Das kirchliche Apostelamt: Eine historische Untersuchung 9783666531583, 9783525531587

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Das kirchliche Apostelamt: Eine historische Untersuchung
 9783666531583, 9783525531587

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben vonD.Rud. Bultmann Prof. d. Theol. in Marburg

Neue Folge, 61. Heft Der ganzen Reihe 79. Heft

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WALT6R S C H M I T H Ä L S

DÄS KIRCHLICHG ÄPOST€LÄMT 6ine hiftotifdie Unterfudiung

G O T T I Ν G 6 Ν · V Ä N D 6 N H 0 6 C K & R U P R 6 C H T · 1961

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments H e r a u s g e g e b e n v o n D. R u d . B u l t m a n n Prof. d. Theol. In Maiburg

Neue Folge, 63. Heft Der ganzen Reihe 81. Heft

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1961. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. — Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen 7801

INHALT Einleitung

11

Erster Teil

13

Der Apostolat des Paulus 1 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Der Apostel ist Glied der Gemeinde Der Apostel ist Missionar Der Apostel ist von Christus berufen Berufung und Bekehrung fallen zusammen Der Apostel empfängt sein Evangelium direkt von Christus Die Zeichen des Apostels Botschaft und Amt Die Autorität des Apostels Der Apostel ist Vorbild der Gemeinde Die eschatologische Bedeutung des Apostelamtes Der Apostel ist auf Lebenszeit berufen Der Unterhaltsverzicht des Apostels Das apostolische Leiden Der Apostel kennt .Geheimnisse' Apostel und Propheten Die Apostel reisen zu zweien Der R u h m des Apostels Der Apostel t a u f t nicht

Ergebnis des Ersten Teils

Zweiter Teil

14 14 15 20 21 22 28 30 33 34 36 37 38 40 41 43 44 44 45

48

Der urchristliche Apostolat I . Paulus als Typ des urchristlichen Apostels I I . Die .Gemeindeapostel' I I I . Die uns bekannten Vertreter des urchristlichen Apostelkreises (Paulus, Andronikus, Junias, Barnabas, Silvanus, Petrus, Jakobus) IV. Der Kreis der Zwölf 1. Die Zwölf sollen in Jerusalem bleiben 2. Der Kreis der Zwölf entsteht nach Ostern 3. Der Aposteltitel f ü r die Zwölf ist späten Ursprungs 4. Paulus kennt die Zwölf nicht als Apostel l.Kor. 15,5ff. l.Kor. 9,5 Gal. 1,17£f. V. Zusammenfassimg (Kein doppelter ApostelbegrifF; Syrien als Heimat des Apostolats; Apostolat und Heidenmission)

48 49 50 56 57 58 61 64 64 70 72 77

4

Inhalt

D r i t t e r Teil Der Ursprung dea christlichen

85 Apostolats

I. Der profangriechische Gebrauch von άπόατολος 1. Die Schiffahrtssprache 2. Allgemeiner Gebrauch

85 85 85

II. Der Schaliach 1. Die Gesandten der jüdischen Zentralbehörde 2. Die Gesandten der Gemeinde 3. Das spätjüdische Rechtsinstitut des Schaliach

87 88 91 92

I I I . Der kynische Weise bei Epiktet

100

IV. Der Apostel in der Gnosis 1. Die erlöserlose Gnosis 2. Der himmlische Apostel a) Der himmlische Ruf b) Der Urzeitgesandte c) Der historische Gesandte d) Der Helfer e) Der mystische Gesandte f) Märchen-Motive 3. Der irdische Apostel a) Der Bote des himmlischen Gesandten b) Der e i n e irdische Apostel c) Der pluralische Apostolat 4. Zusammenfassung

103 105 111 112 116 121 127 129 134 136 136 143 146 177

V. Verwandte Erscheinungen 1. Der Apostolat im Zweistromland 2. Der Apostolat im schiitischen Islam

180 180 182

VI. Kirchlicher und gnostischer Apostolat 1. Der Apostel als Glied des Christusleibes 2. Der Apostel und der Ursprung der Mission 3. Christusapostel 4. Christus ist das Evangelium 5. Christus lebt im Apostel 6. Die Zeichen des Apostels 7. Botschaft und Amt 8. Christus ist die apostolische Autorität 9. Die Nachahmung des Apostels 10. Eschatologie des Raumes 11. Lebenslänglicher Apostolat 12. Der Unterhaltsverzicht des Apostels 13. Das apostolische Leiden 14. Die Geheimnisse des Apostels 15. Apostel und Propheten 16. Die Apostelpaare 17. Der Ruhm des Apostels 18. Der Apostel tauft nicht Ergebnis

185 186 187 192 196 196 198 202 202 203 204 205 205 209 211 212 214 214 215 216

Inhalt

Vierter Teil

5 217

Die Übertragung dee Apostolats auf die Zwölf und seine Beschränkung auf die Zwölf und Paulus I. Versuche zur Lösung

217

II. Die Urkunden der .nachapostolischen' Zeit ohne die Zwölfertradition 221 1. Die Paulusgemeinden und die Gnosis 221 2. Die Paetoralbriefe 223 3. Die johanneische Literatur 225 4. Ignatius von Antiochien 225 5. Das Judenchristentum 227 6. Kleinasien 227 7. Rom 230 I I I . Die Urkunden der .nachapostolischen' Zeit mit der Zwölfertradition 233 1. Die Offenbarung des Johannes 233 2. Lukas 233 3. Justin 238 4. Barnabas, 2. Petrus, Judas u. a 239 5. Zeitbestimmung 242 IV. Der Ursprung der Zwölf-Apostel-Tradition 244 1. Der Kampf mit der Gnosis 244 2. Die Vielfalt des hellenistischen Christentums 247 3. Die gegenseitige Unabhängigkeit der Traditionen des hellenistischen Christentums 248 4. Entstehung der Zwölf-Apostel-Tradition 251 V. Die Synthese von Paulus- und Zwölferapostolat, die Kanonsbildung 255 VI. Die apostolische Sukzession

263

Anhang

266

Bemerkungen zu G. Klein, Die Zwölf Apostel

266

Abkürzungen werden in der Regel im Anschluß an das Abkürzungsverzeichnis des Theologischen Wörterbuches zum NT verwandt.

LITERATURVERZEICHNIS Die hier aufgeführten Arbeiten werden in der Untersuchung nur mit Verfasser namen und a.a.O. angeführt. Sind in diesem Verzeichnis mehrere Arbeiten desselben Verfassers aufgeführt, so werden diese in der untenstehenden Reihenfolge mit [1], [2], [3] usw. angeführt. Meine eigenen Arbeiten werden jeweils nur mit dem Titel zitiert. Nur vereinzelt benutzte Abhandlungen sind in den Anmerkungen verzeichnet. Adam, Α.: Erwägungen zur H e r k u n f t der Didache, ZK G 1957, S. 1—47. Ashcraft, M. : Paul's Understanding of Apostleship, Review and Expositor 55 (1958), S. 400—412. Bammel, E . : H e r k u n f t und Funktion der Traditionselemente in l.Kor. 15, 1—11, ThZ U (1955), S. 401—419. Barret, C. K . : The Apostles in and after the New Testament, Svensk Exegetisk Arsbok 21 (1956), S. 30—49. Battifol, P . : L'apostolat, RevBibl, N S 3 (1906), S. 520ff. Barth, M. : Der Augenzeuge, 1946. Bauer, W. [1]: Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, 1934. Bauer, W. [2] : Griechisch-deutsches Wörterbuch zum Neuen Testament, s. v. ,άπόστολος'. Bauer, W. [3]: Das Johannesevangelium, H N T 6, 3 1933. Baur, F . C. [1]: Über die Ekstasen des Apostels, TheolJb 1850.. S. 182ff. Baur, F . C. [2]: Über das Auctoritätsprinzip des Apostels, ebd. 1852, S. 32ff. Becker, H . : Die Reden des Johannesevangeliums und der Stil der gnostischen Offenbarungsrede, F R L A N T N F 50 (1956). Bornkamm, G. : Mythos und Legende in den apokryphen Thomasakten, F R L A N T N F 31 (1933). Bultmann, R . [1] : Theologie des Neuen Testaments, 1953. Bultmann, R . [2] : Die Bedeutung der neuerschlossenen mandäischen und manichäischen Quellen f ü r das Verständnis des Johannesevangeliums, ZNW 24 (1925), S. lOOff. Bultmann, R . [3]: Das Evangelium des Johannes, 12 1952. Burton, E . de W i t t : A critical and exegetical Commentary on the Epistle to the Galatians, 1921. Campenhausen, Η . v. [1]: Der urchristliche Apostelbegriff, StudTheol 1 (1948), S. 96—130. Campenhausen, Η . v. [2] : Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten, B H T h 14 (1953). Campenhausen, H . v. [3]: Lehrerreihen und Bischofsreihen im 2. Jahrhundert, in: I n memoriam Ernst Lohmeyer, 1951, S. 240—249. Campenhausen, H . v. [4] : Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim Apostel Paulus, SAH 1957/2. L. Cerfaux, Pour l'histoire du titre Apostolos dans le Nouveau Testament, RechdeSciRel 48, 1960, S. 76—92. Clemen, C. : Die Missionstätigkeit der nichtchristlichen Religionen, ZMR 44 (1929), S. 225ff.

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EINLEITUNG Merkwürdig spät erscheint die Frage nach Ursprung und Wesen des frühkirchlichen Apostolats unter den Problemen, mit denen sich die wissenschaftliche Theologie des 19. Jh.s auseinanderzusetzen begann. Einmal aufgeworfen, wurde diese Frage dann freilich von Anfang an mit großer Intensität behandelt, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn ich recht sehe, ist es der geniale J. B. Lightfoot, der in seinem 1865 in 1. Auflage erschienenen Galaterkommentar 1 zum ersten Male grundsätzlich das Problem anfaßt, das mit „The name and office of an Apostle" gestellt ist. Seinem Exkurs unter dieser Überschrift fehlt jeder Hinweis auf ältere Literatur, und es ist in der Tat so, daß man vor ihm die Schwierigkeiten nicht empfand, die von dem Begriff des Apostolischen in der Frühzeit der Kirche umschlossen werden 2 , Schwierigkeiten, vor die sich heute jeder Student des Neuen Testaments und der alten Kirchengeschichte gestellt sieht: Seit wann gelten die zwölf Jünger Jesu als Apostel? Wie verhält sich ihr Apostolat zu dem des Paulus ? Woher stammen Begriff und Inhalt des Apostolats ? Wie weit reichte der Kreis der Apostel zur Zeit des Paulus? Was führte zu der späteren Verengung des Apostelkreises auf die Zwölf und Paulus? Wo liegen die Anfänge der apostolischen Sukzession? J. B. Lightfoots Verdienst ist es nicht nur, diese Fragen gestellt zu haben. Er hat vielmehr auch Antworten gegeben, die bis in unsere Zeit hinein für die Mehrzahl der Forscher nichts an Überzeugungskraft eingebüßt haben. J. B. Lightfoot war es, der auf rrVtf, das jüdische Äquivalent zu απόστολος, hingewiesen hat ; er bezog die anderen Apostel neben Paulus und den Zwölfen in seine Untersuchungen ein und versuchte, das Verhältnis dieses weiteren zu dem engeren Apostelkreis zu bestimmen. Seine Untersuchung bildet die wohl stark erweiterte, aber kaum erheblich berichtigte Grundlage für die Vielzahl der späteren Arbeiten zur Gestalt des Apostels und zum Begriff des Apostolischen. 1 2

10. Auflage 1890 mit Nachdrucken 1892 und 1896. Noch F. C. Baur konstruiert sein Bild von der Entwicklung der frühen Kirche von der seit der Zeit der ältesten Kirchenväter überkommenen und nie in Frage gestellten Vorstellung her, daß es 13 Apostel im Urchristentum gab: Die 12 (judaistischen) Apostel in Jerusalem und den Apostel Paulus. Vgl. F. C. Baur, Kirchengeschichte der ersten 3 Jahrhunderte, 18633, S. 44—62; W. Seufert a.a.O. S. lf.

12

Einleitung

Die Debatte über unser Problem ist freilich auch noch nicht annähernd abgeschlossen. Κ . H. Rengstorfs umfangreicher Artikel απόστολος im T h W I 397-448 faßt 1933 in selbständiger Verarbeitung die Ergebnisse der älteren Foischung zusammen, aber gerade gegen das Hauptergebnis seiner Untersuchung, die Ableitung des urchristlichen Apostolats vom spätjüdischen Rechtsinstitut des .Schaliach', erhebt sich in verstärktem Maße Widerspruch3. Ungeklärt ist nach wie vor die Frage, wo und warum der Apostolat auf die zwölf Jünger Jesu (und Paulus) beschränkt wurde, um so mehr, als die Meinungen darüber sehr auseinandergehen, seit wann die Mitglieder des ZwölferKreises überhaupt Apostel genannt werden. Wie kam es, daß Paulus als einziger der anderen Apostel neben ihnen in Geltung blieb4? Alle Quellen sind in der umfangreichen Literatur zu unserem Thema von allen Seiten untersucht worden; die vorgebrachten Gesichtspunkte wiederholen sich ständig, ohne daß ein Ende der Diskussion abzusehen ist 5 . Weiterführen könnten nur neue Quellen, die aber kaum zu erwarten sind, oder wesentliche neue Gedanken6. Die Hoffnung, durch einige solcher neuer Gedanken die Diskussion zu beleben und stellenweise auf eine andere Grundlage zu stellen, ist der Antrieb zur folgenden Untersuchung. Siehe S. 99 Anm. 62. * Daß man heute weniger denn je gesicherte Ergebnisse der Erforschung des christlichen Apostolats vortragen kann, zeigt ζ. B. der überaus vorsichtige und oft zu unbestimmt gehaltene Artikel ,Apostel' in der 3. Aufl. der R G G (H. Riesenfeld). 5 E. Haupts Urteil (a.a.O. S. 1) von 1896 ist durchaus aktuell: „Die Frage nach Ursprung und Begriff des Apostolats gehört gegenwärtig zu den verwickeltsten und schwierigsten der neutestamentlichen Wissenschaft." 8 Einen wesentlichen Neuansatz bedeutet die Arbeit von G. Klein, Die zwölf Apostel, F R L A N T N F 59, 1961. G. Kleins Arbeit ist unter Benutzung der vorliegenden Untersuchung entstanden, die 1956 bereits abgeschlossen war. Vgl. G. Klein a.a.O. S. 62ff. Ich habe G. Kleins Arbeit vor allem in den Anmerkungen und im Anhang (s. S. 266 ff.) noch ausführlich berücksichtigt. 3

ERSTER TEIL

Der Apostolat des Paulus W. Seufert setzt in. seiner lobenswerten Preisarbeit über den „Ursprung und die Bedeutung des Apostolates in der christlichen Kirche der ersten zwei Jahrhunderte" bei dem Apostelbegriff des Paulus ein. Das ist der einzig sinnvolle Ausgangspunkt jeder Untersuchung über den urchristlichen Apostolat. Es gibt keine früheren Quellen für das Apostelamt der christlichen Gemeinde als die paulinischen; es gibt aber auch keine unmittelbareren und der Kritik mehr entzogenen Quellen für den Apostolat in der Frühzeit der Kirche ; und vor allem ist keine andere Quelle so ergiebig und umfassend wie die paulinische Briefliteratur. Wenn die Paulusbriefe über ein Theologumenon des Apostels gründliche und klare Auskunft geben, so über seine Auffassung vom Apostelamt. Das mag bei dem relativ kleinen Umfang des Corpus Paulinum überraschen, und in der Tat sind von den zweifellos echten Paulusbriefen Rom., Phil., l.Thess. und Phlm. kaum von Bedeutimg für unser in solchen Gemeinde- bzw. Privatschreiben doch recht peripheres Problem. Um so mehr aber befaßt sich Paulus in den beiden Korintherbriefen und im Galaterbrief mit sich selbst als dem απόστολος Ίησοΰ Χρίστου. Der Grund dafür ist unschwer zu erkennen: Man hatte ihm sowohl in Galatien als auch in Korinth das Recht abgesprochen, sich Apostel zu nennen, und wollte damit seine Botschaft als unapostolisch und deshalb verwerflich kennzeichnen. Um seiner Botschaft willen ist Paulus daraufhin gezwungen, sein Apostelrecht zu verteidigen7. Er tut das Gal. 1-2 und vor allem im 2. Korintherbrief, besonders in dem Abschnitt 2,14-7,16® sowie den Schlußkapiteln 10-13, in großer Ausführlichkeit 9. 7 Es ist also wohl richtig, daß Paulus an einer Lehre vom Apostelamt an sich gar nicht interessiert ist (H. v. Campenhausen [1] S. 111). Der Umfang der apologetischen Bezugnahme auf sein Amt an den o. a. Stellen kann aber schwerlich überschätzt werden. 8 Mit Ausnahme vor allem des hier nicht ursprünglichen Abschnittes 6,14-7,1; s. die Kommentare. 9 Auch im l.Kor. klingt diese Auseinandersetzung bereits an: 9,Iff.

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Der Apostolat des Paulus

Was ist das Wesen des Apostelamtes bei Paulus 10 ? 1. Vorweg ist festzustellen, daß das Amt des Apostels seinem Träger keinerlei geistliche Qualität verleiht, die ihn über die Gemeinde emporhebt 11 ; er ist und bleibt ein Glied dieser Gemeinde 12 . Die Gemeinde muß sich bemühen, εν Χριστώ erfunden zu werden (Phil. 4,1), aber der Apostel nicht weniger (Phil. 3,8f.). Alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden (2.Kor. 5,10), auch die Apostel (l.Kor.3,13). Gemeinsam leben sie von der Gnade Gottes (Phil. 1,7). Miteinander sind sie in der Lage derer, die noch nicht ergriffen haben, aber ergriffen sind (Phil.3,12ff.; 1.Kor. 13,12). Der besondere Auftrag und die besondere Vollmacht, die die Apostel empfangen, sind Funktionen der Gemeinde; denn Gott setzte εν ríj εκκλησία zuerst Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, dann Wunderkräfte usw. (l.Kor. 12,28). Es sind keineswegs alle Gemeindeglieder Apostel (l.Kor. 12,29), aber selbstverständlich sind alle Apostel Gemeindeglieder, το εν και τό αυτό πνεϋμα wirkt das Charisma zum Apostolat nicht anders als alle sonstigen Charismata in der Gemeinde (l.Kor. 12,7-11). Kein Charisma aber hebt seinen Träger grundsätzlich aus der Gemeinde heraus. Zu der Stunde, da alle Zungen bekennen sollen, daß Christus der Herr sei, werden alle Gnadengaben dieser Zeit aufhören. Der Apostel wird mit allen anderen herrschen im Reich Gottes (l.Kor.4,8), und alle ,Heiligen' werden die Welt richten (l.Kor.6,2). ,In Christus' werden dann nicht nur die Unterschiede zwischen Juden und Griechen, Knechten und Freien aufgehört haben (l.Kor. 12,13), sondern auch Apostel und Propheten, πνευματικοί und νήπωι (l.Kor.3,1) werden der e i n e Christus (Gal.3,28; Kol.3,11) bzw. , E i n e s in Christus' sein. Der Apostel ist also ein Glied der Gemeinde, beauftragt für die Zeit bis zur Parusie Christi13. 2. Der Auftrag des Apostels besteht darin, daß ihm die Mission anvertraut ist. Er soll Christus predigen: άπέατειλέν με Χριστός . . . εναγγελίζεσ&αι (l.Kor. 1,17). Zu solcher Predigt bedarf es der Sendung: πώς δε κηρύξωσιν εάν μή άποσταλώσιν (Rom. 10,15). Der A p o s t e l ist es, der erklärt: Υπέρ Χρίστου ουν πρεσβεύομεν ώς τον ϋεοΰ παρακαλοϋντος δι' ημών δεόμεϋ·α υπέρ Χρίστου, καταλλάγητε τώ ϋ·εώ (2.Kor. 10

Der kürzlieh erschienene Aufsatz von J. Cambier, Paul, apôtre du Christ et prédicateur de l'évangile (Nouvelle Revue Théologique 81, 1959, S. 10091028) enthält keine neuen Erkenntnisse. 11 Vgl. E. Haupt a.a.O. S. 136. 12 Man beachte, wie Paulus sich als Apostel in den Präskripten seiner Briefe durchweg mit anderen Brüdern zusammenschließt; s. H. Schlier a.a.O. S. 4. 13 Vgl. G. Saß [1] S. 69.

Der Apostel ist von Christus berufen

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5,20). Paulus ist ein εϋνών απόστολος (Rom. 11,13; Gal. 2,8), und das heißt, daß durch seine Predigt unter den Heiden die υπακοή πίστεως (Rom. 1,5) gewirkt werden soll 14 . Nun, das alles ist so selbstverständlich, daß es sich erübrigt, weitere Stellen anzuführen. Die Wortwahl ,απόστολος' bzw. ,άποστέλλειν' zeigt bereits zur Genüge, daß die ,Aussendung', die Mission, die besondere Aufgabe des Apostels war. Nur ist damit das Wesen des Apostelamtes noch keineswegs vollständig beschrieben. Apostel sind zwar stets Missionare, aber keineswegs sind alle Missionare auch Apostel. Timotheus (Rom. 16,21; l.Kor. 16,10; 2.Kor.l,19) und Titus (2.Kor.2,13; Gal.2,lf.) sind Mitarbeiter beim Missionswerk des Paulus, aber keine Apostel 16 . Apollos ist ein von Paulus völlig unabhängiger Missionar (l.Kor. 3,3ff. ; 4,6; 16,12), jedoch anscheinend kein Apostel. Paulus bezeugt den Thessalonichern, daß von ihnen aus ο λόγος τοΰ κυρίου erschollen sei in Mazedonien und Achaia (l.Thess. 1,8), aber dieser missionarische Dienst geschah durch die Thessalonicher sicherlich nicht in unmittelbarer apostolischer Vollmacht. Auch dürfte der Grundstock z.B. der Gemeinde in Rom ohne planmäßige apostolische Mission gelegt worden sein. Bei dieser Feststellung beginnt aber bereits die Problematik des Apostelbegriffes. Es gab Missionare, die Apostel waren, und solche, die diese Bezeichnung nicht tragen konnten oder jedenfalls nicht trugen 16 , ohne daß doch in der Aufgabe der Apostel und der nichtapostolischen Missionare ein irgendwie bemerkenswerter Unterschied festzustellen ist, ohne daß auch der Apostel generell eine ausgedehntere oder erfolgreichere Betriebsamkeit entfaltete als die anderen Missionare; denn eine so bemerkenswerte Gestalt der frühen Christenheit wie beispielsweise Apollos 17 war in seiner missionarischen Tätigkeit zweifellos bedeutsamer als die Vielzahl der unbekannten Apostel, von denen uns nur der Zufall einige Namen erhalten hat 1 8 . Was ist das besondere Kennzeichen des Missionars, der die Amtsbezeichnung απόστολος trägt? 3. Auftrag und Charisma empfängt der Apostel ουκ απ άν&ρώπων ουδέ δι' άν&ρώπου αλλά δια Ίησοϋ Χρίστου κάί &εοΰ πατρός τοϋ εγείραντος αυτόν εκ νεκρών (Gal. 1,1). Marcion läßt και &εον πατρός fort, offenbar 14 Daß er Heidenmissionar ist, betont Paulus verschiedentlich mit Nachdruck. Jedoch ist das offenbar kein Kennzeichen des Apostolats als solchem ; denn Paulus weiß, daß Petrus ein Apostel der J u d e n ist (Gal. 2,8f.). 15 Vgl. K. H. Rengstorf [1] 423,13ff. 16 ,ευαγγελιστής' ist nicht weniger als ,άπόστολος' ein urchristlicher Spezialausdruck für einen Missionar; s. ThW II 734f. und unten S. 212. 17 Apg. 18,24; 19,1; l.Kor. 1,12; 3,4ff.22; 4,6; 16,12; (Tit. 3,13). 18 Rom. 16,7.

Der Apostolat des Paulus

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infolge der richtigen Beobachtung, daß Paulus gewöhnlich die Berufung zum Apostel lediglich auf Christus zurückführt. Aber Paulus will mit dem Hinweis auf Gott in Gal. 1,1 doch nichts anderes sagen als das, was im Eingang der beiden Korintherbriefe unmißverständlicher ausgedrückt ist : απόστολος Ίησοϋ Χρίστου δια θελήματος ϋεοϋ (vgl. Eph. 1,1; Kol. 1,1; 2.Tim. 1,1); die Berufung zum Apostel Christi erfolgt gemäß dem Willen Gottes (Gal. 1, 15), dessen Evangelium der Apostel ja zu verkündigen hat (Rom. 1,1 ; Gal. 1,16; Rom. 15,16) 19 . Immerhin läßt die Gleichstellung von Christus und Gott in Gal. 1,1 erkennen, daß für Paulus offenbar kein Interesse daran besteht, die Berufung speziell auf Christus zu beschränken. Die Grundlegung dee Apostolats auf der Berufung durch Christus beruht also nicht auf bestimmten theologischen Forderungen, sondern ist einfach durch den Vorgang der Berufung selbst oder dessen traditionelles Verständnis bei Paulus bedingt. Daß C h r i s t u s beruft, bezeugen nun zahlreiche Stellen. Rom. l , 4 f . spricht Paulus von Jesus Christus, δ i ου έλάβομεν χάριν και αποστολήν. (κλητός) απόστολος Ίησοϋ Χρίστου nennt er sich 1.Kor. 1,1; 2.Kor. 1,1; l.Thess.2,7; vgl. Eph. 1,1; Kol. 1,1; l.Tim.1,1; 2 . T i m . l , l ; Tit. 1,1. Polemisch begegnet dieser Titel 2.Kor. 11,13. l.Kor. 1,17 erklärt Paulus: άπεστειλέν με Χριστός . . . εναγγελίζεσϋαι. l.Kor.9,1 verteidigt er seinen Apostolat mit der Feststellung : ουχί Ίησονν τον κύριον ημών έόρακα? Nach Gal. 1,15 f. ist Gott der Urheber der Berufung durch Christus; es hat ihm gefallen, άποκαλύψαι τον vlòv αυτοϋ εν εμοί, ίνα εύαγγελίζωμαι αυτόν εν τοις εϋνεσιν, und da es für Paulus dasselbe ist, mit dem Evangelium betraut zu werden oder den Apostolat zu empfangen 20 , ist auch Gal. 1,12 zu erwähnen: ουδέ γάρ εγώ παρά άν&ρώπου παρέλαβον αυτό οϋτε έδιδάχ&ην, άλλα δι αποκαλύψεως Ίησοϋ Χριστοϋ. Auch l.Kor. 15,7f., wo Paulus die Berufungsvisionen sämtlicher Apostel (,τοϊς άποστόλοις πασιν') zum Beweis für die Auferstehung Jesu anführt, ist die Berufung durch Christus als selbstverständlich vorausgesetzt, und Paulus selbst nennt sich den ελάχιστον των αποστόλων, dem Christus erschien ώσπερει τω εκτρώματι. Diese letzte Stelle läßt ebenso wie die Galaterstellen die immerhin erwähnenswerte Tatsache erkennen, daß die Berufung der Apostel selbstverständlich durch den e r h ö h t e n Christus erfolgte 21 . Irgendeine Beziehung zwischen dem ,historischen Jesus' und dem Apostolat besteht für Paulus nicht 22 . A l l e n Aposteln erschien der A u f e r s t a n d e n e bei ihrer Berufung (l.Kor. 15,7ff.). 19 21 22

20 Vgl. H. Schlier a.a.O. S. 4. Siehe Gal. 2,7f. und unten S. 20f. G. Saß [1] S. 34. Anders Apg. 1,21 f. Daß die Apg. zur Darstellung des paulinisohen Apostelbegriffs nicht herangezogen werden darf, bedarf wohl keiner besonderen Begründung mehr.

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Irgendeine Auskunft über das ,Wie' der Berufung durch Christus gibt Paulus nicht. Man hat sich angesichts dieses Mangels davor zu hüten, unkritisch oder auch kritisch die Berichte der Apg.23 von der Bekehrung des Paulus als Ersatz für solche direkte Auskunft heranzuziehen. Mögen sich gewisse Erinnerungen an den äußeren Rahmen der Berufung des Paulus, ζ. B. in bezug auf Ort und Zeit des Ereignisses, auch in den Berichten der Apg. niedergeschlagen haben: eine Historizität des Kerns der Geschichte läßt sich durch nichts wahrscheinlich machen 24 . Jeder Versuch, über diesen Kern eine Auskunft zu geben, bleibt Phantasie, gleichgültig, ob man historisch oder quellenkritLch oder psychologisch phantasiert 25 . Es fehlen aber auch im Zusammenhang mit den Bemerkungen, die Paulus über seine Berufung macht, jegliche geprägten Formulierungen und feststehenden Wendungen, die darauf schließen ließen, daß eine feste Tradition bestanden hat, nach der man die Beauftragung eines Apostels durch Christus im einzelnen erzählte. So sehr gerade in Verbindung mit dem Apostolat feststehende Wendungen sich finden26: hier fehlen sie völlig. Vorhanden sind allein einige technische Termini, die Paulus zur Bezeichnung des Berufungsvorgangs benutzt. Gal. 1,12 findet sich άποκάλνψις, Gal. 1,16 άποκαλνπτειν. 1.Kor. 9,1 steht aktivisch όράω,

und dem entspricht 1.Kor. 15,7 das passivische ωφύην. Dieser letztere Ausdruck scheint für Paulus der weitere Begriff zu sein und j e d e Erscheinung des Auferstandenen zu bezeichnen. Er begegnet l.Kor. 15,5-8 viermal, darunter in der urgemeindlichen Formel l.Kor. 15,5. Der Begriff αποκάλυψες dürfte dagegen enger mit dem Apostolat verknüpft sein, und zwar als term, techn. ; denn Gal. 1,12 und 16 bezeichnet άποκαλύπτειν offenbar die Berufung zum Apostolat und bedeutet darum anderes als die Mitteilung einer verborgenen Erkenntnis oder eines unbekannten Ratschlusses, wie Paulus den Begriff sonst zu verwenden pflegt. Mehr läßt sich freilich den kurzen Bemerkungen des Paulus nicht entnehmen; nur bleibt die Tatsache auffällig, daß Paulus auch da, wo er in seinen Briefen nach Galatien und Korinth verzweifelt um die Anerkennung seines Apostolats ringt und mit Argumenten wahrlich nicht spart (s. u.), auch nicht den geringsten Versuch macht, die 23

Apg. 9 , 1 - 9 ; 22,3-16; 26,9-20. Vgl. E. Haenchen a.a.O. S. 284; ders. in ZThK 1955 S. 210ff. 25 W. Grundmann a.a.O. S. 111 meint, Paulus denke auch 2.Kor. 4,6 an die Damaskusvision. Das ist nicht ganz ausgeschlossen. Jedenfalls wird er recht haben mit der Feststellung, die Bekehrung des Paulus sei mehr ein innerer Vorgang gewesen als ein äußerer, als den ihn die Apostelgeschichte schildert. 26 Siehe S. 26f; 47. 24

2 7801 Schmithals, Apostelamt

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Der Apostolat des Paulus

lapidare Behauptung, er sei berufen, durch irgendeine nähere Schilderung des Berufungsvorgangs zu unterstützen. Was mag ihn d a r a n hindern, hier mehr zu sagen? K o n n t e er nichts Näheres berichten, oder w o l l t e er nicht? Daß Paulus die Berufung zum Apostelamt nicht von der visionären ,Offenbarung Jesu Christi' scheidet noch auch zwischen beiden unterscheidet, ist mit Recht von manchen Forschern festgestellt worden 2 7 . l.Kor. 15,8f. zeigt das zur Genüge. Während G. Sass [1] S. 37 dem f ü r die Person des Paulus zustimmt, erklärt er inkonsequenterweise u n d ohne Begründung: „Grundsätzlich scheinen nach seiner (sc. Paulus) Meinung Erscheinung u n d Berufung nicht identisch zu sein" (ebd.). Dem schließt sich H . v . Campenhausen [1]S. 113 an 2 8 . Aber nach l . K o r . 15,7 haben a l l e Apostel den Herrn gesehen (s. u. S. 66ff.). Auch l.Kor. 9, Iff. setzt voraus, daß jeder Apostel Auferstehungszeuge ist 2 9 . D a ß Paulus den Herrn gesehen hat, bringt seinem apostolischen R a n g also nichts „Besonderes, Außerordentliches hinzu", wie H . v. Campenhausen [1] S. 113 Anm. 2 behauptet, sondern ist f ü r diesen R a n g konstitutiv. Andernfalls h ä t t e die Erwähnung der Auferstehungserscheinung in einem Zusammenhang keinen Sinn, in dem es wie in l.Kor.9, Iff. nur u m die Gültigkeit des Apostelrechtes geht 3 0 . Schließlich zeigt auch Gal. 1-2, daß eine ώιοκάλνψις Ίησοΰ Χρίστου das Apostel a m t konstituiert; denn mit Hinweis auf solche ,Offenbarung' rechtfertigt Paulus seinen Apostelanspruch. Man m u ß sich überhaupt fragen, mit welchem Recht u n d in welchem Sinne m a n bei Paulus, abgesehen von der ,Erscheinung Christi', von einer eigentlichen B e r u f u n g sprechen kann. Paulus nennt sich zwar Rom. 1,1 u n d l.Kor. 1,1 3 1 κλητός απόστολος, aber schon Rom. l , 6 f . (εν οϊς έστε καΐ ύμεϊς κλητοί Ίησοΰ Χρίστου) zeigt, daß man ,κλητός' an diesen beiden Stellen nicht zu ausschließlich als technische Bezeichnung eines apostolischen Berufungsvorgangs verstehen darf. Von einem solchen Vorgang spricht Paulus im Grunde nie. E r ist sich zwar 27 G. Saß [1] S. 37; H. Schlier a.a.O. S. 26 Anm. 4; J. C. Margot a.a.O. S. 219f. 28 Auch — ohne eigene Begründung — G. Klein a.a.O. S. 44 Anm. 179. Jedenfalls ist es keine Begründimg, wenn G. Klein aus dem richtigen Satz, daß nicht alle Auferstehungszeugen auch Apostel wurden (s. u.), schließt, daß nicht alle Apostel auch Auferstehungszeugen sein mußten. 29 Vgl. H. Mosbech [1] S. 170. Paulus weist in l.Kor. 9,Iff. zwei Vorwürfe seiner (gnostischen) Gegner zurück : 1. er sei nicht ίλεν&ερος, 2. er sei kein Apostel. Auf diesen zweiten Vorwurf geht er näher ein und begründet sein Apostelrecht doppelt : mit dem Hinweis auf seine Christusvision und mit Berufung auf den Erfolg seiner Arbeit (s. unten S. 23ff). G. Kleins Ausführungen zu l.Kor. 9, Iff. (a.a.O. S. 44 Anm. 179) sind demgegenüber verfehlt. 30 „Daß die dritte und vierte Aussage die zweite b e g l a u b i g e n sollen, ist klar" (A. v. Harnack [1] I S. 310 Anm. 5). 31 Hier jedoch nicht sicher bezeugt.

Der Apostel ist von Christus berufen

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stets bewußt, das Amt von Christus empfangen zu haben (Rom. 1,5; Gal. 1,1), aber wenn er von der Berufung berichten will, verweist er lediglich a u f die αποκάλυψις Ίησοϋ Χρίστου b z w . die δρασις κυρίου: Als es G o t t gefiel, αποκαλύψαι τον viòv αύτον εν εμοί, ίνα εναγγελίζωμαι αυτόν εν τοϊς εϋνεσιν, εύ&έως . . . άπήλ&ον είς Άραβίαν (Gal. l , 1 5 f f . ; v g l .

l.Kor. 9,1). Man wird sich also hüten müssen, die Berufung des Paulus z.B. mit der des Jeremias, mit dem man Paulus gerne vergleicht 32 , zusammenzusehen. Paulus spielt Gal. 1,15 bekanntlich auf Jer. 1,5 an 3 3 ; um so merkwürdiger aber ist, daß das Entscheidende der Berufungsvisionen im Alten Testament (und bei den Synoptikern) 34 bei Paulus völlig fehlt: der Sendungsbefehl35. Während im Alten Testament die Vision nur den entscheidenden Akt der Sendung ermöglichen soll, der dann ausführlich berichtet wird 36 , weiß Paulus nur von der visio selbst, auf die er seinen Dienst unmittelbar gründet. Diese Tatsache ist so ungewöhnlich und eigenartig, daß zu ihrer Erklärung kaum ausreichend ist, was G. Saß anführt: „Wenn Gott ihm, dem zu Tode Geborenen (l.Kor. 15,8), dem Verfolger der Gemeinden, seinen Sohn offenbart, was kann das für einen anderen Sinn haben, als daß die Intensität der Gegnerschaft sich wandeln soll und muß in die positive Bereitschaft, nun f ü r diesen Sohn zu wirken" ([1] S.37). Paulus selbst hat so etwas jedenfalls nirgendwo gesagt. Die Ineinssetzung von Erscheinung und Berufung wird noch merkwürdiger, wenn man bedenkt, daß ja keineswegs alle, die den Auferstandenen gesehen haben, auch Apostel geworden sind (vgl. l.Kor. 15,5 ff.). Worin liegt dann der eigentliche Impuls zum Apostolat unter den Auferstehungszeugen? K. Holl [1] S. 930 fordert einen „förmlichen von Christus erteilten Auftrag". Er kritisiert [1] S. 929 Wellhausen scharf, der behauptet hatte, „Vision und Berufung fallen bei den Aposteln . . . zusammen" 37 , da ja doch die mehr als 500 Brüder von l.Kor. 15,6 nicht sämtlich Apostel geworden sind. Aber so richtig diese letzte Feststellung ist, so kommt man doch mit dem Postulat, eine besondere Berufung müsse stattgefunden haben, nicht über die Tatsache hinweg, daß Paulus selbst davon nichts sagt, sondern sich lediglich durch die Erscheinung berufen und von Mutterleibe an ausgesondert weiß. 32 Siehe K. H. Rengstorf [1] 440f.; J. Wellhausen, Nachr. der Gött. Ges 1907 S. 3. 33 Vgl. auch l.Kor. 9,16 mit Jer. 20,9. 34 Mk. 6,7ff.; Mt. 10,1.5ff.; 28,18ff.; Lk. 9,1-5. 35 In diesem Zusammenhang ist l.Kor. 9,16f. bemerkenswert. Es ist auffällig, daß an dieser Stelle, an der Paulus auf den hinter seinem εναγγελίζεσΰαι stehenden Zwang verweist, jeder Hinweis auf einen Berufungsbefehl fehlt. Die άνάγκη besteht offenbar ähnlich wie Jer. 20,9 in einer inneren Nötigung. 3β Ζ. B. Jes. 6,8ff.; Jer. 1,4ff.; Hes. 2-3; Amos 7,15. 37 Nachr. der Gött. Ges. 1907, S. 3. 2*

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Der Apostolat des Paulus

Als notwendige Folge aus dieser Einheit von Schau des Auferstandenen und Berufung zum Apostel ergibt sich weiter, daß man das Amt des Apostels zu keinem anderen Zeitpunkt empfangen kann als dem der Erscheinung. Wir werden auf diese Probleme zurückkommen müssen. Das also unterscheidet den Apostel jedenfalls von den sonstigen Missionaren des Urchristentums: Der Apostel ist von dem erhöhten Herrn durch eine άποκάλνψις zu seinem missionarischen Dienst berufen. Diese Besonderheit des Apostolats, die einen eigenen Terminus zumindest verständlich macht, wenn auch noch nicht erklärt, begründet aber keine besondere P u n k t i o n des Apostels. Die auszeichnende Form der Berufung führt den Apostel in keine andere Art des Dienstes als die jedes sonstigen urchristlichen Missionars. Man darf also vor allem die besondere Aufgabe des Apostels nicht darin sehen, daß er Zeuge der Auferstehung sei 38 . Natürlich kann Paulus die Apostel miteinander als Zeugen der Auferstehung aufführen und t u t es auch l.Kor. 15,7f., wo es ihm um eine möglichst vollständige Zeugenreihe geht. Aber gerade diese Reihe zeigt, daß es der Apostel zum Zeugnis für die Auferstehung Christi nicht bedurfte; und wie wenig es zum W e s e n des Apostolats gehörte, in solchem Zeugendienst tätig zu sein, beweist die Tatsache, daß Paulus außerhalb von l.Kor. 15 nirgendwo die Tatsache der Auferstehung und das Apostelamt zusammenbindet, obschon er von beidem wahrlich nicht selten redet. Auch l.Kor. 15 wird ja die Botschaft von der Auferstehung nicht als genuin a p o s t o l i s c h e Botschaft verkündigt. Zwar h a t ein Apostel sie nach Korinth gebracht (l.Kor. 15,1), auch wird sie natürlich von allen Aposteln verkündigt (l.Kor. 15,11), aber im übrigen gilt doch ganz .unapostolisch', daß Χριστός κηρύσσεται δτι εκ νεκρών εγήγερται (l.Kor. 15,12). Der auferstandene Herr beruft den Apostel und zeugt deshalb für ihn. Das ist charakteristisch für den Apostolat. Nicht aber stellt Paulus umgekehrt den Apostel als Auferstehungszeugen vor. Der Apostel verkündigt die Botschaft von der Auferstehung Jesu und der damit eingeleiteten allgemeinen Totenauferstehung mit keiner anderen Vollmacht als jeder andere Verkündiger auch 3 9 . 4. Es wurde bereits darauf hingewiesen 40 , daß die Berufung zum Apostel (und also die Erscheinung Christi) für Paulus gleichbedeutend 38

So Κ. H. Rengstorf [1] 431,26f.; Apg. 1,22; 2,32; 3,15; 4,33; 5,32; 10,41;13,31. 39 Zu dem ganzen vorstehenden Abschnitt vgl. P. Gaechter a.a.O. S. 338-450, der nachweisen möchte, daß Paulus nach seiner eigenen Überzeugung fest in der Tradition wurzelte, die von Petrus und den Zwölfen herkam. Eine Widerlegung lohnt nicht, so sehr einzelne Beobachtungen P. Gaechters Interesse verdienen. 10 S. 16.

Der Apostel empfängt sein Evangelium direkt von Christus

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ist mit dem E m p f a n g der Botschaft. Berufung u n d Bekehrung sind demnach ein Akt 4 1 . Das geht am deutlichsten aus dem Galaterbrief hervor. E s k a n n gar kein Zweifel daran sein, daß Paulus in Gal. 1,1.11 f. u n d 15f. jedesmal von demselben Ereignis spricht, von der einen, grundlegenden άποκάλνψις Ίησον Χρίστου. Während Paulus durch diese Offenbarung nach Gal. 1,1 zum Apostel berufen wurde, empfing er nach Gal. 1,11 f. durch eben diese Offenbarung το εύαγγέλιον το ευαγγελισμέ ν υπ εμοΰ (Gal. 1,11). Gal. 1,16 faßt dann beides, Evangelium u n d Apostolat, zusammen: ha εναγγελίζωμαι αυτόν εν τοις εϋνεσιν. Ähnlich wechselt auch in Gal.2,7f. Evangelium u n d Apostolat: ίδόντες ort πεπίστευμαι το εναγγέλιον της άκροβνστίας κα&ώς Πέτρος της περιτομής, ο γαρ ένεργήσας Πέτρα) εις άποστολήν της περιτομής ενήργησεν και εμοί εις τα εϋνη, eine Argumentation, die voraussetzt, daß der E m p f a n g der Botschaft u n d des Botschafteramtes sich decken. Auch das scheint also ein Wesenszug des Apostolats zu sein, daß mit der άποκάλυψις Ίησον Χρίστου beides gegeben ist: die Botschaft u n d das Amt. Das ist keineswegs selbstverständlich. Ebenso nahe, ja näher, würde die Annahme liegen, daß die Beauftragung mit dem A m t des Apostels jederzeit, nicht nur im Moment der Bekehrung, erfolgen könnte 4 2 . Aber für den Apostel sind offenbar drei Vorgänge nicht n u r unlösbar voneinander, sondern dasselbe Ereignis : Die Erscheinung Christi, der E m p f a n g des Evangeliums, dem die Bekehrung entspricht, und die Berufung zum Apostelamt 4 3 . 5. Daraus folgt n u n wiederum u n d wird Gal. 1,11 f. ausdrücklich festgestellt, daß Paulus sein Evangelium nicht anders als sein Amt d i r e k t von Jesus Christus empfangen h a t . H . Schlier 44 bemerkt zutreffend: „ D a s Evangelium, das von Paulus verkündigt wird, ist also deshalb nicht ein,menschliches', weil es in dem die eschatologische Enthüllung vorwegnehmenden Geschehen der direkten u n d totalen Enthüllung Jesu Christi selbst an den Apostel seinen Ursprung h a t und diesem nicht in der F o r m einer durch Lehre angeeigneten Überlieferung zuteil wurde." E s gehört also zum Wesen des Apostolats, daß der Apostel der d i r e k t e Vermittler zwischen Christus u n d der Gemeinde ist 4 5 . Aus diesem einzigartigen Selbstverständnis heraus sind Stellen zu verstehen wie z . B . l.Kor. 11,23 4 β : Έγώ γαρ παρέλαβαν 41 Vgl. M. Dibelius, Botschaft und Geschichte II, S. 158. E. Haenchen (NTS 7, 1961, S. 187) schreibt mit Recht: „. . . von seiner .Bekehrung' spricht weder Paulus selbst noch die Apostelgeschichte", sondern nur von der Berufung. 42 So stellt es sich ζ. B. noch A. Ehrhardt (Stud. Theol. XII, 1958, S. 77) vor, wenn er schreibt: " H i s (sc. Paulus) apostïeship was confirmed upon him in the course of his ministry." 43 Vgl. H. v. Campenhausen [1] S. 112. 44 45 H. Schlier a.a.O. S. 20. Vgl. l.Kor. 11,1. 48 Zu dem Traditionsgedanken dieser Stelle s. S. 197 Anm. 477.

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Der Apostolat des Paulus

από τον κυρίου, δ και παρεδωκα ύμΐν; 2.Kor. 5,20: 'Υπέρ Χρίστου ουν πρεσβεύομεν ώς τοϋ ·&εοϋ παρακαλονντος δι' ημών, vielleicht 2.Kor.4,6: ό ϋεός . . . ελαμψεν εν ταϊς καρδίαις ημών προς φωτισμόν της γνώσεως της δόξης τοϋ ϋεον εν προσώπω Χρίστου; jedenfalls auch der Ausdruck ,τό εύαγγέλιόν μου' Rom. 2,16; 16,25; 1.These. 1,5; vgl. 2.Tim.2,8. Paulus k a n n sogar das ihm geoffenbarte Evangelium mit dem lebendigen Christus selbst gleichsetzen. Gal. 1,16: άποκαλύψαι τον υίόν αύτοΰ εν εμοί, ϊνα ευαγγελίζομαι αυτόν εν τοις εϋνεσιν; d. h. den ihm geoffenbarten Christus verkündigt Paulus als das Evangelium. Ebenso Gal. 1,6: Die Galater wenden sich von Christus zu einem anderen Evangelium; also ist Christus selbst das geoffenbarte Evangelium. Hierher gehören auch die zahlreichen Stellen, an denen Paulus zu den Verben des Verkündigens als Objekt ,Christus' hinzufügt 4 7 . I n diesem Sprachgebrauch zeigt sich, daß bei der άποκάλυψις Ίησσϋ Χριστού Objekt u n d Subjekt identisch sind: Christus offenbart, u n d zwar offenbart er sich selbst. Der Genetiv Ίησον Χριστού ist schwerlich als gen. obj. o d e r als gen. subj. genau zu bestimmen 4 8 . 6. a) Die Angriffe, die die Gegner des Paulus in Galatien und Korinth gegen seinen Apostelanspruch richten, zwingen Paulus zur Verteidigung seines Apostolats. Es ist interessant, die Argumente seiner Apologie zu beobachten. Zuerst erklärt er stets, von Christus selbst zu diesem Dienst berufen worden zu sein. Das gilt vom Galaterbrief, der sich mit diesem Argument begnügt, ebenso wie von den Korintherbriefen, die das Problem in brieflicher Rede u n d Widerrede weit umfassender diskutieren. Schon im Galaterbrief wird aber deutlich, daß diese Begründung nicht ausreicht : Paulus vermag die entscheidende Tatsache der eigentlichen Berufung zwar zu behaupten, aber nicht zu beweisen, u n d zwar u m so weniger, als er seine Behauptung merkwürdigerweise nicht einmal durch eine Schilderung der Berufung wie etwa Apg.22, Iff. unterstreichen k a n n (s. S. 17f). So versucht er denn, seine Behauptung, die sich Gal. 1,1.11 f. 15f. findet, durch mancherlei periphere Feststellungen zu verifizieren. Schon das konsequente Auftreten Gal. l , 8 f . soll überzeugen. Sodann weist Paulus auf seine Lauterkeit als δούλος Χρίστου hin, die es ihm verbietet, mit Unwahrhaftigkeit Menschen (oder gar Gott) zu überreden bzw. Menschen zu Gefallen zu reden (Gal. 1,10). Auch die den Galatern bekannte Tatsache, daß 47

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Siehe H. Schlier a.a.O. S. 13f.

Man mag das freilich aufgliedern: Die F o r m e l ,άποκάλυψις Ίησοΰ Χρίστου'

spricht sichtlich von der Offenbarung, in der Jesus Christus offenbart wird ; Paulus benutzt sie zur Bezeichnung der Offenbarung, die Jesus Christus ihm zuteil werden läßt. Entscheidend ist, daß er dabei die Doppeldeutigkeit nicht ausschließt, sondern — absichtlich oder unbewußt — gerade einschließt.

Die Zeichen des Apostels

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Paulus ein übereifriger Verfolger der Gemeinde Christi war und plötzlich bekehrt wurde, ist ein Beweis für den nicht-menschlichen Ursprung dieser Bekehrung ( = Berufung) (Gal. 1,13ff.22fF.). Ausführlicher führt Paulus den negativen Beweis: Er hat nach seiner Berufung gar keine Verbindung mit denen aufgenommen, die ihm das Evangelium hätten vermitteln können ; er muß es deshalb von Christus selbst empfangen haben (Gal. 1,16-24). Bei den späteren Begegnungen mit den ,Uraposteln' hat er die Selbständigkeit seines Apostolats nicht nur gewahrt (Gal. 2,1-5), sondern die Säulen in Jerusalem bestätigten ihm sogar ausdrücklich, daß sein Apostolat nicht anders zu bewerten sei als der des Petrus (Gal. 2,6-10), und davon legt schließlich auch die Episode in Antiochien ein beredtes Zeugnis ab (Gal. 2,11 ff.). Paulus benutzt im Galaterbrief mit dem Hinweis auf die Berufung durch Christus, die seinen Apostolat begründet, offenbar den traditionellen Beweis für den Apostelanspruch; auch in den Korintherbriefen steht dieses Motiv am Anfang seiner Apologie (s.u.). Zugleich versetzt ihn dieses Argument aber in die eigenartige Schwierigkeit, ein Beweismittel anführen zu müssen, das selbst erst des Beweises bedarf, ohne doch solchen Beweis zur Verfügung zu haben 49 . Die oben erwähnten Tatsachen, die Paulus aufzählt, um seine Berufung durch Christus wahrscheinlich zu machen, mögen für uns ihre Überzeugungskraft haben: wer des Paulus Glaubwürdigkeit grundsätzlich anficht, wie es die Bestreiter seines Apostelrechtes in Galatien und Korinth tun, wird sich davon nicht haben beeinflussen lassen. Warum verzichtet Paulus nicht auf diesen fragwürdigen Beweis? Nun, offenbar steht ihm kein anderer zur Verfügung. Dann aber bleibt es merkwürdig, daß ihm die ,apostolische Tradition' lediglich eine Beweisführung anbieten konnte, die zumindest bei i h m ihren Zweck nicht zu erfüllen vermag 50 . b) Nun scheint es freilich so, als ob Paulus noch ein anderer Beweis zur Verfügung stünde, von dem er in den Korintherbriefen reichlich Gebrauch macht. l.Kor.9,1-3 verteidigt er sich gegen diejenigen, die 49

Siehe H. Schlier a.a.O. S. 18; E. Haupt a.a.O. S. 132. Aus der Tatsache, daß Paulus, der sein Apostelrecht mit Hinweis auf seine Berufung durch Christus beweisen will, keinerlei nähere Angaben über den Vorgang der Berufung macht, ist nun doch wohl zu schließen, daß ihm solche Angaben nicht zur Verfügung standen. Warum hätte er sie sonst verschweigen sollen? Sie hätten natürlich den Beweis nicht gerettet, aber diese Erkenntnis hat ihn ja von den sonstigen Ausführungen seines Beweis Versuches auch nicht abgehalten. Auch hat er keine unüberwindlichen Bedenken, übersinnliche Erlebnisse und Begegnungen mit dem erhöhten Herrn zu verschweigen, wie z. B. 2.Kor 12,1-10 zeigt. Offenbar fehlt dem Berufungserlebnis jede Anschaulichkeit. 50

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Der Apostolat des Paulus

i h n a n k l a g e n : ή εμή απολογία

τοις εμε άνακρίνουσίν

εστίν αύτη (9,3) 5 1 .

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Die Anklage lautete, Paulus sei kein Apostel . Der Beklagte erwidert : ουχί Ίησονν τον κύριον ημών εόρακα? D a s ist die i n G a l . 1 - 2 a u s f ü h r l i c h

versuchte traditionelle Beweisführung: Ich bin Apostel, denn ich habe Christus gesehen. Hier wird dieser Beweis nun freilich in einer fast übertriebenen Kürze vorgebracht. Von ,berufen' oder ,empfangen' oder offenbaren' ist nicht die Rede; lediglich die Tatsache einer Christusvision wird festgestellt. Dann geht Paulus, offenbar im Bewußtsein der Unzulänglichkeit solcher Argumentation, gleich zu einer n e u e n B e w e i s f ü h r u n g ü b e r : ov το έργον μου νμεΐς εστε εν κνρίω; ει άλλοις ουκ ειμί απόστολος, αλλά γε νμϊν ε'ιμι. η γαρ σφραγίς μου της άποστολής

υμεΐς εστε εν κνρίω. In drei kurzen Sätzen wird gleich dreimal die Feststellung gemacht, daß Paulus, zu den Korinthern gesandt und von ihnen aufgenommen, ihnen mit Erfolg das Evangelium verkündigt habe. Damit sei zumindest für die Korinther der Apostelanspruch des Paulus bestätigt — versiegelt, wie Paulus in einem traditionellen Bilde sagt 53 —, auch wenn kein vorhergehendes σημειον den Apostel legitimierte. Der Herr selbst 54 hat Paulus als berufenen Botschafter hingestellt, als er seine Botschaft segnete. Diese ,dialektische' Beweisführung ist wahrscheinlich original paulinisch : das Evangelium wird durch den Glauben verifiziert, der Gesandte durch seine Aufnahme legitimiert 55 . Dieser Grundgedanke beherrscht dann vor allem die Auseinandersetzung über den Apostolat im 2.Kor. 66 . Wer beachtet, daß die mit Polemik und Apologie gespickten zusammenhängenden Abschnitte 2.Kor.2,14-6,13 und 10-13 fast ausschließlich durch die Angriffe auf das Apostelrecht des Paulus hervorgerufen wurden 57 , begegnet in den genannten Abschnitten dem erwähnten Argument auf Schritt und Tritt: Christus führt seine Apostel bei dem Triumphzug des Evangeliums mit sich herum (2,14-17) 58 ; die Gemeinde in Korinth selbst ist der Brief Christi, der Paulus vor allen Menschen als Apostel empfiehlt (3,1-3); Paulus hat seine Vollmacht von Gott (3,4ff.), und durch in solcher Vollmacht unerschrockene Verkündigung empfiehlt er sich vor Menschen und vor Gott (4,1 f.), der selbst die Menschen 51 Daß sich dieser Vers auf das Vorhergehende bezieht, ergibt sich trotz der falschen Abtrennung bei Nestle und der Unsicherheit der Kommentatoren aus der Tatsache, daß in den folgenden Versen keinerlei Vorwürfe gegen Paulus direkt genannt werden. 52 53 Vgl. S.18 Anm.29, Vgl. H.Lietzmann in HNT 9, 4 1949zu l.Kor. 9,2. 54 Beachte das wiederholte εν κνρία> (l.Kor. 9,1 u. 2). 55 Vgl. E. Haupt a.a.O. S. 132ff. ; H. v. Campenhausen [4] S. 32ff. 5 « Vgl. B. Käsemann [2] S. 59ff. 57 Vgl. R. Bultmann, Exegetische Probleme des Zweiten Korintherbriefes, Uppsala 1947, S. 13. H. Lietzmann, H N T zu 2.Kor. 2,14-17. 58 Vgl. W. G. Kümmel bei Lietzmann HNT 9 zu S. 108 Z. 20.

Die Zeichen des Apostels

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durch diese Verkündigung erleuchtet (4,3-6); Paulus hofft, den Korinthern dadurch als Apostel ,offenbar' zu sein, daß er den nüchternen Dienst der Verkündiging tut (5,11-15) 59 ; der Apostel ist Botschafter an Christi Statt (5,18 ff.) und empfiehlt sich als solcher, indem er keinen Anstoß gibt, der seine Botschaft unglaubwürdig machen könnte (6, Iff.); der von Gott zugeteilte Kanon, an dem die Korinther den Apostolat des Paulus messen sollen, ist der, daß Paulus bis nach Korinth gekommen ist im Evangelium Christi (10,12-18); usw. Ich sagte oben, es s c h i e n e so, als ob Paulus mit diesem Argument noch ein anderes Beweismittel für seinen Apostolat in der Hand habe als jenen unzulänglichen Hinweis auf seine — unbeweisbare — Berufung. In der Tat, die zuletzt betrachtete Argumentation ist nur ein scheinbarer Beweis für den Apostelanspruch des Paulus. Nicht deshalb, weil diese dialektische Beweisführung den Ungläubigen naturgemäß nicht überzeugen kann ; Paulus redet ja vor allem zu der gläubigen Gemeinde, die im beweisenden Glauben lebt. Vielmehr deshalb, weil Paulus damit wohl vor der Gemeinde die Wahrheit seiner Botschaft und die Echtheit seines Botschafterdienstes dartun kann, nicht aber speziell sein Recht zu begründen vermag, sich Apostel zu nennen. Die namentlich im 2.Kor. vorgetragene Beweisführung kann unverändert von j e d e m Missionar übernommen werden. Das ist Paulus kaum verborgen geblieben. Es ist gewiß kein Zufall, daß in den entsprechenden Abschnitten des 2.Kor. der Begriff ,Apostel' fehlt und durch allgemeine Umschreibungen ersetzt ist: φανεροϋν τήν δσμήν της γνώσεως του Χρίστου (2,14); λαλονμεν èv Χριστώ (2,17); επιστολή Χρίστου διακονηϋεΐσαύφ' ημών (3,3); τη φανερώσει της άλη&είας συνιστάνομεν εαυτούς (4,2); κηρνσσομεν (4,5); άν&ρώπους πεί&ομεν (5,11); πρεσβενομεν (5,20); παρακαλοΰμεν (6,1) usw. Paulus stellt sich also in der entscheidenden Auseinandersetzung um seinen Apostolat mitten unter alle andern Boten des Evangeliums. Es genügt ihm, als Zeuge der Wahrheit anerkannt zu werden. Die Tatsache, daß er ein von Christus selbst berufener A p o s t e l ist, wird daneben gleichgültig, und die entsprechende Behauptung hat ja auch im Galaterbrief offenbar nur den Sinn, die Botschaft als solche zu beglaubigen, nicht aber einen Vorzug des Botschafters. Damit bestätigt uns aber Paulus selbst unsere vorn getroffene Feststellung, daß ein Apostel keine Funktion besitzt, die n u r er von allen urchristlichen Missionaren wahrnehmen kann. Trotz seiner offenkundigen und in der Art seiner Berufung begründeten Sonderstellung ist sein D i e n s t derselbe, den auch die anderen Missionare tun, die sich nicht Apostel nennen. 59

Vgl. zur Interpretation dieser Stelle R. Bultmann a. Anm. 57 a.a.O. S. 12ff. ; „Die Gnosis in Korinth" S. 153ff.

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Der Apostolat des Paulus

Die abschließende Feststellung, daß die in diesem Abschnitt besprochene Beweisführung unmöglich lirsprunghaft mit dem Apostolat verknüpft gewesen sein kann, bedarf nach dem Gesagten n u n keiner besonderen Begründung mehr. c) Damit ist freilich die Zahl der Argumente, die Paulus zur Verteidigung seines Amtes anführt, noch nicht erschöpft. Die ψενδαπόστολοι i n K o r i n t h (2.Kor. 11,13) messen Paulus mit den Maßstäben i h r e s apostolischen Bewußtseins u n d zwingen ihn angesichts der kritischen Lage in der korinthischen Gemeinde, gegen seinen Willen diese korinthischen Maßstäbe zu akzeptieren u n d nachzuweisen, daß er auch d i e Bedingungen erfüllt, die m a n i n K o r i n t h an einen Apostel stellt. So k o m m t ea zu seinem törichten Selbstruhm, auf dessen αφροσύνη hinzuweisen Paulus nicht müde wird (2.Kor. 11,1.16ff.21 ; 12,1.11). N u r : ύμεϊς με ήναγκάσατε . . . επεί πολλοί καυχώνται κατά την σάρκα, κάγώ κανχήσομαι (2.Kor. 12,11 ; 11,18). N u n sind zwar sämtliche in Korinth gemachten Vorwürfe geeignet, Paulus das Apostelamt zu bestreiten; es ist aber zu fragen, ob Paulus mit allen Gegenargumenten bereits seinen Apostolat sichern k a n n u n d sichern will. Erklärt m a n z.B. Paulus f ü r einen σαρκικός (2.Kor. 10,2), so ist er zwar unmöglich mehr Apostel, aber zeigt der Nachweis des Paulus, daß er in Wahrheit ein πνευματικός ist, den korinthischen Irrlehrern auch schon die Berechtigung seines Apostelanspruchs? Oder: Paulus verliert gewiß seine apostolische Autorität, wenn er nicht ,Christi' ist (2.Kor. 10,7); gewinnt er sie aber in den Augen seiner Gegner schon dadurch zurück, daß er sich dennoch als ,τον Χριστσϋ' ausweist? Eindeutig liegt der Sachverhalt 2.Kor. 12,11 f., wo P a u l u s ein s p e z i e l l e s Argument f ü r den Apostelanspruch a u f n i m m t : ουδέν γάρ υστέρησα των νπερλίαν αποστόλων, εΐ καΐ ουδέν είμι. τα μεν σημεία τον αποστόλου κατειργάσϋη εν ύμΐν εν πάση υπομονή, σημείοις τε καΐ τέρασιν και δυνάμεσιν. Es gibt also bestimmte Zeichen, die den Apostel ausweisen. Diese Legitimation, zu der Paulus sich nur gezwungen bereitfindet, scheint im übrigen recht verbreitet gewesen zu sein. Jedenfalls zeigt ein Blick auf Rom. 15,19 ; Hebr. 2,4 ; 2.Thess. 2,9 ; Apg. 2,2 2 u n d andere Stellen, daß f ü r die Aufzählung der σημεία του αποστόλου eine stereotype Formel existierte 60 , die später mannigfaltige Verwendung gefunden h a t . Paulus begnügt sich damit, die Formel zu zitieren. Das ist bemerkenswert. I h m ist also zumindest nichts daran gelegen, seinen Apostelanspruch durch σημεία, τε και τέρατα και δυνάμεις zu erhärten. Möglicherweise verbindet er aber sogar mit dieser Formel — 60

Die Formel h a t ihre Ursprünge im AT (vgl. ζ. B. D t . 7 , 1 9 ; J e r . 39,21 L X X ) wie auch in der Profanliteratur (s. bei W. Bauer W B zu ,σημείον').

Die Zeichen des Apostels

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zumindest im Zusammenhang mit dem Apostolat — gar keine konkrete Vorstellung mehr. Jedenfalls ist es für uns kaum möglich, die Frage sicher zu beantworten, worin denn die ,Zeichen und Wunder und Krafttaten' für Paulus eigentlich bestehen 61 . An Wunder zu denken, wie die Apg. sie von den Aposteln berichtet 62 , scheint mir verfehlt 63 . Die Paulusbriefe enthalten, abgesehen von dieser Formel, keinerlei Andeutung dessen, daß Paulus ein solcher Wundertäter war 64 , auch nicht dessen, daß er „Heilungen und Austreibungen", also „Machttaten über die gottfeindliche Welt der Dämonen" ausführte 65 . Die Formel selbst denkt ursprünglich wohl an pneumatisch-ekstatische Wunderzeichen 66 , aber dazu paßt der offenbar paulinische Zusatz εν πάστ] υπομονή noch schlechter als zu Mirakelzeichen67. Am nächsten liegt in dem hier vorliegenden apostolischen' Zusammenhang wohl die Annahme, daß Paulus an die Wunderwirkung des Wortes gedacht hat (vgl. l.Kor.2,4; l.Thess. 1,5)68, aber es muß die Möglichkeit offen bleiben, daß er ganz auf die Mühe verzichtet, die überlieferte Form der verbreiteten Formel mit konkretem Inhalt zu füllen. Nun, gleichgültig, ob Paulus hier besonnen formuliert oder u n besonnen' zitiert: Daß er sich auch zu dieser allzu kargen Erwähnung der σημείο του αποστόλου noch zwingen lassen muß, zeigt, daß er zwar keine grundsätzlichen Bedenken hat, sie zu erwähnen, irgendeine Neigung zu dieser offensichtlich verbreiteten Beweisführung für sein Amt jedoch nicht besitzt 69 . Das aber muß zu denken geben und wird uns noch beschäftigen. Ein Argument speziell für die Echtheit des Apostolats dürfte auch in 2.Kor. 12,1-10 zur Diskussion stehen. Paulus beschäftigt sich hier mit seinen όπτασίαι και αποκαλύψεις κυρίου, die nach Ansicht seiner Gegner in Korinth ein offenbar notwendiges Kennzeichen aposto" G. Saß [1] S. 127. Heinrici in Meyers Kommentar 8. Auflage, 1900, z. St. ; P.Schmiedel, Handkommentar z. St. 63 Die Apg. hat freilich möglicherweise die alte Formel benutzt, um die Wimdertaten der Apostel zu beschreiben (Apg. 2,22; 2,43; 4,30; 5,12; 6,8; 14,3; 15,12). «4 G. Saß [1] S. 127. 65 So E. Käsemann [2] S. 63. ββ Vgl. S. 200; P. Wernle [1] S. 120; E. Käsemann [2] S. 35. 67 Deutlich ist, daß Paulus seine soeben geschilderte Himmelsreise nicht unter das Stichwort ,σημεία τον άποστόλου' stellt. 68 H. Lietzmann, H N T zu l.Kor. 2 , 4 ; ,Die Häretiker in Galatien', siehe Anm. 33. 69 Η. v. Campenhausen [1] S. 111 macht also zu Unrecht auf Grund von 2.Kor. 12,12 seine Bemerkung, der Vollzug von Wundern sei „für den vornehmsten Vertreter der Mission, den Apostel, eine Selbstverständlichkeit". 62

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Der Apostolat des Paulus

lischer Vollmacht sind 7 0 . Der Vorzug solcher Gesichte u n d Offenbarungen wird jedenfalls nicht allen Gliedern der Gemeinde zuteil, u n d wie eng gerade diese ekstatischen Erlebnisse mit dem Apostolat zusammenhängen, zeigt die Tatsache, daß Paulus dieselben Termini bei der Schilderung seiner Berufung b e n u t z t : άποκάλνψις (Gal. 1,12.16) όραν (1.Kor.9,1; 15,7f.) 7 1 . Merkwürdig ist freilich, daß Paulus trotz dieser Gleichheit der Terminologie gar nicht auf den Gedanken kommt, hier seine Berufung zu erwähnen, wenn er schon überhaupt auf die gegnerische Forderung eingeht. Offenbar h a t t e das Bekehrungserlebnis f ü r ihn einen grundsätzlich anderen Charakter als das Ereignis, das dem αν&ρωπος εν Χριστώ vor 14 J a h r e n widerfuhr. Dieses Ereignis berichtet er höchst widerwillig; auf jenes beruft er sich ohne Scheu. N u n ist der Widerwille des Paulus gegen die Schilderung seiner E n t rückung von seinem Verständnis der christlichen Existenz her wohl begreiflich: οταν γάρ άσϋενώ, τότε δυναως είμι (2.Kor. 12,10b). Daß sein Apostelrecht von den ,Schauungen und Offenbarungen' abhängen soll, ist ihm so wenig verständlich, daß er alles tut, sein Erlebnis abzuwerten. Die Erkenntnis, daß es sich bei den gegnerischen Lügenaposteln gerade umgekehrt verhält, wird sich als eine für die Erklärung des urchristlichen Apostolats nicht unerhebliche Tatsache herausstellen. 7. Aus der unlösbaren Verbindung von Echtheit des Apostolats und Unmittelbarkeit der Botschaft müßte nun eigentlich folgen, daß der Apostel die Wahrheit seiner Verkündigung dadurch erweisen kann, daß er sein Apostelrecht sichert, u n d umgekehrt m ü ß t e sich die Echtheit seines Apostolats durch den Nachweis bestätigen lassen, daß das verkündigte Evangelium direkt auf Christus zurückgeht. Die Gegner des Paulus in Galatien u n d Korinth können offenbar in dieser Weise argumentieren. So wollen sie z.B. Paulus erst als 70 H. Windisch (in Meyers Kommentar z. St.) meint freilich, Paulus rühme sich in 2.Kor. 12,1-10 ganz persönlicher Vorzüge, neben die seine Gegner nichts Vergleichbares stellen können, und H. Lietzmann z. St. hält es wenigstens nicht für n o t w e n d i g anzunehmen, auch in Korinth habe man sich auf Visionen berufen. Aber diese Annahme ist unumgänglich. Denn daß Paulus zur Erwähnung seiner Entrückungen g e z w u n g e n wird, geht aus 12,1 und 12,11 mit unbedingter Sicherheit hervor. Hätte er nun in 12,Iff. ein einzigartiges persönliches Argument vorbringen wollen, mit dem er alle Argumente seiner Gegner übertrumpfte, so hätte er ja doch alles tun müssen, die Bedeutung dieses Erlebnisses für sein Apostelamt, das auf dem Spiele steht, herauszustreichen. Statt dessen bemüht er sich aber auf jede Weise, dies Erlebnis abzuwerten und für die Frage des Apostelrechtes uninteressant zu machen (s. u.). So behandelt man aber nur ein vom Gegner deshalb erzwungenes Argument, weil diese selbst das gleiche Argument benutzen. Auch 2.Kor. 5,11 ff. läßt bei sachgemäßer Interpretation keinen Zweifel daran, daß der Gemeinde vorgeführte Ekstasen zu den vorzüglichen Propagandamitteln der Gegner des Paulus gehörten (vgl. R. Bultmann, Exegetische Probleme des 2. Korintherbriefes, 1947 S. 12ff.; ,Die Gnosis in Korinth', S. 153ff.). 71 Siehe S. 17.

Botschaft und Amt

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Apostel anerkennen, wenn er nachgewiesen hat, daß wirklich Christus in ihm spricht (,επεϊ δοκιμήν ζητείτε τον εν εμοί λαλοϋντος Χρίστου', 2.Kor. 13,3), wenn also die Wahrheit seiner Botschaft nicht mehr ,verboigen' (2.Kor. 4,3), sondern ,offenbar' (2.Kor.5,11) ist. Umgekehrt bestreiten sie ihm grundsätzlich die Echtheit seiner Verkündigung, weil er kein Apostel ist : das ist die im Galaterbrief und in den Korintherbriefen vorherrschende Form der Auseinandersetzung. Die Vorwürfe, die Paulus vor allem im 2.Kor. zurückzuweisen hat, richten sich ja nicht gegen den Inhalt seiner Botschaft, sondern gegen sein Amt. Man hat es offenbar in Korinth nicht nötig, sich mit dem Evangelium des Paulus auseinanderzusetzen, solange man sein Apostelrecht bestreiten kann: Die Botschaft steht und fällt mit dem Amt. Interessant ist nun, daß Paulus diese Argumentation nicht übernimmt, obschon er vom Ansatz seines Apostelbegriffes her durchaus dazu in der Lage wäre, ja, obschon solche Argumentation von diesem Ansatz her nur konsequent wäre ; denn auch für ihn decken sich Amt und Botschaft. Paulus aber k a n n sein Apostelrecht nicht mit dem Hinweis auf sein Evangelium objektiv sichern, und zwar, wie schon festgestellt wurde 72 , einmal deshalb nicht, weil es gar keinen objektiven Maßstab für die Wahrheit seiner Botschaft gibt, zum andern, weil nicht jeder wahre Botschafter auch schon Apostel ist 73 . Und den umgekehrten Beweis — die angefochtene Wahrheit seiner Verkündigung durch die Rechtmäßigkeit seines Amtes zu sichern — will Paulus offenbar nicht führen. Zwar verteidigt Paulus Gal. 1-2 sein Apostelrecht, das ihm bestritten wird, aber er denkt nicht im geringsten daran, den Gehorsam gegenüber dem dann in Gal. 3 ff. vorgetragenen Evangelium deswegen zu fordern, weil er, der A p o s t e l , diese Botschaft vorlegt. Entsprechend ist auch die kurze Verteidigung des Apostolats in l.Kor. 9, Iff. nicht Grundlage oder Voraussetzimg der Verkündigung im l.Korintherbrief. Und als er später merkt, daß er nur deshalb seinen Apostelanspruch belegen soll, damit durch sein Amt die Wahrheit seines Evangeliums erwiesen werde, verzichtet er gänzlich darauf, ein anderes Argument für sein Apostelrecht anzuführen als eben die Wahrheit und Überzeugungskraft seiner Botschaft selbst. Diese Situation liegt im 2. Kor. vor und ist vorne bereits aufgewiesen worden. Erst auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung in 2.Kor. 10-13 74 läßt er sich zwingen, der Argumentationsweise seiner Gegner zu folgen und versucht nach72

Siehe S. 24f. Anders offenbar in Korinth, wo die falschen Missionare insgesamt sich Apostel nennen: 2.Kor. 11,13. 74 Daß diese Kapitel nicht zu l.Kor. 1-9 gehören, sondern einen eigenen Briefrumpf bilden, der später liegt als die polemischen Teile von 2.Kor. 1-9, halte ich für ein gesichertes Ergebnis der ntl. Forschung. 73

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Der Apostolat des Paulus

zuweisen, daß er die Forderungen durchaus erfüllen kann, die man in Korinth an einen Apostel stellt, dessen Botschaft man annehmen soll (2.Kor. 11-12). Die Form aber, in die Paulus diesen Nachweis kleidet, der ständige Hinweis auf seine Torheit bei diesem Vorhaben, auf den Zwang, unter dem er steht, auf das Unziemliche solchen Unternehmens 7S , zeigt deutlicher als alles andere, daß er es für grundsätzlich verfehlt hält zu versuchen, die Wahrheit seiner Botschaft durch einen vorgängigen Beweis für die Echtheit des Amtes zu garantieren. Das ist von der paulinischen Auffassung des Wortes Gottes her nur selbstverständlich. Das Evangelium ist für Paulus ja nicht eine überlieferte Lehre, deren Glaubhaftigkeit von der Vertrauenswürdigkeit des Lehrers abhängt ; denn auch er selbst hat durch die άποκάλυψις Ίησον Χρίστου keine Lehre empfangen. Die evangelische Botschaft ist vielmehr zuerst Kerygma, Anrede, Aufruf, und fordert deshalb nicht Zustimmung, sondern Gehorsam des Glaubens. Solcher gläubige Gehorsam aber antwortet einzig auf den Inhalt der Botschaft, nicht auf die Person des Botschafters. Läßt sich also von daher wohl verstehen, daß Paulus Amt und Botschaft nicht wie seine Gegner einfach austauscht, so bleibt doch die bemerkenswerte Erkenntnis, daß auch die paulinische Auffassung vom Apostolat von ihrem Ansatz her durchaus auf solchen Austausch hin angelegt ist, da Berufung und Bekehrung durch Christus selbst auch für Paulus ein Vorgang waren. 8. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich schon, daß die Autorität des Apostels für Paulus absolut ist, daß sie aber nicht in dem Amt an sich, sondern in der Botschaft liegt, die durch das Amt verkündigt wird. Den stärksten Ausdruck findet diese Autorität in der beschwörenden Ermahnung der Galater: „Wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündigen würden als wir euch verkündigt haben, so sei er verflucht. Wie wir früher gesagt haben, so sage ich auch jetzt wieder: wenn jemand euch ein Evangelium verkündigt, anders als ihr empfangen habt, so sei er verflucht." Es ist mißverständlich zu sagen, Paulus schiebe an dieser Stelle „jede apostolische und auch seine eigene Autorität leidenschaftlich beiseite", um das Evangelium allein maßgebend sein zu lassen (H. v. Campenhausen [1] S. 123). Vielmehr richtet Paulus seine apostolische Autorität gerade auf, indem er s e i n Evangelium verteidigt. Zugleich aber wird an dieser Stelle deutlich, w a r u m Paulus ein so autoritatives Anathema sprechen kann: Die Galater wenden sich von Christus ab und einem anderen Evangelium zu 78 , obschon es doch 75

Siehe Anm. 70. ,,Άπό τοϋ καλέσαντος υμάς εν χάριτι Χρίστου εις ετερον ευαγγέλιον" (Gal. 1,6); beachte, wie Paulus hier Christus und das Evangelium gleichsetzt ! 76

Die Autorität des Apostels

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kein anderes Evangelium gibt, sondern nur einige das Evangelium Christi verdrehen. Paulus hat das einzige wahre, von Christus selbst empfangene Evangelium zu verkündigen; darum kann er alle andere Botschaft verdammen, die mit seinem Evangelium nicht übereinstimmt. Paulus selbst nämlich wagt nicht, etwas zu sagen, das ου κατειργάσατο

Χριστός δι' εμονείςύπακοήν

( R o m . 15,18). E r u n t e r s c h e i d e t

sich von den falschen Aposteln : ov γάρ εσμεν ώς οι πολλοί καπηλεύοντες τον λόγον τοϋ ϋ·εον, αλλ' ώς εξ ειλικρίνειας,

αλλ' ώς εκ ϋεοϋ κατεναντι

ΰεον

εν Χριστώ λαλοΰμεν (2.Kor. 2,17 ; vgl. 2.Kor. 4,2). Eben weil er das von Christus empfangene Evangelium rein hält, kann er mit unbedingter Vollmacht alle falsche Botschaft zurückweisen. Er wagt ja nicht, λογίσασ§αί τι ώς εξ εαυτών (2.Kor.3,5), und weil er sich treu an die ihm direkt gegebene Offenbarung hält, ist seine ικανότης εκ τοϋ ϋ·εοϋ (2.Kor.3,5). Es gibt also gar keine apostolische Autorität, die der Apostel abgesehen von seiner Botschaft besäße 77 . Weil und sofern der κύριος durch ihn spricht, ist sein Wort verpflichtend (l.Kor.7,10). Weil und sofern er υπέρ Χρίστου ermahnt, muß man ihm gehorchen (2.Kor.5,20). Was er sagt, ohne durch den Herrn, der das Evangelium ist, ausdrücklich gedeckt zu sein (l.Kor. 7,12), kann er nur mit der Vollmacht aller sagen: δοκώ δε κάγώ πνεύμα ϋεοϋ εχειν (l.Kor.7,40). Umgekehrt

können aber auch alle, die das eine Evangelium verkündigen, mit ,apostolischer' Vollmacht reden (Phil. 3,17); denn wenn auch Paulus den — imbeweisbaren — Vorzug hat, dies Evangelium aus ,erster Hand' empfangen zu haben, so liegt doch die Autorität allein bei dem Wort selbst. Christus also ist die Autorität 78 , mit der der Apostel predigt 79 . Nie spielt darum Paulus eine ,höhere' Autorität aus gegen die ,niedere' der Gemeinde. Damit hängt zusammen, daß Paulus „auf seinen apostolischen Rang nicht oft und des näheren überhaupt nur in der Defensive zu sprechen" kommt (H. v. Campenhausen [1] S. 111). Das „nicht oft" ist zwar einzuschränken, aber richtig ist, daß Paulus sein Amt nur betont, wo er sich gegen den Vorwurf verteidigen muß, seine Botschaft gelte nichts, da er kein Apostel sei. Dadurch wird er gezwungen, seinen Apostolat herauszustellen, um seiner Verkündigung Gehör zu verschaffen, und gerät dabei in die beschriebene mißliche Lage, um der 77

Richtig Η. v. Campenhausen [1] S. 123 : „Zuletzt muß das von den Aposteln gelegte Fundament auch die Apostel tragen, . . . und nicht umgekehrt." 78 Gal. 4,14 kann Paulus sagen, daß man ihn, den Apostel, ώς Χριβτόν Ίησοϋν aufgenommen habe. Gleichgültig, ob das eigene oder, wie ich annehmen möchte, traditionelle Formulierung ist : deutlich ist, daß in der Botschaft des Apostels Christus selbst seine Autorität aufrichtet. 79 Vgl. dazu die vorzügliche Untersuchung von H. v. Campenhausen [4], bes. S. 29-34.

Der Apostolat des Paulus

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B o t s c h a f t willen ein A m t beweisen zu müssen, das d o c h o h n e die B o t s c h a f t gar nichts ist. B e s ä ß e n wir n u r die Stellen a u s d e n e c h t e n Paulusbriefen, a n d e n e n P a u l u s v o n s i c h a u s auf seinen apostolischen R a n g zu sprechen k o m m t , so w ü r d e n wir ü b e r d e n paulinischen Apostolat n i c h t viel m e h r wissen als dies, d a ß er f ü r seinen Träger ohne besondere B e d e u t u n g w a r . D a s zuletzt Gesagte m u ß n u n freilich ergänzt u n d d a d u r c h in gewisser Weise a u c h berichtigt werden. E s findet sich bei P a u l u s n o c h eine a n d e r e Linie apostolischer A u t o r i t ä t als die des W o r t e s . P a u l u s spricht zweimal in sehr ähnlich klingenden W o r t e n v o n der εξουσία, die i h m der H e r r gegeben h a b e εις οίκοδομήν και ουκ είς καϋαίρεσιν (2.Kor. 10,8; 13,10; vgl. 2 . K o r . l O , 4 ) . E r hofft, seine εξουσία a n d e n K o r i n t h e r n nicht e r p r o b e n zu müssen. W o r i n sie b e s t e h t , l ä ß t sich v o n d e n beiden g e n a n n t e n Stellen h e r schwerlich entscheiden. R . R e i t z e n s t e i n 8 0 stellt m i t R e c h t fest, d a ß m a n diese εξουσία n i c h t auf das R e c h t des Apostels z u m Ausschluß aus der Gemeinde b e s c h r ä n k e n d a r f . D a s g e h t schon deshalb nicht, weil diese Vollmacht j a eigentlich z u r οικοδομή gegeben ist. Die apostolische Exousia, wie P a u l u s sie a n d e n b e i d e n e r w ä h n t e n Stellen b e a n s p r u c h t , d e c k t sich a b e r a u c h n i c h t m i t der A u t o r i t ä t des v e r k ü n d i g t e n W o r t e s . D a s zeigt deutlich die eigenartige Stelle l . K o r . 5,3ff., in der P a u l u s offenbar eine P r a k t i z i e r u n g seiner Vollmacht beschreibt 8 1 . Die mancherlei P r o b l e m e dieser Stelle sollen u n s nicht beschäftigen. Deutlich genug ist, d a ß P a u l u s nicht d e n Ü b e l t ä t e r aus der Gemeinde ausschließt 8 2 , sondern ihn n a c h seiner σάρξ v e r n i c h t e n will, d a m i t sein πνεύμα g e r e t t e t werde. D a s geschieht in Anwesenheit der Gemeinde d u r c h d a s m i t der δύναμις Christi v e r b ü n d e t e πνεύμα des P a u l u s . W i e sich dieser r i c h t e n d e u n d r e t t e n d e A k t vollzog, entzieht sich schlechthin unserer K e n n t n i s . D e r hier vorausgesetzte D u a l i s m u s v o n σάρξ u n d πνεϋμα ist P a u l u s sonst f r e m d 8 3 u n d e n t s t a m m t der Gnosis, in der a u c h εξουσία in der 2.Kor.lO, 8; 13,10 v e r w a n d t e n B e d e u t u n g zu H a u s e ist 8 4 . P a u l u s s t e h t also m i t seiner B e r u f u n g auf diese εξουσία in j e d e m F a l l in einer seiner theologischen I n t e n t i o n r e c h t fernliegenden T r a d i t i o n . D a s m a h n t zur Vorsicht bei der A u s d e u t u n g der hier a n g e f ü h r t e n Stellen. Z u e r k e n n e n ist a b e r aus l . K o r . 5 , 3 f f . m i t genügender K l a r h e i t , d a ß — u n d das e n t s p r i c h t der gnostischen T r a d i t i o n —· die εξουσία nicht speziell d e m Apostel eignet, sondern d e m P n e u m a t i k e r ü b e r 80 81 82 83 84

A.a.O. S. 363. So mit Recht R. Reitzenstein a.a.O. S. 363 f. Das ist hier wie sonst Sache der Gemeinde selbst (l.Kor. 5,2.7ff.). Siehe R. Bultmann [1] S. 205. Siehe R. Reitzenstein a.a.O. S. 362ff.

Der Apostel ist Vorbild der Gemeinde

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haupt, und dem Apostel nur deshalb, weil auch er selbstverständlich Pneumatiker ist. Es ergibt sich also, daß Paulus um eine doppelte Vollmacht weiß. I m Vordergrund steht die Autorität, die in dem Wort liegt, das er zu verkündigen hat. Daneben aber verschmäht er nicht, auch auf die εξουσία zu verweisen, die auf dem πνεύμα beruht, das er besitzt. Die erste Vollmacht teilt er mit allen rechten Predigern, die zweite mit allen Pneumatikern. In jedem Fall aber ist seine Autorität absolut: Wer Paulus aufnimmt, nimmt Christus auf (Gal. 4,14); wer ihn hört, hört Christus (2.Kor.5,20); wer ihn verwirft, der ist verflucht (Gal. 1,8f.) 85 . Und kein Wunder, daß es sich so verhält; denn „der Herr ist der Geist" (2.Kor.3,17), und der Herr ist zugleich das Evangelium (Gal. 1,12.16). Der Herr selbst ist also die Autorität des Pneumatikers bzw. des Predigers. 9. Mehrfach stellt Paulus sich als Vorbild für die Gemeinde hin, und die Häufigkeit der Stellen sowie die Gleichheit der Terminologie deuten darauf hin, daß es sich dabei um einen traditionell zum Wesen des Apostolats gehörenden Zug handelt. Die Tatsache, daß man sich den Apostel zum Vorbild nehmen soll, wird mit dem term, techn. μιμέομαι bzw. μιμητής oder συμμιμητής beschrieben 85 a . Diese Wortgruppe bezeichnet in der Profangräzität sensu malo die Nachahmung, die unselbständige Kopie, im guten Sinn das Zum-Vorbild-Nehmen, das Nacheifern, um zu sich selbst zu kommen 86 . Paulus benutzt das Wort natürlich im letzteren Sinn, wenn er sich 2.Thess.3,7.9; Phil. 3,17; l.Kor.4,16; 11,1; l.Thess. 1,6 der Gemeinde als Vorbild anbietet. W. Michaelis versucht, Unterschiede in der Verwendung des Begriffs an diesen Stellen zu konstatieren, aber die Begründungen, die er gibt, sind künstlich. Paulus will an allen Stellen das ausdrücken, was er Gal.4,12 in größtmöglicher Kürze sagt: γίνεσϋε ώς έγώ87. Paulus wünscht der Gemeinde seinen Glauben, seine Liebe, seine Hoffnung, seinen Ruhm, seine Schwachheit usw. W. Michaelis hat auch große Scheu zuzugeben, daß Paulus sich hier wirklich in seiner persönlichen Existenz als nachahmenswertes Vorbild hinstellt. Die 85

Siehe G. Saß [1] S. 78ff. Die einschlägigen Stellen hat kürzlich D . M . Stanley, 'Become Imitators of me': The Pauline Conception of Apostolic Tradition (Biblica 40, 1959, S. 859-877), unter Hinweis auf die in ihnen begegnende „Apostolische Tradition" untersucht. 88 Vgl. W. Michaelis in ThW IV 66Iff. 87 Merkwürdigerweise soll diese Stelle nach W. Michaelis in ThW IV 675 Anm. 29 keine Parallele zu den anderen Stellen darstellen. 85a

3 7801 Schmithals, Apoetelamt

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Der Apostolat des Paulus

Gemeinden seien vor allem darin μιμηταί, daß sie den Weisungen des Paulus gehorchen und sich unter die Autorität seines Wortes beugen (a.a.O. 676,1 f.; 673,37). Aber das liegt weder in der Bedeutung der Wortgruppe μιμέομαι usw. beschlossen, noch legen die angeführten Stellen ein solches Verständnis nahe 88 . Nur indirekt umschließt die μίμησις insofern Gehorsam gegenüber dem Wort des Paulus, als Paulus d a d u r c h zum μίμημα wurde, daß auch er selbst seine vorbildliche Existenz in dem Wort gründet, das er weitergibt. Die erwähnte Scheu W. Michaelis dürfte aus dem richtigen Empfinden herausgewachsen sein, daß es eigentlich dem Wesen des Paulus nicht entspricht, sich selbst in den Vordergrund zu stellen 89 . Aber angesichts dieser Erkenntnis sollte man die entsprechenden Äußerungen des Paulus nicht uminterpretieren, sondern zunächst nach der Tradition fragen, in der er mit seiner /«'/¿^ffiç-Vorstellung offenbar steht. W e m das weiter unten geschehen wird, werden dabei auch jene Stellen heranzuziehen sein, in denen nicht der Apostel, sondern die Gemeinde (l.Thess.2,14) bzw. der Herr selbst (1.Kor. 11,1; l.Thess. 1,6; vgl. Eph. 5,1) Vorbild sind; denn die Gleichartigkeit der Terminologie dürfte auf einen Zusammenhang aller dieser Stellen hinweisen. 10. Der Apostel ist in besondererWeise eine eschatologische Gestalt eo . Das ,in besonderer Weise' will besagen, daß mit dem Apostolat eine eschatologische Vorstellung verbunden ist, die mehr beinhaltet als die selbstverständliche Tatsache, daß dem Apostel die eschatologische Botschaft anvertraut ist : die Verkündigung des mit Tod und Auferstehung Jesu Christi angebrochenen Weltendes 91 . Jene eigenartige Vorstellung findet sich am deutlichsten Rom. 15,19 ff. Paulus erklärt zunächst, er habe in großem Bogen die Länder von Jerusalem bis Illyrien mit dem Evangelium von Christus erfüllt 92 . Der Weg ging von Osten nach Westen und führt nun folgerichtig über Rom weiter nach Spanien. 88

Vgl. W. G. Kümmel bei Lietzmann H N T 9 zu S. 21 Z. 46. Vgl. ζ. B. 2. Kor. 4 , 5 ; 5,12; 10,12; l.Kor. 3,5. A. Fridrichsen beginnt seine Untersuchung über , The Apostle and his Message' mit den Worten: "When Paul in Romans introduces himself as a κλητός απόστολος he characterizes himself as an eschatologie person. He is a man who has been appointed to a proper place and a peculiar task in the series of events to be accomplished in the final days of this world." 91 In diesem Sinne spricht ζ. Β. G. Saß [1] S. 27ff. von dem eschatologischen Auftrag des Apostels. Dabei ist aber zu beachten, daß solche eschatologische Bestimmtheit nichts spezifisch Apostolisches ist, sondern dem christlichen Kerygma schlechthin zugehört. 82 Dabei ist anscheinend vorausgesetzt, daß .Jerusalem' und ,Illyrien' mit zu den „erfüllten" Ländern gehören. In Illyrien mögen von Mazedonien aus Gemeinden gegründet worden sein (l.Thess. 1,8ff.). Nach Jerusalem hin werden Auswirkungen der Predigt des Paulus in Damaskus und Syrien wirksam geworden sein (Gal. l,17ff.). Auch hat er selbst in Jerusalem sein Evangelium bezeugt (Gal. 2,2). 89 80

Die eschatologische Bedeutung des Apostelamtes

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Eigenartig ist dabei, daß Paulus der Überzeugung ist, in diesen Gebieten seinen Dienst nun getan zu haben. Er kann Rom. 15,23 sogar e r k l ä r e n : vvvi

δε μηκέτί

τόπον εχων εν τοις κλίμασι

τούτοις

. . ./ E s

scheint also die Aufgabe des Apostels zu sein, in allen Ländern einige Stützpunkte für die weitere Mission zu gründen und damit seinen Auftrag in diesem Gebiet als erledigt anzusehen. I n Zusammenhang damit steht die mehrfach erwähnte Vorschrift für den Apostel, nur da εύαγγελίζεσϋαι, wo der Name Christi noch nicht genannt worden ist (Rom. 15,20), und keinesfalls auf fremdem Grund weiterzubauen (Rom. 15,20f.; 2.Kor. 10,15f.), was nicht überhaupt falsch ist (im Gegenteil: l.Kor.3,6ff.), sondern nur nicht Aufgabe des Apostels sein soll 93 . Man hat sich natürlich Gedanken über den Ursprung dieses besonderen Wesenszuges des Apostolats gemacht. Die übliche Erklärung verweist auf das Bewußtsein des Paulus, unmittelbar vor der Parusie zu stehen, und auf die daraus erwachsende Eile, das Evangelium noch möglichst vielen Menschen zu bringen. Darum sei es „überflüssig und Zeitvergeudung" (G. Sass [1] S. 131), in fremden Missionsgebieten zu predigen. Paulus glaube, „der letzte Bote Gottes vor dem Anbruch des Herrentages zu sein" (ebd.). Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß eine besondere Eile die Missionsarbeit des Paulus doch kaum auszeichnet. Er kann sich jahrelang an einem Ort wie Ephesus oder Korinth aufhalten, und sein Weg geht manchmal zurück nach Jerusalem und zu den gegründeten Gemeinden. Man gewinnt an keinem Abschnitt der paulinischen Missionstätigkeit den Eindruck, als ob Paulus es sehr eilig habe. Dazu kommt, daß Paulus selbst nirgendwo in seinen Briefen in einer Weise von der Wiederkunft Christi spricht, die erkennen läßt, daß ihn die Nähe der Parusie zu besonders eiliger Verkündigung antreibt. Wenn man Rom. l l , 2 5 f . betrachtet, scheint zu solcher Eile ja auch deshalb kein Anlaß zu bestehen, weil nach Gottes Willen zunächst die ,Fülle der Heiden' bekehrt werden muß und anschließend auch Israel noch gerettet werden wird, bevor das Ende kommt. Dieser geheimnisvolle Plan Gottes läßt also die Parusie nicht eintreten, bevor nicht die Mission über kurz oder lang zu ihrem gottgesetzten Ziel gekommen ist 94 . 83 Nicht zuletzt deshalb, weil die Gegner des Paulus in Korinth (und Galatien) sich A p o s t e l nennen, ist er über ihren Einbruch in sein Missionsgebiet empört (2.Kor. 10,15). An sich konnte Paulus es ja nur begrüßen, wenn daa Evangelium von allerlei Menschen verkündigt wurde (Phil. 1,18). 91 Auf die zwar interessante, aber wenig überzeugende These O. Cullmanns ([1]; vgl. ders. : Eschatology and Missions in the NT, Dodd-Festschrift, 1956, S. 409-421, bes. S. 417ff.; die These ist ζ. B. von J.Munck übernommen), mit δ κατέχων 2.Thess. 2,7 sei Paulus, mit το κατέχον 2.Thess. 2 , 6 seine Botschaft gemeint, kann man in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht ver3*

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Der Apostolat des Paulus

Schließlich fehlt in der jetzt zur Debatte stehenden Stelle Rom. 15,19 ff. selbst jeder Hinweis auf einen zeitlichen Druck, unter dem Paulus stehen könnte. Die Ausführungen über den Wirkungskreis seines Apostolats ermangeln überhaupt jeder zeitlichen Kategorie. Das ist um so auffälliger, als Paulus ja in der Tat mit dem baldigen Ende der Welt und damit auch der Missionspredigt rechnete und es nur zu verständlich wäre, wenn er in Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit vorgeeilt wäre, um möglichst viele zu retten95. Statt dessen bleibt die räumliche Kategorie die einzig maßgebliche. Es geht darum, einen bestimmten Raum mit dem Evangelium zu erfüllen96. Das ist geschehen, wenn in erträglichen Abständen Missionszentren errichtet sind97. Dann sucht sich der Apostel ein neues Arbeitsgebiet, in dem bisher noch keine Verkündigung geschehen sein darf. Das ist feste Ordnung, und O.Michel (Der Brief an die Römer, S. 330) vermutet wohl mit Recht, daß das ,πληρώσαι το εναγγέλιον τσΰ Χρίστου (Rom. 15,19; Kol. 1,25) auch ein fester, geprägter Ausdruck innerhalb dieser Tradition ist. Jede zeitliche Zielsetzung fehlt dagegen98. Die räumliche Betrachtungsweise steht im Einklang mit Rom. 11,25f.: wenn zuerst die Fülle der Heiden bekehrt werden soll, ist nicht die eilige, sondern die umfassend-weite Verkündigung der Botschaft gefordert. Eine gewisse Spannung aber besteht zwischen Rom. 11,25ff. und Stellen wie Röm.l3,llff. und l.Thess.5,lfif.: Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. 11. Der Apostel ist zu seinem Dienst auf Lebenszeit berufen. Das ist so selbstverständlich, daß Paulus weder für sich selbst noch für einen anderen der Apostel diese Tatsache ausdrücklich erwähnt. Es ist also auch undenkbar, daß der Apostel etwa seinen Auftrag zurückgeben könnte. weisen, weil nach 2.Thess. 2 die Entfernung des κατέχων das Auftreten der Gesetzlosigkeit, nach Rom. 11,25 aber der Erfolg der gesamten Heidenmission die Bekehrung der Juden zur Folge haben wird. 85 Die folgende Feststellung K . Deißners (a.a.O. S. 776) läßt sich also durch keine Stelle der Paulus-Briefe belegen: „Der Blick auf das unmittelbar bevorstehende Ende, auf die anbrechende βασιλεία τοϋ &εοϋ mit ihrem Gericht und ihrem Heil bedeutet für die ersten Sendboten . . . höchste Anspannung der Kräfte. Die älteste Mission verläuft unter dem Gesichtspunkt, daß der ganzen Welt die Botschaft werden muß, ehe das in B ä l d e zu erwartende Ende k o m m t . " Das gleiche gilt von J . Muncks Urteil über Paulus, „der in seiner aufgeregten Hoffnung auf die Nähe des Weltendes gar nicht rasch genug von Land zu Land eilen konnte" [2] S. 45. 96 Daß Paulus „in Völkern" denke, ist demgegenüber zumindest im Ausdruck nicht korrekt (P. Wernle, Paulus als Heidenmissionar, S. 31). Vgl. J . Munck [2] S. 45; P. Althaus in N T D 6 zu Rom. 15,19. 97 Darum liegt das Schwergewicht der Missionsarbeit des Paulus in den Großstädten und an den Hauptverkehrswegen (A. Deißmann a.a.O. S. 174f.). 98 Es liegt auch kein Grund zu der Annahme vor, daß „Paulus sich nach der Spanienreise am Ziel seines Auftrages weiß" (G. Saß [1] S. 130).

Der Unterhaltsverzicht des Apostels

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Das lebenslängliche Amt setzt aber offenbar auch lebenslänglichen Dienst voraus. Man kann nicht Apostel sein, ohne den Dienst eines Apostels zu tun. Der Apostel ist kein Amtsträger, der sich als solcher auch zur Ruhe setzen könnte. Auch das erklärt Paulus zwar nicht ausdrücklich, aber wie sollte er über Dinge reflektieren, die gar nicht in seinem Gesichtskreis liegen und auch zwischen ihm und seinen Gegnern nicht kontrovers sind. Der Apostolat des Paulus ist jedenfalls ohne apostolischen Dienst nicht vorstellbar. 12. Daraus folgt, daß sich die Frage nach dem Unterhalt des Apostels stellt und einer Regelung bedarf. Grundsätzlich ist Paulus der Meinung, daß der Prediger des Evangeliums auch vom Evangelium leben darf. Das sagt ein ausdrücklicher Befehl des Herrn : όντως και δ κύριος διέταξεν τοις το εναγγέλιον

καταγγέλλονσιν

εκ τον ευαγγελίου

ζην

(l.Kor.9,14). Dazu kommen Gründe der allgemeinen Gewohnheit: Der Soldat hat Anspruch auf Sold; der Weingärtner lebt von dem Ertrag des Weingartens; der Hirte trinkt von der Milch der Herde". Diese Gründe wiederum werden von der Autorität der Schrift gedeckt, denn wenn geschrieben steht: Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden, so heißt das, allegorisiert Paulus, daß jeder Mensch von dem Ertrag seiner Arbeit leben soll (l.Kor. 9,8if.). Andere Begründungen folgen l.Kor.9, llff. 100 . Dies Unterhaltsrecht gilt für alle ,Diener am Wort' 101 und damit auch für den Apostel. Die λοιποί απόστολοι nehmen denn anscheinend auch wie die Brüder des Herrn und Petrus dies Recht für sich in Anspruch (l.Kor.9,5). Paulus dagegen und Barnabas, der l.Kor.9,6 offensichtlich zu den Aposteln gerechnet wird, verzichten auf ihr Recht. Solcher Verzicht kennt freilich Ausnahmen, wie Paulus gegenüber den Korinthern selbst 2.Kor. 11,8f. feststellt und wie aus Phil.4, lOff. deutlicher hervorgeht. Prinzipielle Bedenken hatte Paulus also nicht, Gaben zu seinem eigenen Unterhalt aus bewährten Gemeinden anzunehmen. Aber um nicht als Goet zu erscheinen, verdiente er sich durchweg seinen Lebensunterhalt mit eigenen Händen, „damit wir niemandem einen Anlaß geben, sich am Evangelium Christi zu stoßen"(l.Kor.9,12). Der Tatbestand ist seltsam. Auch der Apostel hat das Recht, vom Evangelium zu leben, weil er dessen Prediger ist ; zugleich aber nötigt ihn gerade das Apostelamt selbst, auf sein Recht zu verzichten, damit er keinen Anstoß gibt. 99 l.Kor. 9,7. 100 Yg] z u m ( j a n z e n ε . Käsemann, Eine paulinische Variation des ,amor fati', ZThK 56, 1959, S. 138-154. 101 Mit Recht stellt H. v. Campenhausen [1] S. 112 fest: „Man darf hier also nicht von besonderen .apostolischen' Rechten sprechen."

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Der Apostolat des Paulus

13. Zum Wesen des Apostolats gehört es, daß der Apostel leiden muß. Leiden ist natürlich der gesamten Gemeinde Christi verordnet. Wer in Christus hineingetauft ist, ist σνμμορψιζόμενος τω θανάτφ αντον,

lebt damit in der κοινωνία παθημάτων αντον, um auch an seiner εξανάστασις teilzuhaben (Phil. 3,10). Der Christ, der sein Leiden auf sich nimmt, erfährt darin die Gewißheit der Gemeinschaft mit Christus. Insofern ist das Leiden heilsnotwendig. Das ist der Grundgedanke der paulinischen Leidenstheologie 102 . Daneben kennt er andere Gründe für die positive Wertung des Leidens: Rom.5,3ff. („wir rühmen uns auch in Trübsal, weil wir wissen, daß Trübsal Geduld bringt"); 2.Kor. 12,9 (,,in der menschlichen Schwachheit kommt die Kraft Gottes zur Vollendung"). Aber es ist längst erkannt, daß das Leiden des Apostels sich abhebt von dem Leiden der Gemeinde sonst, daß das apostolische Leiden in besonderer Beziehung zum apostolischen D i e n s t steht. Das läßt sich an manchen Äußerungen des Paulus sehen. Man beachte z.B. l.Kor. 4,9 ff. : „Mir scheint, Gott habe uns Apostel als die letzten hingestellt, verurteilten Verbrechern gleich ; denn wir sind ein Schauspiel geworden für den Kosmos, für Engel und für Menschen . . . Wie der Kehricht der Welt sind wir geworden, jedermanns Abschaum bis heute." Ähnlich gilt l.Kor. 15,30 ff. speziell vom Apostel: „Täglich sterbe ich." Im Zusammenhang mit dem besonderen Apostelleiden steht auch der Peristasenkatalog 2.Kor. ll,23ff., der die Berufsleiden des Apostels vom täglichen Überlaufenwerden bis zum Martyrium aufzählt. G.Sass [1] S. 87 wird Recht haben, wenn er bemerkt: „Paulus erwähnt sein persönliches Leiden ja überhaupt nur deshalb so häufig, weil es Berufsleiden ist." Das gilt auch von 2.Kor.6,3ff., wo Paulus die Lebenslagen aufzählt, in denen er als Apostel niemandem einen Anstoß gibt und dabei die Situationen des Leidens als erste und am ausführlichsten beschreibt. Daß dieses Leiden wirklich mehr bedeutet als das Leiden des Christen allgemein und ein notwendiges Stück apostolischen Dienstes ist, zeigt die Begründung, die Paulus für die θλίψεις der Apostel gibt und die in dieser Form für die Nöte des Gläubigen sonst nicht stichhaltig ist: Um der Menschen willen, zu denen er gesandt ist, leidet der Apostel 103 . Diese Begründung wird von zwei verschiedenen Motiven getragen. Nach 2.Kor. 1,3 ff. erfährt der Apostel in seinen Leiden den Trost Gottes „εις τò δύνασ&αι ημάς παρακαλεϊν τους εν πάσ·η θλίψει διά της 102 Vgl. R. Bultmann [1] S. 345ff. ; M. Dibelius, Botschaft und Geschichte II, S. 144 f. 103 Nicht also : Die Ausübung des apostolischen Dienstes führt zu besonders vielen Leiden — das stimmt natürlich auch —, sondern : U m der rechten Ausübung seines Dienstes willen muß der Apostel leiden.

Das apostolische Leiden

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ης παρακαλούμεϋα αυτοί υπό του ϋ·εου '; also: „Wenn wir leiden, geschieht es zu eurem Trost und Heil" (2. Kor. 1,6). Daneben findet sich eine andere Motivierung des für das Heil des Hörers notwendigen Leidens des Heilsboten: „αεί γαρ ήμεϊς οι ζώντες παρακλήσεως

εις êâvaxov παραδιδόμε&α ôià Ίησοΰν, iva και ή ζωή τον Ίησοϋ φανερω&ί] εν τη -θνητή σαρκί ημών" (2.Kor.4,11). Der Gedanke, der in diese

Feststellung mündet, beginnt mit der Beobachtung, daß der Apostel seine Botschaft in dem irdenen Gefäß seines Leibes trägt, d.h. daß er sie auf dem Hintergrund seiner eigenen Schwachheit verkündigt 104 . Dadurch wird für die Hörer deutlich, daß die Kraft dieser Botschaft von Gott stammt und nicht εξ ημών105. Je mehr deshalb der Tod Jesu Gestalt gewinnt im Leben des Apostels, um so kräftiger muß sich die Verkündigung des Evangeliums absetzen von der menschlichen Schwäche und darum sich bei den Hörern durchsetzen. Das Leiden des Apostels ist die negative Voraussetzung für den Erfolg seiner Predigt 106 . Das ist eine im Vergleich zu 2. Kor. 1,3ff. recht komplizierte Begründung für das apostolische Leiden, die zudem nicht ganz befriedigt. Es ist doch im Grunde recht schwer zu verstehen, wie die Überzeugungskraft einer auszurichtenden Botschaft durch die leibliche Schwäche des Boten gesteigert werden kann. Ob Paulus mit seinen Ausführungen 2.Kor.4,7ff. in einer Tradition steht, die er nicht ohne Bruch übernehmen kann? Diese Vermutung wird schon dadurch nahegelegt, daß er ja 2.Kor. 1,3 ff. eine andere, und zwar einfachere und offenbar eigene Erklärung für den Sinn des apostolischen Leidens gibt. Ein ähnlicher Gedanke wie in 2.Kor.4,11 dürfte hinter Kol. 1,24 stehen 107 , wo Paulus 108 von τοις παϋήμασιν υπέρ υμών spricht, mit denen er die noch fehlenden Leiden Christi für die Gemeinde ausfüllen will. Ich halte es für gänzlich verfehlt anzunehmen, Paulus denke hier daran, ein Stück des stellvertretenden Leidens Christi (2.Kor. 5,21) müsse der Apostel für die Gemeinde tragen 109 , oder Paulus nehme hier alte Gedanken der jüdischen Apokalyptik von den messianischen 104

Vgl. Gal. 4,13ff. Vgl. M. Dibelius, Botschaft und Geschichte I I S. 144f. Hier von „stellvertretendem Leiden" des Apostels zu sprechen, ist zumindest sprachlich verfehlt (G. Saß [1] S. 89); denn das Leiden des Apostels ersetzt ja in keiner Weise das Leiden der Gemeinde, wenn es auch ,für', d. h. zum Besten der Gemeinde geschieht. 107 Vgl z u dieser Stelle die tüchtige Arbeit von Jacob Kremer, Was an den Leiden Christi noch mangelt, Bonn 1956. 108 Oder ein Schüler von ihm. Das ist in diesem Fall bedeutungslos, da sich die Kol. 1,24 zugrunde liegende Gleichsetzung der Leiden Christi und der Apostel auch 2. Kor. 1,5 findet, wo Paulus seine Leiden παθήματα τον Χρίστου nennt. 109 So G. Saß [1] S. 89. 105 108

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Der Apostolat des Paulus

Wehen auf 110 . Der erste Gedanke wäre für Paulus völlig unvorstellbar ; die Lohmeyersche Deutung übersieht, daß die messianischen Leiden ja in keiner Weise die Leiden des Messias selbst sind. Auch sind diese Gedanken der ,mystischen', nämlich gnostischen 111 Tradition gänzlich fremd, nach der Kol. 1,24 formuliert ist. Unbeschadet der Tatsache, daß die Kol. 1,24 verwendete Tradition rein mythologisch ist, dürfte der Sinn der Stelle im Kolosserbrief derselbe sein wie 2.Kor.4,7ff. : Die Leiden des Boten lassen die Botschaft selbst wirksamer werden zur Auferbauung der Gemeinde. Der Ausdruck τά παθήματα τον Χρίστου 2.Kor. 1,5 und ähnlich Kol. 1,24112 macht dabei noch deutlicher als die Worte des Paulus 2.Kor. 4,10f., daß in der hier verwendeten Tradition Christus und die Apostel nebeneinandergesetzt wurden. Das apostolische Leiden ist dasselbe wie das Leiden Christi und ihm gleichwertig. Diese annähernde Identifikation von Christus und seinen Aposteln begegnete uns ja bereits öfter im Rahmen anderer Beobachtungen. 14. Mit dem Apostolat eng verbunden ist der Begriff μνστήριον als Bezeichnung des Christuskerygmas insgesamt oder einzelner verborgener Wahrheiten. Am deutlichsten wird in diesem Zusammenhang Pseudo-Paulus in Eph.3,1-6. Paulus wird an dieser Stelle als der H e i d e n a p o s t e l e i n g e f ü h r t , d e m κατά άποκάλνψιν εγνωρίσϋη το μνστήριον . . . δ έτέραις γενεαΐς ουκ εγνωρίσ&η τοϊς υίοϊς των άνϋ·ρώπων ως νυν άπεκαλύφ&η τοις άγίοις αποστόλοις αντον και προφήταις εν πνενματι.

„Apostel und Propheten besitzen eine sie von der übrigen Gemeinde unterscheidende geistliche Einsicht in das Christusgeheimnis." 113 Apostel und Propheten sind die ,pneumatischen Amtsträger', und als solchen wird ihnen das Wissen um die μνσήρια durch eine άποκάλνψις zuteil 114 . Bei Paulus selbst findet sich diese Vorstellung nicht mehr so ausdrücklich wie in den Traditionen, die der Verfasser des Epheserbriefes verarbeitet. Daß Paulus aber in dieser Tradition steht, ist nicht zu bezweifeln. Die Eph.3,3 begegnende αποκάλνψις, die die μυστήρια vermittelt, ist ja sicherlich eine Offenbarung derselben Art, der Paulus sein Evangelium verdankt (Gal. 1,12) und bei der Gott ihm die μυστήρια (l.Kor.2,7) άπεκάλυψεν δια τον πνεύματος (l.Kor.2,10). Diese grundlegende άποκάλυψις aber machte Paulus zum οικονόμος μυστηρίων 110 So E. Lohmeyer in Meyers Kommentar z. St.; E. Lohse, Märtyrer und Gottesknecht, S. 201ff.; vgl. E. Käsemann in ThLZ 1957, Sp. 695. 111 Siehe ,Die Gnosis in Korinth' S. 123; die Tradition ist die der σώμαΧριστοί-Vorstellung. 112 Vgl. l.Petr. 4,13; 5,1. 113 114 G. Bornkamm in ThW IV 827,38. Vgl. Eph. 6,19f.

Apostel und Propheten

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ϋεοϋ (l.Kor. 4,1; vgl. Eph.3,2). Bevor dem Apostel κατά άποκάλυψιν dieses μνστήριον offenbart wurde, war es χρόνοις αΐωνίοις verschwiegen (Rom. 16,25; l.Kor. 2,6f. ; vgl. Eph. 3,9: ή οίκονομία του μυστηρίου τον άποκεκρυμμένου

από των

αιώνων).

Ist der Inhalt des Eph.3,6 verkündigten Geheimnisses, daß die Heiden Miterben der Verheißung seien, so wird dieser Inhalt Rom. 11,25 nur ein wenig verschoben: το μνστήριον τοντο beinhaltet die Erkenntnis, daß Israel zum Teil verstockt ist, b i s d i e F ü l l e d e r H e i d e n g e r e t t e t i s t , um dann aber auch gerettet zu werden. Der Gedanke an die Heidenmission verbindet sich überhaupt gern mit dem Begriff des apostolischen Mysteriums, wie noch Rom. 16,25 ff. zeigt. E r mag auch hinter anderen Stellen wie l.Kor.2,7; Eph. 1,9; 6,19; Kol. 1,26 ff. liegen 116 . Anderen Inhalt hat da3 Mysterium l.Kor. 15,51; ganz unbestimmt bleibt der Ausdruck l.Kor.2,l 1 1 6 ; 13,2; 14,2. l.Kor. 14,2 aber zeigt deutlich, daß der P n e u m a t i k e r um die Geheimnisse Gottes weiß. Alle Stellen, an denen Paulus von den μυστήρια spricht, bewegen sich im Rahmen dieser Vorstellung, die in Eph. 3,5 nur etwas genauer ausgedrückt wird, wenn Apostel und Propheten namentlich genannt werden. Es ergibt sich also, daß für Paulus das Wissen um die μυστήρια notwendig dem Apostel eignet, der durch eine άποκάλνψις κυρίου zum Haushalter der göttlichen Geheimnisse berufen wurde. Er teilt dieses besondere Wissen freilich mit dem προφήτης.

15. Das führt uns auf ein weiteres Kennzeichen des Apostolats: Mit dem Apostel eng und fast unlösbar verbunden ist die Gestalt des Propheten, und dieses Paar von Amtsträgern wird häufig durch den Lehrer zu einer Trias ergänzt. Die Zusammenstellung von απόστολος und προφήτης ist in der Tradition so fest verankert, daß es genügen würde, die Herkunft der einen Gestalt zu ermitteln, um auch die Frage nach dem Ursprung der anderen zu beantworten. Die wichtigsten hierher gehörenden Stellen seien kurz aufgeführt 117 . l.Kor. 12,28f. : Gott hat in der Gemeinde eingesetzt „erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer . . . Sind etwa alle Apostel? Sind etwa alle Propheten ? Sind etwa alle Lehrer?" Andere Amtsträger nennt Paulus in diesem Zusammenhang nicht, sondern nur Amtsfunktionen: δυνάμεις, χαρίσματα ίαμάτων, άντιλήμψεις usw. Das zeigt, 115 Das Geheimnis lautet hier: .Christus ist in euch', aber ,in euch' bedeutet ja: in euch Heiden. 11β ,μνστήριον1 dürfte hier die bessere Lesart sein; siehe die Kommentare. 117 Fast vollständig zusammengestellt ist das Quellenmaterial bei A. v. Harnack [1] I S. 328ff.

42

Der Apostolat des Paulus

wie in sich geschlossen und zugleich nach außen abgeschlossen die Trias ist 118 . Nach Eph.2,20 ist die Gemeinde erbaut επί τω άεμελίω των αποστόλων

και προφητών,

d e n n τοις άγίοις

άποατόλοις

αυτόν

και

προφήταις wurde das Geheimnis des Reichtums Christi offenbart (Eph. 3,5), und Gott selbst hat Apostel und Propheten an die Spitze der .Hierarchie' gestellt (Eph.4, 11)119. Ape 18,20 werden unter den himmlischen Heiligen, die sich freuen über den Untergang Babylons, οί απόστολοι και oí προψήται besonders genannt, also die urchristlichen Amtsträger, ,,die den Verfolgungen bereits zum Opfer gefallen sind" 12°. περί των αποστόλων και προφητών (Did. 11,3) handelt ein großer Teil der Didache 121 , wobei gelegentlich der διδάσκαλος zum Propheten gestellt wird (Did. 13,1 f.; 15,1). Die Didache weiß also noch um die „sehr alte Dreiheit" 122 . Hierher gehört auch der Hirte des Hermas, obschon in dieser Schrift die Propheten unerwähnt bleiben und nur Apostel und Lehrer regelmäßig zusammenstehen (Sim. I X 15,4; 16,5; 25,2; Vis. I I I 5,1), eine Erscheinung, die sich in den Pastoralbriefen wiederholt (l.Tim.2,7; 2.Tim. 1,11). A. v. Harnack [1] S. 325f. u. a. erkennen richtig, daß an diesen Stellen mit Bewußtsein auf die Erwähnung urchristlicher Propheten verzichtet wurde. Dieser absichtliche Verzicht wird bei Hermas kaum darin begründet sein, daß er selbst Prophet war 123 ; vielmehr erkennen Hermas und der Verfasser der Past, keine christlichen Propheten mehr an, weil der Prophet der vorzügliche Träger des pneumatischen Amtes in der Gnosis geworden war 124 . Damit erweisen gerade sie sich als Zeugen der einstigen Trias. Vielleicht darf man auch Apg. 13,1 vergleichen, wo Propheten und Lehrer Paulus und Barnabas als Apostel aussenden. Jedenfalls gehört hierher die Bezeichnung διδάσκαλος αποστολικός και προφητικός f ü r Polykarp 1 2 5 .

Auch in den Pseudo-Clementinen begegnen Propheten und Apostel nebeneinander (Ree.4,35; Horn. 11,35). Bei Euseb. KG IV 22 werden 118 Vgl. Η. v. Campenhausen [2] S. 65. Nach G. Saß [1] S. 105 soll l.Kor. 12,28 „lediglich an Missionare der Gemeinde zu denken" sein und ein gänzlich anderer Apostelbegriff vorliegen, als Paulus ihn für sich beansprucht. Aber das ist ausgeschlossen. Die Gemeindeapostel gehören sicherlich nicht an die Spitze der gemeindlichen Autoritäten. 119 „Und er selbst setzte ein die einen zu Aposteln, die anderen zu Propheten, andere zu Evangelisten und noch andere zu Hirten und Lehrern." Diese Zusammenstellung zeigt, daß die Lehrer, auch wo sie genannt werden, nicht unbedingt an dritter Stelle stehen müssen. 120 P. Ketter, Die Apokalypse, Freiburg 1953, z. St, 121 Siehe R. Knopf im Handbuch zum NT zu Did. l l , 3 f f . 122 Siehe ebd. z. St. 123 So A.V. Harnack [1] I S. 325f., der die Erklärung H. Lietzmanns (Gött. Gel. Anz. 1905 S. 486) mit Recht ablehnt, Hermas habe ein Prophetenamt nur im AT gekannt. 121 Siehe E. Fascher, Prophetes, S. 190-224; Orig. Cels. VII 8ff.; s. S. 212 Anm. 525. 125 Mart. Pol. 16,2; Euseb KG IV 15,39.

Die Apostel reisen zu zweien

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Pseudochristusse, Pseudopropheten und Pseudoapostel der Gnostiker aufgeführt 12e . Überblickt man diese Zeugnisse für eine ursprüngliche Verbindung von Aposteln und Propheten, so wird man vor aller Untersuchung über Wesen und Ursprung dieser Zusammenstellung feststellen müssen, daß der Begriff des Apostolischen in der Urchristenheit nicht erfaßt und geklärt ist, wenn nicht im gleichen Zuge der Begriff des Prophetischen seine Erklärung findet und auch die Hinzufügung des Lehrers zu den beiden anderen Amtsträgern verständlich wird. 16. Es scheint alte Sitte gewesen zu sein, daß die Apostel sich stets zu zweien auf den Weg machten. Das geht aus Mk.6,7 hervor: και ηρξατο αντονς άποστέλλειν δυο δύο. Diese Bestimmung gehört offenbar zu dem auch in den folgenden Versen bei Mk. überlieferten Abschnitt einer alten Gemeindeordnung. Die Herkunft dieses Zuges bleibt ungewiß. Man verweist auf Dt. 19,15127 oder Eccl.4,9 128 . Die Ordnung der paarweisen Sendung begegnet auch Lk. 10, l 1 2 9 : die 72 Jünger werden âvà δύο ausgesandt 130 . Wichtiger ist für uns, daß Paulus sich dieser Ordnung anfangs angeschlossen zu haben scheint. Nach Apg. 13-15 bildet Paulus mit Barnabas zusammen ein solches Apostelpaar, und diese Überlieferung wird durch Gal. 2,1.9 grundsätzlich bestätigt. Auch Apg. 15,36 ff. dürfte in diesem Punkt auf zuverlässiger Überlieferung beruhen: als Paulus und Barnabas sich trennen, nimmt Barnabas den Markus zu sich, während Paulus in der Begleitung von Silas auf die sogenannte 2. Missionsreise geht 131 . Zwar ist Silas möglicherweise kein Apostel132, aber die traditionelle Ordnung bleibt dennoch gewahrt 133 . Die spätere Entwicklung, die bei der Vielzahl der von Paulus gegründeten und noch zu versorgenden Gemeinden auch eine größere Schar von Mitarbeitern erforderlich machte und zugleich Paulus unter den Missionaren auf eine einsame Höhe führte, ΐ2β Vgl. auch die S. 172f. angeführten Stellen aus der mandäischen Literatur; vgl. S. 212 Anm. 525. 127 H. J. Holtzmann, Handkommentar z. St. 128 E. Lohmeyer in Meyers Kommentar z. St. 129 Auch Andronikus und Junias bilden ein solches Apostelpaar (Rom. 16,7). 130 Nach Lk. 7,18 schickt Johannes der Täufer zwei Jünger zu Jesus. 131 132 Vgl. 2.Kor. 1,19. Siehe S. 55f. 133 Andere Beispiele für dieses paarweise Auftreten von urchristlichen Missionaren oder Boten sind vielleicht Aquila und Priscilla (Apg. 18,26) und Gaius und Aristarchus (Apg. 19,29), jedenfalls aber Zenas — Apollos (Tit. 3,13), Tychikus — Onesimus (Kol. 4,7ff.), Titus und ein ungenannter Bruder (2.Kor. 12,18). Aristarch und Sekundus, Gaius und Timotheus sowie Tychikus und Trophimus (Apg. 20,4) sind als Geldboten hier nur mit Einschränkung zu nennen. Vgl. W. Hartke, Die Sammlung und die ältesten Ausgaben der Paulusbriefe, Diss. Bonn, 1917, S. 22; J.Jeremias, Paarweise Sendung im Neuen Testament, Manson-Festschrift, 1959, S. 136ff.

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Der Apostolat des Paulus

höhlt dann die alte Sitte aus. Daß Paulus aber stets einen besonders engen Mitarbeiter behielt, und zwar nach Silvanus offenbar Timotheus 134, ist gewiß ein Rest jener alten Ordnung der Sendung δύο δύο135. 17. Weiter ist noch bemerkenswert, daß es für den Apostel ein echtes καύχημα gibt, das weder als Sünde ,ausgeschlossen' ist von der christlichen Existenz (Köm. 3,27), noch auch lediglich in einer Narrenrolle erwähnt werden darf (2.Kor. 11-12), sondern etwas gilt am Tage des Herrn. Dieser echte Ruhm rühmt sich, or ι ουκ είς κενόν εδραμον ούδε είς κενόν εκοπίασα (Phil. 2 , 1 6 ) . τις γάρ ημών έλπίς ή χαρά ή στέφανος καυχηαεως —• ή ουχί και νμεϊς — 'έμπροσθεν τον κυρίου ημών Ίησοϋ εν τη αύτοΰ παρουσία; ύμεΐς γάρ εστε ή δόξα ημών καΐ η χαρά ( l . T h e s s . 2 , 1 9 f . ) .

Wie wenig es sich hier um ein Rühmen eigener Vorzüge handeln kann, zeigt 2.Kor. 1,14: „Wir sind euer Ruhm gleichwie ihr unser Ruhm am Tage unseres Herrn Jesus." Wenn Paulus sich seiner Gemeinden so rühmt wie die Gemeinden sich seiner, so kann der Grund auch seines Ruhmes letztlich nicht seine eigene Arbeit sein, sondern der Geist Gottes, der ihm die Gemeinden aus derselben Gnade schenkte, durch die den Gemeinden der Apostel gegeben wurde. Damit stimmt l.Kor. 9,16 überein: εάν γάρ εύαγγελίζωμαι,

ουκ εστίν μοι καύχημα. Ferner

l.Kor. 15,10: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin (nämlich ein erfolgreicher Apostel), und seine mir erwiesene Gnade ist nicht umsonst gewesen." 136 Rom. 15,18 : Paulus rühmt sich nur dessen, „was Christus durch mich wirkt" (vgl. l.Kor.15,31). 18. Schließlich ist auf die Bemerkung l.Kor. 1,17 hinzuweisen: ου γάρ άπεστειλεν

με Χριστός

βαπτίζειν

άλλα εύαγγελίζεσϋαι.

Das

,άποστέλ-

λεσ&αι ist der Ursprung vor allem des Apostelamtes, und dessen 134

Rom. 16,21; Phil. 1,1. O. Bauernfeind (Die Begegnung zwischen Paulus und Kephas Gal. 1, 18-20, Ζ N W 47, 1956, S. 268-276) h a t mit einiger Überzeugungskraft nachgewiesen, daß Paulus mit der Schilderung seines 1. Besuches in Jerusalem nicht den Nachweis beabsichtigt, dieser Besuch sei zu k u r z gewesen, ihm — Paulus — sein Evangelium in Jerusalem zu vermitteln. Vielmehr will Paulus deutlich sagen, daß er von den Aposteln, um die es ihm nach Gal. 1,17a allein geht, nur Petrus getroffen hat, falls man nicht auch Jakobus zu den Aposteln rechnen will (1,19), was Paulus offenbar lieber nicht möchte. Da man nun schwerlich daran zweifeln kann, daß die biographischen Berichte des Paulus von Gal. 1,11 an einheitlich das sichern wollen, was Paulus in 1,11 f. als Thema angibt : Mein Evangelium stammt nicht von Menschen, müßte die Bemerkung des Paulus, er habe bei seinem ersten Besuch in Jerusalem n u r den Apostel Petrus gesehen, besagen, daß diese Begegnung nicht ausreichte, u m ihm das Evangelium verbindlich mitzuteilen. Diese merkwürdige Logik läßt sich vielleicht mit der Beobachtung in Zusammenhang bringen, daß die Apostel für Paulus stets wenigstens zu zweien predigen. 136 „Er gewinnt nicht erst durch seine Missionserfolge Gottes Gnade, sondern umgekehrt", R. Bultmann ThW I I I 651,6. 135

Ergebnis des Ersten Teils

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Auftrag ist εναγγελίζεσ&αι (Gal. 1,16). Da Paulus ja keineswegs die Taufe als solche abwertet, wie zahlreiche Stellen seiner Briefe beweisen, an denen er von der Bedeutung der Taufe spricht, sondern sie nur seinen Mitarbeitern überläßt 137 , muß der Auftrag, nicht zu taufen, sondern zu evangelisieren, auf einen engeren Kreis von Missionaren begrenzt gewesen sein, also doch wohl auf die Apostel. Es ist demnach traditionell nicht Aufgabe des Apostels zu taufen. Ergebnis des Ersten Teils Damit wären die Grundzüge des paulinischen Apostelbegriffs dargelegt. Die Darstellung ließe sich natürlich unschwer nach mancher Richtung hin erweitern. Man könnte die apostolische B o t s c h a f t im einzelnen darlegen; man könnte den Kreis der Hörer aus Juden und Heiden und deren Verhältnis zueinander und zum Apostel untersuchen ; auch die Fürsorge des Apostels für die gegründeten Gemeinden wäre einer Betrachtung wert. Vor allem ließe sich untersuchen, wie Paulus sich mit seinem Dienst in der vorgegebenen Schale des apostolischen Amtes bewegt 138 , wie er die vorliegende Form mit seinem ,Geiste' füllt. Aber dies alles und manches andere gehört doch nicht zu den spezifischen Zügen des überlieferten Apostolats. Überhaupt steht man leicht in der Gefahr, allgemein-christliche Gedanken und Verhaltensweisen dem Apostolat speziell zuzuweisen. So kann ich mich z.B. nicht davon überzeugen, daß es einen besonderen apostolischen Segen gegeben hat 139 . Geradezu falsch erscheint mir die häufig 140 begegnende Feststellung, Paulus habe einen p r o p h e t i s c h e n Apostelbegriff. ,Prophetisch' ist gewiß eine weitläufige Bezeichnimg. Wenn sie aber besagen soll, daß eine enge Verwandtschaft zwischen dem Apostel und den alttestamentlichen Propheten besteht, ist sie fehl am Platze. Natürlich gibt es einige selbstverständliche Gemeinsamkeiten: Der Apostel predigt dasselbe Evangelium wie die Propheten (Rom. 1,1-7); er setzt mit seiner Verkündigung an die Heiden die Linie der prophetischen Worte an die Völker fort 141 ; seinem Wort wird oft kein Glaube geschenkt (Rom 10,16); u. a. m. Vor allem ist hier wie dort das Wort selbst das Entscheidende des Amtes. Daraus 137 Paulus kann sich nicht erinnern, während des mehrjährigen Aufenthaltes in Korinth dort jemand anders als Krispus, Gaius und das Haus des Stephanus selbst getauft zu haben! (l.Kor. 1,14ff.) 138 Vgl. dazu die vorzügliche Darstellung von H. v. Campenhausen [2] S. 32-58. 139 So G. Saß [1] S. 77f. 140 G. Saß [1] S. 40ff.; Κ. H. Rengstorf [1] 440ff.; H. Windisch a.a.O. S. 150f. ; E. Lohmeyer, Grundlagen paulinischer Theologie, 1929, S. 201 f. 141 G. Saß [1] S. 41.

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Der Apostolat des Paulus

kann man aber keine besondere Linie Prophet-Apostel ableiten. Es ist im Gegenteil geradezu auffällig, wie wenig Paulus daran denkt, die mannigfaltigen und sich oft geradezu aufdrängenden Beziehungen, die zwischen seinem Amt und dem der alttestamentlichen Propheten bestehen, zur Darstellung seines Dienstes heranzuziehen. Lediglich Gal. 1,15 findet sich ein deutlicher Anklang an das prophetische Selbstbewußtsein (vgl. Jer. 1,5). Ausführlich vergleicht Paulus das Amt des Apostels (und der anderen Boten des Evangeliums) mit dem des Mose142 (2.Kor.3,4-18), aber dieser Vergleich lebt gerade von den D i f f e r e n z e n des jeweiligen Dienstes. Daß Paulus im Gegensatz zu den Propheten kein Berufungserlebnis berichten kann, wurde bereits festgestellt. Zwar hat die Botschaft des Paulus wie die der Propheten unmittelbaren Offenbarungscharakter, aber das typisch prophetische ,So spricht der Herr' fehlt bei Paulus völlig! Der neutestamentliche Apostolat findet seine Erklärung nicht im alttestamentlichen Prophetenamt 143. Faßt man das Ergebnis unserer bisherigen Untersuchung zusammen, so läßt sich eines mit unbedingter Sicherheit feststellen: Der urchristliche Apostolat, wie er sich in der Gestalt des Apostels Paulus darstellt, ist keine originale Schöpfung des paulinischen Christentums, sondern muß von Paulus aus einer religiösen Bewegung übernommen worden sein, deren Einstellung ihm nicht erlaubte, diese Übernahme ohne Brüche zu vollziehen. Solche Brüche sind uns zahlreich aufgefallen: Der Apostel ist Missionar wie alle anderen Missionare, aber nicht jeder Missionar ist auch Apostel. Der Apostel hat den Auferstandenen gesehen, aber nicht jeder Auferstehungszeuge wird Apostel. Paulus weiß sich durch die Erscheinung des Auferstandenen berufen, ohne die Berufung selbst schildern zu können 144 . Er will sein Apostelrecht durch die δρασις κυρίου sichern, obschon die δρασις selbst erst eines Beweises bedarf 145 . Er behauptet, seine Botschaft direkt empfangen zu haben, und lebt doch mit Bewußtsein in den Traditionen der Gemeinde. Der sonst so bescheidene Paulus stellt sich betont als apostolisches Vorbild hin. Paulus wartet auf die baldige Parusie, ohne daß diese z e i t l i c h e Erwartung seinen Apostelbegriff bestimmt. 142 Mose gilt im Spätjudentum häufig als Prophet; vgl. H. J. Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, 1949, S. 87ff. 143 So mit Recht auch J.Munck [2] S. 21, der eher einen Vergleich von Ex. 3 , 1 - 4 , 1 7 (bes. 3,10 LXX) mit dem paulinischen Apostelbegriff fürmöglich hält. 144 Gerade auf solche Schilderung verstehen sich sonst die Propheten und Apostel der orientalischen und hellenistischen Umwelt vorzüglich. 145 Es sei denn, der Apostel produziert seine Ekstasen in der Öffentlichkeit. Eben das aber lehnt Paulus 2.Kor. 5,1 Iff. ab (s. S. 28 Anm. 70).

Ergebnis des Ersten Teils

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Dazu finden sich gewisse technische Termini, die offenbar mit dem Apostolat selbst übernommen worden sind, so z.B. Ausdrücke für die Christuserscheinung (s.S. 17); ferner die Begriffe μίμησις, εξουσία, μυστήριον ; auch die Gestalt des neutestamentlichen Propheten gehört hierher. Gelegentlich finden sich doppelte Traditionen, die den Eindruck erwecken, daß neben eine überkommene und nicht ausreichende Form eines Gedankens eine neue, genuin paulinische gesetzt wird. So beruft Paulus sich für sein Apostelrecht einmal auf die άποκάλνψις Χριστοϋ, ein andermal auf den Erfolg seines Wortes, ein drittes Mal mit Zurückhaltung auf die σημεία τον αποστόλου. Das apostolische Leiden begründet er einmal damit, daß er getröstet wird, um dann selbst trösten zu können, ein andermal mit dem Hinweis auf die größere Helligkeit, mit der die Bobschaft des Evangeliums auf dem Hintergrund der Schwachheit des Botschafters aufleuchtet. Das alles führt notwendig dazu, die Frage nach dem Ursprung des urchristlichen Apostolats zu stellen. Daß die im bisherigen Verlauf unserer Untersuchung gegebene Analyse dieses apostolischen Amtes die Voraussetzung für die Beantwortung dieser Frage bildet, ist selbstverständlich. Daß sie bei aufmerksamer Beobachtimg die Antwort bereits einschließt, wird noch zu zeigen sein.

ZWEITER TEIL

Der urchristliche

Apostolat

Zunächst müssen wir freilich den Lauf unserer Untersuchung unterbrechen. Wir haben den Apostelbegriff des Paulus dargestellt. Entspricht aber der Apostelbegriff des Paulus dem Begriff des Apostolischen in der Frühzeit der Kirche überhaupt? Ist Paulus also ein Normalfall des urchristlichen Apostolats oder ist er etwa ein Sonderfall? Läßt sich überhaupt von einem urchristlichen Apostolat schlechthin sprechen? Und wenn nicht, welche anderen Begriffe von dem, was ,apostolisch' heißt, finden sich in der frühesten Christenheit? Es ist klar, daß von einer Beantwortung dieser Frage der weitere Verlauf der Untersuchung wesentlich bestimmt wird. I G. Sass [1] S. 113 spricht von der „Eigentümlichkeit und Einmaligkeit des eschatologisch-prophetischen Amtsbewußtseins des Paulus". „Es gibt nur e i n e n Apostel, der in einzigartigem Sinne von Gott selbst und Christus zum Apostel bestimmt ist, eben Paulus selbst . . . Apostel Christi gibt es viele, aber nur einen eschatologischen Völkerapostel, dem alle anderen Apostel nur Mithelfer an seinem Werke sind . . . So ist der Apostelbegriff nichts als eine Form, die bei Paulus mit einem anderen Inhalt gefüllt ist als bei den übrigen Aposteln" (S. 141). „Wenn er auch eine Fülle anderer Apostel kennt und ihre Bedeutung anerkennt, so schließt doch seine Missionspraxis wie seine religiöse Überzeugung aus, daß es auch nur einen einzigen Apostel neben ihm geben könnte mit den gleichen Aufgaben und Vollmachten von Gott, wie er selbst sie besitzt" (S. 131). Sind diese Feststellungen richtig? Sie beruhen auf einem Vergleich des paulinischen Apostolats mit dem der übrigen Apostel. Aber geben die übrigen Apostel eine Basis für diesen Vergleich ab? Was wissen wir überhaupt von ihnen? Gewiß ist der Apostolat des Paulus mit dem Selbstverständnis der 12 Jünger nicht in Übereinstimmung zu bringen 1 . 1 Von dieser Erkenntnis aus behandelt auch K. H. Rengstorf [1] 443f. „die Besonderheit der Stellung des Paulus im Kreise der übrigen Apostel Jesu", wobei unter den übrigen Aposteln die 12 Jünger Jesu verstanden werden. Auf wessen Seite dabei die sonstigen Apostel stehen, erfährt man leider nicht.

Die ,Gemeindeapostel'

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Aber galten in der Urchristenheit die 12 Jünger Jesu denn überhaupt als Apostel im technischen Sinn dieses Wortes ? Man kann über das besondere Wesen des paulinischen Apostolats nur dann urteilen, wenn man Paulus in Verbindung mit den Aposteln seiner Zeit sieht. Man muß also vor allem Paulus selbst befragen. Dann aber ergibt sich, daß Paulus sich völlig einordnet in den einen einheitlichen Rahmen des urchristlichen Apostolats2. An keiner Stelle tritt er aus dem Kreis der übrigen Apostel heraus. Spricht er l.Kor. 9,5 von den λοιποί απόστολοι, so bilden er und Barnabas mit ihnen zusammen eben die Schar aller Apostel. Daß er ausdrücklich feststellt, er und Barnabas hätten freiwillig auf das Recht aller Apostel verzichtet, sich von den Gemeinden unterhalten zu lassen, beweist, wie wenig er sich im übrigen von den anderen allen unterscheidet. Fragt er l.Kor. 9,1 : „Bin ich nicht ein Apostel ?", so ist zu ergänzen: wie die anderen auch. Er nennt sich zwar einmal den „Geringsten der Apostel" (l.Kor. 15,9), aber mit dieser bescheidenen Selbstbezeichnung ordnet er sich gerade dem übrigen Apostelkreis ein. Er ist zwar der eifrigste aller Apostel, in dem die Gnade Gottes besonders wirksam wurde; er ist damit sicherlich auch der erfolgreichste von allen. Aber damit will er nicht mehr sein als die anderen, sondern nur der in ihrer Mitte besonders Begnadete: είτε ovv εγώ είτε εκείνοι ... (l.Kor. 15,11). Er hat zwar (mit anderen Apostelkollegen) den besonderen Auftrag, Heidenapostel zu sein, so wie Petrus der vornehmste Apostel der Beschneidung ist, aber er steht mit Petrus doch in dem einen Apostelkreis, aus dem er sowenig wie dieser durch die relative Besonderheit seines Auftrages heraustritt. Paulus selbst gibt uns also allen Anlaß, ihn durchaus als typischen Vertreter des urchristlichen Apostolats anzusehen. Man mag ihn dessen ,klassischen Vertreter'3 nennen und seinen besonderen Eifer und Erfolg herausstreichen. Man hat aber kein Recht, ihn gegen seine eigene Überzeugung aus dem größeren Apostelkreis herauszulösen. Paulus selbst fühlt sich jedenfalls ganz und gar mit ihm verbunden. II Nun erhebt sich freilich die Frage, ob man überhaupt von einem Apostelkreis im Urchristentum sprechen darf. Es ist weithin üblich geworden, einen engeren und einen weiten Apostelkreis zu unterscheiden4. Es bedarf wohl keiner Frage, daß diese Unterscheidung 3 K . H. Rengstorf [1] 438,24ff. Vgl. Η. v. Campenhausen [1] S. llOf. Vgl. M. Barth a.a.O. Anm. 275 und die dort genannte Literatur; P. Althaus in N T D 8, 19557, S. 5; O. Linton a.a.O. S. 76ff.; zuletzt L. Cerfaux, Pour l'histoire du titre Apostolos dans le Nouveau Testament, (Rech, de Sci. Rei. 48, 1960, S. 76-92); C. F. D. Moule a.a.O. S. 156f. 2 4

4 7801 Schmithals, Apostelamt

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Der urchristliche Apostolat

bei Paulus festzustellen sein müßte, wenn sie in der frühen Christenheit bestanden bat. Auf solchen Unterschied zwischen einem weiteren und einem engeren Apostelkreis verweisen bei Paulus die Stellen 2.Kor.8,23 und Phil. 2,25. Paulus hat auf seiner letzten Reise nach Achaia von Mazedonien aus Titus in der Kollektensache nach Korinth gesandt. Mit Titus reisen zwei Begleiter, die die mazedonischen Gemeinden als Mitarbeiter für die Sammlung und zum Schutze des Paulus vor gehässigen Vorwürfen (2.Kor. 12,16) zu diesen Zweck gewählt haben. Diese beiden Brüder, deren Namen in unserem Text fehlen, werden als απόστολοι εκκλησιών bezeichnet (2.Kor. 8,23). απόστολος heißt ferner Epaphroditus, der die Geldgabe der Philipper für die persönlichen Bedürfnisse des Paulus nach Korinth überbracht hat (Phil. 2,25 ;4,18). E r ist als ,ύμών òè απόστολος'

e b e n f a l l s e i n απόστολος

εκκλησιών.

Es ist selbstverständlich, daß man diese Gemeindeapostel nicht zu dem Apostolat des Paulus in Beziehung setzen kann. Die Benennung ,euer Apostel' bzw. ,Gemeindeapostel' soll diese Boten offensichtlich absichtsvoll von den Aposteln schlechthin als den απόστολοι Χρίστου unterscheiden. Man sollte hier aber auch nicht von einem ,weiteren ApostelbegrifF' sprechen. Solcher Sprachgebrauch führt zu dem Mißverständnis, die απόστολοι εκκλησιών hätten einen Auftrag, der dem der eigentlichen Apostel verwandt sei. In Wahrheit aber haben die απόστολοι

εκκλησιών

a l s A p o s t e l n i c h t s m i t d e n απόστολοι

Χριστον

zu

tun 5 , und Paulus kann nur deshalb diese Mitarbeiter im Dienste der Diakonie Apostel nennen, weil er gar nicht auf den Gedanken kommt, man könne ihnen und ihrem Dienst die Bezeichnung .apostolisch' geben. Man wird gut daran tun, an den Stellen Phil.2,25 und 2. Kor. 8,23 (wie auch Joh.13,16 6 und eventuell Lk. 11,49 und Mk.6,30) von einem allgemeinen Gebrauch des Wortes Apostel im Gegensatz zu der technischen Verwendung zu sprechen 7 , die uns bei unserer Untersuchung allein interessiert. Die beiden erwähnten Stellen haben also aus unserer Untersuchung auszuscheiden. III Aber mit diesen beiden Punkten, die im Grunde nur Selbstverständliches sagen, sind erst Vorfragen geklärt. Die Unterscheidung zwischen einem weiteren und einem engeren Apostelkreis bezieht sich nämlich meistens nicht auf den Unterschied zwischen den Aposteln im tech6 Diese Gemeindeapostel als .religiöse Gestalten' zu bezeichnen, wie Κ. H. Rengstorf a.a.O. 422,18 es tut, geht doch nur mit dem Recht oder Unrecht, mit dem man einen Kirchenjuristen ,Geistlicher' nennen könnte. β Siehe S. 86 Anm. 5. 7 So auch Η. v. Campenhausen [1] S. 103; C. F. D. Moule a.a.O. S. 156.

Die uns bekannten Vertreter des urchristlichen Apostelkreises

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nischen Sinn dieses Wortes und den sonstigen Gesandten, sondern man setzt häufig eine Gruppe von απόστολοι κατ' εξοχήν von einem weiteren Kreis urchristlicher Missionare, die sich Apostel nennen, ab. Diese engere Apostelschar umfaßt dann meist die 12 Jünger, teilweise unter Hinzuziehung von Paulus 8 , teils auch von Jakobus 9 . Wie die Grenze zwischen den Aposteln im weiteren und im engeren Sinne verläuft, wird dabei oft nicht klar 10 ; worin sachlich Abgrenzung und Zusammenordnung der beiden Gruppen liegt, bleibt noch mehr im Dunkeln 11 . Man läßt sich offenbar von dem Gefühl leiten, daß die sogenannten Urapostel in Jerusalem, d.h. die 12 Jünger, nicht ohne weiteres mit Aposteln wie z.B. Junias und Andronikus (Rom. 16,7) zusammenzustellen sind. Dem allen ist entgegenzuhalten, daß Paulus nie ausdrücklich zu erkennen gibt, daß er einen doppelten technischen Gebrauch von απόστολος kennt. Will man einen solchen dennoch bei ihm voraussetzen, müßte man nachweisen, daß Paulus an bestimmten Stellen, wo er von απόστολοι spricht, keineswegs πάντες oí απόστολοι meinen

kann, sondern nur eine besondere Gruppe innerhalb des Gesamtkreises der Apostel. Wen zählt Paulus mit Sicherheit unter die Apostel? Zunächst sich selbst ; daran kann kein Zweifel sein. Ferner Junias und Andronikus. Rom. 16,7 schreibt Paulus : άσπάσχσϋ·ε Άνδρόνικον και Ίοννιάν τους συγγενείς μου κάί συναιχμαλώτους μου, οιτινές είσιν επίσημοι εν τοις άποστόλοις, οι και προ εμοΰ γεγοναν εν Χριστώ.

Daß επίσημοι εν τοις άποστόλοις nicht heißt: bei den Aposteln angesehen, sondern: als Apostel angesehen, hat schon J. B. Lightfoot 12 festgestellt. Trotz gelegentlichen Widerspruchs 13 wird diese einzig natürliche Übersetzung bis heute allgemein vorgezogen. Sie findet sich auch bei den griechischen Vätern 14 . Demnach sind also Junias und Andronikus Apostel. Da Paulus sie συγγενείς μου nennt, dürften sie Juden gewesen sein. Da Rom. 16 m. E. nach Ephesus gerichtet ist 16 , haben wir beide ζ. Z. des Briefes in Ephesus zu suchen, wo sie 8

Vgl. bei Κ. H. Rengstorf [1] 422f.; K. Holl [1] S. 924. Vgl. A. Wikenhauser a.a.O. Sp. 554. 10 J. Héring kann (a.a.O.) sogar vier verschiedene Kreise von urchristlichen Aposteln unterscheiden. 11 H. J. Schoeps, Paulus, 1959, S. 65, hält den Apostolat der Zwölf für ursprünglich und läßt ihn auf der Augenzeugenschaft gegründet sein. Diesem Zwölferapostolat setzt dann Paulus den weiteren, charismatischen Apostolat e n t g e g e n , dessen zahlreiche Vertreter durch den erhöhten Herrn berufen werden. 12 A.a.O. S. 96 Anm. 1. 13 B.Weiß, Th. Zahn (s. O. Michel zu Rom. 16,7); man will mit solchem Widerspruch offenbar der Ausweitung des Apostelkreises entgegentreten. 14 Siehe J. B. Lightfoot a.a.O. S. 96 Anm. 1. 15 Siehe die Kommentare zu Rom. 16. 9

4*

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Der urchristliche Apostolat

wohl auch mit Paulus im Gefängnis gesessen haben. Daß sie vor Paulus êvΧριστώ gewesen sein müssen, ergibt sich auch aus l.Kor. 15,8, wo Paulus sich als den letzten der Apostel bezeichnet ; Berufung und Bekehrung fallen für Paulus aber bekanntlich zusammen (s. S. 20f.). Die beiden nichtjüdischen Namen weisen darauf hin, daß es sich um hellenistische Juden wie Paulus gehandelt hat. Daß sie als „Abgesandte der Urgemeinde" den Titel απόστολος erhielten, wie E. Lohse [1] S. 267 feststellt, ist durch nichts angedeutet. Solche Behauptung könnte man überhaupt nur wagen, wenn uns — was nicht der Fall ist — άπόσωλοι im technischen Sinn als Abgesandte der Urgemeinde bezeugt wären. Die beiden sind vielmehr Apostel schlechthin. Weiter gilt als Apostel mit Sicherheit Petrus. Das geht aus Gal. 1,18f. hervor. Paulus berichtet von seinem Besuch in Jerusalem bei Petrus und stellt fest : ετερον δε των αποστόλων ουκ είδον. Auch Gal. 2,8 setzt voraus, daß Petrus wie Paulus Apostel war: ο γαρ ένεργήσας Πετρω εις αποστολήν . . . Daß die Zugehörigkeit des Petrus zum Apostelkreis freilich keine sehr feste war, wird die weitere Untersuchung zeigen. Apostel dürfte schließlich Barnabas gewesen sein16. Zwar gibt ihm Paulus nicht ausdrücklich den Namen Apostel. Wenn er ihn aber l.Kor.9,6 als einzigen seiner Mitarbeiter nennt, weil er auch auf den Unterhalt durch die Gemeinden verzichtet, obschon z.B. Titus dies Recht ebenfalls nicht in Anspruch nimmt (2. Kor. 12,18) und dessen oder des Timotheus Erwähnung gegenüber den Korinthern gewiß weit näher gelegen hätte, so kann das nur seinen Grund darin haben, daß Barnabas als Apostel den Vorzug solcher Erwähnung verdient. Das wird durch Gal. 2,9 bestätigt. Paulus ist zusammen mit Barnabas und Titus nach Jerusalem zum sogenannten Apostelkonzil gereist, um die Freiheit der Heidenmission durchzusetzen (Gal.2,1). Gal.2,9 wird der Erfolg dieser Bemühungen mitgeteilt : δεξιάς έδωκαν εμοί και Βαρναβα κοινωνίας,

ίνα ημείς εις τά εϋνη, αυτοί 0ε εις την περιτομήν.

Daß

hier Paulus und Barnabas als gleichberechtigte Partner die Versicherung erhalten, daß sie ihre Missionsarbeit in Gemeinschaft mit der Gemeinde zu Jerusalem durchführen, Titus aber nicht erwähnt wird, liegt darin begründet, daß Barnabas im Gegensatz zu Titus ein Apostel ist. Das wird schließlich durch Apg. 14,4.14 gesichert. Nach Apg. 13, Iff. werden Paulus und Barnabas von der Gemeinde zu Antiochien ausgesandt — eine recht zuverlässige Notiz 17 . Im Bericht von ihrer 16 Clem. Alex. Strom. I I 6,31; 7,35 wird er Apostel genannt und zu den 70 Jüngern gezählt; vgl. Strom. II 20,116; V 10,63. 17 Sie steht nicht im Gegensatz dazu, daß Paulus sich von Christus berufen und gesandt weiß. Denn Paulus wird ja nicht erst durch die Sendung von Antiochien zum Apostel, sondern die antiochenische Gemeinde sendet den Apostel Paulus aus zur Mission. Daß Paulus aber am Anfang seiner Tätigkeit

Die uns bekannten Vertreter des urchristlichen Apostelkreises

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gemeinsamen Tätigkeit in Ikonien und Lystra werden sie dann zweimal Apostel genannt. Da selbst Paulus sonst nie in der Apg. Apostel genannt wird, muß man annehmen, daß Lk. von einer alten Quelle abhängig ist 18; in der Barnabas zu den Aposteln gezählt wurde. Diese Zeugnisse reichen aus, um J . B. Lightfoot zuzustimmen, der konstatiert: "The apostleship of Barnabas is beyond question" (a.a.O. S. 96). Wellhausen 19 hält es gar für „komplett lächerlich, dem Barnabas den Aposteltitel zu versagen" 20 . Ob man allen Nachrichten der Apg. über Barnabas trauen kann, ist ungewiß. Nach Apg.4,36 stammt er aus Zypern. Er war also hellenistischer Judenchrist. Ob er in Jerusalem ansässig geworden war, ist unsicher. Der von ihm verkaufte Acker kann überall in der Welt gelegen haben. Barnabas hat aber möglicherweise Beziehungen zu der Gemeinde in Jerusalem gehabt, wie Apg.4,36; 9,27; 11,22 zeigen wollen, engere und unbestreitbare freilich nach Antiochien, wie aus Apg. 11,22.25.30; 12,25; 13, Iff. usw. hervorgeht (s. S. 79f.). Damit ist die Zahl der sicheren Vertreter des Apostolats schon erschöpft. Strittig ist bis heute, ob Jakobus, der Bruder Jesu, als Apostel galt. J . B. Lightfoot 21 hielt das für sicher. Heute ist die Mehrzahl der Forscher gegenteiliger Ansicht 22 . Die in Frage kommenden Stellen lassen freilich auch nur schwer eine klare Deutung zu. l.Kor. 15,7 wird Jakobus nicht Apostel genannt. Daß er zu den im selben Vers erwähnten πάντες απόστολοι gehört hat, wie J . B. Lightfoot (a.a.O. S. 95 Anm. 4) und K. Holl [1] S. 927 behaupten, wird von Paulus selbst nicht angedeutet und ist, wie sich weiter unten herausstellen wird, eine verfehlte Annahme. Ebensowenig wird er l.Kor. 9,5 zu den Aposteln gezählt; denn wenn die Brüder des Herrn Apostel gewesen wären, hätte Paulus sie nicht, mit ,καί' an die,.λοιποί απόστολοι' angeschlossen, besonders aufführen können. In Gal. 2,9 wird Jakobus zwar auch nicht Apostel genannt, aber wenn er vor Petrus und mit jede Verbindung mit den älteren Gemeinden verschmäht hätte, ist doch nicht anzunehmen. Während der 14 Jahre seiner Arbeit in Syrien und Kilikien, in denen er nicht nach Jerusalem kam (Gal. l,21ff.), kann kaum eine andere Gemeinde als die von Antiochien, bei der er sich auch noch z. Zt. des Gal. 2, l l f f . geschilderten Zwischenfalles aufhält, der Ausgangspunkt seiner Reisen gewesen sein. 18 19 Siehe S. 235ff. Nachr. der Gött. Ges 1907, S. 5. 20 So auch z . B . W . G . K ü m m e l a.a.O. S. 45 Anm. 13; Κ. H. Rengstorf, [2] S. 21 Anm. 57; H. Lietzmann zu l.Kor. 9,6; J. Munck [1] S. 101; anders Η. ν. Campenhausen [1] S. 106 Anm. 7. 21 A.a.O. S. 95 A n m . 4 ; K . H o l l [1] S. 925fif.; H. Lietzmann H N T 10 zu Gal. 1,19; E . B a m m e l a.a.O. S. 417; schwankend K. H. Rengstorf a.a.O. 422 Anm. 93; 432,5ff. 22 Th. Zahn und H. Schlier a.a.O. zu Gal. 1,19; Η.ν.Campenhausen [1] S. 106 Anm. 7; W. G. Kümmel a.a.O. S. 45 Anm. 13; E. Lohse [1] S. 265 Anm. 25; J. Munck [1] S. 107; [2] S. 84f.; W. Seufert a.a.O. S. 45.

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Der urchristliche Apostolat

Johannes als ,είς την περιτομήν' den beiden Aposteln ,είς τα εϋνη',

Paulus und Barnabas, gegenübergestellt wird, so könnte eigentlich nichts hindern, ihn auch Apostel zu nennen, da ihm. der Auferstandene ja mit Sicherheit erschienen ist (l.Kor. 15,7). Die entscheidende Stelle Gal. 1,19 scheint von unwiderruflicher Zweideutigkeit zu sein. Das ,,ετερον δε των άποστόλων ουκ είδον, ε'ι μη Ίάκωβον τον άδελφόν τον κυρίου" ist entweder zu übersetzen: „Ich sah außer Petrus keinen Apostel, nur Jakobus sah ich", oder: „Außer Petrus sah ich von den Aposteln nur noch Jakobus." In beiden Fällen hätte Paulus sich unnötigerweise so kompliziert ausgedrückt, daß er unverständlich wird. Wollte er sagen, daß er außer Petrus nur noch Jakobus von den Aposteln gesehen hat, so begreift man nicht, daß er zunächst eindeutig feststellt: Außer Petrus sah ich keinen der Apostel 23 . Wollte er aber sagen, daß er von den Aposteln nur Petrus gesehen hat, warum fügt er dami hinzu : außer Jakobus, den Bruder des Herrn? Das ,εί μη führt doch eine Apposition zu , ίτερον δε των άποστόλων' ein, bezieht sich aber nicht in der Weise auf ,εΐδον', daß Paulus außer Petrus nur noch Jakobus überhaupt in Jerusalem gesehen haben will. Daß aber Jakobus von Paulus genannt wird, weil er neben Petrus als einziger der , A n g e s e h e n e n ' in Jerusalem von Paulus gesehen wurde 24 , wird nicht nur von Paulus nicht angedeutet, sondern liegt auch nicht in der Intention des Gedankenganges von Gal. 1-2: Paulus will die Unabhängigkeit seines A p o s t o l a t s und dessen Botschaft gewahrt wissen, in der er doch nur von anderen A p o s t e l n abhängig sein kann 25 . Die Erwähnung des Jakobus neben Paulus hat also nur Sinn, wenn er als Apostel gilt oder wenigstens gelten könnte. Das Ergebnis bleibt also zwiespältig, so daß nur der Schluß übrig bleibt, diese Unklarheit sei von Paulus beabsichtigt. Wenn man das erkennt, wird die Stelle freilich klar. Paulus sagt: Ich sah außer Petrus keinen anderen der Apostel, es sei denn Jakobus, den Bruder des Herrn, ,εί μη' ist also im gewöhnlichen Sinne: ,wenn nicht'; ,es sei denn' 26 zu übersetzen, und Paulus schränkt die Peststellung, außer Petrus habe er keinen Apostel gesehen, dadurch ein, daß er einräumt, 23 Th. Zahn z. St.: „Es wäre unbegreiflich, warum Paulus so bestimmt verneint hätte, daß er außer Petrus noch einen zweiten Apostel gesehen habe, wenn er in demselben Atemzug doch noch einen zweiten Apostel zu nennen sich gedrungen fühlte, den er damals gleichfalls gesehen hat." 24 Das meint Th. Zahn z. St., nach dem „der Leser das Objekt von σύκ είδον so verallgemeinern muß". 25 Nur die Apostel sind ja direkte Empfänger der Offenbarung und darum autorisierte Vermittler des Evangeliums. Zu dieser für Paulus in Gal. 1 entscheidenden Vermittlerfunktion gibt es keine anderen .Angesehenen' als eben die Apostel selbst. 26 Vgl. z . B . 2.Kor. 13,5; l.Kor. 14,5; 15,2; l.Tim. 5,19.

Die uns bekannten Vertreter des urchristlichen Apostelkreises

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man könne evtl. auch Jakobus zu den Aposteln rechnen — was er selbst nicht zu tun pflegt —, und den habe er auch gesehen. Daß Jakobus grundsätzlich nicht als Apostel gilt, ist verständlich ; denn nach allem, was wir von ihm wissen, bestand seine Arbeit in der Leitung der Gemeinde in Jerusalem, nicht in einer Tätigkeit als Missionar. Da er anderseits den auferstandenen Herrn gesehen hat (l.Kor. 15,7) und gewiß nicht ohne jede missionarische Tätigkeit geblieben ist (vgl. Gal.2,9.12; l.Kor.9,5), gab es kein grundsätzliches Bedenken dagegen, auch ihn dem Kreis der Apostel zuzuordnen. Daß diese Zuordnung keine ursprüngliche ist 27 , ist nicht ohne Bedeutung für die Frage, wo und in welchem Personenkreis der Apostolat zu Hause ist. Schließlich besteht die Möglichkeit, daß auch Silvanus ein Apostel war28. Paulus hatte ihn als Ersatz für den Apostel Barnabas auf seiner 2. Missionsreise mitgenommen. Er erwähnt ihn neben sich in den Präskripten der beiden Thessalonicherbriefe, zwar zusammen mit Timotheus, aber vor ihm. In gleicher Gesellschaft ist Silvanus 2.Kor. 1,19 genannt. An beiden Stellen lag keine Notwendigkeit vor, ihn Apostel zu nennen, wenn er es gewesen ist. Daß er ein gutes Andenken in der frühen Christenheit behalten hat, zeigt seine häufige und lobende (Apg. 15,22.32) Erwähnung in Apg. 15-18 sowie l.Petr. 5,12. Daß die Apg. ihn nicht Apostel nennt, ist nicht verwunderlich, da für den Verfasser der Apg. nur die 12 Jünger als Apostel gelten 29 . Neben der Tatsache, daß Silvanus als Ersatz für den Apostel Barnabas eintritt und offenbar apostolischen Dienst tut, bis er nacb Apg. 18,5 für uns unauffindbar wird, könnte l.Thess. 2,7 dafür sprechen, daß er zu den Aposteln zählte. Von l.Thess. 2,1 an ruft Paulus den Thessalonichern die Zeit der ersten Predigt bei ihnen ins Gedächtnis. Er redet dabei im Plural. Das kann, wie oft bei Paulus, ein schriftstellerischer Plural sein, mit dem er nur sich selbst bezeichnet30. Er kann aber ebensogut seine Mitarbeiter und dann insonderheit den Silvanus (vgl. Apg. 17,4. 10), den Mitabsender des l.Thess., mit einschließen. P. Schmiedel31 wird im wesentlichen richtig urteilen, wenn er schreibt: „Also wird er sie durch den Plural einschließen wollen, wenn auch vielleicht mehr honoris causa, und der Gedanke an sie tritt ihm dann im Verlaufe trotz der Plurale desto stärker zurück, je mehr das, was er sagt, nur 27

Hegesipp (bei Euseb KG II 23,4) zählt Jakobus n i c h t zu den Aposteln. Vgl. Α. M. Farrer, The Ministry in the New Testament, in ,The Apostolic Ministry', London 1947, S. 130; E.Meyer a.a.O. I S. 265; A. v. Harnack [1] I S. 309; E . v . Dobschütz, Thessalonicherbriefe, 1909, S. 7. 29 Zu der Ausnahme Apg. 14,4.14 s. S. 236f. 30 Vgl. E. Lohse [1] S. 268 Anm. 31; E. Haupt a.a.O. S. 111. 31 Im Handkommentar zu l.Thess. 3,5. 28

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D e r urchristliche Apostolat

von ihm selbst gilt." Eine unbedingte Entscheidung ist im Einzelfall jedenfalls kaum zu fällen32, doch wird man annehmen dürfen, daß Paulus bei der Schilderung seiner Missionsarbeit (1. Thess. 2, Iff.) seinen damaligen Mitarbeiter Silvanus nicht unberücksichtigt läßt 33 . Dann ist aber in 1.Thess. 2,7 mit der Bezeichnung ώςΧριστοϋ απόστολοι, die durch 1.Thess. 2,4 schon vorbereitet ist 34 , auch Silvanus gemeint 35. Ist das richtig — eine völlig gesicherte Entscheidung läßt sich nicht treffen —, so ist von Interesse, daß Silvanus ein hellenistischer Jude war, der neben seinem gräzisierten hebräischen Namen Silas den lateinischen Namen Silvanus trägt, den Paulus ausschließlich benutzt36. Er könnte das römische Bürgerrecht wie Paulus besessen haben, wenn Apg. 16,37 Vertrauen verdient. Er hat angeblich enge Verbindung mit Jerusalem und der dortigen (hellenistischen) Christengemeinde (Apg. 15,22), ohne aber in irgendeiner Weise an Jerusalem gebunden zu sein (Apg. 15,40f.). Mit verhältnismäßig großer Sicherheit gelten also als Apostel37: Andronikus, Junias, Barnabas, Silvanus und Petrus38. Bei Petrus ist das Urteil des Paulus schwankend (s. u.); Jakobus möchte er selbst lieber nicht zu den Aposteln rechnen. IV Mancher wird sich wundern, daß bisher von den 12 bzw. 11 Jüngern Jesu noch nicht die Rede war. Gilt es doch weithin als selbstverständlich, daß sie Apostel waren39. Nun ist freilich für Paulus und die erste Christenheit nichts weniger selbstverständlich als der Apostolat der 32

Man beachte, d a ß der Singular sich n u r 2 , 1 8 ; 3 , 5 u n d 5 , 2 7 findet. Der z. Zt. der Mission in Thessalonich erst seit kurzer Zeit m i t P a u l u s verb u n d e n e T i m o t h e u s verdient hier k a u m schon solche Berücksichtigung. 34 „ W i r sind von G o t t als b e w ä h r t e r f u n d e n , m i t d e m E v a n g e l i u m b e t r a u t zu w e r d e n . " 35 Anders ζ. Β. H . v. C a m p e n h a u s e n [1] S. 106 A n m . 7. 3 » Siehe S. 78. 37 D a ß Apollos den Aposteltitel t r u g , ist a u s l . K o r . 4,9 nicht zu erschließen: ,,ό ϋ·εόζ ημάς τους άποστόλονς ίσχάτονς άπέδειξεν". Mit ,ήμάς τους αποστόλους' sind die Apostel insgesamt gemeint, als deren R e p r ä s e n t a n t sich P a u l u s ansieht, aber nicht P a u l u s u n d Apollos. I n l.Clem. 4 7 , 4 wird Apollos ausdrücklich v o n den Aposteln unterschieden. 38 D a s U r t e i l von J . L . L e u b a (a.a.O. S. 52f) : „ E s ist philologisch in der T a t unmöglich, andere Apostel m i t Sicherheit zu n e n n e n als P e t r u s , die Zwölf u n d P a u l u s " , ist also zu skeptisch i m Blick auf einzelne Vertreter des Apostelkreises, freilich zugleich zu optimistisch im Blick auf die Zwölf, wie n u n zu zeigen sein wird. 39 „ . . . offenkundig ist, d a ß nicht n u r durchweg in der späteren Überlieferung, . . . sondern auch bei P a u l u s selbst u n t e r den Aposteln n u r der festgeschlossene Kreis der Zwölf v e r s t a n d e n w i r d " (E.Meyer a.a.O. I I I S. 255) ; s o m i t Entschiedenheit neuerdings J . L. L e u b a a.a.O. S. 52-89. 33

Der Kreis der Zwölf : Kein Zwölfer-Apostolat

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sogenannten Urapostel40. Petrus ist der einzige aus ihrem Kreis, der von Paulus ausdrücklich Apostel genannt wird, und auch für ihn ist dieser Titel nicht ursprünglich, wie sich noch zeigen wird. Die übrigen Männer des Zwölferkreises nennt Paulus aber nicht nur nie Apostel, sie sind auch für ihn keine Apostel. Indem diese Behauptung im Folgenden bewiesen wird, wird die Frage, ob es einen weiteren und einen engeren Apostelbegriff gegeben hat, entschieden. 1. Zunächst ist mit K. Holl folgende grundsätzliche Erwägung anzustellen: „Im Gegensatz zu der uns geläufigen, früh schon in der Legende vertretenen Anschauung muß betont werden, daß nach urchristlicher Auffassung der A p o s t e l nicht die Aufgabe hat, in die Welt hinauszuziehen, sondern vielmehr in Jerusalem zu bleiben" ([1] S. 934). Diese Feststellung ist nicht zu bestreiten41. Ihre Richtigkeit ergibt sich u. a. aus Apg. 8,1 aus Gal. 2,9 und auch aus Mt. 19,28 bzw. Lk. 22,28-30. Von Missionsreisen der 12 Jünger weiß die frühe Überlieferung nichts42. Petrus macht zur Zeit von Gal. 2,7f. eine ausdrückliche Ausnahme43. K. Holl hat nur versäumt, in seinem oben zitierten Satz ,Apostel' in Anführungszeichen zu setzen. Er ist nämlich der merkwürdigen Meinung, daß diese ,Säulen' in Jerusalem, die ihre Stellung in der Stadt treu und tapfer halten, Apostel, also ,Gesandte', geheißen haben. Aber das anzunehmen ist ebenso unsinnig, wie wenn man aus dem Wort ,Gefangener' schließen wollte, daß die so bezeichneten Leute freie Menschen seien, oder wie wenn man erklärte, der Gesandte eines Staates hieße deshalb Gesandter, weil er am Sitz der eigenen Regierung ausharren müsse. Wenn die Glieder des Zwölferkreises den Namen Apostel tragen, müssen sie auch den Dienst des Apostels getan haben44. Wenn aber das konstituierende 40 „ . . . gerade sie galten in ihrer Gesamtheit ursprünglich k a u m als Apostel, sondern eher als ,die Zwölf'. Zu Aposteln u n d vollends zu den einzigen Aposteln sind sie erst später geworden" (H. v. Campenhausen [2] S. 15). 41 „Wenn auch, von Petrus abgesehen, nicht viel von ihrer (sc. der Zwölf) Missionstätigkeit berichtet wird, so haben sie doch zweifellos diese als ihre H a u p t a u f g a b e angesehen" (A. Wikenhauser a.a.O. Sp. 553). Diese Behauptung ist nicht nur durch nichts zu belegen, sondern durch alles uns Bekannte widerlegt. Ob nach Zerfall des Zwölferkreises neben Petrus auch andere seiner Mitglieder Jerusalem bzw. Galiläa verlassen haben, ist eine Frage f ü r sich (s. S. 248f.). 42 Diese Tatsache mag sich in der späteren Überlieferung niedergeschlagen haben, die davon zu berichten weiß, daß die δώδεκα zunächst zwölf J a h r e in Jerusalem bleiben sollen : Kerygma Petri bei Clem. Alex. Strom. V I 5 , 4 3 ; vgl. A. v. Harnack [1] I S. 45 Anm. 3; J . Wagenmann a.a.O. S. 15; Apollonius bei Euseb K G V 18; Ps. Cl. Ree. 1,43; 9,29. 43 Siehe K . H o l l a.a.O. S. 934; H . v.Campenhausen [2] S. 16; E. Lohse [1] S. 265. 44 W e n n m a n von dem jüdischen Begriff des Schaliach ausgeht (s. u. S. 92ff.), könnte m a n evtl. auf diese Konsequenz verzichten (vgl. H . v. Campenhausen [1] S. 106 Anm. 1). Aber das griechische Wort απόστολος — gleichgültig, ob es Übersetzung von ,Schaliach' ist oder nicht — h a t nie ohne die Vorstellung einer missio existiert.

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Der urchristliche Apostolat

Merkmal des Zwölferkreises nicht die missionarische Betätigung seiner Glieder war45 — und dafür spricht unbeschadet der Missionstätigkeit einzelner der Zwölf alles, was wir wissen —, so sind die Zwölf als solche auch keine Apostel gewesen46. 2. Dem ist eine zweite grundsätzliche Überlegung anzuschließen. Wenn man berechtigt sein soll, von einem Zwölferapostolat zu sprechen, so muß der geschlossene Kreis der Zwölf eine wenigstens einigermaßen ausgedehnte Zeitlang existiert haben ; und wenn Paulus, der von gegenwärtigen απόστολοι spricht, damit die 12 sogenannten Urapostel meint, so muß für ihn dieser Kreis eine sehr vertraute und auch bis in seine Gegenwart hineinreichende Größe gewesen sein47. Beides aber ist nicht der Fall. Was den Kreis der δώδεκα überhaupt angeht, so reicht er m. E. garnicht in die Zeit vor der Auferstehung zurück48. Das in extenso zu belegen, sprengt den Rahmen dieser Arbeit. Darum seien nur einige Hinweise gegeben. Bei Markus ζ. B., der über 40mal μα&ηταί hat — und das ist die alte Bezeichnung für s ä m t l i c h e Jünger der frühen Gemeinden —, findet sich nur zehnmal δώδεκα19, und diese 10 Stellen gehören sämtlich den jüngeren Traditionen des Markusevangeliums an 50 ! Das läßt erkennen, daß die Zwölf in die Jesusüberlieferungen ursprünglich nicht hineingehörten. Man verweist demgegenüber gern auf die Gestalt des Verräters Judas, der doch sicher einer der Zwölf gewesen sei und als einer der Zwölf bereits vor der Auferstehung den Kreis der δώδεκα verlassen habe. Es sei undenkbar, erklärt man, daß man die kompromittierende Gestalt des Verräters dem Kreis der ersten 45 Vgl. auch Η . v. Campenhausen [1] S. 106, der von den sogenannten zwölf Aposteln spricht, „die — Petrus ausgenommen — unseres Wissens keine Mission getrieben haben, sondern ihren Beruf, wie es scheint, vielmehr darin sahen, nicht von Jerusalem zu weichen". Ob freilich die Zwölf überhaupt oder wenigstens ursprünglich tatsächlich in Jerusalem und nicht vielmehr in Galiläa zu suchen waren, ist ein Problem für sich, das hier auf sich beruhen mag. 46 E. H a u p t a.a.O. S. 109: „In der ersten Zeit waren nach allem, was wir wissen, die Zwölf, vor allem aber Petrus und Johannes, fest in Jerusalem stationiert. Ein Name, der ihnen doch unstreitig in erster Linie zukam, kann also nicht eine Eigenschaft bezeichnen, von der damals bei ihnen gar nicht die Rede war." 47 F . Kattenbusch (a.a.O. S. 341) weist übrigens mit Recht darauf hin, daß Jesus sich als den Messias gewußt haben muß, wenn er zwölf Jünger als eschatologische Regenten u m sich sammelt. 48 Zuletzt h a t P. Vielhauer in der Festschrift für G. Dehn (S. 62ff.) diese Überzeugung nachdrücklich vertreten. I h m schließt sich G. Klein a.a.O. S. 34ff. an. Vgl. im übrigen Wellhausen, Einleitung, S. 138ff. ; R. Schütz a.a.O. S. 68ff. und das Referat bei O. Linton a.a.O. S. 72f. 49 Vgl. G. Saß [1] S. 133. 50 Vgl. ζ. B. Maurice Goguel [1] S. 217; P. Vielhauer in Gnomon 26, 1954, S. 462; Béda Rigaux in ,Der historische Jesus und der kerygmatische Christus' (hrsg. von H . Ristow und K . Matthiae) 1960, S. 470ff.

Der Kreis der Zwölf: Kein Zwölfer-Apostolat

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Jünger hinzugefügt habe, wenn Judas ursprünglich nicht dazu gehörte 61 . In der Tat! Judas Iskarioth ist einer der Zwölf und ist Verräter. Aber in die Leidensgeschichte gehörte er ursprünglich nicht hinein. Die Traditionen über ihn lassen sich aus dem Evangelium noch heute leicht herauslösen, und worin sein Verrat eigentlich bestanden haben soll, hat noch kein Exeget befriedigend erklären können. Auch muß, da die alte Überlieferung von einer Erscheinung Jesu vor den Z w ö l f e n spricht 52 , Judas bei dieser Erscheinung zugegen gewesen sein (l.Kor. 15,5). Sein .Verrat" fällt also in die Zeit der frühen Kirche. Judas, der Auferstehungszeuge, war demnach ein Apostat, der Jesus durch seinen Abfall verriet, und hat als solcher möglicherweise der Urgemeinde durch Denunziation Schaden zugefügt. Als die Existenz der Zwölf in das Leben Jesu zurückprojiziert wurde, fand Judas und sein Verrat an Jesus einen Platz in der Leidensgeschichte 63. Wären die Zwölf die auserlesenen Begleiter Jesu auf seinen Wegen gewesen, hätten sie nicht in der Geschichte der jungen Kirche so völlig verschwinden können, wie es tatsächlich der Fall ist. Man kann Κ. H. Rengstorf 54 nur zustimmen, wenn er feststellt, „daß das gesamte NT nirgends einen Satz enthält, aus dem eindeutig hervorginge, daß die Zwölf in Jerusalem oder gar über Jerusalem hinaus eine besondere Rolle gespielt haben". Sie haben ihre Bedeutung als Zeugen der Auferstehung. Damit erschöpft sich unser Wissen über sie als einen geschlossenen Kreis 55 . Was die Apg. von ihnen zu berichten weiß — Nachwahl des Matthias : Apg. 1,15-26 ; ferner ihr Auftreten Apg. 2,14 ; 51 Zum BeispielE. Lohse [ i ] S. 262f. ; W. G. Kümmel a.a.O. S. 30, der weitere, aber wenig überzeugende Argumente anführt; H. Mosbech [1] S. 186; E. Meyer a.a.O. I S. 296 f. P. Vielhauer setzt sich in der Festschrift für Günther Dehn, 1957, S. 62ff. mit diesem Argument auseinander und kommt, wenn auch auf ganz anderem Wege als dem oben gegangenen, zu dem Ergebnis, daß die Zugehörigkeit des Verräters Judas zum Zwölferkreis kein Beweis für dessen vorösterliche Existenz ist. Vgl. auch G. Klein a.a.O. S. 36. E. Barnikol, Das Leben Jesu der Heilsgeschichte, 1958, S. 330ff., berichtet über ältere Versuche, die Gestalt des Judas aus der Passionsgeschichte zu eliminieren. 52 Eine nachlässige Ausdrucksweise — zwölf statt elf — ließe sich anderswo vielleicht annehmen, nicht aber in einem offiziellen Bekenntnis der Urgemeinde, das die Kronzeugen der Auferstehung erhält. Vgl. G. Klein a.a.O. Anm. 138. Anders ζ. Β. H. v. Campenhausen in S A H 1958, 2, S. 17. Richtig P. Vielhauer a.a.O. S. 63. 53 In der Leidensgeschichte fand sich seit ältester Zeit der Begriff παραδίδωμι, und zwar in der Bedeutung .übergeben' o. ä. (vgl. l.Kor. 11,23), der in seiner Nebenbedeutung .verraten' einen bequemen Ansatzpunkt für die Übernahme der Judastradition bildete. 54 T h W I I 326,35ff. 55 Nicht einmal das wenige, was R. Bultmann ([1] S. 60) ihrer Tätigkeit zugesteht, läßt sich exegetisch rechtfertigen: „Praktisch haben sie offenbar als Wortverkündiger in und außerhalb der G emeinde gewirkt und auf Missionswegen Jerusalem zeitweilig . . . verlassen."

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Der urchristliche Apostolat

6,2 — ist Legende56. Auch Paulus erwähnt die Zwölf nur in der aus der Urgemeinde übernommenen Formel l.Kor. 15,5 als Zeugen der Auferstehung. Sonst kennt er sie nicht57. Es wird sich also unter dem Eindruck der Erscheinung Jesu vor Petrus (l.Kor. 15,5) ein Kreis von Menschen zusammengefunden haben, der mit der baldigen Parusie und dem damit verbundenen Anbrach des Gottesreiches rechnete. Den Kern dieses Kreises bildeten die Zwölf, die unter der Königsherrschaft Christi auf 12 Thronen sitzen sollten oder wollten, die 12 Stämme Israels zu richten (Mt. 19,28; Lk. 22,29f.) 58 . Ihnen wurde eine Auferstehungsvision zuteil. Dieser Kreis muß dann — wohl mit dem Erlahmen der eschatologischen Naherwartung, von der er lebte — sehr bald59 auseinandergefallen sein60 ; spätestens nach dem Tod des Zebedaiden Jakobus, vielleicht schon nach dem ,Verrat' des Judas61, war er gesprengt62. Die Urgemeinde stellte sich auf die neue Lage um, begann mit der (Juden)mission und hatte Männer an ihrer Spitze, die zwar ζ. T. wie Petrus und Johannes (und sein Bruder Jakobus) dem Zwölferkreis angehört hatten, die aber nicht als Glieder dieses Kreises, sondern auf Grund ihrer Leistung die führende Stellung einnahmen und später von dem Herrenbruder Jakobus verdrängt werden konnten63. 66

Der Bericht über die Nachwahl des Matthias mag freilich auf alte Überlieferungen zurückgehen, die von einer Ergänzung des Zwölferkreises nach der Apostasie des J u d a s erzählten. I m übrigen führen die zwölf,Apostel' in der Apostelgeschichte ein schattenhaftes Dasein. Nur die Gestalten von Petrus, Johannes u n d J a k o b u s haben echte Konturen. Wenig überzeugend P . H . Menoud, Les additions au groupe des douze apôtres, d'après le livre des Actes, RevHistPhilRei 37, 1957, S. 71-80, der meint, die Bedeutung der Zwölf sei z. Zt. der Apostelgeschichte noch aktuell gewesen. 57 Vgl. G. Saß [1] S. 97. 58 Dies W o r t ist natürlich kein Ausspruch des historischen Jesus (s. R . Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 19312, S. 170f.). W . G. K ü m m e l hält es f ü r ein solches, denn die Beschränkung der in diesem W o r t liegenden Verheißung „auf das jüdische Volk m a c h t angesichts der universalistischen Tendenz der Tradition die Echtheit des Spruches sicher" (a.a.O. Anm. 100). Aber die frühe Urgemeinde war doch bestimmt nicht weniger partikularistisch als Jesus selbst! Vgl. noch P. Vielhauer a.a.O. S. 61ff. 59 D a f ü r spricht auch der Umstand, daß die Namenlisten der Zwölf etwas differieren (Mk. 3,16ff.; Mt. 10,2ff.; Lk. 6,14ff.; Apg. 1,13). Bei einemlangen Bestand dieses Kreises wäre das schwer verständlich. eo So k o m m t es, daß die Mehrzahl der Zwölf f ü r uns „kein Gesicht u n d keine Geschichte" h a t (H. v. Campenhausen [2] S. 16). 61 D a n n nämlich, wenn die Zuwahl des Matthias keinen historischen Hinter62 grund h a t . Vgl. E. Lohse [1] S. 265. 63 Die Gründe f ü r diese Verdrängung sind immer noch ungeklärt. Die Existenz der Urgemeinde in Jerusalem beruhte auf ihrer konservativen Stellung zum Gesetz. Offenbar f ü h r t e die besonders konservative Einstellung des J a k o b u s ihn im Verlaufe der heftiger werdenden Streitigkeiten zwischen J u d e n u n d Judenchristen in Jerusalem von selbst a n die Spitze der Urgemeinde in der Heiligen Stadt, die freier eingestellten Leute wie Petrus dagegen nach draußen, ohne daß deshalb in der Gemeinde selbst erhebliche Spannungen bestanden haben müssen·: Der Führungswechsel war taktischer Art.

Der Kreis der Zwölf: Kein Zwölfer-Apostolat

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Daß sich die Erinnerung an die δώδεκα als solche in der Urkirche trotz dieser Lage so gut gehalten hat, liegt daran, daß ihnen als den Repräsentanten der neuen Heilsgemein,de die im eigentlichen Sinne kirchengründende Erscheinung des Auferstandenen zuteil wurde, die bei allen sonstigen Gegensätzen der Auferstehungsberichte deren Mittelpunkt bildet, und zwar sowohl bei den Synoptikern als auch bei Johannes und nicht zuletzt in der urgemeindlichen Tradition, die l.Kor. 15,5 aufgenommen ist 64 . Vergegenwärtigt man sich nun diesen Tatbestand, so ist es undenkbar, daß die δώδεκα in der Frühzeit der Kirche jemals als Apostel gegolten haben können. Und da Paulus ihre Stellung durchaus richtig einschätzt, kann auch er ihnen nicht den Titel ,Apostel' gegeben haben. 3. Nun mag für manchen Leser das hier gezeichnete Bild des Zwölferkreises zu kritisch angelegt sein. Angesichts der Schwierigkeit, daß es keine allgemein anerkannten Grundsätze für die Beurteilung der synoptischen Tradition gibt, wird man auch weiterhin damit rechnen müssen, daß ein großer Teil der Forscher den Kreis der Zwölf in das Leben Jesu hinein verweist. Die hier behauptete spätere Rückprojizierung in die Zeit vor der Auferstehimg ist so früh erfolgt, daß man die δώδεκα als von Anfang an mit den Traditionen über den historischen Jesus verwachsen ansehen kann. Daß aber von einer Verbindung zwischen dem historischen Jesus und 12 A p o s t e l n auf k e i n e n Fall die Rede sein kann, wird deutlich, wenn man sich fragt, ob diese 12 Jünger — ob sie sich vor oder nach der Auferstehung zusammengefunden haben, ist jetzt gleichgültig — von Anfang an als Apostel gegolten haben. Diese Frage ist nur mit einem klaren ,Nein' zu beantworten 6 5 . Zum Erweis dessen genügt ein Blick in die Konkordanz. In den Evangelien findet sich απόστολος im technischen Sinne bei Johannes garnicht, bei Markus und Matthäus höchstens je einmal 66 , bei Lk. 31mal, und zwar 5mal im Evangelium 6 ' und 26mal in der Apostelgeschichte e8 . Johannes ist ein Fall für sich. Man wird nicht annehmen m ü s s e n , daß ihm der Aposteltitel für die Zwölf noch ganz unbekannt war, obschon auch das nicht ausgeschlossen ist. Daß er den Jüngern diesen Titel aber mit Absicht nicht gibt, wäre jedenfalls dann unmöglich, 64 65

Vgl. Η. V. Campenhausen [2] S. 17 f. Anders ζ. B. P. Wernle [1] S. 83. Vgl. zum Ganzen das Referat bei O. Linton a.a.O. S. 73ff. 66 ZuMk. 3,14 s. u. 87 Dazu kommt die verschieden gedeutete Stelle Lk. 11,49 (s. S. 86). 68 Dazu kommt eine Variante : Apg. 5,34.

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Der urchristliche Apostolat

wenn sie tatsächlich die ,Urapostel' gewesen wären, die diesen Titel von Anfang an trugen. Auf Johannes müssen wir im weiteren Verlauf dieser Untersuchung noch zurückkommen. Die Synoptiker zeigen eine klare Entwicklungsklinie. Lk. nennt die Zwölf wie selbstverständlich Apostel. Der Unterschied in der Häufigkeit des Vorkommens von απόστολος im Evangelium u n d in der Apg. beruht dabei darauf, daß Lk. in seinem 1. Buch stärker als in seinem 2. an Quellen gebunden war. Und diese Quellen kannten den Titel f ü r die Zwölf noch nicht. Daß Mk. und Mt. je einmal den Titel haben, spricht nicht dagegen. Mt. 10,2 wird die Aufzählung der Namen der Zwölf eingeleitet mit der Bemerkung: ,,τών δε δώδεκα αποστόλων τα όνόματά εστίν ταντα". Aber der Sinai-Syrer h a t s t a t t αποστόλων das sonst übliche μαθητών, u n d nicht wenige Forscher halten diese syrische Lesart f ü r ursprünglich 6 9 . Mk. 3,14 ist der Satz ,,οϋς και αποστόλους ώνόμασεν" aus Lk. 6,13 her später eingedrungen, wie die Überlieferung zeigt u n d die Exegeten ziemlich einmütig feststellen. Mk. 6,30 dagegen ist απόστολοι klar bezeugt: als die Jünger nach ihrer Aussendung durch Jesus zu ihm zurückkehren, werden sie ,Apostel' genannt. Aber mit Recht verweist Η . v. Campenhausen [1] S. 105 darauf, daß niemand an dieser Stelle die christliche Amtsbezeichnung vermuten würde, wenn uns nicht der lukanische Sprachgebrauch so geläufig wäre. E r nimmt deshalb an 7 0 , daß das Wort bei diesem einmaligen Vorkommen bei Mk. gar nicht im technischen Sinn verwendet worden ist, sondern einfach ,Abgesandte' bedeuten soll. Wem — mit mir — diese Deutungen f ü r das Vorkommen von απόστολος bei Mk. u n d Mt. nicht genügen, der mag überlegen, ob nicht die beiden Stellen späteren Ursprungs sind als die ursprünglichen Evangelien. Vergleicht m a n die Apostelliste bei Mt. (10,2—4) u n d die Berufung der Zwölf bei Mk. (3,13—19), so ist es sehr unwahrscheinlich 71 , daß Mt. den Abschnitt Mk. 3,13-19 so schon vorfand 7 2 . Aber auch in Mt. dürfte die Jüngerliste nicht ursprünglich sein. Man h a t den Eindruck, als sei Mt. 10,2-4 in den Bericht von der Aussendung 69 Siehe H. v. Campenhausen [1] S. 104 Anm. 6; A. Merx, Die vier kanonischen Evangelien nach ihrem ältesten bekannten Texte, II. Teil, 1. Hälfte, Berlin 1902, S. 156; W.Bauer, ZwTh 54 (1912) S. 339ff.; anders F. Haase a.a.O. S. 15ff., der die Frage ausführlich behandelt. Vgl. auch A. v. Harnack [1] I S. 308. 70 So auch E. Lohse [1] S. 262; H. Mosbech [1] S. 176. 71 Daß zumindest die Liste der Jünger bei Mk. spätere Zutat ist, dürfte sich mit einiger Sicherheit aus der Tatsache ergeben, daß Levi, dessen Berufung Mk. 2,13-17 erzählt wird, in der Jüngerliste fehlt. 72 Vgl. M. Goguel [1] Anm. 567; Béda Rigaux a. Anm. 50 a.O. S. 472f. Auch Lukas scheint ihn noch nicht gelesen zu haben (s. J. Jeremias in NTS IV, 1958, S. 117).

Der Kreis der Zwölf: Kein Zwölfer-Apostolat

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erst später eingefügt worden 73 . Dann aber wird man sich über das „των δε δώδεκα αποστόλων

τά ονόματα εστίν ταντα" M t . 10,2 n i c h t

wundern 74 . Ähnlich scheint es Mk. 6,30 zu liegen. Der Bericht von der Aussendung und Rückkehr der 12 Jünger wird zwischen Mk. 6,13 und 6,30 recht sinnlos unterbrochen durch die Notiz über das Urteil des Herodes über Jesus und vom Bericht über den Tod des Täufers 75 . Bei Mt. steht dieser Abschnitt 76 in gutem Zusammenhang: Auf die Verwerfung Jesu in Nazareth folgt das Urteil des Herodes über ihn, dann die Erzählung vom Ende des Täufers und weiter die Speisungsgeschichte. Mk. wird dagegen ursprünglich die Herodes-Täufer-Szene 6,14-29 nicht gehabt haben. Sie ist bei ihm gegenüber Mt. stark erweitert und viel anschaulicher erzählt. Sie dürfte aus Mt. stammen, der sie einer Quelle der Täufergemeinde entnommen hat 7 7 . Da sie bei Mk. denselben Platz vor der Speisungsgeschichte erhalten sollte wie bei Mb., mußte der sich bei Mk. findende Bericht über Aussendung und Rückkehr der Jünger unterbrochen werden 78 . Hat aber anfangs 6,30 an 6,13 angeschlossen, fehlte ursprünglich in 6,30a ein Subjekt, das später bei der Einfügung von 6,14-29 ergänzt werden mußte. Daß es dann oi απόστολοι lautete, überrascht in einer späteren Zeit nicht mehr 7β . Nun, absolute Klarheit läßt sich kaum darüber gewinnen, wie das je einmalige Vorkommen von απόστολος bei Mk. und Mt. zu erklären ist. Wenn man aber die Selbstverständlichkeit, mit der für die spätere Zeit die 12 Jünger die ,Apostel' schlechthin waren, mit dem Schweigen der älteren Quellen vergleicht, so wird auch der, der meint, über Mk. 6,30 und Mt. 10,2 zu keiner Klarheit kommen zu können, nur feststellen können, daß der Aposteltitel später auf die Zwölf übertragen 73 Ähnlich meint G. Saß [2] S. 234, Mt. 10,2 sei sicher „späte Einleitung zum .Apostelkatalog'". Offenbar hat an Mt. 10,1 ursprünglich das λέγων von V. 5 o. ä. angeschlossen. Y. 5 als ganzer nimmt jetzt sehr unbeholfen den durch 10,2—4 unterbrochenen Gedanken von 10,1 wieder auf. 71 In der pleonastischen Bezeichnimg δώδεκα απόστολοι (vgl. Apk. 21,14) mag dabei das Bewußtsein anklingen, daß es noch andere Apostel als die Zwölf gibt. Später ist einfaches ,άπόστολοι' üblich. 75 J. Jeremias (nach G. Saß [2] S. 234) löst diese Schwierigkeit so, daß er in 6,30 nicht die Jünger zurückkehren, sondern Apostel des Täufers zu Jesus kommen läßt, die über ihren Meister berichten. Das würde freilich auch die Gleichung άττόοτολοι = die Zwölf auflösen, dünkt mich aber recht unwahrscheinlich. 7,1 Lukas hat ihn (noch?) nicht. 77 Vgl. R. Bultmann, Syn. Tradition2"« S. 328 f. 78 Während bei Matthäus der Bericht von der Verwunderung des Herodes über die Taten Jesu sinnvoll auf die Erzählung von dem Verwundern der Leute in Nazareth folgt, geht nun bei Markus dem Bericht vom Staunen des Herodes über die Taten Jesu sehr unpassend die Erzählung von den Taten der J ü n g e r voraus. 79 Vgl. Lk. 9,10.

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Der urchristliche Apostolat

worden ist 80 . Jedenfalls bedarf es keiner Widerlegung der Behauptung, daß es „als gesichert gelten" darf, daß der Apostelname für die Zwölf von Jesus gebraucht worden sei81. 4. l . K o r . 15,5ff. Kennen noch Mk. und Mt. die Zwölf nicht als Apostel, so ist erst recht nicht zu erwarten, daß Paulus 12 Apostel gekannt hat 8 2 , um so weniger, als schon der Kreis der Zwölf an sich für ihn keine greifbare Größe mehr war. Ein Blick in die Literatur läßt nun freilich die merkwürdige Tatsache erkennen, daß es als nahezu selbstverständlich gilt, daß wenigstens Paulus die Zwölf unter die απόστολοι rechnet. Am meisten Eindruck hat dabei die Argumentation gemacht, die K. Holl anläßlich seiner Interpretation von l.Kor. 15,7 in seinem bekannten Aufsatz über den Kirchenbegriff des Paulus vorgelegt hat. l.Kor. 15,5ff. bedarf deshalb eingehenderer Erörterung. In Korinth wird von seiten bestimmter Leute die Auferstehung bestritten. Demgegenüber will Paulus beweisen, daß Jesus selbst als die απαρχή των κεκοιμημένων (l.Kor. 15,20) auferstanden ist. Er ist also an einer möglichst vollständigen Zeugenreihe interessiert. Nicht die Erscheinungen des Auferstandenen als solche beschäftigen ihn in den Versen l.Kor. 15,5-7, sondern die Personen, denen der Auferstandene erschienen ist. Folgende Zeugen kann Paulus anführen: (1) ώψ&η

Κηφα,

(2) είτα τοις

δώδεκα·

(3) επειτα ύ'χρ&η επάνω πεντακοσίοις άδελφοϊς πλείονες μένονσιν εως αρτι · (4) επειτα ώφϋη

εφάπαξ,

εξ ών οι

Ίακώβω,

(5) είτα τοϊς άποστόλοις

πάσιν

(6) εσχατον δε πάντων ώσπερεί τω εκτρώματι ώψ&η κάμοί. Έγώ γάρ είμι ο ελάχιστος των αποστόλων, δς ουκ είμϊ ικανός καλεΐσ&αι άπόσίολος, διότι έδιωξα την εκκλησίαν τον ϋεον.

Zunächst sollte nicht bestritten werden, daß diese Aufzählung chronologisch gemeint ist 83 . Ob Paulus sich in der Reihenfolge viel80

So ζ. B. R. Schütz a.a.O. S. 67f.; A. Fridrichsen a.a.O. Anm. 12. So K. H. Rengstorf [1] 429,46ff., der sich dabei auf eine recht abenteuerliche Exegese lediglich der Lukas( !)-Stellen stützt. Diese Exegese ist von G. Klein a.a.O. S. 28ff. mit Recht kritisiert worden. 82 Vgl. P. Schubert in ,Ntl. Studien für R. Bultmann', 1954, S. 168 Anm. 11; M. Goguel [1] S. 218. 83 Das tun ζ. B. F. Kattenbusch a.a.O. S. 330; G. Saß [1] S. 97; W. Michaelis a.a.O. S. 23ff. ; jeweils im Interesse ihrer Auslegung. Dagegen mit Recht Η. v. Campenhausen in SAH 1958, 2, S. 11. 81

K e i n Zwölfer-Apostolat : l . K o r . 15,5ff.

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leicht geirrt hat, ist eine andere Frage. Wenn er aber chronologisch mit Petrus und dann den Zwölfen beginnt und auch chronologisch mit sich selbst als dem έσχατος πάντων schließt84, so kann man nicht gut annehmen, daß bei den anderen drei Gliedern der Reihe das (επ)ειτα auf einmal bloß aufzählend gemeint sein soll85. Die beiden ersten Glieder der Aufzählung gehören zu einer urgemeindlichen Formel, die Paulus von Vers 3 an zitiert. Das ist so oft bewiesen worden86, daß es hier genügt, diese Tatsache zu konstatieren. Versuche, die Formel über Vers 5 hinauszuführen87 oder sie mit ωφύη bereits zu beenden88, werden kaum allgemeinen Anklang finden. Ob Paulus auch in den Versen 6 und 7 feste Traditionen übernimmt, brauchen wir nicht ausführlich zu untersuchen. Man nimmt neuerdings häufig an89, daß die Glieder (4) und (5) mit (1) und (2) konkurrieren. G. Saß als Schüler Lohmeyers meint, daß (1) + (2) nach Galiläa gehört, (4) + (5) nach Jerusalem ([1] S. 100) ; E. Bammel (a. a. 0. S. 416ÍF.) will dagegen beide Formeln nach Jerusalem setzen und versteht (4) -f- (5) als Gegenformulierung zu (1) + (2), entstanden in Auseinandersetzungen zwischen Petrus und Jakobus. Paulus soll dann mit Absicht oder aus Ungeschick die beiden Formeln verbunden und durch (3) und (6) ergänzt haben. Unter dieser Voraussetzung ist natürlich an einer ursprünglichen chronologischen Ordnung der 6 Glieder nicht mehr festzuhalten. Aber ich halte weder die Lohmeyersche These von den beiden Urgemeinden für richtig, noch kann ich mich davon überzeugen, daß Petrus und Jakobus in Jerusalem Konkurrenten waren. Erst recht glaube ich nicht, daß man in der frühesten Zeit versuchen konnte, 84 G. Saß [1] S. 97 A n m . 266 m e i n t zwar, „ a u c h έσχατος ist religiös, nicht zeitlich zu v e r s t e h e n " , a b e r diese u n b e g r ü n d e t e B e h a u p t u n g bedarf wohl keiner Widerlegung. es y g i_ w . G. K ü m m e l bei L i e t z m a n n H N T 9 zu S. 77 Z. 17 ; ders. a.a.O. S. 5 ; E . B a m m e l a.a.O. S. 406 A n m . 23, anders S. 414. 86 Vgl. ζ. B. F . K a t t e n b u s c h a.a.O. S. 330; G. Saß [1] S. 97; J . Jeremias, Die A b e n d m a h l s w o r t e J e s u , I960 3 , S. 95ff.; A. v. H a r n a c k in SAB 1922, Phil-hist. Klasse S. 62—80; W . G. K ü m m e l a.a.O. S. 3 u n d die v o n i h m S. 44 A n m . 9 aufgeführte Literatur. 87 J . Weiß z. St. 88 E . B a m m e l a.a.O. S. 401ff., dessen These jedoch immerhin erwägenswert ist. E r verweist d a r a u f , d a ß n u r d a n n die urgemeindliche F o r m e l ganz parallel a u f g e b a u t ist, wenn d e m ór ι ετάφη n u r ein δ η ώφ&η entspricht. Man sollte freilich solche A r g u m e n t a t i o n auf G r u n d sprachlicher Parallelität in P r o s a t e x t e n u n d Bekenntnisformeln n i c h t überschätzen. I m m e r h i n ist möglich, d a ß die F o r m e l ursprünglich nicht länger gewesen ist. P a u l u s h a t sie gewiß aber schon u n t e r Einschluß des ganzen Verses 5 vorgefunden. 89 So schon A. v. H a r n a c k in SAB 1922, Phil.-hist. Klasse, S. 62-80, bes. S. 65ff.; P . W i n t e r , 1 Corinthians 1 5 , 3 b - 7 , N o v Test 2, 1957, S. 142-150; E . Stauffer, J e s u s , 1957, S. 112f.; U . Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte, 1961, S. 73ff. Dagegen H . v . Campenhausen, Der Ablauf der Oster ereignisse, S A H , 1958, 2, S. 8 A n m . 4 ; S. 10 A n m . 12.

5

7801 Schmithala, Apostelamt

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Der urchristliche Apostolat

Jakobus als ersten Zeugen der Auferstehung an die Stelle von Petrus zu setzen. I n l.Kor. 15,6-7 selbst liegen aber keine Anhaltspunkte für die Behauptung vor, hier wäre eine Konkurrenztradition zu Vers 5 verwertet. Vielmehr schließen diese Verse jede solche Vermutung aus e o . Das zeigt sich, wenn wir nun die entscheidende Frage stellen, wer denn die απόστολοι πάντες eigentlich sind. Man sollte vernünftigerweise diese Worte so nehmen, wie sie dastehen, und dann sind mit ,alle Apostel' gemeint: Andronikus und Junias und Barnabas und Paulus und wer sonst noch zu dem bekannten und uns nur in wenigen Vertretern namentlich überlieferten Kreis der Apostel gehört 91 . Nur findet man diese vernünftige Lesart nur noch selten bei den Exegeten. K. Holl konnte noch sagen, sie sei die „seit Lightfoot allgemein herrschende Anschauung" gewesen (a. a. 0 . S. 924), aber E. Bammel (a.a.O. S. 405) meint jetzt: „Die απόστολοι πάντες sind nach der zwar problematischen, aber allgemein übernommenen 92 These Holls die Zwölf und Jakobus." Erst bei W. G. Kümmel 9 3 findet sich wieder die einzig einleuchtende Deutung, daß πάντες απόστολοι einen Kreis umfaßte, der „auf alle Fälle nach der Meinung des Paulus alle damals vorhandenen απόστολοι" umschloß 94 . Ich kann nicht recht erkennen, wie W. G. Kümmel das ,damals' verstanden wissen will : damals, als diese Erscheinung war, oder: damals, als Paulus diese Erscheinung beschrieb. Richtig ist allein das letztere. Paulus kann ,alle Apostel' nur erwähnen, wenn damit alle gemeint sind, die es zur Zeit der Erwähnung gibt oder gegeben hat. Das ist übrigens schon deshalb sicher, weil Paulus ja doch nicht ohne Grund auf die Anführung irgendwelcher Auferstehungszeugen verzichtet. Das Auferstehungszeugnis können aber a l l e Apostel ablegen, nicht nur einige 95 . Zwischen ,allen 90

Weitere Gegenargumente bei W. G. Kümmel a.a.O. S. 4f. So verstand bereits Euseb KG I 12,5 die Stelle. 92 Das ist wohl etwas übertrieben. Auch wenn sie das ,πάντες' nicht wirklich ernst nehmen, lassen doch in der Gegenwart zahlreiche Forscher den Kreis der απόστολοι πάντες über die Zwölf und Jakobus hinausgreifen ; vgl. ζ. Β. A. Wikenhauser a.a.O. Sp. 554. A. v. Harnack a. Anm. 89 a.O. setzte die άπόστολοι πάντες = oi δώδεκα ! Vgl. auch P.Winter a. Anm. 89 a.O.; E.L.Allen in NTS 3, 1957, S. 349. 93 A.a.O. S. 7. H. Graß, Ostergeschehen und Osterberichte, 1956, S. 103f., versteht Vinter den απόστολοι πάντες den Jerusalemer ,Führerkreis' aus späterer Zeit, der sich nicht mehr mit den in Galiläa berufenen Zwölfen deckt. A. Fridrichsen (a.a.O. Anm. 12) schreibt: "These 'Apostles' must have been the messengers chosen by James to carry the message of the risen Christ out to the disciples of Jesus in all parts of Palestina. Before starting they had a collective revelation." 94 Vgl. E. L. Allen, The Lost Kerygma, NTS 3, S. 349. 96 Umgekehrt ist es für Paulus, der möglichst viele Zeugen beibringen will, ohne Interesse, ob einzelne Zeugen mehrmals eine Erscheinung hatten. Das würde seine Beweisführung nicht stützen. Schon deshalb ist es unwahrscheinlich, daß oí απόστολοι πάντες die Zwölf und Jakobus gewesen sind, denn die wurden ja bereits sämtlich als Zeugen genannt, und es wird fraglich, ob die Zwölf und Jakobus auch nur zu .allen Aposteln' zu zählen sind. 91

Kein Zwölfer-Apostolat: l.Kor. 15,5ff.

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Aposteln' und Paulus als dem letzten Zeugen der Auferstehung können nicht weitere Apostel, die zu diesem Zeugnis genauso befähigt waren wie die anderen, ungenannt geblieben sein 96 . Nun erklärt K.Holl [1] S. 924 diese Erklärung für „schlechthin unmöglich". Die Gründe, die er und andere 97 für diese Behauptung vorbringen, bedürfen der Erörterung. Das ,alle Apostel' kann nicht wörtlich zu nehmen sein, erklärt man, denn Paulus, der ja auch Apostel ist, zählt sich mit Sicherheit, nicht zu diesen απόστολοι πάντες ; er erwähnt seine eigene Erscheinung hinterher als 6. Glied. Nun, so sicher ist das keineswegs, daß Paulus sich nicht zu den απόστολοι πάντες rechnet. Wenn er nämlich fortfährt: ,,εσχατον

δε πάντων

ώσπερει

τω εκτρώματι

ώφ&η κάμοί",

so w ä r e z u

fragen, ob man nicht ergänzen muß : εσχατον δε πάντων των αποστόλων ;

d. h. als letztem dieser genannten απόστολοι πάντες wurde mir eine Erscheinung des Auferstandenen zuteil. Gewöhnlich freilich nimmt man an, Paulus nenne sich als letzten nicht der Apostel, sondern sämtlicher Zeugen von Petrus an. Ich halte das für richtig 98 . Dann gehört der Apostel Paulus also nicht zu τοις άποστόλοις πάσινί In der Tat; denn er erklärt selbst, daß er nicht wert sei, Apostel genannt zu werden! Das ist zwar nur rhetorisch gemeint; aber da Paulus bereits von allen Aposteln einschließlich seiner selbst gesprochen hatte, hätte er eigentlich nun die Aufzählung abbrechen müssen. Andererseits wollte er aber natürlich nicht versäumen, seine — des Briefschreibers und Apostels der Korinther — eigene Zeugenschaft herauszustellen 99 . Er mußte sich also von τοις άποστόλοις πασιν distanzieren, und das geschieht in l.Kor. 15,9-1010°. Irgendein anderer Grund, seine Autorität abzuwerten, liegt gerade da nicht vor, wo er als Zeuge Autorität unbedingt benötigt. Er streicht dann ja auch in Vers 10 seine Vollmacht wieder heraus. Das Empfinden der Exegeten, daß Paulus sich doch nicht gut zu τοις άποστόλοις πασιν rechnen konnte, wenn er sich hinterher besonders erwähnt, ist also richtig ; nur haben sie nicht berücksichtigt, daß Paulus schon dasselbe Empfinden hatte und sich deshalb in aller Form, aber zugleich auch nur um der Form willen, von den anderen Aposteln distanziert. Aber, so wendet K. Holl ein, „wie soll man es sich vorstellen, daß ihnen (seil, sämtlichen Aposteln) insgesamt der Herr erschienen wäre ? 86

Vgl. E. Bammel a.a.O. S. 403; H. v. Campenhausen in SAH 2, 1958, S. 20. Zum Beispiel E. Meyer a.a.O. III S. 255ff. So auch G. Klein a.a.O. S. 43f. Anm. 179. 88 Auch die anderen Apostel einzeln aufzuzählen, war daneben nicht von gleichem Interesse; außerdem wäre Paulus dazu gewiß auch nicht viel eher imstande gewesen als zur einzelnen Aufzählung der 500 Brüder. 100 G. Klein (a.a.O. S. 42 Anm. 174) entnimmt dieser Argumentation zu Unrecht, ich ließe Paulus sich faktisch in die πάντες von V. 7 einschließen. Das chronologische Gefalle von V. 7 b zu Y. 8, das G. Klein (ebd.) bei obiger Interpretation vermißt, ist doch in V. 9 ausdrücklich herausgestellt. 5» 97

88

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Der urchristliche Apostolat

Waren sie denn einmal am bestimmten Ort versammelt, so daß ihnen Christus miteinander h ä t t e erscheinen können?" Nun, sie waren ganz gewiß nie an einem Ort so zusammen, daß ihnen der Herr εφάπαξ erscheinen konnte. Aber wer sagt denn, daß m a n sich eine Massenerscheinung vor allen Aposteln vorstellen soll? Davon sagt P a u l u s jedenfalls nichts 1 0 1 . Bei den 500 Brüdern betont er dagegen ausdrücklich, daß ihnen Chrristus εφάπαξ erschienen sei. Wäre es selbstverständlich, daß alle von Paulus genannten Erscheinungen ,auf einmal' erfolgten, so wäre das εφάπαξ überflüssig. Daß Paulus es hinzufügt, zeigt, daß das Gegenteil selbstverständlich ist. Zwar erschien Christus den 500 Brüdern insgesamt, im übrigen aber wurden wie J a k o b u s u n d Paulus so auch sämtliche Apostel individuell berufen 1 0 2 . Das zeigt die einzige Apostelberufung, von der wir Näheres wissen, nämlich die des Paulus, mit aller Deutlichkeit. Warum m a n das „είτα τοις άποστόλοις πασιν" aber nicht in einzelne Ereignisse auflösen kann, wie K . Holl (a.a.O. S. 925) 103 behauptet, bleibt unerfindlich. Ein Vergleich mit είτα τοις δώδεκα ist fehl a m Platze, denn dieses Sätzchen, das gewiß eine gemeinsame Erscheinung voraussetzt, s t a m m t noch aus der Paulus vorliegenden fest formulierten Tradition. Paulus selbst unterscheidet gewissenhaft die eine Massenerscheinung vor den 500 Brüdern von den folgenden Einzelerscheinungen vor Jakobus, den vielen Aposteln und schließlich vor ihm selbst 104 . Paulus ist sicherlich niemals auf den abwegigen Gedanken gekommen, daß sich jemand die Berufungen der Apostel als im Verlauf einer Massenerscheinung vollzogen h ä t t e vorstellen können 1 0 5 . „Aber war denn eine Christusoffenbarung etwas so Gewöhnliches, so gewissermaßen regelmäßig zu Erwartendes, daß sie f ü r jeden kleinen Missionar vorausgesetzt werden konnte", fragt K . Holl weiter. Gewiß nicht, aber es hieß ja auch nicht jeder kleine Missionar Apostel. Mag es f ü r die Missionare überhaupt zutreffen, so stimmt es jedenfalls nicht f ü r die Apostel, daß sie „eine formlose, ständig sich erweiternde Gruppe" (K. Holl a.a.O. S. 924) bildeten. Apostel waren nur die Missionare, die durch den Auferstandenen selbst berufen waren. U n d diese allein meint Paulus natürlich mit oi απόστολοι πάντες. Schließlich wendet K . Holl ein, Paulus könne sich doch nicht vor a l l e n Aposteln so erniedrigen, wie es in Vers 9 geschieht 1 0 6 ; denn er 101 Anders freilich E. Meyer a.a.O. I I I S. 258, für den nur in Frage kommt, daß ,,es sich hier doch deutlich um eine einheitliche Massenerscheinung handelt". 102 Vgl. H. Mosbech [1] S. 190. 103 Vgl. H. Lietzmann H N T zu l.Kor. 15,6. 104 So auch Ε. v. Dobschütz, Ostern und Pfingsten, 1903, S. 35. 105 Die Forderung von G. Klein (a.a.O. S. 43), Paulus hätte dem εφάπαξ von V. 6 bei freier Formulierung in V. 7 ein καθεξής beigeben müssen, ist darum unbillig. 106 So auch E. Lohse [1] S. 270.

Kein Zwölfer-Apostolat : l.Kor. 15,5ff.

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konnte sie doch nicht alle mit sich auf eine Stufe stellen. Nun, inwiefern er sie mit sich tatsächlich nicht auf eine Stufe stellt, sagt Paulus in Vers 10. Daß er sich aber vor ihnen ,erniedrigen' mußte, wurde oben gezeigt. Was hätte ihn daran hindern sollen? Die Gründe, mit denen er es in Vers 9 tut, betreffen zudem sein Apostelamt im Grunde gar nicht, so daß von einer Erniedrigung als A p o s t e l genau genommen überhaupt keine Rede sein kann; die Gründe an sich sind jedoch durchaus sachlich und überzeugend. Sind also oi απόστολοι πάντες tatsächlich alle Apostel, so schließt dieser Begriff an dieser Stelle Jakobus und Petrus aus, denn es ist nicht anzunehmen, daß beide nach der Meinung des Paulus noch einer besonderen Erscheinung als Apostel gewürdigt wurden. Zumal bei Jakobus ist das undenkbar, dessen Erscheinung eben deshalb unmittelbar vor den Erscheinungen der Apostel genannt wird, weil Paulus ihn nicht zu den Aposteln rechnet. Paulus erwähnt vielmehr nach den anderen allen als letzte die Apostel, und das kann er tun, ohne dabei an Petrus oder Jakobus zu denken. Petrus ist demnach, wie gleich noch deutlicher werden wird, innerhalb des Apostelkreises ein παρείςακτος αδελφός, und Jakobus offenbar nicht einmal das mit Sicherheit (s. S. 53ff.). Auch ergibt sich, daß Paulus der Überzeugung ist, nach ihm sei kein Apostel mehr berufen worden. Er ist der έσχατος aller Apostel. Man sollte diese klare Aussage nicht in Zweifel ziehen. Paulus selbst hat jedenfalls nicht erfahren, daß in den seit seinem Erlebnis bei Damaskus verflossenen über 20 Jahren noch eine Apostelberufung stattgefunden hat 107 . l.Kor. 15,7 gibt uns also keinen Anlaß zu der Annahme, Paulus habe einen doppelten Apostelbegriff gehabt. Die απόστολοι πάντες sind tatsächlich alle Apostel, und daß die Zwölf dazu gehört haben sollten 108 , ist durch nichts angedeutet 109 und durch nichts wahrscheinlich zu machen 110 . Es ist im Gegenteil deshalb ausgeschlossen, weil selbst Petrus in l.Kor. 15,7 nicht unter die Apostel gerechnet wird 111 . 107 So mit Recht H. v. Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse, SAH 1958, 2, S. 19 f. 108 „Die Erscheinung vor .allen Aposteln' umfaßte ja bestimmt auch die Zwölf mit" (W. G. Kümmel a.a.O. S. 8). 109 Vgl. G. Saß [2] S. 236. 110 "He probably implies that James and the Twelve all belong to the larger group of Apostles . . ." (K. Lake a.a.O. S. 55). 111 Auch G. Klein (a.a.O. S. 38-43) kommt zu dem Schluß, daß l.Kor. 15,7 nichts für eine Apostolizität der Zwölf aussagt. Sein Versuch, die Worte ,τοίς άποστόλοις πάσιν' inmitten der übrigen paulinischen Sätze als eine traditionelle Formulierung zu erweisen, ist mir in seiner Intention unverständlich und in seiner Durchführung nicht überzeugend gewesen. Über die Schwierigkeiten, die G. Klein dabei seiner eigenen These vom nichtpalästinischen Ursprung des Zwölferapostolats bereitet, s . u . S. 71 Anm. 117.

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Der urchristliche Apostolat

l . K o r 9,5 s c h r e i b t P a u l u s : ,,μή ουκ εχομεν έξονσίαν άδελφήν γυναίκα περιάγειν, ώς καί οί λοιποί απόστολοι καΐ οί αδελφοί τον κυρίου και Κηφας."

Das Problem dieses Sätzchens liegt für die Exegeten nicht so sehr in der Frage, welchen Kreis die λοιποί απόστολοι bilden, sondern in der anderen, ob die Brüder des Herrn hier unter die Apostel gerechnet werden oder nicht. Man geht bei der Interpretation davon aus, daß Kephas selbstverständlich Apostel sei, also in den λοιποί απόστολοι bereits mitgemeint ist und nur um seiner Bedeutung willen noch besonders erwähnt wird. Dann ist es aber nur konsequent, wenn Lietzmann in seinem Handbuch zur Stelle112 feststellt, daß auch „die Brüder des Herrn zu den Aposteln gerechnet werden" ; denn das 2. und das 3. καί müssen doch dieselbe Bedeutung haben 113 ! Nun hat man aber gegen die Zuordnung der Brüder Jesu zum Apostelkreis mit Recht mancherlei Bedenken, und die Mehrzahl der Exegeten entscheidet sich daher für die recht unlogische Lösung, zwar Petrus, nicht aber die Herrenbrüder zu den λοιποί απόστολοι zu zählen. Die Begründungen für dieses Verständnis der Stelle sind entsprechend gewunden114, die Entscheidung ist recht oft unsicher 115 . Diese ganze Schwierigkeit entsteht aus der falschen Voraussetzung, daß Paulus in l.Kor. 9,5 Petrus zu den Aposteln rechne. Sieht man einmal von dieser Voraussetzung ab, so liegt der klare Sinn des Verses auf der Hand. Paulus zählt drei Gruppen von Missionaren auf: die Apostel, die Brüder des Herrn und Petrus als einzelnen und als einzigen Vertreter des Zwölferkreises. Die Brüder des Herrn, zu denen Jakobus zählt, gelten also nicht als Apostel. Das ergibt sich ja auch aus unserer Interpretation von l.Kor. 15,7, wo Jakobus von den Aposteln ausdrücklich unterschieden ist. Wird er dort als einziger der Herrenbrüder erwähnt, so dürften die anderen Geschwister des Herrn überhaupt keine Erscheinung gehabt haben, falls sie nicht zu den 500 Brüdern gehörten. Weil Jakobus dem Auferstandenen begegnete, kann ihm, soweit er Missionar ist, der Aposteltitel dennoch nicht unbedingt versagt werden, wie Gal. 1,19 zeigt (3. S. 54f.). Aber grundsätzlich zählt er wie seine Brüder nicht zum Apostelkreis11®. 112 So auch J. Weiß in Meyers Kommentar z. St. ; J. B. Lightfoot a.a.O. S. 95 Anm. 4; de Wette z. St.; G. Saß [1] S. 102. 113 So mit Recht K. v. Hofmann z. St. Das hervorhebende καί ζ. Β. Mk. 16,7. 114 „Da das sorglose Zurückgreifen in die schon genannte Classe der Apostel kaum auch schon vor κηφάς denkbar ist, so zählt Paulus die αδελφοί του κυρίου hier wohl nicht zu den Aposteln' '(P.W. Schmiedel im Handkommentar zum NT z. St. ). 115 „Die Frage der Zurechnung der Brüder Jesu zum Apostelkreis muß darum offenbleiben" (W. G. Kümmel a.a.O. S. 45 Anm. 13). 116 Die Missionstätigkeit des Jakobus und seiner Brüder dürfte die Grenzen Palästinas kaum überschritten haben. Jakobus begegnet uns in der älteren Tradition nur in Jerusalem selbst.

Kein Zwölfer-Apostolat: l.Kor. 9,5

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Für Petrus gilt nun dasselbe. Wie 1. Kor. 15,5-7 zählt Paulus ihn auch l.Kor. 9 , 5 nicht zu den απόστολοι πάντες 117 . Diese Feststellung wird jedenfalls von der einzigen ungezwungenen Deutung des Verses verlangt. Petrus hat also u r s p r ü n g l i c h nicht zu dem Kreis der Apostel gehört. Anderseits lag für Paulus weit weniger noch als bei Jakobus bei Petrus ein Anlaß vor, ihm diesen Titel zu versagen. Denn Petrus hatte nicht nur den Herrn gesehen 118 , sondern war im Gegensatz zu Jakobus zumal in seiner späteren Zeit ein ausgesprochener Berufsmissionar, dessen Wirksamkeit unter den Diasporajuden kaum weniger weiträumig gewesen ist als des Paulus Tätigkeit unter den Heiden. Darum ist es nicht verwunderlich, daß Paulus das Gegenbild seiner Person, eben Petrus, Gal. 1,19 und 2 , 8 indirekt einen Apostel nennt 119 . Daß diese Bezeichnung bei Petrus nicht ursprünglich ist, ist weniger für die Beurteilung des Petrus wichtig, der diesen Titel wahrscheinlich selbst nie für sich beansprucht hat, als für die Beantwortung der Frage, wo der Apostolat zu Hause ist. Fragen wir nun noch, wer denn die λοιποί απόστολοι sind, so ist die Antwort selbstverständlich: Die anderen Apostel außer Pauluä und Barnabas, also Andronikus und Junias, vielleicht Silvanus, und ferner die uns unbekannte Zahl sonstiger Missionare, die sich vor Paulus von 117 So auch G. Klein a.a.O., der freilich meint, Petrus sei ζ. Z. von l.Kor. 9,5 n i c h t m e h r Apostel gewesen. Diese Erklärung scheitert aber an der Tatsache, daß Petrus in 9,5 doch gerade als Missionar beschrieben wird. Ausführlicher bespricht G. Klein dies Problem in seinem Aufsatz : „Galater 2, 6 - 9 u n d die Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde" (ZThK 57, 1960, S. 275—295, bes. S. 293ff.). Seine Einwände gegen meine obigen Ausführungen gehen fehl, da G. Klein das „ursprünglich" zeitlich füllt, obschon es doch sachlich gemeint ist (s. noch u. S. 84). Daß Petrus a n f a n g s ein Apostel war, später, auf dem Höhepunkt seiner missionarischen Tätigkeit, aber nicht mehr (so G. Klein), wäre auch d a n n unmöglich anzunehmen, wenn G. Klein die H e r k u n f t des Aposteltitels f ü r Petrus in seiner ,vor-missionarischen' Zeit erklären könnte. Doch versucht er sich mit Recht an dieser unlösbaren Aufgabe nicht. E r sieht offenbar auch nicht, wie sehr die Annahme eines palästinischen Apostolats der christlichen Urzeit seine richtige These belastet, daß der Apostolat der Zwölf letztlich auf den paulinischen Apostelbegriff zurückgeht; denn diese richtige These m u ß in dem Augenblick fraglich werden, in dem m a n gezwungen ist, einen vorpaulinischen Apostelkreis in Jerusalem in die Entwicklung des Apostelbegriffes einzubeziehen. 118 Eine besondere .Berufung' neben oder während der Erscheinung war j a f ü r keinen der Apostel erforderlich, wie wir vorne (S. 20f.) sahen. 119 Daß P e t r u s erst durch Paulus den Aposteltitel empfing, stellt mit anderen auch E . Lohse [1] S. 269 Anm. 33 fest. Demgegenüber fordert G. Klein (a.a.O. S. 55), m a n müsse erst noch verständlich machen, „wie Paulus in einer Situation, in der es entscheidend u m die Unmittelbarkeit seines eigenen Apostolats ging, auf den Einfall kommen konnte, durch willkürliche Erhebimg Jerusalemer Autoritäten in den Apostelrang seine apostolische Legitimation aus freien Stücken zu erschweren". Nun, von „ w i l l k ü r l i c h e r E r h e b u n g " ist nicht die Rede. Paulus gibt n u r denen in Jerusalem den A p o s t e l t i t e l , die ihrer Autorität nach längst Apostel waren : Petrus u n d gegebenenfalls Jakobus. Deren Autorität aber wird doch nicht durch den T i t e l begründet !

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Der urchristliche Apostolat

dem auferstandenen Christus zum apostolischen Dienst berufen wußten. Daß die zwölf Jünger nicht zu ihnen gehörten, dürfte nun ganz klar sein. Wird Petrus mit Vorbehalt von Paulus unter die Apostel gerechnet, und zwar erst zu einer Zeit, zu der der Kreis der δώδεκα schon längst nicht mehr existierte, so ist auch die geringste Möglichkeit einer ursprünglichen Existenz von 12 Aposteln ausgeschlossen. Gal. 1,17 ff. ist als letzte Stelle in diesem Zusammenhang zu betrachten 120 . Nach seiner Bekehrung geht Paulus nicht sofort ,,είς Ίηροσόλνμα προς τους προ εμον αποστόλους", sondern reiste erst drei Jahre später nach Jerusalem, und während seines 14tägigen Aufenthaltes daselbst sah er von den Aposteln nur Petrus (ετερον δε των αποστόλων ουκ είδον). Daß diese Gal. 1,17. 19 erwähnten Apostel die Zwölf seien, wird von den Exegeten um so sicherer behauptet, je weniger Paulus das erkennen läßt. Den Exegeten ist das meist so selbstverständlich, daß sie versäumen, darauf besonders hinzuweisen. Wer dae für nötig hält, verzichtet dann aber zumindest darauf, seine Behauptung zu beweisen121. Aber warum sollen denn die Apostel von Gal. 1,17. 19 auf einmal die Zwölf122 oder wenigstens auch die Zwölf gewesen sein123? Die προ εμοϋ απόστολοι sind die Glieder des Apostelkreises, die Paulus als in Jerusalem anwesend voraussetzen kann 124 . Und da er sonst die δώδεκα nicht zu den Aposteln rechnet, zählt er sie Gal. 1,17. 19 ganz gewiß auch nicht dazu 125 . Der feste Zwölferkreis dürfte zu der Zeit, da Paulus zum ersten Male nach seiner Bekehrung in Jerusalem war, schon überhaupt nicht mehr bestanden haben; sonst hätte Paulus ihn in seinen Briefen kaum so gänzlich übergehen können, wie es tatsächlich geschieht. Paulus ist den δώδεκα nicht mehr begegnet. Sollten sie aber wider alle Wahrscheinlichkeit doch noch existiert haben, so können sie schon deshalb nicht mit den Aposteln von Gal. 1,17. 19 identifiziert werden, weil diese Apostel (außer Petrus) sämtlich von Jerusalem abwesend waren. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß Paulus in den 14 Tagen seines Besuches in der doch gewiß nicht über120 "It is the one Text where one is tempted to take 'apostles' as the twelve earliest disciples" (J. Munck [1] S. 106). 121 „. . . er rechnet zu diesen Aposteln nicht nur sicher die Zwölf (Gal. 1,17.19), sondern a u c h . . . " (W. G. Kümmel a.a.O. S. 5). A. v. Harnack [1] I S. 311 will freilich nicht jeden Zweifel ausschließen. 122 Wenn, wie wir sahen (s. S. 54f.), in Gal. 1,19 auch dem Jakobus der Aposteltitel nicht strikt vorenthalten wird, so können schon deshalb die Apostel von Gal. 1,17.19 nicht auf die Zwölf b e s c h r ä n k t sein. 123 Vgl. G. Saß [2] S. 236. 124 "It is more probably the wider meaning of 'apostle' that we have here" (J. Munck [1] S. 107; vgl. [2] S. 207). ". . . he does not mean ol δώδεκα" (A. Fridrichsen a.a.O. Anm. 12). 125 So mit Recht auch G. Klein a.a.O. S. 44ff.

Kein Zwölfer-Apostolat: Gal. l,17ff.

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mäßig großen Gemeinde in Jerusalem keinen von ihnen gesehen hat 1 2 6 ; denn anzunehmen, daß Petrus den Paulus vor den Aposteln versteckt gehalten hat oder die Apostel von Paulus nichts wissen -wollten, wäre doch absurd. Daß die Apostel von Jerusalem abwesend sind, ist dagegen nur selbstverständlich. Ihr Tätigkeitsfeld liegt ja nicht vornehmlich in Jerusalem. Die Zwölf dagegen, deren Aufgabe es nicht war, „in die Welt hinauszuziehen, sondern vielmehr in Jerusalem zu bleiben" (K. Holl [1] S. 934), um dort die Parusie zu erwarten, sind gewiß niemals alle auf Missionsrei,e gewesen, während ausgerechnet Petrus zu Hause blieb 127 . Wer die Jerusalemer Apostel im einzelnen gewesen sind, läßt sich natürlich schwerlich sagen. Diese Frage ist sachlich mit einem anderen Problem verbunden. Der Vorwurf gegen Paulus lautete auf Abhängigkeit von Menschen ü b e r h a u p t . Das kann natürlich nur bedeutet haben: Abhängigkeit von C h r i s t e n , aber eben doch von Christen s c h l e c h t h i n . Wenn Paulus diesen Vorwurf historisch widerlegen will — und eben dies will er in Gal. 1-2 —, so müßte er eigentlich nachweisen, daß er sein Evangelium nicht von anderen Christen hat empfangen können. Dieser prinzipiellen Notwendigkeit war er sich offenbar auch bewußt ; denn er beginnt seine Apologie mit den Worten : ,,εύ&έως συ προσανεϋέμην σαρκί καΐ αϊματι" (Gal. 1,16). Natürlich ist eine Verteidigung der Unabhängigkeit von Menschen auf dieser Basis praktisch undurchführbar, denn Paulus ist kein Eremit geworden. Darum fährt er denn auch fort, indem er seine Unabhängigkeit von den b e s o n d e r e n menschlichen Autoritäten in der Kirche nachweist. Welches sind die für Paulus maßgeblichen Autoritäten? Die Antwort liegt am Tage: Die Jerusalemer Christen ; denn er fährt fort : ,,ουδε άνήλϋον εις Ιεροσόλυμα" (Gal. 1,17) ; weiter : ,,επειτα μετάτρία ετη άνηλ§ον εις Ιεροσόλυμα" (Gal. 1,18); sodann: ,,επειτα ôià δεκατεσσάρων ετών πάλιν άνέβην εις Ιεροσόλυμα" (Gal. 2,1); und schließlich will Paulus auch mit der Darstellung des antiochenischen Zwischenfalles seine Unabhängigkeit von den J e r u s a l e m e r Autoritäten bezeugen, wie besonders V. 12 zeigt. 128 „Wahrscheinlich ihrer Abwesenheit wegen" glossiert de Wette ebenso unreflektiert wie richtig den Vers 19. Noch eindeutiger Κ. H. Rengstorf a.a.O. 432,28: Zu der Zeit, auf die Gal. i, 18ff. anspielt, „waren außer Petrus . . . keine άπόατολοι in Jerusalem". Er schließt freilich daraus, daß die Zwölf eifrig Mission getrieben haben. 127 Freilich unterliegt es berechtigten Bedenken, ob die Zwölf als geschlossener Kreis überhaupt nach Jerusalem und nicht vielmehr nach Galiläa gehören. Sie könnten also d e s h a l b von Paulus in Jerusalem nicht gesehen worden sein, weil sie nicht in Jerusalem beheimatet waren. Wer aber so kritisch denkt, daß er die J e r u s a l e m e r Zwölfertradition für unhistorisch hält, dürfte sowieso keinen Zweifel daran haben, daß die Zwölf keine .Apostel' waren.

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Der urchristliche Apostolat

Diese Beobachtung ist aufschlußreich für das Verhältnis des Paulus und seines Kreises zu den Jerusalemern und darum für die Autoritätsverhältnisse im Urchristentum überhaupt. Stand eine menschliche Autorität in der Kirche zur Diskussion, so konnte diese Autorität nur Jerusalem sein, und auch Paulus und die Apostel überhaupt konnten sich dieser Autorität nicht gänzlich entziehen. Das nimmt nicht wunder und wird durch andere Beobachtungen bestätigt. Die uns bekannten Apostel sind ausnahmslos Judenchristen. Das gilt von Paulus und Barnabas, von Andronikus und Junias, von Silvanus, von Petrus (und von Jakobus) (s. S. 78ff.). Sie haben also die besondere Bindung an die Autorität von und die Autoritäten in Jerusalem bereits in ihrer jüdischen Zeit besessen und wechselten nach ihrer Bekehrung nur die Träger dieser Autorität. Auch haben sie, wie gerade Paulus mit seinen regelmäßigen Reisen nach Jerusalem zeigt und die Apg. für Barnabas und Silvanus erkennen läßt, zumindest die moralische Autorität Jerusalems nie geleugnet (vgl. Gal. 2,11-13!). Jerusalem galt anfangs mit Sicherheit als der Ort der Parusie (s. K. Holl [1] S. 933). Jerusalem ist der Quellort des Evangeliums (vgl. Rom. 15,19). In diesem Zusammenhang ist auch das Problem erwähnenswert, das mit der Kollekte für Jerusalem verbunden ist, die zu sammeln Paulus sich im gleichen Augenblick verpflichtet, in dem sein Apostolat in Jerusalem Anerkennung findet (Gal. 2,10) 128 . K.Holl ([1] S. 939 ff.) dürfte richtig empfunden haben, daß für die Autoritäten in Jerusalem diese Sammlung mehr bedeutete als einen freiwilligen Liebesdienst. Sie erblickten darin „eine richtige Auflage, die den Heidenchristen von der Muttergemeinde gemacht wird" ([1] S. 940)129. Daß Paulus selbst die Kollekte lediglich als Liebesdienst ansah und nicht daran dachte, eine r e c h t l i c h e Autorität der Jerusalemer Gemeinden anzuerkennen, bedarf nun freilich keiner Frage. Aber als m o r a l i s c h e n Vorort der Kirche hat auch der Apostel Paulus Jerusalem stets betrachtet. Das alles genügt, um die Tatsache zu erklären, daß Paulus den allgemeinen Vorwurf seiner Gegner, wie er in Gal. 1,1. 11 f. zu vernehmen ist: er sei von M e n s c h e n abhängig, dadurch zurückweist, daß er seine Unabhängigkeit von J e r u s a l e m (Gal. 1,17. 18ff.; 2, Iff. 12) betont. Freilich wäre zu überlegen, ob nicht auch der ihm gemachte Vorwurf schon die a u s d r ü c k l i c h e B e h a u p t u n g einschloß, er sei von Jerusalem abhängig 130 . Da die judenchristliche 128

Dies Problem wird ausführlich von G. Saß [1] S. 113ff. behandelt. Mit Recht verweist K. Holl [1] S. 940 auf die Apg. l l , 2 7 f f . geschilderte Sammlung für Jerusalem, die eine genaue Parallele zu der Sammlung des Paulus darstellt. 130 So z. B. J. Munck [2] S. 9; E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 1959 12 , S. 79f. 129

Kein Zwölfer-Apostolat : Gal. í, Í7ff.

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Gnosis des syrisch-antiochenischen Raumes nie in Verbindung mit Jerusalem gestanden hat131, das in demselben geographischen Raum beheimatete hellenistische Christentum einschließlich Paulus diese Bindung aber kaum leugnen konnte, kann der antipaulinische Vorwurf der Abhängigkeit von Menschen letztlich gar nichts anderes als eben Abhängigkeit von Jerusalem gemeint haben. Auch wenn Paulus nicht mehr vernommen haben sollte als dies, daß er sein Evangelium von Menschen empfangen habe, so dürfte darum doch ein Motiv t r a d i t i o n e l l e r Apologetik des hellenistischen Christentums zum Vorschein kommen, wenn er gegen diesen Vorwurf seine (relative) Unabhängigkeit von Jerusalem und den dortigen Aposteln als den direkten Empfängern des Evangeliums behauptet. Die besondere Art der Autoritäten in Jerusalem hat offenbar im Laufe der Zeit gewechselt132. Zur Zeit der Bekehrung des Paulus waren die Autoritäten für ihn die Apostel; auch drei Jahre später hatte sich das nicht geändert, doch wird Petrus namentlich unter ihnen genannt. Offenbar fehlte eine rechtliche Autorität noch weitgehend. 14 Jahre später jedoch sieht das Bild anders aus. Die δοκονντες in Jerusalem sind nun ein Dreierkollegium, die στύλοι, nämlich Jakobus, Petrus und Johannes in dieser nicht zufälligen Reihenfolge. Wir erkennen in dieser Entwicklung ein Stück des Wandels von mehr charismatischer zu mehr rechtlicher Autorität133. 131 Der U r s p r u n g dieser judenchristlichen Gnosis liegt in der häretischen jüdischen Christusgnosis der vorchristlichen Zeit (s. S. 161 ff.). Die judenchristliche Gnosis b r a c h t e also die Ablehnung der jüdischen A u t o r i t ä t e n Jerusalems bereits a u s ihrer vorchristlichen Wurzel m i t . 132 H i e r gehe ich m i t G. Klein k o n f o r m , der die richtige E r k e n n t n i s (a.a.O. S. 48) : „ P a u l u s k o n n t e sich offenbar als solche άνθρωποι, zu denen die Gegner ihm ein Abhängigkeitsverhältnis a n d i c h t e n k o n n t e n , je n a c h der S i t u a t i o n . . . verschiedene Persönlichkeiten u n d Gruppen vorstellen' ', freilich n u r ungenügend verwertet. 133 I n seinem auf S. 71 A n m . 117 e r w ä h n t e n interessanten u n d die Probleme scharf fixierenden Aufsatz will G. Klein die mancherlei Schwierigkeiten, die in Gal. 2 , 1 - 1 0 begegnen, m i t der These lösen, d a ß ζ. Z. des ,Apostelkonzils' die δοκονντες noch keineswegs in Geltung s t a n d e n , sondern allein P e t r u s . P a u l u s soll in Gal. 2 die Z u s t ä n d e seiner Gegenwart in die Vergangenheit, v o n der er berichtet, eingetragen h a b e n ! Angesichts des Berichtes des P a u l u s in Gal. 2 ist diese These freilich durchaus willkürlich. Sie scheitert überdies schon d a r a n , d a ß P a u l u s sich da, wo er seine Apologie auf die Historie s t ü t z t , keine historische Ungenauigkeit solchen A u s m a ß e s leisten k o n n t e , wie G. Kleins These voraussetzt, u n d die v o n j e d e m Leser jederzeit festgestellt werden k o n n t e u n d seine ganze Apologie zunichte g e m a c h t h ä t t e . Mit a n d e r e n W o r t e n , die drei στΰλοι müssen, wie P a u l u s berichtet, d a m a l s als diese drei in Geltung gestanden h a b e n . N i c h t zufällig reist P a u l u s d a r u m j a a u c h mit zwei Begleitern nach Jerusalem. Vielleicht ließe sich über diese H y p o t h e s e reden — d a ß die charismatische A u t o r i t ä t des P e t r u s älter ist als die rechtliche A u t o r i t ä t der δοκονντες in J e r u s a l e m , ist doch sicher — , wenn G. Klein einen G r u n d f ü r die Verzeichnving der historischen Wirklichkeit d u r c h P a u l u s angeben könnte. D a z u ist er jedoch nicht in der Lage. D a z u k o m m t , d a ß die H y p o t h e s e gar nicht leistet, was sie leisten soll. Sie soll vor allem den Vers 6 verständlich m a c h e n , der ihr zufolge b e s a g t : „Die, die

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Der urchristliche Apostolat

Uns interessiert lediglich die charismatische Autorität der Apostel in der Frühzeit. Die Apostel sind die direkten Empfänger der Offenbarung. Paulus kann sich offenbar für die Zeit seiner Bekehrung keine andere bindende kirchliche Autorität, der er das Evangelium verdanken könnte, vorstellen, als die a p o s t o l i s c h e . Das ist angesichts seines Verständnisses vom Wesen des Apostelamtes freilich nur selbstverständlich und lediglich für den verwunderlich, der nicht bemerkt, daß der sogenannte historische Jesus und der Umgang mit ihm gänzlich außerhalb des theologischen Gesichtskreises des Paulus liegt. Man braucht darum keineswegs anzunehmen, daß der Vorwurf gegen Paulus konkret auf Abhängigkeit von den A p o s t e l n in Jerusalem lautete. Ebensowenig setzt die Darstellung des Paulus voraus, daß die Apostel nur oder auch nur vornehmlich in Jerusalem zu finden waren 134 . Als er drei Jahre später doch nach Jerusalem reist, ist jedenfalls außer Petrus kein Apostel in der Stadt (s. o.). Das dient Paulus zum Nachweis seiner Selbständigkeit, obschon es Apostel auch anderswo gibt ; aber die von Paulus primär zurückgewiesene Autorität ist eben die J e r u s a l e m s 1 3 5 , und dort bestimmte in der Frühzeit — wie in der ganzen Urkirche — eben ein charismatischer Apostolat. Schließlich ist es eine durchaus offene Frage, ob der B e g r i f f Apostel zur Zeit der Bekehrung des Paulus in J e r u s a l e m bereits in Gebrauch war. Es spricht alles dafür, daß dieser T i t e l in Gal. If. erst von Paulus auf die Glieder der Jerusalemer Gemeinde übertragen wurde, die ihn verdienten (s. S. 71 Anm 119; s. u. S. 84). Petrus ist der einzige, von dem wir sicher sagen können, daß er zu den Aposteln in Jerusalem gehörte. Es ist darüber hinaus nicht gänzlich ausgeschlossen, daß außer h e u t e in Geltung stehen — daß sie d a m a l s noch nichts galten, ist für mich ohne Belang; Gott urteilt nicht nach dem Äußeren des Menschen — mir haben die, die h e u t e in Geltung stehen, d a m a l s nichts auferlegt." Es liegt am Tage, daß solche Feststellung, die freilich dem Paulus niemand bestreiten wird, sinnlos und als Apologie absurd ist. Zudem kann ,ol δοκοΰντες' in V. 6 nur wie in V. 2 und in V. 9 verstanden werden, also: Die d a m a l s in Geltung standen. 134 „Jedenfalls ist es merkwürdig, daß Paulus hätte nach Jerusalem ziehen müssen, u m Apostel anzutreffen" (G. Saß [1] S. 104). Anders K. Holl [1] S. 934, der meint, daß man die Apostel, „wenn man sie finden w i l l , eben in Jerusalem findet". D e m schließt sich G. Klein (a.a.O. S. 45) seltsamerweise an. 135 Das berücksichtigt G. Klein (a.a.O. S. 45f.) nicht, wenn er seine Interpretation von Gal. l,15ff. auf der Feststellung aufbaut: „Wenn für Paulus der Gedanke einer Reise nach Jerusalem ohne weiteres den anderen einer Begegnung mit den dortigen Aposteln impliziert (17), so kann eine Reisetätigkeit dieser Apostel schwerlich das Normale gewesen sein . . ." I n Anm. 191 nennt er die These von der Reisetätigkeit der Apostel gar ,phantastisch' ! Solcher Kurzschluß läßt dann freilich keine andere Wahl, als vor dem Text zu kapitulieren : „Warum Paulus bei seinem ersten Besuch in Jerusalem außer Petrus keinen anderen der Apostel traf, bleibt eine Frage, auf die zur Zeit keine sichere Antwort möglich erseheint" (a.a.O. S. 46).

Die Heimat des urchristlichen Apostolats

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ihm noch andere Glieder des ehemaligen Zwölferkreises (oder andere Auferstehungszeugen der Urgemeinde) für Paulus die Bedingungen erfüllten, die zum Apostolat befähigten, und ihm deshalb Gal. l,17ff. vorschweben ; vielleicht Philippus (s. S. 248f.) oder Johannes (s. S. 249). Freilich nennt Paulus die στύλοι, die er während des .Apostelkonzils' besucht: Jakobus, Petrus und Johannes, n i c h t Apostel. Sie werden darum i n s g e s a m t diesen Titel auch nicht verdient haben. Zum Apostolat des Jakobus s. S. 53ff. Jedenfalls kann die Zahl der Apostel in Jerusalem nicht groß gewesen sein. V

Wir fassen zusammen. Uns beschäftigte die Frage, ob Paulus zwischen einem weiteren und einem engeren Apostelkreis unterscheidet. Für den letzteren käme dabei der Kreis der Zwölf, evtl. ergänzt durch Jakobus oder Paulus selbst, in Frage. Es hat sich ergeben, daß Paulus überhaupt keine 12 ,Apostel' kennt 136 , daß es also zu seiner Zeit auch noch keine 12 ,Apostel' gegeben hat, und dieses Ergebnis bestätigen die Synoptiker, die die Apostelbezeichnung für die Jünger erst lange nach Paulus übernommen haben 137 . Paulus kennt also nur einen einheitlichen Apostelkreis138, und das bedeutet, daß die frühe Christenheit auch nur einen Apostolat besessen hat 139 . Wenn wir im ersten Teil dieser Arbeit versucht haben, das Wesen des Apostolats des Paulus zu bestimmen, so läßt sich nun sagen, daß damit das Wesen des urchristlichen Apostolats schlechthin bestimmt worden ist ; denn daß Paulus sich dem größeren Apostelkreis grundsätzlich einordnet, wurde bereits vorne (S. 48f.) festgestellt. Alle Ausnahmen von dieser Regel müßten jedenfalls ausdrücklich bewiesen werden. Unsere letzten Untersuchungen vermögen nun aber auch einigen Aufschluß über die äußere Gestalt dieses Kreises zu geben. Sieht man von Petrus ab, der ja ursprünglich nicht zu der Schar der Apostel gehörte, so ergibt sich ein recht einheitliches Bild. 136

Es bedarf nach dem Gesagten wohl kaum noch des Hinweises darauf, daß natürlich auch l.Kor. 12,28 nicht, wie noch K. Holl a.a.O. S. 941 meinte, an die Zwölf gedacht ist: Gott hat in der Gemeinde als erstes die Apostel eingesetzt. "In fact, Paul never calls the Twelve 'Apostles' " (A. Fridrichsen a.a.O. Anm. 12). 137 Vgl. G. Saß [2] S. 236: „Vor Paulus und zur Zeit des Paulus . . . galt die Gruppe der Zwölf nicht als Apostel." 138 So auch mit Nachdruck H. Mosbech [1] S. 180f. 139 H. Mosbech [1] S. 180f. weist in Auseinandersetzimg mit K. Holl auch auf folgendes hin: Es ist schwer vorstellbar, daß der Titel ,άπόστολος' den gewöhnlichen Missionaren hätte gegeben werden können, wenn er ursprünglich exklusiver Titel der δώδεκα gewesen wäre, und daß später erneut wieder die ursprüngliche Beschränkung Platz gegriffen hätte.

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Der urchristliche Apostolat

Es handelt sich bei allen uns namentlich bekannten Aposteln um J u d e n c h r i s t e n . Das ergibt sich aus Phil. 3,5 (Paulus); Rom. 16,7 (Andronikus und Junias); Apg. 4,36f. und Gal. 2, Iff. (Barnabas); Apg. 15,22 (Silvanus). Man wird daraus schließen dürfen, daß der gesamte Apostelkreis sich ausnahmslos aus gebürtigen Juden zusammensetzte. Denn zur Zeit der Bekehrung des Paulus, der der letzte von ihnen war, hat es gewiß noch keine ausgedehnte Heidenmission seit so langer Zeit gegeben, daß bekehrte Heiden zum Apostelkreis stoßen konnten. Zugleich aber hat es sich bei allen Aposteln um griechisch sprechende Diasporajuden gehandelt. Bei Paulus bedarf das keines Beweises mehr. Die Familie des Barnabas stammte nach der zuverlässigen Angabe Apg 4,36 aus Zypern; sein Zuname140 Barnabas wird Bar-Nebo gedeutet, war also ein theophorer heidnischer Name 141 . Andronikus trägt einen beliebten altgriechischen Namen ; der Name Junias ist sonst nicht bezeugt, kann aber kaum etwas anderes sein als die gräzisierte Kurzform des geläufigen lateinischen Junianus 142 . Die beiden Apostel, die diese Namen tragen, halten sich in der griechisch sprechenden Gemeinde in Ephesus 143 auf und waren als Mitgefangene desPaulus (Rom. 16,7) zeitweilig auch seine Mitarbeiter bei der Heidenmission gewesen. Auch sie sind also hellenistische Juden. Silas ist ein aramäischer Name, der häufig bei Juden und Syrern begegnet144. Silvanus, wie Paulus den Silas in seinen Briefen nennt, ist zwar ein lateinischer Name, aber nicht das latinisierte Silas145; vielmehr „liegt einer der vielen Fälle vor, in welchen ein Jude neben seinem heimatlichen Namen einen anklingenden griechischen oder römischen Namen trug" 146 . Silas-Silvanus entspricht dem SaulusPaulus, dem Jesus-Justus (Kol. 4,11) und dem Joseph-Justus (Apg. 1,23). Auch Silvanus ist also nicht anders als Paulus und Barnabas hellenistischer und als Mitapostel von Paulus zweifellos griechisch sprechender Jude. Entsprechendes ist dann von den λοιποί απόστολοι zu vermuten. Daß dieser Kreis hellenistischer Juden in Jerusalem zu Hause sein soll, ist von vornherein unwahrscheinlich. Eine Bindung an die Jeru140

„Ιωσήφ δε ό επικλήσεις Βαρναβας"

(Apg. 4,36). 142 Siehe E. Haenchen a.a.O. ζ. St. Siehe die Kommentare. Ich hege keinen Zweifel daran, daß Rom. 16 ein Empfehlungsschreiben für die Phöbe nach Ephesus ist. 144 y g i T h Zahn, Einleitung I S. 22; E. Haenchen a.a.O. zu Apg. 15,22. 145 So E. Haenchen a.a.O. 146 Th. Zahn, Einleitung I S. 22. Zu diesen Problemen der mehrfachen Namensgebimg vgl. man G. A. Harrer in: Harvard Theological Review 33, 1940, S. 19-34 und dazu E. Haenchen a.a.O. zu Apg. 13,9; vgl. E. Dobschütz, Thessalonicherbriefe, Meyer X ' , 1909, S. 7; W. Hartke, Die Sammlung und die ältesten Ausgaben der Paulusbriefe, Diss. Bonn, 1917, S. 22. 141

143

Die H e i m a t des urchristliehen Apostolats

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salemer Autoritäten und die Verbindung mit der Urgemeinde dort — in welcher Form auch immer — steht natürlich außer Frage, aber bis zur Vertreibung des hellenistischen Gemeindeteils aus Jerusalem (Apg. 8,1) wird man sich weniger an die späteren στύλοι und ihren mehr oder weniger ,judaistischen' Anhang, als vielmehr an die hellenistische Gemeinde in Jerusalem gebunden gewußt haben147. Die nachherige Bindung an die Einfluß gewinnenden ,Judaisten' ist dann nicht ohne Belastung geblieben, wie die Auseinandersetzung, die Paulus stellvertretend für alle Heidenapostel mit den Jerusalemern führte, zeigt. Aber diese Verbindung mit Jerusalem bedeutet nicht, daß der Apostolat auch aus Jerusalem stammt. Vielmehr scheint die Heimat des Apostelkreises in genau dem Raum zu liegen, in dem Paulus seine Arbeit als Apostel beginnt: τά κλίματα της Συρίας καΐ της Κιλικίας (Gal. 1,21), und somit etwa von Damaskus über Antiochien als Mittelpunkt bis Tarsus gereicht zu haben148. Dahin verweisen alle Spuren. In diesem Bereich liegen Heimat, Bekehrungsort und erstes Tätigkeitsgebiet des Paulus, der Wert auf die Feststellung legt, daß er in den ersten 15 Jahren seines Apostolats nur einmal für 14 Tage in Jerusalem war und auch in Judäa zu dieser Zeit nicht geweilt hat (Gal. 1,17-2, l) 149 . Ebenso gehört Barnabas in diesen Raum150. Die zuverlässigeren Angaben der Apg. versetzen ihn nach Antiochien: Er holte Paulus nach dort (Apg. ll,25f.), wird von der antiochenischen Gemeinde zusammen mit Paulus mit 147 Man m u ß sich von der Vorstellung frei machen, neben der Judaistischen' Gemeinde in Jerusalem habe es keine andere Autorität dort geben können. Unter den δώδεκα könnten durchaus Hellenisten gewesen sein. Die Zwölf tragen in der Mehrzahl griechische oder gräzisierte N a m e n ! Aber auch ohne dem waren unter den Auferstehungszeugen Hellenisten, nämlich zumindest die Apostel, gewiß aber auch etliche der 500 Brüder (l.Kor. 15,6). Nur auf solche Zeugen dürfte sich aber in der frühesten Zeit die Autorität der Gemeinde in Jerusalem gestützt haben, denn davon, daß es zu solcher Autorität einer persönlichen Bekanntschaft mit dem historischen Jesus bedurft hätte, ist noch Paulus nichts bekannt. Übrigens wird die Entwicklung zum ausgesprochenen Judaismus erst verhältnismäßig spät eingesetzt haben. Die alte Jerusalemer Urgemeinde war nicht judaistisch. Petrus ζ. B. ist nie Judaist gewesen. 148 Die Geschlossenheit u n d Besonderheit des syrisch-kilikischen Raumes mit Antiochien ζ. Z. des Urchristentums wird z . B . durch Apg. 15,23.41 bezeugt. 148 D a ß Paulus während der E r m o r d u n g des Stephanus nicht als Mithelfer der Mörder in Jerusalem weilte, h a t mit Recht wiederum E . Haenchen a.a.O. S. 256ff. betont. Ebenso d ü r f t e die Bemerkung Apg. 22,3 unhistorisch sein, nach der Paulus bei Gamaliel in Jerusalem studiert h a t (vgl. E . Haenchen a.a.O. S. 559f. ; R . Bultmann R G G 2. Aufl. I V 1020f.). Durch Gal. 1,22 ist aber auch eine Verfolgung der Christen in J u d ä a durch Paulus ausgeschlossen (Apg. 8, Iff. ; 9, If.). 150 Κύπριος τω γένει meint die völkische (nicht rassische) H e r k u n f t des Barnabas u n d setzt nicht voraus, daß Barnabas selbst noch in Zypern geboren war, erst recht nicht, daß er dort wohnte (vgl. Apg. 18,2.24).

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Der urchristliche Apostolat

einer Kollekte nach Jerusalem gesandt (Apg. l l , 2 7 f f . ) und wird von Antiochien aus auf Missionsreise geschickt (Apg. 13, Iff.). Daß der .Jerusalemer' Barnabas den gerade bekehrten Paulus bei den mißtrauischen Aposteln einführt (Apg. 9,27), ist dagegen ebenso unhistorisch 1 5 1 wie seine Inspektionsreise nach der neugegründeten Gemeinde in Antiochien (Apg. l l , 2 2 f f . ) , durch die es Lukas gelingt, den ,Jerusalemer' Barnabas von Jerusalem nach Antiochien zu versetzen, das er dann nicht mehr verläßt 1 5 2 . Möglicherweise hat der Zypriote Barnabas zu den άνδρες Κύπριοι (Apg. 11,20) gehört, die die Gemeinde in Antiochien gründeten 1 5 3 . Daß er vorher dem Stephanuskreis angehört hat 1 5 4 , ist damit freilich noch nicht gesagt; denn die Mission ist sicherlich nicht die Folge, sondern die Ursache der Verfolgung des hellenistischen Gemeindeteils in Jerusalem gewesen (s. u.), so daß die Notiz Apg. 11,19 den Sachverhalt verzeichnet. Auch Gal. 2,1. 9. 13 gilt Barnabas ebenso eindeutig als Antiochener wie als Nicht-Jerusalemer 1 5 5 . Die Heimat von Andronikus und Junias, den Mitgefangenen des Paulus und deshalb doch auch Mithelfern auf seinem Missionsgebiet, wird man ebenfalls in Antiochien und Umgebung, dem Ausgangspunkt der paulinischen Mission, suchen müssen. Silas schließlich schließt sich Paulus in Antiochien zur sogenannten 2. Missionsreise an (Apg. 15,40). Das ist eine klare und glaubwürdige Aussage. Schlecht damit ist zu vereinbaren, wenn Silas nach Apg. 15,22. 27. 32 von Jeru151 Ygi. e . Haenchen a.a.O. S. 289f. Erstens ist Paulus nach seiner Bekehrung gar nicht nach Jerusalem gereist, wie er uns Gal. 1,17 ausdrücklich versichert. Bei seiner drei J a h r e später erfolgten ersten Reise nach dort hat man ihn aber bestimmt nicht mehr gefürchtet. Zweitens ist nicht zu verstehen, warum ausgerechnet dem Barnabas in Jerusalem die Wahrheit über Paulus bekannt gewesen sein soll. 152 Aus Apg. 4,36 f. schließt Lukas offenbar, daß Barnabas ursprünglich in Jerusalem ansässig gewesen sei. Er mußte ihn also wegen seiner späteren Tätigkeit in Antiochien auf irgendeine Weise nach dort versetzen. Nun ist freilich der Schluß aus Apg. 4,36 f. keineswegs erforderlich, daß Barnabas ein Jerusalemer Gemeindeglied war, als er den Erlös seines Ackers der Jerusalemer Gemeinde zur Verfügung stellte. Daß es sich bei diesem Verhalten des Barnabas u m eine ungewöhnliche Angelegenheit und keineswegs um einen Regelfall gehandelt hat, hat E. Haenchen (a.a.O. S. 195) sehr richtig bemerkt. Ich bin geneigt, diesen Fall ähnlich wie die sonstigen Abgaben aus den verstreuten Gemeinden nach Jerusalem anzusehen (Apg. 11,30; Gal. 2,10), die gerade nicht v o n Jerusalemern, sondern d e n Jerusalemern dargebracht wurden. 153 Siehe E . Haenchen a.a.O. S. 322. 154 E. Haenchen a.a.O. S. 322 wegen Apg. 11,19. 155 Ansprechend und gut begründet ist die Vermutung von E . Schwartz (NGG 1907, S. 282 Anm. 1), daß Barnabas ursprünglich in der Vorlage stand, die Lukas Apg. 13, Iff. verwertet. Dann wäre vollends deutlich, daß es allein Lukas ist, der Barnabas auf den Jerusalemer Schauplatz versetzt. Grundlage der Vermutung von E. Schwartz bildet die These, daß die unmögliche lukanische Deutung des Namens Barnabas als ,Sohn des Trostes' (Apg. 4,36) auf der irrtümlichen Verwendung einer den Manaen ( = Menachem, der Tröster, Apg. 13,1) betreffenden Notiz beruht.

Die Heimat des urchristlichen Apostolats

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salem mit dem ,Aposteldekret' nach Antiochien gesandt wird und — vor der Abreise mit Paulus — wieder nach Jerusalem zurückkehrt. Der westliche Text berichtigt diesen Fehler der Darstellung durch den mit Vers 33 unvereinbaren Zusatz Vers 34: „Es gefiel aber Silas dazubleiben." Aber: „Lukas hat von Silas in V. 22. 27. 32 nur erzählt, um den Leser auf dessen Teilnahme am paulinischen Missionswerk vorzubereiten" 158 , nicht aber, um historische Notizen getreulich zu tradieren. Die Abfassung des ,Aposteldekrets' auf dem sogenannten Apostelkonzil scheitert rundweg an Gal. 2,6 ; darüber können keine apologetischen Finessen hinwegtäuschen. Damit wird aber natürlich auch die Bemerkung hinfällig, daß Silas dieses ,Dekret' in Gegenwart des Paulus nach Antiochien gebracht hat. Auch Silas ist also zuverlässig nur in Antiochien nachgewiesen. Bei allem schuldigen Respekt, den die Apostel vor der Gemeinde in Jerusalem haben, und aller Anerkennung zumindest der moralischen Autorität der Stadt auf dem Zion werden sie dennoch keine Jerusalemer. Sie sind hellenistische Juden, die in und um Antiochien, der eigentlichen Missionszentrale der Urchristenheit, leben und dort und später von dort aus ihren Dienst tun. I n Jerusalem trifft man sie normalerweise nicht an (Gal. 1,18 ff. ; s. S. 76). Wer den Ursprung des urchristlichen Apostolats nach Jerusalem verlegt, räumt auch dann Antiochien wenigstens in der Entwicklung des Apostelbegriffs eine bedeutende Stellung ein. K. H. Rengstorf z. B. ([1] 436, 33ff.) hält es für wahrscheinlich, daß in Antiochien das griechische Wort απόστολος für das aramäische xrpVttf in Gebrauch kam, das in der Urgemeinde den Apostel bezeichnet haben soll (s. dazu S. 87 ff.). H. Mosbech, der richtig die δώδεκα für keine ursprünglichen Apostel hält, verlegt dagegen mit Recht den U r s p r u n g des Apostolats nach Antiochien ([1] S. 188). Nicht anders auch Kirsopp Lake (a.a.O. S. 50); F. Kattenbusch (a.a.O. S. 339 Anm. 1). Der apostolische Dienst war — das muß nun an dieser Stelle auch gesagt werden — sehr früh und jedenfalls schon vor der Bekehrung des Paulus 157 Dienst auch in der gesetzesfreien Heidenmission. Die Apostelgeschichte läßt das durchblicken, wenn sie die erste Heidenmission nach Antiochien verlegt (Apg. ll,20f.) und behauptet, diese Mission sei durch Angehörige der vertriebenen Stephanusgemeinde erfolgt. Daß die Heidenmission in Antiochien begann, ist gewiß rich158

E. Haenchen a.a.O. z. St. Paulus selbst behauptet nie, der erste Heidenmissionar gewesen zu sein; vgl. A. v. Harnack [1] I S. 49. Er hat ja auch in seiner jüdischen Zeit gewiß nicht die ,Judais ten' verfolgt, die sogar in Jerusalem geduldet wurden, sondern die gesetzesfreien Christen jüdischer Herkunft, 157

β 7S01 Schmithala, Apostelamt

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Der urchristliche Apostolat

tig iss j ) a ß gj e e r s t nach dem Martyrium des Stephanus einsetzte, halte ich dagegen für unrichtig. Warum sind die Hellenisten aus Jerusalem vertrieben worden, während die Judaisten in Frieden dort bleiben konnten? Was war also der eigentliche Kern des blutigen Streites zwischen den hellenistischen Juden (Apg. 6,9) und den Judenchristen 159 ? Nach der Darstellung der Apg. hat Stephanus lästerliche Reden gegen das Gesetz und den Tempel geführt. Aber die Zerstörung des Tempels in der letzten Zeit ist eine keineswegs häretische Vorstellung der spätjüdischen Apokalyptik 160 , und über das Gesetz hat man auch stets diskutieren dürfen 161 und hat man auch bei den. ,Judaisten' diskutiert, die ungeschoren blieben. Grund des Aufstandes gegen die Judenchristen kann doch nur gewesen sein, was auch später die Streitigkeiten zwischen Juden und Christen bzw. die Auseinandersetzungen in der Urgemeinde selbst bestimmte : die Frage der gesetzesfreien Mission162. Und in dieser Frage muß der Kreis um Stephanus die spätere Überzeugung des Paulus bereits geteilt haben 163 . Es gab also bereits vor den Ausschreitungen gegen die hellenistischen Judenchristen Jerusalems eine christliche Mission, die darauf verzichtete, die Beschneidung zu fordern und die damit das Christentum grundsätzlich aus dem Verband des Judentums loslöste. Der jüdische Protest dürfte sich dabei weniger gegen die Heidenmission gerichtet haben, gegen die man von jüdischer Seite kaum ein ernsthaftes Argument vorbringen konnte, als vielmehr gegen die damit fast zwangsläufig verbundene Loslösung auch der J u d e n christen vom Zwang des Gesetzes und gegen die gesetzesfreie Judenmission als Folge der gesetzesfreien Heidenmission. 158 Die zuverlässige Notiz Apg. 11,26 sagt, daß in Antiochien zuerst der Name ,Christen' aufgekommen sei. Das ist doch wohl ein Beweis dafür, daß sich die Christengemeinde zuerst in Antiochien, der drittgrößten Stadt des römischen Reiches, deutlich von den Juden abhob; vgl. A. v. Harnack [1] I S. 55. 169 Bei dieser Frage versagt die vorzügliche Untersuchung E. Haenchens zu der Stephanusüberlieferung in seinem Kommentar a.a.O. S. 226. 160 Siehe R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, S. 88 Anm. 7. Vgl. G. Friedrich, Messianische Hohepriestererwartung in den Synoptikern, ZThK 1956, S. 289ff. Auch gegen den b e s t e h e n d e n Tempelkult haben z. B. die Essener selbst in Judäa polemisieren können, ohne deswegen von den jüdischen Behörden verfolgt zu werden. 161 Vgl. A. v. Harnack [1] I S. 51. Selbst von dem Jesus der Synoptiker gilt: „Seine kritische Gesetzesinterpretation steht . . . trotz ihres Radikalismus innerhalb der schriftgelehrten Diskussion" (R. Bultmann [1] S. 35). 162 Dann erklärt sich auch, daß die Verfolgung von den hellenistischen Juden ausging, zumal von denen aus Asien und Kilikien, wo die christliche Mission inzwischen begonnen haben mag. Wären die von Lk. angegebenen Gründe für die Verfolgung der Hellenisten maßgeblich gewesen, so hätte man doch damit rechnen müssen, daß die jüdische Oberbehörde in Jerusalem eingriff. 163 Die gleiche Ansicht vertritt G. Klein in seiner gründlichen Besprechung des Apg.-Kommentars von E. Haenchen in ZKG 1957 S. 368.

Die Heimat des urchristlichen Apostolats

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Ich möchte dabei nicht annehmen, daß der Antrieb zu solcher Mission von der hellenistischen Urgemeinde in Jerusalem selbst ausging. Die Apostelgeschichte hat durchaus recht, wenn sie Anfang und Ursprung dieser revolutionären Neuerung nach Antiochien verlegt. Aber die hellenistische ,Aufsichtsbehörde' in Jerusalem muß im Gegensatz zu dem judaistischen Teil der Urgemeinde dieses Vorgehen gebilligt und — zumindest theologisch — unterstützt haben. Diese Unterstützung 164 erscheint dann bei Lukas, der den Sachverhalt nicht mehr durchschauen will oder durchschaut, in der Form von „Reden gegen diesen Heiligen Ort und das Gesetz" (Apg. 6,13). Die ersten Heidenmissionare sind nach Apg. 11,20 άνδρες Κύπριοι και Κνρηναϊοι gewesen. Einige von ihnen werden in der zuverlässigen Liste Apg. 13,1 mit Namen genannt: Barnabas, Simeon mit dem Zunamen Niger, Lukios aus der Cyrenaika, Manaen, der mit Herodes Antipas großgezogen wurde, und Saulus. Keiner von ihnen gehört zu den sieben,Diakonen', die aus Jerusalem weichen mußten ! Sie sind nach der Apg. 13,1 verwerteten Tradition vielmehr alle in ihrem syrisch-kilikischen Wirkungskreis zu Hause. Von Barnabas und Paulus wurde das bereits an Hand der von ihnen erhaltenen genaueren Überlieferung festgestellt. Einen σύντροφος des Herodes Antipas wird man auch eher in Antiochien als in Jerusalem suchen müssen. Und für die in Antiochien lebenden Cyrenäer Lukios und Simeon165 Jerusalem als Zwischenstation anzunehmen, ist wenig wahrscheinlich. Stammt die Bezeichnung ,Propheten und Lehrer' (Apg. 13,1) für diese Leute aus der Quelle des Lukas, so weist auch das nicht nach Jerusalem, sondern in den syrischen Raum. Die Heidenmission ist also ein selbständiges Unternehmen der antiochenischen Christen 1ββ . Sie begann in demselben Raum, in dem der Apostolat zu Hause ist und wurde von Paulus ebenso wie von den aus Jerusalem vertriebenen Hellenisten dort schon vorgefunden. Wenn Lukas es Apg. 11,19 ff. so darzustellen versucht, als seien es im Grunde die Jerusalemer gewesen, die auch die Heidenmission zuerst 164 Ob Nikolaos, der Proselyt aus Antiochien, die Brücke von Antiochien zu den Hellenisten in Jerusalem geschlagen hat? Seine Person kann nicht unbedeutend gewesen sein, wenn man aus dem Kreis der Sieben nur von ihm die Herkunft im Gedächtnis behalten und überliefert hat. Auch ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, daß sich die gnostische Sekte der Nikolaiten (Offb. 2,6.15) auf i h n — mit Recht oder Unrecht — berufen hat, wie alte Traditionen behaupten (s. bei Bo Reicke, Glauben und Leben der Urgemeinde, S. 121 Anm.

10).

165 Simeons Beiname ,Niger' dürfte nach Nordafrika verweisen. Vgl. E. Haenchen a.a.O. S. 316. Anders Th. Zahn, Einleitung II S.257f. Ihn mit dem aus der Passionsgeschichte bekannten Simon von Kyrene zu identifizieren (F. Spitta, Die Apostelgeschichte, S. 134), ist eine nicht ganz von der Hand zu weisende Vermutung, aber auch nicht mehr. 166 Zum geistigen Ursprung dieser revolutionären Tätigkeit s. u. S. 188 ff. 6*

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Der urchristliche Apostolat

betrieben hätten, so entspricht das seiner Tendenz, die ,Urapostel' zu den verantwortlichen Trägern der gesamten Entwicklung der Urkirche zu machen. Das zuletzt Gesagte macht es nun abschließend noch einmal deutlich, warum Petrus — und erst recht Jakobus — ursprünglich nicht zu den Aposteln zählt, sondern Paulus ihn unberücksichtigt läßt, wenn er l.Kor. 9,5 und 15,7 von den Aposteln insgesamt spricht. Das liegt nicht nur daran, daß er verhältnismäßig spät167 in den missionarischen Dienst eingetreten ist1β8. Vielmehr hatte Petrus zu dem urchristlichen Apostelkreis keine sachliche Beziehung. Er gehört nach Jerusalem und nicht nach Antiochien; er ist kein hellenistischer Jude und wird kaum von Hause aus griechisch gesprochen haben ; er ist in der Heidenmission nie aktiv gewesen. Nur im Blick auf seine Tätigkeit in der Judenmission kann Paulus auch ihm, dessen,Offenbarung Jesu Christi' ja feststeht, die Berufsbezeichnung eines Apostels geben169. Das war um so eher möglich, als sich Paulus inzwischen durch seine einzigartige Tätigkeit aus dem Apostelkreis heraushob und die ökumenische Judenmission des Petrus der weltweiten Durchführung der Heidenmission des Apostels Paulus als einzig Vergleichbares an die Seite rückte (Gal. 2,8) 170 . Die απόστολοι bilden also bis in die späte Zeit des Paulus hinein eine relativ geschlossene, eindeutig zu lokalisierende und vornehmlich durch Paulus in ihrem Wesen gut erfaßbare Gruppe von Missionaren. Auf Grund dieser Erkenntnis läßt sich jetzt versuchen, die bereits am Ende des ersten Teils unserer Untersuchung aufgeworfene Frage nach dem Ursprung und der Herkunft dieses Apostolats zu beantworten. Denn daß der lirchristliche Apostelbegriff keine originale Schöpfung der Urchristenheit ist, wurde schon konstatiert. 167

Zumindest gilt ja für Petrus nicht, was für Paulus galt: Die Identität von Bekehrung und Berufung zum Missionar. 168 Die — verhältnismäßig späte— organisierte missionarische Aktivität der judenchristlichen Urgemeinde in Jerusalem innerhalb der Diaspora ist gewiß erst durch die Erfolge der von Antiochien ausgehenden Heidenmission ausgelöst worden. Antiochien ist also die Heimat der christlichen Weltmission überhaupt. 1,9 So mit Recht schon E. Lohse [1] S. 269: „Paulus versteht also auch das Apostelamt des Petrus von seinem eigenen Amt her" und: „Als Apostelamt dürfte es (sc. das missionarische Amt des Petrus) erst durch Paulus bezeichnet worden sein." Vgl. auch G. Schulze-Kadelbach in ThLZ 1956 Sp. 7 Anm. 35; A. Fridrichsen a.a.O. Anm. 12. Anders G. Klein a.a.O. S. 54f. 170 Freilich ist damit zu rechnen, daß außer Petrus und Jakobus auch andere Auferstehungszeugen der Jerusalemer Gemeinde wegen ihrer missionarischen Tätigkeit den Titel .Apostel' verdienten, ohne daß wir etwas von ihnen wissen. Immerhin könnten sich unter den Gal. 1,17ff. genannten Aposteln solche Leute befunden haben.

DRITTER

TEIL

Der Ursprung des urchristlichen

Apostolats

I Die Belege für den außerchristlichen Gebrauch von απόστολος sind seit J. B. Lightfoot so oft und gründlich untersucht, so vollständig gesammelt und so häufig vorgelegt worden 1 , daß wir uns bei diesem Abschnitt des dritten Teils unserer Arbeit kurz fassen können. 1. In der Profangräzität ist απόστολος Fachwort der Schiffahrtssprache. Ursprünglich Adjektiv (Plat. Ep. VII 346a: & τοις αποστόλοις πλοίοις πλεΐν), bezeichnet το άπόστολον einfach das S c h i f f (Pseud. Hdt. Vita Horn. 19). δ άποστόλος ist dann die A u s s e n d u n g e i n e r F l o t t e (Lys. Or. 19,21; Demosth. Or. 18,107) oder die F l o t t e n e x p e d i t i o n selbst (Demosth. Or. 18,80; vgl. 3,5) 2 . Schließlich wird die ausgesandte S c h a r v o n K o l o n i s t e n (Dion. Hal. Ant. Rom I X 59) wie auch der B e f e h l s h a b e r e i n e r F l o t t e n e x p e d i t i o n ebenso genannt (Hesychius: απόστολος• στρατηγός κατά πλουν πεμπόμενος; vgl. Anecdota Oraeca ed. Bekker 217,26). Man vgl. auch die Definition bei Suidas: απόστολος δ εκπεμπόμενος μετά στρατιάς και παρασκευής είς πόλεμον. In den Papyri ist die Abstraktion des Begriffes noch weiter getrieben. Hier begegnet απόστολος im Sinne von B e g l e i t b r i e f oder Lieferschein (P. Oxy I X 1197, 13; weitere Stellen bei Preisigke Wort. I 195 und W. Bauer [2]), einmal auch als R e i s e p a ß (BGU V 64). Daß dieser Sprachgebrauch mit der technischen Verwendung von απόστολος in der Urchristenheit nichts zu tun hat, wird allgemein festgestellt und von K. H. Rengstorf [1] 407,17fif. mit Recht betont. 2. Es gibt aber auch einige Stellen, an denen απόστολος allgemeiner und auch in der persönlichen Bedeutung ,Gesandter' begegnet. Auf Hdt. 1,21 hat schon J. B. Lightfoot verwiesen: ó μεν δη απόστολος ες την Μίλητον ην. Hdt. V, 38 heißt es von Aristagoras : αυτός ες Λακεδαίμονα 1

Κ. Η. Rengstorf [1] 406ff.; Η. Lietzmann Η NT zu Rom. 1,1; H. Mosbech [1] S. 166ff.; W. Bauer [2]; W. Seufert a.a.O. S. 6ff.; G. Saß [1] S. l l f . ; J. B. Lightfoot a.a.O. S. 92ff. 2 Posidonius s. W. Bauer [2]. Die für die Aussendung verantwortlichen Beamten heißen άποστολεϊς; s. bei Pauly-Wissowa 2, 1 Sp. 182.

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Der U r s p r u n g des urchristlichen Apostolats

τριήρεϊ απόστολος εγίνετο, eine Stelle, die eine Brücke zu schlagen scheint zwischen dem techn. Gebrauch von απόστολος bei der Schifffahrt und der allgemeinen Verwendung des Wortes. Das gleiche mag von dem Vorkommen bei Josephus (Ant. 17,300) gelten, wo απόστολος die A b s e n d u n g 3 v o n G e s a n d t e n nach Rom bezeichnet, die notwendigerweise mit dem Schiff fahren mußten. . G e s a n d t s c h a f t ' bedeutet απόστολος auch Ant. 1,146, wo es als Lesart neben άποδασμός erscheint. In der L X X begegnet das Wort einmal, und zwar l.Kön. 14,6, wo der Prophet sich der Frau Jerobeams mit den Worten vorstellt : εγώ είμι απόστολος πρός σε σκληρός. Hier bedeutet απόστολος eindeutig ,Gesandter' 4 . Auch Symmachus hat das Wort einmal, und zwar wieder in Verbindung mit der Schiffahrt; er übersetzt Jes. 18,2 TS mit απόστολος, während die L X X δμηρον hat. Der Ausdruck bezeichnet die äthiopischen Gesandten, die auch Jerusalem besuchten. Hierher gehören auch die Stellen des NT, an denen απόστολος nicht im technischen Sinne gebraucht wird: Joh. 13,16 5 ; Phil. 2,25 6 ; 2.Kor. 8,23 e und vielleicht Lk. 11, 49 7 und Mk. 6,30 8 . Keine dieser Stellen zeigt einen technischen Gebrauch des Wortes απόστολος, der für den urchristlichen Apostelbegriff hätte vorbildlich werden können. Damit scheinen Griechentum und hellenistisches Judentum als Quellort des neutestamentlichen Apostolats auszuscheiden. Bemerkenswert aber ist, daß das Wort άποστολος = Gesandter für griechische Ohren immerhin verständlich war. Das zeigen auch die Stellen aus dem 2. Jahrhundert, die H. v. Campenhausen ([1] S. 100; 3 A. v. H a r n a c k [1] I S. 314 A n m . 3 übersetzt freilich persönlich u n d l ä ß t Varus, das H a u p t der jüdischen G e s a n d t s c h a f t n a c h R o m , άτιόστολος g e n a n n t sein. So auch K . L a k e a.a.O. S. 46. J e d o c h zu U n r e c h t . 4 Die Stelle fehlt freilich im Vaticanus, so d a ß die Möglichkeit einer späteren E n t s t e h i m g offenbleiben m u ß (vgl. A. E h r h a r d t a.a.O. S. 17). 6 Diese Stelle ist die einzige, a n der bei J o h . das W o r t ,άπόστολος' begegnet. Möglicherweise h a n d e l t es sich u m die Wiedergabe einer jüdischen F o r m e l (so Κ . H . Rengstorf [1] 421,40ff.). Aber a n der einzigen rabbinischen Parallele, die Κ . H . Rengstorf a n f ü h r e n k a n n (Gn r 78 zu 32,26), begegnet der rabbinische t e r m , t e c h n . f ü r Gesandter, nicht (s. A. E h r h a r d t a.a.O. S. 18f.). Somit

ist es also keineswegs sicher, d a ß , άπόστολος' J o h . 13,16 einfach Übersetzung v o n ,ΓΡ'ίΒΡ ist. E s k a n n a u c h ein allgemeinerer Sprachgebrauch vorliegen. « Siehe S. 50. 7 Diese Stelle e n t s t a m m t m i t fast völliger Sicherheit einem jüdischen Weisheitsbuch u n d w a r v o n der Quelle des L u k a s bereits a u f g e n o m m e n worden (vgl. Mt. 23,34ff.). W e n n , was nicht ausgeschlossen ist, das ,απόστολοι' L k . 11,49, das M a t t h ä u s nicht h a t , v o n L u k a s n i c h t im Blick auf die christlichen (12) Apostel eingefügt worden ist, läge ein verhältnismäßig f r ü h e s Zeugnis f ü r den vorchristlichen Gebrauch v o n ,Απόστολος' in allgemeiner persönlicher B e d e u t u n g vor (vgl. Η . v. Campenhausen [1] S. 102; E . H a u p t a.a.O. S. 107 f.; G. Klein a.a.O. S. 33). 8 Siehe S. 63.

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vgl. ebd. S. 109 Anm. 3) zum Erweis dieser Behauptung zitiert. Der Sprachschatz der Koine ist zudem reichhaltiger und umfassender gewesen, als unsere Quellen noch erkennen lassen. Wenn Hdt. und Josepus, LXX und Symm., Paulus und Johannes und die jüdische Apokalyptik (Lk. 11,49) wenigstens gelegentlich απόστολος im allgemeinen Sinne als ,Bote' verwenden und überzeugt waren, die griechischen Leser würden das Wort verstehen, so kann der gleichsinnige technische Gebrauch des Wortes im NT doch nicht „etwas völlig Neues für griechische Ohren" gewesen sein, wie Κ. H. Rengstorf [1] 407,30 meint. II Immerhin : ein Vorbild für den ntl. Apostolat finden wir unter den απόστολοι der gesamten heidnischen Literatur griechischer Sprache nicht. So müssen wir denn unseren Blick auf das zeitgenössische Judentum richten 9 . Dort findet sich die Gestalt des rrVitf10, auf die schon J . B. Lightfoot (a.a.O. S. 93) hingewiesen hat und die heute weithin als unmittelbares Vorbild des urchristlichen Apostels gilt. Κ. H. Rengstorf spricht von dem „spätjüdischen Rechtsinstitut des rrVtp" [1] 414,1, aber dieser Ausdruck darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der institutionelle Charakter der Tätigkeit der ffWiVtf oft recht wenig greifbar ist. So kommt es, daß es erheblich verschiedene Ausprägungen des n'Vtf sind, auf die die einzelnen Forscher sich berufen. Auch wird nicht immer genügend darauf geachtet, ob an den angeführten Belegstellen für rpbü dieser Begriff wirklich im technischen Sinn begegnet — denn allein so kommt er als Vorbild für den ntl. Apostelbegriff in Frage. Schließlich muß man sich mehr als üblich davor hüten, Gesandte oder Gesandtschaften im Judentum auch dann dem Institut des IT1?© beizuordnen, wenn der Begriff selbst fehlt. Aussendungen sind etwas alltägliches und nur ausnahmsweise institutionell geordnet. Wenn man das beachtet, läßt sich an Hand der Quellen und bei Benutzung der recht unübersichtlichen Literatur über den ΓΓ1?® ein einigermaßen klares Bild dieses spätjüdischen Gesandten gewinnen. 9 Daß ganz allgemein unsere Aufmerksamkeit dem Orient gelten muß, zeigt die einfache Tatsache, daß die orientalischen Sprachen jeweils ein eigenes Äquivalent für ,άπόστολος' haben, während im Lateinischen ,apostolus' als Fremdwort erscheint. 10 „Das ist die gewöhnliche F o r m ; im Plural und mit Suffixen wird JTlVttf - τ 1 gebraucht (Str.-B. I I I 2), während aram. ΗΓΡ ?© entspricht" (Κ. H . Rengstorf T : [1] 414 Anm. 50). "

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1. Als eine besondere Ausprägung des Schaliach, der A. v. Harnack [1] I S. 314ff. seine Aufmerksamkeit zugewandt hat, stellen sich die Apostel vor, die der palästinische Patriarchat auszusenden pflegte. Die Quellen dafür sind folgende : Euseb zu Jes. 18, If. 1 1 : „Wir fanden in den Schriften der Alten 12 , wie die in Jerusalem wohnhaften Priester und Ältesten des jüdischen Volkes Briefe schrieben und sie an alle Völker zu sämtlichen Juden schickten und die Lehre Christi verleumdeten." Die Überbringer dieser Briefe werden dann απόστολοι αυτών genannt, und schließlich heißt es : „αποστόλους δε εισέτι και νυν εϋος εστίν Ιουδαίο ις όνομάζειν τους έγκνκλια γράμματα παρά των αρχόντων αυτών επικομιζομένους." Während Euseb die Aufgabe der zeitgenössischen jüdischen Apostel nicht näher beschreibt, weil er uns über den Inhalt der Briefe nichts sagt, erfahren wir Näheres bei Epiph. Haer. 30,4. Epiphanius berichtet von einem gewissen Joseph aus Tiberias, der zu einer Gruppe jüdischer Würdenträger gehörte, die folgendermaßen beschrieben werden: ,,είσί δε ούτοι μετά τον πατριάρχην απόστολοι καλούμενοι, προσεδρεύουσι δε τω πατριάρχη και συν αντω πολλάκις και εν νυκτί και εν 'ημέρα συνεχώς διάγουσι διά το συμβουλενειν καϊ άναφέρειν αντω τά κατά τον νόμον."13 In 30,11 wird dann weiter erzählt, wie Joseph die segensreiche Tätigkeit της αποστολής empfangen habe und darauf mit entsprechenden Schriftstücken nach Cilicien gesandt wurde, um von den Juden jeder Stadt den Zehnten und die Erstlinge nach Jerusalem zu bringen. Neben dieser Sammlung kümmerte er sich in apostolischer Vollmacht um die inneren Zustände in den Gemeinden, entsetzte Synagogenvorsteher und Älteste usw. Dem entspricht Codex Theodosianus XVI 8,14: „Superstitionis indignae est, ut archisynagogi sive presbyteri Judaeorum vel quos ipsi apostolo s vocant, qui ad ezigendum aurum atque argentum a patriarcha certo tempore diriguntur" usw. Auch der Zusammenhang von Jul. Ep. 25 lehrt, daß Julian an die finanzielle Seite der apostolischen Tätigkeit der jüdischen Boten denkt, wenn er τψ λεγομένψ παρ' ΰμϊν άποστολήν erwähnt. Hieronymus (zu Gal. 1,1) berichtet nur: „Usque hodie a patriarchis Judaeorum apostolos mitti soient", 11 Das ist die Stelle, an der bei Symmachus ,απόστολος' begegnet. Sie lautet (nach Kautzsch) : „Wehe dem Land des Flügelgeschwirrs, und dem Volke der Kraft und des Niedertretens, das auf dem Nil und in Papyruskähnen Boten (LXX δμηρα, Symm άπόστολοι) über das Wasser entsandte ! Geht hin, ihr schnellen Boten (άγγελοι), zu dem hochgewachsenen und blanken Volke . . ." Euseb bezieht die άπόστολοι auf die falschen jüdischen Apostel, die άγγελοι auf die christlichen Apostel. 12 Diese Quelle und ihre Zuverlässigkeit sind uns nicht bekannt. Daß sie den Begriff ,άπόστολος' schon enthielt, ist trotz gegenteiliger Behauptungen (s. H. Lietzmann zu Rom. 1,2) keineswegs sicher. Möglicherweise ist Justin diese Quelle (s. u.). 13 Vgl. Prokop zu Jes. 18,2 (MSG 87 S. 253).

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aber seine Ausführungen sind deshalb wichtig, weil er als Bezeichnung dieser Apostel „Slias" angibt 14 , und das ist das latinisierte NrrVtf (vgl. K. H. Rengstorf [1] 414, Anm. 52). Diese Stellen sind klar und im Entscheidenden unzweideutig. Es gab jüdische Apostel, die vom Jerusalemer Patriarchat ausgesandt wurden und deren vornehmste Aufgabe es war, die Abgaben für die Zentralbehörde zu erheben, die aber zugleich autorisiert waren, die aufsichtsbehördlichen Befugnisse Jerusalems wahrzunehmen 15 . Verfehlt ist es freilich, wenn man die Angaben von Justin Dial. 17,1; 108,2f. (vgl. 117,3) über die Aussendung jüdischer Gegenmissionare mit heranzieht, und dann womöglich noch auf Apg. 28,21 und 9, l f . ; 22,4f. ; 26, lOf. verweist 16 . An allen diesen Stellen begegnet der Begriff ,Apostel' überhaupt nicht. Justin wird von der Apg. oder von deren Traditionen abhängig sein 17 , Euseb im ersten Teil seiner oben angeführten Äußerungen („aus den Schriften der Alten") von Justin, und die Darstellung bei Justin und der Apg. selbst ist unhistorisch 18 . Daß jüdische Verleumdungen viel zur Verfolgung der Christen beitrugen und Juden sich an den Verfolgungen beteiligten, ist zwar richtig 19 , aber daß offizielle Boten aus Jerusalem die Diaspora zu einer Zeit über die Gefährlichkeit der Christen aufklären mußten, zu der der Strom der Pilger zum Tempel nicht abriß, ist ebenso unwahrscheinlich wie die Annahme, die Juden in Rom hätten zur Zeit von Apg. 28,21 noch nichts von Paulus gehört. Über ,Apostel' zur Bekämpfung der Christen wissen wir also tatsächlich nichts. Kann aber nun jener oben beschriebene Apostolat der Zentralbehörde Vorbild des urchristlichen Apostolats sein? Das ist schon deshalb ausgeschlossen, weil er vor 70 n. Chr. — jedenfalls in dieser Form — nicht existierte. Darauf hat mit Nachdruck H. Vogelstein [1] 1905 und wiederholt [2] 1925 hingewiesen 20 , und wenn ich recht sehe, hat sich seine Überzeugung allgemein durchgesetzt 21 . Erst als 14 „Apostolus autem, hoc est missus, Hebraeorum proprie vocabulum est, quod Slias quoque sonai, cui a mittendo missi nomen impositum est... Aiunt Hebraei inter ipsos quoque prophetas et sanctos viros esse quosdam, qui et prophetae et apostoli sint, alios vero, qui tantum prophetae . . ." 15 In den rabbinischen Texten tragen diese Abgesandten freilich durchweg andere Namen als .Schaliach' (vgl. F. Gavin a.a.O. S. 255). 16 A. v. Harnack [1] I S. 315; Texte: [1] I S. 60 Anm. 3; H. Vogelstein [1]; H. Lietzmann, Exkurs zu Rom. 1,2; K. H. Rengstorf [1] 417,11. 17 Dial. 108,2 beruht außerdem auf Mt. 27,63 und 28,13. 18 19 E. Haenchen a.a.O. zu Apg. 9,2. A. v. Harnack [1] I S. 60ff. 20 „Als finanzielle Beamte finden wir die Apostel der Zentralbehörde erst nach der Zerstörung des Tempels" [1] S. 438. 21 Vgl. K. H. Rengstorf [1] 416,43; H. v. Campenhausen [1] S. 99; während F. Gavin a.a.O. mit der von uns besprochenen Institution bis in die Perserzeit zurückgeht, setzt Graetz, Geschichte der Juden ed. 4 IV S. 279ff. sie erst in das 3. Jahrhundert unter Gamaliel IV. oder Juda II. (vgl. K. Lake a.a.O. S. 49).

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nach der Zerstörung des Tempels der Strom der Pilger nach Jerusalem abriß, der bis dahin durch seine Gaben den jüdischen Lehrbetrieb in der Heiligen Stadt unterhalten hatte22, hatten die jüdischen Behörden es nötig, die Diaspora in eigener Initiative um Liebesgaben zu bitten 23 . Aus dieser Liebesgabe entwickelte sich mit der Zeit die sogenannte Patriarchensteuer, die von den bevollmächtigten Aposteln eingesammelt wurde24. Daß diese Apostel bei ihren Besuchen auch die sonstigen Aufsichtsbefugnisse des Patriarchats wahrnahmen, ist nur selbstverständlich25. Sie waren angesichts ihrer Bedeutung in der Regel ordinierte Rabbinen2e. Da aber vor dem Jahre 70 27 eine Nötigung zu solchem Apostolat nicht bestand und darum diese Institution natürlich auch so früh nicht bezeugt ist 28 , scheidet dieser Apostolat 22 23 24 25

Κ . H . Rengstorf [1] 416,43ff.; H . Vogelstein [1] S. 437ff. Vgl. jPes. IV 31b, 61 und zum ganzen Problem Billerbeck I I I S. 316ff. j Hör. 48 a wird diese Aufgabe ohne den Titel NrpVïtf erwähnt. τ

:

j Chag. 76c, 31ff. werden solche Aufgaben drei Rabbinen zugeteilt; der Begriff fehlt. 26 Κ . H . Rengstorf [1] 417,23ff.; H . Vogelstein [1] S. 443; daß sie zu ihrer Mission durch Handauflegung beauftragt wurden, ist eine spätestens seit A. v. Harnack [1] I S . 315 begegnende Vorstellung (s. bei Κ . H . Rengstorf [1] 417,30f. ; G. Saß [1] S. 19), die aber lediglich auf einer Fehlinterpretation von J u s t . Dial. 108,2 beruht, χειροτονήσαντες heißt dort einfach ,erwählen', nicht ,Hand auflegen' (vgl. A. E h r h a r d t a.a.O. S. 16; E. Lohse [2] S. 63). Vgl. J . Jeremias in Z N W 4 8 , 1957, S. 129. 27 Neuerdings ist mit guter Begründung behauptet worden, der Opferkult in Jerusalem sei nach der Zerstörung des Tempels wieder aufgenommen worden u n d habe bis zum J a h r e 132 fortgedauert (K. W. Clark, Worship in t h e Jerusalem Temple after A. D. 70, NTS 6, 1960, S. 269ff.). I s t das richtig, so würde m a n mit dem Ursprung des oben besprochenen Apostolats wohl bis zum BarKochba-Aufstand heruntergehen müssen. Dem steht nichts im Wege. 28 H . Vogelstein versucht freilich in seinen Aufsätzen, die Institution der Ö'rPlVtP als Apostel der Zentralbehörde in Jerusalem zu verschiedensten

Zwecken bis in die frühe nachexilische Zeit zurückzudatieren, u n d Κ . H . Rengstorf meint gar, sie sei „wahrscheinlich noch ä l t e r " (a.a.O. 414,19f.), aber ich halte diese Versuche f ü r ungerechtfertigt. Die Geldsammlung durch die jüdischen Apostel ist doch offensichtlich keine Tätigkeit, die nach 70 n. Chr. zu ihrem A m t hinzugekommen ist (so H . Vogelstein [1] S. 437f.), sondern die Aufgabe, mit der ihr Dienst steht und fällt. Sie sind „doch finanzielle B e a m t e " (A. v. H a r n a c k [1] I S. 317)! Solange jährlich die Pilger aus aller Welt nach Jerusalem strömten, h a t t e n es die jüdischen Behörden dort nicht nötig, regelmäßig autorisierte Boten auf jahrelange Reisen zu senden. Die anfallenden Probleme wurden an Ort u n d Stelle in Jerusalem erledigt. D a ß namentlich in Palästina selbst gelegentlich u n d zu besonderen Anlässen Boten des Synedrimus an einzelne Ortssynedrien gesandt wurden, ist natürlich anzunehmen. Aber die Aussendung von (meistens Brief-)Boten ist eines, ein institutioneller Apostolat der Jerusalemer Zentralbehörde ein anderes. Dieser letztere läßt sich weder aus 2.Chr. 17,7ff. noch aus 2.Chr. 19,5; 3 0 , 1 ; 34,8f. ; Esth. 9,20.30 oder 2.Makk. 1,1-2,19 erschließen (H. Vogelstein [1] S. 435ff.), erst recht nicht aus l . K ö n . 14,6. Vgl. G. Saß [1] S. 15. Alle Hinweise auf die persische Staatsverwaltung (Esr. 7,14) mit ihren ganz anderen Verhältnissen als in Israel beweisen ebenfalls nichts f ü r die Lage in Jerusalem ζ. Z. von Christi Geburt, selbst wenn sich — was nicht zu beweisen ist — die aus dem Exil kommende Gemeinde der

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als Quelle für den ntl. Apostelbegriff aus 29 . Es erübrigt sich also, die inneren Kriterien zu untersuchen, auf Grund derer eine Verwandtschaft beider Institutionen sich als möglich, wahrscheinlich oder auch— wie es tatsächlich der Fall wäre — als unmöglich herausstellen würde. 2. Als eine andere, besondere Ausprägung des Instituts des Schaliach werden oft die απόστολοι εκκλησιών angesehen, die vor der Tempelzerstörung die Tempelsteuer aus der Diaspora nach Jerusalem brachten 30 . Aber leider fehlen uns jüdische Belege dafür, daß die Überbringung dieser Tempelsteuer im Rahmen einer Schaliachinstitution erfolgte. Man verweist gerne auf 2.Kor. 8,23, wo Paulus die beiden mazedonischen Brüder, die bei der Einsammlung der Kollekte und ihrer Überbringung nach Jerusalem mitwirken, άπόστολοι εκκλησιών nennt ; damit soll er sich an die entsprechende jüdische Einrichtung anschließen31. Das ist möglich, aber keineswegs gesichert, απόστολος heißt ja auch Epaphroditus, den die Gemeinde zu Philippi mit einer Geldgabe zu Paulus sendet (Phil. 2,25), und für solche Sendung dürfte es doch sicherlich keine jüdische Institution als direktes Vorbild gegeben haben. Diese Boten der Gemeinde mußten zwar ein großes Vertrauen der Absender genießen, aber als bloße Überbringer einer Geldgabe waren sie in keiner Weise Träger einer besonderen Autorität und Vollmacht; mit der Übertragung solcher Vollmacht aber steht und fällt das Amt des Schaliach (s.u.). Philo nennt denn auch die Überbringer der Tempelsteuer nicht απόστολοι, sondern Ιεροπομποί (Philo Leg. Gaj. 216 p. 578)32. So ist also alles ungesichert: Die Existenz des Fachausdrucks NlTVtf für die Überbringer der Tempelsteuer bis zum Jahre 70; die Übersetzung dieses Terminus im hellenistischen Sprachgebiet mit απόστολος53 \ die Übernahme dieses Sprachgebrauchs bei Geldsendungen innerhalb der Urchristenheit. Es ist mindestens ebenso wahrscheinlich, daß Paulus sich Phil. 2,25 und 2. Kor. 8,23 einfach an den zwar spärlich bezeugten, aber doch immerhin b e z e u g t e n gemein-griechischen Gebrauch von απόστολος anschließt 34 . Dann wird auch am besten verständlich, daß persischen Ordnung zeitweilig angeschlossen haben sollte (H. Vogelstein [1] S. 429ff. ; F. Gavin a.a.O. S. 251ff.). Auch auf die Rabbinen, die in der Diaspora die Neuordnung des Kalenders nach entsprechendem Synedriumsbeschluß durchführen sollen, kann man nicht verweisen (H. Vogelstein [1] S. 436; vgl. Κ. H. Rengstorf [1] 416, 22ff.), da sie der Zeit nach 70 angehören und gewöhnlich nicht ,Schaliach' genannt werden (Jeb. 16,7; Τ Meg. 2,5). 29 30 So auch H. Monnier a.a.O. G. Saß [1] S. 24. 31 G. Saß [1] S. 104ff.; Κ. H. Rengstorf [1] 422,10ff.; H. Vogelstein [1] S. 438ff. ; K. Holl [1] S. 930 Anm. 1; A. Ehrhardt a.a.O. S. 18f. 32 Vgl. Spec. Leg. I 77; vgl. K. Lake a.a.O. S. 49. 33 Vgl. jedoch Bülerbeck III S. 316. 34 Vielleicht muß man auch daran erinnern, daß im Spätjudentum gelegentlich Geschenksendungen überhaupt als άποβτολαί bezeichnet wurden ; s. vorige Anm.

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die heidenchristlichen Gemeinden in Mazedonien den Ausdruck verstehen. Sollte Paulus an den beiden erwähnten Stellen aber doch von einem institutionellen Vorbild abhängig sein, so würde dieses Vorbild für seinen eigentlichen Apostelbegriff gerade ausscheiden. Denn Paulus kann nur deshalb die drei Brüder aus Mazedonien unbefangen Apostel nennen, weil er nicht auf den Gedanken kommt, man könne diese απόστολοι εκκλησιών mit den απόστολοι Χρίστου verwechseln oder auch

nur Gemeinsamkeiten zwischen beiden feststellen. Beide Formen des Apostolats haben für Paulus also nichts miteinander zu tun. Geht darum die Existenz von Gemeindeaposteln auf ein jüdisches Institut zurück, so scheidet dieses Institut als Vorbild für den t e c h n i s c h e n Gebrauch von απόστολος in der Urchristenheit aus. Aber auch abgesehen von diesem Gedankengang gilt: Dem — hypothetischen — jüdischen Gemeindeapostolat, der Boten kannte, die von vielen nach Jerusalem gesandt wurden, um eine Steuer zu überbringen, kann man doch nur durch akrobatische Verwandlungskünste den christlichen Apostel an die Seite stellen, der von Christus zum Missionsdienst berufen und in die Welt gesandt wurde. Beide Gestalten haben außer der Tatsache des Gesandtseins nichts miteinander gemein. 3. So bliebe das allgemeine jüdische Rechtsinstitut des Schaliach als mögliche Quelle des urchristlichen Apostolats übrig. Es ist nach Vorgang von S. Krauss und H. Vogelstein vor allem Billerbecks Verdienst, das Wesen dieses Instituts untersucht und zahlreiche Belegstellen zusammengestellt zu haben. K. H. Rengstorf [1] hat diese Untersuchung dann in trefflicher Weise weitergeführt. Der juristische Begriff rvVtf wird nicht so sehr von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, von dem ,Gesandt-Sein', bestimmt35, sondern davon, daß der Gesandte zu irgendeiner Aufgabe autorisiert ist. Schaliach ist also ein fester Terminus der juristischen Fachsprache und bezeichnet ohne Rücksicht auf die Persönlichkeit des Boten oder des Auftraggebers, ohne Rücksicht auch auf den Auftrag selbst eine Person, die vollmächtig für einen anderen handelt. Nicht ,Gesandter', sondern Beauftragter', ,Vertreter' bzw. Bevollmächtigter' (Κ. H. Rengstorf [1] 418,18ff.) ist deshalb die richtige Übersetzung von n,Vttf35a. 85 So ist ζ. B. auch der Vorbeter in der Synagoge der Schaliach seiner Gemeinde (Ber. 5,5), der Hohepriester der Bevollmächtigte der Priesterschaft bzw. der ganzen Volksgemeinde (Joma 1,5; vgl. K. H. Rengstorf [1] 416,31ff.). Oft bleiben die .Bevollmächtigten' zurück, während der Auftraggeber verreist. Die Vorstellung des Gesandtseins ist dabei völlig verlorengegangen. 36 » Vgl. auch 4.Esra. 7104 (Violet III 14,2ff.).

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Der Schaliach ist Amtsträger, und er ist das ganz unabhängig von dem Inhalt der Beauftragung; entscheidend ist allein, daß er an der Stelle und in der Autorität des Sendenden handelt 36 . Er wird am besten durch den in den rabbinischen Schriften häufig zitierten Rechtsgrundsatz charakterisiert: „Der ,Abgesandte' eines Menschen ist wie dieser selbst." 37 Κ. H. Rengstorf dürfte Recht haben, wenn er [1] 415,36ff. die rechtliche Grundlage dieses Stellvertreteramtes auf das semitische Botenrecht zurückführt, das uns auch im AT begegnet: Die Ehre, die dem Herrn gebührt, ist seinem Vertreter zu erweisen38. Das Amt des Schaliach ist ein Amt auf Zeit. Es erlischt, wenn der Auftrag erfüllt ist, zu dem die Vollmacht erteilt wurde. Es gab keinen Schaliach auf Lebenszeit 39 . Die Bevollmächtigung erfolgte also jeweils für einen ganz bestimmten Auftrag, an den der Schaliach gebunden war. Mißbrauch des Amtes war möglich, so daß die Auswahl des Vertreters besonderer Vorsicht bedurfte bzw. der Inhalt des Auftrages durch ein Begleitschreiben schriftlich fixiert werden mußte (j. Chag. 76d, 3f.). Überschreitet der Schaliach seine Befugnisse, so werden seine Entscheidungen ungültig 40 . Die Bevollmächtigung konnte durch einen einzelnen, konnte aber auch durch eine Gruppe von Menschen wie ζ. B. das Synedrium oder die Ortsgemeinde erfolgen. So kann man sich durch einen Schaliach mit einer Frau verloben ( Qid. 2,1 ; T. Qid. 4,2 ; T. Jeb. 4,4 ; Qid. 41a-b) oder von einer Frau scheiden lassen (Git. 4,1; 3,6; Qid. 41a), kann durch ihn einen Kauf tätigen (T. Jeb. 4,4) oder das Passahlamm schlachten lassen (Pes. 8,2). Es kann aber auch ein Gerichtshof einen Schaliach zur Durchführimg seiner Beschlüsse bestellen (Git. 3,6 ; B. Q. 9,5 ; Joma 1,5); das Synedrium kann Bevollmächtigte aussenden, den Kalender zu ordnen oder die Festsetzung des Neumondes mitzuteilen (R. H. 1,3.4; 2,2) 41 ; die Gemeinde und die Priesterschaft bevollmächtigen den Hohenpriester (Joma 1,5)42, die Gemeinde auch den Vorbeter (Ber. 5,5) 4aa . 3

« K. H. Rengstorf [1] 414,24ff. ÌnÌD3 DIN bti ilTPtf (Ber. 5,5; vgl. Men. 93b; M. Ex. 12,6; Qid. 41b; B. M. 96a; Chag. ¿Ob; Ned. 72b; Nazir 12b; b B. Q. 113b; jChag I 76d,l; jNed X 42b, 16). 38 Vgl. l.Sam. 25,40f.; 2.Sam. 10,Iff.; bB.Q. 113b (der Beauftragte des Königs gleicht dem Könige selbst) ; SNu 103 zu 12,9. Diese Ableitung liegt sachlich weit näher als H. Vogelsteins Rekurs auf die Verhältnisse der persischen Staatsverwaltung (s. o. Anm. 28). 39 Vgl. H. Vogelstein [1] S. 429. 40 Ter. IV 4; vgl. E. Lohse [1] S. 261; K. H. Rengstorf [1] 415,20ff. 41 Vgl. H. Vogelstein [1] S. 436. 12 F. Gavin a.a.O. S. 253. «» Siehe dazu Bill. IV 1 S. 149ff. 37

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Der juristische Rahmen wird nicht verlassen, wenn Mose ein Schaliach Gottes heißt, weil er Wasser aus dem Felsen fließen läßt (b. Β. M. 86b), und wenn Elias, Elisa und Hesekiel anderer Wundertaten wegen, die wie Totenerweckungen an sich nur Gott vorbehalten sind, Schaliach genannt werden (Midr. Ps. 78 §5; vgl. b. Taan 2a; b. Sanh. 113a): allesamt handeln sie dabei als Beauftragte Gottes 43 . In ähnlichem Sinne gilt der Priester bei der Darbringung des Opfers als .Bevollmächtigter des Barmherzigen' (b. Kid. 23 b; Joma 19a-b; Ned. 35b). Nicht als gelten dagegen jüdische Missionare. Zwar kannte das Judentum der ntl. Zeit ebensowenig wie die Urgemeinde in Jerusalem eine, planmäßige autorisierte Mission durch berufsmäßige Missionare44; dennoch aber waren die auf private Initiative zurückgehenden Missionserfolge der Juden nicht gering 45 . Nirgendwo jedoch im Bereich der Aussagen über die missionarische Tätigkeit und den Missionserfolg der Juden begegnet der Begriff Schaliach. Nicht als DTTl'rtf gelten auch die atl. Propheten, obschon der Terminus Π Vip in den Berufungsgeschichten als Fachausdruck begegnet. Doch ist das angesichts dessen, was der Schaliach darstellt, nicht verwunderlich. Die Beauftragten' sind Leute, „die, von der Behörde mit einem bestimmten Mandat ausgesandt, für die Dauer dieses Mandats gewisse amtliche Befugnisse erhalten, deren sie zur Erfüllung ihres Auftrages bedürfen, die i h n e n j e d o c h s o n s t n i c h t zuk o m m e n " (H. Vogelstein [1] S. 429). Es ist klar, daß Missionare wie Propheten in der Ausübung ihres Dienstes nicht ein fremdes Amt vertreten, sondern gerade ihre ureigenste Tätigkeit entfalten, zu der Gott sie schon ,im Mutterleibe bereitet' hat (Jer. 1,5; vgl. Gal. 1,15). Die Bezeichnimg Schaliach wäre für sie also schlechterdings verfehlt 46 . Im Blick auf das zuletzt dargestellte spätjüdische Rechtsinstitut des Schaliach erklärt E. Lohse [1] S. 260 Anm. 7 : „Nachdem Rengstorf die Vorarbeiten von Krauss, Vogelstein und Billerbeck zusammenfassend ausgewertet hat, dürfte der jüdische Ursprung des Apostelbegriffes nicht mehr in Zweifel zu ziehen sein." Nun, dieser Zweifel ist dennoch nicht verstummt, und ich möchte im Gegensatz zu E. Lohse 43 „Im Hintergrunde steht vielleicht sogar die Tendenz, die vier von dem Verdacht des Eingriffs in Gottes Rechte zu reinigen; das geschieht dadurch, daß sie als seine Werkzeuge erwiesen werden" (Κ. H. Rengstorf [1] 419,32ff.). 44 „Von einer offiziellen Aussendung von Missionaren durch die jüdischen Behörden wissen wir schlechterdings nichts" (J. Jeremias, Jesu Verheißung für die Völker, 1956, S. 14). Vgl. auch H. Greßmann [2] S. 169ff., bes. S. 177ff.; C. Clemen a.a.O. S. 228. 45 K. H. Rengstorf [1] 418; J. Jeremias a.a.O.; H. J. Schoeps, Paulus, 1959, S. 233ff.; 17f. 46 Vgl. K. H. Rengstorf [1] 420.

Der Schaliach

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behaupten, daß das spätjüdische Rechtsinstitut des Schaliach mit dem urchristlichen Apostolat auch nicht das geringste zu tun hat. Daß in beiden Fällen der gleiche Begriff verwandt wird, kann ja doch nicht ausreichen, um die eine Institution aus der anderen abzuleiten. Es müßte schon eine enge sachliche Verwandtschaft festzustellen sein. Die aber fehlt völlig. Das zeigt schon die Tatsache, daß Missionare und Propheten von den Juden nie Schaliach genannt wurden. Die Urchristenheit kann aber keine andere Vorstellung mit dem jüdischen Begriff Schaliach verbunden haben als das zeitgenössische Judentum. Heißen Missionare und Propheten nicht Schaliach, weil dieser Beauftragte ein fremdes Amt vertretungsweise und zeitweilig einnimmt, so kann aus demselben Grunde der Apostolat der ersten Christenheit nicht aus dem Institut der D'roVtf abgeleitet werden. Die Autorisation des Schaliach ist formaler Art ; er ist Amtsträger, „während die Aufgabe als solche für die Qualität als rr'ptf in keiner Weise von Bedeutung ist" (K. H. Rengstorf [1] 414, 27ff.). Um seiner A u t o r i s a t i o n willen ist ihm die Botschaft abzunehmen. Gerade das Gegenteil kennzeichnet den Apostolat : alle Autorität liegt in der Botschaft selbst (s. S. 23ff. ; 30ff.) 4 '. Der Apostolat hat einen rein religiösen Charakter; die Bedeutung des Schaliach liegt völlig im Juristischen 48 . Der Apostel ist stets Missionar; der Schaliach nie 49 . Der Apostolat ist eine bis ins letzte eschatologische Erscheinung; dem Institut des Schaliach eignet ein eschatologischer Charakter auch nicht andeutungsweise. Der Schaliach hat stets einen befristeten Auftrag 50 ; der Apostel stets eine lebenslängliche Berufung. Es gibt gar nichts, was beiden Gestalten gemeinsam ist ; denn selbst als Gesandter, wie noch sein Name sagt, gilt der Schaliach nicht mehr ; er ist vielmehr — ob gesandt oder nicht — ,Beauftragter'. Der Apostel dagegen ist im ungekürzten Grundsinn des Wortes ,Abgesandter'. „Wir kennen keinen Apostel, der nicht zugleich Missionar gewesen wäre" (H. v. Campenhausen [2] S. 23). Wollte man die Gestalt des heutigen Heidenmissionars von dem Diplomatenstand der .Gesandten' herleiten, könnte man das deshalb mit größerem inneren Recht tun als dem, mit dem man den ,Apostel' auf den Schaliach zurückführt ; denn ,Gesandte' und ,Missionare' sind wenigstens durch das Charakteristikum der Sendung miteinander verbunden, wenn sie auch sonst gleichfalls nichts miteinander zu tun haben. 47 48 50

Was natürlich nicht ausschließt, daß auch er sich berufen weiß. 49 K. H. Rengstorf [1] S. 414,31ff. Vgl. A. Ehrhardt a.a.O. S. 19. Vgl. E. Lohse [2] S. 62; G. Saß [1] S. 19.

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Man erwartet nun freilich, daß jene Forscher, die den urchristlichen Apostelbegriff von der spätjüdischen Gestalt des Schaliach ableiten, versuchen, im einzelnen Parallelen aufzuzeigen. Aber in dieser Erwartung sieht man sich stets getäuscht. Κ. H. Rengstorf schreibt mit Recht von Paulus: „Er ist der einzige Apostel, der uns gerade in seiner apostolischen Stellung einigermaßen erkennbar ist, während wir von allen anderen über die Art ihres Apostolats direkt nichts hören" ([1] 438, 27ff.). Nun sollte man annehmen, daß an diesem einzigen greifbaren Vertreter des urchristlichen Apostolats die Behauptung bewiesen wird, daß dieser Apostolat auf das Rechtsinstitut des Schaliach zurückgeht, das Κ. H. Rengstorf so gründlich untersucht hat. Aber in den gesamten Ausführungen über den άπόστολος Πανλος finde ich nur einen einzigen, mir zudem unverständlichen Hinweis auf den Schaliachl51 Statt dessen spricht Κ. H. Rengstorf sehr ausführlich von der Verknüpfung des apostolischen Bewußtseins des Paulus mit dem Sendungsbewußtsein der atl. Propheten und speziell dem des Jeremias [1] 440ff. Nun, darüber läßt sich sicher reden, ob der urchristliche Apostolat, wie er von Paulus repräsentiert wird, von dem prophetischen Selbst- und Sendungsbewußtsein abhängt 52 . Je mehr Parallelen man aber zwischen den Aposteln und den atl. Propheten zieht, um so weniger wahrscheinlich wird die Abhängigkeit des christlichen Apostelbegriffs vom spätjüdischen Schaliach-Institnt ; denn daß Prophet und Schaliach nicht verwandte Gestalten sind, hat gerade Κ. H. Rengstorf [1] 420 mit Recht betont. Dadurch, 61

„Auch die Besonderheit der Stellung des Paulus im Kreise der übrigen Apostel Jesu läßt sich von seiner Wiederaufnahme des prophetischen Sendungsbewußtseins in der alles beherrschenden Stellung des Gottesgedankens nicht trennen. Allerdings ist sie nicht zunächst von ihr aus bestimmt, sondern von der Berufung zum Boten im Sinne des jüdischen rpVïMnstituts ganz wie bei - ·τ den anderen απόστολοι. Wenn es bei Paulus zu stärkerer Pointierung dieser Seite und Grundlage seines Amtes kam, so nicht zuletzt darum, weil ihm von gegnerischer Seite die Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit seines Amtes mit dem der übrigen Apostel bestritten wurde" [1] 443,9-17. Was heißt das ? Ist die Besonderheit der Stellung des Paulus im Kreise der übrigen Apostel Jesu zunächst nicht von der Wiederaufnahme des prophetischen Sendungsbewußtseins bestimmt, sondern von der Berufung im Sinne des rpVttf-Instituts wie bei den - ·τ anderen ,Aposteln'? Aber die B e s o n d e r h e i t kann doch nicht auf der A l l g e m e i n h e i t der Berufung beruhen! Oder soll umgekehrt die Wiederaufnahme des prophetischen Sendungsbewußtseins nicht aus der besonderen Stellung des Paulus, sondern aus dem Schaliach-Institut entspringen? Aber das kann doch nicht Κ. H . Rengstorfs Meinung sein, der selbst jede Verbindung zwischen Schaliach und Propheten mit Recht verneint [1] 420. 62 Daß es nicht möglich ist, den urchristlichen Apostolat vom atl. Prophetenamt her zu verstehen, obschon gewisse Gemeinsamkeiten nicht zu leugnen sind, wurde bereits vorne S. 45 f. festgestellt. Da meines Wissens bisher noch von niemandem behauptet wurde, das Apostelamt sei einfach das Wiederaufleben des atl. Prophetismus, erübrigt es sich, eingehender die Unabhängigkeit beider voneinander darzulegen, als es vorne geschehen ist.

Der Schaliach

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daß er Paulus nur mit den atl. Propheten und gar nicht mit den 0,ITl,7tf vergleicht und mit diesen offenbar auch nicht vergleichen kann, wird Κ. H. Rengstorf selbst wider Willen ein Zeuge dafür, daß Schaliach und Apostel nichts miteinander zu tun haben. Zwei •— nebensächliche —• Züge, an denen Κ. H. Rengstorf eine Gemeinsamkeit von Schaliach und Apostel konstatieren zu können glaubt, beruhen ausgerechnet auf Irrtum. Κ. H. Rengstorf meint, den D'lTlVtf deshalb einen „ausgesprochen religiösen als auch gemeindemäßigen Charakter" geben zu können, weil die ,Beauftragten' durch Handauflegung zu ihrem Dienst abgesondert worden seien ([1] 417,23ff.). Aber dafür gibt es keinen Beleg, wie bereits oben S. 90 Anm. 26 gezeigt wurde. Ebensowenig entspricht es den Tatsachen, daß die Beauftragten' „in der Regel... zu zweien" ausgesandt wurden ([1] 417,27ff. ; so auch E. Lohse [1] S. 262), wie es bei den christlichen Aposteln in der Tat der Fall gewesen zu sein scheint. Für diese Behauptung gibt es nur einen einzigen, sehr späten (9. Jahrhundert?) Beleg: die Inschrift auf dem Grabmal eines jüdischen Mädchens in Venosa, die ,duo apostuli et duo rebbites' nennt, die die Grabrede gehalten haben (H. Vogelstein [1]; A. v. Harnack [1] I S. 316 Anm. 1). Demgegenüber stellt A. Ehrhardt (a.a.O. S. 16) mit Recht fest: "The Rabbinic sources, on the other hand, make it quite clear that no sending out in pairs was contemplated." Β. B. 8b (mindestens zwei Mann sollen das Armengeld kassieren 53 ; vgl. 2.Kor. 8,23) ist keine sachliche Parallele; eher wäre Ber. 63a zu vergleichen. Die Zweizahl jener Inschrift mag Zufall sein, ist aber jedenfalls nicht Niederschlag einer festen Regel des ÄcAaKacA-Institutes. Κ. H. Rengstorf kann es überhaupt nur wagen, der Behandlung des paulinischen Apostelbegriffs die Untersuchung des Schaliach vorauszuschicken, weil er zwischen beide Untersuchungen zwei Etappen der Entwicklung des Begriffs einschiebt. Einmal hat Jesus selbst zu Lebzeiten bereits Π,Π:Ι1?ψ ausgesandt ; zum anderen hat er als der Auferstandene diesen Apostolat aus seinen Erdentagen erneuert. Die Aussendung zu Jesu Lebzeiten vermag Κ. H. Rengstorf dabei an einigen Stellen in den Kategorien des ScAaZiacA-Institus zu beschreiben; beim nachösterlichen Apostolat der ehemaligen Jünger sind immerhin noch einige Hinweise darauf vertretbar, während dann der paulinische Apostelbegriff sich gänzlich von dem jüdischen Vorbild losgesagt hat. Nur existieren jene beiden Etappen, in denen sich der Apostelbegriff der Christenheit so stark verändert haben soll, in 53

Dieser Grundsatz war feste Ordnung im Spätj u d e n t u m : Billerbeck I I

S. 643, 4 A c—e.

7 7801 Schmithals, Apostelamt

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Wirklichkeit gar nicht, wie unsere Untersuchung in ihrem ,Zweiten Teil' ergeben hat. Ich kann nur immer wieder staunen, mit welcher unbeschwerten Sicherheit Κ. H. Rengstorf die Berichte der Synoptiker und der Apg. für historisch unanfechtbar hält und die echte historische Problematik bei seinen Betrachtungen auszuklammern vermag 54 . Nim mag man freilich zu der Frage der Aussendung der Jünger Jesu vor und nach Ostern stehen, wie man will. Auch wer sie für historisch hält, schafft dadurch die Tatsache nicht aus der Welt, daß der einzige urchristliche Apostelbegriff, der uns einigermaßen erkennbar ist, nämlich der paulinische, mit dem Schaliach nichts zu tun hat. Es sind in diesem Zusammenhang noch andere Beobachtungen zu machen. Bei einer Ableitung des Apostelbegriffs vom Schaliach blieben sämtliche Wesenszüge des ntl. Apostolats, die wir im ersten Teil der Arbeit festgestellt haben, unerklärt : Der urchristliche Apostel ist Missionar ; er ist nicht von Menschen berufen ; die Berufung deckt sich mit einer Erscheinung des Auferstandenen, der Empfang der Botschaft mit der Autorisation; seine Autorität erweist der Apostel durch den Erfolg seiner Mission oder durch ,Apostelzeichen', während er seine Berufung gar nicht beweisen kann; der Apostel ruft zur ,Nachahmung' seiner selbst auf; er hat es nicht eilig, will aber nicht arbeiten, wo das Wort schon verkündigt ist; er verzichtet auf den berechtigten Unterhalt durch die Gemeinden; das Leiden gehört zu seinem Beruf; er verkündigt,Geheimnisse'; er steht mit seinem Dienst in unmittelbarer Nähe des ntl. Propheten usw. Die doppelten Traditionen, die mancherlei Brüche im Apostelbegriff und die zum ntl. Apostolat gehörenden term, techn., auf die wir vorn S. 46f. hingewiesen haben, werden vom Schaliach her nicht verständlich. Dann aber kann man doch vernünftigerweise nicht von , A b l e i t u n g ' reden. Ungeklärt bleibt auch, warum rrVlp im griechischen Sprachgebiet mit απόστολος übersetzt wurde. Zwar braucht man nicht so skeptisch zu sein wie Κ. H. Rengstorf, der den Gebrauch von απόστολος im Sinne von ,Bote' als „etwas völlig Neues für griechische Ohren" 85 bezeichnet. Aber als griechisches Äquivalent für IT^tp hätte doch 54 Vgl. jetzt die vorzügliche Destruktion der Exegesen von Κ. H. Rengstorf bei G. Klein a.a.O. S. 28ff. 55 A.a.O 407,30; s. S. 87; ebenso E.Schweizer a.a.O. S. 187 und H.Mosbech [1] S. 167. H.Mosbech schließt das u. a. daraus, daß ,άπόστολος' im Lateinischen nicht übersetzt wird, sondern als ,apostolus' erscheint. Aber das liegt doch wohl nicht daran, daß es sich bei,απόστολος' um ein ungewöhnliches griechisches Wort handelt, sondern daran, daß sich ,άπόστ ολος' als enger Fachausdruck so dem christlichen Bewußtsein eingeprägt hatte, daß es nicht gut mit dem weitsinnigen ,legatus' wiedergegeben werden konnte. Tert (de praescr haer 20,4) muß seinen Lesern erläutern: , , . . . apostoli (quos haec appellatio ,missos' interpretatur) . .

.".

Der Schaliach

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άγγελος68 oder πρεσβευτής57 sehr viel näher gelegen als das ungeläufige απόστολος™, zumal für den näher gelegen, der ein εύαγγέλιον zu verkündigen hat. Die Wahl des Wortes απόστολος bleibt seltsam, wenn es christliche oder jüdische69 Übersetzung von fr'ptf sein soll60. Ist der Apostel die christliche Ausprägung des Schaliach, so wäre außerdem zu erwarten, daß die Missionare insgesamt Apostel genannt werden. Apostel aber heißen nur die Vertreter jenes ganz bestimmten missionarischen Standes, den wir in den ersten beiden Teilen unserer Arbeit kennengelernt haben und der unter den gesamten Missionaren der frühen Christenheit zahlenmäßig eine sehr geringe Rolle gespielt haben dürfte. Es kann also zusammenfassend nur festgestellt werden: Wenn es zwei ,Gesandte' gegeben hat, die nichts miteinander zu tun hatten, dann sind es der christliche Apostel und der jüdische Schaliach gewesen. Diese Erkenntnis würde mir auch dann feststehen, wenn nicht manche Forscher gerade in neuester Zeit 61 sie unmißverständlich ausgesprochen hätten 82 . 56 So ζ. B. in der jüdischen Schrift Προσευχή Ιωσήφ (s. bei E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes I I I , 4. Aufl. S. 360), wo Jakob sagt: άγγελος &εοϋ ειμί εγώ και πνεΰμα άρχικόν. Wir würden vom uns geläufigen Sprachgebrauch her άτιόστολος erwarten. Vgl. auch Anm. 11. 57 So ζ. B. noch Act. Thom. 10 für Jesus statt άτιόστολος. 58 59 So auch H. Mosbech [1] S. 187. Vgl. K. Lake a.a.O. S. 49. 60 Was Κ. H. Rengstorf zur Erklärung dieser „besonders seltsamen" Tatsache anführt, enthält nur das Eingeständnis, nichts erklären zu können [1] 436,27ff. Nicht von der Hand zu weisen ist übrigens auch die Ansicht von A. Ehrhardt a.a.O. S. 18ff., „that the term,apostolus' was earlier than the term ,shaliach' ". Unsere Quellen lassen diesen Schluß jedenfalls eher zu als den gegenteiligen, obschon ein endgültiges Urteil angesichts der Quellenlage nicht gerechtfertigt wäre. 81 Freilich ist solcher Protest nicht n u r neueren Datums. Schon E. Haupt a.a.O. S. 106f. weist die Ableitung des kirchlichen Apostelamtes vom Schaliach mit ausreichenden Gründen zurück. 82 A. Fridrichsen (a.a.O. S. 5f.) scheint die Ableitung vom Schaliach aus mancherlei Gründen nicht zu befriedigen (vgl. H. Mosbech [1] S. 182). Ablehnend auch A. Ehrhardt a.a.O. S. 18ff., der freilich von der Tatsache mitbestimmt wird, daß der Schaliach nichts für die apostolische Sukzession einträgt, der A. Ehrhardts besonderes Interesse gilt. Ferner G. Saß [1] S. 24; H. Mosbech [1] S. 187f.; E. Käsemann [2] S. 51; K.Holl [1] S. 930 Anm. 1; J . Munck [1] S. 100: "Far too much importance has for some time been attached to these Jewish apostles"; A. Wikenhauser a.a.O. Sp. 555; G. Klein a.a.O. S. 26ff. I n : .Verkündigung und Forschung' 1953/55 S. 163 schreibt E. Käsemann: „Gewisse Einflüsse würde auch ich nicht leugnen. Konstitutiv sind sie jedoch nicht, weil das jüdische Institut anders als der Apostolat ausgesprochen rechtlichen Charakter hat und umgekehrt der eschatologische Horizont des Apostolates entscheidend ist." E. Pax. a.a.O. S. 206 wendet sich gegen die i n h a l t l i c h e Verknüpfung des jüdischen Schaliach und des christlichen Apostelamtes, hält freilich inkonsequenterweise eine terminologische Beziehimg dennoch für möglich. Vgl. auch das Referat bei O. Linton a.a.O. S. 83f.; E . Schweizer a.a.O. S. 184. 7*

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III Scheidet so das genuine Judentum als Quelle für den urchristlichen Apostelbegriff aus, so müssen wir unsere Aufmerksamkeit nun doch noch der hellenistischen Welt zuwenden, auch wenn hier der B e g r i f f απόστολος uns nicht weiterhelfen kann, wie oben S. 85ff. bereits festgestellt wurde. Es wäre zu fragen, ob nicht wenigstens eine Institution zu finden ist, die mit dem urchristlichen Apostolat verglichen werden könnte. Diese Frage ist zu bejahen. Als unverdächtiger Zeuge dafür kann Κ. H. Rengstorf gelten: „Jedenfalls wird man sagen dürfen, daß der kynisch-stoische Weise in seiner Rolle als κατάσκοπος die Gestalt der Zeit ist, die man am ehesten neben den neutestamentlichen Apostel stellen kann" ([1] 410, 28ff.). Diesem Urteil kann man um so eher zustimmen, als allgemein anerkannt ist, „daß die älteste christliche Mission nur im Rahmen der intensiven Propagandatätigkeit, die damals von den orientalischen Kulten, von den verschiedensten philosophischen Strömungen, von Sophisten, Magiern, Mirakeltätern, Wanderpredigern allerlei Art getrieben wurde, betrachtet werden darf" (K. Deissner a.a.O. S. 781). Die vorzügliche Quelle für diese Gestalt sind Epiktets Dissertationes, neben denen es sich nicht lohnt, auf andere Quellen zu achten 63 . Die ausgezeichnete Darstellung, die der kynisch-stoische .Apostel' durch Κ. H. Rengstorf [1] und K. Deissner (a.a.O. S. 782ff.) gefunden hat, erlaubt es mir, mich kurz zu fassen. Der echte Kyniker ist άγγελος (III 1,37; 22,23. 69), από του Δ ιός άπέσταλται προς τους άν&ρώπους (III 22,23; 22,56.59; 124,6), um ihnen zu zeigen, wo Gutes und Böses ist (III 22,23). Er ist zugleich .abgesandt', um durch sein eigenes Beispiel zu lehren und zu seiner Nachfolge aufzurufen (III 22,46f.); er ist ein παράδειγμα υπό τον ϋεοϋ άπέσταλται (IV 8,31). Er wird von Gott nach Gyara ,gesandt' oder ins Gefängnis geschickt, um sich als μάρτυς rechter Freiheit anderen Menschen vorzustellen (III 24,113). Er muß leiden in Armut, in Niedrigkeit, in Krankheit, um in solcher Lage sein Zeugnis kräftig zu machen (11124,113). Ihm ist bei solchem Dienst gleichgültig, ob er durch böse oder durch gute Gerüchte hindurchgeht ; er richtet sein Augenmerk unverwandt auf Gott (III 24, 114) und bemüht sich, niemandem ein Ärgernis zu geben (III 22,93; IV 8,32). 63 Diese sind zwar auch vorhanden und vermögen einen Eindruck von der Mannigfaltigkeit religiöser Sendboten im Hellenismus zu geben; aber keiner der anderen Berichte führt in solche Nähe zum ntl. Apostolat wie die Darstellung, die dem kynisch-stoischen Weisen bei Epiktet zuteil wird. An Literatur zu den hellenistischen Wanderpredigern überhaupt vgl. man H. Greßmann [2]; E. Norden [1] S. 373ff.; 381; K . H o l l [2]; P. Wendland a.a.O.; Pauly-Wissowa X I I 14; E. v. Dobschütz [1] S. 2ff.; R. Reitzenstein a.a.O., S. 25ff.; C. Clemen a.a.O. S. 230ff. ; G. P. Wetter a.a.O.

Der kynische Weise bei Epiktet

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Statt άγγελος kann er auch κήρυξ heißen (III 21,13; 22,69), denn er muß die Freiheit und den Frieden ausrufen, die Gott durch die Vernunft hat verkündigen lassen (III 13,12; IV 5,24; 6,23). Nicht jeder ist geeignet zu diesem Amt, sondern nur der, den Gott dafür für würdig befunden hat (III 22,66; IV 8,32). Gott selbst muß den άγγελος berufen (III 21,18; 22,2). Er wird auch κατάσκοπος genannt (I 24,6-10; I I I 22,24.69), denn er muß in allen Lebenslagen ausspähen, was dem Menschen freund und feind sei, um dann zu berichten, wie man in echter Freiheit leben kann (III 22,24f.). Seine Aufgabe ist ferner, τους άλλους επισκοπεϊν (III 22,72), was sie tun, wie sie leben, worum sie sich kümmern, worin sie ihre Pflicht versäumen (III 22,77.97). Unermüdlich arbeitet er für die Menschen und bringt um ihretwillen schlaflose Nächte zu (III 22,94f.). Als lebendiges und vollkommenes Beispiel ruhigen Lebens kann der kynische Weise fragen : ονκ ειμί έλεύ&ερος (III 22,48) und behaupten, jeder, der ihn sähe, meint, er sähe einen βασιλεύς και δεσπότης (III 22, 49). Mit großem Mut (ΰαραεϊν) und Freimut (παρρησία) redet er zu den Menschen, denn ihre Angelegenheiten sind seine ureigensten Sachen (III 22,96f.). Nichts verbirgt er vor ihnen (11122,16). Es gibt kein höheres Amt als das seine (III 22,85), das königlich ist und das Szepter trägt (11121,19; 22,63.79). Er hat alle Menschen zu seinen Kindern angenommen und ist ihrer aller Vater (III 22,81). E r nimmt sich der Athener, der Korinther, der Römer, er nimmt sich aller Menschen in gleicher Weise an (III 22,84). Als König vor den Menschen ist er zugleich des Zeus υπηρέτης (III 22,82.95; 24,98.113) oder διάκονος (III 22,63; 24,65; 26,28; IV 7,20); Gottes Willen macht er zu seinem Willen (IV 7,20). F r e i w i l l i g gehorcht er Gott (IV 3,9) und dient er dem, der ihn gesandt hat (III 22,56); als Gottes Freund leistet er ihm willig Folge (IV 3,9). Er, der Mitregent Gottes (III 22,95), unterwirft sich selbst der göttlichen Regierung (III 24,65). Er, der Vater aller Menschen, erkennt selbst Zeus als seinen Vater an (III 22,82). So redet er denn auch nichts als das, was Gott ihm eingibt (III 1,36). K. Deissner ist sicherlich nicht zu unvorsichtig, wenn er auf Grund solcher Darstellung bemerkt: „Man wird — ganz abgesehen von den terminologischen Berührungen (vgl. besonders κήρυξ, κηρύσσω, απαγγέλλω, αποστέλλω, μάρτυς, άγγελος) — bestimmte Anklänge an das urchristliche Sendungsbewußtsein nicht verkennen dürfen. In den Stellen vom κατάσκοπος und επισκοπείν zeigt sich ein Verantwortungsbewußtsein gegenüber allen Menschen, das dem Verpflichtetsein des christlichen Missionars (vgl. οφειλέτης, Rom. 1,14) entspricht" (a.a.O. S. 786). Vieles von dem, was den kynischen Weisen nach unserer soeben gezeichnetenkurzen Skizze auszeichnet, finden wir bei dem urchristlichen Apostel wieder.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

Beide 64 sind religiöse Gestalten; beide sind von. Gott gesandt (Gal. I,1); beide stehen in unbedingtem Dienst am Menschen (Rom. 1,14); beide sollen durch ihr Vorbild lehren (l.Kor. 4,16) und jedes Ärgernis vermeiden (2.Kor. 6,3); für beide gehört das Leiden zu ihrem Beruf und dient zur Kräftigung des Zeugnisses (2.Kor. 4,10); beide haben eine von Gott kommende Botschaft auszurufen (2.Kor. 4,5) ; beide müssen von Gott für Ικανός befunden und von ihm selbst berufen worden sein (2. Kor. 3,5); beide gehen gänzlich in ihrem Beruf auf (2.Kor. ll,27ff.); beide sind frei (l.Kor. 9,1) und wollen frei machen (Gal. 5,13); beide reden mit großem Freimut (2. Kor. 3,12f.) und verbergen nichts (2.Kor. 4, lf.); beide nennen sich .Vater' der anderen Menschen (l.Kor. 4,15; Gal. 4,19); beide machen keinen Unterschied zwischen den Menschen (Gal. 3,28); beide sind Gottes Diener (2.Kor. II,23); beide gehorchen freiwillig ihrem Herrn (1. Kor. 9,16 ff.); beide reden nichts von sich (Rom. 15,18) usw. Hegen die einsichtigen Forscher schon seit langem keinen Zweifel daran, daß man den christlichen Apostel nicht von den sonstigen religiösen Sendboten des Hellenismus isolieren kann, so kann der oben angestellte Vergleich zeigen, daß von allen bisher zur Betrachtung herangezogenen Missionaren der kynische κατάσκοπος die größte Verwandtschaft mit dem urchristlichen Apostolat aufweist 6 5 . Heißt das aber, daß eine direkte oder auch indirekte Abhängigkeit vorliegt? Nun, im Blick auf einzelne Ausprägungen der Vorstellungen des Paulus von seinem Amt und auf bestimmte Formulierungen läßt sich mit Gewißheit sagen, daß sie aus der kynisch-stoischen Diatribe stammen 6 8 , sei es durch direkte, sei es durch indirekte 67 Übernahme. Aber mit gleich großer Sicherheit darf man feststellen, daß der urchristliche Apostolat ebensowenig eine Weiterbildung des κατάσκοπος ist, wie dieser nicht aus jenem entstanden ist. Dazu sind die Unterschiede zu groß und die Verwandtschaften oft nur formaler Art. Das Selbstbewußtsein des κατάσκοπος, dessen menschliche, vernünftige Leistimg letzten Endes seinen Dienst und seinen Wert bestimmt 6 8 , steht im genauen Gegensatz zum Selbstbewußtsein des Paulus, der durch Gottes Gnade ist, was er ist. Der kynische Weise ist in keiner Art eine eschatologische Gestalt. E r soll zwar nichts ohne Gott tun, aber er ist es im Grunde selbst, der mit seiner Vernunft Gottes Willen erforscht. Sein Selbstbewußtsein läßt es nicht zu, daß die Frage nach seiner Vollmacht aufgeworfen wird. E r leidet, um 64

Die entsprechenden Stellen aus Epiktet Diss, werden nicht wiederholt. Vgl. G. P. Wetter a.a.O. S. 27. " Vgl. dazu R. Bultmann, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynischstoische Diatribe, 1910. 67 Vgl. H. Thyen, Der Stil der jüdisch-hellenistischen Homilie, 1955, S. 63. 8 • Κ. H. Rengstorf [1] 412,14ff. 65

Der Apostel in der Gnosis

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leidend seine Existenz den anderen als Vorbild hinzustellen, während der Apostel leidet, damit in der Vernichtung des eigenen Seins die Kraft der fremden Botschaft aufleuchtet. Weder der Begriff des Mysteriums noch die Gestalt des Propheten begegnen in der Nähe des κατάσκοπος. Das Auftauchen des Fachausdrucks ,απόστολος' bleibt vom κατάσκοπος her ungeklärt, wenn auch gelegentlich άποστέλλειν erscheint, δρασις, άποκάλνψις u. ä. begegnet in seinem Umkreis nicht. Bei aller Verwandtschaft, die sicherlich beide Gestalten verbindet, mutet das Milieu, aus dem der Apostelbegriff stammt, neben dem rational bestimmten Wesen des kynischen Weisen bei Epiktet fast mystisch an. Trotz aller zweifellos vorhandenen Verbindungen miteinander ist eine Ableitung voneinander ausgeschlossen. Alle Gemeinsamkeiten beruhen auf der Tatsache, daß ,.Apostólos' wie ,Kataskopos' Gestalten einer Zeit und einer Welt sind, die durch einen kaum mehr vorstellbaren religiösen Synkretismus bestimmt waren, dem sich keine Philosophie oder Theologie entziehen konnte. Daß auch der urchristliche Apostelbegriff in eben dieser synkretistischen Welt und nicht im orthodoxen Judentum zu Hause ist, dürfte nun freilich ein wenn auch bescheidenes, so doch sicheres Ergebnis dieses letzten Abschnittes unserer Untersuchung sein. IV Bleibt aber im weiteren die Suche nach dem unmittelbaren Vorbild des ntl. Apostelbegriffs ergebnislos ? Pehlen uns die Quellen, die allein weiterführen könnten? Oder ist solches Suchen deshalb sinnlos, weil der urchristliche Apostolat eine originale Schöpfung — evtl. innerhalb und infolge des erwähnten Synkretismus — ist ? H. Mosbech, der die Unmöglichkeit der Ableitung des απόστολος vom Schaliach sehr scharfsinnig erkennt, stellt sich ([1] S. 187f.) diese originale Schöpfung folgendermaßen vor: Die ersten christlichen Missionare, meist Gelegenheitsarbeiter' auf missionarischem Feld, hießen εναγγελισταί oder anders. Später aber wollten in Antiochien einige Missionare mit verstärkter Autorität ihren Dienst versehen, nämlich gesandt entweder von einer Gemeinde, vorzugsweise der von Jerusalem, oder gar von Gott selbst. So entstand ein Unterschied zwischen den gelegentlichen und den Berufsmissionaren. Dieser Unterschied ließ Ausschau halten nach einer geeigneten Bezeichnung für die hauptamtlichen Evangelisten. Da άγγελος zu allgemein gefaßt und zudem bereits term, techn. für die himmlischen Boten war, wählte man als sprachliche Neuschöpfung απόστολος, einen Ausdruck, der sich dann schnell durchsetzte und verbreitete.

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Der U r s p r u n g des urchristlichen Apostolats

Das ist recht phantasievoll und erklärt außerdem bestenfalls den sprachlichen Ausdruck ,απόστολος'69 ; die Gestalt und das Wesen des urchristlichen Apostolats ist damit als Neuschöpfung noch keineswegs erwiesen, als solche freilich auch nicht einmal denkbar (s. S. 46f.). Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der ntl. Forschung der letzten Jahrzehnte, daß jene Gestalt der Aufmerksamkeit der Forscher entgangen ist, die nicht nur sachlich das genaue Gegenstück des urchristlichen Apostels darstellt, die auch nicht nur wie dieser im syrischen Raum beheimatet ist, sondern die sogar den Titel ,Apostel' mit großer Emphase als Selbstbezeichnung verwendet: nämlich der gnostische Apostel. Wir besitzen freilich nur sehr wenige Quellen der Gnosis aus ihrer Frühzeit, die mit dem ursprünglichen kirchlichen Apostolat noch gleichzeitig ist. Die erhaltenen urchristlichen Quellen aber, die wir der Auseinandersetzung mit der Gnosis verdanken, lassen uns den gnostischen Apostolat mit kaum geringerer Deutlichkeit erkennen als den frühkirchlichen70. Es ist allerdings ratsam, an dieser Stelle etwas auszuholen. Die eigentliche Funktion des gnostischen Apostels ist seine Tätigkeit als Erlöser. Die Erlösung ist das zentrale Anliegen der gnostischen Religion. Eine Untersuchung des gnostischen Erlösungsgedankens wird also den gnostischen Apostel notwendigerweise in den Blick bekommen, 89 I m Vergleich d a z u w ä r e d a n n die E r k l ä r u n g v o n Κ . H . Rengstorf d a s kleinere Ü b e l : „Vielleicht ist die Ü b e r n a h m e des W o r t e s in Antiochia geschehen, u n d zwar so, d a ß ,άπόστολος' hier zunächst die missionarische E x p e d i t i o n als solche, d a n n aber auch ihre einzelnen Angehörigen bezeichnete u n d schließlich sich als d a s gegebene W o r t zur Wiedergabe v o n ΓΡ1?® erwies" [1] 436, 33ff. - ·τ 70 I c h setze i m Folgenden die E x i s t e n z gnostischer Gemeinden f ü r die f r ü h e Zeit des Christentums — u n d d a m i t als ebenso alt wie die judaistischen u n d die hellenistischen Gemeinden — voraus. Ohne die B e s t r e i t u n g dieser Voraussetzung als unwissenschaftlich zu deklarieren, meine ich doch f ü r ihre Verfechter wenigstens denselben wissenschaftlichen E r n s t b e a n s p r u c h e n zu d ü r f e n wie f ü r ihre Bestreiter. I c h darf das P r o b l e m a n einem Beispiel verdeutlichen. Die Anklänge der paulinischen L i t e r a t u r a n die gnostische Sprache u n d a n die mythologische Vorstellungswelt der Gnosis sind evident. Noch in den 30er J a h r e n unseres J a h r h u n d e r t s versuchte A. Loisy, diese T a t s a c h e d u r c h eine radikale Aufs p a l t u n g der paulinischen B r i e f l i t e r a t u r in ursprüngliche u n d s p ä t e r e Stücke zu erklären. W e r diesen W e g nicht mitgehen k a n n , v e r s u c h t bis in unsere Tage hinein, die Gnosis als ein Zersetzungsprodukt des Paulinismus verständlich zu m a c h e n . Dagegen e r h e b t sich der unwiderlegliche E i n w a n d , d a ß die gnostische Terminologie bei P a u l u s n i c h t den gnostischen Mythos erst geschaffen h a b e n k a n n , sondern ihn v o r a u s s e t z t ! W a s bleibt also anderes übrig, als die Gnosis m i t in die A n f ä n g e des Christentums hineinzunehmen? D a n n m u ß m a n a b e r a u c h m i t gnostischen Gemeinden rechnen, d e n n eine mythologische Erlösungsreligion wie die Gnosis k a n n n u r in solchen Gemeinden ü b e r h a u p t existieren. Vgl. im ü b r i g e n : R . B u l t m a n n , Theologie des N T § 15; E . K ä s e m a n n in Z T h K 54 (1957) S. 19; ,Die Gnosis in K o r i n t h ' , S. 247ff.; ,Die H ä r e t i k e r in Galatien', S. 65f.

Der Apostel in der Gnosis : Die Erlöser-lose Gnosis

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und zwar von seiner wesentlichsten Funktion her. So sei im Folgenden im Blick auf den Erlöser-Apostel nach den Typen der gnostischen Erlösungsvorstellung gefragt. 1. So sehr die Tatsache der Erlösung für die gnostische Religion konstitutiv ist, so wenig ist es die Gestalt eines Erlösers. „Den Weg zur Bekehrung können die Seelen entweder durch in ihnen aufflammende Gnosis selber oder aber durch die Heilslehre finden, die ihnen in den christlich gefärbten oder direkt christlichen Systemen von dem Gesalbten verkündigt wird. Wesentlich ist jedoch dieser letztere Zug für die Gnosis durchaus nicht." 71 Dieses Urteil trifft auch für die mythologische Gnosis der gnostischen Frühzeit zu. Die Gnosis ist nicht an einem Erlöser, erst recht nicht an einer bestimmten Erlösergestalt, sondern allein an der Erlösung selbst interessiert. So sind denn auch die Zeugnisse, die eine Erlöser-lose Gnosis erkennen lassen, nicht gering. Obschon diese Axt des gnostischen Erlösungssystems unter unserer Fragestellung kaum interessiert, seien einige dieser Zeugnisse angeführt. Irenaus berichtet (125,1) von den Karpokratianern, nach ihrer Meinung habe das Pneuma Jesu die Erinnerung an das rein bewahrt, was es vor dem Fall in die Welt beim ,ungezeugten Vater' gesehen habe. Kraft dieser Erinnerung konnte dieses Pneuma den Weg nach oben finden und sich von den Weltschöpfern befreien. Jedes Pneuma, das dieselben Kräfte hat, kann denselben Weg gehen. So ist es nicht verwunderlich, daß die Anhänger des Karpokrates nach Irenäus die Apostel und sich selbst auf eine Stufe mit Jesus stellen; denn „ihre Seelen wären in demselben Kreise gewesen, hätten dieselbe Kraft empfangen und gingen eben dorthin zurück und hätten auch den Weltschöpfer verachtet". Ja, ,,si quis autem plus quam ille contempserit ea quae sunt hie, posse meliorem quam ilium esse". Es liegt am Tage, daß für diese Gnostiker Jesus keinerlei erlösende Funktion besitzt. Er ist von einer Erlöser-losen Gnosis lediglich als Exempel der gnostischen Existenz überhaupt übernommen worden. „Dem Karpokrates scheint ferner nach dem wenigen, was wir von ihm wissen, Kerinth sehr nahegestanden zu haben." 72 71 W. Schultz, Dokumente der Gnosis, Jena 1910, S. XIII. Vgl. M. Dibelius, Die Isisweihe bei Apuleius und verwandte Initationsriten, in: .Botschaft und Geschichte' II, 1956, S. 69: „Wenn ferner bei manchen christlich-gnostischen Sekten die Figur des Erlösers noch fehlt. . ." C. Colpe in RGG 3 II Sp. 1650f. G. Kretschmar ebd. Sp. 1657. W. Bousset, Hauptprobleme der Gnosis, S. 321: „Bemerkenswert ist, daß die Figur des Erlösers bei manchen dieser Sekten, den Ophiten des Celsus-Origenes, den nicolaitischen Gnostikern mit den obszönen Kulten, den Archontikern usw., noch gar nicht vorhanden ist." 72 W. Bousset, Hauptprobleme der Gnosis, S. 327.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

Besonders in der jüdischen Gnosis hat man anscheinend einen Erlöser oft nicht gekannt. Das dürfte u. a. damit zusammenhängen, daß die orthodoxe jüdische Tradition gänzlich auf den kommenden Messias ausgerichtet war, während für die Gnosis überhaupt nur eine Erlösergestalt der Vergangenheit sinnvoll denkbar ist. Die überlieferte Gnosis führte man darum gerne auf Adam zurück, an dem uns in unserem Zusammenhang nicht die überraschende Glorifizierung interessiert, die ihm infolge seiner Identifizierung mit dem Urmenschen in zahlreichen gnostisierenden spätjüdischen und frühchristlichen Schriften widerfährt, sondern seine häufige Charakterisierung als ,Prophet', als welcher er den kommenden Generationen das Zukünftige vorausgesagt hat 73 . Instruktiv hierfür ist das gnostisierende Adambuch, dessen Rezensionen Kautzsch abgedruckt hat 74 . Adam, der von allen himmlischen Geschöpfen angebetet, aber von Gott verstoßen wurde ( = Fall des Urmenschen), gibt vor seinem Tode bzw. seiner Entrückung ins Paradies seinen Nachkommen (Seth!) das .Wissen' um die .Geheimnisse' seiner Herkunft, an die er sich erinnert, und seiner Zukunft, die Gott ihm in einer ,Entrückung' bzw. durch das Essen vom Baum der .Erkenntnis' .offenbart'75. Dies Wissen soll den kommenden Generationen überliefert werden76; ist doch für die Gnosis die ganze Menschheit in das Schicksal des Adam-Urmenschen hineingenommen. Die syrische Schatzhöhle77, eine in der heutigen Form christliche Schrift, lebt stark in alten jüdischen und jüdisch-gnostischen Traditionen. In 5,13 heißt es, daß Gott dem Adam die ganze Zukunft geoffenbart habe. Adam gibt auf seinem Sterbebette diese Offenbarung weiter: „Mein Sohn Seth! Achte auf das, was ich dir heute anbefehle! Du sollst es an deinem Sterbetag dem Enos anbefehlen und Enos dem Kenan und Kenan dem Mahalaleel! Dieses Wort soll sich in allen Geschlechtern fortpflanzen" (6,9f.). Über Noah kommen die Geheimnisse Adams bis zu den Geschlechtern der Endzeit. Der Inhalt der Überlieferung, die so tradiert wird, ist — gnostisch formuliert — die Einheit des Allmenschen Adam mit Christus (6,18ff.). Uns interessiert nur, daß dieses Wissen vom Urmenschen her überliefert wird. Einer Erlösergestalt bedarf es dazu nicht. Das gleiche gilt vom ,Testament des Adam' (Rießler S. 1084ff.). Adam gibt das Wissen, das er im Paradiese empfing (3,4), seinem Sohn 73 Stellen und Literatur bei H. J. Schoeps, Aus frühchristlicher Zeit, 1950, S. 7ff. ; E. Käsemann [1] S 128; s. auch Anm. 83. 74 Apokryphen und Pseudepigraphen des AT, 1900, S. 512ff. 75 Vita 25-29 = Kautzsch S. 516. 76 Apok. Mos. 3 = Kautzsch S. 515; Vita 44 = Kautzsch S. 520. 77 Rießler, Altjüdisches Schrifttum, S. 942ff.

Der Apostel in der Gnosis : Die Erlöser-lose Gnosis

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Seth weiter, der es aufschrieb und bis zur Zeit Christi verbarg (3,20f.)78. Epiphanius erwähnt (26,2,6) ein Evangelium der Eva, von dem er uns auch ein Fragment überliefert. Dies Evangelium dürfte die Uroffenbarung enthalten haben, die Eva durch das Essen vom Baum der Erkenntnis oder auf dem Wege der Belehrung durch die Schlange empfing7β. Die Gnosis ist demnach von Anfang an und ohne Vermittlung eines besonderen Erlösers bekannt. Jüdische .Zauberer' rufen denn auch als Adam Gott um Befreiung aus der Finsternis der Welt an oder preisen ihn wegen der vollzogenen Himmelsreise, ohne daß eine Erlösergestalt dabei in den Gesichtskreis tritt80. Anz 81 vermutet mit guten Gründen, daß in bestimmten gnostischen Kreisen auch von Marduk behauptet wurde, er habe als Urmensch in der Urzeit die erlösende Gnosis dem Menschen mitgeteilt. Von den Ophiten berichtet Irenaus (I 30,7), daß nach ihrer Lehre Adam-Urmensch und Eva von dem Baum im Paradies aßen: „Da erkannten sie die himmlische Kraft und wandten sich von ihren Schöpfern ab." Auch hier also wird die Gnosis ohne Beteiligung eines Erlösers gewonnen, und zwar in der Urzeit. Damit ist Jesus, der in diesem ophitischen System nicht fehlt, entbehrlich und gewiß auch nicht ursprünglich82. In der letzten Zeit ist mehrfach die Gestalt des ,wahren Propheten' in den Pseudo-Clementinen diskutiert worden83. Ohne in diese Diskussion einzugreifen, sei festgestellt: Dieser wahre Prophet ist mit Adam identisch84. Seine Aufgabe ist, die Gnosis zu künden (Horn. X I 19, Iff.). Dieser Adam aber begegnet als der wahre Prophet forthin in vielerlei Gestalten, auch in Jesus, bis er zur (himmlischen) Ruhe kommt (Horn. I I I 20,2). Ja, er ist eigentlich in jedem Menschen gegenwärtig, um das Licht der Erkenntnis anzuzünden (Ree. 152; V I I I 59-62). Strecker hat Recht mit seiner Feststellung: „Die Aufgabe Vgl. W . Staerk, Soter I I , S. 33. Hennecke-Schneemelcher, N t l . Apokryphen I , 19593, S. 166ff. 80 Vgl. E . Peterson, Die Befreiung Adams aus der άνάγκη, in ,Frühkirche, Judentum und Gnosis', 1959, S. 107ff. Vgl. auch G. Widengren [3] S. 23f.; 63. 81 Zur Frage nach dem Ursprung des Gnostizismus, 1897, S. 94ff. 82 W . Bousset, Hauptprobleme, S. 264f. 83 G. Strecker, Das Judenchristentum in den Pseudoklementinen, 1958, T U 70, S. 145-153; H . J. Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, 1949, S. 98-116; ders., Urgemeinde, Judenchristentum, Gnosis, 1956, S. 50-54; W . Staerk, Soter I I , S. 98-112. 84 H . J. Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, S. 100; G. Strecker, a.a.O. S. 147f. 78

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des wahren Propheten entspricht der Tätigkeit des Erlösers in den gnostischen Systemen."85 Aber es ist zu beachten, daß der ,Prophet' •— wenigstens in seiner Grundstruktur — gar keine vom Himmel gesandte Erlösergestalt darstellt, sondern der gefallene Urmensch selbst ist, dessen .Wissen', in welchem Menschen auch immer es erweckt ist, auf Erinnerung beruht. Der Gestaltwandel des ,Propheten' ist kein anderer als der der Seelen überhaupt, die, aus Adam, dem ,Schatzhaus der Seelen', hervorgehend, von Körper zu Körper wandern86, bis sie zur himmlischen Ruhe finden. So ist auch die Erkenntnis keine andere als die von Anfang mitgebrachte, oft vergessene und immer wieder erwachte oder erweckte. Nicht anders ist zu verstehen, was Hippolyt von der Lehre des Elchasai berichtet: „Von Christus sagt er, er sei ein Mensch wie alle gewesen; er sei aber nicht jetzt zum ersten Male von einer Jungfrau geboren worden, sondern auch schon früher, und auch weiter sei er oft geboren worden und werde er geboren, sei dagewesen und sei noch da, indem er die Herkunft ändere und die Leiber vertausche . . ."87 ,,. . . einen Christus bekennen sie nicht, sondern es gäbe zwar einen in der Höhe, dieser sei aber vielmals in viele Leiber eingegangen, und jetzt in den Jesus . . . danach gehe er immer weiter in Leiber ein und zeige sich zuzeiten in vielen."88 Offensichtlich ist .Christus' hier nur Bezeichnung für den gefallenen Urmenschen, und als solcher lebt er in den Menschen, nicht als eigentliche Erlösergestalt 89. Epiphanius weiß denn auch zu berichten, daß der Christus der Eichasaiten mit Adam identisch sei: Haer. 53,1 f. Dann muß aber auch die Gnosis aus der Zeit des ersten Adam tradiert worden sein und sich in vielen seiner Glieder oftmals offenbaren. Manche Stücke der mandäischen Literatur lassen jeden Hinweis auf eine Erlösergestalt vermissen. Es handelt sich dabei vornehmlich um Gedichte aus dem 3. Buch des linken Teils des Ginza. Alles Interesse liegt auf dem Aufstieg der Seele, die sich selbst erlöst : „Die Seele löste die Kette, sie sprengte die Bande. Sie legte den körperlichen Rock ab, dann wandte sie sich um, sah ihn und erbebte." 90 85

A.a.O. S. 151. Vgl. Lidz Joh. 83,18ff., wo Johannes als Manifestation des Adam erscheint. 87 Hipp. 9,14. 88 Hipp. 10,29; vgl. Epiph. Haer. 30, 3,5; 53, 1,8. 89 Zu der Gleichung Urmensch-Christus s. ,Die Gnosis in Korinth'. S. 82-134 und unten S. 161ff. 90 Lidz Ginza S. 514, Iff. 86

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Dann fliegt die Seele hin, bis sie zum Haus des Lebens kommt; kein Erlöser wird als Helfer benötigt. Der rettende Weg ist seit der Urzeit vorhanden : „Ruhe und Heil walte auf dem Wege, den Adam recht gebauet, Ruhe und Heil walte auf dem Wege, den die Seele gehet." 91

Im 20. Stück dieses Buches berichtet die Seele von ihrem Schicksal : Durch Adam ist sie in den körperlichen Rumpf gekommen. Das weiß die Seele offenbar seit jeher; kein Erlöser brachte ihr diese Gnosis. Erst „als ihr Maß und ihre Zahl erfüllt war", kommt ein ,Löser', der sie nach oben führt92. Oder man vergleiche das interessante 51. Stück: „Meine Seele verlangte in mir nach dem Leben, in meinem Inneren blühte mir das Wissen auf. Meine Seele verlangte in mir nach dem Leben, nach dem Orte des Lebens war mein Gang. Ich flog und zog hin, bis ich zum Hause des Lebens kam." 9 3

Auch hier erfolgt die Erlösung ohne Erlöser. In diesem Zusammenhang darf auch auf die zahlreichen Stellen der mandäischen Schriften hingewiesen werden, an denen das bloße anonyme ,Wort' den Dienst der Erlösung tut, z. B. : „Ihr wurdet aufgerichtet und gefestigt durch das Wort der Wahrheit, das zu euch gekommen ist. Das Wort der Wahrheit ist zu den Guten gekommen, das wahrhafte Wort zu den Gläubigen. An den Ort, der ganz Leben ist, sind eure Seelen gerufen und geladen." 94

Von diesem ,Wort' heißt es in den Od. Sal. ausdrücklich : „Und niemals fällt es, sondern es steht und steht, und kennt nicht sein Herabkommen noch seinen Weg." 96

Es ist also immer schon bekannt gewesen. 91 92 93 94 95

Lidz Ginza S. 513,28-31. Lidz Ginza S. 544. Lidz Ginza S. 578ff. Lidz Ginza S. 529,5ff. Od. Sal. 12,6.

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In den Od. Sal. ist es häufig Gott selbst, der in ganz atl. Manier den Beter errettet, ohne daß ein Erlöser in Tätigkeit tritt. Vgl. z. B. Ode 15 : „Wie die Sonne eine Freude ist f ü r die, die nach ihrem Tag verlangen, so ist meine Freude der Herr. D e n n er ist meine Sonne, u n d seine Strahlen haben mich aufstehen lassen, u n d sein Licht h a t alle Finsternis von meinem Angesicht vertrieben. Erhalten habe ich durch ihn Augen, u n d geschaut habe ich seinen heiligen Tag. Geworden sind mir Ohren, u n d ich habe seine Wahrheit gehört. Geworden ist mir das Denken der Erkenntnis, und ich bin ergötzt worden durch ihn. Den Weg des I r r t u m s habe ich verlassen, und ich bin hingegangen zu ihm u n d habe empfangen Erlösimg von ihm ohne U n d nach seiner Gabe h a t er mir gegeben, [Mißgunst. und nach der Größe seiner Schönheit h a t er mich gemacht. I c h habe angezogen die Unvergänglichkeit durch seinen Namen, u n d ich habe abgelegt die Vergänglichkeit durch seine Güte. Der Tod ist vergangen vor meinem Antlitz, u n d die Unterwelt h a t aufgehört durch mein Wort. U n d es ist erwachsen im Lande des H e r r n Leben ohne Tod u n d ist bekanntgeworden seinen Gläubigen u n d ist gegeben worden ohne Abzug allen denen, die auf ihn bauen. Hallelujah!" 9 «

Das ist Gnosis im Gewände atl. Sprache. Vgl. noch Ode 25 : „ E n t r o n n e n bin ich aus meinen Banden u n d bin zu dir entflohen, mein Gott. D e n n du warst die Rechte der Erlösung u n d mein Helfer. U n d ich wurde bekleidet m i t dem Kleide deines Geistes u n d t a t a b von mir die Fellgewänder" 9 7 ( = den Leib).

Wie eine ausdrückliche Polemik gegen jede besondere Erlöser gestalt liest sich Od. Sal. 26: „Oder, wer ist es, der auf dem Höchsten r u h t , der reden k ö n n t e aus seinem Munde? Wer ist imstande, die W u n d e r des H e r r n zu erklären? D e n n der Erklärer wird vergehen, u n d bestehen bleiben wird, der erklärt wenden soll. Denn es genügt, Erkenntnis zu haben u n d (darin) R u h e zu

finden."

Diese Hinweise mögen zur Begründung der oben aufgestellten Behauptung genügen, daß die Gnosis nicht auf die Gestalt eines Erlösers 96 97

Nach der Übersetzung von Walter Bauer in: Kleine Texte 64, S. 31 f. E b d . S. 53; vgl. Od. Sal. 10; 12; 18; 21; 37; 40.

Der Apostel in der Gnosis : Der himmlische Apostel

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angewiesen ist 98 . Dessen ungeachtet pflegen wir mit der Erlösung durch einen gnostischen Erlöser als mit dem Üblichen zu rechnen. Mit Recht! Jedoch tut man gut daran, die verschiedenen Typen der gnostischen Erlösergestalt streng zu unterscheiden. Zwei Haupttypen sind festzustellen: Einerseits der vom Himmel gesandte Erlöser, anderseits das irdische Wesen, das sich die Gnosis vom Himmel holt". Zur vorläufigen Orientierung über diese Unterscheidung seien mit M. Dibelius 100 zwei grundsätzliche Äußerungen gegenübergestellt. Joh. 3,11-13: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an. Wenn ich euch das Irdische sage, und ihr nicht glaubt, wie werdet ihr dann glauben, wenn ich euch das Himmlische sage? Und niemand ist zum Himmel aufgestiegen, außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: Der Menschensohn"; d. h. für Johannes: Botschaft von dem Himmlischen können nur die Himmlischen selbst bringen. Daneben soll Corp. Herrn. X 25 stehen: „Denn niemand der himmlischen Götter wird auf die Erde kommen, indem er das Gebiet des Himmels verläßt, sondern der Mensch steigt auch zum Himmel auf und mißt ihn aus und weiß, was seine Höhe ist, was seine Tiefe, und lernt das andere alles genau kennen und — was das größte von allem ist — er kommt in die Höhe, ohne die Erde zu verlassen ! Von solcher Größe ist seine Ekstase" ; d. h. die Irdischen holen sich selbst die erlösende Botschaft von der himmlischen Welt 101 . Wir richten unsere Aufmerksamkeit zunächst auf den ersteren Typ des Erlösers. 2. Dieser Typ ist fern davon, in sich eine Einheit zu bilden. Die Gestalt des himmlischen Erlösers begegnet in mannigfachen Ausprägungen, und eine nähere Betrachtimg zeigt, daß die uns geläufigste Ausprägung, nämlich die Gestalt des in das Fleisch gekommenen Himmelswesens, sehr selten und für den ganzen Typ keineswegs bezeichnend ist. 98 Das gilt übrigens auch von der jüdischen Eschatologie; vgl. P. Vielhauer, Gottesreich und Menschensohn, Festschrift für Günther Dehn, 1957, S. 71; 76. 99 G. P. Wetter a.a.O. S. 47 spricht „von dem ganz konkret, real gedachten Gottessohn, der vom Himmel fliegend oder von seinen Engeln getragen zur Erde gelangt ist" und von dem „fast spiritualistisch-psychologisch gedachten Gnostiker, der in der Ekstase, in der Vision, zum Gott wird und sich zum Himmel erhebt". 100 Botschaft und Geschichte II, S. 78. 101 E. Pax (a.a.O. S. 80) charakterisiert das gesamte Denken des Corp. Herrn, im Sinne des letzten Zitates mit den Worten: „Die &έα, nicht die επιφάνεια wird erstrebt."

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

a) Häufig kommt zwar die Erlösung von oben, aber ein eigentlicher Erlöser als himmlisches Wesen tritt gar nicht oder kaum in Erscheinung. Wichtig ist allein, daß von außerhalb der Welt ein R u f ertönt 102 : „ E i n Ruf kommt u n d belehrt über alle Rufe. E i n e Rede k o m m t u n d belehrt über alle Reden." 1 0 3 „Ein U t h r a r u f t von außen her u n d belehrt Adam, den Mann." 1 0 4

Auch in dem letzten Wort geht es nicht um die Person des Redenden, sondern um ihre Rede, die genauso gut von einem beliebigen anderen Gesandten oder auch von Manda d'Haije erschallen kann: „Der Ruf Manda d'Haijes ist es, der a m Außenrande der Welten steht. Am Außenrande der Welten steht er und r u f t n a c h seinen Auserwählten. E r spricht: . . ." 1 0 5

Der Sachverhalt liegt ähnlich, wenn Manda d'Haije, wie es oft der Fall ist, gar nicht in seiner Personalität auftritt, sondern als die ursprüngliche γνωσις, deren Namen er trägt: „ E i n Ruf erscholl über die ganze Erde, der Glanz ging u n t e r in jeglicher Stadt. Manda d ' H a i j e offenbarte sich allen Menschenkindern u n d erlöst sie von der Finsternis zum Lichte, von der Dunkelheit zum Lichte des Lebens." 1 0 8

Alle Umstände dieser Offenbarung sind gleichgültig 107 . Auch kann der Gesandte einfach als ,Wort' von jenseits in diese Welt kommen : „Ich bin ein W o r t , ein Sohn v o n Worten, der ich im N a m e n des J a war hierher gekommen bin." 1 0 8

Dieses Wort spricht : „Von der E r b a u u n g Jerusalems bis zum Zeitalter des Arabers M a h a m m a t weilte ich unter meinen Jüngern. Ich wählte u n t e r ihnen u n d ließ sie zum Lichtort emporsteigen." 1 0 9 102 103 104 105 106 107 108 109

Siehe H . Jonas, Gnosis u n d spätantiker Geist I, 1954 2 , S. 120ff. Lidz Ginza S. 91. Lidz Ginza S. 387; vgl. Lidz J o h S. 225,5. Lidz Ginza S. 397. Lidz Ginza S. 182; vgl. S. 179; 253; 322ff.; 345; 353ff.; 371; 388f. Vgl. noch Lidz Ginza S. 253,3ff.; 256,1 Iff. Lidz Ginza S. 295. Lidz Ginza S. 300,9ff. ; vgl. S. 295ff.

Der Apostel in der Gnosis : Der himmlische Apostel

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Die häufige Formel : „Das Leben wird hochgehalten u n d ist siegreich, u n d siegreich ist der Mann, der hierher gegangen ist." 1 1 0

fragt gar nicht konkret nach einem bestimmten Kommen eines bestimmten Mannes, sondern spricht einfach vom Kommen der Gnosis. Das Johannesbuch der Mandäer beginnt: „ A m Tore der Welten s t e h t K u s t a u n d spricht fragend hinaus in die W e l t . "

Kusta ist hier der Inbegriff der mandäischen Gemeinschaft, die nach dem Ursprung des Menschen und des All fragt. Wenn Ptahil oder — in Kap. 2 — Jokasar die Antwort auf dieses Fragen geben, so bleibt die Person des vom Jenseits her Sprechenden — der Erlöser — ohne Bedeutung111. Aus dem manichäischen Erlösungsdrama zitiere ich aus der Kosmogonie bei Theodor bar Khonai112: „ D a rief der lebendige Geist mit seiner Stimme, u n d die Stimme des lebendigen Geistes -wurde einem scharfen Schwerte gleich u n d (er) enthüllte seine Gestalt dem Urmenschen. U n d er sprach zu ihm : Heil über dich, Guter inmitten der Bösen, Lichter inmitten der Finsternis, (Gott,) der wohnt inmitten der Tiere des Zorns, die seine E h r e nicht kennen. D a antwortete ihm der Urmensch u n d sprach: K o m m mit Heil, bringend die Schiffslast von Frieden u n d Heil, u n d er sprach weiter zu i h m : Wie geht es unsern Vätern, den Söhnen des Lichtes in ihrer S t a d t ? U n d es sprach der Ruf zu ihm : sie befinden sich wohl. U n d es geleiteten einander Ruf u n d Antwort u n d stiegen empor zur Mutter des Lebens und zum Lebendigen Geist." 110

Zum Beispiel Lidz Ginza S. 360,9f. Diese Form, Erlösung zu empfangen, begegnet auch in der Sintfluttradition des ä t h . Henochbuches, bes. K a p . 65ff. ; 106f. : „ I n jenen Tagen sah Noah, wie sich die Erde senkte, u n d ihr Verderben nahe war. D a hob er seine Füße auf von dort, wanderte bis zu den E n d e n der Erde u n d schrie zu seinem Großvater Henoch. Dreimal sprach Noah mit trauriger Stimme: Höre mich, höre mich, höre m i c h " (65, Iff.). I n dieser Tradition ist Henoch ein Himmelswesen, das bei den Engeln wohnt (106,7). H . L . J a n s e n (Die Henochgestalt, Oslo 1939) verm u t e t hinter diesem T y p des himmlischen Erlösers als Vorbild die Gestalt des babylonischen Ea-Oannes (a.a.O. S. 13ff.). 112 Vgl, Reitzenstein-Schaeder, Studien zum antiken Synkretismus, Anhang I, S. 342ff. ; H . Jonas, Gnosis I S. 301ff. 111

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7801 Schmithals, Apostelamt

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Hier wie auch im folgenden mandäischen Stück bleibt der Erlöser am Rand der Welt stehen ; nur sein Ruf dringt aus dem Jenseits in die irdische Finsternis : „Der Auserwählte predigt von jenseits her und klärt die Söhne Adams auf. Er klärt die Söhne Adams auf, diese Einfältigen, die nichts erkannt haben. E r spricht zu ihnen: . . ," 1 1 5

Der Ruf kann auch in der Form eines Briefes ergehen : „Und schrieben mir einen Brief, und jeder Gewaltige setzte seinen Namen darauf. Er flog einem Adler gleich, dem König alles Gefieders. Er flog und ließ sich neben mir nieder und wurde ganz Rede. Auf seinen Ruf und sein lautes Rauschen hin erhob ich mich und stand auf von meinem Schlafe. Ich nahm ihn auf und küßte ihn, und ich begann ihn zu lesen; und so, wie es in meinem Herzen eingegraben war, Waren die Worte meines Briefes geschrieben." 114

Im mandäischen Schrifttum wird die erlösende Offenbarung oft einem anonymen Gesandten in den Mund gelegt. Er stellt sich vor: „Der Gesandte des Lichtes bin ich, den der Große in diese Welt gesandt hat. Der wahrhaftige Gesandte bin ich, an dem keine Lüge ist." 1 1 6

Doch erfahren wir nichts über den Namen, das Auftreten, die Zeit des Gesandten. Er ist als Person ganz uninteressant. Allein die Worte, die ihm in den Mund gelegt werden, interessieren, und diese Worte dürften — traditionsgeschichtlich betrachtet — älter sein als der Gesandte, in dessen Mund sie begegnen. Anonym sind auch die Reden im Johannesbuch der Mandäer Kap. 42-5111β. Auch der ,Seelenfischer' in Kap. 36-39 ist ein solcher anonymer Erlöser. Vermutlich war die Zahl der anonymen Lieder in der mandäischen Literatur ursprünglich viel größer als heute. 113 114

Lidz Ginza S. 391,23-27. Aus dem Perlenlied der syrischen Thomasakten; Übersetzung von A. Adam, Die Psalmen des Thomas, Beihefte zur ZNW 24, 1959, S. 51 f. 115 Lidz Ginza S. 58. 116 Vgl. Kap. 13.

Der Apostel in der Gnosis : Der himmlische Apostel

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Hymnen, in denen einfach die Gnosis selbst spricht, finden sich nicht wenige auch in den Oden Salomos, ζ. B. Od. Sal. 8; 9; 22; 23: „Und erkennet meine Erkenntnis, die ihr in Wahrheit mich erkennt."117 „Und sein Gedanke war wie ein Brief, und sein Wille kam herab aus der Höhe. Und er wurde entsandt wie ein Pfeil vom Bogen, der mit Gewalt abgeschnellt wird."118

Nicht am wenigsten ist in diesem Zusammenhang auf die Reden des Johannesevangeliums zu verweisen. Daß sie auf eine literarische Quelle zurückgehen, halte ich für erwiesen119. Aber auch eine mündliche' Quelle müßte einen ,Sitz im Leben' gehabt haben. Welcher Offenbarer spricht in der Quelle? Offenbar eine anonyme Gestalt, bei der man nicht nach Zeit und Ort ihres Auftretens fragen darf; alle Namen, die dieser Offenbarer trägt 120 , sind Bilder, die seine Bedeutung bezeichnen. Der Offenbarer ist in Wahrheit die Gnosis selbst 121 , aber keine historische Gestalt, auch kein historisiertes mythologisches Wesen. Die theologische antignostische Leistung des Johannes besteht gerade darin, daß er diesen Erlöser in Jesus Christus in das Fleisch gekommen sein läßt. Wir gewinnen dabei Einblick in eine Entwicklung, die wir bereits bei den mandäischen Schriften beobachteten und noch öfter bemerken werden : Ein ursprünglich anonymes Erlösungswort wird erst später einer mythologisch oder historisch gezeichneten Erlösergestalt in den Mund gelegt. Am Anfang der Gnosis stand kein Erlösermythos, sondern die erlösende Gnosis als solche. Die hypostasierte Weisheit der spät jüdischen Literatur 122 ist ebenfalls eine solche anonyme himmlische Erlösergestalt. Sie spricht : „Ich ging hervor aus dem Munde des Höchsten und wie Nebeldampf bedeckte ich die Erde. Ich nahm meinen Wohnsitz in der Höhe, und mein Thron war auf einer Wolkensäule. Im Himmel wohnte ich zugleich mit ihm, und in der Tiefe der Fluten des Chaos wandelte ich. Die Wogen des Meers und die ganze Erde und jedes Volk und jede Nation zog ich in meinen Machtbereich. 117

Od. Sal. 8,12. Od. Sal. 23,5f. us Vgl. dazu neben R. Bultmanns Johanneskommentar: Heinz Becker, Die Reden des Johannesevangeliums, FRLANT NF 50, 1956. 120 Licht, Sohn, Weinstock, Leben, Weg, Guter Hirte usw. 121 R. Bultmann vergleicht daher mit Recht die Offenbarungsreden der von ihm rekonstruierten Quelle mit den Od. Sal. (Johannesevgl., S. 4 Anm. 5 u. ö.), H. Becker mit den mandäischen Schriften (a.a.O. S. 123f.). 122 Vgl. U. Wilckens, Weisheit und Torheit, Beitr. zur hist. Theol. 26, 1959, S. 160-197. 118

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Der Ursprung des urchristlichen. Apostolats

Von Ewigkeit her, von Anfang an schuf er mich, und bis in Ewigkeit werde ich nicht aufhören. Tretet heran zu mir, ihr, die ihr nach mir Verlangen habt, und von meinen Früchten sättigt euch! Die mich essen, werden immer wieder nach mir hungern, und die mich trinken, werden immer wieder nach mir dürsten." 123 „Jahwe schuf mich am Anfang seiner Wege, als erstes seiner Werke, vorlängst. Seit der Urzeit bin ich begründet, seit Anbeginn, seit dem Ursprung der Erde. Nun denn, ihr Söhne, höret auf mich! Hört auf Zucht, daß ihr weise werdet ! Wohl dem Menschen, der auf mich hört, und wohl denen, die meine Wege einhalten, indem sie Tag für Tag an meinen Türen wachen, indem sie die Pfosten meiner Türe hüten! Denn wer mich findet, der findet Leben und erlangt Wohlgefallen von Jahwe. Wer mich aber verfehlt, der frevelt gegen sich selbst; alle, die mich hassen, wollen den Tod." 124 Damit wiederum ist der Logos in der Q u e l l e zum Prolog des J o hannesevangeliums zu vergleichen 1 2 5 : „Im Anfang war der Logos und der Logos war bei Gott und ein Gott war der Logos; dieser war im Anfang bei Gott. Alles wurde durch ihn, und ohne ihn wurde auch nicht eines. Was immer geworden ist, in ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen und das Licht scheint in die Finsternis . . ." ( Joh. 1,1-5) b) Wenn man prüft, in welcher Weise in den mandäischen Schriften der Gesandte eine gewisse historische, oder besser: konkret-mythologische Kontur gewinnt und so aus seiner anonymen Unfaßbarkeit heraustritt, so liegt die Antwort am Tage : Der Erlöser ist in der U r z e i t auf die Erde gesandt worden. Diese mythologische Zeitbestimmung beherrscht den überwiegenden Teil der mandäischen Literatur, besonders des Rechten Ginza12®. Wir nennen diese Ausprägung des ErSir. 24,3-6.9.19.21 (Kautzsch). Spr. Sal. 8,22f. 32-36 (Kautzsch); vgl. 1,20-33. 125 Ygi auch dag Fragment in äth. Hen. 42,1-3. ΐ2β Vgl. w . Bousset, Hauptprobleme, S. 274; K. Rudolph S. 149 f. 123 121

a. a. O.

Der Apostel in der Gnosis : Der himmlische Apostel

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lösers den Urzeit-Gesandten. Er hat sein Gegenstück u. a. in den Engelgestalten der jüdischen Apokalyptik, die zu den Urvätern gesandt werden, um ihnen das Bevorstehende anzukündigen (vgl. ζ. B. äth. Hen. 10,1). Anz 127 weist auf die in der babylonischen Religion durch Marduk erfolgende Uroffenbarung hin und schreibt: „Damit wäre dann auch schon gesagt, daß im ursprünglichen Gnostizismus die rettende Offenbarung nicht als am Ende, sondern am Anfang der Zeiten erfolgend gedacht war. So lehren in der Tat die Mandäer eine Uroffenbarung mit ausdrücklicher Ablehnung der in Jesus erfolgten Offenbarung . . ( a . a . O . S. 95). Die Namen der Urzeitgesandten der mandäischen Überlieferung entsprechen weithin denen der biblischen Urgeschichte, doch scheint diese selbst nicht direkt benutzt worden zu sein128. Die dramatischen Auseinandersetzungen zwischen den Mächten des Lichtes und denen der Finsternis spielen sich stets in der Urzeit ab, manchmal noch vor der Schöpfung der Welt oder des Menschen, so ζ. B. im 1. Stück des 5. Buches des Rechten Ginza129. Mit der dann folgenden Weltschöpfung aber ist oft auch die Mitteilung der erlösenden Gnosis durch einen Gesandten der himmlischen Welt verbunden. In dem umfangreichen 3. Buch des Rechten Ginza wird zunächst die Geschichte der Urschöpfung und der Weltschöpfung erzählt. In Kap. 100 ( = Lidz Ginza S. 107) faßt Ptahil den Plan, Adam zu schaffen. Das gelingt nach vielen Schwierigkeiten. Noch bevor Eva geschaffen wird, erscheint Manda d'Haije dem Adam in Körpergestalt, um ihm die Wahrheit mitzuteilen, durch die er sich selbst erkennen und von der Gewalt der Bösen befreit halten kann : „Ich setzte mich zu ihm und belehrte ihn über das, was das Leben mir aufgetragen. Ich predigte ihm mit hehrer Stimme, die hehr und leuchtender als alle Welt war. Ich predigte ihm mit sanfter Stimme und weckte sein Herz aus dem Schlafe. Ich sprach mit ihm in der Rede der Uthras und lehrte ihn meine Weisheit. Aus meiner Weisheit lehrte ich ihn und sagte ihm, daß er sich erhebe und das gewaltige (Leben) anbete und preise. Er preise den hohen Ort, die Stätte, an der die Guten wohnen. Er preise Adakas-Ziwa, den Vater, von dem er herkam."130 127 128 129 130

Ursprung des Gnostizismus, TU XV 4, 1897, S. 93ff. Vgl. Lidz Ginza S. VII. Lidz Ginza S. 149ff. Lidz Ginza S. 112,24-37.

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Diese Unterweisung hat Erfolg: „Wie ich dasaß und ihn unterwies, erhob er sich, verehrte und pries das Gewaltige. Er pries seinen Vater Adakaa-Ziwa, den Mana, von dem er geschaffen worden war." 131 Nach der Erschaffung der Eva wird die Unterweisung durch Manda d'Haie fortgesetzt 132 . Viele andere Stücke wissen von solcher Offenbarung des Gesandten an den ersten Menschen : „Mich, den lauteren Gesandten, rief und beauftragte mein Herr und sprach : Gehe, rufe eine Stimme Adam, seinem Weibe Hawwa und allen seinen Sippen zu. Eine hehre Stimme rufe ihnen zu und belehre sie über jegliches Ding. Belehre sie über den hohen Lichtkönig, dessen Macht weitreichend und groß, ohne Grenze und Zahl ist. Belehre sie über die Lichtwelten, die unvergänglichen. Rede mit ihm, daß sein Herz erleuchtet werde, und belehre ihn, daß sein Sinn erleuchtet werde. Zeige dich ihm gnädig und leiste ihm Gesellschaft, du und die beiden Engel, die mit dir sind. Lehre Wissen Adam, Hawwa sein Weib und alle seine Sippen. Sage ihnen, daß die Bösen und Satan, der Untaugliche, sie nicht verführen sollen."133 Nicht immer ist Adam der Empfänger der ersten Offenbarung. An manchen Stellen erscheinen Eva-Hawwa, Abel-Hibil, Seth-Sitil 134 oder Enos-Anos als jene Gestalten der Urzeit, denen oder zu deren Zeit die Gnosis zuerst mitgeteilt wird 1 3 5 : „Diese Worte richtete Manda d'Haije an Sitil" (Lidz Ginza S. 260,9) „Da sprach Manda d'Haije zu mir: Kleiner Enos, fürchte dich nicht vor mir" (Lidz Ginza S. 264,20f.) „Als Hibil der Hüter des Zeitalters war, war ich (Jokabar-Kusta) der Bote vor ihm" (Lidz Ginza S. 319,5f.) „Gehe du, rede Hawwa zu und laß ihr Herz auf seiner Stütze ruhen" (Lidz Ginza S. 439,7f.) In Kap. 14-17 des Johannesbuches der Mandäer ist Sum bar Nu ( = Sem, Noahs Sohn) der Empfänger der Offenbarung, die ein ungenannter „Gesandter aus der Höhe" bringt. Stets ist damit ausgesagt, daß die Gnosis von Urzeiten her bekannt ist 138 . Das allein ist wichtig, nicht etwa eine besondere Form des 132 Lidz Ginza S. 119; 141. Lidz Ginza S. 112,38-113,2. Lidz Ginza S. 16,5-15; vgl. S. 34ff.; 220ff.; 387: Lidz Joh. S. 66. Seth spielt in der Gnosis eine besonders große Rolle, wie aus manchen der weiteren Beispiele ersichtlich ist. Vgl. zu Seth: E. Preuschen, Die apokryphen gnostischen Adamschriften, Sonderdruck aus Festgruß für B. Stade, Gießen 1900; W. Staerk, Soter II, S. 41 f.; G. Widengren [3] S. 47; Epiphanius Haer. 39 9. 135' Vgl', k . Rudolph a.a.O. S. 162ff. 138 Von daher erklären sich gnostische Sektennamen wie Sethianer, Melchisedekianer, Adamiten, Noahiten, Kainiten usw. 131 133 134

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Erlösermythos. Der als Lehrer der Gnosis herabsteigende Apostel ist eine der zahlreichen himmlischen Gestalten, die in der mandäischen Urgeschichte mit den Planetengottheiten kämpfen. Nach deren Vorbild wird er beschrieben, wenn nicht überhaupt darauf verzichtet wird, seinen Abstieg auszumalen oder auch nur zu erwähnen. Die ersten Menschen also empfingen die Gnosis durch die Hand eines himmlischen Gesandten; von ihnen wurde sie weitergegeben zu den lebenden Generationen: „Adam, das Haupt des ganzen Stammes, sprach: Ich bin Adam, mir War Hibil-Ziwa ein Helfer. Hibil war mir ein Helfer und erlöste mich aus der Welt, von der Bangigkeit der sieben Sterne, die sie gegen die Seelen loslassen, Euch rufe ich zu und erkläre ich, ihr Seelen, die ihr das Leben bezeuget : Bleibet fest in dieser Welt, bis euer Maß voll ist. Euch sage und erkläre ich, ihr Seelen, die ihr im hinfälligen Hause wohnet : Wenn ihr aus eurem Körper scheidet, welchen Bescheid werdet ihr dem großen Leben geben?

Manda d'Haije gab die Lehre „Hibil, Sitil und Anos, und Hibil, Sitil und Anos gaben sie denen, die ihren Namen lieben."138 Die Worte der Uroffenbarung galten nämlich allen kommenden Generationen: „Ich belehre euch, meine Jünger, ihr Auserwählten, Vollkommenen und Gläubigen, die ihr in jenem Zeitalter (des Moses) leben sollt." 139 „Ferner verkündige ich euch, ihr Nasoräer, die ihr in dieser Welt seid, entstehet und geboren werden sollet. . ." 140

So gilt denn auch: „Adam hörte und wurde gläubig — Heil dem, der nach dir hört und gläubig ist. Adam nahm Kusta an — Heil dem, der nach dir Kusta annimmt. Adam schaute voller Hoffnung hin und stieg empor —• Heil dem, der nach dir emporsteigt." 141

Manchmal auch scheint die Anrede des Apostels gar nicht Adam als ersten Menschen, sondern als All-Menschen zu meinen; so z. B. in dem interessanten 2. Stück des 1. Buches vom Linken Ginza (Lidz Ginza S. 429 ff.). 137 138 140

Lidz Ginza S. 404,19-25; 405,21-28; vgl. S. 246,16ff.; 248,10ff. 139 Lidz Ginza S. 223,18ff. Lidz Ginza S. 43,16ff. 141 Lidz Ginza S. 45,20ff. Lidz Joh S. 57,17ff.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

Auch das manichäische System kennt die Offenbarung des Urzeitgesandten an Adam, und zwar wird Jesus in der Urzeit zu Adam gesandt : „Der lichte Jesus näherte sich dem unwissenden Adam; er erweckte ihn aus dem Schlafe des Todes, damit er von vielen Geistern befreit würde. Und wie ein Mensch, der gerecht ist und einen Menschen von einem furchtbaren Dämon besessen findet und ihn durch seine Kraft besänftigt — dem glich auch Adam, als ihn jener Freund in tiefen Schlaf versenkt fand, ihn erweckte, ihn sich rühren ließ, ihn aufrüttelte, von ihm den verführerischen Dämon vertrieb und die mächtige Archontin abseits von ihm gefangensetzte. Da erforschte Adam sich selber und erkannte, wer er sei. Er (Jesus) zeigte ihm die Väter in der Höhe und sein eigenes S e l b s t . . . " 1 4 2

Da Adam trotz Warnung sich Eva nähert, beginnt die Fortpflanzung und Zerstreuung des Lichtsamens, und das wiederum fordert zwar nicht, wie wir im mandäischen Schrifttum sahen, aber ermöglicht das Auftreten späterer Gesandter bis hin zu Mani selbst. Unter den Handschriften von Nag-Hamadi findet sich im Kodex II eine Schrift, die am Ende den Titel trägt : Das Wesen der Archonten143. Sie stammt aus dem Kreis jener Gnostiker, von denen Iren. 129—30 unter der Bezeichnung Barbelo-Gnosis, Ophiten und Sethianer berichtet. Adam und Èva empfangen die Gnosis aus dem Munde der Schlange: „Das Geistige kam aber in der Schlange, dem Lehrer; und sie belehrte ihn mit den Worten . . ." (Sp. 665). Norea, die Frau des Seth, die in unserer Schrift die Rolle der eigentlichen Offenbarungsempfängerin spielt, empfängt auf ihr Rufen bin Besuch von einem Engel, der aus dem Himmel herabkommt und sich vorstellt: „Ich bin Eleth, die Weisheit, der große Engel, derjenige, der vor dem Heiligen Geiste steht. Ich wurde ausgesandt, um mit dir zu sprechen und dich aus der Hand dieser Gesetzlosen zu retten. Und ich werde dich über das Ihrige belehren" (St». 667). Diese nun folgende Belehrung ist der Inhalt des Buches; wiederum erfolgt die Belehrung durch den Urzeitapostel. Im System der Baruchgnosis des Gnostikers Justin wird Baruch in das Paradies geschickt: „Als dies der Vater Elohim sah, schickte er den Baruch, den dritten seiner Engel, dem Pneuma zur Hilfe, das in den Menschen ist. So ging Baruch und stellte sich mitten unter die Engel der Edem, das ist mitten in das Paradies, und verkündigte dem Menschen..." (Hipp. 5,26). Daß diese Erlösung mißlingt, ist angesichts des sekundären christlichen Charakters des vorliegenden 142 Reitzenstein-Schaeder, Studien zum antiken Synkretismus, Jonas, Gnosis I S. 134; 310f. 143 H. M. Schenke hat sie übersetzt: ThLZ 1958, Sp. 661ff.

S. 346f.;

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Systems unvermeidlich : Es muß Raum bleiben für die erlösende Tätigkeit Christi. Die Struktur der Urzeitgesandtschaft bleibt aber deutlich zu erkennen. c) Wir wenden uns der Gestalt des h i s t o r i s c h e n G e s a n d t e n zu, d. h. jenes Gesandten, der in der Gestalt eines bestimmten historischen Menschen auftritt. In der christlichen Gnosis ist Jesus Christus dieser historische Gesandte. Da uns die christliche Gnosis am besten vertraut ist, ist es verständlich, daß der historische Gesandte vielfach als Normaltyp des gnostischen Apostels überhaupt angesehen wird. Das aber ist er keineswegs. Im Gegenteil. Der historische Gesandte steht recht eigentlich im Widerspruch zu der gesamten Konzeption der Gnosis. Alles ist in der Gnosis darauf angelegt, das Pneuma aus der Macht des Fleisches zu befreien. Angesichts dessen ist es eine paradoxe Vorstellung, daß ausgerechnet der Erlöser sich mit dem Fleisch beschmutzt, um die Erlösung zu vollbringen. Mit Recht schreibt Bousset144, „daß die gnostischen Systeme gar nicht fähig waren, die volle und wahre Gestalt des Erlösers Jesus in sich aufzunehmen, daß sie namentlich für seine historische Erscheinung gar keinen Raum haben." Gnostischem Denken entspricht vielmehr der schon zitierte Satz aus Corp. Herrn. X 25: „Keiner der himmlischen Götter wird auf die Erde herabkommen." In dem Ginza (Lidz S. 43,29ff.) kritisiert der „Erste Gesandte" ausdrücklich die falschen Gesandten, die sich zwar als Gesandte ausgeben, aber im „Leibe der Frauen" entstanden sind. Man vgl. auch die folgende Stelle aus den manichäiechen Thomaspsalmen : „Es ist nicht möglich, daß das herrliche Licht hingehe zum Lande der Dämonen der Finsternis. Wiederum ist es nicht möglich, daß der Wohlgeruch sich verbreite in dem Lande des Gestankes. Es ist nicht möglich, daß das Bild des lebendigen Menschen komme zum Aufenthaltsort der Tiere. Das Licht soll kommen zum Lichte, der Wohlgeruch soll kommen zum Wohlgeruch. Das Bild des lebendigen Menschen soll kommen zu dem lebendigen Lande, von dem es ausgegangen ist. Das Licht soll zurückkehren zu seinem Orte, die Finsternis soll fallen und nicht Wieder aufstehen." 145

Darum erschallt der Ruf der Erlösung so oft vom „Außenrand der Welt" 146 , ergeht er vom Uranfang her oder trifft in der Gestalt eines Briefes ein. 144 145 146

Hauptprobleme S. 238. Nach A. Adam, Die Psalmen des Thomas, S. 14, Vers 24-29. Lidz Ginza S. 387; 397; Lidz Joh. S. 4.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

Wie im Grunde ungnostisch die Gestalt eines historischen Erlösers ist, zeigen die Versuche der christlichen Gnosis, Christus zu enthistorisieren. Am konsequentesten tat das der Doketismus, der Christus nur in einem Scheinleib auftreten läßt147. Wenn man die fleischliche Realität Jesu nicht leugnet, wird dieser fleischliche Jesus gern in radikalen Gegensatz zum himmlischen Christus gesetzt148. Muß man in der späteren christlichen Gnosis um der Christlichkeit willen auf solchen unbiblischen Dualismus verzichten, so versucht man in gequälter und komplizierter Spekulation über Person und Werk des Erlösers, die Verbindung von Pneuma und Sarx im himmlischen Gesandten zu erklären14e. Man kann sich angesichts dessen nur schwer vorstellen, daß die Gestalt des historischen Gesandten in der Gnosis selbst entstanden ist. Hier sind fremde Einflüsse zu konstatieren. Aber auch im Judentum begegnet die Gestalt eines in einen historischen Menschen eingegangenen Himmelswesens nicht. So liegt nahe, christliche Einflüsse anzunehmen150; denn der älteste für die Gnosis bezeugte historische Gesandte ist Jesus Christus151. Schon das Christuslied Phil. 2,6-11 zeigt 147 Dabei m a c h t sich die Gnosis ein verbreitetes religionsgeschichtliches Motiv zunutze, nach dem der Gott sich verkleidet, damit er von Menschenaugen wahrgenommen werden kann oder damit er von den Dämonen nicht als Gott erkannt wird; vgl. R . Bultmann, Evgl. des Johannes, S. 39 Anm. 1; H . Windisch im Ergänzungsband zum H N T zu Barn. 5,10. 148 So schon l.Kor. 12,3; l . J o h . 2,22; 4 , I f f . ; Iren. I 24,4. 149 Vgl. z. B. W . Förster, Die Grundzüge der ptolemäischen Gnosis, NTS 6, 19S9-60, S. 28ff. 150 I m Hinblick auf die Gestalt des h i s t o r i s c h e n Gesandten wird m a n d a r u m G. Quispel (Der gnostische Anthropos u n d die jüdische Tradition, Eranos-Jb. 22, 1953, S. 195-234) recht geben dürfen, der (S. 224) schreibt: „ U n d vollends h a t die Gnosis, soweit wir sie bisher kennengelernt haben, keine Erlösergestalt gekannt : es ist unrichtig, den Anthropos, den Adam, den Poimandres als Erlöser vorzustellen. W e n n es auch vielleicht eine vorchristliche Gnosis gab, so doch nimmermehr einen vorchristlichen gnostischen Erlöser." Natürlich darf m a n diese (auf den historischen Erlöser einzuschränkende) Erkenntnis nicht mit Quispel als Beweis f ü r die Unabhängigkeit der gnostischen Gedankenwelt vom iranischen Religionssystem ausgeben. 151 Das Urteil R. Bultmanns (Das Evgl. des Johannes, S. 10) : „Indessen ist der Gedanke der Menschwerdung des Erlösers nicht etwa aus dem Christentum in die Gnosis gedrungen, sondern ist ursprünglich gnostisch", scheint mir demnach korrigiert werden zu müssen. Zweifellos ist der Erlösermythos gnostisch, aber die besondere F o r m dieses Mythos, die von der Menschwerdung des Erlösers in einer konkreten historischen Person spricht, ist in vorchristlicher Zeit nicht nachgewiesen, auch nicht in den von R . B u l t m a n n S. 10 Anm. 5 aufgeführten Belegen. Vgl. A. Adam, Die Psalmen des Thomas, S. 81 f.; K . Rudolph a.a.O. S. 169 f. Ich zitiere wegen ihrer Bedeutsamkeit die Sätze von W . B r a n d t (Mandäische Religion, S. 191 f.), die bereits W. Bousset (Hauptprobleme S. 273) wiedergab: „ D e r große Unterschied zwischen den gnostischen u n d den mandäischen Schriften besteht darin, daß die christliche Erlösungslehre letzteren gänzlich abgeht. D a f ü r erscheint hier die Uroffenbarung, durch welche der Mensch über seine Zugehörigkeit zu der Welt des ersten Lebens aufgeklärt u n d ihm die ent-

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die Verbindung der historischen Gestalt Jesu von Nazareth mit der gnostischen Vorstellung vom Abstieg des Urmenschen. Entweder wurde zuerst in gnostischen Kreisen Christus mit den Zügen des Urmenschen oder des Urzeitgesandten ausgestattet, oder es wurde zuerst in kirchlichen Gemeinden die Bedeutsamkeit der Person Jesu in den Formen des gnostischen Mythos ausgedrückt. Johannes zeigt in vollendeter Weise, wie das möglich war, und schon in vorchristlicher Zeit hatten ja in der Gestalt des (kommenden) Menschensohn-Messias Urmenschvorstellungen die jüdische Theologie beeinflußt152. Sicheres läßt sich schwerlich ausmachen, doch müssen die Anfänge der gegenseitigen Beeinflussung von kirchlicher und gnostischer Erlöservorstellung sehr früh liegen, wie das ,Christuslied' des Philipperbriefes, l.Kor. 2,7f. und überhaupt die paulinische Christologie zeigen. Für die Einzelschilderung der Gestalt dieses historischen Gesandten darf man auf das Johannesevangelium verweisen, wenn auch die Betonung der Fleischhaftigkeit Jesu das antignostische Interesse des Evangelisten bezeugt. Es seien aber noch einige andere Beispiele angeführt. „ U n d ich hörte die Worte des Höchsten, des Vaters meines Herrn, wie er zu meinem H e r r n Christus . . . sprach : Geh u n d steige hinab durch alle Himmel und steige hinab zum F i r m a m e n t u n d zu dieser W e l t . . . U n d nach zwei Mon a t e n a n Tagen, als Joseph in seinem Hause war u n d Maria sein Weib, jedoch beide allein, da geschah es, während sie allein war, d a ß Maria alsbald mit ihren Augen hinschaute u n d ein kleines K i n d sah, u n d sie war bestürzt. U n d als die Bestürzung gewichen war, Wurde ihr Mutterleib wie zuvor befunden, ehe sie schwanger war . . . U n d als er herangewachsen war, t a t er große Zeichen u n d W u n d e r im Lande Israel u n d in Jerusalem . . . I n Jerusalem nämlich sah ich, wie sie ihn kreuzigten a m Holze . . . U n d alsbald sah ich, wie er zur Rechten jener großen Herrlichkeit sich niedersetzte . . ." 1 5 8 „Während ich vom Vater des Alls herkam, indem ich an den Himmeln vorüberging, . . . war ich in den Himmeln . . . indem ich das Maß der Weisheit des Vaters, der mich gesandt h a t , besaß . . . Damals erschien ich der Maria u n d redete mit ihr u n d ihr Herz n a h m mich auf, sie glaubte u n d lachte, u n d ich, das Wort, ging in sie ein u n d ward Fleisch." 1 5 4 sprechende, diese Verbindung erhaltende Religionsübung mitgeteilt wird . . . Die abweichende gnostische Behandlung (ist) durch den bloßen U m s t a n d , daß dem Gnostiker das christliche Evangelium ein Gegebenes . . . war, bedingt." „Die Verlegung des Entscheidungskampfes wider die Hölle vom Anfang der Schöpfung in die Fülle der Zeit erschien dadurch geboten, u n d der Uroffenbarung s t a n d die mosaische Gesetzgebung oder, wo m a n diese fallen ließ, die erst durch Christus erteilte Offenbarung im Wege. Schon deshalb m u ß die mandäische Anwendung für altertümlicher gelten als die christlich-gnostische." 152 „ E s k a n n kein Zweifel sein, daß die synkretistische Apokalyptik des Judent u m s unter dem Einfluß der gnostischen Mythologie s t e h t " (R. Bultmaim, Das Evangelium des Johannes, S. 12). Dieses Urteil wird in der Untersuchung von J . Jervell, Imago Dei, F R L A N T N F 58, 1960, glänzend bestätigt. 153 Ase. Jes. 10,7f.; 11,7ff. 18.20.32. 154 E p . Ap. 13 f.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

„ E r lebte ein göttliches Dasein aber nicht auf die W ü r d e bedacht, die Hoheit göttlichen Wesens, gab er Würde u n d Hoheit preis ein armes Dasein zu tauschen, ward menschengleich an Gestalt u n d menschengleich an Gebärde. E r wählte Entsagimg zum Tode gehorsam zum Tode a m Kreuz. D a r u m erhob ihn Gott zu höchster Würde und verlieh ihm den N a m e n über alle N a m e n . " 1 5 5 „Sende mich, Vater, d a ß ich m i t den Siegeln herniedersteige, alle Äonen durchwandere, alle Geheimnisse öffne, die Gestalten der Götter zeige u n d das Verborgene des Heiligen Weges, Gnosis genannt, übergebe." 1 5 6 „Das Wort Gottes ist sein Sohn, wie wir früher gesagt haben. Und er wird Engel genannt und Gesandter. Denn er selbst berichtet, wieviel m a n erkennen muß, u n d er wird gesandt zu verkündigen, was er erfahren h a t , wie auch der H e r r selbst uns sagte: Wer mich hört, hört den, der mich gesandt h a t . " 1 5 7 „Gedenkt, d a Jesus, der Sohn Marias, sagte: O ihr Kinder Israels! Wahrlich, ich bin Gottes Gesandter f ü r euch." 1 5 8 „Als (Jesus) Fleisch Wurde, u m in den Gesichtskreis der Menschen niederzusteigen, da wurden sie in seiner Erkenntnis die Unwissenheit los u n d k a m e n aus dem Tode ins Leben . . . Das geschah, indem die Menschen ihn erkannten." 1 6 9 „So ging (Jesus) aus u n d stieg hinab zu seiner Schwester u n d dem Lichttau. Als n u n die untere Weisheit erkannte, d a ß zu ihr ihr Bruder herabsteigen wolle, d a verkündigte sie seine A n k u n f t durch Johannes, bereitete die B u ß t a u f e vor u n d richtete Jesus im voraus darauf ein, d a ß bei seiner H e r a b k u n f t Christus ein reines Gefäß fände u n d d a ß durch Ialdabaoth, ihren Sohn, das Weib von Christus verkündet werde. N u n stieg er durch die sieben Himmel hinab, wurde ähnlich ihren Söhnen u n d schöpfte allmählich ihre K r a f t aus. Zu ihm strömte der ganze Lichttau zusammen, u n d als der Christus dann in diese Welt k a m , legte er zuerst seine Schwester Sophia an, u n d es jubelten beide, übereinander erschauernd — u n d dies erklären sie f ü r den Bräutigam u n d die B r a u t . Jesus war gerechter, reiner u n d weiser als alle Menschen; ist er doch aus einer J u n g f r a u durch die Wirkung eines Gottes geboren. Mit der Sophia verbunden, stieg der Christus auf ihn herab — u n d so wurde Jesus zum Christus." 1 6 0 155 156 157 158 159 160

Phil. 2,6-11 in der Übersetzung von M. Dibelius in H N T 11, 19373. Hipp. 5,10. J u s t . Apol. 63,4 f. Koran, 61. Sure; nach E. Norden, Agnostos Theos, 19564, S. 191. Iren. I 15,2 (Markosier). Iren. I 30,12 (Ophiten).

Der Apostel in der Gnosis : Der himmlische Apostel

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In der Polemik gegen Christus findet sich in den mandäischen Schriften folgende Charakteristik: „ E r spricht zu euch: I c h bin es, der aus Gott entstanden ist. J e n e r Betrüger spricht: I c h bin der Sohn Gottes, den mich mein Vater hierher gesandt h a t . E r spricht zu euch : I c h bin der erste Gesandte, ich bin Hibil-Ziwa, der ich aus der oberen H ö h e gekommen bin." 1 6 1

Aus den in vieler Hinsicht rätselhaften Oden Salomos sei auf solche Oden hingewiesen, in denen die von oben kommende Gnosis deutlich die Züge des christlichen Offenbarere trägt : Od. Sal. 7 ; 19; 31; 41; 42; z.B.: ,,. . . denn ein Helfer ist er mir zum H e r r n . E r ließ sich selbst mich erkennen ohne Mißgunst in seinem Edelmut, denn seine Freundlichkeit m a c h t e seine Größe klein. E r wurde wie ich, auf d a ß ich ihn erfassen könnte, a n Ähnlichkeit erschien er wie ich, auf d a ß ich ihn anziehen könnte. U n d nicht erschrak ich, als ich ihn erblickte, •weil er meine Gnade ist." 1 8 2

An die zahlreichen gnostischen Schriften, die sich auf geheime Mitteilungen des (auferstandenen) Christus stützen, braucht hier nur erinnert zu werden. Natürlich gehört in diesen Zusammenhang auch die Bezeichnung 1β3 ,απόστολος' für Jesus, wie sie Hebr. 3,1 ; Just. Apol. I 12,9; 63,5.10. 164 14 begegnet, sowie das Verb ,άποστέλλειν' ζ. Β. im Evangelium Joh. 185 und in den Act. Thom.1ββ. Auch im Islam hat sich für Jesus der Titel,Gesandter' erhalten167. Christus168 ist nicht die einzige historische Gestalt, die mit dem gnostischen Mythos verbunden und so zum .Gesandten' gemacht wurde. Vor allem ist auf Simon Magus zu verweisen169. 161

162 Lidz Ginza S. 47,30ff.; vgl. S. 29,17ff. ; 49,8ff. Od. Sal. 7,3-5. Vgl. E . K ä s e m a n n [1] S. 95ff.; O. Michel, Der Brief an die Hebräer, 1949, S. 94ff. 164 Vgl. das Presbyterzitat bei Euseb K G V I 14,4; vgl. I 13,20. íes Ygi R B u l t m a n n , Das Evangelium des Johannes, S. 30 Anm. 2. Das H a u p t w o r t απόστολος h a t J o h . merkwürdigerweise nicht (mehr?). Die Gründe d a f ü r lassen sich nur vermuten (s. S. 179). Mit Recht aber konstatiert G. P . Wetter (a.a.O. S. 49) : „Die Zusammenstellung Sv άπέστειλεν ό &εός wird sogar als eine Art Eigenname verwendet" (3,34; 5,30; 5 , 3 8 ; 6 , 2 9 ; 17,3). 166 Act. Thom. 10; 48; 122; 156; vgl. Iren. I 23,5; E p . Ap. 19; Euseb K G I I I 26,1. 167 Siehe bei E. Norden, Agnostos Theos, 1956 4 , S. 191 ; vgl. Κ . H . Renestorf [1] S. 445 Anm. 229; G. W.Widengren [3] S. 9. íes Yg]_ noch aus einem koptischen Zaubertext (nach V. Stegemann, Die Gestalt Christi in den koptischen Zaubertexten, 1934, S. 21): „ J a o J a o Christus Pantokrator, der im Innern des Vaters geboren wurde, bis er f ü r uns als vollkommener Mensch geboren wurde durch die Engel u n d Erzengel u n d sie ihn zu uns auf die Erde herabsandten . . . Ich beschwöre dich heute . . . " 189 Schwerlich darf m a n hier auf jene wenigen Bemerkungen der mandäischen Schriften verweisen, in denen der Lichtgesandte in einem wenigstens lM

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

Zweifellos ist Simon ein ursprünglicher Gnostiker und fern jeden christlichen Einflusses gewesen. Er war in seinem Selbstverständnis ein Apostel, freilich, wie wir noch sehen werden, nicht von dem hier besprochenen Typ des historischen Gesandten. Erst die spätere Überlieferung hat ihn, vielleicht in der Antithese zu Christus, zu einem solchen gemacht. Der Bericht des Irenäus (I 23 = Hipp. 6, 19f.) läßt ihn vom Himmel herabgekommen sein, um die Helena zu befreien, die die der Sage entnommene Personifikation des in der Welt gefangenen Pneuma ist 170 . Er erschien als Mensch, ohne es zu sein (Iren. 23,2). Im .Martyrium Petri et Pauli' Kap. 15 sagt Simon zu Nero: „Höre, guter König, ich bin Gottes Sohn, der aus dem Himmel herabgestiegen ist."171 Ähnlich wie Simon dürften in gewissen gnostischen Sekten Leute wie Menander, Elchasai172, Dositheos173, Kerinth174 als ,historische Gesandte' verehrt worden sein, ohne daß diese Leute s e l b s t solchen Anspruch erhoben haben werden. Auch Johannes der Täufer ist als ein solcher präexistenter Erlöser verehrt worden175. Mani, der sich bekanntlich selbst als Apostel Gottes ausgab, ist von den Manichäern als der eine vom Himmel gekommene Gott angesehen worden176, was er von sich selbst gar nicht behauptet hatte (s.u.): ,,Es kam von den Göttern Mari (Mani), der Gott glänzenden Ruhmes, . . . gekommen ist der Gott, der reine, aus dem Paradiese des Lichtes, der Gütige . . ."177 „Ein Apostel kam aus dem Paradies des Lichtes, mit einem werten Namen, der Erlauchte, Gott, Mari Mani."178 Aus vorchristlicher Zeit ist — wie bereits gesagt — die Gestalt des historischen Erlösers nicht bezeugt179, doch werden ältere gnostische andeutungsweise historischen Milieu auftritt: Lidz Ginza S. 29,32ff.; 47,40ff.; 181,27; 336ff.; Lidz Joh. Kap. 54; 76. Es handelt sich um recht späte Stücke, deren historische Angaben aus verschiedenen Überlieferungen gespeist werden. Nie wird der Lichtbote selbst mit einer historischen Gestalt identifiziert. Auch K. Rudolph (a.a.O. S. 90f.; vgl. S. 102) erkennt die Fremdartigkeit dieser Stücke innerhalb des mandäischen Schrifttums und vermutet wohl zu Recht christliche Einflüsse. Die Beziehungen des Gesandten zur Gestalt Johannes des Täufers werden unten zur Sprache kommen. 1,0 Vgl. E. Haenchen, Gab es eine vorchristliche Gnosis, ZThK 49, 1952, S. 316-349. Vgl. Justin. Dial. 120; Apol. 26,1-3. 171 Lipsius-Bonnet I S. 132; vgl. Epiph. Haer. 21,1 f. 172 Epiph. Haer. 19,4. 173 Orig. Cels. I 57 = Koetschau I 108,25; Ps. CI. Ree. I I 8f. ; 11. 171 Euseb KG I I I 28. 175 Siehe R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, S. 4 Anm. 7; G. P. Wetter a.a.O. S. 76f. 176 G. P. Wetter a.a.O. S. 15f. 177 178 Müller, Manichäische Fragmente, AAB 1904, Nr. 64, S. 92. Ebd. S. 44. 179 Schwerlich darf man in Melchisedek einen solchen historischen Erlöser sehen. Ohne Frage hat diese merkwürdige Gestalt aus Gen. 14 in der jüdischen

Der Apostel in der Gnosis : Der himmlische Apostel

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Systeme unter dem Einfluß der christlichen Erlöservorstellung historisiert. So wird bei den späteren Sethianern Christus mit dem UrzeitErlöser Seth gleichgesetzt ; Seth ist also in Christus erneut erschienen180. Beispiele für diesen Vorgang sind nicht selten181. d) Ein Erlöser besonderer Art ist der in der mandäischen Literatur sogenannte ,Löser' oder ,Helfer'182: „Darauf rief, beauftragte, rüstete und sandte das große, erste Leben den Löser Saurei — Qmamir-Ziwar, der die Geister und Seelen aus dem Körper löst und fortführt. ,Tod' wird er in der Welt genannt, doch Kusta von den Wissenden, die um ihn wissen. Ein jeder, der den Anstoß begeht, dem Tode zu fluchen, häuft vor sich Sechsundsechzig Anstöße. Denn er ist gerufen, er ist beauftragt, er ist ausgesandt. E r nimmt keine Bestechung an, empfängt kein Geschenk und tauscht niemand gegen einen anderen ein." 183

In diesem Text wird der ,Löser' ausdrücklich mit dem Tod identifiziert. Er ist der am Ende des Lebens, wenn „das Maß voll ist"184, erwartete Helfer : „Als das große Leben dies hörte, sandte es einen Boten des Lichtes. Das Große sprach zu Hibil-Ziwa : Guter Uthra lieblichen Namens! Erlöse Adam aus der Finsternis und hebe ihn hierher empor. Ich bekleidete mich mit Glanz aus meinem Orte und kam aus meiner Stätte. Ich holte Adam aus der Welt der Bösen und führte ihn an jedem häßlichen Gebilde vorbei. Ich machte finster das Licht der Bösen und zerbrach alle ihre Wachthäuser. Und zu ihm sprachen sie : Du hast die Seele hergetragen, du hast sie hergebracht, und du warst ihr ein Helfer." 186 Gnosis eine bedeutende Rolle gespielt, aber er gilt hier doch als eine Gestalt der U r z e i t und wird als solche mit Sem und selbst mit Adam identifiziert (Epiph. Haer. 55,6; Rießler S. 969; Billerbeck IV 1 S. 453 Anm. 2; W. Staerk, Soter II, S. 46ff.; 92). Seiner Urzeitbedeutung korrespondiert seine endzeitliche Funktion als Priester. Als himmlisches Engelwesen begegnet er erst verhältnismäßig spät. Stellen und Literatur zuletzt bei O. Michel, Der Brief an die Hebräer, 1949, S 159f. ; O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 1957, S. 84f.; G. Widengren [2] S. 50; E. Käsemann [1] S. 129ff. 180 Vgl. Epiph. Haer. 39, 1,3 = Holl. I I 72,llff.; Ps. Tert. haer. 2. 181 In einem koptischen Zaubertext (bei A. Kopp, Ausgewählte koptische Zaubertexte, Brüssel 1930, I I Nr. 72) findet sich ein Anruf an den „Eingeborenen Sohn, dessen wahrer Name Seth ist — Seth, der lebendige Christus". Vgl. R. Wünsch, Sethianische Verfluchungstafeln, S. 112; 116. 182 183 Vgl. K. Rudolph a.a.O. S. 159ff. Lidz Ginza S. 424,29ff. 184 Lidz Ginza S. 51,18ff.; 571,25; 585,27. 185 Lidz Ginza S. 530,8-19; 531,40ff.; vgl. S. 547,Iff.; 564,8ff.; 569,13ff.; 570f.; 572,33ff.; 190ff.

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Der U r s p r u n g des urchristlichen Apostolats

Die Namen der Helfer wechseln; oft sind sie namenlos; manchmal kommen mehrere Helfer : „ D i e Seele sitzt d a : vielleicht k o m m t ein Geleite. Vielleicht k o m m t ein Geleite, u n d ich gehe m i t ihnen in ihrem Geleite. Die Seele blickt e m p o r u n d sieht, wie d a s Geleite der G u t e n h e r a n k o m m t . Glanz g e h t vor ihnen einher, L i c h t folgt ihnen. W e n n es euch, meine g u t e n B r ü d e r , beliebt, f ü h r e t m i c h m i t euch in e u r e m Geleite." 1 8 6

Die Seele, die so betet, besitzt die Gnosis bereits187 und erhofft nun für die Stunde des Todes die Helfer, die sie durch die Welt der Bösen geleiten. Manchmal freilich teilt auch der Helfer der irrenden Seele die Gnosis allererst mit : „Als ich a n m e i n e m O r t e s t a n d , ängstigte ich m i c h u n d ängstigte meine Seele. I c h sagte mir, d a ß ich keinen h o h e n H e l f e r h a b e , keinen M a n n als Pfleger. Wie ich noch a n m e i n e m O r t e dastehe, erhörte m i c h d a s große (Leben) u n d verurteilte m i c h n i c h t . E r s a n d t e m i r einen h o h e n H e l f e r E r belehrte m i c h ü b e r die Lobpreisung, d a ß ich die Verfolgung der Tibil vergaß. E r sprach : O du sanfter Uthra ! N i c h t n a c h d e m Willen des großen (Lebens) bist d u hergekommen. N n f t e r Uz ut hmr aH , a u s e deiner Familie e m p o r s t ue hn , aou fs,asteige E r zerbrach ihre W a c h t h ä u s e r u n d f ü h r t e i h n m i t Gepränge a u s der W e l t . " 1 8 8

Deutlich ist, daß diese Helfergestalt als kommend erwartet wird. Ihre eigentliche Aufgabe ist nicht die Übermittlung der Gnosis, sondern die Hilfestellung für die arme Seele18e, die sich vor den Wachthäusern der Dämonen fürchtet, eine Aufgabe, die andernorts in der Gnosis die der Seele mitgeteilten machtvollen Mysterienworte erfüllen. 186

Lidz Ginza S. 5 4 0 , 3 6 - 5 4 1 , 4 . l l f . ; vgl. S. 590,14ff. „ W a n n wird der h o h e M a n n k o m m e n , der mich seine S t i m m e h a t h ö r e n lassen" (Lidz Ginza S. 593,2f.). 188 Lidz Ginza S. 328,25-31; 3 2 8 , 3 9 - 3 2 9 , 3 ; 3 2 9 , 3 4 f . ; 330,23f.; vgl. S. 550f. iss Yg] Herrn. Vis. 5 , 2 : „Απεστάλην υπό τον σεμνοτάτου αγγέλου, ϊνα μετά σου οικήσω τάς λοιπός ημέρας της ζωής σου." 187

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In der Pist. Soph, ist dem Melchisedek diese Aufgabe anvertraut : „ D a . . . Melchisedek der Gesandte aller Lichter ist, die in den Archonten gereinigt werden, indem er sie in den Lichtschatz f ü h r t . . ," 190

In Od. Sal. 38 ist die hypostasierte Wahrheit selbst dieser Helfer: „Ich stieg hinauf zum Licht der Wahrheit wie auf einem Wagen, und es leitete mich die Wahrheit und führte mich. U n d sie ließ mich überschreiten Grüfte und Schluchten, und vor Klippen und Wellen rettete sie mich. U n d sie Wurde mir ein Hafen der Rettung und legte mich auf die Arme des Lebens ohne Tod. U n d sie ging mit mir und schaffte mir Ruhe und verließ mich nicht, daß ich weil sie die Wahrheit war und ist. [mich verirrte, U n d ich wurde weise, so daß ich nicht in die Hände des Irreführers fiel, und ich beglückwünschte mich selbst dazu, daß die Wahrheit mit mir [ging." 1 » 1

Die Vorstellung, daß die Seele bei ihrem Tode von Helfern zum Himmel getragen wird, ist auch dem Spätjudentum geläufig192. Es liegt am Tage, daß die hier betrachtete Gestalt des ,Helfers' innerhalb des gnostischen Erlösungsgedankens nur mit einiger Einschränkung ,Erlöser' genannt werden kann, aber ebenso deutlich ist, daß die Struktur des ,Helfers' als ,Gesandten' die des hier betrachteten himmlischen Gesandten überhaupt ist ; denn die — nicht ursprünglich gnostische — Gestalt des ,Helfers' erscheint in den mandäischen Urkunden eben als ,Gesandter'. e) Wir sahen, daß der ,Helfer' gelegentlich der Seele, zu der er gesandt wird, die Gnosis erst mitteilt, bevor er die erkennende Seele aus dem Körper und aus der Welt führt. Berücksichtigen wir allein die erstere Tätigkeit des ,Helfers', so begegnet uns damit der himmlische Gesandte in einer neuen Gestalt, die wir den .mystischen' Gesandten nennen wollen. Dieser wird als Himmelswesen zu dem einzelnen Menschen gesandt, um ihn über seine himmlische Natur aufzuklären und ihm helfend während seines Erdenlebens beizustehen. Er befleckt sich nie mit der bösen Materie. Entweder holt er den Menschen, der dann Ekstatiker ist, zur Belehrung in die himmlische Welt, oder er begibt sich zu ihm und erscheint ihm visionär. Nie aber wird dieser Gesandte zu einer historischen Person. 190 Pist. Soph. (GCS 45 (13) 1959) S. 237,5ff.; vgl. S. 21,4ff.; 2 2 , 6 f f . ; 218, 17ff. Melchisedeh heißt παραλήμητωρ. 181 Od. Sal. 38,1-4.15. 192 Rießler S. 134ff. ; 161ff. 9 7801 Schmithals, Apostelamt

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In den mandäischen Schriften begegnet dieser mystische Gesandte häufig in den 28 recht einheitlichen Stücken des 2. Buches im Linken Ginza. Nur eines der Stücke sei vorgeführt : „Ein Mana bin ich des großen Lebens, ein Mana bin ich des gewaltigen Lebens, ein Mana bin ich des großen Lebens. Wer h a t mich in das Leid der Welt geworfen? I n das Leid der Welt h a t wer mich geworfen, wer mich in die böse Finsternis versetzt? Wie der Mana dasteht u n d sich aufzuklären sucht, k o m m t der Mann, sein Helfer: Nicht bist du ein Anteil des Leids, d a ß d u darüber grübelst, nicht bist du ein Anteil der Finsternis, die dir ein E n d e mache. D u bist ein Anteil der Helligkeit, die ohne Trübung ist. D u bist ein Anteil der Lichtherde, an der keine Finsternis ist, die dir ein E n d e mache. D u wirst gewinnen, Mana, u n d deine eigene Gestalt wird dich erleuchten. Dein Sinn wird dich fest stützen, u n d dein Herz wird dir ein Helfer u n d Baumeister sein. Halte aus in der Welt u n d wohne in ihr, bis wir nach dir verlangen. W e n n wir nach dir verlangen, werden wir uns hierher begeben u n d zu dir kommen. Wir werden uns hierher begeben u n d zu dir kommen, d a n n werden wir dich herausholen u n d zu deinem Schatzhaus emporheben." 1 8 3

R. Bultmann194 vermutet, daß der Paraklet des Johannesevangeliums auf das gnostische Vorbild einer solchen Erlösergestalt zurückgeht, wie sie von dem .mystischen Gesandten' repräsentiert wird. Das ist gut möglich, denn unzweifelhaft zeigt auch der ,Paraklet' die Struktur des ,mystischen Gesandten': „Wenn aber jener k o m m t , der der Geist der Wahrheit ist, wird er euch in alle Wahrheit führen. Denn er wird nicht von dem eigenen sprechen, sondern wird reden, was er h ö r t . . ." 1 9 5

Die schon erwähnte Baruchgnosis des Gnostikers Justin zeichnet den erlösenden Baruch in den Zügen des ,mystischen Gesandten'. Als solcher kommt er zu den Menschen des Paradieses, dann zu Moses, zu den Propheten, zu Herakles und schließlich zu Jesus : 183

Lidz Ginza S. 457,27-32; 458,12-15.20-33. Das Evangelium des Johannes, S. 437—441. Vgl. ergänzend S. Schulz, Untersuchungen zur Menschensohn-Christologie im Johannesevangelium, 1957, S. 151ff. 185 J o h . 16,13f. 184

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„Endlich kam Baruch in den Tagen des Königs Herodes, wiederum von Elohim geschickt, nach Nazareth und fand Jesus, den Sohn Josephs und der Maria, als er, 12 Jahre alt, Schafe hütete. Er verkündigt ihm alles, was von Anfang an geschehen ist, von Edem, von Elohim und das danach Geschehene, und sagte : Alle Propheten vor dir ließen sich verführen. Versuche nun, Jesus, Menschensohn, dich nicht verführen zu lassen, sondern verkündige dieses Wort den Menschen und teile ihnen die Botschaft über den Vater und über den Guten mit und steige zu dem Guten empor und setze dich dort nieder mit Elohim, unser aller Vater . . ,"1®6

Mit der Baruchgnosis ist mit Recht oft jene Lehre Manis verglichen worden, nach der der Licht-Jesus, der als Uroffenbarer dem Adam die Gnosis offenbarte, später noch mehrmals, nämlich Buddha, Zarathustra, dem historischen Jesus und schließlich Mani selbst erschien, hier als ,Lebendiger Paraklet' : „In den Jahren des Ardaschir, des Königs von Persien, wurde ich aufgezogen und wuchs auf und gelangte bis zu einer bestimmten Zeit. In jenem bestimmten Jahre der Regierung des Ardaschir kam der .Lebendige Paraklet' zu mir herab und sprach zu mir. Er offenbarte mir das verborgene Mysterium, das den Welten und Generationen verborgen war . . ." 147

In Ps. CI. Ree. I 33 begegnet der ,Wahre Prophet' in der Gestalt eines engelgleichen mystischen Gesandten, um Abraham über alles Göttliche aufzuklären198. Wenn man den Charakter der jüdischen Weisheit als p e r s o n h a f t e r H y p o s t a s e betont, muß auch diese der Gnosis verbundene Gestalt hier erwähnt werden. Vgl. zu den vorn S. 115f. angeführten Stellen noch: „Und bei dir ist die Weisheit, die deine Werke kennt und die zugegen war, als du die Welt schufst, und die weiß, was in deinen Augen wohlgefällig ist, und was recht ist nach deinen Geboten. Sende sie vom heiligen Himmel her und vom Throne deiner Herrlichkeit schicke sie, damit sie mir bei der Arbeit beistehe, und ich erkenne, was vor dir wohlgefällig ist." 199 „Ich werde alle unteren Gegenden der Erde durchdringen und werde alle Schlafenden heimsuchen und werde erleuchten alle, die auf den Herrn hoffen." 200

Weiter gehört in diesen Zusammenhang auch der hypostasierte Logos, der, von Gott ausgehend, die Menschen zur Erkenntnis Gottes anleitet. Es ist bekannt, welche zentrale Bedeutung dieser Logos in 19

« Hipp. 5,26. Schmidt-Polotsky, Ein Mani-Fund in Ägypten, SBA1933, H e f t l , S.53f. Vgl. H. J . Schoeps, Aus frühchristlicher Zeit, S. 25; 32. 200 Sap. Sal. 9,9-10. Zusatz zu Sir. 24,32; s. bei Kautzsch z. St.

197 198 199 9*

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

der religiösen Spekulation Philos besitzt. V o n diesem Logos heißt es z. B. : „Er i s t . . . der Abgesandte des Herrschers an den Untertan. Dieser Ehrenstellung freut er sich, und stolz darauf erklärt er ausdrücklich: Und ich stand zwischen Gott und euch (Dt. 5, δ) . . . Denn wie ein Herold bringe ich den Geschöpfen die Friedensbotschaft dessen, der beschlossen hat, Kriege aufzuheben, des beständig über den Frieden wachenden Gottes." 201 Häufig ist die Belehrung durch den .mystischen Gesandten' mit einer Ekstase des Mysten verbunden. So vor allem in den Hermetica, in denen freilich die Ekstase nicht notwendig ist 2 0 2 : „Als ich einmal nachdachte über das Seiende und mein Denken heftig in die Höhe stieg, dabei meine leiblichen Sinne niedergehalten wurden wie bei solchen, die durch Sättigung mit Speise oder durch körperliche Anstrengung vom Schlafe festgehalten werden, da erlebte ich, daß ein Riese von unermeßlicher Größe meinen Namen rief und zu mir sagte : Was willst du hören und sehen, was verstehen und erkennen lernen Î Ich sagte : Wer bist du denn Î Er antwortete : Ich bin der Poimandres, der schlechthinnige Geist; ich weiß, Was du willst, und bin immer bei dir. Ich sagte: Ich will das Seiende lernen und seine Natur verstehen und den Gott erkennen. Wie sehr, sagte ich, möchte ich hören. Er gab mir zur Antwort : Halte in deinem Geist fest, was du lernen willst, und ich werde dich lehren. Mit diesen Worten veränderte er die Gestalt, und sofort wurde mir alles wie im Fluge geöffnet, und ich sah eine grenzenlose Schau . . .11203 Mit der anschließend geschilderten ekstatischen Schau beginnt die Belehrung des Mysten. D a z u vgl. m a n die Parallele aus dem Hirten des Hermas : „ . . . ich entschlummerte im Gehen. Und ein Geist nahm mich und trug mich durch eine Wüste, durch die kein Mensch gehen könnte . . . Als ich aber betete, öffnete sich der Himmel und ich sehe . . ." a04 Aus den hermetischen Schriften verweise ich noch auf den φνλαξ πνευμάτων, der den Alchemisten Zosimos auf dem Wege durch die W e l t e n der Bösen dahin führt, wo er z u m vollkommenen P n e u m a verw a n d e l t wird 2 0 6 , sowie auf Hermes als Mystagogen des Tat in Corp. Herrn. 13. I n der gnostisierenden Vita Adae heißt es : „Und Adam sprach zu Seth : Höre, mein Sohn, ich will dir berichten, was ich gehört und gesehen habe. Nachdem wir aus dem Paradiese getrieben waren, 201

Rer. Div. Her. 205 f. 202 Vgl, Cornutus, theologia graeca: „Hermes gilt als der L o g o s , den die Götter vom Himmel zu uns g e s a n d t haben." 203 Corp. Herrn. 1,1-4. 204 Herrn. Vis. I l , 3 f . ; vgl. Vis. V. 205 Siehe bei Reitzenstein a.a.O. S. 312f.

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ich und deine Mutter, da kam, als wir beim Gebete waren, der Erzengel Michael zu mir, von Gott gesandt. Ich sah einen Wagen dem Winde gleich, feurig waren seine Räder, und ich war entrückt ins Paradies der Gerechtigkeit. Und ich sah den Herrn dasitzen . . . Da ging ich hinüber und Michael mit mir, und er brachte mich wieder an den Ort, von dem er mich entrückt hatte. Höre, mein Sohn Seth, noch andere zukünftige Geheimnisse, die mir offenbart wurden, der ich, als ich vom Baume des Wissens aß, erkannt und begriffen habe, was in diesem Zeitalter geschehen wird."20®

In dem ,Apokryphon des Johannes' erscheint nach seiner Himmelfahrt auch Jesus als ,mystischer Gesandter' : „ . . . Wandte ich mich vom Heiligtum weg dem Berge zu, an einen öden Ort, und mit großer Trauer im Herzen dachte ich: wie wurde denn der Erlöser eingesetzt und wie . . . Sogleich als ich das dachte, öffneten sich die Himmel. . . Ich fürchtete mich und warf mich nieder. Und siehe, es erschien mir ein Kind . . . Er sprach zu mir : . . . ich bin der, der bei euch ist alle Zeit. . . Nun bin ich gekommen, um dir zu offenbaren, was ist, was geschah und was geschehen soll." 20 '

Im 6. Buch des Rechten Ginza — einem nach Lidzbarski altertümlichen Stück — kommt ein Uthra Din-Mlikh, um den ,weisen Schriftgelehrten' Dinanukht von seinen Büchern fort und aus seinem Körper heraus zu holen. Er trägt den Dinanukht an den Wachthäusern der Bösen vorbei bis an die Schwelle der Lichtwelt. Dort spricht Dinanukht: „Ich sah den Tod, ich sah das Leben. Ich sah die Finsternis, ich sah das Licht. Ich sah den Irrtum, ich sah die Wahrheit. Ich sah die Zerstörung, ich sah den Aufbau. Ich sah den Schlag, ich sah die Heilung. Ich sah diesen erhabenen Mann, der älter ist und früher da war als der Erbauer des Himmels und der Erde." 2 0 8

Er wird von dem Uthra zur Erde zurückgeschickt, um das Geschaute zu verkündigen. Oft zitiert wird Ase. Jes. 7,2-9: sah ich einen hehren Engel, und er glich nicht der Herrlichkeit der Engel, die ich (sonst) immer zu sehen pflegte, sondern er besaß große Herrlichkeit und Würde, so daß ich die Herrlichkeit dieses Engels nicht beschreiben kann. Und als er mich bei meiner Hand gefaßt hatte, stieg ich empor; und ich sprach zu ihm: Wer bist du, und wie ist dein Name, und wohin führst du mich aufwärts? Denn mir war die Macht verliehen worden, mit ihm zu reden. Und er sprach zu mir: Wenn ich dich stufenweis aufwärts geführt haben werde und dir das Gesicht, zu dem ich gesandt worden bin, gezeigt haben werde, dann wirst du erkennen, wer ich bin; aber meinen Namen wirst du nicht erfahren, denn du mußt in diesen deinen Leib zurückkehren. Wohin ich dich aber emportragen 20 « 207 208

Vita Adae 25; 29 (Kautzsch S. 516). Nach Hennecke-Schneemelcher, Ntl. Apokryphen, 19593, I S. 235f. Lidz Ginza S. 210,27-31.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

werde, wirst du sehen; denn dazu bin ich gesandt worden. Und ich freute mich, daß er freundlich mit mir redete. Und er sprach zu mir: Freust du dich, daß ich freundlich mit dir geredet habe? — und er sprach weiter: Aber du wirst einen sehen, der größer ist als ich, wie er freundlich und mild mit dir reden -wird ; und auch den Vater dessen, der größer ist, wirst du sehen; denn dazu bin ich aus dem siebenten Himmel gesandt worden, um dir Licht zu bringen in dies alles. Und wir stiegen hinauf zum Firmament. . " m

Der Gnostizismus dieses Stückes spricht am deutlichsten aus dem für Jesaia vorausgesetzten Leib-Seele-Dualismus. Die ζ. T. stark gnostisierenden Parallelen aus der urchristlichen und vor allem aus der spätjüdischen Literatur sind unübersehbar, und zwar sowohl solche, in denen der himmlische Gesandte den irdischen Offenbarungsempfänger lediglich besucht210 : „Als ich diese Worte gesprochen hatte, ward der Engel zu mir gesandt, der schon in verflossener Nacht zu mir gekommen war. Er sprach zu mir : Höre mir zu, so will ich dich lehren; merk auf mein Wort, so will ich weiter zu dir sprechen" 2 1 1

als auch solche, in denen er ihm zur Himmelsreise verhilft212: „Da kommt zu mir der Engel, den er zur mir gesandt und spricht: Abraham, steh auf! Freund Gottes, der dich lieb gewonnen! Laß dich von Menschenangst nicht mehr umfangen ! Ich bin zu dir gesandt, um dich zu stärken. Dann stiegen wir hinauf so, wie mit vielen Winden, zum Himmel, der da ob dem Firmament befestigt war" 2 1 3 .

Es folgt die Gottesschau. f) Die Mannigfaltigkeit der Gestalten, in denen der himmlische Gesandte auftreten kann, zeigt, daß nur das Gesandtsein als solches, d. h. die Erlösung selbst, von Bedeutung ist, nicht das konkrete ,Wie' der Gesandtschaft. Angesichts dessen verwundert es nicht, daß der Bericht von der Sendimg des Gesandten auch in der Form des Märchens begegnet. Dafür ist das Perlenlied der Thomasakten der bekannteste Nach Hennecke, Ntl. Apokryphen, 1924 2 , S. 308f. Lk. l,26ff.; Ape. l , l f f . ; 4. Esr. 4, lif.52; 6 , 3 3 ; 7, Iff.; 8,62; 10,29ff.; äth. Hen. 65,5ff.; Rießler S. 514ff. 2 1 1 4.Esr. 5,3Iff. 212 Hes. 8 , 3 ; Ape 17, Iff.; RießlerS. 40ff.; 126ff.; 156f.; 168ÍF.; 234ff.; 452ff.; 1097ff. ; 1142ff. 213 Ape Abr. 10,5—8 (Rießler S. 21); 15,5 (ebd. S. 25). 209 210

Der Apostel in der Gnosis : Der himmlische Apostel

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und schönste Beleg214. Ähnliche Märchenmotive zeigt auch der 3. der manichäischen Psalmen des Thomas: „Das Schiff, dessen Bug der Lichtglanz ist: die Seile des Lichtes sind auf ihm. Seine Steuerleute sind in dem Strahl, seine Besatzung ist bekleidet mit dem Lichtglanz, sie, die den Schatz des Gewaltigen, der auf ihm ist, gebracht h a b e n ; ohne Maß und ohne Zahl ist er. E s ist beladen mit dem Reichtum der Lebendigen, der niemals gezählt werden kann. Ich habe nicht ergründen können, wo der Sohn des Bösen es erblickt h a t ; er dingte R ä u b e r u n d sandte sie hin. Die R ä u b e r ergossen sich auf das Schiff, sie kaperten es mitten im Meer. Aber d a n n k a m der Bericht an den Gewaltigen, eine Sturmwelle habe sein Schiff erreicht; verwundet seien seine Steuerleute, die mit dem Schatz Betrauten in Gefahr. E r berief einen Gesandten, eine K a m m e r des Lebens, nämlich die V e r n u n f t ; er berief einen Gesandten, schickte ihn zu dem Schiffe h i n : Geh hin zu dem Ort, wo der Sturm das Schiff erfaßt h a t ; zieh das Schiff und bring es her. D a waffnete u n d gürtete sich sofort der Sohn des Lichtes u n d der R e i c h t ü m e r ; er waffnete u n d gürtete seine ^Hüften, sprang und k a m hinaus zu den; Schiff. E r heilte seine Steuerleute, half seinen Gläubigen. E r festigte das Schiff u n d gab ihm ein Geländer, er n a h m es als Geschenk hinauf zu dem Gewaltigen. E r n a h m es als Geschenk hinauf zu dem Gewaltigen, brachte es hinauf in das Land des Lichtes. Das Schiff sproßte Palmzweige; seine Steueileute kamen in das Ihrige." 2 1 5

Hier fehlt jede Möglichkeit, sich den Gang der Erlösung konkret vorzustellen. Darauf aber kann die Gnosis verzichten. Für sie ist die Sendung des erlösenden Gesandten stets ein vergangener Akt, der seine Bedeutung nur darin hat, daß die einst gesandte Gnosis gegenwärtig tradiert wird. 214 Zuletzt bei A. Adam, Die Psalmen des Thomas, S. 48ff. I n F o r m der Legende erscheint das Erlösungsdrama auch in der Geschichte von Barlaam u n d J o s a p h a t . Barlaam als Erlöser begibt sich verkleidet in den Palast, u m den Prinzen J o s a p h a t zu erlösen. Das gelingt ihm. (Der Text in der Übersetzung von L. Burchard im Theatiner-Verlag, München o. J . , bes. S. 116f.) Von vielen derartigen Märchenmotiven durchzogen sind ζ. B. auch die Thomasakten. 215 Psalm 3,1-6.16-20.29-31.37-39 = A. A d a m S. 6ff.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

Ich habe in den ganzen vorstehenden Texten darauf verzichtet, den Terminus .Apostel', der ständig begegnete, besonders herauszuheben. Denn es ist deutlich: Welche einzelne Ausprägung des himmlischen Gesandten auch immer man nehmen mag, keine von ihnen kommt als direktes Vorbild des kirchlichen Apostolats in Betracht. Zwar ist evident, daß jeder dieser Apostel eminente eschatologische Bedeutung hat und sich insofern — anders als der jüdische Schaliach — als Vorbild des kirchlichen Apostels empfiehlt. Aber der kirchliche Apostel trägt auch nicht andeutungsweise die Züge eines h i m m l i s c h e n Gesandten, wenn er auch mit absoluter himmlischer Autorität auftritt. Vorbild des kirchlichen Apostels kann nur eine irdische Gestalt sein, die freilich als solche — jedenfalls formal — die gleiche eschatologische Bedeutung und himmlische Vollmacht besitzen müßte, die dem himmlischen Gesandten eignet 216 . Wir werden eine solche Gestalt bald kennenlernen, wenn wir uns nun dem vorn bereits grundsätzlich charakterisierten anderen Haupttyp des gnostischen Erlösers zuwenden : Dem irdischen Boten, der sich die Erlösung im Himmel holt ; denn — so sei wiederholt — : „Niemand der himmlischen Götter wird auf die Erde kommen, indem er das Gebiet des Himmels verläßt, sondern der Mensch steigt auch zum Himmel auf und mißt ihn aus und weiß, was seine Höhe ist, was seine Tiefe, und lernt das andere alles genau kennen, und — was das größte von allem ist — er kommt in die Höhe, ohne die Erde zu verlassen ! Von solcher Größe ist seine Ekstase." 217 3. Der Gesandte dieses Typs ist selbst Mensch und Empfänger der Gnosis und ist Gesandter dann, wenn er die Gnosis mit dem Auftrag empfängt, sie den anderen Menschen weiterzugeben. a) Zuerst müssen die vorn angegebenen Texte daraufhin durchgesehen werden, wer von den einzelnen Offenbarungsempfängern die Gnosis von dem jeweiligen himmlischen Gesandten nicht für seinen persönlichen Bedarf', sondern zur Weitergabe an die anderen Menschen empfängt. Mit dem Poimandres als mit einem eindrücklichsten 2le U m Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier festgestellt, daß ich die oben geschilderten einzelnen Ausprägungen des himmlischen Gesandten durchweg für v o r c h r i s t l i c h halte. Eine Ausnahme macht lediglich die besondere Gestalt des ,historischen Gesandten', die mir aus den angegebenen Gründen ursprünglich christlich zu sein scheint. Nur wenn man die Differenziertheit der gnostischen Apostelvorstellung übersieht und meint, allein den .historischen Gesandten' im eigentlichen Sinne als Erlöser bezeichnen zu dürfen, kann man zu dem Urteil kommen, es habe einen Erlöser in der vorchristlichen Gnosis nicht gegeben. So neuerdings J. Jervell in Imago Dei, F R L A N T N F 58, z. B. S. 134; 137; 145; 147; 211, der damit die richtige Einsicht, daß die Gnosis einer Erlösergestalt nicht bedarf, unzulässig ausweitet. 217 Corp. Herrn. 10,25.

Der Apostel in der Gnosis : Der irdische Apostel

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Beispiel sei begonnen. Nachdem Poimandres dem Mysten alle Geheimnisse mitgeteilt hat und die Übermittlung der Gnosis in den Worten gipfeln läßt : „Das ist das gute Ziel derer, die die Gnosis erlangt haben, daß sie vergottet werden"

fährt Poimandres fort : „Wae willst d u weiter? Solltest d u nicht, wenn du dies alles in dich aufnimmst, den Würdigen ein Geieiter sein, damit das menschliche Geschlecht d u r c h d i c h von Gott g e r e t t e t w e r d e ? I n d e m er dies sagte, teilte mir Poimandres die K r ä f t e mit. I c h aber d a n k t e u n d pries den Vater des Alls u n d wurde von ihm ausgesandt, m i t K r ä f t e n versehen u n d über die N a t u r von allem und die große Schau belehrt, und ich begann, den Menschen die Schönheit der Frömmigkeit u n d der Gnosis zu lehren: O Völker, erdgeborene Menschen, die ihr euch der Trunkenheit u n d dem Schlaf u n d der Unkenntnis Gottes hingegeben h a b t , Werdet nüchtern, beendet euren Rausch, die ihr von sinnlosem Schlaf gefesselt seid . . ," 2 1 8

So also redet nunmehr der Myste, der sich im Folgenden mit Poimandres identifiziert219 und dem ,alle Macht gegeben ist"®20. Er selbst ist der eigentliche Erlöser221 und Gesandte222. In gleicher Weise ist Jesus in der Baruchgnosis des Justin Gesandter, denn Baruch spricht zu ihm, dem irdischen Sohn Josephs und der Maria : ,,. . . verkündige dieses W o r t den Menschen und teile ihnen die Botschaft über den Vater und über den Guten m i t . " 2 2 3

Jesus verspricht, alles zu tun, und geht hin und verkündigt. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, Moses, den Propheten und Herakles, läßt er sich von Edem nicht verführen. Mani selbst hat sich in diesem Sinne als Apostel verstanden, wenn er auch späterhin als ,historischer Gesandter' verehrt worden ist. Wir achten noch einmal auf seine autobiographische (?) Berufungsschilderung : „ I n jenem bestimmten J a h r e der Regierung des Ardaschir k a m der .Lebendige Paraklet' zu mir herab u n d sprach zu mir. E r offenbarte mir das verborgene 218

219 220 Corp. Herrn. l , 2 6 f . Ebd. 1,30. E b d . 1,32. Das Hermasbuch bietet sich auch hier als Parallele an. I n Vis. V 5 z. B. erklärt der Offenbarer: ,,άπεστάλην γάρ, φηβίν, iva ä είδες πρότερον πάντα σοι πάλιν δείξω, avrà τα κεφάλαια τά οντα νμϊν σύμφορα". Darauf schreibt Hermas die Gebote u n d Gleichnisse des Hirten nieder und beginnt zu verkündigen: „Wenn ihr sie n u n hört u n d haltet und in ihnen wandelt u n d sie mit reinem Herzen t u t , werdet ihr vom H e r r n empfangen, was er euch verheißen h a t . . . " (Vis. V. 7). 222 Vgl. H . Becker a.a.O. S. 20; U. Wilckens, Weisheit u n d Torheit, S. 59, dem die Verwandtschaft dieses Erlösungsvorganges mit dem ntl. Apostelverständnis aufgefallen ist. 223 Hipp. 5,26. 221

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

Mysterium, das den Welten u n d Generationen verborgen war . . . E r lehrte mich das Mysterium des Baumes der Erkenntnis, von dem A d a m gegessen, wodurch seine Augen sehend wurden, das Mysterium der Apostel, welche in die Welt ausgesandt werden . . 224

In gleichem Sinne — nicht als die Erklärung eines ,historischen Gesandten' — ist auch der folgende Satz aus Manis Saburakan zu verstehen : „Darauf stieg diese gegenwärtige Offenbarung herab und erfolgte diese gegenwärtige Prophetie im gegenwärtigen jüngsten Zeitalter durch mich, Mani, den Apostel des wahren Gottes, in das Land Babel." 2 2 6

Als Apostel des .Lebendigen Parakleten', der mit dem Ur-Offenbarer Licht-Jesus identisch ist, kann Mani sich in seinen Briefen „Apostel Jesu Christi" nennen; meist heißt er „Apostel Gottes"226. Hier wäre auch auf die bereits betrachteten Urzeitgestalten Adam, Seth, Norea, Methusalem, Melchisedek u. a. zu verweisen, die ja mit der von dem himmlischen Gesandten empfangenen Botschaft jeweils zu den Nachkommen gesandt werden und insofern als Gesandte an dem Werk der Erlösung teilhaben227 : „Dann wurde den Geistern u n d Seelen der Männer von erprobter Gerechtigkeit die Gemeinschaft (mit dem Leben) zuteil, denen, die selber einsichtig waren und bei denen Einsicht schufen, die in dieser Welt, die voller Täuschung u n d Blendwerk ist, wohnen. Adam, den Hibil belehrt u n d ermahnt hatte, sprach: Heil dem, der bei dieser E r m a h n u n g des Hibil, Sitil und Anos f e s t s t e h t . . ." 2 2 8

Der Gnostiker, der Gnosis vom himmlischen Gesandten empfangen hat, wird selbst zum Gesandten, der Gnosis mitzuteilen hat. In den mandäischen Schriften begegnet in vermutlich späten Stücken 229 Johannes der Täufer. Er ist keine himmlische Gestalt: „Ferner wird in jenem Zeitalter ein K i n d geboren werden, dessen N a m e J o h a n a genannt wird, der Sohn des greisen Vaters Zakhria." 2 3 0

Er wird bis zu seinem 22. Lebensjahr auf dem Berg Parwan durch Anos-Uthra unterrichtet231 und empfängt Weisung durch Himmelsbriefe232. 42 Jahre hindurch tauft er dann im Jordan, bis Manda d'Haije ihn aus dem Körper holt 233 . 224

Schmidt-Polotsky, Ein Mani-Fund in Ägypten, SBA 1933, H e f t 1, S. 53 f. Erhalten in Al-Birunis Chronologie ; zitiert nach G. P . Wetter a.a.O. S. 16; vgl. G. Widengren [3] S. 59. 22β G. P . Wetter a.a.O. S. 15; E . Rose a.a.O. S. 30ff. 227 228 Siehe S. 116ff. Lidz Ginza S. 246,16-21. 229 Vgl. jetzt Κ . Rudolph a.a.O. S. 66ff. 230 231 Lidz Ginza S. 51,5f. Lidz J o h . K a p . 18-33. 232 233 Lidz J o h . S. 94,7ff. ; 107,24ff.; 110,13ff. Lidz Ginza S. 190ff. 225

Der Apostel in der Gnosis : Der irdische Apostel

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Nach Kap. 12 des Johannesbuch.es der Mandäer empfängt der „Gute Hirte" von außen her den Ruf eines Uthra und darin den Auftrag, Erlöser-Hirte zu werden. Er selbst lebt also offenbar seit Uranfang unten in der Welt und wird dort durch den Ruf des himmlischen Gesandten geweckt und so selbst zum Gesandten. Dinanuhht234 erhält von dem ,mystischen Gesandten' Din Mlikh nach seiner Himmelsreise den Auftrag : „Geh in die Welt der Bösen, an den Ort, der ganz aus Königreichen besteht. Geh, verbrenne deine Bücher im Feuer und versenke dein Gedenkbuch ins Wasser. Zieh in die Welt hinaus, rufe den Ruf des Lebens und unterweise Jünger sechzig Jahre und sechzig Monate. . ." 2 3 5

Nach anfänglichem Widerstand läßt er sich senden und verbrennt seine Bücher: „Er zog hinaus zu dieser Welt, rief den Ruf des Lebens und unterwies Jünger 60 Jahre, 60 Monate und 60 Tage." 2 3 ·

Von einem Mana, dem seine ,Helfer' die Gnosis bringt, heißt es: „Als der Mana dies hörte, grübelte er nicht mehr in Bösem und machte die Pläne der Vergänglichen zunichte. Er rief mit lauter Stimme und bezeugte den lichten Sproß." 237

Er ist Gnosisträger und Gnosisbringer : „Leuchte und erleuchte, Mana." 238

Vor allem ist in diesem Zusammenhang auf die Jünger Jeh α in den gnostischen und gnostisierenden Evangelien hinzuweisen: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch." 239 „Nun aber (Johannes) erhebe dein Antlitz und komme, höre und vernimm, Wae ich dir heute sagen werde, damit du deinerseits es verkündest deinen Gleichgeistern, die aus dem Geschlechte sind, das nicht wankt, des vollkommenen Menschen, und denen, die imstande sind zu begreifen." 240

Die Pist. Soph, beschreibt das Verhältnis des himmlischen Jesus und seiner irdischen Jünger in den folgenden Worten Jesu an seine Apostel : „Freuet euch nun und jubelt, denn als ich mich aufgemacht hatte zur Welt, führte ich von Anfang an zwölf Kräfte mit mir, wie ich es euch von Anfang an 231 ygi z u dieser interessanten Gestalt G. Widengren [2] S. 62ff. 235 23 Lidz Ginza S. 211, £-7. « Lidz Ginza S. 212,2-4. 237 238 Lidz Ginza S. 460,15-19. Lidz Ginza S. 455,23. 239 Joh. 20,21; vgl. 17,18. 240 Apokryphon des Johannes, nach Hennecke-Schneemelcher S. 236; vgl. S. 248; 254.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

gesagt habe, welche ich von den zwölf Erlösern des Lichtschatzes gemäß dem Befehle des ersten Mysteriums genommen habe. Diese nun stieß ich in den Mutterleib eurer Mutter . . . Denn es Wurden euch diese Kräfte vor der ganzen Welt gegeben, weil ihr die seid, welche die ganze Welt retten werden." 2 4 1 „Freuet euch nun und jubelt, denn ihr seid selig vor allen Menschen, die auf der Erde, weil ihr es seid, die die ganze Welt retten werden." 242

Gott selbst ist es, der als Erlöser den Mund des Sängers der schönen Od. Sal. 10 geöffnet hat, so daß er Gottes Bote wird: „Geleitet hat meinen Mund der Herr durch sein Wort, und geöffnet hat er mein Herz durch sein Licht. Und er hat in mir wohnen lassen sein unsterbliches Leben und hat mir gegeben, zu reden von der Frucht seines Heils, zu bekehren die Seelen derer, die zu ihm kommen wollen, und gefangen zu führen edele Gefangene zur Freiheit. Ich bin stark geworden und kraftvoll und habe die Welt gefangen geführt ; und das ward mir zum Preise des Höchsten und Gottes meines Vaters. Und versammelt haben sich gemeinsam die Völker, die zerstreut waren, und ich war nicht befleckt durch Sünden von mir. Weil sie sich zu mir in den Höhen bekannt haben, deshalb sind die Spuren des Lichtes auf ihre Herzen gesetzt worden, und sie sind eingegangen in mein Leben und erlöst worden, und sie sind mein Volk geworden für alle Ewigkeit. Hallelujah!" 2 4 3

Vgl. Od. Sal. 12, in der das Wort besungen wird: „Und der Höchste gab es seinen Welten, den Dolmetschern seiner Schönheit und Verkündern seiner Herrlichkeit und Predigern seines Planes und Boten seines Gedankens und Erziehern seiner Werke." 2 4 4

Am eindrücklichsten ist Od. Sal. 17. Zuerst schildert der spätere Gesandte, wie er selbst von Gott erlöst wird : „Ich bin aber bekränzt worden durch meinen Gott, lind mein Kianz ist lebendig. Ich jin gerechtfertigt worden durch meinen Herrn, meine Erlösung aber ist unvergänglich. Ich bin befreit worden von den Eitelkeiten und ich bin nicht verurteilt. Meine Fesseln sind durch ihn zerrissen worden, Antlitz und Gestalt einer neuen Person habe ich empfangen und wandelte in ihr und wurde erlöst." 241 242

Pist. Soph. 7 = Schmidt-Till S. 7, Iff. Pist. Soph. 8 = Schmidt-Till S. 9,35ff.; vgl. 46 = 53,Iff.; 96 = 148;

110243= 181,12£f. 244

Od. Sal. 10,1-6. Od. Sal. 12,4; vgl. 12,1-3.

Der Apostel in der Gnosis : Der irdische Apostel

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Alle wundern sich über ihn : „Und alle, die mich sahen, erstaunten, und wie ein Fremder kam ich ihnen vor." Gott aber „erhöhte zur Höhe der Wahrheit mein Erkenntnisvermögen." Dann wird der Erlöste selbst Erlöser : „Und von da gab er mir den Weg seiner Schritte frei, und ich öffnete die Tore, die verschlossen waren, und ich zerschlug die eisernen Riegel. Mein eigenes Eisen aber geriet in Glut und schmolz vor mir. Und nichts erwies sich für mich als verschlossen, •weil ich der geworden war, der alles öffnet. Und ich ging hin zu allen den Meinen, die eingeschlossen waren, sie zu befreien, da Β ich keinen ließe gebunden oder bindend. Und ich gab meine Erkenntnis ohne Mißgunst und meine Fürbitte voller Liebe. Und ich säte in die Herzen meine Früchte und verwandelte sie durch mich. Und sie empfingen meinen Segen und Wurden lebendig, und sie versammelten sich bei mir und wurden erlöst. Denn sie sind mir Glieder geworden und ich ihr Haupt. . ."246 Dasselbe soteriologische System liegt, wie schon David Friedrich Strauß 246 erkannt und E.Norden 247 wieder in Erinnerung gerufen hat, Jesus Sirach 51 zugrunde. Der Beter suchte die rettende Weisheit : „Als ich noch jung war, ehe ich in der Fremde umherirrte, suchte ich ehrlich die Weisheit. In meinem Gebete flehte ich um sie und bis ans Ende werde ich sie aufsuchen." Er fand sie durch Gottes Hilfe : „Sie erblühte gleich einer reifenden Traube; da erfreute sich mein Herz an ihr. Es trat mein Fuß auf ebenen Weg; von meiner Jugendzeit an ging ich ihrer Spur nach . . . Mein Inneres wax aufgeregt, nach ihr zu suchen; darum habe ich sie in Besitz genommen als einen guten Besitz." Dann wird der so Erlöste selbst zum Erlöser : „Kehrt ein bei mir, ihr Ungebildeten, und verweilt im Hause der Bildung ! Wie lange noch soll es euch daran gebrechen, und eure Seele heftig darnach dürsten? 245 246

Vgl. noch Od. Sal. 22; dazu G. Bornkamm a.a.O. S. 31 f. 247 [2] S. 280ff. Zeitschrift für wiss. Theol. VI, 1863, S. 92.

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Der U r s p r u n g des urchristlichen Apostolats

I c h öffnete meinen M u n d u n d r e d e t e d a m i t : Verschafft euch Weisheit, die ohne Geld zu h a b e n i s t ! E u r e n N a c k e n beugt u n t e r ihr J o c h , u n d eure Seele n e h m e Zurechtweisung a n ! N a b e ist sie d e m , der sie zu h a b e n w ü n s c h t , und wer sich selbst ihr hingibt, der findet sie." 2 1 8

Vielleicht darf man hier auch auf den ursprünglichen Sinn von Mt. 11,27f. verweisen249: „Alles ist m i r von m e i n e m V a t e r überliefert, u n d n i e m a n d k e n n t d e n Sohn, a u ß e r d e m Vater, u n d n i e m a n d k e n n t d e n V a t e r , a u ß e r d e m Sohn u n d denen, denen es der Sohn offenbaren will. K o m m e t her zu mir alle . .

Freilich könnte in dieser ,johanneischen' Stelle auch die Präexistenz des Sohnes bereits vorausgesetzt und dieser also auch in der Vorlage des Matthäus schon der eine himmlische Gesandte gewesen sein. Als jüdisches Gegenstück250 zu dieser Form des irdischen Boten ist ζ. B. Mose zu vergleichen: „ O d e r was s c h a d e t e es Moses, d a ß er 120 J a h r n u r lebte? E r b r a c h t e doch deswegen, dieweil er seinem Schöpfer u n t e r t ä n i g w a r , d e n J a k o b s s ö h n e n d a s Gesetz, e n t z ü n d e t e d e m S t a m m Israels ein L i c h t . " 2 6 1

Zwischen dem Judentum und der Gnosis steht Philo252. Für ihn gelten als Empfänger der göttlichen Offenbarung die Stammväter und vor allem Mose253, der große Offenbarer, die, vom Logos unterwiesen, die Menschen von der αγνοία zur επιστήμη führen sollen264. 248

249 51,13ff. 21.23-26. Vgl. E N o r d e n [2] S. 292f. Man k a n n hier n a t ü r l i c h auf d a s gesamte prophetische Selbstbewußtsein verweisen, insonderheit auf die ausgeprägt soteriologische Prophetie, ζ. B . bei D t . Jes. : „πνεύμα κυρίου έπ έμέ, οϋ εϊνεκεν εχρισέν με· εναγγελίαασ&αι πτωχοί ς άπέσταλκέν με" (Jes. 61,1). Orígenes u. a. k ö n n e n d a r u m auch einzelnen Prop h e t e n den Aposteltitel geben (vgl. G. Widengren [3] S. 76). E t w a in der Mitte zwischen dieser atl. Vorstellung u n d der spezifisch gnostischen V e r w e n d u n g des gleichen Schemas s t e h t die Gestalt (des Lehrers der Gerechtigkeit?), die in den H y m n e n v o n Q u m r a n spricht : „ D u h a s t m i c h . . . g e m a c h t z u m F u n d a m e n t der W a h r h e i t u n d der Einsicht f ü r die, deren W e g gerade ist . . . d u h a s t m i c h z u m P a n i e r f ü r die E r w ä h l t e n der Gerechtigkeit g e m a c h t u n d z u m Sprecher (voller) K e n n t n i s s e der w u n d e r b a r e n Geheimnisse, u m die Menschen der W a h r h e i t zu p r ü f e n . . ." ( 1 Q H I I 9 f . ; 13f.; vgl. D u p o n t - S o m m e r , Die essenischen Schriften v o m T o t e n Meer, 1960, S. 223f.; vgl. ebd. S. 390ff.). 251 Ape. Bar. (syr.) 17,4 = Rießler S. 65 ; vgl. 4.Esr. 12,35ff. ; 14,18ff. ; weiteres bei W . Bousset, Die Himmelsreise der Seele, N a c h d r u c k der Wiss. Buchges., 1960, S. 20f. 252 Vgl. aber a u c h z. B. Test. Levi 2ff.; G. W i d e n g r e n [2] S. 35 f. 253 Vgl. G. P . W e t t e r a.a.O. S. 34f. D a b e i k e n n t Philo als t e r m , t e c h n . d a s Verb άποατέλλειν. Migr. Abr. 22; vgl. Κ . H . Rengstorf [1] S. 398, 36ff. ; 402,4ff. ; W . Staerk, Soter I I , S. 50ff. 254 Ygi Antonie Wlosok, L a k t a n z u n d die philosophische Gnosis, Diss. Heidelberg 1957, (masch.), S. 47ff. 250

Der Apostel in der Gnosis : D e r irdische Apostel

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Auch Muhammed wäre als Beispiel für solchen Typ des Erlösers zu nennen255. Die bisherigen Beispiele bezogen sich auf solche irdischen Gesandten, die von einem himmlischen Gesandten oder von Gott selbst ausgesandt wurden. Maßgeblich ist bei dieser Verdoppelung der Gesandten stets der himmlische Apostel, der die Tätigkeit des irdischen Apostels erst auslöst. b) Es folgen Beispiele, bei denen die Tätigkeit des himmlischen Gesandten zurücktritt oder fehlt. Ein einzelner, ausgezeichneter Mensch selbst holt sich die Botschaft aus der himmlischen Welt und gibt sie weiter. Dieser Typ des irdischen Gesandten ist uns am besten aus der Henochliteratur bekannt258. Ich beginne darum mit Zitaten aus dem Henochschrifttum, auch wenn es sich bei den Henochschriften — trotz vieler gnostisierender Züge257 — nicht um gnostische Literatur handelt : „ I c h s a h in m e i n e m Schlafe, w a s ich j e t z t m i t Fleischeszunge u n d m i t d e m O d e m meines Mundes erzählen werde, d e n der Große d e n Menschen verliehen h a t , d a ß sie d a m i t r e d e n u n d m i t d e m Herzen es v e r s t e h e n sollen" (Hen. 14,2) „Mir w u r d e im Gesichte folgende E r s c h e i n u n g : Siehe, W o l k e n luden m i c h ein im Gesicht, u n d ein Nebel f o r d e r t e m i c h a u f ; der L a u f der Sterne u n d Blitze t r i e b u n d d r ä n g t e mich, u n d W i n d e g a b e n m i r Flügel i m Gesicht u n d h o b e n m i c h empor. Sie t r u g e n m i c h hinein in d e n H i m m e l " (Hen. 14,8f.) „ I n jener Zeit r a f f t e n m i c h eine W o l k e und ein Wirbelwind v o n der E r d e hinweg lind s e t z t e n m i c h a n d e m E n d e der H i m m e l nieder. H i e r s c h a u t e ich . . . " (Hen. 39,3f.) „ D a r n a c h sah ich alle Geheimnisse der H i m m e l , wie d a s (zukünftige) R e i c h verteilt wird . . . D o r t s a h ich . . . D o r t s c h a u t e n m e i n e Augen . . . " (Hen. 41, I f . u . ö.) „ I n jenen T a g e n a n t w o r t e t e m i r der E n g e l Uriel u n d sagte zu m i r : Siehe, ich h a b e dir alles, o Henoch, gezeigt u n d dir alles e n t h ü l l t , d a m i t d u es sehen möcht e s t " ( H e n 80,1)

Im späten, sogenannten hebräischen Henochbuch heißt es: „ E s sprach R . J i s m a e l : Als ich in die H ö h e hinaufging, u m d a s W a g e n w e r k a n s c h a u e n zu k ö n n e n , ging ich zuerst d u r c h 6 Paläste, Z i m m e r f ü r Zimmer, u n d als ich zur P f o r t e des siebenten P a l a s t e s k a m , s t a n d ich i m Gebet vor d e m H e r r n , gepriesen sei er . . . D a stellte m i c h M e t r a t o n h i n vor den T h r o n der Herrlichkeit Gottes, u m a u f das W a g e n w e r k hinzublicken." 2 5 8 255 Ygi ( ΐ θ η F e r m a n Sb 7240,4f. : „ουκ εστίν ϋ-εός εί μη ó &εός μόνος. Μααμετ άπόστολος &εοϋ". 25,1 Sofern H e n o c h als Himmelswesen a u f t r i t t , interessiert er u n s hier nicht. Z u H e n o c h s. vor allem E . Sjöberg, D e r Menschensohn im ä t h . H e n o c h b u c h , L u n d 1946; E . Peterson, F r ü h k i r c h e , J u d e n t u m u n d Gnosis, 1959, S. 48; G. Widengren [2] S. 36ff. 257 Vgl. U . Wilckens, Weisheit u n d Torheit, S. 190-197; M. Friedländer, Die religiösen Bewegungen innerhalb des J u d e n t u m s i m Zeitalter J e s u , 1905, S. 180ff. 258 A. J ellinek, B e t Ha-Midrasch V, 1873, S. 170; nach K . S c h u b e r t , Die Religion des nachbiblischen J u d e n t u m s , 1955, S. 90.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

Mit der empfangenen Erkenntnis wird Henoch zu den Menschen gesandt : „Hört, ihr Urväter, und vernehmt, ihr Nachkommen, die heiligen Reden . . . Es wäre besser, (sie nur) den Urvätern zu erzählen ; aber auch den Nachkommen wollen wir die wahre Weisheit nicht vorenthalten" (Hen. 37,2f.). „Bewahre, mein Sohn Methusalah, die Bücher von deines Vaters Hand, und übergib (sie) den (kommenden) Geschlechtem der Welt. Ich habe Weisheit dir, deinem Sohn und deinen zukünftigen Söhnen übergeben, damit sie sie ihren Kindern (und) den Geschlechtern bis in Ewigkeit übergeben, diese Weisheit, die über ihre Gedanken geht" (Hen. 82, If.). „Und nun, mein Sohn Methusalah, rufe mir alle deine Brüder und versammle mir alle Söhne deiner Mutter, denn das Wort ruft mich und der Geist ist über mich aasgegossen, um euch alles zu zeigen, was euch bis in Ewigkeit treffen wird" (Hen. 91,1). „Und nun, mein Sohn Methusalah, habe ich dir alles gezeigt, und das Gesetz aller Sterne des Himmels ist (nun) zu Ende (beschrieben)" (Hen. 79,1.) Man vergleiche weiter : „Mich hebt der Geist des Herrn empor und führt mich nach dem Südteile der Welt. Dort sah ich . . ,"269 Das Buch des Sehers gibt die geschaute Offenbarung weiter. Im slavischen Henochbuch heißt es: „Da rief mich der Herr und stellte mich zu seiner Linken, nahe zu Gabriel hin. Ich betete den Herrn an. Er sprach zu mir: Henoch! Du hast alle Dinge geschaut, die stehenden und die gehenden und durch mich vollendeten; ich zeige sie dir, bevor sie eine Form annehmen." „Geh auf die Erde hinab und sage deinen Söhnen alles, wae ich dir erzählte, und alles, was du gesehen vom untersten Himmel bis zu meinem Thron!"260 Henoch tut, wie ihm befohlen wird, und wird vor seiner Himmelfahrt von den Menschen gepriesen : „Denn der Herr hat dich erwählt und dich zum Erlöser unserer Sünden gemacht."261 259 Buch des Elias 1,4 = Rießler S. 234; vgl. noch Test. Abr. 8£f. = Rießler S. 1097f.; Test. Isaak 6ff. = Rießler S. 1142ff.; Test. Lev. Iff. = Rießler S. 1159ff. 260 Slav. Hen. 24,If.; 33,6b. 261 Slav. Hen. 64,4. Vgl. zu Henoch noch G. Widengren [3] S. 141 f.

D er A p o s t e l in der Gnosis: Der irdische Apostel

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Aus dem Alten Testament sei nur auf Hes. lf. verwiesen262; aus dem Neuen Testament auf Ape 1,9ff.; 4,1 f. 283. Dieser Typ des irdischen Erlösers begegnet in der eigentlichen Gnosis, in der interessanterweise auch Henoch keine bedeutende Rolle spielt, kaum. Stark gnostisierend ist die Schilderung der Ekstase in Test. Hiob 48-50: „Und so erhob sich denn die eine, die Hemera hieß, u n d legte sich den Gürtel u m , wie es der Vater sagte. U n d sie erhielt ein andres Herz, so daß sie gar nicht mehr ans Irdische dachte. Sie redete in der Sprache der Engel u n d schickt nach Engelart ein Lied zu Gott empor. U n d diese Lieder, die sie sang, ließ d a n n der Geist an ihrem Kleid sich ausprägen." 2 ® 4

Im übrigen kann ich nur auf Od. Sal. 36 (vgl. Od. Sal. 38) verweisen : „Ich fand R u h e auf dem Geiste des Herrn, u n d er hob mich zur Höhe. U n d er stellte mich auf meine F ü ß e in der Höhe des H e r r n vor seine Vollkommenheit u n d Herrlichkeit, Während ich (ihn) pries mit der Zurüstung seiner Lieder. E r (sc. der Geist) gebar mich vor dem Angesicht des H e r r n ; u n d während ich ein Mensch war, wurde ich genannt der Leuchtende, der Sohn Gottes, indem ich gepriesen war u n t e r den Gepriesenen und groß war unter den Großen. Denn, wie die Größe des Höchsten (ist), so h a t er mich gemacht, und, wie seine Erneuerung (ist), h a t er mich erneuert. U n d er h a t mich gesalbt mit seiner Vollkommenheit, u n d ich wurde einer der ihm Nahestehenden. U n d es öffnete sich mein Mund wie eine Tauwolke, u n d es sprudelte mein Herz, ein Sprudel der Gerechtigkeit. U n d es war mein Nahesein in Heil, u n d ich wurde fest gegründet im Geiste der Herrschaft. Hallelujah!"

Auch hier aber spielt noch der Geist als himmlischer .mystischer Gesandter' eine bedeutende Rolle. 282

Vgl. G. Widengren [2] S. 3Iff. Auch Zarathustra empfängt nach Texten der zarathustrischen Religion seinen Apostolat bei einem Besuch bei Ormuzd: "Zarathustra in the company of Vohu Manah departs in ecstacy to confer with Ahura Mazdah" (G. Widengren [1] S. 71). 264 Test. Hiob 48 = Rießler S. 1132. 263

10 7801 Schmithals, Apostelamt

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D e r U r s p r u n g des urchristlichen Apostolats

Ferner auf das in seiner Art singulare 1. Stück vom 12. Buch des Rechten Ginza : „ I c h bin der große Anos, der Sohn des großen Sitil, des Sohnes des großen A d a m , der Sohn der gewaltigen Könige der Herrlichkeit, der Sohn des Lichtortes, der Sohn der B l ä t t e r alles Wissens. Meine F ü ß e f ü h r t e n m i c h hier h i n a u f . A m Orte reichen Glanzes sitze ich. I c h stelle B e t r a c h t u n g e n a n u n d spreche, ich schaue u n d sehe diese W e l t , den H i m m e l u n d die E r d e , die Sonne, d e n Mond u n d die Sterne des H o c h s t e h e n s u n d des Niederganges des H i m m e l s , d a s Licht, in d e m ich stehe, u n d die K r a f t , in der sie stehen. Mit wessen K r a f t s t e h e n sie d a , m i t wessen Licht leuchten sie? I c h öffnete m e i n e Augen u n d e r h o b m e i n e B r a u e n , d a s c h a u t e ich u n d sah . . . 2 6 6 Als ich jenes Glanzwesen erblickte, e r b e b t e u n d e r z i t t e r t e m e i n K ö r p e r , u n d meine F ü ß e s t a n d e n auf m e i n e m Gestelle n i c h t fest. I c h s t ü r z t e u n d fiel v o r i h m hin. D a s t a n d ein E n g e l des Glanzes vor i h m auf, f a ß t e mich bei der F l ä c h e meiner R e c h t e n , r i c h t e t e m i c h gerade vor ihm auf u n d s p r a c h zu m i r : K o m m , großer Anos, Sohn des großen Sitil, des Sohnes des großen A d a m , Sohn der gewaltigen Könige des H a u s e s der Herrlichkeit, Sohn des Lichtortes, Sohn der B l ä t t e r alles Wissens, k o m m , ich will dir ü b e r d a s große L e b e n offenbaren." 2 6 4

Das Fehlen dieses Typs des Erlösers in der Gnosis ist nicht zufällig. Es ist für den Gnostiker wohl verständlich, daß einer oder einzelne der Menschen durch den himmlischen Gesandten in besonderer Weise mit der Verbreitung der Gnosis beauftragt und so selbst zu Gesandten werden. Nicht vorstellbar aber ist, daß einer der Pneumatiker mehr als die anderen in der Lage sein sollte, in ekstatischer Entrückung die himmlische Gnosis zu erlangen 267. Wozu der eine Pneumatiker kraft des inneren Pneuma-Selbst imstande ist, dazu sind die anderen g r u n d s ä t z l i c h ebenso imstande. Wenn also überhaupt in der Gnosis der Typ des irdischen Gesandten begegnet, der auf Grund seiner ekstatischen Praxis dieser Gesandte ist, so kann er nur in der Form einer Vielzahl solcher ekstatischer Apostel begegnen. In dieser Form aber — wir nennen ihn den pluralischen Apostolat — begegnet der gnostische Apostel häufig. Der Nachweis dessen, der nun folgt, wird ausführlicher gehalten sein als die bisherigen Zusammenstellungen von Texten; denn wir stoßen nun unmittelbar auf das Vorbild des urchristlichen Apostolats. c) Wir beschäftigten uns bereits mit Simon Magus, der in einem Überlieferungsstrom als ,historischer Gesandter' erscheint. Daneben gibt es bei Hipp. 6. 9 ff. eine gänzlich andere Tradition. Hippolyt 265

266 Lidz Ginza S. 269,9-18. Lidz Ginza S. 270,4-11. So H e n o c h : „Bis j e t z t w u r d e noch nie v o m H e r r n der Geister solche Weisheit verliehen, wie ich sie n a c h meiner Einsicht u n d n a c h d e m Wohlgefallen des H e r r n der Geister empfing, von d e m mir das Los des ewigen Lebens beschieden w u r d e " (äth. H e n . 37,4). Diese im S p ä t j u d e n t u m festliegende Rolle des H e n o c h als des E k s t a t i k e r s κατ εξοχήν m a c h t e seine Gestalt f ü r die Gnosis unbrauchbar. 287

Der Apostel in der Gnosis : Der irdische Apostel

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zitiert aus einer dem Simon zugeschriebenen Schrift, der ,μεγάλη άπόφασις'. Das in dieser Schrift enthaltene gnostische System ist von einer geradezu klassischen Einfachheit: Die Wurzel des Alls ist eine unendliche Kraft, die als Feuer beschrieben werden kann. Sie wird als die ewige Wurzel alles Seienden ,έστώς' genannt. Aus dieser Kraft gehen Materie und Pneuma hervor, und in der Vermischung dieser beiden Substanzen lebt die .Große Kraft' gegenwärtig als ,στάς'. Der ,στάς' aber trägt wegen seines pneumatischen Wesens in sich die Kraft zur Rückkehr in das Licht des ,εστώς'. In Verwirklichimg dieser Möglichkeit ist der ,στάς' zugleich der ,στησόμενος'. So heißt die sieb in die Welt verlierende und sich dort wiederfindende Wurzel des Alls: ο έστώς, στάς, στησόμενος2*9. Der Pneumatiker als Teil dieser einen ewigen Kraft hat dank der Gnosis, die ihm die ,μεγάλη άπόφασις' vermittelt, als ,στάς' die Möglichkeit, sich selbst als ,στησόμενος' zu begreifen. Was so in 6, 9-17 in unterschiedlicher Begrifflichkeit dargelegt wird, begegnet in 6, 18, dem letzten bei Hipp der ,Großen Verkündigung' gewidmeten Kapitel, unter Verwendung der auch für die Simon-Helena-Legende wichtigen Termini Nous und Epinoia als der Bezeichnungen des himmlischen und des irdischen Teils der ,Großen Kraft'. Dies System der .Großen Verkündigung' fragt nicht nach dem für die ganze spätere Gnosis so entscheidenden Problem, wie denn die Materie entstehen und wie die ewige Kraft mit dieser sich vermischen konnte. Die ,Große Verkündigung' kennt überhaupt keinen echten Dualismus. Ihr System erweist sich damit aJs dem jüdisch-gnostischen Milieu angehörend. Ferner fehlt der ,μεγάλη άπόφασις' jede Erlösergestalt, sofern man darunter einen himmlischen Gesandten versteht. Simon selbst scheint in dem System nicht zu begegnen und gilt offenbar nur als Verfasser der Offenbarungsschrift. Bei Iren. I 23 ist das System der ,Großen Verkündigung' umgearbeitet. Über die Entstehung der niederen Welt wird reflektiert, die Gefangennahme der Ennoia wird beschrieben und Simon als der vom Himmel kommende Erlöser eingeführt. Der gnostische Mythos von Fall und Erlösung des Urmenschen bzw. der Dyamis begegnet in der märchenhaften Form der Legende von Simon und Helena, die bereits Justin (Apol. I 26, Iff.) kennt. Zweifellos ist diese legendär historisierte Form des Mythos nicht ursprünglich. Wie auch immer im einzelnen die Entwicklung innerhalb des Simonianismus vor sich gegangen sein mag : Das System der 268 Siehe zu dieser Formel E. Haenchen, Gab es eine vorchristliche Gnosis ZThK 49, 1952, S. 316-349, bes. S. 330f. Nach Hipp. 6,17 hat die .Große Kraft' als έστώς einst in der Höhe gestanden, befindet sich jetzt als στάς in der Tiefe und wird einst wieder als στησόμενος oben stehen.

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.Großen Verkündigung' ist das älteste unter dem Namen des Simon überlieferte 269 und keineswegs, wie ζ. Β. A. Hilgenfeld 270 meint, „nur ein Erzeugnis des späteren Simonianismus". Die historisierende Bestimmung von Nous und Epinoia als Simon und Helena ist ein ebensolches Zeichen fortgeschrittener Entwicklung wie die in allen gnostischen Systemen zu beobachtende sich vermehrende Spekulation über die Entstehung der Finsternis und den Fall des Lichtes. Weiter ist zu beachten, daß das System der ,Großen Verkündigung' noch keine christlichen Einflüsse zeigt. Das spricht für sein Alter, da die anderen Nachrichten über die Simonianer bestimmte christliche Einflüsse — ζ. B. die Gestalt des historischen Erlösers — aufweisen 271 . Vor allem aber erweist sich das System der ,μεγάλη άπόφασις' — auch wenn dessen konkrete Ausprägung in dieser Schrift spät sein sollte — darin als ursprünglich, daß Simon in ihr nicht als Erlöser erscheint. E. Haenchen 272 meint zwar : „Die historische Gestalt Simons ist verschwunden ; er ist nur noch der Offenbarer der Άπόφασις." Aber der Vorgang, daß aus dem Verkündigten der Verkündiger wird, wäre ohne Parallele. Das Umgekehrte ist, wie sonst stets, auch bei Simon anzunehmen 273 . Freilich ist der Weg von dem Simon als Verfasser der Apophasis zu ihm als dem himmlischen Apostel des späteren Simonianismus gar nicht so sehr weit. Nach der ,Großen Verkündigung' hat jeder Pneumatiker Anteil an dem ,εστώς, στάς, στησόμενος'. Dieser nämlich, die ,Wurzel des Alls', ist ja eingegangen in ,,τον αν&ρωπον τούτον τον εξ αιμάτων γεγενημένον"274 und lebt nun in den Pneumatikern: ,,Έν δε τούτοις άπασιν έμμέμικται καί κέκραται, ώς 'έφην, ή μεγάλη δνναμις ή απέραντος, δ εστώς." 275 Natürlich ist auch Simon ein Teil dieser,Großen Kraft', und wenn er seine Gnosis verkündigt, so tut er es als der, der auch selbst ο εστώς, στάς, στησόμενος ist. Er ist als solcher nicht von den anderen Pneumatikern unterschieden, die sämtlich Teile der ,μεγάλη δνναμις' sind, aber diese Feststellung bedeutet ja keine Abwertung der 2β9 Vgl. W. Schultz, Dokumente der Gnosis, 1910, S. 130ff. 270 Die Ketzergeschichte des Urchristentums, Leipzig 1884, S. 181. 271 Siehe S. 125 f. 272 ZThK 49, 1952, S. 349. Ich kann Haenchens Urteil nicht zustimmen, daß das System der .Großen Verkündigung' eine .philosophische Gnosis' darstellt. Gewisse philosophische Einflüsse auf Sprache und Vorstellung sind doch nur ein Teil des auch sonst in der mythologischen Gnosis in ähnlicher Gestalt begegnenden Rahmens eines ungebrochenen Mythos. Vgl. auch J. Jervell, Imago Dei, S. 132 Anm. 50 u. ö. 273 Wichtig ist auch, daß der sehr alten Naassenerpredigt dasselbe erlöserlose System zugrunde liegt wie der .Großen Verkündigung', wenn auch die Begriffe wechseln. So nennt man ζ. Β. „την των γεγονότων καί γινομένων και ίσομένων . . . φύσιν, ήνπερ φηαΐ την εντός άν&ρώπου βασίλειαν ουρανών ζητονμένην" (Hipp. V 7), was in der .Großen Verkündigung' ,,ο έστώς, στάς, στησόμενος" •hieß. 274 275 Hipp. 6,9 = Wendland 136,19 f. Hipp. 6,13 = Wendland 139,9ff.

Der Apostel in der Gnosis : Der irdische Apostel

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Selbsteinschätzung des Simon, der mit allen anderen Pneumatikern zusammen die Wurzel des Alls, das eigentliche Sein selbst ist, da ja der έστώς wie der στησόμενος nichts anderes sind als die Summe der vielen Teile des στάς. Wenn Simon spricht, so spricht er in der Autorität der großen Kraft selbst, die er ist, in seiner eigenen göttlichen Autorität. Er spricht darum auch die Sprache des himmlischen Offenbarers schlechthin: ,,Ύμϊν ουν λέγω α λέγω και γράψω â γράφω."276 So spricht der, der als Erlöser sich selbst Vollmacht ist. Aussagen wie die folgenden, dem Simon zugeschriebenen dürften darum seinem Selbstverständnis entsprechen: „τους πιστεύοντάς μοι μακαρίονς ποιήσω, εις δε τούτους τους άρνησαμένους με την δργήν μου ενδείξομαι" (Mart. Petr. et Paul. 49 = Lipsius-Bonnet I S. 160,15ff.); „ego sum filius Dei stans in aeternum, et crecientes mihi similiter stare in perpetuum faciam" (Ps. CI. Ree. 3,47). Nun ist zu beachten, daß schon in der frühesten Nachricht, die wir von Simon besitzen, nämlich in Apg. 8, 10, sein Titel „ή μεγάλη δύναμις" ist 277 . Wie wir sahen, begegnet dieser Titel auch in der ,Großen Verkündigung' und ist andere Bezeichnung für ο έστώς, στάς, στησόμενος. So heißt Simon denn auch später häufig einfach ,Der Stehende' 278. Andere Titel besagen dasselbe: Gott 279 , Sohn Gottes 280 , Christus 281 , Vater 282 , Heiliger Geist 283 , Kyrios 284 . Ob alle diese Titel oder welche von ihnen Selbstbezeichnung des Simon gewesen sind, läßt sich nicht mehr sagen 285 . Sicher aber ist, daß er den diesen Titeln gemeinsamen Anspruch erhoben hat, selbst Teil der ,Wurzel des Alls' zu sein 286 . Man darf nur, um Simon nicht mißzuverstehen, diese Titel nicht im Sinne des gnostischen oder christlichen Mythos von dem e i n e n Gesandten interpretieren. Alle diese Namen 27β Wörtliches Zitat aus der ,Großen Verkündigung' bei Hipp. 6,18. Vgl. dazu nur Joh. 3,11: ,,δ οϊδαμεν λαλοϋμεν και δ έωράκαμεν μαρτνροϋμεν" (vgl. 8,42ff.). 277 Vgl. Ps. Cl. Horn. II, 22; Orig. Cels. 5,62; 6,11 ; Hipp. 6 , 1 9 ; Iren. I 23,1 ; Epiph. Haer. 21,1. 278 Ps. Cl. Ree. I I I 4 6 f . ; Horn. I I 22; Cl. Al. Strom. I I 11,52; Mart. Petr. 2 = Lipsius-Bonnet I 80,37. 276 Ps. Cl. Horn. I I 22; Ree. I I 9; I I I 63; Iren. I 23,1; Just. Apol. I 26,1; Hier zu Mt. 24,5; Just. Dial. 120. 280 Hipp. 6,19; Iren. I 23,1; Mart. Petr. et Paul. 15; Epiph. Haer. 21,1. 281 Ps. Cl. Horn. I I 22; Hipp. 6,20; Ps. Cl. Horn. X V I , 16; R. Eisler (Jesus Basileus . . . I S. 133; I I S. 708) vermutet, daß die Unruhen, die zur Vertreibung der Juden aus R o m durch Claudius führten und die nach Sueton (Vita Claudii 25) auf Anstiften eines gewissen Chrestus/Christus zurückgingen, durch Simon ausgelöst wurden. 282 Hipp. 6 , 1 9 ; Epiph. Haer. 21,1. 283 284 Hipp. 6,19; Iren. I 23,1. Hipp. 6,20. 285 Hippolyt (6,19) meint, Simon habe sich nennen lassen, „mit welchem Namen auch immer die Menschen ihn nennen wollten". Das dürfte eine richtige Beobachtung sein. 288 So auch E. Haenchen, ZThK 49, 1952, S. 348.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

bezeichnen in der ursprünglichen simonianischen Gnosis die sich in der Welt selbst suchende und findende287 und so erlösende und nach oben führende ,Große Kraft'288, und es ist nur natürlich, daß in der ,Großen Verkündigung' nicht von dem besonderen Abstieg eines Erlösers die Rede ist. Ist doch Simon als Erlöser längst mit dem στάς und als dessen Teil auf der Erde. Natürlich gibt es andere Teile dieser Kraft, und auch diese anderen Pneumatiker können als Erlöser wie Simon tätig sein. Das war gewiß im Umkreis um Simon der Fall, den erst die spätere Überlieferung, indem sie ihn einen himmlischen Gesandten sein ließ, zu dem einen Erlöser machte, ohne doch verwischen zu können, daß er einer unter vielen war, die mit dem gleichen Anspruch auftraten. So beginnt Justin seinen Bericht über Simon mit den Worten: „Nach der Himmelfahrt Christi ließen die Dämonen gewisse Menschen auftreten, die sich selbst zu Göttern machten."289 Er nennt neben Simon noch Menander mit Namen290, der ein Schüler des Simon gewesen sein soll. Ein anderer namentlich genannter Schüler oder Genösse des Simon war Kleobius291. Hippolyt spricht überhaupt von Schülern des Simon, die „unter anderem Namen Ähnliches sich erkühnten" (6, 7; vgl. 6,19f.). Simon selbst wiederum gilt als Schüler des Dositheus292. Hippolyt führt neben Simon den Libyer Apsethos ein, der angeblich Papageien ausgeschickt habe, die sprechen konnten : Apsethos ist Gott293. In Ep. Αρ. 1 gelten Simon und Cerinth als ein Paar von Irrlehrern. Es ist deutlich, daß alle diese Gestalten neben Simon denselben Anspruch wie er erheben294. Vgl. nochPs.Tert. Haer. lf. : „quomodose Simon dixerat, hoc se Menander esse dicebat"MS.

„ U n d nach den Zeiten

des Jesus wollte auch der Samaritaner Dositheus die Samaritaner überreden, daß er der von Mose verheißene Christus sei."296 Wäre Simon seinem Selbstverständnis nach der eine Gesandte gewesen, müßten seine ,Lehrer' und ,Schüler' mit ihm derart konkurriert 287

Hipp. 6,17,3 f. Gerne wüßten wir, ob der Titel,Christus', wie er für Simon und Dositheus (s. u.) begegnet, ursprünglich war. Dann wäre das ein Zeichen dessen, daß bereits in der vorchristlichen jüdischen Gnosis .Christus' als Titel des .Urmenschen' begegnete. Daß da-s in der Tat der Fall war, wird sich weiter unten noch zeigen. 289 290 Apol. I 26,1 ; vgl. 56,1. Vgl. Iren. I 23,5. 291 Hegesipp bei Euseb KG IV 22,5; Ap. Const. VI 8 ; 16; Apokr. Brief der Kor. an Paulus, Vers 2; vgl. A. Hilgenfeld a. Anm. 270 a.O. S. 185f. 292 Ap. Const. VI 8; Ps. Cl. Horn. II 24; G. Widengren [2] S. 48ff. 293 Hipp. 6,7 f. 294 „Wir haben es auf jeden Fall mit . . . Heilandsgestalten zu tun, die ihre Person und ihre Lehre unter Ausschaltung anderer Autoritäten für die Gläubigen als verbindlich hinstellen" (E. Fascher, Prophetes, S. 193). 295 Vgl. Philaster Haer. 30; Epiph. Haer. 22,1; Euseb KG III 26,1. 296 Orig. Cels. I 57 = Koetschau I S. 108,25; vgl. VI 1 1 = 1 1 8 1 , 1 7 . 288

Der Apostel in der Gnosis : Der irdische Apostel

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haben, daß der Anspruch des einen den des anderen ausschloß. Das Gegenteil ist der Fall, wie alle aufgeführten Stellen zeigen. Damit ist deutlich, daß Simon seinen Anspruch, die ,Große Kraft' zu sein, auch seinem eigenen Verständnis nach mit vielen teilte. Konnte doch jeder Pneumatiker grundsätzlich in gleicher Weise auftreten und sich selbst in allen Teilen des στάς zum στησόμενος sammeln und so erlösen. Da Simon und die mit ihm zusammenhängende Bewegung nach allen erhaltenen Nachrichten in dem samaritanischen Raum zu Hause ist, sei hier auch auf Joh. 8,48 verwiesen, wo die Juden gegen Jesus den Yorwurf erheben : Σαμαρίτης εΐ av. Dieser Vorwurf folgt (nach der Rekonstruktion des Textes durch R. Bultmann) auf Jesu Worte Joh. 7,28f. : „κάμε ο'ίόατε και οϊδατε πό&εν εΙμί· καΐ απ εμαυτον ουκ ελήλν&α, άλλ' εστίν άληύινός δ πέψας με, δν νμεϊς ουκ οϊδατε· εγώ οϊδα αυτόν, δτι παρ' αντοϋ είμι κάκεϊνός με άπέστειλεν". Ein solcher Anspruch also war unter den Samaritanern nichts Ungewöhnliches 2B7 . Man hält Jesus auch für einen der v i e l e n Samaritaner, die so reden. Der Jesus des Johannesevangeliums will natürlich der e i n e Gesandte sein, aber die Samaritaner wollten das keineswegs, wie gerade die Polemik des Johannes zeigt (s. S. 178). Gerne wüßten wir, auf welchem Wege diese Erlöser nach ihren Aussagen zur Kenntnis der von ihnen überlieferten Gnosis gekommen sein wollen. Ist sie von der himmlischen Welt her, der sie einst als εστώς angehörten, in ihrer Erinnerung geblieben? Wir erfahren von nahezu allen diesen Gestalten, daß sie als M a g i e r tätig gewesen sein sollen. Simon trägt bekanntlich den festen Beinamen ,Magus' 298 . „Seine Schüler nun μαγείας επιτελοϋσι καΐ επαοιδάς"298a. Auch Menander „ad summum magiae pervenit" 29e. Wir werden noch bei anderen Gnostikern dieser Art auf solche Charakteristik stoßen und dabei zur Genüge bemerken, daß der vieldeutige Begriff ,Magier' einfach eine böswillige Bezeichnung für den Ekstatiker ist 300 . Auch bei den Simonianern dürfte die Kennzeichnung ,Magier' vor allem daraufhinweisen, daß sie als Gnostiker mit der Technik der Ekstase vertraut waren. Dann aber wird es vornehmlich die Ekstase und die damit verbundene Möglichkeit der ,Himmelsreise' 301 gewesen sein, denen alle diese gnostischen Prediger um Simon und er selbst nicht nur die Gnosis alles Seins ver297 Vgl. E. Norden [2] S. 189f. Auch im Zusammenhang des jetzigen Textes des Evangeliums folgt der Vorwurf der Juden auf eine Rede Jesu, die ihn für die Ohren der Juden als einen Erlöser im Sinne des Simon ausweisen könnte. 298 Hipp. 6,7.19; Apg. 8,9; Iren. I 23,1; vgl. Ps. Cl. Horn. I I 22,3. a98a Hipp. 6,20. 299 Iren. I 23,5; vgl. Justin Apol. I 26,2.4; 56,1; Euseb KG III 26, Iff. 300 Vgl. H. Lietzmann, Gnosis und Magie, Kleine Schriften I, T U 67, S. 84ff. 301 Die Fähigkeit hierzu wird dem Simon ausdrücklich zugeschrieben im Mart. Petr. 2 = Lipsius-Bonnet I 80,35; Mart. Petr. et Paul. 30 = 144,8ff.; vgl. 162,2; 164,10; 209,14ff. Vgl. auch Ps. Cl. Ree. I I 61f.

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danken, sondern mit denen sie auch solche Gnosis ad- oculos den Hörern demonstrieren konnten 3 0 2 . Bedeutet doch die Ekstase nichts anderes, als daß die Seele, der νους, der εσω ανΰρωπος oder wie immer das Pneuma-Selbst genannt wird, den Leib vorübergehend verläßt. Die Summe der Pneuma-Selbste aber ist jene Gestalt, die Simon die ,Große K r a f t ' nennt und die gemeinhin in der Gnosisforschung als Urmensch erscheint, und die ekstatische ,Magie' beweist in der Tat die K r a f t des Pneuma, das vincat angdos, qui mundum fecerunt (Iren. I 23,4). Gewiß sind nicht alle Pneumatiker in der missionierenden Weise aufgetreten, wie Simon und seine Genossen es taten, auch wenn sie als deren Anhänger alle in gleicher Weise Anteil hatten an der mit der Materie vermischten ,Großen K r a f t ' . Der missionarische Elan und Impetus einzelner dieser Gnostiker kann aber nicht auf einem ausgezeichneten S e i n beruht haben. Er ist lediglich Ausdruck einer Funktion, die, wie man vermuten möchte, in Zusammenhang gestanden haben wird mit einer besonderen Begabung für die ekstatische Technik, die naturgemäß nicht jedem Gnostiker gleicherweise eignete, jedoch für den Erfolg der Mission bedeutsam war. I n diesem Zusammenhang ist nun interessant und für uns wichtig, daß gelegentlich bei diesen Leuten auch der Terminus ,·απόστολος' begegnet 303 . Menander heißt bei Euseb KG 11126,1 ,,ό σωτήρ ανω&εν απεσταλμένος"30*. Nach Apost. Const. VI 8 hat es der Teufel unternommen, ,,άποστεϊλαι οπίσω ημών (den wahren Aposteln) ψσενδαποστόλονς εις βεβήλωσιν τον λόγου" ; Kleobius und Simon werden als solche falschen Apostel namentlich und als Schüler des Dositheus genannt. I n Ep. Αρ. 1 werden Simon und Cerinth als ,Lügenapostel' vorgestellt. Von Cerinth allein heißt es in einem der bei Euseb (KG I I I 28,2) aufbewahrten Fragmente aus dem Dialog des Gaius (ca. 200) mit Proklus: „Cerinth gibt uns verlogene Wunderberichte in Form von αποκαλύψεις, als wären sie von einem großen απόστολος geschrieben, die ihm angeblich von Engeln übergeben worden sind." Diese Stelle läßt in jedem Fall erkennen, wie man sich den Empfang der Gnosis durch die vielen Apostel vorzustellen hat. Vielleicht aber darf man ferner aus ihr schließen, daß auch Cerinth, der wohl mit Recht zu Simon in (sachliche) Verbindung gesetzt wird, den Aposteltitel beanspruchte. 302 „Simon, dixit: Audi, Caesar Nero, ut scias istos falsos esse et me de caelis missum: crostino die ad cáelos vadam . . . " (Mart. Petr. et Paul. 49 = LipsiusBonnet I S. 160,13ff.). 303 Zur Verbindung der Titel ,απόστολος' und ,εστώς' vgl. G. Widengren [3] S. 79; [2] S. 49ff. 304 Das ανωΰεν ist Interpretament Eusebs ; vgl. Iren. I 23,5 : qui missus sit ab invisibilibus, salvatorem pro salute hominum". Die Geläufigkeit dieses Anspruchs geht auch aus der Tatsache hervor, daß solche Redeweise bis in die römische Antike eingedrungen ist; vgl. E. Norden, Die Geburt des Kindes, S. 48ff. Zu Menander s. noch G. Widengren [3] S. 63f.; [2] S. 49f.

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Vor allem ist hier auf Ps. CI. Horn. X I 35 zu verweisen. Indem Petrus vor dem Gnostiker Simon warnt, erklärt er: ,,ο άποστείλας ημάς κύριος ημών και προφήτης νφηγήσατο ήμϊν ώς ό πονερός . . . εκ των αντον επηκόων επηγγέλλετο προς άπάτην αποστόλους πέμψαι· διό προ πάντων μέμνησ&ε μηδένα δέχεσ&αι άπόστολον η διδάσκαλον η προφήτην μη πρότερον . . . " Auch diese Bemerkung, die aus keinem überlieferten Jesuswort stammt, setzt das Wissen voraus, daß Gnostiker von der Art Simons sich als Apostel ausgaben 3 0 5 . Wir fassen zusammen: Simon Magus t r i t t mit dem Anspruch auf, eine Erscheinung der ,Großen K r a f t ' zu sein, die sich mit der Materie vermischte, sich n u n aber in allen Pneumatikern aus der Welt hin zum στησόμενος sammelt. Alle Pneumatiker sind Teilhaber derselben ,Großen K r a f t ' , sind Mitglieder der κοινωνία τοϋ πνεύματος. Einzelne von ihnen, f ü r die offenbar auch der Titel ,Apostel' gebraucht wurde, t u n in besonderer Weise die Arbeit des ,Sammeins', indem sie die übrigen Pneumatiker suchen und über ihre H e r k u n f t aufklären. Dies Suchen und Finden wie auch das Gefundenwerden ist wesentlich ekstatischer N a t u r . Erst später wurde Simon von der Gnosis als Erlöser κατ' εξοχήν und als besonders beauftragter himmlischer Gesandter verehrt. Das ist eine ganz natürliche Entwicklung, die auch sonst in der Gnosis und anderswo zu beobachten ist. Seit langem schon 3 0 6 h a t man mit den Apostelgestalten der simonianischen Gnosis die bekannte Schilderung der gnostischen Propheten bei Celsus verglichen 307 . Diese in größerer Zahl auftretenden Prediger pflegen nach den Angaben des Celsus ihre religiöse Propaganda in der Öffentlichkeit mit den folgenden Worten vorzubringen: ,,Έγώ ό ϋεός είμι ή ΰεον παις η πνεύμα ϋεϊον. ήκω δε. Denn die Welt ist schon im Begriff unterzugehen, und ihr, o Menschen, werdet wegen der Ungerechtigkeit verlorengehen. Ich aber will euch retten, u n d ihr werdet mich wiederkommen sehen mit himmlischer Macht. Selig, wer mich jetzt 305 Es steht allerdings fest, daß sich hinter dem Simon der den Ps. Cl. zugrunde liegenden ,Kerygmen des Petrus' der Apostel Paulus verbirgt (s. G. Strecker, Das Judenchristentum in den Pseudoclementinen, T U 70, 1958, S. 187ff.). Ging die Polemik ursprünglich nur gegen Paulus und hat erst der Verfasser der Grundschrift den Simon in die antipaulinischen Stücke der .Kerygmen des Petrus' eingetragen (so G.Strecker a.a.O. S. 154 Anm. 1; S. 187ff.)? Dann bliebe es merkwürdig, daß die antipaulinische Polemik so genau auch auf Simon zugeschnitten erscheint, für den sie in der Tat ebenso paßt wie für Paulus (Verwerfung des Gesetzes, Berufung auf .Offenbarungen', apostolischer Anspruch). Es dürfte sich also eher um eine von Anfang an auf Simon-Paulus zugeschnittene Polemik handeln, die Paulus auf die Seite des gnostischen Erzketzers stellte und darum gnostisierende Züge der paulinischen Theologie anvisierte, vor allem eben sein apostolisches Bewußtsein. Das bedeutet dann aber auch, daß dem Verfasser der ,Kerygmen des Petrus' eine wesentliche Verwandtschaft von gnostischem und paulinischem Apostelbegriff aufgefallen ist. 306 307 Vgl. ζ. B. G. P. Wetter a.a.O. S. 4ff. Orig. Cels. V I I , 8 f .

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verehrt ! Allen anderen aber lege ich das ewige Feuer auf, sowohl den Städten als auch den Ländern, und Menschen, die ihre Sühne nicht kennen, werden vergeblich Buße tun und seufzen. Die mir aber immerdar gehorchen, werde ich behüten." Nach dieser Rede setzen sie ihre Verkündigung mit einer Demonstration fort, die nach der Schilderung des Celsus nur in ekstatischem Zungenreden bestanden haben kann. Hier finden wir alle wesentlichen Züge des nun untersuchten Erlösertyps wieder. Die Leute nennen sich Gott, Gottes Sohn, göttliches Pneuma. Das ist deutlich eine der christlichen Trinität — wohl von Celsus — nachgebildete Auswahl von Titeln, die gewiß durch die bei den Simonianern begegnenden Namen erg'inzt werden könnten. Außerdem nennt Celsus sie Propheten, ihre Tätigkeit besteht im προφητεύειν ; auch das ist eine zutreffende Bezeichnung, die uns noch öfter bei solchen Leuten begegnen wird. Angesieb ts der engen Verbindung der Titel,Prophet' und ,Apostel' 308 in der Gnosis haben sie vermutlich auch die letztere Bezeichnung getragen oder tragen können. Die göttlichen Prädikate machen deutlich, daß diese Leute als Erlöser auftreten 309 , woran ja auch ihre Rede selbst keinen Zweifel läßt. Weiter ist klar, daß sie als solche Erlöser in großer Zahl auftreten, ohne sich gegenseitig Konkurrenz zu machen: „Es gibt viele, sagt er (Celsus), die, ohne Ruf und Namen zu tragen, doch mit großer Fertigkeit bei jeder Gelegenheit in den Tempeln und außerhalb der Tempel weissagen. Einige gehen in die Städte, andere zu den Kriegsheeren, rufen das Volk zusammen und tun so, als seien sie von Gott getrieben." 310 Der eine ,Gott' läßt den anderen ,Gott' mit seinem göttlichen Anspruch gelten. Das kann aber doch nur heißen, daß diese Propheten alle T e i l des Gottes bzw. des in der Welt gefangenen und sich selbst befreienden Pneuma sein wollen. Andernfalls würde die Art ihres Auftretens unverständlich. Der e i n e himmlische Gesandte muß anders sprechen, wie ζ. B. Joh. 10,7f. zeigt. Wieweit die Rede dieser Propheten wirklich ihre eigenen Worte wiedergibt, wieweit sie von Celsus aus verständlichen polemischen Gründen den Worten des biblischen Christus angeglichen ist, läßt sich nicht sagen. Der g n o s t i s c h e Inhalt der Rede ist jedenfalls der, daß den Hylikern der Untergang verkündigt 311 , den Gnostikern dagegen die Rückkehr in die himmlische Heimat verheißen wird, die der Prediger ebenso für sich selbst beansprucht. 308

309 Siehe S. 212f. Vgl. noch Orig. Cels. I 57; V 62. Orig. Cels. VII 8. 311 Vgl. als Lehre der Valentinianer Iren. I 7,1 : Wenn das Pneuma gerettet ist, „wird das in der Welt verborgene Feuer hervorbrechen, sich entzünden, alle Materie zerstören und zugleich mit ihr vernichtet und in das Nichts überführt werden". 310

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Die der Rede εν voi folgende Ekstase soll offenbar die Wahrheit der vorgetragenen Gnosis den Hörern demonstrieren ; denn das „άγνωστα και πάροιστρα καΐ πάνττ\ άδηλα, ών το μεν γνώμα ουδείς äv εχων νουν ενρειν δνναιτο" ist n i c h t s anderes als die αγγελική φωνή312

des Pneuma-Gottes, der sich in der Ekstase von den Fesseln des Leibes löst. Vielleicht ist die vorhergehende Verheißung in diesem Sinne zu v e r s t e h e n : και δφεσϋέ με αΰ&ις μετ' ουρανίου δυνάμεως

επανιόντα = ihr

werdet mich noch mit himmlischer Kraft emporsteigen sehen. Was auch immer der Pneumatiker an Gnosis verkündigt, es ist die Gnosis dessen, das er ekstatisch vorführt. Es ist darum deutlich, daß dieser Pneumatiker nicht die Worte eines anderen Erlösers, eines anderen Gesandten, eines anderen Gottes wiedergibt, sondern dies alles in eigener Vollmacht selbst ist. Schließlich bedenken wir noch, daß diese Propheten des Celsus in Phönizien und Palästina auftreten, also in demselben Raum, in dem Simon beheimatet war und in dem auch Paulus Christ und Apostel wurde. Es ist darum auch nicht verwunderlich, daß selbst im Talmud gegen solche Leute polemisiert wird: „Wenn ein Mensch sagt: Ich bin Gott, so lügt er. Ich bin Menschensohn, so wird er es bereuen. Ich steige zum Himmel auf, so wird er es nicht durchführen" (jTaan 65b). Daß diese Stelle sich nicht speziell gegen Jesus Christus richtet, hat schon G. P. Wetter313 gesehen. Von den Simonianern und den Propheten des Celsus wenden wir uns den Valentinianern zu. Sie bilden eine sehr differenzierte Schule mit vielen Lehrhäuptern, von denen neben Valentin selbst Theodotus, Ptolemäus, Sekundus, Markus und Herakleon am bekanntesten sind. Die auffällige und in der Gnosis ungewöhnliche Tatsache, daß Valentin viele Schüler hat, ist nicht zufällig, sondern wie bei den Simonianern in der Besonderheit der Erlöservorstellung begründet, wie wir gleich sehen werden. Jonas 314 zählt in den Referaten der Kirchenväter nicht weniger als sieben z.T. stark voneinanderabweichende, jedoch als valentinianisch geltende Berichte von der Entwicklung des Pleroma. Keines dieser Systeme dürfte das eigene des Valentin sein. So ausführlich alle diese Berichte die Vorgänge innerhalb und außerhalb des Pleroma schildern, die zu der Entstehung der Materie und letztlich zur Schaffung des Menschen führen, so wenig sagen sie über den Vorgang der Erlösung aus. Natürlich ist klar, was die Erlösung ist: „Die bloße Erkenntnis der unaussprechlichen Größe ist die voll312 313 314

Siehe S. 145. A.a.O. S. 17; 85; vgl. ,Die Gnosis in Korinth', S. 127f. Gnosis I S. 362.

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kommene Erlösung. Denn weil durch Unwissenheit Verfehlung und Leidenschaft entstand, so wird durch die Gnosis der ganze aus der Unwissenheit entstandene Zustand aufgelöst." 316 Aber über das ,Wie' dieser Erlösung erfährt man nicht viel, und das wenige ist mannigfaltig und widersprechend. „Soviel Erklärer, soviel Erlösungen", klagt Irenaus (121,1) angesichts der valentinianischen Erlösungslehre. Nun spielen Christus und Jesus als verschiedene Gestalten — Hipp. 6, 36,7 zählt gar drei Christusse Valentins auf — zwar eine bedeutende Rolle in den verschiedenen Systemen, aber nicht bei der Erlösung des Menschen, sondern längst vor aller Weltschöpfung bei der Entwicklung des Pleroma. Mit Christus als dem ,historischen Erlöser' konnten die Valentinianer also nichts anfangen. Der 3. Christus der Valentinianer bei Hippolyt ist freilich der christliche Erlöser, aber sein Abstieg wird nur beiläufig erwähnt und es kann keine Frage sein, daß die Gestalt des historischen Gesandten Christus in den valentinianischen Systemen eine bloß äußerliche Anleihe ist, an der diese Systeme selbst gar nicht interessiert sind. Bousset 316 schreibt: „Wir sehen nunmehr vollständig deutlich, daß der Erlösermythos im valentinianischen System ursprünglich nichts mit der Idee der Erlösung durch Jesus zu tun hat." Dies Urteil ist auch dann richtig, wenn die Boussetsche Rekonstruktion eines Urzeitmythos der Valentinianer, in dem die Hochzeit von Soter und Sophia als Vorbild des Schicksals der Gläubigen erzählt wird, nicht haltbar sein sollte. Nach Iren. I 6,1 scheint Christus zur Rettung der zur allgemeinen Kirche gehörenden Psychiker — nicht der Pneumatiker, die „auf jeden Fall selig werden" 317 — auf die Erde gekommen zu sein. Ist aber der valentinianischen Gnosis die Gestalt eines himmlischen Erlösers wesentlich fremd, so erhebt sich die Frage, wer denn in ihr eigentlich die Erlösung ins Werk setzt. Die Antwort kann nur lauten: Valentin und seine Schüler selbst. Hippolyt (6, 42) berichtet glaubwürdig von einer Vision, die Valentin empfangen habe, und bei der er den Logos in Gestalt eines Kindes gesehen hat, wie er auf Befragen des Kindes erfährt. Dem Bericht davon habe Valentin noch einen „tragischen Mythos" hinzugefügt, und darauf beruhe die von ihm begründete Häresie. Diese Nachricht macht den Eindruck, als seien visionäre Erlebnisse bzw. ekstatische Himmelsreisen die Grundlage der valentinianischen Gnosis318. Bei Hipp. 6,37 wird uns eine andere Vision des Valentin geschildert. Valentin befindet sich im Pleroma und schaut von o b e n die Welt, 315

316 Iren. I 21,4. Hauptprobleme S. 269. Iren. 1 6 , 2 ; vgl. W. Foerster, Die Grundzüge der ptolemäischen Gnosis, NTS 6, 1959/60, S. 30. 318 „Die letzte Quelle der Gnosis des Valentinus scheint eine mystische Vision gewesen zu sein" (H. Leisegang, Die Gnosis, 19554, S. 282). 317

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angefangen vom Reich des reinen Geistes bis hinunter zur Materie 319 . Er holt sich also selbst die Gnosis und verkündigt sie : er ist Erlöser. Das sog. ,Evangelium Veritatis' aus den koptischen Funden von Nag Hammadi schließt mit den Worten: „Die übrigen mögen an ihren Orten wissen, daß es mir nicht ziemt, nachdem ich am Orte der Ruhe war, noch anderes zu sagen." Die Schrift gehört zwar einem späten Valentinianismus an, aber auch ihr Verfasser hat seine Gnosis von ,oben' geholt. Eine sehr alte 320 valentinianische Schrift, von der uns Epiphanius einiges erhalten hat, beginnt: „παρά φρονίμοις, παρά δε ψυχικόϊς, παρά δε σαρκικοϊς, παρά δε κοσμικοΐς, παρά δε τω Μεγέϋει. νους άκατάργητος τοις άκαταργήτοις χαίρειν. Άνονομάστων εγώ και άρρητων καΐ νπερουρανίων μνείαν ποιούμαι μυστηρίων προς υμάς, οντε άρχαΐς ούτε εξουσίαις οντε ύποταγαΐς οντε πάση συγχύσει περινοηϋήναι δυναμένων, μόνη δε τη τοϋ Άτρέπτον Έννοια, πεφανερωμένων. δτε . . . " (Haer. 31, 5f.). So spricht nur der E r l ö s e r selbst, sei es Valentin oder einer seiner Schüler. „Unzerstörbarer Geist grüßt die Unzerstörbaren": deutlicher kann die Identität des Erlösers mit den Erlösten und das Sein aller als e i n Wesen nicht ausgedrückt werden. Dieses e i n e Wesen kann aber nur das gefallene und sich jetzt selbst sammelnde Lichtwesen sein, das in dem zitierten Fragment Ennoia— = Epinoia bei Simon (Hipp. 6, 18) — heißt. Ist Valentins Selbstverständnis so, wie eben dargestellt, richtig gesehen, so ist es nur folgerichtig, wenn er mit seinem Anspruch nicht allein steht. In der Tat sehen wir ihn wie Simon von .Schülern' umgeben, und diese seine Schüler machen es ihm nach: ,,ο δε Μάρκος μιμούμενος τον διδάσκαλον και αυτός άναπλάσσει δραμα ..." (Hipp. 6,42) 321 . Auch das von Hipp, ausführlich geschilderte System des Markus — wiederum ohne ausgeführten Erlösermythos — geht nach Hipp. 6, 42 322 auf eine άποκάλυψις zurück, die vor Markus weder einem Gott noch einem Menschen widerfahren sei. Hier liegt keine unzulässige Konkurrenz zwischen Markus und Valentin vor. Vielmehr will Valentin als Erlöser gerade in dem anderen das schlafende Pneuma wecken und so auch ihm zur ekstatischen Befreiung des Selbst von der Sarx verhelfen. Die Erlösung hat ihr Ziel erst dann erreicht, wenn die personhafte Identität von Erlöser und Erlöstem im praktischen Vollzug der Ekstase demonstriert wird. Damit aber ist dem so Erlösten selbst 319 320

Ebd. S. 283. Siehe K.Holl, Epiphanius (GCS 25) I S. 390 Anm.; vgl. A. J. Visser, Der Lehrbrief der Valentinianer, Vig. Chr. 1958, S. 27ff. 321 Zu Markus s. E. Fascher, Prophetes, S. 197f.; G. P. Wetter a.a.O. S. 8; 74ff. 322 Vgl. 6, 45; Epiph. Haer. 34,4; Iren. I 14,1.4.

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wieder die Möglichkeit gegeben, als Erlöser zu wirken. Der anfängliche Erlöser vervielfältigt sich in den Erlösten, und so sammelt sich die ganze Person der Ennoia aus der Zerstreuung in den vielen Leibern wieder zur Einheit der ursprünglichen himmlischen Gestalt 323 . Daß Christus als Erlöser keine Rolle spielen kann, wenn Markus die Gnosis durch eine άποκάλνψις unmittelbar empfängt, ist selbstverständlich. Noch in der polemischen Verzerrung, in der Irenäus davon berichtet (I 13,3; vgl. I 15,6)324, läßt sich erkennen, wie auch Markus wiederum seine ,Hörer' in die Ekstase hineinführt. Er spricht: „Mitteilen will ich dir von meiner Gnade, denn der Vater des Alls sieht deinen Engel immerdar vor seinem Angesicht. Aber der Ort deiner Größe ist in mir; darum müssen wir eins werden. Empfange zuerst von mir und durch mich die Gnade. Bereite dich vor wie die Braut, die ihren Bräutigam erwartet, damit du werdest, was ich bin, und ich was du. Laß sich niedersenken in dein Brautgemach den Samen des Lichtes. Empfange von mir deinen Bräutigam, mache ihm Platz und nimm Platz in ihm. Siehe, die Gnade ist auf dich niedergestiegen, öffne deinen Mund und weissage." Nach Hipp. 6,41 ist dieser Vorgang u . a . mit φωνή άρρήτω verbunden, d. h. ursprünglich : mit Zungenreden. Daß in solchem Zusammenhang Markus ,Magier' genannt wird (Hipp. 6,39; Iren. I 13,1 u. ö.), ist nur selbstverständlich 325 . Irenäus fährt fort: „Durch solche Worte wird sie erregt und verwirrt; die Erwartung des Prophezeiens erhitzt ihre Seele, ihr Herz pocht stärker als gewöhnlich und sie versucht zu stammeln ; aber was sie redet, ist alles leeres, eitles, freches Zeug, da sie ja ein leerer Geist erhitzt h a t . . . Fortab aber hält sie sich für eine Prophetin und preist den Markus, daß er ihr von seiner Gnade mitgeteilt habe . . ." Dem Markus gebührt also der Ruhm der Erlösung, und die Erlöste tritt ihrerseits als Erlöserin auf. Sie heißt Prophetin, was 323 Dieser Vorgang wird in der Buchstabensymbolik der Markosier wie folgt beschrieben: „Jeder von ihnen nämlich, obschon nur Teil des Ganzen seiend, hält den eigenen Ton für das Ganze und hört nicht auf zu tönen, bis er zum letzten Zeichen des letzten Buchstabens in einzelner Aussprache gekommen ist. Dann aber, heißt es, erfolgt die Wiederherstellung des Alls, wenn alles zu dem einen Buchstaben kommt und ein und denselben Ton gibt, und das ,Amen', das wir gemeinsam sprechen, soll ein Abbild dieses Tones sein" (Hipp. 6, 42). 321 Mit Recht wenden sich die Markosier gegen die Verzerrung ihres eigentlichen Anliegens: Hipp. 6,42. aas Ygi_ auch Iren. I 25,3, wo von den Karpokratianern, deren Erlöservorstellung der valentinianischen ähnelt und die ihr ausgeprägt apostolisches Selbstbewußtsein darin zeigen, daß sie sich Jesus gleichstellen, berichtet

wird: „Artes enim mágicos operantur . . . dicentes se potestatem habere ad dominandum iam principibus et fabricatoribus huius mundi. . .". Vgl. Exc. ex. Theod. 24.

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uns an die Propheten des Celsus erinnert, die sich ,Gott' nennen, und redet wie diese Propheten offensichtlich in ekstatischer Zungensprache326. Auch Markus selbst gilt als Prophet (Iren. I 13,3), und bei den Zusammenkünften der Markosier wird nach Iren. 113,4 gelost, wessen Aufgabe es jeweils ist zu προφητεύειν. Markus nennt sich auch την μεγίστην

άπό των αοράτων καί άκατονομάστων

τόπων...

δΰναμιν,

was

dem simonianischen ή μεγάλη δύναμις entspricht327. Hier wie dort bezeichnet dieser Ausdruck nicht den einen Gesandten, sondern die Gesamtheit der „von den unsichtbaren und unnennbaren Orten" in die Materie abgestiegenen und dort verstreuten Kraft. So sagt denn Markus auch seinen Schülern, sie könnten gefahrlos gegen das Fleisch s ü n d i g e n 3 2 8 ,,διά

το είναι της τελείας

δυνάμεως

και κατέχειν

της άνεν-

νοήτου εξουσίας" (Hipp. 6,41). Tatsächlich machen es dem Markus dann auch viele nach. Wie die Propheten des Celsus ziehen sie als Wanderprediger umher. Sie „geben sich für die Vollkommenen aus, niemand könne ihnen an Größe der Erkenntnis gleichkommen, kein Paulus und kein Petrus und keiner von den anderen Aposteln; sie wüßten mehr als alle und sie allein hätten die große, unsagbare Gnosis getrunken; sie ständen in der Höhe über aller Kraft". Und diese „Stellung in der Höhe über aller Kraft", die sie haben und mitteilen — es ist die Stellung als μεγάλη δνναμις — ist die „Erlösung" (Iren. 113,6). Irenaus kennt diese Wanderprediger offensichtlich aus eigener Anschauung in Asien und von der Rhone her (I 13,5; 13,7). Bei ihrer Auffahrt zum Himmel sollen sie sprechen: ,,Έγώ νως άπό πατρός, vom Vater, der vorher war, Sohn aber in dem, der ist. . . Ich bin gekommen, das Fremde und das Eigene zu schauen . . . es stammt von dem, der vorher war, und ich komme in mein Eigentum, von dem ich ausgegangen bin" (Iren. I 21,5). So spricht der εστώς, στάς, στησόμενος !

Der polemisch verzerrte Bericht vom Auftreten des Markus in den Versen eines „göttlichen Greises und Herolds der Wahrheit" bei Iren. 115,6 läßt abschließend noch einmal erkennen, wie Markus selbst sich als göttliche Kraft verstand, Menschen durch Lehre und 328 Sie redet nämlich ,,ληρώόη καί τά τυχόντα πάντα κενως καί τολμηρώς". „So können wir sehen, was προφητεύειν und Prophet sachlich bedeuten: es steht für ¿ν πνεύματι λαλεϊν und äußert sich in enthusiastischen ekstatischen Phänomenen" (G. P. Wetter a.a.O. S. 74). 32 ' Hipp. 6,39; vgl. Iren. I 13,1. Nach Iren. I 14,1 ist er auch die σιγή und nennt sich ό μονογενής. Er kann also wie die Simonianer und die Propheten des Celsus j e d e n Gottestitel tragen. „Er ist nicht Mensch, sondern Gott oder Gottessohn" (G. P. Wetter a.a.O. S. 76). 328 Dem Markus wird — kaum zu Unrecht — sexueller Libertinismus nachgesagt: Iren. I 13,3.5.

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Der Ursprung des urchristlichen. Apostolats

Geisttaten auf den Weg des Heils führen wollte und als reisender Prediger diesen Dienst tat : ,,ΕΙδωλοποιε Μάρκε και τερατοσκόπε, Αστρολογικής εμπειρε και μαγικής τέχνης, ΔΙ ών κρατύνεις τής πλάνης τα διδάγματα, Σημεία δεικνύς τοις υπό σον πλανωμένοις, Άποστατικής δυνάμεως εγχειρήματα, Ά σοι χορηγεί σος πατήρ Σατάν άεΐ, Δι' αγγελικής δυνάμεως Άζαζήλ ποιειν, 'Έχων σε πρόδρομον άντιΰέον πανουργίας."

Wir halten hier einen Augenblick ein. Wir haben einen neuen und ganz genau erkennbaren Typ des gnostischen Erlösers kennengelernt. Er ist zwar eine wesenjiaft himmlische Gestalt und kann darum auch alle göttlichen Prädikate tragen, aber er ist nicht vom Himmel gesandt. Er gehört zu den irdischen Teilen des in der Urzeit in die Materie gefallenen Lichtwesens. Von daher erklärt es sich, daß dieser Typ des gnostischen Erlösers offenbar nie allein auftritt, wie wir unter b) = S. 143ff.sahen, sondern durchweg in Gemeinschaft mit Leuten, die den gleichen Anspruch erheben; denn grundsätzlich ist jeder Pneumatiker auch in der Lage, als missionierender Prophet aufzutreten. Daß jeder es auch getan hat, ist natürlich nicht anzunehmen. Seine Gnosis empfängt dieser Erlöser durch ekstatische Offenbarungen, und die Vorführung solcher Ekstasen und des prophetischen Zungenredens — von den kirchlichen Ketzerbestreitern verächtlich ,Magie' genannt — gehört wesentlich zu seinem missionarischen Dienst. Diese Ekstatiker haben einen himmlischen Erlöser nicht nötig. Die Gnosis empfangen sie kraft ihrer eigenen Zugehörigkeit zur himmlischen Welt, und ihre Predigt bezeugt nicht einen fremden Erlöser, sondern das eigene Selbst. Eine Begegnung des e i n e n himmlischen Gesandten mit dem irdischen Erlöser findet da statt, wo, wie wir unterà) = S. 136ff. sahen, der himmlische Bote einen einzelnen bestimmten Menschen mit der Verbreitung der Gnosis beauftragt. Der zuletzt betrachtete Typ des irdischen Erlösers aber bedarf solchen Auftrages nicht. Er handelt in der Vollmacht seiner eigenen Göttlichkeit, er predigt selbstgewonnenes Wissen. Dieser irdische Erlöser k o n k u r r i e r t mit dem himmlischen Gesandten (s. S. 177ff.). Wir haben bereits einige Spuren davon gefunden, daß zu der Selbstbezeichnung dieser Gestalten auch der Titel ,απόστολος' gehört hat. Dieser Titel war längst und ist geblieben ein technischer Ausdruck für den e i n e n himmlischen Gesandten, den e i n e n göttlichen Erlöser,

Der Apostel in der Gnosis : Der irdische Apostel

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ohne daß dabei immer die Vorstellung des Gesandtseins b e h e r r s c h e n d gewesen wäre. Als ein solcher term, techn. für den Erlöser konnte er wie andere Titel (Große K r a f t ; Gott; Christus; Prophet usw.) ohne weiteres auch von den vielen irdischen Erlösern beansprucht werden. Es ist freilich auch zu bedenken, daß diese vielen Erlöser als Missionare umherzogen und so der Titel .Apostel' eine einfache Funktionsbezeichnung gewesen sein kann, die als s o l c h e nicht allen Pneumatikern zustand, sondern nur den reisenden Missionaren. Vermutlich ist das letztere b e s t i m m e n d für den hier untersuchten Typ des Apostel-Erlösers gewesen, doch bot sich die Bezeichnung ,απόστολος' gerade wegen des darin liegenden göttlichen Anspruchs als Punktionsbezeichnung an. Möglicherweise läßt sich diese Frage genauer beantworten, wenn wir nun nach weiteren Belegen für die uns hier interessierende Gestalt des gnostischen Erlösers Umschau halten, und zwar nach solchen Belegen, in denen der Titel ,απόστολος' begegnet. Wir wenden uns zunächst den Korintherbriefen zu. Ich habe früher versucht, die Gegner des Paulus in Korinth zu charakterisieren 329 . Es handelt sich bei ihnen um Gnostiker jenes Typs, der uns augenblicklich interessiert. Ihr Selbstverständnis drückt sich in der Formel aus: εγώ είμι Χρίστου (1.Kor. 1,12; 2.Kor. 10,7). Diese typisch gnostische EGOEIMI-Formel ist im Munde der Gnostiker nicht geschichtlich, sondern mythologisch zu verstehen. Es soll nicht die gläubige — so Paulus, der diese Formel von der Gnosis übernimmt und seinem Denken dienstbar macht —, sondern die seinsmäßige Zugehörigkeit zu Christus ausgedrückt werden 330 . Das ,έγώ είμι Χρίστου' entspricht also dem ,έγώ είμι ο έστώς, στάς, στησόμενος' des Simon, dem ,έγώ δ ϋεός είμι' der Propheten des Celsus, dem ,έγώ νιος από πατρός' der Markosier (Iren. 121,5) und den zahlreichen entsprechenden Formeln in der Gnosis. ,.Χριστός' ist die Bezeichnung nicht des himmlischen Gesandten, der in Jesus Wohung nimmt, sondern jenes Himmelswesens, das in allen Menschen zerstreut ist und sonst auch Gott, Große Kraft, Ennoia, Urmensch, Pneuma usw. heißt. Daß diese Gestalt auch den Namen ,Christus', also die Bezeichnung des jüdischen Erlösers oder Endzeitherrschers, tragen kann, sollte angesichts der mannigfachen Beeinflussungen von Judentum und Gnosis niemanden verwundern. Schon bei den Simonianern begegnete uns die Bezeichnung , Gesalbter' für die Gnostiker von der Art des Simon. Nach Epiph. Haer. 26,9 sprechen gewisse Gnostiker nach Er329

,Die Gnosis in Korinth', FRLANT NF 48, 1956.

11 7801 Schmithals, Apostelamt

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Ebd. S. 158ff.

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Der Ursprung des urchristlichen Apostolats

langung ihrer Erlösung: „εγώ είμι