zusätzlich eine enterbende letztwillige Verfügung trifft3. 1 Edenfeld, Anm. zu BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, FamRZ 1997, 287, ZEV 1997, 70 (71). 2 Haegele, BWNotZ 1971, 36 (41). 3 DAI-Skript, Intensivkurs Erbrecht, Stand 9/1997, S. 146, zit. nach Reul, MittRhNotK 1997, 373 (378) (im Text leicht geändert). 1016

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 174e

B XV

– Soll der Pflichtteilsverzicht anlässlich einer Zuwendung an einen Dritten gegenständlich begrenzt werden, bietet sich folgende Standardformulierung an:

174d

M 167 Gegenständliche Begrenzung des Pflichtteilsverzichts anlässlich einer Zuwendung an einen Dritten Verzichtender verzichtet hiermit für sich und seine Abkömmlinge auf sein Pflichtteilsrecht am Nachlass des Übergebers in der Weise, dass der Vertragsgegenstand gemäß gegenwärtiger Urkunde bei der Berechnung seines Pflichtteils als nicht zum Nachlass des Übergebers gehörend angesehen und aus der Berechnungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch, Ausgleichspflichtteil und Pflichtteilsergänzungsanspruch ausgeschieden wird. Der Übergeber nimmt diesen gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzicht entgegen und an. Die Vertragschließenden wurden darauf hingewiesen, dass der gegenständlich beschränkte Pflichtteilsverzicht die gesetzliche Erbfolge und den Pflichtteil am Restvermögen des Übergebers unberührt lässt1.

Diese Vereinbarung schützt den Übernehmer freilich nicht davor, dass der zwischen dem Übergeber und dem Pflichtteilsberechtigten abgeschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag nach § 2351 BGB wieder aufgehoben wird. Von einer solchen Aufhebung braucht der Übernehmer auch dann nichts zu erfahren, wenn er für den Verzicht Abfindungsleistungen erbracht hat. In solchen Konstellationen wird lediglich in seltenen Fällen ein nur von allen Beteiligten aufhebbarer dreiseitiger Vertrag anzunehmen sein (s. auch Rz. 183). Auch ist fraglich, ob man – wie Lange/Kuchinke dies tun2 – für den Regelfall eine (konkludent übernommene) Verpflichtung des Erblassers annehmen kann, die Aufhebung des Erbverzichts zu unterlassen. Da nach der Rechtsprechung die Umdeutung eines Verzichts auf das Pflichtteilsrecht in einen Verzicht auf Pflichtteilsansprüche nicht in Betracht kommt und zudem umstritten ist, ob vor Eintritt des Erbfalls auf (künftige) Pflichtteilsansprüche verzichtet werden kann (s. die Nachweise zu Rz. 158), sollte im Anschluss an einen Pflichtteilsverzicht eine – zumindest schuldrechtlich wirkende – Vereinbarung nach § 311b Abs. 4 und 5 BGB getroffen werden3:

M 168 Schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Verzichtendem und Übernehmer Verzichtender verpflichtet sich weiter im Wege eines Vertrags nach § 311b Abs. 5 BGB gegenüber dem Übernehmer, nach Eintritt des Erbfalls keine Pflichtteilsergänzungsansprüche wegen des dem Übernehmer zugesprochenen Gegenstandes geltend zu machen und auf solche dann unverzüglich zu verzichten4.

1 2 3 4

Formulierungsvorschlag von Mayer, ZEV 2000, 263 (264). Lange/Kuchinke, § 25 V 5b (3) (S. 487). Mayer, ZEV 2000, 263 (264). Formulierungsvorschlag von Bengel in Dittmann/Reimann/Bengel, Formularteil, B, Rz. 81 (im Text leicht geändert). Muscheler

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174e

B XV

Rz. 175

Erbverzicht

4. Der Zuwendungsverzicht 175

– Beachte stets: Es gibt keinen Verzicht auf künftige Zuwendungen durch Verfügung von Todes wegen!

175a

– Wichtige Vorfrage: Ist der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen (notariellen Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament) gebunden (Änderungsvorbehalte, Freistellungsklauseln prüfen) oder kann er seine Verfügung noch (eventuell kostengünstiger) widerrufen/aufheben?

175b

– Bestehen ausdrückliche oder nach § 2069 BGB zu vermutende Ersatzberufungen? An dieser Stelle sei auf die bei fehlender anderweitiger Bestimmung eintretende Erstreckung der Zuwendungsverzichtswirkung auf Abkömmlinge hingewiesen: § 2352 S. 3 BGB verweist auf § 2349 BGB, s. Rz. 91. Tritt Anwachsung nach § 2094 BGB ein? (Achtung: Haftungsgefahr wegen unterlassener Belehrung über Ersatzerbenklausel im Testament1) Ist die Ausschaltung der Ersatzerbenberufungen möglich (Verzichtsbereitschaft auch auf Seiten der Ersatzerben)?

175c

– Soll sich der Verzicht auch auf gesetzliche Erb- und Pflichtteilsansprüche erstrecken oder solche unberührt lassen? (Auslegungsschwierigkeiten vermeiden)

175d

– Liegen noch weitere Verfügungen von Todes wegen vor, die im Verzichtsfall wirksam werden können? (ggf. vorsorglicher Mitverzicht)

175e

– Beim Verzicht eines Abkömmlings findet § 2349 BGB über die Verweisung in § 2352 S. 3 BGB Anwendung (s. Rz. 91). Da die Erstreckung der Verzichtswirkung auf die Abkömmlinge des Verzichtenden vertraglich abbedungen werden kann und dies selbst bei vollständiger Abfindung (Rz. 88 f.) möglicherweise der Fall ist, sollte der Wille des Erblassers im Zuwendungsverzichtsvertrag klar zum Ausdruck gebracht werden2. Auch § 2350 Abs. 2 BGB gilt beim Zuwendungsverzicht nicht, jedoch kann seine Rechtsfolge ausdrücklich als Bedingung vereinbart werden.

175f

– Soweit der Zuwendungsverzicht zugunsten eines Dritten erklärt werden soll, ist dies ausdrücklich in den Verzichtsvertrag aufzunehmen3, da § 2350 Abs. 1 BGB nach herrschender Auffassung nicht gilt.

XI. Beseitigung der Wirkungen des Erbverzichts 176

Bereits vor dem Erbfall ist der Erbverzicht als Vertrag bindend und damit unwiderruflich4. Daraus ergibt sich, dass er sich einseitig, insbesondere durch letztwillige Verfügung, nicht beseitigen lässt5. 1 BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 62 (64). 2 Jackschath, MittRhNotK 1977, 117 (122). 3 Mayer, ZEV 1996, 127 (131). 4 MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 30. 5 BGH v. 13.7.1959 – V ZB 4/59, BGHZ 30, 261 (267). Zu Angriffsstrategien gegen Erbverzichte Horn, ZEV 2010, 295 ff. Zu Angriffen gegen sie wegen der Verschweigung von Schwarzgeld Schaub, ZEV 2011, 501 (504). Zur Frage, ob die Aufhebung des Pflichtteilsverzichts dem gebundenen Erblasser ein Anfechtungsrecht nach §§ 2281, 2079 BGB vermittelt, Keim, NotBZ 1999, 1 (4 f.); Schindler, DNotZ 2004, 824 (831 f.); 1018

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Erbverzicht

Rz. 178

B XV

1. Aufhebungsvertrag (§ 2351 BGB) Durch Aufhebungsvertrag als actus contrarius können die Wirkungen eines Erbverzichts einvernehmlich rückgängig gemacht werden (§ 2351 BGB). Trotz nicht eindeutigen Wortlauts und trotz ihrer systematischen Stellung ist die Norm des § 2351 BGB nach herrschender und zutreffender Ansicht auch auf den Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB)1 und damit auf alle Formen des Erbverzichts i.w.S. anwendbar2. Zwar könnte man meinen, dass eine Aufhebung des Zuwendungsverzichts analog § 2351 BGB aufgrund der Möglichkeit des Erblassers, die ohne den Zuwendungsverzicht bestehende Erbfolge durch eine neue Verfügung von Todes wegen wiederherzustellen, entbehrlich sei. Eine solche Sichtweise übersieht jedoch, dass dieser Weg dem Erblasser im Falle erbvertraglicher Bindung (§ 2289 Abs. 1 S. 2 BGB) oder wegen einer wechselbezüglichen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament (§§ 2270, 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) verschlossen sein kann3. In solchen Konstellationen führt nur die Aufhebung des Zuwendungsverzichts zu dem vor dem Zuwendungsverzicht bestehenden Rechtszustand. Wie beim Erbverzicht selbst handelt es sich auch beim Aufhebungsvertrag um ein abstraktes Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall4, dem – genauso wie beim Erbverzicht – ein Kausalgeschäft zugrunde liegen muss.

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Nach h.M. kann der Aufhebungsvertrag nur zwischen den Vertragspartnern des Erbverzichts geschlossen werden5. Dies soll auch dann gelten, wenn sich die Wirkung des Verzichts gem. § 2349 BGB auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, so dass diese nicht in der Lage sind, die sie benachteiligenden Wirkungen im Einvernehmen mit dem Erblasser aufzuheben6. Der Zeitpunkt des Abschlusses ist gleichgültig7, jedoch muss der Aufhebungsvertrag spätestens bis

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Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 100; Bamberger/Roth/J. Mayer, § 2351 Rz. 8; Hausmann/Hohloch/Weidlich, Handbuch des Erbrechts, Kap. 15 Rz 57; für die ähnliche Frage, ob der Verzichtende, der später, nach dem Testament des Erblassers, den Pflichtteilsverzicht wirksam anficht, nach dem Tod des Erblassers dessen Testament nach § 2079 BGB anfechten kann, (bejahend) Otte, ZEV 2011, 233 ff. BGH v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = ZEV 2008, 237 (238) = ZErb 2008, 162 (163) m. Anm. Kornexl, NJW-RR 2008, 747 und G. Müller, MittBayNot 2008, 484; LG Kempten v. 7.12.1977 – 4 T 147/77, MittRhNotK 1978, 140 f. Staudinger/Schotten, § 2351 Rz. 3 m.w.N. BGH v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = ZEV 2008, 237 (238) = ZErb 2008, 162 (163). A.A. Hülsmeier, NJW 1981, 2043; Zellmann, S. 179; Schindler, DNotZ 2004, 824, die den Aufhebungsvertrag als Verfügung von Todes wegen qualifizieren. Folge der im Text dargestellten h.M. ist u.a., dass bei bindender Erbeinsetzung in einem Erbvertrag die spätere Aufhebung eines Erbverzichts nicht unter § 2289 BGB, sondern unter § 2286 BGB fällt. Dazu Schindler, DNotZ 2004, 824; J. Mayer, ZEV 2005, 176 (177) mit Replik Schindler, ZEV 2005, 299; Kanzleiter, DNotZ 2009, 86. MüKo.BGB/Strobel, § 2351 Rz. 2; Erman/Simon, § 2351 Rz. 1; AK/Teubner, § 2351 Rz. 3; Palandt/Weidlich, § 2351 Rz. 1; a.A. Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 97 ff.; Muscheler, ZEV 1999, 49 (50). BGH v. 3.6.1998 – VIII ZR 317/97, NJW 1998, 3117; OLG Koblenz v. 6.6.2011 – 10 U 150/11, BeckRS 2012, 09031; krit. Muscheler, ZEV 1999, 49 (50). BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995 (269). Muscheler

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B XV

Rz. 179

Erbverzicht

zum Tod eines der Vertragspartner wirksam geworden sein1. In Ansehung des Erblassers ist dies allgemeine Meinung2, denn der Erblasser kann den Aufhebungsvertrag – wie den Erbverzicht – gem. §§ 2351, 2347 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB nur (höchst-)persönlich schließen. Ist der Erblasser hingegen geschäftsunfähig, kann und muss sein gesetzlicher Vertreter gem. § 2347 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 2351 BGB für ihn handeln. Bestehen Zweifel, ob der Erblasser geschäftsunfähig oder geschäftsfähig ist, ist es empfehlenswert, dass sowohl der Betreuer als auch der betreute Erblasser den Erb-verzichtsaufhebungsvertrag schließen3. Die Aufhebung eines Zuwendungsverzichts (§ 2352 BGB) analog § 2351 BGB durch den gesetzlichen Vertreter eines geschäftsunfähigen Erblassers gem. § 2347 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 2351 BGB dürfte unzulässig sein. Schließlich führt die Aufhebung des Zuwendungsverzichts zum Wiederaufleben der testamentarischen bzw. erbvertraglichen Zuwendungsanordnung. Es wäre mit den Rechtsgedanken der §§ 2064, 2065 BGB bzw. §§ 2274, 2275 Abs. 1 BGB unvereinbar, wenn der Aufhebungsvertrag auch durch den gesetzlichen Vertreter des Erblassers geschlossen werden könnte4. Ob die durch § 2349 BGB begründeten Drittwirkungen eines Erbverzichtsvertrags noch nach dem Tod des Verzichtenden beseitigt werden können, ist streitig5, aber nach der Rechtsprechung des BGH ausgeschlossen6. 179

Der Erbverzicht kann insgesamt aufgehoben werden. Ein solcher Aufhebungsvertrag beseitigt dann alle unmittelbar auf dem Verzicht beruhenden Wirkungen. Möglich ist jedoch auch eine Teilaufhebung, bei der allerdings darauf geachtet werden muss, dass keine Rechtslage geschaffen wird, die den sich aus dem Prinzip des Typenzwangs ergebenden zwingenden erbrechtlichen Vorschriften widerspricht (z.B. Erbschaft an Einzelgegenständen).

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Folge des Aufhebungsvertrags ist die Wiederherstellung des früheren Zustandes7, d.h., der Verzichtende erlangt durch ihn die Rechtsstellung, die er ohne den Erbverzicht hatte. Hat der Erblasser in der Zwischenzeit eine (neue) Verfügung von Todes wegen getroffen, wird diese durch den Aufhebungsvertrag freilich nicht berührt. Besteht eine letztwillige Verfügung, führt die Aufhebung des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht nicht dazu, dass gesetzliche Erbfolge eintritt und der Verzichtende gesetzlicher Erbe wird. Er bleibt durch die letztwillige Verfügung von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen8. Die Aufhebung eines Pflichtteilsverzichts, der wegen eines bereits 14 Jahre zuvor erklärten Pflichtteilsverzichts ins Leere gegangen war, soll nach den Grundsätzen der falsa demonstratio in die (formwirksame) Aufhebung des wirksamen (älteren) Pflicht1 BGH v. 24.6.1998 – IV ZR 159/97, BGHZ 139, 116 = MDR 1998, 1481 m. Anm. Steiner = FamRZ 1998, 1293 = MDR 1998, 1229 (120). 2 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 96 m.w.N. 3 BayObLG v. 13.11.2000 – 1Z BR 134/99, FamRZ 2001, 941 (942). 4 Der BGH erhebt in seinem Urteil v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, MDR 2008, 691 = FamRZ 2008, 982 = ZEV 2008, 237 (238) = ZErb 2008, 167 (168) ähnliche Bedenken, musste die Frage aber nicht entscheiden. 5 Bejahend Muscheler, ZEV 1999, 49 (51); verneinend Kuchinke, ZEV 2000, 169 (171 f.). 6 BGH v. 24.6.1998 – IV ZR 159/97, BGHZ 139, 116 (120) = MDR 1998, 1481 m. Anm. Steiner = FamRZ 1998, 1293 = MDR 1998, 1229. 7 BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (269) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995. 8 BayObLG v. 13.11.2000 – 1Z BR 134/99, FamRZ 2001, 941 (943) m.w.N. 1020

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Erbverzicht

Rz. 183

B XV

teilsverzichts umgedeutet werden können1. Ein Pflichtteilsberechtigter, der einen – nunmehr durch Aufhebungsvertrag beseitigten – Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht oder (isoliert) das Pflichtteilsrecht geleistet hat, kann im Fall seiner Enterbung ohne weiteres den Pflichtteil verlangen2. Der Erblasser wird auch durch den zwischenzeitlichen Abschluss eines Erbvertrags nicht gehindert, einen Verzichtsvertrag aufzuheben; die Vertragserben müssen dies selbst dann hinnehmen, wenn der ursprüngliche Verzicht ohne Abfindung erklärt worden war3. Der Schutz, den § 2287 BGB einem Vertragserben gewährt, erfährt gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten damit eine erhebliche Einschränkung4. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Schutz des Vertragserben aus § 2287 BGB gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten, der einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht oder Pflichtteilsrecht geleistet hat, selbst dann eingeschränkt ist, wenn der Erbverzicht nicht ausdrücklich aufgehoben wird5. Nachträgliche Zuwendungen des Erblassers an den Verzichtenden, die unterhalb seines fiktiven Pflichtteils liegen, kann der Vertragserbe grundsätzlich nicht herausverlangen, weil die Wirkungen des Erbverzichtsvertrags insoweit durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags hätten beseitigt werden können6.

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Eine Mitwirkung Dritter ist beim Aufhebungsvertrag grundsätzlich nicht erforderlich. Ausnahmen von diesem Satz gibt es nur in seltenen Fällen, so etwa, wenn der als Vertragserbe begünstigte Dritte einer Zuwendung des Erblassers an einen (nachträglich hinzugekommenen) Pflichtteilsberechtigten zugestimmt hat, weil dieser im Gegenzug mit dem Erblasser einen Pflichtteilsverzicht vereinbarte7.

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2. Rücktritt und Widerruf Mangels gesetzlicher Regelung richtet sich die Zulässigkeit eines Rücktritts vom abstrakten Erbverzicht nach den allgemeinen Bestimmungen. Da die §§ 346 ff. BGB nur bei schuldrechtlichen Verträgen, nicht aber bei dinglichen Verfügungen8 anzuwenden sind, lässt sich aus diesen Vorschriften die Zulässigkeit eines Rücktritts nicht herleiten. Ebenso wenig sind die §§ 2293 ff. BGB anwendbar, denn der Erbverzicht ist erbrechtliches Verfügungsgeschäft unter Lebenden und nicht Verfügung von Todes wegen. Mangels sonstiger gesetzlicher Bestimmungen, die einen Rücktritt vom abstrakten Erbverzicht begründen könnten, hält die h. M9 den Rücktritt für ausgeschlossen10. Gleichwohl soll die 1 OLG Köln v. 31.3.1992 – 9 U 159/91, OLGReport 1992, 321 ff. 2 BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (270) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995; LG Aachen v. 10.11.1994 – 8 O 285/94, FamRZ 1996, 61 (62). 3 BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (270) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995. 4 Krit. hierzu Hülsmeier, NJW 1981, 2043 f.; Schindler, DNotZ 2004, 824. 5 LG Aachen v. 10.11.1994 – 8 O 285/94, FamRZ 1996, 61 (62). 6 BGH v. 12.6.1980 – IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264 (270) = MDR 1980, 915 = FamRZ 1980, 995. 7 OLG Karlsruhe v. 18.3.1999 – 17 U 19/97, ZEV 2000, 108 (111). 8 Vgl. nur Palandt/Grüneberg, Einf v § 346 Rz. 7. 9 S. Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 111 m.w.N. 10 A.A. nur Larenz, JherJb 81 (1931), 1 (13 ff.), der dem Erblasser bei fehlender causa ein Rücktrittsrecht analog § 2295 BGB zubilligt. Muscheler

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B XV

Rz. 184

Erbverzicht

(unwirksame) Vereinbarung eines Widerrufs- oder Rücktrittsrechts nach einer Entscheidung des BayObLG1 unter Umständen gem. § 140 BGB in eine auflösende Bedingung des Inhalts umgedeutet werden können, dass ein Rücktritt vom Kausalgeschäft erfolgt2. Ferner lasse sich ein einseitiger Widerruf oder Rücktritt des Erblassers von einem Erbverzichtsvertrag in eine letztwillige Verfügung des Inhalts umdeuten, dass dem Verzichtenden das zugewendet werde, worauf er verzichtet hat (sofern die Erklärung des Erblassers den Erfordernissen einer letztwilligen Verfügung entspricht)3. 3. Anfechtung 184

Für Erbverzichtsverträge gelten, da sie keine Verfügungen von Todes wegen, sondern erbrechtliche Verfügungsgeschäfte unter Lebenden sind, grundsätzlich die §§ 119–124, 142 f. BGB, nicht die §§ 2281–2283 BGB oder die §§ 2078–2082 BGB. Ein bloßer Motivirrtum – z.B. über den Wert des Nachlasses oder die künftige Entwicklung des Wertes – ist daher, anders als im Rahmen der nicht anwendbaren §§ 2078 ff. BGB, unbeachtlich4.

185

Die Anfechtung des Erbverzichts ist nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich5. Die Anfechtungserklärung muss demjenigen, dem gegenüber sie abzugeben ist, spätestens bis zum Tod des Erblassers zugegangen sein. § 130 Abs. 2, 1. Alt. BGB gilt nicht. Wie beim Aufhebungsvertrag wird hierfür der Gedanke angeführt, dass die Erbfolge mit dem Tod des Erblassers auf einer festen Grundlage stehen müsse und grundsätzlich nicht nach beliebig langer Zeit wieder umgestoßen werden dürfe.

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Anfechtungsberechtigt ist zweifellos der Verzichtende. Streitig ist, ob auch der Erblasser den Erbverzicht unter den Voraussetzungen der §§ 119, 123 BGB anfechten kann. Dies wird teilweise mit der Begründung verneint, der Erblasser könne dem Verzichtenden auf einfachere Weise, nämlich durch Verfügung von Todes wegen, das zuwenden, worauf jener verzichtet habe6. Deshalb fehle es 1 BayObLG v. 4.10.1957 – BReg. 1Z 147/57, BayObLGZ 1957, 292 (294). 2 So schlägt auch Mayer, ZEV 2007, 145 (151) eine Kopplung des Kausalgeschäfts mit dem Verzicht dergestalt vor, dass mit Ausübung des Rücktrittsrechts bzgl. des Grundgeschäfts die (vereinbarte) auflösende Bedingung für den Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht eintritt. Eine solche Lösung vermeidet den Automatismus einer auflösenden Bedingung für den Verzicht, die nicht an den Rücktritt, sondern direkt an das das vereinbarte Rücktrittsrecht auslösende Ereignis anknüpft. 3 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 112 m.w.N. 4 Damrau, S. 136. 5 H.M., OLG Koblenz v. 4.3.1993 – 6 W 99/93, MDR 1993, 656 = FamRZ 1993, 1498 = NJW-RR 1993, 708 (709); OLG Schleswig v. 27.5.1997 – 3 U 148/95, ZEV 1998, 28 (30) m. abl. Anm. Mankowski; BayObLG v. 4.1.2006 – 1Z BR 97/03, BayObLG v. 4.1. 2006 – 1Z BR 97/03, MDR 2006, 638 = FamRZ 2006, 1631 (1634) = NJW-RR 2006, 372 (373 f.) = ZEV 2006, 209 (210) m. abl. Anm. Leipold; vgl. auch BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, NJW 1978, 1159 (betr. die Heilung eines schwebend unwirksamen Erbverzichtsvertrags durch vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nach dem Tod des Erblassers). 6 Kipp/Coing, § 82 IV (S. 460) (einschränkend für die Verbindung des Erbverzichts mit anderen Abreden); Palandt/Weidlich, Überbl. v. § 2346 Rz. 7; einschränkend Soergel/ Damrau, § 2346 Rz. 20. 1022

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Erbverzicht

Rz. 190

B XV

dem Erblasser an einem Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung des Erbverzichts. Jedoch besteht in Wahrheit, entgegen dieser Auffassung, durchaus ein Bedürfnis für die Anfechtung. So unterscheiden sich Anfechtung des Verzichts und begünstigende Verfügung nicht nur im Hinblick auf die durch einen Erbverzicht verursachte Erhöhung der Erb- und Pflichtteilsquote der anderen gesetzlichen Erben, sondern auch im Hinblick auf eine bereits gewährte Abfindung. Darüber hinaus kann der Erblasser im Ausnahmefall an der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen gehindert sein, etwa bei Testierunfähigkeit oder aufgrund der Bindung an einen Erbvertrag bzw. ein gemeinschaftliches Testament. Da es somit an einer Rechtfertigung für eine Einschränkung der Anfechtungsberechtigung fehlt, ist dem Erblasser die Anfechtungsmöglichkeit zuzubilligen1. Im Hinblick auf den Anfechtungsgrund des § 119 Abs. 1 BGB bestehen keine Besonderheiten. So ist ein irrtumsfrei erklärtes und gewolltes Geschäft nicht deshalb nach § 119 BGB anfechtbar, weil es außer der erstrebten Wirkung noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Nebenfolgen zeitigt (z.B.: Ausschluss von Nachabfindungsansprüchen durch Erbverzicht2).

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Eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil die in dieser Norm genannten Eigenschaften nicht Inhalt des (abstrakten) Verzichtsvertrags sind3. Insbesondere berechtigt ein Irrtum über den realen Wert des Nachlasses4 oder die künftige Entwicklung des Erblasservermögens bis zum Erbfall nicht zur Anfechtung5, weil dieses Risiko dem Erbverzicht immanent ist. Bezieht sich der Irrtum dagegen auf unmittelbar wertbildende Faktoren, etwa die Zugehörigkeit von Gegenständen zum Nachlass, kann ggf. nach § 119 Abs. 2 BGB angefochten werden6.

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Demgegenüber erfasst die Anfechtung des Kausalgeschäfts nach § 123 BGB regelmäßig auch den abstrakten Erbverzicht (Fehleridentität)7.

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Bei wirksamer Anfechtung ist der Erbverzicht gem. § 142 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen. Der Verzichtende erlangt also diejenige Rechtsstellung wieder, die er vor Abschluss des Erbverzichtsvertrags hatte. (Zu den Folgen der Anfechtung des Kausalgeschäfts s. Rz. 132 ff.).

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1 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 107; MüKo.BGB/Strobel, § 2346 Rz. 4. 2 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 (156). 3 Staudinger/Schotten, § 2346 Rz. 104. 4 OLG Düsseldorf v. 3.11.1997 – 3 Wx 105/97, FamRZ 1998, 704 = NJW 1998, 2607 f. (Wiedererlangung von in der früheren DDR belegenem Vermögen). 5 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, BGHZ 134, 152 = FamRZ 1997, 287 = MDR 1997, 258 (156); BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964 = BayObLGZ 1995, 29 (34). 6 RG v. 6.3.1913 – IV 539/12, Recht 1913, Nr. 2885; Coing, NJW 1967, 1777 (1780); AK/ Teubner, § 2346 Rz. 8; Leipold, ZEV 2006, 212 (214) lehnt wohl die Annahme eines Eigenschaftsirrtums bei Fehlvorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses mit dem Argument ab, der Erbverzicht sei keine Verfügung über den Nachlass, sondern über das Erb- oder Pflichtteilsrecht. 7 Soergel/Damrau, § 2346 Rz. 20; AK/Teubner, § 2346 Rz. 8. Muscheler

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B XV

Rz. 191

Erbverzicht

4. Störung der Geschäftsgrundlage 191

Nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, die nun in § 313 BGB gesetzlich geregelt sind, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Vertrag entweder der (veränderten) Wirklichkeit gem. § 313 Abs. 1 BGB angepasst oder, wenn dies nicht möglich ist, gem. § 313 Abs. 3 BGB ganz durch Rücktritt oder bei Dauerschuldverhältnissen durch Kündigung aufgehoben werden. Es stellt sich die Frage, ob diese Grundsätze auch auf den (abstrakten) Erbverzicht Anwendung finden. Beispiel:1 S war in einem Berliner Testament seiner Eltern als Alleinerbe des längstlebenden Ehegatten eingesetzt. Das Testament enthielt für den Schlusserbfall eine Erbersatzregelung zugunsten der Abkömmlinge des S. Nach dem Tod des Vaters verzichtete S unentgeltlich auf die testamentarische Zuwendung, in der Annahme, seine Mutter M könne hierdurch ihre Testierfreiheit wiedererlangen. Dies geschah in Kenntnis eines neu errichteten Testamentes, in dem M den S (zu 1/ 2) und die fünf Kinder seiner vorverstorbenen Schwester zu Erben eingesetzt und sich jede beliebige Änderung des Testamentes vorbehalten hatte. Aufgrund der genannten Ersatzerbenregelung zugunsten der Kinder des S bewirkte der Verzicht des S jedoch nicht die Gegenstandslosigkeit der ursprünglich im gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügung. Vielmehr waren nunmehr die Kinder des S zu Erben der M berufen.

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Nach Ansicht des BGH muss sich S an dem Zuwendungsverzicht festhalten lassen2. Der Verzicht sei – wegen des Änderungsvorbehalts für M – nicht zugunsten der Kinder seiner Schwester oder unter einer Bedingung erklärt worden. Die Wiedererlangung der Testierfreiheit der M sei aus Sicht der Urkundsbeteiligten lediglich die (direkte) Rechtsfolge des Verzichts gewesen, nicht aber ein ungewisses zukünftiges Ereignis i.S.v. §§ 158 ff. BGB. Zu entscheiden war, ob sich S, der ebenso wie M angenommen hatte, durch seinen Verzicht könne die Testierfreiheit der M wiederhergestellt werden, auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen konnte. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass die Rückabwicklung eines Verzichtsvertrags auf der Grundlage von § 242 BGB jedenfalls nach dem Tod des Erblassers ebenso wenig möglich sei wie der Abschluss eines Aufhebungsvertrags nach § 2351 BGB. Er begründet dies im Wesentlichen mit dem Gebot der Rechtssicherheit. Mit dem Tod des Erblassers müsse die Erbfolge auf einer festen Grundlage stehen und dürfe nicht wieder umgestoßen werden können3. Nur soweit es nicht um die Erbfolge selbst, sondern um den etwa als Rechtsgrund eines Erb- oder Zuwendungsverzichts abgeschlossenen Abfindungsvertrag gehe (an ihm fehlte es im entschiedenen Fall), komme die Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Folge einer Vertragsanpassung in Betracht4 (s. Rz. 131). Grund für die Ausnahme ist, dass die Rück1 Sachverhalt nach BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = ZEV 1999, 62 ff. = FamRZ 1999, 375. Vgl. auch LG Coburg v. 3.9.2008 – 21 O 295/08, FamRZ 2009, 461. 2 BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 62 ff. 3 Zustimmend Skibbe, Anm. zu BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 106; Bengel, ZEV 2008, 192 (193, 195). 4 BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327/97, MDR 1999, 363 = FamRZ 1999, 375 = ZEV 1999, 62 (64). 1024

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Erbverzicht

Rz. 193

B XV

abwicklung des Verzichts in diesem Fall nur zu einem Anspruch gegen den Nachlass führt. Genauso entsteht bei der Rückabwicklung eines Pflichtteilsverzichts ein bloß schuldrechtlicher Anspruch, und die Erbfolge bleibt unberührt1. 5. Sittenwidrigkeit des Erbverzichts Wie jeder Vertrag muss sich auch der Erbverzicht den Anforderungen des § 138 Abs. 1 BGB stellen. Ist der Erbverzicht sittenwidrig, weil er gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, ist er nichtig. Als maßgebliches Entscheidungskriterium dient eine Gesamtwürdigung des Vertrages, namentlich der aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmende Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts2.

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Die Sittenwidrigkeit eines Erbverzichtsvertrags kann sich aus den den Vertragsschluss begleitenden Umständen ergeben. Ein Ungleichgewicht der Verhandlungspositionen, die einen Vertragspartner in besonderem Maße über- oder unterlegen macht, ist ein starkes Indiz für eine Umstandssittenwidrigkeit. Diesen Zusammenhang illustriert das folgende

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Beispiel:3 Der verheiratete V hat zwei nichteheliche Kinder K1 und K2 aus einer früheren Beziehung. Im Jahre 1980 schließt er mit ihnen einen Erbverzichts- und Abfindungsvertrag in Ansehung des damals noch gültigen Erberatzanspruchs der Kinder aus § 1934a a.F. BGB. Diese Lösung wurde dem Weg über den vorzeitigen Erbausgleich gem. § 1934d a.F. BGB explizit vorgezogen4. Bei der Bemessung der Abfindung legte V die Unterhaltspauschalierung gem. § 1934d a.F. BGB und nicht den an seinen Vermögensverhältnissen ausgerichteten Erbersatzanspruch aus § 1934a a.F. BGB zugrunde. Bei den Vertragsverhandlungen mit dem von V eingeschalteten Rechtsanwalt R wurde dieser Austausch der Vermögensorientierung gem. § 1934a a.F. BGB mit der Unterhaltspauschalierung nach § 1934d a.F. BGB jedoch verschwiegen. Vielmehr wurde K1 und K2 mit der Aussage des R (der die wahren Vermögensverhältnisse des V gar nicht kannte), sie hätten für den Fall des Versterbens des V etwa 8 000 DM zu erwarten (das ist der nach § 1934d a.F. BGB pauschalierte Unterhaltsbetrag für den vorzeitigen Erbausgleich), vorgegeben, der vorgeschlagene Abfindungsbetrag sei das Ergebnis des am Vermögen orientierten Erbersatzanspruchs (§ 1934a a.F. BGB). 1 OLG Nürnberg v. 12.11.2002 – 3 U 1192/02, FamRZ 2003, 634 (636); krit. Grziwotz, Anm. zu OLG Nürnberg v. 12.11.2002 – 3 U 1192/02, FamRZ 2003, 637. 2 BGH v. 8.12.1982 – IVb ZR 333/81, BGHZ 86, 82 = MDR 1983, 296 = FamRZ 1983, 137 (88); BGH v. 28.2.1989 – IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92 = MDR 1989, 630 (97); BGH v. 19.1.2001 – V ZR 437/99, MDR 2001, 683 = NJW 2001, 1127 (1127); Wendt, ZNotP 2006, 2 (3). 3 Beispiel nach OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, ZEV 2006, 313 = FamRZ 2007, 418. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 21.2.2013 – I-3 Wx 193/12, ZEV 2013, 498 (499): Keine Sittenwidrigkeit, wenn ein Mann seiner künftigen Frau beim Erbverzicht ein Auslandsguthaben von 300 000 Euro verschweigt und beide Partner schon älter sind. 4 Im konkreten Fall bot sich für V der vorzeitige Erbausgleich nach § 1934d a.F. BGB schon deshalb nicht an, weil zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Zwillingsgeschwister K1 und K2 erst 19 Jahre alt waren, ein Anspruch aus § 1934d a.F. BGB aber erst ab dem 21. Lebensjahr bestand. Aus diesem Grunde wäre es V nicht gelungen, über die Rechtsfolge des § 1934e a.F. BGB künftige Erb- und Pflichtteilsansprüche von K1 und K2 auszuschließen. Muscheler

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1025

B XV

Rz. 193a

Erbverzicht

193a

Die Schilderung dieser unrichtigen Ausgangstatsache begründet nach dem OLG München den Vorwurf der Umstandssittenwidrigkeit des Erbverzichts- und Abfindungsvertrags. Explizit stellt das Gericht klar, dass der vorgenommene Austausch der Bemessungsgrundlage für die Abfindung inhaltlich nicht zu beanstanden ist1. Da das Gesetz in §§ 2346, 1934a a.F. BGB keinerlei inhaltliche Vorgaben für eine Abfindung, ja noch nicht einmal die Abfindung als solche vorsehe, stehe das Ob und die Höhe einer Abfindung im freien Gestaltungsspielraum der Parteien. Um zu vermeiden, dass eine Vertragspartei einen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag unter unfreien, da unaufgeklärten Umständen abschließt, ist aber die wahre Bemessungsgrundlage der Abfindung offenzulegen. Ein Ungleichgewicht der Verhandlungspositionen erblickt das OLG München auch in der altersbedingten Unerfahrenheit der damals erst 19-jährigen K1 und K2. Mag der Hinweis auf das Alter pauschal anmuten, resultierte im zu entscheidenden Fall die Unterlegenheit der Kinder doch aus der Tatsache, dass der aus ihrer Sicht neutral auftretende Rechtsanwalt R einseitig die Interessen des V durchzusetzen suchte2.

193b

Ist dem OLG München im Ergebnis zuzustimmen, so vermag die konkrete Begründung mit der Umstandssittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB nicht zu überzeugen. Das Vorspiegeln der unwahren Tatsache, die Abfindung bemesse sich nach dem Erbersatzanspruch aus § 1934a a.F. BGB und nicht an der Unterhaltspauschalierung des § 1934d a.F. BGB, begründet den Anfechtungstatbestand der arglistigen Täuschung nach § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB. Die (richtige) Lösung über die gegenüber § 138 Abs. 1 BGB vorrangige Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB) hat jedoch den Nachteil, dass die h.M. eine Anfechtung des Erbverzichts nach Eintritt des Erbfalls nicht mehr zulässt (s. Rz. 185).

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Die Sittenwidrigkeit eines Erb- und Pflichtteilsverzichts kann – und wird im Regelfall – sich auch aus dem Inhalt des Vertrags ergeben3. Bislang hat die Rechtsprechung noch keine klaren Prüfungskriterien für eine Inhaltskontrolle aufgestellt. Es drängt sich daher die Frage auf, ob das vom BGH zu Eheverträgen4 entwickelte System einer auf erster Stufe stehenden Wirksamkeitskontrolle (§ 138 Abs. 1 BGB) und sich auf zweiter Stufe daran anschließenden Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) auf Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge übertragbar ist. Möglicherweise lässt sich der Erb- und Pflichtteilsverzicht, so er im Zusammenhang mit einem Ehevertrag geschlossen wird, als weiterer Prüfungspunkt in die Inhaltskontrolle von Eheverträgen, insbesondere in die Kernbereichslehre des BGH, einfügen. 1 OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, ZEV 2006, 313 (314) = FamRZ 2007, 418 (419). 2 OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, ZEV 2006, 313 (314) = FamRZ 2007, 418 (420). 3 Eingehend zur Inhaltskontrolle von Erbverzichts- und Pflichtteilsverzichtsverträgen: Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 ff. 4 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = FamRZ 2004, 601 = NJW 2004, 930 ff. Das Urteil des BGH setzt die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG an die Inhaltskontrolle von Eheverträgen (BVerfG v. 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, MDR 2001, 392 = FamRZ 2001, 343 ff. = NJW 2001, 957 ff.; BVerfG v. 29.3.2001 – 1 BvR 1766/92, FamRZ 2001, 985 = NJW 2001, 2248 ff.) um. 1026

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 194c

B XV

Hierbei müssen die folgenden Gedanken Beachtung finden. Zunächst sind die verschiedenen Erscheinungsformen des Erbverzichts getrennt zu betrachten. Die Tatsache, dass dem Erbberechtigten zu Lebzeiten des Erblassers weder ein Vollnoch ein Anwartschaftsrecht zustehen, mindert generell seine Schutzbedürftigkeit. Aufgrund der Möglichkeit der Enterbung (§ 1938 BGB) und des Widerrufs eines Testaments (§§ 2253–2258 BGB) besteht eine gesetzlich angelegte, aus der Testierfreiheit des Erblassers resultierende strukturelle Unterlegenheit des verzichtenden Erbberechtigten1. Diese kann also beim bloßen Erbverzicht unter Vorbehalt des Pflichtteils (§ 2346 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB ist abdingbar, s. Rz. 7) und beim Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) nicht herangezogen werden, um im Rahmen einer Inhaltskontrolle zur Sittenwidrigkeit des Verzichts zu gelangen.

194a

Der (herkömmliche) Erbverzicht und der isolierte Pflichtteilsverzicht entziehen den Pflichtteil und berühren ein zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigten bereits bestehendes Rechtsverhältnis. Darin unterscheiden sie sich vom Erbverzicht unter Vorbehalt des Pflichtteils und vom Zuwendungsverzicht. Der Pflichtteilsanspruch ist grundsätzlich (Ausnahme: §§ 2333 ff. BGB) nicht durch Testament entziehbar. Dennoch können die Kriterien der Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle (§ 138 Abs. 1 BGB) von Eheverträgen, insbesondere die die Scheidungsfolgen in eine Rangfolge abstufende Kernbereichslehre, nicht schematisch Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge aufnehmen. Scheidungsfolgenrecht und Erbrecht liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Das Erbrecht als Todesfolgenrecht ist kein Schutzrecht wie das Scheidungsfolgenrecht2. Der die familienrechtlichen Folgen einer Scheidung regelnde Ehevertrag und der die gesetzliche Erb- und Pflichtteilsberechtigung ausschließende Erb- und Pflichtteilsverzicht sind streng zu differenzieren und bilden nicht automatisch eine rechtliche Einheit3. Aus diesem Grunde erstreckt sich eine eventuelle Nichtigkeit des Ehevertrags nicht per se auch auf den Verzichtsvertrag. Selbst wenn tatsächlich einmal (unter besonderen Umständen) eine rechtliche Einheit anzunehmen sein sollte, hat dies – zumindest wenn der Erb- und Pflichtteilsverzicht unabhängig von einer Ehekrise geschlossen wurde – aufgrund der verschiedenen Funktionen von Scheidungsfolgenvereinbarung und Verzichtsvertrag keine Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB zur Folge. Der Erb- und Pflichtteilsverzicht zielt auf einen Ausschluss unabhängig von einer Ehekrise ab.

194b

Das System der Rangabstufung von Scheidungsfolgen lässt sich also nicht um eine weitere dem Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht zukommende Position erweitern. Der Erbverzicht tangiert den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts nicht, er lässt sich den Scheidungsfolgenvereinbarungen schon begrifflich nicht zuordnen4. Im Falle der Scheidung und des § 1933 BGB sieht das Gesetz und nicht der sich auf den Erbfall beziehende Erbverzicht den Verlust der Erb- und Pflichtteilsberechtigung vor. Es handelt sich um eine gesetzliche, nicht um eine vertragliche Scheidungsfolge.

194c

1 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1082). 2 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1084). 3 Wachter, ZErb 2004, 238 (244) will offenbar eine rechtliche Einheit als Regelfall annehmen. 4 Bengel, ZEV 2006, 192 (193, 196); Kapfer, MittBayNot 2006, 385 (387 f.); Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1085); a.A. wohl Kuchinke, FPR 2006, 125 (127), der den Unterhaltscharakter des Pflichtteils betont und eine Prüfung von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen an den zu Eheverträgen gegebenen Richtlinien andeutet. Muscheler

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B XV

Rz. 195

Erbverzicht

195

Das LG Ravensburg1 hat die Wirkungen eines Erbverzichts unmittelbar den Scheidungsfolgen zugeordnet. Es begründete die Sittenwidrigkeit des Erb- und Pflichtteilsverzichts mit dem Ausschluss des Unterhaltsanspruchs nach § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB und maß dem Erbverzicht damit unmittelbar unterhaltsrechtliche Folgen für den Fall, dass der Ehegatte nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags verstirbt, zu. Die Unterhaltsverzichtsvereinbarungen im Ehevertrag erfassen schließlich nur den nachehelichen Unterhalt nach der Scheidung, die in der Situation des § 1933 BGB gerade unterbleibt. Die Sichtweise des LG Ravensburg steht unter der Prämisse, dass der Erbverzicht tatsächlich auch den Unterhaltsanspruch aus § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB oder allgemeiner den nachehelichen Unterhaltsanspruch nach dem Tode des Verpflichteten aus § 1586b BGB ausschließt. Wie in Rz. 51 f. dargestellt, sprechen die besseren Argumente dagegen. Daher kann auch nicht über § 1933 S. 3 BGB oder § 1586b BGB ein Eingriff des Erbverzichts in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts2 konstruiert werden.

195a

Folgt man allerdings der Prämisse des LG Ravensburg, wird man tatsächlich nicht umhin kommen, den Erbverzicht für sittenwidrig zu erklären, wenn auch ein Unterhaltsverzicht in einem Ehevertrag sittenwidrig wäre3. Dies hätte zur Konsequenz, dass bei jedem Erbverzicht zugleich auch eine Wirksamkeitskontrolle eines fingierten Unterhaltsverzichts vorzunehmen wäre, selbst wenn die Parteien neben dem Erbverzicht keinen Ehevertrag geschlossen haben. Entscheidend dürfte dann die Frage sein, ob und ggf. in welcher Höhe eine Abfindung auch für eine zeitliche Befristung eines eventuellen Scheidungsunterhalts auf den Tod des Unterhaltsschuldners (§ 1586b BGB ist nach dieser Ansicht abbedungen) und den Ausschluss des Anspruchs aus § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB vereinbart wurde4.

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Auch der Gedanke der mit dem Pflichtteil verbundenen Versorgung naher Angehöriger rückt den Pflichtteil nicht in einen abfindungslos unentziehbaren Kernbereich des Erbrechts5. Denn dem Pflichtteil kommt keine Unterhalts- und Versorgungsfunktion zu6. Die Existenzsicherung übernehmen die familienrechtlichen Unterhaltstatbestände. Im Gegensatz zu diesen stellt der Pflichtteilsanspruch eine 1 LG Ravensburg v. 31.1.2008 – 2 O 338/07, ZEV 2008, 598 (599 f.) = ZErb 2008, 322 (323 f.). 2 Streng genommen ist auch der Unterhaltsanspruch gem. § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569– 1586b BGB keine Scheidungsfolge, sondern eine den Scheidungsfall fingierende Todesfolge. 3 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1092). Eine Aufspaltung des Erbverzichts in einen unterhaltsrechtlichen und einen erbrechtlichen Teil mit der Folge, dass nur die unterhaltsausschließenden bzw. -begrenzenden Wirkungen des Erbverzichts sittenwidrig und damit nichtig sind (Münch, ZEV 2008, 571 [575, 577]), ist mit dieser Auffassung unvereinbar. Sie sieht in dem Ausschluss des nachehelichen Unterhaltsanspruchs aus § 1586b BGB nach dem Tode des Verpflichteten bzw. des Unterhaltsanspruchs gem. § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569–1586b BGB eine untrennbar mit dem Erbverzicht verbundene Folge. 4 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1092). 5 A.A. wohl Wachter, ZErb 2004, 238 (243 f.). 6 Kapfer, MittBayNot 2006, 385 (388); Münch, ZEV 2008, 571 (573); Muscheler, ZEV 2005, 119 (120); Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1086 f.); a.A. Kuchinke, FPR 2006, 125 (125 f.); Wachter, ZErb 2004, 238 (239, 244); Wendt, ZNotP 2006, 2 (7 f.). 1028

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 199

B XV

bedarfs- und bedürftigkeitsunabhängige, allein an der Pflichtteilsquote und dem Nachlasswert orientierte Vermögensbeteiligung dar, und zwar – im Gegensatz zum Zugewinnausgleichsanspruch, der am ehesten der ehevertraglichen Disposition zugänglich ist – auch noch unabhängig von einem Beitrag des Berechtigten an der Vermögensbildung1. Die Teilhabe an einer Vermögenssubstanz ist weitestgehend disponibel. Nach alledem lässt sich feststellen, dass die Wirksamkeitskontrolle von Erbund Pflichtteilsverzichtsverträgen am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB losgelöst von den für Eheverträge hierzu aufgestellten Kriterien vorzunehmen ist. Es bleibt dabei, dass eine Inhaltskontrolle nur in engen Ausnahmefällen zur Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit des Erb- oder Pflichtteilsverzichts führen wird. Diese Aussage findet ihre Rechtfertigung in der geminderten Schutzwürdigkeit des Erb- und Pflichtteilsberechtigten (im Gegensatz etwa zu einem auf Unterhalt angewiesenen kinderbetreuenden Ehegatten) sowie in der Möglichkeit, eine Abfindung für den Verzicht zu vereinbaren.

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Die von der Rechtsprechung bei Eheverträgen auf einer zweiten Stufe anhand des § 242 BGB vorgenommene Ausübungskontrolle ist auf den abstrakten Erbverzicht als Verfügungsgeschäft mit dinglicher Wirkung aus Gründen der Rechtssicherheit nach dem Erbfall nicht möglich2. Die Erbfolge muss mit dem Tode des Erblassers endgültig feststehen, eine nachträgliche Anpassung entfällt. Dogmatisch denkbar ist eine Anpassung des Pflichtteilsverzichts3, des diesem zugrunde liegenden schuldrechtlichen Kausalgeschäfts, des Grundgeschäfts des abstrakten Erbverzichts sowie – jedoch nur vor dem Erbfall – des Erbverzichts selbst4. Allerdings stößt die Übernahme der für Eheverträge entwickelten Ausübungskontrolle am Maßstab des § 242 BGB für Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge auf Bedenken: Der BGH stellt bei Eheverträgen im Rahmen der Ausübungskontrolle im Gegensatz zur Wirksamkeitskontrolle auf den Zeitpunkt des Scheiterns der ehelichen Lebensgemeinschaft ab und vergleicht die reale Lastenverteilung zwischen den Ehegatten mit der bei Vertragsschluss geplanten Ehegestaltung5. Beim Erbverzicht wäre der Erbfall das maßgebliche Ereignis6. Eine zeitlich vorgelagerte Prüfung könnte die Lastenverteilung aber noch nicht abschließend beurteilen, da vor dem Erbfall der Umfang des Nachlasses unklar ist7. Da somit praktisch nur eine Kontrolle nach dem Erbfall möglich sein wird, ist der abstrakte Erbverzicht als Verfügungsgeschäft einer Anpassung generell entzogen.

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Ferner darf der Charakter des Erb- und Pflichtteilsverzichts als Risikogeschäft, so genanntes aleatorisches Geschäft, nicht außer Acht gelassen werden8. Wer be-

199

1 Münch, ZEV 2008, 571 (577). 2 Bengel, ZEV 2006, 192 (193, 195); Münch, ZEV 2008, 571 (577); Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1088). 3 Wendt, ZNotP 2006, 2 (7). 4 In praxi würde wohl wie bei der Störung der Geschäftsgrundlage (s. Rz. 191) eine Korrektur über die Anpassung des Kausalgeschäfts unter Aufrechterhaltung des Verfügungsgeschäfts vorgenommen. 5 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = FamRZ 2004, 601 = NJW 2004, 930 (935). 6 Wendt, ZNotP 2006, 2 (3). 7 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1089). 8 Bengel, ZEV 2006, 192 (194 f.); Kapfer, MittBayNot 2006, 385 (387, 389 f.); Münch, ZEV 2008, 571 (577); Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1089 f.). Muscheler

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B XV

Rz. 200

Erbverzicht

wusst und in eigenverantwortlicher Weise das Wagnis des Verzichts (mit der Gefahr, einer Teilhabe an einem später umfangreichen Vermögen verlustig zu gehen, aber auch mit der Chance, eine höhere Abfindung als den eventuellen Erboder Pflichtteil zu erhalten) eingeht, darf nicht berechtigterweise auf eine Abmilderung oder gar Eliminierung dieses Risikos durch eine gerichtliche Ausübungskontrolle vertrauen. Andernfalls führte man den aleatorischen Charakter des Verzichts ad absurdum. Als mögliche nicht gerichtlich angeordnete, sondern von den Parteien vereinbarte Lösung bieten sich Klauseln im Abfindungsvertrag an, die die Abfindungssumme bei wertmäßig gestiegenem Nachlass entsprechend aufstocken1. Schließlich streitet auch das berechtigte, mit dem Erb- und Pflichtteilsverzicht verbundene Interesse des Erblassers an Planungssicherheit gegen eine Adaption der ehevertraglichen Ausübungskontrolle gem. § 242 BGB auf den Erbverzicht. Zumindest sollte eine Ausübungskontrolle wie auch die Wirksamkeitskontrolle besonders restriktiv gehandhabt werden. 200

Der Pflichtteilsverzicht eines Empfängers von ALG II (SGB II) ist auch dann nicht sittenwidrig, wenn der Verzicht in zeitlicher Nähe zum Tod des Erblassers erklärt wurde2. Es handelt sich dabei auch nicht um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter, denn dem Sozialversicherungsträger werden durch den Verzicht keinerlei vertragliche Pflichten auferlegt.

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Nicht sittenwidrig ist aber nicht nur der Pflichtteilsverzicht des Bedürftigen (der ALG II bezieht), sondern auch der des (durch Behindertentestament bedachten) Behinderten, der Sozialhilfe nach SGB XII bezieht3. Der BGH begründet das Ergebnis wie folgt: Ein Vertrag zulasten Dritter liege nicht vor, da durch den Verzicht dem Sozialhilfeträger keine Verpflichtungen auferlegt werden. Das sozialrechtliche Subsidiaritätsprinzip sei schon vom Gesetz selber, und gerade bei Behinderten, vielfach durchbrochen, könne also keine das Erbrecht modifizierende Prägekraft entfalten. Ferner sei aus der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG (auch) eine „negative Erbfreiheit“ abzuleiten. Gerade wenn es um den Verzicht auf den Pflichtteil des erstversterbenden Elternteils gehe (der auch von den nicht behinderten Kindern erklärt werde, wie im Fall des BGH geschehen), sei der Verzicht sittlich anzuerkennen. Zudem führe das Handeln des bedürftigen Kindes nur eine Situation herbei, die in vergleichbarer Weise durch eine testamentarische Gestaltung der Eltern hätte erreicht werden können: Hätten diese sich nicht gegenseitig als Alleinerben eingesetzt, sondern dem behinderten Kind bereits beim Tod des Erstversterbenden eine Miterbenstellung eingeräumt, hätte der Sozialhilfeträger nur bei einer Ausschlagung auf den Pflichtteilsanspruch zugreifen 1 Muscheler, FS Spiegelberger, S. 1079 (1089); Bengel, ZEV 2006, 192 (196) spricht von „Nachbesserungsklauseln“. 2 SG Stuttgart v. 8.3.2012 – S 15 AS 925/12 ER, ZEV 2013, 99 (LS), NotBZ 2012, 398. 3 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 m. abl. Anm. Zimmer, 262 f. und krit. Anm. Leipold, 528 f. Ebenso wie der BGH schon OLG Köln v. 9.12.2009 – 2 U 46/09, ZEV 2010, 85 (87) m. Anm. Armbrüster (88) und Bengel/Spall (195) u. Replik dazu von Armbrüster (535). Vgl. ferner Dreher/Görner, NJW 2011, 1761; Röthel, LMK 2011, 317533; Kleensaug, ZErb 2011, 121; Ivo, DNotZ 2011, 387. Für Sittenwidrigkeit Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449 (459); Schuhmacher, Rechtsgeschäfte zu Lasten der Sozialhilfe im Familien- und Erbrecht, 2000, 142; Lambrecht, Der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den erbrechtlichen Erwerb, 2001, 172; Dutta, AcP 209 (2009), 793; Dutta, FamRZ 2010, 841 ff.; Klühs, ZEV 2011, 15 (17 f.). 1030

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Muscheler

Erbverzicht

Rz. 203

B XV

können; der Sozialhilfeträger könne aber das Ausschlagungsrecht nicht auf sich überleiten (um dann nach § 2306 Abs. 1 BGB den Pflichtteilsanspruch auszulösen). Eine Parallele zu den Unterhaltverzichten zulasten des Sozialhilfeträgers, die auch er für sittenwidrig hält, sieht der BGH nicht (was angesichts der Tatsache, dass bei § 2346 BGB auf eine unsichere zukünftige Expektanz verzichtet wird, einleuchtet). Nimmt man die Rede des BGH von der „negativen Erbfreiheit“ ernst, dürfte der BGH auch den Pflichtteilsverzicht des Bedürftigen billigen1.

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Ist der Behinderte geschäftsunfähig, so kann er beim Abschluss des Pflichtteilsverzichts vertreten werden, denn § 2347 Abs. 2 BGB schreibt nur für den Erblasser persönliches Handeln vor. Freilich bedarf der an Stelle des Geschäftsunfähigen handelnde Betreuer der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Ob das Betreuungsgericht den Pflichtteilsverzicht genehmigen darf, ist problematisch. Der BGH verlangt in einer Entscheidung von 19942 sorgfältige Ermittlungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Vaters bzw. der Mutter und (wohl) auch eine einigermaßen vollwertige Abfindung. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten3.

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1 Für Übertragbarkeit der BGH-Rspr. auf den nicht behinderten Bedürftigen Ivo, DNotZ 2011, 387 (389); Dreher/Gönner, NJW 2011, 1761 (1766); Kleensaug, ZErb 2011, 121 (124); Leipold, ZEV 2011, 528 (529). Zimmer, ZEV 2011, 262 (263) hält die Frage für offen. 2 BGH v. 6.10.1994 – III ZR 134/93, MDR 1995, 823 = FamRZ 1995, 151 = ZEV 1995, 27 m. Anm. Langefeld. Ebenso Staudinger/Schotten, § 2347 Rz. 20. 3 Nach Ivo, DNotZ 2011, 387 ff. reichen spürbare Vorteile gegenüber dem Sozialhilfeniveau für die Genehmigungsfähigkeit aus. Muscheler

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XVI. Patienten- und Betreuungsverfügung sowie Vorsorgevollmacht Schrifttum (älteres Schrifttum s. 3. Aufl.): Bonefeld/Wachter (Hrsg.), Der Fachanwalt für Erbrecht, 3. Aufl., 2014 (§§ 21, 22); Burchardi, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bei Krankenhausaufnahme?, FS Schreiber, 2003, 615; Decker, Der Abbruch intensivmedizinischer Maßnahmen in den Ländern Österreich und Deutschland, 2012; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl., 2014; Diederichsen, Bemerkungen zu Tod und rechtlicher Betreuung, FS Schreiber, 2003, 635; Duttge, Einseitige („objektive“) Begrenzung ärztlicher Lebenserhaltung?, NStZ 2006, 479; Duttge (Hrsg.), Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008; Duttge, Therapiebegrenzende Entscheidungen in „Wachkoma“-Fällen aus rechtlicher Sicht, FortschrNeurolPsychiat 2011, 582; Eisenbart, Patiententestament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten, 1998; Engelmann, (Rechts-)Grundlagen und Grundfragen der palliativmedizinischen Versorgung, GesR 2010, 577; Fischer, Die mutmaßliche Einwilligung bei ärztlichen Eingriffen, FS Deutsch, 1999, 545; Gaidzik, Patientenverfügungen – Rechtssicherheit und Selbstbestimmung?, 2011; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013; Geckle, Patientenverfügung und Testament, 2004; Hahne, Zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung, FamRZ 2003, 1619; Hager (Hrsg.), Die Patientenverfügung, 2006; Heun, The Right to Die, JZ 2006, 425; Höfling, Das neue Patientenverfügungsgesetz, NJW 2009, 2849; Ingelfinger, Patientenautonomie und Strafrecht in der Sterbebegleitung, JZ 2006, 821; Janssens/Burchardi/Duttge et al., Therapiezieländerung und Therapiebegrenzung in der Intensivmedizin, MedR 2012, 647; Kettler/Simon/ Anselm/Lipp/Duttge (Hrsg.), Selbstbestimmung am Lebensende, 2006; Klinge, Todesbegriff, Totenschutz und Verfassung, 1996; Kreß, Ärztlich assistierter Suizid, 2012; Kutzer, Ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung unter besonderer Berücksichtigung des neuen Patientenverfügungsgesetzes, MedR 2010, 531; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patiententestament nach dem neuen Betreuungsrecht, 1994; Laufs, Zivilrichter über Tod und Leben?, NJW 1998, 3399; Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, 2000; Lipp, „Sterbehilfe“ und Patientenverfügung, FamRZ 2004, 317; Lipp, Patientenautonomie und Lebensschutz, 2005; Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, 2009; D. Magnus, Sterbehilfe und Demenz, NZSt 2013, 1; May, Patientenverfügungen – Unterschiedliche Regelungsmöglichkeiten zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge, 2005; Memmer, Das Patientenverfügungs-Gesetz 2006, (österr.) RdM 2006, 163; Müller, Der Freitod, der Arzt und das Recht, 2012; Penner/Bohmeier, Off-Label-Use in der ambulanten Palliativmedizin: Keine Würde auf Rezept?, GesR 2011, 526; Prinz von Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, 1999; Richter, Therapiebegrenzung, Therapieverzicht und Therapieabbruch, EthikMed 2010, 301; Rohrer, Menschenwürde am Lebensanfang und am Lebensende und strafrechtlicher Lebensschutz, 2012; Rosenau, Aktive Sterbehilfe, Festschr.f. Roxin, Band 1, 2011, 577; Ruhs, Der Behandlungsabbruch beim Apalliker, 2006; Schmoller, Lebensschutz bis zum Ende?, ÖJZ 2000, 361; Schrader, Sterbehilfe: Geschichte und Recht in Europa am Beispiel von Deutschland und Frankreich, 2012; Schreiber H.-L., Patientenverfügung als Lösung des Problems der Sterbehilfe?, FS Deutsch, 2009, 493; Schumann, Dignitas – Voluntas – Vita, 2006; Spickhoff, Die Patientenautonomie am Lebensende: Ende der Patientenautonomie?, NJW 2000, 2297; Spickhoff, Patientenverfügungen und Patientenautonomie zwischen Rechtsdogmatik, Rechtspolitik und Rechtswirklichkeit in: Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs (Hrsg. Kingreen, Laux), 2008, 103; Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014; Strätling, Gesundheitsökonomische Aspekte bei Entscheidungen am Lebensende, MedR 2012, 428; Student, Wie nützlich sind Patientenverfügungen?, ZfL 2004, 94; Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens?, in: 63. DJT (2000) Band I (Gutachten), A; Taupitz/Weber-Hassemer, Zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen, FS Laufs, 1032

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Rz. 1

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2006, 1107; Uhlenbruck, Die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten – Zu einem wichtigen, aber verkannten Rechtsinstitut in Deutschland, FS Deutsch, 1999, 849; Uhlenbruck, Patientenverfügungen, ZAP Fach 12, 75 (1999); Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben durch Patienten-Testament, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, 1997; Uhlenbruck, Die endlose Geschichte der Patientenverfügung, FS Deutsch 2009, 663; Ulsenheimer, Der Arzt im Konflikt zwischen Heilauftrag und Selbstbestimmungsrecht des Patienten – in dubio pro vita?, FS Eser, 2005, 1225; Verrel, Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung, 66. DJT 2006, Bd. I; Wagenitz, Finale Selbstbestimmung? FamRZ 2005, 669; Walter, Die Vorsorgevollmacht, 1997; Wegner, Rechtsfragen des Wachkomas, 2006; Weidemann, Bemerkungen zur Sterbehilfe-Entscheidung des BGH vom 25.6.2010, GesR 2010, 15; Widmann, Testamentserklärungen und Bestattungsanordnungen in Bestattungsvorsorgeverträgen, FamRZ 2001, 74; Zimmermann, Die Formulierung der Vorsorgevollmacht, NJW 2014, 1573. Rz.

I. Einleitung: „Patientenverfügungen“ und Erbrecht . . . . . . . . . . . . .

1

II. Der rechtstatsächliche Hintergrund: Medizinische Extremsituationen und juristische Folgefragen

3a

1. Die Intensivbehandlung . . . . . . . . 2. Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tod und Todeszeit . . . . . . . . . . . . . 4. Sektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Organtransplantation . . . . . . . . . .

4 6 10 13 15

III. Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . .

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1. Der einwilligungsfähige Patient . 2. Die Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der nicht einwilligungsfähige Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Genehmigung des Betreuungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 22 24

V. Die sog. Patientenverfügung 1. Definition, Rechtsnatur, Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz.

2. Vorsorgeregister . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbindlichkeit: Grundsatz und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht von Betreuer und Bevollmächtigtem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fehlen eines Betreuers oder Bevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . 6. Druckausübung bei der Errichtung von Patientenverfügungen . 7. Widerruf einer Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 33 37 40 41 43

VI. Die Vorsorgevollmacht 1. Gesundheitsangelegenheiten . . . . 2. Sonstige persönliche Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertretung im Vermögensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Die Betreuungsverfügung . . . . . . .

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VIII. Musterformulierungen . . . . . . . . .

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51 52

27

I. Einleitung: „Patientenverfügungen“ und Erbrecht Beratungssituation: Der Mandant bittet – u.U. im Kontext mit einer erbrechtlichen Beratung – um Aufklärung über seine Möglichkeiten, bei schweren Erkrankungen im Vorfeld des Todes eigenverantwortlich und verbindlich die Durchführung oder Unterlassung ärztlicher Maßnahmen zu bestimmen. Unter den sog. Patientenverfügungen verstand man bis 2009 mehrheitlich1 und zum Teil auch noch in der aktuellen Diskussion zumeist das Patiententesta1 Statt aller Uhlenbruck, ZAP 1999, 233. Spickhoff

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ment, die Betreuungsverfügung und die Vorsorgevollmacht. Allerdings wurden im Schrifttum seit längerem Patiententestamente auch als Patientenverfügungen oder Patientenbriefe bezeichnet. Die Vorsorgevollmacht für den Fall des Eintritts einer altersbedingten Einwilligungsunfähigkeit wird teilweise auch als „Altersvorsorgevollmacht“ bezeichnet1; Taupitz spricht von „Gesundheitsfürsorgevollmacht“2. Mittlerweile verkürzt das Gesetz die relativ umfassende Bedeutung des Begriffs der Patientenverfügung. Ausdrücklich spricht § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB anstelle von einem Patiententestament von einer Patientenverfügung. Die entsprechenden Festlegungen betreffen allesamt nicht originär erbrechtliche Gegenstände. Zum einen handelt es sich nicht um Verfügungen im rechtstechnischen Sinne, insbesondere nicht um Verfügungen von Todes wegen. Und zum anderen sind die entsprechenden Regelungen nicht auf die Zeit nach dem Tod, sondern – von Sektion und Transplantation einmal abgesehen – allesamt gerade auf die Zeit vor dem Tode, typischerweise auf das Vorfeld des Todes bezogen. Insbesondere handelt es sich auch nicht um ein (oft im Krankenhaus zu erstellendes) Nottestament nach § 2250 BGB. Der Begriff „Patientenverfügung“ ist auch insoweit irreführend, als die darin enthaltene Willensbekundung noch nicht zu einer Zeit abgegeben worden sein muss, zu der der oder die Betroffene als Patient(in) in ärztlicher Behandlung stand. Die Patientenverfügung (besser: Patientenbrief) ist also darauf gerichtet, vor einer Erkrankung und dem Sterbeprozess den Willen des Patienten in der Weise verbindlich zum Ausdruck zu bringen, dass die entsprechenden Weisungen auch dann befolgt werden, wenn es später zu einer Ausschaltung des Bewusstseins oder zu einer durchgreifenden Bewusstseinsstörung kommt, die einer entsprechenden (wirksamen) Artikulation entgegensteht. 2

Damit ist allen sog. Patientenverfügungen gemein, (1.) dass sie zeitlich mehr oder weniger lange vor der aktuellen (Krankheits-)Situation abgegeben werden – § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB spricht von „noch nicht unmittelbar bevorstehenden“ Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen –, (2.) dass sie insoweit bedingt sind, als sie für den Fall des Eintritts einer mehr oder weniger konkret bezeichneten Krankheitssituation abgegeben werden, deren Eintritt noch unsicher ist, (3.) dass sie unter der weiteren Bedingung stehen, dass der Erklärende in der dann aktuellen (Krankheits-)Situation entscheidungsunfähig ist, und (4.) dass sie schließlich mehr oder weniger konkret formulierte, „bestimmte“ Vorgaben für die Behandlung bzw. deren Unterlassung enthalten3. Im Falle einer sog. Patientenverfügung (früher: Paiententestament) legt die betreffende Person ihren Willen schon zuvor für den Fall des Eintritts einer bestimmten Situation nieder. Bei der Betreuungsverfügung wird zunächst einmal nur die Person des Betreuers vorgeschlagen. Bei der Vorsorgevollmacht wird eine andere Person beauftragt, das Selbstbestimmungsrecht für die erkrankte Person im Falle der eigenen Entscheidungsunfähigkeit auszuüben.

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Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bzw. Betreuungsverfügung können in der gleichen Erklärung kombiniert werden. Dabei ist von folgendem Verhältnis auszugehen: Die Bestellung eines Betreuers ist insoweit weder notwendig 1 BT-Drucks. 11/4528, S. 122. 2 63. DJT (2000) A 97. 3 § 1901a Abs. 1 S. 1; Taupitz, 63. DJT (2000) A 106. 1034

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noch zulässig, als der (einwilligungsfähige!) Patient hinreichend deutlich und konkret eine eigene Entscheidung getroffen hat. Eine solche – insbesondere in einer Patientenverfügung getroffene – bindende Willensäußerung des Patienten darf weder durch einen Betreuer korrigiert noch von einem Gericht kontrolliert werden1. Demgemäß statuiert § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB, dass der Betreuer (nur) „prüft“, ob die Festlegungen in einer Patientenverfügung die aktuelle Situation erfassen. Mag hierbei noch ein gewisser Beurteilungsspielraum bestehen, „hat“ er ihr gegebenenfalls – dann ohne Ermessensspielraum – Geltung zu verschaffen“ (§ 1901a Abs. 1 S. 2 BGB). Erst wenn die konkrete Situation von einer Patientenverfügung nicht mehr zureichend erfasst ist, kommt es auf eine eigene Entscheidung des Betreuers (und erst in diesem Rahmen auf die gewünschte Person des Betreuers) an2. Eine entsprechend konkrete und bindende Patientenverfügung geht zunächst einmal auch einer Vorsorgevollmacht vor. Diese wiederum verdrängt das insoweit subsidiäre Institut der Betreuung. Die Wirksamkeit der Vollmacht setzt freilich voraus, dass sie schriftlich erteilt ist und die betreffenden medizinischen Maßnahmen von ihr „ausdrücklich“ umfasst sind (§ 1904 Abs. 5 S. 2 BGB). Nach § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB ist eine Betreuung nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen ebenso gut durch einen Bevollmächtigten, der nicht zu den in § 1897 Abs. 3 BGB genannten Personen gehört, besorgt werden kann. Diese Subsidiarität gilt allerdings nur, wenn die Tätigkeit des Bevollmächtigten keine größeren Gefahren für den Betroffenen auslöst, als dies bei Bestellung eines Betreuers der Fall wäre. Deshalb bedarf auch der Bevollmächtigte ebenso wie der Betreuer zur Einwilligung in bestimmte risikoreiche medizinische Maßnahmen grundsätzlich der Genehmigung des Betreuungsgerichts, nämlich wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet (§ 1904 Abs. 5 BGB). Nur im Ausnahmefall einer übereinstimmenden Entscheidung zwischen Behandlungsseite (Arzt) und Betreuer/Bevollmächtigtem ist eine solche Genehmigung entbehrlich, § 1904 Abs. 4 BGB. Damit wird in der Sache dem Selbstbestimmungsrecht des Vollmachtgebers eine Grenze gesetzt3. Der Grund liegt nicht zuletzt in der Gefahr des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Zudem kann ein Betreuer, wenn sein Aufgabenkreis den Widerruf einer solchen Vollmacht erfasst (so dass er auch insoweit zur Vertretung der Betroffenen berechtigt ist, § 1902 BGB), die Vollmacht wirksam widerrufen4.

II. Der rechtstatsächliche Hintergrund: Medizinische Extremsituationen und juristische Folgefragen Das zunehmend in der Bevölkerung entstandene Bedürfnis, Patientenverfügungen zu errichten, findet seinen rechtstatsächlichen Hintergrund in medizinischen Extremsituationen, insbesondere im Bereich der Intensivbehandlung, der Sterbehilfe, der Feststellung von Tod und Todeszeit, aber auch einer späteren Sektion oder Organtransplantation. 1 2 3 4

Wolter/Riedel/Taupitz/Lipp, S. 75, 90 f. Taupitz, 63. DJT (2000), A 120. Rechtspolitisch krit. hiergegen Uhlenbruck, FS Deutsch, 849 (860). KG v. 3.2.2009 – 1 W 530/07, 1 W 531/07, FamRZ 2009, 908 = NJW 2009, 1425. Spickhoff

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1. Die Intensivbehandlung

Beratungssituation: Der Mandant bittet um Aufklärung in Bezug auf die rechtlichen Implikationen von Intensivbehandlung, Sterbehilfe und (juristischem) Todesbegriff. 4

Die Intensivbehandlung auf entsprechenden Stationen, die rund um die Uhr erfolgt, führt dazu, dass der Kranke gelegentlich maschinell am Leben erhalten wird. Diese Art der intensiven Diagnostik und Behandlung bedarf wie jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Integrität der Einwilligung, wobei im Falle bewusstloser Kranker die mutmaßliche Einwilligung ausreicht. Man wird davon ausgehen können, dass die Einwilligung hier eine generelle ist. Zu einzelnen Maßnahmen bedarf es nur noch dann einer besonderen Einwilligung, wenn sie in diesem Bereich ungewöhnlich sind. Im Allgemeinen wird im Falle eines bei Bewusstsein befindlichen Kranken nach entsprechendem Hinweis als Einwilligung ausreichen, dass er der Verlegung auf die Intensivstation nicht widerspricht1. Selbstverständlich hat der Patient aber auch die Möglichkeit, die Einwilligung in die Intensivbehandlung zu verweigern. Er kann dies in dem Moment tun, in welchem mit der Behandlung begonnen werden soll. Auch der jederzeitige Widerruf einer einmal erteilten Einwilligung in die Intensivbehandlung ist möglich. Aufgrund der unter Umständen zwischenzeitlich weggefallenen Einwilligungsfähigkeit besteht insbesondere aber auch die Möglichkeit, die Intensivbehandlung in früherer Zeit abzulehnen oder jetzt durch einen Vertreter ablehnen zu lassen. Damit ist der Bereich der Patientenverfügung bzw. der Vorsorgevollmacht betreten. Insbesondere kann erklärt werden, dass lebensverlängernde Maßnahmen, insbesondere eine Intensivbehandlung in hoffnungslosem Stadium, nicht stattfinden sollen. Kliniker kürzen diese Entscheidung z.B. mit KLM (keine lebensverlängernden Maßnahmen) ab.

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Aktuelle wie frühere Entscheidungen sind bindend, jedoch stellt sich eine Reihe von Folgeproblemen: Besteht zur Zeit der aktuellen Entscheidung Einwilligungsfähigkeit? Erfasst die Patientenverfügung die Situation hinreichend konkret? Unterliegt der Bevollmächtigte Schranken, insbesondere einer gerichtlichen Überprüfung? In diesen Kontext ist auch das berühmt gewordene Erlanger Baby zu stellen, bei dem es um die Schwangerschaft einer Patientin ging, die wegen eingetretenen Hirntodes oder aus anderen Gründen nicht mehr zu retten war2. Freilich sind hier eindeutige juristische Ratschläge mangels wirklich einschlägiger Judikatur kaum möglich. Vermutlich sind die Maßnahmen an der Verstorbenen zur Verlängerung der Schwangerschaft unter dem Aspekt des postmortalen Persönlichkeitsrechts nur gerechtfertigt, wenn die Frau bei Lebzeiten ihre Zustimmung, etwa in einer Patientenverfügung, erteilt hat, oder sich die Schwangerschaft im letzten Stadium befand, so dass das Lebensrecht des Kindes deutlich überwiegt. Aus diesem Fall wird auch deutlich, dass in einer Patientenverfügung nicht – was meistens in den Vordergrund gestellt wird – nur der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen verfügt werden, sondern auch um die möglichst weitgehende Durchführung solcher Maßnahmen gebeten werden kann (näher dazu Rz. 16 f.). 1 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 968. 2 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 972. 1036

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2. Sterbehilfe Insbesondere der Bereich der Sterbehilfe bildet einen zentralen Regelungsbereich der sog. Patientenverfügungen. Nicht zuletzt die Intensivbehandlung eröffnet vielfältige Möglichkeiten inhumanen Sterbens. Bei der Sterbehilfe ist lange Zeit differenziert worden1: Aktive Sterbehilfe als ärztliches Eingreifen zur Verkürzung des Lebens ist grundsätzlich unzulässig. Passive Sterbehilfe meint den Behandlungsverzicht beim Sterbenden oder die Beendigung von Maßnahmen, die das menschliche Sterben verlängern. Mittelbare Sterbehilfe umfasst Fälle der unbeabsichtigten Nebenwirkung einer therapeutischen Maßnahme, die den Eintritt des Todes beschleunigt, etwa der Schmerzlinderung. Sterbenachhilfe bezeichnet die Beihilfe zur Selbsttötung von Menschen, die mit schweren Beeinträchtigungen leben, aber nicht unbedingt vor dem Tod stehen. Sterbebeistand nennt man die Hilfe in der letzten Lebensphase. Der BGH2 hat die bisherige Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe freilich relativiert. Ein Behandlungsabbruch soll sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob das Verhalten von medizinischem Personal (Ärzten) oder anderen Personen (wie im konkreten Falle den betreuenden Kindern) zu beurteilen ist. Im Übrigen sei Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspreche und dazu diene, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Lediglich gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen, seien einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich (§ 216 StGB).

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Im Zusammenhang mit der passiven Sterbehilfe hat die Patientenverfügung eine wesentliche Funktion. Die Behandlung, auch die Intensivbehandlung zur Aufrechterhaltung des Lebens, bedarf einer Einwilligung seitens des Patienten. Mithin kann der Patient durch eine negative Äußerung diese Therapie verhindern. Genau genommen ist nicht einmal eine aktive Verweigerung der Zustimmung erforderlich, soweit nicht § 1904 Abs. 2 BGB in Bezug auf Betreuer und Bevollmächtigten (§ 1904 Abs. 5 BGB) Abweichendes anzeigt. Bei Bewusstlosen wird man in der ärztlichen Praxis freilich mit einer mutmaßlichen Einwilligung weiterbehandeln. Über eine Patientenverfügung kann also eine Intensivbehandlung, die zu einem vom Patienten als menschenunwürdig empfundenen Tod führt, unterbunden werden3. Zur Frage der Bindungswirkung s. unten V (Rz. 27 ff.). Bei der mittelbaren Sterbehilfe und dem Sterbebeistand können die Grenzen zur aktiven Sterbehilfe verwischt werden. Das ist etwa der Fall, wenn eine Schmerzlinderung so hohe Dosen Morphium erfordert, dass eine Lebensverkürzung eintritt – eine Konsequenz, deren Notwendigkeit von Palliativmedizinern indes zunehmend bestritten wird. Die Lebensqualität (Schmerzlinderung) wird jedenfalls über die Lebensquantität (schmerzhaftes Weiterleben) gestellt. In jedem Falle darf die Lebensverkürzung nur Nebenfolge sein; anderenfalls greifen die (auch

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1 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 973. 2 BGH v. 25.6.2010 – 2 StR 454/09, FamRZ 2010, 1551 = NJW 2010, 2963. 3 Bereits LG Ravensburg v. 3.12.1986 – 3 KLs 31/86, MDR 1987, 692 = MedR 1987, 196. Spickhoff

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strafrechtlichen) Sanktionen in voller Schärfe1. Auch kann man an Schmerzensgeldansprüche gegen die Ärzte denken, wenn gegen den Willen des Patienten eine schmerzhafte Intensivbehandlung fortgesetzt worden ist2. Sterbenachhilfe als Beihilfe zur Selbsttötung löst nach neuerer Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht einmal mehr ohne weiteres eine Untersagungsverfügung nach Grundsätzen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts aus3 und ist jedenfalls nicht strafbar4. Werden entsprechende Wünsche der Patienten auf Sterbenachhilfe schriftlich klar fixiert, führt dies auf der Seite des unterstützenden Arztes jedenfalls zu beweisrechtlichen Vorteilen in einem eventuellen Strafverfahren. 8

Lebhaft diskutiert wird zurzeit die Frage der begleiteten Suizidbeihilfe, die nach geltendem Recht im Ausgangspunkt straflos ist. Ob es dabei im Kontext organisierter Sterbehilfe bleiben soll, ist rechtspolitisch umstritten.5 Rechtspolitisch sollte nicht pauschal, aber unter bestimmten Bedingungen eine seriös organisierte, straflose Beihilfe zum Suizid in Deutschland möglich sein, insbesondere dann, wenn sich einwilligungsfähige Patienten einen voraussehbaren, quälend langen Leidensweg oder gar die Gefahr des Erstickungstodes ersparen wollen. In solchen Fällen ist es mit der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (Rz. 7) auch nicht angebracht, die Suizidbeihilfe durch entsprechende Organisationen oder durch Ärzte, also durch fachlich kompetente Personen, als berufsrechtlich unerlaubt anzusehen und über das Ordnungsrecht zu untersagen, wie dies behördlicherseits (unter Billigung der Verwaltungsgerichtsbarkeit) indes geschehen ist.6 Die bloße Straflosigkeit der sog. mittelbaren Sterbehilfe, gegen die auch ordnungsrechtlich bislang noch nie eingeschritten worden ist, fängt nur einige der besonders drängenden Fälle auf (s. Rz. 6) und steht im Strafrecht ohnedies dogmatisch nicht außerhalb jeden Zweifels.

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Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung7, die in der ärztlichen Praxis bislang eine wesentliche Rolle spielten, obwohl es sich dabei lediglich um Richtlinien oder Empfehlungen handelt, sind vor dem Hintergrund der Neuregelung der Problematik im Betreuungsrecht in §§ 1901a, 1901b, 1904 BGB und §§ 287 Abs. 3, 298 FamFG im Jahre 2009 mittlerweile angepasst 1 S. BGH v. 15.11.1996 – 3 StR 79/96, BGHSt 42, 301 (Mord bei hoher Dosis eines Opiates; der Arzt hatte das Testament der 88-jährigen Patientin zu seinen Gunsten verfälscht). 2 Näher Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, 2010; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 986. 3 VG Berlin v. 30.3.2012 – VG 9 K 63.09, MedR 2013, 58 m. Anm. Hübner; anders noch VG Gera v. 7.10.2008 – 3 K 538/08 Ge, ZfL 2009, 29; VG Karlsruhe v. 11.12.1987 – 8 K 205/87, NJW 1988, 1536. 4 OLG München v. 31.7.1987 – 1 Ws 23/87, NJW 1987, 2940. 5 Dazu Duttge, ZfL 2012, 51; Kutzer, ZRP 2012, 135; Lindner, NJW 2013, 136 (für die Annahme einer Verfassungswidrigkeit eines kategorischen Verbots ärztlicher Suizidassistenz); Strätling, MedR 2012, 283; Schliemann, ZRP 2013, 51; Kempf, JR 2013, 11; Stellungnahme BÄK, ZfL 2012, 59; Stellungnahme CDL, ZfL 2012, 47; Stellungnahme Deutsche Hospiz Stiftung, ZfL 2012, 61; Lüttig, ZRP 2008, 57; Müller-Piepenkötter, ZfL 2008, 66; v. Lewinski, ZRP 2008, 226; Goll/Saliger, ZRP 2008, 199; Hilgendorf, Jahrbuch für Recht und Ethik 15 (2007), 481 ff. 6 S. VG Gera v. 7.10.2008 – 3 K 538/08 Ge, ZfL 2009, 29; überzeugender dagegen VG Berlin v. 30.3.2012 – VG 9 K 63.09, MedR 2013, 58 m. Anm. Hübner. 7 DÄBl. 2011, A-346. 1038

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worden. Ebenso wenig wie die §§ 1901a ff. BGB selbst haben diese Anpassungen, die sich eher auf Klarstellungen i.S.d. neuen Normen im BGB beschränken, in der medizinischen Praxis zu substanziellen Umakzentuierungen geführt1. 3. Tod und Todeszeit Die Diskussionen um Sterbehilfe und Transplantation haben nicht nur die juristische Diskussion um den Todesbegriff belebt, sondern auch in der Bevölkerung ihren Widerhall gefunden. Ja sogar Befürchtungen sind geweckt worden, ermöglicht doch eine möglichst frühe Feststellung des Todes besonders effiziente Transplantationen. Sowohl in Bezug auf den Problemkreis der Sterbehilfe als auch in Bezug auf Transplantation und Sektion wird der Mandant daher im Einzelfall Auskunft über den juristisch relevanten Todesbegriff erbitten. Bekanntlich ist die Rechtsentwicklung vom früheren Kriterium des Herztodes zum Hirntod geschritten2. Der Grund liegt im Wesentlichen darin, dass das Hirn das Zentrum einer jeden menschlichen Persönlichkeit ist. Abgesehen davon ist die moderne Apparatemedizin seit längerem in der Lage, den Ausfall der Herzfunktionen für eine gewisse Zeit zu ersetzen. Auch kann ein fremdes Herz implantiert werden. Zum Teil wird der Begriff des Hirntodes auch – in Anlehnung an die ältere Definition des irreversiblen Herz- und Kreislaufversagens – durch das irreversible Hirnversagen konkretisiert3. Der Todesbegriff führt insbesondere zu der Frage, ob und wann der Arzt zum Entzug maschineller Unterstützung berechtigt ist. Jedenfalls nach festgestelltem Todeseintritt kann man hiervon ausgehen.

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Indes ist der Tod, zumal der Hirntod, jedenfalls medizinisch nicht zeitlich exakt zu fixieren, sondern ein Prozess. Der Hirntod kann zwar als eingetreten festgestellt, aber nicht seinem Beginn nach genau festgelegt werden. Gerade bei Fragen des Versicherungsschutzes, der Rechtsnachfolge und der Auflösung familiärer Bande ist indes die Festlegung eines solchen Zeitpunktes notwendig. Bisher hat die Rechtsprechung gleichwohl auf den Hirntod abstellen können4. Vor besondere Probleme stellt die Verwendung des Hirntodkriteriums nicht nur, wenn lebende Hirnzellen, insbesondere fetale, verpflanzt werden sollen, sondern auch beim Anencephalus, also dem Neugeborenen, bei dem neben dem Schädeldach wesentliche Teile des Gehirns fehlen oder degeneriert und bei dem die Organe (zunächst) funktionsfähig sind. Man hat solche Neugeborenen zum Teil maschinell länger in ihren organischen Funktionen fort„leben“ lassen, insbesondere zum Zwecke von Transplantationen. In der Zwischenzeit ist man in der Lehre dazu übergegangen, auch die schlichte Funktion der Hirnrinde zur Annahme von juristischem Leben, das durch Tötung zum Erlöschen gebracht werden kann5, genügen zu lassen. Freilich hat man sich mit einer solchen Definition wieder von der eigentlichen Wurzel des Hirntodkriteriums entfernt, da die bloße Hirnrinde kaum die Persönlichkeit eines Menschen ausmacht. Viel spricht für

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1 Daselbst sub VI.2. 2 Statt aller: H.-L. Schreiber, JZ 1983, 593 ff.; Klinge, S. 92 ff. 3 S. § 29 AusführungsVO zum PStG idF. v. 24.3.1994, BGBl. I S. 621; zu den maßgeblichen klinischen Symptomen DÄBl. 1998, A-1861. 4 OLG Köln v. 24.2.1992 – 2 Wx 41/91, FamRZ 1992, 860 = NJW-RR 1992, 1480; OLG Frankfurt v. 11.7.1997 – 20 W 254/95, FamRZ 1998, 190 = NJW 1997, 3099. 5 Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl. 2014, Vorb. § 211 Rz. 14; Isemer/Lilie, MedR 1988, 66 (68 f.). Spickhoff

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einen differenzierenden Todesbegriff, so dass teilweise – insbesondere im Zusammenhang mit Versorgungsfragen, Versicherung, Familie und Erbschaft – wieder auf den Herz-Kreislauf-Tod abgestellt werden kann1. 12

In Bezug auf die Transplantation geht das Transplantationsgesetz vom 5.11.1997 (BGBl I, S. 2631) ohnedies eigene Wege. Nach dessen § 3 ist die Entnahme von Organen nur zulässig, wenn der Tod des Organspenders nach den Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Und unzulässig ist die Entnahme von Organen obendrein, wenn nicht vor der Entnahme bei dem Organspender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Zur Organtransplantation kommt es also mindestens auf den Hirntod (unter Einbeziehung des Anencephalus) an, wobei das Gesetz offen gelassen hat, ob darüber hinaus zusätzlich auch noch – wieder nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft – auf den Herz-Kreislauf-Tod oder auf andere Kriterien abzustellen ist. 4. Sektion

Beratungssituation: Der Mandant möchte über seine Möglichkeiten, nach dem Tode positiv oder negativ auf die Sektion (bzw. Obduktion, Autopsie oder Nekropsie) seines Körpers sowie auf Transplantationen von seinem Körper Einfluss zu nehmen, informiert werden. 13

Die Sektion (Obduktion, Autopsie, Nekropsie) ist die Leichenöffnung zur Erkennung von Krankheiten und Todesursachen, die sog. innere Leichenschau. Daneben kennt man noch die Anatomiesektion zur Ausbildung von Medizinstudenten sowie zur Forschung als Sonderform. Aufgrund dieser Zwecke ist die Sektion außerordentlich wichtig. Gleichwohl stehen ihr ernst zu nehmende Interessen gegenüber, zu denen nicht nur das Pietätsgefühl gehört. Es geht um das Dispositionsrecht über den Rückstand des Menschen und damit über das postmortale Persönlichkeitsrecht am Leichnam. Jede Sektion stellt insoweit einen Eingriff dar, der der besonderen Rechtfertigung bedarf. Autopsien sind daher – unvermeidbar – zulässig, wenn sie kraft gesetzlicher Ermächtigung öffentlich-rechtlich angeordnet sind, wie etwa im Falle des § 87 StPO (Leichenöffnung bei Verdacht eines unnatürlichen Todes). Auch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) ermöglicht Sektionen. Nach § 25 Abs. 4 IfSG ist Ärzten von Gesundheitsämtern und deren ärztlichen Beauftragten die Untersuchung der Verstorbenen zu gestatten, wenn diese krank, krankheitsverdächtig oder sog. Ausscheider waren. Die zuständige Behörde kann dann auch die innere Leichenschau anordnen, wenn dies vom Gesundheitsamt für erforderlich gehalten wird. Zweifelhaft ist eine Entscheidung des BGH2, wonach Klinikaufnahmebedingungen einer Universitätsklinik, die eine „Sektionseinwilligung“ des Inhalts enthalten, dass bei Nicht-Widerspruch wegen wissenschaftlichen Interesses oder zur Feststellung der Todesursache die Sektion zulässig ist, nicht gegen das AGB-Recht verstoßen3. Das OLG Karlsruhe 1 S. auch Spickhoff, Medizinrecht, § 1 BGB Rz. 7–12 m.w.N. 2 BGH v. 31.5.1990 – IX ZR 257/89, MDR 1990, 999 = NJW 1990, 2313. 3 Ob die Klausel überraschend war, hatte der BGH im Rahmen der Verbandsklage nicht zu prüfen. 1040

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hat dieser Entscheidung offen die Gefolgschaft versagt1. In Patientenverfügungen kann diese Möglichkeit der Sektion eindeutig ausgeschlossen werden. Allerdings ist Sorge dafür zu tragen, dass das Krankenhaus hiervon rechtzeitig Kenntnis erhält. Abgesehen davon kann die Einwilligung zur Sektion vom Patienten zu Lebzeiten erklärt werden. Nach dem Tode des Patienten geht das Recht auf Zustimmung zur Obduktion auf die nahen Angehörigen über. Diese sind über das Ausmaß des Eingriffs (z.B. die spätere Nicht-Beigabe von wesentlichen der zuvor entnommenen Organe wie dem Gehirn) zureichend (wenngleich rücksichtsvoll) aufzuklären; fehlt es daran, kommen Ansprüche auf immateriellen Schadensersatz der Angehörigen (aus eigenem Recht) wegen Verletzung des Totenfürsorgerechts aus § 823 Abs. 1 BGB (Verletzung eines sonstigen Rechts) in Betracht2. Ist die Betreuung angeordnet worden, so kann der Betreuer im Rahmen seiner Kompetenz gleichfalls der Obduktion zustimmen. Endgültige Anordnungen des Verstorbenen in einer Patientenverfügung gehen dem Willen der nächsten Angehörigen sowie einer Entscheidung des Betreuers allerdings vor3. Anders als bei der Transplantation ist die Frage nach der Zulässigkeit und auch den Grenzen einer Obduktion oder Sektion gesetzlich bisher nicht geregelt. Dienstanweisungen haben die vom Gesetzgeber vernachlässigte Aufgabe mehr schlecht als recht übernommen. Es ist deshalb besonders wichtig, den Mandanten insoweit vorsorglich zu beraten; entsprechende Verfügungen, die freilich erst die Zeit nach dem Tode betreffen, entfalten eine besondere praktische Relevanz. Das gilt übrigens auch, wenn es um die Rechtfertigung einer Obduktion kraft positiver Güterabwägung geht. Diese kann im überwiegenden Interesse der Wissenschaft und der Klinik liegen, etwa bei Verdacht einer opportunistischen Infektion, einer Überbehandlung, toxischer Schädigungen oder Unklarheiten bei der Behandlungsfolge bzw. beim Todeseintritt. Nur im Einzelfall kann die Notwendigkeit der inneren Leichenschau als so groß erscheinen, dass sie sogar den ausdrücklichen Widerspruch des Patienten bzw. seiner Angehörigen beiseite schiebt. Abgesehen davon verstärkt aber – jedenfalls in der Praxis – der Widerspruch gegen die Sektion die (an sich ausreichende) Nichteinwilligung4.

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5. Organtransplantation Die Organtransplantation ist im Transplantationsgesetz (TPG) geregelt5. Es gilt nur zum Zwecke der Organtransplantation auf andere Menschen (§ 1 Abs. 2 TPG). Abgesehen von Blut und Knochenmark sowie embryonalen und fetalen Organen und Gewebe ist das TPG auf alle Arten von menschlichen Organen, Organteilen oder Geweben anwendbar. Auch die Entnahme von nicht durchbluteten Körperteilen, etwa der Hornhaut, bedarf der Zustimmung des Spenders bzw. seiner Angehörigen. Ein Veto des Organspenders schließt die Organtransplantation aus (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 TPG). Eine Entnahme kraft vermuteter Zustimmung 1 OLG Karlsruhe v. 26.7.2001 – 9 U 11/01, FamRZ 2002, 61 = NJW 2001, 2808. 2 OLG Karlsruhe v. 26.7.2001 – 9 U 11/01, FamRZ 2002, 61 = NJW 2001, 2808 (in casu – ausnahmsweise – wegen entschuldigten Rechtsirrtums Anspruch abgelehnt). 3 Näher zur Obduktion Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, 2011, 169 ff.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 1039–1046. 4 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 1043. 5 Das TPG in der Neufassung v. 4.9.2007 (BGBl. I, S. 2206), zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.7.2013 (BGBl. I, S. 2423). Spickhoff

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ist nicht zulässig. Auch dürfte eine in Klinikaufnahmebedingungen unterstellte Zustimmung nicht genügen. Beim Fehlen einer schriftlichen Einwilligung oder des schriftlichen Widerspruchs sind nächste Angehörige zu befragen, und zwar (der Reihe nach) der Ehegatte, volljährige Kinder, Eltern bzw. der Inhaber des Sorgerechts, volljährige Geschwister sowie schließlich Großeltern (§ 4 Abs. 2 TPG). Zweifelhaft ist, ob eine Organtransplantation durch Notstand auch bei fehlender Zustimmung des Spenders bzw. seiner Angehörigen gerechtfertigt werden kann1. Wenn überhaupt, dann besteht eine Pflicht zur Spende nach Notstandsgrundsätzen jedenfalls nur beim Toten. Da die Abwägung im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) eine Transplantation an sich außerordentlich häufig legitimieren würde, wird man im Prinzip eine Rechtfertigung durch Notstand nicht akzeptieren können. Das TPG beinhaltet weitgehend vorrangige Spezialregelungen und verdrängt – freilich nicht ausdrücklich – im Allgemeinen § 34 StGB. Wesentlich ist der Vorrang der Entscheidung des Spenders. Die Entscheidung über die Organspende kann in den üblichen Formularen dokumentiert werden, sie kann aber auch in eine Patientenverfügung aufgenommen werden. Dabei ist es übrigens möglich, anstelle der in § 4 Abs. 2 TPG aufgeführten Personen auch eine andere Person (z.B. eine befreundete Person oder einen Lebensgefährten) zu benennen, die dann an die Stelle des nächsten Angehörigen tritt (§ 4 Abs. 3 TPG). Daraus ergibt sich, dass der Spender auch von der in § 4 Abs. 2 TPG vorgesehenen Rangfolge abweichen kann, wenn er andere Personen über eine Organentnahme entscheiden lassen will.

III. Einwilligungsfähigkeit Beratungssituation: Der Mandant fragt, wie lange er selbst noch rechtlich verbindliche Entscheidungen über ärztliche Maßnahmen festlegen kann. 16

Von wesentlichem Interesse für den Mandanten wird zunächst einmal die Frage sein, ab wann eine sog. Patientenverfügung überhaupt relevant wird, oder umgekehrt, wie lange ein Patient noch rechtlich verbindlich und aktuell autonome Entscheidungen über ärztliche Maßnahmen treffen kann. 1. Der einwilligungsfähige Patient

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Wenn und solange ein Patient einwilligungsfähig ist, trägt nach bereits bisher allgemeiner Ansicht die durch zureichende Aufklärung unterlegte Einwilligung medizinische Maßnahmen, welche die körperliche Integrität berühren. Davon geht auch § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB aus. Umgekehrt löst eine verweigerte Einwilligung des einwilligungsfähigen Patienten prinzipiell die Rechtswidrigkeit von ärztlichen Maßnahmen aus. Genau genommen kommt es allerdings nicht einmal auf eine Verweigerung der Einwilligung an. Vielmehr betritt der Arzt mit jeder nicht durch eine Einwilligung getragenen Maßnahme den Bereich rechtswidrigen Verhaltens. Das wird gerade auf Intensivstationen häufig missachtet; man denke etwa an das Einbringen eines Katheters ohne vorherige Einwilligung eines Patienten. Wichtig ist auch, dass der Patient, solange er einwilligungsfähig ist, eine vorher gegebene Zustimmung jederzeit widerrufen und den Abbruch ei1 Dafür Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 1275 m.w.N., auch zur (wohl herrschenden) Gegenmeinung. 1042

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ner einmal eingeleiteten Behandlung verlangen kann (§ 630d Abs. 3 BGB). Hilfreich (oder gegebenenfalls auch gefährlich) ist es in der Praxis, wenn bereits vor der Maßnahme entsprechende schriftliche Erklärungen des Patienten vorliegen. Denn oft wird der Zustand der Einwilligungsfähigkeit von Ärzten angezweifelt. Das Personal wird sich dann eher an schriftliche Vorgaben als an mündliche Wünsche des Patienten halten, mögen sie nun dessen aktuellem Willen entsprechen oder gar widersprechen. Einen Anspruch auf bestimmte Behandlungen hat der Patient grundsätzlich nicht mehr, wenn es um besonders kostenintensive, nach ärztlichem Ermessen indes sinnlos erscheinende (Intensiv-)Behandlungsmaßnahmen geht. Denn zur Annahme eines Anspruchs auf Behandlung ist (vom Sonderfall kosmetischer Maßnahmen abgesehen) eine entsprechende medizinische Indikation erforderlich1. Auch wirtschaftliche Überlegungen können in diesem Zusammenhang zur Entscheidungsfindung beitragen. Darauf, dass die Behandlungskosten durch die Krankenversicherung nicht oder nicht vollständig übernommen werden, ist der Patient hinzuweisen, wenn die Behandlungsseite dies weiß oder dafür konkret hinreichende Anhaltspunkte bestehen (§ 630c Abs. 3 BGB). Es geht nicht an, knappe finanzielle Mittel zuvörderst bei den Intensivstationen zu konzentrieren, um sie jedem vom Sterben Bedrohten und vorrangig vor allen nicht lebensbedrohlich Erkrankten zukommen zu lassen, selbst wenn die Lebensverlängerung nur von kurzer Dauer ist oder gar völlig unsicher erscheint. Immerhin wird man eine gewisse Basisversorgung (Ernährung, Reinigung, Schmerzstillung u.Ä.) als prinzipiell geschuldet anzusehen haben, so dass die Variante eines totalen Behandlungsabbruchs ausscheidet, es sei denn, der Patient wünscht dies2. Vor einem totalen Behandlungsabbruch braucht sich ein Patient also nicht zu fürchten3. Der wohlhabende Patient, der die Übernahme entsprechender Kosten privat zugesagt hat, kann dagegen auch dann in den Genuss von Behandlungsmaßnahmen kommen, wenn Krankenkassen eine entsprechende Behandlung nicht mehr übernehmen. Voraussetzung ist allerdings, dass entsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Wunsch nach möglichst weitgehender Behandlung sollte, wenn er besteht, in einer Patientenverfügung also deutlich zum Ausdruck gebracht werden.

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2. Die Konkretisierung der Einwilligungsfähigkeit Auch wenn ein Patient (noch) äußerungsfähig ist, können gleichwohl an seiner Einwilligungsfähigkeit Zweifel bestehen, und zwar entweder in Bezug auf fehlende Volljährigkeit oder in Bezug auf sonstige Umstände, die der Einwilligungsfähigkeit des Erwachsenen entgegenstehen. Die eigene Grenzsituation, in der sich ein Patient befindet, führt ihn oft geradezu auch in den Grenzbereich der Einwilligungsfähigkeit. 1 Laufs, NJW 1996, 763; näher Spickhoff, Die Eingriffsindikation im Wandel der Zeit, in Lifestyle-Medizin – von der medizinischen Indikation zum modischen Trend (Hrsg. AG Anwälte im MedR), 2012, 10. 2 Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2298). Einen Anspruch auf Anschluss an eine Beatmungsmaschine (ohne Aussicht auf Besserung) verneint LG Karlsruhe v. 30.8.1991 – 10 O 291/91, NJW 1992, 756. 3 Schmoller, ÖJZ 2000, 361 (375). Umfassend Kühl, Wirtschaftlichkeitsgebot und Vertragsarztrecht im Strafrecht, 2014. Spickhoff

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Bei Minderjährigen ist die Einwilligungsfähigkeit durch den Gesetzgeber bislang nicht geregelt. Es besteht Streit darüber, ob die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund für einen Eingriff durch Ärzte in die körperliche Integrität allein vom einwilligungsfähigen Minderjährigen1 oder zusammen mit den Sorgeberechtigten (Eltern) abzugeben ist2; zum Teil wird für ein Vetorecht des Minderjährigen bei bestimmten Eingriffen plädiert3. Sodann sind die Kriterien zur Ermittlung der Einsichtsfähigkeit nicht fixiert4. Die konkreten Umstände des Einzelfalles sind maßgeblich. Denn die Einwilligungsfähigkeit ist zeitlich und gegenständlich relativ zu bestimmen5. Der BGH6 hat im Falle eines nur relativ indizierten Eingriffs mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für die künftige Lebensgestaltung ein Vetorecht des Minderjährigen gegen die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter angenommen, wenn ausreichende Urteilsfähigkeit vorliegt. Konkret hatte die Operation zu einer Querschnittslähmung des Patienten geführt, der an Verwachsungen und Falschgelenkbildungen litt und zur Zeit der Maßnahme vierzehn Jahre alt war. Im Übrigen ist der BGH nicht näher und jedenfalls nicht grundsätzlich auf die Diskussion über die Frage eingegangen, ob es zwischen eindeutiger Einwilligungsunfähigkeit und Geschäftsfähigkeit einen Graubereich gibt, in dem gegebenenfalls die Zustimmung von Patienten und gesetzlichen Vertretern erforderlich ist. Übrigens soll der Arzt im Allgemeinen darauf vertrauen können, dass die Aufklärung und Einwilligung der Eltern genügt. Dahinter steht offenbar die Prämisse, dass die (aufgeklärten) Eltern ihre (an sich selbst urteilsfähigen) Kinder über das Aufklärungsgespräch zureichend informieren. Das dahinter stehende „Stille-Post-Prinzip“ erscheint zweifelhaft. Jedenfalls wird man die Entscheidung nicht dahin missverstehen dürfen, dass die Einwilligungsfähigkeit überhaupt erst mit dem Eintritt der Volljährigkeit einsetzen kann. M.E. kommt es im Falle feststehender Einwilligungsfähigkeit auf eine zusätzliche Zustimmung der Sorgeberechtigten nicht an, was aber nicht dazu führen sollte, dass die Eltern aus dem Entscheidungsprozess des Minderjährigen möglichst weitgehend ausgeschaltet werden7. § 630d Abs. 2 BGB erklärt die Aufklärung, genauer: „Erläuterung“ des Eingriffs gegenüber einem verständigen Einwilligungsunfähigen gem. § 630e Abs. 5 BGB zwar nicht zur Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung. Ob indes der einwilligungsfähige Minderjährige allein entscheiden kann oder ob (und gegebenenfalls wann) er nur ein „Vetorecht“ hat, bleibt (leider) nach wie vor unbeantwortet. Das Problem der Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen kann im Übrigen über Patientenverfügungen nicht privatautonom beeinflusst werden und bedarf deshalb an dieser Stelle 1 Dafür z.B. OLG Karlsruhe v. 31.3.1983 – 4 U 179/81, FamRZ 1983, 742 (743); Deutsch, AcP 192 (1992), 161 (175). 2 Dafür Kohte, AcP 185 (1985), 105 (143 ff.). 3 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rz. 110. Näher und umfassend zum Ganzen Gleixner-Eberle, Die Einwilligung in die medizinische Behandlung Minderjähriger, 2014, 215 ff. 4 Hierzu etwa MüKo.BGB/Schwab, 5. Aufl. 2008, § 1904 Rz. 8. 5 Prinz von Sachsen Gessaphe, S. 333 ff., insbesondere 343 ff. (umfassend, auch zum Diskussionsstand). 6 BGH v. 10.10.2006 – VI 74/05, VersR 2007, 66 = BGH v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05, MDR 2007, 401 = FamRZ 2007, 130. S. auch Golbs, Das Vetorecht eines einwilligungsunfähigen Patienten, 2006. 7 Für eine regelmäßige Beteiligung des gesetzlichen Vertreters bis zur Mündigkeit des Betroffenen Pawlowski, FS Hagen, S. 5 (13 ff., 19); Lipp, S. 33 f. 1044

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keiner weiteren Vertiefung. Denn für eine gem. § 1901a Abs. 1 BGB verbindliche Patientenverfügung ist die Geschäftsfähigkeit des Patienten zur Zeit der Errichtung der Erklärung erforderlich. Im Bereich der Volljährigen ist im Ausgangspunkt anerkannt, dass ein einwilligungsfähiger Betreuter allein einwilligen kann1. Zweifelhaft ist jedoch, ob die Einwilligung des Betreuten ausreicht, wenn seine Einwilligungsfähigkeit nicht feststeht2. Ebenso zweifelhaft ist, ob die Einwilligung des Betreuten genügt, wenn die Betreuung gerade für den gesundheitlichen Bereich (im Ganzen oder für eine einzelne Behandlungsmaßnahme) angeordnet wurde3. Schließlich ist die Möglichkeit der gerichtlichen Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zugunsten des Betreuers entsprechend § 1903 BGB umstritten, welcher zur Folge hätte, dass kumulativ die Zustimmung von Betreutem und Betreuer erforderlich wäre4. Aufgrund der tendenziell geringeren persönlichen Nähebeziehung des Betreuers zum Betreuten im Vergleich zur Eltern-Kind-Beziehung sollte es bei feststehender Einwilligungsfähigkeit in jedem Fall allein auf die verweigerte oder gegebene Einwilligung des Patienten ankommen. Die Einwilligungsfähigkeit ist wie stets auf die konkrete Situation bezogen festzustellen. Gerade bei Schwerkranken am Ende des Lebens gilt es, besonders darauf zu achten, ihr Selbstbestimmungsrecht nicht zu beschneiden. Daher sollte auch § 1903 BGB in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung nicht analog angewandt werden5.

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3. Der nicht einwilligungsfähige Patient Ist der Betreute nicht (mehr) einwilligungs-, aber noch äußerungsfähig, so sind die Wünsche bzw. der mutmaßliche Wille des Betroffenen maßgeblich. Dem dient die (nicht zur Wirksamkeit der Einwilligung erforderliche, § 630d Abs. 2 BGB) Information solcher Einwilligungsunfähiger gem. § 630e Abs. 5 BGB. Den Wünschen des Betreuten hat man prinzipiell zu entsprechen (§ 1901 Abs. 2 BGB), wenn diese nicht ohnehin verbindlich sind (§ 1901a Abs. 1 BGB). Sowohl bei der Auswahl des Betreuers als auch bei der Ermittlung der Wünsche des Betreuten sind Äußerungen in einer Patientenverfügung von wesentlicher Bedeutung. Ist der Betreute nicht mehr äußerungsfähig, ist objektiv abzuwägen, wiederum gegebenenfalls unter Rückgriff auf die in früherem Zustand geäußerten Wünsche. Äußert der Betreute aktuelle Wünsche, die seinem „objektiven“ Wohl und der Einschätzung des Betreuers zuwiderlaufen, so ist die Versagung der Einwilligung des Betreuten gleichwohl maßgeblich. Das sollte – außerhalb der Fälle von Zwangsbehandlungen gem. § 1906 Abs. 3 BGB – in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB allerdings nur gelten, wenn und soweit nicht die Gefahr besteht, dass der Betreute ohne die medizinische Maßnahme stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet6. Etwas anderes ließe sich mit den grundrechtlichen Schutzpflichten, die den Staat 1 BT-Drucks. 11/4520, S. 141; LG Kassel v. 5.1.1996 – 3 T 859/95, 3 T 860/95, FamRZ 1996, 1501. 2 Dazu Staudinger/Bienwald, Bearbeitung 2006, § 1904 Rz. 20. 3 Für Vorrang der Betreuerentscheidung Staudinger/Bienwald, § 1904 Rz. 29. 4 Dafür Kuhlmann, Einwilligung in die Heilbehandlung alter Menschen, 1996, 188; dagegen MüKo.BGB/Schwab, § 1904 Rz. 9. 5 Taupitz, 63. DJT (2000) A 63. 6 Lipp, S. 166; Lipp, DRiZ 2000, 231 (236). Spickhoff

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treffen, nur schwer vereinbaren. Geht es nicht um die Versagung der Einwilligung in eine medizinische Behandlung, sondern wünscht der (nicht einwilligungsfähige) Betreute eine medizinisch gebotene (Weiter-)Behandlung, so überwindet dieser Wunsch – der zumindest typischerweise nicht auf eine Selbstschädigung gerichtet ist – eine entsprechende Ablehnung des Betreuers1. Grenzen einer ärztlichen Behandlung ergeben sich hier lediglich aus der medizinischen Indikation. Insbesondere kommt es auf keinen Fall darauf an, ob durch medizinische Maßnahmen, die dem Wunsch des Betreuten entsprechen, dessen Vermögen geschmälert wird. Mögliche Interessen späterer Erben treten allemal hinter die Autonomie des Betreuten zurück2. Davon zu trennen ist die Frage nach der Verteilung knapper medizinischer Ressourcen. Besteht für den Betreuten Todesgefahr oder die Gefahr für erhebliche gesundheitliche Schäden und widerspricht er gleichwohl den erforderlichen ärztlichen Maßnahmen, so muss die objektive Interessenabwägung für die Lebensverlängerung sprechen. Im Falle von „Patt-Situationen“ bei der Abwägung setzt sich der Wille des Patienten durch. 23

Problematisch ist, wie im Falle von Zwangsbehandlungen zu verfahren ist. Dabei wird unter den Begriff der Zwangsbehandlung, im BGB mittlerweile in § 1906 Abs. 3, 3a und 5 BGB geregelt, wohl jede medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen des Patienten zu verstehen sein3. Was im Einzelnen den „natürlichen Willen“ kennzeichnet, ist leider alles andere als endgültig geklärt4. Fraglich ist zudem, ob die mit natürlichem Willen erklärte Ablehnung einer Maßnahme eine Patientenverfügung oder Behandlungsvereinbarung außer Kraft setzen kann. Das widerspräche deutlich dem Sinn solcher autonomen Festlegungen der Patienten. Ungeachtet dessen ist es aber gewiss empfehlenswert, in eine Patientenverfügung (bzw. Behandlungsvereinbarung) ausdrücklich den Fall aufzunehmen, dass die Behandlung selbst dann stattfinden soll, wenn der medizinisch gebotenen Behandlung später womöglich ein natürlicher Wille des dann Einwilligungsunfähigen entgegensteht5.

IV. Genehmigung des Betreuungsgerichts 24

Der Gesetzgeber ist im neugefassten § 1904 BGB im Prinzip der seit 2003 eingeschlagenen Linie des Familiensenats des BGH6 gefolgt. Nach § 1904 Abs. 2 BGB bedarf auch die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Heileingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Scha1 Lipp, S. 167. 2 Lipp, S. 167. 3 Im Anschluss an BVerfG v. 3.2.2011 – 2 BvR 882/09, BVerfGE 129, 282 = FamRZ 2011, 1128. 4 Mit Grund krit. Beckmann, JZ 2013, 604; Koller, FPPK 2014, DOI 10.1007/s11757014-0273-4 (online). 5 Koller, FPPK 2014, DOI 10.1007/s11757-014-0273-4 (online). 6 BGH v. 17.3.2003 – XII ZB 2/03, MDR 2003, 691 = FamRZ 2003, 748 = JZ 2003, 732 m. krit. Anm. Spickhoff; ebenso BGH v. 8.6.2005 – XII ZR 177/03, MDR 2005, 1413 = FamRZ 2005, 1474. 1046

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den erleidet. Grundsatz ist also im Falle des Abbruchs lebensverlängernder Maßnahmen die Genehmigung des Betreuungsgerichts. Dieser Grundsatz und die gebotene Vorsicht bei solcherart irreversiblen Entscheidungen werden dadurch verfahrensrechtlich noch einmal unterstrichen, dass nach § 287 Abs. 3 FamFG ein entsprechender Beschluss erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam wird. Nach § 1904 Abs. 4 BGB ist in Anlehnung an die bereits erwähnte Linie des Familiensenats des BGH nun normiert, dass (ausnahmsweise) eine Genehmigung durch das Betreuungsgericht nicht erforderlich ist, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht. Damit entfällt das Erfordernis der Genehmigung durch das Betreuungsgericht nicht nur im Falle des Abbruchs lebensverlängernder Maßnahmen, sondern auch – über die bisherige Rechtsprechung des BGH hinausgehend – im Falle positiver, lebensverlängernder medizinischer Maßnahmen. Das erscheint als konsequente Verlängerung der bisherigen Linie. Voraussetzung für den Wegfall der Genehmigungspflicht ist, dass der Wille des Patienten nach § 1901a BGB festgestellt worden ist. Diese Feststellung kann auch ein Bevollmächtigter treffen (§ 1901a Abs. 5 BGB). Festzustellen ist in jedem Falle, ob Festlegungen in einer Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation „zutreffen“. Fehlt es an einer entsprechenden Patientenverfügung, sind ggf. aktuelle Behandlungswünsche bzw. ist der mutmaßliche Wille des Betroffenen festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Als prozedurale Voraussetzung für die Feststellung des Patientenwillens (mit oder ohne Patientenverfügung) sind obendrein die nach § 1901b BGB notwendigen Gespräche zur Feststellung des Patientenwillens zu führen bzw. die entsprechenden Gelegenheiten zur Äußerung durch nahe Angehörige oder sonstige Vertrauenspersonen sicherzustellen.

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Als durchaus problematisch kann sich der vom Gesetzgeber offensichtlich unreflektiert verwendete Singular „der“ behandelnde Arzt (vgl. § 1901b Abs. 1, ähnlich § 1904 Abs. 4 BGB) erweisen. Auch im Bereich der Medizin wird längst arbeitsteilig zusammengewirkt. An der Behandlung eines Patienten sind oft, in vielen Bereichen geradezu typischer- bzw. notwendigerweise, Ärzte verschiedener Disziplinen, jeder zuständig für seinen Aufgabenbereich, beteiligt (sog. horizontale Arbeitsteilung).1 Innerhalb einer Fächerdisziplin lässt sich zwar im Allgemeinen die Entscheidungszuständigkeit vom Facharzt über den Oberarzt bis hin zum Chefarzt recht einfach verfolgen. Wenn unterschiedliche Disziplinen beteiligt sind, ist offensichtlich, dass keineswegs nur „ein“ Arzt „behandelt“. Es kann dann nicht darauf ankommen, welcher Arzt in welcher Stunde für welchen Patienten gerade „zuständig“ ist. Deutlich geworden ist die Problematik einer Anbindung an die Entscheidung „des“ behandelnden („zuständigen“) Arztes in einer Reihe von Entscheidungen, in denen es um den Abbruch lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen bei einem vier Jahre alten Kind ging, das nach einem missglückten diagnostischen Eingriff im apallischen Syndrom an schweren Spastiken litt. Zur Behandlung der Spastiken wurde die operative Einführung ei-

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1 Näher dazu etwa Soergel/Spickhoff, 12. Aufl. 2005, § 823 Anh. I, Rz. 73–76; MüKo. BGB/Wagner, § 823 Rz. 752–755; Bamberger/Roth/Spindler, § 823 Rz. 726 ff., jew. m.w.N. Spickhoff

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ner sog. Spastik-Pumpe vorgeschlagen. Die Eltern und die behandelnden Kinderchirurgen wollten nicht nur den Eingriff unterlassen, sondern die lebenserhaltende Ernährung beenden. Die zuständigen Ärzte auf der Rehabilitations-Abteilung des Krankenhauses sprachen sich für eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung aus. Das Jugendamt, offensichtlich alarmiert durch Ärzte der Rehabilitationsklinik, setzte beim Amtsgericht durch, dass den Eltern einstweilen das Sorgerecht im Hinblick auf die betreffenden medizinischen Maßnahmen bzw. deren Unterlassung entzogen wurde. Das OLG Hamm schlug sich auf die Seite der Eltern. Angesichts des Streits der Ärzte untereinander bestand das BVerfG zunächst auf der Weiterernährung; die Entscheidung wurde allerdings durch den Tod des Kindes überholt.1 Insgesamt wird man in Fällen der Arbeitsteilung in der Medizin von einer mehrfachen Zuständigkeit der verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen auszugehen haben. Es gibt unter Umständen eben mehrere behandelnde Ärzte. Das Einvernehmen nach § 1904 Abs. 4 BGB ist dann zwischen allen behandelnden Ärzten und dem Betreuer herzustellen. Anderenfalls ist der (ohnedies eng auszulegende) Ausnahmetatbestand des § 1904 Abs. 4 BGB mit der Rechtsfolge der Entbehrlichkeit einer Genehmigung durch das Betreuungsgericht nicht erfüllt.

V. Die sog. Patientenverfügung Beratungssituation: Der Mandant bittet um Information und Hilfe bei der – soweit wie möglich rechtsverbindlichen – Festlegung und Durchsetzung seines Willens in Bezug auf medizinische Maßnahmen. 1. Definition, Rechtsnatur, Voraussetzungen 27

§ 1901a Abs. 1 BGB definiert eine Patientenverfügung, welche die daran gebundenen Rechtsfolgen auslöst, folgendermaßen: Ein einwilligungsfähiger Volljähriger muss für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt haben, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Rz. 1 f.). Von der Rechtsnatur her wird man sog. Patientenverfügungen nicht als Willenserklärungen im rechtstechnischen Sinne verstehen dürfen. Es handelt sich genau genommen um eine Sonderform der Einwilligung; diese teilt deshalb (mit den gesetzlich hinzu gekommenen Besonderheiten) deren Rechtsnatur.2 Das zeigt sich schon daran, dass das Gesetz nicht auf die Geschäftsfähigkeit, sondern auf die Einwilligungsfähigkeit abstellt, wobei freilich zusätzlich die Volljährigkeit verlangt wird. Aus Gründen der Rechtssicherheit geht es weiterhin ebenso wie im Bereich der Einwilligung im Medizinrecht gewiss nicht an, mit rückwirkender 1 BVerfG v. 6.6.2007 – 1 BvQ 18/07, FamRZ 2007, 2046 mit Anm. Spickhoff; zuvor OLG Hamm v. 24.5.2007 – 1 UF 78/07, MDR 2008, 31 = NJW 2007, 2704 = FamRZ 2007, 2098; zum tragischen Sachverhalt s. auch den Bericht in Spiegel 2007, Heft 42, 44 ff. 2 S. bereits Deutsch/Spickhoff Medizinrecht, Rz. 1008–1011; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rz. 108; vgl. auch Taupitz, 63. DJT 2000, I A 107; anders Diederichsen, FS f. Schreiber, 2003, 635, 646 ff., der die Patientenverfügung als Willenserklärung ansieht. 1048

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Kraft (§ 142 Abs. 1 BGB) wegen Inhalts-, Erklärungs- oder Eigenschaftsirrtums anzufechten, etwa im Nachhinein durch einen Erben. Auch ist die Erklärung höchstpersönlich abzugeben; eine Vertretung gem. §§ 164 ff. BGB bei der Erstellung einer sog. Patientenverfügung ist aufgrund deren höchstpersönlichen Charakters1 nicht zulässig. Die Einwilligungsfähigkeit lässt mit Grund sodann die konkrete Einsichtsfähigkeit in die betreffende Maßnahme genügen2, während nach herrschender Ansicht das Gegenstück im Bereich der Geschäftsfähigkeit in Form der sog. relativen Geschäftsfähigkeit nicht anzuerkennen sein soll.3 Abweichend von sonstigen Einwilligungen scheint es so, dass der Patientenverfügung – rechtspolitisch nicht unzweifelhaft – keine ärztliche Aufklärung als Wirksamkeitsvoraussetzung vorauszugehen hat (vgl. § 630d Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB). Eine Patientenverfügung, die eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme enthält, soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers indes nur mit vorangegangener ärztlicher Aufklärung oder bei erklärtem Aufklärungsverzicht wirksam sein; anderenfalls sei die Patientenverfügung nur als Indiz für den mutmaßlichen Willen zu verstehen (§ 630d Abs. 1 S. 4 BGB i.V.m. § 1901a Abs. 2 BGB)4. Demgemäß ist zwischen der Vornahme eines Eingriffs in die körperliche Integrität und der bloßen Unterlassung aufgrund einer Ablehnung solcher Maßnahmen zu unterscheiden; (nur) letztere kann unabhängig von einer ärztlichen Aufklärung in Patientenverfügungen wirksam angeordnet werden5.

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Da das Gesetz für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung ausweislich seines Wortlauts neben der Einwilligungsfähigkeit auch Volljährigkeit voraussetzt, stellt sich die Frage, was im Falle von Patientenverfügungen einwilligungsfähiger Minderjähriger gilt: Die Einwilligung als Ausübung der Patientenautonomie hat bekanntlich unmittelbaren Verfassungsbezug (Art. 1, 2 Abs. 1 GG)6. Ist ein Minderjähriger entsprechend grundrechtsmündig, ist es daher verfassungsrechtlich durchaus nicht unbedenklich, wenn § 1901a Abs. 1 BGB den Eindruck erweckt, einem einwilligungsfähigen Minderjährigen, der Chancen und Risiken des konkreten potentiellen Eingriffs intellektuell erfassen und voluntativ bewerten kann, stünde eine Selbstbestimmung durch Patientenverfügung nicht zu. Allerdings hat auch der Haftungssenat des BGH7 minderjährigen Einwilligungsfähigen gegenüber medizinischen Maßnahmen nur ein Vetorecht zugesprochen; positive medizinische Maßnahmen stehen also zusätzlich unter dem Vorbehalt der Einwilligung durch die Sorgeberechtigten. Diese Haltung ist zweifelhaft. Im nicht behebbaren Konfliktfall der Entscheidung von Sorgeberechtigten einerseits

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1 Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, 339 mit Fn. 129. 2 BGH v. 5.12.1958 – VI ZR 266/57, BGHZ 29, 33, 36; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rz. 109a. 3 BGH v. 13.5.1959 – V ZR 151/58, BGHZ 30, 112; BGH v. 14.7.1953 – V ZR 97/52, NJW 1953, 1342; BGH v. 19.6.1970 – IV ZR 83/69, NJW 1970, 1680; Czeguhn, Geschäftsfähigkeit, beschränkte Geschäftsfähigkeit, Geschäftsunfähigkeit, 2003, Rz. 28 a.E.; Staudinger/Knothe, Bearbeitung 2004, § 104 Rz. 15; krit. Spickhoff, AcP 208 (2008), 345 (380 ff.) m.w.N. 4 BT-Drucks. 17/10488, S. 23. 5 Spickhoff, VersR 2013, 276 (275); Spickhoff, Medizinrecht2, § 630d BGB Rz. 10. 6 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 407. 7 BGH v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05, MDR 2007, 401 = FamRZ 2007, 130 = VersR 2007, 66. Spickhoff

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und einwilligungsfähigen Minderjährigen andererseits – man denke an 16- oder 17-Jährige – sollte sich die Entscheidung des Patienten durchsetzen.1 Im Bereich der Versagung einer Einwilligung, also der Ausübung eines Vetorechts, auch in Form einer sog. Patientenverfügung, liegt es schon nach der Rechtsprechung des Haftungssenats des BGH nicht anders. Trifft die Festlegung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, gibt also die Entscheidung des Minderjährigen den Ausschlag, wobei dieses Ergebnis im Rahmen von § 1901a Abs. 2 BGB erzielt werden kann, weil keine (wirksame) Patientenverfügung i.S.v. § 1901a Abs. 1 BGB vorliegt. § 630d Abs. 2 BGB verlangt eine „Erläuterung“ des Eingriffs gegenüber einem verständigen Einwilligungsunfähigen, doch ist diese nach § 630e Abs. 5 BGB keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung. Ob der einwilligungsfähige Minderjährige allein entscheiden kann oder ob (und gegebenenfalls wann) er nur ein „Vetorecht“ hat, ist nach wie vor nicht vom Gesetzgeber entschieden. 30

Einer Patientenverfügung ist kein „Verfallsdatum“ eigen, wenn auch eine Aktualisierung gewiss sinnvoll wäre.2 Ebenso wenig ist – von § 630d Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB abgesehen – eine vorherige ärztliche Aufklärung erforderlich. Ist die Schriftform nicht eingehalten, geht das Gesetz offensichtlich davon aus, dass die – dann immer noch vorliegende – einfache Einwilligung in medizinische Maßnahmen nicht als Patientenverfügung i.S.v. § 1901a Abs. 1 BGB anzusehen ist. Es hat dann mit den tradierten Grundsätzen der Einwilligung und Aufklärung im Arztrecht sein Bewenden. Patientenverfügungen sollen eben nur solche Situationen erfassen, in denen bestimmte Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe noch nicht „unmittelbar bevorstehen“. Was dies bedeutet, lässt sich zur Zeit wiederum kaum mit der erwünschten Rechtssicherheit definieren. Einer Regelung durch Patientenverfügungen zugänglich sind sicherlich schwerwiegende Erkrankungen (z.B. Krebserkrankungen), die einen voraussehbaren Verlauf nehmen, welcher den Zustand der Einwilligungsunfähigkeit einschließt. Erfasst sind gewiss auch solche Schriftstücke, in welchen mehr oder weniger pauschal mehr oder weniger bestimmte Behandlungen abgelehnt oder akzeptiert werden, ebenso entsprechende Festlegungen durch Zeugen Jehovas, soweit diese nicht unmittelbar vor dem Eingriff erfolgen. Stets ist jedoch zusätzlich zu prüfen, ob die Festlegungen wirklich auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zugeschnitten sind.

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Nach dem Zweck der Regelung wird man Einwilligungen in medizinische Maßnahmen, die anlässlich konkreter Eingriffe erteilt worden sind, ärztlicherseits wie bisher in jedem Falle als ausreichend und verbindlich ansehen können, selbst wenn die Einwilligung einige Zeit oder kurz vor dem Eintritt der Bewusstlosigkeit durch Betäubung erteilt wurde. Sollte ein Patient wider Erwarten aus einer Vollnarkose nicht wach werden, sondern etwa ins apallische Syndrom verfallen, wäre für diese Situation demgegenüber der Anwendungsbereich einer Patientenverfügung eröffnet. Zur Befolgung ganz konkreter Einwilligungen, die gerade im Bereich von Eingriffen mit Vollnarkose stets auch eine Phase der vorübergehenden Einwilligungsunfähigkeit umfassen, bedarf es also keiner Einschaltung eines Betreuers bzw. eines Vorsorgebevollmächtigten.3 1 Spickhoff, AcP 208 (2008), 345 (389 f.). 2 BT-Drucks. 16/13314, S. 20. 3 Spickhoff, Medizinrecht2, § 1901a BGB Rz. 8. 1050

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2. Vorsorgeregister Bei der Bundesnotarkammer besteht ein sog. zentrales Vorsorgeregister. Es ist hervorzuheben, dass dadurch nicht nur – was meist in den Vordergrund gestellt wird – eine Vollmacht, auch zur Erledigung von Angelegenheiten der Gesundheitssorge, datenmäßig erfasst und eingetragen werden kann (§ 1 Abs. 1 Nr. 5b VRegV), sondern dass die Urkunde gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 VRegV auch „besondere Anordnungen oder Wünsche … c) hinsichtlich Art und Umfang medizinischer Versorgung“ enthalten kann. Damit kann (auch) der Bereich der Patientenverfügung i.S.d. § 1901a BGB betreten werden. Das Register soll die einfache Feststellbarkeit von Patientenverfügungen per Internet ermöglichen1. Die Gebührenordnung, deren Rechtsgrundlage2 der eigentlichen Vorsorgeregisterverordnung bezeichnenderweise drei Wochen vorauseilte, sieht für die Eintragung zwar relativ geringfügige Beträge (von unter 20 Euro) vor. Doch können Notarkosten hinzukommen, deren Höhe schon Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen war3 und die bei der im Vordergrund stehenden Beurkundung einer Vorsorgevollmacht vom Gegenstandswert abhängen, wenn es (wie meist) auch um die Bevollmächtigung in Vermögensangelegenheiten geht. Unter dem Aspekt der Versteinerungsgefahr bleibt besonders die Frage nach der Möglichkeit einer späteren Änderung. Sie kann (unter Angabe der bei der Eintragung mitgeteilten Registernummer und der Buchungsnummer) auf postalischem Weg oder über den institutionellen Nutzer erfolgen, der die Eintragung veranlasst hat (z.B. über den Notar). Die Bundesnotarkammer kann die Zahlung eines zur Deckung der Gebühren hinreichenden Vorschusses verlangen (§ 3 der VRegV), und sie kann die Vornahme der Eintragung von der Zahlung oder Sicherstellung des Vorschusses abhängig machen (§ 3 Abs. 1 S. 2 VRegV). Das alles gilt auch, wenn es um Änderungen, Ergänzungen oder Löschungen von Eintragungen geht (§ 5 Abs. 1 S. 2 VRegV). Auf den – gerade für älter werdende Personen – erheblichen formalen Aufwand und die dann erneut anfallenden Gebühren im Falle einer Bitte um Änderung oder Löschung von Eintragungen aus früherer Zeit sollte deutlich hingewiesen werden.

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3. Verbindlichkeit: Grundsatz und Grenzen Als Rechtsfolge ordnet § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB in dem Sinne die Verbindlichkeit der Patientenverfügung an, dass der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen hat. Die erste Rechtsfolge von § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB besteht folglich zunächst einmal darin, dass eine Prüfungspflicht des 1 Vorsorgeregister-VO (VRegV) v. 21.2.2005, BGBl. 2005 I, 318, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes v. 18.2.2013 (BGBl. I, S. 266); dazu auch Bittler in Bonefeld/ Wachter, Erbrecht, § 22 Rz. 12. 2 Vorsorgeregister-Gebührensatzung v. 2.2.2005, DNotZ 2005, 81, geändert durch Satzung v. 2.12.2005, DNotZ 2006, 2. 3 Etwa OLG Zweibrücken v. 27.10.2008 – 3 W 162/08, FamRZ 2009, 1432 = MDR 2009, 775 (Vorsorgevollmacht); OLG Zweibrücken v. 28.4.2008 – 3 W 250/07, FamRZ 2008, 1877 (Vorsorgevollmacht mit Betreuungsverfügung; Geschäftswert ist das volle Aktivvermögen des Vollmachtgebers); OLG Hamm v. 8.11.2005 – 15 W 148/05, MDR 2006, 1197 = FamRZ 2006, 722: Geschäftswert: 3 000 Euro; vom Notar war der Geschäftswert mit 20 000 Euro angegeben worden. Wie OLG Hamm auch als Vorinstanz LG Arnsberg v. 23.3.2005 – 2 T 32/04, FamRZ 2006, 438 (Patientenverfügung ohne vermögensrechtlichen Bezug). Spickhoff

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Betreuers bzw. des Bevollmächtigten (§ 1901a Abs. 5 BGB) ausgelöst wird. Diese Prüfungspflicht bezieht sich indes lediglich auf die Frage, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Sie erfasst nicht die Frage der Einwilligungsfähigkeit, sie enthält keine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit des Bevorstehens der medizinischen Maßnahme, und sie bezieht sich auch nicht darauf, ob die Patientenverfügung ausdrücklich oder konkludent widerrufen worden ist. Irgendein Ermessen wird dem Betreuer bzw. dem Vorsorgebevollmächtigten zumindest auf der Rechtsfolgenseite nicht eingeräumt, wenn die Patientenverfügung den Sachverhalt erfasst. 34

Wichtig ist, dass Patientenverfügungen i.S.d. Norm keineswegs nur auf Situationen am Ende des Lebens zugeschnitten sein müssen. Vielmehr gelten sie nach § 1901a Abs. 3 BGB „unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten“. Hat ein einwilligungsunfähiger, aber äußerungsfähiger Volljähriger das Schriftstück verfasst, fehlt es an der Schriftform oder stand die medizinische Maßnahme schon unmittelbar bevor, hat der Betreuer bzw. der Vorsorgebevollmächtigte die Wünsche des Betroffenen dennoch zu berücksichtigen (§ 1901a Abs. 2 BGB).

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Eine wesentliche Relativierung der Verbindlichkeit entsprechender Erklärungen besteht darin, dass der Betreuer zu prüfen hat, ob die Festlegungen „auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen“. Zudem verlangt das Gesetz eine hinreichende Konkretheit (Bestimmtheit) von Patientenverfügungen. Ganz allgemein gehaltene Patientenverfügungen („keine lebensverlängernden Maßnahmen“, „keine intensivmedizinischen Maßnahmen“) sind also zunächst einmal als nicht bindend zu beachten. Das gilt wohl auch für die undifferenzierte pauschale Ablehnung jedweder psychiatrischer Behandlung1. Im Bereich der Psychiatrie sind sog. Behandlungsvereinbarungen verbreitet. Betrifft eine solche „Vereinbarung“ eine konkret in Rede stehende Behandlung, handelt es sich gegebenenfalls um eine Einwilligung, der eine zureichende Aufklärung vorausgegangen sein muss, um wirksam zu sein (§§ 630d Abs. 1 S. 2 und Abs. 2, 630e, 1901a Abs. 1 S. 1 BGB). Handelt es sich dagegen um generelle Festlegungen über die Vergabe von Medikamenten oder bestimmte Behandlungsmaßnahmen (z.B. zur Elektrokrampftherapie), auch zu Zwangsmaßnahmen2, liegt die Annahme einer Patientenverfügung i.S.v. § 1901a Abs. 1 BGB nahe, zumal längerfristige Patienten der Psychiatrie über nicht unbeträchtliche Erfahrungen zu ihrer Krankheit und deren Verlauf verfügen, so dass eine solche Erklärung hinreichend bestimmt und auf die konkrete Situation zugeschnitten erscheinen kann; anderenfalls ist sie als Hinweis zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten heranzuziehen (§ 1901a Abs. 2 BGB).

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Bei alledem besteht ein erheblicher Beurteilungsspielraum. So wird man etwa im Falle einer augenscheinlich gern im Pflegeheim befindlichen, unter altersbedingter Demenz leidenden Patientin, die sich früher in einer Patientenverfügung die Vergabe von Antibiotika verbeten hat, aufgrund des Eindrucks der Pa1 Für deren grundsätzliche Beachtlichkeit aber NK-BGB/Heitmann, 2. Aufl. 2010, § 1901a Rz. 48; nicht eindeutig (nur zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen) OLG Celle v. 10.8.2005 – 17 W 37/05, MDR 2006, 334 = FamRZ 2006, 443. 2 S. dazu NK-BGB/Heitmann, § 1901a Rz. 46; s. auch bereits Rz. 23. 1052

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tientin, der sich auch als Wunsch deuten lassen kann, von der Patientenverfügung abzuweichen haben. Erst recht gilt dies im Falle einer jungen Mutter, die nach einem Unfall schlechte Heilungschancen hat, und die sich vor ihrer Schwangerschaft jede Form intensivmedizinischer Maßnahmen verbat. An dieser Stelle wird sich voraussichtlich in Zukunft mancher Streit entzünden. Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Abwägung zwischen der Verbindlichkeit einer (möglicherweise sehr allgemein gehaltenen) Patientenverfügung auf der einen Seite und um den Grundsatz „in dubio pro vita“ auf der anderen Seite. Im Falle von sehr allgemein gehaltenen Anweisungen wird man die Schwelle, ab der eine entsprechende Festlegung nicht auf die aktuelle Lebensund Behandlungssituation zugeschnitten ist, nicht zu hoch ansetzen dürfen. 4. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht von Betreuer und Bevollmächtigtem Das Recht und die Pflicht der Prüfung, ob Festlegungen in einer Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, liegen beim Betreuer (§ 1901a Abs. 1 BGB) bzw. dem Vorsorgebevollmächtigten (§ 1901a Abs. 5 BGB). Die Verantwortung für die Auslegung und die Einschätzung, also die Ausfüllung des Beurteilungsspielraums (i.S.v. „Tatbestandsermessen“), welcher damit verbunden ist, liegt mithin scheinbar nicht beim Arzt bzw. bei der Behandlungsseite. Diese Zuweisung der Verantwortung ist freilich nur eine scheinbare, jedenfalls dann, wenn es um den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen geht. Denn nach § 1904 Abs. 4 BGB ist eine Genehmigung des Betreuungsgerichts (nur!) dann nicht erforderlich, wenn zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen dem Willen des Betreuten entspricht. Zumindest die Nichteinschaltung des Betreuungsgerichts fällt also (auch) in den Verantwortungsbereich der behandelnden Mediziner. Ihr fehlendes Einverständnis lässt ggf. die Einschaltung des Gerichts notwendig werden.

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§ 1901b Abs. 2 BGB statuiert, dass zur Ermittlung des Willens des Patienten „nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden“ soll, „sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist“. Als Angehörige nennt die Gesetzesbegründung Ehegatten, Lebenspartner, Eltern, Geschwister und Kinder. Als sonstige Vertrauenspersonen kommen auch nicht mit dem Betreuten verwandte Personen in Betracht. Das können z.B. Pflegekräfte oder im Haushalt lebende gute Bekannte sein. Obwohl § 1901b BGB in seiner Überschrift auf ein „Gespräch“ Bezug nimmt, ist in seinem zweiten Absatz nur von der „Gelegenheit zur Äußerung“ die Rede. Das Gespräch ist also der idealtypische Fall, die einseitige informatorische Äußerung (die auch in Schriftform möglich ist) genügt aber. Fraglich ist, wie es mit dem Soll-Charakter der Vorschrift steht. In der Begründung wird der im Gesetz ohnedies genannte Eilfall als Ausnahme angegeben.1 Insgesamt ist eine Abwägung zwischen Aufwand und zu erwartendem Nutzen vorzunehmen. Zwar ist zu berücksichtigen, dass nur im Ausnahmefall von der Einbeziehung solcher Personen, denen Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist, abgesehen werden darf. Doch muss sich das Ausmaß von Ermittlungen, wer z.B. „Vertrauensperson“ sein könnte, in Grenzen halten dürfen. Angezeigt ist die Suche nach solchen Personen besonders dann, wenn z.B. die Verwandten nach eigenen Bekundungen

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1 BT-Drucks. 16/13314, S. 20 f. Spickhoff

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wenig Kontakt mit dem Patienten hatten, oder wenn solche Verwandte nicht auffindbar oder existent sind. 39

Potenziellen Fehldeutungen einer Patientenverfügung ist folgendermaßen entgegenzuwirken: Eine missbräuchliche Interpretation einer solchen Verfügung ist nach allgemeinen Grundsätzen insbesondere im Falle der Evidenz keineswegs ohne Weiteres zu befolgen. Wichtig ist vielmehr, dass dann nicht nur ärztlicherseits, sondern auch von anderen Betroffenen eingeschritten werden kann. Jedermann kann jederzeit beim Betreuungsgericht eine Überprüfung anregen.1 Hinzu kommt, dass der Arzt ohnedies eine Entscheidung des Betreuungsgerichts herbeiführen kann, indem er dissentiert, ja mehr noch: Zur eigenen juristischen Absicherung wird man Betreuern, Bevollmächtigten und Ärzten den Rat geben müssen, im Zweifel einen „künstlichen Dissens“ herbeizuführen.2 Hinzu kommt, dass ein Betreuer dann, wenn er (nach der Aufklärung durch den Arzt gem. § 630d Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB) über die Erforderlichkeit einer Genehmigung im Zweifel ist, gem. § 1908i Abs. 1 BGB i.V.m. § 1837 Abs. 1 S. 1 BGB das Betreuungsgericht um Beratung nachsuchen kann3. Jedenfalls wird die gerichtliche Genehmigung eines Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen dann den beteiligten Entscheidungsträgern eine gewisse Rechtssicherheit in haftungsund strafrechtlicher Hinsicht vermitteln können, wenn nicht nur das betreffende Schriftstück der Patientenverfügung, sondern auch die weiteren Umstände bei dessen Abfassung, die aktuelle Lebens- und Gesundheitssituation des Patienten und die weiteren Kriterien zur Ermittlung des Willens des Patienten offengelegt und vom Gericht gebilligt worden sind. 5. Fehlen eines Betreuers oder Bevollmächtigten

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Nicht geregelt ist, wie es steht, wenn ein Betreuer (noch) gar nicht bestellt wurde, wenn der Patient keine Vorsorgevollmacht erteilt hat bzw. wenn ein bestellter Betreuer oder ein Bevollmächtigter aktuell ganz einfach nicht erreichbar ist. Aufgrund des Charakters einer vorweggenommenen Einwilligung (oder auch Begrenzung der Einwilligung) sind Patientenverfügungen in derartigen Situationen keinesfalls unbeachtlich. Gleichwohl ist in solchen Konstellationen bei der Befolgung von Patientenverfügungen in dem Sinne, dass medizinisch indizierte, lebensnotwendige medizinische Maßnahmen unterbleiben, besondere Vorsicht angebracht. Zu beachten haben wird ein Arzt eine entsprechende Patientenverfügung insbesondere dann, wenn deren Inhalt mit ihm selbst im Einzelnen besprochen worden ist, oder wenn sich der behandelnde Arzt davon überzeugt hat, dass eine entsprechende Patientenverfügung im Vorfeld der Behandlung durch einen informierten Patienten abgegeben worden ist.4 Dabei ist an solche Patientenverfügungen zu denken, die etwa nach der Diagnose einer schwerwiegenden 1 BT-Drucks. 16/13314, S. 4. 2 S. Spickhoff in Schreiber/Lilie/Rosenau/Tadaki/Pak (Hrsg.), Globalisierung der Biopolitik, des Biorechts und der Bioethik?, 2007, 185, 193. 3 Erman/A. Roth, § 1904 Rz. 26. 4 Dazu, dass sich ein (Chef-)Arzt Versäumnisse der Aufklärung durch andere prinzipiell zurechnen lassen muss, BGH v. 17.10.2006 – VI ZR 249/05, JZ 2007, 641 m. Anm. Katzenmeier = VersR 2007, 209 m. krit. Anm. Deutsch. Er hat insbesondere darzulegen, welche organisatorischen Maßnahmen er ergriffen hat, um eine ordnungsgemäße Aufklärung sicherzustellen und zu kontrollieren. 1054

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Erkrankung mit voraussehbarem Verlauf errichtet worden sind. Anders liegt es demgegenüber bei pauschal formulierten Erklärungen („keine lebensverlängernden Maßnahmen“; „keine intensivmedizinische Behandlung“ u. ä.). Hier sollte der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ gelten. Dafür spricht auch § 287 Abs. 3 FamFG, wonach ein Beschluss des Betreuungsgerichts, der den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen betrifft, erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Betreuer oder an den Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam wird. Ist sowohl der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen als auch die Weiterbehandlung medizinisch vertretbar, so sollte im Falle von pauschalen Patientenverfügungen ohne Hinzuziehung des Betreuers bzw. eines Bevollmächtigten und ohne Durchführung des Gesprächs nach § 1901b BGB selbst im Eilfall nicht der Tod des Patienten durch die Versagung lebensverlängernder Maßnahmen herbeigeführt werden. 6. Druckausübung bei der Errichtung von Patientenverfügungen Nach § 1901a Abs. 4 BGB „kann“ niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Ferner darf die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses (z.B. bei Heim- oder Versicherungsverträgen1) gemacht werden. Das Wort „kann“ ist als „darf“ zu lesen; offenbar ist der Gesetzgeber – ebenso in der Begründung, wo es heißt, „dass es keinen wie auch immer gearteten Zwang zur Abfassung einer Patientenverfügung gibt“2 – dem klassischen Trugschluss verfallen, wonach es nichts geben kann, „was nicht sein darf“. Das Verbot, einen Vertrag unter die Bedingung der Errichtung einer bestimmten Patientenverfügung zu stellen (§ 1901a Abs. 4 S. 2 BGB), führt zur Unwirksamkeit der entsprechenden Bedingung, sollte aber nicht zur Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrags führen. Im Allgemeinen wird es sich um eine verbotswidrige, in der Nähe der Sittenwidrigkeit stehende auflösende Bedingung handeln, wenn z.B. ein Krankenversicherungsvertrag an die auflösende Bedingung der Existenz einer entsprechenden Patientenverfügung zur Zeit des Versicherungsfalls geknüpft wird. Zumindest bei auflösenden Bedingungen entspricht es der h.M., dass die Unzulässigkeit der Bedingung (nur) zu deren Nichtigkeit, nicht aber zur Nichtigkeit des Vertrags im Übrigen führt.3 M.E. sollte im Rahmen von § 139 BGB nach dem Schutzzweck der Norm generell die Wirksamkeit eines entsprechenden Vertrags angenommen werden.4 Entsprechende Verträge sind dann ohne die entsprechende Bedingung wirksam. Das gilt auch in Bezug auf das Verbot, sich zur Errichtung einer Patientenverfügung zu verpflichten. Entsprechende Klauseln in Verträgen sind gem. § 134 BGB unwirksam. Auch hier wird sich die Nichtigkeitsfolge indes im Zweifel nicht auf den Vertrag im Ganzen, sondern nach dem Zweck der Verbotsnorm des § 1901a Abs. 4 S. 1 BGB aus präventiven Überlegungen lediglich auf die betreffende Nebenklausel beziehen (§ 139 BGB)5. Vollständige Nichtigkeit könnte allenfalls in 1 BT-Drucks. 16/13314, S. 20; zum (Kranken-)Versicherungsvertrag s. bereits Spickhoff, JZ 2003, 739 (741). 2 BT-Drucks. 16/13314, S. 20. 3 Staudinger/Bork, Bearbeitung 2010, Vorbem zu §§ 158–163 Rz. 12; Bamberger/Roth/ Rövekamp,§ 158 Rz. 36. 4 Auf den Zweck der Verbotsnorm stellt zu Recht auch MüKo.BGB/H. P. Westermann, § 158 Rz. 46, ab. 5 Staudinger/H. Roth, Bearbeitung 2010, § 139 Rz. 17. Spickhoff

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dem eher theoretisch denkbaren Fall angenommen werden, dass die Errichtung einer Patientenverfügung privatautonom zum Gegenstand einer Hauptleistungspflicht gemacht wird. 42

Nicht von den Verboten des § 1901a Abs. 4 BGB erfasst werden demgegenüber die Patientenverfügungen von Zeugen Jehovas, in welchen insbesondere die Vergabe von Frischblut ausgeschlossen wird. Solange die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in der entsprechenden Glaubensgemeinschaft nicht angezweifelt werden kann, wird man von einer Bedingung der Abgabe einer entsprechenden Patientenverfügung bzw. von einer entsprechenden Verpflichtung nicht sprechen können. Das gebietet schon die Ausstrahlungswirkung der Glaubens- und Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), auch wenn durch die Mitgliedschaft in einer entsprechenden Glaubensgemeinschaft fraglos individueller oder sozialer Druck zur Errichtung einer entsprechenden Patientenverfügung ausgeübt werden mag. Es ist zu bedenken, dass der Eintritt oder der Verbleib in einer entsprechenden Glaubensgemeinschaft freigestellt und die Blutvergabeproblematik bei Zeugen Jehovas allgemein bekannt ist. Damit ist freilich noch nicht entschieden, ob eine entsprechende Patientenverfügung in Ansehung der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation tatsächlich der Vergabe entsprechender Bluttransfusionen entgegensteht.1 Ohnedies regelt § 1901a Abs. 4 BGB nur das Schicksal der Verpflichtung zur Erstellung einer Patientenverfügung, also des entsprechenden Verpflichtungsgeschäfts, bzw. einer entsprechenden Bedingung in einem Vertrag. Das Schicksal der Patientenverfügung selbst ist durch § 1901a Abs. 4 BGB nicht angesprochen. Steht indes fest, dass entsprechender Druck bei der Abfassung einer Patientenverfügung ausgeübt worden ist, so wird die Situation bei der Errichtung der betreffenden Patientenverfügung mit der späteren konkreten Lebens- und Behandlungssituation nicht korrespondieren. 7. Widerruf einer Patientenverfügung

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Nach § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB kann eine Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen werden. Zur Problematik des Vorsorgeregisters insoweit s. Rz. 32. Der actus contrarius ist mithin von den juristischen Anforderungen her im Verhältnis zur Errichtung wesentlich erleichtert. Zunächst ist keine Schriftform erforderlich. Der Widerruf ist sodann in ausdrücklicher, ebenso aber auch in konkludenter Form möglich. Es genügt jede Willensbekundung, die erkennen lässt, dass die frühere (schriftliche) Erklärung nicht weitergelten soll. Voraussetzung ist also lediglich die Willens- und Äußerungsfähigkeit des Patienten. Insbesondere wenn es um den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen geht, dürfen an eine solche Willensbekundung keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügen deutliche Anzeichen. Für den Widerruf reicht im Übrigen jede Form der Kommunikation. Der Widerruf muss also nicht mündlich, sondern kann auch schriftlich erfolgen, etwa wenn der Patient zu verbalen Äußerungen nicht in der Lage ist. Ebenso genügt die Einschaltung von sonstigen, z.B. elektronischen Hilfen. Ist zweifelhaft, ob eine Patientenverfügung widerrufen worden ist, die le1 S. dazu (Verbindlichkeit in casu abgelehnt) OLG München v. 31.1.2002 – 1 U 4705/98, NJW-RR 2002, 811 und zuvor BVerfG v. 2.8.2001 – 1 BvR 618/93, FamRZ 2002, 312 = NJW 2002, 206; eine Vorsorgebevollmächtigung eines anderen Zeugen Jehovas tolerierte AG Dülmen v. 13.8.1998 – St XVII 30, FamRZ 1999, 1300. 1056

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benswichtige medizinische Maßnahmen ausschloss, so sollte es genügen, wenn der Widerruf nur wahrscheinlich erfolgt ist. Lediglich eine vollständig spekulative Interpretation bestimmter Verhaltensweisen genügt zur Annahme eines Widerrufs nicht. Anderenfalls bestünde die Gefahr, die Patientenverfügung ohne zureichenden Anlass zu relativieren oder zu entwerten. Da eine Patientenverfügung für ihre Wirksamkeit der Einwilligungsfähigkeit bedarf, wird man Entsprechendes auch für einen voll wirksamen Widerruf zu verlangen haben1. Werden insbesondere in der Patientenverfügung medizinische Maßnahmen untersagt, die nach dem Willen des Betroffenen hernach doch durchgeführt werden sollen, so folgt dies zwanglos daraus, dass es sich im Zweifel um einen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten handelt, der der rechtfertigenden Einwilligung bedarf. Bestehen Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit, ist fachärztliche (psychiatrische) Hilfe hinzuzuziehen. Da die Einwilligungsunfähigkeit die Ausnahme und die Einwilligungsfähigkeit im Falle von Volljährigen die Regel ist, ist im Zweifel von der Einwilligungsfähigkeit auszugehen.

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Steht fest, dass der Patient zur Zeit des Widerrufs nicht einwilligungsfähig ist, so steht die Entscheidung ggf. einem Betreuer oder – vorrangig – einem Vorsorgebevollmächtigten zu. Deren Entscheidungen haben sich freilich auch an den Wünschen (und nicht nur am „objektiven“ Wohl) des Patienten auszurichten. Ist der Patient also äußerungs- und willensfähig und äußert aktuelle Wünsche (i.S. eines Widerrufs der früheren Patientenverfügung), so wird eine Versagung der Einwilligung des Betreuten in die gebotenen medizinischen Maßnahmen im Gegensatz zu einer früheren Patientenverfügung nur maßgeblich sein, wenn und soweit nicht die Gefahr besteht, dass der Betreute ohne die medizinische Maßnahme stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet (arg. § 1904 Abs. 2 BGB).2 Geht es nicht um die Versagung der Einwilligung in eine medizinische Maßnahme, sondern wünscht der (nicht einwilligungsfähige) Patient eine medizinisch indizierte (Weiter-)Behandlung, die im Gegensatz zu einer früheren Patientenverfügung steht, so ist dieser Wunsch – der zumindest typischerweise nicht auf eine Selbstschädigung gerichtet ist – vom Betreuer umzusetzen.3 Grenzen einer ärztlichen Behandlung ergeben sich hier lediglich aus der medizinischen Indikation. Überhaupt setzt sich im Falle von „Patt-Situationen“, also dann, wenn mehrere Alternativen medizinisch vertretbar sind, der Wille auch des einwilligungsunfähigen Patienten durch, soweit seine Realisierung keine Lebensgefahr oder die Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Schädigung auslöst. Einem einwilligungsfähigen Patienten, der unter Betreuung steht oder eine andere Person bevollmächtigt hat, steht ohnedies die alleinige Entscheidungskompetenz im Hinblick auf medizinische Maßnahmen zu.

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1 Ebenso Coeppicus, NJW 2011, 2085; Steenbreker, NJW 2012, 3207; Bittler in Bonefeld/Wachter, Erbrecht, § 22 Rz. 13. 2 S. auch Lipp, Freiheit und Fürsorge: Mensch als Rechtsperson, 2000, 166; Lipp, DRiZ 2000, 231 (236). 3 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 167. Spickhoff

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VI. Die Vorsorgevollmacht 1. Gesundheitsangelegenheiten 46

Die Bestellung eines Vertreters in Gesundheitsangelegenheiten ist möglich. Das folgt in Bezug auf Einwilligungen in ärztliche Eingriffe aus § 1904 Abs. 5 BGB. Stellvertretung ist insoweit zulässig, da es sich bei der Einwilligung jedenfalls um geschäftsähnliches Verhalten handelt1. Im Übrigen ist von einer Generalstaatsanwaltschaft entschieden worden, dass eine „Vorsorgevollmacht“ bindet, jedenfalls wenn darin bestimmt ist, ob, wie lange und in welcher Weise der Betroffene behandelt werden will; insofern handelt es sich freilich eher um eine Patientenverfügung im engeren Sinn2. Letztlich wird dadurch jedenfalls die zunächst freie Entscheidung des Bevollmächtigten bzw. eines Betreuers doch angebunden.

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Gegenüber der staatlichen Bestellung eines Betreuers (zur Betreuungsverfügung Rz. 53 ff.) ist die Vorsorgevollmacht vorrangig und die Bestellung des Betreuers subsidiär3. Sie kann in den Grenzen des § 1904 Abs. 2, 4 und 5 BGB die Einwilligungsverweigerung bzw. eine Behandlungsabbruchentscheidung erfassen.

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Das Schriftformerfordernis des § 1904 Abs. 5 BGB sollte – was im Wortlaut der Norm („Maßnahmen“) nicht zum Ausdruck kommt4 – auch die konkreten Gefahren umfassen, die mit den betreffenden Maßnahmen verbunden sind und um derentwillen die schriftliche Vollmacht erteilt worden ist. Anderenfalls würden die Übereilungsfunktion und die Warnfunktion des Schriftformerfordernisses verfehlt bzw. dieses auf die bloße Beweisfunktion reduziert. Ohne Benennung der Gefahren muss ggf. ein Betreuer für den einwilligungsunfähigen Patienten bestellt werden5.

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Die Vorsorgevollmacht kann jederzeit widerrufen werden6. Problematisch ist aber, ob zur Erteilung der Vorsorgevollmacht bzw. zu ihrem Widerruf Einwilligungsfähigkeit genügt oder ob Geschäftsfähigkeit vorliegen muss. Der Widerruf ist zunächst formlos möglich7; überdies genügt in Bezug auf medizinische Maßnahmen bloße Einwilligungsfähigkeit8. Schwieriger liegt es in Bezug auf die Erteilung der Vorsorgevollmacht. Hier ist wohl grundsätzlich Geschäftsfähigkeit erforderlich9. Zwar gelten die Vorschriften über die Vollmacht nur analog. Indes 1 Zur insoweit (ggf. analogen) Anwendung der §§ 164 ff. BGB Eisenbart, MedR 1997, 305 (306 ff.); Spalckhaver in Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, 2009, § 8 Rz. 5 ff. 2 GeneralStA Nürnberg, FamRZ 2008, 1029. 3 Eingehend zur Subsidiarität der Betreuung Prinz von Sachsen Gessaphe, S. 248 ff.; vgl. weiter Veit, FamRZ 1996, 1309 (1310); Uhlenbruck, FS Deutsch, 849 (860). Praktisch (über die weitgehende Annahme des Erfordernisses der Bestellung eines Überwachungsbetreuers) einschränkend aber Walter, S. 224 ff. 4 Spalckhaver in Lipp, Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 8 Rz 38; näher Spickhoff, Medizinrecht, § 1904 BGB Rz. 17. 5 Staudinger/Bienwald, Bearbeitung 2013, § 1904 Rz. 117. 6 Lipp, S. 208 m.w.N. 7 Uhlenbruck, S. 337 f. 8 Walter, FamRZ 1999, 685 (693). 9 OLG Stuttgart v. 23.2.1994 – 8 W 534/93, FamRZ 1994, 1417; in Bezug auf medizinische Maßnahmen für Einwilligungsfähigkeit Staudinger/Bienwald, Bearbeitung 2013, § 1904 Rz. 113. 1058

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eröffnet die Vollmacht faktisch eine Fremdbestimmungsmöglichkeit. Daher wird man den noch nicht voll Geschäftsfähigen auf die Möglichkeit, Wünsche in Bezug auf die Bestellung eines Betreuers äußern zu können, verweisen müssen. In diesem Zusammenhang sind dann Wünsche des noch nicht Geschäftsfähigen zu berücksichtigen (§ 1897 Abs. 4 BGB)1. Fraglich ist in Bezug auf die (wirksame) Vorsorgevollmacht das Verhältnis von Wunschbefolgungspflicht und Wohl des Betroffenen. Gegen eine Begrenzung der Wunschbefolgungspflicht durch das Wohl des Betroffenen spricht zwar, dass nach dem Willen des Betroffenen ausschließlich die Entscheidungen des Bevollmächtigten ausschlaggebend sein sollten2. Solange nicht der Betroffene objektiv interessenwidrige Entscheidungen gegenüber dem Bevollmächtigten hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat3, sollte davon ausgegangen werden, dass der Patient so behandelt werden will, wie es seinem objektiv verstandenen Interesse und damit seinem Wohl entspricht4. Dabei muss freilich der Verkehrskreis des Betroffenen berücksichtigt werden, so dass sich bestimmte ärztliche Maßnahmen, z.B. im Falle eines Zeugen Jehovas5, anders darstellen als bei Personen, die dieser oder einer vergleichbaren religiösen Gruppierung nicht zugehören.

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2. Sonstige persönliche Angelegenheiten Auch über Gesundheitsangelegenheiten hinaus kann eine Vollmacht in persönlichen Angelegenheiten erteilt werden. Während früher eine Vollmacht jedenfalls in höchstpersönlichen Angelegenheiten insgesamt für unzulässig gehalten worden ist, kann nun aus § 1904 Abs. 5 BGB im Wege des Erst-Recht-Schlusses gefolgert werden, dass auch insoweit Bevollmächtigungen möglich sind. Denn höchstpersönlichere als Gesundheitsangelegenheiten sind kaum vorstellbar. Daher ist gewillkürte Vertretung aufgrund einer Vorsorgevollmacht auch bei der Einwilligung in freiheitsentziehende Maßnahmen ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für zulässig erachtet worden6. Der Gefahr des Vollmachtsmissbrauchs wird durch die Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB begegnet. Die Bevollmächtigung einer gem. § 1897 Abs. 3 BGB von der Betreuung ausgeschlossenen Person ist nach dem Schutzzweck dieser Norm nicht möglich, da bei der Vollmacht das Schutzbedürfnis des Betroffenen kein geringeres ist als im Falle der Betreuung7. Abgesehen davon ist aber die Bevollmächtigung auch von Heimpersonal zulässig (arg. e § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB). Es handelt sich hier um eine bedingte, nämlich für den Fall des Verlustes der Geschäftsfähigkeit geltende Vollmacht (§ 158 BGB), was nicht ausdrücklich erwähnt sein muss (wenngleich 1 2 3 4 5

Spickhoff, Medizinrecht, § 1897 BGB Rz. 4. S. Walter, FamRZ 1999, 685 (689); Uhlenbruck, FS Deutsch, 849 (857). Uhlenbruck, FS Deutsch, 849 (857). Für Österreich auch Schmoller, ÖJZ 2000, 361 (374). Vgl. auch AG Dülmen v. 13.8.1998 – St XVII 30/98, FamRZ 1999, 1300 (einschlägiges, gegen Bluttransfusionen u.Ä. gerichtetes Patiententestament einer Zeugin Jehovas lässt Bedenken gegen die Bestellung einer Betreuerin der gleichen Religionsgemeinschaft entfallen). 6 OLG Stuttgart v. 23.2.1994 – 8 W 534/93, FamRZ 1994, 1417; hiergegen krit. Walter, S. 257 ff. 7 Anders aber Palandt/Götz, Einf. v. § 1896 Rz. 5; Walter, FamRZ 1999, 688. Zu den Risiken von Vorsorgeregelungen Ramstetter in Bonefeld/Wachter, Erbrecht, § 21 Rz. 6–11. Spickhoff

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ein entsprechender Hinweis empfehlenswert ist). Dass auch in Bezug auf Freiheitsentziehungen oder -beschränkungen eine Bevollmächtigung möglich ist, folgt auch aus § 1906 Abs. 5 BGB, in dem von einer „Unterbringung durch einen Bevollmächtigten“ gesprochen wird. Abgesehen von dem dort enthaltenen Schriftformgebot genügt eine formlose Vollmacht auch dann nicht, wenn die Vertretung in einem gerichtlichen Verfahren erforderlich ist1. Die Vollmacht hat allerdings die Übertragung gerade der fraglichen Befugnisse auf den Bevollmächtigten zweifelsfrei zu umfassen. Zudem ist Geschäftsfähigkeit des Bevollmächtigenden erforderlich. Eine Generalvollmacht ist zwar prinzipiell möglich2; sie sollte jedoch zur Klarstellung möglichst die in Betracht kommenden Gegenstände, wenigstens beispielhaft, enthalten. Im Rahmen der Einwilligung von Bevollmächtigten in ärztliche Zwangsmaßnahmen ist notwendig, dass diese Maßnahmen von der schriftlich erteilten Vollmacht ausdrücklich umfasst sind (§ 1906 Abs. 5 S. 1 BGB)3. Hinzuweisen ist ggf. auch auf eine Pflicht des Vollmachtgebers auf Aufwendungsersatz und Vergütung des Bevollmächtigten, was sich nach allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen (in erster Linie §§ 662 ff. BGB) richtet4. 3. Vertretung im Vermögensbereich 52

Die Vorsorgevollmacht kann – umfassend erteilt – weit über den Bereich der Sicherung der Patientenautonomie hinausgehen. Insbesondere kann sie auch im vermögensrechtlichen Bereich eingesetzt werden. Zu beachten ist, dass die Vorsorgegeneralvollmacht von sich aus kein Schenkungsverbot beinhaltet5. Es kann eben der gesamte Vermögensbereich durch die Vorsorgevollmacht abgedeckt sein. Auch hier ist zur Verdeutlichung des Umfanges der Vollmacht für den Vollmachtgeber eine beispielhafte Aufzählung der wichtigsten Angelegenheiten (Grundvermögen, Geldvermögen, Bankvollmacht6, die Vertretung in Rentenoder Versicherungsangelegenheiten, Vertretung bei Behörden und Prozessvertretung7) zweckmäßig. Soll es sich um eine Generalvollmacht handeln, ist bei der Formulierung darauf zu achten, dass kein abschließender Zuständigkeitskatalog formuliert wird. Werden von der (ggf. General-)Vollmacht Verfügungen über Grundstücke erfasst, ist nach § 29 GBO die entsprechende notarielle Beglaubigung erforderlich. Unstreitig gilt die Vollmacht nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit weiter fort. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Vollmachtgeber durch die Aushändigung oder Nichtaushändigung einer Vollmachtsurkunde unter Umständen den Rechtsschein einer entsprechenden Bevollmächtigung steuern kann (vgl. §§ 171–173 BGB). Übrigens ist auch an die Befugnis zur Erteilung einer Untervollmacht zu denken. Insgesamt kann die Vollmacht neben der Funktion der Vermeidung der Betreuung und den Möglichkeiten der Vertretung im 1 BayObLG v. 7.5.1997 – 3Z BR 123/97, FamRZ 1998, 920. 2 Vgl. BayObLG v. 10.10.1995 – 3Z BR 217/95, FamRZ 1996, 371; OLG Düsseldorf v. 6.12.1996 – 25 Wx 60/96, FamRZ 1997, 904; Palandt/Götz, Einf. v. § 1896 Rz. 5. 3 Dafür, dass auch entsprechende Andeutungen in der Vollmacht genügen, Erman/ A. Roth, § 1906 Rz. 62. 4 Schwab, FamRZ 1990, 683. 5 Walter, S. 108 f. m.w.N. 6 Zur Abgrenzung der Vorsorgegeneralvollmacht zu einer einzelnen Kontovollmacht OLG Köln v. 19.3.1999 – 16 Wx 30/99, FamRZ 2000, 188. S. weiter Tersteegen, NJW 2007, 1717. 7 Zu Bestattungsvorsorgeverträgen Widmann, FamRZ 2001, 74 ff. m.w.N. 1060

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persönlichen Bereich noch zusätzlich die Verwendbarkeit als Generalvollmacht im traditionellen Sinne erhalten. Zur VorsorgeregisterVO s. oben Rz. 32.

VII. Die Betreuungsverfügung In den §§ 1897 Abs. 4 S. 3, 1901 Abs. 2 S. 2, 1901c BGB ist erkennbar, dass es möglich ist, schon vor der Bestellung eines Betreuers Vorschläge zur Person des Betreuers sowie Vorschläge zur Wahrnehmung von dessen Aufgaben kundzutun. An eine bestimmte Form ist eine solche Betreuungsverfügung nicht gebunden. § 1901c BGB beinhaltet nur für den Fall, dass ein Betreuungswunsch schriftlich geäußert worden ist, die Pflicht dessen unverzüglicher Ablieferung an das Betreuungsgericht. Relevant wird die Betreuungsverfügung nur und erst in der Situation konkreter Einwilligungsunfähigkeit. Hinzu kommen muss überdies, dass keine eigene bindende Entscheidung für die konkrete Situation im Vorfeld getroffen worden ist1.

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Der Patient kann in der Betreuungsverfügung unstreitig auch Wünsche hinsichtlich der Wahrnehmung der Betreuung äußern2. Zweifelhaft ist aber, ob die Wunschbefolgungspflicht des Betreuers durch das „Wohl“ des Betreuten begrenzt ist. Hat der Betreute die Wünsche im einwilligungsunfähigen Zustand geäußert, fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für die Annahme einer Wunschbefolgungspflicht. Anders könnte es nur liegen, wenn der Betreute die Wünsche im einwilligungsfähigen Zustand zum Ausdruck gebracht hat3. Gegen eine entsprechende Differenzierung sprechen jedoch durchgreifende Einwände. Da es nicht um einen Wunsch für eine hinreichend konkrete Situation geht, wird im Prinzip die Entscheidung in die Hände einer anderen Person gelegt. Gerade weil der Betroffene einen potenziellen Betreuer einzuschalten wünscht, möchte er die Schutzmechanismen, die zu seinen Gunsten wirken könnten, jedenfalls auch berücksichtigt wissen. Anderenfalls hätte er eine entsprechende Patientenverfügung im einwilligungsfähigen Zustand verfassen können. Richtigerweise sollte daher die Wunschbefolgungspflicht des Betreuers durch das Wohl des Betreuten auch dann begrenzt werden können, wenn der Betreute die Wünsche im einwilligungsfähigen Zustand geäußert hat. In § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB kommt das hinreichend deutlich zum Ausdruck4.

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VIII. Musterformulierungen M 169 Patientenverfügung Vor- und Zuname: … Geburtsdatum: … 1 2 3 4

Vgl. auch Prinz von Sachsen Gessaphe, S. 175. Taupitz, JuS 1992, 9; Langenfeld, S. 156. Dafür Langenfeld, S. 166 ff. S. auch Prinz von Sachsen Gessaphe, S. 211 f., 255 f. Spickhoff

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Straße/Hausnummer: … Tel.-Nr.: … PLZ/Wohnort: … Für den Fall, dass ich nicht mehr in der Lage bin, mein Selbstbestimmungsrecht auszuüben, treffe ich folgende Anweisungen: An mir sollen keine lebensverlängernden Maßnahmen vorgenommen werden, wenn medizinisch festgestellt ist, dass ich mich im unmittelbaren Sterbeprozess befinde. Insbesondere soll das Sterben oder Leiden nicht ohne Aussicht auf erfolgreiche Behandlung verlängert werden. Ebenso wenig wünsche ich lebensverlängernde Maßnahmen, wenn es zu einem nicht behebbaren Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt, die nach ärztlichem Ermessen zum Tode führen. Insbesondere sollen Apparate zur Aufrechterhaltung oder Unterstützung von Organfunktionen dann nicht eingesetzt werden. Ähnliche medizinische Hilfen sollen unterlassen und gegebenenfalls abgebrochen werden. Maßnahmen der Wiederbelebung wünsche ich nicht im Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit [oder im Falle voraussichtlich/höchstwahrscheinlich dauerhafter Schädigung des Gehirns mit der Folge von Kommunikationsunfähigkeit]. Nur zur Leidensminderung bin ich mit einer Intensivtherapie und sonstigen geeigneten medizinischen Maßnahmen einverstanden. Das Gleiche gilt zur Linderung von Unruhe und Angst. Leidens- und schmerzlindernde, angst- und unruhevermeidende medizinische Maßnahmen erbitte ich auch dann, wenn hierdurch eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Diese Entscheidung treffe ich nach eingehender Beratung und Aufklärung durch (…, Name und Dienstanschrift des aufklärenden Arztes). Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: … Unterschrift, Ort und Datum des aufklärenden Arztes: … Diese Patientenverfügung wird von mir erneut bestätigt: … Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: … Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: … Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: …

M 170 Vorsorgevollmacht Personalien (wie 1.) Für den Fall, dass ich die Geschäftsfähigkeit oder meine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verloren habe, so dass ich nicht mehr imstande bin, mein Selbstbestimmungsrecht in Gesundheits- und Vermögensangelegenheiten wirksam 1062

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auszuüben1, und für den Fall, dass verbindliche Anordnungen in meiner Patientenverfügung vom … nicht getroffen worden sind, bevollmächtige ich Frau/Herrn: … geb. am: …, wohnhaft: …, Tel.: …, mich in allen meinen Angelegenheiten (insbesondere in den im Einzelnen benannten Aufgaben) zu vertreten und Entscheidungen für mich zu treffen. Die Vollmacht soll der Anordnung einer Betreuung vorgehen. Soweit gleichwohl ein Betreuer bestellt wird, bleibt die Vollmacht im Übrigen bestehen. Die bevollmächtigte Person darf auch Krankenunterlagen einsehen und in deren Herausgabe an Dritte einwilligen. Zu diesem Zweck entbinde ich die mich behandelnden Ärzte gegenüber der bevollmächtigten Person von der Schweigepflicht. Die bevollmächtigte Person ist berechtigt und verpflichtet, von den mich behandelnden Ärzten eine Aufklärung über die Art meiner Erkrankung, meinen Zustand und die Prognose sowie Möglichkeiten der Behandlung zu verlangen. Die Vollmacht hinsichtlich meiner persönlichen Angelegenheiten ist nicht übertragbar. Auch eine Untervollmacht darf insoweit nicht erteilt werden. In Vermögensangelegenheiten kann der Bevollmächtigte Untervollmacht erteilen. Insoweit ist er von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Die Vollmacht bleibt über den Tod hinaus wirksam. Vermögensangelegenheiten: Die Vollmacht umfasst (insbesondere) folgende Maßnahmen: – Verfügung über mir gehörende Gegenstände, – die Befugnis, über meine laufenden Konten bei Geldinstituten zu verfügen, ggf. um die Kosten für einen Krankenhausaufenthalt oder den Aufenthalt in einem Heim einschließlich der Transport- und Arztkosten zu begleichen. Ich weise meine Geldinstitute an, nicht auf einer beglaubigten Vollmacht zu bestehen2.

1 Diese bereits die Wirksamkeit der Vollmacht betreffende Einschränkung („Für den Fall …“) kann sich in Vermögensangelegenheiten als problematisch erweisen, weil ein Vertragspartner oft nicht feststellen kann, ob die Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers eingetreten ist. Wenn deshalb der Vollmachtgeber das Bedenken gegen einen möglichen Rechtsmissbrauch der Vollmacht wegen vorzeitiger Verwendung zugunsten der Rechtsklarheit gegenüber Vertragspartnern (z.B. Geldinstituten) zurückstellt (worüber er zu belehren ist), ist zu empfehlen, die Vollmacht sogleich uneingeschränkt zu erteilen (in diesem Sinne Ramstetter in Bonefeld/Wachter, Erbrecht, § 21 Rz. 13). Der Bevollmächtigte sollte dann freilich im Innenverhältnis angewiesen werden, von ihr nur im Bedarfsfall Gebrauch zu machen. Dabei ist auf eine klar erkennbare Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis, die sonst ihrerseits zu Unklarheiten führen kann, im Text – ggf. in getrennten Urkunden – zu achten. Allerdings kann eine dem Vertragspartner bekannte oder grob fahrlässig unbekannte Überschreitung des Innenverhältnisses zum Missbrauch der Vertretungsmacht führen, das den Vertretenen nicht bindet. Zu dieser und weiteren Fragen bei der Formulierung s. auch Zimmermann, NJW 2014, 1573 ff. 2 Dem Vernehmen nach wird eine Vollmacht, die nicht auf bankeigenen Formularen erteilt und nicht notariell beurkundet ist, von Geldinstituten in der Regel nicht akzeptiert. Spickhoff

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– die Befugnis, Vereinbarungen mit Kliniken, Alten- oder Pflegeheimen abzuschließen, – die Befugnis, Zahlungen für mich entgegenzunehmen, zu quittieren oder Zahlungen vorzunehmen, insbesondere die Begleichung aller Verpflichtungen des täglichen Lebens, einschließlich der Haushaltsführung und etwaiger Unterhaltsverpflichtungen, – die Befugnis, mich gegenüber Behörden, Gerichten, privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen sowie sonstigen öffentlichen Einrichtungen (Beihilfe) und gegenüber Privatpersonen außergerichtlich und gerichtlich zu vertreten sowie alle Prozesshandlungen für mich vorzunehmen, – die Befugnis, im Falle einer dauerhaften Unterbringung meine Wohnung aufzulösen, den Mietvertrag zu kündigen, die Wohnungseinrichtung zu verkaufen (oder zu verschenken, soweit nicht testamentarisch entgegenstehende Anordnungen getroffen worden sind), – die Befugnis, im Falle einer dauerhaften Unterbringung auch grundlegende Vermögensverfügungen (Hausverkauf1, Kauf und Verkauf von Wertpapieren) vorzunehmen. Persönliche Angelegenheiten: Die Vollmacht umfasst weiterhin (insbesondere) folgende Aufgaben: – Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, auch bei der Entscheidung über die Unterbringung in einem Pflegeheim oder in einer geschlossenen Anstalt, – Entscheidung über freiheitsentziehende oder unterbringungsähnliche Maßnahmen (etwa das Anbringen von Bettgittern, Gurten oder anderen mechanischen Vorrichtungen sowie die Verabreichung von Medikamenten, betäubende wie sonstige, auch wenn sie erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen haben können), – Zustimmung oder Ablehnung von ärztlichen Maßnahmen einschließlich von Maßnahmen der Intensivtherapie und lebensgefährlichen Maßnahmen, 1 Nach § 167 Abs. 2 BGB bedarf eine Vollmacht an sich nicht der Form, die für das Rechtgeschäft gilt, auf die sich die Vollmacht bezieht. Das gilt prinzipiell auch im Falle des Verkaufs von (Haus-)Grundstücken. Nur wenn der Weg einer unwiderruflich erteilten Vollmacht gewählt worden wäre (wofür indes wenig spricht), ist nach str. Rspr. zum Zwecke der Vermeidung einer Umgehung von § 311b Abs. 1 BGB die notarielle Beurkundung der Vollmacht erforderlich (z.B. OLG Karlsruhe v. 28.10. 1985 – 4 W 75/85, NJW-RR 1986, 100; OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, NJW-RR 1989, 663; Palandt/Ellenberger, § 167 Rz. 2; näher MüKo.BGB/Kanzleiter, § 311b Rz. 45; für eine noch weiter gehende teleologische Reduktion von § 167 Abs. 2 BGB etwa NK-BGB/Ackermann, § 167 Rz. 34, 38 m.w.N.), Gegenüber dem Grundbuchamt ist ggf. zudem ein formgebundener Nachweis der Vollmacht gem. § 29 GBO (namentlich öffentliche Beglaubigung) erforderlich (OLG München v. 16.12.2009 – 34 Wx 97/09, 34 Wx 097/09, FamRZ 2010, 1271 = NJW-RR 2010, 747). Generell wird eine notariell beurkundete Vollmacht, gerade auch in Bezug auf den Verkauf von (Haus-)Grundstücken, in der Praxis (auch der Grundbuchämter) problemloser auf Akzeptanz stoßen, mag sie auch rechtsdogmatisch nicht zwingend geboten sein. 1064

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– Entscheidungen über die Einleitung oder den Abbruch einer künstlichen Ernährung, die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch bzw. die Einstellung lebenserhaltender oder lebensverlängernder Maßnahmen wie Sauerstoffzufuhr, künstliche Beatmung, Medikation, Bluttransfusion und Dialyse, vorausgesetzt, die Krankheit mit infauster Prognose hat einen nach ärztlichem Ermessen mit hoher Wahrscheinlichkeit irreversiblen und in wenigen Tagen/Wochen zum Tode führenden Verlauf genommen (ggf.: und verbindliche Entscheidungen in meiner Patientenverfügung vom … sind nicht getroffen worden). – Entscheidungen über die Sterbebegleitung und die Leidhilfe, auch soweit Ärzte und Pflegepersonal dadurch gehalten werden, Schmerz, Atemnot, unstillbaren Brechreiz, Erstickungsangst oder vergleichbaren schweren Angstzuständen entgegenzuwirken, selbst wenn mit diesen Maßnahmen das Risiko einer Lebensverkürzung nicht ausgeschlossen werden kann (ggf.: sofern hierzu nichts in meiner Patientenverfügung vom … niedergelegt worden ist). – die Entscheidung darüber, ob und inwieweit nach meinem Tod zu Transplantationszwecken Organe entnommen werden dürfen oder ob und inwieweit mein Körper zu wissenschaftlichen Zwecken einer Sektion zugeführt werden kann (ggf.: soweit nicht in meiner Patientenverfügung vom … oder an anderer Stelle von mir hierzu nichts selbst bestimmt worden ist). Unterschrift: … Ort: … Datum: … Diese Erklärung wird von mir erneut bestätigt: Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: … Unterschrift des Patienten, Ort, Datum: …

M 171 Betreuungsverfügung Personalien (wie 1.) Als Betreuer wünsche ich Herrn/Frau: … geb. am: …, wohnhaft: … (Ggf.: Mein Betreuer soll insbesondere die Durchsetzung meiner in meiner Patientenverfügung vom … niedergelegten Anordnungen sicherstellen und im Sinne dieser Anordnungen liegende Einzelmaßnahmen insoweit veranlassen, als sie von mir in meiner Patientenverfügung nicht selbst verbindlich festgelegt worden sind und meine Vorsorgevollmacht vom … aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht wirksam ausgeübt werden kann.) Name des Patienten, Ort, Datum: …

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XVII. Der digitale Nachlass Schrifttum: Brinkert/Stolze/Heidrich, Der Tod und das soziale Netzwerk – Digitaler Nachlass in Theorie und Praxis, ZD 2013, 153; Brisch/Müller-ter Jung, Digitaler Nachlass – Das Schicksal von E-Mail- und De-Mail-Accounts sowie Mediencenter-Inhalten, CR 2013, 446; Deusch, Digitales Sterben: Das Erbe im Web 2.0, ZEV 2014, 2; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Juni 2013, http://anwaltver ein.de/downloads/stellungnahmen/SN-DAV34_13.pdf; Herzog, Der digitale Nachlass – ein bisher kaum gesehenes und häufig missverstandenes Problem, NJW 2013, 3745; Hoeren, Der Tod und das Internet – Rechtliche Fragen zur Verwendung von E-Mailund WWW-Accounts nach dem Tode des Inhabers, NJW 2005, 2113; Martini, Der digitale Nachlass und die Herausforderung postmortalen Persönlichkeitsschutzes im Internet, JZ 2012, 1145; Pruns, Keine Angst vor dem digitalen Nachlass! Erbrechtliche Grundlagen – Alte Probleme in einem neuen Gewand?, NWB 2013, 3161; Pruns, Keine Angst vor dem digitalen Nachlass! Erbrecht vs. Fernmeldegeheimnis?, NWB 2014, 2175; Rott/Rott, Wem gehört die E-Mail? Rechts- und Praxisprobleme beim digitalen Nachlass, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, Umfassende Nachfolgeplanung – digitales Erbe, Vorsorgevollmacht und höchstpersönliche Verfügungen, 1. Rz.

I. Einleitung und Definition . . . . . .

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II. Rechtliche Grundsätze zum digitalen Nachlass 1. Grundprinzip Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Differenzierung zwischen privaten und vermögensbezogenen Daten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerichtliche Zuständigkeit und anzuwendendes Recht . . . . . . . . . .

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III. Die wichtigsten Fallbeispiele 1. E-Mails . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Praxis der Anbieter . . . . . . 2. Soziale Netzwerke a) Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Praxis der Anbieter . . . . . .

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3. Websites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Clouds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Online-Bestellungen und Internet-Auktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vererbbarkeit von Apps, eBooks, Musik- und Videosammlungen . . 7. Kritische Betrachtung der AGB der Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Konsequenzen für die Beratungspraxis 1. Die Perspektiven der Beteiligten . 2. Digitale Nachlassplanung und Vermögensvorsorge . . . . . . . . . . . . a) „Digitale Vorsorgemappe“ und „digitaler Bevollmächtigter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungen im Testament . . . c) Sonstige Vorsorgemaßnahmen

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I. Einleitung und Definition 1

Ein immer größer werdender Teil unseres Lebens spielt sich im Internet ab. Internetnutzer korrespondieren per E-Mail und kaufen im Netz ein. Sie pflegen private und geschäftliche Beziehungen in sozialen Netzwerken, sie teilen Fotos, Videos und Texte mit anderen Nutzern, sie chatten und twittern. Bibliotheken, Musik- und Filmsammlungen stehen nicht mehr im Regal, sondern werden im Netz heruntergeladen und digital angelegt. Eine Welt ohne Computer, Smartphone und Internet ist für viele Menschen nicht mehr vorstellbar. Doch was geschieht mit all den Internetaktivitäten, den Online-Rechtsbeziehungen 1066

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eines Menschen, den zahlreichen Daten – kurz: seinem digitalen Nachlass – wenn er verstirbt? Eine allgemein gültige Definition für den Begriff gibt es bislang nicht1. Teilweise wird der digitale Nachlass beschrieben als „Accounts und Daten im Internet, die nach dem Tode des Benutzers weiter bestehen bleiben“2. Diese Definition ist jedoch zu eng, umfasst sie doch z.B. nicht die lokal auf der Hardware des Erblassers wie Computer oder Smartphone gespeicherten digitalisierten Informationen.

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Der Vorzug ist deshalb einer weiter gefassten Definition zu geben, wonach zum digitalen Nachlass sämtliche „Rechtsverhältnisse des Erblassers betreffend informationstechnische Systeme einschließlich des gesamten elektronischen Datenbestands des Erblassers“3 zählen. Hierzu gehören neben der Hard- und Software des Erblassers seine gesamten auf lokalen Datenträgern oder im Internet gespeicherten Daten sowie seine Zugänge zum Internet. Ferner zählen zum digitalen Nachlass die E-Mails des Erblassers, die Rechte an Websites und Blogs sowie Fotos, Videos, Textbeiträge und sonstige Inhalte, die er im Internet veröffentlich oder dort erstellt hat. Auch sämtliche Vertragsabschlüsse und Vertragsbeziehungen des Erblassers im Internet sowie die Abwicklung bloßer Vertragsmodalitäten online (wie etwa die Rechnungstellung per E-Mail) sind mit umfasst4.

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Der exponentiell zunehmenden Bedeutung des Lebens im und mit dem Internet steht diametral die bislang dürftige juristische Auseinandersetzung mit dem digitalen Nachlass eines verstorbenen Menschen gegenüber. In der juristischen Literatur wurde das Thema lange Zeit stiefmütterlich behandelt, erst seit kürzerer Zeit erfreut es sich im Schrifttum wachsender Beliebtheit. Doch die steigende Zahl an Fachbeiträgen zeigt vor allem eines: Zahlreiche Fragen und Probleme rund um den digitalen Nachlass sind bislang rechtlich völlig ungeklärt. Dies liegt zum einen daran, dass es Rechtsprechung zum Thema (noch) so gut wie nicht gibt. Hinzu kommt, dass die Internetaktivitäten des Erblassers auf eine Gemengelage aus Vorschriften unterschiedlicher Rechtsgebiete und formularmäßigen Regelungen der Internetanbieter treffen, so dass eine Betrachtung nur aus erbrechtlicher Sicht meist nicht ausreicht. Für den Berater birgt der digitale Nachlass, der durch das Älterwerden der internetaffinen Generationen in den nächsten Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird5, damit mannigfaltige neue Herausforderungen.

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II. Rechtliche Grundsätze zum digitalen Nachlass 1. Grundprinzip Gesamtrechtsnachfolge Ausgangspunkt für die Frage der Vererbbarkeit des digitalen Nachlasses ist das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession), § 1922 BGB. Demnach geht das Vermögen des Erblassers als Ganzes, d.h. mitsamt allen vererblichen Rechten und Pflichten, auf den Erben als Rechtsnachfolger über. 1 Deusch, ZEV 2014, 2 (2). 2 Vgl. Pruns, NWB 2013, 3161 (3161), der sich auf die Definition in der Internetenzyklopädie Wikipedia bezieht. 3 Deusch, ZEV 2014, 2 (2 f.). 4 Vgl. Herzog, NJW 2013, 3745 (3745). 5 Scherer, MAH Erbrecht, § 1 Rz. 29. Holzer

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Ein erster Zwischenbefund aus erbrechtlicher Sicht lautet deshalb, dass der Erbe als Rechtsnachfolger in sämtliche Rechtspositionen des Erblassers auch bezüglich des digitalen Nachlasses eintritt1. Vererbt wird das Eigentum an der Hardware des Erblassers, also Computer, Smartphone, Festplatte oder USB-Stick, einschließlich der darauf gespeicherten Daten, die Bestandteil des Geräts bzw. Speichermediums sind2 (zu möglichen Ausnahmen hiervon s. Rz. 69 ff.). Ferner gehen die vertraglichen Rechte und Pflichten aus Online-Beziehungen jeglicher Art im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben über. Daraus können sich – vorbehaltlich entgegenstehender vertraglicher und gesetzlicher Regelungen – Ansprüche des Erben gegen den Internetanbieter auf Auskunft, Zugang zu oder Löschung von Internetkonten sowie Herausgabe von Daten ergeben. Urheberrechte des Erblassers an geschützten Werken, ob nun digitalisiert auf seiner Hardware gespeichert, im Internet veröffentlicht oder dort erstellt, sind gem. §§ 28 ff. UrhG vererblich. Dazu zählen Fotos (Schutz als Lichtbildwerk gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG oder als Lichtbild gem. § 72 UrhG) und Videos (Schutz als Filmwerk gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG oder zumindest als Laufbild, § 95 UrhG) ebenso wie vom Erblasser verfasste Texte wie etwa Blog-Einträge (Sprachwerk gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG)3. 2. Differenzierung zwischen privaten und vermögensbezogenen Daten?

Beratungssituation: Der Erblasser hat in seinem Testament eine gemeinnützige Stiftung zur Alleinerbin eingesetzt und seine beiden erwachsenen Kinder aus geschiedener Ehe enterbt. Er fragt seinen Berater, ob damit automatisch auch seine privaten digitalen Daten, insbesondere private E-Mails und die Inhalte seines Facebook-Accounts, der Erbin zustehen oder ob seine Kinder nach dem Erbfall darauf Zugriff haben. 7

Stark umstritten ist im Schrifttum, ob das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge auch für die höchstpersönlichen Daten im digitalen Nachlass des Erblassers gelten soll. Dies wird insbesondere am Beispiel der E-Mails des Erblassers, aber auch für sonstige Internet-Accounts diskutiert. Der Debatte liegt die Überlegung zugrunde, dass das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge nicht für die überwiegend persönlichkeitsbezogenen Rechte und Pflichten des Erblassers gilt4. Hierzu zählt auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, das, soweit es dem Schutz ideeller Interessen dient, als höchstpersönliches, unauflöslich an die Person seines Trägers gebundenes Recht nicht vererblich ist5. Da jedoch das Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde über den Tod eines Menschen hinaus gilt, besteht auch nach dem Erbfall ein postmortaler Persönlichkeitsschutz für den Verstorbenen weiter6. Wird dieser verletzt, so stehen ei1 Vgl. Herzog, NJW 2013, 3745 (3746). 2 Bräutigam, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013. 3 Zu Art und notwendigem Umfang für die Schutzfähigkeit eines Sprachwerks vgl. Dreier/Schulze, § 2 UrhG Rz. 83 ff. 4 Wachter in Scherer, MAH Erbrecht, § 4 Rz. 4. 5 BGH v. 5.10.2006 – I ZR 277/03, MDR 2007, 417 = FamRZ 2007, 207 = NJW 2007, 684; die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts gehen hingegen gem. § 1922 BGB auf den Erben über, BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, MDR 2000, 1147 = FamRZ 2000, 1080 = NJW 2000, 2195 („Marlene Dietrich“). 6 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, JZ 1968, 697 („Mephisto“). 1068

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nem vom Erblasser zu Lebzeiten ermächtigten Wahrnehmungsberechtigten, ansonsten den nahen Angehörigen (jedoch nicht dem Erben, soweit nicht personengleich!), Abwehrrechte gegen diese Verletzung zu1. Vor diesem Hintergrund sind nach einer Ansicht die höchstpersönlichen E-Mails des Erblassers und sonstige höchstpersönliche Internet-Account-Daten nicht vererblich2. Private E-Mails des Erblassers mit ausschließlich nicht vermögensrechtlichem Bezug (z.B. eine Liebes-E-Mail) sollen stattdessen den nächsten Angehörigen des Erblassers, ggf. auch besonderen Vertrauenspersonen zustehen, da diese die Rechte des postmortalen Persönlichkeitsschutzes des Verstorbenen wahrnehmen. Denn die Informationen in den E-Mails könnten erheblich für das Andenken an den Verstorbenen sein und auch nach seinem Tod sein Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen3. Dies soll sowohl für die E-Mails gelten, die bereits auf einem Gerät des Erblassers gespeichert sind, als auch für den Anspruch auf Übertragung der noch nicht abgerufenen E-Mails des Erblassers gegen den Anbieter4.

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Für Fälle, in denen der Erblasser ein E-Mail-Konto für geschäftliche und private E-Mails geführt hat, wird sogar eine „Infektionstheorie“ diskutiert. Danach könnte die Vermischung privater und geschäftlicher E-Mails das gesamte E-Mail-Konto infizieren, mit der Folge, dass dann sämtliche E-Mails den Angehörigen zuzuordnen wären bzw. dass nur diese Kenntnis nehmen dürften5.

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Vertreten wird ferner, dass bei höchstpersönlichen, geschützten Internet-Accounts des Erblassers eine Pflicht des Diensteanbieters zur Geheimhaltung über den Tod hinaus gegenüber jedermann fortbestehe6. Zum postmortalen Persönlichkeitsschutz gehöre, dass der Einzelne auch nach seinem Tod gegen die Ausforschung seiner Persönlichkeit durch unbefugte Dritte geschützt bleibe. Unbefugte Dritte in diesem Sinne könnten aber auch Erben oder eigene Angehörige sein7. Die Entfaltung der Persönlichkeit im Internetzeitalter werde erheblich gehemmt, könnten sich die Nutzer nicht darauf verlassen, dass ihre Daten auch nach ihrem Tode nur denjenigen zugänglich gemacht werden, denen sie diese zugänglich machen wollten8. Zugangsaccounts dürften vom Anbieter deshalb nur weitergegeben werden, wenn der Erblasser ausdrücklich oder stillschweigend gegenüber dem Anbieter oder Dritten die Freigabe verfügt habe9. Das Dilemma eines Accounts, in dem höchstpersönliche und vermögensrechtliche Daten (die dem Erben zustehen) vermischt sind, sei nur zu lösen, indem ein neutraler Dritter – ein Testamentsvollstrecker oder der Diensteanbieter selbst – die Daten nach dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Erblassers aussortiere10. Für

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1 BGH v. 20.3.1968 – I ZR 44/66, JZ 1968, 697 („Mephisto“). 2 Hoeren, NJW 2005, 2113 (2114 ff.) zu E-Mails; Martini, JZ 2012, 1145 (1147 ff.); Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (154 ff.); vgl. auch Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (2). 3 Hoeren, NJW 2005, 2113 (2114). 4 Hoeren, NJW 2005, 2113 (2114). 5 Bräutigam, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 16 (24); Rott/ Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (5). 6 Martini, JZ 2012, 1145 (1152). 7 Martini, JZ 2012, 1145 (1150). 8 Martini, JZ 2012, 1145 (1155). 9 Martini, JZ 2012, 1145 (1152). 10 Martini, JZ 2012, 1145 (1152). Holzer

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öffentlich verfügbare personenbezogene Informationen über den Verstorbenen, wie die Daten einer eigenen Homepage, könnten hingegen die Angehörigen das datenschutzrechtliche Totenfürsorgerecht wahrnehmen1. 11

Die Gegenansicht lehnt eine Differenzierung nach vermögensbezogenen und nichtvermögensbezogenen Daten ab2. Aus dem vielzitierten Grundsatz, dass vermögensrechtliche Positionen in der Regel vererbbar seien, nichtvermögensrechtliche Positionen hingegen in der Regel nicht3, dürfe nicht der Schluss gezogen werden, dass dem Erben Vermögenswerte oder geschäftliche Inhalte und den Angehörigen alles Private zustehe4. Tatsächlich würden das Eigentum oder sonstige Rechte an einer Sache unabhängig davon vererbt, in welchem Kontext der Erblasser die Sache benutzt habe. Das Erbrecht differenziere gerade nicht zwischen dem privaten und dem vermögensbezogenen Nachlass. Dies zeige schon ein Blick in den Gesetzestext: So lasse sich aus § 2047 Abs. 2 BGB folgern, dass Schriftstücke, die sich auf die persönlichen Verhältnisse des Erblassers beziehen, vererbt werden. Auch könne aus § 2373 S. 2 BGB (wobei zu den „Familienpapieren und Familienbildern“ auch Briefe und Tagebücher zählen5) der Umkehrschluss gezogen werden, dass auch diese höchstpersönlichen Papiere in den Nachlass fallen und vererbbar sind6. Aus den Rechtsgrundsätzen zum postmortalen Persönlichkeitsschutz ergebe sich nichts anderes: Tatsächlich handele es sich dabei um ein Recht des Verstorbenen, das ein Wahrnehmungsberechtigter oder subsidiär die Angehörigen nach dem Erbfall subjektiv treuhänderisch für den Verstorbenen ausübten. Daraus könnten den Angehörigen Abwehrrechte zustehen; ein Alternativverhältnis, wonach Positionen des Nachlasses entweder auf die Erben oder die nächsten Angehörigen übergehen, ergebe sich daraus aber nicht7.

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Der zweiten Ansicht ist zuzustimmen. Die Differenzierung zwischen vermögensbezogenen und nichtvermögensbezogenen Daten lässt sich mit den erbrechtlichen Regelungen des BGB ebenso wenig vereinbaren wie eine nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen digitalem und „analogem“ Nachlass: Briefe und Tagebücher in Papierform dürften demnach unabhängig von ihrem Inhalt vererbt werden, E-Mails jedoch nicht. Der Diensteanbieter soll verpflichtet werden, die höchstpersönlichen Daten des Erblassers auszusortieren, eine Verpflichtung für den Vermieter, die Wohnung des Erblassers nach höchstpersönlichen Gegenständen und Unterlagen zu durchsuchen, bevor er dem Erben Zutritt gewährt, gibt es jedoch nicht8. Zudem wird eine Differenzierung oft allein schon daran scheitern, dass auch vermeintlich höchstpersönliche Daten einen Vermögensbezug haben können. Als Beispiel sei nur die private E-Mail genannt, die für die Testamentsauslegung ausschlaggebend ist. 1 Martini, JZ 2012, 1145 (1154). 2 Herzog, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 30 (48 ff.); Herzog, NJW 2013, 3745 (3747 ff.); Pruns, NWB 2013, 3161 (3166). 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1922 Rz. 19. 4 Herzog, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 30 (49), mit dem Hinweis, dass der Grundsatz zur Vererbbarkeit von vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Positionen so pauschal ohnehin nicht richtig sei. 5 Christmann, BeckOK.BGB, § 2373 Rz. 1. 6 Pruns, NWB 2013, 3161 (3166); Herzog, NJW 2013, 3745 (3748). 7 Herzog, NJW 2013, 3745 (3748 f.). 8 Vgl. zu diesem zutreffenden Vergleich Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (455). 1070

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Im Übrigen würde die praktische Umsetzung einer solchen Differenzierung in der Realität wohl schlicht scheitern: Wer soll – wenn keine Testamentsvollstreckung angeordnet ist – die beim Erblasser gespeicherten Daten in höchstpersönliche und vermögensbezogene sortieren? Zum Aufgabenkreis der Nachlassgerichte zählt dies nicht1. Der Vorschlag, dies müssten treuhänderisch die Diensteanbieter übernehmen, begegnet nicht nur rechtlichen Bedenken mit Blick auf das Fernmeldegeheimnis. Er würde außerdem zu der widersinnigen Lösung führen, dass dann Fremde über höchstpersönliche Angelegenheiten des Erblassers entscheiden würden, anstatt nach den erbrechtlichen Regeln sein Erbe. Zudem ist der Vorschlag mit Blick auf den zu erwartenden Aufwand – die Rechtsabteilungen der Anbieter müssten bei jedem einzelnen Nachlassfall zunächst einmal die tatsächlichen und rechtlichen Hintergründe recherchieren, um die Inhalte überhaupt trennen zu können! – auch nicht realistisch.

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Im Ergebnis stehen damit dem Erben sämtliche Daten des Erblassers zu, egal ob privat oder geschäftlich, ob beim Anbieter oder auf dem heimischen PC gespeichert. Im Ausgangsfall hat damit die alleinerbende Stiftung Anspruch auf die privaten E-Mails des Erblassers sowie auf die Inhalte seines Facebook-Kontos, wenn im Testament nichts anderes bestimmt wurde. Den Angehörigen stehen dagegen Abwehransprüche zu, wenn etwa durch die Darstellung des Verstorbenen im Internet seine Menschenwürde verletzt wird2; die bloße Berührung der Menschenwürde reicht dabei nicht aus3. Die Kinder des Erblassers im Beispielfall haben also keinen Zugriff auf digitale Inhalte. Sie könnten allenfalls Abwehransprüche geltend machen, wenn die Erbin z.B. durch das Betreiben eines Facebook-Gedenkprofils für den Vater und das Posten unangemessener Inhalte postmortal dessen Menschenwürde verletzt.

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3. Gerichtliche Zuständigkeit und anzuwendendes Recht Bei Streitigkeiten aus auf den Erben übergegangenen Vertragsbeziehungen mit internationalen Internetanbietern stellt sich regelmäßig die Frage nach der internationalen Gerichtszuständigkeit und dem anwendbaren nationalen Recht.

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Für die internationale Gerichtszuständigkeit gilt bei grenzüberschreitenden zivilrechtlichen Streitigkeiten innerhalb der EU die EuGVVO. Diese greift gem. Art. 1 Abs. 2a EuGVVO zwar nicht bei erbrechtlichen Ansprüchen als solchen, wohl aber bei auf den Rechtsnachfolger übergegangenen vertraglichen Ansprüchen4. Bei einem Verbrauchervertrag ist die EuGVVO anwendbar, wenn der Vertragspartner des Verbrauchers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats seinen Wohnsitz oder – bei drittstaatlichen Unternehmen – zumindest eine Niederlassung hat und hierüber am Vertragsschluss beteiligt ist, Art. 15 Abs. 1c, Abs. 2 EuGVVO. Wurde der Verbrauchervertrag über eine aktive Website geschlossen, die im Wohnsitzstaat des Verbrauchers zugänglich ist, kann der Erbe gem. Art. 16 Abs. 1 Var. 2 EuGVVO an seinem Wohnort klagen5. Sollte die EuGVVO aus-

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Herzog, NJW 2013, 3745 (3750). Herzog, NJW 2013, 3745 (3750). Scherer, MAH Erbrecht, § 1 Rz. 32. Vgl. Wagner in Stein/Jonas, ZPO, Art. 5 EuGVVO Rz. 26. Wagner in Stein/Jonas, ZPO, Art. 15 EuGVVO Rz. 44 ff. mit Details zu den Voraussetzungen. Holzer

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nahmsweise nicht anwendbar sein, so sind die Vorschriften der ZPO einschlägig, nach denen auch bei Verbraucherverträgen mit drittstaatlichen Unternehmen regelmäßig keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben sein wird1. 17

Das anzuwendende nationale Vertragsrecht bestimmt sich nach der ROM-I-VO. Demnach gilt gem. Art. 4 Abs. 1 ROM-I-VO das Recht des Aufenthaltsstaates des Verkäufers bzw. Dienstleisters, wenn keine Rechtswahl getroffen wurde. Bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher gilt hingegen das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit dort ausübt oder auf irgendeine Weise auf diesen Staat ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt, Art. 6 Abs. 1 ROM-I-VO. Damit gilt das Recht des Verbrauchers, wenn der Vertrag über eine im Verbraucherstaat abrufbare Website des Unternehmers abgeschlossen wurde2.

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Eine Rechtswahl ist auch bei Verbraucherverträgen grundsätzlich zulässig, Art. 6 Abs. 2, Abs. 3 ROM-I-VO. Die Verbraucherschutzvorschriften des Verbraucherstaates gelten aber trotz Rechtswahl, da diese dem Verbraucher nicht den Schutz des zwingenden Rechts entziehen darf, das ohne Rechtswahl anzuwenden wäre, Art. 6 Abs. 2 S. 2, Abs. 1 ROM-I-VO. Damit unterliegen allgemeine Geschäftsbedingungen des Unternehmers trotz Rechtswahl der Parteien der Inhaltskontrolle der §§ 305 ff. BGB. Eine AGB-Rechtswahlklausel als solche ist dabei grundsätzlich unproblematisch, allerdings kann nach der Rechtsprechung die Wahl von ausländischem Gerichtsstand und ausländischem Recht in AGB wegen unangemessener Verbraucherbenachteiligung unwirksam sein3.

III. Die wichtigsten Fallbeispiele 1. E-Mails 19

Von zentraler Bedeutung für die Abwicklung digitaler Nachlässe ist das E-MailKonto des Erblassers. Da für fast alle Online-Aktivitäten eine E-Mail-Adresse notwendig ist, stellt das E-Mail-Konto den „Dreh- und Angelpunkt“4 dieser Aktivitäten dar. a) Rechtslage

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Bei der Frage nach dem Schicksal der E-Mails des Erblassers im Erbfall ist zunächst zu unterscheiden zwischen: – E-Mails, die der Erblasser vor dem Erbfall abgerufen und auf seiner Hardware abgespeichert hat, sowie – E-Mails, die beim Erbfall noch auf dem Server des Anbieters lagern. 1 2 3 4

Vgl. Hoffmann in Tamm/Tonner, Verbraucherrecht, § 38 Rz. 20 ff. Palandt/Thorn, VO Rom I Rz. 6. OLG Stuttgart v. 17.2.2011 – 2 U 65/10, WRP 2011, 644. Pruns, NWB 2013, 3161 (3162).

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Für die vom Erblasser noch zu Lebzeiten abgerufenen E-Mails, die auf einem Computer oder anderen Gerät gespeichert sind, gilt: Der Erbe erwirbt Eigentum an der Hardware samt der darauf enthaltenen Daten (vgl. Rz. 5 f.), also auch der gespeicherten E-Mails. Dies gilt nach der hier vertretenen Ansicht unabhängig vom Inhalt der E-Mails (vgl. Rz. 7 ff.).

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Bei E-Mails, die noch auf dem Server des Anbieters lagern, gilt: In das schuldrechtliche Vertragsverhältnis1 zwischen dem Erblasser und dem E-Mail-Anbieter samt allen Rechten und Pflichten tritt der Erbe als Rechtsnachfolger ein, § 1922 BGB. Damit geht auch die Inhaberschaft am E-Mail-Account auf den Erben über.

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Zu diesem Ergebnis kommt man auch dann, wenn man (wie im Schrifttum vertreten) eine Parallele zwischen E-Mail-Account und Girokonto zieht2. Mit Bezug auf eine BGH-Entscheidung3 zur Rechtsnachfolge in ein Girovertragsverhältnis wird diskutiert, ob die Inhaberschaft an einem E-Mail-Konto ebenso wie die Inhaberschaft an einem Girokonto nicht vererbbar sein könnte4. Dies trifft allerdings selbst dann nicht zu, wenn man den Vergleich für stimmig hält: Das Girovertragsverhältnis zwischen einer Bank oder Sparkasse und ihrem Kunden ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichen Elementen, in den der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger eintritt. Das Girovertragsverhältnis erlischt dem BGH zufolge im Erbfall gerade nicht, sondern geht zunächst auf den Erben über. Erst wenn der Erbe das Konto als sein eigenes fortführt, entsteht ein neues Vertragsverhältnis5. Nichts anderes gilt für das E-Mail-Konto.

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Damit hat der Erbe aus erbrechtlicher Sicht aus der übergegangenen Inhaberschaft des E-Mail-Kontos Anspruch auf Übermittlung der auf dem Server des Anbieters eingegangenen E-Mails (unabhängig von ihrem Inhalt, vgl. Rz. 7 ff.), dies ist eine Primärleistungspflicht des Anbieters6. Ferner hat der Erbe Anspruch auf Auskunft gegen den Anbieter bezüglich Vertrags- und Zugangsdaten wie dem Passwort7.

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Etwas anderes gilt nur, wenn der Erblasser etwas anderes verfügt oder vertraglich etwas anderes mit dem Anbieter vereinbart hat8. Dass der Erblasser keine diesbezügliche Regelung getroffen hat, ist allerdings kein Argument gegen eine Freigabe9.

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Umstritten ist jedoch, ob der Verpflichtung des Anbieters zur Herausgabe der Erblasser-E-Mails an den Erben Art. 10 Abs. 1 GG entgegensteht, da er damit gegen das Fernmeldegeheimnis verstößt.

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1 Ein E-Mail-Vertrag ist ein „typengemischter Vertrag mit werk-, dienst- und mietvertraglichen Elementen“, vgl. Bräutigam, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 16 (19). 2 Bräutigam, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 16 (18 f.). 3 BGH v. 24.3.2009 – XI ZR 191/08, MDR 2009, 817 = ZEV 2009, 306. 4 Vgl. Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (4). 5 BGH v. 24.3.2009 – XI ZR 191/08, MDR 2009, 817 = ZEV 2009, 306. 6 Herzog, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 30 (52), die zutreffend die Parallele zum Anspruch des Erben gegen die Post auf Herausgabe eines beförderten Briefs gem. §§ 421 Abs. 1 S. 1 HGB, 1922 BGB zieht. 7 Pruns, NWB 2013, 3161 (3165). 8 Herzog, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 30 (54). 9 Herzog, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 30 (57). Holzer

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aa) Nach Ansicht des DAV stellt die Weiterleitung der auf dem Server eines Anbieters gespeicherten Mails des Erblassers an den Erben grundsätzlich einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis dar, soweit sie nicht von der Einwilligung aller am Kommunikationsvorgang Beteiligten, also auch des Absenders, gedeckt ist1. Nach § 88 Abs. 3 TKG als einfachgesetzlicher Ausprägung des Fernmeldegeheimnisses2 dürfen Diensteanbieter dem Fernmeldegeheimnis unterliegende Inhalte (zu denen nach herrschender Meinung E-Mail-Inhalte zählen3) nur dann an andere weitergeben, wenn dies im TKG oder einer anderen Vorschrift vorgesehen ist und die Vorschrift sich ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht. Nach dem BVerfG soll der Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG sich zeitlich auch noch auf E-Mails erstrecken, die bereits auf dem Internetserver des Anbieters des Empfängers abgelegt sind (und zwar auch dann, wenn dieser bereits Kenntnis von ihnen genommen hat)4. Dasselbe gilt lt. DAV für § 88 TKG5.

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Die Internetprovider seien als private Grundrechtsträger zwar nicht unmittelbar durch die Grundrechte verpflichtet. Sie seien jedoch mit Blick auf die FraportEntscheidung des BVerfG6 durch Art. 10 Abs. 1 GG einer mittelbaren Grundrechtsbindung unterworfen, die im Bereich des Schutzes der Kommunikation der unmittelbaren Grundrechtsbindung des Staates in Reichweite und Intensität nahe- bis gleichkomme7.

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Konkret liege damit in der Weitergabe durch den Provider der bei ihm gespeicherten E-Mails an den Erben des Empfängers ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (und damit im Ergebnis auch ein Verstoß gegen § 206 StGB), soweit nicht der Absender im Einzelfall seine Einwilligung erteilt habe. Da § 88 TKG alle am Kommunikationsvorgang Beteiligten schützt, sei es für die Einwilligung nicht ausreichend, wenn der Erblasser dem Erben durch Bekanntgabe des Passworts oder durch letztwillige Verfügung seinen Internet-Account überlassen habe, da der Adressat einer E-Mail nicht mit Wirkung für den Kommunikationspartner auf die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verzichten könne8. Auch sei § 1922 BGB mangels ausdrücklichen Bezugs auf Telekommunikationsvorgänge keine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage i.S.d. § 88 Abs. 3 S. 3 TKG9.

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Als Konsequenz fordern der DAV und mit ihm Teile der Fachliteratur eine Ergänzung des § 88 TKG, die es den Providern ermöglicht, E-Mails an den Erblasser herauszugeben10. Ein Vergleich mit dem Postgeheimnis zeige, dass dort § 39 Abs. 3 1 Vgl. Mayen/Zuck, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 66 (66 ff.); zustimmend Deusch, ZEV 2014, 2 (5); ähnlich Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (5 f.); Heinzelmann, EE 2014, 14 (14 f.). 2 Bock in Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, § 88 Rz. 1. 3 Bock in Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, § 88 Rz. 8. 4 BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431. 5 Mayen/Zuck, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 66 (72 f.). 6 BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226. 7 Mayen/Zuck, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 66 (70). 8 Mayen/Zuck, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 66 (76). 9 Mayen/Zuck, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 66 (81). 10 S. Gesetzesvorschlag mit Vorschlag für eine amtliche Begründung im Wortlaut in Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 6 (6 ff.); dem Vorschlag zustimmend Deusch, ZEV 2014, 2 (5 f.). 1074

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Digitaler Nachlass

Rz. 34

B XVII

S. 4 PostG (gemeint ist hier offensichtlich § 39 Abs. 4 S. 2 PostG) die Postdienstleister dazu ermächtigt, mit dem Kunden vertragliche Vereinbarungen über die Zustellung an Ersatzempfänger zu treffen. Eine solche Regelung enthalte das TKG nicht1. Der Gesetzgeber hat den Vorschlag bislang nicht aufgegriffen. Der Gegenansicht zufolge ist eine gesetzliche Regelung nicht notwendig. Die Weiterleitung von E-Mails an den Erben und die Gewährung des Zugangs zum E-Mail-Account des Erblassers stelle keinen Verstoß des Anbieters gegen das Fernmeldegeheimnis dar2. Als in den Vertrag mit dem Dienstleister eingetretener Rechtsnachfolger habe der Erbe einen Anspruch auf Abrufbarkeit der E-Mails, den der Anbieter erfüllen müsse. Dieser verschaffe dem Erben damit nur Zugang „im zur geschäftlichen Erbringung von Telekommunikationsdiensten erforderlichen Maße“, was § 88 Abs. 3 S. 1 TKG erlaube3.

31

Zudem habe die Einwilligung des Absenders bereits tatbestandsausschließende Wirkung: Mit dem Absenden der Nachricht und dem Zugang beim Erblasser noch zu dessen Lebzeiten hätten die Kommunikationspartner ihre Verfügungsbefugnisse über den Inhalt der Nachricht auf den Adressaten übertragen. Die mit dem Absenden erklärte und durch den Zugang wirksam gewordene Einwilligung in die Kenntnisnahme durch den Empfänger könne im Nachhinein nicht noch einmal eingeschränkt oder unter Bedingungen gestellt werden. Die Verfügungsbefugnis des Erblassers gehe auf den Erben über4.

32

Dies zeige auch der Vergleich mit der Rechtslage beim Brief- und Postgeheimnis. Zudem sei § 39 Abs. 3 S. 4 PostG (gemeint ist auch hier offensichtlich § 39 Abs. 4 S. 2 PostG) wohl tatsächlich keine Ermächtigungsnorm für eine Ersatzzustellung an den Erben. In Wirklichkeit regle die Norm eher Szenarien, in denen ein Brief an den Nachbarn oder ähnliche Personen zugestellt werden muss, weil der Empfänger nicht zu Hause und ein Einlegen des Briefes in den Briefkasten nicht möglich ist5. Dies zeige auch die Praxis: Die Postdienstleister betrachteten die Zustellung an den Erben gar nicht als einen Fall der Ersatzzustellung, wie z.B. die AGB der Deutschen Post AG zeigten, die in § 4 Abs. 3 den Erben des Empfängers nicht als möglichen Ersatzempfänger benennen6.

33

Geht die Nachricht erst nach dem Tod des Erblassers zu, sollen die Grundsätze der mutmaßlichen Einwilligung zugunsten des Erben gelten. Denn dessen Interesse an der Sichtung der Kommunikation überwiege ein (ggf. vorhandenes, aber sowohl bei geschäftlichen als auch privaten Kontakten fragwürdiges) Geheimhaltungsinteresse des Kommunikationspartners. Die ausdrückliche Einwilligung des Kommunikationspartners könne ohne Zugang zum Konto in der Regel gar nicht eingeholt und dem Erben angesichts der sechswöchigen Ausschlagungsfrist gem. § 1944 Abs. 1 und 2 BGB auch nicht zugemutet werden7.

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1 2 3 4 5

Deusch, ZEV 2014, 2 (5 f.). Pruns, NWB 2014, 2175 ff. Pruns, NWB 2014, 2175 (2178). Pruns, NWB 2014, 2175 (2186). Pruns, NWB 2014, 2175 (2181) mit Verweis auf die Argumentation von Herzog in NK-BGB, Anh. zu § 1922 Rz. 64. 6 Pruns, NWB 2014, 2175 (2181). 7 Pruns, NWB 2014, 2175 (2184 ff.). Holzer

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B XVII

Rz. 35

Digitaler Nachlass

35

Weiter wird gegen die Forderung nach einer gesetzlichen Neuregelung eingewandt, dass die Anforderungen an private Unternehmen nicht überspitzt und Providern auch nicht die gleichen Grundrechtsbindungen wie dem Staat auferlegt werden dürften. Denn dem Anbieter werde sonst unter Heranziehung des Fernmeldegeheimnisses eine Rolle als Wächter über dessen Einhaltung zugewiesen, die es in der Offline-Welt in einer vergleichbaren Konstellation – etwa im Postbereich – nicht gebe1.

36

Ferner wird im Schrifttum vertreten, dass auf dem Server des Anbieters eingegangene E-Mails ohnehin nicht mehr vom Fernmeldegeheimnis geschützt seien2. Diese Ansicht dürfte jedoch angesichts der insofern eindeutigen Rechtsprechung des BVerfG3 überholt sein.

37

Zwar ist dem DAV darin zuzustimmen, dass eine gesetzgeberische Klarstellung u.U. aus Gründen der Rechtssicherheit wünschenswert wäre4. Denn die Erben müssen derzeit angesichts der streitigen Rechtslage mit einer strengen Praxis der Anbieter rechnen, die die Strafbarkeit nach § 206 StGB fürchten.

38

Dennoch ist der Gegenansicht zuzustimmen, wonach die Weiterleitung von Erblasser-E-Mails an den Erben ohne ausdrückliche Einwilligung aller Beteiligten keinen Verstoß des Anbieters gegen § 88 Abs. 3 TKG darstellt. Denn durch die Herausgabe der Erblasser-E-Mails an den Erben erfüllt der Anbieter lediglich seine vertragliche Pflicht. Der Erbe als Rechtsnachfolger ist in diesem Zusammenhang damit schon kein „anderer“ i.S.d. § 88 Abs. 3 TKG.

39

Art. 10 Abs. 1 GG begründet ein Abwehrrecht gegen die Kenntnisnahme des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation durch den Staat sowie gleichzeitig einen Auftrag an diesen, Schutz auch insoweit vorzusehen, als Private sich Zugriff auf die Kommunikation verschaffen. Dem trägt § 88 TKG Rechnung5. Jedoch handelt es sich beim Erben gerade nicht um einen solchen Dritten, sondern um den durch § 1922 BGB legitimierten Rechtsnachfolger des Kommunikationsteilnehmers, der nach dessen Tod in sämtliche Rechtspositionen eintritt. Als solcher ist er nicht nur berechtigt, sondern angesichts der Haftungsvorschriften des Erbrechts ggf. sogar dazu verpflichtet, die Korrespondenz des Erblassers zu prüfen.

40

Zuzustimmen ist der Gegenansicht auch insofern, als dass bei der Weiterleitung der E-Mails an den Erben zumindest die mutmaßliche Einwilligung des Absenders angenommen werden kann6. In den meisten Fällen – insbesondere bei geschäftlichen, aber auch bei privaten E-Mails – werden die Kommunikationspartner mit der Weiterleitung der E-Mails an den Erben rechnen oder (vor allem, wenn sie Geschäftspartner sind) diese sogar ausdrücklich erwarten.

1 2 3 4 5 6

Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (450 f.). Hoeren, NJW 2005, 2113 (2115). BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431. Ähnlich Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (450 f.). Bock in Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, § 88 Rz. 5. Ausdr. a.A. Mayen/Zuck, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 66 (76 f.).

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Digitaler Nachlass

Rz. 45

B XVII

b) Die Praxis der Anbieter In der Realität ist das Vorgehen der verschiedenen Diensteanbieter beim Tod eines Nutzers uneinheitlich. Teilweise finden sich Regelungen in den allgemeinen Geschäftsbedingungen1, teilweise werden die Praktiken vertraglich nicht geregelt.

41

Die deutschen Anbieter GMX und Web.de gewähren dem Erben auf Antrag und gegen Vorlage eines Erbscheins Zugang zu dem E-Mail-Konto des Erblassers2, ohne dies jedoch in ihren AGB zu regeln. GMX sieht in seinen AGB ferner vor, dass der Anbieter die im Konto des Nutzers gespeicherten Nachrichten bei Kontoinaktivität nach sechs Monaten von sich aus löschen kann3.

42

Der Anbieter Yahoo schließt den Zugriff des Erben auf das Konto eines verstorbenen Nutzers in seinen AGB aus, dort heißt es unter Ziffer 5.44: „Ein Account ist nicht übertragbar und alle Rechte an dem Account und den gespeicherten Inhalten erlöschen mit dem Tod des Nutzers.“ Auch das Passwort zum Konto gibt Yahoo nicht heraus. Möglich sind den Hilfeseiten von Yahoo zufolge nur die Schließung des Kontos des Verstorbenen und die Löschung sämtlicher Inhalte. Hierzu muss ein Antrag mit der Kopie der Sterbeurkunde sowie einer Kopie der Urkunde, welche den Antragsteller als „persönlichen Vertreter oder Testamentsvollstrecker des Nachlasses des Verstorbenen“ benennt (gemeint sind wohl das Testamentsvollstreckerzeugnis bzw. ein Erbschein) an die Yahoo-Rechtsabteilung übersandt werden5.

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Die Firma Microsoft bietet für ihren Mail-Service Outlook.com (früher: Hotmail) auf ihren Hilfeseiten ein „Verfahren für nächste Angehörige“ an, wenn ein Nutzer verstirbt6. Dabei werden die auf einer DVD gespeicherten Kontoinhalte an nahe Angehörige, einen Bevollmächtigten oder den Erben weitergegeben, das Konto selbst kann geschlossen werden. Voraussetzung dafür ist ein Antrag mit diversen Informationen zu dem E-Mail-Konto des Verstorbenen, zusätzlich müssen eine Kopie der Sterbeurkunde, eine Ausweiskopie des Antragstellers sowie ein Nachweis für die Beziehung zum Erblasser vorgelegt werden, z.B. eine Kopie der Heiratsurkunde oder des Testaments. Es wird dazu geraten, die Dokumente auf Englisch bzw. zusammen mit einer beglaubigten Übersetzung einzureichen. Bei der Entscheidung über den Antrag behält Microsoft sich einen Ermessensspielraum vor. Das Passwort für das E-Mail-Konto wird nicht herausgegeben. Weist ein E-Mail-Konto 365 Tage lang keine Aktivität auf, löscht Microsoft die Inhalte von sich aus.

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Google sieht bei seinem E-Mail-Service Google Mail auf seinen Hilfeseiten zwei Möglichkeiten für den Fall vor, dass ein Nutzer verstirbt: In einem zweistufigen Verfahren7 kann ein „autorisierter Vertreter“ des verstorbenen Nutzers den Zugriff auf das Konto beantragen. Hierzu muss er im ersten Teil eine Kopie seines

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1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Rz. 79 zu Zweifeln an der Wirksamkeit einiger dieser Klauseln. Martini, JZ 2012, 1145 (1146). http://service.gmx.net/de/cgi/g.fcgi/products/mail/agb. https://info.yahoo.com/legal/eu/yahoo/utos/de-de/. https://de.hilfe.yahoo.com/kb/yahoo-account/SLN2021.html?impressions=true. http://windows.microsoft.com/de-de/outlook/next-of-kin. https://support.google.com/accounts/answer/2842525?hl=de&ref_topic=30755325. Holzer

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B XVII

Rz. 46

Digitaler Nachlass

„amtlichen Ausweises“ beibringen sowie eine Sterbeurkunde, die „von einem entsprechend beeidigten Übersetzer beglaubigt ins Englische übersetzt“ worden sein muss. Außerdem muss der Antragsteller nachweisen, dass er und der Verstorbene über dessen Google Mail-Konto per E-Mail korrespondiert haben. In einem zweiten Schritt teilt Google dann nach einer Vorprüfung mit, ob das Verfahren fortgesetzt werden kann, und falls ja, welche weiteren Schritte notwendig sind. Dazu gehören eine „Anordnung eines US-Gerichts und/oder die Vorlage weiterer Unterlagen“. Ob und welche Daten Google dann tatsächlich herausgibt, steht im Ermessen des Unternehmens. 46

Die zweite Möglichkeit ist der sog. Kontoinaktivität-Manager1. Dabei kann der Google Mail-Nutzer zu Lebzeiten festlegen, welche Vertrauensperson von Google benachrichtigt werden soll, wenn sein Google-Konto (zu dem auch das Google Mail-Konto gehört) längere Zeit inaktiv war. Er kann ferner bestimmen, welche Informationen Google der Vertrauensperson in diesem Fall zugänglich machen soll, also z.B. die Freigabe der eingegangenen E-Mails. Ist das Google-Konto dann nach dem Tod des Nutzers inaktiv, so erhält die Kontaktperson nach Ablauf des zuvor festgelegten Zeitraums eine Nachricht von Google, die die notwendigen Informationen zum Datenzugriff enthält. 2. Soziale Netzwerke a) Rechtslage

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Bei der Vereinbarung zwischen Nutzer und Anbieter eines sozialen Netzwerks wie Facebook, Xing oder Twitter handelt es sich nach h.M. um einen schuldrechtlichen Mischvertrag mit dienst- und werkvertraglichen Elementen2. In die vertragliche Beziehung zwischen Anbieter und Erblasser tritt der Erbe gem. § 1922 BGB ein. Die Vererbbarkeit der schuldrechtlichen Beziehung ist auch nicht wegen besonderer Personenbezogenheit gem. § 399 BGB analog ausgeschlossen, wonach ein Recht unvererblich sein kann, wenn sein Inhalt in einem solchen Maße auf die Person des Berechtigten oder Verpflichteten zugeschnitten ist, dass bei einem Subjektwechsel die Leistung in ihrem Wesen verändert würde3. Denn auch wenn die Profile der Nutzer bei sozialen Netzwerken stark personenbezogen sind, liegt eine Schutzbedürftigkeit des Anbieters bereits insofern nicht vor, als dass der Vertrag selbst regelmäßig ohne nähere Prüfung des Nutzers abgeschlossen und seine Identität auch im laufenden Betrieb nur in Ausnahmefällen kontrolliert wird4.

48

Als Rechtsnachfolger des Erblassers kann der Erbe die Vertragsbeziehung kündigen oder bestimmen, dass das Profil des Verstorbenen samt Inhalten gesperrt bzw. gelöscht wird, sofern der Erblasser nichts Abweichendes verfügt hat. Er hat 1 https://support.google.com/accounts/answer/3036546?hl=de. 2 Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (154): Dass viele Anbieter wie z.B. Facebook ihre Dienste kostenfrei anbieten, steht der schuldrechtlichen Natur der Vereinbarung demnach nicht entgegen, da der Anbieter dank der Einwilligung des Nutzers in die Nutzungs- und Datenschutzvereinbarung Kontrolle über dessen Daten erhält, die er kapitalisieren kann. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1922 Rz. 21. 4 Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (155). 1078

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Digitaler Nachlass

Rz. 53

B XVII

ferner Anspruch gegen den Anbieter auf Zugang zum Konto/Profil des Erblassers, auf Herausgabe der dort gespeicherten Inhalte und auf Auskunft über die Vertragsdaten1. Hat der Erblasser über das soziale Netzwerk Nachrichten versandt und empfangen oder Inhalte mit einem begrenzten Nutzerkreis geteilt, so handelt es sich um Datenübertragungen gem. § 3 Nr. 24 TKG, so dass auf solche Dienste neben dem Telemediengesetz das Telekommunikationsgesetz anzuwenden ist (vgl. § 7 Abs. 2 S. 3 TMG). Unterliegen die vom Erblasser an andere Nutzer oder umgekehrt übertragenen Daten dem Fernmeldegeheimnis, ist die Rechtslage ungeklärt, ebenso wie bei E-Mails, die beim Erbfall noch auf dem Server des Anbieters lagern (vgl. Rz. 26 ff.).

49

Das Urheberrecht an geschützten Werken wie Fotos oder Videos des Erblassers, die er auf seinen Account hochgeladen oder dort erschaffen hat, geht gem. §§ 28 ff. UrhG auf den Erben über. Allerdings muss der Erbe Nutzungsrechte an diesen Inhalten, die der Erblasser dem Anbieter ggf. vertraglich eingeräumt hat, gem. § 31 Abs. 1 S. 1 UrhG gegen sich gelten lassen2.

50

Hatte der Erblasser Konten bei kostenpflichtigen Netzwerken oder nutzte er sog. Premium-Accounts, haftet der Erbe als Schuldner auch für die nach dem Erbfall anfallenden Beiträge, § 1967 BGB. Auch wenn vertraglich dazu nichts geregelt ist, hat der Erbe ggf. das gesetzliche Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 314 Abs. 1 BGB, weil die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für ihn unzumutbar ist – man denke etwa an den verheirateten Erben, der in den Vertrag seines verwitweten Vaters mit einer kostenpflichtigen Online-Partnervermittlung eintritt.

51

b) Die Praxis der Anbieter Facebook bietet auf seinen Hilfeseiten verschiedene Optionen beim Tod eines Nutzers an: Zum einen kann jede beliebige Person über ein Online-Formular beantragen3, dass das Profil in den sog. Gedenkzustand versetzt ist. Beizufügen ist dem Antrag ein Todesnachweis wie z.B. eine Kopie der Todesanzeige. Ein solches Konto kann nicht mehr bearbeitet oder verändert werden, geteilte Inhalte des Verstorbenen bleiben aber weiterhin sichtbar. Freunde können in der Chronik seines Profils Erinnerungen teilen und private Nachrichten an das Konto senden. Eine Anmeldung ist auch mit den gültigen Zugangsdaten nicht mehr möglich4.

52

Ferner können „direkte Familienmitglieder“ oder ein „Nachlassverwalter“ online die Löschung des Kontos beantragen5. Dem Antrag sind ein „offizielles Dokument“ für den Todesnachweis, z.B. die Kopie der Sterbeurkunde, sowie ein „rechtsgültiger Nachweis“ über die Beziehung zum Verstorbenen beizufügen.

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1 2 3 4 5

Vgl. Herzog, NJW 2013, 3745 (3750); vgl. zur Gegenansicht Rz. 8 ff.. Martini, JZ 2012, 1145 (1147). http://www.facebook.com/help/contact/305593649477238. http://www.facebook.com/help/103897939701143?sr=2&sid=0RK1oGyyVEZmfxpoR. https://www.facebook.com/help/contact/?id=228813257197480. Holzer

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B XVII

Rz. 54

Digitaler Nachlass

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Die Anmeldedaten des Verstorbenen teilt Facebook niemandem mit1. Allerdings kann ein „autorisierter Vertreter“ die Inhalte des Kontos eines Verstorbenen anfordern. Der Vorgang ist lt. Facebook „langwierig“ und „erfordert einen Gerichtsbeschluss“. Dem Online-Antrag sind eine Kopie des amtlichen Lichtbildausweises, eine Kopie der Sterbeurkunde samt beglaubigter Übersetzung ins Englische sowie „alle Dokumente, die eine rechtliche Verbindung zu der verstorbenen Person nachweisen“, beizufügen2.

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Bei dem Kurznachrichtendienst Twitter können laut der Rubrik „Richtlinien + Verstöße“ auf den Supportseiten eine „entsprechend der Nachlassbestimmungen bevollmächtigte Person“ oder „unmittelbare Familienmitglieder“ den Account eines Verstorbenen deaktivieren und löschen lassen. Hierzu muss neben einer Kopie der Sterbeurkunde und einer Ausweiskopie des Antragstellers ein unterzeichnetes, notariell beglaubigtes Dokument mit diversen Angaben vorgelegt werden. Der Account wird deaktiviert und nach 30 Tagen gelöscht. Die Anmeldedaten werden nicht herausgegeben3.

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Bei dem Karrierenetzwerk Xing kann jede beliebige Person den Anbieter vom Tod des Nutzers informieren, sein Profil wird daraufhin deaktiviert. Im Rahmen einer internen Prüfung wird das Mitglied sodann mehrfach angeschrieben; reagiert es nicht, wird das Konto gelöscht4. Schriftlich fixiert ist diese Praxis weder in den AGB noch auf den Hilfeseiten von Xing. Laut AGB gibt Xing das Passwort eines Nutzerprofils nicht an Dritte weiter, zu den Dritten soll auch der Erbe zählen5.

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Das Karrierewerk LinkedIn bietet auf seinen Hilfeseiten ebenfalls ein OnlineFormular an, mit dem jedermann die Schließung des Kontos und Löschung des Profils eines verstorbenen Nutzers beantragen kann6. 3. Websites

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Hatte der Erblasser eine eigene Website, so geht die Inhaberschaft an der auf ihn registrierten Internet-Domain auf den Erben über, § 1922 BGB. Zwar erwirbt ein Domain-Inhaber kein Eigentum oder ein anderes absolutes Recht an der Domain, es handelt sich aber um ein (relatives) vertragliches Nutzungsrecht, das dem Forderungsinhaber ausschließlich zugewiesen und als rechtlich geschützter Vermögenswert vererbbar ist7. Der Erbe tritt insofern in den Vertrag mit der DENIC (die zentrale Registrierungsstelle für. de-Domains) sowie dem Internet-Provider ein8.

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Will der Erbe die Website nach dem Erbfall weiterbetreiben, so muss er sicherstellen, dass die Domain-Zahlungen an die DENIC weiterlaufen, damit der Vertrag nicht gekündigt wird und er Domain und Daten verliert9. Ferner muss der 1 https://www.facebook.com/help/contact/?id=228813257197480. 2 https://de-de.facebook.com/help/123355624495297. 3 https://support.twitter.com/groups/56-policies-violations/topics/238-report-a-violation/ articles/20170148-twitter-uber-einen-verstorbenen-nutzer-informieren. 4 Bleich, c’t 2013, 62 (63); bestätigt vom Kundenservice der Xing AG auf Anfrage. 5 Bleich, c’t 2013, 62 (63). 6 http://help.linkedin.com/app/answers/detail/a_id/2842. 7 Hoeren, NJW 2005, 2113 (2116). 8 Dopatka, NJW-aktuell 49/2010, 15 (16). 9 Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (7). 1080

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Digitaler Nachlass

Rz. 64

B XVII

Erbe zeitnah zum Erbfall das Impressum der Website ändern, sofern für die Seite die Impressumspflicht gem. § 5 TMG greift, die für alle nicht rein privaten Websites gilt1. Dem Erben wird hierfür parallel zur Erbausschlagungsfrist gem. § 1944 Abs. 1, Abs. 2 BGB eine Frist von sechs Wochen zugestanden2. Ändert der Erbe das Impressum trotz Verpflichtung nicht, muss er mit einem Bußgeld gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 TMG sowie Abmahnungen rechnen. Urheberrechte an der Website sind gem. §§ 28 ff. UrhG vererblich. Neben den Inhalten wie Blog-Einträgen, Fotos und Videos (s. Rz. 6) kann die Website selbst durch Auswahl und Anordnung der Texte als Sprachwerk, Werk der angewandten Kunst oder auch Darstellung wissenschaftlicher und technischer Art (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 4, 7 UrhG) geschützt sein3. Der Erbe rückt gem. § 30 UrhG in die Position des Urhebers ein, weshalb es ihm freisteht, die Website des Erblassers und deren Inhalte umzugestalten4, sofern der Erblasser letztwillig nichts anderes verfügt hat.

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Verstoßen Inhalte der Website gegen Rechte Dritter, z.B. wegen der unberechtigten Abbildung eines urheberrechtlich geschützten Fotos, ist Anspruchsgegner der Erbe, und zwar unabhängig davon, ob er selbst oder der Erblasser die Pflichtverletzung begangen hat5. Hat sich der Erblasser mit Inhalten seiner Website strafbar gemacht, was auch durch Verlinkung auf fremde Websites mit strafbarem Inhalt möglich ist6, so endet seine Strafbarkeit mit dem Tode. Wird der Erbe allerdings innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach dem Erbfall nicht aktiv und entfernt die entsprechenden Inhalte, setzt er sich ggf. dem Vorwurf eines Unterlassungsdelikts aus, da er als Rechtsnachfolger des Erblassers Überwachungsgarant der Gefahrenquelle „Homepage“ sein kann7.

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Entscheidet sich der Erbe, die Website nicht weiter betreiben zu wollen, kann er den Vertrag mit der DENIC gem. § 7 Abs. 1 der DENIC-Domain-Bedingungen jederzeit fristlos kündigen8.

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4. Clouds Unter einer Cloud versteht man Dienste, bei denen ein Anbieter externen Speicherplatz im Internet für Daten des Nutzers zur Verfügung stellt. Neben dem größeren Speicherplatz hat dies für den Nutzer auch den Vorteil, dass seine Daten geschützt sind, wenn sein heimisches Speichermedium verlorengeht oder defekt wird. Zugreifen kann er auf seine Daten mit jedem Gerät mit Internetanschluss.

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Der Erbe tritt mit allen Rechten und Pflichten in den Vertrag mit dem Anbieter ein. Damit geht auch der Primärleistungsanspruch9 auf Zugang zu den in der

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1 2 3 4 5 6 7 8 9

Zu Details, wann diese Pflicht greift s. Hoeren, NJW 2005, 2113 (2116). Hoeren, NJW 2005, 2113 (2117). Dreier/Schulze, § 2 UrhG Rz. 101. Herzog, NJW 2013, 3745 (3750); vgl. zum Streit um Entscheidungen des Erben zum Urheberpersönlichkeitsrecht Dreier/Schulze, § 30 UrhG Rz. 4. Hoeren, NJW 2005, 2113 (2117). Vgl. z.B. BGH v. 18.1.2012 – 2 StR 151/11, StV 2012, 539. Hoeren, NJW 2005, 2113 (2117). http://www.denic.de/domainbedingungen.html. Bleich, c’t 2013, 62 (63). Holzer

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B XVII

Rz. 65

Digitaler Nachlass

Cloud gespeicherten Daten des Erblassers – vorbehaltlich abweichender vertraglicher Regelung1 – auf ihn über. Beendet der Erbe das Vertragsverhältnis durch Kündigung, ist der Cloud-Anbieter dazu verpflichtet, die gespeicherten Daten an ihn herauszugeben2. 5. Online-Bestellungen und Internet-Auktionen 65

Der Erbe haftet als Rechtsnachfolger für Verbindlichkeiten aus Verträgen, die der Erblasser im Internet abgeschlossen hat, § 1967 BGB. Hierzu zählen auch Warenbestellungen, z.B. bei den Online-Händlern Zalando oder Amazon, sowie Käufe aus Internetauktionen, z.B. bei der Handelsplattform eBay. Dabei ist es für die Wirksamkeit von Willenserklärungen, die der Erblasser noch vor seinem Tod abgegeben hat – z.B. ein Gebot bei einer eBay-Auktion – unerheblich, dass er nach Abgabe und ggf. vor Zugang der Erklärung verstorben ist, § 130 Abs. 2 BGB. Der Empfänger kann die Willenserklärung trotzdem wirksam annehmen; der Tod des Erklärenden steht einem wirksamen Vertragsschluss nicht entgegen, § 153 BGB.

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Allerdings steht dem Erben, will er sich vom Vertrag des Erblassers lösen, das gesetzliche Widerrufsrecht gem. §§ 312c, 312g, 355 BGB zu, wenn der Erblasser Verbraucher und der Vertragspartner Unternehmer war und es sich um einen Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312c BGB handelt. Ein im Internet abgeschlossener Kaufvertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer, worunter auch eine Online-Warenbestellung fällt, ist ein Fernabsatzvertrag3. Das Widerrufsrecht des Erblassers geht als vertraglicher Hilfsanspruch im Rahmen von § 1922 BGB auf den Erben über4. Die Widerrufsfrist beträgt in der Regel 14 Tage und beginnt mit dem vollständigen Empfang der Ware durch den Verbraucher, frühestens aber mit ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung durch den Unternehmer, vgl. §§ 355 Abs. 2, 356 Abs. 3 BGB.

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Ein Widerrufsrecht besteht auch dann, wenn der Erblasser als Verbraucher im Rahmen einer eBay-Internetauktion einen Kaufvertrag mit einem gewerblichen Anbieter geschlossen hat. Ein solcher Kaufvertrag fällt nicht unter § 312g Abs. 2 Nr. 10 BGB, wonach das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Versteigerungen ausgeschlossen ist. Denn eBay-Auktionen sind keine Versteigerungen i.S.d. § 156 BGB, bei denen der Vertrag durch Zuschlag zustande kommt5. Bei der Auktion eines privaten Verkäufers ist der Widerruf durch den Erben des Käufers nur möglich, wenn der Vertragspartner dieses Recht freiwillig eingeräumt hat, da private Verkäufer den Bestimmungen des Fernabsatzrechts nicht unterliegen.

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Hat der Erblasser für Verträge im Internet Online-Bezahlsysteme wie PayPal oder ClickandBuy genutzt und weist das Konto des Erblassers ein Guthaben auf, so kann der Erbe gemäß den auf ihn übergegangenen vertraglichen Vereinbarungen von dem Anbieter die Auszahlung verlangen. 1 2 3 4 5

Vgl. Rz. 76 zu der AGB-Klausel des Apple-Dienstes iCloud beim Tod eines Nutzers. Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (7). Vgl. Palandt/Grüneberg, § 312c Rz. 2 ff. MüKo.BGB/Leipold, § 1922 Rz. 20. Palandt/Grüneberg, § 312g Rz. 13.

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Holzer

Digitaler Nachlass

Rz. 73

B XVII

6. Vererbbarkeit von Apps, eBooks, Musik- und Videosammlungen eBooks und Musik- bzw. Video-Downloads haben für viele Internetnutzer die CD, DVD oder das Buch in Papierform abgelöst. Anbieter wie iTunes und Amazon bieten die Dateien in ihren Internetstores kostenpflichtig zum Herunterladen an. Im Laufe eines Lebens kann ein Nutzer damit beträchtliche digitale Vermögenswerte anhäufen. Viel Geld geben Nutzer von Smartphones und Tablet-Computer auch für Apps aus, also Anwendungssoftware für Mobilgeräte. Doch selbst wenn diese Dateien auf dem Computer, dem Handy oder einem Speichermedium(wie einer CD), verkörpert sind, folgt daraus nicht automatisch, dass sie bei seinem Tod gemeinsam mit der Hardware auf den Erben übergehen.

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Zu berücksichtigen ist, dass der Kunde an solchen Multimedia-Dateien aus sachenrechtlicher Sicht kein Eigentum, sondern nur ein Nutzungsrecht erwerben kann1. Es ist stark umstritten, ob dafür der urheberrechtliche Erschöpfungsgrundsatz gilt.

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Nach dem Erschöpfungsgrundsatz ist das Verbreitungsrecht des Urhebers an einem Werkexemplar verbraucht, wenn es erstmalig mit seiner Zustimmung veräußert wurde, § 17 Abs. 2, 69c Nr. 3 S. 2 UrhG. Dies erlaubt es dem Erwerber eines körperlichen Werkstücks wie z.B. einer CD oder eines Buchs, dieses zustimmungsfrei an einen Dritten zu übertragen2. Auch die Vererbbarkeit des verkörperten Werks kann der Urheber damit nicht ausschließen.

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Ob der Erschöpfungsgrundsatz auch für digitale Werkexemplare gilt, wird zur Frage der Zulässigkeit des Weiterverkaufs etwa von eBooks oder Musik-Downloads kontrovers diskutiert. In einem Grundsatzurteil hat der EuGH den Erschöpfungsgrundsatz für per Internet-Download erstveräußerte Computer-Programme bejaht. Danach ist die Weiterveräußerung einer gebrauchten Software-Lizenz zulässig, wenn der Ersterwerber sie nicht mehr nutzt und seine eigene Kopie unbrauchbar macht3. Während eine Ansicht in der Literatur4 diese EuGH-Rechtsprechung auch auf andere Werkarten übertragbar sieht, lehnt die Rechtsprechung dies zumindest bislang ab5. Demnach tritt auch dadurch keine Erschöpfung ein, dass der Kunde die Datei nach dem Download z.B. auf einer CD speichert und damit selbst ein körperliches Werkstück herstellt.

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Für die im Nachlass enthaltenen Nutzungsrechte an Multimediadateien gilt damit, dass diese zwar grundsätzlich ohne Zustimmung des Rechteinhabers vererbbar sind, da § 34 UrhG nur die Übertragung unter Lebenden regelt6. Allerdings kann die Vererbbarkeit vertraglich ausgeschlossen werden, so wie der Anbieter das Nutzungsrecht insgesamt zeitlich begrenzen kann, § 31 Abs. 1 S. 2 UrhG.

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LG Bielefeld v. 5.3.2013 – 4 O 191/11, CR 2013, 812. Kloth, GRUR-Prax 2013, 239 (239). EuGH v. 3.7.2012 – C-128/11, K+R 2012, 493. Dreier/Schulze, § 69c UrhG Rz. 24; für w.N. vgl. Kloth, GRUR-Prax 2013, 239 (240). LG Bielefeld v. 5.3.2013 – 4 O 191/11, CR 2013, 812 zum Weiterverkauf von eBooks und Online-Hörbüchern; OLG Stuttgart v. 3.11.2011 – 2 U 49/11, MMR 2012, 834 zum Weiterverkauf von Online-Hörbüchern; LG Berlin v. 14.7.2009 – 16 O 67/08, GRUR-RR 2009, 329 zum Weiterverkauf von Musik-Downloads. 6 Dreier/Schulze, § 24 UrhG Rz. 8. Holzer

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B XVII

Rz. 74

Digitaler Nachlass

74

In der allgemeinen Presse – juristische Fachbeiträge zu dem Thema stehen noch aus – wird vor diesem Hintergrund vor allem darüber spekuliert, ob die Inhalte der großen Anbieter Apple und Amazon vererbbar sind. Diese haben die Vererbbarkeit in ihren Nutzungsbedingungen allenfalls rudimentär geregelt: In den Nutzungsbedingungen von Apple iTunes Store wird lediglich klargestellt, dass die iTunes-Produkte dem Nutzer nur über eine Lizenz zur Verfügung gestellt werden. Weiter heißt es: „Nicht gestattet ist jedoch der Weiterverkauf und die Weitergabe der CD oder der iTunes-Produkte, soweit dies nicht nach den gesetzlichen Schrankenbestimmungen der §§ 44 ff. UrhG erlaubt ist1.“

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Auch in den Nutzungsbedingungen des App Stores und des eBook Stores von Apple ist von „Nutzungslizenzen für Software-Produkte aus dem App Store und Mac App Store (…) und digitalen Buchinhalten“ die Rede. Diese Lizenzen könnten nur zur Nutzung als Endnutzer erworben werden. Für Apps, die der Kunde z.B. auf seinem iPad oder seinem iPhone nutzen kann, gilt: Die Lizenz beschränkt sich den Nutzungsbedingungen zufolge auf die Einräumung eines „nicht übertragbaren Nutzungsrechts an der lizenzierten Anwendung auf einem Gerät von Apple“, das im Eigentum oder im Besitz des Kunden steht. Die lizenzierte Anwendung dürfe nicht vermietet, verliehen, verkauft, übertragen, weitervertrieben oder unterlizenziert werden2.

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In den Nutzungsbedingungen für Apples Cloud-Dienst iCloud, bei dem die Kunden u.a. ihre bei iTunes heruntergeladenen Inhalte speichern können, heißt es explizit: „Sie stimmen zu, dass Ihr Konto nicht übertragbar ist und dass alle Rechte an Ihrer Apple ID oder Ihren Inhalten innerhalb Ihres Kontos mit Ihrem Tod enden“3. Allerdings ist nicht jeder iTunes-Kunde auch automatisch ein Nutzer des Dienstes iCloud.

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In den Nutzungsbedingungen für den Amazon. de Kindle-Shop ist geregelt, dass der Kunde mit dem Download der Kindle-Inhalte ein persönliches und nicht ausschließliches Recht zur Nutzung „unbegrenzt viele Male“ erwirbt. Weiter heißt es: „Sofern nichts anderes ausdrücklich angegeben ist, dürfen Sie die Rechte an den Kindle-Inhalten oder Teile davon nicht verkaufen, vermieten, verleihen, vertreiben, im Rundfunk ausstrahlen, in Unterlizenz vergeben oder anderweitig an Dritte abtreten (…)4.“

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Ob mit diesen AGB-Klauseln die Vererbbarkeit des Nutzungsrechts wirksam ausgeschlossen werden soll und kann, scheint zweifelhaft. In jedem Fall kann die Vererbung des Nutzungsrechts nicht mit dem Weiterverkauf oder einer sonstigen Übertragung an Dritte gleichgesetzt werden; schon allein deshalb, weil bereits die Gefahr eines unkontrollierbaren Sekundärmarktes für gebrauchte eBooks oder Musikdateien (ein wichtiges Argument gegen die Erschöpfungswirkung für digitale Werkexemplare5) bei einer Weiterübertragung nach dem Tod von Erstnutzern wohl nicht gegeben ist.

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http://www.apple.com/legal/internet-services/itunes/de/terms.html#SERVICE. http://www.apple.com/legal/internet-services/itunes/de/terms.html#APPS. http://www.apple.com/legal/internet-services/icloud/de/terms.html. http://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html?nodeId=200506200. Vgl. LG Bielefeld v. 5.3.2013 – 4 O 191/11, CR 2013, 812.

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Holzer

Digitaler Nachlass

Rz. 82

B XVII

7. Kritische Betrachtung der AGB der Anbieter Die exemplarisch vorgestellten Regelungen der Anbieter für den Todesfall eines Vertragspartners müssen, sofern sie Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen und eine AGB-Kontrolle nach deutschem Recht möglich ist, einer Prüfung gem. §§ 307 ff. BGB standhalten, um wirksam zu sein. Einschlägige Rechtsprechung gibt es noch nicht, im Schrifttum bestehen allerdings Zweifel an der Wirksamkeit bestimmter Regelungen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich angesichts der Vielzahl der im Internet vorhandenen Vertragstypen allgemeingültige Aussagen kaum treffen lassen.

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Sofern Anbieter in ihren AGB zur Legitimation des Erben pauschal einen Erbschein verlangen, ist die BGH-Entscheidung zu beachten, nach der die AGBKlausel einer Bank bzw. Sparkasse, wonach für den Nachweis der Erbenstellung stets ein Erbschein verlangt werden kann, den Verbraucher unangemessen benachteiligt und deshalb unwirksam ist1. Diese Rechtsprechung zu Banken/Sparkassen lässt sich auf Internetanbieter übertragen2.

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Zweifel bestehen im Schrifttum ferner an der Wirksamkeit von Klauseln über die Beendigung von Provider-Verträgen aus Anlass des Todes sowie Regelungen über die Folgen dieser Beendigung. So sollen AGB-Klauseln regelmäßig unwirksam sein, die dem Provider beim Tod des Kunden ein einseitiges Sonderkündigungsrecht einräumen; ebenso Klauseln wie „Ihr Konto erlischt mit Ihrem Tode“, nach denen ein Account nicht übertragbar ist und die für den Fall des Todes des Inhabers ein automatisches Vertragsende vorsehen3. Dasselbe soll für Klauseln gelten, nach denen es – sofern keine Regelung des Nutzers vorliegt – im Ermessen des Anbieters steht, was mit dem Account geschieht4.

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Kritik gibt es auch an Klauseln, die bei Vertragsende durch den Tod des Nutzers nur die Löschung seiner Daten, jedoch nicht die Herausgabe an den Erben vorsehen; oder umgekehrt nur die Herausgabe, aber nicht die Löschung: Die starke Einschränkung der sich aus der Natur des Provider-Vertrages ergebenden Rechte des Verbrauchers mache eine solche Klausel nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam5.

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1 BGH v. 8.10.2013 – XI ZR 401/12, FamRZ 2014, 120 = MDR 2013, 1471 = NJW 2013, 3716. 2 Redeker, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 59 (63); vgl. auch Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (4). 3 Redeker, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 59 (61 f.). Lt. Pruns, NWB 2014, 2175 (2185) ist ein so umfassender Ausschluss des Erbrechts jedenfalls dann unzulässig, wenn es sich um Nachrichtendienste wie einen E-Mail-Account handelt, da der Ausschluss als Verstoß gegen das gesetzliche Leitbild des § 1922 BGB einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht standhalte. 4 Pruns, NWB 2014, 2175 (2185). 5 Redeker, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 59 (64 f.); vgl. auch Brisch/Müller-ter Jung, CR 2013, 446 (449), wonach eine Klausel, der Account werde mit dem Tod des Nutzers gelöscht, mit dem Erbrecht unvereinbar ist und einer AGB-rechtlichen Kontrolle nicht standhält. Holzer

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B XVII

Rz. 83

Digitaler Nachlass

IV. Konsequenzen für die Beratungspraxis Beratungssituation: Im Rahmen der Testamentsgestaltung spricht der Berater die unklare Rechtslage zum digitalen Nachlass an. Der Mandant fragt daraufhin nach geeigneten Vorsorgemaßnahmen. Er erledigt einen Großteil seines Schriftverkehrs via E-Mail, ist in diversen sozialen Netzwerken aktiv und kauft gerne bei Online-Händlern ein. Außerdem betreibt er einen Blog, in dem er über private Hobbys schreibt. Alleinerbin soll seine Ehefrau werden, die sich mit Computer und Internet aber überhaupt nicht auskenne und sozialen Online-Aktivitäten sehr kritisch gegenüberstehe. Es gebe außerdem einen Account bei einem sozialen Netzwerk, von dem die Gattin auf keinen Fall zufällig erfahren solle, wenn er z.B. einen Unfall habe oder dement werde. Seine Eltern seien ebenfalls sehr internetkritisch. Der Mandant hat aber ein enges Vertrauensverhältnis mit seinem jüngeren Bruder, der internetaffin und diskret sei und sich um digitale Angelegenheiten im Notfall gerne kümmern würde. Miterbe soll er jedoch nicht werden. 1. Die Perspektiven der Beteiligten 83

Der künftige Erblasser wird sich häufig noch keine Gedanken über seinen digitalen Nachlass gemacht haben. Im Rahmen der Beratung zur Vermögensvorsorge und Nachlassplanung sollte der Mandant deshalb in einem ersten Schritt gezielt auf das Thema angesprochen und für die möglichen Probleme sensibilisiert werden. Dem aktiven Internetnutzer wird dabei vor allem daran gelegen sein, das Schicksal seiner Daten und Spuren im Internet über den Tod hinaus so gut wie möglich zu kontrollieren. Das Internet bietet dem Nutzer unzählige neue Möglichkeiten der Außendarstellung und Vernetzung, die zwangsläufig mit einem Verlust an Privatheit und Datenkontrolle einhergehen. Zu Lebzeiten mag dies – häufig auch im trügerischen Glauben an die Anonymität des Netzes – akzeptiert werden, für den Erbfall können die Befindlichkeiten des Betroffenen aber ganz anders gelagert sein; man denke z.B. an die Aktivitäten in einem Flirtchat, von denen die Partnerin nichts erfahren soll.

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Für den Erben ist es entscheidend, nach dem Erbfall schnell einen möglichst umfassenden Überblick über den digitalen Nachlass zu bekommen und gleichzeitig rasch auf die Konten und Daten zugreifen zu können. Die Informationen können nicht nur wegen übergegangener vertraglicher Pflichten, sondern auch für die Entscheidung zur Ausschlagung der Erbschaft binnen der Sechs-Wochen-Frist (§ 1941 Abs. 1, Abs. 2 BGB) wichtig sein. Den Interessen des Erben wird es angesichts der Schnelllebigkeit der Internetgesellschaft deshalb regelmäßig zuwiderlaufen, wenn er für die Sichtung und Abwicklung des digitalen Nachlasses die Testamentseröffnung oder sogar die Erteilung eines Erbscheins abwarten muss.

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Den nächsten Angehörigen (die mit dem Erben nicht personengleich sein müssen) wird vor allem der Schutz des Gedenkens an den Verstorbenen und ein pietätvoller Umgang mit seinen Daten besonders am Herzen liegen1. Generationsunterschiede und verschiedene Ansichten zur Privatheit im Internetzeitalter können dabei leicht zu Konflikten führen: So kann die 70 Jahre alte Mutter des bei einem Unfall jung verstorbenen Erblassers das Facebook-Gedenkprofil ihres 1 Vgl. Scherer, MAH Erbrecht, § 1 Rz. 32. 1086

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Holzer

Digitaler Nachlass

Rz. 90

B XVII

Sohnes als unerträglich morbide empfinden, während seine junge Lebenspartnerin es tröstlich findet, gemeinsam mit Freunden die Erinnerung an den Verstorbenen in dem sozialen Netzwerk lebendig zu halten. 2. Digitale Nachlassplanung und Vermögensvorsorge Angesichts der aufgezeigten rechtlichen Unsicherheiten gilt der Grundsatz, dass praktikable Vorsorgemaßnahmen das A und O einer konfliktfreien Nachlassabwicklung sind, für den digitalen Nachlass in besonderem Maße. Hier bieten sich verschiedene Gestaltungsinstrumente an. Sinnvoll ist eine „Kombinationslösung“1 aus einer möglichst geschützten und aktuellen Auflistung von Internetaktivitäten und Passwörtern, der Beauftragung eines „digitalen Bevollmächtigten“ sowie der endgültigen Regelung des Schicksals des digitalen Nachlasses in einer Verfügung von Todes wegen.

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a) „Digitale Vorsorgemappe“ und „digitaler Bevollmächtigter“ Ein Vorsorgebevollmächtigter für den digitalen Nachlass kann sich der dringlichsten Angelegenheiten nicht nur im Erbfall, sondern auch bei Handlungsunfähigkeit des Erblassers wegen Krankheit oder Geschäftsunfähigkeit annehmen. Die Vollmacht sollte deshalb auf jeden Fall transmortal erteilt werden2. Benannt werden sollte eine Person, die nicht nur das besondere Vertrauen des Erblassers bezüglich seiner persönlichen Daten und Internetaktivitäten genießt, sondern auch die notwendigen Internetkenntnisse mitbringt.

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Möglich ist die Aufnahme des Punktes „digitaler Nachlass“ mit in die allgemeine Vorsorgevollmacht oder aber auch die Erteilung einer separaten „digitalen Vorsorgevollmacht“ für einen anderen Bevollmächtigten. Im Innenverhältnis sind, schon um Konflikte innerhalb der Familie zu vermeiden, möglichst konkrete Anweisungen zu geben. Der Erblasser kann dem Bevollmächtigten etwa aufgeben, im Todes- oder Krankheitsfall unverzüglich eine „Abwesenheitsmeldung“ für den E-Mail-Account einzurichten, mit der Geschäftspartner informiert werden, und ihn mit der unverzüglichen Löschung bestimmter (weil etwa kompromittierender) Daten auf dem heimischen Computer oder in einem Internet-Account beauftragen.

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Die notarielle Beurkundung der Vollmacht ist für ihre Wirksamkeit nicht notwendig. Angesichts der oft größeren Akzeptanz notarieller Vollmachten könnte sie sich aber gerade für den Fall einer etwaigen Auseinandersetzung mit einem großen internationalen Internetanbieter als sinnvoll erweisen.

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Damit sowohl Bevollmächtigter als auch Erbe Zugriff auf Daten und Internetkonten haben, ist unbedingt zu einem umfassenden Verzeichnis über sämtliche Internetaktivitäten und Accounts samt zugehöriger Passwörter zu raten3. Keinesfalls vergessen werden dürfen dabei die Passwörter für die Hardware des Erblassers selbst, wie etwa Computer oder externe Festplatte.

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1 So Deusch, ZEV 2014, 2 (7). 2 Vgl. Deusch, ZEV 2014, 2 (7). 3 So auch Deusch, ZEV 2014, 2 (7); Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (8); Heinzelmann, Erbrecht effektiv 2014, 14 (16). Holzer

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B XVII

Rz. 91

Digitaler Nachlass

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Aufgrund der hohen Sensibilität der Daten ist dem Mandanten davon abzuraten, eine solche Auflistung in Papierform zu erstellen und bei seinen wichtigen Unterlagen aufzubewahren. Denkbar wäre zwar eine Hinterlegung bei einem Notar oder in einem Bankschließfach, jedoch scheint diese Lösung wenig praktikabel: Datenschützer raten dazu, Passwörter regelmäßig zu ändern, so dass die Auflistung nach jeder notwendigen Aktualisierung neu hinterlegt werden müsste, was mit enormem Aufwand und Kosten verbunden wäre1. Abzuraten ist ferner von einer Auflistung der Passwörter im Testament – es müsste bei jeder Passwortänderung ebenfalls geändert werden – sowie davon, die Auflistung dem Testament als Anlage beizufügen: Dem Bevollmächtigten hilft dies gar nichts und auch der Erbe hat u.U. erst nach der Eröffnung des Testamentes Zugriff auf die Verfügung samt Anlagen, was aber einige Wochen in Anspruch nehmen kann.

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Die sicherste und gleichzeitig praktischste Lösung ist folgendes Vorgehen: Der Erblasser erstellt die Übersicht über seinen digitalen Nachlass in elektronischer Form und speichert die Auflistung auf einem USB-Stick2 oder auf einer externen Festplatte3. Das Speichermedium, das beim Erblasser verbleibt, ist seinerseits passwortgeschützt. Das Passwort erhält für den Notfall der Bevollmächtigte. Sofern Erbe und Bevollmächtigter nicht personengleich sind, muss – z.B. durch konkrete Anweisung an den Bevollmächtigten oder Mitteilung des Passworts auch an den Erben – sichergestellt werden, dass nach dem Erbfall auch der Erbe, ggf. auch der Testamentsvollstrecker (s. Rz. 97 f.), Zugang zu der Auflistung haben. Die Auflistung ist regelmäßig und systematisch zu aktualisieren, sei es aufgrund von Passwortänderungen, sei es wegen der Einrichtung eines neuen Accounts, was dem Erblasser ein gewisses Maß an Disziplin und Fleiß abverlangt.

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Aus Haftungsgründen sollte der Mandant darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich in den AGB zahlreicher Internetanbieter der Hinweis findet, dass Account-Daten nicht an Dritte weitergegeben werden dürfen. Dies kann insbesondere dann problematisch werden, wenn Bevollmächtigter oder Erbe die ihnen mitgeteilten Zugangsdaten benutzen und gleichzeitig gegenüber dem Anbieter als Vertreter bzw. Rechtsnachfolger des Nutzers auftreten. Allerdings dürften sowohl ein Bevollmächtigter, der für den Erblasser in dessen Auftrag handelt, als auch der Erbe, der Rechtsnachfolger des Erblassers ist, und denen der Erblasser die Daten bewusst zugänglich gemacht hat, schon regelmäßig keine Dritten im Sinne solcher Verbotsklauseln sein.

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Abzuraten ist von der Beauftragung der zahlreichen neuen Internetfirmen, die sich auf die Verwaltung von Zugangsdaten und Passwörtern für Internet-Accounts spezialisiert haben und diese nach dem Tod des Auftraggebers an zuvor benannte Vertrauenspersonen herausgeben4. Denn abgesehen von den erheblichen Sicherheitsbedenken5 muss der Erblasser auch damit rechnen, dass er das 1 2 3 4

So auch Deusch, ZEV 2014, 2 (7). Bleich, c’t 2013, 62 (64); Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (8 f.). Brinkert/Stolze/Heidrich, ZD 2013, 153 (156). Kritisch auch Martini, JZ 2012, 1145 (1154); Deusch, ZEV 2014, 2 (7); Bleich, c’t 2013, 62 (64); ebenso Bräutigam, Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, DAV Juni 2013, 16 (28), der in solchen Diensten ein „El Dorado für illegale Machenschaften“ sieht. 5 Bleich, c’t 2013, 62 (64), demzufolge nur wenige Anbieter das Maß an Seriosität ausstrahlen, die das „sensible Geschäft mit der Nachlassverwaltung“ verlangt.

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Holzer

Digitaler Nachlass

Rz. 94

B XVII

neuartige Start-up-Unternehmen womöglich überlebt und seine Daten verlorengehen oder in falsche Hände geraten1.

M 172 Vorsorgevollmacht für digitale Angelegenheiten Ich, Vor- und Zuname: … Geburtsdatum: … Adresse: … Tel.: … E-Mail: … bevollmächtige hiermit Frau/Herrn: … Geburtsdatum: … Adresse: … Tel.: … E-Mail: … mich in meinen digitalen Angelegenheiten, das heißt im gesamten Bereich der Rechtsverhältnisse betreffend informationstechnischer Systeme einschließlich meines gesamten elektronischen Datenbestands, zu vertreten und Entscheidungen für mich zu treffen. Zu meinen digitalen Angelegenheiten zählen insbesondere: – meine Hard- und Software – alle meine lokal oder im Internet gespeicherten Daten, hierzu gehören auch meine Rechte an Websites, Blogs und jeglichen sonstigen Inhalten (Textbeiträge, Fotos, Videos), die ich im Internet veröffentlicht habe; außerdem sämtliche Rechte an Cloud-Diensten, bei denen ich Daten gespeichert habe, insbesondere bei Dropbox – sämtliche E-Mail-Accounts, insbesondere meine Accounts bei Google Mail und Web. de – Sämtliche Accounts bei sozialen Netzwerken, insbesondere bei Facebook, Xing, Instagram und Twitter – alle meine Vertragsabschlüsse und -abwicklungen im Internet, z.B. Bestellungen bei Amazon oder Online-Auktionen bei eBay – sämtliche sonstigen Vertragsbeziehungen im Internet. Diese Vollmacht ist nicht übertragbar. Es darf auch keine Untervollmacht erteilt werden. Der Bevollmächtigte ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Diese Vollmacht bleibt in Kraft, wenn ich handlungs- oder geschäftsunfähig geworden sein sollte oder wenn ich nicht mehr lebe. 1 Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (9). Holzer

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B XVII

Rz. 95

Digitaler Nachlass

Ohne dass hierdurch die Vollmacht nach außen eingeschränkt ist, wird der Bevollmächtigte im Innenverhältnis angewiesen, von der Vollmacht nur Gebrauch zu machen, wenn ich dies ausdrücklich anweise oder wenn durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen ist, dass ich aufgrund einer physischen oder psychischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht mehr oder auch nur vorübergehend für eine gewisse Zeit in der Lage bin, meine Angelegenheiten zu besorgen. Im Innenverhältnis weise ich den Bevollmächtigten an, vorzugehen wie folgt: 1. Meine E-Mails sind regelmäßig abzurufen und, falls notwendig, zu beantworten, wobei der jeweilige Kontakt in diskreter und angemessener Form von meinem Gesundheitszustand benachrichtigt werden soll. E-Mails bzw. E-MailAccounts dürfen frühestens sechs Monate nach meinem Tod gelöscht werden. 2. Von mir im Internet abgeschlossene Kaufverträge (z.B. Bestellungen bei Amazon oder Zalando) sind, soweit dies noch möglich ist, unverzüglich zu widerrufen. 3. Mein Profil bei dem Online-Flirtportal… ist unverzüglich und ungesehen von dem Bevollmächtigten zu löschen. Mein Account bei dem Netzwerk Xing ist ebenfalls zu löschen. Sollte ich länger als ein halbes Jahr handlungsunfähig sein, soll außerdem mein Facebook-Profil gelöscht werden. Im Falle meines Todes bestimmt das Schicksal meines Facebook-Accounts mein Erbe gemäß meiner Verfügungen im Testament. 4. Meine bei dem Cloud-Dienst Dropbox gespeicherten Daten sind unverzüglich abzurufen und lokal zu speichern. 5. Auf meinen Computer findet sich unter „Dokumente“ ein Ordner „privat“, der von dem Bevollmächtigten ungesehen und unverzüglich zu löschen ist. 6. Hardware, Software und sämtliche Daten sowie die Übersicht über meine Online-Aktivitäten, Zugangsdaten und Passwörter – unter Berücksichtigung der Punkte 3. und 5. – hat der Bevollmächtigte nach meinem Tode unverzüglich an meinen Erben herauszugeben. Ort, Datum

Ort, Datum

Unterschrift Vollmachtgeber

Unterschrift Bevollmächtigter

b) Regelungen im Testament 95

Während die Vorsorgevollmacht die eilbedürftigen Angelegenheiten des digitalen Nachlasses abdeckt, sollte dessen endgültiges Schicksal in einer letztwilligen Verfügung geregelt werden. Auch für die Testamentsgestaltung gilt: Je konkreter die Verfügungen und Wünsche des Erblassers ausformuliert sind, umso besser lassen sich Konflikte innerhalb der Familie oder zwischen Angehörigen und Erben zu Wahrnehmungsrechten, postmortalem Persönlichkeitsschutz und angemessenem Gedenken im Internetzeitalter vermeiden. Der Erblasser sollte also nicht nur über seine Hardware samt der gespeicherten Daten verfügen. Er muss ferner konkret bestimmten, wie mit seinen Konten und sonstigen Daten im Internet zu verfahren ist: – Soll das Facebook-Konto gelöscht oder in den Gedenkzustand versetzt werden? 1090

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Holzer

Digitaler Nachlass

Rz. 98

B XVII

– Soll der Erbe die Fotos im Instagram-Account ungesehen löschen oder herunterladen und die Fotos bestimmten Freunden oder Angehörigen zur Verfügung stellen? – Sollen die Leser des Blogs des Erblassers über seinen Tod informiert werden oder soll der Blog sang- und klanglos aus dem Netz verschwinden? Will der Erblasser Verfügungen über eine digitale Musiksammlung oder seine eBook-Bibliothek mit in das Testament aufnehmen, sollte der Berater ihn – sofern es sich um kostenpflichtig aus dem Internet heruntergeladene Daten handelt, an denen ggf. nur Nutzungsrechte bestehen – vorsorglich auf die unsichere Rechtslage zur Vererbbarkeit aufmerksam machen (s. Rz. 69 ff.) und zur genauen Prüfung der Anbieter-AGB raten.

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Für schwierige Fälle bzw. für Fälle, in denen der Erbe in bestimmte Teile des digitalen Nachlasses gerade keine Einsicht haben soll, ist ggf. auch zur Testamentsvollstreckung über den digitalen Nachlass zu raten. Dies gilt auch dann, wenn ein digitaler Vorsorgebevollmächtigter benannt wurde, da zumindest eine Generalvollmacht im Erbfall vom Erben widerrufen werden kann.

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Unabhängig davon, ob die Anordnung der Testamentsvollstreckung sich auf den digitalen Nachlass beschränkt oder Testamentsvollstreckung für den gesamten Nachlass angeordnet ist, sollten die Aufgaben in Bezug auf den digitalen Nachlass als konkrete Verwaltungsanordnung gem. § 2216 BGB ausformuliert werden, um Konflikte mit Erben und Angehörigen zu vermeiden1. Die Anweisungen in der Vorsorgevollmacht und die Verwaltungsanordnung gem. § 2216 BGB dürfen einander nicht widersprechen, sondern müssen aufeinander abgestimmt werden2. Bei der Auswahl des „digitalen Testamentsvollstreckers“ gilt dasselbe wie bei der Wahl des „digitalen Bevollmächtigten“ (s. Rz. 87).

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M 173 Testamentarische Regelung des digitalen Nachlasses Zu meinem digitalen Nachlass verfüge ich Folgendes: 1. Vorsorglich stelle ich hiermit ausdrücklich klar, dass mein Erbe als mein Gesamtrechtsnachfolger gem. § 1922 BGB in alle meine Online-Rechtsbeziehungen (z.B. mit E-Mail-Anbietern und Anbietern sozialer Netzwerke) eintritt. Er hat deshalb gegenüber den jeweiligen Anbietern (insbesondere E-Mail-Anbietern und Anbietern sozialer Netzwerke) auch Anspruch auf Herausgabe der bei ihnen im Internet gespeicherten Daten, seien sie geschäftlicher oder (höchst)persönlicher Natur. 2. Ich erteile meinem Erben folgende Auflagen: – Meine E-Mail-Konten sind ein halbes Jahr nach meinem Tode zu löschen, nachdem sämtliche Kommunikationspartner mittels einer angemessenen und pietätvoll formulierten Abwesenheitsbenachrichtigung von meinem Tode benachrichtigt und informiert worden sind, wie im Bedarfsfall mein Erbe erreicht werden kann. 1 Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (9). 2 Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (9). Holzer

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B XVII

Rz. 99

Digitaler Nachlass

– Mein Facebook-Profil ist für drei Monate nach meinem Tode in den Gedenkzustand zu versetzen. Im Anschluss soll es gelöscht werden. – Meine Accounts bei Instagram und Youtube sind zu löschen, nachdem mein Erbe die dort veröffentlichten Inhalte lokal gespeichert hat. Meine Freunde A und B sollen auf Wunsch Kopien der Fotos und Videos erhalten, die uns bei gemeinsamen Urlauben zeigen. Ein Anspruch auf bestimmte Fotos oder Videos besteht nicht. – Auf meiner privaten Website „…“ soll mein Erbe binnen sechs Wochen nach meinem Tode eine Mitteilung veröffentlichen, die die Besucher der Seite über meinen Tod informiert. Sämtliche Kommentarfunktionen sind zu sperren. Sechs Monate nach meinem Tode ist der Vertrag mit der DENIC zu kündigen und die Website zu löschen. Es steht meinem Erben frei, die Inhalte der Website vorher lokal für sich zu speichern. 3. Ich beschwere meinen Erben zudem mit folgenden Vermächtnissen: – Meinem Bruder C vermache ich meinen Tablet-Computer. Vor Erfüllung des Vermächtnisses hat mein Erbe sämtliche darauf enthaltenen Daten zu löschen, nachdem er sie ggf. für sich auf einem anderen Datenträger gespeichert hat. Der Anspruch auf diese Daten ist ausdrücklich nicht mitvermacht. – Meinem Vater vermache ich Kopien unseres langjährigen E-Mail-Schriftverkehrs, der in dem Ordner „Vater“ in meinem E-Mail-Account bei dem Anbieter Y gespeichert ist. Der Vermächtnisnehmer kann nicht von meinem Erben verlangen, die E-Mails nach Erfüllung des Vermächtnisses bei sich zu löschen.

c) Sonstige Vorsorgemaßnahmen 99

Um Sichtung und Abwicklung des digitalen Nachlasses im Erbfall zu erleichtern, empfiehlt es sich, dass der Erblasser privaten und geschäftlichen E-MailVerkehr trennt1, am besten also verschiedene E-Mail-Konten nutzt. Dasselbe gilt für Clouds, in denen er geschäftliche und private Daten speichert.

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Soweit keine Sicherheitsbedenken entgegenstehen, kann es auch sinnvoll sein, die bestehenden Vorsorgeangebote der Anbieter wie z.B. den Kontoinaktivitätsmanager von Google zu nutzen2. Um böse Überraschungen im Erbfall zu vermeiden, muss der Erblasser dann aber auch regelmäßig prüfen, ob der Anbieter diese Leistung tatsächlich weiterhin anbietet oder ob er die Regelungen hierzu wieder geändert hat3.

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Grundsätzlich zuzustimmen ist auch der Empfehlung, für Internetaktivitäten bewusst deutsche Anbieter zu wählen4. Ob der internetaffine Mandant angesichts der marktbeherrschenden Stellung und der für ihn attraktiven Angebote der großen internationalen Internetanbieter einem solchen Rat in der Praxis folgen wird, darf aber bezweifelt werden. 1 Heinzelmann, Erbrecht effektiv 2014, 14 (16); Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (8). 2 Insofern krit. Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (8). 3 So auch Deusch, ZEV 2014, 2 (7). 4 So Rott/Rott, NWB-EV Sonderausgabe 10/2013, 1 (8). 1092

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Holzer

C. Das Mandat nach dem Erbfall I. Die gesetzliche Erbfolge Schrifttum: Bäßler, Die erbrechtliche Stellung vor dem 1.7.1949 geborener nichtehelicher Kinder im Hinblick auf den Vater: Endlich völlige Gleichbehandlung mit den ehelichen Halbgeschwistern?, ZErb 2011, 92; Becker, Die Erwachsenenadoption als Instrument der Nachlassplanung, ZEV 2009, 25; Belling, Einführung in das Recht der gesetzlichen Erbfolge, Jura 1986, 579; Bestelmeyer, Lücken und Tücken des alten und neuen Nichtehelichenerbrechts, Rpfleger 2012, 361; Dittmann, Adoption und Erbrecht, Rpfleger 1987, 277; Grziwotz, Beratungshandbuch Lebenspartnerschaft, 2003; Eberhardt, Ehrnsberger, Das 30-Tage-Wohnrecht des überlebenden Ehegatten gemäß § 1969 BGB, ZEV 2013, 653; Heiderhoff; Das Erbrecht des adoptierten Kindes nach der Neuregelung des internationalen Adoptionsrechts, FamRZ 2002, 1682; Hölscher, Die erbschaftsteuerlich motivierte Volljährigenadoption, ZErb 2012, 253; Holl, Das Erbrecht des Staates, Rpfleger 2008, 285; Jünemann, Der neue Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft: Familienrechtliche Grundlagen und erbrechtliche Wirkungen, ZEV 2013, 353; Kemp, Bemerkungen zum gesetzlichen Erbrecht bei der Adoption nach neuem Recht, MittRhNotK 1977, 137; Kroppenberg, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, NJW 2010, 2609; Krug, Die gesetzliche Neuregelung des Erbrechts der vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder, ZEV 2011, 397; Die Umsetzung des EGMRUrteils zum Nichtehelichenerbrecht in die forensische und rechtsgestalterische Praxis, ZEV 2010, 505; Lange, Bedarf es einer Reform des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten und des eingetragenen Lebenspartners?, DNotZ 2010, 749; Leipold, Die neue Lebenspartnerschaft aus erbrechtlicher Sicht, insbesondere bei zusätzlicher Eheschließung, ZEV 2001, 218; EGMR contra BVerfG: Die erbrechtliche Diskriminierung der „alten“ nichtehelichen Kinder ist nicht länger hinnehmbar, ZEV 2009, 488; Auswirkungen der EGMR-Entscheidung Fabris gegen Frankreich auf das deutsche Nichtehelichen-Erbrecht; Mayer, Fiskuserbrecht und Erbenermittlung, ZEV 2010, 445; Meyer-Mittelstädt, Das Lebenspartnerschaftsgesetz, 2001; Muscheler, Das Recht der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, 2. Auflage 2004; Muscheler, Die erbrechtliche Universalsukzession, Jura 1999, 234, 289; Olzen, Die gesetzliche Erbfolge, Jura 1998, 135; Rauscher, Die erbrechtliche Stellung nicht in einer Ehe geborener Kinder nach Erbrechtsgleichstellungsgesetz und Kindschaftsrechtsreformgesetz, ZEV 1998, 41 ff.; Rebhan, Die Gleichstellung nichtehelicher Kinder, MittBayNot 2011, 285; Reimann, Auch künftig keine Gleichstellung nichtehelicher Kinder bei Alterbfällen?, FamRZ 2012, 604; Sarres, Nur der korrekte Scheidungsantrag kann Ehegattenerbrecht ausschließen, Erbrecht effektiv 2010, 15; ders., Gesetzliche Erbfolge ist auch unberechenbar, Erbrecht effektiv 2010, 30; Siebert, Wegfall des gesetzlichen Ehegattenerbrechts, Erbrecht effektiv 2008, 207; ders., Wegfall des Ehegattenerbrechts bei Scheidung, Erbrecht effektiv 2013, 87; Tegelkamp/Oestmann, Das Erbrecht der halben Geburt, ZErb 2009, 283; van Venrooy, Zum Umgang mit dem Dreißigsten, MDR 2010, 1030; Wälzholz, Adoptionen aus steuerrechtlichem Anlass und zivilrechtlicher Sicht, NWB 2009, 1591; Wellenhofer-Klein, Die eingetragene Lebenspartnerschaft, 2003; Zecher, Volljährigenadoption rechtssicher gestalten, Erbrecht effektiv 2009, 188. Rz.

I. Wann tritt die gesetzliche Erbfolge ein? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Überraschungen und Tücken der gesetzlichen Erbfolge . . . . . . .

2

Rz.

III. Das gesetzliche Erbrecht als Verwandtenerbfolge 1. Die gesetzliche Erbfolge als Quelle von Beratungsfehlern . . . . Grötsch

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Rz. 1

Gesetzliche Erbfolge Rz.

2. Der Begriff des „Verwandten“ . . . 3. Die Grundsäulen der Verwandtenerbfolge a) Zum Verständnis unseres Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeichenerklärung . . . . . . . . . . . c) Die Erbfolge nach Ordnungen d) Das Repräsentationsprinzip (Ausschluss nachfolgender Generationen) . . . . . . . . . . . . . . e) Das Eintrittsrecht von Abkömmlingen . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Erbfolge nach gleichwertigen Stämmen . . . . . . . . . . g) Besonderheiten ab der 2. Ordnung (Linienprinzip) . . . h) Das Gradualsystem ab der 4. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Mehrere Erbteile bei mehrfacher Verwandtschaft (§ 1927 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . j) Folgen der Erbteilserhöhung (§ 1935 BGB) . . . . . . . . . . . . . . .

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10 11 12 13 14 15 16 20 21 22

IV. Das gesetzliche Erbrecht des nichtehelichen Kindes 1. Das Erbrecht nach der Mutter . . . 2. Das Erbrecht nach dem Vater . . . a) Erbfälle vor dem 1.7.1970 . . . . b) Erbfälle ab dem 1.7.1970 bis zum 31.3.1998 . . . . . . . . . . . . . . c) Erbfälle ab dem 1.4.1998 bis zum 28.5.2009 . . . . . . . . . . . . . . d) Erbfälle ab dem 29.5.2009 . . . . e) Das gesetzliche Erbrecht nichtehelicher Kinder – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 25 26 27

Rz. V. Das gesetzliche Erbrecht der als Kind Angenommenen . . . . . . . . . .

34

1. Der minderjährig Angenommene 2. Der volljährig Angenommene . . . 3. Gestaltungsempfehlungen . . . . . .

35 43 46

VI. Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten 1. Grundvoraussetzungen des Ehegattenerbrechts . . . . . . . . . . . . a) Die Ehe bestand nicht oder nicht mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Ehegattenerbrecht trotz bestehender Ehe . . . . . . . . . . . . 2. Das Ehegattenerbrecht bei Gütertrennung und Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten bei der Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Ehegattenerbrecht bei Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . 5. Das Ehegattenerbrecht bei der Wahl-Zugewinngemeinschaft . . . 6. Tabellarische Übersicht zum gesetzlichen Ehegattenerbrecht . 7. Neue Bundesländer . . . . . . . . . . . . 8. Der Ehegattenvoraus (§ 1932 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das gesetzliche Erbrecht des eingetragenen Lebenspartners . . .

49 50 51 56 60 61 66 67 68 69 71

29 VIII. Der Dreißigste (§ 1969 BGB) . . . . 30 IX. Das Erbrecht des Staates

72

1. Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 79

33

I. Wann tritt die gesetzliche Erbfolge ein? 1

Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, – wenn keine letztwillige Verfügung getroffen wurde, – bei Unwirksamkeit der Verfügung wegen Testierunfähigkeit, Formverstoßes, Sittenwidrigkeit, unauflösbarer Widersprüchlichkeit, Unmöglichkeit der getroffenen Regelung oder Widerruf, – wenn die Verfügung keine Erbeinsetzung, sondern nur Vermächtnisse oder Auflagen enthält oder nur einen Teil des Nachlasses erfasst, § 2088 BGB, – bei Ausschlagung der per letztwilliger Verfügung berufenen Erben, §§ 1942 ff. BGB oder deren Vorversterben, 1094

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– bei Anfechtung der per letztwilliger Verfügung erfolgten Erbeinsetzung, §§ 2078 ff. BGB und – bei Erbunwürdigerklärung der per letztwilliger Verfügung berufenen Erben, §§ 2339 ff. BGB. Auch in zahlreichen weiteren Normen wird bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf die Geltung der gesetzlichen Erbfolge verwiesen, so z.B. in § 2066 BGB (Einsetzung der „gesetzlichen Erben“), § 2067 BGB (Einsetzung von „Verwandten“), § 2068 BGB (Einsetzung von „Kindern“), § 2069 BGB (Wegfall eines eingesetzten Abkömmlings), § 2094 BGB (Anwachsung), § 2104 BGB (gesetzliche Erben als Nacherben), § 2105 BGB (gesetzliche Erben als Vorerben) oder § 2149 BGB (Vermächtnis an den gesetzlichen Erben). Schließlich bildet sie die entscheidende Grundlage für die Höhe der Pflichtteilsansprüche.

1a

II. Überraschungen und Tücken der gesetzlichen Erbfolge Beratungssituation: Der Mandant meint, keine letztwillige Verfügung treffen zu müssen, weil die gesetzliche Erbfolge automatisch zu einer vernünftigen Vermögensverteilung führe. Ein verbreiteter Irrtum, dokumentiert durch die Tatsache, dass nicht einmal jeder dritte erwachsene Deutsche eine letztwillige Verfügung trifft1. Hier aufzuklären, zählt zu den wichtigsten Aufgaben des Beraters. Es ist kaum ein Fall denkbar, in dem nicht die durchdachte letztwillige Verfügung der bloßen gesetzlichen Erbfolge überlegen wäre, schon wegen der Möglichkeit, auf Instrumente wie Vor- und Nacherbschaft, Vermächtnis, Teilungsanordnung, gewillkürte Ersatzerbschaft oder Testamentsvollstreckung zurückgreifen zu können.

2

Hier einige klassische Fehleinschätzungen von Laien: – Entgegen der Meinung vieler führt die gesetzliche Erbfolge in der Regel zu einer Erbengemeinschaft. Deren Tücken sind vielen unbekannt: Verfügungsbeschränkendes Gesamthandseigentum (§ 2033 Abs. 2 BGB), wechselseitiges Blockieren durch den Zwang zur gemeinschaftlichen Verwaltung (§ 2038 BGB), Recht jedes Einzelnen, den Nachlass ganz oder teilweise auch gegen den Willen der Miterben zu sprengen, § 2042 BGB. (Beispiel: Der neben der Mutter den Vater beerbende Sohn betreibt die Teilungsversteigerung des Familienwohnsitzes, welcher der Mutter schon seit 30 Jahren als Lebensmittelpunkt gedient hat.) Eine vernünftige letztwillige Verfügung hilft, alle diese Misslichkeiten zu vermeiden.

3

– Kinderlose Ehepaare meinen häufig, sich von Gesetzes wegen allein zu beerben, was im Hinblick auf § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB falsch ist. So geschieht es immer wieder, dass sich der überlebende Ehepartner plötzlich einem ungeliebten Geschwister des Erblassers in Erbengemeinschaft gegenübersieht. Sogar Ehepaare mit Kindern glauben nicht selten, sie beerbten sich allein.

4

– Häufiger Fall: Ein kinderloser Lediger, dessen Vater nicht mehr lebt, glaubt, seine Mutter beerbe ihn allein. Ist jedoch der Vater vorverstorben, erben ne-

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1 Laut EMNID-Umfrage von 2007, in Auftrag gegeben vom Deutschen Forum für Erbrecht e.V., München, waren es seinerzeit nur rund 25 %. Grötsch

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ben der Mutter die Geschwister des Erblassers, § 1925 Abs. 3 BGB, ja sogar auch dessen Halbgeschwister, wenn der Vater Kinder aus der Beziehung mit einer anderen Frau hinterlassen hat. 6

– Verbreitet ist auch die Unkenntnis über den Zusammenhang zwischen Güterstand und Ehegattenerbrecht, also z.B. darüber, dass der Gang in die Gütertrennung den Überlebenden ein Viertel Erbteil kosten kann, §§ 1931, 1371 Abs. 1 BGB, und dass dies auch auf seinen Pflichtteil durchschlägt, § 2303 BGB.

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– Weithin unbekannt sind schließlich die gesetzlichen Ersatzerbenregelungen, z.B. die Auslegungsregel über das Vorversterben eines vom Erblasser eingesetzten Abkömmlings, § 2069 BGB. Oft wird der Erblasser nicht gewollt haben, dass anstelle des Abkömmlings dessen eigene Abkömmlinge erben. Vielleicht hätte der Erblasser statt ihrer lieber ein anderes seiner Kinder als Erbe gesehen. Setzt der Erblasser keine Abkömmlinge, sondern andere ihm nahestehende Personen zu Erben ein, gilt § 2069 BGB nicht, auch nicht analog. Doch kommt die Rspr. in diesen Fällen durch die ohnehin vorrangige Auslegung der letztwilligen Verfügung oft zu einem entsprechenden Ergebnis1. Auch die Regelung, dass der Nacherbe im Zweifel als Ersatzerbe eingesetzt ist, § 2102 BGB, kann dem Interesse des Erblassers widersprechen, etwa wenn ihm der Nacherbe noch zu jung erscheint, um jetzt schon das Erbe anzutreten. Diese wenigen Beispiele sollen illustrieren, dass die gesetzliche Erbfolge nicht selten den Vorstellungen des Mandanten widerspricht. Bei richtiger Aufklärung dagegen könnte er sein Vermögen in die gewünschte Richtung lenken.

III. Das gesetzliche Erbrecht als Verwandtenerbfolge 1. Die gesetzliche Erbfolge als Quelle von Beratungsfehlern 8

Der Text der gesetzlichen Erbfolge des BGB ist sehr abstrakt und zudem nicht durchgängig systematisch gegliedert. Fehlbeurteilungen liegen also nahe, damit auch Haftungsfälle, in denen man dem Geschädigten wenig entgegenzuhalten hat. Die folgende Darstellung soll daher der Klarheit und Anschaulichkeit dienen.

Wichtiger Beratungshinweis vorab: Keine Beratung ohne exakte Skizze des Stammbaums! 2. Der Begriff des „Verwandten“ 9

Es gilt Verwandtenerbfolge, „Verwandtschaft“ ist jedoch ein Rechtsbegriff, der z.T. vom allgemeinen Verständnis abweicht. Kernpunkte sind: – Verwandtschaft ist Blutsverwandtschaft in gerader Linie und Seitenlinie, § 1589 BGB, wobei es erbrechtlich allein auf die Verwandtschaft im Rechtssinn ankommt, s.u. Rz. 9 a.E. – Verschwägerte, also die Verwandten des anderen Ehegatten, sind nicht gesetzliche Erben. 1 Palandt/Weidlich, § 2069 Rz. 10 m.w.N. 1096

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– Auch die Adoption begründet ein Verwandtschaftsverhältnis, welches ein gesetzliches Erbrecht auslöst, s. Rz. 34 ff. – Nichteheliche Kinder sind ehelichen im Grundsatz gleichgestellt, Unterschiede bestehen nur noch in Altfällen, s. Rz. 24 ff. – Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat, § 1591 BGB, auch im Falle einer Ei- oder Embryonenspende1. – Über die Vaterschaft entscheidet an sich die blutsmäßige Abstammung. Familienrechtliche Spezialnormen binden jedoch auch das Erbrecht. Letztlich zählt also nur die Vaterschaft im Rechtssinn. So gilt als Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB gerichtlich festgestellt wurde, § 1592 BGB. Zudem kann ein vor dem 1.7.1970 errichteter vollstreckbarer Schuldtitel zur Zahlung von Unterhalt gem. § 1708 a.F. BGB als Nachweis der Vaterschaft für ein nichteheliches Kind ausreichen2. In den Fällen der Geburt eines Kindes nach Auflösung der Ehe durch Tod oder der Geburt eines Kindes von einer Frau, die eine weitere Ehe geschlossen hat, gilt § 1593 BGB. Liegt keine Vaterschaft im Rechtssinne des leiblichen Vaters vor, muss das Kind ein entsprechendes Vaterschaftsfeststellungsverfahren betreiben, § 1600d BGB, §§ 169 ff. FamFG. Dieses ist grundsätzlich nicht fristgebunden und auch noch nach dem Tod des Erblassers möglich. Ist dieser bereits beerdigt, kommt sogar eine Exhumierung in Betracht3. Um aber Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, sollte die Vaterschaftsfeststellung möglichst zeitnah nach Kenntniserlangung von der leiblichen Vaterschaft durchgeführt werden. Zwingend notwendig ist dies, wenn eine Vaterschaft im Rechtssinne eines anderen Mannes besteht. Denn diese ist durch das Kind gem. § 1600b Abs. 1 BGB nur innerhalb von zwei Jahren nach Kenntnis des volljährigen Kindes von den gegen die Vaterschaft des Scheinvaters sprechenden Umständen anfechtbar. Nach Ablauf dieser Frist kann die Vaterschaft nicht mehr angefochten werden. Da dies aber eine Vaterschaftsfeststellung ausschließt, § 1600d Abs. 1 BGB, ist die Feststellung der Vaterschaft des leiblichen Vaters nicht mehr möglich. Selbst wenn in diesem Fall die Vaterschaft des leiblichen Vaters durch Abstammungsgutachten biologisch nachgewiesen ist, besteht trotzdem keine rechtliche Verwandtschaft und damit auch kein gegenseitiges gesetzliches Erbrecht.

Beratungshinweis: Besteht ein Interesse der leiblichen Verwandten, die Vaterschaftsfeststellung zu verhindern und ist eine Vaterschaftsanfechtung nötig, sollte mit dem Anfechtungsantrag der Feststellungsantrag trotz der gem. § 179 FamFG bestehenden Möglichkeit nicht verbunden werden.4 Denn 1 Palandt/Brudermüller, § 1591 Rz. 1, 2. 2 OLG München v. 12.1.2011 – 31 Wx 270/10, FamRZ 2011, 1337. 3 OLG Celle v. 13.3.2000 – 15 UFH 1/00, FamRZ 2000, 1510; OLG München v. 19.1.2000 – 26 UF 1453/99, FamRZ 2001, 126. 4 OLG München v. 19.4.2012 – 16 UF 231/12, FamRZ 2012, 1825, hält die Verbindung ohnehin trotz entgegenstehenden Wortlauts und trotz gegenteiliger Literaturmeinung (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 179 FamFG, Rz. 3; MüKo.FamFG/CoesterWaltjen/Hilbig-Lugani, § 179 Rz. 4) ohne Begründung für verfahrensfehlerhaft, sodass zwingend eine Trennung vorzunehmen sei. Grötsch

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damit wird vermieden, dass die Beteiligten des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens, insbesondere der leibliche Vater, § 172 FamFG, unter Umständen in der Lage sind, das Anfechtungsverfahren negativ zu beeinflussen, etwa durch entsprechenden Vortrag zur Verfristung des Anfechtungsantrags. 9b

Sofern das Kind und der Vater schon verstorben sind und die Vaterschaft im Rechtssinne nicht bestand, ist fraglich, wie und ob die weiteren Verwandten die Vaterschaft im Rechtssinne nachträglich feststellen lassen können. Denn dies ist nötig, um ein gegenseitiges Erbrecht zwischen den jeweils weiteren Verwandten des Vaters und des Kindes zu begründen. Doch sind diese nicht unmittelbar beteiligt im Rahmen des Vaterschaftsfeststellungsverfahren, §§ 169 ff. FamFG, so dass sie kein Antragsrecht zu haben scheinen (§§ 7, 172 FamFG). Die erbrechtliche Gleichstellung führt also noch nicht zur völligen Gleichstellung. Dies ist nicht akzeptabel. Den Betroffenen ist deshalb ein „außerordentliches“ Antragsrecht zu gewähren, um eine vollumfängliche Gleichstellung zu gewährleisten. Allerdings ist eine gerichtliche Entscheidung, die ein solches „außerordentliches“ Antragsrecht behandelt, bisher nicht bekannt1. 3. Die Grundsäulen der Verwandtenerbfolge a) Zum Verständnis unseres Systems

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Das System des Verwandtenerbrechts verkörpert einen Kompromiss zwischen verschiedenen vernünftigen Zielen. Es sollen primär die dem Erblasser verwandtschaftlich am nächsten stehenden Personen erben. Dem dienen (mit eingeschränkter Tauglichkeit) die Erbfolge nach Ordnungen und das Repräsentationsprinzip, eingeschränkt deshalb, weil es sein kann, dass beim Tod des Erblassers dessen Ur-Urenkel erbt, der eigene Vater jedoch nicht. Fällt der gesetzlich eigentlich Berufene durch Vorversterben weg, soll seine Position dadurch gewahrt bleiben, dass seine Abkömmlinge an diese Stelle treten. Das nennt man das Eintrittsprinzip. Ferner: Jeder Abkömmling bildet mit seinen eigenen Abkömmlingen einen Stamm. Das Gesetz will die Gleichbehandlung aller Stämme, weist also jedem Stamm die gleiche Quote zu, wie viele Mitglieder ihm auch immer angehören. Das ist die Erbfolge nach Stämmen. Kommen mangels Abkömmlingen die elterlichen Linien zum Zuge, dann sollen väterliche und mütterliche Linie gleich viel erhalten, Linienprinzip genannt. Das Gesetz zielt aber nicht nur auf Gerechtigkeit, sondern auch auf Zweckmäßigkeit. Um eine zu starke Zersplitterung des Nachlasses zu vermeiden, gilt ab der 4. Ordnung (Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge) nicht mehr das Stamm-, sondern das Gradualsystem. Es erben nur noch die mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten verwandten Personen.

1 Vgl. hierzu umfassend Bestelmeyer, Rpfleger 2012, 361. 1098

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Im Folgenden werden diese Grundsäulen der gesetzlichen Verwandtenerbfolge näher erläutert, auch durch Beispiele, die in der Beratungspraxis besonders häufig vorkommen. b) Zeichenerklärung 11

c) Die Erbfolge nach Ordnungen

Beratungssituation: Mandant E fragt nach der gesetzlichen Erbfolge im Falle seines Todes: Er ist verwitwet und hat die Söhne K 1 und K 2. Seine Eltern V und M leben noch. Er hat zwei Schwestern S 1 und S 2. 12

Die Lösung des Falles lässt sich anhand des Erbfolgesystems des BGB wie folgt entwickeln: Das Gesetz wählt aus, es erben nicht alle Verwandten. Sie werden Ordnungen zugeteilt, jeder Verwandte ist also Mitglied einer bestimmten Ordnung. Die folgende Skizze mag das näher veranschaulichen (s. nächste Seite).

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Das Schaubild gleicht den russischen Holzpuppen oder Spielzeugkästchen, die ineinander gesteckt werden können. Jeder Kasten steht für eine Ordnung. Es beginnt mit dem kleinsten Kasten, der 1. Ordnung, es folgt der nächstgrößere, 2. Ordnung usw., ohne Begrenzung. Das Gesetz definiert in den §§ 1924 bis 1929 BGB, wer zu welcher Ordnung gehört. Danach sind Erben 1. Ordnung die Abkömmlinge des Erblassers (also Kinder, Enkel, Urenkel usw.), § 1924 BGB, Erben 2. Ordnung die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (z.B. Geschwister, Neffen, Nichten), § 1925 BGB, Erben 3. Ordnung die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (z.B. Onkel, Tante, Cousine), § 1926 BGB. Erben der 4. Ordnung sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (z.B. Großonkel), § 1928 BGB. Zur Verdeutlichung wird noch einmal ein Blick auf obiges Schaubild empfohlen. Die ferneren Ordnungen erwähnt § 1929 BGB, wonach das dargestellte Prinzip auch dort fortgeführt wird. Mit der Zugehörigkeit zu einer Ordnung ist aber über die gesetzliche Erbfolge noch nicht entschieden. Diese ergibt sich erst aus der Rangfolge zwischen den Ordnungen. § 1930 BGB bestimmt, dass ein Verwandter nicht erbt, solange ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist. Verwandte der niedrigeren Stufe schließen also solche der höheren Stufe aus, sog. „Parentelsystem“ (Parentel = Gesamtheit der von einem gemeinsamen Vorfahren abstammenden Personen). Zählt man nicht zum tatsächlich vorhandenen Personenkreis des kleinsten Kästchens, sprich der niedrigsten Ordnung, erhält man nichts. Mit Blick auf das Schaubild bedeutet dies z.B.: Ist der einzige lebende Abkömmling 1100

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des verwitweten Erblassers dessen Ur-Urenkel, so wird dieser Alleinerbe, unter Ausschluss aller anderen Verwandten in allen höheren Ordnungen. So würden in diesem Fall auch die Eltern oder Geschwister des Erblassers leer ausgehen, da sie erst zur 2. Ordnung gehören. Lösung im Ausgangsfall daher: K 1 und K 2 erben als Mitglieder der 1. Ordnung je zur Hälfte, die übrigen Verwandten, Eltern und Schwestern des Erblassers, sind von der Erbfolge ausgeschlossen. d) Das Repräsentationsprinzip (Ausschluss nachfolgender Generationen)

Beratungssituation: Sie entspricht der vorigen, nur hat Sohn K 1 bereits selbst zwei Söhne A und B. Erbfolge? 13

Gemäß der Erbfolge nach Ordnungen steht bisher fest, dass nur Abkömmlinge des E erben. Aber welche? Der nächste Baustein des Systems ist das Repräsentationsprinzip. Das bedeutet: Hat ein Abkömmling des Erblassers selber Abkömmlinge, schließt er diese als Erben aus, er allein repräsentiert seinen Stamm. Auf diese Weise erbt innerhalb eines Stamms der mit dem Erblasser am nächsten Verwandte. Dieses Prinzip gilt für sämtliche Ordnungen, vgl. §§ 1924 Abs. 2, 1925 Abs. 2, 3 S. 1, 1926 Abs. 2, 5, 1928 Abs. 2, 1929 Abs. 2 BGB, wobei ab der 4. Ordnung gem. § 1928 Abs. 3 BGB noch Besonderheiten gelten, s. Rz. 20. Lösung des Falles: K 1 und K 2 erben je zur Hälfte, die Enkel A und B erhalten nichts, da sie von ihrem Vater K 1 ausgeschlossen werden. Wer also, etwa aus steuerlichen Gründen, auch schon seinen Enkeln etwas zukommen lassen möchte, muss seine letztwillige Verfügung entsprechend gestalten.

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e) Das Eintrittsrecht von Abkömmlingen

Beratungssituation: Sie entspricht der vorigen, nur ist Sohn K 1 bereits vorverstorben. Erbfolge? 14

Es erbt nicht etwa Sohn K 2 allein, weil er dem E am nächsten verwandt ist, sondern A und B treten an die Stelle ihres vorverstorbenen Vaters K 1 und erhalten zusammen den Anteil, den K 1 im Erlebensfall geerbt hätte. Der diesem sog. Eintrittsrecht entsprechende Grundsatz lautet: An die Stelle eines vorher weggefallenen (gesetzlichen) Erben treten seine Abkömmlinge, § 1924 Abs. 3 BGB, es sei denn, dass diese durch seinen Erbverzicht mit ausgeschlossen sind, § 2349 BGB. Lösung des Falles: Auf K 2 entfällt die Hälfte, auf A und B je ein Viertel des Nachlasses. Dieser zuletzt erörterte Fall gehört zu den klassischen Konstellationen in der Beratungspraxis. Manche Erblasser werden sich (auch im Rahmen der Gestaltung der Ersatzerbfolge) nur schwer schlüssig, ob bei Vorversterben eines eigenen Kindes die anderen eigenen Kinder nun alles erben oder (der gesetzlichen Erbfolge entsprechend) auch die Abkömmlinge des vorverstorbenen Kindes miterben sollen. Das lässt sich nur individuell beantworten. Im ersten Fall bedürfte es einer letztwilligen Verfügung, wobei den Abkömmlingen des vorverstorbenen Kindes jedoch der Pflichtteil zustünde. f) Die Erbfolge nach gleichwertigen Stämmen 15

Das letzte Fallbeispiel verweist zugleich auf die nächsten Prinzipien der gesetzlichen Erbfolge: – Erbfolge nach Stämmen. – Gleichwertigkeit der Stämme. Bezogen auf die 1. Ordnung bedeutet das, dass jedes Kind des Erblassers (so auch K 1 und K 2) mit seinen sämtlichen Abkömmlingen (also auch Enkel, Urenkel usw.) einen eigenen Stamm bildet. Im folgenden Schaubild wären sogar drei Stämme, A, B und C, zu unterscheiden, wobei es für die Existenz eines Stammes keine Rolle spielt, ob seine Mitglieder zum Teil schon vorverstorben sind, wenn nur irgendjemand von diesem Stamm noch lebt: 1102

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Rz. 16

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Gleichwertigkeit der Stämme heißt, dass auf alle Stämme gleich viel entfällt, unabhängig von der Zahl der Mitglieder eines Stammes. Deshalb erhalten im letzten Beratungsfall die Enkel A und B zusammen genauso viel wie K 2, und nicht etwa deshalb mehr, weil sie zu zweit sind. Auch die in obiges Schaubild eingesetzten Quoten dokumentieren dieses Prinzip, denn letztlich entfällt auf jeden Stamm ein Drittel. g) Besonderheiten ab der 2. Ordnung (Linienprinzip) Die 2. Ordnung kann nur dann zum Zuge kommen, wenn keine Abkömmlinge des Erblassers vorhanden sind oder wenn sie wegfallen, z.B. wegen Erbverzichts, Erbunwürdigkeit oder Ausschlagung. Gem. § 1925 Abs. 2 BGB erben dann die Eltern allein und zu gleichen Teilen. Sind beide Eltern vorverstorben, geht der Nachlass an die Geschwister bzw. die Neffen und Nichten usw. des Erblassers, wobei auch in dieser Ordnung (wie auch in der Dritten) die Erbfolge nach Stämmen gilt. Will der Erblasser nicht, dass er von seinen Geschwistern oder deren Abkömmlingen beerbt wird (ein verbreiteter Wunsch!), dann muss er anderweitig letztwillig verfügen. Wie ist die Erbfolge, wenn nur noch ein Elternteil lebt?

Beratungssituation: Erblasser E (ledig, keine Abkömmlinge) ist gestorben. Er hinterlässt seinen Vater V und die Schwestern T 1 und T 2.

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Hätten beide Eltern des E gelebt, wäre ihnen das Erbe je hälftig zugefallen. Lebt nur der Vater (ohne weitere Abkömmlinge der Eltern), erbt er allein, § 1925 Abs. 3 S. 2 BGB. Erlebt nur ein Elternteil den Erbfall, sind aber weitere Abkömmlinge vorhanden, greift das sog. Linienprinzip, welches die Gleichberechtigung der väterlichen und mütterlichen Linie verkörpert. Gem. § 1925 Abs. 3 BGB treten an die Stelle des vorverstorbenen Elternteils dessen Abkömmlinge nach den für die Beerbung in der 1. Ordnung geltenden Vorschriften. Im Ausgangsfall erben der Vater also zu 1/ 2 und die Schwestern T 1 und T 2 zu je 1/4. 17

Besondere Bedeutung erlangt das Linienprinzip, wenn noch Abkömmlinge des vorverstorbenen Elternteils aus einer anderen Beziehung leben.

Beratungssituation: Sie entspricht dem vorigen Fall, nur hat die vorverstorbene Mutter M noch zwei Söhne aus ihrer ersten Ehe mit G, S 1 und S 2.

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Das Linienprinzip klärt auch die Frage des Verhältnisses der erbrechtlichen Quoten zwischen Voll- und Halbgeschwistern. Halbgeschwister erben im Gegensatz zu Vollgeschwistern nur, wenn ihr Elternteil gestorben ist. E wird also wie folgt beerbt: Vom Vater zu 1/ 2, die an sich der Mutter zustehende andere Hälfte fällt wegen ihres Vorversterbens zu gleichen Teilen an alle ihre Kinder, und zwar zu gleichen Teilen (unabhängig davon, aus welcher Ehe sie stammen), so dass S 1, S 2, T 1 und T 2 je 1/ 8 erben.

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Rz. 19

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Wären (bei gleicher Nachkommenschaft) Vater und Mutter von E vorverstorben, so ergäbe sich folgendes Bild:

In diesem Fall ginge die Hälfte des Vaters an seine Kinder T 1 und T 2 zu gleichen Teilen, so dass sie je 1/4 erhielten, die Hälfte der Mutter zu gleichen Teilen an ihre Kinder T 1, T 2, S 1 und S 2 (also je 1/ 8). T 1 und T 2 erben gerechterweise mehr als ihre Halbgeschwister, weil sie über Vater und Mutter des Erblassers E zum Zuge kommen.

Beratungshinweis: Da aber Halbgeschwister oft gar nichts bekommen sollen, besteht seitens des E Handlungsbedarf per letztwilliger Verfügung. Im Vergleich zwischen der 2. und 3. Ordnung ergeben sich prinzipiell keine Unterschiede, zur Illustration sei jedoch noch ein Beispiel vorgeführt, in dem die 3. Ordnung berührt ist.

Beratungssituation: E, einziges Kind seiner Eltern, ist ledig und hat keine Abkömmlinge. Seine Eltern V und M leben nicht mehr, ebenso wenig seine Großeltern GV 1, GM 1, GV 2 und GM 2. E hat noch eine Tante T, die Schwester seines Vaters. Die Brüder der Mutter von E, die Onkel O und P sind ebenfalls verstorben, P ohne Abkömmlinge. O hat die Kinder K 1 und K 2 hinterlassen. E stirbt. Erbfolge?

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Rz. 20

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Lösung: Da E keine Abkömmlinge hat, ledig und zudem das einzige Kind seiner vorverstorbenen Eltern ist, kommt weder die 1. noch die 2., sondern nur die 3. Ordnung zum Zuge, also die Großeltern des E und ihre Abkömmlinge, hier wiederum nur Letztere, weil auch die Großeltern bereits vorverstorben sind. Gemäß dem Linienprinzip fällt auf die väterliche und mütterliche Linie je 1/ 2, das heißt auf jeden Großelternteil 1/4. In der väterlichen Linie erhält also Tante T die beiden Viertel ihrer Eltern GV 1 und GM 1, insgesamt 1/ 2. (Dies wäre auch so, stammte die T aus einer früheren Beziehung des GV 1, also nicht auch von GM 1, § 1926 Abs. 3 S. 1, 2 BGB1.) Die beiden Viertel der Großeltern der mütterlichen Linie landen nur im Stamm O, da P keine Abkömmlinge hat. Der Stamm O wird durch K 1 und K 2 gebildet, die zu je 1/4 erben. h) Das Gradualsystem ab der 4. Ordnung 20

Leben zur Zeit des Erbfalls Urgroßeltern, so erben sie allein, mehrere zu gleichen Teilen, unabhängig davon, ob sie derselben oder verschiedenen Linien angehören, § 1928 Abs. 2 BGB. Ab der 4. Ordnung bewegen wir uns bereits in einiger Entfernung vom Erblasser, wie folgende Beratungssituation dokumentiert:

Beratungssituation: E verfügt nur noch über sehr entfernte Verwandte. Weder er selbst noch seine verstorbenen Eltern und Großeltern haben weitere Abkömmlinge. Aus der väterlichen Linie leben nur noch ein Enkel (K) von E’s Urgroßeltern U 1 und U 2 und aus der mütterlichen zwei Urenkelinnen (L 1 und L 2) von E’s Urgroßeltern U 7 und U 8. E fragt nach der gesetzlichen Erbfolge im Falle seines Todes.

1 OLG Düsseldorf v. 12.11.2010 – 3 Wx 222/10, ZEV 2011, 77. 1106

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Gesetzliche Erbfolge

Rz. 21

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Die Skizze verdeutlicht: Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sind tot. Weder von den Eltern noch den Großeltern leben Abkömmlinge, also ist der Schritt in die 4. Ordnung nötig: Urgroßeltern und deren Abkömmlinge. Die sich dort offenbarende Verzweigung will das Gesetz jedoch nicht, der Nachlass soll nicht übermäßig zersplittert werden. Daher gilt ab der 4. Ordnung nicht mehr das Stammsystem, sondern das Gradualsystem, §§ 1928 Abs. 3, 1929 Abs. 2 BGB1. Das heißt: Erben sind nur noch die mit dem Erblasser am nächsten Verwandten. Gem. § 1589 Abs. 3 BGB richtet sich der Grad der Verwandtschaft nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten. Lösung: Die Beziehung von K zu E wird durch fünf Geburten vermittelt (K – N – U 1/U 2 – GV 1/GM 1 – V – E), die von L 1 und L 2 zu E durch sechs (L 1/L 2 – D – C – U 7/U 8 – GV 2/GM 2 – M – E), auch gut erkennbar durch die im Schaubild quer verlaufenden Linien. Da K mit E also einen Grad näher verwandt ist, fällt ihm die Erbschaft allein zu. L 1 und L 2, nach dem Stammprinzip an sich berufen, erhalten nichts, eine Konsequenz, die aus der Sicht des E unter Umständen eine letztwillige Verfügung nötig macht. i) Mehrere Erbteile bei mehrfacher Verwandtschaft (§ 1927 BGB) Es ist denkbar, dass ein und dieselbe Person bei einem Erbfall auf mehrere Weisen erbt, nämlich als Mitglied verschiedener Stämme, § 1927 BGB.

1 Im Beschl. v. 21.3.2003 – VI 547/02, Rpfleger 2003, 439, FamRZ 2003, 1131, geht das AG Starnberg von der Verfassungswidrigkeit des Gradualsystems aus. Im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens könne der zuständige Rechtspfleger über die Verfassungsmäßigkeit des § 1928 Abs. 3 BGB entscheiden, da diese Norm vorkonstitutionelles Recht sei. Grötsch

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Rz. 22

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Beispiel: Verwandte (z.B. Geschwisterkinder) heiraten, und aus der Ehe gehen Kinder hervor. Oder: Jemand wird von einem Verwandten adoptiert, und die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse bleiben bestehen (so bei der Volljährigenadoption, § 1770 Abs. 2 BGB, oder der Adoption eines Verwandten 2. oder 3. Grades, § 1756 Abs. 1 BGB). Die über die verschiedenen Stämme zufallenden Anteile gelten gem. § 1927 S. 2 BGB jeweils als besondere Erbteile.

Die wichtigsten Folgen für die Praxis sind: – Die Erbteile können gesondert ausgeschlagen werden, § 1951 Abs. 1 BGB. – Auch die Verfügung über den Erbteil gem. § 2033 Abs. 1 BGB kann gesondert erfolgen. – Gem. § 2007 BGB bestimmt sich die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten in Ansehung eines jeden Erbteils so, wie wenn die Erbteile verschiedenen Erben gehörten1. j) Folgen der Erbteilserhöhung (§ 1935 BGB)

Beratungssituation: Erblasser E, Inhaber eines Vermögens von 200 000 Euro, hatte zwei Söhne S 1 und S 2, die ihn je hälftig beerbt hätten, wäre S 2 nicht vorverstorben, und zwar ohne Abkömmlinge. Nun erbt S 1 allein. Er fragt, was er tun soll, nachdem er festgestellt hat, dass der Anteil seines Bruders mit Vermächtnissen in Höhe von 120 000 Euro beschwert ist. 22

Wie in der Beratungssituation kann es sein, dass der Erblasser nur eine bestimmte Person mit einem Vermächtnis (oder einer Auflage) belasten wollte, diese Person aber vor oder nach dem Erbfall wegfällt und der betreffende Erbteil an eine andere Person geht. Diesen Fall regelt § 1935 BGB. Zum Schutze des Eintretenden, hier des S 1, fingiert § 1935 BGB das Bestehen zweier Erbteile, mit der Folge, dass in Ansehung der Vermächtnisse und Auflagen, aber auch der Ausgleichs- und Anrechnungspflichten gem. §§ 2050 ff., 2315 BGB, nur der belastete Erbteil haftet, obwohl es sich in Wahrheit um einen einheitlichen Erbteil handelt, der auch nur insgesamt ausgeschlagen (kein Fall des § 1951 BGB) und nicht gesondert veräußert werden kann. Ohne § 1935 BGB sähe es für S 1 schlecht aus. Denn der Wegfall des Beschwerten, hier S 2, lässt das Vermächtnis unberührt, § 2161 BGB. Wegen des 120 000-Euro-Vermächtnisses verblieben ihm nur 80 000 Euro. So sind es jedoch 100 000 Euro, weil K 1 nicht mehr leisten muss als es K 2, dessen Pflicht auf 100 000 Euro beschränkt gewesen wäre, hätte tun müssen. Der Weg über § 1992 BGB ist nicht nötig2. Zur Erbenhaftung s. im Übrigen § 2007 S. 2 BGB.

22a

Der Wegfall im Sinne des § 1935 BGB ist möglich vor dem Erbfall, z.B. durch Vorversterben, Erbverzicht, Enterbung, Auflösung der Ehe oder vorzeitigen Erbausgleich (Abschluss vor dem 1. April 1998), nach dem Erbfall durch Ausschlagung, Erbunwürdigerklärung oder Totgeburt des Erzeugten.

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Für die gewillkürte Erbfolge (§ 1935 BGB spricht nur vom gesetzlichen Erbe) kommt § 2095 BGB zum gleichen Ergebnis, § 1935 BGB ist jedoch analog anzu1 Zu weiteren Konsequenzen vgl. Palandt/Weidlich, § 1927 Rz. 3. 2 Palandt/Weidlich, § 1935 Rz. 3. 1108

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Rz. 27

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wenden, wenn der Erblasser nur zum Teil über den Nachlass verfügt hat und Anwachsung ausgeschlossen ist, § 2094 Abs. 2 und 3 BGB1.

IV. Das gesetzliche Erbrecht des nichtehelichen Kindes Beratungssituation: Der jetzt betagte E führte ein buntes Leben und zeugte mit verschiedenen Frauen drei Kinder, wobei er die Vaterschaft jeweils anerkannte. Zu einer Ehe vermochte er sich jedoch nie zu entschließen. K 1 wurde am 5.5.1949 geboren, K 2 am 15.6.1974, K 3 am 3.4.1998. Mit K 2 hat E im Mai 1996 einen wirksamen Vertrag über den vorzeitigen Erbausgleich geschlossen. E, der am 2.10.1990 in Kiel wohnte, fragt nach der gesetzlichen Erbfolge für den Fall seines Todes. 1. Das Erbrecht nach der Mutter Gegenüber der Mutter hatte das nichteheliche Kind immer ein gesetzliches Erbrecht und zwar seit der ursprünglichen Fassung des BGB. Mutter und Kind sind und waren nach dem Gesetz immer miteinander verwandt, mit allen Konsequenzen auch für das Erbrecht der beiderseitigen Verwandten.

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2. Das Erbrecht nach dem Vater Ob ein gesetzliches Erbrecht zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater bzw. zwischen den beiderseitigen Verwandten besteht, hängt von vielen Faktoren ab. Zunächst ist es in allen Fällen nötig, dass die Vaterschaft im Rechtssinne besteht, vgl. Rz. 9 ff. Zudem sind aufgrund mehrfacher Gesetzesänderungen folgende Fragen entscheidend:

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– Wann ist der Erblasser verstorben? – Geburtsdatum des nichtehelichen Kindes? – Gewöhnlicher Aufenthalt des Vaters vor dem 3.10.1990? – Haben Vater und Kind vor dem 1.4.1998 einen vorzeitigen Erbausgleich vereinbart? a) Erbfälle vor dem 1.7.1970 Bei Erbfällen vor dem 1.7.1970 bestand zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater bzw. zwischen den beidseitigen Verwandten kein gesetzliches Erbrecht, unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt des Kindes. Eine Ausnahme bestand nur, wenn das Kind durch Eheschließung seiner Eltern oder auf Antrag des Vaters als ehelich legitimiert wurde, §§ 1719 a.F. ff.

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b) Erbfälle ab dem 1.7.1970 bis zum 31.3.1998 Am 1.7.1970 trat das Gesetz über die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder (NEhelG) in Kraft. Dieses galt für sämtliche Erbfälle ab dem 1.7.1970 bis zum 1 Palandt/Weidlich, § 1935 Rz. 4. Grötsch

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Rz. 28

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31.3.1998. Das nichteheliche Kind und dessen Abkömmlinge auf der einen Seite und der Vater und dessen Abkömmlinge auf der anderen Seite hatten wechselseitig je nach Familiensituation des jeweiligen Erblassers entweder nur einen in den §§ 1934a und b a.F. BGB geregelten Erbersatzanspruch oder waren voll erbberechtigt (bei Wegfall der privilegierten Erben). Alternativ konnte das Kind im Alter von 21 bis 26 Jahren, wenn es den Tod des Vaters nicht abwarten wollte, den Anspruch auf vorzeitigen Erbausgleich gem. § 1934d und e a.F. BGB geltend machen. War das nichteheliche Kind aber vor dem 1.7.1949 geboren, galten diese Regelungen nicht, in diesem Fall bestand grundsätzlich kein gegenseitiges Erb(ersatz)recht zwischen dem Kind und dem Vater bzw. den jeweiligen Verwandten. 28

Ein uneingeschränktes gesetzliches Erbrecht, also nicht nur ein Erbersatzrecht, bestand jedoch – auch bei Geburt des Kindes vor dem 1.7.1949 –, wenn entweder der Erblasser1 am 2.10.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hatte, Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB (auf den Aufenthaltsort des potentiellen Erben kam es nicht an) oder das Kind als ehelich legitimiert wurde, vgl. Rz. 26, auch wenn die Ehe erst nach Wegfall des § 1719 a.F. BGB zum 1.7. 1998 geschlossen wurde2. Zudem besteht bei Erbfällen bis zum 28.5.2009 aufgrund der Neuregelung des Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder vom 12.4.20113 für das vor dem 1.7.1949 geborene nichteheliche Kind (nur für dieses, nicht auch für einen bei Vorversterben des Kindes vor dem 29.5.2009 eintretenden Abkömmling) ein vererblicher Ersatzanspruch in Höhe des Wertes der entgangenen erbrechtlichen Ansprüche gegen den Bund oder das Land, wenn diese den Vater oder dessen Verwandten aufgrund des Ausschlusses des nichtehelichen Kindes wegen dessen Geburt vor dem 1.7.1949 gem. § 1936 BGB beerbten. Noch heute hat die bis zum 31.3.1998 bestehende Rechtslage auf zweifache Weise Bedeutung: (1) Sind Erbfälle aus der Zeit vom 1.7.1970 bis 31.3.1998 noch nicht abgewickelt, kann der Erbersatzberechtigte seinen Erbersatzanspruch weiterverfolgen (Art. 227 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), soweit dieser noch nicht verjährt ist. § 1934b Abs. 3 a.F. BGB, Art. 227 Abs. 1 Nr. 1, 229 § 23 EGBGB. (2) Haben Vater und Kind bis zum 31.3.1998 eine wirksame Vereinbarung über den vorzeitigen Erbausgleich getroffen oder erging hierüber ein zusprechendes rechtskräftiges Urteil, bedeutet dies zugleich die endgültige Aufgabe des gesetzlichen Erbrechts und damit auch des Pflichtteilsrechts. Umgekehrt besitzen auch der Vater und seine Verwandten beim Tod des Kindes keinerlei Ansprüche mehr, § 1934e a.F. BGB, Art. 227 Abs.1 Nr. 1 EGBGB. Im Ausgangsfall wäre K 2 daher auch nicht gesetzlicher Erbe des E. c) Erbfälle ab dem 1.4.1998 bis zum 28.5.2009

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Am 1.4.1998 trat das Erbrechtsgleichstellungsgesetz in Kraft4. Ist der Vater ab dem 1.4.1998, aber vor dem 29.5.2009 verstorben, besaß das nichteheliche Kind 1 Beim Erbfall des Vaters ist auf dessen Aufenthaltsort abzustellen; beim Erbfall eines Verwandten des vorverstorbenen Vaters oder beim Erbfall des Kindes ist dies umstritten. Vgl. hierzu und zu weiteren Problemen aufgrund der verschiedenen Rechtsordnungen bis zur Wiedervereinigung Bestelmeyer, Rpfleger 2012, 361. 2 BVerfG v. 8.1.2009 – 1 BvR 755/08, ZEV 2009, 134. 3 BGBl. I, S. 615. 4 ErbGleichG, BGBl. I 1997, S. 2968. 1110

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Rz. 30

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grundsätzlich das gleiche gesetzliche Erbrecht wie das eheliche, mit allen Konsequenzen: Das nichteheliche Kind wird Rechtsnachfolger des Erblassers, ist gegebenenfalls Mitglied der Erbengemeinschaft und hat ein Pflichtteilsrecht. Der Erbersatzanspruch ist ausgeschlossen, ebenso der vorzeitige Erbausgleich. Auch die jeweiligen weiteren Verwandten des Vaters und des Kindes hatten ein gegenseitiges Erbrecht bei Erbfällen ab dem 1.4.1998. Für vor dem 1.7.1949 geborene nichteheliche Kinder galt aber die frühere Regelung weiter, es bestand also grundsätzlich kein gesetzliches gegenseitiges Erbrecht. Bezüglich der Ausnahmen sei auf Rz. 28 verwiesen. Zusätzlich zu den dort genannten Ausnahmen konnte ab dem 1.7.1998 gemäß dem ab diesem Zeitpunkt geltenden Art. 12 § 10a NEhelG, aufgehoben durch das Zweite Gesetz zur Gleichstellung nichtehelicher Kinder, das gesetzliche Erbrecht durch notarielle Vereinbarung zwischen dem Kind und dem Vater eingeräumt werden1. d) Erbfälle ab dem 29.5.2009 Für alle Erbfälle ab dem 29.5.2009 gilt inzwischen die völlige erbrechtliche Gleichstellung von nichtehelichen und ehelichen Kindern, auch für vor dem 1.7.1949 geborene Kinder. Dies beruht auf der Entscheidung des EGMR vom 28.5.20092, in der die Unterscheidung zwischen vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen und ehelichen Kindern als Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK verletzend angesehen wurde. Mit dem Zweiten Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung von nichtehelichen Kindern vom 12.4.20113, verkündet am 15.4.2011, wurde das NEhelG daraufhin abgeändert, die Unterscheidung zwischen ehelichen und unehelichen vor dem 1.7.1949 geborenen Kinder wurde grundsätzlich aufgehoben. Für Erbfälle vor dem 29.5.2009 wurde allerdings an den vorherigen Regelungen festgehalten. Diese Stichtagsregelung wurde vom BVerfG als verfassungsgemäß bestätigt4, wobei das BVerfG jedoch offenlässt, ob eine teleologische Erweiterung in Fällen, die in tatsächlicher Hinsicht dem durch den EGMR am 28.5.2009 entschiedenen Fall (häufige Besuche und Kontakte) vergleichbar sind, in Betracht kommt. Der EGMR hat bisher noch nicht über diese Stichtagsregelung entschieden. Doch hat er schon in anderem Zusammenhang auf die Möglichkeit nationaler Rechtsordnungen hingewiesen, die zeitliche Rückwirkung der Nichtigerklärung eines konventionswidrigen Gesetzes zu beschränken5. Es wäre zu begrüßen, wenn der EGMR entsprechend entscheiden würde, da andernfalls erhebliche Schwierigkeiten und Belastungen bei der Neubeurteilung von meist schon lange abgewickelten Erbfällen entstehen würden. Sind die vor dem 29.5.2009 eingetretenen Erbfälle jedoch noch nicht abgewickelt oder wussten die Beteiligten von den möglichen Ansprüchen des nichtehelichen Kindes, erscheint eine Ausdehnung der Rechte der nichtehelichen Kinder wahrscheinlich6. 1 2 3 4

Herrler, ZEV 2009, 135. EGMR v. 28.5.2009 – 3545/04, ZEV 2009, 510. BGBl. I, S. 615. BVerfG v. 18.3.2013 – 1 BvR 2436/11, FamRZ 2013, 847 m. Anm. Reimann; v. 18.3. 2013 – 1 BvR 3155/11, ZEV 2013, 326 = NJW 2013, 2103; ebenso BGH v. 26.10.2011 – IV ZR 150/10, FamRZ 2012, 119 = MDR 2012, 101 = ZEV 2012, 32. 5 EGMR v. 13.6.1979 – 6833/74, NJW 1979, 2449. 6 Leipold, ZEV 2014, 449, unter Hinweis auf EGMR v. 7.2.2013 – 16547/08, ZEV 2014, 491. Grötsch

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Rz. 31

Gesetzliche Erbfolge

Beratungshinweis: Jedenfalls ist ein Mandant, der seine nach derzeitiger Rechtslage bei einem Erbfall vor dem 29.5.2009 nicht bestehenden Erbansprüche unter Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR vom 28.5. 2009 vor dem EGMR verfolgen möchte, auf das entsprechend große Risiko hinzuweisen. 31

Für Erbfälle ab dem 29.5.2009, über die vor dem 15.4.2011, also vor Verkündung des Zweiten Gesetzes zur Gleichstellung nichtehelicher Kinder, entschieden wurde, gilt gem. Art. 12 § 24 NEhelG Folgendes: Ein erteilter Erbschein, der wegen der durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder bewirkten Änderungen der erbrechtlichen Verhältnisse unrichtig geworden ist, wird nur auf Antrag eingezogen oder für kraftlos erklärt. Gerichtskosten fallen hierfür nicht an, ebenso wenig für die Neuerteilung. Beruht eine rechtskräftige Entscheidung auf Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG a.F., kann in einem neuen Rechtsstreit über das Erbrecht des nichtehelichen Kindes nicht eingewandt werden, dass hierüber bereits rechtskräftig entschieden wurde.

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Für die meisten der vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder kommt die Neuregelung zu spät, da der Vater in vielen Fällen schon vor dem 28.5.2009 verstorben ist. Allerdings ist zu beachten, dass durch die Neuregelung nicht nur die Erbfolge nach dem Vater neu gestaltet wurde, sondern auch die gesetzliche Erbfolge des nichtehelichen Kindes selbst, ebenso von dessen Abkömmlingen und denen des Vaters1. Ist etwa der Vater schon vor dem 28.5.2009 verstorben und verstirbt nun das nichteheliche Kind, wird es, sofern es keine eigenen Abkömmlinge und keine anderslautende letztwillige Verfügung errichtet hat, u.U. zumindest auch von den weiteren Verwandten seines Vaters beerbt, obwohl es selbst diesen nicht beerbt hat. Entsprechendes gilt für die Beerbung der weiteren Verwandten des Vaters durch das nichteheliche Kind bzw. dessen Verwandte. Im Ausgangsfall wird E also von seinen beiden Kindern K1 und K3 zu je einhalb gesetzlich beerbt.

1 OLG München v. 21.1.2013 – 31 Wx 485/12, MDR 2013, 345 = FamRZ 2013, 1333. 1112

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Rz. 33

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e) Das gesetzliche Erbrecht nichtehelicher Kinder – Übersicht1 33

Erbfall

Recht der ehemaligen DDR

vor 1.4.1966 bzw. 1.7.1970

Kein gegenseitiges Erbrecht, sofern das Kind nicht durch Eheschließung seiner Eltern oder auf Antrag des Vaters als ehelich legitimiert wurde, §§ 1719 BGB a.F. ff.;

ab 1.4.1966

Gleichstellung minderjähriger, u.U. auch volljähriger nichtehelicher Kinder durch § 9 EGFGB

ab 1.7.1970

Recht der BRD

Gegenseitiger Erbersatzanspruch, u.U. je nach Familiensituation uneingeschränktes gegenseitiges Erbrecht; alternativ Anspruch des Kindes im Alter von 21 bis 26 Jahren auf vorzeitigen Erbausgleich. Bei Geburt des Kindes vor dem 1.7.1949 bestehen diese Rechte nicht. Diese Kinder haben aber gegen den den Vater oder dessen Verwandtschaft beerbenden Fiskus einen Ersatzanspruch in Höhe des Wertes der entgangenen erbrechtlichen Ansprüche. Jedoch uneingeschränktes gegenseitiges gesetzliches Erbrecht (unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt des Kindes), sofern das Kind durch Eheschließung seiner Eltern oder auf Antrag des Vaters als ehelich legitimiert wurde, §§ 1719 BGB a.F. ff.

ab 1.1.1976

Vollständige Gleichstellung durch das ZGB

ab 3.10.1990

Wie bei den Erbfällen ab 1.7.1970, jedoch mit folgender Ausnahme: Uneingeschränktes gegenseitiges gesetzliches Erbrecht, wenn der Vater bzw. der Erblasser (strittig, vgl. hierzu Rz. 28) am 2.10.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hatte, auch wenn das Kind vor dem 1.7.1949 geboren war.

ab 1.4.1998

Uneingeschränktes gegenseitiges gesetzliches Erbrecht; dieses gilt aber nicht, sofern das nichteheliche Kind vor dem 1.7.1949 geborenen ist. Dann bestehen keine erbrechtlichen Ansprüche, es sei denn, eine der bei den Erbfällen ab 1.7.1970/3.10.1990 beschriebenen Konstellationen liegt vor oder es wurde eine ab dem 1.7.1998 mögliche notarielle Gleichstellungsvereinbarung geschlossen.

ab 29.5.2009

Uneingeschränktes gegenseitiges gesetzliches Erbrecht (auch bei Geburt des nichtehelichen Kindes vor dem 1.7.1949), sofern nicht vor dem 1.4.1998 wirksam ein Erbausgleich vereinbart oder rechtskräftig zuerkannt worden ist.

V. Das gesetzliche Erbrecht der als Kind Angenommenen Beratungssituation: Obwohl beide Eltern der 30-jährigen A leben, wohnt sie fast seit ihrer Geburt bei ihrer Tante T, von der sie stets wie eine Tochter versorgt wurde. T möchte ihr Vermögen eines Tages der A vererben und fragt, ob sie A nicht aus Gründen niedrigerer Erbschaftsteuer adoptieren könnte. 1 In Anlehnung an Rebhan, MittBayNot 2011, 285, unter zusätzlicher Berücksichtigung von Erbfällen vor der Wiedervereinigung auf dem Gebiet der früheren DDR. Grötsch

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Rz. 34

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Die Motive für eine Adoption sind nicht immer nur persönlicher Natur, sondern oft geht es auch um den Fortbestand eines Namens oder Unternehmens oder auch um Steuerersparnis. Damit ergibt sich erheblicher Beratungsbedarf, zum einen zur Frage, wann eine Adoption möglich ist, zum anderen zu deren Folgen, hier speziell den erbrechtlichen Folgen1. 1. Der minderjährig Angenommene

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Voraussetzungen und Verfahren sind in den §§ 1741–1766 BGB geregelt. Es handelt sich um eine Volladoption. Gem. § 1754 BGB erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden, insbesondere auch erbrechtlich die Position eines leiblichen Kindes, also das volle gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht. Die vor der Adoptionsrechtsreform (1.1.1977) bestehende Möglichkeit, das gesetzliche Erbrecht auszuschließen, ist nicht mehr gegeben.

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Das Kind beerbt ganz normal die Annehmenden und auch deren Verwandte, umgekehrt beerben alle diese das Kind, allerdings nur dieses, nicht auch dessen leibliche Verwandten, denn mit der Adoption ist das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Kind und seinen bisherigen Verwandten erloschen, § 1755 BGB. Nur in zwei Ausnahmen bleibt die Verwandtschaft bestehen: (1) Nimmt ein Ehegatte das Kind des anderen Ehegatten an, bleibt das Kind mit Letzterem und dessen Verwandtschaft verwandt, das Verwandtschaftsverhältnis erlischt nur gegenüber dem anderen leiblichen Elternteil und dessen Verwandten, § 1755 Abs. 2 BGB. Das Verwandtschaftsverhältnis zu den Verwandten des anderen leiblichen Elternteils erlischt aber wiederum nicht, wenn dieser leibliche Elternteil verstorben ist und die (alleinige oder mit dem überlebenden Elternteil gemeinsame) elterliche Sorge hatte, § 1756 Abs. 2 BGB. § 1756 Abs. 2 BGB gilt entsprechend, wenn der überlebende Ehegatte das Kind seines verstorbenen Ehegatten annimmt2. (2) Wird ein Kind adoptiert, mit dem die Annehmenden im zweiten oder dritten Grad verwandt oder verschwägert sind, so erlischt nur das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den leiblichen Eltern, § 1756 Abs. 1 BGB, nicht jedoch zu seinen weiteren leiblichen Verwandten wie etwa den leiblichen Geschwistern.

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Die aufgrund des § 1756 BGB weiter bestehende Verwandtschaft führt jedoch nicht automatisch auch zu einem weiter bestehenden Erbrecht. Denn in den Fällen des § 1756 BGB gilt ergänzend § 1925 Abs. 4 BGB. Demnach wird das angenommene Kind nicht von seinen leiblichen Geschwistern oder deren Abkömmlingen als gesetzliche Erben zweiter Ordnung beerbt bzw. beerbt diese auch nicht als gesetzlicher Erbe zweiter Ordnung, obwohl die Verwandtschaft zu diesen gem. § 1756 BGB nicht erloschen ist. Dies beruht darauf, dass die Verwandtschaft des angenommenen Kindes zu seinen leiblichen Eltern erloschen ist und die leiblichen Geschwister gem. § 1925 Abs. 3 BGB an die Stelle der leiblichen Eltern treten, erbrechtlich also so wie die Eltern behandelt werden, die aber aufgrund der erloschenen Verwandtschaft gerade kein gesetzliches Erbrecht mehr haben.

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Zur Klarstellung: Das gegenseitige gesetzliche Erbrecht zwischen leiblichen Geschwistern (und jeweils deren Abkömmlingen) besteht aber, wenn es auf dem 1 Zu den erbrechtlichen Auswirkungen einer Adoption nach ausländischem Recht vgl. Heiderhoff, FamRZ 2002, 1682. 2 LG Koblenz v. 29.8.2000 – 2 T 470/00, Rpfleger 2001, 34. 1114

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Rz. 42

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Eintrittsrecht in der dritten Ordnung basiert, also vorgehende Erben (Abkömmlinge, Adotpivgeschwister) nicht vorhanden sind, die leiblichen Eltern und die Adoptiveltern bereits vorverstorben sind und die leiblichen Geschwister für die leiblichen Großeltern aufgrund auch deren Vorversterbens eintreten. In diesem Fall sind die leiblichen Geschwister und das adoptierte Kind gegenseitig Erben dritter Ordnung, was § 1925 Abs. 4 BGB ja gerade nicht ausschließt. Wenn das Kind von den gemeinsamen Großeltern angenommen wurde, können die leiblichen Geschwister des angenommenen Kindes, nach h.M.1 sogar auch der von den Großeltern abstammende leibliche Elternteil, aufgrund § 1925 Abs. 3 BGB Erben zweiter Ordnung werden bzw. vom angenommenen Kind als Erbe zweiter Ordnung beerbt werden. Denn in diesem Fall beruht die Erbenstellung in zweiter Ordnung nicht darauf, dass die leiblichen Geschwister an die Stelle der leiblichen Eltern treten, sondern an die Stelle der leiblichen Großeltern bzw. Adoptiveltern.

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Für den Fall des § 1756 Abs. 2 BGB gilt der Ausschluss des § 1925 Abs. 4 BGB zudem nach h.M.2 nur im Verhältnis zu halbbürtigen Kindern und deren Abkömmlingen des vorverstorbenen leiblichen Elternteils. Zwischen angenommenem Kind und seinen vollbürtigen leiblichen Geschwistern bzw. deren Abkömmlingen bleibt das gesetzliche Erbrecht also bestehen.

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Für Adoptionen, die bereits vor dem 1.1.1977 erfolgten, gilt Folgendes: War der Adoptierte am 1.1.1977 minderjährig, gelten seit 1.1.1978 die neuen Regelungen, insbesondere auch das volle gesetzliche gegenseitige Erbrecht, sofern nicht bis spätestens 31.12.1977 ein Annehmender, das Kind oder ein leiblicher Elternteil eines ehelichen Kindes oder die Mutter eines nichtehelichen Kindes gem. Art. 12 § 2 Abs. 2, 3, § 3 Abs. 1 AdoptG einen Widerspruch erklärt hatte. Erfolgte der Widerspruch nicht, wurde auch der gem. § 1767 a.F. BGB mögliche Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts für alle Erbfälle ab dem 1.1.1978 unwirksam3.

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War der Adoptierte am 1.1.1977 dagegen schon volljährig (unabhängig davon, ob der Adoptierte bereits zum Zeitpunkt der Adoption volljährig war oder es zwischenzeitlich wurde) oder wurde bei einem zu diesem Zeitpunkt minderjährigen Adoptierten der Widerspruch gem. Art. 12 § 2 Abs. 2 AdoptG erhoben, gelten die neuen Regelungen für die Adoption Volljähriger, Art. 12 § 1 Abs. 1 AdoptG, bei einem am 1.1.1977 minderjährigen Adoptierten allerdings erst ab dem 1.1. 1978, Art. 12 § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 1 AdoptG, jedoch jeweils mit den in Art. 12 § 1 Abs. 2 – 5 AdoptG geregelten Ausnahmen, Art. 12 § 1 Abs. 1 bzw. § 3 Abs. 2 S. 1 AdoptG: So bleibt ein vereinbarter Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts wirksam, wodurch auch den Adoptiveltern kein gesetzliches Erbrecht nach dem Adoptierten zusteht; auf einen Abkömmling des Kindes, auf den sich die Wirkung der Annahme nach § 1762 BGB nicht erstreckt hatte (dies war der Fall, wenn der Adoptionsvertrag nicht auch mit dem zum Zeitpunkt der Adoption bereits vorhandenen Abkömmling des Kindes geschlossen worden war, § 1762 a.F. BGB), werden die Wirkungen auch durch die Reform nicht erstreckt. Hatten sich die Wirkungen der Annahme auf die Abkömmlinge erstreckt (sofern also der Adoptionsvertrag auch mit den Abkömmlingen des Adoptierten geschlossen

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1 Staudinger/Werner, § 1925 Rz. 7. 2 Staudinger/Frank, § 1756 Rz. 29, MüKo.BGB/Leipold, § 1925 Rz. 14. 3 Die Regelung ist verfassungsgemäß, BVerfG v. 12.3.2003 – 1 BvR 1504/02, FamRZ 2003, 999 = ZEV 2003, 244. Grötsch

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wurde oder diese erst nach der Adoption geboren wurden), ist das Alter der Abkömmlinge zum 1.1.1977 unerheblich, für diese gilt, wenn für den Adoptierten das Recht zur Annahme Volljähriger gilt, ebenfalls dieses1. 2. Der volljährig Angenommene 43

Auch ein Volljähriger kann als Kind angenommen werden, §§ 1767–1772 BGB. Die Annahme muss sittlich gerechtfertigt sein, wovon insbesondere bei Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses auszugehen ist, § 1767 Abs. 1 BGB. Bilden erbschaftsteuerliche Motive einen Nebenzweck, so ist dies unschädlich, allerdings muss das familienbezogene Motiv das Steuersparmotiv deutlich überwiegen2. Stehen steuerliche Motive im Vordergrund, ist der Adoptionsantrag abzulehnen3. Bezüglich der gesetzlichen Erbfolge gilt, dass Annehmende und Angenommener miteinander verwandt sind, es besteht also wechselseitig volles Erb- und Pflichtteilsrecht. Im Vergleich zur Minderjährigenadoption ist die verwandtschaftliche Wirkung jedoch zweifach eingeschränkt: Der Angenommene ist mit den Verwandten des Annehmenden, z.B. dessen Eltern und leiblichen Kindern, nicht verwandt, beerbt diese gesetzlich also nicht. Zudem: Es bleibt bei dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Angenommenen (sowie seinen Abkömmlingen) und seiner leiblichen Verwandtschaft mit allen erbrechtlichen Folgen. Verstirbt der Angenommene kinderlos vor den Adoptiveltern, ist die Erbfolge gesetzlich nicht geregelt. Adoptiveltern und leibliche Eltern sind jeweils Erben zweiter Ordnung. Nach wohl überwiegender Meinung ist § 1926 BGB analog anzuwenden, so dass diese jeweils eine Linie bilden, die jeweils eine Hälfte erbt, solange auch nur ein relevanter Verwandter jeder Linie vorhanden ist. Solange also sowohl die leiblichen als auch die Adoptiveltern noch leben, erben diese jeweils eine Hälfte. Die leiblichen Eltern werden bei Vorversterben von ihren Abkömmlingen ersetzt, wegen der Regelung des § 1770 Abs. 1 S. 1 BGB aber nicht die Adoptiveltern. Ist ein Adoptivelternteil vorverstorben, erbt der andere Adoptivelternteil also die eine Hälfte allein, sind beide Adoptiveltern verstorben, werden sie von den leiblichen Eltern bzw. deren Abkömmlingen ersetzt. Sind beide leiblichen Eltern verstorben, ohne Abkömmlinge zu hinterlassen, erben die Adoptiveltern allein4.

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Liegen die Voraussetzungen des § 1772 Abs. 1 BGB vor, können allerdings auch bei einer Volljährigenadoption auf Antrag die (erb)rechtlichen Wirkungen der Minderjährigenadoption herbeigeführt werden.

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Zu Adoptionen Volljähriger vor dem 1.1.1977 (§ 1745c a.F. BGB) s. Rz. 42. 3. Gestaltungsempfehlungen

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Im Ausgangsfall wäre T wegen der günstigeren Steuerklasse und des höheren Freibetrags zu raten, A zu adoptieren, was auch gelingen müsste, weil eine Mut1 OLG Hamm v. 1.6.2011 – 15 Wx 61/11, ZEV 2012, 318. 2 OLG Nürnberg v. 8.6.2011 – 9 UF 388/11, FamRZ 2012, 137 = MDR 2011, 1296. 3 OLG München v. 19.12.2008 – 31 Wx 49/08, FamRZ 2009, 1335 = MDR 2009, 333 = ZEV 2009, 83; a.A. Hölscher, ZErb 2012, 253; OLG Schleswig v. 3.6.2009 – 2 W 26/09, FamRZ 2010, 46 = FGPrax 2009, 269. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1925 Rz. 8; Staudinger/Werner, § 1925 Rz. 18; a.A. Dittmann, Rpfleger 1978, 282. 1116

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ter-Kind-Beziehung besteht, mag auch das Steuersparmotiv aktueller Anlass für den Adoptionswunsch sein.

Beratungshinweis: Neben der steuerlichen Komponente sollten jedoch bei jeder Situation die sonstigen Folgen bedacht werden. So ist u.a. zu beachten, dass sich zwingend der Geburtsname des Angenommenen ändert gem. § 1757 Abs. 1 S. 1 BGB, der auch bei der Volljährigenadoption gilt, § 1767 Abs. 2 S. 1 BGB. Nur wenn dies aus schwerwiegenden Gründen zum Wohl des Angenommenen nötig ist, kann der bisherige Familienname vorangestellt oder angefügt werden, § 1757 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB. Ist der bisherige Geburtsname des Angenommenen zugleich dessen Ehename, erstreckt sich die Namensänderung nur dann auf den Ehenamen, wenn der Ehegatte der Namensänderung zustimmt, § 1757 Abs. 3 BGB. Zudem gelten die gegenseitigen Unterhaltspflichten, der Annehmende ist dem volljährig Angenommenen sogar vor dessen leiblichen Verwandten unterhaltspflichtig, § 1770 Abs. 3 BGB. In manchen Fällen kann die Adoption aber auch ungewollte erbrechtliche Folgen zeitigen. Dann besteht Handlungsbedarf. So ist es denkbar, dass der Annehmende nur an seinen leiblichen Abkömmling, nicht aber an den minderjährigen Angenommenen (oder mittelbar dessen Erben) vererben will. Hier müsste der Annehmende den Angenommenen durch letztwillige Verfügung enterben. Will er ihm nicht einmal den Pflichtteil lassen, so bedürfte es (nach Volljährigkeit des Angenommenen) eines Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrags gem. § 2346 BGB. Der Angenommene könnte sich (wiederum nach Volljährigkeit) gegenüber dem Annehmenden erbvertraglich auch binden, dasjenige, was er vom Annehmenden erbt, seinerseits nur den leiblichen Abkömmlingen des Annehmenden zu vererben.

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Bei der Volljährigenadoption kann unerwünschte Folge sein, dass der Angenommene das vom Annehmenden Ererbte an die leiblichen Verwandten des Angenommenen willkürlich oder sogar gesetzlich weitervererbt, da diese Bande durch die Adoption im Regelfall nicht zerschnitten ist. So kann auch hier durch Erbeserbfall Vermögen des Annehmenden ungewollt auf die leiblichen Verwandten des Angenommenen übergehen. Diese Wirkungen ließen sich durch einen Erbvertrag, der schon mit dem notariellen Adoptionsantrag verbunden werden könnte, vermeiden. Inhalt: Der Angenommene schließt seine leiblichen Verwandten von der Erbfolge erbvertraglich bindend aus (der Pflichtteil bliebe ihnen allerdings), etwa durch Erbeinsetzung des Annehmenden oder dessen Verwandten. Alternativ könnten die Annehmenden den Angenommenen auch zum (evtl. befreiten) Vorerben einsetzen, Nacherben werden z.B. die Abkömmlinge des Angenommenen, ersatzweise bestimmte Mitglieder der Familie des Annehmenden. Das böte zugleich den Vorteil, dass der der Vorerbschaft unterliegende Nachlass auch im Zusammenhang mit Pflichtteilsansprüchen der leiblichen Verwandtschaft des Angenommenen unbelastet bliebe. Wer die mit der Vorerbschaft verbundenen Nachteile nicht will, könnte den Angenommenen zum Vollerben einsetzen, das Erbe jedoch mit einem aufschiebend bedingten, beim Tod des Angenommenen fälligen Sachvermächtnis zugunsten von Mitgliedern der Familie des Annehmenden beschweren. Bedingung wäre, dass der Angenommene ohne Abkömmlinge verstirbt.

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VI. Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten 1. Grundvoraussetzungen des Ehegattenerbrechts 49

Erbt ein Ehegatte, beziehen sich die in den Abschnitten III. bis V. dieses Kapitels genannten Erbquoten der Verwandten nur auf den nach Abzug des Ehegattenanteils verbleibenden Rest des Nachlasses. Es ist daher zunächst immer die Erbquote des Ehegatten festzustellen. Noch vorrangiger ist jedoch die Frage, ob dem Ehegatten überhaupt ein Erbrecht zusteht.

Beratungssituation: M hat der E vor der Ehe vorgespiegelt, er sei Familienrichter, in Wahrheit ist er kaufmännischer Angestellter. Als E dies erfährt, beantragt sie die Eheaufhebung, der Antrag wird dem M auch zugestellt. Während des Verfahrens stirbt E ohne Hinterlassung eines Testaments. Aus der Ehe ist der Sohn S hervorgegangen. M fragt seinen Berater nach der gesetzlichen Erbfolge. Bei der Frage, ob ein Ehegattenerbrecht besteht, sind folgende Fälle zu unterscheiden: a) Die Ehe bestand nicht oder nicht mehr 50

Stirbt einer der Ehegatten, erbt der andere nur dann, wenn die Ehe zum Zeitpunkt des Todes noch bestand. Das ist nicht der Fall bei der Nichtehe, weil die Eheleute überhaupt nicht verheiratet waren. Beispiel: Die Trauung wurde nur kirchlich, nicht auch standesamtlich durchgeführt, § 1310 Abs. 1 BGB.

Auch nach rechtskräftigem Aufhebungsbeschluss (§ 1313 BGB) besteht kein Erbrecht mehr, ebenso nicht bei rechtskräftiger Scheidung, § 1564 BGB. Wurde ein Ehegatte für tot erklärt und stirbt der andere, erbt der zu Unrecht für tot Erklärte, es sei denn, dessen Ehegatte hat wieder geheiratet, womit die frühere Ehe aufgelöst würde, § 1319 Abs. 2 BGB, selbst bei späterer Aufhebung der Todeserklärung. Der frühere Ehegatte besäße kein Erbrecht mehr. Wussten die Partner der neuen Ehe, dass der für tot Erklärte lebt, ist die neue Ehe eine Doppelehe, § 1319 Abs. 1 BGB. Diese Doppelehe ist aber nur aufhebbar, nicht dagegen handelt es sich um eine Nichtehe. Konsequenz: Liegt bezüglich der zweiten Ehe noch kein rechtskräftiger Aufhebungsbeschluss vor, wird der Erblasser von zwei Ehegatten beerbt. b) Kein Ehegattenerbrecht trotz bestehender Ehe 51

Stirbt ein Ehegatte während eines Scheidungsverfahrens, verliert der Überlebende sein Ehegattenerbrecht, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes einen begründeten Scheidungsantrag gestellt oder im Falle des Scheidungsantrags seitens des anderen Ehegatten der Erblasser diesem Antrag zugestimmt hatte, § 1933 BGB. Für die Zustimmung ist eine privatschriftliche Erklärung gegenüber dem Familiengericht ausreichend, auf die Erfordernisse des § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG kommt es nicht an1. Entsprechendes gilt für das Eheaufhebungsverfah1 OLG Stuttgart v. 4.10.2011 – IV ZR 250/12, ZEV 2012, 208; OLG Köln v. 11.3.2013 – 2 Wx 64/13, ZEV 2014, 31. 1118

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ren, § 1933 S. 2 BGB. Das Ehegattenerbrecht geht also nicht verloren, wenn nur der Überlebende den Scheidungsantrag gestellt und der Erblasser nicht zugestimmt hatte. Nach h.M. muss der Scheidungsantrag im Zeitpunkt des Todes zugestellt sein, § 167 ZPO gilt nicht1. Begründet wird dies damit, dass es nicht um eine Fristwahrung im Sinne des § 167 ZPO zur Erhaltung eines Rechts oder Hemmung der Verjährung geht2. Das widerspricht jedoch dem Gesetzestext, der nur auf einen Antrag abstellt. Zudem kann der Antragsteller die Zustellung nicht beeinflussen. Bliebe der Antrag krankheitsbedingt bei Gericht einige Zeit liegen, wäre die Rechtsfolge Produkt der Willkür, was der Intention des § 1933 BGB widerspräche. § 167 ZPO sollte daher analog angewendet werden. Ob der Scheidungsantrag begründet war, richtet sich nach den §§ 1565 bis 1568 BGB. Wird das Scheidungsverfahren über 21 Jahre nicht betrieben, kann § 1933 BGB unanwendbar sein wegen anzunehmender endgültiger Aufgabe des Scheidungswillens3.

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Auch ohne Aufhebungsverfahren ist das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten gem. § 1318 Abs. 5 BGB ausgeschlossen, wenn der überlebende Ehegatte die Aufhebbarkeit der Ehe zum Zeitpunkt der Eheschließung wegen Geschäftsunfähigkeit eines Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung, Doppelehe, Inzestehe, Formmangels nach § 1311 BGB oder wegen Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit zum Zeitpunkt der Eheschießung kannte.

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Die vorstehenden Ausführungen gelten auch für das Eheaufhebungsverfahren. Das bedeutet für den Ausgangsfall: Kann Sohn S den wahren Sachverhalt beweisen, hätte der Aufhebungsantrag der E gem. § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB zum Erfolg geführt. Ehemann M beerbt sie also nicht, S ist Alleinerbe.

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Zur Klarstellung: In diesem Abschnitt geht es nur um das gesetzliche Ehegattenerbrecht. Das Schicksal einer letztwilligen Verfügung zugunsten des anderen Ehegatten im Falle der Scheidung oder Auflösung der Ehe bzw. im Falle darauf gerichteten Antrags oder einer entsprechenden Klage regelt § 2077 BGB.

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2. Das Ehegattenerbrecht bei Gütertrennung und Gütergemeinschaft Der Ehegatte erbt allein oder neben Verwandten. Die rein erbrechtliche Quote, um die es hier zunächst ausschließlich geht, bestimmt sich nach § 1931 BGB. Sie gilt für alle Güterstände, regelt aber die gesetzliche Ehegattenerbfolge bei Gütertrennung und Gütergemeinschaft abschließend. Für die Zugewinngemeinschaft sind außerdem die Ausführungen im nächsten Abschnitt von Bedeutung.

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Gem. § 1931 BGB erbt der Ehegatte neben Verwandten der ersten Ordnung 1/4, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern 1/ 2, § 1931 Abs. 1 BGB. Sind weder Verwandte der ersten oder der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, erbt der Ehegatte allein. § 1931 Abs. 2 BGB schließt also auch Abkömmlinge der Großeltern aus.

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1 Vgl. BGH v. 6.6.1990 – IV ZR 88/89, BGHZ 111, 329 = MDR 1990, 907 = FamRZ 1990, 1109; BayObLG v. 31.1.1990 – 1a Z BReg. 24/89, BayObLGZ 90, 20. 2 Palandt/Weidlich, § 1933 Rz. 2; MüKo.BGB/Leipold, § 1933 Rz. 5 m.w.N.; die hier in der 3. Aufl. vertretene a.A. wird aufgegeben. 3 OLG Saarbrücken v. 24.8.2010 – 5 W 185/10-70, MDR 2011, 50 = FamRZ 2011, 760. Grötsch

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Kompliziert und rechtspolitisch fragwürdig wird es wegen § 1931 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn einzelne Großeltern vorverstorben sind. Hier ist zu unterscheiden: Träten anstelle des vorverstorbenen Großelternteils an sich dessen Abkömmlinge (§ 1926 Abs. 3 und 4 BGB), fällt dieser Anteil dem Ehegatten zu, da er Abkömmlinge der Großeltern verdrängt, § 1931 Abs. 1 S. 2 BGB. Sind dagegen bei Vorversterben eines Großelternteils andere Großeltern berufen, weil Abkömmlinge des vorversterbenden Großelternteils fehlen, geht dieser Anteil an die anderen Großeltern. Grund: Der Ehegatte schließt nur die Abkömmlinge aus. Wer seinem Ehegatten also etwas Gutes tun will, trifft hier eine letztwillige Verfügung, zudem mit der günstigen Nebenfolge, dass die Ausgeschlossenen auch nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählen.

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Bei Gütertrennung ist außerdem die immer wieder übersehene, für alle Erbfälle ab dem 1.7.1970 geltende Vorschrift des § 1931 Abs. 4 BGB zu beachten, wenn neben dem Ehegatten ein oder zwei Kinder als gesetzliche Erben berufen sind. Die Beteiligten erben dann zu gleichen Teilen. 3. Besonderheiten bei der Gütergemeinschaft

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Leben die Ehegatten in Gütergemeinschaft, hat der überlebende Ehegatte im Erbfall den güterrechtlichen Auseinandersetzungsanspruch gem. § 1471 Abs. 1 BGB, außerdem erbt er gem. § 1931 BGB (ggf. zusammen mit Miterben) den Gesamthandsanteil des Erblassers am Gesamtgut (§ 1482 Abs. 1 BGB) und, soweit vorhanden, auch dessen Anteil am Vorbehaltsgut und Sondergut (falls vererblich). Sollten überwiegende Gründe gegen eine Auflösung der Gütergemeinschaft durch den Tod sprechen, müssten die Eheleute zu Lebzeiten (notariell und ausdrücklich) die sog. fortgesetzte Gütergemeinschaft vereinbaren. Inhalt: Beiderseitige Verpflichtung, die Gütergemeinschaft nach dem Tod des einen mit den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortzusetzen, § 1483 Abs. 1 BGB. Weitere Folge der Vereinbarung: Vererbt wird nur das Vorbehalts- und das Sondergut, nicht das Gesamthandsgut, denn es gehört nicht zum Nachlass. Allerdings kann der überlebende Ehegatte die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ablehnen, § 1484 Abs. 1 BGB. 4. Das Ehegattenerbrecht bei Zugewinngemeinschaft

Beratungssituation: Der mit Frau F in Zugewinngemeinschaft lebende Mandant M fragt seinen Berater nach dem beiderseitigen Erbrecht im Falle des Todes eines der beiden Ehegatten. Insbesondere möchte er wissen, ob der jeweilige überlebende Ehepartner noch Gestaltungsmöglichkeiten besitzt, um die Ansprüche der Kinder auf ein Mindestmaß zu beschränken. 61

Lebten die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, erhöht sich die aus § 1931 BGB folgende Quote, wie hoch sie auch immer sei, um ein (nicht gesondert ausschlagbares) Viertel, § 1371 Abs. 1 BGB. Das gilt für sämtliche auf Zugewinngemeinschaft gründenden Ehen. Ausnahme: Ein Ehegatte hat den Eintritt in diesen Güterstand bis zum 31.12.1961 gegenüber dem Amtsgericht abgelehnt1. Grund für die Erhöhung des Erbteils um ein Viertel: Wird eine Ehe durch Scheidung beendet, kann Zugewinnausgleich verlangt wer1 Vgl. Art. 8 des Gleichberechtigungsgesetzes v. 18.6.1957. 1120

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den. Es wäre sachgerecht, dies auch bei Beendigung der Ehe durch Tod zuzubilligen. Das birgt jedoch Beweisprobleme und Streitpotenzial, womit die Angehörigen nicht zusätzlich belastet werden sollen. Daher wird der Zugewinnausgleich pauschal mit einer weiteren Erbquote von einem Viertel abgegolten, unabhängig davon, ob überhaupt ein Zugewinn erzielt wurde. Es kann also sein, dass sogar der Erblasser ausgleichsverpflichtet gewesen wäre. Vorstehendes gilt jedoch dann nicht, wenn der überlebende Ehegatte per letztwilliger Verfügung enterbt und ihm auch kein Vermächtnis zugewandt wurde, § 1371 Abs. 2 BGB. In diesem Fall steht dem Überlebenden der tatsächliche Zugewinnausgleichsanspruch (berechnet wie bei der Scheidung) und zusätzlich der sog. kleine, d.h. der nicht auf dem erhöhten gesetzlichen Erbteil basierende, Pflichtteil zu.

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Hier eröffnet sich im Einzelfall unter Umständen ein Gestaltungsspielraum, den der Berater durchleuchten muss. Liegt der Fall etwa so, dass der Zugewinn des Erblassers dessen gesamtem Vermögen entspricht und der andere Ehegatte keinen Zugewinn erzielt hat, wäre daran zu denken, dass der überlebende Ehegatte die Erbschaft bzw. das Vermächtnis ausschlägt. Auf diese Weise erhielte er per Zugewinnausgleich 50 % vom Nachlass und per Pflichtteil (neben erbenden Kindern) zudem 1/ 8 vom Rest, insgesamt also 56,25 %. Träte er dagegen das (gesetzliche) Erbe an, erhielte er nur 50 %. Doch auch wenn der Zugewinn des Erblassers nicht dessen gesamtes Vermögen ausmacht, kann sich durch Ausschlagung rechnerisch noch eine bessere Lösung ergeben als durch Annahme. Dies ist im Einzelfall zu berechnen.

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Eine Wahlmöglichkeit zwischen Zugewinnausgleich plus kleinem Pflichtteil und großem Pflichtteil (Basis: der nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhte Erbteil), besteht nicht1.

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Eine Gestaltungsempfehlung am Rande: Die Frage der Vermögensnachfolge geht oft einher mit Überlegungen zum optimalen Güterstand. Besonders in ländlichen Gegenden wird häufig nach wie vor die Gütergemeinschaft gewählt. Da es sich bei ihr jedoch um ein kompliziertes Gebilde handelt, außerdem der gesetzliche Erbteil des Ehegatten niedriger sein kann als bei der Zugewinngemeinschaft, sollten in der Regel andere Gestaltungen gewählt werden. Eine Absicherung des schutzbedürftigen Ehegatten ist auch möglich z.B. durch lebzeitige Vermögensübertragung oder Erbvertrag.

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5. Das Ehegattenerbrecht bei der Wahl-Zugewinngemeinschaft Seit 1.5.2013 kann gem. § 1519 BGB von deutschen, französischen und deutschfranzösischen Ehepaaren mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, Frankreich oder einem Drittstaat, dessen IPR für das Güterrecht an die Staatsangehörigkeit anknüpft, und von Ehepaaren anderer Staatsbürgerschaft mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland oder Frankreich der Güterstand der WahlZugewinngemeinschaft gewählt werden. Dieser kennt keinen pauschalierten Zugewinnausgleichsanspruch entsprechend § 1371 Abs. 1 BGB, so dass der rechnerische Zugewinnausgleichsanspruch auch bei Erbschaftsannahme seitens des 1 BGH v. 25.6.1964 – III ZR 90/63, BGHZ 42, 182; Palandt/Brudermüller, § 1371 Rz. 15. Grötsch

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Ehegatten als echte Nachlaßverbindlichkeit geltend gemacht werden kann. Die Erbquote richtet sich weiter nach § 1931 Abs. 1 BGB.

Beratungshinweis: Besteht das Vermögen eines der Ehegatten hauptsächlich aus Zugewinn und hat der andere Ehegatten nur geringen Zugewinn erwirtschaftet, kann eine eventuelle Pflichtteilslast von enterbten Kindern durch Option zur Wahl-Zugewinngemeinschaft unter Umständen erheblich reduziert werden1. 6. Tabellarische Übersicht zum gesetzlichen Ehegattenerbrecht 67

Verwandtschaft Güterstand

Neben Eltern und/oder (Halb-)Geschwistern des Erblassers

Zugewinngemeinschaft

neben 1 Kind neben 2 Kindern neben 3 oder (oder dessen (oder deren mehr Kindern Abkömmlingen) Abkömmlingen) (oder deren des Erblassers des Erblassers Abkömmlingen) des Erblassers

3/4

1/2

1/2

1/2

Gütertrennung

1/2

1/2

1/3

1/4

Gütergemeinschaft

1/2

1/4

1/4

1/4

Wahl-Zugewinngemeinschaft

1/2

1/4 + rechnerischer Zugewinnausgleichsanspruch

1/4 + rechnerischer Zugewinnausgleichsanspruch

1/4 + rechnerischer Zugewinnausgleichsanspruch

7. Neue Bundesländer 68

Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland sind durch den Einigungsvertrag die zivilrechtlichen Verhältnisse des BGB und damit dessen erbrechtliche Regelungen im Beitrittsgebiet eingeführt worden. Für alle Erbfälle ab dem 3.10.1990 gilt somit das BGB, wobei die Übergangsvorschriften des Art. 235 ff. EGBGB zu beachten sind. Hierzu und zur Rechtslage vor dem Beitritt s. Kap. E. der 3. Auflage. 8. Der Ehegattenvoraus (§ 1932 BGB)

69

Der Ehegattenvoraus wird in der Beratungspraxis vielfach vernachlässigt, dabei umranken ihn beim Erbfall Emotionen wie kaum ein anderes Thema. Vorzubeugen und rechtzeitig Klarheit zu schaffen ist daher vonnöten.

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§ 1932 BGB gewährt dem überlebenden Ehegatten zusätzlich zu seinem Erbteil und unabhängig vom Güterstand einen schuldrechtlichen Anspruch auf die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände (soweit nicht Grundstückszubehör) und die Hochzeitsgeschenke. Voraussetzungen hierfür sind: – Der überlebende Ehegatte ist (endgültig) gesetzlicher Erbe, was er nicht erfüllt, wenn er durch Verfügung von Todes wegen zum Erben eingesetzt (auch 1 Vgl hierzu mit Berechnungsbeispielen: Jünemann, ZEV 2013, 353. 1122

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bei Einsetzung in Höhe des gesetzlichen Erbteils), von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen oder als erbunwürdig erklärt wurde, einen Erbverzicht geleistet oder die Erbschaft ausgeschlagen hat1. Ausschlagung des testamentarischen Erbteils und Annahme des gesetzlichen, § 1948 Abs. 1 BGB, führen nicht zum Ausschluss des Voraus, sofern mit der Erbeinsetzung nicht auch gleichzeitig der Entzug des Voraus angeordnet wurde. Wird der Ehegatte über § 2066 BGB Erbe, weil der Erblasser seine „gesetzlichen Erben“ eingesetzt hat, so genügt das § 1932 BGB nicht2. – Der überlebende Ehegatte muss, wenn er den Haushalt komplett begehrt, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern gesetzlicher Erbe geworden sein. Erbt er neben Verwandten der ersten Ordnung, stehen ihm nur die Gegenstände zu, die er zur Führung eines angemessenen Haushalts benötigt. Was er selber hat oder sich aus eigenen Mitteln zumutbarerweise zu beschaffen vermag, kann er nicht verlangen3. – Die Eheleute müssen einen gemeinsamen Haushalt geführt haben. Zum Haushalt zählen, ohne dass es auf ihren Wert ankäme: Einrichtungsgegenstände, Möbel, Lampen, Teppiche, Bilder, Bücher, elektrische Geräte, der privat und gemeinschaftlich genutzte Familien-Pkw4, Tonträger, aber auch Ersatzansprüche in Bezug auf alles das. Nicht dazu gehören das Haus und die Wohnung (s. aber die Sonderrechtsnachfolge gem. §§ 563 BGB), die dem persönlichen Gebrauch des Erblassers dienenden Gegenstände (Schmuck, Kleidung), ebenso wenig seine beruflichen Utensilien. Zum Haushalt zählen z.B. auch nicht eine Münz- oder Briefmarkensammlung. Empfehlungen für die Praxis: – Rechtzeitig ein Vermögensverzeichnis erstellen, um spätere eigentumsrechtliche Zuordnungsprobleme zu vermeiden (dient auch als Prophylaxe für den Scheidungsfall). – Auskunftsanspruch über § 2027 BGB geltend machen. – Ggf. Klage zum Prozessgericht. – Letztlich erweist sich aber auch hier wieder eine klare letztwillige Verfügung als der beste Weg, wobei sich (auch für den Nacherbfall bei Wiederverheiratung) ein Vorausvermächtnis zugunsten des überlebenden Ehegatten empfiehlt.

VII. Das gesetzliche Erbrecht des eingetragenen Lebenspartners § 10 Abs. 1 – 3 LPartG5 enthält für die eingetragene Lebenspartnerschaft die den §§ 1931 – 1934 BGB entsprechenden Regelungen (mit Ausnahme des § 1931 1 A.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1932 Rz. 4. 2 So Palandt/Weidlich, § 1932 Rz. 2. Der in der Sache an sich nachvollziehbaren Gegenmeinung (MüKo.BGB/Leipold, § 1932 Rz. 5) kann nicht gefolgt werden, denn sie widerspricht dem Gesetzeswortlaut. Der letztwillig eingesetzte Ehegatte ist nun einmal nicht gesetzlicher Erbe, wenn er nicht ausschlägt. 3 Palandt/Weidlich,§ 1932 Rz. 6. 4 AG Erfurt v. 30.11.2001 – 28 C 765/00, FamRZ 2002, 849. 5 Das BVerfG hat das LPartG für verfassungsgemäß erklärt, BVerfG v. 17.7.2002 – 1 BvF 1/01 und 1 BvF 2/01, ZEV 2002, 318. Grötsch

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Abs. 3 BGB), so dass diesbezüglich auf die obigen Ausführungen verwiesen wird. Bestand zum Todestag eines der Lebenspartner der Güterstand der Zugewinngemeinschaft, was gem. § 6 S. 1 LPartG der Fall ist, sofern die Lebenspartner nicht durch Lebenspartnerschaftsvertrag etwas anderes vereinbart haben, gilt gem. § 6 S. 2 LPartG auch § 1371 BGB, so dass sich die Erbquote des überlebenden Lebenspartners entsprechend um 1/4 erhöht. Das Fehlen einer § 1931 Abs. 3 BGB entsprechenden Regelung in § 10 LPartG widerspricht diesem Ergebnis nicht1, da insbesondere nach der Neufassung des § 6 LPartG in diesem wie bisher der uneingeschränkte Verweis auf § 1371 BGB enthalten ist, so dass nicht von einem Redaktionsversehen auszugehen ist.

VIII. Der Dreißigste (§ 1969 BGB) 72

Gem. § 1969 Abs. 1 BGB ist der Erbe verpflichtet, in den ersten dreißig Tagen nach dem Tod des Erblassers Unterhalt zu gewähren. Anspruchsberechtigt sind die Familienangehörigen des Erblassers, das sind der Ehegatte bzw. eingetragene Lebenspartner sowie die Verwandten und Verschwägerten im Rechtssinne. In Literatur und Rspr. wird der Kreis weit darüber hinaus auf Personen ausgedehnt, die der Erblasser als zur Familiengemeinschaft gehörig betrachtet und behandelt hat, z.B. nichteheliche Lebenspartner, Pflegekinder, zum Teil sogar auf Freunde2.

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Weitere Voraussetzung ist, dass der Anspruchsteller beim Tod des Erblassers zu dessen Hausstand gehört hat, und zwar nicht nur kurze Zeit. Hierzu zählen nicht ein Besucher, auch nicht der getrennt lebende Ehegatte.

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Zudem muss der Erblasser dem Betreffenden lebzeitig Unterhalt gewährt haben, auch wenn dazu keine vertragliche Pflicht bestand3. Hauspersonal bezieht Lohn, nicht Unterhalt, kann den „Dreißigsten“ also nicht verlangen4.

75

Der Berechtigte hat Anspruch auf Gewährung des Unterhalts in Umfang und Art, wie ihn der Erblasser geleistet hat. Nur wenn der Haushalt vor Ablauf von dreißig Tagen aufgelöst wird, entsteht ein Geldanspruch5.

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Für die Gestaltung ist vor allem von Bedeutung, dass der Erblasser den „Dreißigsten“ in jeder Hinsicht durch letztwillige Verfügung modifizieren, also auch erhöhen (dann echtes Vermächtnis) und sogar streichen kann, § 1969 Abs. 1 S. 2 BGB.

IX. Das Erbrecht des Staates Beratungssituation: Der Mandant besitzt eine Geldforderung gegen E. E stirbt ohne Testament. Die Aktiva übersteigen die Passiva deutlich. Nachbarn des E teilen mit, dass E von irgendwelchen entfernten Verwandten in Argentinien gesprochen habe. Der Mandant fragt, wie er seine Forderung durchsetzen kann. 1 2 3 4 5

Leipold, ZEV 2001, 218; Palandt/Brudermüller, § 10 LPartG Rz. 1. MüKo.BGB/Küpper, § 1969 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 1969 Rz. 1. Palandt/Weidlich, § 1969 Rz. 1; MüKo.BGB/Küpper, § 1969 Rz. 2. Palandt/Weidlich, § 1969 Rz. 2.

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Grötsch

Gesetzliche Erbfolge

Rz. 80

CI

1. Erbfolge Es gibt keinen Erbfall ohne Erben. Selbst wenn der Ehegatte und sämtliche Verwandten durch letztwillige Verfügung enterbt wurden oder nicht mehr leben oder Erbverzicht erklärt oder die Erbschaft (z.B. wegen Überschuldung) ausgeschlagen wurde oder auch, wenn der Fall der Erbunwürdigkeit vorliegt: Sind alle infrage kommenden gesetzlichen Erben tatsächlich oder rechtlich weggefallen oder nicht zu ermitteln, erbt der Staat, und zwar das Bundesland, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz oder, bei Fehlen eines solchen, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, § 1936 S. 1 BGB. Hatte der Erblasser mehrere Wohnsitze (§ 7 Abs. 2 BGB) in verschiedenen Bundesländern, sind diese zu gleichen Teilen Erben, sie bilden eine Erbengemeinschaft1. Im Übrigen, so z.B. bei Auslandsdeutschen, erbt der Bund, § 1936 S. 2 BGB. Der Staat kann als letzter gesetzlicher Erbe weder im Voraus verzichten noch im Erbfall ausschlagen, § 1942 Abs. 2 BGB 2, muss also abwickeln.

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Der Fiskus kann die beschränkte Erbenhaftung herbeiführen, wobei die allgemeinen Regeln gelten, §§ 1975, 1990, 2014, 2015, 1973, 1974 BGB. Privilegierungen: Für den Fiskus gilt nicht die Pflicht, sich die beschränkte Haftung im Prozess vorzubehalten, § 780 Abs. 2 ZPO. Ebenso wenig trifft ihn eine Inventarpflicht, § 2011 S. 1 BGB, eine unbeschränkte Haftung wegen Inventarversäumung tritt also nicht ein. Den Nachlassgläubigern ist er jedoch zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses verpflichtet, § 2011 S. 2 BGB.

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2. Verfahren Das Nachlassgericht muss gem. § 1964 BGB eine Erbenermittlung durchführen, wenn das Erbrecht des Staates in Betracht kommt. Methode, Dauer und Umfang der Ermittlungen, die sich auch auf Niederlassung und Staatsangehörigkeit des Erblassers zu beziehen haben3, unterliegen seinem pflichtgemäßen Ermessen. Unter Umständen empfiehlt sich die Einsetzung eines Nachlasspflegers.

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Bleibt die Suche nach Erben erfolglos, fordert das Nachlassgericht öffentlich zur Anmeldung der Erbrechte unter Bestimmung einer Frist auf, § 1965 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 433 ff. FamFG. Werden innerhalb der gesetzten Frist keine Erbrechte angemeldet, kann das Nachlassgericht gem. § 1964 BGB durch Beschluss feststellen, dass keine anderen Erben als der Staat vorhanden sind. Werden dagegen Erbrechte angezeigt, beginnt nach Ablauf der Anzeigefrist eine weitere dreimonatige Frist, innerhalb der die angemeldeten Rechte dem Nachlassgericht nachgewiesen werden müssen. Der Beschluss gem. § 1964 BGB führt dazu, dass der Staat Rechte aus der Erbschaft geltend machen bzw. dass gegen den Staat als gesetzlichen Erben ein Recht geltend gemacht werden kann, § 1966 BGB. Dagegen verhindert der Feststellungsbeschluss nicht die Feststellung eines anderweitigen Erbrechts durch Feststellungsklage oder die Einleitung eines Erbscheinsverfahrens durch einen erbberechtigten Verwandten oder letztwillig zum Erben bestimmten. Werden innerhalb der Frist keine Erbrechte angemeldet, kann der Mandant im Ausgangsfall seinen Anspruch gegenüber dem Staat geltend machen, dessen Haftung ggf. aber auf den Nachlass beschränkt ist.

80

1 MüKo.BGB/Leipold, § 1936 BGB Rz. 12. 2 Als gewillkürter Erbe kann er es. 3 Vgl. dazu MüKo.BGB/Leipold, § 1964 Rz. 4–6. Grötsch

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II. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft Schrifttum: Behrendt, Anm. zu BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, ZEV 1998, 67 f.; Bengel, Gestaltung letztwilliger Verfügungen bei Vorhandensein behinderter Abkömmlinge, ZEV 1994, 29 ff.; Bonefeld/Lange/Tanck, Die geplante Reform des Pflichtteilsrechts, ZErb 2007, 292 ff.; Bertzel, Der Notgeschäftsführer als Repräsentant des Geschäftsherrn, AcP 158, 107-150; Buchholz, Insichgeschäft und Erbschaftsausschlagung – Überlegungen zu einem Problem des § 1643 II BGB, NJW 1993, 1161 ff.; Damrau, Die Verpflichtung zur Ausschlagung der Erbschaft, ZEV 1995, 425 ff.; Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, 2002; Daragan, Erlass der Erbschaftsteuer wegen Kursverfalls vermachter Aktien, Anm. zu FG München v. 24.7.2002 – 4 K 558/02, ZErb 2003, 28; de Leve, Die Ausschlagung nach § 2306 BGB – Was hat sich geändert und was ist zu beachten?, ZEV 2010, 184; Ebenroth/Koos, Anm. zu BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27.94, ZEV 1996, 344; Ebersbach, Handbuch des deutschen Stiftungsrechts, 1972; Engler, Zur Auslegung des § 1643 Abs. II BGB, FamRZ 1972, 7 ff.; Fischer, Anm. zu BGH v. 5.3.1964 – II ZR 208/61, LM § 105 HGB Nr. 19; Fischer, Die Stellung des vermeintlichen Erben in der OHG, FS Heymanns Verlag, 1965, S. 271 ff.; Friedrich, Die Haftung des endgültigen Erben und des „Zwischenerben“ bei Fortführung eines einzelkaufmännischen Unternehmens, 1990; Frohn, Die Erbausschlagung unter dem Vorbehalt des Pflichtteils, Rpfleger 1982, 56; Gantenbrink, Die Neuregelung der §§ 2305, 2306 BGB, Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht 1 (2011); Gothe, Erbschaftsausschlagung und Anfechtung der Erbschaftsannahme, MittRhNotK 1998, 193 ff.; Gottwald, Fristen im Erbrecht: Allgemeine Fristen, ZEV 2006, 293 ff.; Gottwald, Fristen im Erbrecht: Anfechtungsfristen, ZEV 2006, 489 ff.; Hannes, Gestaltungsalternative: Ausschlagung der Erbschaft gegen Nießbrauchsabfindung oder Erbschaftsannahme mit nachfolgender Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt?, ZEV 1996, 10 ff.; Heinemann, Erbschaftsausschlagung: neue Zuständigkeiten durch das FamFG, ZErb 2008, 293 ff.; Heinemann, Die Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch das FamFG und ihre Auswirkungen auf die notarielle Praxis, DNotZ 2009, 6 ff.; Herrler, Vermögenssicherung bei erbrechtlichem Erwerb während des Insolvenzverfahrens und in der Wohlverhaltensperiode, NJW 2011, 2258; Hillebrand, Die Nachlassverwaltung – unter besonderer Berücksichtigung der Verwaltungs- und Verfügungsrechte des Nachlassverwalters, 1998; Ivo, Die Erbschaftsausschlagung eines Sozialhilfeempfängers, FamRZ 2003, 6 ff.; Ivo, Erbschaftsausschlagung wegen vermeintlicher Überschuldung und ihre Anfechtung bei Nachlassspaltung, NJW 2003, 185 ff.; Johannsen, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf dem Gebiet des Erbrechts – 9. Teil: Erbfolge – Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, Fürsorge durch das Nachlassgericht – Die Erbenhaftung – Der Erbschaftsanspruch – Allgemeine Testamentsvorschriften und Erbeinsetzung, WM 1972, 914 ff.; Jänicke/Braun, Vertretungsausschluss bei rechtlich nachteiligen Verfügungen zu Gunsten Minderjähriger, NJW 2013, 2474; Jünemann, Der neue Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft: Familienrechtliche Grundlagen und erbrechtliche Wirkungen, ZEV 2013, 353 ff.; Kapp, Die Erbausschlagung in zivilrechtlicher und erbschaftsteuerrechtlicher Sicht, BB 1980, 117 ff.; Keim, Die vergessene Ausschlagung beim durch Vermächtnis entwerteten Erbteil, ZEV 2003, 358 ff.; Keim, Die Reform des Erb- und Verjährungsrechts und ihre Auswirkungen auf die Gestaltungspraxis, ZEV 2008, 161 ff.; Keim, Die Erbschaftsausschlagung durch Bevollmächtigte und § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. HS BGB, ZErb 2008, 260 ff.; Konzen, Der vermeintliche Erbe in der OHG, ZHR 145 (1981), 29 ff.; Kraiß, Die Anfechtung der Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, BWNotZ 1992, 31 ff.; Krampe, Testamentsgestaltung zugunsten eines Sozialhilfeempfängers, AcP 191, 526 ff.; Kremer/Laux, Die Rechtsstellung des vermeintlichen Erben in der GmbH, BB 1992, 159 ff.; Kuchinke, Anm. zu LG Konstanz v. 24.4.1991 – 5 O 423/90, FamRZ 1992, 362 ff.; Lehmann/Schulz, ZEV-Report Zivilrecht, ZEV 2011, 23; Linde, Zur Ausschlagung einer Erbschaft – Nasciturus, Sozialhilfe, BWNotZ 1988, 54 ff.; Leipold, Das Europäische Erbrecht (EuErbVO) und das deutsche gemeinschaftliche Testament, ZEV 2014, 1126

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Muscheler

C II

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

139 ff.; Lindner, Die geplante Reform der §§ 2305 f. BGB – Meilenstein oder zu kurz gesprungen?, ErbR 2008, 374 ff.; van de Loo, Die letztwillige Verfügung von Eltern behinderter Kinder, NJW 1990, 2852 ff.; van de Loo, Möglichkeiten und Grenzen eines Übergangs des Rechts zur Erbausschlagung durch Abtretung bzw. Überleitung, ZEV 2006, 473 ff.; Malitz, Erbschaftsausschlagung und Rechtsirrtum, ZEV 1998, 415 ff.; Mayer, Anm. zu OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, ZEV 2002, 369 f.; Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht in der dogmatischen Analyse, 2012; Muscheler, Universalsukzession und Vonselbsterwerb, 2002; Muscheler, Die geplanten Änderungen im Erbrecht, Verjährungsrecht und Nachlassverfahrensrecht, ZEV 2008, 105 ff.; Muscheler, Erbrecht, 2010; v. Olshausen, Zugewinnausgleich und Pflichtteil bei Erbschaftsausschlagung durch einen von mehreren Erbeserben des überlebenden Ehegatten?, FamRZ 1976, 678 ff.; Perlwitz/Weber, Gewährung rechtlichen Gehörs Minderjähriger im Verfahren nach dem FamFG in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, FamRZ 2011, 1350; Pieroth, Grundgesetzliche Testierfreiheit, sozialhilferechtliches Nachrangprinzip und das so genannte Behindertentestament, NJW 1993, 173 ff.; Piltz, Rückwirkende Zugewinngemeinschaft kann erbschaftsteuerlich immer noch sinnvoll sein, ZEV 1995, 330 ff.; Röhl, Annahme und Erfüllung von Vermächtnissen zugunsten Minderjähriger – zugleich Anmerkung zum Beschluss des OLG München vom 22.8.2012, 34 Wx 200/12, MittBayNot 2013, 189; Sarres, Die Auskunftspflichten des vorläufigen Erben gegenüber dem endgültigen Erben, ZEV 1999, 216 ff.; Schaub, Schwarzgeld im Nachlass: Zivilrechtliche Gestaltungsüberlegungen des Erblassers, ZEV 2011, 501; Schaub, Schwarzgeld im Nachlass: Ratschläge für Erben, ZEV 2011, 624; Schewe, Die Errichtung der rechtsfähigen Stiftung von Todes wegen, 2004; Schindler, Die Anwendung des § 2306 BGB nach altem und neuem Recht unter besonderer Berücksichtigung der Werttheorie, ZEV 2008, 125 ff., 187 f.; O. Schmidt, Die Errichtung von Unternehmensträgerstiftungen durch Verfügung von Todes wegen, 1997; O. Schmidt, Das Ausschlagungsrecht von Unternehmensträgerstiftungen bei letztwilliger Zuwendung – Beseitigung der Geschäftsgrundlage der stiftungsrechtlichen Genehmigung, ZEV 1999, 141 ff.; Schreiner, Die Mitwirkung erbscheinberechtigter Scheinerben bei Gesellschafterbeschlüssen und Anteilsübertragungen, NJW 1978, 921 ff.; Specks, Zur Zulässigkeit der Erbschaftsausschlagung unter einer Gegenwartsbedingung, ZEV 2007, 356 ff.; Specks, Gefahren bei der Ausschlagung werthaltiger Erbschaften, ZErb 2007, 238 ff.; Stumpf, Der vermeintliche Erbe des Arbeitgebers, FS Brackmann, 1977, 299 ff.; Tiedtke, Zur Bindung des überlebenden Ehegatten an das gemeinschaftliche Testament bei Ausschlagung der Erbschaft als eingesetzter, aber Annahme als gesetzlicher Erbe, FamRZ 1991, 1259 ff.; Troll, Ausschlagung der Erbschaft aus steuerlichen Gründen, BB 1988, 2153 ff.; v. Proff, Erbschaftsverträge in der Praxis, ZEV 2013, 183; Wälzholz, Vertragsgestaltungen zur Ausnutzung der steuerlichen Grundbesitzwerte, ZEV 2001, 392 ff.; Walter, Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft, ZEV 2008, 319 ff.; Weithase, Zurückweisung einer geringfügigen Erbschaft, Rpfleger 1988, 434 ff.; Wiedemann, Abfindungs- und Wertfestsetzungsvereinbarungen unter zukünftigen Erben, NJW 1968, 769 ff.; Wöhrmann, Landwirtschaftserbrecht, 10. Aufl. 2011.

Rz.

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Motive für eine Ausschlagung 1. Persönliche Motive . . . . . . . . . . . . 2. Finanzielle Motive a) Überschuldung . . . . . . . . . . . . . b) Steuerliche Aspekte . . . . . . . . . c) Zugewinngemeinschaft . . . . . . d) Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag:

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Rz.

Rückgewinnung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausschlagung gegen Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Benachteiligung der Eigengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Erlangung des Pflichtteils . . . .

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III. Ausschlagungsberechtigung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muscheler

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft Rz.

2. Vererblichkeit des Ausschlagungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers . . . . a) Aufschiebende Bedingung . . . . b) Auflösende Bedingung . . . . . . . c) Inhaltliche Anerkennung . . . . 4. Gesetzliche Ausschlagungsbeschränkungen a) § 1942 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . b) Stiftungsvorstand . . . . . . . . . . . 5. Einflussmöglichkeiten Dritter a) Gläubiger des Erben . . . . . . . . . b) Sozialhilfeträger . . . . . . . . . . . . c) Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . d) Zustimmungserfordernis des Dienstherrn . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verlust des Ausschlagungsrechts durch Annahme a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausdrückliche Annahme . . . . c) Annahme durch schlüssiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Annahme durch Fristablauf . . e) Wirkungen der Annahme . . . . IV. Form der Ausschlagung . . . . . . . . .

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V. Ausschlagungsfrist 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristbeginn a) Kenntnis vom Anfall . . . . . . . . b) Kenntnis vom Berufungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 2306 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . d) Fristberechnung . . . . . . . . . . . .

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VI. Inhalt der Ausschlagungserklärung 1. Die Ausschlagungserklärung . . . . 2. Bedingte Ausschlagung . . . . . . . . . 3. Teilausschlagung . . . . . . . . . . . . . . 4. Umfang der Ausschlagung . . . . . .

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VII. Gesetzliche Stellvertretung 1. Der minderjährige Erbe . . . . . . . . . 2. Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 85

VIII. Wirkung der Ausschlagung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wegfall des Zunächstberufenen . 3. Anfall an den Nächstberufenen . 4. Ermittlung des Nächstberufenen durch das Nachlassgericht . . . . . . 1128

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Rz. IX. Anfechtung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Anfechtungsfrist . . . . . . . . . . . . 95 b) Form der Anfechtung . . . . . . . . 97 c) Wirkung der Anfechtung . . . . 98 2. Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . . . 101 X. Besonderheiten bei Annahme und Ausschlagung eines Vermächtnisses 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formelle Anforderungen . . . . . . . . 3. Wirkungen von Annahme und Ausschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pflichtteilsberechtigter als Erbe und Vermächtnisnehmer . . . . . . . 5. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XI. Haftung und Ansprüche des Zwischenerben 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche des endgültigen Erben gegen den Zwischenerben a) Anspruch auf Herausgabe . . . . b) Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Delikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anspruch auf Auskunft . . . . . . 3. Ansprüche des Zwischenerben gegen den endgültigen Erben . . . . 4. Zurechnung von Handlungen des Zwischenerben a) Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 1959 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . c) Erfüllung durch Dritte . . . . . . . d) Verpflichtungsgeschäfte . . . . . e) Fortführung eines Handelsgeschäfts unter der bisherigen Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Der Zwischenerbe in einer Personenhandelsgesellschaft . g) Der Zwischenerbe als Gesellschafter einer GmbH . . . . . . . . h) Der Zwischenerbe als Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XII. Der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Abschluss des Vertrags nach dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Abschluss des Vertrags vor dem Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 2

C II

I. Einleitung Beratungssituation: Der Mandant ist in einem Testament als alleiniger Erbe genannt. Er möchte wissen, ob er die Erbschaft irgendwie annehmen muss, um letztendlich wirklich Erbe zu werden1. Im fünften Buch des BGB ist der erste Titel des zweiten Abschnitts überschrieben mit den Worten „Annahme und Ausschlagung der Erbschaft“. Entgegen dem ersten Eindruck, den diese Überschrift erweckt, sind Annahme und Ausschlagung der Erbschaft in der erbrechtlichen Praxis durchaus nicht von gleich großer Bedeutung. Es ist vielmehr die Ausschlagung, die bei der anwaltlichen und notariellen Beratung ganz im Vordergrund steht, und dies aus dem einfachen Grunde, dass nur ihr gestalterische Wirkung im eigentlichen Sinne zukommt und die Annahme gewissermaßen nur einen Unterpunkt in der Prüfung der Ausschlagung darstellt, obgleich die Annahme insoweit gestalterisch wirkt, als mit ihr auf die Ausschlagung verzichtet wird.

1

Dies hat zu tun mit einem wichtigen Prinzip des deutschen Erbrechts: dem Prinzip des Vonselbsterwerbs2. Dieses (zwingende, also nicht dispositive) Prinzip spricht schon die grundlegende Erbrechtsnorm des § 1922 Abs. 1 BGB aus, indem sie anordnet, dass die Erbschaft auf den oder die Erben übergeht „mit dem Tode“ des Erblassers. Damit ist ein Zweifaches ausgesagt. Zum einen, dass es für den Erbanfall (also den Erbschaftserwerb durch den oder die Erben) keiner irgendwie gearteten Mitwirkung des oder der Erben (sei es in Form eines Erbschaftsantritts – wie ihn bei den sog. extranei das römische Recht verlangte –, sei es auch nur in Form eines den Erwerb bejahenden oder zumindest nicht ablehnenden Willens, sei es – sozusagen die geringstmögliche „Mitwirkungs“-Anforderung – in Form der bloßen Kenntnis vom Erbanfall) bedarf, keiner gerichtlichen oder behördlichen „Einweisung“ in den Nachlass (wie etwa in Österreich), keiner obligatorischen Zwischenschaltung eines von Gericht oder Erblasser ernannten Verwalters (wie im angelsächsischen Rechtskreis)3. Denn der Erbanfall erfolgt „mit“ dem Erbfall (also dem Tod des Erblassers) und damit von Gesetzes wegen, ipso iure. Zum anderen ergibt sich aus § 1922 Abs. 1 BGB, dass es zwischen Erbfall und Erbanfall keinen zeitlichen Zwischenraum, nicht einmal den einer „juristischen Sekunde“ gibt, dass es mithin zu keinem Zeitpunkt zu einem herrenlosen Nachlass, zu einer „ruhenden“ Erbschaft, einer „hereditas iacens“, kommt. Denn der Erbanfall erfolgt mit „dem Tode“ des Erblassers. Man darf die beiden Aussagen nicht gleichsetzen: Dass der Erbanfall ipso iure erfolgt, impliziert nicht zwingend, dass er ipso morte erfolgt. Es ließe sich ohne weiteres denken, dass der Erbanfall zwar ipso iure, aber z.B. erst nach Ablauf einer gesetzlichen Übergangsfrist sich vollzöge.

2

1 Herrn Rechtsanwalt Dr. Markus Schewe, Herrn Richter am LG Michael Janßen, Herrn Richter Dr. Martin Metzler und Herrn Kenan Yildiz gebührt mein herzlicher Dank für ihre wertvolle Mitarbeit an diesem Kapitel. 2 Dazu (v.a. auch über das Verhältnis des Prinzips zu den anderen erbrechtlichen Prinzipien) ausführlich Muscheler, S. 141 ff.; Muscheler, Erbrecht Band I, Rz. 1027 ff. Die Annahme wird durch den im § 1922 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden Grundsatz des Vonselbsterwerbs konsumiert; a.A. wohl Palandt/Weidlich, § 1942, Rz. 1; danach ergibt sich der Vonselbsterwerb erst durch die Zusammenschau der §§ 1922 Abs. 1 und 1942 Abs. 1 BGB. 3 Ausf. Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 2 f. Muscheler

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C II

Rz. 3

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

3

Die rechtspolitische Legitimation des in § 1922 Abs. 1 BGB aufgestellten Prinzips des Vonselbsterwerbs ergibt sich aus den vorteilhaften Wirkungen, die es zeitigt. Es schützt vor allen Dingen in sehr weitgehender Weise den Erben vor Eingriffen Dritter, denn der Erbe wird mit dem Erbfall dinglich Berechtigter (§§ 985 ff. BGB) und, ohne eigenen Erwerbsakt, Besitzer aller Nachlassgegenstände (§ 857 BGB). Es schützt den Rechtsverkehr, denn die dingliche Zuordnung des Nachlasses zu einer bestimmten Person ist zu jeder Zeit gewährleistet. Es entlastet den Staat und befreit zugleich Erblasser und Erben von kostspieliger und vielleicht nicht ganz neutraler staatlicher Zwangsfürsorge, denn eine automatische staatliche Pflegschaft oder eine sonstige automatische staatliche Einweisungs- und Schutztätigkeit entfällt. Es dient den Nachlassgläubigern und Nachlassschuldnern, denn diese wissen alsbald (wenn auch noch nicht endgültig), mit wem sie es in Zukunft zu tun haben und sehen sich des Nachweises der Annahme enthoben. Entscheidend für das Gesetz spricht schließlich, dass es eine zwanglos-einfache Regelung des faktischen Normalfalles bereithält: In den meisten Fällen ist der Erwerb einer Erbschaft eine dem Erben günstige und damit willkommene Gelegenheit, sodass seine Bereitschaft zur endgültigen Übernahme der Erbschaft ohne weiteres vorhanden ist1. Es wird daher folgerichtig vom Erben keine aktive Handlung erwartet, um diese Stellung zu erlangen.

3a

Bisweilen gerät die Legitimation des Vonselbsterwerbs freilich an ihre Grenzen. Dies gilt namentlich im Bereich des Erbschaftsteuerrechts. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht die Steuer bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tod des Erblassers und nach § 11 ErbStG ist für die Wertermittlung grundsätzlich der Zeitpunkt der Steuerentstehung maßgebend. Der Steuergesetzgeber hat damit den zivilrechtlichen Grundsatz des Vonselbsterwerbs sich ausdrücklich zu eigen gemacht. Enthält der Nachlass Vermögensgegenstände, etwa börsennotierte Wertpapiere, die nach dem Erbfall rapide an Wert verlieren, so ist für die Wertermittlung nicht auf die Kenntniserlangung vom Erbfall, geschweige denn auf die Annahme der Erbschaft durch den Erben abzustellen, sondern einzig und allein auf den Zeitpunkt des Erbfalls – ein rigides Stichtagsdenken, das auf die faktische Verfügungsmöglichkeit des Erben wenig, auf Arbeitsersparnis bei den Finanzbehörden dagegen umso mehr Rücksicht nimmt, de lege lata mit der Billigkeitsregelung des § 163 S. 1, 3 AO nur in Ausnahmefällen zu mildern ist und de lege ferenda kaum voll zu überzeugen vermag.

4

§ 1942 Abs. 1 BGB bestätigt noch einmal das bereits in § 1922 Abs. 1 BGB verankerte Prinzip des Vonselbsterwerbs und zieht, die Anfallsregelung weiterführend, aus einem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz die erbrechtliche Folgerung: Niemandem soll ein Recht aufgedrängt werden, und daher geht die Erbschaft auf den berufenen Erben „unbeschadet des Rechtes über, sie auszuschlagen“. Endgültiger Erbe bleibt man also nur, wenn man nicht ausschlägt oder die Ausschlagung anficht, § 1957 Abs. 1 Hs. 2 BGB. Dass der Gesetzgeber in der Ausschlagung die faktische Ausnahme sieht, kommt auch in ihrer rechtlichen Ausgestaltung zum Ausdruck: Das Vertrauen des Rechtsverkehrs darauf, dass der Erbe normalerweise die Erbschaft behält, wird durch besondere (und besonders strenge) Frist- und Formerfordernisse für die Ausschlagung geschützt.

1 Mot. V, S. 486 f. 1130

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 4c

C II

Nach § 1953 Abs. 1 BGB wirkt die Ausschlagung nicht nur ex nunc, also vom Zeitpunkt der Ausschlagung an, sondern ex tunc, d.h. vom Zeitpunkt des Erbfalls an: Der Anfall an den Ausschlagenden gilt „als nicht erfolgt“. Damit wird das Prinzip, dass niemandem ein Recht aufgedrängt werden darf, in seiner schärfsten Konsequenz verwirklicht: Niemandem darf ein Recht selbst für eine noch so kurze Zwischenzeit aufgedrängt werden. Die konsequente Verwirklichung des einen Prinzips geht scheinbar auf Kosten des anderen Prinzips, nämlich des Prinzips des Vonselbsterwerbs. Der Vonselbsterwerb wird, so sieht es auf den ersten Blick aus, auf das Niveau eines bloßen Erwerbsmodus herabgedrückt, während er bei ex-nunc-Wirkung der Ausschlagung zugleich (rechtfertigende) causa einer (wenn auch nur transitorischen) materiellen Rechtslage wäre. Doch man bedenke, warum das Gesetz ex-tunc-Wirkung der Ausschlagung anordnet: Es geschieht, um das Prinzip des Vonselbsterwerbs beim endgültigen Erben in reiner Form durchführen zu können. Nach § 1953 Abs. 2 BGB fällt die Erbschaft demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte; der Anfall an ihn gilt „als mit dem Erbfall erfolgt“.

4a

Man sagt herkömmlicherweise, die Entscheidung des BGB gegen (vor allem) den Antrittserwerb und für den Vonselbsterwerb sei eben wegen der Möglichkeit der Ausschlagung und wegen der zurückwirkenden Rechtsfolgen der Ausschlagung überwiegend konstruktiv-formaler Natur1, und unterstützt dies meist mit einem Hinweis darauf, dass das Gesetz die Ausschlagung einer Erbschaft zum Vorteil eines anderen nicht als Schenkung behandelt wissen wolle (§ 517 Var. 3 BGB) und die Ausschlagung generell nicht der Anfechtung nach InsO und AnfG unterwerfe, also selber nicht so recht Ernst mache mit seinem Ausgangspunkt. Die Rede von der konstruktiv-formalen Natur des Prinzips mag angehen, so lange man nicht die oben dargestellten durchaus auch materialen Vorzüge desselben verkennt. Gewiss muss auch das System des Vonselbsterwerbs wegen der Möglichkeit der Ausschlagung mit einem Schwebezustand leben. Es garantiert aber doch infolge der vom BGB gewählten Kürze der Ausschlagungsfrist eine rasche Entscheidung über die personale Zuordnung der Erbschaft, während in einem System des Antrittserwerbs der Schwebezustand grundsätzlich unbegrenzt dauern kann – eine weitere Bekräftigung der durchaus auch materialen Vorzüge des BGB-Modells. Hinzu kommt übrigens, dass der Gesetzgeber die Rückwirkung der Ausschlagung ihrerseits nicht kompromisslos durchgeführt hat, was sich etwa daran zeigt, dass er das Verhältnis zwischen vorläufigem und endgültigem Erben nicht primär bereicherungs- oder deliktsrechtlich oder nach den Regeln des Erbschaftsbesitzes, sondern nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag ausgestaltet hat und den vom vorläufigen Erben vorgenommenen Rechtsgeschäften in gewissem Umfang ihre Wirksamkeit belässt (§ 1959 BGB), mithin das Faktum, dass der vorläufige Erbe eben bis zur Ausschlagung Rechtsträger des Nachlasses war, in der Art eines Rechtsfolgenkompromisses durchaus in Betracht zieht.

4b

Man wird fragen, wo in einem so geordneten System die in der Titelüberschrift angekündigte „Annahme“ der Erbschaft bleibt. Auch nach dem BGB kann der Erbe die Erbschaft (ausdrücklich, konkludent oder durch das Verstreichenlassen der für die Ausschlagung vorgeschriebenen Frist, § 1943 BGB a.E., jedenfalls form-

4c

1 So schon Mot. V, S. 485, 487; Prot. V, S. 633 f., 662. Ebenso Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 11; MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 3. Muscheler

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Rz. 5

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

los) annehmen. Aber diese Annahme macht ihn, wie gezeigt, nicht erst zum Erben, sie beseitigt lediglich die Möglichkeit der Ausschlagung (§ 1943 BGB), hat also keine eigenständigen Rechtsfolgen, sondern wirkt nur auf das Ausschlagungsrecht ein. Sie ist mithin nur ein Teilproblem im Rahmen der Ausschlagung1. 5

Die Ausschlagung ist eines der wenigen erbrechtlichen Gestaltungsmittel. Sie unterscheidet sich in Voraussetzungen und Wirkungen erheblich von einem anderen erbrechtlichen Gestaltungsmittel, der Anfechtung (§§ 2078, 2079 BGB). Anders als diese steht sie dem Erben (in Bezug auf seine Erbenstellung) zu; ist sie nicht nur bei Verfügungen von Todes wegen, sondern auch bei gesetzlicher Erbfolge möglich; führt sie bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen und einer Mehrheit von Erben nur zu einer relativen, auf die Person des Ausschlagenden beschränkten Wirkung, während die Anfechtung auch nur eines Miterben die (fehlerhafte) Verfügung insgesamt beseitigt2; greift sie auch ein bei vollkommen irrtumsfreier Verfügung von Todes wegen. Der Erbe kann zudem mittels der Ausschlagung nicht nur die Erbfolge nach dem Erblasser beeinflussen, sondern die Ausschlagung auch im Hinblick auf seine eigene Erbfolge gezielt einsetzen (vgl. Rz. 8).

6

Auch in der Beratung des Erblassers bezüglich der Gestaltung seiner Verfügung von Todes wegen ist die Möglichkeit, dass das vom Erblasser gewünschte Ergebnis von seinen Erben mittels der Ausschlagung vereitelt oder jedenfalls beeinflusst werden kann, von vornherein zu berücksichtigen. Die Auswirkungen einer eventuellen Ausschlagung sollten daher genau durchdacht werden, um gegebenenfalls durch bestimmte Anordnungen in der Verfügung von Todes wegen Vorsorge für eine spätere Ausschlagung treffen zu können. Zu denken ist dabei namentlich an eine ausdrückliche Ersatzerbenbenennung oder an Strafklauseln für den Fall der Ausschlagung3.

6a

Bei der Beratung von Erblassern und Erben in Bezug auf die Ausschlagung kann es leicht zu haftungsbegründenden Beratungsfehlern kommen. Das liegt zum einen an der Kompliziertheit der Materie als solcher, zum anderen (und vielleicht noch mehr) an dem Umstand, dass eine umfassende und korrekte Beratung nicht selten das Eingehen auf Themen verlangt, die der erbrechtlich nicht Versierte mit allem anderen, nur nicht mit Annahme und Ausschlagung der Erbschaft in Verbindung bringt. Das Letztere wiederum hängt damit zusammen, dass man an die Ausschlagung nur bei Überschuldung oder Wertlosigkeit des Nachlasses zu denken pflegt. Beispiel:4 Die Kläger (eine Rechtsanwaltssozietät) machen gegen den Beklagten 61 000 Euro Honorar aus Beratung in einer Erbschaftsangelegenheit geltend. Der Beklagte – im Zeitpunkt der Beratung schon vorgerückten Alters, so dass rein statistisch innerhalb weniger Jahre mit seinem Ableben gerechnet werden konnte – war Miterbe zu 1/ 2 geworden. 1 Ähnlich Mot. V, S. 495. 2 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 230/83, MDR 1985, 827 = FamRZ 1985, 806 (808) = NJW 1985, 2025 (2026); a.A. MüKo.BGB/Leipold, § 2080 Rz. 11 ff. 3 Muscheler, Erbrecht Band I, Rz. 1098 ff., Erbrecht Band II, Rz. 3011 ff.; zum nicht immer in Frage kommenden Ausschlagungsverpflichtungsvertrag s. Rz. 130 ff. 4 LG Köln v. 14.3.1980 – 17 O 129/79, NJW 1981, 351. 1132

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 7

C II

Der Nachlass belief sich auf 20 Millionen Euro. Der Beklagte ist der Ansicht, die Kläger hätten ihn über die Möglichkeit der Erbschaftsausschlagung zugunsten seiner Kinder beraten müssen. Durch eine Ausschlagung habe das nochmalige Anfallen von Erbschaftsteuer vermieden werden können. Der Schaden betrage mehr als 500 000 Euro. Mit einem entsprechenden Ersatzanspruch (sei es einem eigenen, sei es einem ihm von den Kindern abgetretenen) rechne er auf.

Das LG Köln hat in diesem Fall zu Recht Verletzung einer Beratungspflicht angenommen. Die Kläger habe eine umfassende Beratungspflicht auch in Bezug auf die Ausschlagungsmöglichkeit getroffen. Sie könnten sich auch nicht damit verteidigen, dass sie keine Steuerberater seien und deshalb über steuerrechtliche Fragen nicht zu beraten bräuchten. Das gelte im vorliegenden Fall insbesondere deshalb, weil der Fall steuerlich einfach gelagert gewesen sei. Letztendlich lehnte das LG Köln allerdings einen Schadensersatzanspruch mit der Begründung ab, dass der Schaden nicht beim Erben (dem Mandanten), sondern erst bei dessen Erben eingetreten sei, und diese hätten – da es an einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter fehle – keine Ansprüche gegen die Anwälte1. Die Ablehnung eines Ersatzanspruchs erscheint mehr als zweifelhaft. Sie würde heute kaum vor dem BGH Bestand haben2. Auch der Notar darf an die Ausschlagung nicht nur bei Überschuldung oder Wertlosigkeit des Nachlasses denken. Beurkundet er etwa eine Erbteilsübertragung, obwohl zur Erreichung der angestrebten Rechtsfolge auch eine Ausschlagung in Frage kommt, bei der auf Seiten des Ausschlagenden keine Erbschaftsteuer anfällt, so verletzt er seine Amtspflicht zur Belehrung über die Tragweite des Geschäfts und macht sich schadensersatzpflichtig3 (vgl. dazu auch Rz. 10).

6b

Ordnungsgemäße Belehrung des Erben bedeutet nicht nur Aufklärung über die Möglichkeit einer Ausschlagung als solcher, deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen, sondern auch Darlegung der Rechtslage, die bis zur Entscheidung über Annahme und Ausschlagung besteht. Da der Nachlass zwar „mit dem Erbfall“ auf die Erben übergeht, dieser Vermögensübergang aber wegen der Möglichkeit einer (rückwirkenden) Ausschlagung einer „Einschränkung“4 unterliegt, handelt es sich bis zur Ausschlagung noch nicht um einen endgültigen, sondern nur um einen vorläufigen Erwerb5. Der lediglich unvollkommene Erwerb der Erbschaft äußert sich in den Wirkungen, die das noch ausübbare Ausschlagungsrecht erzeugt.

6c

Wirkungen des noch nicht ausgeübten, aber noch ausübbaren Ausschlagungsrechts:

7

– Die Nachlassgläubiger können gegen den Erben nicht gerichtlich vorgehen (§ 1958 BGB). Die Schutzwirkung des § 1958 BGB erstreckt sich (nur) auf Pas1 LG Köln v. 14.3.1980 – 17 O 129/79, NJW 1981, 351f; über die erbrechtliche Beratungspraxis und die Ausschlagung als Gestaltungsmittel Muscheler, Erbrecht Band I, Rz. 1098 ff. 2 Vgl. BGH v. 13.7.1994 – IV ZR 294/93, FamRZ 1995, 1339 = NJW 1995, 51. 3 LG Neuruppin v. 29.11.1999 – 1a O 501/99, NotBZ 2000, 67. 4 RG v. 17.4.1903 – VII. 16/03, RGZ 54, 289 (291). 5 RG v. 17.4.1903 – VII. 16/03, RGZ 54, 289 (292); Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 10; RGRK/Johannsen, Vor § 1942 Rz. 2. Muscheler

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Rz. 8

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

sivprozesse, gleichgültig, ob es sich um Klagen oder vorläufige Anordnungen handelt1. Die Wirkung des § 1958 BGB kommt nur dem Erben, nicht aber auch einem Testamentsvollstrecker oder Nachlasspfleger zugute (§§ 1960 Abs. 3, 2213 Abs. 2 BGB). Eine Aufrechnung seitens des Nachlassgläubigers wird durch § 1958 BGB nicht verhindert, auch wenn sie im Rahmen eines vom vorläufigen Erben geführten Aktivprozesses erklärt wird2. – Bis zur Annahme kann der Erbe nicht in Schuldnerverzug geraten (§ 1958 BGB analog)3. Ein schon vor dem Erbfall eingetretener Verzug bleibt aber weiter bestehen. – Den Nachlassgläubigern ist die Vollstreckung in das Eigenvermögen des Erben gem. § 778 Abs. 1 ZPO, den Eigengläubigern des Erben die Vollstreckung in den Nachlass gem. § 778 Abs. 2 ZPO verwehrt. Die Vollstreckung der Nachlassgläubiger in den Nachlass bleibt davon unberührt4. – Gem. § 239 Abs. 5 ZPO braucht der vorläufige Erbe schon begonnene Prozesse nicht fortzusetzen. – Gem. § 211 BGB kommt es zu einer Ablaufhemmung der Verjährung einer Forderung oder einer Verbindlichkeit bis zu sechs Monaten nach Annahme der Erbschaft5. – Gem. § 1995 Abs. 2 BGB beginnt die Inventarfrist erst mit der Annahme der Erbschaft.

II. Motive für eine Ausschlagung 1. Persönliche Motive 8

Die Palette der persönlichen Motive, die einen Erben zur Ausschlagung veranlassen können, ist breit gefächert. Hier lässt sich an Abneigung gegen den Erblasser ebenso denken wie an Zuneigung einer dritten Person gegenüber. Der Erbe kann die Ausschlagung als Gestaltungsmittel einsetzen, um einem Dritten seine Stellung zukommen zu lassen. Ein solches Vorhaben wird aber nur gelingen, wenn der Erbe bzw. sein Rechtsberater die sich bei Ausschlagung gem. § 1953 Abs. 1, 2 BGB ergebende Erbfolge zuvor genau überprüft hat, da eine Aus-

1 RG v. 24.2.1905 – VII. 628/04, RGZ 60, 179 (181). Aufgrund der kurzen Ausschlagungsfrist spielt § 1958 BGB weniger in Hauptsacheverfahren, sondern eher in vorläufigen Verfahren eine Rolle, Soergel/Stein, § 1958 Rz. 2. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1958 Rz. 6; Muscheler, S. 35. In der Führung eines Aktivprozesses kann aber u.U. schon eine Annahme der Erbschaft liegen, so auch Palandt/ Weidlich, § 1943 Rz. 2. 3 RG v. 3.4.1912 – III. 259/11, RGZ 79, 201 (203); die Begründung des RG – der Erbe sei während der Ausschlagungsfrist nicht Schuldner – trifft nicht zu; MüKo.BGB/Leipold, § 1958 Rz. 18. 4 Vgl. dazu Zöller/Stöber, § 778 ZPO Rz. 5 f. 5 Im Falle mehrerer Erben und einer vom Gläubiger erhobenen Gesamtschuldklage (§ 2058 BGB) ist auf die Annahme der Erbschaft durch den jeweils in Anspruch genommenen Miterben abzustellen, mit der die Ablaufhemmung des § 211 S. 1 Alt. 1 BGB beginnt, BGH v. 4.7.2014 – IV ZR 348/13. 1134

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 10a

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schlagung zugunsten einer anderen Person, abweichend von der vorgegebenen Erbfolge, nicht möglich ist1 (dazu Rz. 77 ff.). Zwar wäre es möglich, den Nachlass nach Annahme als Ganzes im Wege der Schenkung auf eine andere Person zu übertragen, doch ist dies wertungsmäßig nicht mit dem „Erbesein“ vergleichbar und darüber hinaus auch aus steuerlichen Gründen unvorteilhaft, da es so zu zwei steuerpflichtigen Vorgängen käme (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 ErbStG). In einer Ausschlagung zugunsten einer Person, die nicht zum Kreis der sich gem. § 1953 Abs. 2 BGB ergebenden Anfallberechtigten gehört, kann gegebenenfalls eine Annahme unter einem gleichzeitigen Angebot zum Abschluss eines Vertrags an die begünstigte Person gesehen werden2, der die Veräußerung der Erbschaft zum Gegenstand hat (§§ 2371, 2033, 2385 BGB).

9

Eine Annahme mit nachfolgender Schenkung kommt insbesondere in solchen Fällen in Betracht, in denen die Weiterleitung der Erbschaft mittels Ausschlagung wegen Unwirksamkeit der Ausschlagung nicht erreicht werden konnte. Wird auf diese Weise vom Erben nur das Ergebnis herbeigeführt, das die unwirksame Ausschlagung erzeugen sollte, so ist steuerrechtlich von einer Ausschlagung und einem dadurch verursachten Anfall der Erbschaft bei der beschenkten Person auszugehen3. Die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ist gem. § 41 Abs. 1 S. 1 AO für dessen steuerliche Beurteilung nicht von Belang, so dass die steuerliche von der erbrechtlichen Betrachtung abweichen kann4. Entscheidend für die steuerrechtliche Betrachtung ist allein, ob die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts eintreten und bestehen lassen, § 41 Abs. 1 S. 1 a.E. AO. Dabei gilt § 41 Abs. 1 AO auch, wenn sich die steuerrechtliche Beurteilung zum Vorteil der Beteiligten auswirkt5. Zum Zeitpunkt der Abgabe der unwirksamen Ausschlagungserklärung muss dem Ausschlagenden aber das Ausschlagungsrecht noch zugestanden haben, andernfalls ist das Vermögen kraft zwingenden Rechts dem Erben angefallen und unterliegt der Erbschaftsteuer6. Außerdem findet § 41 Abs. 1 AO keine Anwendung, wenn ein wirksames, aber unerwünschtes Geschäft vorliegt: Haben die Parteien in Unkenntnis der Ausschlagungsmöglichkeit z.B. eine Erbteilsübertragung vorgenommen, so fehlt es für die Anwendung des § 41 AO an einem unwirksamen Geschäft. Es liegt lediglich – gegebenenfalls – ein Fall der Notarhaftung vor7.

10

Als weiteres persönliches Motiv ist denkbar, dass ein Erbe es vorzieht, die Stellung eines gesetzlichen Erben zu erlangen, anstatt testamentarisch berufen zu sein8.

10a

1 Troll, BB 1988, 2153 (2154); Palandt/Weidlich, § 1947 Rz. 2; OLG Schleswig v. 11.5. 2005 – 3 Wx 70/04, ZEV 2005, 526 (526): Der Irrtum des Ausschlagenden, sein Erbteil falle einem bestimmten Miterben an, ist ein unbeachtlicher Motivirrtum über (weitere) Rechtsfolgen der Ausschlagung. 2 KG v. 12.12.1907 – 1. Z. 1438/07, KGJ 35, A 63 (A 64); Palandt/Weidlich, § 1947 Rz. 2; Staudinger/Otte [2000], § 1947 Rz. 8; nach Staudinger/Otte [2008], § 1947 Rz. 8 setzt dies eine klar erkennbare, vertragliche und notariell beurkundete Verpflichtung voraus. 3 Troll, BB 1988, 2153 (2154); Kapp, BB 1980, 117 (119). 4 Troll, BB 1988, 2153 (2154); Klein/Brockmeyer, § 41 Anm. 7. 5 Troll, BB 1988, 2153 (2154). 6 Kapp, BB 1980, 117 (119). 7 LG Neuruppin v. 29.11.1999 – 1a O 501/99, NotBZ 2000, 67. 8 MüKo.BGB/Leipold, § 1948 Rz. 2, der aber richtig darauf hinweist, dass dieses Interesse des Bedachten hinter den (auch hypothetischen) Willen des Erblassers zurücktritt. Muscheler

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Rz. 11

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2. Finanzielle Motive a) Überschuldung 11

Der praktisch bedeutsamste Grund, eine Erbschaft auszuschlagen, dürfte in der Überschuldung des Nachlasses und der sich daraus ergebenden Angst des Erben liegen, mit seinem Eigenvermögen haften zu müssen. Bei dieser Fallgestaltung sollte ein beratender Anwalt jedoch nicht vorschnell und leichtfertig auf die Ausschlagung als einzig taugliches Mittel dafür verweisen, das Eigenvermögen des Erben vor dem Zugriff der Nachlassgläubiger zu schützen. Gerade wenn eine Bewertung des Nachlasses Probleme bereitet und eine Überschuldung des Nachlasses nur als möglich, aber noch nicht als sicher erscheint, muss auch die Möglichkeit der Nachlassverwaltung (§§ 1975 ff. BGB) in Betracht gezogen werden1.

12

Die Überschuldung des Nachlasses kann sich auch nach sorgfältiger, im Ergebnis zunächst negativer Prüfung der Vermögensverhältnisse unerwartet ergeben. Zu dieser Situation kommt es insbesondere dann nicht selten, wenn die Banken die Vermögensverhältnisse des Erblassers aufdecken und gem. ihrer sich aus § 33 Abs. 1 S. 1 ErbStG ergebenden Verpflichtung die Finanzbehörden informieren und diese nun noch auf die Lebenszeit des Erblassers bezogene Steuernachzahlungen fordern. Ist hier nicht endgültig absehbar, ob die Passiven die Aktiven übersteigen, besteht also auch nur entfernt die Möglichkeit, dass nach Bereinigung der Passiven noch Vermögen vorhanden sein könnte, so würde der Rat des Anwalts, die Erbschaft auszuschlagen, zu dessen Haftung führen, soweit dem Erben durch die Ausschlagung tatsächlich Vermögen entgangen ist.

13

Auch muss die Frage bedacht werden, ob die Nachlassgläubiger ihre Ansprüche tatsächlich durchsetzen werden. Dies gilt namentlich für kurz vor der Verjährung stehende Nachlassverbindlichkeiten. Beispiel:2 Tritt nach Ausschlagung der Erbschaft Verjährung einer Nachlassverbindlichkeit ein, so kommt eine Anfechtung der Ausschlagung nicht in Betracht. Nahm der Erbe an, dass der Gläubiger die Forderung vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend machen würde, so ist darin nur ein unbeachtlicher Motivirrtum über das künftige Verhalten des Gläubigers zu sehen.

b) Steuerliche Aspekte3

Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob es sich aus steuerlichen Gesichtspunkten lohnt, eine Erbschaft nach seiner Mutter zugunsten seiner Kinder auszuschlagen, da diese ohnehin seine Erben seien. 1 Hillebrand, S. 14. 2 Nach LG Berlin v. 6.5.1975 – 83 T 181/75, NJW 1975, 2104. Auch eine Fehlbewertung bekannter Aktiven oder Passiven berechtigt nicht zur Anfechtung, Palandt/Weidlich, § 1954 Rz. 6; ein unbeachtlicher Motivirrtum liegt auch dann vor, wenn die Ausschlagung erklärt worden ist wegen drohender Überschuldung aufgrund von Informationen, die in der Zukunft liegen bzw. relevant werden könnten und damit ungenau sind, OLG Düsseldorf v. 20.7.2004 – I-3 Wx 193/04, ZEV 2005, 255; OLG Düsseldorf v. 31.1.2011 – 3 Wx 21/11, FamRZ 2011, 1171. 3 Zum Umgang mit Nachlassbestandteilen, die der Erblasser an der Steuer vorbei in das Ausland transferiert hat, Schaub, ZEV 2011, 501 und ZEV 2011, 624. 1136

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 17

C II

Die Wirksamkeit einer Ausschlagung hängt nicht von den ethischen Qualitäten der ihr zugrunde liegenden Motive ab. Erfolgt die Ausschlagung z.B. nur, um Steuern zu sparen, ist die Ausschlagung in keiner Weise ein Scheingeschäft oder ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, sondern – auch aus steuerrechtlicher Sicht – voll wirksam1. Die Ausschlagung erfüllt ihrerseits keinen Tatbestand des ErbStG, insbesondere liegt in ihr keine Schenkung des Erstberufenen an den Nächstberufenen (§ 517 BGB). Besteuert wird nur der Anfall der Erbschaft beim Nächstberufenen, da nur dieser das Vermögen unmittelbar vom Erblasser erhält (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

14

Bei der Überprüfung der Möglichkeiten, die eine Ausschlagung eröffnet, sind verschiedene Aspekte in Betracht zu ziehen. Eine vorteilhafte steuerliche Gestaltung kann durch Ausschlagung dann erreicht werden, wenn der Nächstberufene einer günstigeren Besteuerung unterliegt als der Ausschlagende. Dies mag seine Ursache in einem höheren Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 ErbStG, einer günstigeren Steuerklasse gem. § 15 Abs. 1 ErbStG oder in einer niedrigeren Steuerprogression gem. § 19 Abs. 1 ErbStG (das Vermögen wird durch Ausschlagung etwa auf mehrere Personen aufgeteilt) haben. Zudem kann es bei Aufteilung auf mehrere Ersatzerben zu einer Senkung der Steuerbelastung durch die dann mögliche mehrfache Ausnutzung der Freibeträge des § 16 ErbStG kommen. Durch Ausschlagung wird eine Generation „übersprungen“; auf diese Weise fällt ein erbschaftsteuerrelevanter Vermögensübergang vollständig weg. Durch Ausschlagung gegen Abfindung kann auch der für die Steuerberechnung entscheidende Stichtag des § 11 ErbStG verändert werden; die Steuer auf die Abfindung entsteht erst zum Zeitpunkt der Vereinbarung derselben2.

15

Stand dem Erblasser seinerseits ein noch ausschlagbares Erbe zu und sind seine Erben gleichzeitig die Ersatzerben nach dem Erstverstorbenen, so kann mittels Ausschlagung der Erbschaft, die der Nachverstorbene nach dem Vorverstorbenen erlangt hat (§ 1952 BGB), eine steuerlich vorteilhafte Lage herbeigeführt werden.

16

Beispiel:3 Die Eltern verstarben innerhalb von zwei Tagen nacheinander. Sie hatten sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder als Schlusserben eingesetzt. Die Kinder schlugen als Erben des Nachverstorbenen die Erbschaft nach dem Erstverstorbenen gem. § 1952 BGB aus. Nach der Ausschlagung waren sie nicht mehr nur an einem Erbfall, sondern an zwei getrennt zu bewertenden Erbfällen beteiligt, da sie nicht Schlusserben des gesamten Nachlasses, sondern Erben nach jedem Elternteil wurden. Dies bewirkte, dass jedes Kind hinsichtlich jedes Erbfalls den Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (heute je 400 000 Euro) in Anspruch nehmen konnte. Da es infolge der Ausschlagung nicht zur Bildung eines Gesamtnachlasses kam, war auch der maßgebliche Steuersatz (§ 19 Abs. 1 ErbStG) hinsichtlich des die Freibeträge übersteigenden Vermögens – je nach Höhe des Elternvermögens – günstiger.

Die tatsächlichen Möglichkeiten, die eine Ausschlagung bietet, um gezielt auf die erbschaftsteuerliche Belastung einzuwirken, zeigen sich sehr deutlich an den folgenden einfachen Beispielen. Andererseits demonstriert gerade Beispiel 2, 1 FG Düsseldorf v. 16.10.1964 – III 8/63 Erb, EFG 1965, 183. 2 Zu Gestaltungsmöglichkeiten vgl. Daragan, ZErb 2003, 28. 3 Beispiel nach FG Düsseldorf v. 16.10.1964 – III 8/63 Erb, EFG 1965, 183. Muscheler

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C II

Rz. 18

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

dass man sich vor der Illusion hüten muss, durch eine Ausschlagung in jedem Fall Steuern sparen zu können. Beispiel 1:

18

Der Erblasser hinterlässt seinem einzigen Sohn, der seinerseits zwei Kinder (Enkel) hat, Vermögen im Steuerwert von 2,5 Mio. Euro. Die beiden Enkel sind gegenwärtig die einzigen gesetzlichen Erben nach ihrem Vater. Der Sohn hat kein sonstiges Vermögen. Nimmt der Sohn die Erbschaft an, gestaltet sich die Situation wie folgt: Sohn (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 2,5 Mio. Euro fi Steuerlast 19 % von 2 100 000 Euro = 399 000 Euro fi Verbleib pro Enkel nach Tod ihres Vaters oder lebzeitiger Schenkung durch den Vater (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 1 050 500 Euro fi Steuerlast 19 % von 650 500 Euro = 123 595 Euro fi Verbleib Ergebnis für beide Enkel zusammen: Endvermögen Gesamtsteuerbelastung

= 2 101 000 Euro

=

926 905 Euro

= 1 853 810 Euro = 646 190 Euro

Schlägt der Sohn die Erbschaft nach dem Erblasser aus, gestaltet sich die Situation wie folgt: pro Enkel (Stkl. I, 200 000 Euro Freibetrag): 1,25 Mio. Euro fi Steuerlast 19 % von 1 050 000 Euro = 199 500 Euro fi Verbleib = 1 050 500 Ergebnis für beide Enkel zusammen: Endvermögen = 2 101 000 Steuerbelastung = 399 000 Endergebnis: Steuerersparnis infolge der Ausschlagung = 247 190

Euro Euro Euro Euro

Beispiel 2:

18a

Wie Beispiel 1, jedoch beträgt der Wert des Nachlasses nur 450 000 Euro. Nimmt der Sohn die Erbschaft an, gestaltet sich die Situation wie folgt: Sohn (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 450 000 Euro fi Steuerlast 7 % von 50 000 Euro = 3 500 Euro fi Verbleib pro Enkel nach Tod ihres Vaters oder bei lebzeitiger Schenkung durch den Vater (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 223 250 Euro fi Verbleib Ergebnis für beide Enkel zusammen: Endvermögen Steuerbelastung

=

446 500 Euro

=

223 250 Euro

= =

446 500 Euro 3 500 Euro

Schlägt der Sohn die Erbschaft nach dem Erblasser aus, gestaltet sich die Situation wie folgt: pro Enkel (Stkl. I, 200 000 Euro Freibetrag): 225 000 Euro fi Steuerlast 7 % von 25 000 Euro = 1 750 Euro fi Verbleib

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Muscheler

=

223 250 Euro

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft Ergebnis für beide Enkel zusammen: Endvermögen Steuerbelastung Endergebnis: Steuerersparnis infolge der Ausschlagung

Rz. 19

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= =

446 500 Euro 3 500 Euro

=

0 Euro

Beispiel 3: Der verwitwete Erblasser hat seinen einzigen Sohn und dessen Ehefrau je zur Hälfte als Erben eingesetzt. Der Wert des Nachlasses beträgt 1,25 Mio. Euro.

18b

Bei Realisierung der testamentarischen Anordnung gestaltet sich die Situation wie folgt: Sohn (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 625 000 Euro fi Steuerlast 11 % von 225 000 Euro = 24 750 Euro fi Verbleib Schwiegertochter (Stkl. II, 20 000 Euro Freibetrag): 625 000 Euro fi Steuerlast 30 % von 605 000 Euro = 181 500 Euro, wegen § 19 III ErbStG nur 152 500 Euro fi Verbleib Endvermögen Steuerbelastung

=

600 250 Euro

= 472 500 Euro = 1 072 750 Euro = 176 750 Euro

Schlägt die Schwiegertochter aus, gestaltet sich die Situation wie folgt: Sohn (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 1,25 Mio Euro fi Steuerlast 19 % von 850 000 Euro = 161 500 Euro fi Verbleib Endvermögen Steuerbelastung Endergebnis: Steuerersparnis infolge der Ausschlagung

= 1 088 500 Euro = 1 088 500 Euro = 161 500 Euro =

15 250 Euro

c) Zugewinngemeinschaft Im Rahmen der Erbfolge bei im Güterstand der Zugewinngemeinschaft1 lebenden Ehegatten kann der überlebende Ehegatte die Ausschlagung einsetzen, um die Abwicklungsmethode zu bestimmen. Ist der überlebende Ehegatte gesetzlicher Erbe, so erhält er neben seinem Erbteil gem. § 1931 BGB ein weiteres Viertel als Ausgleich des Zugewinns gem. § 1371 Abs. 1 BGB, unabhängig davon, ob ein Zugewinn erzielt wurde. Zu dieser erbrechtlichen Lösung kommt es aber nur, wenn der überlebende Ehegatte Erbe wird. Schlägt er die Erbschaft aus, wird er also nicht Erbe (und ist ihm auch kein Vermächtnis zugewandt), so bestimmt sich die Abwicklung nach § 1371 Abs. 2, 3 BGB (güterrechtliche Lösung). Danach kann der überlebende Ehegatte den sog. kleinen Pflichtteil2, der die Hälfte des sich nach § 1931 BGB ergebenden Erbteils ausmacht3, und den Zugewinnausgleich verlangen. Der sog. große Pflichtteil steht ihm dagegen weder im Falle 1 Seit dem 1.5.2013 ist das deutsch-französische Abkommen über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft in Kraft, das zunächst für 10 Jahre gilt – zu den erbrechtlichen Auswirkungen des neuen Güterstandes, auch vor dem Hintergrund der EuErbVO Jünemann, ZEV 2013, 353 (358 ff.). 2 § 1371 Abs. 3 BGB stellt eine Ausnahmeregel dar, da eine Ausschlagung regelmäßig zum Verlust des Pflichtteilsanspruchs führt, MüKo.BGB/Koch, § 1371 Rz. 50. 3 Palandt/Brudermüller, § 1371 Rz. 16. Muscheler

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1139

19

C II

Rz. 20

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

der Enterbung noch der Ausschlagung zu1 (zum Fall des Zusammentreffens von Erbeinsetzung und Vermächtnis vgl. Rz. 112). 20

Es stellt sich für den überlebenden Ehegatten die Frage, welche der beiden Lösungen für ihn günstiger ist. Allerdings ergeben sich Entscheidungsschwierigkeiten von vornherein nur dann, wenn Abkömmlinge gem. § 1924 BGB vorhanden sind. Existieren nämlich nur Erben zweiter Ordnung gem. § 1925 BGB oder Großeltern, so würde nach der erbrechtlichen Lösung die gesetzliche Erbportion des Ehegatten 1/ 2 gem. § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB zuzüglich 1/4 gem. § 1371 Abs. 1 BGB, mithin also 3/4 betragen2. Im Fall der güterrechtlichen Lösung erhielte der Ehegatte selbst im günstigsten Fall, in dem der überschießende Zugewinn den gesamten Nachlass ausmacht, weniger3. Sind nun aber Abkömmlinge vorhanden, so gilt es in der Beratungssituation das Wertverhältnis der beiden Möglichkeiten herauszufinden. Die güterrechtliche Lösung wird dann interessant, wenn die Höhe des Zugewinnausgleichsanspruchs 3/7 des Nachlasswertes übersteigt4. Die besondere Schwierigkeit in den genannten zweifelhaften Fällen liegt darin, dass nicht nur eine genaue Bewertung des Nachlasses, sondern auch die Bestimmung der Höhe des Zugewinnausgleichsanspruchs vorgenommen werden muss, und zwar innerhalb der Ausschlagungsfrist. Bei diesen Berechnungen ist zudem § 5 Abs. 1 ErbStG zu beachten. Ferner gilt es zu bedenken, dass der überlebende Ehegatte im Rahmen der güterrechtlichen Lösung von möglichen Ansprüchen gem. § 1371 Abs. 4 BGB befreit wird, aber auch den Anspruch auf den Voraus gem. § 1932 BGB verliert.

21

Bei der erbrechtlichen Lösung gem. § 1371 Abs. 1 BGB steht dem Ehegatten neben dem Freibetrag von 500 000 Euro Schenkung gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ein zusätzlicher Freibetrag gem. § 5 Abs. 1 S. 1 ErbStG zu5. Danach bleibt der Betrag außer Acht, also steuerfrei, den der überlebende Ehegatte bei der güterrechtlichen Abwicklung gem. § 1371 Abs. 2 BGB als Zugewinnausgleich beanspruchen könnte. Gem. § 5 Abs. 1 S. 5 ErbStG ist der Steuerwert des Endvermögens, nicht aber sein Verkehrswert maßgeblich6. Zur Berechnung des steuerlich abzugsfähigen Teils des (fiktiven) Ausgleichsanspruchs kann man folgende Formel verwenden7: Freibetrag ¼ Zugewinnausgleichsanspruch

22

Endvermogenssteuerwert ¨ Endvermogensverkehrswert ¨

Bei der güterrechtlichen Lösung gem. § 1371 Abs. 2 BGB entfällt eine Steuerpflicht hinsichtlich der Ausgleichsforderung, da diese weder Erwerb von Todes wegen noch Schenkung ist (§ 5 Abs. 2 ErbStG). Aufgrund der Steuerfreiheit (Beachte: 1 BGH v. 25.6.1964 – III ZR 90/63, BGHZ 42, 182; Leipold, Rz. 171, 175. 2 Palandt/Weidlich, § 1931 Rz. 5. 3 In diesem Fall bekäme der Ehegatte maximal 1/ 2 als Zugewinnausgleich und daneben 1/4 vom verbleibenden Nachlass, insgesamt also 1/4 des Nachlasses. Im Vergleich der beiden Lösungen erhält der Ehegatte nach der erbrechtlichen Lösung mithin 5/ 8 mehr. 4 Leipold, Rz. 176. Der Anteil des überschießenden Zugewinns muss demnach mehr als 6/ 7 bzw. 85,71 % des Nachlasses des Erstverstorbenen ausmachen. 5 Troll, BB 1988, 2153 (2156); Kapp/Ebeling, § 5 ErbStG Rz. 46 ff. 6 ErbSt-Erlass 1976, BStBl. I 1976, 145; Kapp/Ebeling, § 5 ErbStG Rz. 47 ff. 7 Auch der BFH v. 10.3.1993 – II R 87/91, BStBl. II 1993, 510 = FamRZ 1993, 1433, wendet diese Berechnungsmethode an, krit. aber zu Recht Kapp/Ebeling, § 5 ErbStG Rz. 48 sowie Meincke, § 5 Rz. 32 ff. m.w.N. Vgl. auch Erbschaftsteuerrichtlinien 2011, E 5.1 Abs. 5 S. 1. 1140

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 22b

C II

Die für den Freibetrag nach § 5 Abs. 1 S. 2 ErbStG geltenden Einschränkungen greifen hier nicht ein, so dass etwa auch ehevertragliche Regelungen die Höhe des Ausgleichsanspruchs beeinflussen können!) ist bei einem großen Zugewinn stets an eine Ausschlagung zu denken, um mit ihrer Hilfe die güterrechtliche Lösung herbeizuführen1. Macht der Ehegatte daneben auch den (kleinen) Pflichtteil geltend, so stellt dies einen gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb dar, bei dem jedoch der Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG abzuziehen ist. Beispiel 1: Der Ehemann hinterlässt ein Vermögen mit einem Verkehrswert von 3 Mio. Euro. Darin sind Grundstücke mit einem Steuerwert von 650 000 Euro und einem Verkehrswert von 1 Mio. Euro enthalten. Während der Ehe hat der Mann einen Zugewinn in Höhe von 1,6 Mio. Euro erwirtschaftet. Seine Ehefrau hat keinen Zugewinn erlangt. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Es gilt gesetzliche Erbfolge.

22a

Bei der erbrechtlichen Lösung gestaltet sich die Situation wie folgt: Ehefrau (Stkl. I, Freibetrag nach Berechnung): 000 Euro Freibetrag: 500 000 Euro + 800 000 Euro × 23 650 000 000 Euro

= 1 206 667 Euro

Steuerwert Erwerb: 1 325 000 Euro fi Steuerlast 11 % von 118 300 Euro (Abrundung nach § 10 Abs. 1 S. 6 ErbStG) = 13 013 Euro fi Verbleib Verkehrswert Steuerlast: Ergebnis (Verkehrswert):

= 1 486 987 Euro = 13 013 Euro = 1 486 987 Euro

Bei der güterrechtlichen Lösung gestaltet sich die Situation wie folgt: Zugewinn: 1/ 2 × 1,6 Mio. Euro (steuerfrei) fi Verbleib Pflichtteil (1/ 8 der Erbschaft nach Abzug der Verbindlichkeiten, Stkl. I, 500 000 Euro Freibetrag): 275 000 Euro fi Verbleib Steuerlast: Ergebnis:

=

800 000 Euro

= 275 000 Euro = 0 Euro = 1 075 000 Euro

Beispiel 2:

22b

Wie Beispiel 1, jedoch beträgt der Zugewinn des Erblassers 2,75 Mio. Euro. Bei der erbrechtlichen Lösung gestaltet sich die Situation wie folgt: Ehefrau (Stkl. I, Freibetrag nach Berechnung): 000 Euro Freibetrag: 500 000 Euro + 800 000 Euro × 23 650 000 000 Euro

= 1 714 583 Euro

Steuerwert Erwerb: 1 325 000 Euro fi Verbleib Verkehrswert Steuerlast: Ergebnis (Verkehrswert):

= 1 500 000 Euro = 0 Euro = 1 500 000 Euro

Bei der güterrechtlichen Lösung gestaltet sich die Situation wie folgt: Zugewinn: 1/ 2 × 2,75 Mio Euro (steuerfrei) fi Verbleib Pflichtteil (1/ 8 der Erbschaft nach Abzug der Verbindlichkeiten, Stkl. I, 500 000 Euro Freibetrag): 203 125 Euro fi Verbleib Steuerlast: Ergebnis:

= 1 375 000 Euro

= 203 125 Euro = 0 Euro = 1 578 125 Euro

1 Lange/Kuchinke, § 52 II 6 (S. 1316). Muscheler

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1141

C II

Rz. 23

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

23

Bei der güterrechtlichen Abwicklung muss unbedingt beachtet werden, dass in einem unentgeltlichen Verzicht des überlebenden Ehegatten auf die Geltendmachung der Ausgleichsforderung gegen die Kinder eine steuerpflichtige Schenkung liegt1. Verzichtet der Ehegatte jedoch gegen Zahlung einer Abfindung, so ist diese als Surrogat für den Zugewinnausgleichsanspruch steuerfrei2.

24

Soweit die Ehegatten den Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch Ehevertrag erst im Verlauf der Ehe unter Aufhebung eines anderen, zuvor gewählten Güterstandes vereinbaren, ist § 5 Abs. 1 S. 4 ErbStG zu beachten3. In Abweichung von einer zivilrechtlich möglichen Rückwirkung dieser Vereinbarung auf den Zeitpunkt der Eheschließung4 gilt danach der neue Güterstand für die steuerliche Bewertung erst ab dem Tag des Vertragsschlusses als eingetreten5. Nur der nach diesem Zeitpunkt erwirtschaftete Zugewinn kommt somit in den Genuss der erbschaftsteuerlichen Freistellung gem. § 5 Abs. 1 ErbStG. Allerdings lässt sich gem. § 5 Abs. 2 ErbStG auch im Fall einer erst später vereinbarten Zugewinngemeinschaft eine vollständige rückwirkende Steuerbefreiung erreichen, wenn die güterrechtliche Lösung gem. § 1371 Abs. 2 BGB gewählt wird. Dadurch kann die besonders für große Nachlässe interessante Steuerfreiheit für die auf die gesamte Ehezeit bezogene Zugewinnausgleichsforderung doch noch erreicht werden6. d) Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag: Rückgewinnung der Testierfreiheit

25

Haben sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt, so kann der überlebende Ehegatte gem. § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten seine Testierfreiheit wiedererlangen. Ausschlagung ist also ein Mittel, um die Bindungswirkung zu überwinden. Im Gegensatz zum Erbvertrag kann bei einem gemeinschaftlichen Testament die Berechtigung zur Ausschlagung nicht ausgeschlossen werden7. Die Ausschlagung der testamentarischen Zuwendung ist aber dann nicht erfolgreich, wenn nur diese isoliert ausgeschlagen wird (vgl. dazu Rz. 76) und der gesetzliche Erbteil nicht erheblich hinter dem Zugewendeten zurückbleibt8. Soll 1 Troll, BB 1988, 2153 (2156); vgl. früher die Ländererlasse v. 20.12.1974 und 10.3.1976, BStBl. I 1976, 145; BB 1976, 403; vgl. jetzt Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 E 5.2 Abs. 1 S. 2. 2 Meincke, § 5 Rz. 43, unter Hinweis darauf, dass in einem die Ausgleichsforderung deutlich übersteigenden Betrag eine gemischte freigebige Zuwendung liegen könnte. 3 Die Vorschrift erfasst – obwohl sie erst seit dem 1.1.1994 gilt – auch solche Fälle, in denen die Änderung des Güterstandes schon vor diesem Zeitpunkt vereinbart wurde, da sie nicht auf den Vertragsschluss, sondern auf den Vermögenserwerb (bei Beendigung des Güterstandes) abstellt, vgl. Piltz, ZEV 1995, 330. 4 MüKo.BGB/Kanzleiter, § 1408 Rz. 15. 5 Harnischfeger in Christoffel/Geckle/Pahlke, § 5 ErbStG Rz. 48. 6 Harnischfeger in Christoffel/Geckle/Pahlke, § 5 ErbStG Rz. 48; Meincke, § 5 Rz. 30; Piltz, ZEV 1995, 330 (331). 7 Mayer in Dittmann/Reimann/Bengel, B. § 2271 Rz. 41. Zum gemeinschaftlichen Testament im Lichte der EuErbVO Leipold, ZEV 2014, 139 ff. 8 KG v. 24.7.1990 – 1. ZS 1 W 949/89, MDR 1991, 155 = OLGZ 1991, 6 f.; a.A. Tiedtke, FamRZ 1991, 1259 (1265). Aber auch von den Kritikern wird letztlich dasselbe Ergebnis auf anderem Wege erreicht. So wird z.T. der gesetzliche Erbteil auch als zugewandt 1142

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 25b

C II

die Ausschlagung zur Wiedererlangung der Testierfreiheit führen, muss auch aus dem Berufungsgrund der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlagen werden. Der drohende Vermögensverlust infolge der Ausschlagung soll den überlebenden Ehegatten anhalten, die gemeinsam getroffene Verfügung zu respektieren. Nur wenn allein schon die Ausschlagung des testamentarischen Erbteils dem Überlebenden einen erheblichen Nachteil zufügt, kann man davon ausgehen, dass der Vorverstorbene diese Möglichkeit in Betracht gezogen und akzeptiert hat1. Auf diese Weise wird dem Vertrauen des vorverstorbenen Ehegatten auf den Fortbestand der Bindungswirkung Rechnung getragen2 und eine Umgehung der Bindungswirkung durch den überlebenden Ehegatten ausgeschlossen. Die Ausschlagung führt im Ergebnis nur dazu, dass der Erblasser die Testierfreiheit über sein eigenes (nicht vom Vorverstorbenen stammendes) Vermögen zurückerhält. Dagegen kann er durch einen Erbverzicht gem. §§ 2346 ff. BGB mit dem Schlusserben erreichen, dass er die Verfügungsmöglichkeit über den Gesamtnachlass erlangt (vgl. dazu genauer Kap. B XV Rz. 15).

25a

Im Rahmen eines gegenseitigen Erbvertrags gem. § 2298 Abs. 1 BGB kann der Überlebende seine Testierfreiheit gem. § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB nach dem Tod des Vertragspartners wiedererlangen, wenn er das durch den Vertrag Zugewendete ausschlägt, vorausgesetzt, dass ein Rücktrittsvorbehalt gem. § 2293 vereinbart wurde3. Ob darüber hinaus auch das durch einseitige Verfügung Zugewendete ausgeschlagen werden muss, ist streitig. Die h.M. sieht dafür keine Notwendigkeit und argumentiert mit Normwortlaut und Systematik: Die Stellung der konkreten Regelung in § 2298 BGB zeige, dass mit der Formulierung durch den Vertrag nur vertragsmäßige Zuwendungen gemeint seien. Einseitige Zuwendungen seien eben nicht durch den Vertrag erfolgt und müssten daher nicht ausgeschlagen werden4. Dagegen wird überzeugend vorgebracht, dass die Zulässigkeit einer derart begrenzten Ausschlagung schon im Hinblick auf die §§ 1950, 1951 BGB bedenklich ist5. Soweit nämlich vertragsmäßige und einseitige Zuwendungen in einem Vertrag gemacht werden, liegt ein einheitlicher Berufungsgrund vor6. Darüber hinaus ist auch das Wortlautargument der h.M. zweifelhaft. In anderen Vorschriften hat der Gesetzgeber nämlich die Abgrenzung zu einseitigen Zuwendungen durch die Verwendung der Formulierung vertragsmäßige Zuwendung – vgl. hierzu nur die §§ 2291 Abs. 1, 2295, 2297 BGB – vorgenommen. Im Ergebnis müssen im Fall des § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB somit richtigerweise alle Zuwendungen ausgeschlagen werden7.

25b

1 2 3 4 5 6 7

– weil nicht durch Enterbung vorenthalten – eingestuft; andere nehmen eine bedingte Enterbung für den Fall der Ausschlagung der testamentarischen Zuwendung an; vgl. die umfassende Darstellung bei Mayer, in: Dittmann/Reimann/Bengel, B. § 2271 Rz. 43 f. KG v. 24.7.1990 – 1. ZS 1 W 949/89, MDR 1991, 155 = OLGZ 1991, 6 (10); a.A. Palandt/Weidlich, § 2271 Rz. 18. KG v. 24.7.1990 – 1. ZS 1 W 949/89, MDR 1991, 155 = OLGZ 1991, 6 (10). Mayer in Dittmann/Reimann/Bengel, C. § 2298 Rz. 21; Erman/Kappler/Kappler, § 2298 Rz. 4. MüKo.BGB/Musielak, § 2298 Rz. 6; Staudinger/Kanzleiter, § 2298 Rz. 17; Erman/ Kappler/Kappler, § 2298 Rz. 4; Mayer in Dittmann/Reimann/Bengel, C. § 2298 Rz. 21. Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (214). Staudinger/Otte, § 1951 Rz. 8. Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (214); Palandt/Weidlich, § 2298 Rz. 7. Muscheler

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C II

Rz. 26

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

e) Ausschlagung gegen Abfindung 26

Will der Erbe zugunsten einer anderen Person ausschlagen, wird er das oft nur oder gerade dann tun, wenn er von dem Anfallberechtigten einen finanziellen Ausgleich für den Verlust der Erbschaft erhält (zum zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft Rz. 130 ff.). Dabei ist aber zu beachten, dass gem. der Fiktion des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG die Abfindung als Erwerb vom Erblasser gilt und somit der Erbschaftsteuer unterfällt1. Wer die Abfindung zahlt, ist für die steuerliche Betrachtung unerheblich; die Steuerpflicht richtet sich immer nach dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Abgefundenen2. Zahlt allerdings derjenige, dem die Ausschlagung zugute kommt, so kann er seinerseits die Abfindung als Nachlassverbindlichkeit abziehen (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG)3. Ist die Abfindung höher als der Verkehrswert des Nachlasses, so ist die Abfindung bis zum Verkehrswert des Nachlasses nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG, also als Erwerb von Todes wegen, zu versteuern; für die Berechnung der Steuer ist jedoch der Steuerwert des Nachlasses maßgeblich. Der restliche Teil der Abfindung gilt als Schenkung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.

26a

Ist der Nächstberufene zur Barabfindung nicht in der Lage oder müsste er erst den Nachlassgegenstand veräußern, um die notwendige Liquidität zu erlangen, kommt auch eine Abfindung durch Einräumung eines Nießbrauchs in Betracht. Namentlich dann, wenn es um Grundstücke, Unternehmen oder Unternehmensanteile geht, ist diese Gestaltung in Betracht zu ziehen, da durch sie eine Zerschlagung der Wirtschaftseinheit vermieden wird – was oftmals zentrales Anliegen der Beteiligten ist –; weiterhin wird dadurch langfristig die Versorgung des Ausschlagenden gesichert, was für die Beteiligten meist nicht minder wichtig ist4. Der die Abfindung Zahlende kann den Wert des Nießbrauchs als Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG vom Erwerb abziehen. Eine interessante Möglichkeit bildet auch eine Abfindung in Sachwerten, da sich in diesem Fall die Steuer für den Ausschlagenden am Steuerwert der Sache und nicht an ihrem Verkehrswert orientiert. Auf diese Weise kann die Steuerlast des Abfindungsempfängers gesenkt werden5. Durch geschickte Vertragsgestaltung ist es möglich, die jeweiligen steuerlichen Folgen erheblich zu beeinflussen6.

1 Dies gilt nicht für die Abfindung für den Verzicht auf den Zugewinnausgleichsanspruch im Rahmen der güterrechtlichen Lösung gem. § 1371 Abs. 2 BGB, da die Abfindung hier kein Surrogat für einen Erwerb von Todes wegen ist. 2 Harnischfeger in Christoffel/Geckle/Pahlke, § 3 ErbStG Rz. 29; Meincke, § 3 Rz. 98; Troll, BB 1988, 2153 (2155). 3 Pahlke in Christoffel/Geckle/Pahlke, § 10 ErbStG Rz. 78; Troll, BB 1988, 2153 (2155); Meincke, § 10 Rz. 48. Der RFH v. 9.7.1931 – Ie A 886/28, RStBl. 1931, 971, sieht in der Abfindung durch einen Dritten eine Schenkung an den, dem die Ausschlagung zugutekommt. Danach soll dieser den Nachlass und den Abfindungsbetrag versteuern. Er soll aber den Abfindungsbetrag als Erwerbskosten vom Nachlass abziehen können. Der Abgefundene hat die Abfindung weiterhin gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG zu versteuern. A.A. Meincke, § 3 Rz. 99, der sich dafür ausspricht, die Abfindung nur beim Abgefundenen steuerlich zu erfassen und sie bei dem, dem die Ausschlagung zugutekommt, weder als Erwerb noch als Abzugsposten zu berücksichtigen. 4 Hannes, ZEV 1996, 10 f. 5 Harnischfeger in Christoffel/Geckle/Pahlke, § 3 ErbStG Rz. 29. 6 Dazu ausf. Wälzholz, ZEV 2001, 392 ff. 1144

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 28a

C II

Da die Abfindung als Erwerb vom Erblasser gilt, bei dem auch die gesetzlichen Freibeträge genutzt werden können, und der Anfallberechtigte die Abfindungszahlung vom Nachlass abzuziehen vermag, eröffnet sich eine unter Umständen interessante Möglichkeit, die Steuerlast zu reduzieren.

27

Beispiel: Der verwitwete Erblasser hat eines seiner beiden Kinder zum Alleinerben eingesetzt, ohne das andere Kind ausdrücklich zu enterben. Sein Vermögen beträgt 1,68 Mio. Euro. Bei testamentarischer Erbfolge gestaltet sich die Situation wie folgt: Enterbtes Kind (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): Pflichtteil = 1/4 von 1,68 Mio. Euro 420 000 Euro fi Steuerlast 7 % von 20 000 Euro = 1 400 Euro fi Verbleib Alleinerbe (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): Nachlasswert nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten 1 260 000 Euro fi Steuerlast 19 % von 860 000 Euro = 163 400 Euro fi Verbleib Steuerlast für Alleinerben zunächst Steuerlast insgesamt (für beide Kinder)

=

420 000 Euro

=

418 600 Euro

= 1 260 000 Euro = = =

696 600 Euro 163 400 Euro 164 800 Euro

Schlägt der Alleinerbe die Erbschaft aus dem Berufungsgrund Testament aus, so gestaltet sich die Situation wie folgt: Erbteil pro Kind: 1/ 2 von 1,68 Mio. Euro (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 840 000 Euro fi Steuerlast 15 % von 440 000 Euro = 66 000 Euro fi Verbleib Steuerlast insgesamt

= =

774 000 Euro 132 000 Euro

Schlägt der Alleinerbe die Erbschaft aus allen Berufungsgründen gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 700 000 Euro aus, gestaltet sich die Situation wie folgt: Ausschlagendes Kind (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 700 000 Euro fi Steuerlast 11 % von 300 000 Euro = 33 000 Euro fi Verbleib Anderes Kind (Stkl. I, 400 000 Euro Freibetrag): 1,68 Mio. Euro abzüglich 700 000 Euro (Erwerbskosten) 980 000 Euro fi Steuerlast 15 % von 580 000 Euro = 87 000 Euro fi Verbleib Steuerlast insgesamt

=

667 000 Euro

=

980 000 Euro

= =

893 000 Euro 120 000 Euro

f) Benachteiligung der Eigengläubiger Als weiteres Motiv für eine Ausschlagung kommt in Betracht, dass der Erbe den Nachlass dem Zugriff seiner Eigengläubiger vorenthalten will. Schlägt er die Erbschaft aus, wird die Erbschaft in keiner Weise und zu keiner Zeit Bestandteil seines Vermögens. Eine solche Ausschlagung berechtigt trotz eindeutiger Benachteiligungsabsicht nicht zur Gläubigeranfechtung (dazu Rz. 42).

28

Unter der Geltung der KO fiel der Erwerb einer Erbschaft nach Eröffnung des Konkursverfahrens als Neuerwerb nicht in die Masse, sondern blieb freies Vermögen. Mit der Einführung der InsO hat sich dies geändert. § 35 Abs. 1 InsO ordnet an, dass das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröff-

28a

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C II

Rz. 29

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

nung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, in die Insolvenzmasse fällt. Ein Neuerwerb ist demnach nicht mehr freies Vermögen1. Auch eine dem Schuldner anfallende Erbschaft fällt in die Masse2. Es bleibt aber auch unter der Herrschaft der InsO dabei, dass wie vor so auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur der Schuldner ausschlagen kann (§ 83 Abs. 1 Nr. 1 InsO) (vgl. dazu Rz. 31). g) Erlangung des Pflichtteils 29

Grundsätzlich ist es nicht möglich, die Erbschaft auszuschlagen und anschließend den Pflichtteil zu verlangen. Gem. § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB entsteht der Pflichtteilsanspruch nämlich nur dann, wenn der Erbe „durch Verfügung von Todes wegen“ von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Gibt dieser aber selbst und freiwillig die Erbschaft aus der Hand, so ist er nicht durch Verfügung von Todes wegen, sondern durch eigene Entscheidung von der Erbfolge ausgeschlossen, und daher steht ihm kein Pflichtteil zu. Selbst wenn der zugewiesene Erbteil kleiner ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (Pflichtteil), kann durch Ausschlagung nicht der volle Pflichtteil erlangt werden; der Pflichtteilsberechtigte hat aber in diesem Fall Anspruch auf den Zusatzpflichtteil gem. § 2305 S. 1 BGB. Um diesen zu erlangen, ist eine Ausschlagung freilich nicht notwendig. Gleichwohl kann der Erbe diesen Anspruch trotz (unvorsichtiger und daher schädlicher) Ausschlagung geltend machen3.

29a

Von der Grundregel, dass Ausschlagung den Pflichtteil beseitigt, gibt es zwei Ausnahmen: Zum einen ordnet § 1371 Abs. 3 BGB an, dass im Rahmen der durch Ausschlagung eröffneten „güterrechtlichen Lösung“ der überlebende Ehegatte neben dem Anspruch auf Zugewinnausgleich den (kleinen) Pflichtteilsanspruch geltend zu machen vermag (Rz. 19). Zum anderen kann ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter trotz Ausschlagung den Pflichtteil gem. § 2306 Abs. 1 BGB verlangen, wenn der hinterlassene Erbteil durch die in Abs. 1 und 2 genannten Anordnungen beschränkt oder beschwert ist. § 2306 Abs. 1 BGB wurde mit Wirkung vom 1.1.2010 durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts4 geändert. Die alte Rechtslage unterschied nach der Höhe des hinterlassenen Erbteils. Nach § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB galten die Beschränkungen oder Beschwerungen des Erbteils als nicht angeordnet, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht überstieg. Der Erbe erhielt keinen Pflichtteilsanspruch, sondern sein Erbteil wurde, weiter gehend, ipso iure zum unbeschränkten bzw. unbeschwerten. Überstieg der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, entfielen die Belastungen nicht. Stattdessen konnte der als Erbe berufene Pflichtteilsberechtigte gem. § 2306 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. a.F. BGB den Erbteil ausschlagen und den Pflichtteil verlangen. Nur im Falle des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB war Raum für einen Restpflichtteil gem. § 2305 BGB. Neben § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB kam ein solcher 1 Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 35 Rz. 33 ff.; MüKo/Peters, § 35 InsO, Rz. 43. 2 Schumacher in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 35 Rz. 7; MüKo/Peters, § 35 InsO, Rz. 48–50. 3 MüKo.BGB/Lange, § 2305 Rz. 8; Palandt/Weidlich, § 2305 Rz. 5. 4 V. 24.9.2009, BGBl I, S. 3142. 1146

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 29c

C II

nicht in Betracht1. Ob ein Fall des § 2306 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 a.F. BGB vorlag, entschied sich allein nach der Quote, zu der der Bedachte eingesetzt war. Belastungen des Erbteils blieben unbeachtet: Nur die Quote allein war maßgeblich, nicht jedoch der reale Wert des Erbteils2. Die heutige Fassung des § 2306 Abs. 1 BGB verzichtet auf die Differenzierung des § 2306 Abs. 1 S. 1 und 2 a.F. BGB nach der Höhe des hinterlassenen Erbteils und verlangt in allen Fällen eine Ausschlagung des Pflichtteilsberechtigten, um den Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können3. Die Höhe des Erbteils behält aber weiterhin Bedeutung für einen etwaigen Pflichtteilsrestanspruch aus § 2305 S. 1 BGB. Auf diesen Anspruch kommt es nur noch an, wenn der hinterlassene Erbteil (unter Außerachtlassung der Beschränkungen oder Beschwerungen, § 2305 S. 2 BGB) geringer ist als der Pflichtteil und der Erbe (wie früher, aber unter Beibehaltung der Belastungen) nicht ausschlägt. Dem pflichtteilsberechtigten Erben i.S.d. § 2306 BGB bieten sich also folgende Möglichkeiten: Entweder er schlägt nicht aus und behält (auf jeden Fall, § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB wurde gestrichen!) den Erbteil mit den angeordneten Beschränkungen und Beschwerungen (ggf. erhält er zusätzlich einen Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2305 S. 1 BGB) oder er schlägt aus und macht den Pflichtteil geltend. Die neue Regelung eröffnet dem Erben, dessen Erbteil geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, erstmalig die Chance, über die Ausschlagung zum Pflichtteilsanspruch zu gelangen. Gleichzeitig legt sie einem solchen Erben die Ausschlagung und damit die Zurückweisung seiner Erbenstellung nahe, da der Erbteil nur noch unter Aufrechterhaltung der Beschränkungen oder Beschwerungen zu haben ist4. Mit der Neuregelung wird der Grundgedanke des § 2306 BGB, dem pflichtteilsberechtigten Erben die durch den Pflichtteil garantierte Mindestbeteiligung zu erhalten, nun einheitlich und dogmatisch überzeugender umgesetzt: Hierfür ist eine unbeschränkte bzw. unbeschwerte Beteiligung als Erbe (wie es ehemals § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB vorsah) nicht nötig; die Möglichkeit, den unbelasteten Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können, genügt5.

29b

Die Ausschlagungsmöglichkeit des § 2306 Abs. 1 BGB sollte insbesondere dann in Betracht gezogen werden, wenn der Nachlass mit hohen Vermächtnissen oder Auflagen belastet ist. Der Erbteil wird durch Vermächtnisse oder sonstige Belastungen zwar nicht in seiner formalen Quote beeinträchtigt, wohl aber in Bezug auf seinen Wert. Bei der Berechnung des Pflichtteils gem. § 2311 Abs. 1 BGB werden Vermächtnisse, Auflagen und die Erbschaftsteuerschuld zuvor nicht ab-

29c

1 OLG Celle v. 10.10.2002 – 22 U 79/01, ZEV 2003, 365 f.; dazu auch Keim, ZEV 2003, 358 ff. 2 RG v. 25.4.1918 – IV 76/18, RGZ 93, 3 (8); RG v. 18.2.1926 – IV 336/25, RGZ 113, 45 (48); BGH v. 19.2.1968 – III ZR 196/65, WM 1968, 542 (543); BGH v. 9.3.1983 – IVa ZR 211/81, MDR 1983, 828 = FamRZ 1983, 1015 = NJW 1983, 2378 (2378); OLG Köln v. 28.10.1996 – 16 W 60/96, ZEV 1997, 298 (298) mit abl. Anm. Klingelhöffer; vgl. dazu auch MüKo.BGB/Lange, § 2306 Rz. 5. 3 Bonefeld/Lange/Tanck, ZErb 2007, 292 (293); Keim, ZEV 2008, 161 (162); Lindner, ErbR 2008, 374 (374); Muscheler, ZEV 2008, 105 (107); Schindler, ZEV 2008, 125 (128). 4 Lindner, ErbR 2008, 374 (376 f.) befürchtet daher, dass es zu Kettenausschlagungen kommen könnte. 5 Muscheler, ZEV 2008, 105 (107). Muscheler

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Rz. 30

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

gezogen, da nur Erblasserschulden den Nachlasswert mindern1. Dadurch kann die Höhe des Pflichtteilsanspruchs den Wert des Erbteils übersteigen (zum Zusammentreffen von Erbschaft und Vermächtnis vgl. Rz. 112 ff.). 30

Eine weitere Besonderheit ergibt sich im Fall des § 1952 Abs. 3 BGB. Es geht hier nicht um die Situation, dass ein Mitglied einer Erbengemeinschaft, sondern darum, dass ein Erbeserbe hinsichtlich des Erstnachlasses die Ausschlagung erklärt (vgl. dazu Rz. 91).

III. Ausschlagungsberechtigung 1. Allgemeines 31

Das Recht zur Ausschlagung steht jedem Erben unabhängig vom Berufungsgrund zu2. Das Ausschlagungsrecht ist durch seine Verbindung mit der Erbenstellung und dem damit einhergehenden Anfall des Nachlasses vermögensrechtlicher Natur, es hat aber zugleich einen überwiegenden personalen Charakter3, der eine Trennung von Erbenstellung und Ausschlagungsrecht verhindert4. Eine rechtsgeschäftliche Übertragung des Ausschlagungsrechts ist, unabhängig davon, ob auch der Nachlass oder ein Erbteil übertragen wird, ausgeschlossen5. Zu beachten ist, dass auch nach einer rechtsgeschäftlichen Übertragung von Nachlass oder Erbteil der ursprüngliche Erbe „Erbe“ bleibt und somit das Ausschlagungsrecht nach wie vor ihm zusteht6. Aus der rechtsgeschäftlichen Unübertragbarkeit des Ausschlagungsrechts folgt seine Unpfändbarkeit (§§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO); auch eine Ausübung des Rechts gem. § 857 Abs. 3 ZPO kommt nicht in Betracht. Damit ist es einem Gläubiger nicht möglich, seinerseits die Ausschlagung zu erklären oder den Erben an einer Ausschlagung zu hindern. Dieser Grundsatz ist in § 83 Abs. 1 S. 1 InsO ausdrücklich niedergelegt. Nach dieser Norm steht das Ausschlagungsrecht im Insolvenzverfahren immer dem Schuldner zu, unabhängig davon, ob der Anfall der Erbschaft vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Solange die Ausschlagung nämlich möglich ist, gehört der Nachlass (noch) nicht zur Haftungsgrundlage.

31a

Aus der Unübertragbarkeit des Ausschlagungsrechts durch Rechtsgeschäft folgt indessen kein Stellvertretungsverbot. Dies ergibt sich für die gesetzliche Vertretung aus §§ 1643 Abs. 2 S. 1, 1822 Nr. 2, 1908i Abs. 1 S. 1, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB und für die gewillkürte Vertretung aus § 1945 Abs. 3 BGB. Diese Differenzierung zwischen der rechtsgeschäftlichen Übertragung des Ausschlagungsrechts 1 BGH v. 16.9.1987 – IVa ZR 97/86, MDR 1988, 128 = FamRZ 1987, 1243 (KG), NJW 1988, 136 (137); MüKo.BGB/Lange, § 2311 Rz. 15. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 12. 3 RG v. 17.4.1903 – VII. 16/03, RGZ 54, 289 (296). Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 83 Rz. 2, stuft das Ausschlagungsrecht sogar als höchstpersönlich ein, so auch MüKo/Schumann, § 83 InsO Rz. 1. Dem steht § 1945 Abs. 3 BGB entgegen. 4 Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 14; Palandt/Weidlich, § 1952 Rz. 1. 5 MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 1; Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 1. 6 Klar ist, dass der ursprüngliche Erbe sich mit der Ausübung des Ausschlagungsrechts schadensersatzpflichtig machen kann, ist er qua Rechtsgeschäft doch verpflichtet, den Vertragszweck – Veräußerung des Nachlasses oder eines Erbteils auf den Erwerber – nicht zu gefährden. 1148

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 32c

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und der Vertretung bei der Erklärung der Ausschlagung übersieht das OLG Zweibrücken1, wenn es – entgegen § 1945 Abs. 3 BGB – meint, das Ausschlagungsrecht könne wegen der Bindung dieses Gestaltungsrechts an die Erbenstellung nicht auf der Grundlage einer privatrechtlich erteilten Vollmacht für den Vollmachtgeber ausgeübt werden2. Um die Beeinflussung der Erbfolge durch Dritte (ggf. auch noch nach dem Tode des Ausschlagungsberechtigten in der Konstellation trans- oder postmortaler Vollmachten) zu verhindern, sollte die Vollmacht inhaltlich eingeschränkt werden3. 2. Vererblichkeit des Ausschlagungsrechts Während eine rechtsgeschäftliche Übertragung des Ausschlagungsrechts nicht in Betracht kommt, ordnet § 1952 BGB seine Vererblichkeit an. Aber auch hier ist das Ausschlagungsrecht nicht allein Gegenstand der Vererbung. Das noch bestehende, weil ausübbare Ausschlagungsrecht kann als unselbstständiger Annex der Erbschaft nur mit dieser gemeinsam vererbt werden4. In einer solchen Situation stehen dem Erben zwei Ausschlagungsrechte zu, nämlich das geerbte Ausschlagungsrecht und sein eigenes. Ihm steht es frei, welches Ausschlagungsrecht er ausübt.

32

Alternativen im Falle eines ererbten Ausschlagungsrechts:

32a

– Annahme beider Erbschaften – Ausschlagung beider Erbschaften – Annahme der Zweiterbschaft unter isolierter Ausschlagung der Ersterbschaft Eine isolierte Ausschlagung der Zweiterbschaft unter Annahme der Ersterbschaft scheidet dagegen aus, da das Ausschlagungsrecht hinsichtlich der Ersterbschaft integraler Bestandteil der ausgeschlagenen Erbschaft ist5.

32b

Ein Problem kann sich ergeben, wenn der Erbe zunächst nur den Erstnachlass und erst später auch den Zweitnachlass ausschlägt. Hier wird überwiegend angenommen, dass in einer Ausübung des Ausschlagungsrechts bezüglich des Erstnachlasses regelmäßig eine Annahme des Zweitnachlasses liegt, so dass das Ausschlagungsrecht bezüglich des Zweitnachlasses erloschen ist6. Dies kommt aber dann nicht in Betracht, wenn der Erbe ausdrücklich erklärt, dass er sich eine Entscheidung über den Zweitnachlass vorbehalte. Schlägt er nun den Zweitnachlass aus, so ist die Ausschlagung – ebenso eine Annahme – des Erstnachlas-

32c

1 OLG Zweibrücken v. 13.11.2007 – 3 W 198/07, FamRZ 2008, 646 = ZErb 2008, 88 (89) = ZEV 2008, 194 (194) m. abl. Anm. Zimmer. 2 Zu Recht diesen Beschluss ablehnend: Keim, ZErb 2008, 260 (260 f.); Zimmer, ZEV 2008, 194 (195). Im konkreten Fall handelte es sich um eine transmortale Vorsorgevollmacht. 3 So auch Zimmer, ZEV 2008, 194 (195 f.). Keim, ZErb 2008, 260 (261) hält einen Ausschluss der Erbschaftsausschlagung aus dem Inhalt der Vorsorgevollmacht weder für notwendig noch für sinnvoll. Selbstverständlich kommt es auf den jeweiligen Einzelfall und die konkreten Interessen des Erblassers an. 4 BGH v. 31.5.1965 – III ZR 233/62, BGHZ 44, 152 (154); Palandt/Weidlich, § 1952 Rz. 1. 5 Soergel/Stein, § 1952 Rz. 2. 6 Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 2; RGRK/Johannsen, § 1952 Rz. 5; a.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 6; Soergel/Stein, § 1952 Rz. 2. Muscheler

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C II

Rz. 33

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

ses unwirksam, es sei denn, dass diese Maßnahme ein Geschäft der notwendigen Verwaltung gem. § 1959 Abs. 2 BGB war, was eher selten der Fall sein dürfte1. 33

Die Erben eines Vorerben können die Ausschlagung der Vorerbschaft erklären, auch wenn durch den Tod des Vorerben der Nacherbfall eintritt und sie infolgedessen den Nachlass nicht einmal vorübergehend erhalten2. Zwar wirkt eine solche Ausschlagung ausschließlich auf die Position des Nacherben ein, jedoch wird rechtlich nicht der Anfall der Erbschaft an diesen, sondern schon der Anfall an den Vorerben beseitigt. Dadurch ist zugleich die Grundlage für den Nacherbfall vernichtet3. Gleichwohl wird es trotz einer solchen Ausschlagung regelmäßig dabei bleiben, dass die Nacherben den Nachlass erhalten. In der Nacherbeneinsetzung liegt nämlich oft zugleich eine Ersatzerbeneinsetzung, so dass der Nachlass den Nacherben gem. 1953 Abs. 2 BGB zufallen würde4. 3. Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers

Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob er die Erbschaft ausschlagen kann. Der Erblasser hat testamentarisch verfügt, dass die Ausschlagung ausgeschlossen sei. 34

Die Regelungen der §§ 1942 ff. BGB entziehen sich der Dispositionsbefugnis des Erblassers; es handelt sich um zwingendes Recht5. Wie oben (Rz. 2) erwähnt, ist die Ausschlagung notwendige Konsequenz des Vonselbsterwerbs und des Prinzips, dass niemandem eine Zuwendung aufgedrängt werden darf (vgl. §§ 333, 397, 516 ff. BGB). Ein Erblasser kann demnach die Ausschlagung nicht pauschal ausschließen. Ebenso wenig vermag er die Vorschriften über Form und Frist der Ausschlagung zu verschärfen oder zu erleichtern. Eine solche Anordnung wäre unwirksam, mit der Folge, dass an ihre Stelle die gesetzliche Regelung träte6.

35

Macht der Erblasser den Anfall der Erbschaft jedoch von einer Annahme des Erben abhängig, ist zu unterscheiden, ob darin nur eine Wiederholung der gesetzlichen Regelung oder aber eine wirkliche Bedingung zu sehen ist. Im ersten Fall handelt es sich um eine ebenso unschädliche wie wirkungslose Formulierung, die nicht mehr darstellt als eine Wiedergabe des Regelungsgehalts von § 1942 BGB7. Im zweiten Fall läge ein Verstoß gegen das Prinzip des Vonselbsterwerbs vor, das gerade auch verhindern soll, dass es zu ruhenden (subjektlosen) Nachlässen kommt8. Den Anfall der Erbschaft über den Zeitpunkt des Erbfalls hinaus zu verzögern, ist nicht möglich. Gleichwohl muss gefragt werden, ob dem Willen des Erblassers nicht in anderer Weise zur möglichst weitgehenden Realisierung verholfen werden kann9. 1 Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 2; RGRK/Johannsen, § 1952 Rz. 5; MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 7. 2 BGH v. 31.5.1965 – III ZR 233/62, BGHZ 44, 152. 3 BGH v. 31.5.1965 – III ZR 233/62, BGHZ 44, 152 (154). 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1953 Rz. 13. 5 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 7. 6 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 7. 7 Palandt/Weidlich, § 1942 Rz. 1; MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 7. 8 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 7. 9 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 8, lehnt eine derartige Auslegung grundsätzlich ab, hält sie für unwirksam. 1150

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 38

C II

a) Aufschiebende Bedingung Wollte der Erblasser seiner Anordnung eine über die Wiederholung der gesetzlichen Regelung hinausgehende Bedeutung beilegen, so kann dies als aufschiebende Bedingung aufgefasst werden1. Da jedoch ruhende Nachlässe, wie gesagt, nicht möglich sind, kann man in der genannten Bestimmung die Anordnung einer sich aus § 2105 Abs. 1 BGB ergebenden Vorerbschaft sehen2: Die gesetzlichen Erben werden Vorerben. Der Nacherbfall soll mit der Erklärung des Erben über die Annahme der Erbschaft eintreten. Bei dieser Konstruktion ist aber immer zu fragen, ob das Ergebnis wirklich dem Willen des Erblassers entspricht. Nach ihr könnte der Erbe nämlich nur Nacherbe werden3.

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b) Auflösende Bedingung Die letztwillige Anordnung kann gegebenenfalls auch als auflösende Bedingung verstanden werden, mit der der Erblasser bestimmt, dass die Erbschaft wieder wegfällt, wenn der Erbe sie nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt angenommen hat. Die Zulässigkeit einer solchen Anordnung ist unklar. Teilweise sieht man darin eine gem. § 2065 Abs. 1 BGB unzulässige Potestativbedingung4. Jedoch wird allgemein eine Bedingung zu Recht dann für zulässig erachtet, wenn der Erblasser nicht die Entscheidung einem Dritten überlässt, sondern für den Fall des Bedingungseintritts selbst einen bestimmten Willen gehabt hat5. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn der Erblasser an dem Verhalten des Erben interessiert ist und er mit der Setzung der Bedingung ein bestimmtes Verhalten des Erben erreichen will6. Eine solche Situation ist im Falle der auflösenden Bedingung der Nichtannahme gegeben7. Daher ist eine auflösende Bedingung der Nichtannahme zulässig; bei Eintritt der Bedingung ist § 2104 BGB zu beachten.

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c) Inhaltliche Anerkennung Schließlich kann in einer entsprechenden Anordnung die an den Erben gerichtete Forderung nach inhaltlicher Anerkennung der Verfügung gesehen werden, um auf diese Weise eine friedliche Auseinandersetzung des Nachlasses zu erreichen8. Eine unmittelbare rechtliche Wirkung käme der Anordnung dann nicht zu. Lediglich ein nachträglicher gerichtlicher Streit würde verhindert, soweit der Erbe die Anordnung anerkannt hat.

1 Soergel/Stein, § 1942 Rz. 5. 2 Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 5; zweifelnd Soergel/Stein, § 1942 Rz. 5; a.A. Palandt/ Weidlich, § 1942 Rz. 1. 3 Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 5; zweifelnd Soergel/Stein, § 1942 Rz. 5. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 8. 5 BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, BGHZ 15, 199 (201 f.); Soergel/Loritz, § 2065 Rz. 11 ff. 6 RGRK/Johannsen, § 2065 Rz. 9. 7 Palandt/Weidlich, § 2065 Rz. 5. 8 OLG Stuttgart v. 22.6.1973 – 8 W 512/72, OLGZ 1974, 67; MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 8. Muscheler

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C II

Rz. 39

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

4. Gesetzliche Ausschlagungsbeschränkungen a) § 1942 Abs. 2 BGB 39

Ein ausdrückliches Ausschlagungsverbot findet sich in § 1942 Abs. 2 BGB. Danach kann der Fiskus1 als gesetzlicher Erbe gem. § 1936 Abs. 1 BGB eine Erbschaft nicht ausschlagen, er ist Zwangserbe2. Auf diese Weise wird erreicht, dass letztlich immer ein Erbe vorhanden ist. Herrenlose Nachlässe werden vermieden und eine geregelte Nachlassabwicklung im Interesse der Gläubiger gewährleistet3. Ist der Fiskus dagegen gewillkürter Erbe, steht ihm das Ausschlagungsrecht zu. b) Stiftungsvorstand

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Nach ganz herrschender Ansicht kann der Vorstand einer Stiftung gem. §§ 80 ff. BGB das der Stiftung zugewandte konstituierende Erbe nicht ausschlagen4. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass sich die Stiftung sonst ihre eigene Lebensgrundlage entziehen würde5. Gegen die h.M. wendet sich O. Schmidt6, mit dem Argument, dass die nachteiligen Folgen einer Ausschlagung für die Stiftung es allein nicht rechtfertigen würden, die Ausschlagung gänzlich zu versagen. Darüber hinaus sieht er auch ein Bedürfnis für eine Ausschlagung. Neben der Anerkennungsbehörde solle auch der Vorstand der Stiftung die Vermögensausstattung im Hinblick auf die Möglichkeit der Zweckverwirklichung prüfen dürfen. Eine solche Prüfungskompetenz verlange konsequenterweise nach einem Instrument, um die Stiftungserrichtung zu verhindern7.

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Diese Argumentation übersieht, dass es dem Vorstand nicht zukommt, eine Stiftung aufzulösen. Zur endgültigen Auflösung bedarf es, als actus contrarius zur Anerkennung, eines die Rechtsfähigkeit entziehenden Verwaltungsaktes8. Schon damit ist es unvereinbar, dass der Vorstand nach Erteilung der Stiftungsanerkennung durch die Ausschlagung die Stiftung alleine ihrer Existenzgrundlage berauben und sie damit de facto beseitigen könnte. Darüber hinaus ist ein Ausschlagungsrecht nicht mit der Funktion des Vorstandes zu vereinbaren. Seine Aufgabe ist es, den vom Stifter vorgegebenen Zweck zu realisieren, nicht dagegen, die Zweckverwirklichung von vornherein zu vereiteln. Eine Ausschlagung kommt mit der h.M. nicht in Betracht.

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Zur Bestimmung der konkreten Körperschaft vgl. MüKo.BGB/Leipold, § 1936 Rz. 9 ff. MüKo.BGB/Leipold, § 1936 Rz. 7. Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 26; MüKo.BGB/Leipold, § 1936 Rz. 2. Schewe, S. 275 ff.; MüKo.BGB/Reuter, § 83 Rz. 13; Soergel/Stein, § 1942 Rz. 7; Hof in Seifart/v. Campenhausen, § 7 Rz. 97; Palandt/Ellenberger, § 83 Rz. 1; Palandt/Weidlich, § 1942 Rz. 2; Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 83 Rz. 17; Ebersbach, S. 54. Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 83 Rz. 17. O. Schmidt, S. 52 ff.; O. Schmidt, ZEV 1999, 141. Unklar MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 2. O. Schmidt, S. 54 f. Hof in Seifart/v. Campenhausen, § 12 Rz. 2.

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 44

C II

5. Einflussmöglichkeiten Dritter

Beratungssituation: Der Mandant möchte die Erbschaft ausschlagen, um das Vermögen seinem Gläubiger vorzuenthalten. Dieser hat angekündigt, er werde die Ausschlagung verhindern. a) Gläubiger des Erben Das Ausschlagungsrecht ist gem. §§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO als unübertragbares Recht der Pfändung durch einen Gläubiger entzogen (oben Rz. 31). Auch die besonderen Anfechtungsrechte der InsO oder des AnfG helfen dem Gläubiger nicht weiter. Die Anfechtung im Insolvenzverfahren gem. § 129 Abs. 1 InsO kommt nicht in Betracht. Andernfalls liefe die gem. § 83 Abs. 1 S. 1 InsO ausdrücklich dem Schuldner verbleibende Entscheidungsbefugnis über die Ausschlagung ins Leere1. Selbst eine bewusste Gläubigerbenachteiligung ändert daran nichts2. Auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist eine Anfechtung (nach dem AnfG) ausgeschlossen – obwohl es keine ausdrückliche Regelung gibt –, da in der Ausschlagung keine Weggabe eines schuldnereigenen Vermögensgegenstandes gesehen werden kann3; schließlich ist infolge der Rückwirkung der Ausschlagung der Nachlass niemals Bestandteil des Schuldnervermögens geworden.

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Ist der Erbe Schuldner in einem Verfahren der Restschuldbefreiung gem. §§ 286 ff. InsO, wird seine Position nicht durch § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift muss der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung Vermögen, das er von Todes wegen erwirbt, zur Hälfte an den Treuhänder herausgeben. Verstößt er gegen diese Obliegenheit, kann es gem. § 296 InsO zu einer Versagung der Restschuldbefreiung kommen. Aufgrund des persönlichen Charakters des Ausschlagungsrechts, der in § 83 Abs. 1 S. 1 InsO zum Ausdruck kommt, liegt in der Ausschlagung keine solche Obliegenheitsverletzung4. Die Herausgabebeschränkung auf die Hälfte wurde gerade im Hinblick auf die alternativ mögliche vollständige Ausschlagung als Anreiz zur Annahme der Erbschaft eingeführt5.

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b) Sozialhilfeträger Angesichts der Regelung des § 93 Abs. 1 SGB XII könnte die Frage aufkommen, ob nicht der Träger der Sozialhilfe auf das Ausschlagungsrecht zugreifen kann. Dies wäre für die Behörde immer dann interessant, wenn der hinterlassene Erbteil beschwert oder beschränkt ist, so dass dem Erben nach einer Ausschlagung der Pflichtteil gem. § 2306 Abs. 1 BGB zustehen würde. Diesen Pflichtteilsanspruch könnte der Träger der Sozialhilfe gem. § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII auf sich überleiten. Gem. § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII ist eine Überleitung von Ansprüchen auf den Sozialhilfeträger trotz Unübertragbarkeit des Anspruchs möglich. Jedoch bezieht sich diese Regelung ausweislich des Wortlautes von Satz 1 nur 1 Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 18. 2 BGH v. 6.5.1997 – IX ZR 147/96, FamRZ 1997, 1001 = MDR 1997, 880 = NJW 1997, 2384, für die Nichtgeltendmachung eines Pflichtteilsanspruch und eine Anfechtung nach AnfG. Ebenso Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 18. 3 RG v. 17.4.1903 – VII. 16/03, RGZ 54, 289 (297); Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 11. 4 Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 295 Rz. 6. 5 Ahrens in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 295 Rz. 36. Muscheler

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C II

Rz. 45

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

auf Ansprüche, nicht aber auf Gestaltungsrechte1. Eine Überleitung des Ausschlagungsrechts kommt also auch hier nicht in Betracht2. Auch die Überleitung des Pflichtteilsanspruchs selbst aus § 2306 Abs. 1 BGB gem. § 93 Abs. 1 S. 1 und 4 SGB XII i.V.m. § 852 Abs. 1 ZPO3 hat keinen Übergang des Ausschlagungsrechts analog §§ 412, 401 BGB zur Folge. Denn das Ausschlagungsrecht ist kein Nebenrecht des Pflichtteilsanspruchs, sondern erst die Grundlage für den Pflichtteilsanspruch4. Es wurzelt in der Erbenstellung, nicht in der Pflichtteilsberechtigung. Der Erbteil bzw. das Erbe sind aber keine überleitungsfähigen Ansprüche i.S.d. § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII. 45

Umstritten ist, ob die Ausschlagung zulasten des Sozialhilfeträgers sittenwidrig und damit nichtig ist. Dies nahmen das OLG Stuttgart5 und das OLG Hamm6 jeweils in einem Fall an, in dem ein Betreuer gegen die Verweigerung der vormundschaftsgerichtlichen7 Genehmigung einer Ausschlagung für die in einer beschützenden Einrichtung lebende Betreute zu Felde zog. Die Ausschlagung sei mit dem sozialhilferechtlichen Nachrangprinzip aus §§ 2, 90 SGB XII unvereinbar8, die Gleichstellung der Ausschlagung mit Rechtsgeschäften, durch die der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf „das ihm gebührende Vermögen“ (!) vereitelt wird, sei „zwanglos möglich“9. Beide Entscheidungen sind abzulehnen10. Ins1 Krampe, AcP 191, 526 (531); Bengel, ZEV 1994, 29 (30). 2 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258, 261 (m. krit. Anm. Zimmer) = DNotZ 2011, 381 (m. zust. Anm. Ivo); Staudinger/Otte, § 1942 Rz. 16; MüKo.BGB/Leipold, § 1942 Rz. 14; Kuchinke, FamRZ 1992, 362 (363); Krampe, AcP 191, 527 (531); Muscheler, ZEV 2005, 119 (119); Bengel, ZEV 1994, 29 (30); Pieroth, NJW 1993, 173 (178); van de Loo, ZEV 2006, 473 (477) unter Aufgabe seiner früheren Auffassung in NJW 1990, 2852 (2856). Im Übrigen gibt es auch keine sozialhilferechtliche oder ALG II-rechtliche Obliegenheit des Leistungsbeziehers zur Ausschlagung; das gilt auch beim sog. „Bedürftigentestament“ (Einsetzung des Leistungsbeziehers als Vorerbe und seine Beschränkung durch Testamentsvollstreckung); das Bedürftigentestament ist auch nicht sittenwidrig und damit per se unwirksam, so aber zu Unrecht SG Dortmund v. 25.9.2009 – S 29 AS 309/09 ER, ZEV 2010, 54 (vgl. jetzt aber auch SG Stuttgart v. 8.3.2012 – S 15 AS 925/12 ER, ZEV 2013, 99 (LS), NotBZ 2012, 398: Pflichtteilsverzicht eines Empfängers von ALG II ist nicht sittenwidrig). 3 Eine solche Überleitungsmöglichkeit steht unter der Prämisse, dass der Pflichtteilsanspruch aus § 2306 Abs. 1 BGB an sich bereits mit dem Erbfall entsteht, aber erst nach Ausschlagung geltend gemacht werden kann. Hierfür sprechen die §§ 2317 Abs. 1, 2332 Abs. 2 BGB. Die Frage ist aber umstritten. 4 van de Loo, ZEV 2006, 473 (477). 5 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484 ff. = ZEV 2002, 367 ff. m. abl. Anm. Mayer. 6 OLG Hamm v. 16.7.2009 – 15 Wx 85/09, ZEV 2009, 471 (471 f.) m. zust. Anm. Leipold. 7 Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) am 1.9.2009 ist nunmehr das Betreuungsgericht zuständig (§§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 23c Abs. 1 GVG, 271 Nr. 3 FamFG). 8 OLG Hamm v. 16.7.2009 – 15 Wx 85/09, ZEV 2009, 471 (472). 9 OLG Stuttgart v. 25.6.2001 – 8 W 494/99, NJW 2001, 3484 (3485). 10 So jetzt auch der BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 (261, obiter dictum) m. krit. Anm. Zimmer, hingegen zust. Anm. Ivo (BGH DNotZ 2011, 381) und Kleensang (BGH BWNotZ 2011, 158); zuvor schon krit. zur Entscheidung des OLG Stuttgart (Rz. 45, Fn. 3) etwa Ivo, FamRZ 2003, 6 ff.; Muscheler, ZEV 2005, 120 (121); zweifelnd auch MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 2, 13. Ablehnend schon Linde, BWNotZ 1988, 54 (58). 1154

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 46

C II

besondere der Vergleich mit den oben Rz. 42 beschriebenen sonstigen Gläubigern des Bedachten macht deutlich, dass die Entschließungsfreiheit des Bedachten besonders geschützt ist1. Die Ausschlagung selbst kann auch bei sittenwidrigem Motiv nicht sittenwidrig sein2. Dieser Ansicht war schon das LG Aachen gefolgt3. Danach hat „auch ein Sozialhilfeempfänger (…) das Recht, das Erbe auszuschlagen“4. Zu Recht verweist das LG Aachen einerseits auf den Rechtsgedanken des § 83 Abs. 1 S. 1 InsO und andererseits auf die Instrumentarien des Sozialhilferechts, Missbräuchen bei der Sozialhilfebedürftigkeit vorzubeugen. Diese Frage darf nicht durch das Erbrecht beantwortet werden. Ferner zeigen die extunc-Wirkung der Ausschlagung (§ 1953 Abs. 1 BGB) und die Regelung des § 517 BGB, dass lediglich ein möglicher Vermögenserwerb unterlassen und nicht das (ohne die Erbschaft) bestehende Vermögen gemindert wird. Dogmatisch ändert sich die Vermögenslage des Sozialhilfeempfängers durch die Ausschlagung im Vergleich zum Zeitraum vor dem Erbfall nicht. Es kann also nicht angenommen werden, die Ausschlagung verschlechtere die Position des Sozialhilfeempfängers, sie führt bloß nicht zu einer Verbesserung derselben. Der BGH5 schließt sich dem LG Aachen an und sucht die Lösung in Art. 14 Abs. 1 GG, aus der sich die negative Erbfreiheit entnehmen lasse: Die Ablehnungsmöglichkeit sei ein notwendiger Widerpart zum Vonselbsterwerb, vermöge dessen der Vermögensübergang ohne Zutun des Berechtigten wirksam werde6. c) Gütergemeinschaft Fällt in einer Gütergemeinschaft dem von der Verwaltung ausgeschlossenen Ehegatten eine Erbschaft an, so kann nur er, unabhängig davon, ob die Erbschaft in sein Vorbehaltsgut fällt oder nicht7, gem. § 1432 Abs. 1 BGB die Ausschlagung oder die Annahme erklären. Auch die Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung steht nur ihm zu8. In keinem Fall bedarf er der Zustimmung des anderen Ehegatten. Es handelt sich somit bei Annahme, Ausschlagung und Anfechtung von Annahme und Ausschlagung nicht um Aufgaben, die dem verwaltenden Ehegatten übertragen sind. Gleichwohl muss dieser außer mit dem Gesamtgut auch mit seinem persönlichen Vermögen für Nachlassverbindlichkeiten haften, soweit die Erbschaft ins Gesamtgut fällt, §§ 1437 I und II, 1438 I BGB9. Auch in diesen Regelungen macht sich der (höchst-)persönliche Charakter des Ausschlagungsrechts bemerkbar. Eine rechtsgeschäftliche Vertretung durch den verwaltenden Ehegatten ist übrigens möglich10. Auch wenn die Eheleute das Gesamtgut gemeinschaftlich verwalten, verbleibt die Ausschlagung einer Erbschaft gem. § 1455 Nr. 1 BGB im alleinigen Zuständigkeitsbereich desjenigen Ehegatten, dem die Erbschaft anfällt. 1 So auch Ivo, FamRZ 2003, 6 (8). 2 Mayer, ZEV 2002, 369 (370). 3 LG Aachen v. 4.11.2004 – 7 T 99/04, FamRZ 2005, 1506 = ZErb 2005, 1 = ZEV 2005, 120 (121) = NJW-RR 2005, 307 (308). 4 LG Aachen, ebd. 5 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, FamRZ 2011, 472 = MDR 2011, 303 = ZEV 2011, 258 (261); a.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 2a m.N. 6 A.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 2a m.N. 7 MüKo.BGB/Kanzleiter, § 1432 Rz. 2. 8 MüKo.BGB/Kanzleiter, § 1432 Rz. 2; Palandt/Brudermüller, § 1432 Rz. 1. 9 MüKo.BGB/Kanzleiter, § 1432 Rz. 2. 10 Palandt/Brudermüller, § 1432 Rz. 1. Muscheler

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C II

Rz. 47

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

d) Zustimmungserfordernis des Dienstherrn 47

Die Annahme von Geschenken und Belohnungen, die ein Beamter in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit erhält, bedarf, um schon den Anschein der Beeinflussbarkeit zu vermeiden, einer Genehmigung des Dienstherrn (§ 71 Abs. 1 BBG). Gleiches gilt für Angestellte im öffentlichen Dienst, gem. § 19 Abs. 1 SG für Soldaten, gem. § 78 Abs. 2 ZDG i.V.m. § 19 SG für Zivildienstleistende und gem. § 14 HeimG für Bedienstete in Altenpflegeeinrichtungen1. Zuwendungen aufgrund letztwilliger Verfügung sind Belohnungen bzw. Geschenke i. S. dieser Normen, da es sich dabei um wirtschaftliche Vorteile handelt, die dem Begünstigten unmittelbar oder mittelbar gewährt werden2. Auch die Annahme einer Erbschaft ist daher von der Genehmigungspflicht umfasst. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Genehmigungspflicht ist aber nicht etwa eine Pflicht zur Nichtannahme der Erbschaft, also zur Ausschlagung3. Zum einen bedarf es aufgrund des Vonselbsterwerbs keiner ausdrücklichen Annahme, zum anderen würde ein Ablauf der Ausschlagungsfrist den Zweck der Normen vereiteln. Daher ist Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot die Rechtsfolge4. Streng genommen fallen daher die oben erwähnten Normen nicht in den Komplex „Annahme und Ausschlagung der Erbschaft“, da ein Verstoß gegen die Genehmigungspflicht schon die Wirksamkeit eines Testaments entfallen lässt, soweit sich das Testament in der begünstigenden Verfügung erschöpft. Andererseits kann eine Genehmigung des Dienstherrn die Nichtigkeit überwinden und eine Annahme der Erbschaft, in welcher Form auch immer, ermöglichen.

47a

Die oben genannten Vorschriften greifen tatbestandsmäßig nur ein, wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen Diensthandlung und Vorteilsgewährung besteht, ohne dass freilich die Vorteilsgewährung eine bestimmte Handlung veranlasst haben muss5. Dieser Zusammenhang wird immer dann angenommen, wenn der Dienstverpflichtete eine Zuwendung während seiner Tätigkeit im Bereich des Zuwendenden erhält6. Soweit die Erbeinsetzung erst nach Beendigung der dienstlichen Tätigkeit erfolgt, ist es eine Frage des Einzelfalls, ob der zeitliche Abstand den Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Erbeinsetzung entfallen lässt. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn nach Ende der Diensttätigkeit noch weiterhin private Kontakte bestehen7. In diesem Fall kann 1 Die Rechtsfolge des § 14 HeimG tritt nur dann ein, wenn der Heimträger bzw. der Heimbedienstete zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis von der Verfügung von Todes wegen erhält; nur dann kommt eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde überhaupt in Betracht, BayObLG v. 28.6.1991 – BReg 1a Z 3/90, FamRZ 1991, 1354 = NJW 1992, 55 (57). 2 BAG v. 17.4.1984 – 3 AZR 97/82, MDR 1985, 169 = NVwZ 1985, 142 (143); BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27/94, FamRZ 1996, 1470 = ZEV 1996, 343. 3 So scheinbar aber BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27/94, FamRZ 1996, 1470 = ZEV 1996, 343. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 12; zu § 10 BAT a.F.: BayObLG v. 12.9.1995 – 1Z BR 59/95, FamRZ 1996, 443 = NJW 1995, 3260. Nach BGH v. 14.12.1999 – X ZR 34/98, MDR 2000, 872 = ZEV 2000, 202, führte ein Verstoß gegen § 10 Abs. 1 BAT a.F. nicht zur Nichtigkeit, da es sich dabei nicht um eine gesetzliche, sondern lediglich um eine tarifvertragliche Regelung handelte. 5 BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27/94, FamRZ 1996, 1470 = ZEV 1996, 343 (344); LAG Rheinland-Pfalz v. 7.10.2010 – 2 Sa 306/10, ZEV 2011, 601 (603). 6 Ebenroth/Koos, ZEV 1996, 344. 7 BVerwG v. 14.12.1995 – 2 C 27/94, FamRZ 1996, 1470 = ZEV 1996, 343 (344). 1156

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 49a

C II

die Mitursächlichkeit der dienstlichen Tätigkeit vernachlässigt werden, zumal auch der grundgesetzlich geschützten Testierfreiheit Beachtung geschenkt werden muss1. 6. Verlust des Ausschlagungsrechts durch Annahme a) Allgemeines Gem. § 1943 BGB verliert der Erbe sein Ausschlagungsrecht durch die Annahme der Erbschaft und ebenso dadurch, dass die Ausschlagungsfrist abläuft, da die Erbschaft mit Ablauf der Frist als angenommen gilt. Die Erklärung über die Annahme ist sowohl in ausdrücklicher als auch in konkludenter Form eine Willenserklärung2, so dass die allgemeinen Vorschriften über Willenserklärungen Anwendung finden. Annahme bedeutet nicht die Erklärung, die Erbschaft positiv annehmen zu wollen, da der Erbanfall schon infolge des Vonselbsterwerbs eingetreten ist, sondern vielmehr, auf das Ausschlagungsrecht endgültig verzichten zu wollen3. Gem. § 1946 BGB kann die Annahme erst erklärt werden, wenn der Erbfall eingetreten ist. Eine vorher abgegebene Erklärung bleibt wirkungslos4. Der ersatzweise Berufene kann dagegen schon vor der Ausschlagung des Primärerben die Erbschaft annehmen, da § 1946 BGB nur den tatsächlichen Erbfall zum Anknüpfungspunkt macht, nicht aber den Anfall an eine bestimmte Person5. Ebenso vermag ein Nacherbe auch schon vor Eintritt des Nacherbfalls anzunehmen und, wie ausdrücklich in § 2142 Abs. 1 BGB geregelt, auszuschlagen6. Die Annahme setzt Geschäftsfähigkeit voraus7; Stellvertretung ist zulässig. Die Annahme ist aufgrund des Verlusts des Ausschlagungsrechts nicht nur rechtlich vorteilhaft, so dass ein beschränkt Geschäftsfähiger der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedarf8. Im Falle eines geschäftsunfähigen Erben kann die Annahme nur durch den gesetzlichen Vertreter erfolgen9.

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Eine erklärte Annahme ist gem. § 1949 Abs. 1 BGB nichtig, wenn sich der Erbe in einem Irrtum über den Berufungsgrund befunden hat. Ein solcher Irrtum führt nicht zur Anfechtbarkeit, sondern direkt zur Nichtigkeit der Annahme10. Die Kenntnis vom Berufungsgrund spielt bei der Annahme durch Fristablauf insofern die gleiche Rolle wie bei erklärter Annahme, als die Frist gem. § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB erst mit der Kenntnis vom Berufungsgrund zu laufen beginnt (zur Kenntnis vom Berufungsgrund unten Rz. 69 ff.).

49

Ein Irrtum über den Berufungsgrund ist unbeachtlich, wenn er nicht kausal für die erklärte Annahme gewesen ist. Ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn es dem Erben gleichgültig ist, aus welchem Grunde er berufen ist11.

49a

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Ebenroth/Koos, ZEV 1996, 344. Mot. V, S. 497; Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 2; Soergel/Stein, § 1943 Rz. 2. OLG Köln v. 20.2.1980 – 2 W 7/80, MDR 1980, 852 = OLGZ 1980, 235. Staudinger/Otte, § 1946 Rz. 2. Soergel/Stein, § 1946 Rz. 2; MüKo.BGB/Leipold, § 1946 Rz. 2. BayObLG v. 10.8.1962 – BReg. 1Z 43/61, BayObLGZ 1962, 239 (241); Staudinger/Otte, § 1946 Rz. 8. Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 1; Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (196). MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 7. MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 7; Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (196). Zur Systemwidrigkeit dieser Regelung MüKo.BGB/Leipold, § 1949 Rz. 1. OLG Karlsruhe v. 3.5.2007 – 19 U 58/05, ZEV 2007, 380 (381). Muscheler

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C II

Rz. 50

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

b) Ausdrückliche Annahme 50

Die ausdrückliche Annahme ist – anders als die Ausschlagung – an keine besondere Form gebunden; sie kann schriftlich, aber auch mündlich erfolgen1. Nach h.M. ist sie noch nicht einmal empfangsbedürftig, d.h. einer bestimmten Person gegenüber abzugeben2. Gleichwohl wird man eine Erklärung, die einer unbeteiligten Person gegenüber abgegeben wird, nur ausnahmsweise als Annahme verstehen dürfen, da der Erbe dieser Person gegenüber kaum je zum Ausdruck bringen möchte, die Erbschaft endgültig behalten zu wollen3. Insofern muss die Annahme regelmäßig einem Nachlassbeteiligten gegenüber erklärt werden. Die Annahme ist, wenn sie einem anderen gegenüber erklärt wird, nicht vor Zugang wirksam. § 130 BGB ist zwar aufgrund der fehlenden Empfangsbedürftigkeit der Erklärung nicht unmittelbar anwendbar. Die Vorschrift wird aber von der h.M. zu Recht entsprechend angewendet, so dass auch ein rechtzeitiger Widerruf gem. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB als zulässig zu gelten hat4. c) Annahme durch schlüssiges Verhalten

Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob er die Erbschaft noch ausschlagen kann, obwohl er schon einen Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung gestellt hat. 51

Die Annahme der Erbschaft kann auch durch schlüssiges Verhalten (pro herede gestio) erfolgen. Maßgeblich ist eine nach außen erkennbare Handlung des Erben, die darauf schließen lässt, dass er die Erbschaft endgültig behalten will5. Da das schlüssige Verhalten als Willenserklärung den allgemeinen Regeln über Willenserklärungen unterliegt, ist bei der Beurteilung des Erklärungswertes einer Handlung auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen. Ein entgegenstehender innerer Wille ist in der Regel zunächst unbeachtlich, kann den Erben jedoch zur Anfechtung berechtigen.

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Bei der Prüfung, ob eine konkludente Annahme vorliegt, sollte schon in Anbetracht der Sechswochenfrist des § 1944 Abs. 1 BGB Zurückhaltung gewahrt werden. Darüber hinaus würde eine zu strenge Betrachtungsweise dazu führen, dass ein vorläufiger Erbe kaum noch bereit wäre, notwendige Erhaltungs- und Verwaltungsmaßnahmen durchzuführen, da darin schon eine Annahme gesehen werden könnte6. Der Handlung muss ein Erklärungswert beigemessen werden können, der dem einer ausdrücklichen Annahme nahe kommt. Dies darf nur dann angenommen werden, wenn sich der Erbe so verhält, wie es ein Erbe täte, der die Erbschaft endgültig behalten will. Maßnahmen zur Nachlasserhaltung 1 2 3 4 5

MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 3. Soergel/Stein, § 1943 Rz. 3; RGRK/Johannsen, § 1943 Rz. 4. Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 6; RGRK/Johannsen, § 1943 Rz. 4. RGRK/Johannsen, § 1943 Rz. 5; Soergel/Stein, § 1943 Rz. 3. Mot. V, 497; RG, DJZ 1912, 1186; MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 4; Staudinger/ Otte, § 1943 Rz. 5. 6 OLG Köln v. 20.2.1980 – 2 W 7/80, MDR 1980, 852 = OLGZ 1980, 235; zu weit gehend OLG Königsberg v. 21.2.1908 – 2 U. 232/07, SeuffArch 64 Nr. 153; so dem Grunde nach auch Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 2: Die Ausführung von Fürsorgemaßnahmen lasse nicht den Schluss auf eine Annahme durch schlüssiges Verhalten zu.

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 54a

C II

und -verwaltung scheiden demnach von vornherein als schlüssige Verhaltensformen aus1. Eine Auskunftsklage gegen den Testamentsvollstrecker (§ 2215 BGB) dient erst der Vorbereitung der Entscheidung über die Annahme der Erbschaft und bedeutet daher noch keine Annahme durch schlüssiges Verhalten2. Dagegen kommt der Beantragung eines Erbscheins Annahmequalität zu3. In der bloßen Übernahme der Beerdigungskosten bzw. in der Beantragung einer entsprechenden Kostenübernahme durch das Sozialamt ist in der Regel keine Annahme durch einen Angehörigen zu erblicken. Eine Verpflichtung zur Übernahme der Kosten ergibt sich für Angehörige nämlich oftmals durch landesrechtliche öffentlich-rechtliche Vorschriften, z.B. § 8 Abs. 1 S. 1 BestG NW4. In der Beantragung der Nachlassverwaltung könnte man vordergründig eine schlüssige Annahme der Erbschaft sehen, da der Erbe mit der Nachlassverwaltung (zumindest auch) eine dauerhafte Trennung von Nachlass- und Eigenvermögen erreichen will. Diese Trennung soll das Eigen- aber auch das Nachlassvermögen sichern5. Dass solche Sicherungsmaßnahmen aber gerade nicht zur Annahme führen, zeigt § 455 Abs. 3 FamFG (§ 991 Abs. 3 a.F. ZPO). Danach ist eine Annahme erforderlich, bevor der Antrag auf das Nachlassgläubigeraufgebot gestellt werden kann. In dem Antrag selber verbirgt sich somit keine Annahme, da die Vorschrift sonst überflüssig wäre6. Dieser Gedanke lässt sich verallgemeinern und auf den Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung übertragen; in diesem Antrag kann noch keine Annahme gesehen werden7.

53

Übt der Erbe Rechte aus, die üblicherweise dem dinglich Berechtigten zustehen, verfügt er also etwa über Nachlassgegenstände, so ist darin noch nicht zwangsläufig eine Annahme zu sehen. § 1959 Abs. 2 BGB geht nämlich davon aus, dass Verfügungen des Zwischenerben möglich und wirksam sind, ohne dass dies zum Verlust des Ausschlagungsrechts führt. Gleichwohl kann in der Verfügung über auch nur einen Nachlassgegenstand eine Annahme liegen8; § 1959 Abs. 2 BGB schließt dies nicht etwa zwingend aus. Die Differenzierung ist in solchen Fällen nicht anhand der rechtlichen Qualität, sondern anhand des Zwecks des Rechtsgeschäfts vorzunehmen. Diente die Verfügung Sicherungs- oder Verwaltungszwecken, so liegt darin noch keine Annahme.

54

Auch frühere Gerichtsurteile können nicht pauschal auf einen konkret zu beurteilenden Sachverhalt übertragen werden. In jedem Fall ist eine Einzelfallentscheidung vorzunehmen, die alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigen muss9. Die dazu notwendige Sachverhaltsermittlung ist vom Nachlassgericht gem. § 26 FamFG von Amts wegen durchzuführen.

54a

1 OLG Celle v. 7.5.1965 – 7 W 14/65, OLGZ 1965, 30; MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 5. 2 BayObLG v. 8.9.2004 – 1Z BR 59/04, FamRZ 2005, 553 (554) = NJW-RR 2005, 232 (233) = Rpfleger 2005, 86 (87). Zustimmend: Walter, ZEV 2008, 319 (320). 3 KG v. 3.4.1919, OLGE 38, 263; BGH v. 20.2.1968 – V BLw 34/37, RdL 1968, 97 (99). 4 Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen v. 17.6.2003, GV NRW S. 313. 5 Hillebrand, S. 28. 6 Hillebrand, S. 28. 7 So auch KG v. 9.7.1909 – 1a. X 501/09, KGJ 38, A 50 (A 51); Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 2. 8 BayObLG v. 9.10.1987 – BReg. 1Z 55/87, FamRZ 1988, 213. 9 BayObLG v. 9.10.1987 – BReg. 1Z 55/87, FamRZ 1988, 213 (214). Muscheler

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C II

Rz. 55

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

55

Im Rahmen verschiedener FamFG- (ehemals FGG-)Verfahren1 ist als Vorfrage zu ermitteln, ob eine Annahme durch schlüssiges Verhalten vorliegt. In diesem Zusammenhang wird der Erbe regelmäßig über Umfang und Verbleib des Nachlasses befragt. Verheimlicht er dabei Gegenstände oder hat er sie gar beiseite geschafft, wird darin von Teilen der Literatur2 noch keine Annahme gesehen. Durch die Trennung einzelner Gegenstände bringe der Erbe gerade zum Ausdruck, die Erbschaft nicht als Ganzes behalten zu wollen. Gleichwohl soll dieses Verhalten zum Verlust des Ausschlagungsrechts führen, also die gleichen Wirkungen erzeugen wie eine Annahme. Weithase etwa sieht in ihm eine Verwirkung des Ausschlagungsrechts herbeiführenden Tatbestand. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass sich ein entsprechendes Verhalten vom objektiven Empfängerhorizont aus als konkludent erklärte Annahme darstellt, da sich der Erbe auf diese Weise als dauerhafter Eigentümer geriert. Entgegenstehende Äußerungen des Erben sind als protestatio facto contraria unbeachtlich. Außerdem ist der der Verwirkung immanente Sanktionsgedanke mit der Regelung des BGB nicht vereinbar, die die Endgültigkeit des Erbschaftsanfalls, genauer: den Verlust des Ausschlagungsrechts, keineswegs als Strafe verstanden wissen will3. Eine Verwirkung des Ausschlagungsrechts kommt somit nicht in Betracht. Das entsprechende Verhalten ist vielmehr als konkludente Annahme zu werten.

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Überblick Annahme

Keine Annahme

– Fortführung eines Handelsgeschäfts – Fortführung eines Handelsgeschäfts unter alter Firma, selbst bei Eintraunter neuer Firma4 gung in das Handelsregister zwecks – Antrag auf Erteilung eines Erbscheins5 Haftungsbegrenzung gem. §§ 27 – Antrag auf Grundstücksumschreibung Abs. 1, 25 Abs. 2 HGB9 6 auf den Erben – Antrag auf Testamentseröffnung10 – Verpfändung des Erbteils7 – Antrag auf Anordnung der Nachlass– Veräußerung und Belastung von Nachverwaltung11 lassgegenständen8

1 Z.B. Erbscheinsverfahren, Bestimmung der Inventarfrist (§ 1994 Abs. 1 BGB), Feststellung gem. § 1964 Abs. 1 BGB. 2 Weithase, Rpfleger 1988, 434 (440); Lange/Kuchinke, § 8 II 3 (S. 196). 3 Mot. V, S. 495. Das BGB weist (mittlerweile) keine pönalen Ausformungen mehr auf. 4 Friedrich, S. 192 (widerlegbares Indiz für den Annahmewillen). 5 KG v. 3.4.1919, OLGE 38, 263; BGH v. 20.2.1968 – V BLw 34/37, RdL 1968, 97 (99). Selbst die Rücknahme des Erbscheinsantrags beseitigt nicht die Annahme, OLG Hamm v. 10.5.2010 – I-15 W 200/10. 6 KG v. 3.4.1919, OLGE 38, 263; Lange/Kuchinke, § 8 II 3 (S. 197). 7 RG v. 9.11.1912 – IV. 187/12, RGZ 80, 377 (385). 8 RG v. 6.7.1909 – VII. 290/09, DJZ 1909, 1329; RG v. 6.6.1912 – IV. 593/11, DJZ 1912, 1185; anders aber, wenn die Verfügung im Rahmen ordnungsmäßiger Wirtschaft erfolgt. 9 Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 2; Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 9; Friedrich, S. 192; für eine Einzelfallentscheidung Hüffer in Großkommentar HGB, § 27 Rz. 25. 10 OLG Celle v. 7.5.1965 – 7 W 14/65, OLGZ 1965, 30. 11 KG v. 9.7.1909 – 1a. X 501/09, KGJ 38, A 50 (A 51); Hillebrand, S. 28 f. 1160

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Annahme

Keine Annahme

– Abgabe von Verkaufsangeboten und das Anbieten eines Nachlassgrundstückes über einen Makler1 – Verwendung von Nachlassgegenständen für eigene Zwecke2 – Prozessführung oder Einlassung (vgl. § 1958 BGB) in der Rolle des Erben3 – Geltendmachung von Nachlassansprüchen und Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten4 – Verkauf eines Anteils an einer GbR5

– Einreichung eines Nachlassverzeichnisses6 – Antrag auf Bestellung eines Testamentsvollstreckers7 – Auskunftsklage gegen den Testamentsvollstrecker8 – Angaben zum Nachlass auf Anforderung des Nachlassgerichts9 – Veräußerung des gesamten Nachlasses zur Bezahlung der Bestattungskosten10 – Mitwirkung und Stimmabgabe in Gesellschafterversammlung11

d) Annahme durch Fristablauf Mit dem Ablauf der für die Ausschlagung vorgeschriebenen Frist gilt die Erbschaft als angenommen (§ 1943 BGB). Beim Versäumnis der Frist handelt es sich nicht um eine Willenserklärung. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das Gesetz hier mit einer Fiktion arbeitet, und zum anderen aus § 1956 BGB. Danach ist die Anfechtung des Versäumens der Ausschlagungsfrist möglich. Diese ausdrückliche Regelung wäre überflüssig, wenn eine Willenserklärung vorliegen würde. Daraus folgt, dass es für die Rechtsfolge der Fristversäumung auf einen entsprechenden Willen des Erben nicht ankommt12. Auch ein Geschäftsunfähiger oder beschränkt Geschäftsfähiger kann durch Fristablauf das Ausschlagungsrecht verlieren. Einen gewissen Schutz erfährt er aber dadurch, dass für den Beginn der Frist die Kenntnis von Anfall und Berufungsgrund erforderlich ist. Diese Kenntnis muss beim gesetzlichen Vertreter vorhanden sein13 (dazu Rz. 69 ff.). 1 OLG Oldenburg v. 20.9.1994 – 5 U 72/94, FamRZ 1995, 574. 2 RG v. 6.6.1912 – IV. 593/11, DJZ 1912, 1186. 3 BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 (363)= MDR 1989, 523 = FamRZ 1989, 496. Es ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, MüKo.BGB/Leipold, § 1958 Rz. 8. Einschränkend zur Aufnahme eines anhängigen Prozesses Lange/Kuchinke, § 8 II 3. 4 BayObLG v. 24.6.1983 – BReg. 1Z 124/82, BayObLGZ 1983, 153 ff. 5 BayObLG v. 9.10.1987 – BReg. 1Z 55/87, FamRZ 1988, 213 (214). 6 BGH v. 12.11.1964 – III ZR 123/63 (unveröffentlicht), zit. nach Johannsen, WM 1972, 914 (918). 7 OLG Celle v. 7.5.1965 – 7 W 14/65, OLGZ 1965, 30. 8 BayObLG v. 8.9.2004 – 1Z BR 59/04, FamRZ 2005, 553 (554) = NJW-RR 2005, 232 (233) = Rpfleger 2005, 86 (87). Zust. Walter, ZEV 2008, 319 (320). 9 OLG Köln v. 20.2.1980 – 2 W 7/80, MDR 1980, 852 = OLGZ 1980, 235. 10 Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 9; Lange/Kuchinke, § 8 II 3 (S. 196), jeweils unter Hinweis auf ein unveröffentlichtes Urteil des RG v. 28.11.1921 – VI 437/21. Folgerichtig, da die öffentlich-rechtlich ausgestaltete Bestattungspflicht nicht an die Erbenstellung anknüpft. 11 DNotI-Report 2004, 101 ff. 12 MüKo.BGB/Leipold, § 1943 Rz. 6. 13 BayObLG v. 14.5.1984 – 1. ZS, 1Z 25/84, Rpfleger 1984, 403. Muscheler

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e) Wirkungen der Annahme 58

Neben dem bereits erwähnten Verlust des Ausschlagungsrechts kommen der Annahme weitere Wirkungen zu: – Die Annahme nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens führt zur Nachtragsverteilung, § 203 I Nr. 1 InsO. – Der Anfall während der Wohlverhaltensphase führt zur hälftigen Herausgabeobliegenheit, § 295 I Nr. 2 InsO1. – Die Vollstreckungsbeschränkungen des § 778 Abs. 1, 2 ZPO fallen weg. – Nachlassvermögen und Eigenvermögen sind auch sonst nicht länger getrennte Vermögensmassen. – Die Frist der Dreimonatseinrede gem. § 2014 BGB beginnt zu laufen. – Der Erbe kann von den Nachlassgläubigern verklagt werden (§ 1958 BGB). – Die Rechtsstreitunterbrechung gem. § 239 Abs. 5 ZPO entfällt. – Der Erbe kann gem. § 455 Abs. 3 FamFG Antrag auf Durchführung des Aufgebotsverfahrens zur Ausschließung von Nachlassgläubigern stellen. – Die Nachlasssicherungspflicht des Nachlassgerichts endet (§ 1960 Abs. 1 BGB). – Die Ablaufhemmung des § 211 S. 1 Alt. 1 BGB beginnt im Falle mehrerer Erben und einer vom Gläubiger erhobenen Gesamtschuldklage (§ 2058 BGB) mit der Annahme des jeweils in Anspruch genommenen Miterben2.

IV. Form der Ausschlagung 59

Anders als die Erklärung der Annahme unterliegt die Ausschlagung besonderen Formanforderungen. Der Gesetzgeber hat in der Ausschlagung die faktische Ausnahme gesehen (Rz. 4). Wählt ein Erbe diesen Weg, so soll der entsprechende Vorgang aus Gründen der Rechts- und Verkehrssicherheit besonders dokumentiert werden3.

59a

Gem. § 1945 Abs. 1 BGB muss die Ausschlagung dem Nachlassgericht gegenüber erklärt werden. Dabei stehen dem Ausschlagenden nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Er kann die Ausschlagungserklärung zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form, also notariell beglaubigt, abgeben. Auch die Ausschlagung durch Anfechtung der Annahme gem. § 1957 Abs. 1 BGB hat gem. § 1955 S. 2 BGB in diesen Formen zu erfolgen. Das Nachlassgericht prüft bei der Entgegennahme der Ausschlagungserklärung neben der leicht zu kontrollierenden Form nur die örtliche Zuständigkeit und erteilt – auf Antrag – eine Bestätigung über Zugang und Inhalt der Erklärung4. Über den Erfolg der Ausschlagung wird in anderen Verfahren, meist im Erbscheinsverfahren, entschieden. Daraus folgt, dass das Nachlassgericht nicht befugt ist, die Erklärung aus 1 2 3 4

Herrler, NJW 2011, 2258. BGH v. 4.6.2014 – IV ZR 348/13. MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 1. Firsching/Graf, S. 351.

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anderen Gründen (als denen fehlender Form und fehlender Zuständigkeit) zurückzuweisen, aber auch nicht verpflichtet, auf eventuelle sonstige Mängel hinzuweisen1. Die Kosten der notariellen Beglaubigung belaufen sich gem. § 121 GNotKG, KV Nr. 25100 auf ein Fünftel (0,2) der vollen Gebühr, höchstens aber auf 70 Euro (mindestens 20 Euro). Wird die Ausschlagung zur Niederschrift des Nachlassgerichts abgegeben, so erhebt das Nachlassgericht gem. Vorb. 1 Abs. 2 der Anlage 1 zum GNotKG, KV Nr. 21201 eine halbe Gebühr (mindestens 60 Euro). Wird mit der Niederschrift über die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Antrag an das Nachlassgericht beurkundet, wird mit der Gebühr 23300 (1,0) insoweit auch das Beurkundungsverfahren abgegolten (Vorb. 2.3.3. Abs. 2 der Anlage 1 zum GNotKG). Bei Überschuldung des Nachlasses wird die Mindestgebühr von fünfzehn Euro gem. § 34 Abs. 5 GNotKG erhoben. Die sachliche Zuständigkeit für die Ausschlagung der Erbschaft ergibt sich aus § 23a Abs. 2 Nr. 2 GVG. Danach ist das Amtsgericht Nachlassgericht. In BadenWürttemberg wird diese Aufgabe durch die Notariate wahrgenommen (Art. 147 EGBGB, §§ 1, 36, 38 LFGG). Eine Besonderheit enthält das landwirtschaftliche Erbrecht. Soweit die HöfeO Anwendung findet, ist eine isolierte Ausschlagung des Hofanfalls gem. § 11 S. 1 HöfeO dem Landwirtschaftsgericht gegenüber zu erklären2. Wird jedoch nicht nur der Hof allein, sondern die gesamte Erbschaft ausgeschlagen, muss die Ausschlagungserklärung dem Nachlassgericht gegenüber erfolgen3.

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Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 343 FamFG und aus § 344 Abs. 7 S. 1 FamFG. Danach bestimmt sich die Zuständigkeit zunächst nach dem Wohnsitz, hilfsweise nach dem Aufenthaltsort des Erblassers (§ 343 Abs. 1 FamFG). Nicht nur der Erstwohnsitz, sondern auch ein zweiter Wohnsitz (§ 7 Abs. 2 BGB) kann die Zuständigkeit des Nachlassgerichts begründen4. Auf die melderechtliche Anmeldung kommt es dabei nicht an5. Hatte der Erblasser mehrere Wohnsitze, sind zunächst auch mehrere Nachlassgerichte zuständig. In einem solchen Fall bestimmt § 2 Abs. 1 FamFG dasjenige Nachlassgericht zum definitiv zuständigen, das zuerst in der Sache tätig geworden ist. § 344 Abs. 7 S. 1 FamFG bestimmt eine im Vergleich zur Regelung des § 73 FGG neue besondere Zuständigkeit für die Entgegennahme der Ausschlagungserklärung. Demnach kann der Ausschlagende seine Erklärung auch vor dem Nachlassgericht abgeben, in dessen Bezirk er seinen Wohnsitz hat6. Die Zuständigkeit des Wohnsitznachlassgerichts bedeutet eine nicht unerhebliche Erleichterung für den ausschlagenden Erben, dem die mitunter komplizierte Ermittlung des nach § 343 FamFG zuständigen Gerichts erspart bleibt. Die ratio der Zuständigkeitsbestimmung des § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG offenbart zugleich das Verhältnis zwischen der besonderen Zuständigkeit des Wohnsitznachlassgerichts zu der allgemeinen örtlichen Zuständigkeit nach § 343 FamFG. In Abweichung zu § 2 Abs. 1 FamFG bestimmt § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG, dass das Nachlassgericht am

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1 Weithase, Rpfleger 1988, 434 (435). 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 13. 3 BGH v. 28.1.1972 – V ZB 29/71, BGHZ 58, 105 (106); MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 13; krit. Wöhrmann, § 11 Rz. 2. 4 BayObLG v. 9.10.1987 – BReg. 1Z 55/87, FamRZ 1988, 213. 5 BayObLG v. 17.12.1984 – Allg. Reg. 94/84, FamRZ 1985, 533 (534). 6 OLG Rostock v. 15.6.2012 – 3 UH 1/12, FamRZ 2013, 245 = ZEV 2012, 550. Muscheler

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Wohnsitz des Ausschlagenden die Niederschrift über die Ausschlagungserklärung an das nach § 343 FamFG zuständige Gericht zu übersenden hat1. Diese Regelung erhellt, dass es sich bei der besonderen Zuständigkeit nach § 344 Abs. 7 FamFG um eine Art Hilfszuständigkeit handelt. Ferner ergibt sich aus § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG, dass mit der Entgegennahme einer Erklärung in Satz 1 der Vorschrift nicht nur die körperliche Empfangnahme einer öffentlich beglaubigten Ausschlagungserklärung (§ 1944 Abs. 1, 2. Hs. 2. Alt. BGB), sondern auch die Errichtung einer Niederschrift des Nachlassgerichts (§ 1944 Abs. 1, 2. Hs. 1. Alt. und Abs. 2 BGB) gemeint ist2. Über den Wortlaut des § 344 Abs. 7 S. 2 FamFG hinaus hat das Nachlassgericht neben den gerichtlich protokollierten auch notariell beglaubigte Ausschlagungserklärungen weiterzuleiten3. Es ist im Anschluss an § 2 Abs. 3 FamFG anzunehmen, dass eine Ausschlagung vor jedem Nachlassgericht Frist wahrend möglich ist4. Das unzuständige Gericht darf die Erklärung nicht zurückweisen. § 3 Abs. 1 S. 1 FamFG ordnet nun ausdrücklich an, dass das angerufene, aber unzuständige Gericht sich durch Beschluss für unzuständig zu erklären und die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen hat. Die neue Rechtslage statuiert damit eine Weiterleitungspflicht des unzuständigen Nachlassgerichts5. Dabei kommt es für diese Art der Zuständigkeitsbegründung nicht darauf an, ob das Gericht die Erklärung auch tatsächlich an das zuständige Gericht weiterleitet6. § 25 Abs. 3 S. 2 FamFG steht dem nicht entgegen. Denn § 25 FamFG ist auf Erklärungen, für die besondere gesetzliche Formerfordernisse gelten, nicht anwendbar7. Die Ausschlagungserklärung unterliegt den Formanforderungen des § 1944 Abs. 1, 2. Hs. und Abs. 2 BGB, kann also nicht nach § 25 Abs. 1 FamFG nur schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgegeben werden. Für den Fall, dass der Ausschlagende zum Zwecke der Fristwahrung die Erklärung bewusst bei einem unzuständigen Gericht abgibt, wird zu Recht angenommen, dass die Ausschlagung missbräuchlich und somit unwirksam ist8. Die internationale Zuständigkeit wird durch die EuErbVO maßgeblich geändert. Art. 13 EuErbVO ordnet u.a. für die Entgegennahme von Annahme- oder Ausschlagungserklärungen eine zusätzliche Zuständigkeit jenes Gerichts an, in dessen Bezirk der Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das örtlich zuständige Nachlassgericht besitzt gem. § 105 1 Heinemann, ZErb 2008, 293 (295 f.). Das Nachlassgericht am Wohnsitz des Ausschlagenden nimmt die Erklärung in originärer Zuständigkeit entgegen und leitet die Niederschrift über die Erklärung im Original (OLG Hamm v. 7.12.2010 – 15 Sdb 12/10, FamRZ 2012, 487) an das nach § 343 FamFG zuständige Gericht; so auch Palandt/ Weidlich, § 1945 Rz. 7. 2 Heinemann, ZErb 2008, 293 (295); Heinemann, DNotZ 2009, 6 (25). 3 Bumiller/Harders, FamFG, § 344 Rz. 16. 4 RG v. 15.7.1909 – Rep. IV. 558/08, RGZ 71, 380 (382); nach BayObLG v. 13.10.1993 – 1Z BR 54/93, FamRZ 1994, 589 (590), soll dies auch bei einer Anfechtungserklärung möglich sein; so auch Palandt/Weidlich, § 1955 Rz. 1. 5 Bisweilen wurde auch schon vor Inkrafttreten des § 3 Abs. 1 S. 1 FamFG eine Weiterleitungspflicht des unzuständigen Nachlassgerichts angenommen, so etwa von MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 8. Bauer, FG I, § 7 IV 2a (S. 87); Keidel/Zimmermann, FGG, § 7 Rz. 4 nahmen eine Weiterleitungspflicht des Gerichts nur dann an, wenn andernfalls der Fristablauf drohte. 6 Palandt/Weidlich, § 1945 Rz. 7; Soergel/Stein, § 1945 Rz. 10. 7 Bumiller/Harders, FamFG, § 25 Rz. 2 f. 8 Lange/Kuchinke, § 8 III 3 (S. 201 f.), wollen die Unwirksamkeit schon bei einfach schuldhaftem Verhalten eintreten lassen. 1164

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FamFG auch die internationale Zuständigkeit; ob der Erbfall nach deutschem oder ausländischem Recht zu beurteilen ist (frühere Gleichlauftheorie), spielt dabei keine Rolle1. Hat der Erblasser seinen Wohnsitz im Ausland, ist gem. § 343 Abs. 1, 2. Hs. FamFG das Gericht zuständig, in dessen Bezirk er sich zum Zeitpunkt des Erbfalls aufhielt. Liegen letzter Wohnsitz und letzter Aufenthaltsort im Ausland, ist gem. § 343 Abs. 2 S. 1 FamFG das Amtsgericht Berlin-Schöneberg zuständiges Nachlassgericht. Die Ausschlagungsfrist beträgt in Auslandsfällen gem. § 1944 Abs. 3 BGB sechs Monate statt sechs Wochen.

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Hält sich der Ausschlagende im Ausland auf, so genügt er gem. Art. 11 Abs. 1 EGBGB den Formerfordernissen, wenn die Ausschlagung in der Form erfolgt, die das Recht des Aufenthaltslandes verlangt. Die derart erklärte Ausschlagung muss dem nach deutschem Recht zuständigen Nachlassgericht aber zugehen2. Auch hier bestimmt sich die Frist zur Ausschlagung nach § 1944 Abs. 3 BGB.

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Beratungshinweis: Ist die örtliche Zuständigkeit unklar, sollte die Ausschlagung allen in Betracht kommenden Gerichten gegenüber erklärt werden, um ein Fristversäumung zu vermeiden.

V. Ausschlagungsfrist Beratungssituation: Der Mandant möchte wissen, ob die Ausschlagungsfrist für ihn schon mit der Testamentseröffnung zu laufen begonnen hat. Er war zwar zur Eröffnung geladen, jedoch nicht erschienen und hat erst später von seiner Berufung erfahren. 1. Allgemeines Das Recht zur Ausschlagung steht dem Erben nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu. Den Anfangszeitpunkt markiert der Erbfall (§ 1946 BGB). Mit Ablauf der Ausschlagungsfrist gem. § 1944 BGB endet die Möglichkeit der Ausschlagung, mit der Folge, dass der Erbe sich hinsichtlich der Ausschlagung präkludiert sieht3. Das Ende des Zeitfensters ist jedoch nicht völlig starr, da nicht der Erbfall den Fristlauf in Gang setzt, sondern erst die Kenntnis des Erben von Anfall und Berufungsgrund. Im Falle gewillkürter Erbfolge wird der Zeitpunkt des Fristbeginns noch weiter hinausgeschoben. Die Frist beginnt dann gem. § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB nicht vor der Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen zu laufen. Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Wochen, bei Fällen mit Auslandsberührung verlängert sie sich gem. § 1944 Abs. 3 BGB auf sechs Monate. Im Falle gesetzlicher Vertretung ist der Aufenthaltsort des Vertreters entscheidend4. 1 MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 15; OLG Hamm v. 2.9.2010 – 15 W 448/10, NJW-RR 2011, 666. 2 Staudinger/Otte, § 1945 Rz. 25. 3 Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 2. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 27. Muscheler

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Der Erbe muss den Fristanlauf nicht abwarten. Er kann schon nach dem Erbfall (§ 1946 BGB), aber noch vor genügender Kenntnis der Tatsachen die Erbschaft ausschlagen1. Daraus folgt unter anderem, dass ein Nachberufener, also etwa der nächstfolgende gesetzliche Erbe, schon vor der Ausschlagung des Vorberufenen ausschlagen oder annehmen kann2. Für den Nacherben ist in § 2142 Abs. 1 BGB ausdrücklich bestimmt, dass er schon vor Eintritt des Nacherbfalls die Erbschaft auszuschlagen vermag; die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB beginnt aber erst mit dem Eintritt des Nacherbfalles zu laufen3. Auch ein Ersatzerbe kann schon mit Eintritt des Erbfalls überhaupt und nicht erst bei Anfall der Erbschaft an ihn die Ausschlagung erklären4. Ein durch Berliner Testament berufener Schlusserbe hingegen erlangt die Ausschlagungsmöglichkeit erst mit dem Tod des Letztversterbenden. Die drei zuletzt genannten Fälle unterscheiden sich dadurch, dass im Fall der Nach- und Ersatzerbschaft nur ein Erbfall gegeben ist, während bei der Schlusserbschaft zwei Erbfälle vorliegen (und der Schlusserbe nur und erst beim zweiten Erbfall Erbe wird)5.

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Kenntnis bedeutet, dass der Erbe ein bestimmtes und sicheres Wissen von den den Anfall begründenden Tatsachen hat6. Schuldhaftes Nichtwissen steht der Kenntnis nicht gleich7. Daraus folgt z.B., dass der Zugang eines Schreibens, das die Kenntnis begründende Informationen enthält, nicht ausreicht; der Fristlauf wird erst durch die tatsächliche Kenntnisnahme des Inhalts in Gang gesetzt8. Es besteht auch keine Verpflichtung des Erben aus Treu und Glauben, sich Kenntnis zu verschaffen. Unterlässt es z.B. ein Erbe, der trotz Ladung der Testamentseröffnung fern bleibt, sich nachträglich über den Inhalt des Testaments zu informieren, so führt dies dazu, dass die Frist nicht mit der Testamentseröffnung, sondern erst mit tatsächlicher Kenntnis vom Inhalt des Testaments zu laufen beginnt9. Durch diese enge Auslegung eröffnen sich bedenkliche Möglichkeiten zur Manipulation; außerdem entsteht die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheit. Erlangt der Nacherbe Kenntnis vom Inhalt des Testaments im Erbscheinsverfahren des Vorerben, setzt das nicht die Ausschlagungsfrist in Lauf; die Bekanntgabe an einen anderen Erben ist nicht ausreichend, selbst wenn der Ausschlagungsberechtigte dessen gesetzlicher Vertreter ist; der Beginn der Ausschlagungsfrist setzt eine Kundgabe an den Erben als Beteiligten voraus (im Anschluss an BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52)10.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

RG v. 9.11.1912 – Rep. IV 187/12, RGZ 80, 377 (385); Staudinger/Otte, § 1946 Rz. 3. Staudinger/Otte, § 1946 Rz. 4. Erman/M. Schmidt, § 2142 Rz. 3; MüKo.BGB/Grunsky, § 2142 Rz. 1. BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, FamRZ 1998, 103 = MDR 1998, 108 = ZEV 1998, 22; RG v. 9.11.1912 – IV 187/12, RGZ 80, 377 (382). BGH v. 8.10.1997 – IV ZR 236/96, FamRZ 1998, 103 = MDR 1998, 108 = ZEV 1998, 22; Behrendt, ZEV 1998, 67. Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 2; Gottwald, ZEV 2006, 293 (294). BayObLG v. 22.3.1968 – BReg. 1b Z 11/68, BayObLGZ 1968, 68 (74). BayObLG v. 22.3.1968 – BReg. 1b Z 11/68, BayObLGZ 1968, 68 (75). OLG München v. 10.9.1936 – Wx 208/36, DNotZ 1936, 64 (65). Diese Kenntnis würde z.B. durch eine Mitteilung gem. § 2262 BGB, § 348 Abs. 2, 3 FamFG vermittelt. OLG München v. 2.12.2010 – 31 Wx 67/10, FamRZ 2011, 678.

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2. Fristbeginn a) Kenntnis vom Anfall Frühestmöglicher Zeitpunkt zur Ausschlagung ist gem. § 1946 BGB der Zeitpunkt des Erbfalls. Eine zuvor erklärte Ausschlagung bleibt unwirksam. Dies ergibt sich schon daraus, dass die gem. § 1944 Abs. 2 BGB geforderte Kenntnis auch die Kenntnis vom Anfall der Erbschaft umfasst1. Kenntnis vom Anfall hat der Erbe dann, wenn er vom Tod des Erblassers erfährt und ihm die den Anfall herbeiführenden Umstände bekannt sind. Bei gesetzlicher Erbfolge ist dies dann der Fall, wenn er über die verwandtschaftlichen oder sonstigen familiären Beziehungen (positive Kenntnis), das Fehlen einer die gesetzliche Erbfolge ausschließenden Verfügung von Todes und das Nichtvorhandensein vorgehender Erben informiert ist2. Ergibt sich das Nichtvorhandensein vorgehender Erben erst aus deren Ausschlagung, muss die Kenntnis auch diese Ausschlagung umfassen3. Hinsichtlich des Fehlens einer letztwilligen Verfügung liegt Kenntnis vor, wenn dem Erben eine Verfügung von Todes wegen nicht bekannt ist und er auch keine begründete Vermutung hat, dass eine solche existiert4.

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Im Falle gewillkürter Erbfolge bestimmt § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB, dass die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen zu laufen beginnt. Die Eröffnung und Bekanntgabe als solche führen aber (selbst wenn in ihrem Zeitpunkt der Erbe über Anfall und Berufungsgrund Bescheid weiß) noch nicht den Fristanlauf herbei. Es ist vielmehr erforderlich, dass der Erbe von der Eröffnung und Bekanntgabe des Testaments Kenntnis erlangt5. Werden bei der Eröffnung eines gemeinschaftlichen Testaments nach dem Tod des Erstverstorbenen die Verfügungen des Überlebenden mit bekanntgegeben, weil diese untrennbar mit den übrigen Verfügungen verbunden sind, so ist damit i.S.d. § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB noch keine Bekanntgabe hinsichtlich der Verfügungen des Letztversterbenden erfolgt, da der Mitbekanntgabe im ersten Eröffnungstermin keine rechtliche, sondern nur eine tatsächliche Bedeutung zukommt6.

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b) Kenntnis vom Berufungsgrund Neben der Kenntnis vom Anfall der Erbschaft verlangt § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB auch Kenntnis vom Berufungsgrund7. Dabei kommt es auf die Person des Erben an; nur wenn der Erbe geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, hat man auf die Person des gesetzlichen Vertreters abzustellen (vgl. dazu 1 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 2. 2 Hier darf keine begründete Vermutung bestehen, OLG Rostock v. 14.9.2011 – 3 W 118/ 10, NJW-RR 2012, 1356; OLG Hamm v. 14.3.1969 – 15 W 419/68, OLGZ 1969, 288. 3 Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 7. 4 BayObLG v. 17.3.1953 – BReg. 2Z 180/52, NJW 1953, 1431 (1432); OLG Zweibrücken v. 23.2.2006 – 3 W 6/06, FamRZ 2006, 892 (893) = NJW-RR 2006, 1594 (1595) = Rpfleger 2006, 407 (407). 5 BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52; OLG Karlsruhe v. 13.12.1988 – 11 W 67/88, FamRZ 1989, 547 = MittRhNotK 1989, 118; a.A. Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 19. 6 RG v. 14.7.1932 – IV B 12/32, RGZ 137, 222 (229 f.); MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 16. So jetzt auch in § 349 Abs. 1 FamFG (Abs. 4 für Erbverträge). 7 Dazu BGH v. 5.7.2000 – IV ZR 180/99, MDR 2000, 1193 = FamRZ 2000, 1504 = ZEV 2000, 401. Muscheler

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 83 ff.)1. Dass auch die alleinige Kenntnis eines rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigten ausreicht, wird teilweise abgelehnt2. Es leuchtet aber nicht ein, warum z.B. die Kenntnis eines Bevollmächtigten, der gerade auch zur Besorgung erbschaftlicher Geschäfte – insbesondere für Annahme und Ausschlagung – bestellt worden ist, nicht genügen sollte3. Die Kenntnis vom Berufungsgrund ist deshalb erforderlich, weil dem Erben nicht nur klar sein soll, dass er etwas erbt, sondern auch, aufgrund welcher rechtlichen Umstände er etwas erbt4. Er muss wissen, ob er aufgrund gesetzlicher Erbfolge oder aufgrund einer Verfügung von Todes wegen Erbe ist, weil dies unterschiedliche rechtliche Auswirkungen haben kann5. 70

Hingegen ist umstritten, ob sich die Kenntnis des Erben auf eine bestimmte Verfügung beziehen muss, wenn es mehrere – z.T. auch unwirksame – Verfügungen gibt. Ansatzpunkt für diesen Streit ist der Begriff des Berufungsgrundes in § 1944 BGB. Teilweise wird angenommen, dass der Begriff ebenso zu verstehen sei wie in den anderen Vorschriften dieses Abschnitts, mit der Folge, dass Kenntnis über die konkrete Verfügung gefordert wird6. Aber auch diese Ansicht geht nicht soweit, dass der Erbe den genauen Inhalt der konkreten Verfügung kennen muss7. Glaubt der Erbe, er sei durch ein bestimmtes Testament berufen, ist diese Verfügung in Wirklichkeit aber unwirksam (und er durch eine andere, ihm unbekannte Verfügung berufen), so fehlt ihm auch in diesem Fall die erforderliche Kenntnis8. Unterliegt der Erbe demnach einem Tatsachen- oder Rechtsirrtum, schließt das seine Kenntnis aus9.

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Andere wollen den Begriff des Berufungsgrundes in § 1944 BGB weiter verstehen als z.B. in den §§ 1949, 1951 BGB. Sie lassen es genügen, wenn der Erbe überhaupt weiß, dass er gekorener Erbe ist10. Diese Ansicht schränkt die Entscheidungsbefugnis des Erben freilich zu sehr ein. Aufgrund des überwiegend personalen Charakters des Ausschlagungsrechts kann ein Verlust dieses Rechts (hier durch Fristablauf) nur dann in Betracht kommen, wenn dem Erben alle entscheidenden Umstände als Grundlage der Entscheidungsfindung bekannt sind. Es kann für ihn durchaus von Bedeutung sein, aufgrund welcher Verfügung er beru1 Auf die Kenntnis beider Eltern stellt ab OLG Frankfurt v. 3.7.2012 – 21 W 22/12, FamRZ 2013, 196; a.A. MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 14, der analog § 1629 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB die Kenntnis eines der Vertreter genügen lässt. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 14; Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 15; Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 6, der für die Unanwendbarkeit des § 166 BGB plädiert. Für eine analoge Anwendung des § 166 BGB OLG Celle v. 15.9.2009 – 6 W 117/09, FamRZ 2010, 836. 3 BayObLG v. 17.3.1953 – BReg. 2Z 180/52, NJW 1953, 1432; RGRK/Johannsen, § 1944 Rz. 12; Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 6; Erman/J. Schmidt, § 1944 Rz. 9; OLG Rostock v. 10.11.2009 – 3 W 53/08, FamRZ 2010, 1597 = RNotZ 2010, 474 (475); OLG Schleswig v. 19.9.2008 – 3 Wx 98/03, ZEV 2009, 296. 4 Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 8; MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 3. 5 BGH v. 5.7.2000 – IV ZR 180/99, MDR 2000, 1193 = FamRZ 2000, 1504 = ZEV 2000, 401. 6 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 4; Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 8, § 1949 Rz. 2; Walter, ZEV 2008, 319 (321). 7 Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 4. 8 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 4; Lange/Kuchinke, § 8 III 1b (S. 198). 9 BGH v. 5.7.2000 – IV ZR 180/99, MDR 2000, 1193 = FamRZ 2000, 1504 = ZEV 2000, 401. 10 Soergel/Stein, § 1944 Rz. 10; RGRK/Johannsen, § 1944 Rz. 4. 1168

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fen ist. Er muss somit richtigerweise Kenntnis von der konkreten Verfügung haben, auf der seine Erbenstellung beruht. Wird ein Rechtsstreit über die Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung geführt, so liegt die erforderliche Kenntnis mit der Rechtskraft der Entscheidung vor1; die gütliche Einigung der Beteiligten über die Wirksamkeit genügt aber ebenfalls. In einem solchen Fall ist es eindeutig, wann genau die notwendige Kenntnis vorliegt. In anderen Fällen bereitet die Bestimmung des Zeitpunktes Schwierigkeiten. Daher darf auch der Prüfungsmaßstab nicht ganz so rigide sein. Absolute Gewissheit ist nicht zu fordern, unbegründete Zweifel an der Erbenstellung genügen nicht, um die Kenntnis vom Berufungsgrund auszuschließen2. Bei der – wenngleich unzutreffenden – nicht per se abzuweisenden, mit vertretbaren Gründen versehenen Auffassung, nicht testamentarischer, sondern gesetzlicher Erbe zu sein, liegt keine zuverlässige Kenntnis des Berufungsgrundes i.S.d. § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB vor3. Den Fristablauf und somit den Wegfall des Ausschlagungsrechts hat derjenige zu beweisen, der sich auf die Verspätung der Ausschlagung beruft4. Je nach Fallgestaltung kann das der ausschlagende Erbe oder der Prozessgegner sein. Es kommt hinsichtlich der Beweislast darauf an, für wen der Wegfall des Ausschlagungsrechts im konkreten Fall günstig ist. Beruft sich der Gegner auf den Wegfall des Ausschlagungsrechts aufgrund Fristablaufs – behauptet er mithin die Annahme –, so ist er für die die Frist in Gang setzende Kenntnis vom Berufungsgrund beweispflichtig. Der Ausschlagende muss in diesem Fall lediglich die Existenz der Ausschlagungserklärung, deren Zeitpunkt sowie die Einhaltung der Form beweisen, nicht jedoch die Rechtzeitigkeit5.

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c) § 2306 Abs. 1 BGB Im Fall des § 2306 Abs. 1 BGB hängt der Beginn der Ausschlagungsfrist nicht nur von den Voraussetzungen des § 1944 BGB ab. Der pflichtteilsberechtigte Erbe muss hier zusätzlich Kenntnis davon haben, dass der hinterlassene Erbteil den in der Norm genannten Beschränkungen oder Beschwerungen unterworfen ist6, 1 KG v. 28.1.1908 – III. ZS, OLGE 16, 251 (252). 2 BayObLG v. 17.3.1953 – BReg. 2Z 180/52, NJW 1953, 1431; OLG Hamm v. 14.3.1969 – 15 W 419/68, OLGZ 1969, 288 (290); OLG Rostock v. 14.9.2011 – 3 W 118/10, NJW-RR 2012, 1356. 3 OLG München v. 28.8.2006 – 31 Wx 45/06, ZEV 2006, 554 (555) = ZErb 2006, 385 (386) = Rpfleger 2007, 28 (29). Ein gemeinschaftliches Testament enthielt im konkreten Fall nur eine durch Auslegung zu ermittelnde Schlusserbeneinsetzung nach Versterben des länger lebenden Ehegatten. Der so eingesetzte Miterbe hielt sich jedoch für den gesetzlichen Alleinerben des letztverstorbenen Ehegatten. 4 Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 8. 5 BGH v. 5.7.2000 – IV ZR 180/99, MDR 2000, 1193 = FamRZ 2000, 1504 = ZEV 2000, 401 (402); Staudinger/Otte, § 1944 Rz. 30. 6 Vor der Änderung des § 2306 Abs. 1 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Erbund Verjährungsrechts v. 24.9.2009 (BGBl I, S. 3142) kam die Ausschlagung gem. § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB nur in Betracht, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils überstieg (s. Rz. 29 ff.). Dementsprechend hing der Beginn der Ausschlagunsfrist zusätzlich von der Kenntnis der Beteiligungshöhe am Nachlass ab. Nunmehr ist nicht mehr erforderlich die Kenntnis des konkreten Nachlasswertes (OLG Stuttgart v. 29.1.2009 – 19 U 150/08, FamRZ 2009, 1182) oder des Erbteilswertes (Palandt/Weidlich, § 2306 Rz. 6; krit. MüKo.BGB/Lange, § 2306 Rz. 4). Muscheler

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da nur dann eine (pflichtteilserhaltende) Ausschlagung überhaupt in Betracht kommt1. Hat im Rahmen einer Zugewinngemeinschaft der überlebende Ehegatte die „Wahl“ zwischen erb- und güterrechtlicher Lösung, so stehen die Pflichtteilsbruchteile der Abkömmlinge oder Eltern erst fest, wenn der überlebende Ehegatte sein Wahlrecht ausgeübt hat oder die für ihn laufende Ausschlagungsfrist abgelaufen ist2. Erst danach beginnen die Ausschlagungsfristen der Pflichtteilsberechtigten zu laufen. d) Fristberechnung 73

Die Frist berechnet sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 186 ff. BGB. Gem. § 1944 Abs. 2 S. 3 BGB finden die §§ 206, 210 BGB entsprechende Anwendung. Der Tod des Erben ist kein Fall höherer Gewalt i.S.d. § 206 BGB, der zur Hemmung der Frist führen würde. Hier greift vielmehr die Sonderregelung des § 1952 Abs. 2 BGB ein. Diese Norm verlängert die Ausschlagungsfrist hinsichtlich des ersten Erbfalls derart, dass diese mindestens so lange dauert wie diejenige für den Zweitnachlass3. Jedoch müssen die Voraussetzungen des § 1944 BGB, also Kenntnis von Anfall und Berufungsgrund, nicht auch beim Enderben gegeben sein; auch ohne dessen Kenntnis läuft die Ausschlagungsfrist hinsichtlich des Erstnachlasses weiter ab.

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Ein Fall höherer Gewalt liegt vor, wenn die gem. §§ 1643 Abs. 2, 1822 Nr. 2 (ggf. i.V.m. § 1908i Abs. 1 S. 1) BGB erforderliche Genehmigung durch das Familienbzw. Betreuungsgericht (vgl. Rz. 83 ff.) nicht innerhalb der Ausschlagungsfrist erteilt wird4. Der gesetzliche Vertreter muss jedoch den Antrag noch innerhalb der Ausschlagungsfrist stellen, wobei er sich freilich nicht so zu beeilen braucht, dass die Genehmigung noch rechtzeitig erteilt werden kann5. Eine solche Forderung würde die ohnehin schon knappe Bedenkzeit weiter verkürzen. Der Ablauf der Ausschlagungsfrist wird bis zur Erteilung der Genehmigung gehemmt. Nach der Erteilung der Genehmigung läuft die Frist weiter. Hierbei ist zu beachten, dass die Frist nicht etwa um die Zeit verlängert wird, die notwendig ist, um die Genehmigung dem Nachlassgericht zu übermitteln6.

VI. Inhalt der Ausschlagungserklärung 1. Die Ausschlagungserklärung 75

Die Ausschlagungserklärung ist nicht an den Gebrauch bestimmter Worte oder Begriffe gebunden. Es muss sich aus der Erklärung nur unzweideutig ergeben, 1 Palandt/Weidlich, § 2306 Rz. 6; MüKo.BGB/Lange, § 2306 Rz. 19 ff.; Gottwald, ZEV 2006, 293 (294). Die Verjährungsfrist des Pflichtteilsanspruchs läuft unabhängig von der Ausschlagung, § 2332 Abs. 2 BGB; s. de Leve, ZEV 2010, 184. 2 Nieder, Rz. 89. 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 8. 4 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 153/65, OLGZ 1966, 337; BayObLG v. 13.1.1983 – BReg.1 Z 27/82, FamRZ 1983, 834 = BayObLGZ 1983, 9 (13); Gottwald, ZEV 2006, 293 (294); OLG Saarbrücken v. 17.2.2011 – 5 W 245/10, Rpfleger 2011, 607; a.A. Gernhuber/Coester-Waltjen, § 60 Rz. 49. 5 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 23; a.A. RGRK/Johannsen, § 1944 Rz. 20. 6 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 153/65, OLGZ 1966, 337. 1170

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dass der Erbe die Erbschaft nicht annehmen will1. Ob in einer dem Nachlassgericht gegenüber abgegebenen Erklärung eine Ausschlagung gesehen werden kann, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln2. So kann z.B. in der Anerkennung des Erbrechts einer anderen Person regelmäßig nicht eine Ausschlagungserklärung gesehen werden. Darin kommt vielmehr die Unkenntnis des Erben über die Tatsache zum Ausdruck, dass er Erbe ist3. Wenn ein Ausschlagungswilliger das Wort „anfechten“ gebraucht, reicht dies für die Ausschlagung aus, da er dem Gericht gegenüber hinreichend klar erklärt, nicht Erbe sein zu wollen4. Im Hinblick auf die Tragweite einer solchen Erklärung sollte jedoch bei unklarer Wortwahl Zurückhaltung gewahrt werden bei der Annahme einer Ausschlagungserklärung. Angesichts der einzuhaltenden Form und der damit einhergehenden Beratung kann man nämlich regelmäßig davon ausgehen, dass eine Ausschlagung in eindeutiger Weise erklärt wird5. Die Frage, ob dem Erben seine Erbenstellung wenigstens als Möglichkeit bekannt sein muss6, ist wohl eher theoretischer Natur. Ohne eine solche Kenntnis hätte er kaum Anlass, die Ausschlagung zu erklären. Neben der Prüfung, ob überhaupt eine Ausschlagung erklärt wurde, stellt sich die Frage nach der Reichweite einer solchen Erklärung. Hier gibt § 1949 Abs. 2 BGB eine Auslegungsregel. Danach erstreckt sich die Ausschlagung im Zweifel auf alle bekannten Berufungsgründe. Schlägt der Erbe (ausdrücklich oder konkludent) nur aus einem bestimmten Berufungsgrund aus, bleibt die Annahme aus einem anderen Grund möglich (vgl. zu den Besonderheiten bei gemeinschaftlichen Testamenten Rz. 25 f.). Ist ein Berufungsgrund vollständig unbekannt, liegt kein Fall des § 1949 Abs. 2 BGB vor7. Soweit dem Erben der Berufungsgrund gleichgültig war, ist die Ausschlagung wirksam, auch wenn er einen Berufungsgrund nicht kannte8. Ob eine solche, durch Gleichgültigkeit des Berufungsgrundes geprägte Ausschlagung sich auch auf künftig eintretende Berufungsgründe erstreckt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln9. Die Vorschrift erfasst nach freilich bestrittener Auffassung nicht nur parallel vorliegende Berufungsgründe, sondern gerade auch sukzessive Berufungsgründe, die sich z.B. infolge der eigenen Ausschlagung ergeben10. Jedoch muss dieser sukzessive Berufungsgrund im Zeitpunkt der Ausschlagung sicher gegeben sein. Ist die weitere Berufung dagegen von zukünftigen unsicheren Ereignissen – namentlich von Entscheidungen Dritter – abhängig, greift § 1949 Abs. 2 BGB nicht ein. Aller1 BayObLG v. 31.1.1967 – BReg. 1a Z 79/66, BayObLGZ 1967, 33 (37). 2 Über die Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung darf das Nachlassgericht nur im Erbscheinsverfahren entscheiden; die von einer wirksamen Ausschlagung Profitierenden sind durch das Nachlassgericht zu informieren, auch wenn es die Ausschlagungserklärung für unwirksam, insbesondere verfristet hält, OLG München v. 25.2.2010 – 31 Wx 20/10, FamRZ 2010, 1112 = FGPrax 2010, 138 – gegen diese Entscheidung drängt sich ein Hinweis auf § 26 FamFG auf, so auch Lehmann/Schulz, ZEV 2011, 23. 3 BayObLG v. 31.1.1967 – BReg. 1a Z 79/66, BayObLGZ 1967, 33 (37); MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 3. 4 OLG Dresden v. 19.10.1916 – 4. ZS, OLGE 35, 178. 5 MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 4. 6 Vgl. dazu Staudinger/Otte, § 1945 Rz. 2. 7 Staudinger/Otte, § 1949 Rz. 10. 8 OLG Hamm v.17.2.2011 – I-15 W 167/10, FamRZ 2011, 1426 = FGPrax 2011, 184. 9 BVerwG v. 14.4.2010 – 8 B 88/09, FamRZ 2010, 1250. 10 MüKo.BGB/Leipold, § 1949 Rz. 9; RGRK/Johannsen, § 1949 Rz. 13; a.A. Staudinger/Otte, § 1949 Rz. 12; Soergel/Stein, § 1949 Rz. 8. Muscheler

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dings kann der Erbe vorsorglich auch für solche Fälle die Ausschlagung aus jedem möglichen Berufungsgrund erklären. 2. Bedingte Ausschlagung 77

Gem. § 1947 BGB können Ausschlagung und Annahme nicht unter einer Bedingung oder Befristung erfolgen. Die Beifügung einer Bedingung oder Befristung macht die Erklärung (Ausschlagung oder Annahme) unwirksam; ein argumentum e contrario aus § 1950 S. 2 BGB wäre fehl am Platz. Der Verkehr verlangt gerade im Erbrecht nach möglichst klarer und definitiver Rechtslage. Jedoch sind von § 1947 BGB nur solche Erklärungszusätze erfasst, die die Wirkung der Erklärung von einem ungewissen künftigen Ereignis abhängig machen. Im Gegensatz zu solchen rechtsgeschäftlichen Bedingungen im echten Sinne sind Rechtsbedingungen unbedenklich1. Wird die Ausschlagung also von der – zum Zeitpunkt der Ausschlagung schon sicheren, aber noch nicht endgültig bekannten – Rechtslage abhängig gemacht, liegt kein Fall des § 1947 BGB vor. Jedoch muss das Vorliegen der mit der Wirksamkeit der Ausschlagung verbundenen Rechtslage sicher sein und darf nicht seinerseits von ungewissen Umständen – z.B. der Ausschlagung eines anderen – abhängen.

77a

Die Wirkung einer der Ausschlagung beigefügten Rechtsbedingung ist streitig. Teilweise wird jeglicher Einfluss einer Rechtsbedingung auf die Wirksamkeit der Ausschlagung verneint2. Richtigerweise muss jedoch eine Wirksamkeitsabhängigkeit der Ausschlagung von einer bestimmten Rechtslage möglich sein, da § 1947 BGB nur echte Bedingungen für unzulässig erklärt3. Beispiel:4 Der Erblasser hatte seine Frau als Vorerbin und seinen kinderlosen Sohn als Nacherben eingesetzt. Bei Versterben des Sohnes vor Eintritt des Nacherbfalles sollten verschiedene Organisationen Ersatznacherben werden. Der Sohn schlug zu Lebzeiten der Mutter die Nacherbschaft aus, damit die Erbschaft seiner Mutter als Vollerbin zufalle.

77b

In diesem Fall nahm das LG München5 Wirksamkeit der Ausschlagung an, da keine Bedingung i.S.d. § 1947 BGB gegeben sei. Nur die Verknüpfung der Erklärung mit einem künftigen, ungewissen Umstand stelle eine durch § 1947 BGB verbotene Bedingung dar. Die erbrechtliche Situation sei nicht ungewiss, sondern im Zeitpunkt der Ausschlagung sei schon klar gewesen, dass die Mutter infolge der Ausschlagung nicht Vollerbin werde, sondern weiterhin Vorerbin blei1 Staudinger/Otte, § 1947 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 1947 Rz. 1; a.A. Specks, ZEV 2007, 356 (359 f.), der § 1947 BGB generell auf Gegenwarts- und Vergangenheitsbedingungen analog anwenden will: Andernfalls sei das mit der Bedingungsfeindlichkeit verbundene Ziel, schnell Rechtssicherheit zu erreichen, gefährdet, da auch Gegenwarts- und Vergangenheitsbedingungen im Einzelfall erheblichen Klärungsaufwand erfordern könnten. 2 LG München I v. 12.7.1999 – 16 T 9048/99, FamRZ 2000, 1328 = NJWE-FER 2000, 184 (185). 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1947 Rz. 3. 4 LG München I v. 12.7.1999 – 16 T 9048/99, FamRZ 2000, 1328 = NJWE-FER 2000, 184. 5 LG München I v. 12.7.1999 – 16 T 9048/99, FamRZ 2000, 1328 = NJWE-FER 2000, 184 (185). 1172

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be, da die Ersatznacherben an die Stelle des Sohnes rückten. Daher liege nur eine subjektive Ungewissheit vor, die aber nicht mit der Erklärung derart verbunden werden könne, dass bei einem Irrtum die Ausschlagung unwirksam sei. Das Gericht verkennt hier jedoch die Reichweite des § 1947 BGB, der nur die Abhängigkeit der Ausschlagung von ungewissen zukünftigen Ereignissen verhindern will. Dass die Ausschlagung nicht zur Vollerbenstellung der Mutter führen konnte, war nicht ungewiss, sondern sicher. Daher lag eine an sich wirksame Erklärung vor, die aber wegen Nichtvorliegens der Rechtsbedingung keine Ausschlagungswirkung entfaltete. Zumindest aber musste man im konkreten Fall das Vorliegen einer (stillschweigenden) echten Bedingung i.S.d. § 1947 BGB prüfen, durch die die Ausschlagung des Sohnes in Abhängigkeit von möglichen Ausschlagungen der ersatzweise berufenen Organisationen gebracht wurde. Darüber hinaus hätte das Gericht untersuchen müssen, ob in der Erklärung nicht gegebenenfalls eine Übertragung des dem Nacherben zustehenden Anwartschaftsrechts auf die Mutter gesehen werden konnte. Im Übrigen käme auch die Ansicht, die § 1947 BGB analog auf Rechtsbedingungen anwenden will1, im konkreten Fall zur Unwirksamkeit der Ausschlagung, also zu einem der Entscheidung des LG München diametral entgegengesetzten Ergebnis. Unabhängig vom konkreten Beispielsfall ist Folgendes zu sagen: Es kommt in der Praxis sehr oft vor, dass die Ausschlagung zugunsten einer bestimmten Person erklärt wird. Solche Zusätze will der Ausschlagende oftmals gar nicht im Sinne einer Bedingung verstanden wissen. Bei der Auslegung seiner Erklärung sollte daher Zurückhaltung geübt werden. Es ist zu unterscheiden, ob der Dritte Nächstberufener gem. § 1953 Abs. 2 BGB ist oder nicht. Erfolgt die Ausschlagung zugunsten desjenigen, der auch nach dem Gesetz als Nächster berufen ist, so hat man in der vermeintlichen Bedingung regelmäßig einen bedeutungslosen und unschädlichen Zusatz zur Ausschlagungserklärung zu sehen2. Die Möglichkeit, dass der Ausschlagungsbegünstigte die Erbschaft ausschlagen könnte, soll in solchen Fällen wohl kaum zur Bedingung erhoben werden. Soll die Ausschlagung dazu führen, dass nur eine bestimmte Person (alleine) begünstigt wird, obwohl tatsächlich eine Mehrheit von Erben berufen ist, so ist der Erklärungszusatz nicht bedeutungslos3. Eine solche Ausschlagung ist gem. § 1947 BGB unwirksam. Der Eintritt des Erklärungszusatzes hängt hier nämlich davon ab, ob mögliche Miterben die Erbschaft ihrerseits ausschlagen oder nicht, und das ist nun einmal ein zukünftiges ungewisses Ereignis. Gehört der Begünstigte nicht zum Kreis der Nächstberufenen, so ist die Ausschlagung zwar nicht nach § 1947 BGB ungültig, wohl aber wegen nicht erfüllter (zulässiger) Rechtsbedingung wirkungslos4; man kann in der Erklärung aber je nach den Umständen auch die Annahme der Erbschaft mit einem gleichzeitigen Angebot, sie dem Dritten zu veräußern (§§ 2371, 2033, 2385 BGB), erblicken5. 1 Specks, ZEV 2007, 356 (359 f.). 2 OLG Bamberg v. 15.11.1902 – I. ZS., OLGE 6, 171; KG v. 12.12.1907 – 1. X 1438/07, KGJ 35 A 63 (A 64). Es liegt eine Gegenwartsbedingung vor, so auch Muscheler, Rz. 2974; Muscheler, FS Bengel/Reimann, S. 249 m. N.; Frohn, Rpfleger 1982, 56 (57). 3 OLG Bamberg v. 15.11.1902 – I. ZS., OLGE 6, 171; Staudinger/Otte, § 1947 Rz. 7; a.A. anscheinend LG München I v. 12.7.1999 – 16 T 9048/99, FamRZ 2000, 1328 = NJWE-FER 2000, 184 (185). 4 Vgl. KG v. 11.1.1909 – I. ZS., OLGE 24, 99 (100). 5 KG v. 12.12.1907 – 1. X 1438/07, KGJ 35 A 63 (A 64); MüKo.BGB/Leipold, § 1947 Rz. 7. Muscheler

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Beratungshinweis: Die Abgrenzung von unzulässiger Bedingung und zulässiger Rechtsbedingung sowie die Beurteilung der Wirkung einer Rechtsbedingung ist in Rechtsprechung und Literatur unsicher. Soweit eine echte Bedingung vorliegt, führt die Ausschlagung selbst bei Bedingungseintritt nicht zum Erfolg, da die Ausschlagung grundsätzlich unwirksam ist. Der Einsatz von Rechtsbedingungen ist ebenfalls nicht uneingeschränkt empfehlenswert, da keine klare Linie hinsichtlich der Behandlung und Zulässigkeit einer solchen Bedingung erkennbar ist; sie sollte nur nach sorgfältiger Überlegung in Betracht gezogen und das mit ihr Bezweckte sollte ausdrücklich festgehalten werden. 78

Wird die Ausschlagung von einem bestimmten Berufungsgrund abhängig gemacht, liegt darin keine gem. § 1947 BGB unzulässige Bedingung1. Auch hierbei handelt es sich um eine sog. Gegenwartsbedingung, da das Vorliegen des zur Bedingung erhobenen Umstandes nur subjektiv zweifelhaft, objektiv aber gewiss ist2. Beispiele:

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Echte Bedingung

Reine Rechtsbedingung

– Ausschlagung unter der Bedingung, dass die Erbschaftsteuer nicht erlassen wird – Ausschlagung für den Fall der künftigen Überschuldung des Nachlasses – Ausschlagung zugunsten einer Person, die nicht alleiniger Nächstberufener ist – Ausschlagung eines Elternteils für sich und die Kinder in der Erwartung, der andere Elternteil werde sich der Ausschlagung für die Kinder anschließen3

– Tod des Erblassers – Ausschlagung für den Fall des Anfalls der Erbschaft an den Ausschlagenden – Ausschlagung zugunsten einer Person, die Nächstberufener nach § 1953 Abs. 2 BGB ist – Ausschlagung nur im Falle eines bestimmten Berufungsgrundes

Probleme bereitet auch die Behandlung der Ausschlagung unter Vorbehalt des Pflichtteils. Unter Hinweis darauf, dass die Erklärung auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet sei – der Pflichtteilsanspruch setzt gem. § 2303 BGB voraus, dass der Berechtigte durch „Verfügung von Todes wegen“ von der Erbfolge ausgeschlossen ist –, wird z.T. die Unwirksamkeit der Ausschlagung angenommen4. Die Gegenansicht hält eine Ausschlagung, die in der Hoffnung auf Pflichtteilsansprüche erklärt wird, für wirksam, wenn der Erhalt des Pflichtteils nicht 1 2 3 4

Palandt/Weidlich, § 1947 Rz. 1. Erman/J. Schmidt, § 1947 Rz. 3; MüKo.BGB/Leipold, § 1947 Rz. 3. BayObLG v. 14.6.1977 – BReg. 1Z 17/77, BayObLGZ 1977, 163. Staudinger/Otte, § 1950 Rz. 6; RGRK/Johannsen, § 1950 Rz. 1; a.A. Specks, ZEV 2007, 356 (360), der den Pflichtteilsvorbehalt bei § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB als eine analog § 1947 BGB unzulässige Gegenwartsbedingung qualifiziert. Die Diskussion hat mit der Änderung des § 2306 BGB (s. Rz. 29 ff.) an Bedeutung verloren, da der Erbe im Falle einer beschränkten oder belasteten Erbschaft nunmehr unabhängig von seiner Erbquote stets ausschlagen muss, um den Pflichtteil verlangen zu können, und nach erfolgter Ausschlagung anders als bei § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB in jedem Fall den Pflichtteil erhält. So auch Keim, ZEV 2008, 161 (163).

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mehr als ein unbedeutendes Motiv darstellte; für (wegen Nichteintritts einer an sich zulässigen Rechtsbedingung) wirkungslos, wenn der Wille erkennbar war, die Wirksamkeit der Ausschlagung vom Entstehen eines Pflichtteilsanspruchs abhängig zu machen1. Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu2. In der Rechtsprechung wird ein Motivirrtum als zulässiger Anfechtungsgrund betrachtet3. 3. Teilausschlagung Die Vorschrift des § 1950 S. 2 BGB erklärt Annahme und Ausschlagung eines Teils der Erbschaft für unwirksam. Der Erbe kann durch die Ausschlagung weder Einfluss nehmen auf die Quote seiner Beteiligung noch auf den Erhalt einzelner Gegenstände4. Es gilt zu beachten, dass der gesetzliche Erbteil des Ehegatten aus § 1931 Abs. 1 BGB und der Erhöhungserbteil gem. § 1371 BGB einen einheitlichen Erbteil darstellen5.

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Nur soweit der Erbe zu mehreren, auf verschiedenen Berufungsgründen beruhenden Erbteilen berufen ist, kann er gem. § 1951 Abs. 1 BGB für jeden Erbteil gesondert die Ausschlagung erklären. Abgesehen davon wäre die einzige Möglichkeit, eine Teilausschlagung jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht zu erreichen, die Ausschlagung gegen Abfindung6. Eine Sonderregelung hält § 1951 Abs. 2 S. 2 BGB bereit, indem er klarstellt, wann mehrere Berufungsgründe vorliegen, wenn es mehrere Verfügungen von Todes wegen gibt. Mehrere Berufungsgründe liegen vor, wenn ein Erbteil aus Testament und der andere aus Erbvertrag stammt oder wenn die Erbteile auf mehreren Erbverträgen mit verschiedenen Personen beruhen. Ein einheitlicher Berufungsgrund liegt dagegen vor, wenn die Erbteile entweder aus mehreren Testamenten stammen oder aus Erbverträgen mit jeweils derselben Person; diese gesetzliche Festlegung kann der Erblasser jedoch gem. § 1951 Abs. 3 BGB durch Gestattung der isolierten Ausschlagung eines jeden Erbteils außer Kraft setzen. Zu einer Berufung zu mehreren Erbteilen (aus verschiedenen Berufungsgründen) kann es ferner kommen, wenn ein Teil durch Verfügung von Todes wegen, ein weiterer Teil aufgrund gesetzlicher Erbfolge anfällt oder wenn ein Berufener mehrfacher gesetzlicher Erbe wird, sei es aufgrund mehrfacher Verwandtschaft oder wegen des Zusammentreffens von Verwandtschaft und Ehegatteneigenschaft.

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Eine Ausnahme von der Regelung des § 1950 BGB findet sich auch in § 11 S. 1 HöfeO. Danach kann der Erbe den Anfall des Hofes ausschlagen, ohne zugleich die Erbschaft in das übrige Vermögen ausschlagen zu müssen. Diese Abweichung erklärt sich daraus, dass der Gesamtnachlass in diesem Fall verschiedenen Rechts-

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1 MüKo.BGB/Leipold, § 1950 Rz. 5. 2 Soergel/Stein, § 1950 Rz. 1; Palandt/Weidlich, § 1950 Rz. 1; Keim, ZErb 2006, 382 (383); Bestelmeyer, Rpfleger 2006, 526 (527). Auch das BayObLG v. 14.12.2004 – 1Z BR 65/04, BayObLGZ 2004, 364 (368) = FamRZ 2005, 1127 (1128) = Rpfleger 2005, 315 (316) erwägt (ohne sich im zu entscheidenden Fall festzulegen), den Pflichtteilsvorbehalt als nicht unter § 1947 BGB fallenden, zulässigen rechtlichen Vorbehalt einer Ausschlagung anzusehen. 3 OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, MDR 1981, 1017 = FamRZ 1981, 1202. 4 OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, MDR 1981, 1017 = FamRZ 1981, 1202; MüKo. BGB/Leipold, § 1950 Rz. 1. 5 H.M. Staudinger/Otte, § 1950 Rz. 4 m.w.N. 6 Hannes, ZEV 1996, 10 (13). Muscheler

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C II

Rz. 81a

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

regeln unterworfen ist: Der Hof wird nach HöfeO, das Restvermögen nach BGB vererbt1. Aus diesem Grundsatz der Vermögensspaltung soll sich nach einem Teil der Literatur auch ergeben, dass der Erbe unter Ausschlagung des sonstigen Nachlasses die Erbschaft in den Hof annehmen kann2. Jedoch wird unter Hinweis auf § 4 S. 1 HöfeO, der den Hof zu einem Teil der Erbschaft insgesamt erklärt, überwiegend das Gegenteil gelehrt3. Für diese Ansicht sprechen Sinn und Zweck der HöfeO, nämlich der Bestandsschutz bezüglich des Hofes. In dem in Rede stehenden Fall wird der Hof eben nicht einem Erben aufgedrängt, der ihn gar nicht will. 81a

Von der Teilausschlagung sind solche Sachverhalte zu unterscheiden, bei denen die Ausschlagung verschiedener Nachlässe in Frage kommt. Im Fall der international privatrechtlichen Nachlassspaltung ist jeder Teil, dessen Schicksal sich nach einer anderen Rechtsordnung richtet, als selbstständiger Nachlass zu behandeln4, so dass jeder dieser Teile unabhängig von den anderen ausgeschlagen werden kann. (Näheres zur Nachlassspaltung s. Teil F) Dies gilt auch im Falle einer deutsch-deutschen Erbschaft. Art. 235 § 1 EGBGB erklärt als intertemporale Kollisionsnorm bei vor dem 3.10.1990 gestorbenen Erblassern das jeweils bisher geltende Recht für anwendbar. Berücksichtigt werden muss die Nachlassspaltung auch und gerade bei der Anfechtung der Ausschlagung wegen Irrtums5.

81b

Übersicht „mehrere Erbteile aus verschiedenen Berufungsgründen“: – Mehrere gesetzliche Erbteile aufgrund der Bestimmungen der §§ 1927, 1934 BGB6. – Erbenstellung beruht teilweise auf Gesetz, teilweise auf Verfügung von Todes wegen. – Ein Erbteil stammt aus Testament, ein anderer aus Erbvertrag. – Mehrere Erbteile stammen aus mehreren Erbverträgen mit jeweils unterschiedlichen Personen. – Nachlass enthält einen Hof gem. HöfeO (beachte aber den Sonderfall einer isolierten Annahme des Hofes). 4. Umfang der Ausschlagung

Beratungssituation: Der Erblasser war hoch verschuldet. An der Erbschaft hat kein Familienmitglied Interesse. Der Mandant möchte wissen, ob er die Ausschlagung für sämtliche Verwandte erklären kann. 1 MüKo.BGB/Leipold, § 1950 Rz. 9. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1950 Rz. 9. 3 Staudinger/Otte, § 1951 Rz. 4; RGRK/Johannsen, § 1951 Rz. 3; Soergel/Stein, § 1950 Rz. 3. 4 BGH v. 5.6.1957 – IV ZR 16/57, BGHZ 24, 352 (355). Vgl. auch Ivo, NJW 2003, 185 (185). Im Anwendungsbereich der EuErbVO kann es in den nach dem 16.8.2015 eintretenden Erbfällen zu keiner Nachlassspaltung mehr kommen; vgl. dazu Jünemann, ZEV 2013, 353 (360) m.w.N. 5 Näheres bei Ivo, NJW 2003, 185 ff.; dazu auch BayObLG v. 5.7.2002 – 1Z BR 45/01, FamRZ 2003, 121 = NJW 2003, 216 ff. 6 Soergel/Stein, § 1951 Rz. 5; MüKo.BGB/Leipold, § 1951 Rz. 5 ff.; Palandt/Weidlich, § 1951 Rz. 2; Staudinger/Otte, § 1951 Rz. 11. 1176

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Muscheler

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 83

C II

Die Ausschlagungserklärung führt nur zum Wegfall der ausschlagenden Person. Sie führt dagegen nicht dazu, dass der gesamte Stamm wegfällt, wie dies bei einem Erbverzicht eines Abkömmlings gem. § 2349 BGB der Fall wäre; sie hat lediglich Einzelwirkung. Auch wenn es bei eindeutig überschuldeten Nachlässen oft dem praktischen Bedürfnis entsprechen würde, dass eine umfassende Wirkung erzielt werden könnte, ist die singuläre Wirkung eindeutige Gesetzeslage. Soweit ein Fall gesetzlicher Stellvertretung vorliegt (vgl. Rz. 83 ff.), ist Ausschlagung für einen anderen möglich. Selbstverständlich ist rechtsgeschäftliche Stellvertretung ebenfalls möglich1. Dabei muss aber das Formerfordernis des § 1945 Abs. 3 BGB für die Vollmacht beachtet werden2.

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VII. Gesetzliche Stellvertretung 1. Der minderjährige Erbe Im Falle gesetzlicher Stellvertretung eines Minderjährigen – sei es im Rahmen einer Vormundschaft, einer Pflegschaft oder der elterlichen Sorge – ist zur Ausschlagung grundsätzlich die familiengerichtliche3 Genehmigung erforderlich (§§ 1643 Abs. 2 S. 1, 1822 Nr. 2, 1915 BGB)4. Die gem. § 1643 Abs. 2 BGB erteilte familiengerichtliche Genehmigung zur Ausschlagung einer Erbschaft des minderjährigen Kindes erstreckt sich zugleich auf eine erforderlich werdende Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist gem. § 1956 BGB hinsichtlich derselben Erbschaft5. Gegen die Erteilung der familiengerichtlichen Genehmigung zur Erbausschlagung ist ein Rechtsmittel mangels Beschwer grundsätzlich unzulässig – der Sorgerechtsinhaber kann von der Genehmigung Gebrauch machen oder auch davon absehen, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass eine Ausschlagung der Erbschaft nicht mehr dem Kindeswohl entspricht6. Würde die Erbschaft infolge der vom gesetzlichen Vertreter erklärten Ausschlagung diesem selbst zufallen, so scheitert die Ausschlagung nicht an §§ 181, 1795 Abs. 2, 1629 Abs. 2 S. 1 BGB. Die notwendige familiengerichtliche Genehmigung sorgt dafür, dass die Kindesinteressen ausreichend berücksichtigt werden7. Zur Wahrnehmung der Verfahrensrechte eines minderjährigen Kindes in einem Erbausschlagungsverfahren – vor allem für die Entgegennahme der Zustellung einer familienrechtlichen Genehmigung der Erbausschlagung – forderten viele Oberlandesgerichte die Bestellung eines Ergänzungspflegers unabhängig vom Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes i.S.v. §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 1 A.A. (zumindest für eine transmortale Vorsorgevollmacht) OLG Zweibrücken v. 13.11. 2007 – 3 W 198/07, FamRZ 2008, 646 = ZEV 2008, 194 (194) = ZErb 2008, 88 (89). 2 Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (198). 3 Durch das KindRG sind seit dem 1.7.1998 sämtliche Angelegenheiten im Zusammenhang mit der elterlichen Sorge dem Familiengericht zugewiesen, vgl. § 1643 Abs. 1 BGB. 4 Dies übersehend: Niedersächsisches FG v. 8.9.2004 – 3 V 359/04, ZEV 2005, 131 (132). 5 OLG Celle v. 14.1.2013 – 10 UF 291/12, FamRZ 2013, 1333 = ZEV 2013, 201. 6 OLG Koblenz v. 17.1.2014 – 13 WF 1135/13, FamRZ 2014, 1037 = MDR 2014, 841 = ZEV 2014, 249. Das Gericht stellt klar, dass die familiengerichtliche Genehmigung keinem Diktat gleicht, das die gesetzlichen Vertreter zur Ausschlagung verpflichtet. 7 BayObLG v. 5.8.1983 – BReg. 1Z 25/83, FamRZ 1984, 200 = BayObLGZ 1983, 213 (220 ff.); Palandt/Weidlich, § 1945 Rz. 5; a.A. Buchholz, NJW 1993, 1161 (1166). Muscheler

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C II

Rz. 83a

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

BGB, da die gesetzlichen Vertreter gem. § 41 Abs. 3 FamFG verhindert seien1. Demgegenüber bedarf es nach OLG Zweibrücken2 im Anschluss an den BGH3 bei Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen den Eltern und den Kindern dann keiner Bestellung eines Ergänzungspflegers, wenn sie durch die Bestellung eines Verfahrensbeistandes ersetzt werden kann. Das OLG Brandenburg4 hingegen fordert für die Bestellung eines Ergänzungspflegers erhebliche Interessengegensätze, die erwarten lassen, dass der sorgeberechtigte Elternteil nicht im Interese des Kindes handeln kann; die Interessengegensätze dürfen nicht vermutet, sondern müssen im Einzelfall konkret festgestellt werden. 83a

Der BGH5 hat sich dem OLG Brandenburg angeschlossen: Zur Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses i.S.v. § 41 Abs. 3 FamFG ist dem minderjährigen Kind nur dann ein Ergänzungspfleger zu bestellen, wenn die Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB festgestellt sind.

83b

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts in Kindschaftssachen hinsichtlich der Genehmigung einer Erbausschlagung kommt nur dann in Betracht, wenn eine schwierige Sach- und Rechtslage dies erforderlich erscheinen lässt – erforderlich ist eine Vertretung dann nicht, wenn (1) der Nachlass evident überschuldet ist und (2) das Nachlassgericht auf eine etwaige erforderliche familiengerichtliche Genehmigung hingewiesen hat6.

83c

Für die Eltern gewährt § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB eine praktisch wichtige Privilegierung. Danach entfällt die Genehmigungspflicht, wenn die Erbschaft dem Kind erst infolge der Ausschlagung eines Elternteils anfällt. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Erbschaft für das Kind in der Regel unvorteilhaft ist, wenn schon die Eltern kein Interesse an ihr haben. Folgerichtig gilt die Ausnahme nur dann, wenn die Eltern nach ihrer Ausschlagung nicht noch weiterhin aus einem anderen Berufungsgrund neben dem Kind erben7 (vgl. dazu auch das nachfolgende Beispiel). Die Privilegierung des § 1643 Abs. 2 BGB gilt auch bei Ausschlagung eines Elternteils als Vorerbe und Ausschlagung der Eltern für die Kinder, die als Nacherben vorgesehen sind8, auch wenn der Nachlass werthaltig 1 KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, MDR 2010, 815 = Rpfleger 2010, 422; OLG Köln v. 10.8. 2010 – 4 UF 127/10, FamRZ 2011, 231; OLG Celle v. 4.5.2011 – 10 UF 78/11, Rpfleger 2011, 436 (der BGH hat die Beschwerde des Jugendamtes gegen die Anordnung der Ergänzungspflegschaft als unzulässig verworfen, BGH v. 23.11.2011 – XII ZB 293/11, MDR 2012, 301 = NJW 2012, 685); OLG Köln v. 4.7.2011 – 21 UF 105/11, FamRZ 2012, 579; OLG Brandenburg v. 23.1.2012 – 10 UF 243/11, FamRZ 2012, 1069 m. Anm. Zorn S. 1070; OLG Celle v. 14.9.2012 – 10 UF 56/12, FamRZ 2013, 651 in Fortführung des obigen Senatsbeschlusses v. 4.5.2011 für den Fall, dass das Kind durch das Jugendamt als Vormund vertreten wird; krit. Perlwitz/Weber, FamRZ 2011, 1350. 2 OLG Zweibrücken v. 14.6.2012 – 6 UF 148/11, FamRZ 2012, 1961 = ZEV 2013, 333. 3 BGH v. 7.9.2011 – XII ZB 12/11, MDR 2011, 1293 = FamRZ 2011, 1788 m. Anm. Stößer, S. 1859 = NJW 2011, 3454. 4 OLG Brandenburg v. 6.12.2010 – 9 UF 61/10, FamRZ 2011, 1305 = MittBayNot 2011, 240. 5 BGH v. 12.2.2014 – XII ZB 592/12, MDR 2014, 420 = FamRZ 2014, 640 m. Anm. Zorn = ZEV 2014, 199 (200). 6 OLG Hamm v. 22.3.2012 – 2 WF 274/11, ZEV 2012, 380. 7 OLG Frankfurt v. 14.7.1969 – 6 W 88/69, OLGZ 1970, 81 (83). 8 OLG Frankfurt v. 13.4.2011 – 20 W 374/09, FamRZ 2012, 665. 1178

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 83c

C II

ist1. Nach § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB ist eine Genehmigung weder der Ausschlagungserklärung des einen noch der des anderen Elternteils erforderlich, auch wenn der Anfall nur infolge der Ausschlagung eines Elternteils eingetreten ist2. Hat nur ein Elternteil Vertretungsmacht, kommt § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB dann zur Anwendung, wenn dem vertretungsberechtigten Elternteil die Erbschaft angefallen war. Keine Privilegierung tritt also ein, wenn der nichtvertretungsberechtigte Elternteil der ausschlagende Erbe ist, da die vom Gesetzgeber unterstellte eigenverantwortliche Prüfung auf Seiten des nichtvertretungsberechtigten Elternteils nicht zwingend auch mit Blick auf das Kind erfolgt3. Soweit die eine eigene Erbschaft ausschlagenden Eltern nachfolgend nur für einige Kinder ausschlagen und für die anderen Kinder annehmen (= selektive Ausschlagung), ist eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich – § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB findet keine Anwendung im Falle selektiver Ausschlagung4. Sind beide Eltern gemeinsam vertretungsberechtigt, müssen auch beide Elternteile die Ausschlagung (für das Kind) erklären. Dabei haben beide die Form des § 1945 BGB zu wahren; eine formlose Zustimmung eines Elternteils zu der formgerechten Erklärung des anderen reicht nicht aus5. Ausreichend ist es, wenn ein Elternteil, dem die Entscheidungsbefugnis gem. § 1628 BGB zugesprochen ist, allein für das Kind ausschlägt. Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidungsbefugnis zunächst nur im Wege der vorläufigen Anordnung übertragen ist, selbst wenn diese nach der Ausschlagung wieder aufgehoben wird6. Beispiel: Sind ein Elternteil und das Kind Testamentserben und zugleich jeweils Ersatzerben des anderen nach dem Vater bzw. Großvater und schlägt der Elternteil für sich nur aus dem Berufungsgrund Testament aus, so liegt kein Fall des § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB vor. Zwar wäre das Kind nun (testamentarischer) Alleinerbe, aber der Elternteil wäre im Falle der Ausschlagung des Kindes aus gesetzlicher Erbfolge berufen. Hier würde eine genehmigungsfreie Ausschlagung der Annahme des Gesetzgebers, dass die Eltern vor der Ausschlagung eine uneigennützige Wirtschaftlichkeitsprüfung anstellen, widersprechen7. 1 OLG Köln v. 26.4.2012 – II-12 UF 10/12, ZEV 2013, 199: Die nach §§ 1643, 1822 BGB genehmigungsbedürftigen Geschäfte sind nicht nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, sondern formal zu bestimmen. 2 OLG Hamm v. 18.9.1959 – 15 W 355/59, NJW 1959, 2215; OLG Frankfurt v. 24.10. 1961 – 6 W 593/60, NJW 1962, 52; OLG Köln v. 26.4.2012 – II-12 UF 21/12, FamRZ 2012, 1832. 3 Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (198). 4 Engler, FamRZ 1972, 7 (9); Erman/Döll, § 1643 Rz. 22; KG v. 13.3.2012 – 1 W 747/11, FamRZ 2012, 1167 = ZEV 2012, 332. So auch OLG Hamm v. 13.12.2013 – I-15 W 374/13, ZEV 2014, 216, unabhängig davon, ob Hinweise auf eine gezielte Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Kinder bestehen. 5 BayObLG v. 14.6.1977 – BReg. 1Z 17/77, BayObLGZ 1977, 163 (167); MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 12. 6 OLG Hamm v. 16.4.2002 – 15 W 38/02, FamRZ 2003, 172 = NJW 2002, 2477 ff. Vgl. auch OLG Brandenburg v. 11.4.2014 – UF 48/14, BeckRS 2014, 10187: Ein weiteres besonderes Spannungsverhältnis besteht zwischen den gesetzlichen Vertretern und dem sich auf § 1666 Abs. 1 BGB berufenden Staat – den gesetzlichen Vertretern steht gegenüber dem Staat ein Gefahrenabwendungsprimat zu, der sich aus ihrem Freiheitsrecht ergibt; demnach liegt eine Gefahr i.S.d. § 1666 Abs. 1 BGB nicht vor, wenn die zu erwartende Schädigung durch Maßnahmen der gesetzlichen Vertreter abgewendet oder behoben werden kann. 7 MüKo.BGB/Huber, § 1643 Rz. 18, 24. Muscheler

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C II

Rz. 83d

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

83d

Umstritten ist, ob der Lauf der Ausschlagungsfrist (für das Kind) nur dann in Gang gesetzt wird, wenn beide Eltern Kenntnis vom Berufungsgrund (Rz. 69) haben. (Unstreitig kommt es auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters, nicht des minderjährigen Erben an1.) Hier wird teilweise (in Analogie zu § 1629 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB) für ausreichend erachtet, wenn auch nur ein Elternteil die notwendige Kenntnis erlangt2. Unter Hinweis darauf, dass nur beide Eltern gemeinsam die Ausschlagung erklären können, wird von anderer Seite Kenntnis beider Eltern (als „dem“ Vertreter des Minderjährigen) gefordert3. Die zweite Lösung ist aus praktischen Gesichtspunkten abzulehnen. Verzögerungen im Innenverhältnis der Eltern würden zulasten der Nachlassbeteiligten gehen, die ein Interesse an einer zügigen Klärung der Situation haben. Diesem Interesse wird auch durch das Gesetz selbst Vorrang eingeräumt; die entsprechende Intention kommt in der Kürze der Ausschlagungsfrist klar zum Ausdruck. Mithin genügt die Kenntnis eines Elternteils.

83e

Im Falle der Genehmigungspflichtigkeit ist Entscheidungsmaßstab für das Gericht allein das Kindeswohl4. Fragen der Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung oder ihrer Rechtzeitigkeit fallen nicht in den Kompetenzbereich des Familiengerichts; sie sind allein vom Nachlassgericht zu klären5 (zur Fristproblematik Rz. 74). Der Amtsermittlungsgrundsatz des Familiengerichts ergibt sich aus § 26 FamFG; der Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und der in Betracht kommenden Aufklärungsmöglichkeiten, zu deren Realisierung nach dem Vorbringen der Beteiligten und dem Sachverhalt als solchem Anlass bestand6. Die Pflegschaft endet mit der Volljährigkeit; abweichende Bestimmungen sind unzulässig7.

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Der Erblasser kann die Ausschlagungsbefugnis für einen Minderjährigen keiner bestimmten Person zuweisen. Die Zuständigkeit zur Ausschlagung liegt vielmehr zwingend bei demjenigen, dem die gesetzliche Vertretung zusteht. Der Erblasser kann zwar eine Pflegschaft für die Verwaltung der Erbschaft vorschreiben, jedoch erstreckt sich diese Pflegschaft nicht auf das Ausschlagungsrecht, da dieses nicht vorrangig in den vermögensrechtlichen, sondern in den personalen Bereich seines Inhabers fällt und zudem die Ausschlagung nicht zur „Verwaltung“ des Hinterlassenen gehört8. Gleiches gilt, wenn der Erblasser die Eltern 1 BayObLG v. 14.1.1969 – BReg. 1a Z 111/68, BayObLGZ 1969, 14 (18); BayObLG v. 14.5.1984 – 1Z 25/84, Rpfleger 1984, 403 (403); OLG Hamburg v. 23.8.1983 – 12 U 127/83, FamRZ 1984, 1274 = MDR 1984, 54 (54); OLG Koblenz v. 16.7.2007 – 5 W 535/07, FamRZ 2008, 1031 = Zerb 2008, 119 (119); Lange/Kuchinke, § 8 IV 2 (S. 204); Leipold, Rz. 604. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 14; Soergel/Stein, § 1944 Rz. 12. 3 Damrau, Rz. 22; Palandt/Weidlich, § 1944 Rz. 6; die gegenteilige Ansicht ablehnend auch LG Freiburg v. 15.8.1991 – 4 T 61/91, BWNotZ 1993, 44. So jetzt auch OLG Frankfurt v. 3.7.2012 – 21 W 22/12, FamRZ 2013, 403. 4 OLG Frankfurt v. 14.7.1969 – 6 W 88/69, OLGZ 1970, 81 (83); OLG Celle v. 14.1.2013 – 10 UF 291/12, FamRZ 2013, 1333 = NJW-RR 2013, 582. Neben wirtschaftlichen sind auch immaterielle Interessen des Kindes von Amts wegen zu ermitteln, OLG Schleswig v. 25.2.2013 – 10 WF 204/12, FamRZ 2013, 2000. 5 BayObLG v. 14.1.1969 – BReg. 1a Z 111/68, BayObLGZ 1969, 14. 6 OLG Schleswig v. 25.2.2013 – 10 WF 204/12, FamRZ 2013, 2000 = FGPrax 2013, 214, 215 m.N. 7 OLG Hamm v. 13.4.2010 – 15 Wx 263/09, FamRZ 2010, 1997. 8 KG v. 16.4.1915 – 1a ZS., OLGE 32, 13 (14). 1180

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 86

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des Erben gem. § 1638 Abs. 1 BGB durch Verfügung von Todes wegen von der Verwaltung des Hinterlassenen ausschließt1. Anders verhält es sich dagegen im Fall eines gem. § 1911 BGB gerichtlich bestellten Abwesenheitspflegers. Dieser kann die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft erklären, und zwar auch dann, wenn die Bestellung inhaltlich begrenzt ist, da die Reichweite seiner Vertretungsmacht im Wege der Auslegung zu ermitteln ist2. Ein Nachlasspfleger3 gem. § 1961 BGB ist dagegen nicht zur Ausschlagung befugt, da er nicht für eine bestimmte – zur Zeit nur abwesende –, sondern für eine vollständig unbekannte Person handelt. 2. Betreuung Der Betreuer eines Volljährigen bedarf zur Ausschlagung einer dem Betreuten angefallenen Erbschaft gem. §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1822 Nr. 2 BGB ebenfalls der Genehmigung des Betreuungsgerichts (§§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 23c Abs. 1 GVG, 271 Nr. 3 FamFG). Soweit es auf die Kenntnis vom Berufungsgrund ankommt, die den Fristlauf erst in Gang setzt, genügt sowohl Kenntnisnahme durch den Betreuten selbst (soweit er dazu in der Lage ist) als auch Kenntnisnahme des Betreuers4.

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Nicht selten macht der Erblasser zugunsten des Betreuten Gebrauch von dem Instrument des Behindertentestaments und setzt den Betreuten zum Vorerben ein. Will nun der Betreuer für den Betreuten die Vorerbschaft ausschlagen, um in der Konstellation des § 2306 Abs. 1 BGB den Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können, bedarf er der betreuungsgerichtlichen Genehmigung. Das Betreuungsgericht wird dabei zu berücksichtigen haben, dass es dem Interesse des Betreuten (§ 1901 Abs. 2 S. 1 BGB) (und des Erblassers!) eher entspricht, den Stamm des dem Vorerben zustehenden Vermögens zu erhalten und aus seinem Ertrag dem Betreuten dauerhaft die häufig vom Erblasser angeordneten Zuwendungen zukommen zu lassen, als mit dem Pflichtteil für einige Zeit eventuelle Heimkosten aus eigenen Mitteln aufbringen zu können5. Öffentliche Belange des Sozialhilfeträgers bleiben in dieser Entscheidung außen vor; der Betreute und somit das Betreuungsgericht haben ihre Entscheidung allein an dem Wohl des Betreuten auszurichten (§ 1901 Abs. 2 und 3 BGB).

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VIII. Wirkung der Ausschlagung 1. Allgemeines § 1953 BGB regelt vorrangig zwei Dinge. Zum einen stellt er in Abs. 1 klar, wie sich die Ausschlagung auf die Position des Ausschlagenden auswirkt. Zum anderen bestimmt er in Abs. 2 das weitere Schicksal des Nachlasses. Die vom Ge1 OLG Karlsruhe v. 22.7.1965 – 5 W 134/64, OLGZ 1965, 260 = FamRZ 1965, 573. 2 So für einen Auseinandersetzungspfleger OLG Colmar v. 12.12.1917 – 1. ZS., OLGE 39, 11. 3 Ebenso der Nachlassverwalter und der Testamentsvollstrecker, MüKo.BGB/Leipold, § 1946 Rz. 13. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1944 Rz. 14. 5 OLG Köln v. 29.6.2007 – 16 Wx 112/07, FGPrax 2007, 266 (266) = ZEV 2008, 196 (196) = ZErb 2008, 207 (208); OLG Celle, RdLH 2009, 81. Muscheler

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C II

Rz. 86a

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

setz gewählte Konstruktion ist eine zwingende Folge des Prinzips „Vonselbsterwerb“. Nach diesem Prinzip erfolgt der Anfall der Erbschaft ipso iure mit dem Erbfall. Um dem endgültigen Erben systemkonform den Nachlass zukommen zu lassen, wirkt die Ausschlagung auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurück und ist auch das weitere Schicksal der Erbschaft von diesem Zeitpunkt abhängig. Erbe ist danach derjenige, der zum Zeitpunkt des Erbfalls Erbe geworden wäre, wenn der Zunächstberufene nicht gelebt hätte, und er ist es rückwirkend vom Zeitpunkt des Erbfalls an. Der Nächstberufene muss zwar zum Zeitpunkt des Erbfalls (§ 1923 Abs. 1 BGB), nicht aber (wie sich aus § 1952 BGB ergibt) zum Zeitpunkt der Ausschlagung noch leben. Neben diesen materiell-rechtlichen Regelungen findet sich in § 1953 Abs. 3 S. 1 BGB eine verfahrensrechtliche Bestimmung. 86a

Die Ausschlagung kann dem Ausschlagenden auch sonst neue Freiheit bringen. Ein Beispiel dafür ist das mit Ausschlagung entstehende Recht zur Aufhebung einer bindenden Verfügung von Todes wegen nach § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB. Die Aufhebung einer wechselbezüglichen Verfügung nach Erbausschlagung (§ 2271 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB) ist kein Widerruf i.S.d. § 2270 Abs. 1 BGB, sodass die Aufhebung der einen Verfügung nicht die Unwirksamkeit der anderen zur Folge hat1. Zutreffend stellt das OLG Celle bei der Begründung dieses Ergebnisses ab auf (1) § 2271 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. BGB, wonach das Recht zum Widerruf mit dem Tode des anderen Ehegatten erlischt, und (2) auf den Umstand, dass der Verstorbene auf die Aufhebung durch seinen Ehepartner nicht mehr reagieren kann. Anders der BGH: Bei der Aufhebung gem. § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB handele es sich zugleich um den Widerruf i.S.v. § 2270 Abs. 1 BGB2. Weiterhin könne – so der BGH – der nach § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB aufhebende Ehegatte die Unwirksamkeit der Verfügung des Verstorbenen nach § 2270 Abs. 1 BGB nicht rückgängig machen; aus Gründen der Rechtsklarheit könne das Schicksal der Verfügung des vorverstorbenen Ehegatten nicht davon abhängig sein, ob und ggf. wann der überlebende Ehegatte seinen zunächst erklärten Widerruf wieder rückgängig mache3.

86b

Die letztwilligen Verfügungen des vorverstorbenen Ehepartners, die wegen der wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament unwirksam waren, werden durch die nach Errichtung einer gleichfalls vom gemeinschaftlichen Testament abweichenden testamentarischen Verfügung erklärte Ausschlagung des überlebenden Ehegatten, wenn man in der Frage des § 2270 Abs. 1 BGB dem BGH folgt, wieder wirksam, so auch die zuvor getroffenen letztwilligen Verfügungen des überlebenden Ehegatten4. 2. Wegfall des Zunächstberufenen

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Gem. § 1953 Abs. 1 BGB führt die Ausschlagung dazu, dass der Anfall der Erbschaft an den Ausschlagenden als nicht erfolgt gilt. Grundsätzlich wird damit der vorläufige Erbe rückwirkend einem beliebigen Dritten gleichgestellt. In eini1 OLG Celle v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, ZEV 2009, 138 (139 f.). 2 BGH v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, FamRZ 2011, 468 = MDR 2011, 304 = ZEV 2011, 251 (253) m.w.N. 3 BGH v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, FamRZ 2011, 468 = MDR 2011, 304 = ZEV 2011, 251 (253). 4 OLG Bremen v. 1.8.2012 – 5 W 18/12, MittBayNot 2013, 55. 1182

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 87b

C II

gen Punkten behandelt ihn das Gesetz jedoch anders. Eine völlige Gleichstellung mit einem beliebigen Dritten würde dem vorläufigen Erben nicht gerecht, da er ohne sein Zutun die Rolle des Erben zunächst tatsächlich innehatte. Dies zeigt sich besonders bei Fragen des Besitzes. Der (Rechts-)Besitz gem. § 857 BGB fällt nachträglich, d.h. mit Wirkung ex tunc, weg; der Besitz steht vom Erbfall an dem endgültigen Erben zu. Hatte der Zunächstberufene aber tatsächlich den Besitz an Nachlassgegenständen inne (§ 854 BGB), so dauert dieser Besitz bis zu Herausgabe an den endgültigen Erben an, ohne dass hierin eine verbotene Eigenmacht gem. § 858 BGB oder ein Abhandenkommen i.S.d. § 935 BGB gesehen werden kann, da dieser Besitz als gesetzlich gestattet erachtet werden muss1. Die Herausgabe kann vom Nächstberufenen aufgrund der §§ 1959 Abs. 1, 681 S. 2, 667 BGB gefordert werden. Dagegen ist ein Anspruch aus § 2018 BGB ausgeschlossen, da dem Ausschlagenden vorübergehend ein Erbrecht zustand2. In der Praxis kann es dazu kommen, dass – wenn der Ausschlagende tatsächlich den Besitz zunächst ergriffen hat – der meist dürftige Nachlass beim Erstberufenen verbleibt3. Regelmäßig werden nämlich sämtliche ermittelten Nachberufenen ihrerseits umgehend die Ausschlagung erklären. Auch die Berechtigung, über den Nachlass zu verfügen, fällt nachträglich weg. Es handelt sich insoweit um Verfügungen eines Nichtberechtigten, es sei denn, es liegt ein Fall des § 1959 Abs. 2, 3 BGB vor. Ein gutgläubiger Erwerb ist jedoch möglich, wenn der vorläufige Erbe z.B. bereits im Grundbuch eingetragen ist oder ein entsprechender Erbschein erteilt wird und er später die Annahme anficht. Rechtsverhältnisse, die zunächst durch Konfusion oder Konsolidation4 erloschen sind, leben nach der Ausschlagung wieder auf5. Der Ausschlagende haftet nicht weiter für Nachlassverbindlichkeiten. Da sich die Steuerpflichtigkeit an der zivilrechtlichen Rechtslage orientiert, entfällt auch die Erbschaftsteuer6. Sollte die Ausschlagung gegen eine Abfindung erfolgt sein, so würde die sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ergebende Steuerschuld gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 f. ErbStG im Zeitpunkt der Ausschlagung entstehen. Stand dem Ausschlagenden ein Vorausvermächtnis zu, so bleibt dieses trotz Ausschlagung bestehen, es sei denn, die Ausschlagung erstreckt sich auch darauf, oder der Erblasser hat das Vorausvermächtnis mittels einer Bedingung mit der Erbschaftsannahme verknüpft7.

87a

Überblick über die Wirkungen der Ausschlagung für den Ausschlagenden:

87b

– Der Ausschlagende verliert den Besitz gem. § 857 BGB. – Der die Versäumung der Ausschlagungsfrist Anfechtende ist zum Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens nicht als Erbe berechtigt8. – Den die Beerdigung eines Verstorbenen Veranlassenden kann gegen den totenfürsorgeberechtigten und -verpflichteten Angehörigen ein Anspruch auf 1 2 3 4 5 6 7 8

Palandt/Weidlich, § 1953 Rz. 4. Staudinger/Otte, § 1953 Rz. 11. Weithase, Rpfleger 1988, 434. Vgl. dazu Soergel/Stein, Vor § 1942 Rz. 2. Staudinger/Otte, § 1953 Rz. 4. Soergel/Stein, § 1953 Rz. 7. Soergel/Stein, § 1953 Rz. 2. BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 74/10, FamRZ 2011, 1292 = MDR 2011, 1073 = ZEV 2011, 544 (m. Anm. Marotzke). Muscheler

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Rz. 88

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Ersatz der Kosten gem. §§ 670, 677, 683 BGB zustehen, auch wenn der Totenfürsorgeberechtigte nicht Erbe ist; gegenüber einem solchen Anspruch entfaltet § 1968 BGB keine Sperrwirkung1. – Verfügungen außerhalb des § 1959 Abs. 2, 3 BGB gelten nachträglich als solche eines Nichtberechtigten. – Eine zunächst eingetretene Konfusion oder Konsolidation entfällt. – Die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten und Erbschaftsteuern entfällt. – Die Steuerschuld für eine Ausschlagungsabfindung entsteht mit der Ausschlagung. – Der Ausschlagende kann vom Nächstberufenen gem. §§ 1959 Abs. 1, 681 S. 2, 667 BGB auf Herausgabe des Nachlasses in Anspruch genommen werden. – Der Ausschlagende muss dem Erben gem. §§ 2027 Abs. 2, 1959 Abs. 1, 681, 666 BGB Auskunft über Bestand und Verbleib des Nachlasses geben. – Der (etwa nach § 2306 Abs. 1 BGB) ausschlagende pflichtteilsberechtigte Miterbe hat einen Auskunftsanspruch gegen die übrigen Miterben gem. § 2314 Abs. 1 BGB2. – Unberührt bleibt die sich aus dem öffentlichen Recht ergebende Gebührenpflicht eines bestattungspflichtigen Erben, soweit er die Bestattung vor der Ausschlagung in Auftrag gegeben hat; gleichwohl kann der Ausschlagende Ersatzansprüche gegen die Erben geltend machen3. – Wenn der Nachlassgläubiger den Erben verklagt und der Erbe nach Klagezustellung die Erbschaft wirksam ausschlägt, trägt der Nachlassgläubiger die Kosten4. 88

Ob die Ausschlagung insgesamt schon zum Wegfall des Ausschlagenden aus dem Kreis der Erben führt, hängt davon ab, ob mehrere parallele oder sukzessive Berufungsgründe bestehen und wie weit die Ausschlagungserklärung reicht. Auch kann es sein, dass eine nach Ausschlagung der testamentarischen Berufung eigentlich bestehende Berufung aus gesetzlichem Erbrecht letztlich erfolglos bleibt, wenn die testamentarischen Anordnungen eine erschöpfende Erbregelung beinhalten5 (zur Auswirkung auf Pflichtteilsansprüche vgl. Rz. 29 ff.; zu den besonderen Auswirkungen für den Ausschlagenden im Falle des § 1952 Abs. 3 BGB vgl. Rz. 91). Ferner ist daran zu denken, dass der Ausschlagende durch eine Anfechtung der Ausschlagung wieder in den Kreis der Erben eintreten kann. Da1 BGH v. 14.12.2011 – IV ZR 132/11, FamRZ 2012, 633 = MDR 2012, 352 = ZEV 2012, 559 = NJW 2012, 1651 (m. Anm. Zimmer). 2 A.A. OLG Celle v. 6.7.2006 – 6 U 53/06, FamRZ 2006, 1877 = ZEV 2006, 557 (557) m. abl. Anm. Damrau. Das OLG Celle will ohne jeglichen gesetzlichen Anhaltspunkt § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB dahingehend restriktiv auslegen, dass nur dem enterbten, nicht aber dem ausschlagenden Pflichtteilsberechtigten der dort normierte Auskunftsanspruch zusteht. 3 VG Münster v. 12.11.2010 – 7 K 1240/10, FamRZ 2011, 927 = ZEV 2011, 604. 4 LG Bonn v. 21.8.2009 – 6 T 201/09, FamRZ 2010, 750 = NJW-Spezial 2009, 728 = ZEV 2009, 575; vorschnelle Klagen von Nachlassgläubigern sind mit dem Risiko der Kostenübernahme behaftet. Hinweise zum wahren Erben sollte der Nachlassgläubiger vor Klageerhebung einholen, und zwar durch Einsicht in die Nachlassakte. 5 OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, MDR 1981, 1017 = FamRZ 1981, 1202. 1184

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 90

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her ist eine Erbunwürdigkeitsklage trotz Ausschlagung gegen den Ausschlagenden zulässig, um zu verhindern, dass die Anfechtungsfrist gem. §§ 2340 Abs. 3, 2082 BGB versäumt wird1. 3. Anfall an den Nächstberufenen Der Nächstberufene wird Nachfolger des Erblassers, nicht des Ausschlagenden. Insbesondere ist er auch nicht Rechtsnachfolger des Ausschlagenden i.S.d. § 265 ZPO2. Die Bestimmung der Person des Nächstberufenen hängt von der Art der Erbfolge ab. Im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge sind insbesondere die Nachrückregelungen der §§ 1924 Abs. 3, 1925 Abs. 3, 1926 Abs. 3, 1930 BGB zu beachten. Liegt gewillkürte Erbfolge vor, so ist zunächst ein Ersatzerbe gem. § 2096 BGB berufen. Hier muss auch die Auslegungsregel des § 2069 BGB beachtet werden. Gibt es keinen Ersatzerben, tritt Anwachsung ein (§§ 2094, 2099 BGB). Wenn weder Ersatzerben vorhanden sind noch Anwachsung eintritt, gilt für den frei gewordenen Erbteil nach § 2088 Abs. 1 BGB analog die gesetzliche Erbfolge3. (Näheres s. Kap. B III Rz. 15 ff.). Die Schlusserbeneinsetzung in einem gemeinschaftlichen Testament kann regelmäßig nicht als Ersatzerbeneinsetzung auf den Nachlass des Erstverstorbenen ausgelegt werden4

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In einer Nacherbeneinsetzung ist gem. § 2102 Abs. 1 BGB im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe zu sehen. Schlägt also der Vorerbe aus, so fällt der Nachlass regelmäßig dem Nacherben an5. Schlägt der Nacherbe aus, so ist gem. § 2142 Abs. 2 BGB der Vorerbe Ersatzerbe und damit endgültiger Vollerbe. Der Erblasser kann aber in beiden Fällen eine abweichende Anordnung treffen. Hat der Erblasser einen pflichtteilsberechtigten Nacherben und dessen Abkömmlinge als Ersatznacherben (§ 2096 BGB) eingesetzt und schlägt der Nacherbe die Nacherbschaft aus, um den Pflichtteilsanspruch geltend zu machen (§ 2306 Abs. 2 BGB), so sind im Zweifel (Auslegungsfrage!) auch die Abkömmlinge des Ausschlagenden von der Erbfolge ausgeschlossen6. Dies gilt erst recht für den Fall, dass die Ersatznacherbenberufung auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruht. Andernfalls erhielte der Stamm des Ausschlagenden den Pflichtteil (§ 2306 Abs. 2 BGB) und die Nacherbschaft und erführe damit eine regelmäßig dem Willen des Erblassers zuwiderlaufende Doppelberücksichtigung. Der Vorerbe hingegen müsste den Pflichtteil leisten, ohne als Kompensation gleichzeitig in den Genuss der Vollerbenstellung nach § 2142 Abs. 2 BGB zu gelangen. Ist

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1 KG v. 18.1.1989 – 24 U 4354/88, FamRZ 1989, 675 = NJW-RR 1989, 455; a.A. Soergel/ Stein, § 1953 Rz. 2. 2 BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 = MDR 1989, 523 = FamRZ 1989, 496. 3 Zum Vorrang der gewillkürten Erbfolge vor der gesetzlichen Erbfolge OLG Köln v. 10.11.2008 – 2 Wx 38/08, FamRZ 2010, 502 = ZEV 2009, 241 (m. Anm. Perau u.w.N.) – die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit gebietet diesen Vorrang. 4 OLG Hamm v. 14.3.2014 – I-15 W 136/13, BeckRS 2014, 08201. 5 Soweit ein anderer Erblasserwille nicht feststellbar ist, kommt der als Nacherbe eingesetzte Abkömmling als Ersatzerbe zum Zuge, wenn der Vorerbe die Erbschaft ausschlägt und den Pflichtteil erlangt, OLG München v. 26.10.2011 – 31 Wx 30/11, MDR 2011, 1424 = NJW-RR 2012, 211 = FamRZ 2012, 478. 6 BGH v. 29.6.1960 – V ZR 64/59, BGHZ 33, 60 (62); BayObLG v. 10.8.1962 – BReg. 1Z 43/61, BayObLGZ 1962, 239 (243 f.); OLG München v. 25.7.2006 – 31 Wx 39/06, FamRZ 2007, 767 = 40/06, ZErb 2006, 383 (384) = Rpfleger 2007, 26 (27 f.). Muscheler

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C II

Rz. 91

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

der Pflichtteilsberechtigte jedoch nicht als Nach-, sondern als Vollerbe unter Beschränkungen und Beschwerungen (§ 2306 Abs. 1 BGB) eingesetzt, kann das Argument der Doppelberücksichtigung zulasten etwaiger Miterben angesichts der Regelung des § 2320 Abs. 2 BGB keine Geltung beanspruchen1. Bei einer derartigen Erbeinsetzung müsste der Erblasser den Ausschluss der Ersatzerben von der Erbfolge für den Fall der Ausschlagung durch den Pflichtteilsberechtigten gem. § 2306 Abs. 1 BGB ausdrücklich anordnen.

Beratungshinweis: Aufgrund der in Rz. 89 und 90 dargestellten vielgestaltigen Möglichkeiten zur Ermittlung des Nächstberufenen und der sich daraus ergebenden Unsicherheit bei der Einschätzung eines etwaigen Prozessergebnisses, sollte der Einsatz der Ausschlagung als Mittel zielgerichteter Übertragung des Nachlasses besonders sorgsam bedacht werden. Gegebenenfalls muss der ausschlagungswillige Mandant zur Vermeidung von Haftungsfällen nachweisbar über die Rechtslage belehrt werden. 91

Ein besonderes Problem hinsichtlich des Schicksals der Erbschaft ergibt sich bei den Fällen des § 1952 Abs. 3 BGB. Es handelt sich hier nicht um den Fall, dass ein Mitglied einer Erbengemeinschaft die Ausschlagung bezüglich des Nachlasses erklärt, bei dem die Erbengemeinschaft besteht, sondern darum, dass ein Mitglied einer Erbeserbengemeinschaft hinsichtlich des Erstnachlasses die Ausschlagung erklärt. Zunächst ist man versucht, den Fall mithilfe des § 1953 Abs. 2 BGB zu lösen2. Dies könnte dazu führen, dass hinsichtlich des Erstnachlasses neben die verbleibenden Erben auch Erben treten, die einer entfernteren Ordnung (als die Nächstberufenen des Ersterblassers) angehören. Die herrschende Meinung behandelt den Fall jedoch anders3. Der ausgeschlagene Teil soll im Wege der Anwachsung gem. §§ 1935, 2094 BGB den übrigen Miterben des Zweitnachlasses zufallen. Dieses Ergebnis lässt sich mit dem besonderen Verhältnis zwischen Erst- und Zweitnachlass erklären. Das Vermögen des Erstnachlasses wird nicht – wie man zunächst denken könnte – Teil des gesamthänderischen Vermögens der beim Zweitnachlass bestehenden Erbengemeinschaft. Anderenfalls würde das Ziel des § 1952 Abs. 3 BGB nicht erreicht werden, nämlich es einem Miterben zu ermöglichen, die Beteiligung am Zweitnachlass behalten zu können, ohne zugleich den möglichen Belastungen des Erstnachlasses ausgesetzt zu sein4. Dieses Ziel ist nur zu erreichen, wenn man auch weiterhin Erst- und Zweitnachlass auseinander hält, und zwar derart konsequent, dass man von zwei Miterbengemeinschaften ausgeht, deren Mitglieder jeweils die einzelnen Miterben sind. Beide Miterbengemeinschaften sind jedoch insofern miteinander verbunden, als sich der Erbteil der Erbeserben aus beiden Vermögensmassen zusammensetzt. Für die Folgen der Ausschlagung der Erbschaft am Erstnachlass durch einen Miterben des Zweitnachlasses muss man nun davon ausgehen, dass „Erbe“ des Erstnachlasses von vornherein die Erbengemeinschaft war; sie ist quasi an die Stelle des ursprünglichen Erben getreten. Bei dieser Betrachtung ergibt sich deutlich, dass die Ausschlagung eines Miterben nicht 1 Tanck, ZErb 2006, 384 (384). 2 So Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 8. 3 Soergel/Stein, § 1952 Rz. 5 („aus Praktikabilitätsgründen“); Palandt/Weidlich, § 1952 Rz. 3; MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 17 f. („Widerspruch zu § 1930“); Erman/J. Schmidt, § 1952 Rz. 7. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 12. 1186

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 93a

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unter § 1953 Abs. 2 BGB fällt, da eben nicht der „Erbe“ ausschlägt, sondern sich nur die Zusammensetzung des „Erben“ verändert. Folglich tritt hier Anwachsung ein. Von einem Wegfall des Erben kann nicht die Rede sein. Nimmt nämlich auch nur ein Mitglied der Erbengemeinschaft die Ersterbschaft an, ist der Erblasser beerbt worden und zwar von seinem „Erben“. Der Ausschlagende muss aber beachten, dass er in dem in Rz. 91 behandelten Fall auch in einem anderen Zusammenhang nicht als „ausschlagender Erbe“ behandelt wird. Es ist ihm verwehrt, den gegebenenfalls bestehenden Pflichtteilsanspruch gem. § 2306 Abs. 1 BGB geltend zu machen, da eben nicht der „Erbe“ ausgeschlagen hat1. Stand dem Zweitversterbenden als Ehegatten im gesetzlichen Güterstand hinsichtlich der Ersterbschaft noch das Wahlrecht zwischen güter- und erbrechtlicher Lösung zu (vgl. dazu Rz. 19 ff.), so hat dieses Wahlrecht der Erbeserbe nicht mehr. Ihm steht nur die erbrechtliche Lösung offen, es sei denn, dass alle Miterben die Ersterbschaft ausschlagen; sonst käme es zu einem Nebeneinander von erb- und güterrechtlichem Zugewinnausgleich2.

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4. Ermittlung des Nächstberufenen durch das Nachlassgericht Gem. § 1953 Abs. 3 S. 1 BGB soll das Nachlassgericht den Nächstberufenen über den Anfall der Erbschaft informieren, um so die Nachlassabwicklung zu beschleunigen3. Dazu sind in der Regel Ermittlungen anzustellen. Das Nachlassgericht muss dabei gem. § 26 FamFG von Amts wegen tätig werden. Das Kostenverzeichnis sieht für diese Tätigkeit keinen Gebührentatbestand vor, sodass sich aus diesem Umstand die Gebührenfreiheit ergibt. Regelmäßig wird das Nachlassgericht den Ausschlagenden über die möglichen Nächstberufenen befragen4. Eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung besteht für den Ausschlagenden jedoch nicht. In der gerichtlichen Praxis begnügt sich das Nachlassgericht oft mit einer entsprechenden Anfrage beim Ausschlagenden. Bleibt eine positive Antwort aus, wird die Angelegenheit in der Regel nicht weiterverfolgt5. Hier besteht für den Ausschlagenden also die Möglichkeit, seine Angehörigen aus der Angelegenheit herauszuhalten. Dazu sollte er aber tunlichst über die ganze Angelegenheit Stillschweigen bewahren, da er andernfalls beim Nächstberufenen für die notwendige Kenntnis i.S. des § 1944 Abs. 2 BGB sorgen könnte.

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Gem. § 1953 Abs. 3 S. 2 BGB kann jeder die Ausschlagungserklärung einsehen, der daran ein rechtliches Interesse hat. Ein rechtliches Interesse, das behauptet und glaubhaft gemacht werden muss6, liegt vor, wenn die Ausschlagungserklärung Rechte oder Pflichten desjenigen beeinflusst, der Einsicht begehrt7. Hier kommen neben möglichen Nächstberufenen auch Nachlassgläubiger in Betracht.

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1 Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 9; MüKo.BGB/Leipold, § 1952 Rz. 19. 2 Vgl. v. Olshausen, FamRZ 1976, 678 (683); Staudinger/Otte, § 1952 Rz. 9; MüKo. BGB/Leipold, § 1952 Rz. 19; Palandt/Weidlich, § 1952 Rz. 4. 3 Soweit kein Grund zur Sicherung des Nachlasses besteht, ist mit der Benachrichtigung der nunmehr berufenen Erben durch das Nachlassgericht das Verfahren auf Entgegennahme von Erbausschlagungserklärungen beendet, KG v. 29.11.2011 – 1 AR 16/11, FamRZ 2012, 909 = ZEV 2012, 597. 4 Firsching/Graf, S. 349. 5 Firsching/Graf, S. 350 f. 6 Staudinger/Otte, § 1953 Rz. 16. 7 MüKo.BGB/Leipold, § 1953 Rz. 19. Muscheler

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C II

Rz. 94

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

IX. Anfechtung 1. Allgemeines 94

Annahme- und Ausschlagungserklärung sind als Willenserklärungen den Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB unterworfen, soweit sich aus den §§ 1942 ff. BGB nicht ein anderes ergibt. Somit besteht auch die Möglichkeit der Anfechtung1. § 1954 Abs. 1 BGB geht von der Anfechtbarkeit der Annahme- und Ausschlagungserklärung in Übereinstimmung mit dem Allgemeinen Teil des BGB aus. Dies gilt nicht nur für ausdrückliche Erklärungen, sondern auch für die Annahme durch schlüssiges Verhalten2. § 1956 BGB erweitert den Kreis der anfechtbaren Handlungen über die Willenserklärungen hinaus3: Auch die Annahme durch Ablauf der Ausschlagungsfrist kann bei Vorliegen eines Anfechtungsgrundes angefochten werden. Das Anfechtungsrecht ist vererbbar4. Kein Fall der Anfechtung ist gegeben, wenn der Annehmende über den Berufungsgrund im Irrtum war. Hierfür ordnet § 1949 BGB an, dass die Annahme als nicht erfolgt gilt. Die Rechtsfolge ist zwar letztlich bei einer Anfechtung die gleiche, jedoch ist bei § 1949 BGB keine Anfechtungserklärung nötig, weshalb auch eine Schadensersatzpflicht gem. § 122 BGB nicht in Betracht kommt.

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Mangels besonderer Regelung sind die Anfechtungsgründe den Vorschriften der §§ 119 ff. BGB zu entnehmen. Deshalb kann eine Anfechtung wegen Motivirrtums nicht auf den weiten Tatbestand des § 2078 Abs. 2 BGB gestützt werden5; eine entsprechende Verweisung gibt es nicht. Die allgemeinen Regeln werden in den §§ 1954, 1955, 1957 BGB für Anfechtungsfrist, Anfechtungsform und Anfechtungswirkung modifiziert. Die erklärte Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung ist unwiderruflich. Allerdings kann auch diese Erklärung wegen Irrtums angefochten werden6.

Beratungshinweis: Neben der Anfechtung der Annahme sollte zur Sicherheit auch die Ausschlagung erklärt werden, soweit noch nicht endgültig geklärt ist, auf welche Weise und vor allem ob die Annahme überhaupt schon erklärt ist. Eine solche Klärung wird nämlich in der Regel erst im Erbscheinsverfahren erfolgen. a) Anfechtungsfrist 95

Die Anfechtungsfrist beträgt in Abweichung von den Vorschriften der §§ 121, 124 BGB im Regelfall sechs Wochen (§ 1954 Abs. 1 BGB). Hatte der Erblasser seinen Wohnsitz im Ausland oder hielt sich der Erbe im Zeitpunkt des Fristbeginns 1 Einen Überblick gibt Kraiß, BWNotZ 1992, 31 ff. 2 Staudinger/Otte, § 1943 Rz. 2; MüKo.BGB/Leipold, § 1954 Rz. 5; Erman/J. Schmidt, § 1943 Rz. 3. 3 Palandt/Weidlich, § 1956 Rz. 1; MüKo.BGB/Leipold, § 1956 Rz. 1; OLG Jena v. 9.5. 2011 – 6 W 51/11, MDR 2011, 790 = FamRZ 2011, 1759. 4 Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (211). Kommt der Anfechtende der ihn treffenden Mitwirkungspflicht nicht nach, ist die Anfechtungsfrist nicht gewahrt, mithin die Anfechtung nicht wirksam, OLG Düsseldorf v. 10.1.2013 – I-3 Wx 155/12, FGPrax 2013, 122. 5 Soergel/Stein, § 1954 Rz. 1; MüKo.BGB/Leipold, § 1954 Rz. 3. 6 OLG Hamm v. 29.1.2009 – 15 Wx 213/08, FamRZ 2009, 1353 = MDR 2009, 867 = NJW-RR 2009, 1664. 1188

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 96

C II

im Ausland auf, so verlängert sich die Frist gem. § 1954 Abs. 3 BGB auf sechs Monate. Diese Regelung entspricht den Fristen für die Ausschlagung der Erbschaft (§ 1944 Abs. 1, 3 BGB). Die Frist beginnt gem. § 1954 Abs. 2 BGB mit Kenntnis vom Anfechtungsgrund bzw. in den Fällen des § 123 Abs. 1 2. Alt. BGB mit Wegfall der Zwangslage. Die notwendige Kenntnis liegt vor, sobald der Anfechtungsberechtigte alle das Anfechtungsrecht begründenden Tatsachen kennt1. Ihm müssen also alle relevanten Umstände bekannt sein, aus denen sich der Irrtum ergibt, und darüber hinaus die Tatsache, dass die abgegebene Erklärung nicht seinem Willen entspricht2. Die Kenntnis eines mit der Regelung der Erbschaftsangelegenheit betrauten Bevollmächtigten wird zugerechnet3, nicht aber die eines mit der Regelung der Steuerangelegenheiten betrauten Steuerberaters4 Dagegen ist für den Fristbeginn nicht erforderlich, dass der Erbe auch vom Anfechtungsrecht selbst Kenntnis besitzt. Aus diesem Umstand kann in der Praxis durchaus Nutzen gezogen werden, so etwa, wenn ein Nachlassgläubiger den Ablauf der Anfechtungsfrist herbeiführen will, um auf das Eigenvermögen des Erben zugreifen zu können. Beispiel:5 Die Alleinerbin hatte die Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB ohne Kenntnis von ihrer Existenz verstreichen lassen. Der Anwalt eines Nachlassgläubigers hatte sie später darüber informiert, dass sie mangels rechtzeitiger Ausschlagung Alleinerbin nach ihrem Vater geworden sei und deshalb für dessen Verbindlichkeit hafte. Auf die Möglichkeit, die Versäumung der Ausschlagungsfrist anzufechten, wies er dabei nicht hin. Monate später erklärte die Erbin die Anfechtung der Annahme durch Fristablauf; ihr seien weder die Ausschlagungs- noch die Anfechtungsfrist bekannt gewesen.

Das OLG Hamm sah in diesem Fall die Anfechtungsfrist als abgelaufen an, da der Erbin die notwendigen Umstände, nämlich das Bestehen einer Ausschlagungsfrist, ihr Lauf und die sich ergebenden Rechtsfolgen, durch den Anwalt bekannt gemacht worden seien. Nicht notwendig sei es, dass sie auch Kenntnis vom Anfechtungsrecht selbst gehabt habe. Ein anderes Ergebnis könne sich auch nicht im Hinblick auf das Verhalten des Gläubigeranwalts ergeben. Dieser sei – als Vertreter der gegnerischen Interessen – nicht verpflichtet gewesen, die Erbin über die Anfechtungsmöglichkeit aufzuklären.

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Eine Fristversäumung kann auch hinsichtlich nur einzelner Anfechtungsgründe eintreten. Grundsätzlich setzt eine wirksame Anfechtungserklärung nicht die Angabe eines Anfechtungsgrundes voraus6. Im Erbrechtsprozess ist es aber nicht Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob irgendwelche, zur Anfechtung berechtigen-

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1 OLG Hamm v. 10.6.1985 – 15 W 131/85, MDR 1985, 937 = FamRZ 1985, 1185 (1187); Gottwald, ZEV 2006, 489 (489). 2 Palandt/Weidlich, § 1954 Rz. 7. 3 OLG Schleswig v. 19.9.2008 – 3 Wx 98/03, ZEV 2009, 296 (297); OLG Celle v. 15.9. 2009 – 6 W 117/09, FamRZ 2010, 836 = ZEV 2010, 365: Im Falle des § 1956 BGB wird bei der Berechnung der Anfechtungsfrist dem Ausschlagenden die Kenntnis des Notars von der Versäumung der Ausschlagungsfrist in entsprechender Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet, soweit die vom Notar beglaubigte Ausschlagungserklärung nicht beim Nachlassgericht eingegangen ist, trotz entsprechender Bevollmächtigung. 4 KG v. 16.3.2004 – 1 W 458/01, FamRZ 2004, 1903 = NJW-RR 2004, 801. 5 Nach OLG Hamm v. 10.6.1985 – 15 W 131/85, MDR 1985, 937 = FamRZ 1985, 1185. 6 RG v. 12.1.1907 – I. 254/06, RGZ 65, 86 (88). Muscheler

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den Tatsachen vorliegen, sondern lediglich, ob die vom Anfechtenden in der Anfechtungserklärung oder später angegebenen Anfechtungsgründe gegeben sind1. Im Erbscheinsverfahren prüft das Gericht grundsätzlich nur die geltend gemachten Anfechtungsgründe2. In diesem Verhalten liegt kein Widerspruch zum Amtsermittlungsgrundsatz des § 2358 BGB. Wird die Erklärung mit Gründen versehen oder werden diese spätestens zu Beginn eines Prozesses mitgeteilt, so kann sich der Anfechtende nicht auf andere Anfechtungsgründe berufen, es sei denn, dass für diese neuen Anfechtungsgründe die Frist noch nicht abgelaufen ist. Für nachgeschobene Anfechtungsgründe läuft die Frist eigenständig3. Ein Nachschieben von Anfechtungsgründen ist daher meist nicht mehr zulässig4. Es muss also darauf geachtet werden, dass innerhalb der Anfechtungsfrist möglichst alle bekannten Anfechtungsgründe in der Anfechtungserklärung mitgeteilt werden.

Beratungshinweis: Die Anfechtungserklärung muss zwar grundsätzlich nicht den Anfechtungsgrund enthalten, jedoch ist die Nennung von Gründen nachdrücklich zu empfehlen. Es sollten alle in Betracht kommenden Anfechtungsgründe genannt werden, um eine Verfristung hinsichtlich bestimmter Anfechtungsgründe zu vermeiden. b) Form der Anfechtung 97

Ebenso wie die Ausschlagungserklärung steht die Erklärung der Anfechtung – sei es der Annahme oder der Ausschlagung – unter Formzwang. Zunächst muss die Erklärung gem. § 1955 S. 1 BGB in Abweichung von § 143 BGB dem Nachlassgericht gegenüber erklärt werden; sie ist amtsempfangsbedürftig. Eine z.B. dem Nächstberufenen gegenüber abgegebene Anfechtung ist unwirksam. Hinsichtlich der konkreten Form der Anfechtung verweist § 1955 S. 2 BGB auf § 1945 BGB. Für die Anfechtung gelten demnach die gleichen Formerfordernisse wie für die Ausschlagung der Erbschaft (oben Rz. 59 f.). Die Anfechtungserklärung muss zwar grundsätzlich nicht den Anfechtungsgrund enthalten, jedoch ist die Nennung aller bekannten Gründe dringend zu empfehlen, um eine Verfristung hinsichtlich bestimmter Anfechtungsgründe zu vermeiden (vgl. Rz. 96). c) Wirkung der Anfechtung

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Während gem. § 142 BGB eine Anfechtung nur dazu führt, dass die angefochtene Erklärung rückwirkend beseitigt wird, legt § 1957 Abs. 1 BGB der Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung eine Doppelwirkung bei. In der Anfechtung wird zugleich eine positive Aussage in dem Sinne gesehen, dass man nicht nur die angefochtene Erklärung nicht bestehen lassen, sondern dass man geradezu das Gegenteil erreichen wolle. Die Anfechtung der Ausschlagung ist somit zugleich Annahme, die Anfechtung der Annahme zugleich Ausschlagung. Diese Doppelwirkung der Anfechtung verhindert, dass erneut ein Schwebezustand ein1 BayObLG v. 20.12.1993 – 1Z BR 33/93, FamRZ 1994, 848 (849). 2 BayObLG v. 21.2.1962 – BReg. 1Z 85/61, BayObLGZ 1962, 47 (52); BayObLG v. 4.10. 1973 – BReg. 1Z 18/73, BayObLGZ 1973, 257 (258); BayObLG v. 28.4.1998 – 1Z BR 26/98, FamRZ 1999, 117 (118); Palandt/Weidlich, § 1955 Rz. 2. 3 Palandt/Weidlich, § 1955 Rz. 2. 4 BGH v. 11.10.1965 – II ZR 45/63, NJW 1966, 39; BayObLG v. 20.12.1993 – 1Z BR 33/93, FamRZ 1994, 848 (849). 1190

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tritt. Wird z.B. die Ausschlagung angefochten, so bedarf es keiner weiteren Erklärung, um die Erbschaft anzunehmen. Dem Anfechtenden steht keine erneute Überlegungsfrist zu1. Daraus ergibt sich auch, dass eine Anfechtung der Annahme bei elterlicher Sorge, Vormundschaft etc. der familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf, da sie in der Wirkung der Ausschlagung gleichsteht (vgl. Rz. 83 ff.). Ist eine Genehmigung zur Ausschlagung der Erbschaft erteilt, kann man – insbesondere für den Fall der Annahme durch Fristablauf – die Anfechtung der Annahme als von der Genehmigung umfasst betrachten2. Für die Anfechtung der Ausschlagung ist eine Genehmigung des Familien- bzw. Betreuungsgerichts nicht erforderlich3. Ficht der zunächst Berufene die Versäumung der Ausschlagungsfrist an, ist er nicht zum Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens als Erbe berechtigt, auch wenn die Wirksamkeit der Anfechtung noch nicht feststeht4. Infolge der Anfechtung der Ausschlagung verliert der zunächst eingetretene Nächstberufene seine Erbenstellung wieder. Das Verhältnis zwischen dem endgültigen Erben und dem zunächst eingetretenen Nächstberufenen fällt nicht in den Regelungsbereich des § 1959 BGB. Auch besteht kein Bedürfnis für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift5 (vgl. für den Fall der Anfechtung der Annahme Rz. 114 ff.). Besser passen die Regelungen der §§ 2018 ff. BGB6. Zwar maßt sich auch hier der vorläufig eingetretene Nächstberufene kein ihm nicht zustehendes Erbrecht an, jedoch unterscheidet § 2018 BGB zunächst gar nicht zwischen gut- und bösgläubigen Erbschaftsbesitzern7. Eine unangemessen harte Behandlung des zunächst eingetretenen Nächstberufenen ist in der Anwendung der §§ 2018 ff. BGB nicht zu sehen8. Abgesehen vom Fall des bösgläubigen oder verklagten Erbschaftsbesitzers haftet der Erbschaftsbesitzer nämlich gem. § 2021 BGB nur nach den Vorschriften der §§ 812, 818 BGB.

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Gem. § 122 Abs. 1 BGB hat der Anfechtende jedem Dritten, der auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat, Schadensersatz zu leisten. Diese allgemeine Regel gilt auch im Rahmen der Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung9. Zum Kreis der Ersatzberechtigten zählen insbesondere Nachlassgläubiger und der zunächst eingetretene Nächstberufene. Aber auch Nachlassschuldner, die an den zunächst eingetretenen Nächstberufenen ohne (z.B. nach §§ 851, 2367 BGB) befreiende Wirkung geleistet haben, können gem. § 122 Abs. 1 BGB verlangen, nicht erneut in Anspruch genommen zu werden10. Im Rahmen des § 122 BGB ersatzfähig sind aber nur Schäden, die entstanden sind, weil der Geschädigte auf die Annahme oder Ausschlagung vertraut und deshalb bestimmte Handlungen

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1 MüKo.BGB/Leipold, § 1957 Rz. 1. 2 BayObLG v. 13.1.1983 – BReg. 1Z 27/82, FamRZ 1983, 834 = BayObLGZ 1983, 9 (13 f.). 3 MüKo.BGB/Leipold, § 1955 Rz. 5. 4 BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 74/10, ZEV 2011, 544. 5 So aber Soergel/Stein, § 1957 Rz. 2; § 1959 Rz. 14. 6 Staudinger/Otte, § 1957 Rz. 5; Erman/J. Schmidt, § 1957 Rz. 2; Palandt/Weidlich, § 1957 Rz. 2. 7 Erman/Horn, § 2018 Rz. 2; Soergel/Dieckmann, § 2018 Rz. 3. 8 So aber AK/Derleder, § 1957 Rz. 2. 9 RGRK/Johannsen, § 1954 Rz. 6; Staudinger/Otte, § 1957 Rz. 3; Lange/Kuchinke, § 8 VII 2g (S. 221). 10 Staudinger/Otte, § 1957 Rz. 4. Muscheler

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vorgenommen oder unterlassen hat1. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung2 soll § 122 BGB (entgegen seinem Wortlaut) noch stärker eingeschränkt werden, und zwar dergestalt, dass der Dritte in seinen rechtlichen Beziehungen durch die Anfechtung „unmittelbar“ betroffen sein und der Schaden „unmittelbar“ aus dieser Einwirkung auf die Rechtslage des Dritten resultieren muss. An der „Unmittelbarkeit“ des Schadens fehle es, wenn jemand dem Erben im Vertrauen auf die Erbschaftsannahme Kredit gewährt habe. 2. Anfechtungsgründe 101

Die Anfechtungsgründe ergeben sich aus den §§ 119 ff. BGB, nicht aus den §§ 2078 ff. BGB3. In Betracht kommt somit eine Anfechtung wegen eines Erklärungs-, Inhalts- oder Eigenschaftsirrtums sowie aufgrund einer Täuschung oder Drohung. Ein Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB liegt vor, wenn der Erbe etwas Anderes als die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft erklären wollte. Hierunter sind Fälle zu fassen, in denen quasi die technische Umsetzung des Willens fehlgeschlagen ist4. Ein Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB ist gegeben, wenn dem Erklärenden nicht bewusst war, dass sein Verhalten in Abweichung von seiner Vorstellung objektiv eine andere Bedeutung hat. Der Erklärende erklärt, was er auch tatsächlich erklären will, nur misst er seiner Erklärung eine Bedeutung bei, die sie in Wirklichkeit nicht hat5. Ein typischer Fall dürfte die Annahme durch schlüssiges Verhalten sein. Oft wird der Erbe seiner Handlung – anders als der Rechtsverkehr – nicht die Bedeutung beimessen, dass er die Erbschaft endgültig behalten will (vgl. Rz. 51 ff.). Ein Irrtum über die Rechtsfolgen kann durchaus als Inhaltsirrtum beachtlich sein. Dann muss aber die durch die Willenserklärung erzeugte Hauptwirkung nicht die angestrebte, sondern eine wesentlich andere sein. Erzeugt die Willenserklärung dagegen nur weitere unerwünschte und unerkannte Nebenwirkungen, berechtigt dies nicht zur Anfechtung6. Die Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenwirkungen ist rechtsdogmatisch nicht überzeugend; sie ist nur als einigermaßen praktikables Kriterium für die Abwägung der beteiligten Interessen zu rechtfertigen7. Beispiel 1:8 Eine Miterbin zu 1/ 2 hatte die Erbschaft ausdrücklich angenommen. Dem anderen Miterben stand ein nicht anzurechnendes Vorausvermächtnis zu, dessen Wert mehr als 3/4 der Erbschaft ausmachte. Die Annahme hatte die Miterbin in der Vorstellung erklärt, dass sie die Vermächtniserfüllung bis zur Pflichtteilsgrenze verweigern könne. Hier war das angestrebte, unmittelbare Ziel ihrer Annahmeerklärung, die Stellung als Erbin 1 Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (212), m.w.N. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1957 Rz. 4. 3 OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, MDR 1981, 1017 = FamRZ 1981, 1202; Leipold, Rz. 613. 4 Palandt/Weidlich, § 119 Rz. 10. 5 Palandt/Weidlich, § 119 Rz. 11. 6 RG v. 3.6.1916 – V. 70/16, RGZ 88, 278 (284); Palandt/Ellenberger, § 119 Rz. 16; OLG Schleswig v. 11.5.2005 – 3 Wx 70/04, ZEV 2005, 526 (526): Der Irrtum des Ausschlagenden, sein Erbteil falle einem bestimmten Miterben an, ist ein unbeachtlicher Motivirrtum über (weitere) Rechtsfolgen der Ausschlagung. 7 OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, MDR 1981, 1017 = FamRZ 1981, 1202; Malitz, ZEV 1998, 415 (418). 8 Nach BayObLG v. 28.4.1998 – 1Z BR 26/98, FamRZ 1999, 117. 1192

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nach der Erblasserin zu erlangen. Ihre Fehlvorstellung bezog sich nicht auf diese unmittelbare Wirkung, sondern auf eine mittelbare Nebenwirkung, nämlich die erhoffte Möglichkeit, die Vermächtniserfüllung verweigern zu können. Die gewünschte Hauptwirkung trat somit ein; lediglich eine gewollte Nebenwirkung blieb aus. Eine Anfechtung kam nicht infrage. Beispiel 2:1 Ein Alleinerbe ist mit zahlreichen Vermächtnissen beschwert. Irrtümlich geht er entgegen § 2306 Abs. 1 BGB davon aus, die Erbschaft nicht ausschlagen zu dürfen, um seinen Pflichtteilsanspruch zu erhalten. Infolgedessen lässt er die Ausschlagungsfrist verstreichen (§§ 1943, 1944 Abs. 1 BGB). Kann er die Versäumung der Ausschlagungsfrist gem. § 1956 i.V.m. § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB wegen Inhaltsirrtums anfechten?

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob die Einnahme der Erbenstellung die alleinige unmittelbare Hauptwirkung der mit der Versäumung der Ausschlagungsfrist fingierten Annahme (§ 1943 2. Hs. BGB) ist2 oder dazu auch der Verlust der Möglichkeit des § 2306 Abs. 1 BGB, mit der Ausschlagung den Pflichtteilsanspruch zu erhalten, zählt3. Bei beschränkten bzw. beschwerten Erbteilen i.S.d. § 2306 Abs. 1 BGB ist die Rechtslage komplizierter und vielschichtiger als bei unbelasteten Erbteilen. Mit § 2306 Abs. 1 BGB stellt das Gesetz dem pflichtteilsberechtigten Erben ein Wahlrecht zwischen der Annahme des belasteten Erbteils und der Ausschlagung unter Erhalt des Pflichtteilsanspruchs zur Verfügung. Diese unmittelbare gesetzliche Verknüpfung der Rechtsfolgen der Annahme mit dem Pflichtteilsanspruch rechtfertigt es, den (endgültigen) Verlust des Pflichtteilsanspruchs durch Annahme der beschränkten bzw. beschwerten Erbschaft als unmittelbare Hauptwirkung der Annahme zu qualifizieren. Der BGH drückt diesen Zusammenhang sehr plastisch aus, indem er beide Folgen der Annahme, nämlich das Einrücken in die Rechtsstellung des Erben und den Verlust des Pflichtteilsanspruchs, als „zwei Seiten derselben Medaille“ bezeichnet4. Der Irrtum des Erben, der die Ausschlagungsfrist verstreichen lässt, stellt sich also als zur Anfechtung berechtigender Inhalts-, genauer: Rechtsfolgenirrtum und nicht als bloßer Motivirrtum heraus.

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Umgekehrt konnte früher auch die Ausschlagung der Erbschaft in der Konstellation des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB (s. Rz. 29 ff.) angefochten werden, wenn der Erbe irrigerweise davon ausging, wie in der Situation des § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB nur durch Ausschlagung den Pflichtteilsanspruch zu erlangen, und das Zusammenspiel des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB mit § 2305 a.F. BGB übersah5. Mit

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1 Nach BGH v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 = MDR 2007, 157 = FamRZ 2006, 1519 = ZEV 2006, 498. 2 BayObLG v. 16.3.1995 – 1Z BR 82/94, NJW-RR 1995, 904 (906) = FamRZ 1996, 59 (61); BayObLG v. 28.4.1998 – 1Z BR 26/98, ZEV 1998, 431 (432). 3 BGH v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 = MDR 2007, 157 = ZEV 2006, 498 (500) = FamRZ 2006, 1519 (1521) = ZErb 2006, 378 (381 f.); OLG Hamm v. 20.9.2005 – 15 W 188/05, FamRZ 2006, 578 (580 f.) = ZEV 2006, 168 (170 f.) m. zust. Anm. Haas/ Jeske; OLG Düsseldorf v. 18.9.2000 – 3 Wx 229/00, FamRZ 2001, 946 (947) = ZEV 2001, 109 = RNotZ 2001, 283 (283 f.). 4 BGH v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 = MDR 2007, 157 = ZEV 2006, 498 (500) m. zust. Anm. Leipold = FamRZ 2006, 1519 (1521) = ZErb 2006, 378 (382) m. zust. Anm. Keim. 5 OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, MDR 1981, 1017 = FamRZ 1981, 1202 = Rpfleger 1981, 402 (403); a.A. Lange/Kuchinke, § 8 VII 2 (S. 219). Muscheler

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der Änderung des § 2306 Abs. 1 BGB, wonach unabhängig von der Höhe des Erbteils eine Ausschlagung notwendig ist, um den Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können, wird es wahrscheinlich vermehrt zu Anfechtungen der Annahme kommen1. Schließlich bleiben im Falle einer Annahme nach § 2306 Abs. 1 BGB stets die vom Erblasser angeordneten Beschränkungen und Beschwerungen erhalten. 102

Ein Irrtum im Beweggrund ist im Rahmen des § 119 Abs. 1 BGB unbeachtlich. Dagegen kann ein gem. § 119 Abs. 2 BGB ausnahmsweise beachtlicher Motivirrtum gegeben sein, wenn sich der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person oder einer Sache geirrt hat. Eigenschaften sind die natürliche Beschaffenheit und rechtliche oder tatsächliche Verhältnisse oder Beziehungen zur Umwelt, soweit diese für die Verwendbarkeit oder Wertschätzung von Bedeutung sind2. Der Preis bzw. Wert einer Sache ist keine Eigenschaft, sondern nur Ausdruck der Summe aller verkehrswesentlichen Eigenschaften. Dementsprechend scheidet ein Irrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB aus, wenn sich der Erbe über den Wert des Nachlasses, den Wert einzelner Nachlassgegenstände oder über die Höhe der Erbschaftsteuer geirrt hat3. Eine steuerlich günstigere Gestaltungsmöglichkeit unter den Miterben berechtigt nicht zur Anfechtung der Erbschaftsannahme, wenn sich der Nachlass als werthaltiger erweist als bei der Annahme der Erbschaft4.

Beratungssituation: Der Mandant ist Alleinerbe. In dem Glauben, dass er nur Erbe werde, wenn er die Erbschaft ausdrücklich annehme, hatte er in den ersten Monaten nach dem Tod des Erblassers in keiner Weise reagiert. Nun möchte er die Erbschaft ausschlagen. 103

Nach § 1956 BGB kann die Annahme durch Versäumung der Ausschlagungsfrist in gleicher Weise wie eine ausdrückliche Annahme angefochten werden. Die Fristversäumung ist keine Willenserklärung, sondern wird dieser nur im Wege einer Fiktion gleichgestellt5. Daher ist es auch nicht möglich, die §§ 119 ff. BGB wie gewohnt anzuwenden. Hier kommt es vielmehr darauf an, ob das Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist auf einer Fehlvorstellung oder auf dem gänzlichen Fehlen irgendeiner Vorstellung beruht. Ein relevanter Irrtum liegt z.B. vor, wenn der Berufene die Frist versäumt, weil er keine Kenntnis oder eine Fehlvorstellung von ihrer Existenz, ihrem Lauf oder ihren Rechtsfolgen hatte6. Neben dem Irrtum über die Frist oder die Folgen des Ablaufs muss es Anhaltspunkte 1 Keim, ZEV 2008, 161 (162). 2 Palandt/Ellenberger, § 119 Rz. 24; OLG Hamm v. 27.11.1965 – 15 W 121/65, NJW 1966, 1080 (1081). 3 OLG Düsseldorf v. 20.7.2004 – I-3 Wx 193/04, ZEV 2005, 255 (255); Staudinger/Otte, § 1954 Rz. 13 f.; OLG Düsseldorf v. 5.9.2008 – 3 Wx 123/08, ZEV 2009, 137 (138); OLG Düsseldorf v. 31.1.2011 – I-3 Wx 21/11, FamRZ 2011, 1171; OLG Stuttgart v. 29.1.2009 – 19 U 150/08, FamRZ 2009, 1182; OLG Rostock v. 14.9.2011 – 3 W 118/10, NJW-RR 2012, 1356. 4 OLG Frankfurt v. 8.12.2009 – 20 W 325/09, BeckRS 2010, 19148; trotz des missverständlichen amtlichen Leitsatzes, wonach die Anfechtung nur wegen der Werthaltigkeit des Nachlasses nicht berechtigt ist, führt das OLG in seiner Begründung an, dass das Anfechtungsrecht nicht vor dem Irrtum über die günstigste steuerliche Gestaltung bei der Annahme eines Nachlasses schützt. 5 Palandt/Weidlich, § 1943 Rz. 3. 6 OLG Hamm v. 10.6.1985 – 15 W 131/85, MDR 1985, 937 = FamRZ 1985, 1185. 1194

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dafür geben, dass im Falle der Kenntnis dieser Umstände der Erbe die Ausschlagung erklärt hätte. Auf diese Weise wird der Ursachenzusammenhang zwischen Irrtum und Erklärung – hier dem Nichtstun – hergestellt1 (vgl. Rz. 106). Ein besonderes Anfechtungsrecht gewährt § 2308 BGB. Schlägt ein Pflichtteilsberechtigter seinen Erbteil2 aus – weil dieser nach seiner Vorstellung beschränkt oder beschwert ist –, um auf diese Weise gem. § 2306 Abs. 1 BGB seinen Pflichtteil zu erlangen, so kann die Ausschlagung unter den Voraussetzungen des § 2308 BGB angefochten werden. Zur Anfechtung ist der Ausschlagende berechtigt, wenn die Beschränkung oder Beschwerung zur Zeit der Ausschlagung weggefallen und ihm der Wegfall nicht bekannt war. Fällt die Belastung erst nach der Ausschlagung weg, kommt eine Anfechtung nach § 2308 Abs. 1 BGB nicht in Betracht3, es sei denn, der Wegfall wirkt auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurück4. Stünde die Anfechtungsmöglichkeit des § 2308 BGB nicht offen, würde der Ausschlagende aufgrund der Ausschlagung nicht nur die Erbschaft verlieren, sondern auch den Pflichtteil gem. § 2306 Abs. 1 BGB, da diese Norm ein belastetes Erbe voraussetzt5.

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§ 2308 BGB behandelt ausdrücklich nur den Fall der Anfechtung der Ausschlagung einer nicht mehr belasteten Erbschaft. Die Annahme einer Erbschaft in dem Glauben, dass sie unbelastet sei, erfasst § 2308 Abs. 1 BGB von seinem Wortlaut her nicht. Eine analoge Anwendung wird teilweise unter Hinweis auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift abgelehnt6; andere Anfechtungsgründe sollen ebenfalls ausgeschlossen sein. Die herrschende Auffassung sieht in der Belastung oder Beschwerung des Nachlasses dagegen eine verkehrswesentliche Eigenschaft, so dass eine Anfechtung der Annahme gem. § 119 Abs. 2 BGB möglich ist7.

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Neben dem bloßen Vorliegen des Anfechtungsgrundes muss auch Kausalität zwischen dem Irrtum und der Willenserklärung gegeben sein (vgl. schon Rz. 103). Nur wenn der Irrtum ursächlich für die Erklärung ist, kann die Anfechtung durchgreifen. Spielten andere (zutreffende) Überlegungen die entscheidende Rolle, ist für eine Anfechtung kein Raum. Bei der Feststellung der Ursächlich-

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1 BayObLG v. 30.1.1979 – BReg. 1Z 144/78, MittRhNotK 1979, 159 (160). 2 Vor Inkrafttreten der Änderung des § 2306 Abs. 1 BGB am 1.1.2010 (s. Rz. 29 ff.) kam es ferner darauf an, dass der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils überstieg. Nur unter dieser Einschränkung konnte der Pflichtteilsberechtigte nach Ausschlagung des beschränkten bzw. beschwerten Erbteils den Pflichtteil verlangen (§ 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB). 3 AK/Däubler, § 2308 Rz. 2. 4 BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229. = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52 Hier hatte der Pflichtteilsberechtigte die Belastung durch Testamentsanfechtung selbst beseitigt. 5 MüKo.BGB/Lange, § 2308 Rz. 1. Erledigt hat sich übrigens mit der Beseitigung des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB (Belastung und Beschwerung entfielen automatisch, wenn die Erbquote nicht über der Pflichtteilsquote lag) die Anfechtung des Pflichtteilsberechtigten, wenn er irrigerweise glaubte, die Geltendmachung des vollen Pflichtteils erst durch die Ausschlagung der Erbschaft realisieren zu können; so auch Gantenbrink, 1, 16. 6 OLG Stuttgart v. 12.11.1982 – 8 W 438/82, MDR 1983, 751 = OLGZ 1983, 304 (307); MüKo.BGB/Lange, § 2308 Rz. 13. 7 BayObLG v. 16.3.1995 – 1Z BR 82/94, FamRZ 1996, 59 = BayObLGZ 1995, 120 (127); Erman/Röthel, § 2308 Rz. 2; MüKo.BGB/Lange, § 2308 Rz. 11. Muscheler

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keit entscheidet nicht der subjektive Wille des Anfechtenden. Es kommt vielmehr darauf an, wie ein verständiger Dritter gehandelt hätte1. So kann man davon ausgehen, dass eine Anfechtung mangels Ursächlichkeit nicht in Betracht kommt, wenn der Irrende infolge der Willenserklärung wirtschaftlich nicht schlechter dasteht als ohne die Erklärung2. Durch diese Argumentation wird auch eine Entscheidung der Streitfrage, ob nicht nur die Überschuldung des Nachlasses, sondern auch schon die Belastung mit erheblichen Verbindlichkeiten eine Anfechtung rechtfertigt3, in vielen Fällen überflüssig. Soweit ein Überschuss der Aktiven des Nachlasses über die Passiven verbleibt, ist anzunehmen, dass der Erbe auch bei Kenntnis der Belastung und verständiger Würdigung des Falles die Erbschaft angenommen hätte, da man im Allgemeinen bei verständiger Würdigung auch kleinere Erbschaften anzunehmen pflegt4. Soweit dennoch eine Klärung der Streitfrage notwendig wird, ist mit dem BGH eine Belastung mit erheblichen Verbindlichkeiten jedenfalls dann als für eine Anfechtung ausreichend zu betrachten, wenn die Belastung den Pflichtteil des Erben gefährdet5. 107

Überblick Irrtümer: Beachtlicher Irrtum

Unbeachtlicher Irrtum

– Annahme durch schlüssiges Verhalten, wenn der Erbe keine Kenntnis vom Ausschlagungsrecht hatte und daher dem Verhalten keinen Erklärungswert beimaß6 – Annahme durch Fristablauf, wenn der Erbe die Ausschlagungsfrist verstreichen lässt, weil er über die Rechtsfolgen des Fristablaufs keine Kenntnis hat7 – Annahme durch Fristablauf, wenn der Erbe die Ausschlagungsfrist verstreichen lässt, weil er über die Länge der Ausschlagungsfrist irrt8

– Fehlerhafte Vorstellung über den Wert des gesamten Nachlasses – Ausdrückliche Annahme ohne Kenntnis vom Ausschlagungsrecht9 – Annahme durch Stellvertreter, wobei der Vertreter sich nicht an den Willen des Vertretenen hält; kein Irrtum, da ein solcher in der Person des Vertreters vorliegen muss10 – Irrtum über den Wert der von vornherein bekannten Nachlassgrundstücke11 oder sonstiger Nachlassgegenstände

1 OLG Zweibrücken v. 16.2.1996 – 3 W 260/95, FGPrax 1996, 113 (114), m.w.N. 2 BGH v. 8.6.1988 – VIII ZR 135/87, MDR 1988, 1050 = NJW 1988, 2597 (2599); BayObLG v. 11.1.1999 – 1Z BR 113/98, FamRZ 1999, 1172 = NJW-RR 1999, 590; OLG Zweibrücken v. 16.2.1996 – 3 W 260/95, FGPrax 1996, 113 (114); OLG Frankfurt v. 8.12.2009 – 20 W 325/09, BeckRS 2010, 19148. 3 Vgl. Darstellung des Meinungsstandes in OLG Zweibrücken v. 16.2.1996 – 3 W 260/95, FGPrax 1996, 113 (114). 4 BayObLG v. 11.1.1999 – 1Z BR 113/98, FamRZ 1999, 1172 = NJW-RR 1999, 590 (592). 5 BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 = MDR 1989, 523 = FamRZ 1989, 496 (363). 6 BayObLG v. 24.6.1983 – BReg. 1Z 124/82, BayObLGZ 1983, 153; OLG Hamm v. 10.6.1985 – 15 W 131/85, MDR 1985, 937 = FamRZ 1985, 1185. 7 RG v. 19.2.1934 – IV 394/33, RGZ 143, 419 (424). 8 OLG Hamm v. 10.6.1985 – 15 W 131/85, MDR 1985, 937 = FamRZ 1985, 1185. 9 BayObLG v. 29.10.1987 – BReg. 1Z 2/87, FamRZ 1988, 324 = BayObLGZ 1987, 356; BayObLG v. 16.3.1995 – 1Z BR 82/94, FamRZ 1996, 59 (60). 10 LG Koblenz v. 1.8.1968 – 4 T 280/68, FamRZ 1968, 656. 11 BayObLG v. 16.3.1995 – 1Z BR 82/94, BayObLG v. 16.3.1995 – 1Z BR 82/94, FamRZ 1996, 59 (60); OLG Düsseldorf v. 18.11.1998 – 11 U 49/98, ZEV 2000, 64. 1196

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 107

C II

Beachtlicher Irrtum

Unbeachtlicher Irrtum

– früher: Irrige Vorstellung, durch die Ausschlagung den Pflichtteil zu erhalten, obwohl tatsächlich ein Fall des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB gegeben ist (Rechtsfolgenirrtum)1 – Irrige Vorstellung, auch als Alleinerbe ohne Ausschlagung den Pflichtteil geltend machen zu können2 – Irrige Vorstellung über die Identität des Erblassers3 – Irrtum über die Formbedürftigkeit der Ausschlagung; Erbe glaubt, schon wirksam ausgeschlagen zu haben4 – Annahme der Erbschaft durch Fristablauf, da Ausschlagung infolge der Unkenntnis der familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigungsbedürftigkeit unwirksam war5 – Irrtum über Umfang und Zusammensetzung des Nachlasses (nicht Wert), insbesondere Überschuldung6 – Belastung der Erbschaft mit erheblicher Nachlassschuld, wenn dadurch der Pflichtteil des Erben gefährdet wird7

– Ausschlagung in Erwartung der Alleinerbenstellung des Ehepartners, die wegen der Unwirksamkeit der Erklärung eines Miterben nicht erreicht wird8 – Irrige Vorstellung über die Person des Nächstberufenen9 – Irrige Vorstellung einer Miterbin (1/ 2 Erbteil) darüber, dass nach ausdrücklicher Annahme der Erbschaft die Erfüllung eines Vermächtnisses bis zur Höhe des Pflichtteils verweigert werden könne10 – Irrige Vorstellung des ausschlagenden Vorerben, dass der Nacherbe die Erbschaft als Ersatzerbe annehmen werde11 – Späterer Wegfall des Ausschlagungsmotivs; hier: Wegfall der Überschuldung infolge der Verjährung einer Nachlassverbindlichkeit12

1 OLG Hamm v. 16.7.1981 – 15 W 42/81, MDR 1981, 1017 = FamRZ 1981, 1202; a.A. Lange/Kuchinke, § 8 VII 2 (S. 219); MüKo.BGB/Lange, § 2306 Rz. 14. 2 BGH v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 = MDR 2007, 157 = ZEV 2006, 498 (500) m. zust. Anm. Leipold = FamRZ 2006, 1519 (1521) = ZErb 2006, 378 (382) m. zust. Anm. Keim; OLG Hamm v. 20.9.2005 – 15 W 188/05, FamRZ 2006, 578 (580 f.) = ZEV 2006, 168 (170 f.) m. zust. Anm. Haas/Jeske; OLG Düsseldorf v. 18.9.2000 – 3 Wx 229/00, FamRZ 2001, 946 (947) = ZEV 2001, 109 (109) = RNotZ 2001, 283 (283 f.); ebenso Keim, ZEV 2003, 358 (360 f.). Anders wohl BayObLG v. 16.3.1995 – 1Z BR 82/94, FamRZ 1996, 59 (61). 3 Soergel/Stein, § 1954 Rz. 2. 4 BayObLG v. 13.10.1993 – 1Z BR 54/93, FamRZ 1994, 589; OLG Zweibrücken v. 23.2.2006 – 3 W 6/06, FamRZ 2006, 892 (894 f.) = NJW-RR 2006, 1594 (1596). 5 BayObLG v. 13.1.1983 – BReg. 1Z 27/82, FamRZ 1983, 834 = BayObLGZ 1983, 9. 6 Unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung RG v. 27.6.1938 – IV B 16/38, RGZ 158, 50 (51); BayObLG v. 13.1.1983 – BReg. 1Z 27/82, FamRZ 1983, 834 = BayObLGZ 1983, 9 (11); BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 = FamRZ 1989, 496; OLG Düsseldorf v. 18.11.1998 – 11 U 49/98, ZEV 2000, 64; OLG Düsseldorf v. 5.10. 2008 – I-3 Wx 123/08, ZErb 2008, 397 (398). Die Anfechtung der Ausschlagung wegen bloßer Spekulation über eine mögliche Überschuldung des Nachlasses genügt nicht dem Ursächlichkeitszusammenhang, OLG Düsseldorf v. 31.1.2011 – 3 Wx 21/11, FamRZ 2011, 1171. 7 BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 = FamRZ 1989, 496. 8 OLG München v. 4.8.2009 – 31 Wx 60/09, FamRZ 2009, 2119 = NJW 2010, 687. 9 OLG Düsseldorf v. 8.1.1997 – 3 Wx 575/96, FamRZ 1997, 905. 10 BayObLG v. 28.4.1998 – 1Z BR 26/98, FamRZ 1999, 117. 11 OLG Stuttgart v. 12.11.1982 – 8 W 438/82, MDR 1983, 751 = OLGZ 1983, 304. 12 LG Berlin v. 6.5.1975 – 83 T 181/75, NJW 1975, 2104. Muscheler

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Rz. 108 Beachtlicher Irrtum

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft Unbeachtlicher Irrtum

– Irrige Vorstellung über die eigene Erbquote1 – Unkenntnis über die Berufung eines weiteren Miterben2 – Unkenntnis von der Beschränkung durch Nacherbeneinsetzung3 – Wegfall einer Belastung oder Beschwerung (§ 2308 Abs. 1 BGB), die der Pflichtteilsberechtigte durch Testamentsanfechtung selbst rückwirkend beseitigt hat4

X. Besonderheiten bei Annahme und Ausschlagung eines Vermächtnisses 1. Allgemeines 108

Ebenso wie eine Erbschaft angenommen und ausgeschlagen werden kann, steht es auch dem Vermächtnisnehmer offen, das Vermächtnis anzunehmen oder auszuschlagen (§§ 2176, 2180 BGB). Anders als bei einer Erbschaft könnte freilich der Vermächtnisnehmer den tatsächlichen Erhalt des Vermächtnisgegenstandes schon dadurch verhindern, dass er die Vermächtnisforderung nicht geltend macht. Die Situation des Vermächtnisnehmers ist somit nicht ganz vergleichbar mit der des Erben. Dass aber das Gesetz beim Vermächtnis dennoch ein Ausschlagungsrecht vorsieht, ist mit der Geltung des Prinzips zu erklären, dass sich niemand eine Zuwendung von Todes wegen – und sei es auch nur eine schuldrechtliche Forderung – aufdrängen lassen muss5. Aus der Tatsache, dass die Ausgangssituation bei Erbschaft und Vermächtnis nicht ganz übereinstimmt, und den sich an diese Tatsache anknüpfenden Interessen des Rechtsverkehrs erklären sich auch die Unterschiede in der jeweiligen rechtlichen Ausgestaltung der Ausschlagung. Insbesondere sind bei der Ausschlagung des Vermächtnisses die formellen Anforderungen geringer. Die Einflussnahme Dritter auf das Ausschlagungsrecht ist ebenso ausgeschlossen wie im Rahmen der Erbschaftsausschlagung6 (vgl. Rz. 42 ff.). Auch eine Pfändung des schuldrechtlichen Anspruchs kann nicht die Ausübung des Ausschlagungsrechts einschränken7; auch hier steht der personale Charakter des Ausschlagungsrechts im Vordergrund. 1 OLG Hamm v. 27.11.1965 – 15 W 121/65, NJW 1966, 1080. 2 BGH v. 16.10.1996 – IV ZR 349/95, FamRZ 1997, 349 = MDR 1997, 260 = ZEV 1997, 22. 3 BayObLG v. 27.6.1996 – 1Z BR 148/95, FamRZ 1997, 188 = NJW-RR 1997, 72; OLG Hamm v. 18.3.2004 – 15 W 38/04, FamRZ 2005, 306 (307 f.). 4 BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, BGHZ 112, 229 = MDR 1991, 133 = FamRZ 1991, 52. 5 MüKo.BGB/Rudy, § 2180 Rz. 1. 6 Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 4. 7 Palandt/Weidlich, § 2180 Rz. 2; Soergel/Wolf, § 2180 Rz. 7. Eine ohne Verweis auf das Vermächtnis erfolgte Ausschlagung der Erbschaft rechtfertigt nicht ohne weiteres die Annahme einer konkludenten Ausschlagung des Vermächtnisses, OLG München 1198

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 110

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2. Formelle Anforderungen Annahme und Ausschlagung sind empfangsbedürftige Erklärungen1. Erklärungsempfänger ist gem. § 2180 Abs. 2 S. 1 BGB jeweils der Beschwerte, nicht das Nachlassgericht. Die Ausschlagungserklärung kann gem. § 2180 Abs. 2 S. 2 BGB erst nach dem Erbfall abgegeben werden. Anders als bei der Erbschaftsausschlagung gibt es keine Ausschlagungsfrist und daher keine Annahme durch Fristablauf. Auch bei wechselbezüglichen Verfügungen i.S.v. §§ 2270, 2271 BGB kommt für Vermächtnisse eine entsprechende Anwendung der Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB nicht in Betracht2. Eine Annahmefrist kann sich aber aus einer Anordnung des Erblassers ergeben. Darin ist eine bedingte Vermächtniseinsetzung zu sehen3. Daneben kann gem. § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB der beschwerte Erbe einem mit einem Vermächtnis bedachten Pflichtteilsberechtigten eine Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses setzen. Mit Ablauf der Frist gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, mit der Folge, dass der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil, nicht aber das Vermächtnis fordern kann (§ 2307 Abs. 2 S. 2 BGB). Der gesetzliche Vertreter bedarf gem. §§ 1643 Abs. 2, 1822 Nr. 2 BGB (ggf. i.V.m. §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB) der familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Genehmigung zur Ausschlagung des Vermächtnisses. Bei der Annahme rechtlich nachteiliger Vermächtnisse sind die beschwerten Eltern nicht vertretungsberechtigt4. Es ist unerheblich, ob der rechtliche Nachteil unmittelbar (z.B. belastetes oder beschwertes Vermächtnis)5 oder mittelbar (z.B. bei vermachter Eigentumswohnung) entsteht6. Eine ohne die erforderliche Genehmigung von den gesetzlichen Vertretern erklärte Ausschlagung des Vermächtnisses ist gem. §§ 1643 Abs. 3, 1908i Abs. 1 S. 1, 1915 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 1831 S. 1 BGB unwirksam. Eine nachträgliche Heilung scheidet aus. Ein Nachvermächtnis kann erst nach dem Erbfall, jedoch bereits vor Eintritt des Nachvermächtnisfalles ausgeschlagen werden7.

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3. Wirkungen von Annahme und Ausschlagung Hat der Vermächtnisnehmer die Annahme erklärt, so kann er gem. § 2180 Abs. 1 BGB das Vermächtnis nicht mehr ausschlagen; das Ausschlagungsrecht erlischt mit der Annahme. Hinsichtlich der Wirkung der Ausschlagung verweist § 2180 Abs. 3 BGB auf § 1953 Abs. 1, 2 BGB. Danach gilt der Anfall an den Aus-

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v. 5.6.2013 – 20 U 5005/12, FamRZ 2014, 876 = ZEV 2013, 508 (509). Das OLG München erwartet für die Ausschlagung eines (hier) Nachvermächtnisses durch schlüssiges Verhalten, also konkludent durch Ausschlagung der Erbschaft, (1) ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein und (2) eine entsprechende Willensrichtung. Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 2. BGH v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, FamRZ 2011, 468 = MDR 2011, 304 = NJW 2011, 1353. Überdies stellt der BGH klar, dass der überlebende Ehegatte durch erneute Änderung seiner Verfügung die Unwirksamkeit der Verfügung des verstorbenen Ehegatten nach § 2270 Abs. 1 BGB nicht heilen kann. Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 9. Palandt/Weidlich, § 2180 Rz. 2. OLG München v. 23.9.2011 – 34 Wx 311/11, FamRZ 2012, 740 = NJW-RR 2012, 137; Keim, ZEV 2011, 563. Jänicke/Braun, NJW 2013, 2474; diff. Röhl, MittBayNot 2013, 189. BGH v. 18.10.2000 – IV ZR 99/99, MDR 2001, 276 = FamRZ 2001, 156 = DNotZ 2001, 634 ff. Muscheler

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

schlagenden als nicht erfolgt. Insoweit ist die Wirkung dieselbe wie bei Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft. Die Bestimmung des Nächstberufenen richtet sich nach § 1953 Abs. 2 BGB. Aufgrund des § 2178 BGB ist § 1953 Abs. 2 BGB jedoch dahin gehend zu erweitern, dass zur Bestimmung des Nächstberufenen nicht nur fingiert werden muss, der Ausschlagende habe zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt, sondern auch, er sei nicht nach dem Erbfall geboren worden1. Infolge der Ausschlagung ist zunächst ein vom Erblasser bestimmter Ersatzvermächtnisnehmer gem. § 2190 BGB nachberufen. Auch aus § 2069 BGB kann sich ein Ersatzvermächtnisnehmer ergeben2. Sind mehrere Vermächtnisnehmer vorhanden, kommt in zweiter Linie eine Anwachsung gem. § 2158 BGB in Betracht3. Ergibt sich auch qua Anwachsung keine Nächstberufung, so ist das Vermächtnis hinfällig und verbleibt wertmäßig dem Beschwerten4. Mit der Annahme des Vermächtnisses (Erbfall in der Wohlverhaltensphase) entsteht die Obliegenheit des Insolvenzschuldners auf dessen hälftige Abführung an den Treuhänder, § 295 I Nr. 2 InsO5. Die Ausschlagung des Vermächtnisses löst weder ein Anfechtungsrecht (nach AnfG oder InsO) aus noch verletzt es eine Obliegenheit nach § 295 I Nr. 2 InsO6. 111

§ 2307 BGB enthält eine Sonderregelung für einen pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer. Führt die Ausschlagung einer Erbschaft in der Regel zum Verlust des Pflichtteils, so ist dies im Fall der Vermächtnisausschlagung schon im Grundsatz anders, da die gegenteilige Lösung einem Pflichtteilsentzug gleichkäme. Der Erblasser kann anordnen, dass ein Pflichtteilsberechtigter nur mit einem Vermächtnis bedacht, nicht aber zum Erben berufen wird. Eine solche Anordnung ist zulässig, da die Erlangung des Pflichtteils weiterhin möglich ist – auch wenn dazu das Vermächtnis ausgeschlagen werden muss7. In diesem Fall kann der Pflichtteilsberechtigte gem. § 2307 Abs. 1 BGB zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Er kann zum einen das Vermächtnis ausschlagen und erhält dann den vollen Pflichtteil oder er kann das Vermächtnis annehmen und daneben gegebenenfalls einen Rest-Pflichtteil gem. § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB geltend machen. Angesichts der Tatsache, dass die Ausschlagung des Vermächtnisses gem. § 2180 Abs. 2 S. 1 BGB durch (ggf. konkludente) Erklärung gegenüber dem Beschwerten erfolgt, kann in dem Geltendmachen des vollen Pflichtteils eine konkludente Ausschlagung des Vermächtnisses nach § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB zu sehen sein. Dafür muss der Erbe Vermächtnisschuldner sein (§ 2147 S. 1, 1. Alt. BGB), denn nur dann ist der Pflichtteilsschuldner mit dem Beschwerten i.S.d. § 2180 Abs. 2 S. 1 BGB identisch. Ferner muss die Erklärung wegen der differenzierten Regelung des § 2307 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB hinreichend deutlich machen, ob der Pflichtteilsberechtigte den vollen Pflichtteil (§ 2307 Abs. 1 S. 1 BGB) oder unter Beibehaltung des Vermächtnisanspruchs nur den Pflichtteils1 2 3 4

MüKo.BGB/Weidlich, § 2180 Rz. 8. Soergel/Wolf, § 2180 Rz. 11. Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 16. Erman/Nobis, § 2180 Rz. 3; Soergel/Wolf, § 2180 Rz. 11; Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 16. 5 BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, ZEV 2011, 327. 6 BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, FamRZ 2011, 809 = MDR 2011, 633 = NJW 2011, 2291; BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 56/12, MDR 2013, 302 = FamRZ 2013, 373 m. Anm. Christandl = NJW 2013, 692 (693); so auch Palandt/Weidlich, § 2180 Rz. 2. 7 MüKo.BGB/Leipold, § 2307 Rz. 2. 1200

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restanspruch nach § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB verlangt1. Zwar ist auch die Ausschlagung des § 2307 BGB grundsätzlich nicht an eine Frist gebunden2, jedoch beginnt die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs gem. § 2332 Abs. 2 BGB bereits vor der Ausschlagung, so dass das mit der Ausschlagung angestrebte Ergebnis nach Ablauf der Verjährung gem. § 2332 Abs. 1 BGB nicht mehr erreicht werden kann. Die Ausschlagung selbst bleibt allerdings weiterhin zulässig3. 4. Pflichtteilsberechtigter als Erbe und Vermächtnisnehmer Einige Besonderheiten gilt es zu beachten, falls der Pflichtteilsberechtigte zugleich Erbe und Vermächtnisnehmer ist. Soweit dem Pflichtteilsberechtigten ein die Hälfte des gesetzlichen Erbteils übersteigender unbelasteter Erbteil zugewendet wird, kommt ein Pflichtteilsanspruch im Falle einer Ausschlagung (sei es der Erbschaft, sei es des Vermächtnisses) nicht in Betracht. Macht der unbelastete Erbteil weniger als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils aus, so verbleibt dem Erben der Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2305 BGB unter Anrechnung des Vermächtnisses gem. § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB. Diese Anrechnung kann jedoch durch eine Ausschlagung des Vermächtnisses umgangen werden4 (während bei Ausschlagung der Erbschaft nur der Erbteil verloren ginge, ohne dass ein irgendwie gearteter Pflichtteilsanspruch gewonnen wäre). Freilich wird sich ein solches Vorgehen kaum lohnen, da auch bei Ausschlagung des Vermächtnisses lediglich der Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2305 BGB übrigbleibt. Die zusätzliche Ausschlagung des Vermächtnisses ist nur dann interessant, wenn der auf Geld gerichtete Pflichtteilsrestanspruch in ungeschmälerter Form vorteilhafter ist als z.B. die Kombination aus Pflichtteilsrestanspruch in Geld und „Sach“Vermächtnis.

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Im Falle eines belasteten Erbteils war früher nach der Höhe des Erbteils zu unterscheiden. Überstieg der Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, so konnte der Pflichtteilsberechtigte den vollen Pflichtteil verlangen, wenn er Erbe und Vermächtnis ausschlug, da es in diesem Fall zur gleichzeitigen Anwendung von § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB und § 2307 BGB kam5. Schlug er nur den Erbteil aus, erhielt er einen Pflichtteilsanspruch, auf den er sich das Vermächtnis anrechnen lassen musste; schlug er nur das Vermächtnis aus, stellte er sich besonders schlecht: Er verlor das Vermächtnis, ohne irgendetwas zu gewinnen. Überstieg der belastete Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nur unter Hinzurechnung des Vermächtnisses6 – war der eigentliche Erbteil also nicht größer als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils –, so kam es infolge der Ausschlagung des Vermächtnisses (trotz der vorherigen Hinzurechnung des Vermächtnisses für die

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1 OLG Köln v. 5.12.2005 – 2 U 103/05, FamRZ 2007, 169 (170). 2 Ausnahme: § 2307 Abs. 2 BGB; in Bezug auf die zu treffende Entscheidung muss die Frist angemessen sein, BGH v. 12.1.2011 – IV ZR 230/09, MDR 2011, 304 = FamRZ 2011, 468 (470); an die Stelle einer zu kurz bemessenen Frist tritt eine angemessene Frist, Gottwald, ZEV 2006, 347, 350. 3 Staudinger/Olshausen, § 2332 Rz. 23. 4 Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (207). 5 MüKo.BGB/Lange, 2010, § 2307 Rz. 15; Soergel/Dieckmann, § 2307 Rz. 15. 6 Der Wert des Vermächtnisses war dem Wert des Erbteils grundsätzlich hinzuzurechnen, wenn es um die Frage ging, ob § 2306 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 a.F. BGB anzuwenden war, BGH v. 30.4.1981 – IVa ZR 128/80, BGHZ 80, 263 = MDR 1981, 737. Muscheler

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Differenzierung innerhalb des § 2306 Abs. 1 a.F. BGB) zur Anwendung des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB1. Ohne Ausschlagung des Vermächtnisses schied § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB aus, da die Hinzurechnung des Vermächtnisses bewirkte, dass in diesem Fall tatsächlich mehr als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils hinterlassen wurde2. Wurde nur der Erbteil ausgeschlagen, kam es zur Anwendung des § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB, wobei der Wert des Vermächtnisses auf den Pflichtteil angerechnet wurde3. Wurden beide Zuwendungen ausgeschlagen, spielte die Reihenfolge der Ausschlagungen eine Rolle: Schlug der Erbe nämlich zuerst das Vermächtnis aus, lag kein belasteter Erbteil i.S.v. § 2306 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB mehr vor; vielmehr fielen die Belastungen des Erbteils automatisch weg (§ 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB). Eine nachfolgende Ausschlagung des Erbes hätte zum vollständigen Verlust jeglicher Nachlassbeteiligung geführt4. Wurde die Hälfte des gesetzlichen Erbteils auch nicht durch die Addition von Erbe und Vermächtnis erreicht, so galt § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB. Der Pflichtteilsberechtigte erhielt demnach ein unbelastetes Erbe, den Pflichtteilsrestanspruch und das Vermächtnis, das jedoch auf den Pflichtteilsrestanspruch anzurechnen war, was wiederum durch Ausschlagung des Vermächtnisses vermieden werden konnte5. 112b

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts am 1.1.2010 hat sich die Rechtslage erheblich vereinfacht: § 2306 Abs. 1 BGB verzichtet auf eine Differenzierung nach der Höhe des Erbteils und eröffnet generell die Möglichkeit, einen belasteten Erbteil auszuschlagen und gleichzeitig den Pflichtteil zu verlangen. Der Sozialhilfeträger kann das aus § 2306 BGB fließende Wahlrecht nicht auf sich überleiten, da es (1) höchstpersönlich und (2) kein Anspruch i.S.v. § 93 I SGB XII ist6. Das Ergebnis der Addition aus Erbteil und Vermächtnis spielt anders als bei dem Zusammenspiel von § 2306 Abs. 1 S. 1 und 2 a.F. BGB mit § 2307 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB für die Anwendung des § 2306 Abs. 1 BGB keine Rolle mehr. Der pflichtteilsberechtigte Erbe, der zugleich Vermächtnisnehmer ist, kann zwischen vier Varianten wählen: (1) Er nimmt sowohl den Erbteil als auch das Vermächtnis an und macht ggf. den Pflichtteilsrestanspruch aus § 2305 S. 1 BGB unter Anrechnung des Vermächtnisses gem. § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB geltend. Dabei ist § 2305 S. 2 BGB zu beachten, wonach die Beschränkungen und Beschwerungen i.S.d. § 2306 BGB bei der Berechnung des Wertes des Erbteils außer Betracht bleiben, also nicht mehr wertmindernd (und damit pflichtteilsrestanspruchserhöhend) abgezogen werden können7. Insoweit übernimmt § 2305 S. 1 BGB das in § 2307 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB für Vermächtnisse geregelte Abzugsverbot. (2) Er schlägt sowohl den belasteten Erbteil als auch das Vermächtnis aus und kann gem. §§ 2306 Abs. 1 BGB, 2307 BGB den vollen Pflichtteil verlangen. 1 2 3 4 5 6

BGH v. 30.4.1981 – IVa ZR 128/80, BGHZ 80, 263 = MDR 1981, 737. MüKo.BGB/Lange, 2010, § 2307 Rz. 16. MüKo.BGB/Lange, 2010, § 2307 Rz. 16. Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (207); MüKo.BGB/Lange, 2010, § 2307 Rz. 16. MüKo.BGB/Lange, § 2307 Rz. 17; Soergel/Dieckmann, § 2307 Rz. 16. BGH v. 19.2.2011 – IV ZR 7/10, NJW 2011, 1586. Der BGH hatte über einen Pflichtteilsverzichtsvertrag zwischen dem Sozialleistung beziehenden behinderten Kind und seinen Eltern zu befinden, den er als nicht sittenwidrig eingestuft hat. 7 Schindler, ZEV 2008, 187 (187). 1202

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

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In Anbetracht der Regelungen in § 2305 S. 2 BGB und in § 2307 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB bietet sich diese Variante bei wertmäßig besonders intensiven Belastungen des Erbteils bzw. des Vermächtnisses an. (3) Er schlägt nur den Erbteil aus und macht den Pflichtteilsanspruch gem. § 2306 Abs. 1 BGB geltend, wobei er sich das Vermächtnis nach § 2307 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB auf den Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen muss. (4) Nicht zu empfehlen ist eine Ausschlagung nur des Vermächtnisses unter Annahme des Erbteils. So verliert der Erbe den Vermächtnisanspruch, ohne dass er die Möglichkeit, einen vollen Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können, gewinnt. Gem. § 2306 Abs. 1 BGB bleiben die Beschränkungen bzw. Beschwerungen definitiv bestehen. Der Erbe kann freilich den Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 S. 1 BGB geltend machen, wenn der hinterlassene Erbteil geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Ist der überlebende Ehegatte bei Zugewinngemeinschaft Erbe und zugleich Vermächtnisnehmer, so richtet sich seine Teilhabe am Nachlass nach Ausschlagung beider Zuwendungen nach § 1371 Abs. 2 und 3 BGB. Nimmt er beide Zuwendungen an oder schlägt er nur eine aus, so kann er den Restanspruch bis zum „großen“ Pflichtteil jeweils gem. §§ 2305 S. 1, 2307 Abs. 1 S. 2 BGB geltend machen1.

112c

5. Anfechtung Annahme und Ausschlagung eines Vermächtnisses sind anfechtbar. Hier gelten jedoch nicht die Form- und Fristerfordernisse, die das Gesetz für die Anfechtung von Annahme und Ausschlagung der Erbschaft vorsieht. Anwendbar sind vielmehr die allgemeinen Vorschriften. Die Anfechtung hat innerhalb der Fristen der §§ 121, 124 BGB zu erfolgen2. Die Wirkung der Anfechtung bestimmt sich nicht nach § 1957 Abs. 1 BGB, sondern nach § 142 BGB. Es gibt keinen Automatismus derart, dass z.B. die Anfechtung der Ausschlagung zugleich die Annahme bedeutet; hier fällt dem Anfechtenden vielmehr ein erneutes Wahlrecht zu. Ficht ein pflichtteilsberechtigter Vermächtnisnehmer die Ausschlagung des Vermächtnisses gem. § 2308 Abs. 1 BGB an, so finden allerdings gem. § 2308 Abs. 2 S. 1 BGB die Regelungen der §§ 1954, 1957 Abs. 1 BGB Anwendung3. Die Anfechtung hat entgegen den §§ 1955, 1957 Abs. 2 BGB dem Beschwerten gegenüber zu erfolgen (§ 2308 Abs. 2 S. 2 BGB; vgl. dazu auch Rz. 104 f.).

XI. Haftung und Ansprüche des Zwischenerben 1. Allgemeines

Beratungssituation: Der Mandant ist endgültiger Erbe. Der vorläufige Erbe hat in der Zeit vor der Ausschlagung einen Mietvertrag über eine Nachlasswohnung abgeschlossen und die Zahlung einer zum Nachlass gehörigen fälligen Kaufpreisschuld angenommen. Der Mandant fragt, ob er an den Miet1 MüKo.BGB/Lange, § 2307 Rz. 20; Soergel/Dieckmann, § 2307 Rz. 18. 2 Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 10; Erman/Nobis, § 2180 Rz. 1. 3 Staudinger/Otte, § 2180 Rz. 10. Muscheler

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Rz. 114

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vertrag gebunden ist und ob er vom Kaufpreisschuldner erneute Leistung an sich verlangen kann. Bei dem vorläufigen Erben sei „nichts zu holen“. 114

Die Ausschlagung hat zur Folge, dass der Nächstberufene Erbe wird, und zwar rückwirkend vom Zeitpunkt des Erbfalls an. Der Ausschlagende wird erbrechtlich als nicht existent behandelt. Tatsächlich aber hatte er jedenfalls für eine gewisse Zeit die Stellung des Erben inne, ohne aber im Nachhinein betrachtet eine Berechtigung dafür gehabt zu haben. Grundsätzlich wäre der Ausschlagende daher wie jeder beliebige Dritte zu behandeln, mit der Konsequenz, dass sich das Verhältnis zum endgültigen Erben nach den §§ 2018 ff. BGB bestimmen würde. Der Zwischenerbe wird jedoch durch die Ausschlagung nach ganz herrschender Meinung nicht zum Erbschaftsbesitzer i.S.d. §§ 2018 ff. BGB, da diese Regeln nur eingreifen, wenn jemand ohne ein Erbrecht den Nachlass erlangt. Bezogen auf den Zeitraum bis zur Ausschlagung stand dem Zwischenerben aber (zunächst) ein Erbrecht zu1. Das Gesetz trägt diesem Umstand dadurch Rechnung, dass es für das Verhältnis zwischen dem endgültigen Erben und dem Ausschlagenden in § 1959 BGB eine besondere Regelung vorsieht. § 1959 Abs. 1 BGB spricht von Geschäften vor der Ausschlagung. Da gem. § 1957 Abs. 1 BGB die Anfechtung der Annahme als Ausschlagung gilt, fallen auch alle Geschäfte in der Zeit nach einer Annahme bis zu deren wirksamer Anfechtung unter die Norm2 (zu dem Sonderfall einer Anfechtung der Ausschlagung vgl. Rz. 98 ff.). Der nach § 1959 BGB abzuwickelnde Zeitraum kann daher unter Umständen recht lang sein. In Bezug auf Handlungen, die nach der Ausschlagung erfolgten, steht der vorläufige Erbe jedem Dritten gleich3.

115

Gem. § 1959 Abs. 1 BGB gilt der Ausschlagende im Falle der Besorgung erbschaftlicher Geschäfte dem endgültigen Erben gegenüber als Geschäftsführer ohne Auftrag. Ein erbschaftliches Geschäft liegt vor, sobald sich die betreffende Handlung – sei es eine tatsächliche oder eine rechtsgeschäftliche – auf den Nachlass bezieht4. Die Vorschriften der §§ 677 ff. BGB werden nur entsprechend angewendet, da der vorläufige Erbe (der ja noch Erbe ist) regelmäßig nicht den Willen hat, für einen anderen tätig zu werden, zumal ihm die Person des Nächstberufenen oft nicht bekannt sein wird5. Auf den Willen des tatsächlichen Erben kann er daher keine Rücksicht nehmen. Aus diesem Grund ist § 678 BGB nicht anwendbar, ebenso wenig § 687 BGB. Gleichwohl ist willkürlicher Umgang mit dem Nachlass nicht zulässig, da ansonsten die Interessen des endgültigen Erben unberücksichtigt blieben. Dessen Interessen werden dadurch gewahrt, dass der vorläufige Erbe die Geschäfte wie ein verständiger Erbe, also von sachlichen Gesichtspunkten geleitet, führen muss6. Anderenfalls macht er sich schadensersatzpflichtig7. Ist der Anfall der Erbschaft an den (auch in Person feststehenden) Nächstberufenen aber schon sicher, so ist dessen Willen beachtlich8. Den vorläufigen Erben trifft zwar keine Verpflichtung, sich um den Nachlass zu 1 2 3 4 5 6 7 8

Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 7. Soergel/Stein, § 1959 Rz. 2; Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 3. MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 3. MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 3. Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 5; MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 4. Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 5; MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 4. MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 4. Erman/J. Schmidt, § 1959 Rz. 2.

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kümmern1, gleichwohl ist er aber dazu berechtigt2. Wird er tätig, so muss er eine begonnene Angelegenheit auch – sofern notwendig – weiterführen3. Die Vorschriften der §§ 985 ff. BGB finden für die Zeit vor der Ausschlagung keine Anwendung, da der vorläufige Erbe berechtigter Besitzer war4. Hatte der vorläufige Erbe den tatsächlichen Besitz an Nachlassgegenständen inne, so kann hierin keine verbotene Eigenmacht gem. § 858 BGB oder ein Abhandenkommen gem. § 935 BGB gesehen werden, da der Besitz als gesetzlich gestattet erachtet werden muss5.

116

2. Ansprüche des endgültigen Erben gegen den Zwischenerben a) Anspruch auf Herausgabe Gem. §§ 667, 681 S. 2, 1959 Abs. 1 BGB muss der vorläufige Erbe alles, was er zur Ausführung des „Auftrags“ erhält und was er aus der „Geschäftsführung“ erlangt, herausgeben. Hat der Erbe die Verwaltung des gesamten Nachlasses übernommen, so erstreckt sich die Herausgabeverpflichtung auch auf den Nachlass als Ganzes6. Soweit er Mittel des Nachlasses zu eigenen Zwecken einsetzt, kommt eine Pflicht zur Verzinsung in Betracht (§§ 668, 681 S. 2, 1959 Abs. 1 BGB). Die Höhe der Zinsen richtet sich nach den §§ 246 BGB, 352 HGB7.

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b) Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Delikt Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. §§ 812 ff. BGB und Delikt gem. §§ 823 ff. BGB gegen den vorläufigen Erben können ebenfalls in Betracht kommen. Jedoch stellt die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag sowohl einen rechtlichen Grund als auch einen Rechtfertigungsgrund dar8. Soweit der vorläufige Erbe also ein erbschaftliches Geschäft wie ein verständiger Erbe besorgt, scheiden bereicherungsrechtliche und deliktische Ansprüche tatbestandsmäßig aus.

118

c) Anspruch auf Auskunft Während der Erbschaftsbesitzer i.S. der §§ 2018 ff. BGB gem. §§ 2027, 2028 BGB nur über den Bestand und den Verbleib des Nachlasses Auskunft geben muss, nicht aber über den Wert der Nachlassgegenstände oder über den Stand der Nachlassverbindlichkeiten9, treffen den vorläufigen Erben solche weitergehenden Informationspflichten gem. §§ 666, 681 S. 2, 1959 Abs. 1 BGB. Es besteht 1 OLG Braunschweig v. 13.7.1920 – 2. ZS, OLGE 42, 204; Palandt/Weidlich, § 1959 Rz. 1. 2 MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 1. 3 Palandt/Weidlich, § 1959 Rz. 1. 4 MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 2. 5 Leipold, Rz. 623; Palandt/Weidlich, § 1953 Rz. 4. 6 Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 7. 7 Palandt/Sprau, § 668 Rz. 1. 8 Palandt/Sprau, Einf. v. § 677 Rz. 10, 11. Solange und soweit sich der Geschäftsführer im Rahmen der GoA bewegt, BGH v. 20.7.2011 – XII ZR 149/09, MDR 2012, 163 = FamRZ 2012, 273 m. Anm. Wever = NJW 2012, 523. 9 Sarres, ZEV 1999, 216 (217); MüKo.BGB/Helms, § 2027 Rz. 6, 7. Muscheler

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auf Verlangen die Verpflichtung zur umfassenden Rechenschaftslegung gegenüber dem endgültigen Erben, d.h., der vorläufige Erbe muss in verkehrsüblicher Weise über die Ausführung der erbschaftlichen Geschäfte berichten, eine Aufstellung über Einnahmen und Ausgaben anfertigen und sonstige Detailinformationen geben1. 3. Ansprüche des Zwischenerben gegen den endgültigen Erben 120

Hat der vorläufige Erbe erbschaftliche Geschäfte wie ein verständiger Erbe besorgt, so steht ihm gegen den endgültigen Erben ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 683 S. 1, 670, 1959 Abs. 1 BGB zu. Ein Ausschluss des Anspruchs nach § 685 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht, da der vorläufige Erbe regelmäßig selbstbezogen handelt2. Soweit der vorläufige Erbe eingegangene Verbindlichkeiten noch nicht erfüllt hat, steht ihm gegen den Erben ein Befreiungsanspruch gem. §§ 257, 670, 683 S. 1, 1959 Abs. 1 BGB zu. Durch Pfändung und Überweisung dieses Anspruchs erlangen Gläubiger des vorläufigen Erben die ihnen sonst verschlossene Möglichkeit, gegen den endgültigen Erben vorzugehen (dazu Rz. 125). Forderungen auf Aufwendungsersatz gegen den endgültigen Erben sind Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 1967 BGB3, so dass eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass in Frage kommt. Im Rahmen eines Nachlassinsolvenzverfahrens stellen die Ansprüche des vorläufigen Erben auf Aufwendungsersatz gem. § 324 Abs. 1 Nr. 6 Var. 3 InsO Masseverbindlichkeiten dar. 4. Zurechnung von Handlungen des Zwischenerben a) Verfügungen

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Durch die Ausschlagung wird rückwirkend auch die Eigentümerposition des (vorläufigen) Erben beseitigt. Verfügungen über Nachlassgegenstände können dem endgültigen Erben gegenüber gleichwohl wirksam sein. Zum einen kommt gutgläubiger Erwerb infrage. Bei beweglichen Sachen richtet sich dieser nach den §§ 932 ff., 1032, 1207 BGB (zu § 935 BGB vgl. Rz. 116), bei unbeweglichen Sachen nach § 892 BGB. Allerdings muss sich der gute Glaube nicht nur auf die Berechtigung als Eigentümer beziehen, sondern auch auf das Nichtbestehen des Ausschlagungsrechts bzw. eines Grundes zur Anfechtung der Annahme, analog § 142 Abs. 2 BGB4. Wusste der Erwerber bzw. wusste er im Fall des § 932 Abs. 2 BGB grob fahrlässig nicht, dass der Veräußerer nur vorläufiger Erbe ist, so konnte er nämlich nicht darauf vertrauen, dass die Berechtigung kraft Erbenstellung auf jeden Fall dauerhaft sein werde. – Daneben kommt wirksamer Erwerb aufgrund Erbscheins gem. § 2366 BGB in Betracht. Allerdings beseitigt auch hier die Kenntnis von der Vorläufigkeit der Erbenstellung den öffentlichen Glauben5. – Schließlich kann der endgültige Erbe die Verfügungen auch gem. § 185 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB genehmigen. 1 2 3 4 5

Sarres, ZEV 1999, 216 (217); Palandt/Sprau, § 666 Rz. 4. MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 4. Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 6. Soergel/Stein, § 1959 Rz. 11; MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 7. MüKo.BGB/Meyer, § 2366 Rz. 29 in Analogie zu § 142 II BGB; Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 15. Regelmäßig ist in dem Antrag auf Erteilung eines Erbscheins eine Annahme zu sehen, so dass es hier praktisch nur um Fälle der Anfechtung der Annahme geht. Der Erwerber müsste also Kenntnis vom Anfechtungsgrund haben.

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C II

Neben diesen allgemeinen Tatbeständen für den Erwerb vom Nichtberechtigten enthält § 1959 Abs. 2 BGB noch eine Sondervorschrift. Danach ist eine Verfügung des vorläufigen Erben dann wirksam, wenn sie nicht ohne Nachteil für den Nachlass aufgeschoben werden konnte. Auf eine etwaige Kenntnis des Erwerbers von der Vorläufigkeit der Erbenstellung kommt es hier nicht an, da § 1959 Abs. 2 BGB kein Gutglaubenserwerbstatbestand ist1. Verfügungen sind Rechtsgeschäfte, die auf ein zum Nachlass gehörendes Recht unmittelbar, sei es durch Änderung, Belastung, Übertragung oder Aufhebung, einwirken2. Hierzu zählt auch die Ausübung von Gestaltungsrechten (zur Erfüllung durch Dritte vgl. Rz. 124). Die Verfügung muss dringlich sein. Ob ein Schaden für den Nachlass eintreten kann, wenn die Verfügung erst später durchgeführt wird, ist nach objektiven und wirtschaftlichen Kriterien zu beurteilen3. Auf den Kenntnisstand oder auf Irrtümer des vorläufigen Erben kommt es nicht an4. Ebenso wenig spielt eine Rolle, ob der Erwerber um die Dringlichkeit weiß5.

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Das einer Verfügung zugrunde liegende Kausalgeschäft ist von § 1959 Abs. 2 BGB nicht miterfasst6 (vgl. Rz. 125). Mangels Verfügungseigenschaft entfalten auch rechtskräftige Urteile aus Aktivprozessen des Zwischenerben keine Bindungswirkung für und gegen den endgültigen Erben. Im Falle der Ausschlagung der Erbschaft findet keine Rechtsnachfolge i.S.d. § 265 ZPO zwischen dem endgültigen Erben und dem Zwischenerben statt und demnach auch keine subjektive Rechtskrafterstreckung (§ 325 Abs. 1 ZPO)7. Der endgültige Erbe ist aufgrund der Rückwirkung der Ausschlagung gem. § 1953 Abs. 1, 2 BGB nur unmittelbarer Rechtsnachfolger des Erblassers. Soweit jedoch ein Aktivprozess einen unter § 1959 Abs. 2 BGB fallenden Sachverhalt betrifft, wird zu Recht eine Rechtskrafterstreckung analog § 326 Abs. 1 ZPO angenommen8; teils sogar schon dann, wenn nur die Prozessführung als solche dringlich ist9. In diesen Fällen wirkt das Urteil auch gegen den wahren Erben. Die Ansicht10, dass in Fällen außerhalb des § 1959 Abs. 2 BGB eine Klage des vorläufigen Erben dann zulässig ist, wenn er auf Leistung an den endgültigen Erben klagt, ist abzulehnen, da sie die Interessen der anderen Beteiligten nicht hinreichend wahrt: Zum einen sieht sich der Beklagte in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt; ihm ist z.B. die Widerklage nach § 1958 BGB verwehrt. Zum anderen werden auch die Interessen des endgültigen Erben beeinträchtigt. Es ist nicht eindeutig und schon gar nicht zwingend, dass auch er einen solchen Prozess führen würde. Die Vorschrift des § 1959 BGB zeigt aber deutlich, dass er sich nur ausnahmsweise etwas aufdrängen lassen muss, was der vorläufige Erbe zu verantworten hat. Es besteht darüber hinaus auch kein praktisches Bedürfnis für den genannten Weg.

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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 9. Palandt/Ellenberger, Überbl. v. § 104 Rz. 16. OLG Düsseldorf v. 18.11.1998 – 11 U 49/98, ZEV 2000, 64 (65). OLG Düsseldorf v. 18.11.1998 – 11 U 49/98, ZEV 2000, 64 (65). Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 9. RGRK/Johannsen, § 1959 Rz. 7; Palandt/Weidlich, § 1959 Rz. 3; MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 6; AK/Derleder, § 1959 Rz. 4; Friedrich, S. 201; krit. hingegen Bertzel, S. 107. BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359 = MDR 1989, 523 = FamRZ 1989, 496 (364). Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 21; RGRK/Johannsen, § 1959 Rz. 2. MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 12. Erman/Schlüter (12. Aufl.), § 1959 Rz. 7. Muscheler

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Rz. 123

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Statt eines entsprechend formulierten Klageantrages könnte der vorläufige Erbe auch kurzerhand die Ausschlagung mit der Folge erklären, dass der endgültige Erbe nun selbst die Klage betreiben kann. b) § 1959 Abs. 3 BGB 123

Gem. § 1959 Abs. 3 BGB sind Rechtsgeschäfte gegenüber dem vorläufigen Erben, die dem Erben als solchem gegenüber vorgenommen werden müssen, auch dem endgültigen Erben gegenüber wirksam. Aus dem Wortlaut („gegenüber“) lässt sich erkennen, dass die Vorschrift nur einseitige empfangsbedürftige Rechtsgeschäfte erfasst1 (vgl. Rz. 125). Die in der Norm bezeichnete Wirkung tritt unabhängig davon ein, ob der Erklärende um die Vorläufigkeit der Erbenstellung des Erklärungsempfängers weiß2. Zu den unter § 1959 Abs. 3 BGB fallenden Rechtsgeschäften zählen unter anderem Kündigungen, Anfechtungs- und Rücktrittserklärungen, die Aufrechnung eines Nachlassschuldners mit einer Forderung gegen den Nachlass, Rücktritt und Minderung sowie die Annahme eines Angebots des Erblassers gem. § 153 BGB. Ebenso ist auch das annahmeverzugsbegründende Angebot eines Schuldners dem endgültigen Erben gegenüber wirksam3; davon ist allerdings die Frage, ob die Annahme der Leistung durch den vorläufigen Erben auch Erfüllungswirkung gegenüber dem endgültigen Erben hat, zu unterscheiden (vgl. dazu Rz. 124). Dagegen kann schon der vorläufige Erbe vor Ablauf der Ausschlagungsfrist nicht in Schuldnerverzug gesetzt werden4, so dass sich die Frage der Bindungswirkung zulasten des endgültigen Erben gar nicht erst stellt. Erst mit der Annahme durch den endgültigen Erben kann die (schon früher ausgesprochene) Mahnung ihre Wirkung gegen diesen entfalten5. c) Erfüllung durch Dritte

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Dass eine Erfüllung mit befreiender Wirkung dem endgültigen Erben gegenüber durch Leistung an den vorläufigen Erben eintreten kann, entspricht allgemeiner Auffassung. Jedoch herrscht Uneinigkeit über die Voraussetzungen, unter denen eine solche befreiende Erfüllung möglich ist. Vorrangig aus Gründen des Schuldnerschutzes wird eine befreiende Erfüllung teilweise unter § 1959 Abs. 3 BGB gefasst und daher als immer – insbesondere ohne Dringlichkeit – möglich angesehen6. Andere wollen eine befreiende Erfüllung nur unter den Voraussetzungen des § 1959 Abs. 2 BGB, also im Fall der Dringlichkeit, zulassen, da die Erfüllung zugleich eine Verfügung über die zugrunde liegende Forderung sei7 oder jedenfalls wie eine solche behandelt werden müsse8. Nur dann, wenn ein Aufschub der Erfüllung einen Nachteil für den Nachlass bedeuten würde, könnte nach die1 RGRK/Johannsen, § 1959 Rz. 12; Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 18; Palandt/ Weidlich, § 1959 Rz. 4. 2 Erman/J. Schmidt, § 1959 Rz. 10; Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 18. 3 Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 19. 4 RG v. 3.4.1912 – III. 259/11, RGZ 79, 201 (203). 5 Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 19. 6 Kipp/Coing, S. 496 f.; MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 10; AK/Derleder, § 1959 Rz. 4. 7 Palandt/Weidlich, § 1959 Rz. 3; RGRK/Johannsen, § 1959 Rz. 12, sehen in der Annahme eine Verfügung. 8 Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 11; Soergel/Stein, § 1959 Rz. 9, 12; offen Erman/ J. Schmidt, § 1959 Rz. 7. 1208

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Rz. 126

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ser zweiten Ansicht ein Schuldner mit endgültig befreiender Wirkung leisten. In der Praxis dürfte sich der Streit kaum auswirken, da Dringlichkeit gemeinhin schon dann angenommen wird, wenn die Nichtannahme der Leistung zum Annahmeverzug führen würde, der ja auch dem endgültigen Erben gegenüber wirkt1 (vgl. Rz. 126). Nur in den (seltenen) Fällen, in denen ein Schuldner die Leistung vor Fälligkeit und ohne Dringlichkeit für den Nachlass anbietet, wäre der Streit erheblich. d) Verpflichtungsgeschäfte Der endgültige Erbe muss nicht für Verbindlichkeiten einstehen, die der Zwischenerbe eingegangen ist (und zwar nicht einmal mit dem Nachlass, geschweige denn mit seinem Eigenvermögen)2. Verpflichtungsgeschäfte fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 1959 Abs. 3 BGB, da sie nicht gegenüber, sondern mit dem Zwischenerben vorgenommen werden; § 1959 Abs. 3 BGB erfasst nur einseitige Rechtsgeschäfte3. Einzig der Zwischenerbe wird durch die Verbindlichkeit verpflichtet; er haftet dafür auch nach der Ausschlagung mit seinem Eigenvermögen4. Schließt der Zwischenerbe z.B. mit einem Dritten einen Mietvertrag über eine zum Nachlass gehörende Wohnung ab, so ist der endgültige Erbe nicht an diesen Vertrag gebunden5; lediglich der Zwischenerbe schuldet die Erfüllung. Nur wenn der Zwischenerbe hinsichtlich der Verbindlichkeit einen Freistellungsanspruch gem. §§ 1959 Abs. 1, 683 S. 1, 670, 257 BGB gegen den endgültigen Erben hat, kann es dazu kommen, dass dieser letztlich doch für die Verbindlichkeit einstehen muss. Ist ein solcher Freistellungsanspruch tatsächlich gegeben, besteht für den Gläubiger die Möglichkeit, über den Umweg der Pfändung des Freistellungsanspruchs direkt gegen den endgültigen Erben vorzugehen. Eine unmittelbare Haftung des endgültigen Erben kann sich jedoch im Falle der Fortführung eines Handelsgeschäfts aufgrund spezieller handelsrechtlicher Haftungsvorschriften ergeben (vgl. Rz. 126).

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e) Fortführung eines Handelsgeschäfts unter der bisherigen Firma Anders als nach den erbrechtlichen Haftungsvorschriften des BGB haftet der endgültige Erbe gem. §§ 27 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 1 HGB auch für Verbindlichkeiten, die der vorläufige Erbe im Zusammenhang mit einem zum Nachlass gehörenden Handelsgeschäft eingegangen ist, sofern das Geschäft (von vorläufigem und endgültigem Erben) unter der bisherigen Firma fortgesetzt wird6. Dabei ist es unerheblich, ob sich die Eingehung der Verbindlichkeit objektiv im Rahmen einer ordnungsmäßigen Nachlassverwaltung hielt7. Der Unterschied zwischen 1 Soergel/Stein, § 1959 Rz. 10; Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 11; RGRK/Johannsen, § 1959 Rz. 12. 2 H.M., MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 8; Palandt/Weidlich, § 1959 Rz. 3; RGRK/ Johannsen, § 1959 Rz. 7; Friedrichs, S. 200 ff. mit ausführlicher Darstellung und Widerlegung abweichender Auffassungen. 3 RGRK/Johannsen, § 1959 Rz. 12. 4 Staudinger/Marotzke, § 1959 Rz. 12. 5 Beispiel nach MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 8. 6 BGH v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, BGHZ 32, 60; Friedrich, S. 213; Baumbach/Hopt, HGB, § 27 Rz. 4. 7 BGH v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, BGHZ 32, 60. Muscheler

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Rz. 127

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

den erbrechtlichen und den handelsrechtlichen Haftungsvorschriften ist mit der besonderen ratio der §§ 25 ff. HGB zu erklären. Sie besteht darin, dass die in der Fortführung unter der bisherigen Firma nach außen zum Ausdruck kommende Kontinuität des Unternehmens auch in haftungsrechtlicher Hinsicht konsequent umgesetzt werden soll1. In einer solchen Situation erhält der Gläubiger somit zwei Schuldner. Der Zwischenerbe haftet persönlich nach erbrechtlichschuldrechtlicher Regelung, während daneben der endgültige Erbe nach handelsrechtlichen Haftungsgrundsätzen für die Verbindlichkeit einzustehen hat. Diese für den Gläubiger vorteilhafte Situation rechtfertigt auch die analoge Anwendung der Sonderverjährungsregel des § 26 HGB zugunsten des Ausschlagenden2. Nach ihr verjähren die Ansprüche der Gläubiger gegen den Ausschlagenden nach fünf Jahren. Führt der Zwischenerbe das Geschäft unter einer neuen Firma weiter, bleibt es bei der Haftung nach erbrechtlichen Grundsätzen3. f) Der Zwischenerbe in einer Personenhandelsgesellschaft 127

Ist der vorläufige Erbe aufgrund einer Eintrittsklausel, also durch (vom Gesellschaftsvertrag ermöglichte) Individualvereinbarung mit den verbleibenden Gesellschaftern, in die Gesellschaft aufgenommen worden, liegt bei späterer Ausschlagung eine fehlerhafte Gesellschaft vor4. Während des Vollzugs der fehlerhaften Gesellschaft ist der vermeintliche Erbe nach allgemeinen Grundsätzen vollberechtigter Gesellschafter der OHG. Den übrigen Gesellschaftern steht aufgrund der Fehlerhaftigkeit des Aufnahmevertrags ein Ausschließungsrecht gegen den vorläufigen Erben zu5. Die Ausschlagung selber führt noch nicht zur Aufhebung der Gesellschafterstellung, da diese nicht unmittelbar durch das nun weggefallene Erbe, sondern durch einen rechtsgeschäftlichen Akt entstanden ist. Der wahre Erbe hat trotz des Eintritts des vorläufigen Erben noch immer die Option und gegebenenfalls einen Anspruch auf Eintritt in die Gesellschaft oder die Auszahlung eines Abfindungsguthabens6. Der Anspruch auf das Abfindungsguthaben gegen die Gesellschaft ist aber dann erloschen, wenn die Gesellschaft die Abfindung an einen durch Erbschein legitimierten vorläufigen Erben gezahlt hat7. Ob die Vorlage eines Erbscheins sogar dazu führt, dass der Aufnahmevertrag dem endgültigen Erben gegenüber wirksam ist, mit der Folge, dass keine fehlerhafte Gesellschaft vorliegt8, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Eine solche Wirkung des Erbscheins muss aber abgelehnt werden, da das Eintrittsrecht nicht zum Nachlass gehört; schließlich stand es dem Erblasser selber nicht zu9. Die Wirkung eines Erbscheins kann sich aber nur auf zum Nachlass gehörige Rechte erstrecken. 1 BGH v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, BGHZ 32, 60 (64); Baumbach/Hopt, HGB, § 25 Rz. 1. 2 Friedrich, S. 214 f.; Hüffer in Großkommentar HGB, § 27 Rz. 18. 3 In dem Wechsel der Firma wird allerdings regelmäßig auch eine Annahme der Erbschaft liegen, vgl. Hüffer in Großkommentar HGB, § 27 Rz. 25. 4 Konzen, ZHR 145 (1981), 29 (46); MüKo.BGB/Schäfer, § 727 Rz. 66. 5 Fischer, Anm. zu BGH v. 5.3.1964 – II ZR 208/61, LM § 105 HGB Nr. 19. 6 Fischer, FS Heymanns Verlag, S. 271 (274). 7 Fischer, FS Heymanns Verlag, S. 271 (274); Konzen, ZHR 145 (1981), 29 (57); MüKo. BGB/Schäfer, § 727 Rz. 67. 8 So Fischer, FS Heymanns Verlag, S. 271 (280 f.); dagegen Konzen, ZHR 145 (1981), 29 (54); MüKo.BGB/Schäfer, § 727 Rz. 67. 9 Flume, Allg. Teil des BGB 1/1, S. 392. 1210

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 128

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Im Falle einer Nachfolgeklausel (der Erbe wird unmittelbar kraft Erbenstellung Gesellschafter der OHG) wird von Anfang an der endgültige Erbe Gesellschafter, nicht der vorläufige Erbe. Mangels rechtsgeschäftlicher Aufnahme in die Gesellschaft greifen auch nicht die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft1. Nur soweit der vorläufige Erbe durch einen Erbschein legitimiert war oder die Voraussetzungen des § 1959 Abs. 2 BGB vorlagen, muss sich der endgültige Erbe Gewinnauszahlungen, Entnahmen oder sonstige Verfügungen – also auch Änderungen der Gesellschafterstellung, soweit daraus keine Verpflichtungen zulasten des endgültigen Erben resultieren2 – als ihm gegenüber wirksam entgegenhalten lassen.

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g) Der Zwischenerbe als Gesellschafter einer GmbH

Beratungssituation: Der Mandant ist Nächstberufener infolge einer Anfechtung der Annahme durch den testamentarischen Erben. Zum Nachlass gehört ein GmbH-Geschäftsanteil. Legitimiert durch öffentliches Testament nebst Eröffnungsprotokoll hat der Anfechtende an Satzungsänderungen und einfachen Beschlüssen mitgewirkt. Der Mandant möchte wissen, ob er an diese Beschlüsse gebunden ist, da sie für ihn nachteilig sind. Darüber hinaus will er wissen, ob und von wem er bereits ausgezahlte Dividenden verlangen kann. Gem. § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG gilt im Falle der Veränderung in den Personen der Gesellschafter nur derjenige als Inhaber eines Geschäftsanteils, wer als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste (§ 40 GmbHG) eingetragen ist3. Umgekehrt gilt: Ist der Eingetragene in Wirklichkeit nicht der materiell Berechtigte, so gilt er der Gesellschaft gegenüber gleichwohl als materiell berechtigt, mit der Folge, dass alle Handlungen, die er vornimmt oder die ihm gegenüber vorgenommen werden, gültig sind. Zu der Vorgängerregelung des § 16 Abs. 1 GmbHG a.F., wonach im Falle der Veräußerung eines Geschäftsanteils nur derjenige als Erwerber galt, dessen Erwerb unter Nachweis des Übergangs bei der Gesellschaft angemeldet war, war umstritten, ob sie analog auf den Erwerb von Todes wegen angewandt werden kann4. Schließlich erfasste § 16 Abs. 1 a.F. GmbHG lediglich die Veräußerung, also den rechtsgeschäftlichen Erwerb des Geschäftsanteils. Der neue Wortlaut des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG ist wesentlich weiter gefasst und betrifft nunmehr jeden Gesellschafterwechsel, gleich aus welchem Grunde. Folglich gilt § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG auch für den Erwerb eines GmbH-Geschäftsanteils von Todes wegen. Handlungen des Zwischenerben, wie etwa die Teilnahme bei der Beschlussfassung in Gesellschafterversammlungen (§§ 48 ff. GmbHG), sind gegenüber der GmbH nur dann wirksam, wenn der Zwischenerbe in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist. Für eine Legitimation durch einen Erbschein nach 1 MüKo.BGB/Schäfer, § 727 Rz. 63; Fischer, Anm. zu BGH v. 5.3.1964 – II ZR 208/61, LM § 105 HGB Nr. 19; a.A. Konzen, ZHR 145 (1981), 29 (63). 2 Konzen, ZHR 145 (1981), 29 (66). 3 § 16 GmbHG wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008 (BGBl. I S. 2026) neu gefasst und ist ab dem 1.11.2008 in Kraft. 4 Dafür: Kremer/Laux, BB 1992, 159 (162); dagegen die h.M.: vgl. nur LG Berlin v. 23.8. 1985 – 98 T 12/85, BB 1985, 1752 (1753); Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, 2010, GmbH-Gesetz, § 16 Rz. 2. Muscheler

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Rz. 129

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

§ 2367 BGB bleibt daneben kein Raum mehr. Gem. § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG sind Handlungen der Gesellschaft gegenüber dem Zwischenerben, wie die Auszahlung von Dividenden, auch gegenüber dem endgültigen Erben wirksam, und zwar unabhängig von den Voraussetzungen des § 1959 Abs. 2 und 3 BGB oder des § 2367 BGB. Die GmbH braucht in solchen Fällen keine erneute Inanspruchnahme durch den endgültigen Erben zu befürchten. Die Gesellschaft darf den Zwischenerben – das Vorliegen der Anforderungen des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG vorausgesetzt – als wahren Gesellschafter behandeln. An dieser Stelle sei betont, dass sich die Wirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG ausschließlich auf das Verhältnis sowohl des Zwischenerben als auch des endgültigen Erben zur Gesellschaft beschränkt. Für die Beziehung des Zwischenerben und des endgültigen Erben untereinander gelten die allgemeinen Regeln, insbesondere § 1959 Abs. 2 BGB. So hat etwa der Zwischenerbe an ihn geleistete Dividendenzahlungen an den nächstberufenen Erben gem. § 816 Abs. 2 BGB herauszugeben. h) Der Zwischenerbe als Arbeitgeber 129

Gerät der Zwischenerbe in die Position eines Arbeitgebers, stellt sich zum einen die Frage, ob die Arbeitnehmer gegen ihn Ansprüche haben, und zum anderen, ob sich der endgültige Erbe die Handlungen des Zwischenerben zurechnen lassen muss. Das BAG hat die persönliche Haftung des vermeintlichen Erben mit dem Argument bejaht, dass derjenige, der sich wie ein Arbeitgeber geriere, sich auch wie ein Arbeitgeber behandeln lassen müsse1. Für den Fall der Ausschlagung ergibt sich dieses Ergebnis schon aus der allgemeinen Regel, dass der Ausschlagende grundsätzlich nur sich persönlich verpflichtet.

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Ob jedoch auch der endgültige Erbe durch die Handlungen des Zwischenerben verpflichtet wird, ist im Bereich des Arbeitsrechts angesichts der differenzierten arbeitsrechtlichen Dogmatik nicht einfach an den allgemeinen Grundsätzen zu messen. Schon das Urteil des BAG vom 5.9.19722 deutet in eine andere Richtung. Hat im Allgemeinen das Interesse des wahren Erben an der Nichtbeeinträchtigung seines Erbes durch Handlungen des Zwischenerben Vorrang, so wird im Arbeitsrecht einer Abwägung zwischen seinen Interessen und denen der Arbeitnehmer der Vorzug gegeben3. Andere wollen in dieser Situation den Zwischenerben als vollmachtlosen Vertreter des endgültigen Erben behandeln. Der Ausschlagende habe einen Anspruch auf Genehmigung der Verträge durch den endgültigen Erben aufgrund eines Aufwendungsersatzanspruchs4. Wie immer man auch eine von den allgemeinen Regeln abweichende Behandlung dieser Frage begründet, sicher ist jedenfalls im Ergebnis, dass im Arbeitsrecht der endgültige Erbe aufgrund der besonders schutzwürdigen Interessen der Arbeitnehmer an die vom Zwischenerben eingegangenen Verbindlichkeiten und Absprachen gebunden ist.

1 BAG v. 5.9.1972 – 3 AZR 212/69, BAGE 24, 411 (422). In diesem Fall war die Wirksamkeit des Testaments streitig. 2 BAG v. 5.9.1972 – 3 AZR 212/69, BAGE 24, 411 (422). 3 Stumpf, FS Brackmann, S. 299 (307). MüKo.BGB/Leipold, § 1959 Rz. 8 sympathisiert mit diesem Lösungsansatz. 4 Soergel/Stein, § 1959 Rz. 7. 1212

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

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Rz. 131

XII. Der Ausschlagungsverpflichtungsvertrag 1. Allgemeines

Beratungssituation: Der Erblasser möchte mit einem Abkömmling eine Vereinbarung treffen, dass dieser gegen Zahlung einer Abfindung vollständig aus der Erbfolge ausscheidet. Er möchte wissen, ob eine vertragliche Verpflichtung zur Ausschlagung ein geeignetes Mittel ist. Ein (möglicher) Erbe kann sich in einem schuldrechtlichen Vertrag verpflichten, eine angefallene Erbschaft auszuschlagen. Dieser Vertrag ist von der Ausschlagung selbst zu unterscheiden; die Vorschriften der §§ 1942 ff. BGB finden daher von vornherein keine Anwendung auf ihn1. Beim Ausschlagungsverpflichtungsvertrag sind drei Sachverhaltskonstellationen zu unterscheiden: So kann ein solcher Vertrag schon vor dem Erbfall geschlossen werden, und zwar zum einen mit dem Erblasser und zum anderen mit einem Dritten. Nach dem Erbfall kommt nur noch ein Vertrag mit einem Dritten in Betracht.

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2. Abschluss des Vertrags nach dem Erbfall Nach dem Erbfall ist ein Vertrag mit einem Dritten über die Verpflichtung zur Ausschlagung einer Erbschaft formfrei möglich2. Einer Form bedarf dieser Vertrag auch dann nicht, wenn der auszuschlagende Nachlass Gegenstände enthält, die rechtsgeschäftlich nur unter Einhaltung einer besonderen Form übertragen werden können3. Ein entsprechender Vertrag ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Frage einer Abfindung geregelt werden soll. Probleme ergeben sich, wenn die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung wegen Ablaufs der Ausschlagungsfrist oder wegen Annahme nicht mehr möglich ist. In diesem Fall kommt ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB in Betracht, mit dem Ergebnis, dass der Berechtigte die Übertragung des Nachlasses oder des Erbteils als Naturalrestitution verlangen kann4. Dass in diesem Fall die Form der §§ 2371, 311b Abs. 5 BGB hinsichtlich des Verpflichtungsgeschäftes nicht eingehalten ist, spielt keine Rolle, da der Anspruch auf Übertragung des Nachlasses oder des Erbteils nicht auf Vertrag, sondern auf Vertragsverletzung beruht5. Freilich könnte man argumentieren, die ursprüngliche Verpflichtung sei nur auf Ausschlagung, nicht aber auf deren mittelbar verursachtes Resultat (rechtsgeschäftlicher Erwerb der Erbschaft) gerichtet gewesen; macht man mit diesem Gedanken Ernst, dürfte es eigentlich nur Geldersatz geben. Ein weiteres Problem kann sich ergeben, wenn eine andere Person nächstberufener ist als diejenige, die sich die Vertragsparteien vorgestellt hatten. Die Parteien sollten schon im Vertrag klären, wer dieses Risiko zu tragen hat6.

1 2 3 4 5 6

MüKo.BGB/Leipold, § 1945 Rz. 5. OLG München v. 5.10.1912 – II. ZS., OLGE 26, 288; Soergel/Stein, § 1945 Rz. 15. OLG München v. 5.10.1912 – II. ZS., OLGE 26, 288. Damrau, ZEV 1995, 425 (426). Damrau, ZEV 1995, 425 (426). Vgl. dazu Gothe, MittRhNotK 1998, 193 (222). Muscheler

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Rz. 132

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

3. Abschluss des Vertrags vor dem Erbfall 132

Wird ein Ausschlagungsverpflichtungsvertrag vor dem Erbfall mit einem Dritten geschlossen, so ist dieser Vertrag gem. § 311b Abs. 4 S. 1 BGB grundsätzlich nichtig. Dies ist anders nur in dem Fall, dass der Vertrag ausschließlich unter zukünftigen gesetzlichen Erben und auch nur im Hinblick auf den gesetzlichen Erbteil geschlossen wird und zudem die Form der notariellen Beurkundung eingehalten ist (§ 311b Abs. 5 BGB)1. Dabei brauchen die Beteiligten nicht unbedingt die nächsten gesetzlichen Erben zu sein; es reicht aus, dass sie überhaupt zum Kreis der möglichen Erben gem. §§ 1924 ff. BGB gehören2. Bezieht sich der Vertrag auf testamentarische Erbteile, so ist der Vertrag nicht zwangsläufig unwirksam, wie man angesichts des Wortlauts der Norm denken könnte, sondern nur dann, wenn die testamentarische Zuwendung den gesetzlichen Erbteil übersteigt. Das liegt daran, dass § 311b Abs. 5 BGB es weniger auf einen bestimmten Berufungsgrund abgesehen hat, sondern vielmehr auf eine quantitative Begrenzung gerichtet ist3.

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Eine (nach § 311b Abs. 5 BGB wenigstens grundsätzlich denkbare) Verpflichtung zur teilweisen Ausschlagung geht schon wegen § 1950 BGB ins Leere. Verändert sich nach Vertragsschluss, aber vor dem Erbfall der gesetzliche Erbteil – z.B. durch das Versterben anderer gesetzlicher Erben –, so ist dies unerheblich, da es für die Beurteilung der Wirksamkeit auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt4. Allerdings kann eine entsprechende Veränderung dazu führen, dass eine sich an der ursprünglichen Erbquote orientierende Abfindung nun nicht mehr den Vorstellungen jedenfalls eines Beteiligten entspricht. Soweit der Vertrag selbst keine Lösung anbietet, wird eine Abwicklung über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, angenommen5. Dies scheint angesichts der großen Flexibilität des § 313 BGB auch der richtige Weg zu sein. Soweit ein entsprechender Vertrag Gegenstand der anwaltlichen oder notariellen Beratung ist, sollte eine klare Regelung der Frage in den Vertrag aufgenommen werden. Verstirbt einer der Beteiligten vor dem Erblasser, ist der Vertrag hinfällig. Die Nachkommen des Vorverstorbenen rücken nicht in dessen Position ein6. Zuvor erbrachte Abfindungen müssen gem. § 812 Abs. 1 BGB herausgegeben werden.

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Auch mit dem Erblasser kann ein Ausschlagungsverpflichtungsvertrag geschlossen werden. Der Vertrag fällt schon nach dem Wortlaut nicht unter die Norm des § 311b Abs. 5 BGB. Teilweise wird ein solcher Vertrag nur in der Gestalt eines Erbverzichts gem. § 2346 BGB für zulässig erachtet7, überwiegend aber be1 Palandt/Grüneberg, § 311b Rz. 73 ff. 2 BGH v. 16.5.1956 – IV ZR 339/55, NJW 1956, 1151. Vgl. hierzu auch Metzler, S. 128 ff.; danach gibt es einen prämortalen erbrechtlichen Nexus, der es möglich macht, dass man schon vor dem Erbfall Verträge abschließen kann, die sich auf einen Zeitpunkt nach dem Erbfall beziehen. 3 BGH v. 11.5.1988 – IVa ZR 325/86, BGHZ 104, 279 (284) = MDR 1988, 844 = FamRZ 1988, 1041. 4 Damrau, ZEV 1995, 425 (426). 5 Damrau, ZEV 1995, 425 (426); Wiedemann, NJW 1968, 769 (773); a.A. v. Proff, ZEV 2013, 183. 6 Damrau, ZEV 1995, 425 (426). 7 MüKo.BGB/Musielak, § 2302 Rz. 4. 1214

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Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Rz. 134

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handelt man ihn als eigenständigen und zulässigen Vertrag1. Jedoch wird (mit unterschiedlicher Begründung) durchweg die notarielle Beurkundung verlangt2. Vor dem Erbfall ist ein Ausschlagungsverpflichtungsvertrag nur in wenigen Ausnahmefällen empfehlenswert. Regelmäßig erweist sich ein Verzicht nach § 2346 BGB oder nach § 2352 BGB als die bessere Lösung, da dieser unmittelbar die Erbenstellung beseitigt und keines weiteren, fehleranfälligen Umsetzungsaktes, nämlich der Ausschlagungserklärung, bedarf. Gerade für den Erblasser ist der Verzicht die erste Wahl, da er nur bei ihm sichergehen kann, dass das gewünschte Ergebnis auch tatsächlich erreicht wird, zumal unklar ist, ob und von wem der Anspruch auf Ausschlagung überhaupt durchgesetzt werden kann. Der einzige Vorteil des Ausschlagungsverpflichtungsvertrags läge darin, dass – anders als beim Verzicht (§ 2347 Abs. 2 S. 1 BGB) – auch auf Erblasserseite eine Stellvertretung möglich ist. Soll der Vertrag zwischen gesetzlichen Erben geschlossen werden, so ergibt sich ein Vorteil daraus, dass eine solche Übereinkunft ohne Wissen und Mitwirkung des Erblassers getroffen werden kann3. Aus steuerlicher Sicht liegt in diesem Fall kein Vorteil vor, da eine Abfindung im Rahmen eines Erbschaftsvertrags gem. § 311b Abs. 5 BGB zwar weder als Abfindung für einen Erbverzicht (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG) noch als Abfindung für die Ausschlagung einer Erbschaft (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG), wohl aber als freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG4 und daher nicht als steuerfreier Erwerb aus einem Risikogeschäft zu betrachten ist5.

1 Damrau, ZEV 1995, 425 (427), m.w.N. 2 Damrau, ZEV 1995, 425 (427); Weidlich, ZEV 2007, 403 (405); Erman/J. Schmidt, § 1946 Rz. 1. Für eine analoge Anwendung des § 311b Abs. 5 BGB Soergel/Stein, § 1945 Rz. 15. 3 Damrau, ZEV 1995, 425 (427). 4 BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, ZEV 2001, 163. 5 So noch die Vorinstanz zu BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, ZEV 2001, 163: FG München v. 7.7.1997 – 4 K 2747/93, ZEV 1998, 237 (238). Muscheler

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III. Die Nachlasspflegschaft

Schrifttum: App, Die Dürftigkeitseinrede des Erben bei Steuerschulden, DStR 1985, 31; Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl. 2009; Behr/ Weber/Frohn, Ermessensfragen und Probleme bei der Einleitung und Führung von Nachlasspflegschaften, Berlin 1976; Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, 5. Aufl. 2013; Bestelmeyer, Die Entwicklung des Erbrechts seit 2008, Rpfleger 2010, 635; Bestelmeyer, Vergütungsrechtliche Konsequenzen der fehlenden Feststellung der Berufsmäßigkeit des Betreuer-, Vormunds- oder (Nachlass-)Pflegeramtes, FGPrax 2014, 93 ff.; Börstinghaus, Kündigungsrechtsausschlussvereinbarungen in der Wohnraummiete, NJW 2009, 1391 ff.; Börstinghaus, Die Rechtsprechung des BGH zu Kündigungsrechtsausschluss-vereinbarungen, NZM 2011, 187; Bräuer, Der Anwalt als Nachlasspfleger, Nachlassverwalter und Testamentsvollstrecker, AnwBl. 2014, 650 f.; Bunte, AGB-Banken und Sonderbedingungen, 3. Aufl. 2011; du Carrois, Der überschuldete Nachlass, RPfleger 2009, 197 ff.; Derleder, Befristeter Kündigungsverzicht und benigna interpretatio, NZM 2012, 147 ff.; Diller, AVB-RSW, 2009; Doddek/Clasen, Bankguthaben und Lebensversicherungen im Inland erfolgreich ermitteln, EE 2008, 142 f.; Everts, Nachlasspflegschaft trotz transmortaler Vollmacht, NJW 2010, 2318 ff.; Fiala/ Keppel/Körner, Deckungslücken in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, 2010; Fischer/Kühne/Wahrlich, Bankvermögen im Erbfall, 1. Aufl. 2014; Firsching/Graf, Handbuch Nachlassrecht, 10. Aufl. 2014; Flatow, Vom – schwierigen – Umgang mit Renovierungsklauseln bei der Vertragsabwicklung, NZM 2010, 641 ff.; Fröhler, Rechtliche Grundlagen und praktische Probleme bei der Führung von Nachlasspflegschaften BWNotZ 2011, 2 ff.; Frohme, Feststellung des Fiskalerbrechts und Erbenaufgebot, RPfleger 1986, 37 ff.; Fromm, Nachlassverwaltung: Eine Bedrohung für mittelständische Unternehmen im Nachlass, ZEV 2006, 298 ff.; Gleumes/Lauk, Aktuelle Entwicklung bei der Vergütung des berufsmäßigen Nachlasspflegers, ErbR 2014, 316 f.; Graf, Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung für Nachlassverbindlichkeiten, ZEV 2000, 125, 130; Gräfe/Brügge, Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung, 2. Aufl. 2013; Hartmann, Die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses im Steuerrecht, ZEV 2009, 324 ff.; Joachim, Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten, 3. Aufl. 2011; Joachim/Lange, Haftungsbeschränkung des Erben für bodenschutzrechtliche Sanierungspflichten, ZEV 2011, 53; Jochum/Pohl, Nachlasspflegschaft, 5. Aufl. 2014; Keidel, FamFG, 18. Auflage 2014; Kierig, Wirksamkeit der Geldanlage für den Betreuten erst mit Rechtskraft?, NJW 2010, 1436 ff.; Klein, Abgabenordnung, 12. Aufl. 2014; Klingelhöffer, Vermögensverwaltung in Nachlasssachen, 2002; Klinger/Ruby, Das Aufgebot der Nachlassgläubiger – eine unbekannte Haftungsfalle!, NJW-Spezial 2005, 61; Kroiß, Anwaltsformulare Nachlassgerichtliches Verfahren, 1. Aufl. 2012; Kroiß, Nachlasssicherung durch das Nachlassgericht, ErbR 2013, 110 ff.; Kurze/Goertz, Bestattungsrecht in der Praxis, 1. Aufl. 2012; Lauk, Die Vergütung des berufsmäßig bestellten und qualifizierten Nachlasspflegers bei vermögendem Nachlass, BWNotZ 2013, 53 ff.; Marotzke, Die insolvente GmbH im Erbgang, ErbR 2010, 115 ff.; Müller-Lukoschek, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, 1. Aufl. 2013; Muscheler, Erbrecht I und II, 2010; Muscheler, Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall und Erbenwiderruf, WM 1994, 921 ff.; Pinckernelle/Spreen, Das Internationale Nachlaßverfahrensrecht – Ein Bericht, DNotZ 1967, 195, 200; Roth/Pfeuffer, Praxishandbuch für Nachlassinsolvenzverfahren, 1. Aufl. 2009; Roth, Nachlasspflegschaft contra transmortale Vorsorgevollmacht, NJWspezial 2010, 231; Roth, Zwangsvollstreckung und unbekannter Erbe des Schuldners, NJW-spezial 2010, 551 ff.; Rudolf/Eckhardt, Zur Frage der Anwendbarkeit der 15-MonatsFrist des § 2 S. 1 VBVG auf den Vergütungsanspruch eines Nachlasspflegers, ZErb 2006, 112 ff.; Sarres, Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten, ZEV 1998, 4 ff.; Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011; Schmidt-Futterer; Mietrecht, 11. Aufl. 2013; Schönert, Grenzen der Beschränkbarkeit der Erbenhaftung 1216

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Schulz

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Nachlasspflegschaft

auf den Nachlass, BWNotZ 2008, 81, 82 ff.; Schulz (Hrsg.), Handbuch Nachlasspflegschaft, 1. Aufl. 2013; Schulz, Bezugsberechtigung bei Lebensversicherungsverträgen und Erbenwiderruf, ZErb 2005, 280 ff.; Schulz/Bogdahn, Haftung des Erben für Mietund WEG-Schulden, Anm. zu Herzog, NZM 2013, 175 ff., in NZM 13/2013, VII; Schulz, Der Pfleger im Erbrecht: Nachlasspfleger und sonstige Pfleger, Hereditare 4 (2014) – Jahrbuch für Erbrecht und Schenkungsrecht, 61 ff.; Simon/Buschbaum, Die neue EUErbrechtsverordnung, NJW 2012, 2393, 2398; Sorg, Der Aufgabenkreis Vermögenssorge und die betreuungsgerichtlichen Genehmigungen in der Vermögensverwaltung, BWNotZ 2010, 107 ff.; Staats, Einkommensteuer und Erbenhaftung, Diss. Freiburg 2006; Süß, Das Europäische Nachlasszeugnis, ZEuP 2013, 725 ff.; Veith/Gräfe, Versicherungsprozess, 2. Aufl. 2010; Wagner, Die Rechtsprechung des BGH zu Schönheitsreparaturklauseln seit 2006, NZM 2010, 543 ff.; Wiek, Abschied von der Quotenabgeltungsklausel?, WuM 2014, 171; Wotte/Ungerer, Wenn der (Ver-)Mieter einsam stirbt, NZM 2012, 412 ff.; C. Zimmermann, Haftung und Versicherung im Insolvenzverfahren, NZI 2006, 386 ff.; Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft, 3. Aufl. 2013; Zimmermann, Betreuung und Erbrecht, 2012; Zimmermann, Die Vergütung des Nachlasspflegers seit 1.7.2005, ZEV 2005, 473; Zimmermann, Probleme der Nachlassverwaltervergütung, ZEV 2007, 519; Zimmermann, Gold und Silber im Nachlass, ZErb 2010, 278, 280 ff.; Zimmermann, Der Nachlasspfleger im Zivilprozess, ZEV 2011, 631 ff.; Zimmermann, § 1846 BGB im Nachlassverfahren, Rpfleger 2014, 1 ff.; Zimmermann, Vermögensverwaltung durch Nachlasspfleger und Betreuer, ZEV 2014, 76 ff. Rz.

I. Einleitung 1. Zweck der Nachlasspflegschaft . . 2. Rechtsstellung und Aufgaben des Nachlasspflegers . . . . . . . . . . .

1 4

II. Anordnung der Nachlasspflegschaft 1. Sicherungspflegschaft, § 1960 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forderungspflegschaft („Klagepflegschaft“), § 1961 BGB . . . . . . . 3. Auswahl des Nachlasspflegers . . 4. Anordnungsverfahren . . . . . . . . . . 5. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verpflichtung des Nachlasspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ende der Nachlasspflegschaft . . .

8 14 16 18 24 28 29

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IV. Ermittlung der Erben . . . . . . . . . . .

84

V. Bericht, Vermögensverzeichnis und Rechnungslegung . . . . . . . . . .

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68 74 75 76

VI. Nachlassgerichtliche Genehmigungen 1. Genehmigungserfordernisse . . . . 2. Genehmigungsverfahren/ Wirksamkeit/Verfahrenspfleger . 3. Folgen fehlender Genehmigung .

91 92 94

VII. Vergütung und Aufwendungsersatz

III. Sicherung und Verwaltung des Nachlasses 1. Erkenntnismöglichkeiten . . . . . . . 2. Umgang mit Gläubigern . . . . . . . . 3. Sicherung und Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bankvermögen . . . . . . . . . . . . . . b) Bestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kraftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . g) Mietwohnung . . . . . . . . . . . . . .

Rz.

h) Mobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Prozesse/Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Unternehmensbeteiligungen . l) Versicherungen . . . . . . . . . . . . .

31 32 37 38 47 48 52 55 59 60

1. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergütung des Berufsnachlasspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergütung des ehrenamtlichen Nachlasspflegers . . . . . . c) Festsetzungsverfahren . . . . . . . d) Zurückbehaltung, Entnahme und Vollstreckung . . . . . . . . . . e) Vergütungsvereinbarungen . . 2. Aufwendungsersatz und berufsspezifische Dienstleistungen . . . . Schulz

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96 97 101 102 106 108 109

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Nachlasspflegschaft Rz.

VIII. Beendigung der Nachlasspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Abwicklung bei vermögendem Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Herausgabepflicht . . . . . . . . . . . 114 b) Schlussrechnungslegung . . . . .116a c) Grabpflege bei geringem Nachlassrest ohne Erbenermittlung 117 d) Hinterlegung bei unklärbarer Erblage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 e) Fiskuserbrecht . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Abwicklung bei überschuldetem Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Erschöpfter Nachlass . . . . . . . . 121 b) Dürftiger Nachlass . . . . . . . . . . 122 c) Fiskuserbrecht bei unverwertbaren Aktiva . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Aufgabe des Grundeigentums, § 928 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 e) Gläubigervergleich nach Gläubigeraufgebotsverfahren . 130 f) Nachlassinsolvenz . . . . . . . . . . 133 IX. Die Nachlassverwaltung als Unterfall der Nachlasspflegschaft 1. Zweck der Nachlassverwaltung und Rechtsstellung des Nachlassverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anordnungsvoraussetzungen . . . 3. Verfahren und Rechtsmittel . . . . 4. Ende der Nachlassverwaltung . . . 5. Wirkung der Anordnung . . . . . . . . 6. Sicherung und Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objekt der Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135 141 146 147 148 150 151

Rz. b) Inbesitznahme des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Widerruf von Vollmachten . . . e) „Führungslose“ Gesellschaftsbeteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . f) Ermittlung der Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Steuern aa) Steuerschulden des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erbschaftsteuerschuld des Erben . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einkommensteuerschuld für die Einkünfte während der Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Aufschiebende Einreden/ Vollstreckungsabwehr . . . . . . . i) Verwertung des Nachlasses/ Einziehung von Forderungen . 7. Berichtspflicht und Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vergütung des Nachlassverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Beendigung der Nachlassverwaltung a) Keine kostendeckende Masse b) Nachlassinsolvenzverfahren . c) Vollständige Gläubigerbefriedigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsmittel gegen die Aufhebung der Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155 156 157 158 159 160 161

162 165 166 167 169 171 172 174 179

X. Die Haftung des Nachlasspflegers und Nachlassverwalters . . . . 180

I. Einleitung 1. Zweck der Nachlasspflegschaft 1

Das Nachlassgericht kann für denjenigen, welcher Erbe wird (genauer wegen des Vonselbsterwerbs nach § 1922 Abs. 1 BGB: der als anfänglicher Erbe ermittelt wird)1, einen Pfleger (Nachlasspfleger) bestellen, vgl. § 1960 Abs. 2 BGB. Der Nachlasspfleger ist damit ein Mittel der Nachlasssicherung durch das Nachlassgericht.

2

Unabhängig davon kann das Nachlassgericht auch selbst Maßnahmen der Nachlasssicherung ergreifen. § 1960 Abs. 2 BGB nennt hier insbesondere die Anle1 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Rz. 3096 Fn 454. 1218

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gung von Siegeln, die Hinterlegung von Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten sowie die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses.1 Auch die Anordnung der Kontosperrung soll hierunter fallen.2 Ob das Nachlassgericht neben diesen Sicherungsmaßnahmen in dringenden Fällen auf Grundlage von § 1846 BGB auch selbst alle Maßnahmen vor Bestellung eines Nachlasspflegers treffen darf (z.B. Anweisung an die Bank, vom Konto des Erblassers Beerdigungskosten oder sonstige Gläubiger zu bezahlen), die ein Nachlasspfleger treffen könnte, ist umstritten, zumindest aber bei Kleinstnachlässen i.S. einer pragmatischen Abwicklung zu bejahen.3 Der Nachlasspfleger wird vom Nachlassgericht für einen bestimmten Wirkungskreis bestellt, in der Regel zur Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie zur Ermittlung der Erben. Auf diese besondere Art der Pflegschaft findet neben §§ 1960–1962 BGB nach § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB Vormundschaftsrecht (§§ 1773 ff. BGB) entsprechende Anwendung, soweit sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt.4

3

2. Rechtsstellung und Aufgaben des Nachlasspflegers Die rechtliche Stellung des Nachlasspflegers ist seit langem streitig.5 Nach der herrschenden Vertretertheorie ist er gesetzlicher Vertreter der noch unbekannten, endgültigen Erben, also nicht Vertreter des Nachlasses i.S. eines selbstständigen Sondervermögens, Partei kraft Amtes wie der Nachlassverwalter, §§ 1975 ff. BGB (hierzu unten Rz. 135 ff.), oder der Testamentsvollstrecker.

4

Der Nachlasspfleger kann Rechtsanwalt sein, muss es aber nicht. Er wird auch nicht als solcher vom Nachlassgericht bestellt, sondern ist Träger eines privaten Amtes. Insofern ist der anwaltliche Nachlasspfleger auch nicht an die berufsrechtlichen Regelungen für Rechtsanwälte gebunden und unterliegt in dieser Funktion auch nicht der Aufsicht durch die Rechtsanwaltskammern. Soweit der Nachlasspfleger aber Korrespondenz auf dem Briefbogen seiner Rechtsanwaltskanzlei führt und auch als „Rechtsanwalt“ unterschreibt, kann für ihn auch das Umgehungsverbot des § 12 BORA gelten.6 Der anwaltliche Nachlasspfleger kann sich selbst für die unbekannten Erben als Rechtsanwalt mandatieren. Entsprechendes gilt für den Steuerberater in Steuerangelegenheiten des Nachlasses. Das Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB steht dem nicht entgegen.7

5

Der Nachlasspfleger hat ausschließlich die Interessen der endgültigen Erben zu wahren. Diesen gegenüber haftet er auch für seine Handlungen und Unterlassun-

6

1 Vgl. hierzu Kroiß, ErbR 2013, 110 ff. 2 KG v. 29.1.1982 – 1 W 2023/81, OLGZ 1982, 398 = Rpfleger 1982, 184. 3 So Bestelmeyer, Rpfleger 2011, 211; jetzt auch: OLG Rostock v. 25.10.2012 – 3 W 155/12, FuR 2013, 602 = ZEV 2013, 629; a.A. OLG Dresden v. 8.6.2010 – 17 W 510/10, Rpfleger 2011, 35 = ZErb 2010, 367 = ZEV 2010, 582; Zimmermann, Rpfleger 2014, 1, 3. 4 Zur Problematik dieser Verweisung Schulz, Hereditare (4) 2014, 63. 5 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Rz. 3102 ff. m.w.N. sowie LG Köln v. 15.7.2014 – 2 O 534/13. 6 Vgl. zur vergleichbaren Situation des Insolvenzverwalters AnwGH München v. 17.2.2014 – BayAGH III-4-5/13, BRAK-Mitt 2014, 152 = NZI 2014, 478 (nicht rkr.). 7 Vgl. Zimmermann, Nachlasspflegschaft Rz. 411, 639. Schulz

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gen (§ 1833 BGB).1 Er führt die Pflegschaftsgeschäfte selbstständig nach eigenem Ermessen und Zweckmäßigkeit aus.2 Zwar unterliegt der Nachlasspfleger der Überwachung und Aufsicht durch das Nachlassgericht (§ 1837 Abs. 2 S. 1 BGB). Weisungen kann das Gericht aber nur bei Pflichtwidrigkeiten erteilen, in reinen Zweckmäßigkeitsfragen sind sie unzulässig.3 Bestimmte Geschäfte des Nachlasspflegers bedürfen zur Wirksamkeit der nachlassgerichtlichen Genehmigung (§§ 1812 ff. BGB)4. Darüber hinaus gibt es zu beachtende Vorschriften über die Geldanlage (§§ 1806 ff. BGB). Zu beachten ist, dass der Nachlasspfleger aus dem verwalteten Vermögen nichts verschenken darf (§ 1804 BGB). Bei Interessenkollisionen ist er an einer Vertretung verhindert (§§ 1795, 181 BGB), kann also bspw. keine Kaufverträge als Nachlasspfleger mit sich selbst oder seinem Ehegatten schließen. 7

Der Nachlasspfleger muss bei der Vertretung der unbekannten Erben und der Suche nach ihnen Nachlässe sichern5 und verwalten6 oder ggf. sogar vollständig abwickeln, die so bunt sind wie das Leben des Verstorbenen war. Neben juristischen Kenntnissen sind hierfür auch investigatorische, kaufmännische, organisatorische und genealogische7 Fähigkeiten unerlässlich.

II. Anordnung der Nachlasspflegschaft 1. Sicherungspflegschaft, § 1960 Abs. 1 BGB 8

Voraussetzung für die Bestellung eines Nachlasspflegers nach § 1960 Abs. 1 BGB ist ein Sicherungsbedürfnis = Fürsorgebedürfnis für den Nachlass, um bei unklarer Erblage ein Handlungsvakuum zu überbrücken sowie kumulativ das Unbekanntsein oder die Ungewissheit der Erben. Liegen beide Voraussetzungen vor, die das Gericht von Amts wegen auf eventuelle Anregung Dritter zu prüfen hat, ordnet es eine Nachlasspflegschaft (Sicherungspflegschaft) an, ohne dass hierfür ein Antrag erforderlich ist.8

9

a) Ein Fürsorgebedürfnis besteht dann, wenn ohne das Eingreifen des Gerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wäre.9 Dies wird in der Regel zu bejahen sein, wenn Grundstücke der Verwaltung bedürfen, Geldvermögen zu sichern ist, eine Wohnung mit Hausrat oder ein Pkw vorhanden ist.10

Beratungssituation: Der Erblasser hatte eine umfassende Vorsorgevollmacht zugunsten des nicht erbberechtigten Mandanten erteilt, der auch ge1 Zu den Haftungsrisiken und der Notwendigkeit einer speziellen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Nachlasspfleger Schulz in Schulz, § 9 Rz. 1 ff. 2 Vgl. OLG Hamm v. 19.12.2011 – II-8 UF 220/10 FamRZ 2012, 1312 (zum Vormundschaftsrecht); ausf. Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 154 ff. 3 Vgl. BayObLG v. 27.6.1991 – BReg. 3Z 52/91, FamRZ 1992, 108 (zum Vormundschaftsrecht). 4 Eingehend Hamberger in Schulz, § 5 Rz. 1 ff. 5 Vgl. ausf. zu den ersten Sicherungsmaßnahmen Clasen in Schulz, § 2 Rz. 1 ff. 6 Vgl. ausf. zu den Verwaltungsmaßnahmen Schulz in Schulz, § 2 Rz. 80 ff. 7 Vgl. ausf. zur Erbenermittlung Lauk in Schulz, § 3 Rz. 147 ff. 8 Vgl. eingehend Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 3 ff. 9 OLG Hamm v. 28.10.2010 – I-15 W 302/10, FGPrax 2011, 84. 10 Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 20. 1220

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willt ist, den Nachlass zu verwalten und die noch unbekannten Erben zu ermitteln. Das Nachlassgericht kennt die Vollmacht nicht und bestellt einen Nachlasspfleger, der daraufhin die Vorsorgevollmacht widerruft. In der Praxis stellt sich die Frage, ob ein Fürsorgebedürfnis vorliegt, wenn die Verwaltung des Nachlasses durch einen (Vorsorge-)Bevollmächtigten des Erblassers erfolgt. Ein Fürsorgebedürfnis wird in dieser Situation dann verneint, wenn diese Personen vertrauenswürdig sind und die Gefahr missbräuchlicher Verfügungen vor Erbscheinserteilung ausgeschlossen ist. Dies ist solange zu unterstellen, bis tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Nachlasses durch das Verhalten dieser Personen vorliegen.1 Zu beachten ist aber, dass der Nachlassbevollmächtigte sich gegen eine dennoch angeordnete Nachlasspflegschaft nicht wehren kann, da ihm nach der h.M. kein Beschwerderecht zusteht.2 Sogar trotz angeordneter Testamentsvollstreckung kann ein Fürsorgebedürfnis für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft vorliegen, wenn der Erblasser dem Testamentsvollstrecker weitgehende Befugnisse zugestanden hat, die die Wirksamkeit der Anordnung der Testamentsvollstreckung voraussetzen.3

10

b) Die Erben sind unbekannt i.S.d. § 1960 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB, wenn das Nachlassgericht sich nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist. Ungewissheit über die Person des Erben besteht u.a., wenn konkrete Zweifel an der Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung bestehen, oder bei einem nicht offensichtlich unbegründeten Streit mehrerer Erbprätendenten über die Erbfolge.4

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Beratungssituation: Die Mandantin ist eine Cousine der Erblasserin väterlicherseits. Es soll noch weitere Cousins/Cousinen geben, die ihr allerdings nicht bekannt sind. Die für den Erbnachweis erforderlichen Personenstandsurkunden liegen nicht vor. Sie sind auch für die zukünftige Erbengemeinschaft schwer zu beschaffen, da die Familie aus Ostpreußen stammte. Die Erblasserin war Eigentümerin einer Immobilie, in die nach Aussage von Nachbarn nach dem Tod schon mehrfach versucht worden sein soll, einzubrechen. Bei gesetzlicher Erbfolge soll nach der h.M. Folgendes gelten:5 Ein Erbe ist bereits dann nicht mehr unbekannt, wenn jedenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit für seine Erbenstellung spricht. Eine letzte Gewissheit ist nicht erforderlich. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass bereits ein Erbschein erteilt ist. Es ist nicht einmal erforderlich, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins gegeben sind oder die Erbquoten sicher feststehen.

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Dies ist bedenklich: Der Wortlaut des § 1960 BGB spricht nicht von einer „Wahrscheinlichkeit“, sondern nur davon, dass der Erbe „unbekannt“ ist. Wei-

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1 Vgl. umfassend Everts, NJW 2010, 2318 ff.; Roth, NJW-spezial 2010, 231. 2 Vgl. OLG Hamm v. 19.12.2013 – I-15 W 122/13, RNotZ 2014, 247 = ZErb 2014, 143; OLG München v. 26.2.2010 – 31 Wx 16/10, FamRZ 2010, 1113 = MDR 2010, 507 = NJW 2010, 2364 = ZErb 2010, 120 m.w.N.; a.A. Everts, NJW 2010, 2318 (2320 f.). 3 OLG Düsseldorf v. 7.9.2012 – I-3 Wx 141/12, FGPrax 2012, 260. 4 BGH v. 17.7.2012 – IV ZB 23/11, FamRZ 2012, 1869 = ZEV 2013, 36. 5 OLG Schleswig v. 6.6.2014 – 3 Wx 27/14 m.w.N. Schulz

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terhin ist zu beachten, dass die Nachlasspflegschaft eine vorläufige Maßnahme ist. Von umfangreichen und zeitraubenden Ermittlungen darf die Anordnung fürsorglicher Maßnahmen, insbesondere der Nachlasspflegschaft, nicht abhängig gemacht werden, wenn sie ihren Zweck, den Nachlass dem Erben zu sichern, erreichen soll.1 Zu bedenken ist aber letztlich immer, dass sämtliche Erben in diesem Sinne bekannt sein müssen. Für die noch nicht bekannten kommt die Anordnung einer Teilnachlasspflegschaft in Betracht.2 Der Nachlasspfleger kann dann Maßnahmen der Nachlasssicherung und -verwaltung mit den voraussichtlichen (bekannten) Miterben nach §§ 2032 ff. BGB abstimmen. 2. Forderungspflegschaft („Klagepflegschaft“), § 1961 BGB 14

Die Nachlasspflegschaft kann aber in den zuvor genannten Fällen nach § 1961 BGB auch auf Antrag eines Nachlassgläubigers vom Gericht anzuordnen sein, „wenn die Bestellung zum Zweck der gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs, der sich gegen den Nachlass richtet“, erfolgt. Auch hier muss die Erblage unklar sein. Das Sicherungsbedürfnis wird aber durch das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ersetzt. Entgegen dem Wortlaut muss allerdings noch keine Klage über den Gläubigeranspruch anhängig sein. Ausreichend ist, wenn der Gläubiger den Anspruch zunächst außergerichtlich gegen den Nachlass geltend machen will. Insofern ist die Bezeichnung dieser Pflegschaftsart als „Prozesspflegschaft“3 oder „Klagepflegschaft“ verfehlt. Man sollte hier besser von einer „Forderungspflegschaft“ sprechen. Die spätere Klage gegen die unbekannten Erben, vertreten durch den Nachlasspfleger, bleibt entgegen § 1958 BGB möglich, da diese Vorschrift auf ihn keine Anwendung findet (§ 1960 Abs. 3 BGB).

Beratungssituation: Der Mandant ist Vermieter. Sein verstorbener Mieter war Sozialhilfeempfänger und wurde im Auftrag des Ordnungsamts bestattet, das keine Hinweise auf Angehörige hat. Schlüssel zur Wohnung besitzt der Mandant nicht. Die Wohnung ist nach Aussage des Ordnungsamts stark vermüllt. Das Nachlassgericht hat dem Mandanten telefonisch mitgeteilt, er solle die Wohnung selbst räumen und ein paar Fotos machen. Wenn er Wertsachen oder ein Testament finde, solle er diese abgeben. Einen Nachlasspfleger wolle man nicht bestellen; allerhöchstens wenn der Mandant einen Gerichtskostenvorschuss leiste. 15

Hauptbeispiel der Forderungspflegschaft sind die „Mieterpflegschaften“, bei denen der Vermieter die Bestellung eines Nachlasspflegers beantragt, um das Mietverhältnis mit seinem verstorbenen Mieter beenden und abwickeln zu können. Diese ist vom Gericht anzuordnen, ohne dass ihm insoweit ein Ermessen zusteht oder der antragstellende Vermieter für die Kosten vorschusspflichtig wäre.4 Die vielgeübte bisherige Praxis der Nachlassgerichte, die Bestellung eines Nach1 2 3 4

Staudinger/Marotzke, § 1960 Rz. 9 m.w.N. Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 10. Vgl. eingehend Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 25 ff. OLG Hamm v. 5.1.2010 – I-15 W 383/09, FamRZ 2010, 1112 = FGPrax 2010, 80 = NJW-RR 2010, 1594; OLG Hamm v. 17.6.2010 – 15 W 317/10, ZEV 2011, 190; vgl. auch OLG Karlsruhe v. 14.7.2011 – 11 Wx 17/11, BWNotZ 2012, 12 m.w.N. = NJWSpezial 2012, 199; a.A. bei dürftigem Nachlass MüKo.BGB/Küper, § 1961 Rz. 12.

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lasspflegers abzulehnen und den Vermieter auf eine Eigenräumung zu verweisen, ist wegen des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung und der Rechtsprechung des BGH zur „kalten Räumung“1 sowohl für den Rechtspfleger als auch für den Vermieter haftungsträchtig.2 3. Auswahl des Nachlasspflegers Das Gericht wählt den Nachlasspfleger nach Ermessen frei aus, soweit §§ 1779 – 1784 und § 1786 BGB keine Einschränkungen ergeben. § 1779 BGB fordert, dass der Nachlasspfleger nach seinen persönlichen Verhältnissen und nach seiner Vermögenslage zur Führung der Nachlasspflegschaft geeignet ist. Im Rahmen der persönlichen Eignung sind Rechtskenntnisse und die Fähigkeit zur Vermögensverwaltung und Erbenermittlung unabdingbar. Diese sind nicht qua Ausbildung bei jedem Volljuristen oder Rechtsanwalt vorhanden, da es sich um ein Spezialgebiet handelt, das vielfältige Anforderungen stellt. Es sind daher grundsätzlich auch Nichtjuristen geeignet, die entsprechende Aus- und Fortbildungen in diesem Bereich nachweisen können.

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Beratungssituation: Der Mandant wurde als Alleinerbe vom Nachlasspfleger ermittelt. Infolge einer Nachlässigkeit hat der Nachlasspfleger versäumt, eine Wohngebäudeversicherung für die Nachlassimmobilie abzuschließen. Die Immobilie brennt als wesentlicher Nachlasswert bis auf die Grundmauern nieder. Der Nachlasspfleger verfügt auch nicht über eine ausreichende Vermögensschadenhaftpflichtversicherung und kann wegen Vermögenslosigkeit persönlich nicht mehr in Anspruch genommen werden. Ein oft vom Nachlassgericht unterschätztes Auswahlkriterium ist das Vorhandensein einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (vgl. § 1837 Abs. 2 S. 3 BGB), die die speziellen Risiken bei der Führung von Nachlasspflegschaften abdeckt und daher über die üblichen Versicherungsbedingungen hinausgehen muss.3 Bei fehlerhafter Auswahl in diesem Punkt können Amtshaftungsansprüche gegen den Rechtspfleger/Notar bestehen, der den Nachlasspfleger bestellt hat.4 Die Kosten für diese Versicherung sind beim berufsmäßigen Nachlasspfleger Teil der Gemeinkosten und können nicht gesondert als Aufwendungen erstattet werden. Etwas anderes gilt gem. § 1835 Abs. 2 S. 1 BGB beim ehrenamtlichen Nachlasspfleger.

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4. Anordnungsverfahren a) Die Anordnung der Nachlasspflegschaft erfolgt durch Beschluss (§ 38 FamFG) des örtlich zuständigen Nachlassgerichts (§ 1962 BGB; §§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG; §§ 342 I Nr. 2, 343–345 FamFG) mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung (§ 39 FamFG).5 1 BGH v. 14.7.2010 – VIII ZR 267/09, MDR 2010, 1106 = NJW 2010, 3434 = NZM 2010, 701 = WuM 2010, 578 = ZMR 2011, 23. 2 Vgl. weiter Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 36 ff.; Schulz/Bogdahn, NZM 13/2013, VII; Wotte/Ungerer, NZM 2012, 412 ff. 3 Vgl unten Rz. 180 ff. und Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 101. 4 Vgl. Jochum/Pohl, Rz. 90. 5 Vgl. eingehend Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 52 ff. Schulz

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Im Beschluss über die Bestellung des ausgewählten Nachlasspflegers wird festgelegt, für welchen Wirkungskreis der Nachlasspfleger bestellt wird und ob er berufsmäßig tätig ist, da dies für die Abrechnung der Vergütungsansprüche relevant ist. Die Berufsmäßigkeit kann nach folgenden Aspekten vorliegen:1 – gleichzeitige Führung von mindestens 11 Pflegschaften oder – Tätigkeitsaufwand von mindestens 20 Wochenstunden für alle Ämter oder – Prognose, dass der Nachlasspfleger künftig weitere Ämter übertragen erhält und so die vorgenannten Kriterien erfüllt oder – wenn die Gesamtbetrachtung der auszuführenden Tätigkeiten dazu führt, dass diese nur im Rahmen einer Berufsausübung zu erwarten sind. Die Feststellung der Berufsmäßigkeit kann auch noch später nachgeholt werden. Allerdings mit der Folge, dass die Berufsmäßigkeit erst ab diesem Zeitpunkt gilt.2

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b) Die internationale Zuständigkeit des Nachlassgerichts richtet sich nach der örtlichen, § 105 FamFG. Für die Sicherung des Nachlasses eines Ausländers ist das deutsche Gericht damit zuständig, wenn es örtlich zuständig ist. Hieraus folgt dann auch die Zuständigkeit für das weltweite Vermögen des Erblassers3, soweit keine Staatsverträge entgegenstehen.4 In verschiedenen bilateralen Staatsverträgen sind bindende Regelungen zur Nachlasssicherung und über diesbezügliche Mitteilungspflichten normiert. Hierbei handelt es sich insbesondere um Befugnisse des jeweiligen Konsuls desjenigen Staates, dem der ausländische Erblasser angehörte.5

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Die am 4.7.2012 erlassene EuErbVO6, die am 16.8.2012 in Kraft getreten ist, wird zukünftig bei Nachlasspflegschaften mit europäischem Auslandsbezug zu berücksichtigen sein. In ihren wesentlichen Teilen wird sie auf alle Erbfälle Anwendung finden, die sich nach drei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung, mithin ab dem 17.8.2015, in allen Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Dänemarks sowie Großbritanniens und Irlands ereignen.7

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Die EuErbVO verdrängt dann § 105 FamFG mit der Folge, dass nach Art. 4 EuErbVO die Gerichte des Mitgliedsstaates international zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.8 Nach der komplizierten Regelung des Art. 29 EuErbVO bleibt 1 Ausf. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 748 ff. 2 Vgl. ausf. zur fehlenden oder nachgeholten Feststellung der Berufsmäßigkeit: Bestelmeyer, FGPrax 2014, 93 ff. sowie Gleumes/Lauk, ErbR 2014, 316 f. 3 Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 93 f. 4 Vgl. Pinckernelle/Spreen, DNotZ 1967, 195, 200; Fröhler, BWNotZ 2011, 2, 5; Firsching/Graf, Rz. 4.614; Schulz in Schulz, § 2 Rz. 324 ff. 5 Vgl. Hamberger in Schulz, § 1 Rz. 90 m.w.N. 6 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung von öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU L 201/107. 7 Simon/Buschbaum, NJW 2012, 2393 (2398). 8 Müller-Lukoschek, § 2 Rz. 19 ff. 1224

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aber in besonderen Situationen trotzdem die Bestellung eines „Nachlassverwalters“ durch das deutsche Nachlassgericht möglich.1 In Art. 62 ff. EuErbVO wurde weiterhin das „Europäische Nachlasszeugnis“2 zur Vereinfachung grenzüberschreitender Nachlassabwicklung eingeführt. Völlig ungeklärt ist bislang, ob der Nachlasspfleger als „Nachlassverwalter“ i.S. dieser Vorschriften in Betracht kommt und damit ein Europäisches Nachlasszeugnis ausgestellt bekommen kann.3

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5. Rechtsmittel Zulässiges Rechtsmittel ist die Beschwerde, §§ 58 ff. FamFG ab einem Beschwerdewert von 600 Euro binnen einer Regelfrist von einem Monat, bei einstweiligen Anordnungen und Beschlüssen, die eine Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand haben, binnen zwei Wochen. Die Beschwerdefrist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung an den jeweiligen Beteiligten (§ 63 Abs. 3 S. 1 FamFG). Kann eine solche nicht bewirkt werden, beginnt die Frist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses (§§ 63 Abs. 1 S. 2, 38 Abs. 3 S. 3 FamFG).

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Einzulegen ist die zu unterzeichnende Beschwerde beim Amtsgericht, das den Beschluss erlassen hat. Eine Begründung ist entbehrlich. Ebenso herrscht kein Anwaltszwang. Das Amtsgericht kann dann der Beschwerde abhelfen, andernfalls legt es die Sache dem Beschwerdegericht (OLG, § 119 Abs. 1 Nr. 1a, b GVG) vor.4

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Beschwerdeberechtigt ist derjenige, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt wird, § 59 FamFG. Gegen die Anordnung der Nachlasspflegschaft kann mithin bspw. der betroffene Erbprätendent Beschwerde einlegen. Der beantragende Nachlassgläubiger im Rahmen einer Pflegschaft nach § 1961 BGB ist nach § 59 Abs. 2 FamFG berechtigt, das Rechtsmittel der Beschwerde einzulegen.

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Die Auswahl der Person des Nachlasspflegers ist ebenso anfechtbar. Grund könnte sein, dass der ausgewählte Nachlasspfleger nach seinen persönlichen Verhältnissen und seiner Vermögenslage sowie nach den sonstigen Umständen nicht zur Führung der Nachlasspflegschaft geeignet ist (§ 1975, 1960, 1779 Abs. 1 BGB).5

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6. Verpflichtung des Nachlasspflegers In der Praxis stimmt das Nachlassgericht mit dem Nachlasspfleger einen Termin zur Verpflichtung ab, bei dem dieser zur treuen und gewissenhaften Führung der Pflegschaft mit Handschlag bestellt wird (§ 1789 BGB).6 Hierüber wird eine Niederschrift angefertigt, die der Nachlasspfleger unterzeichnet („Ver1 Vgl. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 95a. 2 Umfassend hierzu Süß, ZEuP 2013, 725 ff. 3 Unkrit. bejahend Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 95a; vgl. eingehend Schulz, Hereditare (4) 2014, 74 f. m.w.N. 4 Zur Rechtsbeschwerde und Sprungrechtsbeschwerde vgl. §§ 70 ff. FamFG. 5 Vgl. LG Heidelberg v. 3.1.1955 – 1 T 34/54, NJW 1955, 469. 6 OLG Stuttgart v. 25.11.2010 – 8 W 460/10, FamRZ 2011, 846 = FGPrax 2011, 88 = NJW-RR 2010, 737. Schulz

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pflichtungsprotokoll“), und er erhält seine Bestallungsurkunde (§ 1791 BGB), die allerdings keine Vollmachtsurkunde i.S.d. §§ 172 ff. BGB ist.1 Fehler bei der Verpflichtung können dazu führen, dass die Bestellung wegen schwerwiegender Mängel unwirksam sein kann.2 7. Ende der Nachlasspflegschaft 29

Eine Nachlasspflegschaft mit umfassendem Wirkungskreis wird vom Gericht durch Beschluss aufgehoben, wenn der Grund für die Anordnung der Nachlasspflegschaft weggefallen ist (§ 1919 BGB). Die Pflegschaft für die Besorgung einer einzelnen Angelegenheit endigt mit deren Beendigung (§ 1918 Abs. 3 BGB), ohne dass es eines Aufhebungsbeschlusses bedarf.

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Ein Beendigungsgrund ist die Ermittlung der Erben durch den Nachlasspfleger und die Erteilung eines Erbscheins durch das Nachlassgericht.3 In Fällen überschuldeter Nachlässe, bei denen keine Erben ermittelt werden, endet die Nachlasspflegschaft bei Wegfall des Fürsorgebedürfnisses, also dann, wenn kein Nachlassbestand mehr vorhanden ist.4

III. Sicherung und Verwaltung des Nachlasses 1. Erkenntnismöglichkeiten 31

Erste Erkenntnisse zur Zusammensetzung des Nachlasses und dem daraus resultierenden Regelungsbedürfnis gewinnt der Nachlasspfleger zunächst aus den Nachlassakten, eventuell vorhanden Betreuungsakten, dem Grundbuch bei Immobilienvermögen und dem Handelsregister bei Unternehmensbeteiligungen. Ausgangspunkt für die weiteren Ermittlungen sind dann regelmäßig der Briefkasten und die Wohnung des Erblassers, in denen entsprechende Unterlagen gesichert und sodann ausgewertet werden. Der Nachlasspfleger muss hierbei auch nach handschriftlichen Testamenten des Erblassers suchen (ggf. auch Schriftvergleichsproben), die er beim Nachlassgericht abliefert, und Urkunden und Schriftstücke sicherstellen, die zu den verwandtschaftlichen Beziehungen für die Erbenermittlung relevant sind. 2. Umgang mit Gläubigern

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Der Nachlasspfleger wird gerade zu Beginn der Tätigkeit mit einer Vielzahl von Anfragen von Gläubigern konfrontiert, die ihn unter Druck setzen und Zahlung verlangen.

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Die Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten ist nicht Aufgabe des Nachlasspflegers. Sie kann aber geboten sein, um Klagen und weitere Kosten zu vermeiden.5 1 2 3 4

BGH v. 30.3.2010 – XI ZR 184/09, FamRZ 2010, 968. Vgl. MüKo.BGB/Wagenitz, § 1789 Rz. 13. Ausf. zur Abwicklung Schulz in Schulz, § 8 Rz. 4 ff. Ausf. zur Abwicklung nach den verschiedenen Überschuldungssituationen Schulz in Schulz, § 8 Rz. 38 ff. 5 Vgl. Muscheler, ErbR II, 2010, Rz. 3097 Fn. 457 m.w.N. sowie OLG München v. 7.1. 2010 – 31 Wx 154/09, FamRZ 2010, 838 = FGPrax 2010, 74 = Rpfleger 2010, 326 = ZErb 2010, 54 = ZEV 2010, 366.

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Bei zureichendem Nachlass erfolgt daher die Zahlung von Verbindlichkeiten. Der Nachlasspfleger kann hierzu auch den gesamten Nachlass liquidieren.1 Der Nachlasspfleger darf in dieser Situation aber keine vorschnellen Zahlungen leisten, solange noch eine Überschuldung möglich erscheint (§ 1979 BGB). Ob eine Überschuldung vorliegt, hat er intensiv zu prüfen.2 Die notwendige Zeit für die Prüfung gibt ihm das Gesetz durch die Dreimonatseinrede des § 2014 BGB und die Einrede des Aufgebotsverfahrens nach § 2015 BGB: Während der ersten drei Monate der Nachlasspflegschaft und bis zum Abschluss eines eventuellen Gläubigeraufgebotsverfahrens nach § 1970 BGB hat der Nachlasspfleger ein Leistungsverweigerungsrecht. Im Prozess führen diese Einreden zu einer Verurteilung unter dem Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung (§§ 305 Abs. 1, 780 ZPO). Die Zwangsvollstreckung darf während der Einredezeit nur noch zur Sicherung, nicht mehr zur Befriedigung des Gläubigers führen (§§ 782, 783, 785 ZPO). Dem Nachlasspfleger ist es damit sogar möglich, die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung einer Nachlassimmobilie für die Dauer der Einreden zu verhindern.3

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Weiterhin hat der Nachlasspfleger stets den Eintritt der Verjährung zu prüfen und die Einrede der Verjährung zu erheben, wobei hierbei die Ablaufhemmung nach § 211 BGB sowie die Hemmung der Verjährung durch Verhandlungen nach § 203 BGB zu beachten sind. Nach Ansicht des LG Köln4 soll gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Verjährungsfrist im Falle unbekannter Erben mangels Kenntnis der Erben nicht zu laufen beginnen. Mit der Schaffung einer Klagemöglichkeit gegen die unbekannten Erben gehe nicht eine zeitliche Vorverlagerung des Verjährungsbeginns einher.5 Diese Ansicht findet im Gesetz keine Stütze, verkennt die Stellung des Nachlasspflegers als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben, widerspricht dem Zweck der Verjährungsvorschriften und übersieht die Regelung des § 211 BGB. Die Kenntnis der Person des Anspruchsgegners erfordert nicht die Kenntnis der Person des Rechtsnachfolgers (Erben), auf den die Schuld nach ihrer Entstehung übergegangen ist.6 Daher ändert sich an einer bereits laufenden Verjährung durch den Tod des Schuldners nichts. Gerade für diese Fälle sieht § 1961 BGB die Forderungspflegschaft vor, die der Gläubiger beantragen kann.7

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Nachlassgläubiger können den Nachlasspfleger auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses in Anspruch nehmen (§§ 2012, 260 BGB) und haben ein Einsichtsrecht in die Nachlassakte(n).8

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3. Sicherung und Verwaltung des Nachlasses Die Tätigkeit des Nachlasspflegers bezieht sich regelmäßig auf folgende Bereiche, die in alphabetischer Reihenfolge hier wegen der Vielfältigkeit der Nach1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Schulz in Schulz, § 2 Rz. 70 ff. Ausf. Schulz in Schulz, § 2 Rz. 70 ff. H.M.: Vgl. Musielak/Lackmann, § 782 ZPO Rz. 2. LG Köln v. 15.7.2014 – 2 O 534/13, BeckRS 2014, 14466 LG Köln v. 15.7.2014 – 2 O 534/13, BeckRS 2014, 14466. MüKo.BGB/Grothe, § 199 Rz. 27. Vgl. Staudinger/Peters/Jacoby, § 199 Rz. 70. OLG Karlsruhe v. 11.3.2010 – 20 WF 20/10, FamRZ 2010, 1467. Schulz

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lässe und der damit verbundenen Abwicklungsaufgaben nur kurz angerissen werden können:1 a) Bankvermögen 38

aa) Zur Sicherung von Kontoguthaben wird der Nachlasspfleger die ermittelten Banken kontaktieren,2 um die Kontrolle über alle Konten, Depots, Schließfächer zu übernehmen, vorhandene Vollmachten löschen zu lassen und unberechtigte Verfügungen Dritter festzustellen. Hinsichtlich des optionalen Widerrufs von Lastschriften/Daueraufträgen3 hat er zu prüfen, ob dies pauschal sinnvoll ist (regelmäßig bei überschuldeten Nachlässen) oder ob diese weiterlaufen sollen (regelmäßig bei werthaltigen Nachlässen mit Immobilien). Wichtig ist neben dem Vollmachtswiderruf auch für den Fall eventueller Bezugsberechtigungen zugunsten Dritter der sofortige Widerruf des Übermittlungsauftrags der Bank (§ 671 BGB), dem Dritten die Bezugsberechtigung mitzuteilen. Insofern stellt sich beim Bankvermögen dieselbe Problematik wie bei der Bezugsberechtigung bei einer Lebensversicherung. Der Nachlasspfleger muss verhindern, dass durch die Übermittlung der Bank mit dem Bezugsberechtigten ein Schenkungsvertrag zustande kommt, der ihn berechtigen würde, den Anspruch auf das Bankvermögen zu behalten.4

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bb) Die Kontoverwaltung ist für den Nachlasspfleger dadurch gekennzeichnet, dass für fast alle Handlungen eine nachlassgerichtliche Genehmigung erforderlich ist.5 Aufgrund der Rechtskraftlösung von Genehmigungsbeschlüssen nach dem FamFG kommt es insofern häufig zu einer verzögerten Bearbeitung und einer zusätzlichen Arbeitsbelastung des Gerichts. Hier gilt es, in Absprache mit dem zuständigen Rechtspfleger eine praxisgerechte Lösung zu finden. Bei einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Nachlasspfleger kann der Rechtspfleger erwägen, dem Nachlasspfleger per Beschluss nach § 1825 BGB eine allgemeine Ermächtigung für die Vermögensverwaltung zu erteilen, die auf der Bestellungsurkunde vermerkt wird und die Genehmigung von Einzelgeschäften überflüssig macht,6 oder eine Befreiung von der Genehmigungspflicht nach § 1817 BGB auszusprechen. Für folgende Maßnahmen hat der Nachlasspfleger andernfalls jeweils eine nachlassgerichtliche Genehmigung einzuholen:7

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– Kündigung und Auflösung eines Kontos, unabhängig von der Höhe der Einlage (§ 1812 BGB). Die Freigrenze des § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB gilt nicht; dennoch lösen viele Kreditinstitute aus Praktikabilitätsgründen auch die Konten 1 Ausf. Schulz in Schulz, § 2 Rz. 80 ff. 2 Musterschreiben bei: Schulz in Fischer/Kühne/Wahrlich, § 11 Rz. 29 ff.; zur Legitimationsprüfung vgl. eingehend Jochum/Pohl, Rz. 408 ff. 3 Zahlungen trotz widerrufenem Dauerauftrag sind rechtsgrundlos, LG Aachen v. 30.4.1981 – 6 S 29/81, NJW 1982, 772. 4 Vgl. OLG Schleswig v. 20.3.2013 – 3 U 62/12, FamRZ 2014, 792 sowie zur Lebensversicherung BGH v. 21.5.2008 – IV ZR 238/06, MDR 2008, 1159 rbR 2008, 324 = NJW 2008, 2702 = ZEV 2008, 392; eingehend Schulz in Schulz, § 2 Rz. 271 ff.; Schulz, ZErb 2005, 280 ff.; zu den Anforderungen an die Pflicht des Versicherers, den Bezugsberechtigten zu ermitteln vgl. BGH v. 10.4.2013 – IV ZR 38/12, FamRZ 2013, 1220 = NJW 2013, 2588 = VersR 2013, 1029 = ZEV 2013, 519. 5 Musteranträge bei Schulz in Fischer/Kühne/Wahrlich, § 11 Rz. 44 ff. 6 Vgl. Firsching/Graf, Rz. 3.39; Bestelmeyer, Rpfleger 2010, 635 (648 Fn 183). 7 Vgl. umfassend auch Sorg, BWNotZ 2010, 107 ff. 1228

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Rz. 42

genehmigungsfrei auf, bei denen das Guthaben weniger als 3 000 Euro beträgt. Nach der pragmatischen und richtigen Entscheidung des LG Hamburg vom 16.7.2010 kann der Nachlasspfleger ein Girokonto des Erblassers auch ohne nachlassgerichtliche Genehmigung auflösen und das Kontoguthaben in Empfang nehmen.1 – Abhebung und Überweisung von Konten, die gesperrt sind (§§ 1812, 1813 Abs. 2 BGB). – Abhebungen und Überweisungen von Konten (außer Giro- und Kontokorrentkonten), deren Guthaben mehr als 3 000 Euro beträgt (§§ 1812, 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Maßgeblich ist die Höhe des Gesamtguthabens der jeweiligen Konten und nicht der einzelnen Verfügungen.2 In der Praxis verzichten Kreditinstitute häufig auch bei Überweisungen über 3 000 Euro auf eine Genehmigung. – Annahme von Zahlungen von mehr als 3 000 Euro (§§ 1812, 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB). – Erwerb von Aktien und Investmentanteilen (§ 1811 BGB). – Veräußerung und Depotübertragung von Wertpapieren (§ 1812 BGB). Die Annahme des Guthabens eines Giro- oder Kontokorrentkontos des Erblassers ist nach § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB genehmigungsfrei möglich, und zwar unabhängig von der Höhe des Guthabens. Gleiches gilt hiernach für die Rückzahlung von Geld, das der Nachlasspfleger angelegt hat, es sei denn, die Anlage des Geldes erfolgte mit Sperrvermerk. Auch die Kontoauflösung ist in diesem Fall genehmigungsfrei.3

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Die nachlassgerichtliche Genehmigung wird nach § 40 Abs. 2 FamFG erst mit Rechtskraft wirksam. Da die Genehmigung vor der Vornahme der Kontoverfügung eingeholt wird, handelt es sich nicht um eine Genehmigung i.S.d. § 184 Abs. 1 BGB, sondern um eine Einwilligung i.S.d. § 183 BGB, also eine vor Vornahme des Rechtsgeschäfts erklärte Zustimmung („Ermächtigung“) des Gerichts. Auch diese unterfällt aber § 40 FamFG. Das Nachlassgericht hat daher ein Rechtskraftzeugnis zu erteilen.4 Die Beteiligung eines Verfahrenspflegers nach § 276 FamFG am Genehmigungsverfahren5 bei Kontoguthaben ist aber entbehrlich, da es sich um eine bloße Maßnahme der Vermögensverwaltung handelt, die zu keiner Substanzänderung führt und sich im Rahmen der Rechnungslegung nachvollziehen lässt. Sollen allerdings Wertpapiere veräußert werden, sind die Interessen der unbekannten Erben betroffen, so dass ein Verfahrenspfleger zu beteiligen ist.6

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1 LG Hamburg v. 16.7.2010 – 317 O 77/10, NJW-RR 2011, 513; zust. Schulz, Hereditare 4 (2014), 61, 67; Zimmermann, ZEV 2014, 76 (77). 2 Str.: OLG Köln v. 29.11.2006 – 16 Wx 230/06, FamRZ 2007, 1268 = FGPrax 2007, 124; Sorg, BWNotZ 2010, 107 (126); Staudinger/Veit, § 1813 Rz. 10; a.A. wohl jurisPKBGB/Lafontaine, § 1813 Rz. 19. 3 LG Hamburg v. 16.7.2010 – 317 O 77/10, NJW-RR 2011, 513; zust. Zimmermann, ZEV 2014, 76 (77). 4 OLG Düsseldorf v. 16.11.2010 – I-3 Wx 212/10, FGPrax 2011, 104 = ZEV 2011, 424. 5 Eine a.A. fordert die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 BGB, vgl. Firsching/Graf, Rz. 3.39 m.w.N. 6 Vgl. zur Erforderlichkeit eines Verfahrenspflegers eingehend Jochum/Pohl, Rz. 1158. Schulz

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Rz. 43

Nachlasspflegschaft

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cc) Bei der Verwaltung von Kontoguthaben des Nachlasses kann der Nachlasspfleger zur Erleichterung der Vermögensverwaltung, und Rechnungslegung vorhandene Konten und Depots auflösen und das vorhandene Bankvermögen bei einem Kreditinstitut seiner Wahl1dort auf ein Girokonto, ggf. ein Sparkonto und ein Depotkonto zusammenfassen, soweit Zinsbindungsfristen nicht entgegenstehen. Kontoinhaber sind die „unbekannten Erben“ des Erblassers, gesetzlich vertreten durch den Nachlasspfleger. Diese Kontobezeichnung ist nach dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 154 Ziff. 4 S. 6 ausdrücklich zulässig.

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Die Nutzung von Treuhand/Ander- oder Sammelanderkonten und Sonderkonten („wegen Nachlass xy“)2 ist wegen der Vermischung von Pflegschaftsgeldern und wegen § 1805 BGB unzulässig.3 Schließlich muss der Erbe jederzeit die Möglichkeit haben, nach Erbnachweis durch den Erbschein unmittelbar auf sein Vermögen zuzugreifen und nicht erst auf dem Umweg über den Treuhänder.4 Hinzu kommt eine pfändungsrechtliche Problematik: Die Pfändung in das Vermögen des Kontoinhabers (Nachlasspflegers) umfasst grundsätzlich auch die zuvor genannten Kontoarten. Die Bank wird zwar den pfändenden Gläubiger im Rahmen der Drittschuldnererklärung auf die Eigenschaft als Anderkonto hinweisen. Die Initiative läge dann allerdings beim Treugeber, der in diesem Fall wiederum die Möglichkeit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO hätte.5 Da Treugeber aber unbekannte Erben sind, sind diese nicht handlungsfähig, so dass die Vollstreckung nicht verhindert werden kann. Bei Kleinguthaben kann die Verbuchung auf einem Sammelanderkonto aber wegen der ansonsten entstehenden Kontoführungsgebühren sinnvoll sein. Zumal wegen der aufgelaufenen Vergütung ohnehin ein Zurückbehaltungsrecht des Nachlasspflegers besteht.

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Bei einem Sparkonto und einem Depotkonto ist bei Nachlasspflegern im Rahmen einer Sperrvereinbarung mit dem Kreditinstitut ein Sperrvermerk aufzunehmen (§ 1809 BGB),6 entweder durch Eintragung in das Sparbuch oder bei Sparbriefen durch internen Vermerk. Verfügungen sind dann nur noch mit Genehmigung des Nachlassgerichts möglich. Die hiervon abweichende Ansicht des OLG Köln,7 für den anwaltlichen Nachlasspfleger eine unversperrte Anlage auf einem Anderkonto zuzulassen, ist abzulehnen, da sie gerade den Zweck des Sperrvermerk zur Verhinderung von Vermögensveruntreuungen unterläuft und weiterhin die pfändungsrechtliche Problematik bei Anderkonten verkennt, vgl. oben Rz. 44. Auf dem Girokonto sollte ausreichend Verfügungsgeld verbleiben, das zur Zahlung eventueller Verbindlichkeiten und laufender Kosten erforderlich ist (§ 1806 BGB). Soweit weiteres Verfügungsgeld benötigt wird, muss dies 1 Kein Weisungsrecht des Nachlassgerichts zur Auswahl einer bestimmten Bank, OLG Köln v. 24.3.2014 – 2 Wx 28/14, ZEV 2014, 357. 2 Schimansky/Bunte/Lwowski/Joeres, § 29 Rz. 13. 3 Vgl. OLG Dresden v. 13.1.1999 – 13 U 2283/98, ZEV 2000, 402 (404); OLG Köln v. 4.7.1996 – 16 Wx 139/96 und 140/96, FamRZ 1997, 899; unter Missachtung der pfändungsrechtlichen Problematik und des § 154 AEAO a.A. soweit Nachlasspfleger anderkontenberechtigt ist: OLG Köln v. 24.3.2014 – 2 Wx 28/14, ZEV 2014, 357. 4 Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 351. 5 Schimansky/Bunte/Lwowski/Bitter, § 33 Rz. 110. 6 Zweifelnd für das Depot: Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 357. 7 OLG Köln v. 24.3.2014 – 2 Wx 28/14, ZEV 2014, 357. 1230

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Nachlasspflegschaft

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Rz. 49

mit nachlassgerichtlicher Genehmigung vom versperrten Sparkonto umgebucht werden. Überweisungen direkt vom Sparkonto sind im Regelfall nicht möglich, da diese nicht dem Zahlungsverkehr dienen.1 dd) Bei der Verwaltung von Wertpapieren (Aktien, Investmentanteile) auf Depotkonten aus dem Nachlass besteht zwar keine grundsätzliche Verpflichtung des Nachlasspflegers zur Umschichtung in mündelsicheres Vermögen.2 Er muss aber prüfen, ob eine Umwandlung zur Vermeidung von Anlagerisiken geboten ist.3 Maßstab sollen hierbei die allgemeinen Regeln effektiver Vermögensverwaltung sein.4

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b) Bestattung Meist ist die Bestattung des Erblassers schon durch das Ordnungsamt geregelt, bevor der Nachlasspfleger bestellt wird. Andernfalls kann der Nachlasspfleger bei hinreichendem Vermögen die Bestattung in Auftrag geben.5 In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob der Erblasser Mitglied einer Sterbekasse war, oder ob die beamtenrechtliche Beihilfe oder eine Gewerkschaft ein Sterbegeld oder einen Zuschuss zu den Bestattungskosten gewährt. Zulässig ist auch die Beauftragung der Erstanlage und Erstbepflanzung des Grabes, allerdings nach h.M. nicht der Abschluss eines Dauergrabpflegevertrags oder ein jeweiliger Einzelauftrag zur jährlichen Grabpflege.6 Die besseren Gründe sprechen für eine Grabpflege: Es handelt sich hierbei nämlich nicht nur um eine sittliche Pflicht, sondern die unbekannten Erben als öffentlich-rechtliche Nutzungsberechtigte der Grabstätte haben nach den jeweiligen Friedhofssatzungen regelmäßig auch die Verpflichtung, die Grabstätte in Ordnung zu halten.

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c) Betreuung aa) Stand der Erblasser unter gesetzlicher Betreuung, ist der Betreuer dem Nachlasspfleger gegenüber verpflichtet, verwaltetes Vermögen herauszugeben und Rechnung zu legen (§ 1890 BGB).

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Beratungssituation: Der Mandant war gesetzlicher Betreuer des Erblassers. Nachlasspflegschaft ist angeordnet. Der Betreuer möchte die Sache ohne großen Aufwand abschließen und bittet den Nachlasspfleger, ihm eine „Entlastungserklärung“ für seine Betreuertätigkeit zu unterschreiben. Auf die Rechnungslegung kann der Nachlasspfleger nicht verzichten und dem Betreuer auch keine Entlastung erteilen, denn hierin läge ein möglicher Anspruchsverzicht, der nur mit nachlassgerichtlicher Genehmigung möglich wäre (§ 1812 BGB). 1 Vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski/Schürmann, § 71 Rz. 57 f.; zur anderweitigen Praxis bei Nachlasspflegschaften Jochum/Pohl, Rz. 451 ff. 2 KG v. 20.5.1968 – 1 W 1274/68, NJW 1968, 1836; eingehend Schulz in Fischer/Kühne/ Wahrlich, § 11 Rz. 56 ff. 3 Vgl. Schulz, Hereditare 4 (2014), 61, 68. 4 Vgl. RGZ 137, 320, 323. 5 Ausf. Clasen in Schulz, § 2 Rz. 61 ff. 6 Vgl. Kurze/Goertz, § 6 Rz. 39 ff. m.w.N. Schulz

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bb) Der Nachlasspfleger muss auch prüfen, ob gegen den Betreuer eventuell Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Pflichtverletzung bei der Amtsführung (§ 1833 BGB) bestehen. Dies ist auch der Grund, warum der vormalige gesetzliche Betreuer grundsätzlich nach dem Tod der betreuten Person nicht zum Nachlasspfleger für deren unbekannte Erben bestellt werden kann.1 Denn insofern besteht ein Interessenkonflikt, der zu einer mangelnden persönlichen Eignung des vormaligen Betreuers führt.

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cc) Die rückständige Betreuervergütung und Gerichtskosten für die Betreuung sind Nachlassverbindlichkeiten mit der Besonderheit, dass der Erbe nur mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Nachlasses haftet (§ 1836e Abs. 1 S. 2 BGB). Die Beschränkung gilt nicht nur im Falle des Regresses der Staatskasse für mittellose Nachlässe, sondern analog auch bei der Prüfung der Festsetzung unmittelbar gegen die Erben. Maßgeblich ist danach das Aktivvermögen des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten. Die Betreuervergütung ist daher im Rang nach den sonstigen Nachlassgläubigern einzuordnen.2. Hierbei ist weiter der Erbenfreibetrag nach § 1836e Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 102 Abs. 3 S. 1 SGB XII zu beachten. Auf die Betreuervergütung ist damit nur der über dem Erbenfreibetrag vorhandene Nachlass zu zahlen. Das verbleibende Vermögen aus dem Erbenfreibetrag steht den (unbekannten) Erben zu, ggf. ist das Fiskuserbrecht festzustellen. d) Einkünfte

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aa) Stand der Erblasser noch im Berufsleben, hat sich der Nachlasspfleger mit dem Arbeitgeber oder Dienstherrn in Verbindung zu setzten, hieraus resultierende Ansprüche abzuwickeln und die Lohnsteuerbescheinigung für steuerliche Zwecke anzufordern.3 Dies gilt bei Arbeitnehmern insbesondere für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, auf Lohnfortzahlung, Insolvenzausfallgeld oder Abfindung aus einem Abfindungsvergleich. War es nach bisheriger Rechtsprechung des BAG nicht möglich, Ansprüche auf Urlaubsabgeltung für nicht genommenen Urlaub für den Nachlass geltend zu machen,4 hat sich die Rechtslage mit dem Urteil des EuGH5 geändert. Der Anspruch gilt nunmehr als vererblich, so dass der Nachlasspfleger diesen innerhalb etwaiger tarifvertraglicher Ausschlussfristen geltend machen muss.

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bb) Bezog der Erblasser Sozialleistungen, haftet der Nachlass gem. § 102 SGB XII für Leistungen innerhalb der letzten zehn Jahre. Auch hier gilt aber ein Erbenfreibetrag.6

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cc) War der Erblasser Rentner/Pensionär, sind die entsprechenden Rententräger/ Dienstherren zu informieren. Eventuell überzahlte Rentenbeträge ruft der Ren1 Vgl. Zimmermann, Betreuung und Erbrecht, Rz. 744 f. m.w.N. 2 So auch aus dem Rechtsgedanken des § 324 InsO: OLG Jena v. 19.10.2000 – 6 W 512/00, FGPrax 2001, 22; OLG Düsseldorf v. 2.7.2002 – 25 Wx 31/02, FamRZ 2002, 1659 = FGPrax 2002, 219. 3 Vgl. ausf. Schulz in Schulz, § 2 Rz. 298 ff. 4 Zuletzt: BAG v. 12.3.2013 – 9 AZR 532/11, NJW 2013, 1980 = NZA 2013, 678. 5 EuGH v. 12.6.2014 – C-118/13, DB 2014, 1437 = NZA 2014, 651 = ZIP 2014, 1348. 6 Vgl. ausf. Schulz in Schulz, § 2 Rz. 317 ff. 1232

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tenträger nach § 118 SGB VI direkt vom Zahlungskonto zurück, da diese als unter Vorbehalt erbracht gelten. Ist vorher vom Nachlasspfleger über das Guthaben verfügt worden, kann dieser nicht persönlich auf Erstattung in Anspruch genommen werden.1 e) Immobilien aa) Der Nachlasspfleger hat Nachlassimmobilien in Besitz zu nehmen und zu verwalten. Das leerstehende Haus oder die Eigentumswohnung des Erblassers muss er nicht vermieten. Ein Verkauf kann angezeigt sein, ist aber auch nicht zwingend.2 War die Immobilie vermietet, werden eventuelle Hausverwalterverträge fortgeführt. Andernfalls muss sich der Nachlasspfleger selbst um die Mietverwaltung kümmern.

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Haftungsträchtig ist insbesondere, die notwendigen Risikoversicherungen für die Immobilie zu prüfen, vorzuhalten und die Pflichten aus den Versicherungsverhältnissen zu erfüllen.3 Dies betrifft vor allem die Wohngebäudeversicherung, die zwar auf die unbekannten Erben übergeht, aber von der Versicherung regelmäßig wegen des Leerstandes gekündigt wird. Weiter ist für eine Grundbesitzerhaftpflicht-, sowie bei einem Öltank eine Gewässerschadenhaftpflichtversicherung zu sorgen. Falls noch Hausrat vorhanden ist, sollte bei Werthaltigkeit auch durch eine Hausratversicherung vorgesorgt werden.

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Der Nachlasspfleger hat weiterhin die grundstücksbezogenen Verkehrssicherungspflichten zu erfüllen.4 Sind hierfür keine finanziellen Mittel verfügbar, sollte die Ordnungsbehörde verständigt werden, die Gefahren im Wege der Ersatzvornahme zu beseitigen hat.

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bb) Eine Verwertung der Immobilie kann in Betracht kommen, wenn dies zur Schuldentilgung erforderlich ist,5 oder wenn mit einem Ergebnis der Erbenermittlung nicht in Kürze zu rechnen ist und die Kosten der Grundstücksverwaltung höher sind, als ein verzinste Anlage des Kaufpreiserlöses zzgl. eventuell zu erwartender Wertsteigerungen der Immobilie. Im Regelfall erfolgt die Verwertung der Immobilie auf Basis eines Verkehrswertgutachtens6 mit nachlassgerichtlicher Genehmigung des Kaufvertrags.7

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f) Kraftfahrzeuge Fahrzeuge hat der Nachlasspfleger sicherzustellen. Er sollte sich allerdings vorher informieren, ob das Fahrzeug entsprechend versichert ist, wenn er oder ein Beauftragter damit fährt. Aufgrund des Wertverfalls ist eine kurzfristige Verwertung geboten, die bei geleasten oder finanzierten Fahrzeugen mit dem Leasinggeber oder der finanzierenden Bank abzustimmen ist. 1 2 3 4 5

BSG v. 5.2.2009 – B13 R 87/08 R, NJOZ 2009, 2316 = SGb 2010, 88. Zur Abwägung Schulz in Schulz, § 2 Rz. 148 ff. Im Einzelnen Schulz in Schulz, § 2 Rz. 151 ff. Ausf. Schulz in Schulz, § 2 Rz. 164 ff. OLG München v. 7.1.2010 – 31 Wx 154/09, FamRZ 2010, 838 = FGPrax 2010, 74 = ZErb 2010, 54 = ZEV 2010, 366. 6 Ausf. zur Bewertung mit Plausibilitätscheckliste Mues in Schulz, § 2 Rz. 182 ff. 7 Zur Vertragsgestaltung und Vertragsabwicklung Schulz, in Schulz, § 2 Rz. 221 ff. Schulz

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g) Mietwohnung 60

Die unbekannten Erben haben bei einer vorhandenen Mietwohnung ein Interesse an der nächstmöglichen Beendigung des Mietverhältnisses, damit hieraus keine weiteren Forderungen auflaufen. Da in diesen Fällen eine Eintritts-/Fortsetzungsberechtigte nach § 563 BGB (Ehegatte, Lebenspartner etc.) und § 563a BGB regelmäßig nicht vorhanden ist, tritt keine gesetzliche Sonderrechtsnachfolge ein, die die Erben ausschließt. Diese sind damit nach § 1922 Abs. 1 BGB auch Rechtsnachfolger für das Mietverhältnis.

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Entsprechend steht dem Nachlasspfleger als gesetzlichem Vertreter der unbekannten Erben das Recht zur ordentlichen Kündigung binnen einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende zu (§§ 542, 568, 573c BGB). Das Gesetz gewährt bei Tod des Mieters den Erben darüber hinaus ein Sonderkündigungsrecht nach § 564 BGB. Auch für dieses gilt die gesetzliche Kündigungsfrist des § 573c BGB. Es kann allerdings nur innerhalb eines Monats ab Kenntnis vom Tod (damit hier ab Bestellung zum Nachlasspfleger) ausgeübt werden. Das Sonderkündigungsrecht hat vor allen Dingen Bedeutung für Mietverhältnisse, bei denen nach der BGH-Mietrechtsprechung eine ordentliche Kündigung für einen längeren Zeitraum ausgeschlossen wurde.1

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Die Kündigungserklärung des Nachlasspflegers sollte daher vorsorglich immer binnen der Monatsfrist des Sonderkündigungsrechts erfolgen. Oftmals findet er auch den schriftlichen Mietvertrag in den ungeordneten Unterlagen einer eventuell zugemüllten Wohnung des Erblassers nicht. Nach h.M. ist für die Kündigung keine nachlassgerichtliche Genehmigung erforderlich.2

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Im Rahmen der Abwicklung des Mietverhältnisses hat der Nachlasspfleger bei ausreichenden Nachlassmitteln die Räumung der Wohnung vorzunehmen und auch zu prüfen, ob nach dem Vertrag Schönheitsreparaturen erbracht werden müssen oder eine entsprechende Klausel unwirksam ist.3

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Bei einem überschuldeten Nachlass hat der Vermieter bei Mietrückständen und wegen zukünftiger Forderungen ein Vermieterpfandrecht an den eingebrachten Sachen des Erblassers, die der Pfändung unterliegen (§§ 562 ff. BGB). Zu beachten ist hierbei, dass der Verkauf des Pfandes im Wege der öffentlichen Versteigerung zu bewirken ist (§§ 1235 Abs. 1, 1233 ff. BGB),4 soweit mit dem Nachlasspfleger keine Räumungs- und Verwertungsvereinbarung getroffen wurde.

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Praktische Problempunkte beim Vermieterpfandrecht sind regelmäßig: – das Sparbuch in der Wohnung: Der Vermieter hat dieses herauszugeben, da es sich um ein Legitimationspapier handelt, bei dem das Recht am Papier dem 1 Vgl. eingehend Börstinghaus, NJW 2009, 1391 ff.; Börstinghaus, NZM 2011, 187; Derleder, NZM 2012, 147 ff., sowie BGH v. 10.7.2013 – VIII ZR 388/12, MDR 2013, 1089 = NJW 2013, 2820 = NZM 2013, 646 (Vertragsbindung von bis zu 13 Jahren auf Wunsch des Mieters). 2 LG Meiningen v. 30.1.2013 – 3 S 140/12, ZEV 2013, 513 m. Anm. Schulz. 3 Überblick hierzu bei Wagner, NZM 2010, 543 ff.; Flatow, NZM 2010, 641 ff.; Wiek, WuM 2014, 171 ff. 4 Vgl. AG Hamburg-St. Georg v. 27.2.2014 – 923 C 181/13, ZMR 2014, 546. 1234

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Recht aus dem Papier folgt, mithin das Forderungsrecht im Vordergrund steht und daher nicht dem Vermieterpfandrecht unterliegt;1 – ein Fahrzeug auf dem (mit)vermieteten Einstellplatz der Wohnung unterliegt grundsätzlich dem Vermieterpfandrecht.2 h) Mobilien Werthaltigen Hausrat, Schmuck, Antiquitäten, Kunstgegenstände und sonstige Kostbarkeiten hat der Nachlasspfleger sicherzustellen. Eine Bewertung und Verwertung kommt bei der Räumung der Wohnung in Betracht. Schmuck und sonstige Kostbarkeiten können für die Erben aufbewahrt werden, sind aber im Rahmen der Überschuldungsabwicklung zu liquidieren.

66

Regelmäßig werden auch Waffen des Erblassers gefunden. Hier muss der Nachlasspfleger die Regelungen des WaffG beachten. Ein Transport zur zuständigen Waffenbehörde oder zu einem autorisierten Waffenhändler ist unter den Voraussetzungen des §§ 20 Abs. 3 S. 4, 12 Abs. 3 WaffG möglich.3

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i) Prozesse4/Zwangsvollstreckung5 aa) Der Nachlasspfleger als Vertreter der unbekannten Erben wird im Rubrum einer Klage wie folgt bezeichnet.

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M 174 Klagerubrum Die unbekannten Erben des (…), verstorben am (…) in (…), gesetzlich vertreten durch den Nachlasspfleger (…)

Ausnahmsweise kann der Nachlasspfleger auch aus eigenem Recht „als Nachlasspfleger“ klagen oder verklagt werden, wenn dies bei einer Prozessführung gegen einen Erbprätendenten zur Vermeidung eines Insichprozesses notwendig ist.6

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Ist der Nachlasspfleger zugleich Rechtsanwalt, darf er sich selbst mandatieren7 und diese Tätigkeit gesondert nach dem RVG abrechnen. Auch Prozesskostenhilfe ist möglich, wobei hinsichtlich der Bedürftigkeit auf die im Zeitpunkt der Klage vorhandene Aktivmasse des Nachlasses abzustellen ist.8

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Für das vom Nachlasspfleger betriebene gerichtliche Mahnverfahren ist das AG Berlin-Wedding örtlich zuständig, da die unbekannten Erben keinen Wohnsitz im Inland haben (§ 12 BGB, § 689 Abs. 2 S. 2 ZPO).9

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1 2 3 4 5 6

Schmidt-Futterer/Lammel, § 562 BGB Rz. 13. Staudinger/Emmerich, § 562 Rz. 13. Vgl. Schulz in Schulz, § 2 Rz. 237 m.w.N. Vgl. eingehend Zimmermann, ZEV 2011, 631 ff. Vgl. eingehend Roth, NJW-spezial 2010, 551 ff. BGH v. 6.10.1982 – IVa ZR 166/81, MDR 1983, 206 = FamRZ 1983, 56 m. Anm. Dieckmann, FamRZ 1983, 582 = NJW 1983, 226. 7 Vgl. Zimmermann, Nachlasspflegschaft Rz. 411, 639. 8 OLG Saarbrücken v. 21.1.2010 – 9 W 357/09, FamRZ 2010, 1358. 9 Str.; a.A. Zimmermann, Nachlasspflegschaft Rz. 625. Schulz

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Rz. 72

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Anhängige Prozesse werden mit dem Tod des Erblassers auf Antrag ausgesetzt (§§ 246 Abs. 1, 248, 249 ZPO) bis der Nachlasspfleger den Prozess aufnimmt oder der Gegner die Aufnahme beantragt.

73

bb) Findet der Nachlasspfleger im Nachlass einen Vollstreckungstitel mit Vollstreckungsklausel zugunsten des Erblassers, kann er hieraus erst nach Titelumschreibung auf die unbekannten Erben1 die Zwangsvollstreckung betreiben. Ein Gläubiger des Erblassers kann mit einem gegen diesen schon zu Lebzeiten erwirkten Titel mit einer bereits begonnenen Zwangsvollstreckung ohne Titelumschreibung fortfahren (§ 779 Abs. 1 ZPO).2 Hat der Gläubiger mit der Zwangsvollstreckung noch nicht begonnen, muss wegen der Rechtsnachfolge eine Titelumschreibung auf die unbekannten Erben erfolgen.3 j) Steuern4

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Im Rahmen seines Aufgabenbereichs „Verwaltung des Nachlasses“ ist der Nachlasspfleger nach § 34 Abs. 1 AO verantwortlich für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Erblassers (Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer) und der unbekannten Erben (Erbschaftsteuer). Er haftet persönlich für Steuerausfälle bei schuldhafter Verletzung dieser Pflichten (§ 69 AO). Der Nachlasspfleger ist Bekanntgabeadressat von Steuerbescheiden (vgl. für die Erbschaftsteuer § 32 Abs. 2 ErbStG),5 Inhaltsadressaten sind die unbekannten Erben. k) Unternehmensbeteiligungen

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Ein im Nachlass vorgefundenes einzelkaufmännisches Unternehmen oder eine freiberufliche Praxis hat der Nachlasspfleger ggf. fortzuführen oder zu verkaufen. War der Erblasser Gesellschafter einer Personen- oder Kapitalgesellschaft, hat der Nachlasspfleger die Gesellschaftsverträge auf Regelungen über die Vererblichkeit der Unternehmensbeteiligungen zu prüfen und hieraus resultierende Ansprüche durchzusetzen. Bei der „Ein-Mann-GmbH“ wird die Firma im Todesfall führungslos. Eine Insolvenzantragspflicht des Nachlasspflegers in dieser Situation wird abgelehnt.6 Der Nachlasspfleger sollte prüfen, ob er sich als Geschäftsführer oder Liquidator bestellt, um eventuelle Werte für den Nachlass zu realisieren. Bei festgestellter Überschuldung kann eine Abwicklung über die Insolvenz erfolgen. l) Versicherungen

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Versicherungsverhältnisse werden grundsätzlich vererbt, soweit nicht mit dem Tod das versicherte Risiko weggefallen ist. Vererblich sind damit insbesondere Sachversicherungen, wie Hausratversicherungen, Kfz-Haftpflicht-/Kfz-KaskoVersicherungen, Gebäudeversicherungen u.Ä. Personenbezogene Versicherun1 H.M.: Zöller/Stöber, § 727 ZPO Rz. 18; Zimmermann, ZEV 2011, 631 (635); a.A. AG Hamburg v. 6.9.1991 – 28 M 8146/91, DGVZ 1992, 43; Musielak/Lackmann, § 727 ZPO Rz. 10. 2 OLG München v. 20.11.2013 – 31 Wx 413/13, FamRZ 2014, 966 = FGPrax 2014, 77. 3 Vgl. Zimmermann, ZEV 2011, 631 (635). 4 Vgl. umfassend Gleumes in Schulz, § 2 Rz. 340 ff. 5 Klein/Ratschow, AO, § 122 Rz. 38. 6 Marotzke, ErbR 2010, 115 (119). 1236

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gen wie Privathaftpflicht-, Unfall-, und private Krankenversicherung enden mit dem Tod. Bei auftretenden Rechtsfragen sind immer die für den jeweiligen Versicherungsvertrag vereinbarten Versicherungsbedingungen hinzuzuziehen. Die nachfolgenden Erläuterungen greifen lediglich besonders bedeutsame Probleme bei der Abwicklung der Versicherungsverhältnisse heraus:1 aa) Die private Krankenversicherung des Erblassers erstattet die Aufwendungen für die medizinische Heilbehandlung (bei Beamten als Ergänzung zu Beihilfeansprüchen). Da das Kostenerstattungsprinzip gilt, findet eine Direktzahlung an die Ärzte und Krankenhäuser nicht statt, soweit nicht der Versicherer durch Kostenübernahmeerklärung oder aufgrund des Krankenhausausweises (Clinic Card)2 unmittelbar bezahlt.3

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Beratungssituation: Der Mandant ist Arzt und hatte den Erblasser umfassend behandelt. Er hat die offenen Forderungen beim Nachlasspfleger angemeldet, der auch entsprechende Erstattungen der privaten Krankenversicherung vereinnahmt hat. Eine vollständige Zahlung verweigert der Nachlasspfleger. Die medizinischen Leistungserbringer sind wegen ihrer Ansprüche nicht vorrangig vor anderen Gläubigern des Erblassers zu bezahlen. Vielmehr unterliegt die direkte Leistung des privaten Krankenversicherers an einen Gläubiger des verstorbenen Versicherungsnehmers der Insolvenzanfechtung4 und ist bei der Beurteilung, ob eine ausreichende Masse i.S.d. § 26 InsO für ein Insolvenzverfahren vorliegt, zu berücksichtigen.

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bb) Handlungsbedarf kann sich für den Nachlasspfleger ergeben, wenn der Erblasser Versicherungsnehmer und versicherte Person einer Lebensversicherung war und eine Bezugsberechtigung zugunsten Dritter bestimmt hat.5 Kannte der Bezugsberechtigte die Bezugsberechtigung nicht, kann und muss der Nachlasspfleger versuchen, diesbezügliche Ansprüche der unbekannten Erben zu sichern. Denn der Begünstigte benötigt im Verhältnis zu den Erben einen Rechtsgrund, die Leistung aus der Versicherung behalten zu dürfen.6

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Rechtsgrund in dieser Konstellation ist im Regelfall eine Schenkung.7 Ein wirksamer Schenkungsvertrag kommt aber meist erst postmortal zustande: die Versicherung muss den Begünstigten von der Bezugsberechtigung benachrichtigen8

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1 Vgl. umfassend: Schulz in Schulz, § 2 Rz. 243 ff. 2 Zur Rechtsnatur des Clinic Card-Vertrags: LG Dortmund v. 8.3.2007 – 2 S 26/06, NJW 2007, 3134 m.w.N. 3 Müller in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 44 Rz. 10. 4 OLG Karlsruhe v. 10.9.2004 – 1 U 72/04, VersR 2004, 1448. 5 Gleiches gilt für Bezugsberechtigungen bei Bankkonten, vgl. hierzu OLG Schleswig v. 20.3.2013 – 3 U 62/12, FamRZ 2014, 792. 6 Vgl. ausf. Schulz in Schulz, § 2 Rz. 271 ff. sowie Muscheler, WM 1994, 921 ff. 7 Bei Ehegatten und in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft kommt auch eine unbenannte Zuwendung in Betracht. Hier sind nach Trennung die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anwendbar, vgl. BGH v. 14.11.2012 – IV ZR 219/12, FamRZ 2013, 376 = VersR 2013, 302, sowie OLG Köln v. 15.6.2012 – 20 U 160/11, FamFR 2012, 456 m. Anm. Grziwotz. 8 Zu den Anforderungen an die Pflicht des Versicherers, den Bezugsberechtigten zu ermitteln vgl. BGH v. 10.4.2013 – IV ZR 38/12, FamRZ 2013, 1220 = NJW 2013, 2588 = VersR 2013, 1029 = ZEV 2013, 519. Schulz

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und übermittelt hierdurch nach Ansicht der Rechtsprechung ein Schenkungsangebot an den Begünstigten, das dieser stillschweigend annimmt (§§ 130 Abs. 2, 153, 151 BGB). 81

Der Nachlasspfleger ist gehalten, dafür zu sorgen, dass dieser Rechtsgrund nicht entsteht. Er kann hierzu gegenüber der Versicherung den Übermittlungsauftrag nach § 671 BGB widerrufen, den Begünstigten über die Bezugsberechtigung zu informieren; dann kann die Versicherung kein den Erben zurechenbares Schenkungsangebot mehr übermitteln; sie ist lediglich noch „Pseudobotin“.1

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Gleichzeitig empfiehlt es sich für den Nachlasspfleger, gegenüber dem Bezugsberechtigten den Widerruf des Schenkungsangebots zu erklären. Dies ist entscheidend für den Fall, dass die Mitteilung der Versicherung an den Bezugsberechtigten bereits unterwegs ist und gleichzeitig der Widerruf des Schenkungsangebots eingeht. Denn dann greift § 130 Abs. 1 S. 2 BGB und das Schenkungsangebot wird unwirksam.

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Aus den Ausführungen wird deutlich, dass die Maßnahmen des Nachlasspflegers eilbedürftig sind; es findet ein in der Literatur kritisierter „Wettlauf zwischen dem Bezugsberechtigten und den Erben statt“, den der Nachlasspfleger gewinnen muss2

IV. Ermittlung der Erben 84

Gehört die Ermittlung der Erben zum Wirkungskreis des Nachlasspflegers und ist kein Testament vorhanden, hat er zunächst alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen selbst zu unternehmen, die gesetzlichen Erben zu finden. Hierzu wird er zielgerichtet in der Reihenfolge der Erbfolgeordnungen entsprechende Personenstandurkunden bei den Standesämtern/Archiven oder – soweit nicht vorhanden – Sekundärbeweise nach § 2356 Abs. 1 S. 2 BGB3 beschaffen, die die Erbenstellung lückenlos belegen. Auch das Internet gewinnt als Recherchequelle zunehmend an Bedeutung.4 Insgesamt ist dies regelmäßig eine mehrjährige Angelegenheit, da sich meist Hinweise für Folgeanforderungen nur von Urkunde zu Urkunde ergeben.5 Der immer wieder auftretende Einwand ermittelter Erben: „Ich stehe doch im Telefonbuch!“, greift ersichtlich zu kurz.

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Wenn der Nachlasspfleger hiernach erfolglos bleibt, darf er einen gewerblichen Erbenermittler einschalten,6 der auf eigenes Kostenrisiko tätig werden muss.7 Der Erbenermittler vereinbart sein Honorar dann mit den gefundenen Erben.8 1 BGH v. 21.5.2008 – IV ZR 238/06, MDR 2008, 1159 = FamRZ 2008, 1516 = NJW 2008, 2702 = VersR 2008, 1054 = ZErb 2008, 355 = ZEV 2008, 392 m. Anm. Leipold. 2 Vgl. eingehend Muscheler, WM 1994, 921 (930 ff.). 3 Zu den Anforderungen beispielhaft OLG Schleswig v. 15.2.2013 – 3 Wx 113/12, FamRZ 2013, 2013 = FGPrax 2013, 179; OLG Hamm v. 2.11.2012 – 15 W 404/11, FamRZ 2013, 1250 = NotBZ 2013, 191 = ZErb 2013, 68 (Ahnenpass). 4 S. Linkliste auf www.b-d-n.de. 5 Zur Ermittlungssystematik Lauk in Schulz, § 3 Rz. 210 ff. 6 LG Berlin v.14.9.2011 – 23 O 613/10, ZEV 2012, 413 m. Anm. Forkert. 7 Vgl. umfassend Lauk in Schulz, § 3 Rz. 233 ff. 8 Vgl. BGH v. 23.2.2006 – III ZR 209/05, FamRZ 2006, 775 = MDR 2006, 917 = ZEV 2006, 321. 1238

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Ist der Nachlass überschuldet, kann eine Ermittlung auch ganz unterbleiben, da ermittelte Erben von ihrem Ausschlagungsrecht Gebrauch machen würden. Die Ermittlung kann bei geringem Nachlass nicht wirtschaftlich sein, etwa bei Erben in der 3. oder 4. Erbordnung, bei denen die Personenstandsurkunden schwer zu beschaffen sind.

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V. Bericht, Vermögensverzeichnis und Rechnungslegung Die Berichts- und Abrechnungspflichten des Nachlasspflegers ergeben sich aus §§ 1840, 1841, 1802 BGB, 1890 BGB wie folgt:

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– Erstbericht nach erfolgter Bestellung zum Nachlasspfleger – Folgebericht entsprechend dem Fortgang des Verfahrens – Nachlassverzeichnis – Rechnungslegung(en) – Schlussbericht und Schlussrechnung. Das Nachlassgericht wird auf eine übersichtliche und ausführliche Berichterstattung Wert legen und bei der Rechnungslegung auf eine vollständige Belegführung achten, andernfalls vermag es Pflichtwidrigkeiten nicht zu erkennen.

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Das Nachlassverzeichnis, das im Regelfall zum Todestag zu erstellen ist,1 hat der Nachlasspfleger mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu versehen (§ 1802 BGB). Die Beifügung entsprechender Belege für die Aktiva und Passiva ist nach der bisher veröffentlichten Meinung nicht verpflichtend, aber ratsam.2

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Darüber hinaus kann das Gericht vom Nachlasspfleger jederzeit Auskunft über die Führung der Nachlasspflegschaft verlangen, sich also einzelne Tätigkeiten erläutern lassen, § 1839 BGB.

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VI. Nachlassgerichtliche Genehmigungen 1. Genehmigungserfordernisse Der Nachlasspfleger benötigt für viele seiner Handlungen eine nachlassgerichtliche Genehmigung, §§ 1809 ff. BGB. Insbesondere im Bereich des Bankvermögens oder des Immobilienverkaufs ist dies oben schon dargestellt worden (s. oben Rz. 39 ff.). Weiter genehmigungspflichtig sind z.B. Verfügungen über Forderungen und Wertpapiere (§ 1812 BGB), Annahme einer geschuldeten Leistung, wenn der Wert 3 000 Euro übersteigt (§§ 1812 Abs. 1 S. 1, 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB; in der Praxis selten beachtet)3, Abschluss von außergerichtlichen Vergleichen (§ 779 BGB), wenn der Wert 3 000 Euro übersteigt (§ 1822 Nr. 12 BGB). 1 Vgl. Hamberger in Schulz, § 4 Rz. 17. 2 KG, KGJ 36, 38/41 = OLGE 18, 290; Palandt/Götz, § 1802 Rz. 2; Jochum/Pohl, Rz. 801; Staudinger/Veit, § 1802 Rz. 28; MüKo.BGB/Wagenitz, § 1802 Rz. 7. 3 Vgl. OLG Karlsruhe v. 3.9.1998 – 9 U 177/97, NJW-RR 1999, 230 = NVersZ 1999, 67 = r + s 2000, 257 = VersR 1999, 1529. Schulz

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Das Herausgabeverlangen des Nachlasspflegers zur Herbeischaffung des zu verwaltenden Nachlasses und dessen Annahme sollen allerdings nicht genehmigungsbedürftig sein.1 2. Genehmigungsverfahren/Wirksamkeit/Verfahrenspfleger 92

Die Genehmigung erfolgt durch Beschluss (§ 38 FamFG), der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung (§ 39 FamFG) zu versehen ist. Er wird mit der Bekanntgabe an den Beteiligten (§ 41 FamFG) wirksam, es sei denn, er hat die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand. Dann wird er erst mit Rechtskraft wirksam (vgl. § 40 Abs. 1 und 2 FamFG). Insbesondere bei Außengenehmigungen wird zusätzlich ein Verfahrenspfleger bestellt und beteiligt, der die Interessen der unbekannten Erben im Genehmigungsverfahren vertritt (§ 340 Nr. 1, 276 Abs. 1 S. 1 FamFG).2

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Bei der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts reicht aber allein die Rechtskraft des Genehmigungsbeschlusses nicht aus. Vielmehr muss dieser dem Vertragsgegner durch den Nachlasspfleger noch mitgeteilt werden (vgl. §§ 1828, 1829 Abs. 1 S. 2 BGB). 3. Folgen fehlender Genehmigung

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Einseitige Rechtsgeschäfte ohne nachlassgerichtliche Genehmigung sind unwirksam (§ 1831 BGB).

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Bei Verträgen hängen die Folgen fehlender Genehmigung von der Art der Genehmigung ab: Man unterscheidet zwischen der Außengenehmigung für Rechtsgeschäfte, die nach materiellem Recht ohne Genehmigung des Gerichts nicht wirksam zustande kommen und bis zu deren Mitteilung an den Vertragspartner schwebend unwirksam sind (z.B. Kaufverträge über Grundstücke)3, und der Innengenehmigung als bloße Ordnungsvorschrift für Rechtsgeschäfte, für die der Nachlasspfleger die Genehmigung des die Aufsicht über seine Tätigkeit führenden Gerichts benötigt, ohne dass diese Voraussetzung für die Wirksamkeit des Geschäfts ist (z.B. für die Geldanlage, §§ 1806, 1807, 1810, 1811 BGB).4

VII. Vergütung und Aufwendungsersatz 1. Vergütung 96

Auf welcher Rechtsgrundlage der Vergütungsanspruch basiert, hängt davon ab, ob der Nachlass mittellos oder vermögend ist, und ob der Nachlasspfleger berufsmäßig oder ehrenamtlich tätig wird. 1 Vgl. OLG Karlsruhe v. 27.6.2007 – 7 U 248/06, FamRZ 2007, 2109 = ZErb 2007, 387 mit zweifelhafter Begründung. 2 OLG Hamm v. 7.9.2010 – 15 W 111/10, FamRZ 2011, 396 = DNotZ 2011, 223 = FGPrax 2011, 84 = NotBZ 2011, 46 m. Anm. Heggen = RNotZ 2011, 46 m. Anm. Bremkamp = RPfleger 2011, 87 = ZEV 2011, 191 m. Anm. Leipold; zur Begründung ausf. Hamberger in Schulz, § 5 Rz. 82 ff. 3 Keidel/Meyer-Holz, § 40 Rz. 28 m.w.N. 4 Keidel/Meyer-Holz, § 40 Rz. 43. 1240

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a) Vergütung des Berufsnachlasspflegers aa) Der berufsmäßige Nachlasspfleger1 erhält bei Mittellosigkeit des Nachlasses eine Stundensatz-Vergütung aus der Staatskasse (§§ 1936 Abs. 1 S. 3 BGB i.V.m. §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 VBVG) Je nach Ausbildung beträgt die Stundensatzhöhe 19,50 Euro (ohne besondere Kenntnisse), 25,00 Euro (mit besonderen Kenntnissen, die durch eine abgeschlossene Lehre oder vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind) oder 33,50 Euro (mit besonderen Kenntnissen, die durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind) zzgl. Umsatzsteuer. Mittellosigkeit liegt vor, wenn kein die Vergütung deckender liquider Nachlass vorhanden ist.2 Bei Teilmittellosigkeit kann der Pflegers daher zunächst bis zum Verbrauch der vorhandenen Liquidität wie bei einem vermögenden Nachlass abrechnen und sodann erst nach den geringeren Stundensätzen bei Mittellosigkeit. Der Verbrauch der Nachlassmittel zur Zahlung von Nachlassverbindlichkeiten durch den Nachlasspfleger führt aber nicht zur Mittellosigkeit.3

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bb) Bei einem vermögenden Nachlass hingegen richtet sich die Vergütung des Nachlasspflegers nach § 1915 Abs. 1 S. 2 BGB nach den für die Führung der Pflegschaftsgeschäfte nutzbaren Fachkenntnissen des Pflegers sowie nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Pflegschaftsgeschäfte. Die h.M. lässt nach Zeitaufwand mit einem Stundensatz abrechnen, wobei zu Recht darauf hingewiesen wird, dass das Gesetz dies nicht vorschreibt und somit auch z.B. eine prozentuale Abrechnung nach verwaltetem Vermögen möglich ist.4 Die bewilligten Stundensätze sind je nach Fall und Pfleger sehr individuell: die Rechtsprechung bewilligt Stundensätze von 33,50–130 Euro, wobei der anwaltliche Berufsnachlasspfleger bei einem durchschnittlichen Fall einen Stundensatz von 100–110 Euro netto zugesprochen erhält5. Die Praxis hat darauf reagiert: Die Arbeitsgemeinschaft Nachlasspflegschaft der DVEV e.V. und der Bund Deutscher Nachlasspfleger (BDN) e.V. haben gemeinschaftlich Vergütungsempfehlungen6 ausgearbeitet und aktualisiert, die zu einer Vereinheitlichung führen sollen und inzwischen auch Eingang in die Rechtsprechung gefunden haben.7 Stundensätze unter 70 Euro sind angesichts der Haftungsrisiken, der Kosten für die Unterhaltung eines professionellen Büros nebst Fortbildung und einer angemessenen Krankheits-, Risiko- und Altersvorsorge für einen Berufsnachlasspfleger nicht diskutabel.

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1 Zu den Voraussetzungen der Berufsmäßigkeit s. oben Rz. 19 ff. 2 Vgl. OLG Saarbrücken v. 13.5.2014 – 5 W 23/14, BeckRS 2014, 14596; OLG Hamm v. 29.11.2013 – I-15 W 266/13; OLG Naumburg v. 10.7.2013 – 2 Wx 44/13, FamRZ 2014, 245 = FGPrax 2013, 269 = NJW-RR 2013, 1422; OLG Düsseldorf v. 25.9.2012 – I-3 Wx 308/11, FamRZ 2013, 815 = FGPrax 2013, 69 = MDR 2012, 1471. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.9.2012 – I-3 Wx 308/11, FamRZ 2013, 815 = FGPrax 2013, 69 = MDR 2012, 1471. 4 Firsching/Graf, Rz. 4 669 m.w.N. 5 Vgl. Gleumes in Schulz, § 6 Rz. 37 ff.; Gleumes/Lauk, ErbR 2014, 316 (317); Lauk, BWNotZ 2013, 53 ff. 6 Vgl. Gleumes in Schulz, § 6 Rz. 43 ff.; Jochum/Pohl, Rz. 860 und Anh. III (S. 619 ff.) sowie unter www.b-d-n.de. 7 OLG Schleswig v. 27.6.2013 – 3 Wx 5/13, FamRZ 2014, 798 = RPfleger 2014, 22; OLG Düsseldorf v. 25.9.2012 – I-3 Wx 308/11, FamRZ 2013, 815 = FGPrax 2013, 69 = MDR 2012, 1471; OLG Schleswig v. 7.5.2012 – 3 Wx 113/11, FamRZ 2012, 1903 = MDR 2012, 1351 = ZErb 2012, 187. Schulz

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Rz. 99

Nachlasspflegschaft

cc) Der Vergütungsanspruch entsteht stundenweise und taggenau.1 Er erlischt, wenn der Nachlasspfleger diesen nicht binnen 15 Monaten nach seiner Entstehung beim Nachlassgericht in prüffähiger Form zur Festsetzung beantragt (§ 1836 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 2 VBVG), wobei bei einer Fristversäumung zugunsten des Nachlasspflegers der Grundsatz von Treu und Glauben eingreifen kann.2 Die Praxis hat sich mit dem drohenden Vergütungsausschluss arrangiert: – durch einen rechtzeitigen Fristverlängerungsantrag, im Rahmen des konkreten Verfahrens, § 2 S. 2 VBVG i.V.m. § 1835 Abs. 1a BGB, der auch schon anlässlich der Verpflichtung nach § 1789 BGB zu Protokoll gegeben werden kann; – durch die Anordnung einer Fristverlängerung bereits im Bestellungsbeschluss der jeweiligen Nachlasspflegschaft oder später ohne Antrag von Amts wegen;3 – durch eine generelle Fristverlängerung für alle von einem Nachlasspfleger künftig bei dem zuständigen Gericht zu übernehmenden Angelegenheiten im Voraus auf dessen Antrag.4 b) Vergütung des ehrenamtlichen Nachlasspflegers

101

Der nicht berufsmäßige Pfleger ist ehrenamtlich tätig.5 Ist der Nachlass mittellos, erhält er keine Vergütung. Rechtsgrundlage seiner Vergütung bei einem vermögenden Nachlass ist § 1836 Abs. 2 BGB: auf Antrag erhält er eine angemessene Vergütung, soweit der Umfang und die Schwierigkeit der Geschäfte dies rechtfertigen. Die Vergütungsfrist des § 2 VBVG gilt hier nicht. c) Festsetzungsverfahren

102

Die Vergütungsfestsetzung erfolgt durch Beschluss des Nachlassgerichts auf Antrag des Nachlasspflegers (§ 168 Abs. 5, Abs. 1 FamFG) bei vorhandenem Vermögen gegen die Erben, bei Mittellosigkeit gegen die Staatskasse. Entsprechend sind im ersten Fall bereits festgestellte Erben oder die in Betracht kommenden Erbprätendenten und/oder ein Verfahrenspfleger zu beteiligen, im zweiten Fall der Bezirksrevisor. Der Beschluss ist schon mit Bekanntgabe, nicht erst mit Rechtskraft wirksam, vgl. § 40 Abs. 1 und Abs. 2 FamFG.

103

Nach § 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 S. 2 BGB ist die festgesetzte Vergütung ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Vergütungsbeschlusses auch ohne Verzug 1 Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 756. 2 BGH v. 24.10.2012 – IV ZB 13/12, FamRZ 2013, 295 = NJW-RR 2013, 519 = ZEV 2013, 84; OLG Düsseldorf v. 19.2.2014 – I-3 Wx 292/11, ZErb 2014, 136; gegen die Anwendung des § 2 VBVG auf den Nachlasspfleger bei vermögendem Nachlass: Rudolf/Eckhardt, ZErb 2006, 112 ff.; Schulz, Hereditare (4) 2014, 69. 3 Dies dürfte wegen des Antragserfordernisses des § 1835 Abs. 1a BGB unzulässig sein; hierauf kann sich das Gericht nach erfolgter Anordnung aber nicht berufen: vgl. OLG Naumburg v. 28.4.2014 – 12 Wx 24/14, BeckRS 2014, 16155. 4 OLG Bremen v. 15.3.2012 – 5 W 19/11, FamRZ 2012, 1826 = NJW-RR 2012, 1913; dies dürfte unzulässig sein, da das Antragsrecht davon abhängt, dass der Nachlasspfleger in einem bereits anhängigen Verfahren wirksam amtiert. 5 Zu den Voraussetzungen der Berufsmäßigkeit s. oben Rz. 19. 1242

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Schulz

Nachlasspflegschaft

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des Schuldners mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.1 Entsprechend kann die Verzinsung nur nachträglich beantragt werden.2 Gegenansprüche des Zahlungspflichtigen, insbesondere aus Schäden wegen mangelhafter Amtsführung, können dem Vergütungsanspruch im Festsetzungsverfahren nicht entgegengehalten werden, sondern sind auf eine Vollstreckungsgegenklage beim Nachlassgericht (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 FamFG i.V.m. § 767 ZPO) oder beim Prozessgericht verwiesen.3 Zu berücksichtigen sind nur vergütungsrechtliche Einwendungen.4

104

Gegen den Vergütungsbeschluss kann Beschwerde erhoben werden, §§ 58 ff. FamFG.5

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d) Zurückbehaltung, Entnahme und Vollstreckung Solange sein Vergütungsanspruch noch nicht erfüllt ist, hat der Nachlasspfleger ein Zurückbehaltungsrecht an dem von ihm verwalteten Nachlassvermögen. Eine Beantragung, wirksame Festsetzung oder ein rechtskräftiger Beschluss hinsichtlich der Vergütung ist nicht Voraussetzung dieses Sicherungsrechts. Hat er auch den Aufgabenkreis „Sicherung und Verwaltung des Nachlasses“, darf er eine festgesetzte Vergütung dem verwalteten Vermögen entnehmen, soweit er hierfür faktisch nicht z.B. wegen eines Sperrvermerks eine zusätzliche Genehmigung des Nachlassgerichts benötigt.6

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Kommt der Nachlasspfleger wie vorgenannt nicht zu seiner Vergütung, kann er vollstrecken: Der Vergütungsbeschluss ist Vollstreckungstitel, §§ 168, 86 FamFG. Zur Vollstreckung benötigt der Nachlasspfleger aber eine vollstreckbare Ausfertigung mit Vollstreckungsklausel nach §§ 724, 725 ZPO gegen die Erben.7 Diese ist nicht nach § 86 Abs. 3 FamFG entbehrlich, da die Vollstreckung nicht durch das Nachlassgericht, sondern durch den Gerichtsvollzieher oder das Vollstreckungsgericht erfolgt.

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e) Vergütungsvereinbarungen Anstelle oder in Ergänzung zu einer gesetzlichen Vergütung, kann der Nachlasspfleger mit den ermittelten Erben8 eine außergerichtliche Vergütungsverein-

1 BayObLG v. 5.3.2004 – 1Z BR 84/03, FamRZ 2004, 1995 = Rpfleger 2004, 422. 2 OLG Hamm v. 12.11.2002 – 15 W 150/02, BtPrax 2003, 81 = FGPrax 2003, 73; Zimmermann, ZEV 2005, 473 (475) m.w.N. 3 BGH v. 11.4.2012 – XII ZB 459/10, FamRZ 2012, 1051 = FGPrax 2012, 162 = FuR 2012, 376 = MDR 2012, 679; Ausnahme: Verwirkung bei Straftaten des Nachlasspflegers, vgl. LG Coburg v. 5.3.2009 – 41 T 6/09. 4 A.A. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 810. 5 Vgl. ausf. Gleumes in Schulz, § 6 Rz. 77 ff. 6 Vgl. Gleumes in Schulz, § 6 Rz. 70. 7 Vgl. AG Essen v. 7.2.2008 – 120 M 195/08, FamRZ 2008, 1977 = NJW-RR 2008, 1461. 8 Oder auch mit Gläubigern, die ihre Forderungen im Gläubigeraufgebotsverfahren angemeldet haben und über die Verteilung des Restnachlasses entscheiden. Schulz

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C III

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Nachlasspflegschaft

barung abschließen.1 Diese kann aber nicht Grundlage für eine Festsetzung durch das Nachlassgericht sein.2 2. Aufwendungsersatz und berufsspezifische Dienstleistungen 109

Ersatz seiner Aufwendungen (Kopien, Porto, Telefon, Fahrkosten, Urkunden, Archiv und Verwaltungsgebühren etc.) erhält der berufsmäßige Nachlasspfleger in jedem Fall bei Mittellosigkeit aus der Staatskasse festgesetzt, bei vorhandenem Vermögen kann er sie ohne Festsetzung direkt aus dem Nachlass entnehmen (§ 1835 Abs. 1 BGB). Es gilt eine Erlöschensfrist von 15 Monaten.

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Über § 1835 Abs. 3 BGB kann der Nachlasspfleger bei einem vermögenden Nachlass auch Aufwendungsersatz für berufsspezifische Dienstleistungen, also solche, für die ein Laie in gleicher Lage vernünftigerweise einen Rechtsanwalt oder Steuerberater hinzuziehen würde, nach dem RVG oder der StBVV abrechnen, wenn er Rechtsanwalt bzw. nach der StbVV, wenn er Steuerberater ist.3 Dies kann z.B. gelten für die Prozessführung, für das Fertigen von Steuererklärungen oder die Vertretung im Gläubigeraufgebots-, Insolvenzeröffnungs- oder Insolvenzverfahren.4 Ihm steht ein Wahlrecht zwischen dieser Art der Abrechnung und der Abrechnung nach der gesetzlichen Vergütung (Stundensätzen) zu.5 Auch hier gilt die Erlöschensfrist des § 1835 Abs. 1 S. 3, Abs. 1a BGB.6

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Im Gegensatz zum berufsmäßigen Nachlasspfleger erhält der ehrenamtliche auch Aufwendungen für eine Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung ersetzt (§ 1835 Abs. 2 BGB). Erhält er keine Vergütung, verbleibt ihm die Entschädigungspauschale von derzeit 399 Euro pro Jahr (§ 1835a BGB), die er bis zum 31.3. des Folgejahres geltend machen muss.

VIII. Beendigung der Nachlasspflegschaft 112

Der Weg zur erfolgreichen Beendigung der Nachlasspflegschaft hängt maßgeblich von der vorgefundenen Vermögenssituation ab. 1. Abwicklung bei vermögendem Nachlass

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Mit erfolgreicher Erbenermittlung durch den Nachlasspfleger und spätestens mit Erteilung des Erbscheins durch das Nachlassgericht sind die Erben nicht mehr unbekannt. Die Pflegschaft kann aufgehoben werden. Über die Verwaltung des Nachlasses hat der Nachlasspfleger dem/den Erben Rechenschaft abzulegen, §§ 1890 S. 1, 259 BGB, und das verwaltete Vermögen herauszugeben. Der Erbe kann diese Ansprüche vor dem Zivilgericht einklagen. 1 Ausführlich: Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 805. 2 So entgegen dem missverständlichen Leitsatz OLG Celle v. 30.5.2011 – 6 W 120/11, FamRZ 2011, 1755 = ZErb 2011, 246 = ZEV 2011, 647 m. Anm. Rudolf; a.A. für die Vereinbarung einer „angemessenen Vergütung“ OLG Düsseldorf v. 19.2.2014 – I-3 Wx 292/11, ZErb 2014, 136. 3 Vgl. Gleumes/Lauk, ErbR 2014, 316, 318 f. m.w.N. 4 Vgl. Gleumes in Schulz, § 6 Rz. 55 m.w.N. 5 BayObLG v. 21.2.1996 – 1Z BR 29/96, FamRZ 1997, 185. 6 MüKo.BGB/Wagenitz, § 1835 Rz. 49 m.w.N. 1244

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a) Herausgabepflicht Die Herausgabepflicht des Nachlasspflegers bezieht sich auf sämtliche Nachlassgegenstände, die er in Besitz hat (Sparbuch, Schmuck, Wohnungsschlüssel, Unterlagen aus dem Nachlass etc.). Bei einer Erbengemeinschaft müssen die Mitglieder entweder einen gemeinschaftlichen Bevollmächtigten benennen, der die Gegenstände in Besitz nehmen darf oder die Gegenstände gemeinschaftlich abholen und den Empfang quittieren.1

114

Kontoguthaben kann der Nachlasspfleger an die Erben überweisen, wenn diese ein gemeinschaftliches Konto benennen. Der Nachlasspfleger sollte vor einer Überweisung von Kontoguthaben allerdings immer prüfen, ob er seine nach §§ 32, 20 ErbStG bestehende Pflicht, für die Zahlung der Erbschaftsteuer zu sorgen, erfüllt hat. Dies gilt insbesondere für Auszahlungen an Erben in das Ausland. Ansonsten können die Erben die bestehenden Nachlasskonten mit dem Erbschein auch selbst auflösen, da der Nachlasspfleger keine verdrängende Vertretungsmacht besitzt. Eine Erbauseinandersetzung ist nicht Aufgabe des Nachlasspflegers. Er kann sich aber hierzu von allen Erben ausdrücklich und einvernehmlich beauftragen lassen. Es handelt sich dann um eine ggf. nach dem RVG oder nach einer Honorarvereinbarung abrechenbare Tätigkeit.

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Scheitert eine Herausgabe des Nachlasses, weil sich die Erben nicht einigen können, kann der Nachlasspfleger den Nachlass bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts hinterlegen, vgl. §§ 372 ff. BGB i.V.m. den HinterlG der Länder. Nicht hinterlegungsfähige Nachlassgegenstände kann er gem. § 383 BGB versteigern lassen und den Erlös hinterlegen.

116

b) Schlussrechnungslegung Der Nachlasspfleger hat, anknüpfend an die letzte Verwaltungsabrechnung gegenüber dem Gericht, den Erben die Abschlussrechnung zu legen und die Vollständigkeit bei Zweifeln über die sorgfältige Anfertigung an Eides Statt zu Protokoll des Gerichts zu versichern. Für die zurückliegenden Zeiträume genügt die Bezugnahme auf die dem Nachlassgericht eingereichten Abrechnungen, § 1890 S. 2 BGB. Die Erben können aber auch vergangene Rechnungsposten beanstanden.2 Der Nachlasspfleger wird sich daher bemühen, von den Erben außergerichtlich eine sog. Entlastungserklärung zu erhalten, in der diese erklären, dass sie die Schlussabrechnung als richtig anerkennen und sämtliche Nachlassgegenstände erhalten haben. Es handelt sich um ein negatives Schuldanerkenntnis, das nach Maßgabe der §§ 812 Abs. 2, 814 BGB kondizierbar ist.3

M 175 Entlastungserklärung Zur Vorlage beim AG – Nachlassgericht … – Geschäftsnummer … – in der Nachlasssache …, Nachlasspfleger …, erkläre/n ich/wir Folgendes: Die Abrechnung zwischen dem Nachlasspfleger und mir/uns über die bisherige Verwaltung des Nachlasses ist erfolgt. Diese Abrechnung erkennen wir nach Prü1 Zur Herausgabe bei Insolvenz eines Erben ausf. Schulz in Schulz, § 8 Rz. 8 ff. 2 OLG Karlsruhe v. 8.8.2003 – 15 U 76/01, FamRZ 2004, 1601. 3 OLG Köln v. 21.4.1995 – 11 U 154/94, FamRZ 1996, 249. Schulz

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Rz. 117

Nachlasspflegschaft

fung als richtige und vollständige Schlussrechnung an. Der Nachlasspfleger hat uns den Nachlass vollständig ausgehändigt. Unter Verzicht auf Ablegung einer förmlichen Schlussrechnungslegung erteilen wir dem Nachlasspfleger und dem Nachlassgericht hiermit Entlastung. (Ort, Datum, Unterschrift des/der Erben)

c) Grabpflege bei geringem Nachlassrest ohne Erbenermittlung 117

Ist nach Befriedigung der Nachlassgläubiger auch unter Berücksichtigung der Kosten der Nachlasspflegschaft lediglich ein geringes Nachlassvermögen vorhanden und steht eine langwierige Erbenermittlung bevor, die das Vermögen aufzehren würde, kann der Pfleger den zur Verfügung stehenden Wert für Grabunterhaltung und Ankauf eines Grabsteins verwenden.1 d) Hinterlegung bei unklärbarer Erblage

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Wenn es Hinweise auf nicht zu ermittelnde Erben gibt, kann der Nachlass nach §§ 372 ff. BGB i.V.m. den HinterlG der Länder hinterlegt werden. Gleiches gilt, wenn der oder die Erben zwar erfolgreich ermittelt werden konnten, diese allerdings wiederum nachverstorben sind und es Hinweise auf Erbeserben gibt. Ist eine Ermittlung der Erbeserben dann im Hinblick auf das Restvermögen unverhältnismäßig (insbesondere, wenn sich diese im Ausland befinden), bleibt die Hinterlegung, um die Pflegschaft abschließen zu können. e) Fiskuserbrecht

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Kann kein Erbe ermittelt werden, verbleibt letztlich das gesetzliche Erbrecht des Fiskus gem. §§ 1936, 1964 ff. BGB.2 Dieses hat in erster Linie Ordnungsfunktion. Es soll herrenlose Nachlässe vermeiden und eine ordnungsmäßige Nachlassabwicklung sichern. Es verfolgt nicht in erster Linie den Zweck, dem Fiskus einen Anteil am Nachlasswert zu sichern.3 Wegen der Ordnungsfunktion des gesetzlichen Noterbrechts des Fiskus ist in diesen Fällen eine Ausschlagung nicht zulässig, § 1942 Abs. 2 BGB. Inhaltlich ist das Erbrecht des Staates wie das Erbrecht Privater gestaltet, für das allerdings gewisse Sonderregelungen gelten.4 2. Abwicklung bei überschuldetem Nachlass

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Bei einem überschuldeten Nachlass besteht grundsätzlich die Möglichkeit, mit dem System der Haftungsbeschränkungen des BGB die Haftung auf den Nachlass zu beschränken oder aber im Vergleichswege mit den Gläubigern eine Abwicklung durchzuführen.5

1 2 3 4 5

Firsching/Graf, Rz. 4.660. Vgl. umfassend Schulz in Schulz, § 8 Rz. 23 ff. MüKo.BGB/Lange, § 1936 Rz. 2. Staudinger/Werner (2008), § 1936 Rz. 2. Zu Grenzen der Beschränkbarkeit bei Kommanditanteilen: vgl. Schönert, BWNotZ 2008, 81 (82 ff.).

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Schulz

Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 125

a) Erschöpfter Nachlass Reichen die Nachlassaktiva gerade einmal zur Deckung der Kosten der Nachlasspflegschaft und ggf. der analog § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorrangigen Beerdigungskosten, verbleiben für die Gläubigerbefriedigung keine Mittel. Der Nachlasspfleger kann dann den Gläubigern gegenüber die Einrede der Erschöpfung des Nachlasses nach § 1990 BGB erheben mit der Bitte, deren Forderungen auszubuchen. Die Pflegschaft kann dann aufgehoben werden, da das Sicherungsbedürfnis entfallen ist.

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b) Dürftiger Nachlass Bei dürftigen Nachlässen ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer den Kosten entsprechenden Masse1 nicht tunlich, §§ 1990, 1991 BGB i.V.m. § 26 InsO. Der Nachlasspfleger hat dann ohne die Einleitung eines Insolvenzverfahrens die Möglichkeit, die Haftung auf den Nachlass durch die Erhebung dieser Dürftigkeitseinrede zu beschränken. Die Einrede gilt auch für Steuerverbindlichkeiten2 oder bei Inanspruchnahme als Sanierungsverantwortlicher nach dem Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG)3.

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In der Praxis wird ein solcher dürftiger Nachlass angenommen, wenn die Masse nach Abzug der Kosten der Nachlasspflegschaft (und – nach der hier vertretenen Ansicht – der Beerdigungskosten) ca. 4 000 Euro nicht überschreitet.4 Die Praxis der Insolvenzgerichte ist jedoch unterschiedlich. Ggf. sollte sich der Nachlasspfleger bei seinem örtlich zuständigen Insolvenzgericht erkundigen. Da die Beerdigungskosten nach § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO im Insolvenzverfahren vorrangige Masseverbindlichkeiten sind, sollten auch diese Kosten zusätzlich angesetzt werden, bevor man von einem dürftigen Nachlass spricht. Auch in diesen Fällen ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens untunlich, denn dies würde dazu führen, dass die Beerdigungskosten hinter den Verfahrenskosten des Insolvenzverfahrens zurückstehen müssten.

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Bei einem dürftigen Nachlass schreibt das Gesetz mit Ausnahme der § 1991 Abs. 3 und 4 BGB grundsätzlich keine Reihenfolge der Gläubigerbefriedigung vor. Auch die im Nachlassinsolvenzverfahren geltende Rangordnung hat der Nachlasspfleger nicht zu beachten.5

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In der nachlasspflegschaftsrechtlichen Literatur wird eine Rangfolge der Gläubigerbefriedigung empfohlen6, die nachfolgend noch modifiziert wurde:

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1 Zur Masseermittlung ausf: Schulz in Schulz, § 8 Rz. 43 ff.; zu prüfen sind insbesondere unentgeltliche Leistungen des Erblassers nach § 134 InsO, die in den letzten vier Jahren vorgenommen wurden. 2 Vgl. App, DStR 1985, 31; Hartmann, ZEV 2009, 324 ff.; vgl. auch FG Baden-Württemberg v. 11.5.2006 – 3 K 153/05, DStRE 2007, 500 (501); VG Köln v. 24.8.2010 – 14 K 1654/09, ZEV 2011, 93. 3 Vgl. ausf: Joachim/Lange, ZEV 2011, 53 (58 ff.). 4 Vgl. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 589: 3 000–6 000 Euro; Jochum/Pohl, Rz. 515 und 509: 3 000–8 000 Euro; zustimmend: du Carrois, RPfleger 2009, 197 (198 f.). 5 Palandt/Weidlich, § 1991 Rz. 3 ff.; Roth/Pfeuffer, S. 389. 6 Vgl. auch: Jochum/Pohl, Rz. 522; Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 593a. Schulz

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C III

Rz. 126

Nachlasspflegschaft

(1) Gerichtskosten der Pflegschaft (2) Vergütung und Auslagen des Nachlasspflegers (3) Angemessene Kosten der Beerdigung (4) Dinglich gesicherte Gläubiger aus dem besonderen Gegenstand ihres Rechts (5) Gläubiger mit zivilrechtlichen Vollstreckungstiteln und bestandskräftigen öffentlich-rechtlichen Verwaltungsakten, § 1991 Abs. 3 BGB (analog) (6) Sonstige Nachlassgläubiger (inkl. Verbindlichkeiten aus ärztlicher Behandlung1) (7) Betreuervergütung und sozialrechtliche Erstattungsansprüche2 (8) Ausgeschlossene Gläubiger nach §§ 1973 Abs. 1 S. 2, 1974 BGB (9) Pflichtteilsansprüche, Pflichtteilsergänzungsansprüche, Vermächtnisse, Auflagen, § 1991 Abs. 4 BGB (bei Überschuldung nur durch Rang 9 gilt § 1992 BGB) 126

Soweit der Nachlass schon auf der Stufe der Titelgläubiger (§ 1991 Abs. 3 BGB) nicht ausreicht, sollte eine quotale Verteilung erfolgen.3 Wird der Nachlass erst auf der Stufe der sonstigen Nachlassgläubiger notleidend, kann ebenfalls eine quotale Verteilung erfolgen. Bei einer zu hohen Anzahl von Gläubigern und einem unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand kann der Nachlasspfleger aber auch den Hauptgläubiger mit dem Rest befriedigen.

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Zu beachten ist aber, dass lediglich treuhänderisch verwaltetes Vermögen – auch im Hinblick auf die möglichen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen

1 Sofern der Erblasser eine private Krankenversicherung unterhielt (§§ 192 ff. VVG), sind im Nachlass aufgefundene Rechnungen von Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken usw. zur Erstattung einzureichen. Es gilt das Kostenerstattungsprinzip, d.h. eine Direktzahlung an die Leistungserbringer findet nicht statt. Die Erstattungsansprüche müssen in diesen Fällen daher zunächst komplett zur Nachlassmasse gezogen werden. Die medizinischen Leistungserbringer sind wegen ihrer Ansprüche nicht vorrangig zu befriedigen. 2 A.A. Jochum/Pohl, Rz. 522 (3. Rangstelle vor Bestattungskosten). Für diesen Vorrang besteht keine Begründung: Denn der Erbe haftet für die Betreuervergütung nur mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Nachlasses, § 1836e Abs. 1 S. 2 BGB. Die Beschränkung gilt nicht nur im Falle des Regresses der Staatskasse für mittellose Nachlässe, sondern analog auch bei der Prüfung der Festsetzung unmittelbar gegen die Erben. Maßgeblich ist danach das Aktivvermögen des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten. Die Betreuervergütung ist daher im Rang nach den sonstigen Nachlassgläubigern. einzuordnen. So auch aus dem Rechtsgedanken des § 324 InsO: OLG Jena v. 19.10.2000 – 6 W 512/00, FGPrax 2001, 22; OLG Düsseldorf v. 2.7.2002 – 25 Wx 31/02, FamRZ 2002, 1659 = FGPrax 2002, 219. Hierbei ist weiter der Erbenfreibetrag nach § 1836e Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 102 Abs. 3 S. 1 SGB XII zu beachten. Auf die Betreuervergütung ist damit nur der über dem Erbenfreibetrag vorhandene Nachlass zu zahlen. Das verbleibende Vermögen aus dem Erbenfreibetrag steht den (unbekannten) Erben zu, ggf. ist das Fiskuserbrecht festzustellen. 3 Vgl. Jochum/Pohl, Rz. 524; Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 595; Graf, ZEV 2000, 125 (130). 1248

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Schulz

Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 130

Folgen – immer vorrangig auszuzahlen ist. Dies gilt bspw. für Mietkautionen auf einem Treuhandkonto oder für Lohnsteuer, wenn der Erblasser Vermieter oder Arbeitgeber1 war, nicht aber für den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag2, den der Erblasser als Arbeitgeber abzuführen hat. Dieser ist nicht privilegiert und wäre auch im Insolvenzverfahren anfechtbar.3 c) Fiskuserbrecht bei unverwertbaren Aktiva Verbleiben in Fällen des erschöpften oder dürftigen Nachlasses noch unverwertbare Nachlassaktiva, z.B. eine überschuldete und langzeitig nicht veräußerbare Immobilie, kann der Nachlasspfleger die Pflegschaft auch durch die Einleitung eines Verfahrens auf Feststellung des Fiskalerbrechts beenden: Die Überschuldung steht dem Verfahren nicht entgegen.4 Hierfür soll vor allem das Interesse der Nachlassgläubiger sprechen, die wegen § 1966 BGB Ansprüche gegen den Fiskus erst geltend machen können, wenn die Feststellung nach § 1964 Abs. 1 BGB getroffen worden ist.5

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d) Aufgabe des Grundeigentums, § 928 BGB Der Nachlasspfleger hat auch die Möglichkeit, sich von einem unliebsamen, überschuldeten Nachlassgrundstück als einzigem Vermögensgegenstand durch Eigentumsaufgabe nach § 928 BGB zu trennen. Ein solcher Verzicht durch den Nachlasspfleger ist zulässig.6 Die Eigentumsaufgabe bedarf gem. §§ 1960, 1915, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB der nachlassgerichtlichen Genehmigung. Wohnungsund Teileigentum kann allerdings nicht aufgegeben werden.7 Für einen bloßen Miteigentumsanteil ist dies streitig.8

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e) Gläubigervergleich nach Gläubigeraufgebotsverfahren Sind genügend Mittel für die Kosten der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhanden, ist der Nachlasspfleger trotzdem nicht im Außenverhältnis zu den Nachlassgläubigern verpflichtet, einen entsprechenden Antrag beim Insolvenz1 Vgl. § 38 Abs. 1 S. 1 EStG: „Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten.“; BGH v. 5.11. 2009 – IX ZR 233/08, MDR 2010, 469 = NJW 2010, 870, Rz. 16 ff. 2 Vgl. § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV: „Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht.“ 3 BGH v. 7.4.2011 – IX ZR 118/10, MDR 2011, 693 = NZS 2011, 783 = NZI 2011, 456. 4 LG Stade v. 17.12.2003 – 9 T 53/02, Rpfleger 2004, 568 m. abl. Anm. Bestelmeyer; Staudinger/Werner (2008), § 1964 Rz. 3 und 8; a.A. Firsching/Graf, Rz. 4.521; Frohme, Rpfleger 1986, 37 ff. 5 So LG Düsseldorf v. 14.4.1981 – 25 T 199/81, Rpfleger 1981, 358. 6 OLG Frankfurt v. 22.10.2009 – 20 W 175/09, FamRZ 2010, 494 = FGPrax 2010, 27 = ZErb 2010, 87 für den Fall der Betreuung. 7 BGH v. 10.5.2007 – V ZB 6/07, NJW 2007, 2254 = MDR 2007, 1125. 8 Dafür BGH v. 7.6.1991 – V ZR 175/90, BGHZ 115, 1 = MDR 1991, 964 = DNotZ 1992, 359 = MittRhNotK 1991, 254; a.A. OLG Düsseldorf v. 5.1.2007 – I-3 Wx 247/06, FGPrax 2007, 59 = RNotZ 2007, 102 als Vorinstanz zu BGH v. 10.5.2007 – V ZB 6/07, BGHZ 172, 209 = MDR 2007, 1125 = NJW 2007, 2254. Schulz

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Nachlasspflegschaft

gericht zu stellen.1 Diese Verpflichtung trifft nach § 1980 Abs. 1 S. 1 BGB allein den Erben (der nicht ermittelt wird). Denn der Nachlasspfleger ist nicht zur Gläubigerbefriedigung berechtigt. Aus seiner Berechtigung gem. § 317 Abs. 1 InsO, die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen, kann er im Innenverhältnis zum Erben bei Meidung einer Schadensersatzpflicht zwar dazu verpflichtet sein, um eine Verkürzung des Nachlasses und damit einen Schaden des Erben abzuwenden. Im Ergebnis tritt aber eine Verkürzung angesichts der erheblichen Verfahrenskosten des Insolvenzverfahrens eher durch die Einleitung des Insolvenzverfahrens ein (ca. 50 % des Nachlasses insbesondere für die Insolvenzverwaltervergütung). Da sich die Quote der Gläubiger dann entsprechend auch reduziert, ist eine Abwicklung über die Nachlasspflegschaft kostengünstiger und damit auch in deren wirtschaftlichem Interesse. 131

Hier bietet sich ein außergerichtlicher Gläubigervergleich an, der nach allgemeiner Meinung zulässig ist.2 Mit den Gläubigern wird die Zahlung einer Quote aus dem Restnachlass vereinbart. Der Vergleich bedarf gem. §§ 1960, 1915, 1822 Nr. 12 BGB der nachlassgerichtlichen Genehmigung, soweit der Wert einer einzelnen Gläubigerforderung 3 000 Euro übersteigt.

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Zur Vorbereitung dieses Vergleichs ist es aber unerlässlich, zuvor ein Gläubigeraufgebotsverfahren nach § 1970 BGB durchzuführen.3 In diesem Verfahren werden Nachlassgläubiger aufgefordert, ihre Forderungen anzumelden. Melden sich Gläubiger erst nach Ablauf der Aufgebotsfrist, kann der Nachlasspfleger deren Befriedigung verweigern, soweit der Nachlass schon erschöpft ist. Dem Nachlasspfleger ist es hierdurch möglich, den Bestand der Forderungen festzustellen und unbekannt gebliebene Gläubiger auszuschließen. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass er sich mit den Gläubigern, die ihre Forderungen angemeldet haben, abschließend auf eine Quotenzahlung vergleichen kann. Der Nachlasspfleger braucht dann nicht mehr zu befürchten, dass später auftauchende Gläubiger ihn auf Schadensersatz in Anspruch nehmen wollen mit der (zweifelhaften) Argumentation, sie hätten das Insolvenzverfahren beantragt und eine Quote erhalten. Denn der Ausschluss gilt auch für ein Insolvenzverfahren, vgl. § 327 Abs. 3 InsO. Die Notwendigkeit der Durchführung des Gläubigeraufgebotsverfahrens wird in der Praxis der Nachlasspflegschaft und der anwaltlichen erbrechtlichen Beratung verkannt.4 f) Nachlassinsolvenz

133

Scheitert ein Gläubigervergleich, ist eine solche Abwicklung zu komplex oder aufwändig oder droht/erfolgt eine Vollstreckung in den Nachlass, ist die Abwicklung über das Insolvenzverfahren angezeigt. Der Nachlasspfleger muss eine vorrangige Befriedigung vollstreckender Gläubiger verhindern. Dies kann er nur 1 Vgl. BGH v. 8.12.2004 – IV ZR 199/03, FamRZ 2005, 446 = MDR 2005, 512 = ZErb 2005, 131 = ZEV 2005, 109 (110); Gleiches gilt für die insolvente GmbH, deren Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der Erblasser war, vgl. Marotzke, ErbR 2010, 115 (119). 2 Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 615; Firsching/Graf, Rz. 4.654; Klingelhöffer, Rz. 151; für Nachlassverwalter: OLG München v. 3.12.1996 – 5 U 2597/96, ZEV 1998, 100 und OLG Stuttgart v. 22.5.1984 – 8 W 165/84, Rpfleger 1984, 416. 3 Ausf. Schulz in Schulz, § 8 Rz. 72 ff. 4 Klinger/Ruby, NJW-Spezial 2005, 61. 1250

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Schulz

Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 137

über das Nachlassinsolvenzverfahren, da gem. § 321 InsO die Nachlassgläubiger kein Recht zur abgesonderten Befriedigung aus Maßnahmen der Zwangsvollstreckung haben, die nach dem Erbfall erfolgt sind. Der Nachlasspfleger ist berechtigt, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, § 317 Abs. 1 InsO. Die Nachlasspflegschaft bleibt für die Dauer des Insolvenzverfahrens bestehen.1 Er vertritt die unbekannten Erben als Schuldner in dem Verfahren, nimmt deren Rechte und Pflichten wahr (Auskunftspflicht nach § 20 InsO, Mitwirkungspflichten nach §§ 98, 99 InsO, Rechtsmittel gegen die Eröffnung des Verfahrens nach § 34 InsO, Bestreiten von Forderungen im Prüfungstermin nach § 176 InsO, Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Insolvenzverwalter nach § 60 InsO) und nimmt die Zustellungen des Insolvenzgerichts entgegen. Der Nachlasspfleger hat aber die verwalteten Vermögenswerte an den Insolvenzverwalter herauszugeben, § 80 Abs. 1 InsO, § 1890 BGB. Gibt der Insolvenzverwalter Vermögen frei, kann der Nachlasspfleger hierüber wieder verfügen. Wird das Insolvenzverfahren beendet und verbleibt auch keine Nachlassmasse, kann die Nachlasspflegschaft wegen Entfall des Sicherungsbedürfnisses aufgehoben werden. Es greifen die Haftungsbeschränkungen der §§ 1989, 1973 BGB.

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IX. Die Nachlassverwaltung als Unterfall der Nachlasspflegschaft 1. Zweck der Nachlassverwaltung und Rechtsstellung des Nachlassverwalters Nach der Legaldefinition in § 1975 BGB ist die Nachlassverwaltung „eine Nachlasspflegschaft zum Zwecke der Befriedigung der Nachlassgläubiger“. Durch sie kann der Erbe die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass beschränken. Es erfolgt eine Trennung des Nachlasses vom sonstigen Vermögen des Erben unter amtlicher Aufsicht (amtliche Nachlassabsonderung, separatio bonorum).2 Ansprüche gegen den Nachlass können dann nur noch gegen den Nachlassverwalter geltend gemacht werden, § 1984 Abs. 1 S. 3. Der Erbe kann sich daher gegen seine Inanspruchnahme mit einer Vollstreckungsabwehrklage wehren, §§ 784 Abs. 2, 785, 767 ZPO. Andererseits wird aber auch der Nachlass vor dem Zugriff der Eigengläubiger des Erben geschützt, § 1984 Abs. 2 BGB und § 784 Abs. 2 ZPO.

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Die Nachlassverwaltung ist damit ein Unterfall der Nachlasspflegschaft. Es gelten damit wie bei der Nachlasspflegschaft über die Verweisung des § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB die Vorschriften des Vormundschaftsrechts, soweit sich aus den §§ 1975 ff. BGB nichts anderes ergibt.3

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Der Nachlassverwalter ist nach h.M. Träger eines privaten Amtes mit eigener Parteistellung (Partei kraft Amtes).4 Rechtsstreitigkeiten führt der Verwalter daher nicht im Namen des/der Erben als gesetzlicher Vertreter (wie bei der Nachlasspflegschaft), sondern „als Nachlassverwalter über den Nachlass des am [Ge-

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1 OLG Stuttgart v. 23.4.2012 – 8 W 136/12, FamRZ 2013, 492 = ZEV 2012, 549 = BWNotZ 2012, 81. 2 MüKo.BGB/Küpper, § 1975 Rz. 1. 3 OLG Hamm v. 25.5.2010 – I-15 W 28/10, FamRZ 2011, 64 = FGPrax 2010, 239 = ZErb 2010, 271. 4 Vgl. eingehend m.w.N. Muscheler, Erbrecht, Rz. 3614 ff. Schulz

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Rz. 138

Nachlasspflegschaft

burtsdatum] in [Geburtsort] geborenen und am [Sterbedatum] in [Sterbeort] verstorbenen [Erblasser]“. 138

Ziel der Nachlassverwaltung ist die vollständige Befriedigung der Nachlassgläubiger eines zureichenden Nachlasses. Hierdurch unterscheidet sich die Nachlassverwaltung von der Nachlasspflegschaft i.S.d. § 1960. Der Nachlasspfleger ist Interessenvertreter der unbekannten Erben und soll den Nachlass sichern. Nachlassverbindlichkeiten hat er nur zu befriedigen, wenn dies zur Vermeidung von Nachteilen für den Nachlass erforderlich wird. Der Nachlassverwalter hat den Nachlass zu verwalten und die Nachlassverbindlichkeiten aus dem Nachlass zu befriedigen, § 1985 Abs. 1. Die Schuldenberichtigung ist der primäre Zweck dieses Rechtsinstituts, die Verwaltung ist nur Mittel zum Zweck.1

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Als Mittel der Haftungsbeschränkung ist die Nachlassverwaltung dann erste Wahl des Erben, wenn der Nachlass unübersichtlich ist, über dessen Überschuldung aber noch keine Aussage getroffen werden kann,2 z.B. wenn fraglich ist, wie hoch der Wert von Nachlassimmobilien zur Deckung grundpfandrechtlich gesicherter Darlehen ist. Er kann weiterhin zur Entledigung lästiger Auseinandersetzung mit den Nachlassgläubigern die Nachlassverwaltung wählen.3

140

Mit der Nachlassverwaltung behält sich der Erbe die Aussicht, dass er nach Klärung des unübersichtlichen Nachlasses und Berichtigung der bekannten Nachlassverbindlichkeiten durch den Nachlassverwalter einen möglichen Nachlassüberschuss erhält. Bei einer Erbausschlagung verliert er diese Möglichkeit (soweit diese nicht anfechtbar ist), so dass der vorschnelle anwaltliche Rat, die Erbschaft auszuschlagen, nicht immer richtig ist. Das Rechtsinstitut der Nachlassverwaltung dient aber nicht dazu, als Mittel zur Überwindung fehlender Mitwirkungsbereitschaft bei der Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft eingesetzt zu werden.4 Der Erbe soll die Nachlassverwaltung aber lediglich aus Bequemlichkeit beantragen können, um sich nicht selbst um den Nachlass kümmern zu müssen.5 2. Anordnungsvoraussetzungen

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Die Nachlassverwaltung muss auf Antrag durch das Nachlassgericht angeordnet werden (§ 1981 BGB), wenn eine den Kosten des Verfahrens entsprechende Masse vorhanden ist oder ein entsprechender Kostenvorschuss gezahlt wird (§ 1982 BGB).

142

Antragsberechtigt sind neben den Erben (gemeinschaftlich) insbesondere auch die Nachlassgläubiger.6 Für Erben gilt keine Antragsfrist, Nachlassgläubiger 1 2 3 4

Vgl. Muscheler, Erbrecht, Rz. 3595, 3596. Pfeuffer in Roth/Pfeuffer, S. 231. Damrau/Gottwald, § 1975 Rz. 11. OLG Düsseldorf v. 22.3.2012 – 3 Wx 24/12, NJW-RR 2012, 843 = ZEV 2012, 319 m. Anm. Böttcher; beantragender Miterbe war gleichzeitig Gläubiger. 5 Str.; vgl. zust. Staudinger/Marotzke, § 1981 Rz. 13 m.w.N. 6 Weiter antragsberechtigt sind auch Nacherben (§ 2144 BGB), Erbeserben als Rechtsnachfolger eines Allein-/Miterben (OLG Jena v. 10.9.2008 – 9 W 395/08, FGPrax 2008, 253 = NJW-RR 2009, 304 = ZEV 2009, 33), Testamentsvollstrecker mit Verwaltungsrecht, § 317 InsO analog, Ehegatten/Lebenspartner (wenn Nachlass zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehört), § 318 InsO analog (vgl. MüKo.BGB/Küpper, § 1981 Rz. 4) und Erbschaftskäufer (§ 2383 BGB). 1252

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Nachlasspflegschaft

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Rz. 146

können den Antrag nur binnen zwei Jahren seit Erbschaftsannahme stellen (§ 1981 Abs. 2 S. 2 BGB). Der Erbe muss den Antrag nicht begründen. Seine Erbberechtigung muss der Antragsteller jedoch nachweisen. Der Nachlassgläubiger hingegen muss als Anordnungsgrund glaubhaft machen, dass die Befriedigung der Nachlassgläubiger gefährdet ist, § 1981 Abs. 2 S. 1 BGB. Gefährdungstatbestände sind hiernach das Verhalten oder die Eigenvermögenslage des Erben. Er hat hierzu das Bestehen seiner Forderung und die Gefährdung glaubhaft zu machen. Dafür reicht grundsätzlich eine schlüssige Darlegung des Sachverhalts unter Angabe von Beweismitteln aus. Der Antragsteller hat die Glaubhaftmachung nicht allein zu leisten, was dem in § 26 FamFG geregelten Amtsermittlungsgrundsatz widerspräche. Das Nachlassgericht hat von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die geeigneten Beweise aufzunehmen, sofern der die Nachlassverwaltung begehrende Gläubiger seiner ihm obliegenden Förderungspflicht nachgekommen ist. Die Amtsermittlungspflicht findet deshalb ihren Ausdruck zunächst in Hinweispflichten zur Förderung des Antragstellers. Für weitere Ermittlungen ist Raum, wenn der Antragsteller wenigstens schlüssig allgemeine Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass ihm eine Nachlassforderung zusteht und worin die Gefährdung der Nachlassgläubiger zu sehen ist.1

143

Voraussetzung der Anordnung der Nachlassverwaltung ist weiter, dass eine den Kosten entsprechende Masse vorhanden ist, § 1982 BGB. In entsprechender Anwendung des § 26 Abs. 1 S. 1 InsO kann die zeitraubende und oftmals schwierige Prüfung der Massedeckung unterbleiben, wenn der Antragsteller einen ausreichenden Vorschuss leistet.2

144

Die Entscheidung über den Antrag des Erben auf Anordnung der Nachlassverwaltung steht nicht im Ermessen des Gerichts. Das Nachlassgericht muss dem Antrag entsprechen. Der Erbe hat einen öffentlich-rechtlichen Bewirkungsanspruch.3

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3. Verfahren und Rechtsmittel Die Anordnung der Nachlassverwaltung erfolgt durch Beschluss (§ 38 FamFG) des Nachlassgerichts (§§ 1975, 1962 BGB; §§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG; §§ 342 Abs. 1 Nr. 8, 343–345, 359 FamFG) mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung (§ 39 FamFG).4 Der beantragende Nachlassgläubiger, z.B. die Bank, ist bei Ablehnung der Anordnung der Nachlassverwaltung nach § 59 Abs. 2 FamFG berechtigt, das Rechtsmittel der Beschwerde einzulegen.5 Die Auswahl der Person des Nachlassverwalters ist ebenso anfechtbar.6 Grund könnte sein, dass der ausgewählte Nachlassverwalter nach seinen persönlichen Verhältnissen und seiner Vermögenslage sowie nach den sonstigen Umständen nicht zur Führung der 1 Jochum, Anm. zu KG ZEV 2005, 116 f. 2 KG v. 29.11.2005 – 1 W 180/03, MDR 2006, 694 = FamRZ 2006, 559 = FGPrax 2006, 76 = ZErb 2006, 98. 3 Muscheler, Erbrecht, Rz. 3546. 4 Muster bei Kroiß, § 10 Rz. 8. 5 Zur Rechtsbeschwerde und Sprungrechtsbeschwerde vgl. §§ 70 ff. FamFG. 6 Muscheler, Erbrecht, Rz. 3558; MüKo.FamFG/Mayer, § 359 Rz. 7. Schulz

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Rz. 147

Nachlasspflegschaft

Nachlassverwaltung geeignet ist (§ 1975, 1960, 1779 Abs. 1 BGB).1 Insbesondere kann hier eingewendet werden, dass der ausgewählte Nachlassverwalter nicht über einen speziellen und ausreichenden Versicherungsschutz gegen Vermögensschäden verfügt. Denn der Nachlassverwalter haftet dem Gläubiger auch für schlechte Nachlassverwaltung, vgl. § 1985 Abs. 2 S. 1 BGB. 4. Ende der Nachlassverwaltung 147

Die Nachlassverwaltung kann nach § 1988 Abs. 2 BGB vom Gericht aufgehoben werden, wenn sich ergibt, dass eine kostendeckende Masse nicht (mehr) vorhanden ist. Ein weiterer Beendigungsgrund ist die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens, § 1988 Abs. 1 BGB. Das Amt des Nachlassverwalters endet dann. Die Erben sind bekannt und können sich im Insolvenzverfahren selbst vertreten. Weiterer Beendigungsgrund ist die vollständige Befriedigung der Nachlassgläubiger. Der Nachlassverwalter kann den Restnachlass (und das aus dessen Verwaltung Erlangte, z.B. Akten und Belege) an den Erben (mehreren Erben gemeinschaftlich) herausgeben („ausantworten“), § 1986 Abs. 1 BGB, und hat dem Gericht gegenüber Schlussrechnung zu legen, § 1890 BGB. 5. Wirkung der Anordnung

148

Durch die Anordnung der Nachlassverwaltung kommt es zu einer Nachlassabsonderung nach dem bereits eingetretenen Erbfall. Insofern ist es erforderlich, dass das Gesetz in diesem Fall für eine Wiederherstellung der Vermögenslage des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalles sorgt.

149

Insbesondere folgende Wirkungen sind zu nennen:2 – Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Erben, §§ 1984 Abs. 1 BGB, 81 InsO, – Verlust der Prozessführungsbefugnis des Erben auf Kläger- und Beklagtenseite, §§ 1984 Abs. 1, Abs. 3 BGB3, – Zwangsvollstreckungen von Eigengläubigern des Erben in den Nachlass sind unzulässig, § 1984 Abs. 2 BGB, – Aufhebung präseparationaler4 Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, § 1984 Abs. 2 BGB, – keine Aufhebung präseparationaler Verfügungen des Erben, § 1984 Abs. 1 BGB, – keine präseparationale Aufrechnungen des Gläubigers ohne Zustimmung des Erben, § 1977 BGB, – Verantwortlichkeit des Erben für die bisherige Verwaltung, §§ 1978–1980 BGB. 1 Vgl. LG Heidelberg v. 3.1.1955 – 1 T 34/54, NJW 1955, 469. 2 Eingehend Muscheler, Erbrecht, Rz. 3560 ff. 3 Ausnahme wegen der Höchstpersönlichkeit: Auskunftsanspruch gegen den Pflichtteilsberechtigten, OLG Celle v. 26.1.1960 – 10 U 108/59, MDR 1960, 402; Damrau, § 2314 Rz. 36; Sarres, ZEV 1998, 4; MüKo.BGB/Lange, § 2314 Rz. 43. 4 = vor der amtlichen Nachlassabsonderung; zur Begriffswahl vgl. Muscheler, Erbrecht, Rz. 3560 ff. 1254

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Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 154

6. Sicherung und Verwaltung des Nachlasses Der Nachlassverwalter hat den Nachlass zu verwalten und die Nachlassverbindlichkeiten aus dem Nachlass zu befriedigen, § 1985 Abs. 1 BGB. Die Schuldenberichtigung ist der primäre Zweck dieses Rechtsinstituts, die Verwaltung ist nur Mittel zum Zweck.1

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a) Objekt der Nachlassverwaltung Nach der Zwecksetzung der Nachlassverwaltung bezieht sich diese nur auf die vermögensrechtlichen Bestandteile des Nachlasses.2 Höchstpersönliche Rechtspositionen des Erben sind ausgenommen (z.B. personengesellschaftsrechtliche Positionen3; postmortales Persönlichkeitsrecht).

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Fallen Beteiligungen an Personengesellschaften in den Nachlass, unterliegen dem Recht des Nachlassverwalters nur die rein vermögensrechtlichen Ansprüche wie der Anspruch auf den Gewinn und der Anspruch auf das Abfindungsguthaben, nicht hingegen solche Befugnisse, die die Rechtsstellung des Erben in seiner Eigenschaft als Gesellschafter unmittelbar berühren.4 Nach h.M. soll der Nachlassverwalter die Gesellschaft kündigen können, wenn das sonstige Nachlassvermögen nicht zur Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten ausreicht und das Bedürfnis, den Gesellschaftsanteil des Erben zur Schuldentilgung flüssig zu machen, i.S. eines wichtigen Grundes die Kündigung erfordere.5

152

Weiterhin ausgenommen sind in entsprechender Anwendung des § 36 InsO diejenigen Bestandteile des Nachlasses, auf die sich nicht einmal das Insolvenzverfahren erstrecken würde (unpfändbare Gegenstände), wobei sich die Unpfändbarkeit aus der Person des Erben bestimmt, so insbesondere:6

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– Persönliche Sachen, Haushaltsgegenstände: § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; – Gewöhnlicher, unverwertbarer Hausrat, § 812 ZPO, § 36 Abs. 3 InsO;7 – Nahrungsmittel: § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO; – Tiere: §§ 811 Abs. 1 Nr. 3, 811c ZPO; – Geldbetrag aus Lohn, Gehalt: § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO. Ist dem Erblasser seinerseits eine Erbschaft angefallen, steht das Recht zur Annahme oder Ausschlagung nur dem Erben, nicht dem Nachlassverwalter zu. § 83 InsO gilt entsprechend.8

1 2 3 4 5 6

Vgl. Muscheler, Erbrecht, Rz. 3595, 3596. Muscheler, Erbrecht, Rz. 3601. Vgl. BGH v. 30.3.1967 – II ZR 102/65, BGHZ 47, 293 = NJW 1967, 1961. Vgl. Staudinger/Marotzke, § 1985 Rz. 20. Staudinger/Marotzke, § 1985 Rz. 21. Vgl. im Einzelnen MüKo.InsO/Peters, § 36 Rz. 8 ff., 60 ff.; krit. zu Recht Muscheler, Erbrecht, Rz. 3603. 7 Luxusgegenstände oder eine Sache mit besonderem Sammler- oder Alterswert sind nicht unpfändbar. 8 Staudinger/Marotzke, § 1985 Rz. 19. Schulz

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C III

Rz. 155

Nachlasspflegschaft

b) Inbesitznahme des Nachlasses 155

Der Nachlassverwalter hat den Nachlass in Besitz zu nehmen. Wird sein Herausgabeverlangen nicht freiwillig erfüllt1, muss er auf Auskunft, Rechnungslegung und Herausgabe klagen.2 Denn der die Nachlassverwaltung anordnende Gerichtsbeschluss ist – anders als der Insolvenzeröffnungsbeschluss – mangels vollstreckbaren Inhalts kein Vollstreckungstitel im. Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.3 Nach Inbesitznahme ist der Nachlassverwalter unmittelbarer, der Erbe mittelbarer Besitzer. Der Erbe kann gegen das Herausgabeverlangen nicht einwenden, er habe ein Zurückbehaltungsrecht wegen seiner Ansprüche aus §§ 1978, 1979 BGB, vgl. § 323 InsO.4 c) Grundbuch

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Um einen gutgläubigen Erwerb eines Nachlassgrundstücks zu verhindern, ist der Nachlassverwalter in entsprechender Anwendung des § 32 InsO berechtigt, die Eintragung der Anordnung der Nachlassverwaltung als Verfügungsbeschränkung in Abt. II (Lasten und Beschränkungen) des Grundbuchs eintragen zu lassen. Auch das Nachlassgericht ist berechtigt, das Grundbuchamt um die Eintragung zu ersuchen.5 d) Widerruf von Vollmachten

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Der Nachlassverwalter ist berechtigt, eine vom Erblasser erteilte und über seinen Tod hinausreichende Generalvollmacht zu widerrufen.6 Er kann von dem Bevollmächtigten die Herausgabe der Vollmachtsurkunde verlangen. e) „Führungslose“ Gesellschaftsbeteiligungen

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Gehört zum Nachlass die Beteiligung an einer sowohl „führungslosen“ als auch insolventen GmbH oder an einer sowohl führungslosen als auch insolventen sonstigen juristischen Person oder Gesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 1, 3 InsO, so wird man den Nachlassverwalter als berechtigt, aber nicht verpflichtet, ansehen dürfen, anstelle des Erben den in § 15 Abs. 1 S. 2 InsO vorgesehenen Insolvenzantrag zu stellen.7 f) Ermittlung der Nachlassgläubiger

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Um die Nachlassverbindlichkeiten aus dem Nachlass berichtigen zu können, muss der Nachlassverwalter die Gläubiger ermitteln. Hierzu empfiehlt es sich, das Gläubigeraufgebotsverfahren nach § 1970 BGB i.V.m. §§ 433, 454 ff. FamFG zu betreiben.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Muster eines Auskunftsschreibens an den Erben bei Jochum/Pohl, Rz. 1108. Vgl. Muscheler, Erbrecht, Rz. 3600. KG v. 15.9.1958 – 1 W 1482/58, NJW 1958, 2071. MüKo.BGB/Küpper, § 1985 Rz. 3. Staudinger/Marotzke, § 1984 Rz. 12 f. KG v. 12.10.1970 – 12 U 98/70, NJW 1971, 566 f = OLGZ 1971, 160. Marotzke, ErbR 2010, 115, 119 f. (Gleiches gilt für den Nachlasspfleger). Zum Aufgebotsverfahren ausf. Schulz in Schulz, § 8 Rz. 71 ff.

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Schulz

Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 165

g) Steuern aa) Steuerschulden des Erblassers Die Steuerschulden des Erblassers sind Nachlassverbindlichkeiten, §§ 45 Abs. 1 S. 1, 34 AO Etwaige offene Steuererklärungen hat der Nachlassverwalter zu fertigen.

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bb) Erbschaftsteuerschuld des Erben Die Erbschaftsteuererklärung ist ebenfalls vom Nachlassverwalter erst auf Aufforderung des Finanzamts1 abzugeben. Die Erbschaftsteuerschuld des Erben ist Nachlassverbindlichkeit, für die der Nachlass nach § 20 Abs. 3 ErbStG haftet.

161

cc) Einkommensteuerschuld für die Einkünfte während der Nachlassverwaltung Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Steuerschuld bei Fremdverwaltung grundsätzlich dem Erben zuzurechnen, obwohl der Erbe keinen Einfluss auf die Entstehung der Steuer hat. Dies hat die Konsequenz, dass er mit seinem Eigenvermögen hierfür haftet und eine Beschränkung der Haftung auf den Nachlass nicht in Anspruch nehmen kann.2 Etwas anderes sollte nach einem späteren Urteil nur in einem Ausnahmefall gelten, wenn Erblasser durch eine Rechtshandlung einen Geschehensablauf ins Werk gesetzt, kraft dessen es nach dem Erbfall und nach Eröffnung des Nachlasskonkurses im Nachlassvermögen zwangsläufig, ohne irgendein Handeln des Erben oder des Nachlasskonkursverwalters, zu einem Güteraustausch gekommen ist (hier: Veräußerungsgewinn anstelle einer Schiffspart).3 Die Literatur will diese Einkommensteuerverbindlichkeiten hingegen als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigen.4

162

Durch diese BFH-Rechtsprechung kommt es zu einem Konflikt zwischen Nachlassverwalter und Erben. Denn die Einnahmen aus der Nachlassverwaltung muss der Verwalter zur Befriedigung der Nachlassverbindlichkeiten verwenden und darf sie nicht an den Erben auskehren. Der Erbe muss dagegen aus seinem Eigenvermögen für diese Einnahmen entsprechende Steuern abführen.

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Für die praktische Umsetzung in der Steuererklärung werden hierbei zwei Wege aufgezeigt: Entweder gibt der Nachlassverwalter eine Teil-Steuererklärung für die seine Verwaltung betreffenden Einnahmen (§ 34 Abs. 3 AO) ab, die vom Finanzamt im Rahmen der Veranlagung in der Einkommensteuererklärung des Erben integriert wird. Oder der Verwalter überlässt dem Erben die notwendigen Unterlagen, damit dieser eine einheitliche Steuererklärung abgibt.5

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h) Aufschiebende Einreden/Vollstreckungsabwehr Im Interesse des Erben kann und muss sich der Nachlassverwalter der aufschiebenden Einreden aus §§ 2014 und 2015 BGB bedienen. Er muss sich auch zur 1 2 3 4

So jetzt BFH v.11.6.2013 – II R 10/11. BFH v. 28.4.1992 – VII R 33/91, NJW 1993, 350. BFH v. 11.8.1998 – VII R 118/95, BFHE 186, 328 = NJWE-FER 1999, 19. Vgl. eingehend: Joachim, Haftung, Rz. 74 ff.; Pfeuffer in Roth/Pfeuffer, S. 272 f.; Staats, S. 239 ff. 5 Pfeuffer in Roth/Pfeuffer, S. 273. Schulz

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C III

Rz. 166

Nachlasspflegschaft

Wehr setzen, wenn Eigengläubiger des Erben in den Nachlass vollstrecken,1 oder nach der Anordnung der Nachlassverwaltung noch Vollstreckungsmaßnahmen ohne Titel bzw. Klausel gegen den Verwalter eingeleitet werden. i) Verwertung des Nachlasses/Einziehung von Forderungen 166

Zur Befriedigung der Nachlassgläubiger hat der Nachlassverwalter, soweit nötig, den Nachlass zu verwerten, wobei er neben den Interessen der Nachlassgläubiger tunlichst auch diejenigen des Erben berücksichtigen sollte.2 Forderungen des Nachlasses hat der Verwalter einzuziehen und ggf. einzuklagen. Ansprüche, die der Insolvenzanfechtung unterliegen und die deshalb nur von einem Nachlassinsolvenzverwalter geltend gemacht werden können, hat der Verwalter ebenfalls zu ermitteln und als fiktive Aktiva in seine Überschuldungsprognose mit einzustellen. 7. Berichtspflicht und Genehmigungen

167

Da die Nachlassverwaltung ein Sonderfall der Nachlasspflegschaft ist (vgl. § 1975 BGB), gelten über die §§ 1960, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB die Vorschriften über die Vormundschaft (§§ 1773–1895 BGB), „soweit sich nicht aus dem Gesetz etwas anderes ergibt“. Insofern ist der Nachlassverwalter wie auch der Nachlasspfleger vom Nachlassgericht zu verpflichten (§ 1789 BGB). Er unterliegt der Aufsicht des Nachlassgerichts (§ 1837 BGB). Er hat ein Nachlassverzeichnis zu erstellen (§ 1802 BGB), über seine Verwaltung Rechnung zu legen (§§ 1840, 1841 BGB) und über seine Tätigkeit Auskunft zu erteilen (§ 1839 BGB).

168

Für den Nachlassverwalter gelten die Genehmigungsvorbehalte der §§ 1821 und 1822 BGB. Das Nachlassgericht hat vor seiner Entscheidung über die Erteilung der Genehmigung den Erben anzuhören. Dagegen sollten die §§ 1812, 1813 BGB nach h.M. im Hinblick auf die Stellung und die Aufgaben des Nachlassverwalters und die sich daraus ergebenden praktischen Erwägungen nicht anwendbar sein, so dass Verfügungen über Forderungen und Wertpapiere keiner Genehmigung bedürfen.3 Streitig ist auch, ob der Nachlassverwalter die Vorschriften über die Anlegung von Mündelgeld und die Verwaltung von Inhaberpapieren (§§ 1806 ff., 1814 BGB) zu beachten hat.4 8. Vergütung des Nachlassverwalters

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Die h.M. will hier ebenfalls Pflegschaftsrecht anwenden und den Nachlassverwalter wie einen Nachlasspfleger nach § 1915 Abs. 1 S. 2 BGB nach individuellen Stundensätzen vergüten.5 1 Staudinger/Marotzke, § 1985 Rz. 27. 2 MüKo.BGB/Küpper, § 1985 Rz. 8. 3 OLG Hamm v. 27.3.1995 – 22 U 74/94, DNotI-Report 1996, 29 = NJWE-FER 1996, 37; Palandt/Weidlich, § 1985 Rz. 2; a.A. Staudinger/Marotzke, § 1985 Rz. 34. 4 Dafür: Staudinger/Marotzke, § 1985 Rz. 35; Firsching/Graf, Rz. 4.821; dagegen: MüKo. BGB/Küpper, § 1985 Rz. 6; Pfeuffer in Roth/Pfeuffer, S. 261. 5 OLG München v. 8.3.2006 – 33 Wx 131, 132/05, Rpfleger 2006, 405; OLG Zweibrücken v. 15.3.2007 – 3 W 19/07, FamRZ 2007, 1191 = FGPrax 2007, 183 = ZEV 2007, 396; zur Nachlasspflegervergütung vgl. Gleumes in Schulz, § 6 Rz. 27 ff. 1258

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Schulz

Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 172

Dementsprechend gilt nach der Rechtsprechung auch die gesetzliche Ausschlussfrist von 15 Monaten für den Vergütungsanspruch gem. § 1836 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 2 VBVG.1 Mit dieser Ausschlussfrist wollte der Gesetzgeber aber primär die Staatskasse schützen. Da sich der Vergütungsanspruch ausschließlich gegen den Nachlass und nicht gegen die Staatskasse richtet2, sprechen die besseren Gründe dafür, die Ausschlussfrist nicht auf den Nachlassverwalter für anwendbar zu halten.3 Ob diese Ausschlussfrist entsprechend § 2 S. 2 VBVG i.V.m. § 1835 Abs. 1a S. 2 BGB verlängerbar ist, ist noch nicht geklärt.4 Entgegen der h.M. ist die Vergütung aber nicht nach Pflegschaftsgrundsätzen abzurechnen.5 Aus dem Gesetz ergibt sich nämlich „etwas anderes“ i.S.d. § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB. § 1987 BGB enthält eine eigenständige Vergütungsregelung für den Nachlassverwalter, die vorrangig ist. Hiernach erhält der Nachlassverwalter – wie der Testamentsvollstrecker – eine „angemessene Vergütung“. Es handelt sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage. Deshalb existiert von Gesetzes wegen keine Ausschließlichkeitsbindung an den Kriterienkatalog des § 1915 Abs. 1 S. 2 BGB, so dass die Höhe der Nachlassverwaltervergütung je nach Lage des Falles irgendwo zwischen der Vergütung eines nach § 1960 BGB bestellten, berufsmäßigen Nachlasspflegers und derjenigen eines Nachlassinsolvenzverwalters liegen kann, im Zweifel aber wohl näher bei der erstgenannten Bezugsgröße.6 Weiterhin wird eine Orientierung an der Insolvenzverwaltervergütung mit einem Abschlag von 30 % vertreten.7

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9. Beendigung der Nachlassverwaltung a) Keine kostendeckende Masse Nach § 1988 Abs. 2 BGB kann die Nachlassverwaltung vom Gericht aufgehoben werden, wenn sich ergibt, dass eine kostendeckende Masse nicht (mehr) vorhanden ist. Der Nachlassverwalter, zumindest der Erbe kann dann die Dürftigkeitseinrede erheben, so dass die Haftungsbeschränkung auch nach Aufhebung faktisch fortbesteht.

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b) Nachlassinsolvenzverfahren Ein weiterer Beendigungsgrund ist die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens, § 1988 Abs. 1 BGB. Das Amt des Nachlassverwalters endet dann. Die Erben sind bekannt und können sich in diesem Verfahren selbst vertreten. Der Nachlassverwalter gibt dann den Nachlass an den Insolvenzverwalter heraus, 1 OLG Zweibrücken v. 30.4.2007 – 3 W 49/07, FamRZ 2007, 1271 = FGPrax 2007, 233. 2 KG v. 29.11.2005 – 1 W 180/03, MDR 2006, 694 = FamRZ 2006, 559 = FGPrax 2006, 76 = ZErb 2006, 98; a.A. Zimmermann, ZEV 2007, 519 (520 f.). 3 So: Firsching/Graf, Rz. 4.848; Jochum/Pohl, Rz. 1135; Staudinger/Marotzke, § 1987 Rz. 19; Pfeuffer in Roth/Pfeuffer, S. 281 ff. 4 Dagegen: AG Münster v. 16.10.2013 – 26 VI 65/12, n.v. wegen „Aushöhlung des § 1988 Abs. 2“. 5 So: AG Münster v. 6.8.2014 – 26 VI 65/12 (n. v.); Firsching/Graf, Rz. 4.848; Fromm, ZEV 2006, 298, 300 f.; Jochum/Pohl, Rz. 1131 f.; Staudinger/Marotzke, § 1987 Rz. 3 f. 6 Staudinger/Marotzke, § 1987 Rz. 13. 7 Pfeuffer in Roth/Pfeuffer, S. 283. Schulz

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C III

Rz. 173

Nachlasspflegschaft

§ 1890 BGB, ohne dass er ein Zurückbehaltungsrecht wegen seiner Vergütungsund Aufwendungsersatzansprüche hat, vgl. § 323 InsO. 173

Nach Beendigung des Nachlassinsolvenzverfahrens kann der Erbe gegenüber den Gläubigern einwenden, der Nachlass sei erschöpft, § 1989, 1973 BGB. c) Vollständige Gläubigerbefriedigung

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Hat der Nachlassverwalter sämtliche bekannten Nachlassverbindlichkeiten berichtigt, kann er den Nachlassrest (und das aus dessen Verwaltung Erlangte, z.B. Akten und Belege) an den Erben (mehreren Erben gemeinschaftlich) herausgeben („ausantworten“), § 1986 Abs. 1 BGB, und Schlussrechnung legen, § 1890 BGB. Dies kann noch vor der förmlichen Aufhebung der Nachlassverwaltung nach § 1919 BGB geschehen. Nach Aufhebung hat der Erbe einen Herausgabeanspruch, der Nachlassverwalter aber ein Zurückbehaltungsrecht für seine Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche.1

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Ist die Berichtigung einer Verbindlichkeit zurzeit nicht ausführbar oder ist eine Nachlassverbindlichkeit streitig, darf der Verwalter den Nachlass nur herausgeben, wenn dem Gläubiger Sicherheit geleistet wird, § 1986 Abs. 2 S. 1 BGB,2 oder wenn alle noch nicht befriedigten Nachlassgläubiger und der Erbe der Aufhebung zustimmen.3

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Eine Ausantwortung ist insbesondere auch bei aus einer Fortführung eines Nachlassunternehmens herrührenden, aber noch nicht fälligen Verbindlichkeiten möglich, wenn dem Erben ein „gesundes“ Unternehmen übergeben wird und die Erfüllung dieser Ansprüche in Zukunft gewährleistet ist.4

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Die Erbauseinandersetzung ist nicht Aufgabe des Nachlassverwalters.5 Er kann sich aber hierzu gesondert beauftragen lassen.

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Der Erbe haftet nach Aufhebung der Nachlassverwaltung und Ausantwortung wie folgt:6 – nach §§ 1973, 1974 BGB gegenüber im Aufgebotsverfahren ausgeschlossenen oder diesen gleichstehenden Gläubigern; – bei unbeschränkbarer Haftung weiterhin unbeschränkbar mit seinem Eigenvermögen; – bei Dürftigkeit i.S.v. § 1990 BGB oder Überschuldung des Nachlasses nur aufgrund von Vermächtnissen und Auflagen i.S.v. § 1992 BGB, kann der Erbe die Haftung nach § 1991 BGB auf die restlichen Nachlassgegenstände beschränken; – reicht der Nachlassrest zur Deckung der Kosten einer erneuten Nachlassverwaltung oder eines Nachlassinsolvenzverfahrens, kann der Erbe die Haftung 1 Staudinger/Marotzke, § 1986 Rz. 3. 2 OLG Hamm v. 25.5.2010 – 15 W 28/10, FGPrax 2010, 239 = NJW-RR 2010, 1595 = ZErb 2010, 271. 3 BayObLG v. 28.6.1976 – BReg. 1Z 27/76, BayObLGZ 1976, 167. 4 MüKo.BGB/Küpper, § 1986 Rz. 3. 5 Staudinger/Marotzke, § 1986 Rz. 4. 6 MüKo.BGB/Küpper, § 1986 Rz. 6. 1260

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Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 181

trotz der Nichtdürftigkeit nach § 1991 auf die restlichen Nachlassgegenstände beschränken; auch in diesem Falle ist er den Nachlassgläubigern nach §§ 1978 bis 1980 verantwortlich. d) Rechtsmittel gegen die Aufhebung der Nachlassverwaltung Gegen die Aufhebung der Nachlassverwaltung haben der Antragsteller und jeder Beteiligte mit rechtlichem Interesse ein Beschwerderecht,1 nicht jedoch der Nachlassverwalter selbst.2 Ob der Nachlassgläubiger die Entlassung des Nachlassverwalters beantragen kann, ist streitig, aber zu verneinen.3

179

X. Die Haftung des Nachlasspflegers und Nachlassverwalters Aufgrund der vielschichtigen Tätigkeit des Nachlasspflegers und Nachlassverwalters ist auch die Haftungsgefahr immens. Er haftet nach §§ 1960 Abs. 2, 1915 Abs. 1 S. 1, 1833 Abs. 1 S. 1 BGB gegenüber den Erben bei Verursachung eines Schadens durch eine schuldhafte Pflichtverletzung. Hinzu kommt die Haftung nach § 69 AO gegenüber dem Finanzamt, soweit Steuerschulden infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der dem Nachlasspfleger auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Eine Haftung wie die des Nachlassverwalters analog § 1985 Abs. 2 S. 1 BGB für mangelhafte Nachlassverwaltung gegenüber Nachlassgläubigern scheidet aber für den Nachlasspfleger nach heute einhelliger Ansicht aus.4 Es besteht kein Grund, über die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft den Gläubigern eine weitere Befriedigungsmöglichkeit zu verschaffen, die über diejenige gegen den Erben hinausgeht.5 Haftungsansprüche der Erben gegen den Nachlasspfleger/-verwalter gehören zum Nachlass, machen im Ergebnis den Verlust des Nachlasses also wieder wett. Den Nachlassgläubigern gegenüber haftet der Nachlasspfleger aber persönlich bei Verletzung des Auskunftsanspruchs aus § 2012 Abs. 1 S. 2 BGB und nach dem Recht der unerlaubten Handlung gem. §§ 823 ff. BGB. Die Haftung des Nachlassverwalters ist demgegenüber noch durch § 1985 BGB erweitert. Er ist auch den Gläubigern gegenüber verantwortlich.

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Typische Haftungsfälle bei der Nachlasspflegschaft/-verwaltung6 sind:

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– Fehlender Versicherungsschutz für Nachlassvermögen, insbesondere Immobilienvermögen, durch Nichtabschluss einer Versicherung oder Nichtfortführung des bestehenden Versicherungsvertrags, Nichtanzeige von Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) und die Nichterfüllung von Obliegenheiten (§ 28 VVG); 1 OLG Hamm v. 25.5.2010 – 15 W 28/10, FGPrax 2010, 239 = NJW-RR 2010, 1595 = ZErb 2010, 271. 2 OLG Jena v. 7.5.1998 – 6 W 348/98, Rpfleger 1998, 427. 3 Bejahend: OLG Karlsruhe v. 11.4.1989 – 4 W 128/88, NJW-RR 1989, 1095; a.A. zu Recht OLG Frankfurt v. 5.1.1998 – 20 W 431/96 und 456/96, FGPrax 1998, 64 = NJWE-FER 1998, 116 = MDR 1998, 288 = FamRZ 1998, 636 = ZEV 1998, 262; Staudinger/Marotzke, § 1985 Rz. 36. 4 Vgl. RGZ 151, 57, 63; Staudinger/Marotzke, § 1960 Rz. 53 f. m.w.N. 5 Klingelhöffer, § 1960 Rz. 74. 6 Ausf. Schulz in Schulz, § 9 Rz. 285 ff. („Die sieben Todsünden des Nachlasspflegers“). Schulz

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C III

Rz. 182

Nachlasspflegschaft

– Nichterfüllung von Verkehrssicherungspflichten; – Verspätete Kündigung eines Mietverhältnisses; – Fehlender Widerruf von Bezugsberechtigungen bei Lebensversicherungen/ Kontoguthaben; – Fehler bei der Vermögensverwaltung, insbesondere Fehl- und Doppelüberweisungen. 182

Es fällt auf, dass diese Haftungsfälle überwiegend nicht den üblichen Konstellationen der Fehler bei der Rechtsberatung und Prozessführung entsprechen, die man bei der Anwaltshaftung vor Augen hat und die durch eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung eines Rechtsanwalts abgedeckt sein sollten. Insofern stellt sich die existenzielle Frage nach dem Versicherungsschutz durch eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für den Nachlasspfleger/-verwalter, der nicht notwendigerweise Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin sein muss.

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Für das Nachlassgericht, das den Nachlasspfleger/-verwalter auswählt, ist das Bestehen einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung Auswahlkriterium.1 Denn bestellt es einen Nachlasspfleger/-verwalter, der nicht ausreichend versichert ist, muss es damit rechnen, im Wege der Staatshaftung gem. § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG seinerseits zumindest nachrangig für Schäden haften zu müssen. Das Schadensrisiko ist bei den vermögensbezogenen Nachlasspflegschaften immanent. Nach §§ 1960, 1915, 1837 Abs. 1 S. 2 BGB wird das Nachlassgericht daher immer eine solche Versicherung verlangen.2 Wegen der Auswahl des Pflegers steht auch den Erbprätendenten ein Beschwerderecht zu.3 Die Beschwerde könnte darauf gestützt werden, dass ein Nachlasspfleger ohne (ausreichenden) Versicherungsschutz bestellt wurde.4 Bei Berufsnachlasspflegern sind die Kosten einer Versicherung mit der Vergütung abgegolten (§ 1835 Abs. 2 S. 2 BGB). Der Umstand ist insofern vergütungserhöhend zu berücksichtigen.

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Vorschriften über die Ausgestaltung oder die Höhe der Mindestversicherungssumme gibt es für Nachlasspflegschaften/-verwaltungen nicht. Das Gericht kann aber eine Mindesthöhe vorschreiben.5 Bei Zwangsverwaltern ist nach § 1 Abs. 4 ZwVwV eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung mit einer Mindestdeckungssumme von 500 000 Euro vorgeschrieben. Jedenfalls bei Nachlasspflegschaften/-verwaltungen mit verwaltetem Immobilienvermögen sollte wegen der vergleichbaren Risikolage Versicherungsschutz nicht unterhalb dieser Deckungssumme vorliegen.

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Da es aber keine einheitlichen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung gibt, kann das Nachlassgericht nur durch eine Prüfung der Versicherungsbedingungen feststellen, ob die mit der Nachlasspflegschaft verbundenen Risiken überhaupt abgedeckt sind.

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Jochum/Pohl, Rz. 86, 90; Behr/Weber/Frohn, S. 5. Vgl. Staudinger/Engler (2004), § 1837 Rz. 32. LG Heidelberg v. 3.1.1955 – 1 T 34/54, NJW 1955, 469. Dies gilt insbesondere auch bei der Nachlassverwaltung für die (bekannten) Erben. MüKo.BGB/Wagenitz, § 1837 Rz. 22.

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Schulz

Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 189

Der anwaltliche Berufsnachlasspfleger hat eine nach § 51 BRAO abzuschließende Berufshaftpflichtversicherung für Vermögensschäden mit einer Mindestversicherungssumme von 250 000 Euro für jeden Versicherungsfall. Hierbei ist zu beachten, dass Nachlasspflegschaften nicht zur klassischen anwaltlichen Berufstätigkeit gehören. Diese Tätigkeiten sind aber nach den üblichen Versicherungsbedingungen in der Regel ausdrücklich mitversichert1, allerdings oftmals mit der Einschränkung versehen, dass sie nicht überwiegend ausgeübt werden dürfen. Gleiches gilt für die gesetzlichen Pflichtversicherungen der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, die Nachlasspflegschaften übernehmen.2

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Der nichtanwaltliche Berufsnachlasspfleger wird eine vergleichbare Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung mit besonderen Risikobedingungen für Nachlasspfleger/-verwalter abschließen. Oftmals werden hier in der Praxis allerdings geringe Deckungssummen von nur 100 000 Euro vereinbart. Wenn man sich vor Augen führt, welche Sachwerte bei der Immobilienverwaltung in die Verantwortung des Nachlasspflegers/-verwalters gelegt werden und welche Haftungsfolgen sich daraus ergeben können, sind diese Deckungssummen zu niedrig. Die Mindestdeckungssumme sollte in diesen Fällen wie bei den Zwangsverwaltern 500 000 Euro betragen. Bei höheren Immobilienwerten sollte ggf. eine Einzelversicherung abgeschlossen werden.

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Die marktüblichen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen enthalten aber zahlreiche Risikoausschlüsse, die gerade für Nachlasspfleger/-verwalter zu empfindlichen und existenzgefährdenden Deckungslücken führen.3 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Versicherung auf die typische Anwalts- oder Steuerberatertätigkeit zugeschnitten ist, der Nachlasspfleger oftmals aber untypischen Tätigkeiten in großem Umfang vornimmt.4 Für die Versicherung des nichtanwaltlichen Nachlasspflegers gilt selbiges, da seine Versicherungsbedingungen denen der klassischen anwaltlichen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung entsprechen.

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Nicht gedeckt sind insbesondere regelmäßig Haftpflichtansprüche,

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– die dadurch entstanden sind, dass Versicherungsverträge nicht oder nicht ordnungsgemäß abgeschlossen, erfüllt oder fortgeführt werden;5 – aus einer kaufmännischen, Kalkulations- oder Organisationstätigkeit;6 – die durch Fehlbeträge bei der Kassenführung oder durch Verstöße beim Zahlungsakt entstehen;7 – wegen Veruntreuung durch Personal;8 1 2 3 4 5

Vgl. Diller, § 1 Rz. 21; B Rz. 3, 17. Vgl. Gräfe/Brügge, Rz. 188 ff., 258 ff., 321 ff. Dies übersieht Bräuer, AnwBl. 2014, 650 f. Gleiches gilt für den Testamentsvollstrecker. Vgl. auch: C. Zimmermann, NZI 2006, 386/388 f. für die vergleichbare Situation des Insolvenzverwalters; Bengel/Reimann/J. Müller, 12.142 für den Testamentsvollstrecker. 6 Vgl. Diller, A 4.2 Rz. 63 ff. 7 Gedeckt sind bei Rechtsanwälten lediglich Schadensersatzansprüche und Auszahlungsfehler bei Anwaltsanderkonten. 8 Vgl. Diller, A 2.2 Rz. 38 ff. Schulz

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C III

Rz. 190

Nachlasspflegschaft

– aus Verletzung steuerlicher Pflichten nach §§ 34, 69 AO und sonstiger persönlicher Inanspruchnahme aus öffentlich-rechtlichen Ansprüchen, da es sich nicht um „Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts“ i.S.d. AVB handelt;1 – aus Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Beschäftigung mit außereuropäischem Recht.2 Zimmermann konstatiert zu dieser Situation zutreffend: „Man findet wenig Haftungsfälle, bei denen die Versicherung zahlen muss.“3 190

Hinzu kommt, dass die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung grundsätzlich nur Vermögensschäden deckt.4 Die Beschädigung, das Verderben, die Vernichtung oder das Abhandenkommen von Sachen sowie Schäden, die sich aus einem solchen nicht gedeckten Sachschaden herleiten, sind aber Sachschäden, die im Regelfall nur in einem geringen bedingungsgemäßen Umfang mitversichert sind: – an Akten und anderen für die Sachbehandlung in Betracht kommenden Schriftstücken; – an sonstigen beweglichen Sachen, die das Objekt der versicherten Betätigung des VN bilden, sofern es sich nicht um Sachschäden aus Anlass der Ausübung technischer Berufstätigkeit oder der Verwaltung von Grundstücken handelt.

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Nicht versichert bleiben allerdings Sachschäden, die entstehen durch Abhandenkommen von Geld, geldwerten Zeichen, Wertsachen, Inhaberpapieren und in blanko indossierten Orderpapieren, wobei das Abhandenkommen von Wechseln sowie von zu Protest gegangenen Schecks nicht unter diese Bestimmung fällt.5 Da der Nachlasspfleger auch Sachwerte im Rahmen der Nachlasssicherung in Obhut nimmt, treffen ihn auch hier empfindliche Deckungslücken, wenn z.B. der sichergestellte „Rembrandt“ beim Transport in das Büro zu Schaden kommt. Zwar könnte man argumentieren, es handle sich um „sonstige beweglichen Sachen, die das Objekt der versicherten Betätigung bilden“. Selbst, wenn man diese juristische Hürde überwindet, ist die Versicherungssumme bei Sachschäden nach den Bedingungen regelmäßig auf 25 % begrenzt.

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Ein solches Sachschadensrisiko lässt sich daher nur mit einer separaten und speziell gefassten Betriebshaftpflichtversicherung6 decken. Der Sachschadensbegriff wirkt zusammen mit der Deckungslücke für Haftpflichtansprüche, die dadurch entstanden sind, dass Versicherungsverträge nicht oder nicht ordnungsgemäß abgeschlossen, erfüllt oder fortgeführt werden, fatal und für den Nachlasspfleger im Schadensfall möglicherweise existenzvernichtend: Insbesondere Leitungs-

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Vgl. Diller, § 1 Rz. 78 f. Vgl. Diller, A 2.1 Rz. 13 ff. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rz. 695. Veith/Gräfe, § 15 Rz. 66. Veith/Gräfe, § 15 Rz. 73. Beckmann/Matusche-Beckmann/v. Rintelen, § 26 Rz. 9 ff.

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Nachlasspflegschaft

C III

Rz. 193

wasser- oder Feuerschäden anlässlich der Verwaltung von Grundstücken, für die die Gebäudeversicherung dem Nachlasspfleger wegen Verletzung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten keine Zahlung leistet, sind dann auch über die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung nicht gedeckt.1 Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass die Tätigkeit des Nachlasspflegers und Nachlassverwalters haftungsträchtig ist, er sich aber wegen der Vielzahl von Deckungslücken, die den Kernbereich seiner Tätigkeit betreffen, nicht auf den Schutz durch seine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung verlassen kann. Die Praxis hat hier reagiert und über den Berufsverband der Nachlasspfleger ein spezielles Deckungskonzept für Nachlasspfleger, Nachlassverwalter und Testamentsvollstrecker entwickelt.2

1 Vgl. Fiala/Keppel/Körner, Rz. 8. 2 Vgl. weiter: Bund Deutscher Nachlasspfleger (BDN) e.V., www.b-d-n.de. Schulz

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IV. Die Erbengemeinschaft Schrifttum: Ann, Die Erbengemeinschaft, 2001; Bartholomeyczik, Anmerkung zu BGH v. 28.4.1955, NJW 1955, 1559; Bengel, Zur Rechtsnatur des vom Erblasser verfügten Erbteilungsverbots, ZEV 95, 178; Börner, Das System der Erbenhaftung, JuS 1968, 108; Buchwald, Der Betrieb eines Handelsgewerbes in Erben- oder Gütergemeinschaft, BB 1962, 1405; Dütz, Das Zurückbehaltungsrecht des § 273 Abs. 1 BGB bei Erbauseinandersetzungen, NJW 1967, 1105; Ebeling/Geck, Handbuch der Erbengemeinschaft; Ebenroth, Erbrecht, 1992; Eberl/Borges, Die Erbauseinandersetzung, 2000; Ehler, Vom nachlassgerichtlichen Vermittlungsverfahren zum Konsiliarverfahren bei der Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften, Band 5, 2013; Eidenmüller, Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung, JA 1991, 150; Frieser, Anwaltliche Strategien im Erbschaftsstreit, 2004; Funke/Roth, Erbteilsverkauf und Besonderheiten des Vorkaufsrecht der Miterben, NJW-Spezial 2014, 167; Grunsky, Die Abgrenzung der Teilungsanordnung gegenüber dem Vorausvermächtnis, JZ 1963, 250; Harder, Grundzüge der Erbenhaftung, JuS 1980, 876; Holzer, Das Verfahren zur Auseinandersetzung des Nachlasses nach dem FamFG, ZEV 2013, 656; Ivo, Erbteilsverfügungen bei Sondererbfolge in Anteile von Personengesellschaften, ZEV 2004, 499 ff.; Johannsen, Die Erbengemeinschaft, WM 1970, 2, 110, 234, 573; Josef, Verfügungen über Erbschaftsanteile, AcP 99, 315; Jülicher, Mehrheitsgrundsatz und Minderheitenschutz bei der Erbengemeinschaft, AcP 175, 143; Kaya, Erbengemeinschaft und Gesellschafterversammlung, ZEV 2013, 593; Kerscher/Krug/Spanke (Hrsg.), Das erbrechtliche Mandat, 5. Auflage 2014; Kiderlen/ Roth, Taktisches Verhalten des Miterben in der Teilungsversteigerung, NJW-Spezial 2008, 455; Kuchinke, Die Firma in der Erbfolge, ZIP 1987, 681; Liermann, Zweifelsfragen bei der Verwertung eines gepfändeten Miterbenanteils, NJW 1962, 2189; Lehmann, Die Konkurrenz zwischen Vertragspfandrecht und nachrangigem Pfandrecht, NJW 1971, 1545; Lorenz, Auskunftsansprüche im Bürgerlichen Recht, JuS 95, 569; Maßfeller, Das Güterrecht des Gleichberechtigungsgesetzes, DB 1957, 623; Möller, Die Haftung von Miterben und wie sie beschränkt werden kann, Erbrecht effektiv 2004, 50; v. Morgen, Die Testamentsvollstreckervergütung bei Erbteilsvollstreckungen, ZEV 1996, 170 ff.; v. Morgen, Anmerkung zu BGH v. 22.1.1997: Kosten der Erbteilsvollstreckung sind von allen Miterben zu tragen, ZEV 1997, 116; v. Morgen, Anmerkung zu BGH v. 25.6.2003: Kostenverteilung bei Testamentsvollstreckung über nur einen Miterbenanteil, ZEV 2003, 415 f.; Muscheler, Der Mehrheitsbeschluss in der Erbengemeinschaft, ZEV 1997, 169 ff., 222 ff.; Noack, Vollstreckung gegen Erben, JR 1969, 8; Patschke, Erbteilsübernahme durch den Miterben, NJW 1955, 444; Reimann, Erbauseinandersetzung durch Abschichtung, ZEV 1998, 213; Reimann, Die stecken gebliebene Erbauseinandersetzung, ZEV 2009, 120; Ripfel, Das Pfändungspfandrecht am Erbteil, NJW 1958, 692; Roth, Ausgleichspflicht und erweiterter Erblasserbegriff, NJW-Spezial 2014, 423; Sarres, Die Erbengemeinschaft, 2006; Sarres, Auskunftspflicht zwischen den Miterben bei gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge, ZEV 1996, 300; ZEV 2000, 349 ff.; Siegler, Zur Abtretbarkeit des Anspruchs des Miterben auf das Auseinandersetzungsguthaben, MDR 1964, 372; Speckmann, Der Anspruch des Miterben auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses, NJW 1973, 1869; Steiner, Die Praxis der Klage auf Erbauseinandersetzung, ZEV 1997, 89; Steiner, Nutzung von Nachlassgegenständen durch Miterben, ZEV 2004 405 f.; Strothmann, Einzelkaufmännisches Unternehmen und Erbenmehrheit im Spannungsfeld von Handels-, Gesellschafts-, Familien- und Erbrecht, ZIP 1985, 969; Stützel, Grenzen von Einzel- und Mehrheitsentscheidungen in der Erbengemeinschaft, NJW 2013, 3543; Wälzholz, Erbauseinandersetzung und Teilungsanordnung nach der Erbschaftsteuerreform, ZEV 2009, 113; Vollkommer, G., Der übergangene Miterbe, FamRZ 1999, 350 ff.; Wendt, Verfügungen über Erbschaftsanteile, AcP 89, 420; Werkmüller, Die Mitwirkungsbefugnisse der Bruchteilsminderheit bei Beschlussfassung in der ungeteilten Erbengemeinschaft, ZEV 1999, 218; Winkler, Der Testamentsvollstrecker nach bürgerlichem, Handels- und Steuerrecht, 19. Aufl. 2008; 1266

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v. Morgen

C IV

Erbengemeinschaft

Wolf, Die Fortführung eines Handelsgeschäfts durch die Erbengemeinschaft, AcP 181, 480; Zunft, Die Übertragung sämtlicher Nachlassgegenstände an einen Miterben gegen Abfindung der übrigen Miterben, JZ 1956, 550. Rz.

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Typische Interessen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Typische Interessen des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bewahrung des Nachlasses als Einheit . . . . . . . . . . bb) Gleichbehandlung . . . . . . . cc) Streitvermeidung . . . . . . . . dd) Familienpolitische Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Unkenntnis oder Interessenlosigkeit . . . . . . . . . . . . b) Typische Interessen einzelner Miterben . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rasche wirtschaftliche Verwertung/Aufteilung des Nachlasses . . . . . . . . . . bb) Maximierung der Entnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewahrung des Nachlassvermögens als Einheit . . . dd) Thesaurierung bzw. Reinvestition der Erträge . . . ee) „Aushungern“ wirtschaftlich weniger begüterter Miterben . . . . . . . . . . . . . . . ff) Aktive Verwaltung/persönliche Profilierung . . . . gg) Desinteresse, Blockade von Entscheidungen . . . . . hh) Austragung von Familienstreitigkeiten . . . . . . . . . . . c) Typische Interessen der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Typische Interessen der Nachlassschuldner . . . . . . . . . . 3. Typische Streitkomplexe . . . . . . . a) Teilung des Nachlasses . . . . . . b) Maßnahmen der Verwaltung . c) Ausscheiden eines Miterben . d) Prozesse für und gegen den Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, Nachlassteilung . . 1. Grundsatz: Recht auf jederzeitige Auseinandersetzung . . . . . . . a) Anspruchsberechtigte . . . . . . .

1 2 5 5b 6 7 8 9 10 11 13 14 15 16 17 18 19 20 21 24 25 26 30 33 34 35 36 37

Rz.

b) Anspruchsschuldner . . . . . . . . c) Anspruchsinhalt . . . . . . . . . . . . 2. Aufschub oder Ausschluss der Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . a) Aufschub oder Ausschluss durch Anordnung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Möglicher Inhalt bzw. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . dd) Grenzen (1) Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Aufhebung der Erbengemeinschaft . . . (2) Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . (3) Tod eines Miterben . . . . . . (4) Insolvenz eines Miterben oder Pfändung in seinen Anteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Einigkeit aller Miterben . . (6) Verstoß des Testamentsvollstreckers gegen Ausschlussanordnung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . (7) Unterschreitung des Pflichtteils eines Miterben (8) Auseinandersetzungsverlangen aufgrund Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetzes . . . . . . . . . . b) Aufschub wegen Unbestimmtheit der Erbteile . . . . . . . . . . . . . c) Aufschub bis zur Gläubigerermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufschub/Ausschluss durch Vereinbarung sämtlicher Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Aufschub gem. § 242 BGB . . . 3. Wege der Erbauseinandersetzung a) Auseinandersetzung durch Testamentsvollstrecker aa) Rechte und Pflichten . . . . bb) Ausführung (1) Vorbereitung der Auseinandersetzung durch Erfassung und Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten sowie Versilberung einzelner Nachlassgegenstände . . . . v. Morgen

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47 48 49 50 51 53 54

55 58 60 62 63

65 67

69 70 72 73 77 78 80

85

1267

C IV

Erbengemeinschaft Rz.

(2) Aufstellung eines Teilungsplans . . . . . . . . . . . . . . (3) Anhörung der Erben . . . . . (4) Verbindlichkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Alternative: Auseinandersetzungsvertrag mit den Erben . . . . . . . . . . . . . . (6) Dinglicher Vollzug des Auseinandersetzungsplans/der Auseinandersetzungsvereinbarung . . . cc) Beteiligungs- und Kontrollmöglichkeiten der Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unwirksamkeit des Teilungsplans . . . . . . . . . . . . . . (2) Offenbare Unbilligkeit i.S.d. § 2048 S. 3 BGB . . . . (3) Verstoß gegen ordnungsmäßige Verwaltung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . (4) Aufhebung einer (Teilungs-)Anordnung wegen schädigender Wirkung . . . (5) Schadensersatz . . . . . . . . . . dd) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . b) Auseinandersetzungsvereinbarung zwischen den Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mögliche Regelungsinhalte (1) Normalfall: Aufteilung aufgrund Auseinandersetzungsvertrages (a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . (b) Zustimmungserfordernis bei Vor-/Nacherbschaft . . (c) Familienrechtliche Zustimmungserfordernisse . (d) Problem: (Gemischte) Schenkung bei Bevorzugung einzelner Miterben im Auseinandersetzungsvertrag? . . . . . . . . (2) Alternative: Auseinandersetzung aufgrund Kaufs sämtlicher Erbteile durch einen Miterben . . . . (3) Alternative: Ausscheiden gegen Abfindung? . . . . . . . (4) Sonderfall: Teilauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . 1268

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v. Morgen

86 87 88 89

90 90b 91 92 93 94 97 98 100 101

103 104 105

107

108 111 114

Rz. cc) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Angreifbarkeit . . . . . . . . . . ee) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . c) Vermittlung durch den Notar (§§ 363–373 FamFG) . . . . . . . . aa) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . bb) Streitige Punkte, Vorrang eines Klageverfahrens . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . d) Auseinandersetzungsklage aa) Zuständiges Gericht . . . . . bb) Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Klageart und Klageantrag (1) Grundsatz: Klage auf Zustimmung zur Erbauseinandersetzung gem. Teilungsplan . . . . . . . . . . . (2) Teilklage? . . . . . . . . . . . . . . (3) Feststellungsklage bei fehlender Teilungsreife des Nachlasses als Alternative (4) Vorbereitende Auskunftsklage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Weitere vorbereitende Maßnahmen: Teilungsversteigerung von Grundstücken (a) Isolierte Durchführung zulässig? . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verfahren der Teilungsversteigerung . . . . . . . . . . . (c) Verteidigungsmöglichkeiten für Antragsgegner (nicht teilungsbereite Miterben) . . . . . . . . . . . . . . dd) Gegenstandswerte, anwaltliche Gebühren . . . . . ee) Checkliste (1) Auseinandersetzungsklage ausgeschlossen? . . . (2) Nachlass vollständig erfasst? (Aktiva und Passiva) (3) Teilungsregeln beachtet? . (4) Hilfsantrag/-anträge angezeigt? . . . . . . . . . . . . . . (5) Weitere prozessuale Fragen abgeklärt? . . . . . . . . . . ff) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . e) Schiedsverfahren, Mediation, Güterichter . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Materiellrechtliche Grundsätze der Auseinandersetzung a) Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 118 120 122 123 124 126 128 129

131 134 139 142

145 148

158 168 173 174 175 176 177 178 180

183

C IV

Erbengemeinschaft Rz. b) Verteilung des Überschusses . aa) Vorrangig: Teilung in Natur (§ 2042 Abs. 2 i.V.m. § 752 S. 1 BGB) . . . bb) Sekundär: Zwangsverkauf (§ 2042 Abs. 2 i.V.m. § 753 Abs. 1 S. 1 BGB) . . . c) Teilungsanordnungen des Erblassers (§ 2048 BGB) . . . . . . d) Auseinandersetzung nach dem billigen Ermessen eines Dritten (§ 2048 S. 2 BGB), Übernahmerecht . . . . . . . . . . . . e) Ausgleichung lebzeitiger Vorempfänge u.a. unter Abkömmlingen (§§ 2050 ff. BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Problem: Anwendung des § 2052 BGB im Rahmen des sog. Berliner Testaments (§ 2269 BGB) cc) Verfahren . . . . . . . . . . . . . .

186 187 193 196

199

202 206

212 213

III. Verwaltung des Nachlasses . . . . . 216 1. Verwaltung durch Testamentsvollstrecker, insbesondere als Dauertestamentsvollstreckung . . 2. Gemeinschaftliche Verwaltung durch die Miterben . . . . . . . . . . . . . a) Primäres Bemühen: Einvernehmliche Mitwirkung aller Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mehrheitsbeschluss genügt bei Maßnahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung (und Benutzung) . . . . . . . . . . . . aa) Definition „Verwaltung“ . bb) Definition „Benutzung“ . cc) Definition „ordnungsmäßige“ . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Beschlussfassung (1) Verfahren und Rechtsnatur der Stimmabgabe . . (2) Anspruch der Minderheit auf Gehör . . . . . . . . . . . . . . (3) Stimmrechtsausschluss bei Interessenkonflikten? ee) Rechtsfolgen des wirksamen Mehrheitsbeschlusses (1) Innenverhältnis . . . . . . . . . (2) Außenverhältnis . . . . . . . .

217 218 222

228 229 230 231 235 236 238

240 241

Rz. ff) Geltendmachung der Unwirksamkeit von Mehrheitsbeschlüssen . . . c) Durchsetzung ordnungsmäßiger Verwaltung durch die Minderheit . . . . . . . . . . . . . . d) Notverwaltungsrecht jedes einzelnen Miterben . . . . . . . . . e) Checkliste aa) Vorklärungen (1) Verwaltungsrecht entzogen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mitwirkung Dritter erforderlich? . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensweise (Abschichtung) (1) Notverwaltungsmaßnahmen i.S.d. § 2038 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. BGB? . . (2) Zur ordnungsmäßigen Verwaltung erforderliche Maßnahmen i.S.d. § 2038 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB? . . (3) Dem Interesse aller Miterben nach billigem Ermessen entsprechende Maßnahme der Verwaltung (oder Benutzung) i.S.d. § 2038 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 745 Abs. 2 BGB analog? . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Gegenstands entsprechende Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung (oder Benutzung) i.S.d. § 2038 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB analog? (5) Alle übrigen Maßnahmen der Verwaltung (oder Benutzung) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lastentragung und Anspruch auf Nutzungen a) Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht zum Gebrauch der Nachlassgegenstände . . . . . . . . c) Teilung der Früchte aa) Grundsatz: Teilung erst bei Auseinandersetzung . . bb) Ausnahme: Jährliche Teilung des Reinertrages bei längerem Ausschluss der Auseinandersetzung . v. Morgen

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244 246 250

255 256

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258

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260 261 262 263 264

266

1269

C IV

Erbengemeinschaft Rz.

4. Sonderfall: Verwaltung von Unternehmensbeteiligungen im Nachlass a) Handelsgeschäft . . . . . . . . . . . . b) Personengesellschaften aa) GbR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) OHG und phG einer KG . c) GmbH-Anteil . . . . . . . . . . . . . .

V. Verfügungen über einen Erbanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 270 276 277 281

IV. Haftung und Forderungszuständigkeit 1. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz: Gesamtschuldnerische Haftung der Miterben für gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten, § 2058 BGB aa) Gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten . . . . bb) Gesamtschuld- oder Gesamthandsklage nach Wahl des Gläubigers: Vor- und Nachteile (1) Unterschiede in der jeweiligen Vorgehensweise . . . . (2) Bewertung und Empfehlungen aus Sicht des Nachlassgläubigers . . . . . . cc) Klage eines Miterben als Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungsbeschränkung auf den Nachlassanteil bis zur Auseinandersetzung, § 2059 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftung nach der Teilung aa) Grundsatz: Unbeschränkte gesamtschuldnerische Haftung . . . . . . . . bb) Ausnahmen: Anteilige Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forderungszuständigkeit a) Abgrenzung Gesamthandsklage – Gesamthänderklage . . b) Rechte des einzelnen Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geltendmachung von Ansprüchen des Nachlasses gegen andere Miterben . . . . . . d) Abgrenzung zu anderen Rechten, die nicht Ansprüche i.S.d. § 194 BGB sind . . . . . . . . e) Analoge Anwendung des § 2039 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parteifähigkeit der Erbengemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1270

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v. Morgen

Rz.

283

284

285 286 288

289

292 293 295 298 307 308 313 316

1. Übertragung a) Übertragung insgesamt . . . . . . b) Formerfordernisse . . . . . . . . . . . c) Rechtsstellung des Erwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsstellung des übertragenden Miterben . . . . . . . . . . . . e) Verfügung über Bruchteile des Erbanteils . . . . . . . . . . . . . . . f) Übertragung des Erbauseinandersetzungsanspruches oder Abtretung des Anspruches auf das Auseinandersetzungsguthaben als Alternative zur Erbteilsübertragung? . . . . . . . . g) Vorkaufsrecht des/der übrigen Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzung: Kaufvertrag über Anteil am Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umgehungsgeschäfte . . . . cc) Ausübung des Vorkaufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsverhältnis zwischen veräußerndem und vorkaufsrechtsausübendem Miterben . . . . . . ee) Rechtsverhältnis zwischen Käufer und vorkaufsberechtigtem Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Haftungsbefreiung des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Vorkaufsrecht im Falle mehrfach gestufter Erbengemeinschaften . . . . . . . . . 2. Verpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsstellung des Pfandgläubigers aa) Benachrichtigung der übrigen Miterben . . . . . . . . bb) Eintragung im Grundbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wahrnehmung der Rechte des Miterben . . . . . dd) Fortsetzung der Rechte des Pfandgläubigers am Surrogat im Falle der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft . . . . . . ee) Einziehung der Erträge . . .

320 322 323 324 325

326 327 328 330 334

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350 351

Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 2 Rz.

b) Rechtsstellung des verpfändenden Miterben aa) Relatives Verfügungsverbot hinsichtlich der Nachlassgegenstände . . . . bb) Kein Veräußerungsverbot hinsichtlich des Erbteils . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsstellung der übrigen Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kein Vorkaufsrecht . . . . . . bb) Ablösungsrecht? . . . . . . . . cc) Weitere Rechte . . . . . . . . .

352 353 354 355 356 358

Rz. 3. Pfändung eines Miterbenanteils im Wege der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pfändung und Überweisung zur Einziehung . . . . . . . . . . . . . b) Antrag auf Anordnung anderweitiger Verwertung, Versteigerung des Erbanteils . . . . . . . . 4. Belastung mit Nießbrauch . . . . . . a) Form und Inhalt der Bestellung b) Rechtsstellung des Nießbrauchers und des betroffenen Miterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

360 361 363 365 366 368

I. Allgemeines Auseinandersetzungen innerhalb einer Erbengemeinschaft gehören häufig zu den schwierigsten und unbefriedigendsten Erlebnissen innerhalb der erbrechtlichen Praxis des Rechtsanwalts. Zwei Gründe sind hierfür zu nennen: Zum einen stellt man als beratender Anwalt nicht selten im Laufe eines Mandats früher oder später fest, dass es den Beteiligten eigentlich gar nicht um die erbrechtliche Angelegenheit als solche geht, sondern die rechtliche Auseinandersetzung dafür herhalten muss, innerfamiliäre Konflikte auszutragen, deren Ursache ganz woanders angelegt ist und die mit dem Ableben des Erblassers ungehemmt hervortreten. Zum anderen gibt einem das Gesetz mit den §§ 2032–2063 BGB nur ein äußerst schwerfälliges und wenig hilfreiches Instrumentarium zur Konfliktlösung an die Hand, dessen Anwendung mit vielfältigen Problemen behaftet ist. Für die erfolgreiche Mandatsbearbeitung in Angelegenheiten der Miterbengemeinschaft ist daher psychologisches Geschick mindestens ebenso wichtig wie die vollständige Kenntnis und sichere strategische Handhabung des zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumentariums. Die folgende Darstellung kommt mithin nicht ohne die immer wiederkehrende Berücksichtigung der jeweiligen Motiv- und Interessenlage der unterschiedlichen Beteiligten an einer Erbengemeinschaft aus.

1

1. Rechtsnatur Wesen der Gesamthandsgemeinschaft: Anders als im römischen und gemeinen Recht ist die Erbengemeinschaft im BGB nicht als Bruchteilsgemeinschaft an den einzelnen Nachlassgegenständen, sondern – nach dem Vorbild des pr. ALR – als Gemeinschaft zur gesamten Hand am ganzen Nachlass ausgebildet. Kennzeichnend für die Gesamthandsgemeinschaft ist die Bildung eines gemeinsamen Sondervermögens, das dem Gesamthandszweck gewidmet ist. Rechtlich besteht dementsprechend eine Trennung zum Privatvermögen jedes einzelnen Gesamthänders insofern, als über die Gegenstände des Gesamthandsvermögens der einzelne Gesamthänder nicht allein verfügen (§ 2033 Abs. 2 BGB), sondern hierüber nur „zur gesamten Hand“ unter Mitwirkung aller Gesamthänder verfügt werden kann (§ 2040 Abs. 1 BGB)1. Die Gesamthandsgemeinschaft schafft unter den Be1 Erman/Bayer, Vorbemerkung §§ 2032–2063 Rz. 2. v. Morgen

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1271

2

C IV

Rz. 3

Erbengemeinschaft

teiligten somit die stärkste rechtliche Bindung überhaupt. Dementsprechend eingeschränkt ist die Flexibilität hinsichtlich etwaiger vom Gesamthandszweck abweichender Einzelinteressen. 3

Eine Gesamthandsgemeinschaft kann nicht auf der Grundlage der Vertragsfreiheit zu beliebigen Zwecken geschaffen werden, sondern existiert überhaupt nur in drei Erscheinungsformen: – als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB), – als eheliche Gütergemeinschaft (§§ 1415 ff. BGB), – als Erbengemeinschaft (§§ 2032 ff. BGB).

3a

Im Unterschied zu den beiden anderen Erscheinungsformen ist die Erbengemeinschaft die einzige Gesamthandsgemeinschaft, die nicht auf freiwilliger Bindung der Beteiligten beruht. Sie entsteht mit dem Erbfall als „Zwangsgemeinschaft“1 ohne rechtsgeschäftlichen Bindungswillen der Beteiligten, und zwar entweder durch Einsetzung mehrerer Erben in einer letztwilligen Verfügung oder – am häufigsten – durch gesetzliche Erbfolge. Im letzteren Fall besteht sie, bei Fehlen nächster Angehöriger des Erblassers, nicht selten auch in einer größeren Anzahl von Miterben und mit untereinander sehr unterschiedlichen Bruchteilen. Die zwangsweise zustande gekommene derart enge Bindung durch die Ausgestaltung als Gesamthandsgemeinschaft rechtfertigt sich grundsätzlich nur daraus, dass die Erbengemeinschaft – im Unterschied zu den beiden anderen Erscheinungsformen der Gesamthandsgemeinschaft – nicht auf Dauer angelegt ist, sondern die Auflösung durch Auseinandersetzung im Vordergrund steht. Bis dahin soll vorrangig der Nachlass als Vermögenswert erhalten bleiben – nicht zuletzt auch im Interesse der Gläubiger.

4

Rechtspolitisch ist hieran zu kritisieren, dass durch die weiträumigen Ausnahmen im Gesetz (§§ 2043 ff. BGB) ebenso wie durch das umständliche und im Ergebnis häufig unbefriedigende Instrumentarium der Auseinandersetzungsvorschriften der Grundsatz der jederzeitigen Aufhebung der Erbengemeinschaft auf Verlangen – nur – eines Miterben gem. § 2042 BGB in der Praxis häufig in sein Gegenteil verkehrt wird, so dass die Nachteile einer gesamthänderischen Bindung dann in den Vordergrund treten. Zu beanstanden ist namentlich, dass nach bestehender Rechtslage der – wirtschaftlich oder persönlich – „problematische“ Miterbe auf Gedeih und Verderb in der Gesamthandsgemeinschaft verhaftet ist. Denn anders als durch den langwierigen Weg einer Gesamtauseinandersetzung mit dem – häufig nicht zuletzt auch unwirtschaftlichen – Versilbern aller unteilbaren Gegenstände des Nachlassvermögens ist im Ernstfall nach bestehender Rechtslage keine Trennung möglich, was aber im Ergebnis keinem gerecht wird: Für den „problematischen“ Miterben kommt der Zufluss des Erlöses aus der Auseinandersetzung häufig zu spät und bedeutet unabhängig davon auch eine erhebliche wirtschaftliche Einbuße; die übrigen Miterben laufen zumindest Gefahr, dass die Nachlassgegenstände in ihrem Bestand ihnen verloren gehen. De lege ferenda wäre es also unbedingt wünschenswert, analog dem heutigen Standard für Gesellschaftsverträge auch für die Erbengemeinschaft zumindest ein (gesetzliches) Instrumentarium zur Ausschließung eines „problematischen“ Miterben, möglicherweise umgekehrt auch ein Austrittsrecht, beides natürlich 1 Lange/Kuchinke, S. 1086. 1272

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Rz. 7

gegen entsprechende Abfindung, zu schaffen1. Auch eine gesetzliche Ausgestaltung als Recht zur Einziehung des betreffenden Erbanteils gegen Abfindung oder als Ankaufsrecht der übrigen Miterben analog § 2035 BGB gegen Zahlung des Verkehrswertes des betreffenden Erbanteils wäre in diesem Zusammenhang denkbar. In jedem Falle würde eine Trennung zerstrittener Miterben ohne wirtschaftliche und Substanzverluste ermöglicht. 2. Typische Interessen der Beteiligten Durch das unfreiwillige Zustandekommen der Erbengemeinschaft treffen in ihr die unterschiedlichsten Interessen aufeinander, die – aufgrund der engen Bindung innerhalb der Gesamthandsgemeinschaft – alle „unter einen Hut“ zu bringen sind. Dabei lehrt die Praxis, dass paradoxerweise die Interessengegensätze umso unversöhnlicher sind, je weniger Miterben vorhanden sind und je näher sich diese familiär stehen. Auch ein nur geringer wirtschaftlicher Nachlasswert reduziert erfahrungsgemäß keineswegs die Konfliktbereitschaft der Miterben.

5

Für die anwaltliche Beratungspraxis gibt es dabei grundsätzlich vier Blickwinkel, unter denen die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt bzw. vertreten werden müssen:

5a

a) Typische Interessen des Erblassers Diese erhalten Bedeutung für die Testamentsgestaltung, aber nach dem Erbfall z.B. auch für die Testamentsauslegung und als Richtlinien für die Tätigkeit eines etwaigen Testamentsvollstreckers. Typische Interessen sind insoweit:

5b

aa) Bewahrung des Nachlasses als Einheit Der Erblasser möchte sein Lebenswerk oder sogar die von vorangegangenen Generationen tradierten wirtschaftlichen und ideellen Werte auch über seinen eigenen Tod hinaus bewahrt wissen. Durch die testamentarische Einsetzung mehrerer Erben verspricht er sich einerseits eine gegenseitige Kontrolle im Hinblick auf diese Zielsetzung, andererseits vermeidet er damit möglicherweise auch eine Gefährdung des Nachlassbestandes durch übergroße Pflichtteilslasten. Dieser Erblasser wird typischerweise auch das weitere erbrechtliche Instrumentarium in Gestalt von Auflagen und Auseinandersetzungsbeschränkungen nutzen. Bei Einigkeit aller Miterben (und eines ggf. eingesetzten Testamentsvollstreckers) können sich die Beteiligten allerdings auch über dieses Interesse des Erblassers hinwegsetzen2.

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bb) Gleichbehandlung Der Erblasser hat mehrere (pflichtteilsberechtigte) nächste Angehörige. Da er niemanden bevorzugen oder benachteiligen will, errichtet er entweder gar keine letztwillige Verfügung, so dass die gesetzliche Erbfolge mit der Bildung einer 1 Vgl. auch den Vorschlag bei Ebeling/Geck, Rz. 41 f., durch Gesetzesänderung die Erbengemeinschaft nach Ablauf einer bestimmten Zeit kraft Gesetzes zur GbR werden zu lassen. 2 BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115 (118); BGH v. 18.7.1971 – V ZB 4/71, BGHZ 56, 275 (281); Soergel/Wolf, § 2044 Rz. 4. v. Morgen

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Rz. 8

Erbengemeinschaft

entsprechenden Erbengemeinschaft zum Zuge kommt, oder er setzt qua letztwilliger Verfügung seine nächsten Angehörigen sämtlich als Erben ein. cc) Streitvermeidung 8

Der Erblasser möchte insbesondere den durch eine Pflichtteilskonstellation vorprogrammierten Streit zwischen seinen nächsten Familienangehörigen vermeiden; deshalb setzt er alle zu Erben ein oder verlässt sich auf die gesetzliche Erbfolge. Durch den im Rahmen der Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft bestehenden Zwang zu gemeinschaftlichen Entscheidungen möchte er die Einigkeit unter den Familienmitgliedern stärken. In puncto Auseinandersetzung wird diesem Erblasser allerdings zu raten sein, unbedingt Teilungsanordnungen vorzusehen. Auch über etwaige Ausgleichungspflichten gem. §§ 2050 ff. BGB wird dieser Erblasser sich tunlich Gedanken machen. dd) Familienpolitische Interessen

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Nicht immer sind die Interessen des Erblassers nur sachlich bedingt. Auch psychologische Gesichtspunkte spielen bei der Testamentsgestaltung eine Rolle. Die Motive können dabei im Ansatz durchaus wohlmeinend sein, z.B. die Intention des Erblassers, durch eine gemeinsame Erbeinsetzung bisher zerstrittene oder wenig Kontakt pflegende Familienangehörige wieder zusammenzubringen. Aber auch weniger wohlmeinende Intentionen spielen mitunter eine Rolle. Zum Beispiel der aus der Frustration über die bevorstehende Beendigung des eigenen Daseins geborene Wille, den Erben durch entsprechende Reglementierungen im Testament über den eigenen Tod hinaus noch „hineinzuregieren“ oder Streit innerhalb der Erbengemeinschaft durch deren Zusammensetzung ebenso wie durch einschränkende bzw. unklare Bestimmungen im Testament geradezu vorzuprogrammieren. Dieser Erblasser wird sein Testament häufig ohne rechtlichen Rat erstellt haben. ee) Unkenntnis oder Interessenlosigkeit

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Es darf bei allem nicht vergessen werden, dass der weitaus größte Teil der Bundesbürger, nämlich ca. 71 %, gar kein Testament oder eine sonstige letztwillige Verfügung errichtet hat1. Nur in den seltensten Fällen dürfte dies aufgrund eingehender Befassung mit der Materie und der Schlussfolgerung, mit der gesetzlichen Erbfolge und ihren Konsequenzen 100%ig einverstanden zu sein, erfolgt sein. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die weitaus meisten Erbengemeinschaften deshalb zustande kommen, weil der Erblasser, der mehrere gesetzliche Erben hat, sich über seine Vermögensnachfolge entweder gar keine Gedanken gemacht hat, sich hinsichtlich seiner gesetzlichen Erben im Irrtum befand oder das Schicksal seines Vermögens nach seinem Tode ihm egal war, insbesondere weil er keine näheren Angehörigen aufwies. Gerade in den letztgenannten Fällen kommt es dann jedoch häufig zu Erbengemeinschaften, die sich aus einer größeren Zahl von Miterben mit häufig sehr unterschiedlichen Anteilen zusammensetzen. Auch die Erbenermittlung erweist sich in diesen Fällen mitunter als schwierig. 1 Laut EMNID-Umfrage aus 2007, in Auftrag gegeben vom Deutschen Forum für Erbrecht e.V., München. 1274

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Rz. 14

b) Typische Interessen einzelner Miterben Da die Mitglieder einer Erbengemeinschaft sich, anders als bspw. bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB), nicht willentlich zur Verfolgung eines gemeinschaftlichen Zweckes zusammenschließen, sondern als „Zufallsgemeinschaft“ miteinander verbunden sind, treffen innerhalb der Erbengemeinschaft u.U. äußerst konträre wirtschaftliche, aber auch persönliche Interessen aufeinander, welche der beratende Anwalt erkennen und für seinen jeweiligen Mandanten vertreten muss, keinesfalls aber moralisch bewerten sollte. Die wirtschaftliche Interessenlage jedes einzelnen Miterben ist dabei naturgemäß zumeist bestimmt durch seine persönliche finanzielle Situation, die häufig auch alters- bzw. generationenabhängig ist: Die jugendlichen Kinder des Erblassers werden typischerweise eher an einer raschen Aufteilung des Nachlassvermögens interessiert sein als die wohl situierte Ehefrau oder die Eltern des Erblassers. Gerade in innerfamiliären Konstellationen ist die Interessenlage einzelner Miterben indessen häufig auch durch emotionale Gesichtspunkte geprägt; darüber darf man sich als beratender/vertretender Anwalt keine Illusionen machen. Die rechtliche Auseinandersetzung ist in diesen Fällen häufig ein Projektionsfeld für persönliche Streitigkeiten und irrationale Motive, die ihren Ursprung ganz woanders haben.

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Als gemeinsamer Nenner für die meisten Interessengegensätze innerhalb einer Erbengemeinschaft lässt sich die Rollenverteilung zwischen dem aktiven und dem passiven Miterben bzw. das unterschiedliche Bemühen um die Bewahrung versus Auseinandersetzung ermitteln, auf welche auch die Einzelnen im Folgenden aufgeführten Interessen jeweils rückführbar sind.

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aa) Rasche wirtschaftliche Verwertung/Aufteilung des Nachlasses Dieser Mandant ist typischerweise wirtschaftlich eher bedürftig; sein Anteil am Nachlassvermögen verändert seine wirtschaftliche und persönliche Lebenssituation erheblich. Er gehört eher der Kindergeneration als der Eltern- oder Geschwistergeneration an. Möglicherweise ist diesem Mandanten aber auch die weitere Auseinandersetzung mit seinen Miterben, sei es aus persönlichen oder moralischen Gründen, unangenehm; er möchte durch eine zeitnahe Auseinandersetzung möglichst bald nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Dieser Mandant wird zwangsläufig die aktive Rolle innerhalb der Erbengemeinschaft übernehmen und im Interesse einer baldigen Auflösung der Erbengemeinschaft auch einzelne Nachteile in Kauf nehmen.

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bb) Maximierung der Entnahmen Dieser Mandant ist erst recht in einer finanziell bedürftigen Situation. Um seinen Lebensunterhalt bestreiten oder seine Wünsche realisieren zu können, genügt es nicht, die – u.U. aufgeschobene – abschließende Auseinandersetzung des Nachlasses abzuwarten, sondern das Interesse dieses Miterben ist auf maximale Vorabausschüttungen durch Teilauseinandersetzung und/oder Teilung des jährlichen Reinertrages (§ 2038 Abs. 2 S. 3 BGB) gerichtet. Auch dieser Miterbe nimmt die aktive Rolle innerhalb der Miterbengemeinschaft ein.

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cc) Bewahrung des Nachlassvermögens als Einheit 15

Dieser Mandant ist an „schnellem Geld“ nicht interessiert. Meist ist er anderweitig finanziell ausreichend abgesichert. Dies erlaubt ihm, die wirtschaftliche Situation des Nachlassvermögens in einer langfristigen Perspektive zu betrachten. Darin erkennt er, dass die Bewahrung des Nachlassvermögens als Einheit, insbesondere bei Unternehmen, Grundvermögen etc., längerfristig einen höheren wirtschaftlichen Ertrag bietet als eine kurzfristige Zerschlagung wirtschaftlicher Einheiten durch Auseinandersetzung des Nachlasses. Indessen ist im Einzelfall auch möglich, dass dieser Miterbe als Mandant unabhängig von der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit der Bewahrung des Nachlassvermögens als Einheit rein aus ideellen Gründen handelt, bspw. im Andenken an den Erblasser dessen Gesamtlebenswerk nicht in einzelne Einheiten aufzuteilen.

15a

Dieser Miterbe wird daran interessiert sein, im Rahmen der durch den Erblasser und das Gesetz vorgegebenen Schranken die Aufteilung des Nachlasses möglichst weit hinauszuschieben. Sofern er auf Miterben mit konträrer Interessenlage (vgl. oben Rz. 13) trifft, wird er grundsätzlich die passive Rolle innerhalb der Erbengemeinschaft einnehmen, aber aktiv intervenieren, soweit andere Miterben ihrerseits Schritte zur Auseinandersetzung des Nachlasses ergreifen. dd) Thesaurierung bzw. Reinvestition der Erträge

16

Die Interessenlage des Mandanten ist hier grundsätzlich gleich gelagert wie zuvor Rz. 15 f. Auch dieser Mandant ist finanziell nicht darauf angewiesen und nicht daran interessiert, bei einer längerfristig ausgeschlossenen Auseinandersetzung die Erträge des Nachlassvermögens auszuschütten, geschweige denn durch eine Teilauseinandersetzung vorzeitig Liquidität für die Miterben zu schöpfen. Aus seiner langfristig ausgerichteten Perspektive ist dieser Miterbe vielmehr daran interessiert, etwaige Erträge des Nachlasses zu reinvestieren bzw. im Hinblick auf künftige Investitionen zurückzustellen, um den Nachlass als wirtschaftliche Einheit zu stärken. Er denkt dabei häufig auch generationenübergreifend und in der Konstellation Vorerbschaft/Nacherbschaft eher altruistisch i.S. der Nacherben.

16a

Dieser Miterbe wird sich gegenüber dem Verlangen des/der übrigen Miterben auf Teilauseinandersetzung eher passiv verhalten, um dieses zu verhindern. Um bei längerfristig ausgeschlossener Auseinandersetzung das Individualrecht der übrigen Miterben auf Teilung des Reinertrages i.S.d. § 2038 Abs. 2 S. 3 BGB zu verhindern, muss er indessen aktiv werden, indem er Beschlüsse über Investitionen etc. herbeiführt. ee) „Aushungern“ wirtschaftlich weniger begüterter Miterben

17

Dieses Interesse eines oder mehrerer Miterben geht häufig mit der Interessenlage Rz. 15 f. und 16 f. einher. Durch die Strategie des „Aussitzens“ soll erreicht werden, dass der wirtschaftlich schwächere Miterbe letztendlich einer Auseinandersetzungsvereinbarung zu den Bedingungen des/der wirtschaftlich stärkeren Miterben zustimmt, häufig in Form seines Ausscheidens gegen eine (disproportional niedrige) Abfindung (s. dazu noch Rz. 111 ff.).

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Rz. 19

Unter dem Eindruck der ihm von den wirtschaftlich stärkeren Miterben vorgegebenen Perspektive eines langfristig ertraglosen Verbundenseins innerhalb der Erbengemeinschaft wird der eine oder andere Miterbe häufig auch ohne wirtschaftliche Not die Lust verlieren und sich zu einer für ihn nachteiligen Auseinandersetzungsvereinbarung bereit finden. Der hier dargestellte Miterbe als Mandant wird typischerweise eine Doppelstrategie von „Zuckerbrot und Peitsche“ wählen, indem er einerseits jeglichem Versuch des wirtschaftlich schwächeren Miterben, den Nachlass auseinander zu setzen (insbesondere vorzeitig und teilweise) und die Erträge des Nachlasses zu teilen, entgegentritt und die Auseinandersetzung darum möglichst aufwändig gestaltet, andererseits zugleich dem wirtschaftlich schwächeren Miterben eine schnelle Lösung bei Zustandekommen einer Auseinandersetzungsvereinbarung zu seinen Bedingungen in Aussicht stellt.

17a

ff) Aktive Verwaltung/persönliche Profilierung Keineswegs zu unterschätzen sind diejenigen Fälle, in denen einer der Miterben sich ohne weiter gehende wirtschaftliche Interessen im Umgang mit dem Nachlassvermögen allein im Andenken an den Erblasser, aber auch vor den übrigen Miterben, insbesondere als Familienangehörigen, durch eine aktive Verwaltungstätigkeit persönlich profilieren möchte und dabei nicht selten die rechtlichen Rahmenbedingungen der Verwaltung innerhalb der Erbengemeinschaft unbeachtet lässt. Dies beginnt bei der faktischen Inbesitznahme der Nachlassgegenstände und setzt sich in weiterem eigenmächtigen Handeln fort.

18

Soweit die Interessenlage dieses Mandanten nicht wirtschaftlich geprägt ist, gestaltet sich die Vertretung häufig schwierig. Mitunter verknüpft der betreffende Miterbe mit seinem grenzüberschreitenden aktiven Handeln – gespeist aus der persönlichen Vorstellung eines besonderen moralischen Vorrechts gegenüber den übrigen Miterben – auch durchaus konkrete wirtschaftliche Interessen, die er im Hinblick auf die „normative Kraft des Faktischen“ durch sein Tun gezielt herbeiführen will. Typisches Beispiel: Ein Miterbe bezieht das Privathaus des Erblassers und richtet sich dort wohnlich ein; er setzt dabei darauf, dass die übrigen Miterben kein eigenes Interesse an einer (Mit-)Nutzung haben und auch keine Verwaltungsbeschlüsse über eine Fremdnutzung fassen werden, so dass er im Ergebnis zur unentgeltlichen Alleinnutzung gelangt (s. dazu im Einzelnen noch Rz. 263 f.).

18a

gg) Desinteresse, Blockade von Entscheidungen Der durch eine derartige Interessenlage geprägte Typus eines Miterben ist möglicherweise am schwierigsten zu erfassen. Soweit er überhaupt einmal rechtlichen Rat bzw. anwaltliche Vertretung in Anspruch nehmen sollte, dürfte sich die Zusammenarbeit als kompliziert und häufig unerquicklich erweisen, da die Haltung dieses Miterben destruktiv, bestenfalls passiv ausgerichtet ist, ohne dass damit eine konkrete Zielsetzung oder Strategie verbunden wären. Der beratende/vertretende Anwalt ist in diesen Fällen darauf angewiesen, eigene Lösungskonzepte für den Mandanten zu entwickeln und diesen sowie die übrigen Miterben davon zu überzeugen.

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Rz. 20

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hh) Austragung von Familienstreitigkeiten 20

Wie bereits angeführt (Rz. 11), werden die sachlich-rechtlichen Fragen innerhalb der Erbengemeinschaft nicht selten überlagert oder sogar instrumentalisiert, um persönliche (Familien-)Streitigkeiten auszutragen, die naturgemäß ganz andere Ursachen haben. Typische Konstellationen, in denen derartige Interessenlagen geradezu vorprogrammiert erscheinen, sind u.a. das Zusammentreffen von Kindern aus der ersten Ehe des Erblassers mit dem zweiten Ehegatten oder der Lebensgefährtin, das Zusammentreffen von Stiefgeschwistern oder bereits verfeindeten Geschwistern u.Ä.

20a

Der mit dieser Interessenlage seines Mandanten befasste Anwalt wird gut daran tun, gedanklich zunächst die sachlichen Interessen seines Mandanten von den persönlichen sorgfältig zu trennen; auf diese Weise wird er sich schnell darüber im Klaren sein, dass es mit einer sachlich interessegerechten Lösung der anstehenden Rechtsfragen für seinen Mandanten nicht getan ist, dieser vielmehr häufig gar nicht an einer Lösung interessiert sein wird, weil ihm dies die Möglichkeit nimmt, seine persönlich motivierten Streitigkeiten mit den übrigen Miterben weiter auszutragen. Die Kunst besteht in diesen Fällen darin, die persönlich motivierte Konfliktwilligkeit des Mandanten im Ergebnis gleichwohl auf eine für ihn interessegerechte Lösung hinzuführen, ohne seine emotional begründete Streitlust zu vernachlässigen oder gar zu unterschätzen. In manchen Fällen, insbesondere wenn die Streitwilligkeit des Mandanten zu der wirtschaftlichen Relevanz in keiner vernünftigen Relation steht, sollte der mit der Angelegenheit befasste Anwalt indessen auch die Grenzen seiner eigenen beruflichen Kompetenz erkennen. Eine Ablehnung bzw. Niederlegung des Mandats wird dann u.U. die Folge sein müssen. c) Typische Interessen der Gläubiger

21

Auch die Interessen der Nachlassgläubiger können wegen ihrer praktischen Relevanz nicht unberücksichtigt bleiben, zumal der historische Gesetzgeber diesen bei der Ausgestaltung der Regelungen über die Erbengemeinschaft, etwa der Surrogationsvorschrift des § 2041 BGB1, sogar vorrangig sein Augenmerk gewidmet hat2 (wodurch einige Probleme und gesetzgeberische Unzulänglichkeiten für die Regelung der Rechtsbeziehungen unter den Miterben entstanden sind).

22

Erhaltung des Nachlasses als wirtschaftliches Zugriffsobjekt: Der Nachlassgläubiger ist zwangsläufig daran interessiert, dass der Nachlass nicht unter die einzelnen Miterben verteilt wird, bevor seine Forderung daraus beglichen worden ist, wie es das Gesetz in § 2046 BGB vorsieht, damit ihm der Nachlass als wirtschaftliches Zugriffsobjekt nicht durch die Aufteilung auf die einzelnen Miterben entzogen und dort möglicherweise in seinen Teilen verbraucht wird. Sollte dies dennoch geschehen, ist der Nachlassgläubiger daran interessiert, die gesamtschuldnerische Haftung der Miterben entgegen den in § 2060 BGB geregelten Fällen aufrechtzuerhalten. Überdies ist der Nachlassgläubiger aber auch daran interessiert, dass der Nachlass vor Teilung durch ordnungsmäßige Verwaltung in seiner Substanz erhalten oder sogar vermehrt wird, um die Realisierbar1 BGH v. 30.10.1989 – IX ZR 126/85, NJW 1987, 434 (435). 2 Vgl. Protokolle V, 835 f. 1278

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Rz. 27

keit seiner Forderung weiterhin zu gewährleisten oder sogar teilweise erst herzustellen. Zunächst gleich gelagert sind auch die Interessen des persönlichen Gläubigers eines Miterben. Gar nicht einmal so selten anzutreffen sind insbesondere diejenigen Fälle, in denen ein ansonsten bereits unpfändbarer Schuldner erst durch eine Erbschaft wieder zu einem aussichtsreichen Vollstreckungssubjekt wird. Allerdings wird der persönliche Gläubiger eines Miterben, da er in den ungeteilten Nachlass nicht vollstrecken kann, eher an einer raschen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft interessiert sein, die zudem nicht zu einer für seinen Schuldner ungünstigen Verteilung des Nachlassvermögens führen darf, um ihm dann den Vollstreckungszugriff und die Realisierung seiner Forderung zu ermöglichen. Da eine Pfändung des Auseinandersetzungsguthabens im Vorwege rechtlich nicht zulässig ist1, ist die für den persönlichen Gläubiger eines der Miterben gegebene Vollstreckungsmaßnahme die Pfändung des betreffenden Erbteils (s. dazu noch Rz. 360 ff.).

23

d) Typische Interessen der Nachlassschuldner Sieht man einmal von dem möglichen Interesse eines Schuldners ab, von einer Inanspruchnahme überhaupt verschont zu bleiben, so ergibt sich als besonderes Interesse des Nachlassschuldners in den Fällen einer Erbengemeinschaft lediglich dasjenige, nicht durch Mehrfachinanspruchnahme von Seiten einzelner Miterben der Gefahr einer Doppelzahlung zu unterliegen, sondern entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 2039 BGB nur einmal, nämlich an alle Erben gemeinschaftlich zu leisten.

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3. Typische Streitkomplexe Die nachstehende Aufzählung erfasst selbstverständlich nicht sämtliche Konfliktfelder, die im Zusammenhang mit einer Erbengemeinschaft bestehen können; sie reduziert sich vielmehr auf diejenigen Konfliktpunkte, die nach ihrer Häufigkeit in der Praxis die größte Relevanz aufweisen.

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a) Teilung des Nachlasses Da die Auflösung der Erbengemeinschaft vom Gesetzgeber in jedem Fall vorgesehen ist (vgl. § 2044 Abs. 2 BGB), stellt sich das Problem der Teilung – früher oder später – für jede Erbengemeinschaft. Nur in den seltensten Fällen wird der Erblasser durch entsprechende Teilungsanordnungen die Aufteilung seines Nachlasses so vollständig und präzise angegeben haben, dass jedem Streit darüber von vornherein der Boden entzogen ist.

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Teilung oder nicht: Der Streit zwischen den Miterben beginnt in der Praxis häufig bereits bei der Frage, ob eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft – jedenfalls zum gegebenen Zeitpunkt bereits – zulässig ist oder nicht. Häufig entzündet sich der Streit aber auch an dem von einem der Miterben vorgelegten konkreten Teilungsplan, welchem die anderen Miterben ihre Zustimmung versagen und da-

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1 RG v. 9.2.1905 – Rep. IV 423/04, RGZ 60, 126 (132); KG v. 20.2.1906, OLGE 12, 373 (374). v. Morgen

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Rz. 28

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mit im Ergebnis das Gleiche bewirken wollen, sofern sie nicht selbst einen abweichenden Teilungsplan vorlegen. Auch über die nicht wenigen, aber teilweise auslegungsbedürftigen gesetzlichen und ggf. auch testamentarischen Bestimmungen über die Ausschließung der Auseinandersetzung und deren Grenzen kommt es zwischen den Miterben – bei gegensätzlicher Interessenlage – häufig zum Streit. Durch die Schwerfälligkeit der gesetzlichen Regelungen über den Auseinandersetzungsvorgang ist in den einzelnen Etappen genügend Streitpotenzial vorgegeben. 28

Teilungsversteigerung: Obwohl es sich hierbei – entgegen landläufiger Meinung – noch gar nicht um die Auseinandersetzung, sondern lediglich um deren Vorbereitung handelt1 und dem in den meisten Fällen rechtlich im Ergebnis wenig entgegenzusetzen ist (vgl. noch Rz. 147 ff.), entzündet sich an diesem Punkt in der Praxis der größte Streit, was emotional durchaus nachvollziehbar ist. Häufig befinden sich im Nachlass das private Wohnhaus oder die Eigentumswohnung des Erblassers. Wenn dann etwa die Kinder des Erblassers aus erster Ehe dessen zweite Ehefrau daraus vertreiben, indem sie zwecks Vorbereitung der Auseinandersetzung die Teilungsversteigerung gem. §§ 180 ff. ZVG einleiten, setzt sich die Witwe hiergegen verständlicherweise mit allen Mitteln zur Wehr, im Ergebnis allerdings zumeist erfolglos. Nach einer derartigen Teilungsversteigerung ist dann vielfach eine derartige Verhärtung der Fronten eingetreten, dass eine Einigung über den Restnachlass kaum noch möglich erscheint.

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Verteilung der einzelnen Nachlassgegenstände: Nur in den geringsten Fällen wird der Nachlass komplett in Natur teilbar sein. Auch die ansonsten eingreifende gesetzliche Regelung, wonach unteilbare Nachlassgegenstände mangels anderweitiger Einigung zu veräußern sind (§§ 753, 754 BGB i.V.m. § 2042 Abs. 2 BGB), dürfte in den meisten Fällen bestenfalls ultima ratio sein und hat im Übrigen verfahrensmäßig u.U. auch einen langen Vorlauf. Wenn der Erblasser zudem auch noch missverständliche Teilungsanordnungen (oder Vorausvermächtnisse; zur Abgrenzung noch Rz. 197 f.) angeordnet hat oder – im Falle gesetzlicher Erbfolge – unter Abkömmlingen ausgleichungspflichtige lebzeitige Zuwendungen in Frage kommen (§§ 2050 ff. BGB), ist Streit vorprogrammiert. Dieser setzt in der Praxis indessen häufig noch vorher ein, nämlich bereits bei der Frage der Zusammensetzung des Nachlasses, also seines Bestandes. Gerade wenn einer der Miterben ein größeres Näheverhältnis zum Erblasser hatte als der andere/die anderen, als Bevollmächtigter des Erblassers – u.U. sogar über den Tod hinaus – gehandelt oder sogar nach dem Erbfall ohne entsprechende Vollmacht eigenmächtig die Wohnung des Erblassers „aufgeräumt“ oder Nachlassgegenstände an sich genommen hat, ist das Misstrauen der übrigen Miterben meist derartig ausgeprägt, dass bereits über die Zusammensetzung des Nachlasses keine Einigkeit erzielbar ist. b) Maßnahmen der Verwaltung

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Solange die Erbengemeinschaft nicht auseinander gesetzt ist – und dieser Zeitraum kann durchaus eine Generation umfassen –, sind die Miterben i.S. einer „Notgemeinschaft“ bei der Handhabung des gemeinsamen Nachlassvermögens aufeinander angewiesen. Die Vorstellungen darüber gehen aber – entsprechend der unterschiedlichen Interessenlage (s. Rz. 11 ff.) – häufig eklatant auseinander. 1 RG v. 9.11.1907 – Rep. V 154/07, RGZ 67, 61 (64); OLG Breslau v. 30.1.1911, OLGE 25, 269; OLG Köln v. 17.1.1958 – 6 W 149/57, MDR 1958, 517. 1280

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Rz. 34

Nutzung einzelner Nachlassgegenstände und finanzieller Ausgleich: Wie an anderer Stelle im Einzelnen noch auszuführen sein wird, ist der durch sein Handeln Fakten schaffende Miterbe bei der Nutzung der Nachlassgegenstände tendenziell im Vorteil (vgl. noch Rz. 263 f.), bspw. die das Einfamilienhaus des Erblassers allein bewohnende Ehefrau gegenüber den nicht ortsansässigen Kindern, welche zumindest bis zur Teilungsversteigerung des Wohnhauses zumeist keine Nutzungsentschädigung beanspruchen können, was für rechtliche Laien selten nachvollziehbar ist. Streitpotenzial entsteht jedoch auch dann, wenn mehrere Miterben die Nutzung selbst wahrnehmen wollen, bspw. der „missratene“ Sohn des Erblassers aus erster Ehe nach dem Erbfall beschließt, mit in die Drei-Zimmer-Eigentumswohnung des Erblassers zu ziehen, welche von dessen Ehefrau aus zweiter Ehe und Witwe bewohnt wird.

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Ertragsteilung, Kostenteilung und Investitionen: Insbesondere wenn im Nachlass umfangreiches vermietetes Grundvermögen, ein Unternehmen oder ein ähnlich umfangreicher und komplexer Vermögenswert vorhanden ist, liefert die Handhabung dieses gemeinschaftlichen Vermögenswertes nahezu unbegrenzten Streitstoff. Neuralgische Punkte sind dabei, insbesondere bei längerfristigem Auseinandersetzungsausschluss, der Anspruch jedes Miterben auf Teilung des jährlichen Reinertrages i.S.d. § 2038 Abs. 2 S. 3 BGB, wobei der Streit nicht selten bereits bei der Ermittlung des Reinertrages ansetzt, die Heranziehung der Miterben zu den Kosten der Verwaltung sowie die Frage der Vornahme von Reparaturen und Investitionen. Auch hier wiederum liefern die gesetzlich vorgesehenen Regularien in der Praxis mehr Konfliktauslöser, als dass sie zur Vereinfachung beitragen.

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c) Ausscheiden eines Miterben Der aus der gesamthänderischen Bindung resultierenden mangelnden Fungibilität in Bezug auf die einzelnen Nachlassgegenstände setzt das Gesetz mit der Vorschrift des § 2033 Abs. 1 BGB zugunsten des einzelnen Miterben die rechtliche Fungibilität seines gesamten Anteils am Nachlass entgegen. Um aber wiederum dem beliebigen Eindringen fremder Dritter in die Erbengemeinschaft ein Korrektiv entgegenzusetzen, steht den übrigen Miterben ein Vorkaufsrecht zu (§§ 2034 ff. BGB). Obwohl diese gesetzliche Regelung abstrakt gesehen durchaus ausgewogen erscheint, führt eine Veräußerungssituation in der Praxis dennoch häufig zu Konflikten. Diese begründen sich zum einen typischerweise aus Versuchen einer Umgehung des Vorkaufsrechts durch anderweitige Vertragsgestaltungen, andererseits aber auch aus dem Abrechnungsverhältnis mit dem Erbteilskäufer. Schließlich führt das Hinzutreten eines fremden Dritten, wenn die Miterben ihr Vorkaufsrecht nicht ausgeübt haben, häufig mittelbar zu Auseinandersetzungen, weil der hinzutretende Dritte ganz andere Interessen vertritt als die übrigen Mitglieder der bis dahin möglicherweise einvernehmlichen Erbengemeinschaft.

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d) Prozesse für und gegen den Nachlass Trotz der Vorschrift des § 2039 BGB besteht bei Aktivprozessen sowie sonstigen, insbesondere rechtsgestaltenden rechtserheblichen Handlungen für den Nachlass häufig das Problem der Abgrenzung, wie weit die gesetzliche Ermächtigung eines der Miterben, „pro socio“ zu handeln, geht und wer im Misserfolgsfall die v. Morgen

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Rz. 34a

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Kosten zu tragen hat. Dieses Problem wird insbesondere dann akut, wenn intern innerhalb der Erbengemeinschaft keine Einigkeit über das Vorgehen besteht. 34a

Letzteres gilt in größerem Maße noch für die Konstellation eines Passivprozesses der Erbengemeinschaft. Auch insoweit entzündet sich häufig interner Streit über die Berechtigung der gegen den Nachlass gerichteten Forderung und Fragen der Rechtsverteidigung. Erst recht gilt dies, wenn der Gläubiger im Wege der sog. Gesamtschuldklage gem. § 2058 BGB nur einen der Miterben aufs Ganze verklagt und dieser dann die Übrigen im Innenausgleich auf ihren jeweiligen Anteil in Anspruch nimmt (s. dazu noch Rz. 285 ff.).

II. Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, Nachlassteilung 35

Im Regelfall der Erbengemeinschaft steht deren Auflösung durch Abwicklung des Nachlasses und Verteilung des Überschusses auf die Miterben im Vordergrund. Dazu gehören die Bereinigung der Nachlassverbindlichkeiten und die Aufteilung des verbleibenden Aktivnachlasses unter den Miterben entsprechend den Vorgaben des Erblassers und des Gesetzes in §§ 2042 ff. BGB, ggf. nach vorangegangener Versilberung einzelner Nachlassgegenstände. Rechtstechnisch erfolgt diese Abwicklung, außer im Falle einer über den gesamten Nachlass angeordneten Testamentsvollstreckung (§ 2204 BGB), durch vertragliche Vereinbarung zwischen den Miterben; die Willenserklärung (Zustimmung) einzelner Miterben ist ggf. gerichtlich zu erzwingen. Dabei ist rechtlich zu differenzieren: Bei dem Auseinandersetzungsvertrag handelt es sich zunächst nur um das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft, den Nachlass in einer bestimmten Weise auf die Miterben zu verteilen. Dieser Auseinandersetzungsvertrag bedarf dann noch des dinglichen Vollzuges in Gestalt der Nachlassteilung, welche mit dinglicher Wirkung das jeweilige Gesamthandsrecht in eine Alleinberechtigung des betreffenden Miterben überführt1. 1. Grundsatz: Recht auf jederzeitige Auseinandersetzung

Beratungssituation: Der Mandant ist Mitglied einer Erbengemeinschaft (bzw. Testamentsvollstrecker, Pfändungspfandgläubiger, Nießbraucher oder Erwerber eines Erbteils). Er möchte wissen, ob und wie er am besten die Auseinandersetzung herbeiführen kann. 36

Eine zentrale Bedeutung für das Recht der Erbengemeinschaft hat die Vorschrift des § 2042 Abs. 1 BGB, wonach jeder Miterbe grundsätzlich jederzeit die Auseinandersetzung verlangen kann. a) Anspruchsberechtigte

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Der Wortlaut des § 2042 Abs. 1 BGB ist zwar auf die Miterben beschränkt; das Recht eines jederzeitigen Auseinandersetzungsverlangens ist jedoch von Rechtsprechung und Literatur entsprechend dem Sinn und Zweck weiterer Vorschrif1 S. zur Abgrenzung insbesondere Lange/Kuchinke, S. 1186 ff.; Ebeling/Geck, Rz. 571; BGH v. 28.6.1965 – III ZR 10/64, WM 1965, 1155 (1156), zur Auseinandersetzung eines im Nachlass befindlichen Handelsgeschäftes. 1282

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Erbengemeinschaft

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Rz. 44

ten über die Miterbengemeinschaft auch auf andere Beteiligte ausgedehnt worden. Anderenfalls würde nicht zuletzt auch die ohnehin stark beschränkte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des einzelnen Miterben zusätzlich eingeschränkt. So wäre es bspw. für einen veräußerungswilligen Miterben schwerlich möglich, einen Erbteilskäufer zu angemessenen Bedingungen zu finden, wenn diesem nicht auch das Recht des Miterben auf Auseinandersetzung zugebilligt würde1. Im Einzelnen steht danach folgenden Beteiligten das Recht auf Auseinandersetzung zu: – Jedem Miterben, und zwar unabhängig von der Größe seines Anteils, vorbehaltlich der hier folgenden Einschränkungen im Falle einzelner Verfügungen über seinen Erbteil.

38

– Dem Erbteilserwerber gem. § 2033 Abs. 1 BGB2.

39

– Dem (Vertrags-)Pfandgläubiger, allerdings erst nach Eintritt der Pfandreife (Verkaufsreife) nach Maßgabe der §§ 1258 Abs. 2, 1228 Abs. 2, 1273 Abs. 2 BGB3. Bis zum Eintritt der Pfandreife kann der (Vertrags-)Pfandgläubiger die Auseinandersetzung nur gemeinsam mit dem Miterben verlangen, §§ 1228 Abs. 2, 1273 Abs. 2 BGB.

40

– Dem Pfändungspfandgläubiger, der den Anteil des Miterben am Nachlass gem. §§ 859, 857 ZPO hat pfänden lassen. Nach h.M. gilt über § 804 Abs. 2 ZPO nicht nur § 1276 BGB, sondern auch § 1258 Abs. 1 BGB für den Pfändungspfandgläubiger analog, nicht jedoch § 1258 Abs. 2–4 BGB, so dass der Pfändungspfandgläubiger schon mit der Pfändung4 unabhängig von dem Willen des betreffenden Miterben allein die Auseinandersetzung betreiben kann5. Der betreffende Miterbe ist nach Pfändung und Überweisung seines Miterbenanteils zugunsten des Pfändungspfandgläubigers dementsprechend nicht mehr an der Auseinandersetzung beteiligt6. Soweit der Anteil nur gepfändet ist, steht dem betreffenden Miterben jedenfalls nicht mehr das Recht zu, Nachlassgegenstände zum Zwecke der Auseinandersetzung versteigern zu lassen7.

41

– Dem Nießbraucher nur gemeinsam mit dem Erben bzw. im Falle des § 2033 BGB dem Anteilserwerber, vgl. § 1066 Abs. 2 BGB.

42

– Dem für einen Erbteil eingesetzten Testamentsvollstrecker anstelle des betreffenden Miterben, wie sich aus § 2204 BGB ergibt8.

43

– Dem Abwesenheitspfleger für einen bekannten Erben9, nicht jedoch dem für den Gesamtnachlass eingesetzten Nachlasspfleger10.

44

1 S. auch Ebeling/Geck, Rz. 407. 2 KG v. 19.7.1906, OLGE 14, 154. 3 RG v. 9.2.1905 – Rep. IV 423/04, RGZ 60, 126 (130); RG v. 25.4.1914 – Rep. V 115/14, RGZ 84, 395 (396). 4 Thomas/Putzo, § 859 ZPO Rz. 9. 5 Soergel/Habersack, § 1258 Rz. 4; Thomas/Putzo, § 859 ZPO Rz. 9; RG v. 1.4.1919 – Rep. II 227/18, RGZ 95, 231 (232). 6 Staudinger/Werner, § 2042 Rz. 37; MüKo.BGB/Ann, § 2042 Rz. 6. 7 OLG Hamburg v. 28.10.1957 – 6 W 221/57, MDR 1958, 45. 8 RG v. 14.10.1905 – Rep. V 90/05, RGZ 61, 355 (358); KG v. 9.7.1904 – 1. J 717/04, KGJ 28, A16; KG v. 9.7.1904, OLGE 10, 313 (314). 9 Lange/Kuchinke, S. 1138; MüKo.BGB/Ann, § 2042 Rz. 6. 10 RG v. 24.2.1937 – Rep. V 168/36, RGZ 154, 110 (114); Lange/Kuchinke, S. 1138. v. Morgen

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C IV

Rz. 45

Erbengemeinschaft

45

– Dem Nacherben steht kein selbstständiger Anspruch, die Auseinandersetzung zu betreiben, zu1. Allerdings billigt ihm die h.M. ein Recht auf Hinzuziehung zum Auseinandersetzungsverfahren zumindest in denjenigen Fällen zu, in denen der Vorerbe im Rahmen der Auseinandersetzung Verfügungen i.S.d. §§ 2113, 2114 BGB bezüglich Grundstücken, Grundstücksrechten, Hypothekenforderungen, Grund- und Rentenschulden trifft2.

46

– Nicht befugt, ein Auseinandersetzungsverlangen zu stellen, ist ferner der Nachlassgläubiger3, sofern er nicht aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung (§ 2058 BGB) einen Titel gegen einen Miterben erworben hat und aufgrund dessen die Pfändung in den betreffenden Erbanteil betreibt (vgl. Rz. 41). b) Anspruchsschuldner

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Der Anspruch auf Auseinandersetzung ist gegen die übrigen Miterben gerichtet4, nicht gegen den Nachlass als solchen, so dass insoweit auch kein Nachlasspfleger i.S.d. § 1961 BGB bestellt werden kann5. Allerdings sind nur diejenigen der übrigen Miterben von dem die Auseinandersetzung Betreibenden in Anspruch zu nehmen, welche die Auseinandersetzung generell oder gem. dem konkret aufgestellten Auseinandersetzungsplan ablehnen6; im Falle einer klagweisen Inanspruchnahme der Übrigen würde es insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlen. c) Anspruchsinhalt

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Der Anspruch richtet sich allgemein auf die Mitwirkung der übrigen Miterben an der Auseinandersetzung entsprechend der Anordnungen des Erblassers (§ 2048 BGB) und der gesetzlichen Vorschriften der §§ 2046 ff., 752 ff. BGB7. Dies beinhaltet auch die notwendigen vorbereitenden Maßnahmen durch Verkauf einzelner Nachlassgegenstände nach den Vorschriften über den Pfandverkauf, bei Grundstücken durch Zwangsversteigerung gem. §§ 180 ff. ZVG (§§ 753, 754 BGB), soweit für die Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten gem. § 2046 Abs. 1 BGB oder für die Aufteilung in Natur nicht teilbarer Gegenstände erforderlich. Der hiernach verbleibende Rest des Aktivnachlasses ist unter den Miterben im Verhältnis der Erbteile zu teilen (§ 2047 BGB), sofern sich nicht nach den Anordnungen des Erblassers und/oder unter Berücksichtigung lebzeitiger Vorausempfänge gem. §§ 2050 ff. BGB eine andere Verteilung ergibt. Unter Berücksichtigung der Rechtsnatur der Auseinandersetzung (vgl. Rz. 35) lässt sich der Inhalt der Mitwirkungspflicht der übrigen Miterben wie folgt untergliedern: – Zustimmung zu vorbereitenden Maßnahmen (Versilberung einzelner Nachlassgegenstände zur Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten oder Herstellung der Teilbarkeit) 1 2 3 4 5 6 7

Lange/Kuchinke, S. 1138; MüKo.BGB/Ann, § 2042 Rz. 6. S. insbesondere Ebeling/Geck, Rz. 407. BayObLG v. 21.12.1928 – Reg. III Nr. 157/1928, BayObLGZ 28, 817 (819). RG v. 30.11.1903 – IV 212/03, JW 1904, 61. KG v. 13.11.1970 – 1 W 7814/70, NJW 1971, 565. Lange/Kuchinke, S. 1203. BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 (232).

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v. Morgen

Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 52

– Zustimmung zum Auseinandersetzungsplan (schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft), einschließlich Verpflichtung zur Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten – Zustimmung zur Erbteilung als Vollzug des Auseinandersetzungsplans (dingliches Rechtsgeschäft), einschließlich Verfügungen zur Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten. 2. Aufschub oder Ausschluss der Erbauseinandersetzung

Beratungssituation: Der Mandant möchte ein Testament zugunsten seiner fünf Kinder, die sich alle noch in einem jugendlichen Alter befinden, errichten. Um sein Lebenswerk zu erhalten und seine Erben vor den Verlockungen einer zu frühen Verfügbarkeit des ererbten Vermögens zu bewahren, möchte er eine Regelung finden, nach der eine Auseinandersetzung des Nachlasses auf möglichst lange Zeit ausgeschlossen ist; die Errichtung einer Stiftung wünscht der Mandant – aus prinzipiellen Erwägungen – nicht. Der grundsätzliche Anspruch jedes Miterben auf Auseinandersetzung gem. § 2042 Abs. 1 BGB wird in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt, jedoch nicht durchbrochen. Denn sämtliche Einschränkungen, die im Folgenden aufgeführt werden, sind letztlich nur temporärer Natur, ändern also an dem Charakter der Erbengemeinschaft als „geborener Liquidationsgesamthand“1 im Ergebnis nichts.

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a) Aufschub oder Ausschluss durch Anordnung des Erblassers Gem. § 2044 Abs. 1 S. 1 kann der Erblasser die Auseinandersetzung ausschließen oder von der Einhaltung einer Kündigungsfrist abhängig machen. Das Gesetz scheint dem Erblasser insoweit eine sehr weitgehende Handhabe i.S.d. Testierfreiheit zu geben, die Erben entsprechend zu binden. Bei näherer Betrachtung, insbesondere der Ausnahmen/Grenzen, ist dies jedoch zu relativieren.

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aa) Form Entsprechend dem Gesetzeswortlaut in § 2044 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Ausschluss der Auseinandersetzung vom Erblasser nur durch letztwillige Verfügung angeordnet werden, also nicht durch privatschriftliche Weisung oder einen in entsprechender Form geäußerten Wunsch. Neben dem Testament kommt insoweit als letztwillige Verfügung auch ein Erbvertrag als vertragsmäßige Verfügung von Todes wegen in Betracht. Letzteres entspricht der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf die Vorschriften der §§ 2278 Abs. 2, 2299 BGB2; die demgegenüber im Schrifttum insoweit vereinzelt vertretene, einschränkende Auffassung3 ist abzulehnen.

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Ein Auseinandersetzungsverbot kann im Übrigen – durch letztwillige Verfügung – auch bei gesetzlicher Erbfolge angeordnet werden4.

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1 2 3 4

Erman/Bayer, § 2042 Rz. 1. Ebeling/Geck, Rz. 426. Kipp/Coing, S. 630. BayObLG v. 14.12.1966 – BReg. 1b Z 75/66, MDR 1967, 306. v. Morgen

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C IV

Rz. 53

Erbengemeinschaft

bb) Möglicher Inhalt bzw. Umfang 53

§ 2044 Abs. 1 S. 1 BGB gewährt dem Erblasser ein Spektrum an Möglichkeiten, auf den Bestand der Erbengemeinschaft Einfluss zu nehmen: – Er hat die Möglichkeit, den Auseinandersetzungsausschluss entweder für den gesamten Nachlass oder aber nur bezüglich einzelner Nachlassgegenstände anzuordnen. Letzteres z.B. für im Nachlass befindlichen vermieteten Grundbesitz. – Es dürfte danach auch zulässig sein, dass der Erblasser eine Auseinandersetzungsbeschränkung nur hinsichtlich einzelner Erbstämme vornimmt1. – Der Erblasser kann den völligen Ausschluss der Erbauseinandersetzung anordnen, als „Minus“ hierzu aber auch lediglich eine Form der Erschwernis der Auseinandersetzung vorsehen. So z.B. die Einschränkung, dass die Auseinandersetzung nur aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses innerhalb der Erbengemeinschaft zulässig ist2. – Ebenso kann der Erblasser den Auseinandersetzungsausschluss generell oder aber nur für eine bestimmte Dauer oder in Abhängigkeit von dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses anordnen. – Schließlich kann der Erblasser kraft ausdrücklicher Bestimmung in § 2044 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB die Zulässigkeit eines Auseinandersetzungsbegehrens von einer Kündigung unter Einhaltung einer bestimmten Frist abhängig machen. Analog der gesellschaftsrechtlichen Regelung in § 723 BGB können sich die übrigen Miterben dann auf die bevorstehende Auseinandersetzung einstellen. cc) Rechtsnatur

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Ein Teilungsverbot in einer letztwilligen Verfügung kann – je nach Auslegung – im Einzelfall rechtlich unterschiedlich zu qualifizieren sein, nämlich3 – als rechtlich nicht bindender Wunsch des Erblassers; – als Vermächtnis (§§ 1939, 2147 ff. BGB), wenn der einzelne Miterbe nicht gegen den Willen der anderen die Auseinandersetzung soll verlangen können4; – als Auflage gem. §§ 1940, 2194 ff. BGB, wenn die Auseinandersetzung auch mit Zustimmung aller Miterben verboten sein soll, mit der Folge, dass bei einem Verstoß durch Konsens aller Miterben dann derjenige, dem der Nachlass bei Wegfall der Erben zugute käme, z.B. ein Ersatzerbe, die Einhaltung der vom Erblasser getroffenen Bestimmung über den Auseinandersetzungsausschluss einfordern kann5; – unter Umständen sogar als bedingte Erbeinsetzung6;

1 2 3 4 5 6

So auch Ebeling/Geck, Rz. 427. Vgl. RG v. 16.3.1925 – IV 118/24, RGZ 110, 270 (273). Vgl. auch Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 222. Vgl. Palandt/Weidlich, § 2044 Rz. 3. Vgl. Ebeling/Geck, Rz. 429. Bengel, ZEV 1995, 178 ff.

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v. Morgen

Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 55a

– der Anordnung nach § 2044 Abs. 1 BGB, um deren rechtliche Qualifikation es dabei geht, kommt hingegen nicht noch eine selbstständige rechtliche Qualität als Instrument einer letztwilligen Verfügung zu1. dd) Grenzen (1) Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Aufhebung der Erbengemeinschaft

Beratungssituation: Der Mandant ist Miterbe eines größeren Vermögens. Im Vorgriff auf den erwarteten Geldsegen hat er über seine Verhältnisse gelebt und sich dadurch erheblich verschuldet. Der Erblasser hat diese Neigung vorausgesehen und daher die Auseinandersetzung seines Nachlasses auf Lebenszeit dieses Miterben testamentarisch ausgeschlossen, so dass nur der Anteil am jährlichen Reinertrag (§ 2038 Abs. 2 S. 3 BGB) zur freien Verfügung bleibt. Nun aber reicht dieser nicht mehr aus, um die Gläubiger des Mandanten auch nur halbwegs zufrieden zu stellen und dessen eigenen Lebensunterhalt zu gewährleisten. Er fragt, ob es nicht angesichts dieser persönlichen Notlage möglich ist, wenigstens Teile des Nachlasses vorzeitig aufzuteilen. Über die Verweisung in § 2044 Abs. 1 S. 2 BGB wird der Auseinandersetzungsausschluss gem. § 749 Abs. 2 und 3 BGB unwirksam, wenn ein wichtiger Grund für die Auseinandersetzung vorliegt. Dies richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls2. Entsprechend den allgemeinen Regeln für Dauerrechtsbeziehungen ist darauf abzustellen, ob ein Festhalten an der Gesamthandsbindung unzumutbar ist3. Aus der hierzu veröffentlichten Judikatur ist, soweit ersichtlich, bisher nur ein Fall bekannt, nämlich eine Verfeindung der Miterben4. Seit der Gesetzesänderung per 1.1.1999 gilt als wichtiger Grund außerdem der Eintritt der Volljährigkeit eines minderjährigen Miterben5.

55

In der Literatur wird ein weiterer Fall genannt, nämlich der Verwertungs- bzw. Nutzungsbedarf hinsichtlich des Nachlasses bei Verheiratung oder Vermögensverfall eines Miterben6. Dieser Geldbedarf eines Miterben allein reicht allerdings dann nicht aus, wenn für die Deckung desselben eine Erbteilsveräußerung genügt7.

55a

1 And. Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 222. 2 OLG Hamburg v. 23.8.1960 – 2 U 56/60, NJW 1961, 610 (611). 3 So auch noch MüKo.BGB/Heldrich (5. Aufl.), § 2044 Rz. 17, unter Verweis auf § 626 Abs. 1 BGB; a.A. MüKo.BGB/Ann (6. Aufl.), § 1044 Rz. 17. 4 LG Düsseldorf v. 20.5.1954 – 3 O 73/54, FamRZ 1955, 303 (304); ablehnend hingegen mit Recht OLG Hamburg v. 23.8.1960 – 2 U 56/60, NJW 1961, 610 (611) hinsichtlich des bloßen Interesses eines Gläubigers, an den ein Erbteil sicherungshalber abgetreten ist, sein darlehensweise gegebenes Geld zurückzuerhalten. Anders jedoch OLG Hamburg in einem nicht veröffentlichten Urteil v. 27.3.2003 – 2 U 17/02, wonach bereits die über mehrere Jahre unterbliebene Auszahlung des Reinertrages als wichtiger Grund ausreichen soll. Diese Auffassung ist indessen abzulehnen, da der betroffene Miterbe durch seinen Individualanspruch aus § 2038 Abs. 2 S. 3 BGB (s. dazu noch Rz. 266 ff.) bereits ausreichend geschützt ist. 5 Vgl. § 1629a Abs. 4 BGB; sowie Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 230. 6 Staudinger/Werner, § 2044 Rz. 12; MüKo.BGB/Ann, § 2044 Rz. 17. 7 Lange/Kuchinke, S. 1142f. v. Morgen

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C IV

Rz. 56

Erbengemeinschaft

56

Überhaupt wird man bei Vorliegen eines wichtigen Grundes entsprechend allgemeiner Grundsätze für Dauerrechtsbeziehungen prüfen müssen, ob der wichtige Grund nicht durch ein milderes Mittel zu beseitigen ist, bei Verfeindung der Miterben bspw. die Bestellung eines Verwalters1. Auch versteht sich von selbst, dass eine Auseinandersetzung des Nachlasses bei Vorliegen eines – anderweitig nicht zu beseitigenden – wichtigen Grundes im Rahmen des auch hier anzuwendenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stets nur insoweit zuzulassen ist, wie es der wichtige Grund erfordert. Ist z.B. einer der Miterben mit 100 000 Euro verschuldet, kann der vom Erblasser angeordnete Ausschluss der Auseinandersetzung eines Nachlasses in Millionenhöhe nur zu dem Teil wirkungslos werden, dessen Auseinandersetzung für den Anteil des betroffenen Miterben diese 100 000 Euro freiwerden lässt, nicht darüber hinaus.

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Ferner werden, gleichfalls entsprechend allgemeiner Grundsätze für Dauerrechtsbeziehungen, im Rahmen der durchzuführenden Zumutbarkeitsprüfung nicht nur die im Testament durch den Auseinandersetzungsausschluss manifestierten Interessen des Erblassers, sondern auch die möglicherweise entgegenstehenden Interessen der übrigen Miterben gegeneinander abzuwägen sein. Dabei werden u.a. Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein wie z.B. etwaige Vermögenseinbußen für die übrigen Miterben durch Zerschlagung einer wirtschaftlichen Einheit sowie die – vom Erblasser bestimmte oder sich aus dem Gesetz ergebende – Restdauer des Auseinandersetzungsausschlusses, die, wenn sie nicht mehr allzu lang ist, ein Abwarten eher zumutbar erscheinen lässt. (2) Zeitablauf

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Gem. § 2044 Abs. 2 S. 1 BGB endet der Auseinandersetzungsausschluss mit Ablauf von 30 Jahren seit dem Eintritt des Erbfalles. Diese Höchstfrist gilt uneingeschränkt für juristische Personen als Erben (§ 2044 Abs. 2 S. 3 BGB). Für natürliche Personen kann sie hingegen überschritten werden, wenn der Erblasser den Teilungsausschluss bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses in der Person eines Miterben angeordnet hat, z.B. der Heirat, des Erreichens eines bestimmten Alters oder des Todes eines bestimmten oder sogar abstrakt des längstlebenden Miterben2. Ferner kann der Auseinandersetzungsausschluss auch bis zum Eintritt der Nacherbschaft (§ 2139 BGB) oder bis zum Anfall eines vom Erblasser ausgesetzten Vermächtnisses (§ 2177 BGB) angeordnet werden, § 2044 Abs. 2 S. 2 BGB. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Dauer des Auseinandersetzungsausschlusses hier von den selbstständigen Höchstbestimmungen für die Nacherbschaft in § 2109 BGB bzw. für den Vermächtnisanfall gem. §§ 2162 f. BGB überlagert wird und im Einzelfall hierdurch verkürzt werden kann. Die Bedingung i.S.d. § 2044 Abs. 2 S. 2 BGB ist dann ausgefallen, da feststeht, dass die Nacherbschaft nicht mehr eintreten bzw. das Vermächtnis nicht mehr anfallen kann. Entsprechend der allgemeinen Grundsätze zu § 158 Abs. 1 BGB3 ist dann von einer endgültigen Wirkungslosigkeit des angeordneten Auseinandersetzungsausschlusses auszugehen. 1 Vgl. Lange/Kuchinke, S. 1142f. 2 MüKo.BGB/Ann, § 2044 Rz. 21; RGRK/Kregel, § 2044 Rz. 8. 3 Vgl. BGH v. 16.10.1974 – VIII ZR 192/73, VersR 1974, 1167 (1168); Palandt/Ellenberger, § 158 Rz. 1. 1288

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v. Morgen

Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 62

Beratungshinweis für den Testator: Es empfiehlt sich eine Synchronisierung der Fristen gem. § 2044 Abs. 2 S. 1 BGB mit denen aus § 2109 Abs. 1 bzw. § 2162 Abs. 1 BGB. Einstweilen frei.

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(3) Tod eines Miterben Über § 2044 Abs. 1 S. 2 BGB gilt auch § 750 BGB analog, wonach bei der Gemeinschaft mit dem Tod eines Teilhabers eine Vereinbarung über den befristeten Auseinandersetzungsausschluss im Zweifel außer Kraft tritt. Diese – widerlegliche – Vermutung wird damit begründet, dass ein Festhalten an der Ausschlussvereinbarung bei dem Tode eines Teilhabers besonders drückend wäre1. Ist der Auseinandersetzungsausschluss nicht nur auf Zeit, sondern ohne Einschränkung auf Dauer vereinbart worden, so findet § 750 BGB keine Anwendung; der Tod eines der Teilhaber kann jedoch dann u.U. als wichtiger Grund für die Aufhebung der Gemeinschaft i.S.d. § 749 Abs. 2 BGB angesehen werden2.

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Ob der (zeitlich befristete) Auseinandersetzungsausschluss in der analogen Anwendung des § 750 BGB nach dem Willen des Erblassers auch nach dem Tod eines Miterben fortgelten soll, ist durch Auslegung zu ermitteln3. Dabei ist m.E. vorrangig zu berücksichtigen, ob der zeitlich befristete Auseinandersetzungsausschluss gerade mit Rücksicht auf die Person des verstorbenen Miterben oder aus anderen Gründen, u.U. sogar mit Rücksicht auf die Person eines anderen Miterben, erfolgte. Setzt sich die Erbengemeinschaft bspw. aus der Ehefrau des Erblassers und den noch minderjährigen Kindern zusammen und ist der Ausschluss der Auseinandersetzung bis zu deren Volljährigkeit angeordnet, so wird davon auszugehen sein, dass mit dem Tod der Ehefrau vor Volljährigkeit der Kinder nach dem Willen des Erblassers der Auseinandersetzungsausschluss nicht unwirksam werden soll. Überhaupt ist bei der Auslegung im Rahmen der analogen Anwendung des § 750 BGB über § 2044 Abs. 1 S. 2 BGB m.E. stets zu berücksichtigen, dass sich die Mitglieder der Erbengemeinschaft, im grundsätzlichen Gegensatz zur Gemeinschaft, von vornherein nicht freiwillig zusammengefunden haben, so dass die Ersetzung eines Mitglieds der Erbengemeinschaft durch dessen Erben nicht prinzipiell so „drückend“ sein kann wie bei der Gemeinschaft; erst recht dann nicht, wenn u.U. die Erben des verstorbenen Mitglieds der Erbengemeinschaft wiederum die übrigen Miterben selbst sein sollten.

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(4) Insolvenz eines Miterben oder Pfändung in seinen Anteil Aus § 84 Abs. 2 InsO ergibt sich, dass ein Auseinandersetzungsverbot in der Insolvenz eines Miterben wirkungslos ist4. Ferner gilt der Auseinandersetzungsausschluss auch nicht gegenüber einem Pfändungspfandgläubiger, der aufgrund eines – nicht nur vorläufig, sondern endgültig – vollstreckbaren Schuldtitels den Anteil eines Miterben gepfändet hat, § 2044 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 751 S. 2 BGB. Letztere Vorschrift ist indessen – als Ausnahmeregelung – eng auszulegen. Dies 1 2 3 4

Ebeling/Geck, Rz. 440. Palandt/Sprau, § 750 Rz. 1. Ebeling/Geck, Rz. 440. Vgl. früher entsprechend § 16 Abs. 2 S. 2 KO. v. Morgen

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C IV

Rz. 63

Erbengemeinschaft

bedeutet, dass ein Vertragspfandgläubiger an die sich aus § 1273 Abs. 2 i.V.m. § 1258 Abs. 2 BGB ergebenden Einschränkungen gebunden ist und, da er danach lediglich das Recht des Miterben wahrnimmt, sein Vorgehen nicht auf die Ausnahmeregelung des § 751 S. 2 BGB stützen kann1.

Beratungshinweis für Gläubiger: Es bleibt dem Vertragspfandgläubiger selbstverständlich unbenommen, sich gleichfalls einen (endgültig) vollstreckbaren Titel gegen den Miterben als Schuldner zu beschaffen und auf dieser Grundlage dann ein Pfändungspfandrecht an dessen Anteil zu erlangen, damit also die mit dem Vertragspfandrecht verbundenen Einschränkungen (Bindung an einen Auseinandersetzungsausschluss) zu überwinden. (5) Einigkeit aller Miterben

Beratungssituation: Die Mandanten bilden eine Erbengemeinschaft, zu der ein unbebautes Grundstück gehört. Alle wollen dieses Grundstück als Bauland Gewinn bringend veräußern und den Erlös aufteilen, sehen sich aber durch eine Klausel im Testament, wonach der Grundbesitz auf Dauer von zehn Jahren nach dem Erbfall ungeteilt bleiben soll, daran gehindert. Sie fragen nach Möglichkeiten und Konsequenzen einer vorzeitigen Teilung. 63

§ 2044 BGB enthält kein (absolutes) gesetzliches Veräußerungsverbot i.S.d. § 134 BGB, sondern nur ein relatives (§ 137 S. 1 BGB). Folge: Die dinglichen Verfügungsgeschäfte einer Erbauseinandersetzung sind auch dann wirksam, wenn die Erbauseinandersetzung im Widerspruch zu einem rechtswirksamen Auseinandersetzungsausschluss durch letztwillige Verfügung des Erblassers erfolgt ist; die Miterben können sich also bei Einigkeit wirksam über den letzten Willen des Erblassers insoweit hinwegsetzen2.

64

Allerdings verletzen diejenigen Miterben, die dem rechtswirksamen Auseinandersetzungsausschluss in der letztwilligen Verfügung des Erblassers zuwider handeln, die sich daraus ergebenden schuldrechtlichen Verpflichtungen. Dies bedeutet, dass einer Auseinandersetzungsklage gegen einen nicht auseinandersetzungswilligen Miterben kein Erfolg beschieden sein kann. Ferner ist zu beachten, dass – zumindest dann, wenn dem Auseinandersetzungsausschluss die Bedeutung einer Auflage zukommt – ein Ersatzerbe in diesem Fall von allen Miterben die Einhaltung des vom Erblasser angeordneten Auseinandersetzungsausschlusses einfordern könnte3.

Beratungshinweis für den Testator: Um das Auseinandersetzungsverbot auch gegen den Willen sämtlicher Miterben effektiv auszugestalten, bedarf es zusätzlicher Regularien, z.B. Erbeinsetzung unter der auflösenden Bedingung, dass die im Testament enthaltenen Anordnungen befolgt werden, verbunden mit einer Ersatzerbeinsetzung und/oder Anordnung von Testamentsvollstreckung, um die Verfügungsbefugnis der Erben (auch) für die Erbauseinandersetzung auszuschließen. 1 So auch Ebeling/Geck, Rz. 438. 2 Vgl. hierzu insbesondere BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115 (117); BGH v. 18.6.1971 – V ZB 4/71, DB 1971, 1661. 3 Ebeling/Geck, Rz. 432. 1290

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v. Morgen

Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 68

(6) Verstoß des Testamentsvollstreckers gegen Ausschlussanordnung des Erblassers Entsprechend dem zuvor (Rz. 63 f.) Gesagten berührt auch ein Verstoß des Testamentsvollstreckers gegen ein Auseinandersetzungsverbot die Wirksamkeit dieser von ihm vorgenommenen Auseinandersetzung grundsätzlich nicht1. Allerdings können die Erben in diesem Fall vom Testamentsvollstrecker die Befolgung der Anordnung des Erblassers über den Auseinandersetzungsausschluss gem. § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB verlangen und der Testamentsvollstrecker macht sich u.U. gem. § 2219 Abs. 1 BGB haftbar.

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Auch dies nützt natürlich dann nichts, wenn sich Testamentsvollstrecker und sämtliche Miterben in der Missachtung des vom Erblasser angeordneten Teilungsverbots einig sind. Wo kein Kläger ist, ist bekanntlich auch kein Richter.

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Beratungshinweis für den Testator: In der Vorwegnahme eines derartigen Falles im Rahmen der Testamentsgestaltung hilft dann nur noch die auflösend bedingte Erbeinsetzung, bezogen auf die Befolgung der Ausschlussanordnung des Erblassers (s. Rz. 64). (7) Unterschreitung des Pflichtteils eines Miterben Gem. § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB – weiterhin anwendbar für alle Erbfälle, die bis einschließlich 31.12.2009 eingetreten sind –2 sind weitere Beschränkungen eines Erbteils unwirksam, wenn dieser Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt, da der betreffende Erbe dann weniger erhalten würde als den gesetzlichen Pflichtteil. Eine solche Beschränkung stellt auch einen Auseinandersetzungsausschluss dar. In diesem Fall ist der Auseinandersetzungsausschluss gegenüber dem betroffenen Erben unwirksam; (nur) dieser kann also die Auseinandersetzung gleichwohl verlangen.

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Übersteigt der Erbteil hingegen die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, so kann der pflichtteilsberechtigte Miterbe sich von der Beschränkung nur dadurch befreien, dass er gem. § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. BGB die Erbschaft ausschlägt und seinen Pflichtteil verlangt (sog. taktische Erbausschlagung3). Im Zuge der Erbrechtsreform ist diese Differenzierung jedoch – mit Recht – entfallen, um die Folgen einer fehlerhaften Einschätzung der eigenen Nachlassbeteiligung (kein Pflichtteil, wenn sich erweist, dass der zugedachte Erbteil den Pflichtteil doch nicht übersteigt) zu vermeiden4. Der Pflichtteilsberechtigte hat seither, d.h. in allen Erbfällen, die seit dem 1.1.2010 eingetreten sind, unabhängig von der Größe seines Erbteils, bei Beschränkungen und/oder Beschwerungen durch die Neufassung des § 2306 Abs. 1 stets die Option, entweder die Erbschaft auszuschlagen und den Pflichtteil geltend zu machen oder die Erbschaft anzunehmen und einen Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2305 BGB geltend zu machen, wobei bei der Berechnung

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1 H.M.; KG v. 31.5.1919 – 1 X 80/19, KGJ 52, 113 (114 f.); BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, BGHZ 40, 115 (117); Soergel/Damrau, § 2204 Rz. 5; Staudinger/Reimann, § 2208 Rz. 17; Bengel, ZEV 1997, 178 (180); a.A. BGH v. 9.5.1984 – IVa ZR 234/82, MDR 1985, 32 = FamRZ 1984, 780 = NJW 1984, 2464 (2465). 2 Vgl. die Übergangsvorschrift des Art. 229 EGBGB, § 23 Abs. 4. 3 Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 10 Rz. 390. 4 Vgl. BT-Drucks. 16/8954 und 16/13543. v. Morgen

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C IV

Rz. 69

Erbengemeinschaft

des Restpflichtteils in Übereinstimmung mit § 2307 Abs. 1 S. 2, 2. Teilsatz BGB dann die Beschränkungen und Beschwerungen nicht zu berücksichtigen sind1. (8) Auseinandersetzungsverlangen aufgrund Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetzes 69

Nach der in das am 1.1.1999 in Kraft getretene Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz vom 25.8.19982 eingefügten Vorschrift des § 1629a Abs. 1 BGB hat ein volljährig gewordenes Kind die Möglichkeit, die Haftungsverbindlichkeiten, die durch einen in der Zeit der Minderjährigkeit eingetretenen Erwerb von Todes wegen begründet wurden, auf den Bestand desjenigen Vermögens zu beschränken, welches im Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit vorhanden ist. Der Rechtsverkehr wird demgegenüber dadurch geschützt, dass in § 1629a Abs. 4 BGB vermutet wird, dass die Verbindlichkeit nach Vollendung des 18. Lebensjahres begründet wurde, sofern der jetzt volljährige Miterbe nicht binnen drei Monaten nach Erreichen der Volljährigkeit seine Miterbenstellung aufgegeben hat. Dies bedeutet, dass er innerhalb des vorgenannten Zeitraums das Auseinandersetzungsverlangen nach § 2042 BGB stellen muss, um die Haftungsbeschränkung zu erhalten. Der Eintritt der Volljährigkeit wird hierbei – nach der Intention des Gesetzgebers3 – als wichtiger Grund i.S.d. §§ 2044 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 749 Abs. 2 S. 1 BGB angesehen. b) Aufschub wegen Unbestimmtheit der Erbteile

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Gem. der gesetzlichen Bestimmung des § 2043 BGB kann eine Erbauseinandersetzung nicht verlangt werden, soweit die Erbteile von Miterben aus folgenden Gründen noch unbestimmt sind: – Es ist die Geburt eines Miterben zu erwarten (§ 2043 Abs. 1 BGB). – Die Entscheidung über einen Adoptionsantrag steht noch aus (§ 2043 Abs. 2, 1. Fall BGB). – Die Entscheidung über einen Antrag auf Aufhebung einer Adoption steht noch aus (§ 2043 Abs. 2, 2 Fall BGB). – Es fehlt noch die Anerkennung einer vom Erblasser errichteten Stiftung als rechtsfähig (§ 2043 Abs. 2, 3. Fall BGB).

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Diese Aufschubgründe werden als abschließend angesehen4; eine entsprechende Anwendung auf ähnliche Fälle, in denen die Auseinandersetzung wegen anderer bestehender Unsicherheiten unerwünscht ist, wird nicht als zulässig erachtet5.

Beratungshinweis für Miterben/Testamentsvollstrecker: Eine Unbestimmtheit der Erbteile besteht nicht, wenn zwar die Teilhaber eines Erbstamms noch ungewiss sind, im Übrigen aber feststeht, auf welche Erbstämme die 1 § 2305 S. 2 BGB; vgl. dazu auch Muscheler, ZEV 2008, 105 (107); Spall, ZErbR 2007, 272; Schindler, ZEV 2008, 125 (128). 2 BGBl. I 2487. 3 BT-Drucks. 13/5624, S. 10. 4 Ebeling/Geck, Rz. 410. 5 S. bspw. den Fall des BayObLG v. 14.1.1908 – Reg. III 3/08, SeuffA 63, 215 f. Nr. 126. 1292

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Rz. 77

Erbschaft zu verteilen ist; die Anteile sind dann reell auf die Anzahl der feststehenden Erbstämme auszuwerfen1. c) Aufschub bis zur Gläubigerermittlung Solange ein Aufgebotsverfahren zur Gläubigerermittlung noch nicht abgeschlossen ist (§ 2045 S. 1 BGB) oder die Einleitung eines solchen Gläubigeraufgebotsverfahrens unmittelbar bevorsteht (§ 2045 S. 2 BGB), kann jeder Miterbe den Aufschub der Auseinandersetzung verlangen. Hintergrund dieser Regelung ist die Verschärfung der Erbenhaftung nach der Teilung des Nachlasses gem. §§ 2058, 2059 BGB.

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d) Aufschub/Ausschluss durch Vereinbarung sämtlicher Miterben Die Miterben sind frei, den zeitlich begrenzten Aufschub oder den unbefristeten Ausschluss der Erbauseinandersetzung unabhängig von den Anordnungen des Erblassers selbst zu vereinbaren. Dieser Aufschub/Ausschluss kann auch gegenständlich beschränkt sein. Da eine solche Vereinbarung über die (ordnungsmäßige) Verwaltung des Nachlasses hinausgeht, bedarf es der Zustimmung sämtlicher Miterben. Wird die Vereinbarung hingegen nur von einem Teil der Miterben getroffen, so ist sie nicht gänzlich wirkungslos, sondern hat für diese Miterben die Wirkung, dass sie die Auseinandersetzung nicht verlangen können2.

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Für die Vereinbarung besteht selbst dann kein Formzwang, wenn im Nachlass Gegenstände vorhanden sind, deren Übertragung nur mit notarieller Beurkundung rechtlich wirksam ist (GmbH-Anteile, Grundstücke), da eine Übertragung/ Zuordnung ja gerade nicht erfolgen soll. Mithin ist eine derartige Vereinbarung eines Auseinandersetzungsausschlusses/-aufschubs grundsätzlich auch konkludent möglich. Vorsicht ist also geboten.

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Für eine Beendigung der Ausschlusswirkungen einer solchen Vereinbarung sollen die Gründe gem. §§ 2042 Abs. 2, 750 bzw. 749 Abs. 2 BGB analog gelten3.

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Die Beweislast für die Auseinandersetzungsausschlussvereinbarung trägt derjenige, der sich darauf beruft4.

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e) Aufschub gem. § 242 BGB In § 2042 Abs. 2 BGB ist eine Regelung analog § 723 Abs. 2 BGB, wonach die Auseinandersetzung einer GbR ohne wichtigen Grund nicht zur Unzeit verlangt werden kann, nicht aufgenommen worden. Dies verdeutlicht den Unterschied, dass die Erbengemeinschaft im Gegensatz zur GbR in ihrem Bestand keinen Selbstzweck erfüllt und grundsätzlich auch nicht auf Dauer angelegt ist5. Dennoch kann im Hinblick auf die gegenseitige Pflicht zur Rücksichtnahme auch innerhalb der Miterbengemeinschaft ein zur Unzeit gestelltes Auseinanderset1 2 3 4 5

So auch Ebeling/Geck, Rz. 411. Vgl. RG v. 24.2.1938 – IV 238/37, Warn. Rspr. 1938 Nr. 70. Ebeling/Geck, Rz. 423. BayObLG v. 9.6.1967 – BReg. 1a Z 86/66, BayObLGZ 67, 230 (232 f.). Ebeling/Geck, Rz. 405. v. Morgen

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Rz. 78

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zungsbegehren im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) rechtsmissbräuchlich sein bzw. eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. In der Rechtsprechung gibt es dazu bisher, soweit ersichtlich, folgende Kasuistik: – Kein gerichtliches Erbauseinandersetzungsverfahren während der Nachlassverwaltung1; – ein Auseinandersetzungsanspruch desjenigen Miterben, der unter Berücksichtigung lebzeitiger Vorausempfänge i.S.d. § 2050 BGB gem. § 2055 BGB nichts mehr zu erhalten hat2; – keine Auseinandersetzung zur Unzeit3; – echtsmissbräuchliches Auseinandersetzungsverlangen im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Währungsreform4. In allen Fällen handelt es sich notwendigerweise nur um einen temporären Einwand, also einen Aufschub, nicht einen generellen Ausschluss der Auseinandersetzung. 3. Wege der Erbauseinandersetzung 78

Wenn sich die Miterben untereinander einig sind, dass und wie der Nachlass aufzuteilen ist, stellt sich nur noch die Frage, den für die vorgesehene Aufteilung sinnvollsten, kostengünstigsten und einfachsten Weg zu wählen. Ebenso unproblematisch stellt sich die Auseinandersetzung in der Regel dar, wenn der Erblasser entsprechende Vorsorge durch klare Teilungsanordnungen, Testamentsvollstreckung etc. getroffen hat. Für die anwaltliche Praxis am bedeutsamsten sind dagegen diejenigen Fälle, in denen derartige Anordnungen fehlen und die Erbengemeinschaft in der Frage der Auseinandersetzung des Nachlasses zudem polarisiert ist: Ein Teil drängt auf eine rasche Aufteilung entsprechend dem von ihm für richtig gehaltenen Teilungsplan, ein anderer Teil wehrt sich dagegen, indem er entweder (noch) gar keine Auseinandersetzung oder jedenfalls keine Auseinandersetzung nach den Vorstellungen der anderen Fraktion wünscht.

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Für die jeweiligen anwaltlichen Berater beider Seiten ist es in diesen Fällen wichtig, das jeweils zur Verfügung stehende Angriffs- bzw. Abwehrinstrumentarium mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen zu kennen, um es gezielt einsetzen zu können. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, eine Erbauseinandersetzung herbeizuführen, sollen daher im Folgenden nicht nur dargestellt, sondern im Hinblick auf ihre jeweilige Eignung auch einer Bewertung unterzogen werden. a) Auseinandersetzung durch Testamentsvollstrecker

Beratungssituation: Der Mandant ist von seinem besten Freund für ihn selbst überraschend zum Testamentsvollstrecker bestimmt worden und hat das Amt aus Pflichtgefühl angenommen, obwohl er Schwierigkeiten be1 2 3 4

KG v. 16.11.1916 – 1 X 232/16, KGJ 49, A 84. OLG Celle v. 19.9.1934 – 6 U 76/32, HRR 1935 Nr. 353. LG Düsseldorf v. 20.5.1954 – 3 O 73/54, FamRZ 1955, 303 (304). LG Verden v. 13.3.1948 – 2 T 13/48, NJW 1947/48, 599 Nr. 981.

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Rz. 82

fürchtet. Erben sind nämlich die Kinder des Erblassers aus erster Ehe und dessen zweite Ehefrau, die von seinen Kindern stets abgelehnt und bekämpft wurde. Er möchte darüber belehrt werden, wie er die ihm obliegende Auseinandersetzung des Nachlasses korrekt durchführt, da er fürchtet, bei jedem Fehler von der einen oder anderen Fraktion der Erben belangt zu werden. aa) Rechte und Pflichten Der Testamentsvollstrecker hat die letztwilligen Verfügungen des Erblassers zur Ausführung zu bringen (§ 2203 BGB). Dazu gehört nicht nur die Verwaltung des Nachlasses (§ 2205 BGB), sondern auch die Erbauseinandersetzung unter mehreren Erben (§ 2204 BGB).

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Ausnahmen:

80a

– Die Auseinandersetzung ist dem Testamentsvollstrecker kraft Anordnung des Erblassers entzogen, ihm ist insbesondere nur die Verwaltung des Nachlasses zugewiesen (§§ 2208 Abs. 1 S. 1, 2209 S. 1 BGB). – Der Testamentsvollstrecker ist nur für den Erbteil eines Miterben eingesetzt, sog. Erbteilsvollstreckung. Folge: Er kann nur die Rechte dieses Miterben hinsichtlich der Auseinandersetzung geltend machen. – Einsetzung nur für die Ausübung der Rechte des Nacherben während der Vorerbschaft (§ 2222 BGB). – Vermächtnisvollstrecker (§ 2223 BGB). Inhaltlich ist der Testamentsvollstrecker bei pflichtgemäßer Durchführung der Auseinandersetzung an folgende Vorgaben (in nachstehender Reihenfolge) gebunden:

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(1) Anordnungen des Erblassers, namentlich Teilungsanordnungen (§ 2048 BGB) und Vorausvermächtnisse (§ 2150 BGB).

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(2) Nach billigem Ermessen (§ 2048 Abs. 1 S. 2 BGB), wenn der Erblasser in der letztwilligen Verfügung dies dem Testamentsvollstrecker überlassen hat, ohne ins Einzelne gehende Anordnungen über die Art und Weise der Auseinandersetzung vorzugeben.

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Beratungshinweis für Testamentsvollstrecker: Die letztwillige Anordnung einer Auseinandersetzung nach billigem Ermessen des Testamentsvollstreckers braucht nicht immer ausdrücklich geregelt zu sein; sie ergibt sich häufig auch aus den gesamten Umständen des Falles1. Folge: Der Testamentsvollstrecker ist bei der Aufteilung des Nachlasses nicht an die Teilungsregeln gebunden; sein Teilungsplan ist lediglich dann für die Erben unverbindlich (unwirksam), wenn er offenbar unbillig ist2.

1 Vgl. Winkler, Rz. 510. 2 Analog § 319 Abs. 1S. 1 BGB, vgl. insoweit BGH v. 14.10.1958 – VIII ZR 118/57, NJW 1958, 2067 (2068). v. Morgen

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Rz. 83

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(3) Ergänzend bzw. bei Fehlen besonderer Anordnungen durch den Erblasser: nach den gesetzlichen Auseinandersetzungsregeln gem. §§ 2042–2056, 750–758 BGB. Dies bedeutet (s. im Einzelnen noch unter 4., Rz. 183 ff.): (a) Als Erstes sind vom Testamentsvollstrecker die Nachlassverbindlichkeiten zu bereinigen (§§ 2046, 755 BGB), wofür der Schuldenstand zu ermitteln ist1.

Beratungshinweis für Testamentsvollstrecker: Eine Pflichtteilsforderung darf im Hinblick auf die insoweit bestehende alleinige Passivlegitimation des Erben trotz Testamentsvollstreckung gem. § 2313 Abs. 1 S. 3 BGB vom Testamentsvollstrecker nicht ohne den Willen des Erben mit Wirkung gegen diesen anerkannt werden2. (b) Bei der anschließenden Verteilung des Überschusses ist der Testamentsvollstrecker nicht an § 753 BGB, der für den Fall der Uneinigkeit der Erben einen Verkauf nach den Regeln des Pfandverkaufes, also durch Versteigerung beweglicher Sachen nach §§ 1253 ff. BGB und von Grundstücken nach §§ 180–184 ZVG (s. auch § 175 ZVG) vorsieht, gebunden, sondern kann die betreffenden Nachlassgegenstände nach seinem pflichtgemäßen Ermessen im Wege des freihändigen Verkaufes verwerten3. (c) Zwar ist der Nachlass vom Testamentsvollstrecker nach Beendigung seines Amtes gem. § 2218 i.V.m. § 667 BGB an die Miterben herauszugeben; wegen seiner Ansprüche auf Aufwendungsersatz (§ 670 BGB) und Vergütung (§ 2221 BGB) hat der Testamentsvollstrecker jedoch ein Zurückbehaltungsrecht nach §§ 273, 274 BGB4. 84

(4) Vereinbarungen der Erben über Art und Weise der Auseinandersetzung: Diese sind für den Testamentsvollstrecker zwar grundsätzlich unverbindlich; er hat die letztwilligen Verfügungen des Erblassers notfalls auch gegen den Willen der Erben zur Ausführung zu bringen (§ 2203 BGB) und ist hierfür mit der alleinigen Verfügungsmacht unter Ausschluss der Miterben ausgestattet (§ 2205 S. 2 BGB). Es gibt jedoch Ausnahmen: (a) Eine Vereinbarung der Erben über die Ausgleichungspflicht von Abkömmlingen gem. §§ 2050 ff. BGB ist für den Testamentsvollstrecker bindend5. Der Testamentsvollstrecker hat im Übrigen einen Anspruch gegen die Erben auf Mitteilung der ausgleichungspflichtigen Vorempfänge und ist insoweit antragsberechtigt in Bezug auf die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung gem. § 2057 S. 2 i.V.m. §§ 260 Abs. 2, 261 BGB6. (b) Ebenso ist eine Vereinbarung sämtlicher Miterben über den Zeitpunkt der Nachlassauseinandersetzung für den Testamentsvollstrecker bindend, sofern sie nicht einer Anordnung des Erblassers in der letztwilligen Verfügung widerspricht7. 1 2 3 4 5 6 7

§ 2205 BGB, dazu auch BGH v. 2./3.12.1968 – III ZR 2/68, BGHZ 51, 125 (127). BGH v. 23.12.1968 – III ZR 2/68, BGHZ 51, 125 (127); Winkler, Rz. 511. RG v. 13.2.1924 – V 29/23, RGZ 108, 289 (290); Winkler, Rz. 512. Soergel/Damrau, § 2218 Rz. 10; Staudinger/Reimann, § 2218 Rz. 26. Winkler, Rz. 512 und 528. Keidel, § 413 FamFG Rz. 2. BayObLG v. 9.7.1921 – Reg. III Nr. 66/1921, BayObLGZ 21, 312 (314); OLG München v. 4.8.1936 – Wx 166/36, DNotZ 1936, 810 (811).

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Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 88

Allerdings darf der Testamentsvollstrecker in diesen Fällen die Auseinandersetzung wiederum dann vornehmen, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliegt1. (c) Selbstverständlich ist der Testamentsvollstrecker schließlich auch dann an eine Vereinbarung der Miterben über die Auseinandersetzung gebunden, wenn er dieser Vereinbarung zuvor in Gestalt eines Auseinandersetzungsvertrags zugestimmt hat, es sei denn, es liegen allgemeine vertragsrechtliche Gründe für die Lösung vom Vertrag vor. bb) Ausführung (1) Vorbereitung der Auseinandersetzung durch Erfassung und Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten sowie Versilberung einzelner Nachlassgegenstände S. dazu im Einzelnen Rz. 83 (a) sowie Rz. 183 ff.

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(2) Aufstellung eines Teilungsplans Hierin ist der verbleibende Aktivnachlass vollständig zu erfassen und die vorgesehene Verteilung unter den Miterben unter Beachtung der hier zu aa) (Rz. 80 ff.) aufgeführten Regeln auszuweisen.

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(3) Anhörung der Erben Der Teilungsplan bedarf, um wirksam zu sein, grundsätzlich nicht der Zustimmung der Miterben. § 2204 Abs. 2 BGB gibt den Erben lediglich das Recht, etwaige Einwände informatorisch vorzubringen, damit der Testamentsvollstrecker sie im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens vor der Ausführung des Teilungsplans ggf. noch durch Änderung desselben berücksichtigen kann.

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Beratungshinweis für Testamentsvollstrecker: Die Übersendung des Teilungsplans an die einzelnen Miterben sollte gegen Zustellungsnachweis und unter Fristsetzung für etwaige Einwände erfolgen, damit die ordnungsmäßige Anhörung abschließend nachgewiesen werden kann. (4) Verbindlichkeitserklärung Der vom Testamentsvollstrecker im Rahmen seiner Befugnisse aufgestellte Teilungsplan ersetzt den ansonsten erforderlichen Auseinandersetzungsvertrag zwischen den Miterben. Er wirkt dementsprechend verpflichtend und berechtigend für und gegen die Erben2 und ist damit causa für die anschließende dingliche Übertragung der einzelnen Nachlassgegenstände. Diese Verbindlichkeit erlangt der Teilungsplan jedoch erst dann, wenn der Testamentsvollstrecker endgültig erklärt hat, dass die Auseinandersetzung nach dem Plan geschehen soll; der Testamentsvollstrecker kann den hierdurch bindend gewordenen Teilungsplan dann nicht nachträglich rückgängig machen3. Selbst wenn der Testamentsvoll1 Winkler, Rz. 542, mit weiteren Ausführungen in Fn. 1. S. 280. 2 RG v. 12.9.1938 – IV 198/37, JW 1938, 2972. 3 RG v. 12.9.1938 – IV 198/37, WarnRspr. 1939 Nr. 9; KG v. 18.4.1904, OLGE 11, 244 (245). v. Morgen

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C IV

Rz. 89

Erbengemeinschaft

strecker vor der Durchführung wegfällt, bleibt der Teilungsplan auch danach noch verbindlich1.

Beratungshinweis für Testamentsvollstrecker: Es bedarf somit nach Ablauf der Anhörungsfrist einer weiteren Erklärung gegenüber den Erben, dass der Teilungsplan – ggf. mit Korrekturen/Ergänzungen aufgrund von Einwänden der Erben – nun auch so vollzogen werden soll. Eine Übersendung gegen Zustellungsnachweis empfiehlt sich auch hier. (5) Alternative: Auseinandersetzungsvertrag mit den Erben 89

Der Testamentsvollstrecker muss die Erben in die schuldrechtliche Grundlage der Nachlassteilung nicht einbeziehen, er kann es jedoch in Form eines Auseinandersetzungsvertrags tun. Vorteil: Die Erben sind mit späteren Einwendungen, insbesondere bezüglich offenbarer Unbilligkeit, Unentgeltlichkeit, Verstoßes gegen Anordnungen des Erblassers oder solche der Erben, soweit diese beachtlich sind (s. Rz. 84), grundsätzlich ausgeschlossen. Dies vermindert das Haftungsrisiko des Testamentsvollstreckers (§ 2219 BGB) erheblich. Für das Zustandekommen eines Auseinandersetzungsvertrags reicht es im Übrigen schon aus, wenn die Erben (sämtlich) dem Teilungsplan ausdrücklich zustimmen2. Sind Grundstücke oder GmbH-Anteile im Nachlass, bedarf der Auseinandersetzungsvertrag der notariellen Beurkundung (§ 313 S. 1 BGB bzw. § 15 Abs. 4 GmbHG).

Beratungshinweis für Testamentsvollstrecker: Die Erben mit Übersendung des Teilungsplans um Zustimmung bitten! Achtung: Bei Nacherbschaft ist außerdem die Zustimmung aller Nacherben erforderlich3. Wenn im Zeitpunkt der Auseinandersetzung Vermächtnisse noch nicht erfüllt sind, ist außerdem auch die Mitwirkung der betroffenen Vermächtnisnehmer erforderlich4. (6) Dinglicher Vollzug des Auseinandersetzungsplans/der Auseinandersetzungsvereinbarung 90

Der Auseinandersetzungsplan/Auseinandersetzungsvertrag hat selbst keine unmittelbare dingliche, sondern nur obligatorische Wirkung, indem er die Erben verpflichtet, einander die ihnen zugeteilten Nachlassgegenstände zu übertragen. Der Testamentsvollstrecker ist jedoch auch gegen einen etwaigen Willen der Erben kraft seiner Verfügungsbefugnis grundsätzlich allein befugt, diese sich aus dem Auseinandersetzungsplan/-vertrag ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen, d.h. bei beweglichen Sachen die Übergabe gem. §§ 929 ff. BGB vorzunehmen, bei Grundstücken für die Erbengemeinschaft die entsprechende Auflassungserklärung abzugeben und die Eigentumsumschreibung im Grundbuch zu bewirken (§§ 873, 925 BGB).

90a

Selbstverständlich muss auf der anderen Seite jedoch der jeweils erwerbende einzelne Miterbe beim dinglichen Vollzug mitwirken, insbesondere bei der Auflas1 2 3 4

Staudinger/Reimann, § 2204 Rz. 30. Winkler, Rz. 518. BGH v. 24.9.1971 – V ZB 6/71, BGHZ 57, 84 (92). BGH, DNotZ 1956, 406; Winkler, Rz. 518 und 206.

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Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 91

sung eines Grundstücks. Nachzuweisen ist dabei seine Eigenschaft als Miterbe. Der Testamentsvollstrecker wiederum hat die Erklärung abzugeben, dass er das Grundstück dem Miterben in Ausführung des Teilungsplans auf Rechnung seines Erbteils, also nicht unentgeltlich, überträgt1.

Beratungshinweis für Testamentsvollstrecker: Auch auf Seiten der Erbengemeinschaft bedarf es der Mitwirkung der Erben selbst, wenn ansonsten ein Verstoß des Testamentsvollstreckers gegen § 181 BGB vorläge. Da der (wirksame) Teilungsplan jedoch die Erben gleichfalls verpflichtet, an dessen Vollzug, soweit erforderlich, mitzuwirken, kann der Testamentsvollstrecker dann die sich weigernden Miterben auf Mitwirkung verklagen. Ist der Testamentsvollstrecker zugleich Miterbe, kann grundsätzlich von einer Gestattung des Erblassers in Bezug auf In-Sich-Geschäfte des Testamentsvollstreckers bei Übertragung von Nachlassgegenständen auf ihn selbst ausgegangen werden, so dass § 181 BGB nicht eingreift2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der entsprechend ausgeführte Teilungsplan ordnungsmäßiger Nachlassverwaltung i.S.d. § 2216 Abs. 1 BGB entspricht.3 Soweit durch das In-Sich-Geschäft eine vom Erblasser angeordnete Auflage, Teilungsanordnung oder ein (Voraus-)Vermächtnis ausgeführt wird, liegt ohnehin eine Befreiung von § 181 BGB vor, da der Miterben-Testamentsvollstrecker lediglich eine Verbindlichkeit erfüllt.4 cc) Beteiligungs- und Kontrollmöglichkeiten der Erben

Beratungssituation: Der Mandant ist gemeinsam mit seiner Schwester Erbe nach dem Vater. Zum Testamentsvollstrecker hat dieser den Ehemann der Schwester bestimmt. Der Testamentsvollstrecker hat – gegen den Widerspruch des Mandanten – einen Teilungsplan aufgestellt, in dem er seine Ehefrau, die Schwester des Mandanten, nach dem Empfinden des Mandanten einseitig bevorzugt und ihn selbst dementsprechend benachteiligt. Er möchte mit allen Mitteln dagegen vorgehen und fragt, was er tun kann. Außer ihrer vorgeschriebenen Anhörung zum Teilungsplan und der ggf. erforderlichen Mitwirkung bei dessen Vollzug können die Miterben selbst im Wesentlichen Folgendes geltend machen:

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(1) Unwirksamkeit des Teilungsplans Der Teilungsplan ist ipso iure unwirksam, wenn der Testamentsvollstrecker darin einseitig und willkürlich von den Anordnungen des Erblassers oder vom Gesetz abweicht5. Die Beweislast trifft dementsprechend den dies geltend machenden Miterben. Die Unwirksamkeit ist durch entsprechende (Feststellungs-)Klage vor dem Prozessgericht gegen den Testamentsvollstrecker geltend zu machen. 1 2 3 4

Winkler, Rz. 527. Winkler, Rz. 524. BGH v. 29.4.1959, BGHZ 30, 67 (70). OLG Düsseldorf v. 14.8.2013 – I-3 Wx 41/13, FamRZ 2014, 603 = NJW 2014, 322 (322f.). 5 Reimann, ZEV 2009, 120 (122 f.), m.w.N. v. Morgen

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Rz. 92

Erbengemeinschaft

Beratungshinweis für Miterben: Die Unwirksamkeit des Teilungsplans entfällt, wenn er die Zustimmung sämtlicher Miterben gefunden hat; diese kann auch stillschweigend durch Nichtbeanstandung des Teilungsplans erfolgt sein1. Beanstandungen sollten also möglichst umgehend, ausdrücklich und klar dokumentiert erhoben werden. (2) Offenbare Unbilligkeit i.S.d. § 2048 S. 3 BGB 92

Ist dem Testamentsvollstrecker die Auseinandersetzung des Nachlasses nach seinem billigen Ermessengem. § 2048 S. 2 BGB zugewiesen, kann jeder Miterbe bei offensichtlicher Unbilligkeit des Teilungsplans durch Klage vor dem Prozessgericht gegen den Testamentsvollstrecker eine gerichtliche Überprüfung sowie eine abweichende, angemessene Verteilung durch rechtsgestaltendes Urteil verlangen (§ 2048 S. 3 BGB). Im Prozess besteht keine notwendige Streitgenossenschaft der Miterben2.

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Die Vollziehung des solchermaßen richterlich bestimmten Teilungsplans ist dann aber wiederum Angelegenheit des Testamentsvollstreckers3.

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Die drohende Ausführung des (offenbar unbilligen) Teilungsplans durch den Testamentsvollstrecker kann vom Miterben im Wege der einstweiligen Verfügung gehemmt werden4. (3) Verstoß gegen ordnungsmäßige Verwaltung des Nachlasses

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Gem. § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB sind Anordnungen, die der Erblasser durch letztwillige Verfügung für die Verwaltung getroffen hat, von dem Testamentsvollstrecker zu befolgen. Die Befolgung dieser Pflichten kann der Erbe durch Klage gegen den Testamentsvollstrecker einfordern5. Dazu gehört z.B. die Untersagung der Veräußerung eines Nachlassgrundstücks zur Vorbereitung der Auseinandersetzung, wenn der Erblasser dies ausgeschlossen hat. (4) Aufhebung einer (Teilungs-)Anordnung wegen schädigender Wirkung

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Gem. § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB kann das Nachlassgericht auf Antrag des Testamentsvollstreckers oder eines anderen Beteiligten Anordnungen, die der Erblasser durch letztwillige Verfügung für die Verwaltung getroffen hat, aufheben, wenn ihre Befolgung den Nachlass erheblich gefährden würde. In ausdehnender Gesetzesauslegung wird hierunter nicht nur die Gefährdung der Substanz des Nachlasses, sondern bereits eine zu besorgende Schädigung der an ihm interessierten Personen verstanden6. Auf diese Weise kann – mittelbar – auch die Vollziehung einer Teilungsanordnung verhindert werden, welche den Nachlass selbst begriffslogisch nicht gefährden kann, wohl aber die Interessen der von ihr negativ betroffenen Miterben7. 1 2 3 4 5 6 7

Winkler, Rz. 529. RG v. 23.12.1918 – IV 249/18, WarnRspr 1919 Nr. 42. Ebeling/Geck, Rz. 596. Winkler, Rz. 533. BGH v. 2.10.1957 – IV ZR 217/57, BGHZ 25, 257 (283). KG v. 16.3.1933 – 1b X 113/33, HRR 1933 Nr. 1765. Vgl. KG v. 24.9.1936 – 1 WR 453/36, JFG 1914, 154 (156); Staudinger/Reimann, § 2216 Rz. 28.

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Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 99

Das Nachlassgericht kann die Anordnung des Erblassers auf Antrag eines Miterben als Beteiligtem nur aufheben oder den Antrag ablehnen, nicht aber eine eigene Anordnung treffen1; besteht die Anordnung des Erblassers allerdings aus mehreren selbstständigen Teilen, kann das Nachlassgericht auch nur den Teil außer Kraft setzen, dessen Befolgung den Nachlass erheblich gefährden bzw. die Interessen des/der Miterben erheblich schädigen würde2.

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Vor der Entscheidung ist den Beteiligten, soweit tunlich, rechtliches Gehör durch das Nachlassgericht zu gewähren (§ 2216 Abs. 2 S. 3 BGB). Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde gem. § 58 FamFG gegeben.

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(5) Schadensersatz Verletzt der Testamentsvollstrecker durch den Teilungsplan schuldhaft seine Verpflichtungen, so kann der davon negativ betroffene Miterbe gem. § 2219 Abs. 1 BGB Ersatz des ihm dadurch entstehenden Schadens vom Testamentsvollstrecker verlangen.

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dd) Bewertung Vorteile:

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– Entscheidungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Auseinandersetzung des Nachlasses unter den Miterben liegen in einer Hand; es bedarf grundsätzlich weder einer Einigung unter den Miterben noch aufwändiger und langwieriger Auseinandersetzungsklagen. – Bei dem Testamentsvollstrecker handelt es sich in der Regel um einen unbeteiligten Dritten, der sich gegenüber den unterschiedlichen Interessen der Miterben neutral verhält und sich ausschließlich dem Erblasser verpflichtet fühlt. – wenn zur Erbengemeinschaft minderjährige Kinder und zugleich auch deren Eltern bzw. der überlebende Elternteil gehören, kann durch Testamentsvollstreckung die ansonsten wegen § 1629 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 1795 BGB erforderliche Einschaltung eines Ergänzungspflegers vermieden und dadurch die Abwicklung des Nachlasses vereinfacht werden. Nachteile:

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– Es kann die Gefahr bestehen, dass der Testamentsvollstrecker im Interesse einer zeitnahen Erledigung seiner Aufgabe die Interessen der Erben übergeht, insbesondere die einzelnen Nachlassgegenstände zwecks Aufteilbarkeit nicht optimal verwertet. – Beim Miterben-Testamentsvollstrecker ist eine Interessenkollision inhärent. – Durch Untätigkeit des Testamentsvollstreckers bzw. Verzögerung der Auseinandersetzung kann der Nachlass faktisch gelähmt sein. Die Erben haben – über §§ 2216, 2219, 2227 BGB – in diesen Fällen nur mittelbare und in der Regel langwierige Einwirkungsmöglichkeiten. – Durch die anfallende Vergütung des Testamentsvollstreckers (§ 2221 BGB) wird der Nachlass finanziell belastet. 1 KG v. 29.1.1971 – 1 W 11794/70, OLGZ 1971, 220 (222). 2 KG v. 29.1.1971 – 1 W 11794/70, OLGZ 1971, 220 (222). v. Morgen

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C IV

Rz. 100

Erbengemeinschaft

Beratungshinweis für den Testator: Die Höhe der Testamentsvollstreckervergütung im Testament festlegen und mit dem vorgesehenen Testamentsvollstrecker vorher besprechen, um sich dessen Bereitschaft zu vergewissern, für diese Vergütung das Amt anzunehmen und auszuführen; in jedem Fall auch einen Ersatz-Testamentsvollstrecker vorsehen. Weitere Einzelheiten zur Testamentsvollstreckung s. Kap. C IX. b) Auseinandersetzungsvereinbarung zwischen den Miterben 100

Die Miterben schließen hierbei einen schuldrechtlichen Vertrag zur Regelung der Aufteilung des Nachlasses zwischen ihnen, durch den jeder Miterbe verpflichtet wird, an der Übertragung der einzelnen Nachlassgegenstände in das Eigenvermögen des dafür vorgesehenen jeweiligen Miterben mitzuwirken1. aa) Form

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Der schuldrechtliche Auseinandersetzungsvertrag ist grundsätzlich formfrei.

Beratungshinweis für Miterben: Es ist zu unbedingter Vorsicht zu raten; durch unbedachte Erklärungen setzt sich ein Miterbe häufig bereits der Gefahr aus, einer Teilungsvereinbarung seine Zustimmung erteilt zu haben. Zu Zusammenkünften der Miterben sollte ggf. auch ein Zeuge mitgenommen werden, um sich nicht später dahingehenden unwahren Behauptungen ausgesetzt zu sehen. 102

Ausnahmen: Wenn in dem Erbauseinandersetzungsvertrag Nachlassgegenstände aufgeteilt werden, deren Übertragung nach allgemeinen Grundsätzen einer bestimmten Form bedarf, gilt dies auch für den Erbauseinandersetzungsvertrag. Beispiele: – Beurkundungspflichtgem. § 311b Abs. 1 S. 1 BGB für die Übertragung von Nachlassgrundstücken, auch wenn diese durch Erbauseinandersetzungsvertrag auf die Miterben zu Bruchteilen entsprechend ihren Anteilen am Nachlass übertragen werden. – Desgleichen für Übertragung von GmbH-Anteilen gem. § 15 Abs. 4 GmbHG.

bb) Mögliche Regelungsinhalte (1) Normalfall: Aufteilung aufgrund Auseinandersetzungsvertrages (a) Grundsatz 103

In der inhaltlichen Ausgestaltung des Auseinandersetzungsvertrages sind die Miterben entsprechend der allgemeinen Vertragsfreiheit (§§ 241, 311 Abs. 1 BGB) grundsätzlich frei. Insbesondere können sie auch von den Auseinandersetzungsvorschriften der §§ 2042 ff. BGB einvernehmlich abweichen. Sie können auch vereinbaren, dass nicht nur der Aktivnachlass geteilt wird, sondern einzelne Miterben auch Nachlassverbindlichkeiten allein übernehmen. Sie müssen sich dann jedoch über die Folgen im Klaren sein, wenn der betreffende Miterbe die Nachlassverbindlichkeiten nicht tilgt, nämlich: 1 Vgl. Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 445. 1302

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– Aufrechterhaltung der gesamtschuldnerischen Haftung jedes Miterben (§§ 2058, 2059 BGB); – Ausschluss der Nachlassverwaltung als Haftungsbeschränkungsmaßnahme (§ 2062, 2. Hs. BGB).

Beratungshinweis für Miterben: Eine Aufteilung vor Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten aus dem ungeteilten Nachlass entsprechend § 2046 BGB ist nur bei entsprechender Sicherungsmöglichkeit anzuraten. Weiterer allgemeiner Beratungshinweis für Miterben: Ungesicherte Vorleistungen einzelner Beteiligter vermeiden, z.B. Übertragung eines Nachlassgegenstands auf einen Miterben gegen Ausgleichszahlung in Raten. Wenn der betreffende Miterbe später insolvent wird, fällt der übertragene Nachlassgegenstand in die Masse, bei der Ausgleichsforderung handelt es sich indessen nur um eine gewöhnliche Masseverbindlichkeit1. Eine derartig unvorsichtige Vertragsgestaltung kann zu einem Haftpflichtfall für den beratenden Anwalt werden2. Stattdessen sollte, wie bei Grundstücksbzw. Anteilsübertragungsgeschäften üblich, die Übertragung des betreffenden Nachlassgegenstands zumindest unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Ausgleichszahlungsleistung erfolgen. (b) Zustimmungserfordernis bei Vor-/Nacherbschaft Eine Grenze der Vertragsfreiheit ergibt sich bei angeordneter Vor- und Nacherbschaft: Es ist dann die Zustimmung der Nacherben erforderlich, insbesondere bei Nachlassgrundstücken. Ausnahme: Die Verfügung über das Nachlassgrundstück dient allein der Erfüllung einer Teilungsanordnung des Erblassers3. Dementsprechend ist die Zustimmung der Nacherben wiederum erforderlich, wenn die Vorerben von der Teilungsanordnung abweichen4.

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(c) Familienrechtliche Zustimmungserfordernisse – Konstellation 1: Eltern sind neben ihren minderjährigen Kindern an dem Erbauseinandersetzungsvertrag beteiligt: Die Eltern sind im Hinblick auf §§ 1629, 1795, 181 BGB bei Vertragsabschluss von der Vertretung ihrer Kinder ausgeschlossen; jedes Kind bedarf eines Ergänzungspflegers nach § 1909 BGB. Ein Pfleger für die Vertretung mehrerer Kinder ist nur möglich, wenn die gesetzlichen Auseinandersetzungsregeln der §§ 2042 ff. BGB ohne jede vertragliche Abweichung eingehalten werden, da es sich dann nur um die Erfüllung einer nach dem Gesetz begründeten Verbindlichkeit handelt, bei der § 181 BGB nicht gilt5. In der Praxis dürfte dies nur selten sicher festzustellen sein.

1 Vgl. den Fall BGH v. 2.7.1996 – IX ZR 299/95, FamRZ 1996, 1268 = MDR 1996, 1295 = NJW 1996, 3009 (3010 f.). 2 Vgl. in Bezug auf den beurkundenden Notar, BGH v. 2.7.1996 – IX ZR 299/95, FamRZ 1996, 1268 = MDR 1996, 1295 = NJW 1996, 3009 (3010). 3 Ebeling/Geck, Rz. 558. 4 Vgl. OLG Hamm v. 19.9.1994 – 15 W 205/94, FamRZ 1995, 961 (962). 5 Vgl. Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 448. v. Morgen

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– Konstellation 2: Der Erbteil eines verheirateten, im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Miterben stellt sein ganzes oder wesentliches Vermögen dar: Gem. § 1365 Abs. 1 BGB ist die Zustimmung des anderen Ehegatten erforderlich1. Entsprechendes gilt bei Gütergemeinschaft unter den Voraussetzungen der §§ 1423, 1424 bzw. 1450 Abs. 1 S. 1 BGB. Bei Gütertrennung bedarf es hingegen keiner Zustimmung des Ehegatten2. (d) Problem: (Gemischte) Schenkung bei Bevorzugung einzelner Miterben im Auseinandersetzungsvertrag?

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Zivilrechtlich grundsätzlich nein, da causa die Erbauseinandersetzung ist und nicht eine Schenkung gem. § 516 BGB3. Aber Ausnahmen sind denkbar: Im Extremfall die Übertragung des gesamten Aktivnachlasses auf einen Miterben, aber auch in anderen Fällen einer bewussten Bevorzugung, die nach dem Willen der Miterben über die reine Erbauseinandersetzung hinaus noch einen unentgeltlichen Charakter haben soll. Folge: Die Auseinandersetzungsvereinbarung als schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft bedarf dann der notariellen Beurkundung gem. § 518 Abs. 1 S. 1 BGB; die Nichtbeachtung dieser Form wird allerdings geheilt, wenn der Erbauseinandersetzungsvertrag, wie in der Praxis häufig, sogleich auch den Vollzug durch Übertragung der aufgeteilten Gegenstände auf die betreffenden Miterben enthält (§ 518 Abs. 2 BGB).

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In steuerrechtlicher Hinsicht kann eine (gemischte) freigebige Zuwendung mit der Folge der Entstehung von Schenkungsteuer gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gegeben sein4. (2) Alternative: Auseinandersetzung aufgrund Kaufs sämtlicher Erbteile durch einen Miterben

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Bei Übertragung sämtlicher Anteile auf einen Miterben vereinigt sich die Erbschaft in dessen Hand mit der Maßgabe, dass eine Rückübertragung der Anteile nicht mehr möglich ist; es besteht der gleiche Rechtszustand wie bei dem ursprünglichen Anfall an einen Alleinerben5. Eine Erbauseinandersetzung ist also auch in dieser Form möglich. Dabei bedarf das Verpflichtungsgeschäft – i.d.R. Kaufvertrag – gem. § 2371 BGB der notariellen Beurkundung. Der weichende Miterbe ist danach schuldrechtlich verpflichtet, einen Erbteilsübertragungsvertrag i.S.v. § 2033 Abs. 1 BGB abzuschließen, der erwerbende Miterbe im Falle eines Kaufvertrags zur Kaufpreiszahlung und Abnahme (§ 433 Abs. 2 i.V.m. § 453 Abs. 1 BGB). Dies schließt die Übernahme der Passiva ein (§ 2378 BGB). (Näheres zum Erbteilskauf s. Kap. C XI.)

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Einschränkungen bestehen gegenüber der allgemeinen Regelung zu § 433 Abs. 1 S. 2 BGB (i.V.m. § 453 Abs. 1 BGB) bei der Rechts- und Sachmängelhaftung: Die Rechtsmängelhaftung ist gem. § 2376 Abs. 1 BGB beschränkt auf 1 2 3 4 5

Vgl. BGH v. 28.4.1961 – V ZB 17/60, BGHZ 35, 135 (137 ff.). Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 456. So auch Ebeling/Geck, Rz. 569. BFH v. 14.7.1982 – II R 125/79, BStBl. II 1982, 714. OLG Düsseldorf v. 11.11.1976 – 8 U 76/75, NJW 1977, 1828.

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C IV

Rz. 111

– Bestand des Erbrechts, namentlich dass der Erbteil nicht bereits an eine andere Person abgetreten oder verpfändet ist, – Nichtbestehen unbeschränkter Haftung gegenüber Nachlassgläubigern, Nacherbeneinsetzung, Testamentsvollstreckungsanordnung, Vermächtnissen und Auflagen, Pflichtteilslasten, Ausgleichungsverpflichtungen, Teilungsanordnungen, Ausgleichsforderungen nach beendeter Zugewinngemeinschaft. Die Sachmängelhaftung ist vollständig ausgeschlossen (§ 2376 Abs. 2 BGB). Vollzogen wird der Erbteilskauf durch den Abschluss eines Erbteilsübertragungsvertrages gem. § 2033 Abs. 1 BGB, der gem. S. 2 dieser Vorschrift gleichfalls der notariellen Beurkundung bedarf. S. zur Erbteilsübertragung noch gesondert unter V. 1 (Rz. 320 ff.).

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Beratungshinweise für Miterben: – Gegenüber den Nachlassgläubigern (Außenverhältnis) erlischt die gesamtschuldnerische Haftung der weichenden Miterben nicht; ein vertraglicher Haftungsausschluss ist insoweit unwirksam (§ 2382 Abs. 2 BGB). – Steuerlicher Vorteil: Bei der Erbteilsübertragung, die zum Zwecke der Nachlassauseinandersetzung erfolgt, ist die Übertragung von im Nachlass befindlichen Grundstücken gem. § 3 Nr. 3 Grunderwerbsteuergesetz grunderwerbsteuerfrei. (3) Alternative: Ausscheiden gegen Abfindung?

Beratungssituation: Der Mandant ist Mitglied einer Zweipersonen-Erbengemeinschaft. Nach längerem Ringen ist er sich einstweilen mit dem weiteren Miterben einig, dass dieser von ihm einen Betrag X erhält und er selbst dafür den Nachlass allein übernimmt. Er möchte diese Einigung nun schnellstmöglich rechtsverbindlich fixieren, befürchtet aber, dass der andere, etwas wankelmütige Miterbe noch davon Abstand nehmen könnte, wenn dies förmlich vor einem Notar – mit entsprechenden Belehrungen – beurkundet wird. Außerdem möchte er auch die Notarkosten sparen. Er fragt, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, die Regelung auch privatschriftlich wirksam zu vereinbaren. Spätestens aufgrund des Urteils des BGH vom 21.1.19981 ist gesichert, dass ein Miterbe analog dem Austritt eines Gesellschafters aus einer BGB-Gesellschaft gegen Abfindung aus der Miterbengemeinschaft ausscheiden kann. Konsequenz: Das Vermögen der Gesamthand (hier: Erbengemeinschaft) wächst den anderen – im Verhältnis ihrer bisherigen Anteile – an (§ 738 BGB analog)2. Die Abfindung kann dabei sowohl aus dem Nachlass als auch aus dem Privatvermögen der verbleibenden Miterben geleistet werden3. Aber beachte: Im Erbschein ist der durch 1 BGH v. 21.1.1998 – IV ZR 346/96, MDR 1998, 539 = FamRZ 1998, 673 f., bestätigt durch BGH v. 27.10.2004 – IV ZR 174/03, MDR 2005, 338 = FamRZ 2005, 206 = ZEV 2005, 22. 2 BGH v. 27.10.2004 – IV ZR 174/03, MDR 2005, 338 = FamRZ 2005, 206 = ZEV 2005, 22. 3 BGH v. 21.1.1998 – IV ZR 346/96, MDR 1998, 539 = FamRZ 1998, 673f; bestätigt durch OLG Hamm v. 12.11.2013 – 15 W 43/13, ZEV 2014, 273. v. Morgen

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Abschichtung ausgeschiedene Miterbe, wie bei der Erbteilsübertragung nach § 2033 BGB,1 trotz der damit einhergehenden praktischen Schwierigkeiten hinsichtlich der Aussagekraft des Erbscheins wohl nach h.M.2 dennoch weiterhin aufzuführen. 112

Diese Möglichkeit der Erbauseinandersetzung besteht auch dann, wenn nach dem Ausscheiden des bzw. der übrigen Miterben nur noch ein Miterbe übrig bleibt. Damit ist der Nachlass dann vollständig auseinandergesetzt; der verbleibende Miterbe wird kraft Anwachsung Alleininhaber sämtlicher Nachlassgegenstände. Bei im Nachlass befindlichen Grundstücken wird das Grundbuch unrichtig (§ 22 GBO) und muss berichtigt werden. Die Unrichtigkeit ist entweder in der Form des § 29 GBO nachzuweisen oder durch beglaubigte Bewilligung des/der ausgeschiedenen Miterben3.

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Vorteil: Dieser Weg der Erbauseinandersetzung ist grundsätzlich auch dann formfrei möglich, wenn sich im Nachlass Gegenstände befinden, die ansonsten nur durch notarielle Beurkundung übertragen werden könnten, wie bspw. Grundstücke4. Ausnahme: Wenn die Abfindung in der formbedürftigen Übertragung eines Gegenstands, bspw. eines Grundstücks besteht5.

Beratungshinweise für Miterben: Vorsicht ist im Hinblick auf das (formlose) Ausscheiden gegen Abfindung in zwei Richtungen geboten: – Überrumpelungsgefahr: Auch wenn Grundstücke oder GmbH-Anteile im Nachlass vorhanden sind, können sich andere Miterben auf eine vorschnell erteilte mündliche Zustimmung zum Ausscheiden gegen Abfindung als rechtswirksamem Erbauseinandersetzungsvertrag berufen und dessen Erfüllung einfordern. – Abgrenzungsprobleme gegenüber einem Erbteilskauf/einer Erbteilsübertragung: Bei dem Ausscheiden aus der Erbengemeinschaft verzichtet der weichende Erbe lediglich auf seine Rechte als Mitglied, bei der Erbteilsübertragung überträgt er seinen Erbteil auf einen bestimmten Rechtsnachfolger6. Die Abgrenzung ist in der Praxis gerade bei vollständiger Auseinandersetzung, d.h. Verbleiben nur noch eines Miterben als Alleininhaber des Nachlasses kaum 100%ig sicher durchzuführen. Daher wird im Schrifttum überwiegend empfohlen, auch bei einer Konstruktion „Ausscheiden gegen Abfindung“ sicherheitshalber die Form der notariellen Beurkundung einzuhalten7.

1 S. noch unter V 1.d, Rz. 324. 2 OLG Brandenburg v. 14.5.2013 – 2 W 20/13; ZEV 2013, 614 (615f.), m. zust. Anm. Eberl-Borges, ZEV 2013, 616. 3 §§ 22, 19 GBO sowie dazu Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 504. 4 So ausdr. BGH v. 21.1.1998 – IV ZR 346/96, MDR 1998, 539 = FamRZ 1998, 673 f. 5 BGH v. 21.1.1998 – IV ZR 346/96, MDR 1998, 539 = FamRZ 1998, 673 f. 6 BGH v. 21.1.1998 – IV ZR 346/96, MDR 1998, 539 = FamRZ 1998, 673 f.; Sarres, Rz. 102; a.A. Reimann, ZEV 1998, 213 (214). 7 Reimann, ZEV 1998, 213 (214); Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 504; Sarres, Rz. 103. 1306

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C IV

Rz. 117

(4) Sonderfall: Teilauseinandersetzung Im Rahmen der Vertragsfreiheit können die Miterben die Erbauseinandersetzung auch in einzelnen Schritten vereinbaren. Dies kann sich gegenständlich auf die Auseinandersetzung nur eines Teils des Nachlasses beziehen, aber auch in personeller Hinsicht vorgenommen werden. Im letzteren Fall spricht die h.M. von der so genannten Abschichtung, d.h. ein Miterbe scheidet (gegen Abfindung) aus der Erbengemeinschaft aus, und diese wird von den verbleibenden Miterben, denen sein Anteil anwächst, fortgeführt1. Verbleibt allerdings nur noch ein Miterbe, so tritt der hier oben dargestellte Fall einer Totalauseinandersetzung ein.

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Beratungshinweis für Miterben: Eine gegenständliche Teilauseinandersetzung empfiehlt sich vor allem dann, wenn eine Einigung zwischen den Miterben nur hinsichtlich bestimmter Gegenstände möglich ist bzw. einzelne Nachlassgegenstände einen besonderen Streitpunkt bilden oder wenn umgekehrt hinsichtlich einzelner Nachlassgegenstände, insbesondere eines Unternehmens oder Grundvermögens, eine Auseinandersetzung wegen Zerschlagung der wirtschaftlichen Einheit nicht möglich/sinnvoll erscheint2, so dass nur der übrige Nachlass sinnvollerweise auseinandergesetzt werden sollte. Eine Teilauseinandersetzung in personeller Hinsicht (Abschichtung) ist vor allem dann anzuraten, wenn ein Miterbe gegenläufige Interessen zu denen der übrigen aufweist, insbesondere wegen eines akuten persönlichen Liquiditätsbedarfs an einer raschen Versilberung des Nachlasses zwecks Aufteilung interessiert ist. Die Auszahlung dieses Miterben, insbesondere aus eigenen privaten Mitteln, ermöglicht den übrigen Miterben in derartigen Fällen, den Nachlass als wirtschaftliche Einheit zusammenzuhalten und sich des „Störenfrieds“ gleichzeitig zu entledigen. Einstweilen frei.

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cc) Wirkung Die Auseinandersetzungsvereinbarung wirkt als schuldrechtlicher Vertrag zunächst nur verpflichtend; d.h. sie bedarf noch der Vollziehung, um das Gesamthandsrecht mit dinglicher Wirkung in die jeweilige Alleinberechtigung des betreffenden Miterben zu überführen. Die dingliche Teilung erfolgt dabei nach den Übertragungsvorschriften, die für das betreffende Recht bzw. für den betreffenden Gemeinschaftsgegenstand gelten, also z.B. denjenigen der §§ 398 ff., 854 ff., 873 ff. oder 929 ff. BGB.

Beratungshinweis für Miterben: In der Praxis wird häufig in Erbauseinandersetzungsverträgen nicht hinreichend zwischen dem Verpflichtungsgeschäft und dessen Vollzug durch die dinglichen Übertragungsakte unterschieden; die einzelnen Übertragungsakte sind dabei nicht selten in der Auseinandersetzungsvereinbarung bereits stillschweigend enthalten. Allerdings trifft im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung denjenigen die Darlegungs- und Beweislast, der sich auf eine stillschweigend vorgenommene dingliche Verfügung beruft3. Und bei Nachlassgegenständen, deren Übertra1 Vgl. Sarres, Rz. 100 m.w.N. 2 Zum Risiko nachträglich eintretender Wertdifferenzen s. Reimann, ZEV 2009, 120 ff. 3 Ebeling/Geck, Rz. 572. v. Morgen

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gung formbedürftig ist, z.B. Grundstücken, ist eine stillschweigende dingliche Verfügung im Auseinandersetzungsvertrag ohnehin nicht möglich1. Eine ausdrückliche und differenzierende Regelung der jeweiligen Übertragungsakte in der Auseinandersetzungs-/Teilungsvereinbarung, unter Beachtung des ggf. erforderlichen Formzwanges, ist also unbedingt anzuraten. dd) Angreifbarkeit 118

Gem. §§ 119 ff., 123 f. BGB: Als Vertrag unterliegt die Auseinandersetzungsvereinbarung den allgemeinen Anfechtungsgründen.

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Im Einzelfall gem. § 779 BGB: Nur wenn der Auseinandersetzungsvereinbarung ernsthafte Meinungsverschiedenheiten oder Rechtsstreitigkeiten unter den Miterben vorangegangen sind, die damit beigelegt werden sollen, kann der Auseinandersetzungsvereinbarung im Einzelfall auch die Rechtsnatur und Wirkung eines ernst gemeinten Vergleiches i.S.d. § 779 BGB zukommen2. Es kann dann ihre Unwirksamkeit geltend gemacht werden, sofern die Vergleichsgrundlage nicht zutrifft.

Beratungshinweis für Miterben und Testamentsvollstrecker: Für jede Form der einvernehmlichen Erbauseinandersetzung gilt: Kein Abschluss einer Vereinbarung ohne vorherige steuerliche Beratung! Denn das Erbschaftsteuerrecht berücksichtigt die Nachlassverteilung nicht bzw. nur eingeschränkt, was zu einer disquotalen Steuerbelastung unter den Miterben führen kann. Für alle Erbfälle, auf die noch das alte, vor der per 1.1.2009 in Kraft getretenen Erbschaftsteuerreform geltende Erbschaftsteuerrecht anzuwenden ist, gilt ausnahmslos dass, im Gegensatz zum (Voraus-)Vermächtnis, Teilungsordnungen des Erblassers ebenso wenig wie Teilungsvereinbarungen unter den Miterben Berücksichtigung finden. Die Zuweisung in der erbschaftsteuerlichen Bewertung begünstigter Vermögensgegenstände wie Unternehmen, Mietwohnimmobilien oder des Familienheims an einzelne Miterben ändert insoweit nichts daran, dass die Steuerprivilegien allen Miterben entsprechend ihrer Quote zugute kommen; es kommt also zu einer Fehlallokation von Steuerprivilegien3. Für Erbfälle, die nach dem neuen Erbschaftsteuerrecht zu beurteilen sind, ist die tatsächliche Aufteilung des Nachlasses immerhin bereits teilweise für maßgeblich erklärt worden, bspw. für Betriebsvermögen. Andere Nachlassbestandteile, wie bspw. Gewerbeimmobilien des Privatvermögens, werden hingegen ungeachtet der tatsächlichen Zuteilung bei der Erbauseinandersetzung erbschaftsteuerlich weiterhin sämtlichen Miterben zur jeweiligen Quote zugerechnet4. – Für den zur Erbauseinandersetzung befugten (Gesamt-)Testamentsvollstrecker gehört es zur Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens, bei der Aufteilung des Nachlasses keine vermeidbaren steuerlichen Mehrbelastungen für einzelne Miterben herbeizuführen. Allerdings darf er andererseits auch 1 BGH v. 28.6.1965 – III ZR 10/64, BB 1965, 1373 f. zur – auch stillschweigenden – Übertragung der einzelnen Gegenstände im Rahmen des Übergangs eines Handelsunternehmens durch Auseinandersetzungsvereinbarung auf einen Miterben. 2 Ebeling/Geck, Rz. 553. 3 Wälzholz, ZEV 2009, 113 (114). 4 Vgl. im Einzelnen Wälzholz, ZEV 2009, 113 (114 ff.). 1308

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Rz. 121

keinen besonderen Ausgleich für eintretende Steuermehrbelastungen gewähren1. ee) Bewertung Vorteile:

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– Flexibilität in der Gestaltung: Einverständlich können sich die Erben sowohl über Teilungsanordnungen des Erblassers hinwegsetzen als auch finanzielle Regelungen außerhalb des Nachlassvermögens miteinbeziehen, z.B. Abfindungszahlungen aus dem Privatvermögen verbleibender Miterben. Auch die Modalitäten der Auseinandersetzung (nur Teilauseinandersetzung, Abschichtung, Erbteilskauf u.a.) können frei vereinbart werden. – Wirtschaftliche Vorteile: Wirtschaftliche Einheiten brauchen nicht zerschlagen zu werden, wenn man andere Lösungen findet; die Kosten aufwändiger Auseinandersetzungsverfahren, einschließlich Teilungsversteigerungen, werden vermieden; die Abwicklung des Nachlasses erfolgt i.d.R. weitaus schneller, wodurch die Miterben früher in den wirtschaftlichen Genuss ihres Anteils am Nachlass kommen; in steuerlicher Hinsicht lässt sich bei Einigkeit der Miterben die für alle günstigste Lösung zur Durchführung bringen. – Akzeptanz: Eine auf allseitiger Einigung beruhende Erbauseinandersetzung wird am wenigsten Anlass für anschließende Streitereien ergeben. Einzelne streitige Punkte können in ihren Folgen durch Teilauseinandersetzung des restlichen Nachlassvermögens entschärft, einzelne „schwierige“ Miterben durch Abschichtung abgefunden werden. Nachteile:

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– Übervorteilung: Unbeholfenere, wirtschaftlich minderbemittelte und/oder nicht anwaltlich vertretene Miterben können in einer geplanten „HauruckAktion“ mit dem vorbereiteten Entwurf einer Auseinandersetzungsvereinbarung überrumpelt und benachteiligt werden, zumal wenn selbst bei Nachlassgrundvermögen eine Form gewählt wird, die keiner notariellen Beurkundung (mit entsprechender Belehrung) bedarf (vgl. oben Rz. 113). Der Konsens mit größtmöglicher Akzeptanz ist dann nur ein vermeintlicher: Der Konflikt verlagert sich auf den anschließenden Streit über die Wirksamkeit und die Reichweite der zuvor getroffenen Erbauseinandersetzung und wird umso erbitterter geführt. Nicht selten dürfte derartigen Erbauseinandersetzungen, zumal in Gestalt einer Abfindung der weniger interessierten/unbeholfeneren Miterbenpartei, auch eine unzureichende Aufklärung seitens der aktiveren Miterbenpartei über den Umfang und den Wert des Nachlassvermögens zugrunde liegen. – Hinhaltetaktik: Das Einigungsbemühen der übrigen Miterben kann von einem/mehreren Miterben zwecks bewusster Verzögerung der Erbauseinandersetzung ausgenutzt werden. Auf diese Weise wird u.U. wertvolle Zeit verloren, bevor dann die ohnehin unvermeidliche und langwierige streitige Erbauseinandersetzung eingeleitet wird.

1 Wälzholz, ZEV 2009, 113 (119). v. Morgen

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Rz. 122

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c) Vermittlung durch den Notar (§§ 363–373 FamFG)

Beratungssituation: Der Mandant ist der aktive Teil einer Erbengemeinschaft; die übrigen Miterben zeigen trotz seines intensiven Bemühens keinerlei Interesse, an der Auseinandersetzung des Nachlasses mitzuwirken. Da es sich um seine Geschwister handelt, möchte der Mandant allerdings auch nicht den Weg einer Klage beschreiten. 122

Als Mittelweg zwischen außergerichtlicher Auseinandersetzungsvereinbarung und Auseinandersetzungsklage halten die §§ 363 ff. FamFG ein Vermittlungsverfahren bereit, welches dem passiven Miterben zumindest ein Minimum an Mitwirkung abverlangt, um keine Rechtsnachteile zu erleiden, und auf diesem Wege auch ohne den größeren Aufwand eines Klageverfahrens zu Lösungen führen kann.

Hinweis zur Reformenentwicklung: Das zum 1.9.2009 in Kraft getretene „Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)“1 hat Vorschriften über das Vermittlungsverfahren vor dem Nachlassgericht gem. den früheren §§ 86–99 FGG in § 363 bis § 373 FamRG zunächst inhaltlich weitgehend unverändert übernommen. Eine wesentliche Neuerung ist kürzlich mit der Übertragung der sachlichen Zuständigkeit von den Nachlassgerichten auf die Notare gem. § 23a GVG für alle seit dem 1.9.2013 eingeleiteten Verfahren eingetreten. In rechtspolitischer Hinsicht ist allerdings zu bedauern, dass mit dem FamFG die Gelegenheit einer gleichzeitigen inhaltlichen Reform insbesondere des Vermittlungsverfahrens vor dem Nachlassgericht ungenutzt blieb. Durch einen unabhängigeren und verbindlicheren Charakter der Entscheidung des Nachlassgerichts in diesem Verfahren hätte die streitige Auseinandersetzung vor dem Prozessgericht nach den schwerfälligen Regelungen des BGB in §§ 2042 ff. über die Nachlassverteilung unter Miterben zum Einen eine echte Alternative erhalten können, zum anderen hätte das Vermittlungsverfahren vor dem Nachlassgericht seinerseits dadurch aus seinem Schattendasein in der Rechtswirklichkeit der Auseinandersetzung unter Miterben hervortreten können. Auch die jüngst erfolgte Verlagerung der Verfahrenszuständigkeit auf die Notare führt m.E. zumindest in dieser Hinsicht ebenfalls nicht weiter. aa) Verfahren 123

Antrag an einen zuständigen Notar. Örtlich zuständig: Jeder Notar mit Amtssitz im Amtsgerichtsbezirk des letzten Wohnsitzes des Erblassers (§ 344 Abs. 4a S. 1 FamFG), in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes des Erblassers überall dort, wo sich Nachlassgegenstände befinden (§ 344 Abs. 4a S. 2 FamFG). Antragsberechtigt: Jeder Miterbe, Erwerber eines Erbteils, Pfandrechtsgläubiger, Nießbraucher, Erbteils-Testamentsvollstrecker (§ 363 Abs. 2 FamFG) 1 Art. 1 des FGG-RG v. 17.12.2008, BGBl. I 2008, 2586; s. dazu auch den Überblick bei Zimmermann, ZEV 2009, 53 ff. 1310

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C IV

Rz. 125

Nicht antragsberechtigt: Nachlassgläubiger, Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigter, Nacherbe, Nachlassverwalter, Nachlasspfleger, Insolvenzverwalter1, (Gesamt-)Testamentsvollstrecker Notwendiger Inhalt der Antragsschrift:2 Angabe der Miterben (Beteiligten) und der Teilungsmasse mit Aktiv- und Passivposten sowie weitere Angaben zu den persönlichen Verhältnissen des Erblassers und der Beteiligten, dem Anfall sowie dem Erwerbsgrund des Nachlasses (§ 363 Abs. 3 FamFG) Ladung des Antragstellers und der übrigen Beteiligten zu einem Verhandlungstermin (vor dem Notar). Vollständige oder teilweise Vernehmung der erschienenen Beteiligten im Verhandlungstermin mit Beurkundung einer einvernehmlich getroffenen Auseinandersetzungsregelung (§ 368 Abs. 1 S. 2 FamFG); bei Widerspruch eines erschienenen Beteiligten wird das Verfahren gem. § 370 FamFG ausgesetzt. Bestätigung des Auseinandersetzungsplans durch Protokollierung gem. § 368 Abs. 1 S. 3, 1. Hs. FamFG, wenn alle Beteiligten einverstanden sind; nicht erschienene Beteiligte können zu gerichtlichem Protokoll oder in öffentlich beglaubigter Urkunde zustimmen (§ 368 Abs. 1 S. 3, 2. Hs. FamFG). Im Versäumnisverfahren gem. §§ 368 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 366 Abs. 3 und 4 FamFG3 ist deren Zustimmung entbehrlich. Rechtsmittel dagegen: Soweit gegen Entscheidungen des Notars ein Rechtsmittel statthaft: sofortige ZPO-Beschwerde oder Beschwerde nach FamFG, wie gegen Entscheidung des Amtsgerichts; in allen übrigen Fällen:gem. § 492 Abs. 2 S. 1 FamFG Erinnerung wie gegen Entscheidungen des Rechtspflegersgem. § 11 Abs. 2 RPflG. Vorlage an das zuständige Amtsgericht, soweit der Notar ihr nicht abhilft. Die (formell) rechtskräftige und unstreitige Vereinbarung stellt einen Vollstreckungstitel dar (§ 371 Abs. 2 S. 1 FamFG); die Vollstreckung erfolgt gem. §§ 795, 797 ZPO i.V.m. § 371 Abs. 2 S. 2 FamFG. Jedoch keine endgültige materiellrechtliche Wirkung: Die Vereinbarung kann, wie jeder Vertrag, bei Vorliegen entsprechender Gründe einseitig angefochten oder einverständlich geändert, aufgehoben oder modifiziert werden4. Kosten: Gem. § 6 GNotKG Nr. 23900 gilt grundsätzlich eine 5,0 Verfahrensgebühr; Ermäßigung auf 1,5 bei Antragsrücknahme, sonstiger Erledigung oder Verweisung an anderen Notar. bb) Streitige Punkte, Vorrang eines Klageverfahrens Das Vermittlungsverfahren vor dem Nachlassgericht wird ausgesetzt, wenn und soweit sich in der Verhandlung vor dem Notar Streitpunkte ergeben (§ 370 S. 1 FamFG).

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Noch bis zur rechtskräftigen Bestätigung der Auseinandersetzung durch den Notar kann ein Miterbe, der sich noch nicht mit Zustimmungswirkung an dem

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1 2 3 4

Vgl. Bumiller/Harders, § 363 FamFG Rz. 2, Anm. 8. Formulierungsbeispiele bei Holzer, ZEV 2013, 656 (658). Näher dazu: Holzer, ZEV 2013, 656 (660). Vgl. Sarres, Rz. 138. v. Morgen

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C IV

Rz. 126

Erbengemeinschaft

Vermittlungsverfahren vor dem Notar beteiligt hat, dessen Entscheidung außerdem torpedieren, indem er Klage vor dem ordentlichen Gericht gegen die übrigen Miterben auf Zustimmung zur gesetzlichen Auseinandersetzung/Teilung des Nachlasses erhebt. Die Entscheidung der ordentlichen Gerichte ist in jedem Falle vorrangig1. Dies gilt – theoretisch – sogar noch nach Vorliegen einer rechtskräftig bestätigten Auseinandersetzungsvereinbarung vor dem Notar. Allerdings wird sich ein Miterbe, der sich bereits am Vermittlungsverfahren vor dem Notar mit Zustimmungswirkung beteiligt hatte, diesen Umstand im Klagverfahren vor dem ordentlichen Gericht entgegenhalten lassen müssen, so dass seine dortige Klage dann nicht zum Erfolg führen dürfte, es sei denn, es liegt z.B. eine Säumnislage der übrigen Miterben in jenem Verfahren vor2. cc) Bewertung 126

Vorteile: – „Mediationsgedanke“: Die Parteien kommen unter Vermittlung einer rechtskundigen und neutralen Institution, welche – nunmehr allerdings nach der Übertragung der Zuständigkeit auf die Notare nur noch eingeschränkt – die staatliche Autorität repräsentiert, an einen Tisch, ohne dass hierfür ein streitiges Gerichtsverfahren geführt werden müsste. – Kostengesichtspunkt: Die Vermittlung durch den Notar kann kostengünstiger als ein streitiges Verfahren sein. Zusätzlich ergibt sich noch die Möglichkeit, zumindest ohne besondere Notarkosten im Rahmen der Protokollierung im Nachlass befindliche Grundstücke, GmbH-Anteile etc. durch formgültige dingliche Übertragung auseinander zu setzen3.

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Nachteile: – Mangelnde Durchsetzbarkeit: Gegen den Willen auch nur eines der Miterben lässt sich eine Erbauseinandersetzung mithilfe des Notars nicht durchführen. Jener Miterbe braucht nur im Termin vor dem Notar zu erscheinen und sich einer einvernehmlichen Lösung zu widersetzen; damit ist das Vermittlungsverfahren dann gescheitert. – Ineffektivität, Verzögerung: Die vorbereitenden Arbeiten sowohl des antragstellenden Miterben als auch des Notars erweisen sich häufig als vergebene Liebesmüh, wenn das Verfahren anschließend mangels Einigungsmöglichkeiten – oder wegen Rechtshängigkeit einer Auseinandersetzungsklage vor dem ordentlichen Gericht – ausgesetzt werden muss. – Zusätzliche Kosten im Falle des Scheiterns: Bleibt dann letztlich doch nur der Gang zu den ordentlichen Gerichten durch Erhebung einer Auseinandersetzungsklage, ist der Mandant mit zusätzlichen, zudem nicht unerheblichen Kosten belastet; außer den Kosten der anwaltlichen Vertretung im Vermittlungsverfahren entsteht grundsätzlich auch die 5,0 Verfahrensgebühr des Notars gem. GNotG KV Nr. 23900.

1 OLG Düsseldorf v. 17.7.2002 – 3 Wx 151/02, FamRZ 2003, 396 = NJW-RR 2003, 5. 2 Vgl. auch Ebeling/Geck, Rz. 604 ff. 3 Ebeling/Geck, Rz. 602; vgl. BGH v. 5.10.1954 – V BLw 25/54, BGHZ 14, 381 (390 f.). 1312

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v. Morgen

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C IV

Rz. 131

d) Auseinandersetzungsklage aa) Zuständiges Gericht Nach § 27 Abs. 1 ZPO (besonderer Gerichtsstand bei Erbfolge) das Gericht des letzten allgemeinen Gerichtsstands des Erblassers, also i.d.R. des letzten Wohnsitzes des Erblassers (§ 13 ZPO). Handelte es sich bei dem Erblasser um einen Auslandsdeutschen, so gilt der letzte inländische Wohnsitz, in Ermangelung dessen der Sitz der Bundesregierung (§ 27 Abs. 2, 2. Hs. i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 2 ZPO).

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§ 27 Abs. 1 ZPO begründet keinen ausschließlichen Gerichtsstand, zulässig bleibt damit vor allem eine Klage am Gericht des allgemeinen Gerichtsstands (§ 12 ZPO), also in aller Regel des Wohnsitzes (§ 13 ZPO) des/der Beklagten. bb) Parteien Kläger kann jeder Anspruchsberechtigte (s. Rz. 37 ff.) sein, welcher die Nachlassteilung herbeiführen möchte. Die Klage ist grundsätzlich gegen die übrigen Miterben, die sich der Teilung des Nachlasses – entweder ganz oder gem. dem vom Kläger aufgestellten Teilungsplan – widersetzen, zu richten. Das Gleiche gilt für etwa vorhandene sonstige Beteiligte, wie Nießbraucher, Pfandgläubiger und (Erbteils-)Testamentsvollstrecker1.

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Nach h.M.2 ist die Beschränkung auf einzelne widersprechende Miterben (Beteiligte) zulässig; die beklagten Miterben (Beteiligten) werden nicht notwendige Streitgenossen i.S.d. § 62 ZPO3. Meines Erachtens ist diese Beschränkung sogar zwingend, denn der Klage gegen einen Miterben (Beteiligten), der bereits seine Zustimmung erteilt hat, würde das notwendige Rechtsschutzbedürfnis fehlen.

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Beratungshinweis für den aktiven Miterben: Ist ein anderer Miterbe (Beteiligter) grundsätzlich zustimmungsbereit, sollte er unter Fristsetzung zur Erteilung der Zustimmung aufgefordert werden, um zu vermeiden, dass er im Falle der Klage mit der Kostenfolge des § 93 ZPO sofort anerkennt. cc) Klageart und Klageantrag (1) Grundsatz: Klage auf Zustimmung zur Erbauseinandersetzung gem. Teilungsplan Klageziel ist die Herbeiführung einer Auseinandersetzungsvereinbarung zwischen allen Miterben. Die Willenserklärung des Klägers besteht in einem von ihm aufgestellten vollständigen Teilungsplan, der nur noch der zustimmenden Willenserklärung der übrigen Miterben bedarf. Dementsprechend ist der Klagantrag grundsätzlich auf Zustimmung zu einem darin in allen Einzelheiten angegebenen Teilungsplan des Klägers zu richten. Die erforderliche zustimmende Willenserklärung der beklagten Miterben wird dann durch die Rechtskraft des Urteils gem. § 894 ZPO fingiert. 1 Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 209. 2 Erman/Bayer, § 2042 Rz. 16; Palandt/Weidlich, § 2042 Rz. 2; Ebeling/Geck, Rz. 610. 3 RG v. 23.12.1918 – IV 249/18, WarnRspr. 1919 Nr. 42. v. Morgen

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Rz. 132

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Dreh- und Angelpunkt jeder Erbauseinandersetzungsklage ist somit der Teilungsplan des Klägers und dessen kritische Überprüfung. Zwar hat das Prozessgericht auf sachgemäße Antragstellung hinzuwirken1; der Kläger trägt jedoch das volle Risiko einer Unrichtigkeit und/oder Unvollständigkeit des von ihm eingeklagten Teilungsplans. Erfasst dieser nicht alle Nachlassgegenstände, steht er nicht in Übereinstimmung mit den Teilungsanordnungen des Erblassers und/ oder den gesetzlichen Erbteilungsvorschriften der §§ 2046 ff. i.V.m. §§ 2042 Abs. 2, 752, 753 BGB, so ist die Klage zur Gänze abzuweisen; eine rechtsgestaltende Befugnis kommt dem Gericht nicht zu (Ausnahme: § 2048 S. 2 und 3 BGB).

Beratungshinweis für Kläger: Um dieses Risiko einzuschränken, empfiehlt sich bei kritischen Rechtsfragen die Stellung von Hilfsanträgen, die auch mehrfach abgestuft zulässig sind2. 133

Sind noch Nachlassverbindlichkeiten durch Umsetzung einzelner Nachlassgegenstände in Geld zu berichtigen (§ 2046 Abs. 3 BGB), so muss der Teilungsplan, zu welchem die Zustimmung klageweise gefordert wird, auch die zu diesem Zweck zu verwertenden Nachlassgegenstände sowie die Art der Verwertung im Einzelnen aufführen. Auch hinsichtlich des verbleibenden „Nettonachlasses“ muss der Teilungsplan hinsichtlich jedes einzelnen Nachlassgegenstands die Angabe enthalten, wie dieser zu verwerten ist, nämlich durch Teilung in Natur, im Wege der Pfandversteigerung oder – bei Grundstücken – der Teilungsversteigerung, und wie der Erlös in Übereinstimmung mit den Erbteilen unter den Miterben aufgeteilt werden soll3.

Beratungshinweis für Kläger: Neben dem Klageantrag auf Zustimmung zum Teilungsplan sollte auch an dessen dinglichen Vollzug gedacht werden: Die Klage kann zugleich auch auf Verurteilung zur Zustimmung zu den erforderlichen dinglichen Erklärungen für die Ausführung des Teilungsplans, z.B. die notwendigen Auflassungserklärungen für Nachlassgrundvermögen, gerichtet werden4. (2) Teilklage?

Beratungssituation: Der Mandant ist Miterbe eines Nachlasses, der ganz überwiegend aus Barvermögen besteht. Eine Gesamtauseinandersetzung verzögert sich jedoch erheblich, weil die Erben noch keinen Überblick über das Sammelsurium diverser persönlicher Gegenstände des Erblassers ohne besonderen Wert gewinnen konnten. Nachlassverbindlichkeiten bestehen nicht mehr, insbesondere die Erbschaftsteuern sind vollständig entrichtet. Dennoch verweigern die übrigen Miterben ihre Zustimmung zur Aufteilung (nur) des Nachlassbarvermögens. Mandant sucht nach einer Möglichkeit, diese Aufteilung jetzt bereits rechtlich zu erzwingen. 1 § 139 ZPO, s. hier auch RG v. 20.1.1936 – IV 234/35, Recht 1936 Nr. 3138. 2 S. u.a. OLG Karlsruhe v. 29.11.1973 – 4 U 209/72, NJW 1974, 956; Johannsen, WM 1970, 738 (744), unter Hinweis auf BGH v. 24.1.1962 – V ZR 6/61 (n.v.). 3 Vgl. Ebeling/Geck, Rz. 617. 4 Kipp/Coing, S. 641. 1314

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v. Morgen

Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 138

Die persönliche Teilauseinandersetzung kann nur einvernehmlich vereinbart, aber nicht von einem Miterben gegen den Willen auch nur eines anderen Miterben im Klagewege durchgesetzt werden1. Es müssen also immer alle Miterben in die Auseinandersetzungsklage einbezogen werden, sofern sie nicht zustimmungsbereit sind.

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Auch eine gegenständlich beschränkte Auseinandersetzung kann gegen den Willen eines anderen Miterben grundsätzlich nicht verlangt werden; die Auseinandersetzungsklage verlangt grundsätzlich die Teilungsreife des gesamten Nachlasses2. Dies bedeutet:

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– Sämtliche Aktiva und Passiva des Nachlasses stehen fest. – Der Teilungsplan, der eingeklagt wird, erfasst diese Aktiva und Passiva vollständig. – Der eingeklagte Teilungsplan steht in Übereinstimmung mit etwaigen Teilungsanordnungen des Erblassers und den gesetzlichen Auseinandersetzungsregeln der §§ 2042 ff. BGB. Ausnahmsweise kann eine gegenständlich beschränkte Auseinandersetzung von einem Miterben auch gegen den Willen eines anderen verlangt werden, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen. Die Rechtsprechung hat dies vereinzelt unter folgenden Voraussetzungen anerkannt:

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– Nachlassverbindlichkeiten bestehen nicht mehr und – es werden weder berechtigte Belange der Erbengemeinschaft noch der einzelnen Miterben durch die Teilauseinandersetzung gefährdet3. Achtung: Diese Ausnahmen sind für eine Teilauseinandersetzung nur bezogen auf die Nachlassfrüchte grundsätzlich nicht möglich4.

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Weitere Ausnahme: Bei nicht fälligen oder streitigen Verbindlichkeiten kann jeder Miterbe verlangen, dass das Erforderliche zurückbehalten wird (§ 2046 Abs. 2 BGB; Beispiel: zu erwartende steuerliche Nachveranlagung des Erblassers). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass in diesen Fällen eine gegenständliche, auf den übrigen Nachlass beschränkte Teilauseinandersetzung zulässig ist. Dies soll auch dann gelten, wenn unter den Miterben Streit darüber besteht, ob eine Verbindlichkeit existiert bzw. bei einem Streit unter den Miterben über Ausgleichungspflichten nach §§ 2050 ff. BGB5.

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1 BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688 = NJW 1985, 51 (52). 2 Vgl. BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688 (689); OLG Karlsruhe v. 29.11.1973 – 4 U 209/72, NJW 1974, 956 (659); KG v. 20.10.1960 – 12 U 255/60, NJW 1961, 733. 3 Vgl. BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, MDR 1984, 917 = FamRZ 1984, 688; BGH v. 13.3.1963 – V ZR 208/61, LM Nr. 4 zu § 2042; BGH v. 28.6.1963 – V ZR 15/62, NJW 1963, 1611; BGH v. 22.2.1965 – III ZR 208/63, WM 1965, 345; BGH v. 28.6.1965 – III ZR 10/64, WM 1965, 1155 (1156); BGH v. 26./27.1.1975 – IV ZR 33/73, WM 1977, 271 f.; OLG Koblenz v. 9.1.2013 – 3 W 672/12, FamRZ 2014, 68 = MDR 2013, 249. 4 OLG Hamburg v. 11.5.1965 – 2 U 94/65, MDR 1965, 665, vgl. auch § 2038 Abs. 2 S. 2 BGB. 5 KG v. 14.6.1904, OLGZ 9, 389 (391); Staudinger/Werner, § 2046 Rz. 15; Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 445. v. Morgen

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C IV

Rz. 139

Erbengemeinschaft

Beratungshinweise für Kläger: – Die Erhebung einer Teilklage, wenn die Zusammensetzung des Nachlasses noch nicht vollständig feststeht oder der Nachlass noch nicht in allen Bestandteilen teilungsreif ist, stellt ein erhebliches Risiko dar. Bei einer Klageabweisung aus diesem Grunde setzt sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers einem erhöhten Haftpflichtrisiko aus1. – Ist nicht die vollständige Zusammensetzung des Nachlasses zweifelhaft, sondern nur die Frage, wie dieser aufzuteilen ist, so empfiehlt sich statt einer Teilklage hinsichtlich des in der Aufteilung unzweifelhaften Teils die Stellung von Haupt- und (u.U. auch mehrfach abgestuften) Hilfsanträgen2. (3) Feststellungsklage bei fehlender Teilungsreife des Nachlasses als Alternative 139

Die Erbteilungsklage hat als Leistungsklage grundsätzlich Vorrang vor einer Feststellungsklage gem. § 256 ZPO; dieser fehlt dann grundsätzlich das besondere Rechtsschutzbedürfnis (Feststellungsinteresse). Wegen des sehr hohen Prozessrisikos einer Auseinandersetzungsklage ist in der Rechtsprechung indessen anerkannt, dass ein Miterbe zur Vorbereitung der Auseinandersetzung gleichwohl im Einzelfall eine Klage auf Feststellung einzelner Streitpunkte erheben kann, wenn eine solche Feststellung einer sinnvollen Klärung der für die Auseinandersetzung maßgebenden Grundlagen dient. Die Feststellungsklage muss sich konkret als das prozesswirtschaftlich sinnvollere Verfahren gegenüber einer Auseinandersetzungsklage darstellen3.

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Die vorbereitende Feststellungsklage kann also eine zulässige/sinnvolle Alternative sein, wenn – die Teilungsreife für die endgültige Erbauseinandersetzung noch an einzelnen offenen Streitpunkten scheitert; – diese Streitpunkte sich sinnvoll durch eine Feststellungsklage klären lassen. Kontrollfrage: Ist es zu erwarten, dass die Miterben sich aufgrund eines Feststellungsurteils über diese bisherigen Streitpunkte auf eine Auseinandersetzungsvereinbarung einigen? – Die Feststellungsklage ist dann weniger aufwändig und kostengünstiger als die Auseinandersetzungsklage. Diese Voraussetzungen müssen im Übrigen auch noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bestehen. 1 Vgl. nur LG Erfurt v. 18.11.1997 – 9 O 4376/96, ZEV 1998, 391 f. 2 S. auch KG v. 14.6.1904, OLGZ 9, 389; Johannsen, WM 1970, 738 (744). 3 Vgl. BGH v. 17.1.1951 – ZR 16/50, BGHZ 1, 65 (74); BGH v. 6.6.1951 – II ZR 24/50, BGHZ 2, 250 (253); BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 (476); BGH v. 27.6.1990 – IV ZR 104/89, MDR 1991, 135 = FamRZ 1990, 1112 (1113); KG v. 29.9. 1960 – 12 U 874/60, JR 1961, 144; OLG Karlsruhe v. 29.11.1973 – 4 U 209/72, NJW 1974, 965; OLG Düsseldorf v. 19.4.1996 – 7 U 96/95, FamRZ 1996, 1338; OLG Köln v. 17.12.2003 – 2 U 108/03, ZEV 2004, 508 ff.; OLG Koblenz v. 25.10.2013 – 3 U 577/13, MDR 2014, 562 = ZEV 2014, 116. 1316

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v. Morgen

Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 143

Trotz Vorliegens sämtlicher Voraussetzungen besteht gleichwohl noch ein nicht unerhebliches Prozessrisiko für die Klägerseite. Denn die Rechtsprechung spricht nur generell von einem schutzwürdigen Interesse und überlässt alles andere der Einzelfallbeurteilung1. Insbesondere findet sich in der Rechtsprechung kein Hinweis dazu, wann der Maßstab der „einzelnen Posten“, die noch ungeklärt sind, etwa überschritten ist und ob dies zudem auch von der Wertrelation zum Gesamtnachlass abhängig sein kann2.

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(4) Vorbereitende Auskunftsklage?

Beratungssituation: Der Mandant ist aktiver Teil einer Erbengemeinschaft und möchte die Auseinandersetzung voranbringen. Ihm fehlt jedoch der Überblick über den vollständigen Nachlass, da einer der übrigen Miterben bereits zu Lebzeiten des Erblassers dessen Vermögensangelegenheiten wahrgenommen hat und im Besitz der entsprechenden Unterlagen ist, deren Inhalt er jedoch nicht preisgibt. Als eine der hohen Voraussetzungen für die vollständige und korrekte Antragstellung im Rahmen einer Erbteilungsklage stellt sich in der Praxis für den die Auseinandersetzung betreibenden Miterben häufig das Problem, die Zusammensetzung des Nachlasses überhaupt vollständig zu erfassen und zudem über etwaige Ausgleichungspflichten zwischen den Miterben die nötigen Informationen zu sammeln. Hier fehlt es häufig an der faktischen Nähebeziehung zum Erblasser und dem Nachlass selbst, um das Risiko, wegen eines unvollständigen/unrichtigen Teilungsplans mit der Erbteilungsklage abgewiesen zu werden, im Vorwege einschätzen zu können.

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Dieses Dilemma wird durch die gesetzlichen Vorschriften und die hierzu ergangene Rechtsprechung nur unzureichend gelöst. Denn weder im Gesetz noch in den dazu ergangenen Entscheidungen wird ein allgemeiner Auskunftsanspruch zwischen Miterben angenommen3. Dies wird – häufig lebensfremd – i.d.R. damit begründet, dass jeder Miterbe als Gesamthänder genügend eigene Möglichkeiten habe, sich über den Bestand und den Wert des Nachlasses die nötigen Kenntnisse zu verschaffen4. Insbesondere die wechselseitige Verpflichtung der Miterben zur ordnungsmäßigen Verwaltung gem. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB wird – insoweit dogmatisch richtig – nicht als Grundlage für eine allgemeine Auskunftsverpflichtung unter Miterben angesehen, da diese der Auseinandersetzung und nicht der Verwaltung der Erbengemeinschaft dienen soll5. Des Weiteren soll die einfache Miterbenstellung auch nicht ausreichen, um einen allgemeinen wech-

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1 So auch Sarres, Rz. 192. 2 Vgl. Sarres, Rz. 192. 3 RG v. 28.11.1912 – Rep. IV 265/12, RGZ 81, 30 (31); OLG Zweibrücken v. 9.2.1972 – 2 U 88/71, OLGZ 73, 217; OLG Celle v. 19.12.1934 – 6 U 182/34, HRR 35 Nr. 680; BGH v. 7.12.1988 – IVa ZR 290/87, MDR 1989, 431 = FamRZ 89, 377 (378); Erman/ Bayer, § 2038 Rz. 10; a.A. Schlüter, S. 275 Rz. 677; v. Lübtow, S. 809. 4 BGH v. 27.6.1973 – IV ZR 50/72, NJW 1973, 1876 (1877); Lorenz, JuS 1995, 569 (571). 5 AG Rheinberg v. 17.7.1996 – 10 C 148/96, ZEV 1996, 315; Palandt/Weidlich, § 2038 Rz. 14; Sarres, ZEV 1996, 300 (301). v. Morgen

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C IV

Rz. 144

Erbengemeinschaft

selseitigen Auskunftsanspruch aufgrund spezieller Sonderbeziehung im Rahmen von Treu und Glauben gem. § 242 BGB zu begründen1. 144

Der auskunftsbedürftige Miterbe ist somit darauf verwiesen, in der Begründung seines Auskunftsbegehrens Umwege über Ausnahmetatbestände2 einzuschlagen. Als solche kommen in Betracht: – § 2027 Abs. 1 und Abs. 2 BGB: Ansprüche gegen den anderen Miterben, der sich in einer den Erbteil des anspruchsberechtigten Miterben beeinträchtigenden Weise über seinen eigenen Anteil hinaus als Erbschaftsbesitzer geriert (Abs. 1) oder unter Beeinträchtigung des (Mit-)Besitzrechts des auskunftsberechtigten Miterben Gegenstände des Nachlasses in Besitz nimmt (Abs. 2). – § 2028 Abs. 1 BGB: Ansprüche gegen den mit dem Erblasser in häuslicher Gemeinschaft lebenden Miterben. – § 2057 BGB: Anspruch auf Auskunftserteilung gegenüber demjenigen Miterben, der ausgleichungspflichtige lebzeitige Zuwendungen gem. §§ 2050– 2053 BGB vom Erblasser erhalten hat3. – § 666 BGB: Auskunftsanspruch gegen denjenigen Miterben, der die Nachlassgeschäfte bzw. die Nachlassverwaltung in wirtschaftlicher Hinsicht übernommen hat4. – Schließlich § 242 BGB: Auskunftsanspruch nur dann, wenn im Rahmen einer speziellen rechtlichen Sonderbeziehung zwischen den Miterben ein Hauptanspruch gegen den in Anspruch genommenen Miterben bereits dem Grunde nach nachgewiesen ist, dessen Umfang/Höhe nur durch die begehrte Auskunft ermittelt werden kann. Beispiel: Ein Vertragserbe hat die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch gem. § 2287 BGB wegen beeinträchtigender Schenkungen des Erblassers an einen weiteren Miterben hinreichend dargetan. Prüfungsfolge5: – Spezielle rechtliche Sonderverbindung zwischen den Miterben (Anspruchsverdichtung betreffend Hauptanspruch). – Keine zumutbare andere Möglichkeit für den Anspruch stellenden Miterben, sich die Informationen selbst zu beschaffen. – Der auf Auskunft in Anspruch genommene Miterbe kann die gewünschte Auskunft in zumutbarer Weise, d.h. „unschwer“ erteilen6.

1 BGH v. 7.12.1988 – IVa ZR 290/87, MDR 1989, 431 = FamRZ 1989, 377 = JR 1990, 16 (17) m. Anm. v. Wassermann. 2 Vollständiger Überblick bei Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 23 Rz. 2 ff. 3 Vgl. i.E. speziell hierzu auch Sarres, ZEV 2000, 349 ff. 4 Vgl. BGH v. 7.12.1988 – IVa ZR 290/87, MDR 1989, 431 = FamRZ 1989, 377 = NJW-RR 1989, 450; BGH v. 27.6.1973 – IV ZR 50/72, NJW 1973, 1876 (1877). 5 Vgl. insbesondere BGH v. 26.2.1986 – IVa ZR 87/84, BGHZ 97, 188ff = MDR 1986, 737 = FamRZ 1986, 569. 6 Vgl. BGH v. 26.2.1986 – IVa ZR 87/84, BGHZ 97, 188 ff. = MDR 1986, 737 = FamRZ 1986, 569; vgl. auch Lorenz, JuS 1995, 570 (572); Sarres, ZEV 1996, 300; zu § 2057 BGB: Sarres, ZEV 2000, 349 ff. 1318

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v. Morgen

Erbengemeinschaft

C IV

Rz. 147

(5) Weitere vorbereitende Maßnahmen: Teilungsversteigerung von Grundstücken

Beratungssituation: Der Mandant ist gemeinsam mit seiner Stiefmutter Erbe seines Vaters. Mit der von ihm angestrebten Erbauseinandersetzungsvereinbarung, die der Stiefmutter das von dieser weiterhin bewohnte Einfamilienhaus des Erblassers und dem Mandanten selbst den übrigen Nachlass zuteilen soll, kommt er nicht recht weiter, weil die Stiefmutter jegliche Mitwirkung verweigert. Daher erwägt er nunmehr, durch die Einleitung einer Teilungsversteigerung des Einfamilienhauses Druck auf die Stiefmutter auszuüben und erkundigt sich nach den rechtlichen Möglichkeiten und Risiken. (a) Isolierte Durchführung zulässig? Sofern die Teilung einzelner Nachlassgegenstände in Natur, d.h. eine Zerlegung in den Erbteilen der Miterben jeweils entsprechende Teile ohne Wertminderung1 nicht möglich ist, muss die Auseinandersetzung durch Verkauf der betreffenden Nachlassgegenstände vorbereitet werden (§ 2042 Abs. 2 i.V.m. § 753 BGB), damit im Zuge der Auseinandersetzung dann der Erlös entsprechend verteilt werden kann. Bewegliche Sachen und Rechte sind nach den Vorschriften über den Pfandverkauf (§§ 1233 ff., 1277, 1279 ff.) zu veräußern (§ 2042 Abs. 2 i.V.m. §§ 753 Abs. 1 S. 1, 754 BGB), Grundstücke im Wege der Zwangsversteigerung gem. §§ 180 ff. ZVG (Teilungsversteigerung) zu veräußern2.

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Grundsätzlich sind diese vorbereitenden Maßnahmen jedoch nicht gesondert vorab zulässig; sie gehören als eigene Anträge bezüglich der nötigen Mitwirkungshandlung der verklagten Miterben in die Gesamtauseinandersetzungsklage, ggf. im Wege einer partiellen Stufenklage (§ 254 ZPO), es sei denn, es liegen bezüglich des durch Veräußerung teilbar zu machenden Nachlassgegenstands im Einzelfall ausnahmsweise die Voraussetzungen für eine Teilauseinandersetzung (vgl. Rz. 136 ff.) vor.

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Ausnahme: Jeder Miterbe kann schon vor der Auseinandersetzung zu deren Vorbereitung die Versteigerung von Nachlassgrundstücken teilungshalber gem. § 180 ZVG beantragen3. Es muss ihm dabei aber jedenfalls um die Gesamtauseinandersetzung des Nachlasses gehen4. Zudem ist zu beachten, dass die Verteilung des Erlöses in jedem Falle erst dem Auseinandersetzungsverfahren vorbehalten ist; sie ist die eigentliche Auseinandersetzung hinsichtlich des Nachlassgrundstücks5. Bis dahin setzt sich die ungeteilte Erbengemeinschaft am Versteigerungserlös fort6.

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MüKo.BGB/Ann, § 2042 Rz. 24. Kiderlen/Roth, NJW-Spezial 2008, 455. RG v. 16.3.1925 – IV 118/24, RGZ 110, 270 (273); MüKo.BGB/Ann, § 2042 Rz. 65. KG v. 1.8.2012 – 21 U 169/10, FamRZ 2013, 1163; MüKo.BGB/Ann, § 2042 Rz. 25 und 66. 5 RG v. 30.9.1918 – IV 222/18, JW 1919, 42 (43); BayObLG v. 23.10.1956 – BReg. 1Z 121/56, BayObLGZ 1956, 363 (366 f.). 6 § 2041 BGB; dazu BGH v. 3.2.1966 – II ZR f 176/63, WM 1966, 577 (579); Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 70 ff. v. Morgen

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C IV

Rz. 148

Erbengemeinschaft

Beratungshinweis für aktiven Miterben: In der erbrechtlichen Praxis erweist sich ein Antrag auf Teilungsversteigerung häufig als ein probates Mittel, um einen einigungsfeindlichen Miterben an den Verhandlungstisch (zurück) zu holen1. (b) Verfahren der Teilungsversteigerung 148

Antrag an das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Grundstück liegt (§§ 1, 15 ZVG): Angabe des zu versteigernden Grundstücks (§ 16 ZVG), des Gemeinschaftsverhältnisses, das aufgehoben werden soll, sowie der Art der Beteiligung des Antragstellers, der Antragsgegner (anderen Miterben bzw. sonstigen Beteiligten) jeweils mit ladungsfähigen Anschriften; Ersuchen, die Zwangsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft anzuordnen.

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Antragsberechtigt: Jeder Miterbe (auch: Vorerbe, nicht: Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalles), es sei denn, er hat unter Berücksichtigung ausgleichungspflichtiger Vorempfänge nichts mehr zu erhalten, Erbteilserwerber nach dinglicher Übertragung, Pfändungspfandgläubiger mit endgültig vollstreckbarem Titel, Nießbraucher zusammen mit dem Miterben (§ 1066 Abs. 2 BGB), Erbteilstestamentsvollstrecker, nicht: Nachlassgläubiger, Nachlasspfleger.

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Eintragung des Antragstellers im Grundbuch oder sonstiger Nachweis seines (Mit-)Erbrechts durch Erbschein/beglaubigte Abschrift einer Verfügung von Todes wegen samt Eröffnungsprotokoll. Nicht erforderlich: Vollstreckungstitel (§ 181 Abs. 1 ZVG).

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Sonderfälle: Der Antrag nach § 180 ZVG ist auch zulässig, wenn der Erbengemeinschaft nur ein Grundstücksbruchteil zusteht2, dann Wahl zwischen dem „großen“ (Aufhebung beider Gemeinschaften am ganzen Grundstück) oder „kleinen“ (Aufhebung der Erbengemeinschaft am Bruchteil) Antrag. Objekt der Teilungsversteigerung können nicht nur Grundstücke, sondern auch grundstücksgleiche Rechte (z.B. Erbbaurecht), Eigentumswohnungen, Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge sein (vgl. §§ 162 ff. ZVG).

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– Beschluss des Versteigerungsgerichts über die Anordnung der Teilungsversteigerung, nach Gewährung rechtlichen Gehörs durch Übersendung einer Abschrift des Antrages an den/die Antragsgegner3, mit Wirkung einer Beschlagnahme des Grundstücks (§ 20 ZVG), soweit zur Durchführung des Verfahrens erforderlich, d.h. wegen § 2040 BGB insbesondere keine Veräußerungsbeschränkung.

153

– Zustellung des Beschlusses an Antragsgegner.

154

– Festsetzung des Grundstückswertes gem. §§ 74a, 85a ZVG.

155

– Bestimmung und Abhaltung des Versteigerungstermins, Ermittlung des geringsten Gebotes: Der Barteil enthält gem. § 49 Abs. 1 ZVG die Gerichtskosten des Versteigerungsverfahrens (§ 109 ZVG), Ansprüche aus den Rangklas1 Vgl. auch Frieser, Rz. 50; Steiner, ZEV 1997, 89 (90). 2 H.M., s. Stöber, § 180 Anm. 3.7 m.w.N. 3 Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 292, str. 1320

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sen Nrn. 1–3 des § 10 ZVG, die Kosten der Rechtsverfolgung und Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen (Berechnung nach § 47 ZVG) aus dinglichen Rechten, die bestehen bleiben. Die Grundpfandrechte und sonstigen dinglichen Rechte (Abt. II) bleiben sämtlich bestehen, weil sie als dem betreibenden Antragsteller im Rang vorgehend angesehen werden1. – Beschluss über den Zuschlag an den Meistbietenden (§ 81 ZVG), wenn das geringste Gebot erreicht ist (§ 44 ZVG) und – allerdings nur im ersten Termin – die 5/10-Grenze nicht unterschritten wird (§ 85a ZVG).

155a

– Erlösverteilung in einem besonderen Verteilungstermin aufgrund eines Teilungsplans nach Zahlung des Bargebots durch den Ersteher an das Gericht (§§ 105 ff. ZVG), Hinterlegung des Erlöses nach Abzug der abzudeckenden Verbindlichkeiten gem. § 117 Abs. 2 ZVG, falls keine Einigung/rechtskräftige Entscheidung durch die ordentlichen Gerichte unter den Berechtigten.

156

– Beachte: Auch ein Miterbe als Ersteher hat sein Meistgebot in voller Höhe zu zahlen; sein eigener Erlösanteil darf nicht abgesetzt werden.2 – Vollzug des Zuschlagsbeschlusses (nach dessen Rechtskraft und Ausführung des Teilungsplans) durch Ersuchen des Vollstreckungsgerichts an das Grundbuchamt, die Eintragung des Erstehers als neuen Eigentümer und die Löschung des Zwangsversteigerungsvermerkes vorzunehmen (§ 130 ZVG).

157

(c) Verteidigungsmöglichkeiten für Antragsgegner (nicht teilungsbereite Miterben)

Beratungssituation: Die Mandantin ist die Witwe des Erblassers und gemeinsam mit dessen Kindern aus erster Ehe zur Erbin eingesetzt. Um sie zu ärgern, betreiben die Kinder die Teilungsversteigerung des von ihr bewohnten Einfamilienhauses des Erblassers. Mandantin ist empört und erwartet, dass die Teilungsversteigerung mit allen rechtlichen Mitteln verhindert wird. Als beratender Anwalt wird man die Mandantin in aller Regel zunächst einmal schonend desillusionieren müssen: Sofern kein testamentarisches Auseinandersetzungsverbot gegeben ist, kann sich die Rechtsverteidigung in derartigen Fällen meist nur auf eine Verzögerung beschränken, für eine endgültige Abwehr der Teilungsversteigerung fehlt die rechtliche Handhabe. Im Einzelnen stehen, je nach Lage des Falles, folgende Rechtsbehelfe zur Verfügung:

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– Einstellung auf Antrag eines Miterben (Antragsgegners) gem. § 180 Abs. 2 ZVG auf die Dauer von höchstens sechs Monaten:

159

Frist: Notfrist von zwei Wochen ab Zugang der Belehrungsverfügung (§ 30b Abs. 1 ZVG). Diese beginnt mit jedem Anordnungs- und Beitrittsbeschluss von neuem und gilt sowohl für den ersten Antrag als auch für den zweiten des § 180 Abs. 2 S. 2 ZVG3.

1 Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 289. 2 Stöber, § 180 Rz. 17.2. 3 BGH v. 23.1.1981 – V ZR 200/79, BGHZ 79, 249 (253) = MDR 1981, 482. v. Morgen

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Gründe (Beispielsfälle): – Bevorstehende Wertsteigerung wegen Ausweisung als Bauland1 – Schwierigkeiten beim ernsthaften Bemühen um Ersatzwohnraum2 – Ernsthafte und erfolgversprechende Vergleichsverhandlungen3 – Bevorstehende Werterhöhung durch Ausführung von Reparaturarbeiten/Baumaßnahmen4 – Einstellung zum Schutz gemeinschaftlicher Kinder gem. § 180 Abs. 2 ZVG, wenn das Verfahren ausschließlich unter Ehegatten oder früheren Ehegatten geführt wird, d.h., dritte Personen dürfen nicht beteiligt sein5. 160

– Einstweilige Einstellung nach § 765a ZPO:6 Wenn wegen ganz besonderer Umstände eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte aufgrund von Umständen eintreten würde, die von anhaltender Dauer sind, also nicht über § 180 Abs. 2 ZVG behoben werden können: z.B. ernsthafte Gesundheits- oder auch Lebensgefahr durch einen Umzug7.

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– Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) Gründe: – Verstoß gegen § 2042 i.V.m. § 752 BGB: Nach dem Vorrang der letztgenannten Vorschrift darf eine Teilungsversteigerung nicht angeordnet werden, wenn eine Teilung in Natur (ohne Wertverlust) möglich ist. Das Versteigerungsgericht prüft dies nicht von Amts wegen, sondern nur auf entsprechenden Rechtsbehelf8 des Antragsgegners. Bei bebauten Grundstücken dürfte dies so gut wie immer ausgeschlossen sein; der mitunter hiergegen eingewandte Vorschlag, eine Aufteilung in Wohnungseigentum oder Teileigentum vorzunehmen, ist von §§ 749 Abs. 1, 752 BGB nicht gedeckt, da eine Gemeinschaft gerade nicht mehr bestehen soll9. Auch bei unbebauten Grundstücken dürfte eine Realteilung – ohne Wertverlust – indessen nur selten möglich sein, nämlich streng genommen nur bei Bauland, wenn dort jede Parzelle selbstständig bebaubar und der vorhandene Verkehrsanschluss für alle Teile nutzbar ist10. – Verstoß gegen § 242 BGB: Unter besonderen Umständen ist nach der Rechtsprechung der betreibende Miterbe nach Treu und Glauben verpflichtet, auf die Teilungsversteigerung zu verzichten und sich mit einem auch seinen Interessen gerecht werdenden und zumutbaren Realteilungsvorschlag der anderen 1 2 3 4 5 6 7

Stöber, § 180 Rz. 12.3b. Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 298. LG Nürnberg-Fürth v. 16.9.1980 – 11 T 5355/80, JurBüro 1980, 1906. BGH v. 23.1.1981 – V ZR 200/79, MDR 1981, 482 = RPfl 1981, 187 (188). Stöber, § 180 Rz. 13.3. Bejahend: Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz. 299. Vgl. BVerfG v. 3.10.1979 – 1 BvR 614/79, BVerfGE 52, 214 (219); Krug in Kerscher/ Krug/Spanke, § 12 Rz. 299. 8 Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO; nicht zulässig: Erinnerung nach § 766 ZPO, OLG Hamm v. 2.7.1963 – 15 W 245/63, Rpfleger 1964, 341; OLG Schleswig v. 5.9.1979 – 1 W 149/79, RPfl 1979, 471 (472). 9 Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 13 Rz. 256. 10 Vgl. OLG Hamm v. 2.12.1991 – 8 U 99/91, NJW-RR 1992, 665 (666). 1322

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Miterben zufrieden zu geben1; ferner bei rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Teilungsversteigerungsrechts durch den betreibenden Miterben2. – Auseinandersetzungsausschluss oder -aufschub, ohne dass ein wichtiger Grund für die vorzeitige Auseinandersetzung vorliegt (vgl. unter 2., Rz. 50 ff.). – „Fortgesetzter“ Zuweisungsanspruch nach § 1383 BGB des ausgleichsberechtigten geschiedenen Ehegatten nach Tod des anderen Ehegatten: Von Krug3 wird vertreten, dass dem geschiedenen Ehegatten gegenüber den Erben des anderen Ehegatten in diesen Fällen ein Anspruch auf Übertragung des dem verstorbenen Ehegatten ehemals zustehenden Miteigentumsanteils zusteht, wenn dies erforderlich ist, um eine grobe Unbilligkeit für ihn zu vermeiden4. – Kein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB wegen Gegenansprüchen der Antragsgegner aus dem Gemeinschaftsverhältnis, da § 756 BGB (i.V.m. § 2042 BGB) insoweit ausreicht5. – Erinnerung gegen den Anordnungsbeschluss über die Teilungsversteigerung gem. § 766 ZPO. Wenn eine vom Versteigerungsgericht von Amts wegen zu beachtende Anordnungsvoraussetzung fehlt.

162

– Sofortige Beschwerde gegen den Anordnungsbeschluss gem. § 793 Abs. 1 ZPO. Wenn die Antragsgegner vor Erlass des Beschlusses über die Anordnung nicht gehört wurden; gegen die Entscheidung des Landgerichts hierauf weitere sofortige Beschwerde, wenn ein neuer selbstständiger Beschwerdegrund vorliegt (§§ 793 Abs. 2, 568 Abs. 2 ZPO).

163

– Aus strategischen Gründen: Beitritt zum Verfahren gem. §§ 180 Abs. 1, 27 ZVG, um erweiterte Verfahrensrechte wahrnehmen zu können6.

164

– Sofortige Beschwerde gem. § 74a Abs. 5 S. 3 ZVG gegen den Wertfestsetzungsbeschluss des Versteigerungsgerichts. Eine weitere Beschwerde ist gem. § 74a Abs. 5 S. 3, 2. Hs. ZVG nicht zulässig.

165

– Sofortige Beschwerde gem. § 96 ZVG gegen Zuschlagsbeschluss.

166

Gründe: – fehlerhafter Verfahrensbetrieb (§ 83 ZVG), z.B. unrichtige Festsetzung des geringsten Gebotes (§ 83 Nr. 1 ZVG), – Verstoß gegen §§ 85, 85a ZVG (Versagungsgründe). Einstweilen frei.

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1 Vgl. BGH v. 31.1.1972 – II ZR 86/69, BGHZ 58, 146 (147). 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 26.11.1997 – 17 U 215/96, FamRZ 1998, 641; LG Essen v. 5.12.1980 – 3 O 145/79, FamRZ 1981, 457 (458); sowie auch OLG Köln v. 24.11.1997 – 27 W 19/97, Rpfleger 1998, 168 (169). 3 Krug in Kerscher/Krug/Spanke, Rz. 259. 4 Vgl. ferner BGH v. 19.12.1974 – II ZR 118/73, BGHZ 63, 348 (352): ausnahmsweise Zuweisung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn Teilungsversteigerung des Grundstücks für den anderen Ehegatten „schlechthin unzumutbar“. 5 BGH v. 15.11.1989 – IVb ZR 60/88, FamRZ 1990, 254 = NJW-RR 1990, 133 (134); BGH v. 19.12.1974 – II ZR 118/73, BGHZ 63, 348, anders noch RG v. 4.11.1924 – II 183/24, RGZ 109, 166 (167). 6 Vgl. auch Krug in Kerscher/Krug/Spanke, § 12 Rz.