Gцtter, Mythen, Philosophen: Lukian und die paganen Gцttervorstellungen seiner Zeit

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Gцtter, Mythen, Philosophen: Lukian und die paganen Gцttervorstellungen seiner Zeit

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Fabio Berdozzo Götter, Mythen, Philosophen

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Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Heinz-Günther Nesselrath, Peter Scholz und Otto Zwierlein Band 106

De Gruyter

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Götter, Mythen, Philosophen Lukian und die paganen Göttervorstellungen seiner Zeit

von

Fabio Berdozzo

De Gruyter

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ISBN 978-3-11-025459-4 e-ISBN 978-3-11-025462-4 ISSN 1862-1112 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data: Berdozzo, Fabio. Götter, Mythen, Philosophen : Lukian und die paganen Göttervorstellungen seiner Zeit / von Fabio Berdozzo. p. cm. -- (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte, ISSN 1862-1112) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-025459-4 (hardcover : alk. paper) -- ISBN 978-3-11-025462-4 (e-ISBN) 1. Lucian, of Samosata--Criticism and interpretation. 2. Satire, Greek--History and criticism. I. Title. PA4236.B47 2011 888‘.0109--dc22 2011009482 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

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VORWORT Die vorliegende Studie wurde im Juni 2007 von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurde sie geringfügig überarbeitet. Den Herausgebern der Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte, Prof. Dr. Heinz-Günther Nesselrath, Prof. Dr. Peter Scholz und Prof. em. Dr. Otto Zwierlein, danke ich aufrichtig für die Aufnahme meiner Studie in ihre Reihe. Entstanden ist diese Dissertation im regen Milieu des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs "Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder. Polytheismus und Monotheismus in der Welt der Antike", dem ich drei Jahre lang als Stipendiat angehörte. In dieser fruchtbaren Zeit sind mir Prof. Dr. Reinhard Feldmeier und Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann ungewöhnlich offene, freundliche und anregende Gesprächspartner gewesen, die mich mit ihrem Wissen und ihrer Persönlichkeit nicht wenig bereichert haben. Danken möchte ich außerdem Prof. em. Dr. Siegmar Döpp für sein Wohlwollen mir gegenüber und für die Bereitschaft, das Zweitgutachten zu erstellen. Prof. em. Dr. Rudolf Kassel, der die Freundlichkeit gehabt hat, die Arbeit zu lesen und einige wertvolle Berichtigungen beizusteuern, bin ich sehr verbunden. Vor allem ist es mir eine sehr angenehme Pflicht, an dieser Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Heinz-Günther Nesselrath meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Er hat nicht nur die Arbeit angeregt und Schritt für Schritt vorzüglich betreut, sondern auch ihren Autor auf diskrete und verständnisvolle Art stetig unterstützt und gefördert. Die Dr. Walther-Liebehenz-Stiftung hat mir am 30.01.2008 die Ehre erwiesen, ihren Förderpreis für eine sprachlich herausragende Dissertation ausländischer Absolventen der Georg-August-Universität Göttingen zu verleihen. Ihr gebührt mein verbindlichster Dank. Von ganzem Herzen möchte ich der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen in Person von Frau Regina Sonnenberg danken. Ohne die Nutzung einer Arbeitskabine über längere Zeit und ohne den traumhaften Service dieser hervorragenden Forschungseinrichtung hätte ich nie die notwendige Ruhe haben, die erforderlichen Recherchen durchführen und schließlich die Arbeit schreiben können.

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VI

Vorwort

Das Personal vom de Gruyter-Verlag, Herr Andreas Brandmair, Frau Katrin Hofmann und Frau Dr. Sabine Vogt, hat durch seine Professionalität den Weg zum Druck sehr erleichtert. Dafür sei ihnen herzlich gedankt! In der schwierigen Phase des Korrekturlesens hat mir Jannika Haupt aufopferungsvoll beigestanden. Viele Menschen haben mir während meiner schönen Göttinger Jahre geholfen: Giovanna Alvoni-Rausch, Franklin Baumgarten, Andrea Bencsik, Fausta Beretta, Paolo Bottaro, Valentina Garulli, Natalia Kyriakidi, Christina Lubinski, Tanja Pilger, Marios Skempis, Prof. Dr. Heike Sternberg el-Hotabi, Tobias Thum. – Die Freundschaft von Sandra Stelz will in ihrer abenteuerlichen Einmaligkeit natürlich gesondert erwähnt werden. Allen, die mir geholfen haben, ist diese Arbeit gewidmet. Senza dimenticare i miei genitori. Wuppertal, im April 2011

Fabio Berdozzo

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Inhaltsverzeichnis 0. Einleitung ............................................................................................... 1 1. 2. 3.

Status quaestionis ................................................................... 1 Methodische Voraussetzungen ............................................... 7 Überblick über den Aufbau der Arbeit ................................ 9

I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter .............................. 11

1.1. 1.2.

Die προγυμνάσματα des Theon und Lukian: Mythos und Rhetorik ............................................................. 11 Einleitung ............................................................................ 11 Der Mythos: Funktion und Wahrnehmung ..................... 13

2.

Religionskritik in Lukians Dialogi Deorum ........................... 21

2.1 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.3. 2.3.1. 2.3.2.

Einleitung ............................................................................. Bemerkungen zu einigen Kernfragen der Interpretation ..... Die Komödie ........................................................................... Der Ansatz von R. MacMullen .............................................. Religionskritik .................................................................. Der allgemeine Rahmen ......................................................... Das Beispiel des Pausanias ...................................................... Das Beispiel des Palaiphatos ................................................... Die Figur des Zeus in den Dialogi Deorum .......................... Einleitung ................................................................................ Analyse einzelner Dialoge .......................................................

1.

21 21 24 26 27 27 28 32 34 34 35

D.Deor. 1. (35) - D.Deor. 4. (37) - D.Deor. 5. (38) - D.Deor. 6. (38) D.Deor. 7. (40) - D.Deor. 8. (41) - D.Deor. 9. (42) - D.Deor. 10. (44) D.Deor. 13. (45) - D.Deor. 15. (45) - D.Deor. 22. (46) - D.Deor. 24. (47)

2.3.3. Fazit .......................................................................................... 48 3. 3.1. 3.2. 3.3.

Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu ................................................................ Einleitung ................................................................................ Lukian und Teles .................................................................... Derbe Ironie? ...........................................................................

51 51 52 61

VIII

Inhaltsverzeichnis

Der redende Tote: Sen., Ad Marc. 26 und Luc., De luctu 16-9 .......................................................... 3.5. Interpretation von De luctu .................................................... 3.5.1. Herodot in der Unterwelt ...................................................... 3.5.2. Tod und Theater ..................................................................... 3.5.3. Pessimismus in De luctu? ........................................................

3.4.

4. 4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.3. 4.3.1. 4.3.2.

Die lukianische Schrift De sacrificiis ...................................... Interpretationsgeschichtliches als Vorstufe zur Interpretation .................................................................... Das Beispiel Karl Meisers ....................................................... Das Problem der Gattung ...................................................... Ein Vergleich zwischen Luc., De Sacr. und Maximus Tyrius, Or. 5 ........................................................... Die Mythen ............................................................................. Homer ...................................................................................... Eine Philosophie des Gebets .................................................. Zusammenfassung ................................................................... Interpretation der Schrift Περὶ θυσιῶν ................................. Exkurs: Heraklit und Demokrit bei Lukian ......................... Wiederaufnahme der Interpretation ......................................

63 64 64 67 69 71 71 74 75 78 78 79 81 84 84 87 90

5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5.

Ethnische Konflikte auf dem Olymp: Deorum concilium .... 95 Form des Werkes ..................................................................... 95 Die Figur des Momos ............................................................. 96 Das behandelte Problem: die Dialektik von Alt und Neu ... 97 Struktur und Intention ......................................................... 103 Historische Quellenforschung vs. literarische Interpretation ........................................................................ 103

6. 6.1. 6.2. 6.2.1. 6.2.2. 6.2.3. 6.2.4. 6.2.5. 6.3. 6.4. 6.4.1. 6.4.2.

Paradoxe und Aporien im Himmel: Ikaromenipp .............. 107 Lukians Ikaromenipp: Versuch einer „Definition“ ............. 107 Lukians Menipp ...................................................................... 109 Die Aporien Menipps ........................................................... 109 Philosophenkritik .................................................................. 109 Verbindung von „Kosmologie“ und „Theologie“ .............. 110 Menipps „Wille zum Glauben“ ........................................... 111 Lukians Menipp ist kein Kyniker ........................................ 112 Der Himmel und seine Götter ............................................. 113 Eigenschaften der Götter ........................................................ 115 Die „Mode“ ........................................................................... 115 Einheit und Pluralismus ....................................................... 116

Inhaltsverzeichnis

IX

6.5. 6.6.

Feindschaft zwischen Religion und Philosophie ................ 118 Fazit ........................................................................................ 120

7. 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5. 7.6.

Juppiter tragoedus ................................................................... Datierung ............................................................................... Titel ........................................................................................ Götterbilder im JTr. (1. Teil) .............................................. Götterbilder im JTr. (2. Teil) .............................................. Götterbilderpolemik ............................................................. Das abschließende Streitgespräch ........................................

8. 8.1. 8.1.1. 8.1.2.

Der lukianische Prometheus .................................................. 141 Das Problem des Bezugs zum PV des Aischylos ................... 141 Einleitende Bemerkungen .................................................... 141 Diskussion des Problems in Bezug auf die Interpretation des lukianischen Prometheus ................................ 144 Hesiod und die anderen Quellen ......................................... 146 Die Gattung und ihre Implikationen .................................. 147 Die Interpretation von M. Caster ........................................ 149 Die fiktionale Ebene und die „Grundstimmung“ des Werkes ............................................ 154

8.2. 8.3. 8.4. 8.5.

125 125 126 126 129 131 135

9. 9.1. 9.2. 9.3. 9.4. 9.5. 9.6. 9.7. 9.8.

De Astrologia .......................................................................... Zur Frage der Autorschaft .................................................... Thema und Adressat ............................................................. Ernst gemeint oder nicht? ..................................................... Analyse des Werkes ............................................................... Die Maske des einfältigen Astrologen ................................. ,Rationalizing Myths‘? .......................................................... Stoische Einflüsse? ................................................................. Lukian und seine Zeit: De astrol. und das Weltbild Lukians ...................................................................

10.

Zusammenfassung des ersten Teils ...................................... 185

163 163 166 166 168 175 178 180 181

II. Das platonische Gottesbild bei Lukian ............................................ 191 1. 1.1. 1.2. 1.3.

Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus ................................................ Einleitung .............................................................................. D.Mort. 4 (21) ....................................................................... Momente „platonischer Komödie“ in Vit. auct. 15-19 ......

191 191 193 194

X

Inhaltsverzeichnis

1.4. 1.5. 1.6. 1.7. 1.8. 1.9.

Ver. hist. II 19; Symp. 39 ...................................................... Fugit. 18 ................................................................................. Abschied vom Platonismus: Pisc. 22 .................................... Die schärfste Auseinandersetzung: Bis. acc. 33f. ................. Hermot. 56; 85 ...................................................................... De paras. 34; Rhet. praec. 17 .................................................

200 201 202 205 213 214

2.

Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung .................................................................... Einleitung .............................................................................. Scheinbares Ziel des Werkes ................................................ Erscheinungsformen der Philosophie; Widersprüche ........ Zentrale Rolle der Rhetorik ................................................. Anti-römische Satire? Athen versus Rom ............................ Die Bekehrung umkehren? ................................................... Das Problem des Namens .................................................... Schluss ....................................................................................

217 217 218 220 225 226 228 235 235

2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8.

III. Das stoische Gottesbild bei Lukian .................................................. 239 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einleitung .............................................................................. Ambivalenz aus Menipp? ...................................................... Die Stoiker in der Komödie (Überblick) ............................ Fugit. 12-21 und D.Mort. 20 (10) ....................................... Hauptdarstellungen der stoischen Lehre: Hermot. 81-83, Vit. auct. 20-25 ........................................... Weitere Passagen zum Stoizismus ........................................ Anmerkung zu Epiktet .........................................................

239 241 242 245 253 262 263

IV. Lukian und Galen ............................................................................. 265 V. Zusammenfassung: Einblicke in Lukians Geist .............................. 281 VI. Bibliographie ...................................................................................... 289 1. 2.

Textausgaben und Kommentare .......................................... 289 Monographien und Aufsätze ................................................ 291

Register 1. 2.

Stellenregister ......................................................................... 319 Register der Namen und Begriffe ........................................ 327

0. Einleitung 1. Status quaestionis Lukian hat als Meister in der Gattung der Satire einen definitiv zugesicherten Platz im Kanon der griechischen und lateinischen Klassiker, doch seine Figur ist alles andere als unumstritten. Der Grund dafür liegt vielleicht in der Eigenschaft, welche man die „Proteusnatur“ dieses Autors genannt hat.1 Lukians recht umfangreiches und außerordentlich vielseitiges Œuvre enthält nämlich die verschiedensten Themen, Tendenzen und Urteile, so dass sich sicherlich jeder Leser (vom Spezifischen seines Interesses an Lukian abgesehen) bald auf die Suche nach Rahmen und Perspektiven machen wird, nach Elementen nämlich, die ihm feste Anhaltspunkte bieten und dadurch verhindern, sich in dem weiten Feld zu verlieren. Diese Suche nach Ordnungsmustern spiegelt sich in der kritischen Literatur, die sich mit diesem Autor befasst, deutlich wider2 und kann auch bis in Lukians Nachleben3 verfolgt werden. Soll nun Lukian primär als Schriftsteller vor dem Hintergrund der rhetorisch-literarischen Traditionen und Strömungen des 2. Jahrhunderts nach Christus gelesen werden oder vielmehr als Satiriker, dessen Engagement primär der kritischen Beobachtung des konkreten Lebens seiner Mitmenschen galt? Hat man mit dem scharfsinnigen Blick eines Moralisten oder der Traditionsgebundenheit eines raffinierten Sophisten zu tun? Konkret betrachtet wird jede dieser Alternativen bald spezifischer: Die Frage der Tradition konkretisiert sich nämlich in dem Problem der Verwendung der literarischen Modelle, während die Frage zur satirischen Topik als Problem der philosophischen Orientierung und des religiösen Gefühls (bzw. der Religionskritik) Lukians erscheint. Von ,Religion‘ zu _____________ 1 2

3

So HELM (1906), 7. Vgl. exemplarisch BRANHAM (1989), 13: «...this difficulty in characterizing Lucian’s art and its achievements is reflected in fundamental disagreements about his generic intentions. In sharp contrast to the views of writers such as Erasmus and Fielding, if there is a consensus among modern scholars, it is that Lucian is too frivolous to be taken seriously as a satirist [...]. It is not simply that Lucian worked in a bewildering variety of forms and styles [...]. It is rather the difficulty of deciding how to gauge the tone of whole works and the emphasis of crucial passages. Are they seriously satiric, anarchically comic, or frivolously epideictic?». Vgl. dazu u. a.: HELM (1927), 1773ff.; ROBINSON (1979); MATTIOLI (1980); HOLZBERG (1981); LAUVERGNAT-GAGNIÈRE (1988); ZAPPALA (1990); MARSH (1998).

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0. Einleitung

sprechen gibt allerdings Raum für Fehlinterpretationen, welchen nicht wenige Wissenschaftler aufgesessen sind. ,Religion‘ möge man hier zunächst in einem sehr weiten Sinne verstehen, nämlich als Gesamtkomplex der religiösen Phänomene, die man in Lukians Schriften vorfindet. Diese betreffen das religiöse Leben des 2. Jahrhunderts n. Chr., so wie es von Lukian selbst dargestellt worden ist. Gemeint ist also nicht die Religion des 2. Jahrhunderts n. Chr. an und für sich, als ein Forschungsgegenstand, den man rekonstruieren kann, sondern all die Aspekte, mit denen Lukian die Leser bekannt macht und über die er direkt oder indirekt Auskunft gibt. Diese beiden Verwendungsweisen des Wortes ,Religion‘ sind sorgfältig auseinander zu halten, insbesondere, weil ein großer Teil der modernen Lukian-Forschung dies nicht getan hat. In dieser Hinsicht geradezu paradigmatisch ist der Ansatz von MARCEL CASTER, dem Autor eines Referenzwerkes über Lukian und die Religion: Lucien et la pensée religieuse de son temps, seiner 1937 in Paris veröffentlichten Dissertation.4 Bereits in der Einleitung erklärt CASTER mit pointierter Deutlichkeit sein Forschungsvorhaben, welches gleichzeitig seine Methode und – wie ich hinzufügen möchte – auch seine methodische Voreingenommenheit verdeutlicht: «Mon projet n’est pas d’étudier ce en quoi Lucien peut nous servir pour la connaissance de l’époque, mais au contraire d’utiliser ce que nous connaissons de l’époque pour étudier Lucien. Je comparerai le tableau que la science actuelle nous fournit de la vie religieuse du second siècle avec le tableau que nous en offre Lucien».5

Es geht mir hier nicht darum, diesem methodischen Erklärungsansatz seine Plausibilität und Gültigkeit abzusprechen. Die Umsetzung dieses Prinzips im Rahmen von CASTERS Analyse führt jedoch, was die Bewertung des Gesamtbildes Lukians angeht, zu solchen extremen Konsequenzen, dass man sich als Leser berechtigt fühlt, die eigene Unzufriedenheit auszusprechen. CASTER untersucht nicht das Spannungsfeld zwischen Epoche und Autor, Struktur und Kontext, sondern fokussiert einseitig auf den historischen Kontext und vernachlässigt dabei die Subjektivität des Autors. Seine Arbeit bemüht sich nicht um eine ausgewogene Darstellung von Kontext und Subjekt, sondern gleicht einem Prozess, in dem der Angeklagte Lukian vor dem Gericht der Epoche steht und CASTER die Staatsanwaltschaft vertritt. Man könnte fast sagen, dass es im Verlauf seiner Darstellung kaum eine Seite gibt, auf der sich CASTER die Gelegenheit _____________ 4 5

Besonders lesenswert sind die ausführlichen Rezensionen von FESTUGIÈRE («REG» 52 [1939], 230-3), HELM («PhW» 59 [1939], 438-47) und WALTZ («RU» 48 [1939], 153-5). CASTER (1937), 1 (Hervorhebung von mir).

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1. Status quaestionis

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entgehen lässt, Lukian sehr hart zu kritisieren, ihm seinen frivolen Charakter vorzuwerfen, seinen Mangel an schriftstellerischer Originalität und an richtigem Verständnis für die Philosophie zu tadeln und die Unzulänglichkeit und Einseitigkeit seiner Darstellungen der Religionsformen zu bemängeln. Durch die ganze Analyse ziehen sich heftige gegen die Person und das Werk Lukians gerichtete Vorwürfe, die scheinbar keinen Weg für einen Freispruch oder zumindest eine Verteidigung des Angeklagten offen lassen. Die Ursache für diese Haltung zu identifizieren, ist nicht besonders schwer. Die Hauptschwierigkeit der Interpretation von CASTER liegt im Lukian-Bild des Interpreten. CASTER betrachtete Lukian als einen Menschen ohne moralischen und literarischen Wert – eine übrigens in der älteren Forschung durchaus verbreitete Meinung.6 Lukian sei (schreibt CASTER) kein unruhiger, suchender Geist gewesen, sondern ein mit sich selbst immer zufriedener Mensch.7 Als Schriftsteller habe er nicht nur kaum etwas erfunden, sondern er sei auch vollkommen unfähig gewesen, das Übernommene (bzw. das Plagiierte, wie sich CASTER ausdrückt) selbstständig zu vertiefen.8 Er benutze diese Ideen und Themen in einer _____________ 6

7

8

Vgl. z. B. WILAMOWITZ (1912), 248; NORDEN (1915), 394; SCHMID/STÄHLIN (1924), 740: «Ob ihm [...] immer echtes, sittliches Pathos oder Litterateneitelkeit oder -not die Feder geführt hat, mag man zweifeln»; 741: «Seine Persönlichkeit erweckt, wo sie ohne Hülle hervortritt, wenig Sympathie. Er ist in seinem unsteten Leben mehrfacher Renegat geworden – zuerst hat er die Rhetorik, dann die Philosophie, endlich seine [...] ausgesprochene Antipathie gegen Rom verleugnet»; HELM (1906), 6: «Einen Kämpfer für Wahrheit und Vernunft gegen Aberglauben und Dunkelmännertum darf man in ihm nimmermehr sehen»; 7: «...so hat auch er den Mantel nach dem Winde zu hängen gewußt»; BERNAYS (1879), 44 [Hervorhebungen von mir]: «Lucian hingegen trägt in Bezug auf alle religiösen und metaphysischen Fragen eine lediglich nihilistische Oede zur Schau. [...] [M]an erhält den Eindruck, als habe er gemeint, die Negation des Verkehrten genüge, um die geistigen und gemüthlichen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, und im Uebrigen erfüllen sie ihren Beruf, wenn sie ihre gegenseitigen Beziehungen durch einen gewissen Schliff des geselligen Benehmens behaglich machen und der römischen Büreaukratie gehorchen». – Und dergleichen mehr; zu diesem Aspekt vgl. BAUMBACH (2000) und MACLEOD (1994). CASTER (1937), 379: «Je crois au contraire que toute l’œuvre de Lucien, y compris l’Hermotime, nous montre un homme toujours satisfait de lui-même, sans aucune inquiétude philosophique ou religieuse. Rarement on vit un esprit plus tranquille. Quand il eut atteint son niveau de culture, et adopté en face de la vie une certaine attitude d’art, soutenue par un épicurisme rudimentaire et transposé, il ne bougea plus»; 167: «Lucien s’est fait une fois pour toutes son bagage d’arguments, de jugements et même de plaisanteries, bien décidé à utiliser le même matériel toutes les fois que le sujet reviendra: procédé éminemment sophistique». CASTER (1937), 150: «Mais elle [nämlich das Problem der göttlichen Vorsehung] nous fait voir comment Lucien ramène les questions à des formes simplistes, et ne sait

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0. Einleitung

ebenso brillanten wie oberflächlichen Weise,9 er verstehe nichts von Philosophie, denn er habe sich nie ernsthaft um sie bemüht,10 er sei ein Sophist unter starkem Zeitdruck, der die Schriften von anderen so hastig plündere, dass es ihm nichts ausmache, wider besseres Wissen sogar der eigenen Meinung zu widersprechen,11 denn sein einziges Anliegen sei es gewesen, den Beifall seines Publikums zu ernten.12 Schließlich sei der Samosatenser nach CASTERS Ansicht grundsätzlich ein anti-religiöser Geist.13 Der Lukian von CASTER erscheint sozusagen in französischem Gewand, er ähnelt mehr einem Freidenker der französischen Aufklärung als _____________

9 10

11

12

13

manier les idées que si elles sont raccourcies, décolorées, réduites à des notions d’un bon sens trop facile»; 151: «Lucien s’est contenté d’exploiter, une fois de plus, une objection souvent exposée dans les livres, et n’a pas cherché à l’approfondir» (Hervorhebung von mir). CASTER (1937), 166: «Il est indéniable que, dans cette discussion sur la Providence, Lucien ne respecte aucune orthodoxie d’école et qu’il manie les idées d’une façon aussi superficielle que brillante». CASTER (1937), 166: «Les arguments qu’il expose, d’un côté ou de l’autre, sont, non seulement usés, mais mal compris, parce qu’il ne se souciait pas de les comprendre. En un mot, il n’a pas étudié la question»; 160: «Nous avons vu que dans le Zeus Réfuté le stoïcisme était complètement déformé. Légèreté ou mauvaise foi? Les deux ensemble»; 154: «...mais il faut constater que la manière même de poser la question trahit son incapacité et son manque de goût profond pour la philosophie»; 161: «Donc les Epicuriens, non seulement ne sont pas représentés fidèlement, mais même sont égratignés»; 151: «...il se montre impuissant à remonter aux principes, ou plutôt, chose plus grave, il ne semble même pas soupçonner que la question puisse être envisagée d’un point de vue moins utilitaire et plus profond». CASTER (1937), 161: «Ainsi, peu à peu, l’épicurisme de Lucien se dissout, et Lucien lui-même pâlit, ne devenant plus guère qu’un sophiste pressé, qui prend ses matériaux à la hâte dans quelques textes qu’il exploite, sans même avoir scrupule à parler contre ses préférences, dans la mesure où il en a». CASTER (1937), 167: «De plus, on ne peut nier que le principal souci de Lucien ne soit d’être applaudi par l’auditoire»; 384: «Il ne s’est pas donné comme tâche ni de fournir des documents à la posterité, ni d’améliorer l’humanité en ridiculisant ses vices: il a voulu composer des jolies satires pour obtenir une gloire de bon aloi, et pour le plaisir d’écrire de belles choses». CASTER (1937), 1: «Lucien, avec son esprit essentiellement rebelle à tout ce qui est religieux et mystique, se trouvai donc en face d’une civilisation toute pénétrée de religiosité et de mysticisme»; 366: «Pour lui la religion c’est, même chez les meilleurs, une exaltation déplaisante, des espoirs fous, des croyances sottes. Rêveries sur la Divinité, confiance en la Providence et les oracles, perspectives d’immortalité, systèmes de philosophie mystique, tout cela traduit une attitude générale d’esprit à laquelle Lucien reste absolument étranger, à la fois par instinct et par décision, et qu’il raille sans pitié»; ebd.: «Pour lui, l’esprit religieux est toujours inférieur»; ebd.: «Il n’est pas spécialement l’ennemi du paganisme, mais l’ennemi virtuel de toute religion»; 352f.: «Les Chrétiens méprisent la mort, ils vont même au-devant d’elle, parce qu’ils sont sûrs de l’immortalité. Ce sont des illuminés victimes d’un espoir insensé, et non des philosophes dignes de ce nom».

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1. Status quaestionis

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einem griechischsprachigen aus Syrien stammenden Schriftsteller der römischen Kaiserzeit: Er lehnt jede Form von Religion quasi aus ästhetischen Gründen, im Namen des bon goût ab, weil der religiöse Geist die Menschen zu einem Benehmen schlechten Geschmacks verleite, was dem ausgeglichenen esprit de finesse des gesunden Verstandes zuwider sei.14 Solch ein Aufklärer ante litteram hat in der Perspektive von CASTER erwartungsgemäß auch ein passendes Publikum, ein Publikum von esprits libres, eine Art aufgeklärte Elite, die sich durch ihre raffinierte Kultur und höhere Bildung vom Glauben an Götter befreit hat und nun bereit ist, Lukians Religionsverspottungen zu verstehen und zu genießen.15 Trotz der alten Mahnung von JACOB BERNAYS, sich einer voreiligen Aktualisierungstendenz zu widersetzen und aus Lukian keinen VOLTAIRE oder DESCARTES der Antike zu machen,16 muss CASTER als klarer Fall von arbiträrer Modernisierung eines antiken Autors verstanden werden. Letztlich tut der französische Philologe zweihundert Jahre später mutatis mutandis das Gleiche wie PIERRE BAYLE, als er in seinem 1697 veröffentlichen Dictionnaire historique et critique Lukian als einen verantwortungslosen „Nihilisten“, dem sowohl Wahrheit als auch Lüge gleichgültig seien, darstellt und tadelt.17 CASTERS Darstellung von Lukian und seinem Verhältnis zur eigenen Zeit bleibt in einem gefährlichen circulus vitiosus gefangen: Wenn Lukian die Kultur jener Epoche widerspiegelt, wird er wegen seines Mangels an _____________ 14 CASTER (1937), 365: «Il a compris la culture comme un état d’harmonie et de clarté parfaites dans les pensées. Cette harmonie se reflète dans l’honnêteté et l’élégance des actions. Inversement, tout ce qui trouble la pensée se décèle par les actes ridicules ou malfaisants»; ebd.: «Ce nettoyage des brumes métaphysiques lui semble l’acte même de la civilisation [...]»; 366: «Il n’admet pas que les contours de l’être humain soient mal définis, à ses yeux du moins, en quelque endroit. Il les veut nets et décisifs comme ceux des statues qu’il admire: sinon l’homme n’est pas l’œuvre d’art qu’il peut et doit être. Or cette œuvre est créée par la raison, qui est un principe à la fois logique, moral et esthétique». 15 CASTER (1937), 167 Anm. 107: «On a l’impression que des dialogues comme le Zeus Tragédien s’adressent à un public restreint, formé d’Athéniens à l’esprit libre, et, sinon irréligieux, du moins comprenant la plaisanterie, même hardie, en matière de religion». 16 BERNAYS (1879), 42-44. 17 BAYLE (1740), 678: «Mais Lucien, qui s’est tant moqué des faux Dieux du paganisme, & qui a répandu tous les agréments imaginables sur la description qu’il a faite des folies & des impostures de la Religion des Grecs, ne laisse pas d’être digne de détestation ; puisqu’ au lieu de faire cela par un bon motif, il n’a cherché qu’à contenter son humeur moqueuse, & qu’à ouvrir la carrière a son style satirique, & qu’il n’a pas témoigné moins d’indifférence, ou moins d’aversion, pour la vérité que pour le mensonge».

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0. Einleitung

Originalität getadelt; tut er es aber nicht, bemängelt man an ihm genau dieses Fehlen von Anknüpfungspunkten an die Kultur seiner Umwelt. All diese Kritikpunkte können also auf einen gemeinsamen Nenner zurückgeführt werden, auf die Tatsache nämlich, dass es ihnen an historischem Sinn mangelt. CASTER verfährt etwa so: Er stellt aus seiner Perspektive, in welche natürlich verschiedene Elemente der modernen historischphilologischen Kenntnisse einfließen, Anforderungen an Lukian, um anschließend zu verifizieren, ob der Syrer ihnen gerecht wird oder nicht. Dass ein derartiges Verfahren, welches sich nicht darum bemüht, nach einem Zugang zum „Inneren“ des zu erforschenden Objektes zu suchen, sondern externe Kategorien an das Objekt anlegt (stichwortartig: Projektion statt Interpretation), in einem u. a. durch die philosophische Hermeneutik aufgeklärten neuen Selbstbewusstsein der Klassischen Philologie18 inakzeptabel sowie unfruchtbar ist, versteht sich von selbst.19 Um diesen Punkt zu verdeutlichen, wird ein Beispiel reichen. CASTER scheint u. a. daran Anstoß zu nehmen, dass Lukian die überaus günstige Gelegenheit verpasst, von einigen (nach CASTERS Meinung) zu satirischer Verarbeitung besonders geeigneten Themen zu profitieren. Ungeachtet der zeitlichen und kulturellen Entfernung von etlichen Jahrhunderten belehrt er Lukian nicht nur über seine eigene „professionelle“ Schriftstellerkompetenz, sondern kritisiert auch diejenigen Gründe, die den Samosatenser möglicherweise zu dieser Entscheidung bzw. Auswahl veranlasst haben können.20 Nachdem er mit Staunen und Irritation bemerkt hat, dass Lukian die wohltätige Wirkung der göttlichen Vorsehung bezüglich der Tiere nie zur Materie seiner Späße gemacht hat, obwohl dies ein recht markanter Zug der Epoche gewesen sein muss,21 schreibt CASTER weiter: «Mais la grande raison de son silence, c’est sans doute cet académisme qu’il partageait avec ses auditeurs et la plupart des sophistes. Lucien n’a pas dû trouver, dans son bagage littéraire, de thème satirique traditionnel sur la providence et les animaux. Par conséquent, ce sujet n’avait pas d’existence littéraire, et personne, pas plus le public que l’auteur, n’eût goûté cette innovation entre les quatre murs de la salle de conférences. [...] La littérature pieuse existait. Pourquoi Lucien ne s’est-il pas fourni chez elle en matériaux qu’il aurait parodiés? Parce qu’elle n’avait pas créé un genre littéraire – et encore cela

_____________ 18 Vgl. paradigmatisch KANNICHT (1971), 13ff., und neulich auch das sehr brauchbare Handbuch von SCHMITZ (2002). 19 Vgl. z. B. VIKTOR (1997), 8. 20 Solche Motive liefert natürlich wieder CASTER selbst, es sind also nicht Lukians Gründe, obwohl sie ihm praktisch so in den Mund gelegt werden, als ob sie seine eigenen wären. Schließlich bloße Vermutungen, also. 21 Vgl. dazu die klassische Arbeit von WEINREICH (1909).

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2. Methodische Voraussetzungen

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n’aurait pas suffi: il fallait a Lucien un genre littéraire, avec ses thèmes, qui remontait à l’époque classique».1

Schade nur, dass für diese These keine Beweise geliefert werden; sie bleibt nach wie vor bloße Vermutung. Der oben bemerkte Mangel an Historizität weist gleichzeitig auch auf einen Weg aus der Sackgasse hin. Es gilt Lukian zu verstehen, indem man nicht von unserer, sondern seiner Zeit ausgeht. Das religiöse Problem bei Lukian zu erörtern, heißt, Lukian in der eigenen Zeit zu situieren, d. h. ihm die Distanz zu Epoche und Menschen zu lassen, die er sicherlich gehabt hat, und seine Autonomie zu bewahren, aufgrund welcher er überhaupt Satiriker sein konnte. Seine Daseinsform als Künstler bzw. als Sophist2 gewährte ihm diese Autonomie.3

2. Methodische Voraussetzungen •

Im Unterschied zu anderen Forschern4 kann ich den geneigten Leser in limine mit keiner „programmatischen Erklärung“ dienen, welcher Literaturtheorie ich in meinen Untersuchungen gefolgt bin. Der schlichte Grund dafür ist, dass diese Arbeit nie die durchgängige Verifizierung bzw. Anwendung eines einzigen theoretischen Modells als ihren Schwerpunkt gehabt hat. Dies bedeutet aber nicht, dass ich den illusorischen Anspruch erhoben habe, ganz „theorielos“ verfahren zu sein. Vielmehr habe ich versucht, die unterschiedlichen Fragestellungen möglichst frei von jeglichem

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4

CASTER (1937), 175; pointierter auf S. 384: «La raison principale de ses silences est d’ordre littéraire». Ähnlich 218-20 (keine Dämonenkritik), 357f. (schweigt über den Synkretismus), 358-60 (kein Hinweis auf den Kult der Kaiser). Vgl. vorzüglich ANDERSON (1982). Man kann entgegnen, dass man Lukian, nennt man ihn ‚Künstler‘, ebenfalls modernisiert, ihm mit dieser „Etikette“ eine ungeeignete Identität zuweist und somit letztlich eine Fälschung produziert. Es bestünde also kein Unterschied zwischen dieser unkritischen Bezeichnung und den Bezeichnungen der anderen Interpreten, die Lukian jeweils als „Satiriker“, „Philosoph“, „Moralist“, „Gesellschaftskritiker“, „Spaßmacher“ und dergleichen mehr bezeichnen (in diesem Sinne vgl. bes. ALLINSON [1926] und GALLAVOTTI [1932]). Meine Antwort auf diesen Einwand ist, dass die KünstlerDimension des Lukian das Medium ist, in welchem er uns (und seinen Lesern aller Epochen überhaupt) am unmittelbarsten entgegentritt und man ihn jedes Mal durch den Akt des Lesens konkret und wahrhaftig erleben kann. – Die kulturelle Angebundenheit an seine Epoche und Umwelt hat Lukian selbst u. a. in Somn. 10-12 exzellent skizziert. Vgl. z. B. UREÑA BRACERO (1995), 4, der gänzlich auf ACOSTA GÓMEZ (1989) fußt.

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0. Einleitung

vorgefertigten theoretischen Ansatz entstehen zu lassen, und vorgezogen, sie jeweils im spezifischen Fall zu diskutieren. M. E. kann erst die Summe dieser Fragestellungen und der vorgeschlagenen Lösungen in retrospektivem Überblick die besten Hinweise darauf geben, in welche spezielle theoretische Richtung der jeweilige Fragekomplex „ausbaufähig“ wäre. Trotz alledem haben sich mir zwei literaturtheoretische Ansätze an manchen Stellen dieser Arbeit als besonders hilfreich erwiesen, nämlich die close-reading-Methode1 und die Rezeptionsästhetik2. Im Übrigen zeigt auch R.B. BRANHAMS zu Recht berühmte Monographie Unruly Eloquence von 1989 – meiner Meinung nach eines der intelligentesten und anregendsten Bücher über Lukian der letzten hundert Jahre –, wie fruchtbar ein Ansatz ist, der für verschiedene theoretische Orientierungen offen bleibt und sie alle sensibel rezipiert, ohne jedoch ausschließlich eine auf Kosten aller anderen zu bevorzugen. Der historisch vergleichenden Methode, die Lukian aus dem Vergleich mit Figuren wie Aelius Aristides, Mark Aurel, Epiket, Julian usw. zu verstehen versucht und die bereits durch HELM (1906) in nicht geringem Maße angewandt wurde, bin auch ich weitestgehend gefolgt. Ich habe kein spezielles Kapitel über die gelehrte Rezeptionsgeschichte der religiösen Aspekte in Lukians Werk verfassen wollen, denn dies hätte einer eigenständigen Abhandlung bedurft. Vielmehr habe ich Wert darauf gelegt, mir die Rezeption der einflussreichsten Monographien über Lukian, insbesondere der älteren (BERNAYS, HELM, CASTER), bewusst zu machen – nicht zuletzt durch systematische Erfassung und Einarbeitung der zeitgenössischen Rezensionen in den Fachzeitschriften. Man kann das Hauptkennzeichen des gesamten status quaestionis zu Lukian darin sehen, dass es keinen modernen Versuch einer Gesamtdarstellung dieses Autors,3 dafür aber viele Spezialkommentare zu einzelnen seiner Werke gibt. Das Buch von C.P. JONES Culture and Society in Lucian (1986) stellt die einzige nennenswerte Ausnahme dar. Ich bin von keiner Vorstellung der Persönlichkeit Lukians (oder des Menschen Lukian) als einem Element, welches an entscheidenden Stel-

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Vgl. u. a. DUBOIS /LENTRICCHIA (2003). Vgl. u. a. ISER (1976) und (1991). ROBINSON (1979) ist im Teil über Lukian selbst zu knapp; der rezeptionsgeschichtliche Teil (an sich hervorragender Qualität) überwiegt auf ganz unproportionierte Weise. BALDWIN (1973) ist ebenfalls zu knapp. Beide sind jedoch unter anderen Einzelaspekten in höchstem Maße verdienstvoll.

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3. Überblick über den Aufbau der Arbeit

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len der Interpretation ins Spiel kommt und diese wesentlich determiniert, ausgegangen. Ich betrachte keine Stelle im Corpus Lucianeum als „Hauptstelle“ (bzw. kein Werk als „Hauptwerk“), deren Bedeutung die gesamten restlichen Teile dieses Corpus entscheidend zu beleuchten vermöge. Nicht gesondert behandelt worden ist die Frage, in welchem Sinn genau Lukian als Satiriker gelten kann; ebenfalls fehlt ein spezielles Kapitel bzw. fehlen spezielle Überlegungen zum lukianischen Humor: Ausgezeichnete Behandlungen dieser beiden Themenkomplexe, denen ich mich weitgehend angeschlossen habe, existieren bereits.4

3. Überblick über den Aufbau der Arbeit Diese Arbeit gliedert sich in vier Hauptteile. In den ersten drei werden (I.) Lukians Darstellung der traditionellen Götter, (II.) seine Auseinandersetzungen mit dem platonischen und (III.) mit dem stoischen Gottesbild erforscht. Die Untersuchung der lukianischen Rezeption und Darstellung des Gottesbildes bzw. der Götterbilder aus besagten drei Bereichen bildet die leitende Fragestellung der Arbeit. Im IV. Hauptteil stelle ich die lukianische Haltung zu Religion und Philosophie der seines Zeitgenossen Galen gegenüber, weil durch dieses Kontrastbeispiel die Konturen der Figur Lukians schärfer werden. Der Grund für die Auswahl der ersten drei Untersuchungsbereiche ist schlicht und ergreifend ein heuristischer gewesen, denn nur zu diesen drei Gebieten findet sich in Lukians Gesamtœuvre hinreichend Material für Satiren religiösen Inhalts. Zwar umfasste die schriftstellerische Tätigkeit des Samosatensers auch Auseinandersetzungen mit anderen philosophischen Richtungen, wie Kynismus, Epikureismus und Aristotelismus. Diese philosophischen Schulen setzten sich jedoch zu Lukians Zeiten in viel geringerem Umfang als Platoniker und Stoiker mit theologisch-religiösen Fragestellungen auseinander, weshalb Lukian eine gesonderte Thematisierung ihrer theologischen Ansätze kaum vornahm. Folglich sind sie als Quellengrundlage zur Beantwortung der in dieser Arbeit aufgeworfenen Fragen ungeeignet. Ich habe den Begriff ‚Gottesbild‘ im weitesten Sinne aufgefasst, nämlich als die Gesamtheit aller Phänomene, die in den von mir analysierten Werken Lukians einen Bezug zur religiösen Sphäre haben. Der Vorteil, wenn man keinen selektiven Begriff anwendet, ist, dass auf diese Weise der _____________ 4

Vgl. u. a. HIGHET (1962); BRANHAM (1989); UREÑA BRACERO (1995); CAMEROTTO (1998); SCHMITZ (2000).

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0. Einleitung

Form und Anordnung des einschlägigen Materials, wie sie ursprünglich bei Lukian vorgefunden werden können, keine Gewalt angetan wird. Die präzise Berücksichtigung der inneren Logik der einzelnen Werke schien mir methodisch angemessener und fruchtbarer als der Versuch, einen nach Themen geordneten Querschnitt aus allen Schriften zu produzieren. Die Untersuchung der einzelnen Werke, aus denen sich der erste Hauptteil zusammensetzt, ist so angelegt, dass sie möglichst ins Detail geht. Dabei handelt es sich jedoch um Schriften, die sich nach Natur, Entstehungszeit und Zweck in sehr hohem Maße voneinander unterscheiden. Sie sind vom Autor ursprünglich nicht dazu konzipiert worden, um zusammen betrachtet zu werden. Aus diesem Grund wäre es fehlerhaft und am Ende auch enttäuschend zu erwarten, dass die neun Einzelkapitel von Teil I. ein einheitliches Gefüge bilden. Leider sind und bleiben diese Schriften disiecta membra und ihre kritische Behandlung darf aus methodischen Gründen diese ursprüngliche Diskontinuität nicht aufheben. Dementsprechend ist aber die Gefahr, dass der Leser bei einer solchen Fülle von Details und einem so großen Wesensunterschied den Überblick verlieren kann, nicht zu unterschätzen. Um dieser Schwierigkeit im Rahmen des Möglichen beizukommen, wird am Ende von Teil I. eine rückblickende Zusammenfassung geboten.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter 1. Die προγυμνάσματα des Theon und Lukian: Mythos und Rhetorik 1.1. Einleitung Einer der zahlreichen Beiträge des opus magnum von J. BOMPAIRE zu Lukian ist es, die große Rolle und die Bedeutung der rhetorischen Übungen, welche feste Bestandteile des standardisierten Curriculums in den Rhetorikschulen waren, in Hinblick auf ein angemesseneres Verständnis der lukianischen Produktion betont zu haben. Im zweiten Kapitel des zweiten Teils über die ,composition rhétorique‘ geht BOMPAIRE den Spuren jener Hauptgattungen der traditionellen Rhetorik in Lukians Werk nach. Er will «…étudier les éléments de composition communs aux diverses œuvres. Ce seront d’abord les éléments proprement rhétoriques relevant des genres oratoires,[1] ensuite les emprunts immédiats faits à plusieurs genres non oratoires[2] comme le dialogue philosophique et la Comédie».3

Dissens über die Details und das Gesamtergebnis dieser z. T. recht kühnen Analysen ist berechtigt, nicht jedoch über das leitende Grundprinzip. Sonderbarerweise leugnet BOMPAIRE allerdings am Ende, dass die grundlegenden rhetorischen Übungen für Anfänger, die sog. προγυμνάσματα,4 von Bedeutung für die Erklärung Lukians seien: «Ainsi on ne peut guère expliquer la composition rhétorique chez Lucien par une influence des progymnasmata, chrie ou prosopopée, en tant que tels: ou bien les modes de composition qu’ils préparent sont mal ou peu pratiqués par

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Vgl. im Einzelnen BOMPAIRE (1958), 242ff. (λόγος δικανικός), 264ff. (λόγος συμβουλευτικός), 269ff. (λόγος ἐπιδεικτικός); zu dieser Einteilung vgl. den locus classicus Arist., Rhet. I 3, 1358 a 36ff. BOMPAIRE (1958), 302ff. BOMPAIRE (1958), 239f. Eine antike Definition lautet: ῥητορικὸν δὲ προγύμνασμά ἐστι εἰσαγωγικὴ τριβὴ διὰ λόγων τῶν κατὰ ῥητορικὴν μερῶν καὶ εἰδῶν, χρήσιμά τινα προασκουμένη (Nicol. Soph., Progymn., p. 449,4-6 Sp.).

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Lucien […]; ou bien leur rôle élémentaire ne peut rendre compte d’un mode complexe comme le dialogue […]».5

Auch REARDON erklärt, dass der Einfluss der Progymnasmata auf Lukian groß gewesen sein muss,6 vertieft jedoch diese Behauptung nicht. In die Fußstapfen dieser beiden Philologen tretend weist schließlich auch ANDERSON auf diesen Aspekt hin.7 Anhand zweier Kapitel der Progymnasmata des Theon,8 des dritten über den Mythos und des vierten über die Erzählung (διήγημα), möchte ich nun den Versuch unternehmen, diese letzte Behauptung von REARDON – BOMPAIRE widersprechend – angemessen zu vertiefen und zu begründen. Von seiner Klarheit abgesehen gibt es für die Wahl des Theon keinen weiteren Grund, außer dass sein Werk das früheste Exemplar dieser Gattung ist und in der damaligen Zeit anscheinend großen Erfolg genoss, was es repräsentativ macht.9 Man wird nie genau wissen, wie die rhetorische Ausbildung beschaffen war, welche Lukian genoss, bevor er seine Sophistenkarriere anfing, also ob bzw. inwieweit sie irgendwelche Ähnlichkeiten oder Berührungspunkte mit dem „Modell“ des Theon hatte. Dennoch sind die Beobachtungen, die jetzt folgen, im Prinzip weniger hypothetisch, als man zunächst denken könnte. Es geht hier nämlich nicht darum, Lukian auf Theon, d. h. seine rhetorische Theorie oder Schulpraxis, punktuell zurückzuführen. Vielmehr muss besagte rhetorische Theorie oder Schulpraxis als kulturelles Phänomen verstanden werden, d. h. als Komplex von Ideen und Haltungen, die während einer Lebensphase, in der man naturgemäß besonders empfänglich ist, anerzogen wurden (man darf ja nicht vergessen, dass die _____________ 5

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7 8 9

BOMPAIRE (1958), 303; ähnlich 294-98. – Genau ins Gegenteil verkehrt ist also u. a. die Wiedergabe dieser Position durch ANDERSON (1982), 61: «[A]lmost the whole of his output can be related to the elementary exercises, the progymnasmata, of the rhetorical schools, and it is the signal service of Bompaire to have explained his output largely in the terms of the basic curriculum» (Hervorhebung von mir); HOUSEHOLDER (1941), 92: «…of the progymnasmata, only one, the ἔκφρασις, is mentioned by Lucian [nämlich in De hist. conscr. 20 und 57]». REARDON (1971), 164: «Qui plus est, il n’est aucune des productions de Lucien qui ne montre l’influence des progymnasmata – constatation assez surprenante chez un auteur qui lui-même avoue, comme sa principale aventure littéraire, s’être éloigné de la rhétorique». ANDERSON (1976), 3. Zum Autor vgl. KENNEDY (1983), 56-8 und W. STEGEMANN in: RE V A 2, 1934, 2037-54; Text: Rhet. Gr. I 137-257 WALZ; Rhet. Gr. II 59-130 SPENGEL; BUTTS (1987); PATILLON (1997). Ein weiterer Grund ist sein konkreter, auf die Praxis bezogener Charakter. Das Werk ist aus der Schulerfahrung entstanden, vgl. z. B. Progymn. p. 61,23-26 Sp.: ἀλλ᾽ ἐπεὶ καὶ τοῖς νεωτέροις προβάλλειν πολλάκις εἰώθαμεν ἐγκώμια γράφειν, διὰ τοῦτο ἐν τοῖς προγυμνάσμασιν αὐτὸ ἔταξα usw.

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1. Die προγυμνάσματα des Theon und Lukian

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Progymnasmata uns einen Einblick in eine rhetorische „Unterstufe“ oder ein „Proseminar“ der frühen Kaiserzeit gewähren), und ihr Einfluss auf Lukian anerkannt werden. Dieser ist keine bloße Selbstverständlichkeit, sondern kann klar gezeigt werden. 1.2. Der Mythos: Funktion und Wahrnehmung Die Vorstellung des Mythos als Fiktion, als etwas, was von Menschen zu gewissen Zwecken erfunden worden ist (also eine Vorstufe der rhetorischen Kunst), liegt Theons Ausführungen durchgängig zugrunde.10 Dieser Mythos ist weit davon entfernt, lediglich eine abstruse, leichte, graziöse kleine Geschichte zu sein; vielmehr gewinnt man aus Theon den Eindruck, dass für die Rhetorikstudenten der Mythos paradoxerweise durchaus eine ernsthafte Beschäftigung war. Man lebte täglich für mehrere Stunden in der Welt der Mythen, sie waren Prüfsteine für die Intelligenz und die Fähigkeiten eines Schülers, so dass sie ihm vermutlich auf Dauer „unter die Haut“ gehen mussten.11 Die Mythen waren Gegenstand zunächst individueller Lektüre (Theon empfiehlt nachdrücklich, sich eifrig der Lektüre zu widmen) und anschließend bzw. parallel von Paraphrasen in der Schule.12 Die wichtige Stelle Progymn. p. 75,31-76,5 Sp. beschreibt eine solche auf Mythen fokussierte Übung: Der Lehrer formuliert eine einfache „Moral“, und die Aufgabe der _____________ 10 Progymn. p. 72,28-32 Sp.: Μῦθός ἐστι λόγος ψευδὴς εἰκονίζων ἀλήθειαν, εἰδέναι δὲ χρή, ὅτι μὴ περὶ παντὸς μύθου τὰ νῦν ἡ σκέψις ἐστίν, ἀλλ᾽ οἷς μετὰ τὴν ἔκθεσιν ἐπιλέγομεν τὸν λόγον, ὅτου εἰκών ἐστιν. Ähnlich p. 76,6-7 Sp.: ἐπεὶ γὰρ καὶ αὐτὸς ὁ μυθοποιὸς ὁμολογεῖ καὶ ψευδῆ καὶ ἀδύνατα συγγράφειν, πιθανὰ δὲ καὶ ὠφέλιμα […]. Zu diesem Aspekt vgl. bes. GANGLOFF (2002) und MORALEJO (2003); außerdem ACOSTA/LUZ (1994). 11 Vgl. BOMPAIRE (1958), 37: «Dès le progymnasma apparaît le caractère de toutes les compositions rhétoriques: elles donnent au monde imaginaire et mort des livres (ou réputé tel) la préférence sur le monde vivant». 12 Vgl. z. B. Progymn. p. 61,28-62,10 Sp.: ἡ δὲ ἀνάγνωσις, ὡς τῶν πρεσβυτέρων τις ἔφη, Ἀπολλώνιος δοκεῖ μοι ὁ Ῥόδιος, τροφὴ λέξεώς ἐστι· τυπούμενοι γὰρ τὴν ψυχὴν ἀπὸ καλῶν παραδειγμάτων κάλλιστα καὶ μιμησόμεθα· τὴν δὲ ἀκρόασιν τίς οὐκ ἂν ἀσμενίσειε, τὰ μετὰ πόνων τοῖς ἄλλοις εἰργασμένα ἑτοίμως λαμβάνων; ἀλλ᾽ ὥσπερ τοῖς ζωγραφεῖν βουλομένοις οὐδὲν ὄφελος κατανοεῖν τά τε Ἀπελλοῦ καὶ Πρωτογένους καὶ Ἀντιφίλου ἔργα, ἐὰν μὴ καὶ αὐτοὶ γράφειν ἐπιχειρῶσιν, οὕτω καὶ τοῖς ῥητορεύειν μέλλουσιν οὔτε τῶν πρεσβυτέρων οἱ λόγοι, οὔτε τῶν διανοημάτων τὸ πλῆθος, οὔτε τὸ περὶ τὴν λέξιν καθαρόν, οὔτε σύνθεσις ἡρμοσμένη, οὔτε ἀκρόασις ἀστεία, οὔτε ὅλως τῶν ἐν τῇ ῥητορικῇ καλῶν οὐδέν ἐστι χρήσιμον, ἐὰν μὴ καὶ αὐτὸς ἕκαστος ταῖς καθ᾽ ἑκάστην ἡμέραν γραφαῖς ἐγγυμνάζηται. Ähnlich p. 65,22ff. Sp. – Zu diesem Thema vgl. auch BOMPAIRE (1958), 41f. u. a. mit Verweis (Anm. 4) auf Plut., De audiendo 18, 48 B-D.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Schüler ist es, dazu eine passende Fabel zu konstruieren. Auffällig ist dabei vor allem die Anweisung des Lehrers oder etwas genauer das, was sie impliziert. Zum Zweck einer erfolgreichen Durchführung der Übung empfiehlt Theon nämlich, das mythische Material sehr frei und sehr kreativ zu behandeln. Nicht nur darf (und sollte) man unterschiedliche Mythen zusammenbringen, die an sich wenig miteinander zu tun haben, sondern es war auch explizit erwünscht, der eigenen Phantasie freien Lauf zu lassen, indem man Personen und Situationen von Grund auf erfindet: Τὴν γὰρ τοῦ ἐπιλόγου δύναμιν ἁπλῆν προτείναντες προστάξομεν τοῖς νέοις μῦθόν τινα πλάσαι τῷ προτεθέντι πράγματι οἰκεῖον· προχείρως δὲ τοῦτο ποιεῖν δυνήσονται πολλῶν ἐμπλησθέντες μύθων, τοὺς μὲν ἐκ τῶν παλαιῶν συγγραμμάτων ἀνειληφότες, τοὺς δὲ καὶ αὐτοὶ μόνον ἀκούσαντες, τοὺς δὲ καὶ παρ’ ἑαυτῶν ἀναπλάσαντες.13

Diese Stelle ist von Bedeutung, weil sie gut zeigt, dass man mit Mythen durchaus frei und kreativ umging. Die primäre und wichtigste Form der Rezeption und Wahrnehmung der Mythen war mit anderen Worten eine aktive: Im Wesentlichen kam es für Schüler und Lehrer auf das narrative Reproduzieren dieser Geschichten in all ihren verschiedenen Formen an.14 Wie ernst diese Übungen für sie zu nehmen waren und wie viel Fleiß in sie eingeflossen sein dürfte, ist aus der folgenden Bemerkung eindeutig abzulesen, welche den Sinn, der hinter diesen Übungsformen steckte, verrät: Diese Exerzitien „paraliterarischer Natur“ entsprachen im Grunde dem, was der Rhetor später vor Gericht machen wird: Ὡς δὲ καὶ παντελῶς εἰσιν ὠφέλιμα τοῖς τὴν ῥητορικὴν δύναμιν ἀναλαμβάνουσιν, οὐδὲ τοῦτο ἄδηλον. ὅ τε γὰρ καλῶς καὶ πολυτρόπως διήγησιν καὶ μῦθον ἀπαγγείλας καλῶς καὶ ἱστορίαν συνθήσει, καὶ τὸ ἰδίως ἐν ταῖς ὑποθέσεσι καλούμενον [ἴδιον] διήγημα (οὐδὲ γὰρ ἄλλο τί ἐστιν ἱστορία ἢ σύστημα διηγήσεως) [ὅταν] ὁ ἀνασκευάσαι ταῦτα καὶ κατασκευάσαι δυνάμενος, μὴ μικρὸν ἀπολείπηται τῶν τὰς ὑποθέσεις λεγόντων· πάντα γὰρ ὅσα ποιοῦμεν ἐν ταῖς δικανικαῖς ὑποθέσεσι, καὶ ἐνταῦθά ἐστι.15

Die Form von Kreativität, die man anhand des Mythos auf diese Weise entfaltete, war also von vornherein „professionell geprägt“, d. h. auf die Praxis im Sinne der gerichtlichen Beredsamkeit bezogen. _____________ 13 Progymn. p. 75,31-76,5 Sp. 14 Etwas konkreter (Progymn. p. 74,2-8 Sp.): καὶ τοῦτο τὸ γύμνασμα· καὶ γὰρ ἀπαγγέλλομεν τὸν μῦθον καὶ κλίνομεν καὶ συμπλέκομεν αὐτὸν διηγήματι, καὶ ἐπεκτείνομεν καὶ συστέλλομεν, ἔστι δὲ καὶ ἐπιλέγειν αὐτῷ τινὰ λόγον, καὶ αὖ λόγου τινὸς προτεθέντος, μῦθον ἐοικότα αὐτῷ συμπλάσασθαι· ἔτι δὲ πρὸς τούτοις ἀνασκευάζομεν καὶ κατασκευάζομεν. 15 Progymn. p. 60,1-10 Sp.

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1. Die προγυμνάσματα des Theon und Lukian

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Die spezifische Aufgabe (ἔργον) des Rhetors ist es, das noch Zweifelhafte durch Beweise zu bekräftigen und das, was schon sicher bzw. bewiesen ist, rhetorisch zu amplifizieren (αὐξῆσαι).16 Zu didaktischen Zwecken bedeutet dies, dass sich der Schüler – nach der Anfangsphase der Lektüre und des Zuhörens17 – zunächst darin einübt, das Unumstrittene zu erweitern und zu verzieren (denn dies ist ja die leichtere Übung und soll deswegen, obwohl sie nicht der Ordnung der Natur entspricht, als erste kommen: ῥᾷον δὲ αὐξῆσαι τὸ φανερὸν ἢ τὸ ἀφανὲς ἀποδεῖξαι),18 und erst danach sich die Fähigkeit der Widerlegung (ἀνασκευή) von Sentenzen, Mythen usw. aneignet.19 All dies hatte zur Folge, dass man ganz und gar „ungehemmt“ an die Mythen heranging: Genauso wie die Materie eines Prozesses (die Fakten) wurden sie auseinander gerissen, im Sinne der refutatio (ἀνασκευή), und wieder aufgebaut, im Sinne der probatio (κατασκευή). Bedeutend scheint mir vor allem die Tatsache zu sein, dass man schon in der Schule keineswegs gehalten war, den Mythos auf positive Weise darzustellen, d. h. ihn in gewisser Weise zu schonen, sondern ganz im Gegenteil war seine Dekonstruktion im Prinzip vorgesehen und wurde tatsächlich praktiziert. Das Hauptaugenmerk in den Übungen (um von Theon her zu urteilen) lag höchstwahrscheinlich vorwiegend auf diesem destruktiven Teil. Er zählt nämlich, jeweils mit einem kurzen Kommentar bzw. einer Exemplifizierung, eine lange Reihe von τόποι auf, die sich zu diesem Zweck gut eignen: Ληπτέον δὲ τὰ ἐπιχειρήματα ἐκ τόπων τῶνδε· 1. ἐκ τοῦ ἀσαφοῦς, 2. ἐκ τοῦ ἀπιθάνου, 3. ἐκ τοῦ ἀπρεποῦς, 4. ἐκ τοῦ ἐλλιποῦς, 5. ἐκ τοῦ πλεονάζοντος, _____________ 16 Progymn. p. 65,1-7 Sp.: ὡμολόγηται γὰρ παρὰ πᾶσιν, ὅτι τοῦ ῥήτορος ἔργον ἐστὶ τό τε ἀποδεῖξαι τὰ ἀμφισβητούμενα καὶ τὸ αὐξῆσαι τὰ ἀποδεδειγμένα· προτερεῖ μὲν οὖν τῇ φύσει καὶ τῇ χρήσει ὁ ἀποδεικτικὸς λόγος, ἕπεται δὲ ὁ αὐξητικός· πρότερον γὰρ δεῖ τινα ὡς προδότην ἐλέγξαι, εἶτα ὡς ἐπὶ μεγάλῳ ἀδικήματι τῇ προδοσίᾳ τοὺς ἀκούοντας παροξῦναι. 17 Progymn. p. 65,22-25 Sp.: τῇ δὲ ἀναγνώσει καὶ τῇ ἀκροάσει καὶ τῇ παραφράσει χρησόμεθα ἀπ᾽ ἀρχῆς, τῇ δὲ ἐξεργασίᾳ καὶ πολλῷ μᾶλλον τῇ ἀντιῤῥήσει, ὅταν ἕξιν τινὰ περιποιησώμεθα. 18 Progymn. p. 65,11f. Sp. 19 Progymn. p. 65,17-22 Sp.: μετὰ δὲ ταῦτα καὶ πρὸς τοῖς ἀμφισβητουμένοις γυμνάσμασι τὴν ἄσκησιν ποιησόμεθα. ἔστι δὲ πρῶτον αὐτῶν ἡ τῶν χρειῶν ἀνασκευή, εἶτα τῶν Αἰσωπείων λόγων καὶ τῶν ἱστορικῶν καὶ μυθικῶν διηγήσεων, εἶτα ἡ τῶν θέσεων, καὶ ἑξῆς ἡ τῶν νόμων.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

6. ἐκ 7. ἐκ 8. ἐκ 9. ἐκ 10. ἐκ 11. ἐκ

τοῦ ἀσυνήθους, τοῦ μαχομένου, τῆς τάξεως, τοῦ ἀσυμφόρου, τοῦ ἀνομοίου, τοῦ ψευδοῦς.20

Bestätigt wird hier noch einmal die oben geäußerte Ansicht, dass der Mythos oder genauer das Werk des Mythographen, nicht auf die leichte Schulter genommen wurde. Ganz im Gegenteil wird er als ein präzis und kohärent strukturiertes Gebilde angesehen, und entsprechend hoch sind die grundsätzlichen Anforderungen an Glaubwürdigkeit (etwa Punkte 221 und 6), Kohärenz (Punkt 722) und Wahrhaftigkeit (Punkt 1123), die man an ihn stellte; und genau diese und ähnliche „Schwachstellen“ sucht und, falls er sie entdeckt, hebt Lukian hervor, wenn er entweder Kritik üben will oder Ansatzpunkte für seine Parodien braucht. Aus dieser Perspektive heraus betrachtet, verliert u. a. die Unterscheidung, die Theon anfangs (und recht flüchtig),24 zwischen äsopischen Mythen einerseits, d. h. jenen mit einer „Moral“ bzw. der Funktion eines Sinnbildes, und den mythischen Erzählungen andererseits macht, wie man

_____________ 20 Progymn. p. 76,18-22 Sp. 21 Progymn. p. 76,32-77,9 Sp.: τὸ δὲ ἀπίθανόν ἐστι τὸ δυνατὸν μὲν γενέσθαι ἢ λελέχθαι, ἀπιστούμενον δὲ εἰ γέγονεν ἢ εἴρηται ἤτοι διὰ πρόσωπον, ἐφ᾽ ὃ ἡ πρᾶξις ἢ ὁ λόγος ἀναφέρεται, ἢ διὰ τὸν τόπον, ἐν ᾧ λέγεται γενέσθαι τι ἢ εἰρῆσθαι, ἢ διὰ τὸν χρόνον, καθ᾽ ὃν λέγεταί τι γενέσθαι ἢ λελέχθαι, ἢ διὰ τὸν τρόπον τῆς πράξεως ἢ τοῦ λόγου, ἢ διὰ τὴν αἰτίαν τῶν αὐτῶν τούτων λεγόντων ἡμῶν ὅτι οὐκ εἰκός ἐστι τῷ τοιούτῳ τόδε τι πρᾶξαι ἢ τόδε τι εἰπεῖν, ἐν τούτῳ τῷ τόπῳ, ἢ κατὰ τοῦτον τὸν [τόπον ἢ] χρόνον, ἢ τοῦτον τὸν τρόπον, ἢ διὰ ταύτην τὴν αἰτίαν. 22 Progymn. p. 77,14-20 Sp.: τὸ δὲ ἀσυνηθές ἐστι τὸ παρὰ τὴν πεπιστευμένην ἱστορίαν, ἢ τὸ παρὰ τὰς κοινὰς ὑπολήψεις λεγόμενον, οἷον εἴ τις τοὺς ἀνθρώπους μὴ πεπλάσθαι εἴποι ὑπὸ τοῦ Προμηθέως, ἀλλ᾽ ὑπ᾽ ἄλλου τινὸς τῶν θεῶν, ἢ τὸν ὄνον φρόνιμον εἴποι, ἢ ἀνόητον τὴν ἀλώπεκα. ὁ δὲ ἐκ τοῦ μαχομένου τόπος τοιοῦτός ἐστιν, ὅταν δείξωμεν αὐτὸν ἑαυτῷ μαχόμενον τὸν μυθογράφον. 23 Progymn. p. 77,32-78,3 Sp.: ἐκ δὲ τοῦ ψευδοῦς, ὅταν μὴ κατὰ πᾶν συμβαίνῃ, ὥς φησιν ὁ μυθογράφος, ὅτι οἱ τῶν πλειόνων ὀρεγόμενοι καὶ τῶν ὄντων στερίσκονται· οὐ γὰρ ἀεὶ τοῦτο ἀληθές ἐστιν. 24 Progymn. p. 76,28-32 Sp.: Μῦθός ἐστι λόγος ψευδὴς εἰκονίζων ἀλήθειαν, εἰδέναι δὲ χρή, ὅτι μὴ περὶ παντὸς μύθου τὰ νῦν ἡ σκέψις ἐστίν, ἀλλ᾽ οἷς μετὰ τὴν ἔκθεσιν ἐπιλέγομεν τὸν λόγον, ὅτου εἰκών ἐστιν.

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1. Die προγυμνάσματα des Theon und Lukian

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sie bei den Dichtern und Historikern findet,25 größtenteils ihre Bedeutung, denn beide werden gleichermaßen zerstört. Im Rahmen einer Beweisführung bzw. einer Widerlegung stellt nun natürlich auch das Unglaubwürdige für einen selbstbewussten Rhetor, der sein Handwerk beherrscht, keine Schwierigkeit dar. Man muss – rät Theon prägnant seinen Schülern – u. U. dazu im Stande sein, auch das Unglaubwürdige überzeugend, d. h. glaubwürdig, zu erzählen: δεῖ δὲ…καὶ τὸ ἀπιστούμενον πιστῶς λέγειν.26

Dazu konnten nicht nur die auf p. 78ff. Sp. vorgeschlagenen Strategien dienen. Die Rhetorikschule kennt auch einen etwas raffinierteren, weniger frontalen Weg, um eine mythologische Erzählung sozusagen „von innen“ zu entleeren, d. h. aufzuheben. An einer Stelle äußert Theon nämlich eine Art „rationalistisches Prinzip“ und sagt, dass ein guter rhetorischer Effekt bisweilen dadurch erzeugt wird, dass man rein natürliche Ursachen bzw. „historische“ Erklärungen für die ursprüngliche Entstehung der mythischen Fabeln (ὅθεν παρεῤῥύηκεν ὁ τοιοῦτος λόγος) präsentiert, kurz: indem man offenbart, wofür der Mythos sinnbildlich steht. Dafür kann man sich u. a. auf angesehene Vorgänger wie Herodot, Platon und Ephoros berufen, die dieses Verfahren angewendet haben, und außerdem kennt Theon Werke, welche das Thema monographisch behandelten (Palaiphatos wird namentlich aufgeführt).27 _____________ 25 Progymn. p. 95,3-5 Sp.: οἱ δ᾽ αὐτοὶ οὗτοι [sc. τόποι] ἁρμόττουσι καὶ πρὸς τὰς μυθικὰς διηγήσεις τάς τε ὑπὸ τῶν ποιητῶν καὶ τὰς ὑπὸ τῶν ἱστορικῶν λεγομένας περί τε θεῶν καὶ ἡρώων. 26 Progymn. p. 84,21-3 Sp.; hier die Stelle in voller Länge (p. 84,21-6 Sp.): δεῖ δὲ καὶ τὰς αἰτίας βραχέως προστιθέναι τῇ διηγήσει, καὶ τὸ ἀπιστούμενον πιστῶς λέγειν, καὶ ἁπλῶς στοχάζεσθαι προσήκει τοῦ πρέποντος τῷ τε προσώπῳ καὶ τοῖς ἄλλοις στοιχείοις τῆς διηγήσεως κατά τε τὰ πράγματα καὶ κατὰ τὴν λέξιν. 27 Progymn. p. 95,8-96,14 Sp.: τὸ δὲ μὴ μόνον ἀνασκευάζειν τὰς τοιαύτας μυθολογίας, ἀλλὰ καὶ ὅθεν παρεῤῥυηκεν ὁ τοιοῦτος λόγος ἀποφαίνειν τελεωτέρας ἐστὶν ἕξεως ἢ κατὰ τοὺς πολλούς, (a.) ὅπερ πεποίηκεν Ἡρόδοτος μὲν ἐν τῇ δευτέρᾳ περὶ τῶν πελειάδων διηγούμενος, ὡς ἐξέπτησαν ἐξ Αἰγύπτου, καὶ ἡ μὲν εἰς Δωδώνην, ἡ δὲ εἰς Ἄμμωνος ἀφίκετο, ἐξηγούμενός τε τὸ μυθολόγημά φησιν, ὅτι παρθένοι τινὲς ἐκ Θηβῶν τῶν Αἰγυπτίων ἦσαν ἱέρειαι, ὧν ἡ μὲν εἰς Δωδώνην ἐπράθη, ἡ δὲ εἰς Ἄμμωνος, καὶ ἐπειδὴ βαρβαριστὶ ἐφθέγγοντο καὶ ἀξυνέτως τοῖς ἐπιχωρίοις, λόγος κατέσχεν ὡς ὄρνιθες ἦσαν. (b.) Πλάτων δὲ ἐν τῷ Φαίδρῳ τὸ περὶ τῆς Ὠρειθυίας καὶ τοῦ Βορέου διήγημα οὐκ ἀποδεχόμενός φησι τὴν Ὠρείθυιαν πνεῦμα βορέου κατὰ τῶν πλησίον πετρῶν σὺν Φαρμακείᾳ παίζουσαν ὦσαι, καὶ οὕτω δὴ λεχθῆναι ὑπὸ τοῦ βορέου ἀνάρπαστον γεγονέναι. (c.) καὶ μέντοι καὶ Ἔφορος ἐν τῇ τετάρτῃ χρῆται τούτῳ τῷ τρόπῳ, ὅτι ἄρα Τιτυὸς μὲν ἦν Πανοπέως δυνάστης, ἀνὴρ παράνομος καὶ βίαιος, Πύθων δὲ θηριώδης τὴν φύσιν, δράκων ἐπικαλούμενος, οἱ δὲ περὶ τὴν πάλαι μὲν Φλέγραν, νῦν δὲ Παλλήνην ὀνομαζομένην κατοικοῦντες ἦσαν ἄνθρωποι ὠμοὶ καὶ ἱερόσυλοι καὶ ἀνθρωποφάγοι, οἱ καλούμενοι Γίγαντες, οὓς Ἡρακλῆς λέγεται χειρώσασθαι

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Jede Erzählung ist im Grunde eine Darlegung oder Darbietung (Theon sagt ἐκφέρειν) von «Fakten» (πράγματα). Nun lehrt uns die Erfahrung, dass es in der Natur der menschlichen Dinge liegt, dass diese Darlegung oft nicht auf einfache, direkte, nüchterne Art und Weise geschieht, sondern sie die verschiedenen Gemütslagen und inneren Haltungen der Menschen (nämlich die Disposition zum Zweifel, zur Hoffnung, zum Befehl, zum Dialog usw.) insofern stark reflektiert, als diese letzteren sie prägen und formen. Dementsprechend kann man also im Prinzip jede Erzählung, wie beschaffen auch immer sie ursprünglich sein mag, in ein beliebig anderes dieser Register transponieren.28 Unmittelbar nach der Aufstellung dieses Prinzips in der Theorie schickt sich Theon an, es durch konkrete Beispiele zu verdeutlichen. Über ganze fünf Seiten formt er mit staunenswerter Virtuosität einen kurzen und simplen „Mustersatz“ aus dem II. Buch des Thukydides29 vielfältig um. Besonders beeindruckend ist dabei der Fall der dialogischen Umformung,30 denn beim Lesen dieser _____________ τὴν Τροίαν ἑλών, καὶ διὰ τὸ κρατῆσαι τοὺς περὶ τὸν Ἡρακλέα ὀλίγους ὄντας τῶν Γιγάντων πολλῶν ὄντων καὶ ἀσεβῶν θεῶν ἔργον ἅπασιν ἐδόκει γεγονέναι τὸ περὶ τὴν μάχην, καὶ ὅσα ἄλλα τοιαῦτα ἐπιλύεται περὶ τοῦ Λυκούργου καὶ Μίνωος καὶ Ῥαδαμάνθυος καὶ Διὸς καὶ κουρήτων καὶ τῶν ἄλλων τῶν ἐν τῇ Κρήτῃ μυθολογουμένων· (d.) καὶ Παλαιφάτῳ τῷ Περιπατητικῷ ἐστιν ὅλον βιβλίον περὶ τῶν ἀπίστων ἐπιγραφόμενον, ἐν ᾧ τὰ τοιαῦτα ἐπιλύεται, οἷον ὅτι Κένταυροι μὲν ὑπελήφθησαν οἱ πρῶτοι ἐπὶ ἵπποις ὀχούμενοι ὀφθέντες, Διομήδης δὲ Θρᾷξ ἐς ἱπποτροφίαν ἐξαναλωθεὶς ἐλέχθη ὑπὸ τῶν αὑτοῦ ἵππων ἀπολωλέναι, κατὰ δὲ τὸν αὐτὸν λόγον καὶ Ἀκταίων ὑπὸ τῶν κυνῶν, ἡ δὲ Μήδεια βάπτουσα τὰς ἐπὶ τῆς κεφαλῆς τῶν ἀνθρώπων πολιὰς καὶ μελαίνας ποιοῦσα ἐφημίσθη τοὺς γέροντας εἰς λέβητα κατακόπτουσα νέους ποιεῖν, καὶ τὰ παραπλήσια τούτοις. Auch Aristoteles wird in diesem Zusammenhang zitiert (p. 74,25 Sp.). 28 Progymn. p. 87,13-21 Sp.: ἐπεὶ δὲ εἰώθαμεν ἐκφέρειν τὰ πράγματα ἐνίοτε μὲν ὡς ἀποφαινόμενοι, ἐνίοτε δὲ ὡς πλέον τι τοῦ ἀποφαίνεσθαι ποιοῦντες, καὶ ἐνίοτε μὲν ὡς ἐρωτῶντες, ἄλλοτε δὲ ὡς πυνθανόμενοι, ἔσθ᾽ ὅτε δὲ ὡς ἐπαποροῦντες, καὶ ἄλλοτε μὲν ὡς προστάττοντες, ἄλλοτε δὲ ὡς εὐχόμενοι, καί ποτε μὲν ὡς ὀμνύοντες, ποτὲ δὲ ὡς προσαγορεύοντες, ἄλλοτε δὲ ὑποτιθέμενοι, ποτὲ δὲ προσδιαλεγόμενοι· ἐνδέχεται γὰρ κατὰ πάντας τούτους τοὺς τρόπους ἐκφέρειν ποικίλλοντας τὰς διηγήσεις. 29 Thuc., Hist. II 2: Θηβαίων ἄνδρες ὀλίγῳ πλείους τριακοσίων […] ἐσῆλθον περὶ πρῶτον ὕπνον ξὺν ὅπλοις ἐς Πλάταιαν τῆς Βοιωτίας, οὖσαν Ἀθηναίων ξυμμαχίδα. Zur Rezeption der Historiker in der antiken Schule vgl. GIBSON (2004). 30 Progymn. p. 89,29-90,15 Sp.: εἰ δὲ διαλογικῶς ἀπαγγέλλειν βουλοίμεθα, ὑποθησόμεθά τέ τινας ἀλλήλοις διαλεγομένους περὶ τῶν πεπραγμένων, καὶ τὸν μὲν διδάσκοντα τὸν δὲ μανθάνοντα τὰ γεγενημένα, οἷον· “πολλάκις μέν σε καὶ πρότερον ἐπῆλθεν ἔρεσθαί μοι περὶ τῶν ἐν Πλαταιαῖς συμβεβηκότων Θηβαίοις τε καὶ Πλαταιεῦσιν, ἀτὰρ καὶ νῦν ἡδέως ἂν ἀκούσαιμι, εἴ σοι ἐν καιρῷ ἐστι διηγήσασθαι.” “ἀλλὰ νὴ Δία καιρός ἐστι, καὶ δὴ καὶ ἤδη σοι λέγω, εἴπερ, ὥς φῃς, ἐπιθυμίαν ἔχεις ἀκοῦσαι περὶ τούτων· Θηβαῖοι γὰρ ἀεὶ διάφοροι ὄντες τοῖς Πλαταιεῦσιν ἐβούλοντο τὴν Πλάταιαν ἐν εἰρήνῃ προκαταλαβεῖν. ἄνδρες οὖν ἐξ αὐτῶν ὀλίγῳ πλείους τριακοσίων εἰσῆλθον περὶ πρῶτον ὕπνον σὺν ὅπλοις εἰς

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1. Die προγυμνάσματα des Theon und Lukian

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Passage kann man nicht umhin, sich sofort an die lukianische Kunst erinnert zu fühlen: Aus einem Detail (z. B. aus Homer oder Herodot) wird eine vollständige Szene aufgebaut, die dann ihr eigenes Leben erhält.31 Was genau – fragen wir zuletzt – hätte nun der durchschnittliche Rhetorikschüler32 aus Stellen (oder, wenn man so will, Demonstrationen) wie dieser, z. T. wohl nur auf sozusagen „subliminale“ Weise, lernen können? Natürlich das „Thema-und-Variationen-Prinzip“, von welchem ANDERSON gerne spricht. Möglicherweise aber auch noch mehr als nur das, nämlich das (wie man es nennen könnte) Prinzip der völlig uneingeschränkten Manipulierbarkeit der Texte (jeden Textes), das keine Grenzen außer den rein „technischen“ des rhetorischen Handwerks kennt: Aus einem historischen Passus darf man einen platonischen Dialog machen.33 Eine abschließende Bemerkung: Die Schule ist oft kein Ort des Vergnügens.34 Dementsprechend taucht auch in Theons Beschreibungen eine fundamentale Komponente der antiken Wahrnehmung der Mythen nie auf, nämlich das Vergnügen und die Freude, welche antike Menschen im Umgang mit den Mythen ihrer eigenen Kultur empfanden und welche in der Regel recht groß gewesen sein dürften. Dies ist z. B. einer Stelle des Octavius des Minucius Felix zu entnehmen, in der, obwohl dieses Detail nur ein sekundärer Teil der direkten Argumentationslinie ist, dennoch sehr auffällig ins Auge springt, dass das Problem nicht so sehr darin bestand, dass die Mythen gänzlich absurd wären (das sahen wohl auch die _____________

31 32 33

34

τὴν πόλιν, οὖσαν Ἀθηναίων συμμαχίδα.” “πῶς οὖν νυκτὸς οὔσης καὶ τῶν πυλῶν κεκλεισμένων, ἔτι δὲ καὶ φυλακῆς καθεστηκυίας ῥᾳδίως ἔλαθον εἰσελθόντες;” “μικρὸν μὲν ἔφθης, ἐπεὶ καὶ αὐτὸς ἔμελλον εἰπεῖν, ὅτι τὰς πύλας ἀνέῳξαν αὐτοῖς ἄνδρες, Ναυκλείδης τε καὶ οἱ μετ᾽ αὐτοῦ, φυλακῆς οὐδεμιᾶς προκαθεστηκυίας διὰ τὴν εἰρήνην”, καὶ τὰ ἑξῆς. Vgl. ANDERSON (1976a), 64: «Theon (Spengel II p. 44) supplies the vital information that Eupolis Demoi contains a classic example of εἰδωλοποιία; and this fact is enough to supply the whole plot of the Piscator». WINTER (2002), 19-39. Diese Tendenz oder Mentalität ging so weit, dass man sogar bei den Klassikern (rechtfertigende?) Beispiele für diese Manipulation zu suchen begann, so will z. B. Demetr., De eloc. 113 (III 287,7ff. Sp.; vgl. BOMPAIRE [1958], 82, Anm. 2) zeigen, wie Thukydides Homer manipuliert hätte: Θουκυδίδης μέντοι κἂν λάβῃ παρὰ ποιητοῦ τι, ἰδίως αὐτῷ χρώμενος ἴδιον τὸ ληφθὲν ποιεῖ, οἷον ὁ μὲν ποιητὴς ἐπὶ τῆς Κρήτης ἔφη· ‘ Κρήτη τις γαῖ᾿ ἐστι μέσῳ ἐνὶ οἴνοπι πόντῳ,/ καλὴ καὶ πίειρα, περίρρυτος ’ [Od. 19, 172f.]. ὁ μὲν δὴ ἐπὶ τοῦ μεγέθους ἐχρήσατο τῷ περίρρυτος, ὁ δὲ Θουκυδίδης [Hist. IV 64] ὁμονοεῖν τοὺς Σικελιώτας καλὸν οἴεται εἶναι, γῆς ὄντας μιᾶς καὶ περιρρύτου, καὶ ταὐτὰ πάντα εἰπών, γῆν τε ἀντὶ νήσου καὶ περίρρυτον ὡσαύτως, ὅμως ἕτερα λέγειν δοκεῖ, διότι οὐχ ὡς πρὸς μέγεθος, ἀλλὰ πρὸς ὁμόνοιαν αὐτοῖς ἐχρήσατο. Vgl. die faszinierenden Ausführungen von ROOD (2004), bes. 1-13.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Heiden selbst), sondern dass die heidnischen Leser eine unwiderstehliche Freude an ihnen hatten.35 Genau diese unwiderstehliche Freude empfand auch Lukian; sie ist überall in seinem Werk spürbar.

_____________ 35 Minuc. Fel., Oct. 20, 2f.: «Quod si providentia mundus regitur et unius dei nutu gubernatur, non nos debet antiquitas inperitorum fabellis suis delectata vel capta ad errorem mutui rapere consensus, cum philosophorum suorum sententiis refellatur, quibus et rationis et vetustatis adsistit auctoritas. Maioribus enim nostris tam facilis in mendaciis fides fuit, ut temere crediderint etiam alia monstruosa, mera miracula: Scyllam multiplicem, Chimaeram multiformem et Hydram felicibus vulneribus renascentem et Centauros equos suis hominibus inplexos, et quicquid famae licet fingere, illis erat libenter audire» (Zitat nach der Ausgabe M. Minuci Felicis Octavius, edidit B. KYTZLER, ed. corr., [BT] Stutgardiae u. a. 1992).

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2. Religionskritik in Lukians Dialogi Deorum I confess that I always feel foreignness in his work, and that I can never quite do him justice. G. HIGHET, The Anatomy of Satire (1962)

2.1. Einleitung 2.1.1. Bemerkungen zu einigen Kernfragen der Interpretation Die Entscheidung, sich bei der Lektüre eines Werkes von einer Hauptkategorie leiten zu lassen, führt jeweils zu bedeutenden Unterschieden im interpretatorischen Endergebnis, ein Zusammenhang, der m. E. im Falle der Dialogi Deorum besonders evident wird. So las H. BLÜMNER die D.Deor. hauptsächlich auf der Suche nach Verweisen auf Kunstwerke, R.B. BRANHAM erörtert dagegen vor allem die Frage der Abhängigkeit von literarischen Modellen,1 während andere Autoren wie D. MAGINI oder K. KORUS ausschließlich Aspekten wie der narrativen Technik dieser Dialoge2 bzw. ihrer Rolle innerhalb der Entwicklungsgeschichte der Gattung des Mimos3 nachgehen. Natürlich ist keine dieser Perspektiven an sich falsch, aber alle bergen in sich die große Gefahr, Analysen zu bieten, die in ihrer Einseitigkeit dem eigentlichen Charakter dieses Werkes nicht gerecht werden. Dieser scheint mir nämlich die feste Verbindung recht verschiedener Aspekte zu sein. Daher gilt es vor allem, das nicht zu trennen, was fest und innig zusammengehört. Viel zu wenig bzw. kaum Beachtung ist im Rahmen der Diskussion über die Rolle des Mythos in den D.Deor. einem entscheidenden Aspekt geschenkt worden:4 Die D.Deor. stellen keine Mythen, sondern nur einzelne kurze Momente aus den Mythen dar. Man könnte sagen, dass man es prinzipiell nur mit Mythenfragmenten zu tun hat und dass dieses „Fragmentarische“ der dominante Aspekt im Horizont des Werkes ist. Dies impliziert u. a. auch, dass sich der Fokus der Aufmerksamkeit auf ganz natürliche Art von der Darstellung der Entwicklung der Geschichte auf ihre Akteure verschiebt. _____________ 1 2 3 4

BRANHAM (1989), 135-63. MAGINI (1996). KORUS (2003). Auf dem richtigen Weg bereits BLÜMNER (1867), 81: «Nun sind manche Stellen in den Gesprächen…wo irgend eine mythische Begebenheit des Langen und Breiten erzählt, in ihre einzelnen Momente zerlegt wird, und zwar im Anschluss an die Denkmäler». Vgl. dagegen z. B. HOPHANS unpräzisen Satz ([1904], 13): «Die von Lukian hier gewählten Stoffe sind an sich nichts Neues, es sind allbekannte Mythen».

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Von zentraler Bedeutung in der Forschung war vor allem die Frage nach der Definition des Satirischen in diesem Werk. Rezeptionsgeschichtlich entstand diese Fragestellung in unmittelbarer Abhängigkeit von einem bestimmten Lukian-Bild, nämlich Lukian als Satiriker. Mit vereinzelten Ausnahmen übertrug man einfach – auf recht mechanische Art und Weise – diese bequeme Qualifikation, die für einen großen Teil der Produktion dieses Autors angemessen schien, auf sein Gesamtwerk.5 So wurde überall bei Lukian nach dem Satirischen gesucht, auch in den Göttergesprächen. Es gibt außerdem einen Aspekt der D.Deor., welcher dermaßen evident ist, dass er immer vollkommen unumstritten gewesen ist. Ich rede vom „ästhetischen“ Aspekt. Schönheit, Anmut, Schlichtheit, Humor, Witz, Heiterkeit, feines sprachliches Gewand, kunstvolles Arrangement und dergleichen mehr: All das sind Eigenschaften, die für jeden, der diese kleinen Texte liest, sofort spürbar sind; und genau dies ist das Besondere an diesem Werk: Die D.Deor. bieten nicht nur den Spezialisten reiches Forschungsmaterial, sondern sie gewähren wirklich jedem Leser einen hohen ästhetischen Genuss. Die D.Deor. sind ein Werk, dessen Lektüre immer mit großer Freude verbunden ist; und es scheint unvernünftig anzunehmen, dass dies in der Antike viel anders gewesen ist. Diese innige Verbindung mit Freude und Genuss anzuerkennen und zu betonen ist allerdings etwas anderes als die Mannigfaltigkeit der D.Deor. ganz und ausschließlich auf solche Kategorien wie „Entertainment“, „Belustigung“ oder „Amüsement“ zu reduzieren, wie es allzu oft geschehen ist.6 Dass jeder diese Texte mit Freude liest, heißt noch lange nicht (noch scheint es dies auf irgendeine Weise zu implizieren), dass sie ausschließlich zum Zweck reinen Entertainments vom Autor verfasst worden seien. Eine angemessene Rekonstruktion des Ethos dieser Dialoge kann nicht mehr auf

_____________ 5 6

Ein Versuch besser auszudifferenzieren im Ansatz von ANDERSON (1982). Vgl. HERMANN (1849), 212: «Weit entfernt also durch seine Göttergespräche mit seinem Volke und seiner Zeit in Opposition zu treten, schrieb er sie offenbar nur zur Erheiterung dieser selbst als Charaktergemälde nach gegebenen Personen»; MARTHA (1865), 351; BLÜMNER (1867), 81; HIRZEL (1895), 295: «…seine »Göttergespräche«, keine Satiren wie man längst eingesehen hat sondern humorvolle Darstellungen wie wir sie schon aus Homer kennen»; HOPHAN, (1904), 13f.: «Die von Lukian hier gewählten Stoffe sind an sich nichts Neues, es sind allbekannte Mythen. Es drängt sich daher die Frage auf nach den Mitteln, die Lukian anwandte, um diese oft gehörten und oft schon behandelten Göttergeschichten nochmals seinen Zeitgenossen bieten zu können. Die Beantwortung dieser Frage wird zur Erkenntnis des inneren Charakters dieser Dialoge führen und im Verein mit anderen Kriterien entscheiden lassen, ob wir es hier mit Satiren auf den Götterglauben zu tun haben»; HELM (1906), 178: «Man hat diese kleinen Werke gründlich verkannt, wenn man sie als Satiren ausgab».

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2. Religionskritik in Lukians Dialogi Deorum

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solchen Vereinfachungen beruhen, wie das glänzende Gegenbeispiel von BRANHAMS Interpretationsansatz gezeigt hat.7 Eine sichere Prämisse, auf der man die weitere Analyse fundieren kann, ist, dass die D.Deor. ein Produkt erstrangiger literarischer Kunst sind, dessen ursprünglicher und primärer Sitz im Leben der Vortragssaal war. Dies musste bei den damaligen Rezipienten einen sehr bestimmten Erwartungshorizont produzieren, in welchen sie die erhaltenen „Informationen“ (etwa die „Informationen“ über die Götter im Falle der D.Deor.) einbetteten. Mit anderen Worten: Der Rahmen für die Aufführung des literarischen Produktes bedingte wesentlich das Verständnis seines Inhalts. Das Studium eines philosophischen Traktats religiösen Inhalts (man denke etwa an die Abhandlungen Über den Aberglauben von Plutarch und Seneca oder an Porphyrios’ Werk Περὶ ἀγαλμάτων) in einem privaten Rahmen, das Ausführen religiöser Praktiken im Tempelbereich oder in einem anderen öffentlichen Kontext und die Teilnahme an einer Veranstaltung, wo ein Sophist wie Lukian seine Göttergespräche rezitierte, waren alles Tätigkeiten bzw. Situationen, in denen die Betroffenen (a.) mit unterschiedlichen Vorstellungen über die Götter konfrontiert wurden (mutatis mutandis besteht heute vielleicht ein ähnlicher Unterschied z. B. zwischen dem Hören einer theologischen Vorlesung über das Alte oder das Neue Testament und der Teilnahme an einem Gottesdienst), und (b.) sie übernahmen natürlich auch selbst jeweils unterschiedliche Rollen und Einstellungen in Situationen, die allein von den rein pragmatischen Anforderungen her klar differenziert waren. Wie empfänglich für die „Anregungen“ aus den jeweiligen Bereichen ein jeder nun war, ob und welchem unter diesen Bereichen man einen absoluten bzw. relativen Vorzug gab, ob diese Wahl einigermaßen konstant blieb oder sich im Laufe des Lebens änderte usw., das sind alles Fragen, deren Beantwortung auf ganz elementare Art und Weise mit der psychischen Verfassung und dem kulturspezifischen Hintergrund des Individuums, also mit seinem individuellen Charakter, zusammenhängen. Als solche sind sie natürlich für einen heutigen Forschungsansatz in den meisten Fällen aus Mangel an entsprechenden Dokumenten historisch nicht mehr zu beantworten. Es scheint jedoch nur konsequent, wenn man annimmt, dass diese „Differenzierung der Bereiche“, also das Wissen um Praxis- und Diskursgrenzen, als normale Komponente ihres Bewusstseins die antiken Rezipienten prägte und sie bei der Rezeption selbst orientierte: Sie wussten – mit anderen Worten –, dass es im Vortragssaal um die Götter der „Literatur“, nicht um die des Tempels oder des Festes ging. Man muss allerdings diese Aussage genau verstehen. Dass nämlich die antiken Menschen sehr wohl _____________ 7

BRANHAM (1989), 157-63.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

in der Lage waren, Grenzen zu ziehen, heißt nicht, dass diese Grenzen für sie immer klar bzw. unüberschreitbar gewesen wären. Dies wird umso mehr einleuchten, sobald man daran denkt, dass (1.) der paganen Religion ein präziser dogmatischer Apparat im Wesentlichen fremd war, und (2.) dass die Vorstellungen und Begriffe ein in der Regel recht unbeständiger und schwer zu fassender Bereich des menschlichen Geistes sind, wo Kontaminationen, Verschiebungen, Umkehrungen und Einflüsse jeder Art nur allzu leicht – und oft nur unterschwellig – stattfinden können. 2.1.2. Die Komödie Ich möchte diesen Zusammenhang durch das Beispiel der Komödie kurz entfalten und präzisieren. Die Alte Komödie brachte häufig Götter auf die Bühne. Nun zeigten auch die Kostüme und Masken dieser göttlichen Figuren die gleichen „übertriebenen“ Merkmale, die so typisch für die komischen Schauspieler sind, wie jene der restlichen Charaktere der Handlung. Diese exzeptionelle Darstellungsweise der Götter sowie ihr Benehmen und ihre Worte, die ja nun wirklich nicht besonders erhaben und vorbildlich waren, erweckten allerdings bei den Zuschauern, soweit wir sehen können, kaum Anstoß, noch schienen sie die „religiösen Gefühle“ des Publikums irgendwie verletzt zu haben. Der Grund dafür sei (argumentiert man), dass die Götter auf der komischen Bühne aus der Sicht von Autor und Publikum nicht mehr als die „wahren“ Götter, denen Verehrung erwiesen wird, betrachtet worden seien, sondern sie seien „Götter“ gewesen, welche sich die Komödie (sei es als „Gattung“, oder als „Literatur“, oder als „Karneval-Phänomen“ im Sinne BACHTINS8 usw.) „angeeignet“, d. h. wesentlich umgewandelt habe, was sich ja u. a. bereits in der besonders auffälligen Prägung ihrer äußeren Erscheinung manifestiere.9 So konnte etwa der Dionysos-Priester in Athen (um ein berühmt gewordenes Beispiel PAUL FRIEDLÄNDERS zu verwenden)10 in einer Aufführung der Frösche sitzen und sich ohne spätere „Gewissensbisse“ amüsieren, denn – graphisch zum Ausdruck gebracht – ein komischer „Gott“ ist kein GOTT mehr. _____________ 8 Vgl. VON MÖLLENDORFF (1995). 9 NILSSON (1955), 779-83 (vgl. auch BURKERT [1977], 290). Auch REVERMANN (2006) bleibt (scheint mir) trotz raffinierterer Formulierung auf der traditionellen Linie, vgl. bes. 149: «This [uglification] does not detract from their status as gods […]. Rather, the uglified god, citizen, or slave is a god (or citizen or slave) in comic disguise, an authentic comic character whom comedy has powerfully appropriated as its own, providing a visual framework for license and carnivalesque inversion». 10 FRIEDLÄNDER (1934), 224.

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Aber impliziert etwa die Tatsache, dass ein deutlicher Unterschied zwischen diesen zwei „Figuren“ des Göttlichen im Bewusstsein der Athener vermutlich vorhanden war, zwangsweise auch, dass die Distanz zwischen beiden so groß war, dass sie als unüberbrückbare Kluft, als radikale Verschiedenheit oder gar Inkompatibilität zu beschreiben ist? Einiges scheint dagegen zu sprechen. Eine der Prämissen, auf denen die (aristophanische) Komödie basierte, war nämlich, dass die Zuschauer aus der Aufführung „etwas mitnahmen“, d. h. – mit anderen Worten – dass sie von der „Botschaft“ des Stücks in irgendeiner Form beeinflusst sein sollten. Andernfalls wäre die ganze polemische Kraft im politischen und religiösen Bereich, die sich bei den Komikern entfaltet, ganz ohne Pointe und vollkommen nutzlos gewesen. Die Komödie ist, so gesehen, „engagierte Kunst“, deren Zweck es nicht war, lediglich gedankenloses Gelächter und billigen Spott zu erzeugen. Auch der Dionysos-Priester fühlte sich also – könnte man sagen – als Zuschauer bzw. als athenischer Bürger angesprochen und war durchaus frei und in der Lage, aus all den dargebotenen Inhalten etwas für sein Leben mitzunehmen. Außerdem bezeugt eine hochinteressante Stelle bei Aelius Aristides (aus späterer Epoche allerdings), dass komische Darstellungen der Götter und Frömmigkeit durchaus auch als widersprüchlich empfunden werden konnten.11 Ähnliches lässt sich auch in Bezug auf die angeblich so „harmlose“ Neue Komödie wiederholen. In einer Passage aus Plutarchs Quaestiones convivales wird nämlich deutlich, dass einer der Beteiligten am Gespräch Menanders Stücken die Fähigkeit, einen positiven Einfluss auf die Moral der Zuhörer zu haben, zuschreibt.12 _____________ 11 Vgl. Aristid., or. 29, 11f. KEIL: καὶ μὴν εἰ μὲν φίλον αὐτὸ [sc. die Aufführung von Komödien] νομίζομεν τοῖς θεοῖς, τἀναντία ἡμῖν αὐτοῖς γιγνώσκομεν, φυλαττόμενοι ταὐτὸν τοῦτο, ὁπόταν προσίωμεν τοῖς θεοῖς, εἰ δ᾽ ἐχθρὸν ἡγούμενοι χαίρομεν αὐτῷ, πῶς εὐσεβῶς διακείμεθα; ἢ πῶς διὰ τούτων τιμῶμεν τοὺς θεοὺς, ἃ τῶν θεῶν χάριν εἰκὸς ἦν φεύγειν; Θαυμαστὸν δέ μοι φαίνεται, εἰ τὰς μὲν τῶν ὀρνίθων φωνὰς ὡς αἰσιωτάτας ἀξιοῦμεν ἡμῖν γίγνεσθαι, κἂν ἐπὶ τῆς ἐρημίας ὄντες ἢ οὗ τύχοιμεν, τὰς δὲ παρ᾽ ἡμῶν αὐτῶν οὐδ᾽ ἐπὶ τῶν θεάτρων φυλαξόμεθα μὴ οὐ δυσχερεῖς εἶναι. 12 Plut., quaest. conv. VII 8, 712 B-D: περὶ δὲ τῆς νέας κωμῳδίας τί ἂν ἀντιλέγοι τις; οὕτω γὰρ ἐγκέκραται τοῖς συμποσίοις, ὡς μᾶλλον ἂν οἴνου χωρὶς ἢ Μενάνδρου [vgl. PCG 6, 2, test. 104] διακυβερνῆσαι τὸν πότον. ἥ τε γὰρ λέξις ἡδεῖα καὶ πεζὴ κατέσπαρται τῶν πραγμάτων, ὡς μήθ᾽ ὑπὸ νηφόντων καταφρονεῖσθαι μήτ᾽ οἰνωμένους ἀνιᾶν· γνωμολογίαι τε χρησταὶ καὶ ἀφελεῖς ὑπορρέουσαι καὶ τὰ σκληρότατα τῶν ἠθῶν ὥσπερ ἐν πυρὶ τῷ οἴνῳ μαλάττουσι καὶ κάμπτουσι πρὸς τὸ ἐπιεικέστερον· ἥ τε τῆς σπουδῆς πρὸς τὴν παιδιὰν ἀνάκρασις ἐπ᾽ οὐδὲν ἂν πεποιῆσθαι δόξειεν ἀλλ᾽ ἢ πεπωκότων καὶ διακεχυμένων ἡδονὴν ὁμοῦ καὶ ὠφέλειαν. ἔχει δὲ καὶ τὰ ἐρωτικὰ παρ᾽ αὐτῷ καιρὸν πεπωκόσιν ἀνθρώποις καὶ ἀναπαυσομένοις μετὰ μικρὸν ἀπιοῦσι παρὰ τὰς ἑαυτῶν γυναῖκας· οὔτε γὰρ παιδὸς ἔρως ἄρρενός ἐστιν ἐν τοσούτοις δράμασιν, αἵ τε φθοραὶ τῶν παρθένων

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2.1.3. Der Ansatz von R. MACMULLEN Der Religionshistoriker R. MACMULLEN hat die Distanz zwischen den abstrakten theologischen Anstrengungen, Überlegungen und Vertiefungen eines Teils der intellektuellen Elite (in seiner Terminologie „analytical theology“ bzw. „higher criticism“ genannt) und der gängigen konkreten religiösen Orthopraxie der Vielen betont: Die ersteren bildeten in diesem Interpretationsansatz ganz bewusst einen Gegensatz zur zweiten.13 Er begründete dieses Urteil durch die Beobachtung, dass diese scharfe und andauernde Kritik der Volksreligion durch die intellektuelle Elite in Inschriften und Papyri, also im dokumentarischen Bereich, so gut wie keine Spur hinterlassen habe.14 Daher seine Schlussfolgerung, dass sie offenbar keine konkrete (bzw. keine breite) Auswirkung gehabt hatte: «But who cared? The inappropriateness of common forms of worship, seen through the eyes of Seneca or Porphyry, appears not to have deterred a single soul from the inheritance of his tribe. […] No, the literature of religion par excellence was hymns, in every century…; and hymns present a world of ideas quite cut off from the higher criticism».15

Auf Grund dessen, was oben ausgeführt worden ist, sollte man jedoch nicht mit einem beschränkten und starren Bild der Rezeptionsfähigkeit des antiken Menschen in Bezug auf die Verschiedenheit der religiösen Impulse operieren (zu diesem Aspekt vgl. auch 2., infra). Dass die Menschen der Antike nicht jede ihrer Ideen und Überzeugungen auf Stein eingravierten, heißt schließlich nicht, dass diese für sie unwichtig bzw. wenig oder kaum verbreitet gewesen wären. _____________ εἰς γάμον ἐπιεικῶς καταστρέφουσιν· τὰ δὲ πρὸς τὰς ἑταίρας, ἂν μὲν ὦσιν ἰταμαὶ καὶ θρασεῖαι, διακόπτεται σωφρονισμοῖς τισιν ἢ μετανοίαις τῶν νέων, ταῖς δὲ χρησταῖς καὶ ἀντερώσαις ἢ πατήρ τις ἀνευρίσκεται γνήσιος ἢ χρόνος τις ἐπιμετρεῖται τῷ ἔρωτι συμπεριφορὰν αἰδοῦς ἔχων φιλάνθρωπον. ταῦτα δ᾽ ἀνθρώποις ἄλλο μέν τι πράττουσιν ἴσως οὐδεμιᾶς σπουδῆς ἄξι᾽ ἐστίν· ἐν δὲ τῷ πίνειν οὐ θαυμάσαιμ᾽ ἂν εἰ τὸ τερπνὸν αὐτῶν καὶ γλαφυρὸν ἅμα καὶ πλάσιν τινὰ καὶ κατακόσμησιν ἐπιφέρει συνεξομοιοῦσαν τὰ ἤθη τοῖς ἐπιεικέσι καὶ φιλανθρώποις. 13 MACMULLEN (1981), 77. 14 MACMULLEN (1981), 77: «And surely…we would expect some sign of the higher criticism to show in the corpus of surviving inscriptions and papyri. […] Otherwise, of Plutarch, Philodemus, the Pseudo-Aristotle, Lucian, Sextus Empiricus, Celsus, Porphyry, and all the Apologists…there exists not a word, not a scrap of papyrus— against some hundreds of Homer alone». 15 MACMULLEN (1981), 77; vgl. auch die Fortsetzung (ebd.): «The same limits perhaps circumscribed the Apologists. There is no knowing what effect if any they achieved, when they attacked religious customs of their time—idolatry, for instance, or burnt offerings».

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Wie dem auch sei, es scheint mir möglich, wenigstens im besonderen Fall von Lukian die von MACMULLEN aufgeworfene Frage «Who cared?» positiv zu beantworten. Eine bescheidene Antwort könnte etwa lauten: sein Publikum. 2.2. Religionskritik 2.2.1. Der allgemeine Rahmen Ein wichtiges Merkmal des antiken Umgangs mit Religion war die Tatsache, dass ein und dasselbe Individuum ganz offensichtlich die bemerkenswerte Fähigkeit besaß, kontrastierende Ansichten über die religiöse Sphäre und ihre Elemente, die wir als widersprüchlich oder als sehr schwer miteinander vereinbar erachten würden, anscheinend unproblematisch in sich zu vereinen.16 Dieser Aspekt antiker Mentalität, welcher uns heute besonders ins Auge springt, lässt sich an verschiedenen prominenten Figuren beobachten. So koexistieren z. B. bei einem Cicero eine philosophisch bedingte skeptisch-rationalistische Tendenz gegenüber Religion und Hommagen an die traditionellen Kulte,17 und ein Seneca, der einerseits mythologische Tragödien verfasste, konnte in seinen philosophischen Werken gegen die Falschheit der Auffassung des Göttlichen in den Mythen schreiben.18 Erklären lässt sich diese Einstellung weder als mangelnde Kohärenz (d. h. als lediglich individuell bedingter Charakterzug) noch als Anpassung an die strengen Gattungsregeln (also als rein textinterne Dynamik): Sie ist vielmehr ein sehr bedeutendes Kulturmerkmal. Der Beweis dafür ist die theologia tripertita, eine „Theorie“, welche als Versuch gedeutet werden kann, die Schwierigkeit zu bewältigen, scharf kontrastierende Gesichtspunkte miteinander zu vereinbaren.19 Dies könnte als Einwand gegen die hier verfochtene Auffassung des kritischen Potentials der D.Deor. vorgebracht werden. Man könnte ihr nämlich etwa Folgendes entgegenhalten: Wir wissen, dass dem antiken Menschen (dem Publikum der D.Deor.) konstitutiv, d. h. a priori und grundsätzlich, aus unserer Sicht unvereinbare Dimensionen des religiösen Diskurses offen standen. Er war in der Lage, sie alle gleichzeitig zu rezipieren und in seinem Wahrnehmungshorizont nebeneinander existieren zu lassen, ohne deswegen eines zu überwindenden Widerspruchs gewahr zu werden, d. h. ohne das Bedürfnis zu verspüren, sich nur für eine Option, _____________ 16 17 18 19

MACMULLEN (1981), 75. Stellen und Bibliographie bei FEENEY (1998), 19. FEENEY (1998), 16. LIEBERG (1973); FEENEY (1998), 16.

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also nur für eine grundsätzliche Auffassung, welche den Geltungsanspruch der anderen Sichtweisen stark reduziert bzw. ganz aufhebt, zu entscheiden. Dies müsste aber die potentielle „Schärfe“ mancher Aspekte in den D.Deor. neutralisiert haben. 2.2.2. Das Beispiel des Pausanias Im achten Buch seines Werkes, in dem er Arkadien beschreibt, erzählt Pausanias an einer Stelle die von den Arkadiern tradierte Legende des Lykaon. U. a. vergleicht er ihn mit dem Athener Kekrops und kontrastiert die weise Entscheidung des letzteren, Zeus kein Menschenopfer darzubringen, mit dem blutigen Opfer eines Säuglings durch den ersten, welches seine Verwandlung in einen Wolf zur Folge hatte.20 Höchst relevant für meine Zwecke ist der Kommentar, mit welchem Pausanias die Wiedergabe dieses Mythos ergänzt (VIII 2, 4-7), denn daraus geht mit ungewöhnlicher Klarheit die Auffassung des Mythos hervor, die ein Gebildeter dieser Zeit vertreten konnte. Diesem Passus ist keine geringe Bedeutung beizumessen. Zunächst unterscheidet Pausanias die älteren bzw. „archaischen“ Epochen von seiner eigenen Zeit. Was die ersteren charakterisiert, ist, dass damals Götter und Menschen sich viel näher standen, als es später der Fall war. Damals verkehrten sie frei miteinander und hatten vor allem direkte Kontakte (οἱ γὰρ δὴ τότε ἄνθρωποι ξένοι καὶ ὁμοτράπεζοι θεοῖς ἦσαν), die sich u. U. in unmittelbarer Belohnung oder Strafe konkretisierten. Aus diesem Grund (zweiter Schritt) ist die Vorstellung, dass einige Menschen wie Herakles oder Kastor und Pollux zu Göttern gemacht worden sind, für Pausanias durchaus glaubhaft (er verwendet dafür den Indikativ als Modus in seinem Text).21 A fortiori also (dritter Schritt, Schluss der Deduktion) sind auch solche „bescheideneren“ Verwandlungen wie _____________ 20 Paus., Graec. descr. VIII 2, 3: ὁ μὲν [sc. Kekrops] γὰρ Δία τε ὠνόμασεν Ὕπατον πρῶτος, καὶ ὁπόσα ἔχει ψυχήν, τούτων μὲν ἠξίωσεν οὐδὲν θῦσαι, πέμματα δὲ ἐπιχώρια ἐπὶ τοῦ βωμοῦ καθήγισεν, ἃ πελάνους καλοῦσιν ἔτι καὶ ἐς ἡμᾶς Ἀθηναῖοι· Λυκάων δὲ ἐπὶ τὸν βωμὸν τοῦ Λυκαίου Διὸς βρέφος ἤνεγκεν ἀνθρώπου καὶ ἔθυσε τὸ βρέφος καὶ ἔσπεισεν ἐπὶ τοῦ βωμοῦ τὸ αἷμα, καὶ αὐτὸν αὐτίκα ἐπὶ τῇ θυσίᾳ γενέσθαι λύκον φασὶν ἀντὶ ἀνθρώπου (Zitate nach der Ausgabe Pausaniae Graeciae descriptio, recensuit F. SPIRO, 3 voll., [BT] Lipsiae 1903). 21 Paus., Graec. descr. VIII 2, 4: οἱ γὰρ δὴ τότε ἄνθρωποι ξένοι καὶ ὁμοτράπεζοι θεοῖς ἦσαν ὑπὸ δικαιοσύνης καὶ εὐσεβείας, καί σφισιν ἐναργῶς ἀπήντα παρὰ τῶν θεῶν τιμή τε οὖσιν ἀγαθοῖς καὶ ἀδικήσασιν ὡσαύτως ἡ ὀργή, ἐπεί τοι καὶ θεοὶ τότε ἐγίνοντο ἐξ ἀνθρώπων, οἳ γέρα καὶ ἐς τόδε ἔτι ἔχουσιν ὡς Ἀρισταῖος καὶ Βριτόμαρτις ἡ Κρητικὴ καὶ Ἡρακλῆς ὁ Ἀλκμήνης καὶ Ἀμφιάραος ὁ Ὀικλέους, ἐπὶ δὲ αὐτοῖς Πολυδεύκης τε καὶ Κάστωρ.

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die des Lykaon oder der Niobe glaubhaft: οὕτω πείθοιτο ἄν τις καὶ Λυκάονα θηρίον καὶ τὴν Ταντάλου Νιόβην γενέσθαι λίθον (VIII 2, 5), daher auch Pausanias’ Glaube an die arkadische Version des Mythos: καὶ ἐμέ γε ὁ λόγος οὗτος πείθει, λέγεται δὲ ὑπὸ Ἀρκάδων ἐκ παλαιοῦ, καὶ τὸ εἰκὸς αὐτῷ πρόσεστιν (VIII 2, 4). Nun aber kommt der Geograph zur pars destruens. In der Gegenwart, die er kennt, sind nämlich gegenteilige Phänomene gegenüber denen in früheren Zeiten zu konstatieren: Niemand mehr wird zu einem Gott, noch strafen die Götter die Frevler mehr (oder nur, wenn es „zu spät“ [ὀψέ] ist, d. h. nach ihrem Tode). Die einst so enge Verbindung Götter/Menschen hat sich später offenbar gelöst.22 Für diesen neuen Zustand führt Pausanias zwei zusammenhängende Gründe an: Der erste ist die κακία der Menschen, der zweite sind ihre Lügen, denn im Laufe der Zeit fügen sie einer wahren Begebenheit, die sich ursprünglich wirklich ereignet hatte, aber fern in der Vergangenheit liegt, einen ganzen Überbau von Unwahrheiten hinzu. Aus natürlicher Liebe zu den „schönen Geschichten“ mischen die Menschen der Wahrheit erfundene Fabeleien bei und machen dadurch einfache und völlig plausible Fakten in letzter Konsequenz gänzlich unglaubhaft: ἐν δὲ τῷ παντὶ αἰῶνι πολλὰ μὲν πάλαι συμβάντα, δὲ καὶ ἔτι γινόμενα ἄπιστα εἶναι πεποιήκασιν ἐς τοὺς πολλοὺς οἱ τοῖς ἀληθέσιν ἐποικοδομοῦντες ἐψευσμένα.23 ὁπόσοι δὲ μυθολογήμασιν ἀκούοντες ἥδονται, πεφύκασι καὶ αὐτοί τι ἐπιτερατεύεσθαι· καὶ οὕτω τοῖς ἀληθέσιν ἐλυμήναντο, συγκεραννύντες αὐτὰ ἐψευσμένοις.24

Das Element, welches m. E. in dieser Passage hervorgehoben zu werden verdient, ist das Wort συμβάντα, «Fakten». Es verdeutlicht nämlich auf _____________ 22 Paus., Graec. descr. VIII 2, 5: ἐπ᾽ ἐμοῦ δὲ – κακία γὰρ δὴ ἐπὶ πλεῖστον ηὔξετο καὶ γῆν τε ἐπενέμετο πᾶσαν καὶ πόλεις πάσας – οὔτε θεὸς ἐγίνετο οὐδεὶς ἔτι ἐξ ἀνθρώπου, πλὴν ὅσον λόγῳ καὶ κολακείᾳ πρὸς τὸ ὑπερέχον, καὶ ἀδίκοις τὸ μήνιμα τὸ ἐκ τῶν θεῶν ὀψέ τε καὶ ἀπελθοῦσιν ἐνθένδε ἀπόκειται. 23 Paus., Graec. descr. VIII 2, 6. In der unmittelbaren Fortsetzung des Passus bringt Pausanias konkrete Beispiele eines solchen erfundenen Überbaus in Bezug auf die zwei von ihm früher erwähnten Mythen von Lykaon und Niobe: λέγουσι γὰρ δὴ ὡς Λυκάονος ὕστερον ἀεί τις ἐξ ἀνθρώπου λύκος γίνοιτο ἐπὶ τῇ θυσίᾳ τοῦ Λυκαίου Διός, γίνοιτο δὲ οὐκ ἐς ἅπαντα τὸν βίον· ὁπότε δὲ εἴη λύκος, εἰ μὲν κρεῶν ἀπόσχοιτο ἀνθρωπίνων, ὕστερον ἔτει δεκάτῳ φασὶν αὐτὸν αὖθις ἄνθρωπον ἐκ λύκου γίνεσθαι, γευσάμενον δὲ ἐς ἀεὶ μένειν θηρίον. ὡσαύτως δὲ καὶ Νιόβην λέγουσιν ἐν Σιπύλῳ τῷ ὄρει θέρους ὥρᾳ κλαίειν. Anschließend folgen Beispiele für das „wilde Fabulieren“ der Menschen: ἤδη δὲ καὶ ἄλλα ἤκουσα, τοῖς γρυψὶ στίγματα ὁποῖα καὶ ταῖς παρδάλεσιν εἶναι, καὶ ὡς οἱ Τρίτωνες ἀνθρώπου φωνῇ φθέγγοιντο· οἱ δὲ καὶ φυσᾶν διὰ κόχλου τετρυπημένης φασὶν αὐτούς. 24 Paus., Graec. descr. VIII 2, 7.

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unmissverständliche Weise das, was bzw. wie Pausanias in Bezug auf den Mythos dachte. Wichtig ist vor allem, sich das grundlegende „Denkmuster“, das hinter all diesen Ausführungen steckt, klar zu machen. Für Pausanias schildern die Mythen im Grunde Fakten, sie sind in ihrem Kern wahr. Diese Wahrheit akzeptiert Pausanias, wehrt sich nur gegen die phantastischen, erzähllustigen Übertreibungen und den lügenhaften Überzug, die mit der Zeit dem ursprünglichen „Nukleus“ immer mehr anhaften. Aber daran zu zweifeln, dass sich in einer fernen Vergangenheit Geschichten tatsächlich zugetragen haben, deren Akteure wirklich die Götter waren, und dass eine Spur dieser Begebenheiten in Form von immer wieder tradierten (und ausgeschmückten) Erzählungen durch die Zeit hindurch überliefert worden ist und uns erreicht hat, davon ist Pausanias offenbar sehr weit entfernt. Wie schwach, verwirrt und zweifelhaft auch immer die Verbindung zwischen jenen fernen Taten und Zeiten, und dem Bild, was sich die späteren Griechen der Gegenwart davon machen, sein mag, war dennoch eben dieser dünne Faden, der die zwei Pole verbindet, aus Pausanias’ Sicht immer noch erhalten geblieben – und das ist das Entscheidende. Gleichzeitig, mit der Wendung ἄπιστα εἶναι πεποιήκασιν ἐς τοὺς πολλούς, weist Pausanias auf indirekte Weise aber auch auf die generelle „Atmosphäre“, die den Ausgangspunkt für seine Überlegungen bildete, hin. Die Standardeinstellung, mit der man den Mythen begegnete, muss offenbar – wenn wir Pausanias’ Worten Glauben schenken wollen – von einem weit verbreiteten Misstrauen geprägt gewesen sein. Genau mit dieser Einstellung fand seine Auseinandersetzung statt. Dies erklärt übrigens auch das besondere Interesse, welches dieser Passus weckt, denn hier äußert ein antiker Mensch nicht bloß seine Gedanken über den Mythos, vielmehr macht er plötzlich sozusagen einen Moment seiner geistigen Entwicklung sichtbar – was weniger häufig geschieht, als man sich wünschen würde. Auch an einer späteren Stelle des gleichen Buches kann man dieselbe Gedankenbewegung am Werk sehen. In Zusammenhang mit einer Quelle namens Ἄρνη referiert Pausanias den ätiologischen Mythos, den die Arkadier dazu zu berichten wussten: Bei der Geburt des Poseidon (mit der Quelle assoziiert) überlistete Rhea Kronos, der das Kind töten wollte, mit der Lüge, ein Pferd geboren zu haben, und übergab ihm ein Fohlen, das er an Stelle des Säuglings verschlang.25 Wieder einmal lässt Pausanias gleich _____________ 25 Paus., Graec. descr. VIII 8, 2: λέγεται δὲ καὶ τοιάδε ὑπὸ Ἀρκάδων, Ῥέα ἡνίκα Ποσειδῶνα ἔτεκε, τὸν μὲν ἐς ποίμνην καταθέσθαι δίαιταν ἐνταῦθα ἕξοντα μετὰ τῶν ἀρνῶν, ἐπὶ τούτῳ δὲ ὀνομασθῆναι καὶ τὴν πηγήν, ὅτι περὶ αὐτὴν ἐποιμαίνοντο οἱ ἄρνες· φάναι δὲ αὐτὴν πρὸς τὸν Κρόνον τεκεῖν ἵππον καί οἱ

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nach der Erzählung des Mythos einen kurzen, doch hochinteressanten Kommentar folgen, in dem er seinen persönlichen Standpunkt äußert: τούτοις Ἑλλήνων ἐγὼ τοῖς λόγοις ἀρχόμενος μὲν τῆς συγγραφῆς εὐηθίας ἔνεμον πλέον, ἐς δὲ τὰ Ἀρκάδων προεληλυθὼς πρόνοιαν περὶ αὐτῶν τοιάνδε ἐλάμβανον· Ἑλλήνων τοὺς νομιζομένους σοφοὺς δι᾽ αἰνιγμάτων πάλαι καὶ οὐκ ἐκ τοῦ εὐθέος λέγειν τοὺς λόγους, καὶ τὰ εἰρημένα οὖν ἐς τὸν Κρόνον σοφίαν εἶναί τινα εἴκαζον Ἑλλήνων. τῶν μὲν δὴ ἐς τὸ θεῖον ἡκόντων τοῖς εἰρημένοις χρησόμεθα.26

Pausanias verschweigt keineswegs den Eindruck von einfältiger Dummheit (εὐηθία), den diese und derartige Mythen früher in ihm hervorriefen. Doch seine spätere Auseinandersetzung mit der „archaischen“ Kultur Arkadiens27 bildete in dieser Hinsicht eine Art „Wendepunkt“, indem sie eine Änderung dieser Einstellung bewirkte und ihn dazu bewog, auch solche absonderliche Mythen (wie etwa den Kronos-Mythos) als „aenigmatische“, also verklausulierte Ausdrucksformen einer höheren Weisheit aus früheren Stadien der griechischen Kultur zu betrachten. Pausanias sieht ihren Wert darin, dass sie die göttliche Sphäre adäquat erschließen können (wie der Anschlusssatz τῶν μὲν δὴ ἐς τὸ θεῖον ἡκόντων τοῖς εἰρημένοις χρησόμεθα zeigt, meint hier σοφία ein privilegiertes Wissen um die Götter und hat nicht die menschliche Welt als Gegenstand). Durch solche Mythen kommt man den Göttern näher, sie sind das Wort der alten Weisen (Ἑλλήνων τοὺς…σοφοὺς…οὐκ ἐκ τοῦ εὐθέος λέγειν τοὺς λόγους). Dies ist im Grunde der Bericht einer Erfahrung. Seit einem gewissen Zeitpunkt wurde Pausanias fähig, etwas „Höheres“ in (bzw. hinter) den mythischen Erzählungen zu vermuten bzw. zu verspüren (und gerne wüsste man etwas genauer, wie seine Beschäftigung mit Arkadien diese Umwandlung bewirken konnte). Dass diese Position einen wahrhaftigen Bruch mit einer früheren Mentalität darstellt (man hat in der Forschung auch direkt von „Umkehrung“ gesprochen)28, wird nicht nur vom Autor selbst explizit erklärt (ἀρχόμενος μὲν τῆς συγγραφῆς), sondern an einer Stelle im zweiten Buch auch greifbar.29 _____________ 26 27 28 29

πῶλον ἵππου καταπιεῖν ἀντὶ τοῦ παιδὸς δοῦναι, καθὰ καὶ ὕστερον ἀντὶ τοῦ Διὸς λίθον ἔδωκεν αὐτῷ κατειλημένον σπαργάνοις. Paus., Graec. descr. VIII 8, 3. – Die bibliographischen Angaben der zahlreichen Studien, die diese Passage eingehend analysieren, findet man bei MOGGI/OSANNA (2003), 325. Paus., Graec. descr. VIII 1, 4 (Abstammung von Pelasgos). OLIVER (1972). Paus., Graec. descr. II 17, 4: τὸ δὲ ἄγαλμα τῆς ῞Ηρας ἐπὶ θρόνου κάθηται μεγέθει μέγα, χρυσοῦ μὲν καὶ ἐλέφαντος, Πολυκλείτου δὲ ἔργον· ἔπεστι δέ οἱ στέφανος Χάριτας ἔχων καὶ Ὥρας ἐπειργασμένας, καὶ τῶν χειρῶν τῇ μὲν καρπὸν φέρει ῥοιᾶς, τῇ δὲ σκῆπτρον. τὰ μὲν οὖν ἐς τὴν ῥοιὰν – ἀπορρητότερος γάρ ἐστιν ὁ

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Wenn der Glaube eine Entscheidung ist, so hat sich Pausanias für den Glauben entschieden und sich der Ehrwürdigkeit und Faszination der religiösen Tradition geöffnet. Es handelt sich um einen wahrhaftigen Glaubensakt, denn nirgendwo in seinem Werk versucht er, diese tieferen, verschlüsselten Wahrheiten für sich und andere explizit darzulegen.30 Pausanias glaubt so sehr an die Götter, dass er versucht, sie auch jenseits des Schleiers von Lügen, den die Menschen von ihnen gezogen haben, aufzuspüren und zu finden. Dabei handelt es sich um keine Form abstrakter theologischer Spekulation, sondern um eine bewusste Verknüpfung mit der herkömmlichen Frömmigkeit: Pausanias will das Göttliche in den Mythen, und nicht trotz der Mythen, wie die Philosophen es taten, wieder finden. 2.2.3. Das Beispiel des Palaiphatos In engem Zusammenhang mit dieser Mentalität, die man bei Pausanias so klar exemplifiziert findet, steht auch die geistige Haltung, welche in der unter dem Namen des Palaiphatos überlieferten Schrift Περὶ ἀπίστων bezeugt ist.31 Es ist wichtig, zunächst ausdrücklich zu betonen, dass sich dieser Autor in seinem Werk fast ausschließlich mit den Heroenmythen befasst. Über die eigentlichen Götter dagegen schweigt er grundsätzlich, denn sein primäres Ziel, soweit es sich noch erschließen lässt, bestand darin, die Historizität dieser heroischen Figuren zu beweisen bzw. zu bestätigen.32 _____________ λόγος – ἀφείσθω μοι· κόκκυγα δὲ ἐπὶ τῷ σκήπτρῳ καθῆσθαί φασι λέγοντες τὸν Δία, ὅτε ἤρα παρθένου τῆς ῞Ηρας, ἐς τοῦτον τὸν ὄρνιθα ἀλλαγῆναι, τὴν δὲ ἅτε παίγνιον θηρᾶσαι. τοῦτον τὸν λόγον καὶ ὅσα ἐοικότα εἴρηται περὶ θεῶν οὐκ ἀποδεχόμενος γράφω, γράφω δὲ οὐδὲν ἧσσον. 30 Vgl. sehr triftig MOGGI bei MOGGI/OSANNA (2003), 326 (Hervorhebung von mir): «Rimane il fatto, tuttavia, che l’affermazione sembra più un atto di fede che una chiave ermeneutica reale, dal momento che né in questo caso né altrove (cfr., p. es., [VIII] 36,2-3; V 7,10; VII 23,4) Pausania sembra proporre qualche sua interpretazione capace di cogliere quelli che dovrebbero essere i significati profondi e nascosti delle storie mitiche». 31 Zur Biographie vgl. FGrHist 44 T 1-4. Bibliographie in WINIARCZYK (2002), 50 Anm. 95. 32 STERN (1999), 219: «The Euhemeristic tradition is essentially atheistic and aims to create disbelief. Palaephatus, on the other hand, ignores the gods, and concentrates instead on reinforcing belief—belief, however, not in the existence of the gods, but rather in the historicity of the heroes of old». Die letzten sieben Kapitel des Werkes, in denen z. T. auch Göttermythen behandelt werden, sind sicherlich unecht (STERN [1999], 216). – Palaiphatos’ Ansatz sollte natürlich nicht isoliert, sondern als ein Moment einer ganzen Tendenz betrachtet werden, die recht früh, gegen Ende des 6.

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Andererseits sollte diese Trennung zwischen Göttern und Heroen nicht als besonders scharf und unüberbrückbar angesehen werden, denn es gibt auch Ausnahmen (wenngleich nur indirekte). Obwohl nur eine Epitome des Originals überliefert ist,33 lässt diese Verkürzung an einer Stelle, dem 15. Kapitel über die Entführung der Europa durch Zeus, dennoch einen sehr wichtigen Aspekt noch klar erkennen. Die Operation der Rationalisierung der Mythen im Sinne ihrer natürlichen Erklärung (d. h. des Anführens rein natürlicher, d. h. ausschließlich dem menschlichen Bereich zugehöriger Ursachen für die in den Mythen erzählten Geschehnisse) scheint nämlich den Glauben an die Existenz und Wirkung der Götter gänzlich unangetastet zu lassen: Φασὶν Εὐρώπην τὴν Φοίνικος ἐπὶ ταύρου ὀχουμένην διὰ τῆς θαλάσσης ἐκ Τύρου εἰς Κρήτην ἀφικέσθαι. ἐμοὶ δὲ οὔτ΄ ἂν ταῦρος οὔθ΄ ἵππος δοκεῖ τοσοῦτον πέλαγος διανύσαι [δύνασθαι], οὔτε κόρη ἐπὶ ταῦρον ἄγριον ἀναβῆναι· ὅ τε Ζεύς, εἰ ἐβούλετο Εὐρώπην εἰς Κρήτην ἐλθεῖν, εὑρεῖν [v.l. εὗρεν] ἂν αὐτῇ ἑτέραν πορείαν καλλίονα.34

Die Entführung Europas (sagt der Text abschließend) hat zwar wirklich stattgefunden, aber sie wurde von einem Mann namens Tauros, nicht von Zeus in Form eines Stiers vollbracht. Das Wichtige in diesem Zusammenhang ist m. E. in der Tatsache zu sehen, dass die Möglichkeit, dass Zeus der Täter hätte sein können, gar nicht abgestritten wird. Die im obigen Textzitat hervorgehobene Partie scheint mir keinen ironischen Ton zu haben; ihre Aussage ist klar: Hätte der Gott es wirklich gewollt, hätte er die Tat auch durchgeführt bzw. durchführen können – zwar auf die ihm angemessene Art und Weise, doch im Grunde ganz und gar ungehindert (der Irrealis betrifft hier, mit anderen Worten, die rein grammatikalische Form der Aussage, nicht ihren Inhalt). Diese Beobachtung ist im Übrigen völlig im Einklang mit den allgemeinen Intentionen dieses Autors, denn die Historizität der Heroen, welche Palaiphatos mit Hilfe unzähliger Beispiele verficht, bekräftigt in letzter Konsequenz den Glauben an sie: Wenn diese Figuren wirklich existiert haben und absolut frei von den Absurditäten sind, die über sie fälschlich überliefert sind,35 konnte man also ruhigen Gewissens die entsprechenden _____________ Jahrhunderts, einsetzt und zu der u. a. Hekataios von Milet (FGrHist 1 F 25-27), Hellanikos von Mytilene (FGrHist 4 F 28) und Herodoros von Herakleia am Pontos (FGrHist 31) gehörten; vgl. außerdem NESTLE (1942), 131-52. 33 STERN (1999), 216 und 219, sowie WILAMOWITZ (1895), 101 Anm. 184. 34 Palaeph., De incredibilibus 15 (Zitate nach der Ausagabe Palaephati Περὶ ἀπίστων, edidit N. FESTA, [BT] Lipsiae 1902 [= Mythographi Graeci, vol. III, fasc. 2]). 35 Palaeph., De incredibilibus 1: γενομένων δέ τινα οἱ ποιηταὶ καὶ λογογράφοι παρέτρεψαν εἰς τὸ ἀπιστότερον καὶ θαυμασιώτερον, τοῦ θαυμάζειν ἕνεκα τοὺς

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Kulte weiterhin betreiben. Wenigstens einige unter den antiken Lesern müssen diese Schlussfolgerung gezogen haben,36 und in diesem Sinne kann man durchaus behaupten, dass Palaiphatos’ Werk gewiss auch „apologetische“ Reaktionen innerhalb des Heidentums bezweckte (auf Grund des Überlieferungszustands ist freilich unmöglich zu sagen, inwieweit bzw. ob nur auf eine indirekte Weise). 2.3. Die Figur des Zeus in den Dialogi Deorum 2.3.1. Einleitung Der folgende Abschnitt widmet sich einem ganz spezifischen Aspekt dieses Werkes, nämlich der näheren Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Zeus-Figur vom Autor dort gezeichnet wird und was für Konsequenzen dies für unser Verständnis des Werkes hat. Im Falle der D.Deor. lässt sich keine klare Anordnung der einzelnen Dialoge innerhalb der Sammlung feststellen, die als definitiv gelten könnte; von internen Verweisen einiger Stücke aufeinander abgesehen, ist keine vom Autor intendierte, also verbindliche Architektur erkennbar.37 Dieser Mangel an festen Orientierungspunkten erklärt die große Vielfalt der Herangehensweisen, für welche sich bisherige Forscher bei der Untersuchung dieses Werkes entschieden haben,38 und rechtfertigt gleichzeitig auch den hier gewählten Ansatz. Dieser findet seinen unmittelbaren Aus_____________ ἀνθρώπους. ἐγὼ δὲ γινώσκω ὅτι οὐ δύναται τὰ τοιαῦτα εἶναι οἷα καὶ λέγεται· τοῦτο δὲ καὶ διείληφα, ὅτι, εἰ μὴ ἐγένετο, οὐκ ἂν ἐλέγετο. 36 Man kann also folgende Behauptung WINIARCZYKS ([2002], 50 [meine Hervorhebung]): «Das [nämlich die rationalistische Interpretation der Mythen] führte allmählich zur Desakralisation des Mythos und machte es möglich, historische Begebenheiten auch in den Mythen über olympische Götter zu finden», nur begrenzt akzeptieren. Das Sakrale und das Historische sind nicht unbedingt Kategorien, die sich gegenseitig ausschließen müssen. 37 Zu den internen Bezügen vgl. HELM (1927), 1737. 38 Unter den Beiträgen aus der neuesten Forschung, welche die D.Deor. spezifisch behandeln, sind folgende besonders erwähnenswert: BRANHAM (1989), 135-63 (zweifelsohne die beste moderne Gesamtinterpretation der D.Deor.; sie bildete einen privilegierten Bezugspunkt während meiner Auseinandersetzung mit diesem lukianischen Werk); MAGINI (1996); KORUS (2003). Keine gesonderte Behandlung finden die D.Deor. dagegen in den neueren Studien von UREÑA BRACERO (1995) und CAMEROTTO (1998), die sich z. T. auf der gleichen Interpretationslinie wie BRANHAM (1989) bewegen und vorwiegend die Frage nach Lukians satirisch-parodistischer Umformung seiner Modelle (Homer, die Komödie usw.) – natürlich auch in Bezug auf einige der D.Deor. – erörtern.

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gangspunkt in der Beobachtung, dass die Zeus-Figur hinsichtlich der Häufigkeit ihrer Erwähnung in der gesamten Sammlung eindeutig dominiert.39 Zeus besetzt mit all seinen Taten für die meiste Zeit die imaginäre Bühne der D.Deor., er ist somit der Protagonist, der wahre „Held“ dieser Geschichten. Diesen deutlichen Hinweis galt es zunächst weiter zu verfolgen. Dabei schien mir die Methode des close reading besonders angemessen. Rezeptionsgeschichtlich betrachtet ist nämlich der Blick auf die D.Deor. in den letzten zwei Jahrhunderten so sehr durch zwar an sich legitime, doch gleichzeitig auch leicht irreführende Fragestellungen verstellt worden, dass die ursprüngliche Dimension des Textes unter vielen „Schichten“ fremdartiger Probleme zu verschwinden droht. So ist z. B. besagte dominante Rolle des Zeus signifikanterweise zwar längst und allgemein anerkannt, jedoch nie wirklich vertieft und ernsthaft ausgewertet worden.40 Daher hielt ich es für sinnvoll, den Versuch zu unternehmen, die reinen textuellen Fakten der D.Deor. „freizulegen“, d. h. in Hinblick auf jegliche interpretatorische Schlussfolgerung dem ursprünglichen Duktus der Texte selbst möglichst nah zu folgen und mich dabei nur von diesem führen zu lassen.41 Viel mehr als bei anderen Werken Lukians ist es m. E. im Falle der D.Deor. notwendig, den Mut zu haben, einfache Fragen zu stellen und einfache Beobachtungen zu machen. 2.3.2. Analyse einzelner Dialoge D.Deor. 1. Im ersten Dialog erscheint jenes Thema, welches sich wie ein roter Faden durch das ganze corpusculum der D.Deor. hindurchziehen wird: die Macht des Zeus. Die Situation: Unmittelbar nach einer Götterversammlung nimmt Ares Hermes beiseite, um ihm seine Zweifel bezüglich des soeben Vernommenen mitzuteilen. Zwar räumt er ein, dass Zeus sicherlich mächtiger als alle anderen Götter sei, dies träfe aber nur unter der Bedingung zu, dass er dabei mit den einzelnen Göttern konfrontiert _____________ 39 Hier in Überblicksform die Verteilung aller in den D.Deor. vorkommenden Götter: Aphrodite in D.Deor. 19, 20, 23; Apollon: 3, 11, 16, 17, 21, 25; Ares: 1; Asklepios: 15; Dionysos: 3; Eros: 6, 20, 23; Ganymedes: 10; Helios: 14, 24; Hephaistos: 11, 13; Hera: 8, 9, 18, 22; Herakles: 15; Hermes: 1, 2, 4, 7, 12, 14, 16, 17, 21, 25; Leto: 18; Maia: 4; Pan: 3; Poseidon: 12; Prometheus: 5; Selene: 19; Zeus: 5, 6, 7, 8, 9, 10, 13, 15, 22, 24. Zu diesem Aspekt vgl. u. a. BELLINGER (1928), 9. 40 Eine Darlegung, die sozusagen die Quintessenz der typisch traditionellen Sichtweise über die D.Deor. enthält, ist bei HOPHAN (1904), 11-18 zu lesen; auf der gleichen Linie CROISET (1882), 207-15; SCHMIDT (1900), 10-13; JEBB (1900), 179f.; ALLINSON (1926), 75; GALLAVOTTI (1932), 93f. – Zur Anerkennung der Rolle des Zeus vgl. HOPHAN (1904), 11 mit Anm. 2; HELM (1906), 179; BRANHAM (1989), 143. 41 Was diese Herangehensweise betrifft, bin ich EFFE (1978) z. T. verpflichtet.

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werde. Jeder der anderen Olympier könne sich, allein, mit Zeus an Macht kaum messen, aber (fährt er fort) eine denkbare „Koalition“ aller anderen Götter, inklusive der Erd- und Meereskräfte, würde den höchsten Gott an Macht ebenso sicher übertreffen. Das Jetzt (die prahlerische Drohung des Zeus) wird mit dem Damals (seiner Angst und Hilflosigkeit vor einer Verschwörung)42 kontrastiert, und genau auf diesem Kontrast zwischen einem Zeus, der jetzt bedrohlich erscheinen will, wohingegen er vor kurzem noch hilflos war, beruht die ganze vis comica des kleinen Stückes, denn dadurch tritt die eitle «Wichtigtuerei in Worten» (καλλιρρημοσύνη) des Gottes deutlich zu Tage. Nicht nur prahlt Zeus, sondern er tut das auf eine besonders ungeschickte Art und Weise: er bedenkt nämlich nicht, dass er vor einem Auditorium protzt, dem Vorfälle bekannt sind, die ihn auf der Stelle demaskieren können.43 Man beachte ein weiteres Merkmal: Ares’ Bedenken betreffen scheinbar (d. h. dem reinen Wortlaut nach) ausschließlich den konkreten Fall der σειρά, jener goldenen Kette, mit der Zeus alle anderen Götter samt Erde hochziehen und somit seine Kraft unter Beweis stellen wollte.44 Aber der Versuchung zu verallgemeinern kann kein Leser leicht widerstehen. Was Lukians Machtbegriff angeht, so verarbeitet er hier den homerischen Stoff so, dass aus dem Dialog eine Identifizierung der Macht des Zeus mit einer puren, gleichsam körperlichen Kraft hervorgeht. Es handelt sich nicht um eine „nach außen“ gerichtete Kraft, die zu einer Entfaltung im Sinne einer Welterschaffung oder – lenkung fähig wäre, wie dies etwa im Prosahymnus an Zeus des Aelius Aristides der Fall ist, in welchem der ganze Prozess der Schöpfung artikuliert geschildert wird.45 Nein, die Macht des lukianischen Zeus ist sozusagen unfruchtbar, sie ist nur Kraft, reines Potential, das sich einzig in Gewalt manifestiert. Da nun alles in D.Deor. 1 gar so einfach, leicht und humorvoll wirkt, kann sich eine etwas subtilere Dimension des Textes unter Umständen der Wahrnehmung entziehen. Betrachtet man D.Deor. 1 nämlich als kurzen Handlungsablauf, der sich auf einer idealen Bühne abspielt, so muss man auch dieses Bühnengeschehen in seiner inneren _____________ 42 D.Deor. 1, 2: μέμνημαι γὰρ οὐ πρὸ πολλοῦ, ὁπότε ὁ Ποσειδῶν καὶ ἡ Ἥρα καὶ ἡ Ἀθηνᾶ ἐπαναστάντες ἐπεβούλευον ξυνδῆσαι λαβόντες αὐτόν, ὡς παντοῖος ἦν δεδιώς, καὶ ταῦτα τρεῖς ὄντας καὶ εἰ μή γε ἡ Θέτις κατελεήσασα ἐκάλεσεν αὐτῷ σύμμαχον Βριάρεων ἑκατόγχειρα ὄντα, κἂν ἐδέδετο αὐτῷ κεραυνῷ καὶ βροντῇ (vgl. dazu Il. 1, 396-406). – In den Textzitaten folge ich MACLEODS OCT-Ausgabe (Luciani opera, tomus IV, Oxonii 1987), deren Anordnung die von Cod. Vatic. gr. 90 ist. 43 Die anderen Götter wissen ganz genau, wie Zeus „zu nehmen“ ist, vgl. bereits den Anfangssatz: ἤκουσας, ὦ Ἑρμῆ, οἷα ἠπείλησεν ἡμῖν ὁ Ζεύς, ὡς ὑπεροπτικὰ καὶ ὡς ἀπίθανα; (1, 1). 44 Vgl. LEVEQUE (1959). 45 Aristid., or. 43, 7-13 KEIL.

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Logik bis zum Letzten möglichst konsequent verfolgen. Noch einmal, also: Zeus’ prahlerische Übertreibung ist zwar deutlich erkennbar, doch kann man sich nicht leisten, diesen Gott und seine Macht vollkommen zu ignorieren. Die Verspottung findet, wenn überhaupt, nur hinter verschlossener Tür statt. Hermes, der sonst bei Lukian kein furchtsamer Gott ist, fürchtet sich hier beständig vor Zeus und mahnt Ares zum Still-Sein und Schweigen. Bloßgestellt wird also durch Lukian einzig der Exzess der Drohung, diese behält jedoch im Grunde ihr Furcht erregendes Potential, und zwar genug, um Hermes ein gewisses Unbehagen zu verschaffen. Zugespitzt ausgedrückt: Zeus ist zwar mitnichten so machtvoll, wie er zu sein behauptet, aber gleichzeitig weit davon entfernt, machtlos zu sein. Eine Verbindung dieser rohen Kraft mit der Sphäre der Gerechtigkeit fehlt hier noch. Sie wird aber zum Thema späterer Dialoge werden. D.Deor. 4. Hermes – hier als junger Sklave, als παιδίον oder puer, von Lukian porträtiert (er fegt den Boden des Bankettsaals an dem Morgen nach dem nächtlichen Fest, bringt die Schmauslager wieder in Ordnung und schenkt Ambrosia ein) – beschwert sich bei seiner Mutter Maia darüber, dass er überbeschäftigt und, folglich, unglücklich sei. Alles spielt sich also in einer Dimension des Alltags ab, an die – und das ist entscheidend – auch die Dimension der Banalität (wie ich sie nennen möchte) geknüpft wird. Denn ausgerechnet all diese alltäglichen und niedrigen Aufgaben werden in dem Bericht des Hermes (d. h. letztlich in seiner uns Lesern dargebotenen Perspektive) auf die gleiche Ebene gestellt wie die Aufträge aus den Bereichen, für welche der Gott traditionell zuständig war (Götterbote, Begleiter der Seelen in den Hades usw.).46 Mit anderen Worten: Die geschilderten Aufträge und Aufgaben weisen untereinander keine interne „Wertehierarchie“ auf. Zwischen dem Fegen des Göttersaals, dem Führen der Toten in die Unterwelt und der Aufsicht über die aktuelle Angebetete des Zeus gibt es – im Grunde – gar keinen Unterschied; Hermes nimmt wenigstens keinen wahr (und der Leser mit ihm). Alltägliches und Erhabenes, moralisch Bedenkliches und Ehrenhaftes: für das Kind Hermes (aber auch für seine Mutter) ist alles das Gleiche. Am Ende dieses Zwiegesprächs taucht auch das Thema der Liebschaften des Zeus, ein anderer roter Faden der Sammlung, auf. Die Liebesaffären des Zeus können an dieser Stelle als nichts weiter denn als ein anderer Aspekt seiner Macht angesehen werden. Zeus erscheint hier nämlich wie ein regelrechter Harem-Besitzer, _____________ 46 4, 1: παρεστάναι τῷ Διὶ καὶ διαφέρειν τὰς ἀγγελίας τὰς παρ᾽ αὐτοῦ ἄνω καὶ κάτω ἡμεροδρομοῦντα […] ἀλλὰ δεῖ με καὶ τότε τῷ Πλούτωνι ψυχαγωγεῖν καὶ νεκροπομπὸν εἶναι καὶ παρεστάναι τῷ δικαστηρίῳ· οὐ γὰρ ἱκανά μοι τὰ τῆς ἡμέρας ἔργα, ἐν παλαίστραις εἶναι καὶ ταῖς ἐκκλησίαις κηρύττειν καὶ ῥήτορας ἐκδιδάσκειν, ἀλλ᾽ ἔτι καὶ νεκρικὰ συνδιαπράττειν μεμερισμένον.

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der durch seinen geflügelten Boten die ständige Kontrolle über seine gesamte Frauenschar gleichzeitig behalten will: Ihm geht es offensichtlich nur um Besitz. Einen weiteren Hinweis auf die Macht des Zeus mag man darin sehen, dass Hermes – trotz der patenten Ungerechtigkeit, welcher er damit ausgesetzt ist47 – seinem Vater in allem dennoch weiterhin gehorchen muss, wie ihm seine Mutter rät: μὴ καὶ πληγὰς βραδύνων λάβῃς· ὀξύχολοι γὰρ οἱ ἐρῶντες (4, 2). D.Deor. 5. Das Thema von D.Deor. 5 ist die Gerechtigkeit des Zeus, der hier als „Richter“ in Erscheinung tritt. Auf die Bitte des Prometheus hin, Zeus solle ihn befreien, weil er bereits gebührend bestraft worden sei,48 liefert der höchste Gott einige Gründe für das Fortbestehen der Strafe, rechtfertigt also auf diese Weise die von ihm getroffene Entscheidung. Etwas genauer betrachtet, liegt der Fokus des Stücks auf der Verbindung des Gerechtigkeitssinnes des Gottes mit Macht und Liebe. Zeus lässt Prometheus nämlich am Ende unerwarteterweise doch noch frei, und zwar im Austausch gegen eine wichtige Information: Wenn Zeus das Lager der Thetis teilen wird – was er sehr bald zu tun gedenkt –, wird er ein Kind zeugen, welches Zeus entthronen wird, auf dieselbe Art und Weise, wie es auch Zeus selbst mit seinem Vater Kronos tat. In Anbetracht des solcherart drohenden Machtverlustes zögert Zeus keinen Augenblick und verzichtet auf der Stelle auf sein amouröses Abenteuer: Χαιρέτω τοιγαροῦν ἡ Θέτις· σὲ δὲ ὁ Ἥφαιστος ἐπὶ τούτοις λυσάτω (5, 2). Dieses ἀπροσδόκητον am Ende dürfte die Zuschauer unfehlbar zum Lachen gebracht haben; gleichzeitig vermittelt es jedoch den Eindruck, dass Gerechtigkeit in dieser Götterwelt kaum eine Rolle mehr spielt, fallen doch die Entscheidungen des Zeus nur entsprechend seiner Machtgier und nicht nach vernunftgemäßen Kriterien. Strafaufhebung ist reine Verhandlungssache, in der lediglich Angebot und Gegenangebot abgewogen werden.49 Alles ist bei diesem Gott nur noch eine Funktion der Macht, sogar die Liebe, die bei ihm sonst immer an erster Stelle kommt, wird ihr untergeordnet. D.Deor. 6. Auch hier sind die Liebschaften des Zeus noch einmal das Thema, doch unter einer neuen Perspektive, denn Zeus ist diesmal im Gegensatz zu anderen D.Deor. kein willenloses Werkzeug in den Händen _____________ 47 4, 2: καὶ οἱ μὲν Ἀλκμήνης καὶ Σεμέλης ἐκ γυναικῶν δυστήνων γενόμενοι εὐωχοῦνται ἀφρόντιδες, ὁ δὲ Μαίας τῆς Ἀτλαντίδος διακονοῦμαι αὐτοῖς. 48 5, 1: λῦσόν με, ὦ Ζεῦ· δεινὰ γὰρ ἤδη πέπονθα und Οὔκουν ἱκανὴν ἤδη τὴν δίκην ἐκτέτικα τοσοῦτον χρόνον τῷ Καυκάσῳ προσηλωμένος;. 49 Prometheus in 5, 1: καὶ μὴν οὐκ ἀμισθί με λύσεις, ἀλλά σοι μηνύσω τι, ὦ Ζεῦ, πάνυ ἀναγκαῖον, darauf Zeus in 5, 2: εἰπὲ πρότερον ὅντινα μισθὸν ἀποτίσεις ἀναγκαῖον ἡμῖν ὄντα.

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des Eros. Die Bedeutung dieses Dialogs beruht vor allem darauf, dass er sich nicht auf eine einzelne Liebesepisode beschränkt, sondern vielmehr ein Gesamtbild der Liebschaften des Zeus zeichnet, er legt sozusagen ihre grundsätzliche Beschaffenheit bloß.50 Die von ihm mit der Hilfe des Eros verführten Frauen – muss Zeus pikiert feststellen – haben nicht den Gott selbst geliebt, sondern paradoxerweise die jeweilige Form, in welche er von Eros verwandelt worden war, um das Verführungsunternehmen reüssieren zu lassen.51 Eros hat sofort einen Alternativvorschlag parat: Zeus könne natürlich auf die Hilfe der durch den Liebesgott verursachten Verwandlungen verzichten und stattdessen sein wahres, göttliches Aussehen selbst verändern, und zwar nach der Mode. Das Problem sei nämlich – bemerkt Eros sachlich – die enorme Furcht, die Zeus in seiner wahren Gestalt den weiblichen Sterblichen einflöße; um geliebt zu werden, müsse er einfach attraktiver aussehen.52 Die Parallelen (D.Deor. 15, 2; 22, 1) zeigen, dass die Aufmachung, die Eros ihm vorschlägt, die eines Weichlings ist. Die Empfehlung des Eros hat also unter der scheinbar sachlichen Oberfläche einen markierten ironischen Unterton, was auch durch die spöttische Erwiderung οὐκοῦν, ὦ Ζεῦ, μηδὲ ἐρᾶν θέλε· ῥᾴδιον γὰρ τοῦτό γε (6, 2), die unmittelbar folgt, bestätigt wird. Die Ablehnung dieses Vorschlags durch Zeus, die gleichzeitig auch der Schluss des Dialogs ist, verdeutlicht auf recht zugespitzte Weise seine Ansicht über die „Liebe“. Er will lieben, ohne sich dafür großartig anstrengen zu müssen; genießen ohne Skrupel oder Bedenken; „lieben“ ist für ihn gleichbedeutend mit „besitzen“, am besten – wie D.Deor. 4, 2 zeigt – mehrere Damen und, wenn möglich, gleichzeitig. In seinen Augen gibt es kein anderes Kriterium oder Ordnungsmuster, ja keine andere Regel im Liebesleben außer der reinen Begierde und ihrer Befriedigung; und es ist klar, dass für denjenigen, der solche Maßstäbe setzt, alles gleich sein muss: wie der Don Giovanni des Abtes DA PONTE, so kann auch der lukianische Zeus eine Frau nur mit _____________ 50 Zur Figur des Zeus als Liebhaber vgl. neulich den vorzüglichen Beitrag von KONSTANTAKOS (2002). 51 6, 1: …ὥστε οὐδέν ἐστιν ὃ μὴ πεποίηκάς με, σάτυρον, ταῦρον, χρυσόν, κύκνον, ἀετόν· ἐμοῦ δὲ ὅλως οὐδεμίαν ἥντινα ἐρασθῆναι πεποίηκας, οὐδὲ συνῆκα ἡδὺς γυναικὶ διὰ σὲ γεγενημένος, ἀλλά με δεῖ μαγγανεύειν ἐπ᾽ αὐτὰς καὶ κρύπτειν ἐμαυτόν· αἱ δὲ τὸν μὲν ταῦρον ἢ κύκνον φιλοῦσιν, ἐμὲ δὲ ἢν ἴδωσι, τεθνᾶσιν ὑπὸ τοῦ δέους. 52 6, 2: εἰ δ᾽ ἐθέλεις ἐπέραστος εἶναι, μὴ ἐπίσειε τὴν αἰγίδα μηδὲ τὸν κεραυνὸν φέρε, ἀλλ᾽ ὡς ἥδιστον ποίει σεαυτὸν, ἁπαλὸν ὀφθῆναι, καθειμένος βοστρύχους, τῇ μίτρᾳ τούτους ἀνειλημμένος, πορφυρίδα ἔχε, ὑποδέου χρυσίδας, ὑπ᾽ αὐλῷ καὶ τυμπάνοις εὔρυθμα βαῖνε, καὶ ὄψει ὅτι πλείους ἀκολουθήσουσί σοι τῶν Διονύσου Μαινάδων.

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einem einzigen Prädikat bezeichnen: ,schön‘53 – billiger Libertinismus, aber hier ohne Freigeist. In seiner Auffassung ist Zeus jedoch wenigstens konsequent: an keiner Stelle der D.Deor. weicht er von ihr ab – ein perfekter Don Giovanni ante litteram: Οὔκ, ἀλλὰ ἐρᾶν μέν, ἀπραγμονέστερον δὲ αὐτῶν ἐπιτυγχάνειν.54 Zu notieren ist schließlich auch, wie die Themen der Macht und der Gerechtigkeit (oder Richterfunktion) des Zeus auch hier, wenngleich nicht im Vordergrund, präsent sind. Zeus will am Eingang des Dialogs Eros eine Strafe auferlegen, und dieser schafft es, am Ende doch unbestraft davon zu kommen.55 D.Deor. 7. D.Deor. 7 und 8 sind zwei Variationen über das Thema der Eifersucht der Hera. D.Deor. 7 setzt das Motiv der Verwandlungen, welches in D.Deor. 6 nur angedeutet war, ohne jedoch (wie hier) eine strukturelle Funktion zu haben, fort und entwickelt es weiter. Erneut wird hier (diesmal aber in Miniaturformat) das Thema der Macht des Zeus aufgegriffen. Binnen kurzer Zeit bewirkt der Gott nämlich, nachdem seine Gattin dies als erste getan hatte, von neuem radikale Veränderungen im Schicksal der Io. Zwei Aspekte verdienen dabei besondere Berücksichtigung. Erstens erscheint hier der Mensch als ein Wesen, welches der Willkür der Gelüste und Launen der Unsterblichen vollkommen ausgeliefert ist, ein wehrloses Spielzeug in den Händen der Götter. Diese ungebändigte und unvorhersagbare Willkür ist der Grundton der winzigen Piece und manifestiert sich nicht nur in dem vollkommenen Mangel an Gerechtigkeitskriterien in den Angelegenheiten um Io, sondern ganz allgemein in der Welt der lukianischen Götter, wo alles eben nur dieses freie, unerklärliche Spiel der Verwandlungen zu sein scheint. Io wird zunächst aus Eifersucht von Hera in eine Färse und kurz darauf von Zeus wiederum in eine mächtige ägyptische Göttin (Isis) verwandelt.56 Der abrupte Sprung bzw. das tiefe Gefälle zwischen dem einen und dem anderen „Zustand“ werden in der Sichtweise der beiden Götter einfach ignoriert oder schlicht und ergreifend nicht wahrgenommen. Es scheint für sie gar keinen Unterschied zu machen, ob ein menschliches Wesen zum jungen Rind im Tal von Nemea oder zur ägyptischen Göttin wird. Gerade in diesem Detail enthüllt sich Lukians Ironie. Scheinbar findet nämlich der Handlungsgang des Dialogs im kanonischen „Happy Ending“ einen befriedigenden Ab_____________ 53 Man vergleiche den Auftakt von D.Deor. 7: [Zeus:] τὴν τοῦ Ἰνάχου παῖδα τὴν καλὴν οἶσθα, ὦ Ἑρμῆ; mit DA PONTE / MOZART, Don Giovanni, 2. Akt, 1. Szene (Recitativo): (D.G.) «Vedesti tu la cameriera di Donn’ Elvira?», (L.) «Io, no.», (D.G.) «Non hai veduto qualche cosa di bello, caro il mio Leporello!». 54 6, 2. 55 6, 1: [Eros:] ἀλλ᾽ εἰ καί τι ἥμαρτον, ὦ Ζεῦ, σύγγνωθί μοι· παιδίον γάρ εἰμι καὶ ἔτι ἄφρων. 6, 2: [Zeus:] …ἐπὶ τούτοις αὐτοῖς ἀφίημί σε. 56 Stellen bei DREXLER (1890/94), 439,6-440,40.

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schluss: Io wird vergöttlicht und erhält mit dieser Vergöttlichung einen idealen Lohn für ihre ungerechten Leiden auf Erden, wie in einem schönen Märchen. Doch gleichzeitig wird der Aspekt der willkürlichen und absonderlichen Asymmetrie zwischen den Stationen dieser Verwandlung durch die Knappheit der Nacherzählung des Mythos besonders anschaulich und rückt stark in den Vordergrund. D.Deor. 8. In D.Deor. 8 wird Zeus’ Liebesleben aus der Perspektive der eifersüchtigen Hera beleuchtet (D.Deor. 8 und 7 bilden zusammen eine Art anmutiges „Diptychon der Eifersucht“). Zeus wird mit traditionellen Ausdrücken aus dem Epos charakterisiert (ἁπάντων θεῶν δεσπότης, ὁ βασιλεὺς καὶ ἁπάντων πατήρ, und, ironisch, ὦ γενναιότατε ἀετῶν), was in diesem Falle dazu dient, die Dissonanz zwischen der majestätischen Erhabenheit des Götterkönigs und seinem plumpen Verhalten als in Ganymedes Verliebter hervorzuheben.57 Die Grundatmosphäre von D.Deor. 8 ist eine ausgesprochen erotische (so sehr, dass dieser Dialog, zusammen mit einigen anderen, in der berühmten englischen Übersetzung von H.W. und F.G. FOWLER nicht erscheint58). An mehreren Stellen lässt Lukian Zeus bei der Beschreibung des akuten Vergnügens, welches ihm die Küsse des Ganymedes bereiten, lange und genussvoll verweilen. Jeder Leser erkennt sofort den hohen Genuss, mit dem der Gott diese Vorgänge erzählt, und auch die Zeus-Figur selbst auf der imaginären Bühne des Dialogs spürt es derart, dass sie sich zusammennehmen muss, um nicht durch diese Zurschaustellung ihres Vergnügens die schon überreizte Gattin noch mehr zu kränken.59 Definitiv hat also das Ganze einen recht lasziven Beigeschmack; die Lust, die jeweils der Nektar und die Küsse dem Gott verursachen, wird bewusst und wiederholt betont (Der Kuss wird sogar zu einer Art „Leitmotiv“, welches im Stück kontrastierend auf zwei verschiedenen Registern gespielt wird: mal auf dem Register der anziehenden Schönheit des Ganymedes, mal auf dem der abwehrenden Hässlichkeit des Hephaistos).60 In D.Deor. 8 findet man _____________ 57 8, 2: οὐδ᾽ ἐκεῖνα μὲν εὖ ποιεῖς οὐδὲ πρέποντα σεαυτῷ ὃς ἁπάντων θεῶν δεσπότης ὢν ἀπολιπὼν ἐμὲ τὴν νόμῳ γαμετὴν ἐπὶ τὴν γῆν κάτει μοιχεύσων, χρυσίον ἢ σάτυρος ἢ ταῦρος γενόμενος. […] πρῴην δὲ ὁ βασιλεὺς καὶ ἁπάντων πατὴρ ἀποθέμενος τὴν αἰγίδα καὶ τὸν κεραυνὸν ἐκάθησο ἀστραγαλίζων μετ᾽ αὐτοῦ ὁ πώγωνα τηλικοῦτον καθειμένος. 58 The Works of Lucian of Samosata: Complete with Exceptions Specified in the Preface; in Four Volumes, Oxford 1905. 59 8, 3: μή μοι λοιδοροῦ, ὦ γενναιοτάτη, τοῖς παιδικοῖς· οὑτοσὶ γὰρ ὁ θηλυδρίας, ὁ βάρβαρος, ὁ μαλθακός, ἡδίων ἐμοὶ καὶ ποθεινότερος – οὐ βούλομαι δὲ εἰπεῖν, μή σε παροξύνω ἐπὶ πλέον. 60 8, 4: οὔκ, ἀλλὰ τὸν Ἥφαιστον ἔδει τὸν σὸν υἱὸν οἰνοχοεῖν ἡμῖν χωλεύοντα, ἐκ τῆς καμίνου ἥκοντα, ἔτι τῶν σπινθήρων ἀνάπλεων, ἄρτι τὴν πυράγραν

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außerdem auch ein praktisches Beispiel, eine konkrete Anwendung (wenn man so will) des „libertinen Liebesprogramms“ des Zeus, wie es in D.Deor. 6 nur „abstrakt“ formuliert und verkündet worden war.61 Das Leben und die Weltanschauung des Zeus sind von diesem in seiner Unverfrorenheit fast naiven „Lust-Prinzip“ ganz und gar beherrscht, und jede Form moralischer Bedenken ist entsprechend verschwunden: Zeus reagiert also gar nicht auf den berechtigten Vorwurf seiner Ehefrau, gegen das Gesetz der ehelichen Treue zu verstoßen. Er kann nur mit einem teils gekränkten, teils hochmütigen Καὶ τί δεινόν, ὦ Ἥρα; antworten, ohne auf die Kritik einzugehen. Die einzige Möglichkeit, die er sieht, um den Streitfall mit seiner Gattin zu beenden, ist – erwartungsgemäß – natürlich nur eine Scheinlösung, beinahe eine verzerrte Version des platonischen Gerechtigkeitsgrundsatzes unicuique suum: jedem (jeder) der Diener, der einem (einer) gefällt. Von der eigenen Lust geblendet kann der höchste Gott einzig das Lust-Prinzip von neuem stur behaupten und über alles andere stellen: Λυπεῖς, ὦ Ἥρα, σεαυτήν, οὐδὲν ἄλλο, κἀμοὶ ἐπιτείνεις τὸν ἔρωτα ζηλοτυποῦσα· εἰ δὲ ἄχθῃ παρὰ παιδὸς ὡραίου δεχομένη τὸ ἔκπωμα, σοὶ μὲν ὁ υἱὸς οἰνοχοείτω, σὺ δέ, ὦ Γανύμηδες, ἐμοὶ μόνῳ ἀναδίδου τὴν κύλικα καὶ ἐφ᾽ ἑκάστῃ δὶς φίλει με καὶ ὅτε πλήρη ὀρέγοις κᾆτα αὖθις ὁπότε παρ᾽ ἐμοῦ ἀπολαμβάνοις.62

Am Schluss des Dialogs taucht das Thema der Macht des Zeus nochmals auf: Keiner der anderen Götter, auch Hera nicht, wird aus Angst vor dieser Macht wagen, dem Ganymedes etwas anzutun.63 D.Deor. 9. Während man in D.Deor. 8 der erotischen Dimension der Liebe begegnet, verwendet Lukian dagegen in der Schilderung des Entstehungsprozesses der Leidenschaft des Ixion für Hera einen anderen, beinahe elegischen Ton (9, 1). Dieser signalisiert, dass die Qualität dieser Leidenschaft anders ist als die des Zeus: Ixion ist ernsthaft in Hera verliebt, er betet sie regelrecht an, sein Verlangen nach ihr geht anscheinend über das rein Körperliche hinaus, und seine Begierde, welche naturgemäß nicht vollständig verschwinden kann, ist durch das Verliebt-Sein wie gedämpft. Es manifestiert sich hier auch ein neuer Aspekt des Bezugs zur Liebe in der _____________ ἀποτεθειμένον, καὶ ἀπ᾽ ἐκείνων αὐτοῦ τῶν δακτύλων λαμβάνειν ἡμᾶς τὴν κύλικα καὶ ἐπισπασαμένους γε φιλῆσαι μεταξύ, ὃν οὐδ᾽ ἂν ἡ μήτηρ σὺ ἡδέως φιλήσειας ὑπὸ τῆς ἀσβόλου κατῃθαλωμένον τὸ πρόσωπον. ἡδίω ταῦτα· οὐ γάρ; 61 8, 3: καὶ τί δεινόν, ὦ Ἥρα, μειράκιον οὕτω καλὸν μεταξὺ πίνοντα καταφιλεῖν καὶ ἥδεσθαι ἀμφοῖν καὶ τῷ φιλήματι καὶ τῷ νέκταρι; ἢν γοῦν ἐπιτρέψω αὐτῷ κἂν ἅπαξ φιλῆσαί σε, οὐκέτι μέμψῃ μοι προτιμότερον τοῦ νέκταρος οἰομένῳ τὸ φίλημα εἶναι. 62 8, 5. 63 8, 5: [Zeus:] τί τοῦτο; δακρύεις; μὴ δέδιθι· οἰμώξεται γάρ, ἤν τίς σε λυπεῖν θέλῃ.

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Figur des Zeus. Bisher ist er nämlich immer (1.) als aktiver Liebhaber, der die Initiative ergriff und seine „Liebesbeute“ jagte und erobern bzw. besitzen wollte, oder (2.) als hemmungsloser und lasziver „Freigeist“ erschienen (dieser letztere Zug ist übrigens auch hier, in der beiläufigen, jedoch sehr pointierten Bemerkung [9, 4]: Ἔτι γὰρ σὺ μέμνησαι ἐκείνων, εἴ τι ἐγὼ ἔπαιξα εἰς γῆν κατελθών; präsent). Jetzt dagegen lassen die verbissenen Worte der Hera Zeus in einer passiven Rolle erscheinen, als ungeschütztes Opfer der Liebe, ein wehrloses Wesen völlig im Banne der Liebeskraft (vgl. dagegen D.Deor. 6).64 Erneut tritt in D.Deor. 9 auch die Konstellation Liebe/Gerechtigkeit (bzw. Zeus in seiner Richterfunktion) zu Tage: Zeus, in einen Konflikt mit seiner Gattin geraten, muss diesbezüglich eine Entscheidung treffen, mit anderen Worten: Er muss strafende Gerechtigkeit in eroticis üben. Man beachte, wie auch hier der Gott, dessen Denken das Lust-Prinzip zugrunde liegt, um eine Lösung bemüht ist, die die Befriedigung dieser Lust garantieren kann – im krassen Gegensatz zur traditionellen Version des Mythos, in der das „Wolkenphantom“ von Zeus zum Zwecke erfunden war, Ixions Loyalität auf die Probe zu stellen. Für ihn ist das τετυχηκέναι τῆς ἐπιθυμίας die Hauptsache. Dementsprechend berücksichtigt seine Lösung mit dem Wolkenphantom in gar keiner Weise ideelle Aspekte wie etwa die Ehre bzw. den guten Ruf seiner Gemahlin.65 Er kann ihr natürliches Unbehagen und ihren Widerwillen überhaupt nicht nachvollziehen.66 Auch der Ausklang des Dialogs entspricht genau dieser Ansicht über die unwiderstehliche Allmacht der Liebe: Wenn es einen Grund gibt, weswegen Ixion sich strafbar gemacht hat, ist dies nicht sein Nachgeben angesichts dieser Macht, sondern sein hochmütiges Prahlen über die vollbrachte erotische Eroberung der Gemahlin des höchsten Gottes (9, 5). Der Frevel, für den er bezahlen muss, heißt μεγαλαυχία.67 Als wahrhaftige σφραγίς des Ganzen – natürlich mit Absicht an so prominenter Stelle plaziert – ist dieses Stichwort eine satirische Umformung des homerischen Begriffes der Hybris. Lukian bildet die ältere Götterwelt auf eine methodische und durchdachte Weise um: Betroffen sind nicht nur _____________ 64 9, 3: [Zeus:] ὁ δ᾽ ἔρως βίαιόν τί ἐστι καὶ οὐκ ἀνθρώπων μόνον ἄρχει, ἀλλὰ καὶ ἡμῶν αὐτῶν ἐνίοτε […]; [Hera:] Σοῦ μὲν καὶ πάνυ οὗτός γε δεσπότης ἐστὶ καὶ ἄγει σε καὶ φέρει τῆς ῥινός, φασίν, ἕλκων, καὶ σὺ ἕπῃ αὐτῷ ἔνθα ἂν ἡγῆταί σοι, καὶ ἀλλάττῃ ῥᾳδίως ἐς ὅ τι ἂν κελεύσῃ, καὶ ὅλως κτῆμα καὶ παιδιὰ τοῦ ἔρωτος σύ γε· καὶ νῦν τῷ Ἰξίονι οἶδα καθότι συγγνώμην ἀπονέμεις ἅτε καὶ αὐτὸς μοιχεύσας ποτὲ αὐτοῦ τὴν γυναῖκα, ἥ σοι τὸν Πειρίθουν ἔτεκεν. 65 9, 5: …καὶ τὸ αἰσχρὸν ἐπ᾽ ἐμὲ ἥξει διὰ τὴν ὁμοιότητα. 66 9, 5: οὐδὲν τοῦτο φῄς· οὔτε γὰρ ἡ νεφέλη ποτὲ Ἥρα γένοιτ᾽ ἂν οὔτε σὺ νεφέλη· ὁ δ᾽ Ἰξίων μόνον ἐξαπατηθήσεται. 67 9, 5: οὐκοῦν, ἤν τι τοιοῦτον εἴπῃ, ἐς τὸν ᾅδην ἐμπεσὼν τροχῷ ἄθλιος προσδεθεὶς συμπεριενεχθήσεται μετ᾽ αὐτοῦ ἀεὶ καὶ πόνον ἄπαυστον ἕξει δίκην διδοὺς οὐ τοῦ ἔρωτος – οὐ γὰρ δεινὸν τοῦτό γε – ἀλλὰ τῆς μεγαλαυχίας.

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die Handlungsweisen ihrer Einwohner, sondern auch die „Werte“, nach denen diese sich richten. Im vorliegenden Beispiel hat der Künstler den ganzen Mythos inhaltlich stark verändert. Die Ixion-Geschichte ist für ihn nur noch Anlass, die Denkweise seiner Götter bezüglich der Liebe darzustellen. Etwas indirekt thematisiert dieser Dialog schließlich auch die Beziehung zwischen Göttern und Menschen (hauptsächlich im zweiten Teil, § 4f.). Ixion gehörte nämlich zu jener Reihe von Sterblichen, die einen Aufenthalt auf dem Olymp, also im Bereich der Unsterblichkeit, erfahren durften. Wir haben also einen Fall von Kontakt zwischen diesen zwei Sphären vorliegen. Die lukianischen Götter (wie übrigens auch die homerischen) schätzen die Menschen nicht (geschweige denn sie zu „lieben“ oder für sie zu sorgen). Hera verallgemeinert die negativen Eigenschaften des Ixion und überträgt sie kurzerhand auf das ganze Menschengeschlecht: Ἀλλὰ οἱ πάντες ἄνθρωποι ἀπειρόκαλοί εἰσιν.68 Dies gewinnt eine gewisse Relevanz, wenn man bedenkt, dass eine grundlegende Eigenschaft des religiösen Empfindens der Zeit Lukians die Betonung der φιλανθρωπία und der σωτηρία der Götter war.69 Man kann nicht ganz ausschließen, dass die abfällige Ansicht, die Zeus in 9, 3 äußert,70 von Lukian als ein gegen diese Vorstellungen gerichteter polemischer Hieb intendiert war. D.Deor. 10. Die unmittelbare Berührung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre und ihre Konsequenzen sind auch das Thema von D.Deor. 10, einem Gespräch zwischen Zeus und Ganymedes. Im Grunde kann man sagen, dass dieses Stück gerade von dem scharfen Kontrast zwischen unvereinbaren und immer wieder aufeinander prallenden Dimensionen lebt. Grundgegensatz ist dabei natürlich die göttlich-himmlische Perspektive auf der einen Seite und die menschlich-irdische auf der anderen. Doch Lukian bereichert diesen im Laufe des Gesprächs durch andere Gegensatzpaare wie etwa klein/groß (Zeus, König der Götter vs. Ganymedes, kleiner Schäfer), alt/jung, ungebändigte libido des Gottes vs. kindische Unschuld des Schäfers. Die erotische Zügellosigkeit des Gottes steht auch hier im Vordergrund und bricht schon beim Auftakt geradewegs und deutlich ein: In seiner überschäumenden Erregung kann Zeus keinen Augenblick länger warten: Ἄγε, ὦ Γανύμηδες – ἥκομεν γὰρ ἔνθα ἐχρῆν – φίλησόν με ἤδη (10, 1). Der Dialog hat von Anfang bis Ende einen reizenden und anmutigen erotischen Grundton, wobei das Komische dabei gerade durch den Kontrast zwischen den wiederholt erfolglosen _____________ 68 9, 5. 69 Vgl. u. a. NOCK (1925). 70 9, 3: εὖ γε ὁ κατάρατος· ἐπ᾽ ἐμὲ αὐτὸν καὶ μέχρι τῶν Ἥρας γάμων; τοσοῦτον ἐμεθύσθη τοῦ νέκταρος; ἀλλ᾽ ἡμεῖς τούτων αἴτιοι καὶ πέρα τοῦ μετρίου φιλάνθρωποι, οἵ γε καὶ συμπότας αὐτοὺς ἐποιησάμεθα.

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Versuchen des Zeus, dem Knaben seine nicht eben unschuldigen Absichten auch nur annähernd verständlich zu machen, und der ahnungslosen Einfalt des Jungen entsteht. Man lese nur den entzückenden Schlussteil, in dem es um den gemeinsamen Schlafplatz geht (10, 4-5). Unleugbar geht es Zeus die ganze Zeit also nur um die sexuelle Vorfreude, er ist – man hört es eindeutig genug in seiner letzen Bemerkung (τοῦτ᾽ αὐτό μοι τὸ ἥδιστον ποιήσεις, εἰ ἀγρυπνήσαιμι μετὰ σοῦ φιλῶν πολλάκις καὶ περιπτύσσων [10, 5]) – von der Gewalt seines Verlangens restlos betört. Auch hier gelingt es Lukian, von solchen ausgesprochen sinnlichen Themen zwar in deutlicher Art und Weise zu sprechen, doch ohne dabei eine gewisse elegante und luftige Anmut einzubüßen: Zeus ist hier einfach amoureux avec esprit, nicht brünstig. D.Deor. 13. Der kleine D.Deor. 13 ist für meine Zwecke hier nur deshalb interessant, weil die Thematik der Macht des Zeus hier in ausgeprägter und anschaulicher Form vorkommt. Aus Furcht bzw. Ehrfurcht vor seinem Vater weigert sich Hephaistos nicht, einem direkten und präzisen Befehl von ihm (nämlich ihm den Schädel mit seiner Axt in zwei Teile zu spalten) Folge zu leisten, obwohl er diesen Befehl nicht nur als unverständlich, sondern zudem als völlig absurd und sehr gefährlich empfindet. Dennoch gehorcht er, weil er keine andere Wahl hat: (Ἥφαιστος) «Ἄκων μέν, κατοίσω δέ· τί γὰρ χρὴ ποιεῖν σοῦ κελεύοντος;». Als humorvollen Schluss verwendet Lukian das Thema der göttlichen Liebe. Die ganz plötzlich entbrannte Liebe des Hephaistos zu der gerade geborenen Athena konkretisiert sich in seinem „sittsamen“ Antrag, als er bei ihrem (und seinem!) Vater formell um die Hand der Göttin wirbt.71 Dieses sittsame Vorgehen steht somit in ersichtlichem Kontrast zur Lust-zentrierten Liebe des Zeus (der übrigens nie etwas dagegen hat, eigene oder fremde Liebeswünsche sich entfalten zu lassen, selbst wenn sie ihm unmöglich erscheinen).72 D.Deor. 15. Exakt wie Menschen (ὥσπερ ἄνθρωποι) streiten sich in D.Deor. 15 Asklepios und Herakles darum, wem von den beiden der bessere Platz am Tisch der Götter (προκατακλίνεσθαι) zusteht (15, 1). Sofort entzündet sich ein unmanierlicher und impertinenter Wortwechsel, während dessen sich die zwei verbitterten Götter gegenseitig ihre in dubioser Form erworbene Unsterblichkeit vorwerfen, indem sie, um den anderen _____________ 71 13: …καλὴ πάνυ καὶ ἀκμαία γεγένηται δὴ ἐν βραχεῖ· γλαυκῶπις μέν, ἀλλὰ κοσμεῖ τοῦτο ἡ κόρυς. ὥστε, ὦ Ζεῦ, μαίωτρά μοι ἀπόδος ἐγγυήσας ἤδη αὐτήν. 72 13 (Ende): [Zeus:] Ἀδύνατα αἰτεῖς, ὦ Ἥφαιστε· παρθένος γὰρ ἀεὶ ἐθελήσει μένειν. ἐγὼ δ᾽ οὖν τό γε ἐπ᾽ ἐμοὶ οὐδὲν ἀντιλέγω. [Hephaistos:] Τοῦτ᾽ ἐβουλόμην· ἐμοὶ μελήσει τὰ λοιπά, καὶ ἤδη συναρπάσω αὐτήν. [Zeus:] Εἴ σοι ῥᾴδιον, οὕτω ποίει· πλὴν οἶδα ὅτι ἀδυνάτων ἐρᾷς.

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zu erniedrigen, mancherlei unehrenhafte Umstände, die das irdische Leben des Gegners befleckt hätten, schamlos zum Besten geben. So äußert Herakles, Asklepios habe einen unwürdigen Verbrechertod gefunden (…ὅτι σε ὁ Ζεὺς ἐκεραύνωσεν ἃ μὴ θέμις ποιοῦντα [15, 1]) und seine Unsterblichkeit nur aus Mitleid (νῦν δὲ κατ᾽ ἔλεον αὖθις ἀθανασίας μετείληφας [15, 1]) ergattern können; wohingegen Asklepios Herakles diffamiert, er habe als Zimmermädchen bei Omphale gedient und bei einer anderen Gelegenheit, rasend, Kinder und Gattin ermordet. Vor Beleidigungen (τουτονὶ τὸν φαρμακέα; σὺ δὲ ῥιζοτόμος εἶ καὶ ἀγύρτης…ἀνδρῶδες δὲ οὐδὲν ἐπιδεδειγμένος [15, 1]) und brutalen Gewaltdrohungen73 scheuen sie natürlich ebenfalls nicht zurück. Die Belanglosigkeit des Streitobjekts und die kleingeistige Form des Streites zeigen, dass ihre irdische Existenz beide Figuren nachhaltig prägt: Zwar nunmehr unsterblich und im Himmel, ist ihr Charakter der der Sterblichen geblieben. Sogar die Unsterblichkeit verändert diesen Charakter nicht. Auch zwischen Halbgöttern und Menschen weiß also Lukian keine Unterschiede zu benennen. Zeus erscheint hier in seiner Eigenschaft als Schiedsrichter (wohl gezwungenermaßen: er will ja nicht beim Essen gestört werden), wobei seine „Gerechtigkeit“ abermals eine mechanische und banale ist, weil er nach einem absolut trivialen Kriterium entscheidet: Παύσασθε, φημί, καὶ μὴ ἐπιταράττετε ἡμῖν τὴν εὐωχίαν, ἢ ἀμφοτέρους ὑμᾶς ἀποπέμψομαι τοῦ συμποσίου. καίτοι εὔγνωμον, ὦ Ἡράκλεις, προκατακλίνεσθαί σου τὸν Ἀσκληπιὸν ἅτε καὶ πρότερον ἀποθανόντα.74

D.Deor. 22. Auch in D.Deor. 22 und D.Deor. 24 kehrt – wie im gerade besprochenen D.Deor. 15 – das Thema „Zeus als Richter“ wieder. Hintergrund dafür ist hier eine Auseinandersetzung mit Hera. Vor einem imaginären Gericht formuliert sie gegen Dionysos die doppelte Anklage, ein Weichling und ein Trunkenbold zu sein.75 Zeus muss entscheiden und spricht am Ende sein Urteil aus. Mit leichter und exquisiter sophistischer Finesse (vgl. D.Deor. 15) kehrt er jedoch beide Anklagen mit graziöser Pointiertheit in ihr Gegenteil um. Erstens demaskiert er den wahren Grund für Heras Beschwerden: wohl nicht ihr Anstoß an den beiden erwähnten Lastern, Weichlichkeit und Trunkenheit, sondern ihr Wunsch, sich auf diese Weise wegen der unehelichen Geburt des Dionysos zu rä_____________ 73 15, 2: [Herakles:] εἰ μὴ παύσῃ λοιδορούμενός μοι, αὐτίκα μάλα εἴσῃ ὅτι οὐ πολύ σε ὀνήσει ἡ ἀθανασία, ἐπεὶ ἀράμενός σε ῥίψω ἐπὶ κεφαλὴν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ, ὥστε μηδὲ τὸν Παιῶνα ἰάσασθαί σε τὸ κρανίον συντριβέντα. 74 15, 2. 75 22, 1: ἐγὼ μὲν ᾐσχυνόμην ἄν, ὦ Ζεῦ, εἴ μοι τοιοῦτος υἱὸς ἦν, θῆλυς οὕτω καὶ διεφθαρμένος ὑπὸ τῆς μέθης, μίτρᾳ μὲν ἀναδεδεμένος τὴν κόμην, τὰ πολλὰ δὲ μαινομέναις γυναιξὶ συνών, ἁβρότερος αὐτῶν ἐκείνων, ὑπὸ τυμπάνοις καὶ αὐλῷ καὶ κυμβάλοις χορεύων, καὶ ὅλως παντὶ μᾶλλον ἐοικὼς ἢ σοὶ τῷ πατρί.

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chen. Nicht um eine begründete Anklage handelte es sich also, sondern um Verleumdung.76 Zweitens deutet er die Beschuldigung, Dionysos verdürbe durch seine berühmte Erfindung, den Wein, die Menschen, ebenfalls um, indem er die Lage neu analysiert und die Schuld entsprechend verteilt: An den unangenehmen Folgen des Weinrausches sei nicht der Wein selbst schuldig, sondern seine Verbraucher, die Menschen, mit ihrer mangelnden Enthaltsamkeit und ihrer Neigung zum Exzess.77 Der Verlauf des Stücks erinnert insgesamt an eine Verhandlung vor Gericht, in welcher die eine Seite zuerst ihre Anklage gegen die andere vorträgt, und anschließend diese Anklage vom Anwalt der Gegenseite zerrissen wird. Daraus kann man – bei aller gebotenen Vorsicht – die nicht unbedeutende Ansicht gewinnen, dass die überlieferten Mythen Lukian u. U. nicht so sehr als „Ammenmärchen“ erschienen, sondern vielleicht so, wie die Materie eines Prozesses einem skrupellosen Anwalt erscheinen muss: eine Materie, die man unproblematisch nach dem jeweiligen Bedarf des Augenblicks (d. h. letztlich ohne jegliche Rücksicht auf ihren mutmaßlichen Wahrheitsgehalt) so biegen und drehen kann, wie es am nützlichsten ist.78 Es gilt ja schließlich nur, den Prozess zu gewinnen oder – allgemeiner ausgedrückt – Erfolg zu haben. Ob vor einem Publikum von Juroren im Gerichtssaal oder von „Literaturkennern“ in einem Vortragssaal, ist dabei einerlei. D.Deor. 24. Die Reihe der „Zeus-Porträts“ beschließt D.Deor. 24, wo Zeus dem Sonnengott Helios nach dem Sturz des Phaethon eine Strafpredigt hält. Für sein Vergehen muss sich Helios vor Zeus rechtfertigen und um Gnade bitten. ῞Ημαρτον, ὦ Ζεῦ, ἀλλὰ μὴ χαλέπαινε, εἰ ἐπείσθην υἱῷ πολλὰ ἱκετεύοντι· πόθεν γὰρ ἂν καὶ ἤλπισα τηλικοῦτο γενήσεσθαι κακόν;79

Das Ganze ist von Lukian in die Alltäglichkeit versetzt: Helios erscheint hier ganz und gar wie ein niedriger Angestellter, der vor einem hohen Vorgesetzen zittert. Helios fürchtet sich vor den Konsequenzen des Zornes des „Chefs“ (Thema der Macht des Zeus). Ebenfalls unmissverständlich ist, dass die kleine Szene eine Gerichtsszene ist, weil Zeus den Fall prüfen und eine entsprechende Strafe erteilen soll – ähnlich wie in D.Deor. 15. Sein „Urteil“ fällt am Ende recht milde aus, und läuft auf eine harmlose _____________ 76 22, 2: ἀλλὰ σὺ ἔτι ζηλοτυπεῖν ἔοικας, ὦ Ἥρα, καὶ τῆς Σεμέλης μνημονεύειν, ἥ γε διαβάλλεις τοῦ Διονύσου τὰ κάλλιστα. 77 22, 2: οὐδὲν τοῦτο φῄς· οὐ γὰρ οἶνος ταῦτα οὐδὲ ὁ Διόνυσος ποιεῖ, τὸ δὲ ἄμετρον τῆς πόσεως καὶ τὸ πέρα τοῦ καλῶς ἔχοντος ἐμφορεῖσθαι τοῦ ἀκράτου. 78 Zu diesem Aspekt vgl. die Ausführungen in Kap. 1, 2 dieses Hauptteils. 79 24, 1. Vgl. auch 24, 2: …ἀλλὰ ἐκεῖνός τε ἤδη ἔχει τὴν δίκην κἀμοί, ὦ Ζεῦ, ἱκανὸν τὸ πένθος.

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Warnung vor etwaiger Wiederholung der Tat hinaus (»Wehe dir, du tust es wieder!«).80 2.3.3. Fazit Obwohl – wie anfangs bereits erklärt – hier keine Gesamtinterpretation der D.Deor. dargeboten wird, dürfte die Hoffnung nicht unberechtigt sein, dass eine eingehende Analyse ihrer Hauptfigur, jener des Zeus, wie sie oben versucht worden ist, einen wichtigen Baustein zu einer solchen Gesamtdeutung liefert. Einige andere Anmerkungen allgemeiner Natur seien zum Abschluss noch gestattet. Die D.Deor. sind sicherlich eine Art „Götterkomödie“,81 welche (u. a.) das Lachen der Rezipienten erregen will. Diese kleinen Stücke sind überaus humorvoll und in solcher Art lustig, dass man noch heute ihre komische Dimension unproblematisch, d. h. auch ohne eine besondere Kenntnis der griechischen Mythologie bzw. der parodierten Bezugstexte (sog. „Hypotexte“), aufspüren und genießen kann.82 Dieser Verweis auf das Lachen löst allerdings nicht jedes Interpretationsproblem in Bezug auf die D.Deor., denn im Gegensatz zu einer zwar sehr verbreiteten, jedoch völlig unmotivierten Ansicht ist die Absicht eines Autors, Gelächter hervorzurufen, nicht unmittelbar gleichbedeutend damit, durch sein Werk lediglich reines Amüsement hervorrufen zu wollen.83 Das Lachen ist nämlich ein überaus komplexes und vor allem höchst kulturspezifisches Phänomen: man denke beispielsweise an unsere Schwierigkeit hinsichtlich des Verständnisses vieler Witze des Philogelos, oder etwa daran, dass für die Mehrheit der Rezipienten der D.Deor. der eigentliche Spaß an diesen Stücken aller Wahrscheinlichkeit nach darin bestand, die subtile Technik der Umformung der jeweiligen literarischen Vorlagen durch den Autor im Detail mit zu verfolgen – fürwahr eine heute schwerlich nachvollziehbare Form von „Spaß“.84 Somit wirft das Lachen der damaligen und zeitgenössischen Leser erneut die Frage auf und präzisiert sie: Von welcher Qualität ist _____________ 80 24, 3: νῦν μὲν οὖν συγγνώμην ἀπονέμω σοι, ἐς δὲ τὸ λοιπόν, ἤν τι ὅμοιον παρανομήσῃς ἤ τινα τοιοῦτον σεαυτοῦ διάδοχον ἐκπέμψῃς, αὐτίκα εἴσῃ, ὁπόσον τοῦ σοῦ πυρὸς ὁ κεραυνὸς πυρωδέστερος. 81 BRANHAM (1989), 158: «The literary use of the gods in Lucian is much like the use of type characters in farce and other highly stylized forms of comedy». 82 Zu diesem Aspekt vgl. BRANHAM (1989), 144f. 83 Vgl. z. B. MACLEOD (1961), 239: «Lucian’s primary purpose…in this collection would seem to be to amuse, and in this he is brilliantly successful» (Hervorhebung von mir). 84 Vgl. dazu Lukians Selbstzeugnis in Pseudolog. 6f.

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dieses Lachen? Worüber genau lacht man in den D.Deor.?85 Nun brachte die Einschränkung des Blickes auf die komische Dimension der D.Deor. zusammen mit der Betonung der Unterscheidung zwischen den „Göttern der Literatur“ und jenen des Kultes die meisten Interpreten dazu, den Aspekt der satirischen Religionskritik in den D.Deor. entweder ganz zu leugnen oder für relativ unbedeutend zu erklären. Das Räsonnement, welches hinter dieser Ansicht steht, kann man paradigmatisch etwa so wiedergeben: «Die D.Deor. sollten im Wesentlichen Lachen erregen, und ihr Sitz im Leben war primär der Vortragssaal, nicht der Tempel oder der Kult; außerdem war der Glaube an die Göttergestalten, die in den D.Deor. auf solche kaum schmeichelhafte Art und Weise vorkommen, zu der Zeit ihrer Entstehung im Grunde verschwunden».86 In Bezug auf die zuletzt erwähnte Ansicht lässt sich einwenden, dass eine Reihe neuer religionshistorischer Studien das Gegenteil bewiesen haben: der Glaube an die olympischen Götter war im 2. Jh. n. Chr. alles andere als im Aussterben begriffen und die traditionellen Mythen (bzw. ihre „stachligen“ Aspekte) wurden oft zum Gegenstand sehr ernsthafter und komplexer Denkprozesse.87 Vor allem scheint es mir aber ein schwerer Irrtum zu sein, die korrosive Macht und die versteckte Aggressivität, welche das Lachen hat bzw. haben kann, zu unterschätzen. Schließlich wusste bereits die antike Rhetoriktheorie sehr wohl, welch eine mächtige Waffe des Redners das Lächerliche darstellen konnte.88 Wenn also BRANHAM schreibt: «While this playful reanimation of myth into a series of Lucianic moments would hardly serve to inspire some forms of traditional piety and was pointedly at odds with certain contemporary modes of celebrating the Olympians, its tone is wryly comic rather than tendentious or polemical»,89

scheint mir dies eine viel zu milde, geglättete Darstellung der damaligen Zustände. Von der Analyse der Zeus-Figur ausgehend, möchte ich hier dagegen die These vertreten, dass Lukians D.Deor. ein hohes kritisches Potential in sich bergen. Mutatis mutandis denke man diesbezüglich nur daran, wie anstößig, empörend oder sogar inakzeptabel etwa eine Je_____________ 85 Vgl. BRANHAM (1989), 157. 86 MACLEOD (1961), 239: «Scarcely any educated or intelligent man of Lucian’s day could still believe in these traditional myths»; HIGHET (1962), 42f.; HALL (1981), 198. 87 Zur „Vitalität“ des Heidentums im 2. Jh. n. Chr. vgl. MACMULLEN (1981); LANE FOX (1986), bes. Kap. III und IV; FEENEY (1998); zum Nachdenken über die Mythen STROUMSA (2005), bes. 11ff. 88 S. dazu vor allem HALLIWELL (1991a), bes. 67f., und (1991b) sowie SPATHARAS (2006). 89 BRANHAM (1989), 161.

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sus-Satire oder eine Mohammed-Verspottung für viele unserer Zeitgenossen sein können. Die letzten Jahrzehnte liefern einige sehr bedeutende Beispiele in dieser Richtung, vor allem aus der Buch- und Filmindustrie. Bei der Entscheidung der Frage, wie ausgeprägt (wenn überhaupt) der religionskritische Aspekt in den D.Deor. ist, sollte man ihre Verbindung mit der Komödie nicht überschätzen.90 Da ja die lächerlichen und vulgären Erscheinungsformen der Götter in der Komödie für die alltägliche, „konventionelle“ Frömmigkeit kein Problem darstellten – argumentiert man –, muss es sich ähnlich auch in den D.Deor., die ja in der Tradition der komischen Bühnendichtung stehen, verhalten haben. Auf diese Weise wird allerdings die Gefahr übersehen, diese Beziehung als viel enger zu betrachten, als sie tatsächlich ist. Die „Götterburleske“ der Komödie fand nämlich in einem bestimmten religiösen und sozialen Rahmen statt, welcher dieser ungewöhnlich entwürdigenden Behandlung der Götter, die in anderen Kontexten völlig unmöglich war (man denke nur an die Asebieprozesse),91 das Übermaß an Schärfe nahm.92 Nichts Vergleichbares findet man dagegen im Aufführungskontext der D.Deor.. Das Fehlen jenes Rahmens differenziert den spezifischen „Ton“ des Lachens zwischen Aristophanes und Lukian grundsätzlich. Hebt man den Schleier des herzhaften Lachens, des köstlichen Humors und der leichten Anmut, welche die D.Deor. so charakteristisch prägen, und blickt dahinter, so sieht man die nackte Tatsache, dass die „Grundbausteine“ der „Theologie“ dieser Dialoge, d. h. ihrer Götterwahrnehmung, Elemente wie brutale Machtgier, sinnliche Liebe und mangelnde Gerechtigkeit sind – alles verwerfliche Eigenschaften, zumal sie – im Gegensatz zu Homer und zur Komödie – die einzigen sind, welche die lukianischen Götter kennzeichnen. Wollte Lukian in den D.Deor. Zeus wirklich so darstellen, dass die Merkmale, die oben beschrieben worden sind, einem Publikum (bzw. Leser) auffallen sollten? Tatsache ist, dass er es getan hat.

_____________ 90 BRANHAM (1989), 162f. unter Bezugnahme auf die These von FRIEDLÄNDER (1934). 91 NESTLE (1950). 92 Vgl. REVERMANN (2006), 149f.

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu 3.1. Einleitung In einer ebenso kurzen wie brillanten Miszelle von 1898 stellte KARL PRAECHTER jene Merkmale, welche seiner Meinung nach den kynischen Charakter der lukianischen Schrift Περὶ πένθους1 ausmachten, folgendermaßen zusammen:2 1. «der Tadel, daß man in der Trauer νόμῳ δὲ καὶ συνηθείᾳ folge»3; 2. die Aufdeckung der Widersprüche und des Unsinns im Jenseitsglauben und der Totenehrung; 3. die pessimistische Auffassung des Lebens; 4. die Eschatologie, welche im Einklang mit jener der menippeischen Schriften und anders als jene der Wahren Geschichten sei; 5. «der redend eingeführte Tote in c. 16 und der kräftig-derbe Beginn seiner Ansprache (Ὦ κακόδαιμον ἄνθρωπε, τί κέκραγας;), sowie die Einführung des Homerverses in c. 20 Anf. [erinnern] u. a. an die kynische Diatribe».4 Das Werk Περὶ πένθους – schließt PRAECHTER – «bildet so eine wichtige Ergänzung des Menippos, der Totengespräche u. a. lukianischer Schriften, insofern in ihm in sozusagen dogmatischer, zusammenhängender Darstellung eine Polemik vorgetragen wird, die dort nur mehr gelegentlich und in der Form der Satire zur Geltung kommt».5 Ausgangspunkt für PRAECHTERS Beitrag war folgende Beobachtung: Das gleiche Beispiel der Ägypter, die ihre Toten nicht bestatten und sie so sehr in Ehre halten, dass sie sie sogar als Garantie bei einer Geldverleihung benutzten, kommt sowohl beim Kyniker Teles (3. Jh. v. Chr.) in seinem Werk Über das Exil (Περὶ φυγῆς)6 als auch bei Lukian De luctu 21 in der gleichen argumenta_____________ 1

2 3 4 5 6

Einschlägige Bibliographie: Kommentar von ANDÒ (1984); NORDEN (1891), 31 Anm. 71; ROHDE (1898), 337 Anm. 2; MAAS (1922); LÉVY (1926), 94; HELM (1927), 1749; CASTER (1937), 272f.; REINER (1938), 24-7; BULTMANN (1959); BETZ (1961), 71-4; JOHANN (1968); CHRISTIDIS (1978) [zu De luctu 12; non vidi]. PRAECHTER (1898b), 505f. PRAECHTER (1898b), 505. PRAECHTER (1898b), 506. PRAECHTER (1898b), 506f. Das Werk ist bei Stob., Antholog. 95, 21 MEINEKE (= III 40, 8 W./H.) überliefert (ich zitiere, wie üblich, nach Seite und Zeile der Ausgabe HENSE (1909) [hier als HENSE2 zitiert], pp. 21-32). Es ist nicht das Original, sondern es handelt sich um eine Epito-

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

tiven Verwendung (nämlich als erster, prominenter Teil des Arguments aus der Verschiedenheit der Völkersitten) vor. Da nun aber der TelesPassus an dieser Stelle durch eine Lücke verdorben ist, schlug PRAECHTER vor – woran damals noch niemand gedacht hatte –, als inhaltliche Ergänzung den lukianischen Passus heranzuziehen. Zur weiteren Rechtfertigung dieser Ansicht betonte er eben den kynischen Charakter von Περὶ πένθους im Allgemeinen. Alle späteren Interpreten haben sich ihm diesbezüglich angeschlossen.7 3.2. Lukian und Teles Beschränkt man sich nicht auf diese recht spezielle Beobachtung, sondern gibt sich Mühe, den ganzen letzten Teil von Teles’ Werk zu berücksichtigen, entdeckt man plötzlich Dinge, die in Hinblick auf ein besseres Verständnis der lukianischen Schrift Περὶ πένθους sehr hilfreich sind. Eine unter den recht unangenehmen Folgen des Lebens in der Verbannung ist, dass man nicht im Boden der Heimat begraben werden kann, was ja im Altertum allgemeinen als Unglück bzw. Schande (ὄνειδος) galt.8 Diese Möglichkeit wird von Teles naturgemäß als letzte am Ende des Werkes erörtert. Dieser Schlussteil ist nun klar in drei Abschnitte gegliedert (wenigstens in der Form, wie wir ihn haben). Der erste und der zweite Abschnitt stimmen strukturell folgendermaßen miteinander überein: Am Ende von beiden ist eine ironische sententia plaziert, welche sie deutlich abgrenzt; beide enthalten exempla (im ersten Abschnitt in anekdotischer, im zweiten in poetischer Zitatform). Inhaltlich kann man vielleicht eine _____________

7

8

me des Theodoros (HENSE2 p. xviii ss.). Vgl. die klassische Darstellung von WILAMOWITZ (1881), 3. Excurs: Der kynische Prediger Teles, 292-319 (bes. 295ff.); zu den spezifischen Eigenschaften des Kynismus des Teles vgl. HENSE2 p. xliii ss. und FUENTES GONZÁLEZ (1998), 37-41; 56-66. HELM (1906), 348 («zwei Diatriben, ganz in kynischer Art gehalten stehen in naher Beziehung zu den menippeischen Schriften Lucians, die Schrift über die Trauer und von den Opfern»); SCHMID/STÄHLIN (1924), 721 mit Anm.1; HALL (1981), 102 und 196, ANDÒ (1984), 30ff.; KASSEL (1958), 82 (mit Verweis auf PRAECHTER [1898b] in der Anm. 1 ebd.): «So mögen Diatriben, die von der in kynischem Geiste gehaltenen Lukians ‘tunica distabant’, mit Juvenal zu reden, unserem Autor [nämlich der pseudoplutarcheischen Consolatio ad Apollonium] vorgelegen haben». Dieser Topos findet such auch bei Lukian, vgl. Patr. enc. 9: Ποθεινὴ μὲν οὖν καὶ νέοις ἡ πατρίς· τοῖς δὲ ἤδη γεγηρακόσιν ὅσῳ πλεῖον τοῦ φρονεῖν ἢ τοῖς νέοις μέτεστι, τοσούτῳ καὶ πλείων ἐγγίνεται πόθος τῆς πατρίδος· ἕκαστος γοῦν τῶν γεγηρακότων καὶ σπεύδει καὶ εὔχεται καταλῦσαι τὸν βίον ἐπὶ τῆς πατρίδος, ἵν᾿, ὅθεν ἤρξατο βιοῦν, ἐνταῦθα πάλιν καὶ τὸ σῶμα παρακατάθηται τῇ γῇ τῇ θρεψαμένῃ καὶ τῶν πατρῴων κοινωνήσῃ τάφων· δεινὸν γὰρ ἑκάστῳ δοκεῖ ξενίας ἁλίσκεσθαι καὶ μετὰ θάνατον, ἐν ἀλλοτρίᾳ κειμένῳ γῇ.

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu

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gewisse Steigerung vom ersten zum dritten Unterteil beobachten: Es macht keinen Unterschied, wo eine Bestattung stattfindet, etwa in der Heimat oder in der Fremde (Abschnitt 1), und ob sie überhaupt nicht stattfindet (Abschnitt 2), denn der Körper wird sich am Ende ohnehin auflösen (Abschnitt 3).9 1. – p. 29,1-30,1 HENSE2 {–} Ἀλλὰ τό γε ἐν τῇ ἰδίᾳ μὴ ἐξεῖναι ταφῆναι πῶς οὐκ ὄνειδος; {–} Καὶ πῶς μέλλει τοῦτο ὄνειδος εἶναι ὃ τοῖς ἀρίστοις πολλάκις συνέβη; ἢ τίς τιμὴ αὕτη ἥ τις τοῖς κακίστοις περιγίνεται; καὶ Σωκράτην μὲν ἐπαινοῦσιν, ὅταν ἐπιλαμβανόμενος Ἀθηναίων λέγῃ· οἱ μὲν γὰρ στρατηγοὶ ἐφ᾽ οἷς καλλωπίζονται, ὑπερόριοι τεθαμμένοι εἰσί, τὰ δὲ ὀνείδη τῆς δημοκρατίας ἐν τοῖς δημοσίοις τάφοις. ὅμως δὲ τὸ μὲν ἐπὶ ξένης ταφῆναι ὄνειδος, τὸ δ᾽ ἐν τοῖς δημοσίοις τάφοις τίμιον; τί δὲ καὶ διαφέρειν ἂν δόξαι ἐπὶ ξένης ταφῆναι ἢ ἐν τῇ ἰδίᾳ; οὐκ ἀηδῶς γάρ τις τῶν Ἀττικῶν φυγάδων λοιδορουμένου τινὸς αὐτῷ καὶ λέγοντος ἀλλ᾽ οὐδὲ ταφήσῃ ἐν τῇ ἰδίᾳ, ἀλλ᾽ ὥσπερ οἱ ἀσεβεῖς Ἀθηναίων ἐν τῇ Μεγαρικῇ ὥσπερ μὲν οὖν φησίν οἱ εὐσεβεῖς Μεγαρέων ἐν τῇ Μεγαρικῇ. τί γὰρ τὸ διάφορον; ἢ οὐ πανταχόθεν, φησὶν ὁ Ἀρίστιππος, ἴση καὶ ὁμοία ἡ εἰς ᾅδου ὁδός;10

1. – Argumentation Es macht keinen Unterschied, wo man begraben wird, denn das, was zählt, ist nur die individuelle Tugend (zwei beweisende exempla: Sokrates und der anonyme Athener in Megara). Folglich kann es keine Schande bzw. kein Unglück sein, wenn man nicht in der Heimat, sondern in der Fremde begraben wird.

_____________ 9 Näheres zur ganzen Passage im Kommentar von FUENTES GONZÁLEZ (1998), 345-55. 10 Fr. IV A 103 GIANNANTONI, der dazu anmerkt (GIANNANTONI [1983], I 228): «eandem sententiam Anaxagorae Cicer. tusc. disp. I 34,104, Diog. Laert. II 31 et Gnom. Vat. n. 115 vindicant; Bianti Cod. Paris. 1168f. 148r; aliis verbis simile dictum de Diogene cynico multi auctores tradunt: cf. V B 86»; ergänzend dazu FUENTES GONZÁLEZ (1998), 351.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

2. – p. 30,1-10 HENSE2

2. – Argumentation

ἢ τὴν ἀρχὴν εἰ μὴ ταφήσῃ, τί σοι μέλει; ἀλλ᾽ ἡ περὶ ταφῆς ἀγωνία, φησὶν ὁ Βίων, πολλὰς τραγῳδίας ἐποίησεν.11 ὥσπερ καὶ ὁ Πολυνείκης ἐντέλλεται

Es macht keinen Unterschied, ob man unbegraben bleibt – in die Unterwelt kommt man sicherlich sowieso!

θάψον δέ μ᾽ ὦ τεκοῦσα καὶ σὺ σύγγονε ἐν γῇ πατρῴᾳ, καὶ πόλιν θυμουμένην παρηγορεῖτον, ὡς τοσόνδε γοῦν τύχω χθονὸς πατρῴας, κεἰ δόμους ἀπώλεσα.12

εἰ δὲ μὴ τύχοις χθονὸς πατρῴας, ἀλλ᾽ ἐπὶ ξένης ταφείης, τί ἔσται τὸ διάφορον; ἢ ἐκ Θηβῶν μὲν εἰς ᾅδου ὁ Χάρων πορθμεύει < . . . >13; καὶ γῆς φίλης ὄχθοισι κρυφθῆναι καλόν.14

_____________ 11 Fr. 70 KINDSTRAND (KINDSTRAND [1976]; Komm. auf S. 284f.). 12 Eur., Phoen. 1447-50. 13 Lac. stat. HENSE qui exempli gratia ἄλλοθεν δ᾿ οὔ; vel collato WILAMOWITZ ([1881], 301) ἐκ Μεγάρων δ᾿ οὔ; suppl. vult. 14 TrGF adesp. 281 KANNICHT-SNELL.

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu

3. – p. 31,1-32,2 HENSE2

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3. – Argumentation

εἰ δὲ μὴ κρυφθείης, ἀλλὰ ἄταφος Die zu beweisende These lautet: „Es macht keinen Unterschied, 15, wenn man unbestattet bleibt“. Zwei Gründe werden angeführt: (1.) τί τὸ δυσχερές; ἢ τί διαφέρει ὑπὸ πυρὸς κατακαυθῆναι ἢ ὑπὸ κυνὸς καταβρωθῆναι ἢ ἐπάνω τῆς γῆς ὄντα ὑπὸ κοράκων ἢ κατορυχθέντα ὑπὸ σκωλήκων; συνάρμοσον δέ μου βλέφαρα τῇ σῇ χερί, μῆτερ.16

ἂν δὲ μὴ συναρμόσῃ σου, ἀλλὰ βλέπων καὶ κεχηνὼς ἀποθάνῃς, τί ἔσται τὸ χαλεπόν; ἢ καὶ τῶν ἐν τῇ θαλάττῃ καὶ ἐν τοῖς πολέμοις ἀποθνῃσκόντων συναρμόζει τις; (2.) ἀλλ᾽ ἔμοιγε δοκεῖ ταῦτα παιδιά17 τις ἡμετέρα εἶναι < . . . >18 καὶ ἡμεῖς μὲν καὶ ἰδεῖν καὶ ἅψασθαι ὀκνοῦμεν· οἱ δὲ σκελετεύσαντες ἔνδον ἔχουσιν ὡς καλόν τι καὶ ἐνέχυρα τοὺς νεκροὺς λαμβάνουσιν. οὕτως ἀντέστραπται τῷ ἡμετέρῳ ὁ ἐκείνων τρόπος.19

(1.) Da der „Endzustand“, nämlich die Vernichtung bzw. Auflösung des Körpers, sowieso erreicht werden wird, ist die Art und Weise, wie dieser Prozess abläuft, nicht von Belang.20

(2.) [ – Lücke – ] Argument aus der Verschiedenheit der Völkersitten, verwendet am speziellen Beispiel der Bestattungsbräuche (dazu vgl. infra).

_____________ 15 Add. MEINEKE. 16 Eur., Phoen. 1451f. 17 HENSE (1890), 551f. hat gezeigt, dass dieser Vergleich der menschlichen Sorgen mit lächerlichen Sorgen eigentlich stoisches Gedankengut ist (vgl. Plut., De tranquill. 469 D; Sen., Ep. 24, 13; 115, 8). Auch dieses Element wird von Lukian nicht übernommen (dazu vgl. infra). 18 Lac. stat. HENSE. Gegen die Annahme einer Lücke im Text hat sich BARIGAZZI (1962), 79f. ausgesprochen; seiner Meinung hat sich auch FUENTES GONZÁLEZ (1998), 345-7 angeschlossen. 19 Der Abschnitt hat auch am Ende gelitten, HENSE2 p. ciii in Bezug auf diesen letzten Satz οὕτως…τρόπος: «sed quae sub fine subsequntur…nunc quidem durissime continuantur verbis praegressis. epitomatoris culpa, nisi males librarii». 20 Der gleiche Topos auch bei Cic., Tusc. I 102 («Cyrenaeum Theodorum, philosophum non ignobilem, nonne miramur? cui cum Lysimachus rex crucem minaretur, ‘istis,

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Der inhaltliche Anschluss zwischen 3.1 und 3.2 hat den Interpreten Schwierigkeiten bereitet, nicht nur wegen der Lücke, sondern auch weil man nicht ohne weiteres sieht, wie genau das Argument aus der Verschiedenheit der Völkersitten die These des dritten Abschnittes beweisen sollte. Da HENSES Anmerkungen zur Stelle in den Prolegomena nicht erhellend sind, soll hier der Zusammenhang erneut aufgegriffen und geklärt werden. Meines Erachtens gibt es zwei Möglichkeiten, den fehlenden Zusammenhang zu rekonstruieren. (a.) Die Begründung könnte eine erkenntnistheoretische sein: Anzunehmen, dass das Unbestattetbleiben eine ungeheuerliche Beschämung sei, ist keine Selbstverständlichkeit, deren Wahrheit allen sofort ersichtlich wird, sondern ist lediglich eine eigentümliche Vorstellung der Griechen, denn für andere Völker (wie z. B. die Ägypter, unter vielen anderen) ist umgekehrt das Fehlen einer Bestattung die Selbstverständlichkeit. Die Annahme, man müsse auf jeden Fall bestattet werden, ist in ihrer Wurzel unbegründet.

Alternativ könnte man (b.) an eine weitere logische Ableitung, sozusagen ein Korollar, aus dem allgemeinen Prinzip „der Körper wird sich sowieso auflösen“ denken, etwa so: Der Körper wird sich sowieso auflösen. Ob dies über oder unter der Erde passiert, spielt keine Rolle, von daher macht es auch keinen Unterschied, ob man den Toten bestattet oder nicht. Einige Völker, wie z. B. die Ägypter, tun es nämlich nicht.

Ich tendiere zu dieser letzten Möglichkeit, denn sie scheint mir von einer Sentenz des Bion bestätigt,21 was umso beherzigenswerter ist, als dieser Kyniker die Quelle des Teles in diesem Abschnitt zu sein scheint.22 Methodisch war es m. E. notwendig, die Teles-Passage zu den Bestattungsbräuchen so ausführlich durchzugehen, nicht nur weil sie die einzige kynische Quelle zum Thema ist, sondern auch weil man sich nur auf diese _____________ quaeso’ inquit ‘ista horribilia minitare purpuratis tuis: Theodori quidem nihil interest, humine an sublime putescat.’») und 104 («durior Diogenes, et is quidem eadem sentiens, sed ut Cynicus asperius: proici se iussit inhumatum. tum amici: ‘volucribusne et feris?’ ‘minime vero’ inquit, ‘sed bacillum propter me, quo abigam, ponitote.’ ‘qui poteris?’ illi, ‘non enim senties.’ ‘quid igitur mihi ferarum laniatus oberit nihil sentienti?’»; vgl. dazu auch D.L., Vit. VI 79 und [Ps.-]Diog., Ep. 25 [= V B 555 GIANNANTONI]). – Weitere Stellen zum Thema „Tod = vollständiges Unbewußtsein“ hat R. KASSEL in seinem Kommentar zum 15. Kapitel der Consolatio ad Apollonium des Pseudo-Plutarch sorgfältig zusammengestellt (KASSEL [1958], 79-82). 21 D.L., Vit. IV 48 (zwar erwähnt, doch m. E. nicht gebührend verwertet von HENSE2 p. cvi): κατεγίνωσκε δὲ καὶ τῶν τοὺς ἀνθρώπους κατακαόντων μὲν ὡς ἀναισθήτους, παρακαόντων δὲ ὡς αἰσθανομένοις [varia lectio αἰσθανομένους]. 22 Vgl. HENSE2 pp. cv-cvi («ut ad Teletem revertar, ex Bione transcriptam esse etiam eam disputationis particulam, cuius nunc supersunt verba καὶ ἡμεῖς μὲν κτἑ. valde veri simile duco»).

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu

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Weise eine sichere Basis verschafft, um jetzt auf Lukians Περὶ πένθους aus einer genaueren Perspektive zurückblicken zu können. Einiges ist nämlich bisher anscheinend übersehen worden. Zuerst muss man bemerken, dass die Kyniker im Allgemeinen und Teles insbesondere meines Wissens nie die Trauerfeier lächerlich machen, was hingegen Lukian in extenso tut. Dies mag vielleicht unbedeutend erscheinen, jedoch muss man bedenken, dass, wenn Lukian tatsächlich von kynischen Quellen in welcher Form auch immer „abhängig“ gewesen wäre, die Erwartung, etwas ähnliches auch dort zu finden, mehr als berechtigt wäre.23 Viel wichtiger ist jedoch eine andere Beobachtung. Die Verschiedenheit der Völkersitten wird bei Teles im Rahmen einer philosophischen Beweisführung als Argument verwendet (dies ist unweigerlich der Fall auch bei anderen Autoren, wie man gleich sehen wird). Dagegen dürfte jedem, der die entsprechende lukianische Stelle liest, evident sein, dass seine Aufzählung keine vergleichbare Funktion hat, sondern lediglich flüchtige Heiterkeit zu erzeugen beabsichtigt, also wirklich nichts mehr als ein kleiner Witz ist: Καὶ μέχρι μὲν θρήνων ὁ αὐτὸς ἅπασι νόμος τῆς ἀβελτερίας· τὸ δὲ ἀπὸ τούτου διελόμενοι κατὰ ἔθνη τὰς ταφὰς ὁ μὲν Ἕλλην ἔκαυσεν, ὁ δὲ Πέρσης ἔθαψεν, ὁ δὲ Ἰνδὸς ὑάλῳ περιχρίει, ὁ δὲ Σκύθης κατεσθίει, ταριχεύει δὲ ὁ Αἰγύπτιος· οὗτος μέν γε – λέγω δὲ ἰδών – ξηράνας τὸν νεκρὸν σύνδειπνον καὶ συμπότην ἐποιήσατο. πολλάκις δὲ καὶ δεομένῳ χρημάτων ἀνδρὶ Αἰγυπτίῳ ἔλυσε τὴν ἀπορίαν ἐνέχυρον ἢ ὁ ἀδελφὸς ἢ ὁ πατὴρ ἐν καιρῷ γενόμενος.24

Ein weiteres Merkmal, welches Lukian und die Kyniker an dieser Stelle scharf voneinander trennt, ist die Tatsache, dass die letzteren diese fremden Sitten nie als lächerlich und töricht darstellen. Kurz, trotz der Verwendung des gleichen Materials ist der Fokus in der lukianischen und kynischen Betrachtung eindeutig verschieden ausgerichtet. _____________ 23 Der kurze 25. Brief des Ps.-Diog. (= V B 555 GIANNANTONI), der den Tod zum Thema hat, erwähnt sie z. B. überhaupt nicht: Ἵππωνι. Παρεκάλεις με ἐπιστεῖλαί σοι, ὅ τι ποτὲ ἔγνωκα περὶ θανάτου καὶ ταφῆς, ὡς οὐκ ἂν τέλειος φιλόσοφος γενόμενος, εἰ μὴ καὶ τὰ μετὰ τὸ ζῆν παρ᾽ ἡμῶν μάθοις. ἐγὼ δ᾽ ἱκανὸν ἡγοῦμαι τὸ κατ᾽ ἀρετὴν καὶ φύσιν ζῆσαι καὶ τοῦτ᾽ ἐφ᾽ ἡμῖν εἶναι. ὥσπερ δὲ τὰ πρὸ τῆς γενέσεως παρακεχώρηται τῇ φύσει, οὕτω καὶ τὰ μετὰ τὸ ζῆν ἐπιτρεπτέα ταύτῃ· αὐτὴ γὰρ ὡς ἐγέννησε, καὶ διαλύσει. μηδὲν δὲ εὐλαβηθῇς ὅπως ποτὲ ἀναίσθητος ὦ. ἐγὼ γοῦν ἔγνωκα ἀποπνεύσαντί μοι παρατεθῆναι τὸ βάκτρον, ἵνα τὰ δοκοῦντά με λυμαίνεσθαι ζῷα ἀπελαύνοιμι. 24 De luctu 21.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Zuletzt darf man auch nicht vergessen, dass dieser Topos in der Antike keineswegs ein „exklusiver Besitz“ der kynischen Sekte war.25 So spiegelt schon Herodot, Hist. III 38,26 wo dieser Gedanke zum ersten Mal vorkommt, höchstwahrscheinlich sophistischen Einfluss wider.27 In späterer Zeit führen der Akademiker Cicero,28 der hier jedoch eine stoische Quelle, nämlich Chrysipp, exzerpiert, sowie der Skeptiker Sextus Empiricus29 diese _____________ 25 Der schon zitierte Beitrag PRAECHTERS [1898b] hat vor allem das Verdienst, genau dies gezeigt zu haben. Vgl. dazu auch KASSEL (1958), 13 und FUENTES GONZÁLEZ (1998), 355. 26 Hdt., Hist. III 38: Πανταχῇ ὦν μοι δῆλά ἐστι ὅτι ἐμάνη μεγάλως ὁ Καμβύσης· οὐ γὰρ ἂν ἱροῖσί τε καὶ νομαίοισι ἐπεχείρησε καταγελᾶν. Εἰ γάρ τις προθείη πᾶσι ἀνθρώποισι ἐκλέξασθαι κελεύων νόμους τοὺς καλλίστους ἐκ τῶν πάντων νόμων, διασκεψάμενοι ἂν ἑλοίατο ἕκαστοι τοὺς ἑωυτῶν· οὕτω νομίζουσι πολλόν τι καλλίστους τοὺς ἑωυτῶν νόμους ἕκαστοι εἶναι. Οὐκ ὦν οἰκός ἐστι ἄλλον γε ἢ μαινόμενον ἄνδρα γέλωτα τὰ τοιαῦτα τίθεσθαι. Ὡς δὲ οὕτω νενομίκασι τὰ περὶ τοὺς νόμους οἱ πάντες ἄνθρωποι, πολλοῖσί τε καὶ ἄλλοισι τεκμηρίοισι πάρεστι σταθμώσασθαι, ἐν δὲ δὴ καὶ τῷδε. Δαρεῖος ἐπὶ τῆς ἑωυτοῦ ἀρχῆς καλέσας Ἑλλήνων τοὺς παρεόντας εἴρετο ἐπὶ κόσῳ ἂν χρήματι βουλοίατο τοὺς πατέρας ἀποθνῄσκοντας κατασιτέεσθαι· οἱ δὲ ἐπ᾽ οὐδενὶ ἔφασαν ἔρδειν ἂν τοῦτο. Δαρεῖος δὲ μετὰ ταῦτα καλέσας Ἰνδῶν τοὺς καλεομένους Καλλατίας, οἳ τοὺς γονέας κατ εσθίουσι, εἴρετο, παρεόντων τῶν Ἑλλήνων καὶ δι᾽ ἑρμηνέος μανθανόντων τὰ λεγόμενα, ἐπὶ τίνι χρήματι δεξαίατ᾽ ἂν τελευτῶντας τοὺς πατέρας κατακαίειν πυρί· οἱ δὲ ἀμβώ σαντες μέγα εὐφημέειν μιν ἐκέλευον. Οὕτω μέν νυν ταῦτα νενόμισται, καὶ ὀρθῶς μοι δοκέει Πίνδαρος ποιῆσαι, νόμον πάντων βασιλέα φήσας εἶναι. 27 Vgl. ZELLER (1876), 939 Anm. 1; DÜMMLER (1889), 249; HUMBACH (1974), 26-8. 28 Vgl. Cic., Tusc. I 108: «Sed quid singulorum opiniones animadvertam, nationum varios errores perspicere cum liceat? condiunt Aegyptii mortuos et eos servant domi; Persae etiam cera circumlitos condunt, ut quam maxime permaneant diuturna corpora. Magorum mos est non humare corpora suorum, nisi a feris sint ante laniata; in Hyrcania plebs publicos alit canes, optumates domesticos: nobile autem genus canum illud scimus esse, sed pro sua quisque facultate parat a quibus lanietur, eamque optumam illi esse censent sepulturam. permulta alia colligit Chrysippus, ut est in omni historia curiosus, sed ita taetra sunt quaedam, ut ea fugiat et reformidet oratio. totus igitur hic locus est contemnendus in nobis, non neglegendus in nostris, ita tamen, ut mortuorum corpora nihil sentire vivi sentiamus»; zu dieser Stelle vgl. HIRZEL (1883), 397f. 29 Sext., Pyrr. hypot. III 226-9: καίτοι εἴγε ἦν φύσει τὰ τῆς θρῃσκείας καὶ τῶν ἀθέσμων, παρὰ πᾶσιν ἂν ὁμοίως ἐνομίζετο. Παραπλήσια δὲ ἔστι λέγειν καὶ περὶ τῆς εἰς τοὺς κα τοιχομένους ὁσιότητος. οἱ μὲν γὰρ ὁλοκλήρως περιστεί λαντες τοὺς ἀποθανόντας γῇ καλύπτουσιν, ἀσεβὲς εἶναι νομίζοντες ἡλίῳ δεικνύειν αὐτούς· Αἰγύπτιοι δὲ τὰ ἔντερα ἐξελόντες ταριχεύουσιν αὐτοὺς καὶ σὺν ἑαυτοῖς ὑπὲρ γῆς ἔχουσιν. Αἰθιόπων δὲ οἱ ἰχθυοφάγοι εἰς τὰς λίμνας ἐμβάλλουσιν αὐτούς, ὑπὸ τῶν ἰχθύων βρωθησομένους· Ὑρκανοὶ δὲ κυσὶν αὐτοὺς ἐκτίθενται βοράν, Ἰνδῶν δὲ ἔνιοι γυψίν. Τρωγλοδύτας δέ φασιν ἐπί τινα γεώλοφον ἄγειν τὸν ἀποθανόντα, εἶτα δεσμεύσαντας αὐτοῦ τὴν κε φαλὴν πρὸς τοὺς πόδας λίθοις βάλλειν μετὰ γέλωτος, εἶθ᾽ ὅταν χώσωσιν αὐτὸν τοῖς βαλλομένοις ἀπαλλάσσεσθαι. τινὲς δὲ βάρβαροι τοὺς μὲν ὑπὲρ ἑξήκοντα ἔτη γεγονότας

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu

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„Geschichte“ auf: beide – wohlgemerkt – in einem philosophischen Rahmen, im Gegensatz zu Lukian. Die genannte Eigenschaft der lukianischen Stelle springt umso klarer ins Auge, wenn man eine Stelle beim Historiker Diodor berücksichtigt. Auch er, der das ganze erste Buch seines historischen Werkes einer Beschreibung Ägyptens widmet, erwähnt diesen besonderen Brauch der Ägypter, die Leichen ihrer Familienangehörigen „unter Salz“ zu legen (ταριχεύειν) und sie u. U. als Pfand zu verwenden (I 93: νόμιμον δ᾽ ἐστὶ παρ᾽ αὐτοῖς καὶ τὸ διδόναι τὰ σώματα τῶν τετελευτηκότων γονέων εἰς ὑποθήκην δανείου). Eine mokierende Absicht kommt ihm jedoch dabei überhaupt nicht in den Sinn, sondern interessanterweise bietet er eine positive Lektüre im Sinne einer Bemühung, ausgerechnet das Fremdartige einer fremden Kultur zu verstehen, was bei Diodor umso mehr wundert, als dieser Autor im Grunde „nur“ ein Kompilator war.30 Die Erwähnung dieser Sitte bildet das Ende eines langen und ziemlich detaillierten31 Abschnittes (I 91f.), in dem der für griechische Verhältnisse so „exotische“ Prozess der Mumifizierung beschrieben wird: Σεμνότατον δὲ διείληπται παρ᾽ Αἰγυπτίοις τὸ τοὺς γονεῖς ἢ τοὺς προγόνους φανῆναι περιττότερον τετιμηκότας εἰς τὴν αἰώνιον οἴκησιν μεταστάντας. νόμιμον δ᾽ ἐστὶ παρ᾽ αὐτοῖς καὶ τὸ διδόναι τὰ σώματα τῶν τετελευτηκότων γονέων εἰς ὑποθήκην δανείου· τοῖς δὲ μὴ λυσαμένοις ὄνειδός τε τὸ μέγιστον ἀκολουθεῖ καὶ μετὰ τὴν τελευτὴν στέρησις ταφῆς.32

Die obsessive Genauigkeit, mit der die Ägypter ihre funerären Sitten pflegen, hat nun – fährt Diodor fort – schon immer Verwunderung hervorgerufen (I 93, 2: θαυμάσαι δ᾽ ἄν τις προσηκόντως τοὺς ταῦτα διατάξαντας). Sobald man aber das „ethische“ Prinzip, welches all diese Rituale bewegt, durchschaut hat, erscheint diese Genauigkeit als kulturelle Überlegenheit der Ägypter, sogar den Griechen gegenüber. Die Pflege der Toten soll nämlich in der Gesellschaft der Lebenden einen gewissen „moralischen Standard“ garantieren (I 93, 4: καὶ διὰ τούτου τοῦ τρόπου ἡ μεγίστη καὶ συμφορωτάτη διόρθωσις γίνεται τῶν ἠθῶν). Während die Griechen die Sanktionierung eines der Grundprinzipien der Moral (I 93, 3: τήν τε τῶν εὐσεβῶν τιμὴν καὶ τὴν τῶν πονηρῶν τιμωρίαν) lächerli_____________ θύσαντες ἐσθίουσιν, τοὺς δὲ ἐν νεότητι ἀποθανόντας γῇ κρύπτουσιν. ἔνιοι δὲ καίουσι τοὺς τετελευτηκότας· ὧν οἱ μὲν ἀναλαβόντες αὐτῶν τὰ ὀστέα κηδεύουσιν, οἱ δὲ ἀφροντίστως καταλείπουσιν ἐρριμμένα. Πέρσας δέ φασιν ἀνασκολοπίζειν τοὺς ἀποθανόντας καὶ νίτρῳ ταριχεύειν, εἶθ᾽ οὕτω τελαμῶσι συνειλεῖν. ἄλλοι δὲ ὅσον πένθος ἐπὶ τοῖς τελευτήσασιν ὑπομένουσιν ὁρῶμεν. 30 BURTON (1972), 1ff. 31 BURTON (1972), 30 und 262 (Unabhängigkeit von Herodot). 32 Diod., Bibl. hist. I 93, 1.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

chen Mythen, die keine Überzeugungskraft haben, anvertraut haben,33 erleben die Ägypter, die durch ihren besonderen Jenseitsglauben den Wirkungsbereich dieses Prinzips auf die „Pflege“ der Toten übertragen haben, tagtäglich seine aktuelle Wirksamkeit, denn eine mangelnde Totenpflege ist in dieser Perspektive für den Toten eine Strafe und für die Hinterbliebenen eine starke Mahnung: Παρὰ δὲ τοῖς Αἰγυπτίοις οὐ μυθώδους, ἀλλ᾽ ὁρατῆς τοῖς μὲν πονηροῖς τῆς κολάσεως, τοῖς δ᾽ ἀγαθοῖς τῆς τιμῆς οὔσης, καθ᾽ ἑκάστην ἡμέραν ἀμφότεροι τῶν ἑαυτοῖς προσηκόντων ὑπομιμνήσκονται, καὶ διὰ τούτου τοῦ τρόπου ἡ μεγίστη καὶ συμφορωτάτη διόρθωσις γίνεται τῶν ἠθῶν. κρατίστους δ᾽, οἶμαι, τῶν νόμων ἡγητέον οὐκ ἐξ ὧν εὐπορωτάτους, ἀλλ᾽ ἐξ ὧν ἐπιεικεστάτους τοῖς ἤθεσι καὶ πολιτικωτάτους συμβήσεται γενέσθαι τοὺς ἀνθρώπους.34

Schließlich muss auch kurz erwähnt werden, dass – ähnlich wie in De Sacrificiis – auch in Bezug auf De luctu einige forschungsgeschichtlich sehr lehrreiche „Episoden“ zu registrieren sind. Außer in Lukian De luctu 21 und bei Diodor (l.c.) findet sich dieser Bericht über die „Mumie als Pfand“ auch bei Herodot.35 Ein Teil der Forschung hat nun diese Angaben so ernst genommen, dass nach Beweisen für diese Praxis in dem Recht der ägypischen Papyri gesucht worden ist. Diese Suche blieb vergeblich und hatte lediglich den dubiosen Vorteil, (unwillkürlich) spaßige Bemühungen zu produzieren,36 doch lässt sich das beneidenswerte Vertrauen der Kommentatoren dadurch immer noch nicht erschüttern.37 _____________ 33 Diod., Bibl. hist. I 93, 3: οἱ μὲν γὰρ Ἕλληνες μύθοις πεπλασμένοις καὶ φήμαις διαβεβλημέναις τὴν περὶ τούτων πίστιν παρέδωκαν, τήν τε τῶν εὐσεβῶν τιμὴν καὶ τὴν τῶν πονηρῶν τιμωρίαν· τοιγαροῦν οὐχ οἷον ἰσχῦσαι δύναται ταῦτα προτρέψασθαι τοὺς ἀνθρώπους ἐπὶ τὸν ἄριστον βίον, ἀλλὰ τοὐναντίον ὑπὸ τῶν φαύλων χλευαζόμενα πολλῆς καταφρονήσεως τυγχάνουσι. 34 Diod., Bibl. hist. I 93, 3. 35 Hdt., Hist. II 136, 2 (vgl. WILCKEN, U.P.Z. I, 101ff.): Ἐπὶ τούτου βασιλεύοντος [nämlich Asychis, d. h. der ägyptische Scheschonk] ἔλεγον ἀμειξίης ἐούσης πολλῆς χρημάτων γενέσθαι νόμον Αἰγυπτίοισι, ἀποδεικνύντα ἐνέχυρον τοῦ πατρὸς τὸν νέκυν οὕτω λαμβάνειν τὸ χρέος· προστεθῆναι δὲ ἔτι τούτῳ τῷ νόμῳ τόνδε, τὸν διδόντα τὸ χρέος καὶ ἁπάσης κρατέειν τῆς τοῦ λαμβάνοντος θήκης· τῷ δὲ ὑποτιθέντι τοῦτο τὸ ἐνέχυρον τήνδε ἐπεῖναι ζημίην μὴ βουλομένῳ ἀποδοῦναι τὸ χρέος, μήτε αὐτῷ ἐκείνῳ τελευτήσαντι εἶναι ταφῆς κυρῆσαι μήτ᾽ ἐν ἐκείνῳ τῷ πατρωίῳ τάφῳ μήτ᾽ ἐν ἄλλῳ μηδενί, μήτε ἄλλον μηδένα τῶν ἑωυτοῦ ἀπογενόμενον θάψαι. 36 TAUBENSCHLAG (1944), 205 Anm 1 (meine Hervorhebung): «In a letter of the II or III cent. A.D., pPrinc III 166, we read of a request to guard the body against mutilation. There is, however, no indication that this refers to the aforesaid law». 37 So kann z. B. ALAN B. LLOYD immer noch schreiben (LLOYD [1989], 354): «la legge era sicuramente [?!] applicata nel periodo tolemaico e romano». Zur Stützung dieser Behauptung verweist LLOYD auf zwei Stellen (S. 30 und 276) aus der 2. Auflage

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu

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Der Ursprung dieser Legende ist dagegen m. E. nicht in den Fakten einer Praxis, die den Grundlagen des ägyptischen Jenseitsglaubens gänzlich zuwider gewesen wäre, sondern vielleicht in den z. T. bombastischen Schwurformeln, wie sie z. B. in den rechtlichen Dokumenten aus der Nekropolenarbeitersiedlung von Deir el-Medineh in der Nähe von Theben-West für das Neue Reich belegt sind, zu suchen. 3.3. Derbe Ironie? Schon der sterbende Sokrates erlaubt sich bei Platon eine leichte Ironie über den ihm bevorstehenden Tod,38 die sich allerdings durch einen sehr raffinierten „guten Geschmack“ auszeichnet. Viel weniger geschmackvoll, sondern erheblich schroffer und derber ist dagegen die Ironisierung der funerären Bräuche durch die Kyniker. Einige Beispiele aus der Diogenes-Tradition sind schon zitiert worden, und auch Teles scheint vor einer ähnlich derben Ausdrucksweise, die sicherlich nicht das Produkt des Werkes eines Epitomators sein kann, nicht zurückgescheut zu sein. Auch heute trotz der modernen Sensibilität kann man, glaube ich, Ausdrücke wie: ἢ τί διαφέρει ὑπὸ πυρὸς κατακαυθῆναι ἢ ὑπὸ κυνὸς καταβρωθῆναι ἢ ἐπάνω τῆς γῆς ὄντα ὑπὸ κοράκων ἢ κατορυχθέντα ὑπὸ σκωλήκων; (p. 31,1-3 HENSE2), oder: ἂν δὲ μὴ συναρμόσῃ σου, ἀλλὰ βλέπων καὶ κεχηνὼς ἀποθάνῃς, τί ἔσται τὸ χαλεπόν; (p. 31,6-7 HENSE2) nicht lesen, ohne dabei eine gewisse Belästigung zu empfinden. PRAECHTER glaubte – wie am Anfang schon erwähnt –, diese Derbheit und Schroffheit der Kyniker auch bei Lukian wieder zu finden, doch eine Analyse der Stellen, in denen sich die Ironie besonders entfaltet, scheint ihn hierin klar zu widerlegen. Man lese nur die folgenden Stellen: De luctu 3: ἡ Ἀχερουσία λίμνη πρόκειται πρώτη δεχομένη τοὺς ἀπαντῶντας, ἣν οὐκ ἔνι διαπλεῦσαι ἢ παρελθεῖν ἄνευ τοῦ πορθμέως· βαθεῖά τε γὰρ περᾶσαι τοῖς ποσὶν καὶ διανήξασθαι πολλή, καὶ ὅλως οὐκ ἂν αὐτὴν διαπταίη οὐδὲ τὰ νεκρὰ τῶν ὀρνέων. De luctu 5: ταῦτα γὰρ ἀμέλει διηγήσαντο [über die Lethe] τοῖς πάλαι ἐκεῖθεν ἀφιγμένοι Ἄλκηστίς τε καὶ Πρωτεσίλαος οἱ Θετταλοὶ καὶ Θησεὺς ὁ τοῦ Αἰγέως καὶ ὁ τοῦ Ὁμήρου Ὀδυσσεύς, μάλα σεμνοὶ καὶ ἀξιόπιστοι

_____________ (Warschau 1955) von TAUBENSCHLAG (1944), wo jedoch genau das Gegenteil zu lesen ist! 38 Vgl. die schon zitierte Stelle aus Pl., Phaed. 115 c 2-5: Ταῦτα μὲν τοίνυν προθυμησόμεθα, ἔφη, οὕτω ποιεῖν· θάπτωμεν δέ σε τίνα τρόπον; Ὅπως ἄν, ἔφη, βούλησθε, ἐάνπερ γε λάβητέ με καὶ μὴ ἐκφύγω ὑμᾶς.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

μάρτυρες, ἐμοὶ δοκεῖν οὐ πιόντες τῆς πηγῆς· οὐ γὰρ ἂν ἐμέμνηντο αὐτῶν. De luctu 9: [Die Verstorbenen] τρέφονται δὲ ἄρα ταῖς παρ᾽ ἡμῖν χοαῖς καὶ τοῖς καθαγιζομένοις ἐπὶ τῶν τάφων· ὡς εἴ τῳ μὴ εἴη καταλελειμμένος ὑπὲρ γῆς φίλος ἢ συγγενής, ἄσιτος οὗτος νεκρὸς καὶ λιμώττων ἐν αὐτοῖς πολιτεύεται. De luctu 10: ἐπειδάν τις ἀποθάνῃ τῶν οἰκείων, πρῶτα μὲν φέροντες ὀβολὸν εἰς τὸ στόμα κατέθηκαν αὐτῷ, μισθὸν τῷ πορθμεῖ τῆς ναυτιλίας γενησόμενον, οὐ πρότερον ἐξετάσαντες ὁποῖον τὸ νόμισμα νομίζεται καὶ διαχωρεῖ παρὰ τοῖς κάτω, καὶ εἰ δύναται παρ᾽ ἐκείνοις Ἀττικὸς ἢ Μακεδονικὸς ἢ Αἰγιναῖος ὀβολός, οὐδ᾽ ὅτι πολὺ κάλλιον ἦν μὴ ἔχειν τὰ πορθμεῖα καταβαλεῖν· οὕτω γὰρ ἂν οὐ παραδεξαμένου τοῦ πορθμέως ἀναπόμπιμοι πάλιν εἰς τὸν βίον ἀφικνοῦντο. De luctu 11: Μετὰ ταῦτα δὲ λούσαντες αὐτούς, ὡς οὐχ ἱκανῆς τῆς κάτω λίμνης λουτρὸν εἶναι τοῖς ἐκεῖ. De luctu 11: [Die Verwandten] προτίθενται λαμπρῶς ἀμφιέσαντες, ἵνα μὴ ῥιγῷεν δῆλον ὅτι παρὰ τὴν ὁδὸν μηδὲ γυμνοὶ βλέποιντο τῷ Κερβέρῳ. De luctu 19: ἢ τί ὑμῖν δύναται τὸν ἄκρατον ἐπιχεῖν; ἢ νομίζετε καταστάξειν αὐτὸν πρὸς ἡμᾶς καὶ μέχρι τοῦ Ἅιδου διίξεσθαι; τὰ μὲν γὰρ ἐπὶ τῶν καθαγισμῶν καὶ αὐτοὶ ὁρᾶτε, οἶμαι, ὡς τὸ μὲν νοστιμώτατον τῶν παρεσκευασμένων ὁ καπνὸς παραλαβὼν ἄνω εἰς τὸν οὐρανὸν οἴχεται μηδέν τι ἡμᾶς ὀνῆσαν τοὺς κάτω, τὸ δὲ καταλειπόμενον, ἡ κόνις, ἀχρεῖον, ἐκτὸς εἰ μὴ τὴν σποδὸν ἡμᾶς σιτεῖσθαι πεπιστεύκατε. οὐχ οὕτως ἄσπορος οὐδὲ ἄκαρπος ἡ τοῦ Πλούτωνος ἀρχή, οὐδὲ ἐπιλέλοιπεν ἡμᾶς ὁ ἀσφόδελος, ἵνα παρ᾽ ὑμῶν τὰ σιτία μεταστελλώμεθα.

Es kann m. E. wenig Unsicherheit über den Ton dieser Worte und die Qualität dieser Ironie geben: Es handelt sich offenbar um einen leichten, maßvollen und feinen Humor, welcher im Grunde auf eine urbane Heiterkeit abzielt, also durchaus mehr in der Spur Platons als in den vehement polemischen Intentionen der Kyniker.39 _____________ 39 In diesem Sinne hat ANDÒ (1984) durch eine Vielfalt von ähnlichen Stellen aus Aristophanes sehr überzeugend zeigen können, dass auch die Anredeformen Ὦ κακόδαιμον ἄνθρωπε, τί κέκραγας; τί δέ μοι παρέχεις πράγματα; […] ὦ μάταιε, τί σοι χρηστὸν εἶναι δοκεῖ παρὰ τὸν βίον οὗ μηκέτι μεθέξομεν; usw. in der Rede des Toten in De luctu 16, die PRAECHTER (1898b) so sehr an die Grobschlächtigkeit der kynischen Diatribe erinnerten, in Wirklichkeit mehr in Verbindung mit der Komödie zu stehen scheinen (141): «il discorso del morto è caratterizzato da un tono colloquiale, evidenziato da continui riecheggiamenti di moduli aristofanei». – Man vergleiche schließlich die oben schon zitierte Stelle Teles p. 31,1-3 HENSE2 mit De luctu 18: Ἀλλ᾽ ἆρα μὴ τόδε σε ἀνιᾷ, καὶ διανοῇ τὸν παρ᾽ ἡμῖν ζόφον καὶ τὸ πολὺ σκότος, κᾆτα δέδιας μή σοι ἀποπνιγῶ κατακλεισθεὶς ἐν τῷ μνήματι; χρὴ δὲ πρὸς ταῦτα λογίζεσθαι ὅτι τῶν ὀφθαλμῶν διασαπέντων ἢ καὶ νὴ Δία καέντων μετ᾽ ὀλίγον, εἴ γε καῦσαί με διεγνώκατε, οὔτε σκότος οὔτε φῶς ὁρᾶν δεησόμεθα.

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu

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3.4. Der redende Tote: Seneca Ad Marc. 26 und Lukian De luctu 16-19 De luctu ist, was seine Struktur angeht, in drei Teile gegliedert: Zwei Abschnitte mit Ausführungen allgemeiner Natur zum Thema ,Trauer‘ (1-9 und 21-24) umrahmen einen zentralen Teil (10-20), welcher in der Beschreibung einer typischen Trauerfeier besteht. Die Kernpartie dieses zentralen Teils bildet wiederum die Rede des jungen Toten an seinen Vater (16-19). Es handelt sich um eine seltene satirische Adaptation des rhetorischen Mittels der προσωποποιία.40 Letzteres fehlt auch nicht in der Konsolationsliteratur, also im gleichen Zusammenhang mit Tod und Trauer wie bei Lukian. Der Schlussteil der Consolatio ad Marciam (§ 26) ist, trotz des Unterschiedes in Rahmen und Zielsetzung beider Werke, dennoch ein sehr bemerkenswertes Beispiel für die rhetorische Bearbeitung der gleichen Situation. Seneca führt am Ende dieser Consolatio den verstorbenen Vater der Marcia ein und lässt ihn eine Trostrede an seine Tochter halten. Über die vielen speziellen konsolatorischen Topoi, die in diesen Zeilen verstreut sind, hinaus, lässt sich m. E. ein Kernargument deutlich erkennen: Marcia trauert, weil sie die Wahrheit nicht erkennt, ihre aegritudo über den Verlust des Sohnes entspringt aus der veri ignoratio.41 Diese Wahrheit, die es zu erkennen gibt, ist die Wahrheit der Philosophie, mit ihrer „Metaphysik der Zeit“ (die Zeit verschlingt alles)42 und vor allem dem stoischen Begriff von Weltauflösung (ἐκπύρωσις).43 Aus der Kontemplation dieser kosmischen Szene (ein wahrhaftiges exercitium spirituale) soll Marcia Trost schöpfen. _____________ 40 Vgl. Quint., Inst. or. IX 2, 31. 41 Sen., Ad Marc. 26, 1: «Cur te, filia, tam longa tenet aegritudo? Cur in tanta ueri ignoratione uersaris, ut inique actum cum filio tuo iudices, quod integro domus statu integer ipse se ad maiores recepit suos?» (Zitate nach der Ausgabe L. Annaei Senecae dialogorum libri duodecim, recognovit brevique adnotatione critica instruxit L.D. REYNOLDS, [OCT] Oxonii 1977); sowohl MANNING (1981), 148ff., als auch JOHANN (1968), 140-50, berücksichtigen diesen Aspekt nicht. 42 Sen., Ad Marc. 26, 5f.: «Iuuabat unius me saeculi facta componere in parte ultima mundi et inter paucissimos gesta. Tot saecula, tot aetatium contextum, seriem, quicquid annorum est, licet uisere; licet surrectura, licet ruitura regna prospicere et magnarum urbium lapsus et maris nouos cursus. Nam si tibi potest solacio esse desideri tui commune fatum, nihil quo stat loco stabit, omnia sternet abducetque secum uetustas». 43 Sen., ad Marc. 26, 6f.: «Et cum tempus aduenerit, quo se mundus renouaturus extinguat, uiribus ista se suis caedent et sidera sideribus incurrent et omni flagrante materia uno igni quicquid nunc ex disposito lucet ardebit. Nos quoque felices animae et aeterna sortitae, cum deo uisum erit iterum ista moliri, labentibus cunctis et ipsae parua ruinae ingentis accessio in antiqua elementa uertemur».

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Es macht nun fürwahr einen sehr großen Unterschied, ob ungefähr die gleichen Topoi von einem echten Philosophen oder von einem Satiriker benutzt werden. Sowohl Lukian als auch Seneca betonen die Rolle des Wissens in Zusammenhang mit der Trauer (eine wohl überlegte und genaue Erwägung der Umstände erspart den Menschen viel unnötiges Leid). Doch während man bei Seneca den ehrlichen Willen, das Überzeugungspotential der Rhetorik zum Zwecke des „Seelenheils“ zu nutzen, eindeutig spüren kann, steht keine vergleichbare „höhere Instanz“ hinter den lukianischen Ausführungen in De luctu. 3.5. Interpretation von De luctu 3.5.1. Herodot in der Unterwelt Ähnlich wie De sacrificiis beginnt auch De luctu mit einer programmatischen Einleitung, deren Gliederung klar und deren Aufbau logisch bzw. kohärent sind. Die darin enthaltenen Hauptaussagen lassen sich folgendermaßen veranschaulichen: De luctu 1

De luctu 1

Ἄξιόν γε παρατηρεῖν τὰ ὑπὸ τῶν πολλῶν ἐν τοῖς πένθεσι γιγνόμενα καὶ λεγόμενα καὶ τὰ ὑπὸ τῶν παραμυθουμένων δῆθεν αὐτοὺς αὖθις λεγόμενα, καὶ ὡς ἀφόρητα ἡγοῦνται τὰ συμβαίνοντα σφίσι τε αὐτοῖς οἱ ὀδυρόμενοι καὶ ἐκείνοις οὓς ὀδύρονται, οὐ μὰ τὸν Πλούτωνα καὶ Φερσεφόνην κατ᾽ οὐδὲν ἐπιστάμενοι σαφῶς οὔτε εἰ πονηρὰ ταῦτα καὶ λύπης ἄξια οὔτε εἰ τοὐναντίον ἡδέα καὶ βελτίω τοῖς παθοῦσι, νόμῳ δὲ καὶ συνηθείᾳ τὴν λύπην ἐπιτρέποντες. _____________

„Beobachtungsziel“ der Schrift ist das, was die Masse44 oder die Mehrheit in den Trauerfeiern tut, und insbesondere das, was die Tröstenden dabei sagen. Der Tod und der damit zusammenhängende Schmerz werden von ihnen als etwas Unerträgliches angesehen, wobei sie gar keine sicheren Erkenntnisse darüber besitzen, sondern lediglich gemäß „kulturellen Automatismen“ handeln: ihr anscheinend so persönlicher und intimer Schmerz ist somit nur ein unpersönliches gesellschaftliches Produkt;

44 Über οἱ πολλοί hatte bereits Platon gesagt (Phaed. 99 b 2-6): τὸ γὰρ μὴ διελέσθαι οἷόν τ᾽ εἶναι ὅτι ἄλλο μέν τί ἐστι τὸ αἴτιον τῷ ὄντι, ἄλλο δὲ ἐκεῖνο ἄνευ οὗ τὸ αἴτιον οὐκ ἄν ποτ᾽ εἴη αἴτιον· ὃ δή μοι φαίνονται ψηλαφῶντες οἱ πολλοὶ ὥσπερ ἐν σκότει, ἀλλοτρίῳ ὀνόματι προσχρώμενοι, ὡς αἴτιον αὐτὸ προσαγορεύειν.

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu

ἐπειδὰν τοίνυν ἀποθάνῃ τις, οὕτω ποιοῦσιν – μᾶλλον δὲ πρότερον εἰπεῖν βούλομαι ἅστινας περὶ αὐτοῦ τοῦ θανάτου δόξας ἔχουσιν· οὕτω γὰρ ἔσται φανερὸν οὗτινος ἕνεκα τὰ περιττὰ ἐκεῖνα ἐπιτηδεύουσιν.

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solche „Automatismen“ beruhen auf allgemein verbreiteten Meinungen und Vorstellungen bezüglich des Todes und lassen sich durch diese entsprechend erklären.

Ebenfalls wie in De sacrificiis werden diese Eröffnungsthemen auch hier im Abschlussteil (§ 24) in konziserer Form ringkompositorisch wieder aufgenommen; der Effekt ist der einer eindrucksvollen Schlussbekräftigung, die Kürze ist fast die einer sententia: Ταῦτα καὶ πολὺ τούτων γελοιότερα εὕροι τις ἂν ἐπιτηρῶν [vgl. in 1 Ἄξιόν γε παρατηρεῖν] ἐν τοῖς πένθεσι γιγνόμενα διὰ τὸ τοὺς πολλοὺς [vgl. in 1 ὡς ἀφόρητα ἡγοῦνται τὰ συμβαίνοντα] τὸ μέγιστον τῶν κακῶν τὸν θάνατον οἴεσθαι.

Die zuletzt erwähnten δόξαι περὶ τοῦ θανάτου bilden den Gegenstand des folgenden Abschnittes (§§ 2-9),45 in welchem die wichtigsten traditionellen Jenseitsvorstellungen der griechischen Kultur zwar kurz, aber immer deutlich erkennbar beschrieben werden. Ich möchte nun auf die besondere Art dieser Beschreibung aufmerksam machen. Der anfängliche Hinweis darauf, dass die ursprüngliche Quelle für die Jenseitsmythen die Werke Homers und Hesiods sind (oder, besser gesagt, der unvorsichtige wie unerschütterliche Glaube, der diesen Autoritäten von der Mehrheit geschenkt wird) wundert bei der Vorliebe dieses Autors für die satirische Verwendung der beiden Epikerfiguren kaum, und ist im Grunde auch richtig. Was auffällig ist, ist die Tatsache, dass unmittelbar danach Lukian sehr minutiös eben diese Hades-Mythen schildert. Er tut es in einem „distanzierten“, gleichsam sachlichen Ton, ohne ein allgemeines Wissen um diese Vorstellungen vorauszusetzen, als ob er also etwas Neues und Unbekanntes, was dem kulturellen Horizont seiner Zuhörer völlig fremd wäre, referieren würde. Daher auch die fingierte Notwendigkeit, sich dabei auf etwas merkwürdige Zeugen berufen zu wollen: _____________ 45 Der Abschnitt 2-9 ist vom Autor selbst als eine Parenthese markiert, indem die Wiederaufnahme des in 1 fiktiv abgebrochenen Themas für den Leser erkennbar gemacht ist, vgl. De luctu 1: ἐπειδὰν τοίνυν ἀποθάνῃ τις, οὕτω ποιοῦσιν – μᾶλλον δὲ πρότερον εἰπεῖν βούλομαι ἅστινας περὶ αὐτοῦ τοῦ θανάτου δόξας ἔχουσιν usw., mit De luctu 10: Ταῦτα οὕτως ἰσχυρῶς περιελήλυθε τοὺς πολλοὺς ὥστε ἐπειδάν τις ἀποθάνῃ τῶν οἰκείων, πρῶτα μὲν φέροντες ὀβολὸν εἰς τὸ στόμα κατέθηκαν αὐτῷ usw.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

De luctu 2: βασιλεύειν δὲ τοῦ χάσματος ἀδελφὸν τοῦ Διὸς Πλούτωνα κεκλημένον, ὥς μοι τῶν τὰ τοιαῦτα δεινῶν τις ἔλεγε, διὰ τὸ πλουτεῖν τοῖς νεκροῖς τῇ προσηγορίᾳ τετιμημένον. De luctu 5: ταῦτα γὰρ ἀμέλει διηγήσαντο τοῖς πάλαι ἐκεῖθεν ἀφιγμένοι Ἄλκηστίς τε καὶ Πρωτεσίλαος οἱ Θετταλοὶ καὶ Θησεὺς ὁ τοῦ Αἰγέως καὶ ὁ τοῦ Ὁμήρου Ὀδυσσεύς, μάλα σεμνοὶ καὶ ἀξιόπιστοι μάρτυρες, ἐμοὶ δοκεῖν οὐ πιόντες τῆς πηγῆς· οὐ γὰρ ἂν ἐμέμνηντο αὐτῶν. De luctu 6: Ὁ μὲν οὖν Πλούτων, ὡς ἐκεῖνοι ἔφασαν, καὶ ἡ Φερσεφόνη δυναστεύουσι καὶ τὴν τῶν ὅλων δεσποτείαν ἔχουσιν […].

Der sachliche Ton, die ambivalente Berufung auf Zeugen: All dies suggeriert Herodot. Es liegt also m. E. sehr nahe, zu denken, dass Lukian in diesem Abschnitt die so charakteristischen Züge, den unverwechselbaren Ton der herodoteischen ἱστορίη parodiert, dass dieser „naiv“ geführte Bericht über die Geographie und die Memorabilien des Hades einen herodoteischen Bericht über eine Erkundungsreise in ein fremdes Gebiet und über die wunderlichen Sitten des Volkes, das dort lebt, parodistisch umsetzt: Die alten Mythen treten hier also nur noch als spaßige ethnologische Merkmale in Erscheinung. Auch einige sprachliche Indizien könnten in diese Richtung weisen.46 Sicherlich ist auf der einen Seite diese Schlichtheit (bzw. „Naivität“) auch ein altes und gut bewährtes Mittel der Satire, denn dieser „sachliche Ton“ in der Beschreibung hat den leicht erkennbaren Zweck, die HadesMythen von dem erhabenen Podest ihrer feierlichen Schilderungen in den Epen herunterzuholen und dadurch, dass sie auf einmal so faktisch und nüchtern präsentiert werden, ihre Absurdität und Fremdartigkeit durchschimmern zu lassen. Ich möchte allerdings die Vermutung anstellen, dass das lukianische „Spiel“ an dieser Stelle durch diese feine, fast unterschwellige Herodot-Nachahmung vielleicht auch eine Spur subtiler, also durchaus auch für ein anspruchsvolleres Publikum gedacht sein kann.47 _____________ 46 Ich denke an Formulierungen wie καὶ ποτὸν μνήμης πολέμιον· Λήθης γοῦν διὰ τοῦτο ὠνόμασται (5), oder an den „realistischen“ Touch von beiläufigen Bemerkungen wie ἐπειδὰν συναλισθῶσι πολλοί (7), sowie – allerdings später, in 14 – an historisch-ethnographische „Belege“ wie: πόσοι γὰρ καὶ ἵππους καὶ παλλακίδας, οἱ δὲ καὶ οἰνοχόους ἐπικατέσφαξαν καὶ ἐσθῆτα καὶ τὸν ἄλλον κόσμον συγκατέφλεξαν ἢ συγκατώρυξαν ὡς χρησομένοις ἐκεῖ καὶ ἀπολαύσουσιν αὐτῶν κάτω; (zu dieser letzten Stelle vgl. Hdt., Hist. IV 71-2). 47 So subtil, dass die Interpreten es bisher übersehen haben, vgl. z. B. ANDÒ (1984), 96: «ὥς μοι τῶν τὰ τοιαῦτα δεινῶν τις ἔλεγε: l’autenticazione, vera o inventata che sia [sic!], dà forza all’effetto comico della seguente trovata etimologica di Plutone “ricco” sì, ma di morti», oder CUMONT (1949), 75: «Lucien dans ses peintures de l’Hadès reproduit un décor devenu conventionnel»; ROHDE (1898), 317; NILSSON (1950), 378.

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Eine ähnlich bisher übersehene bzw. missverstandene Feinheit ist die Parodie der konsolatorischen Literatur (was ja umso mehr wundert, als Lukian selbst sie explizit angekündigt hatte48). In diesem Sinne ist z. B. die Zwischenbemerkung in De luctu 15 zu verstehen: οἶδε γὰρ [der schreiende Vater] οὐκ ἀκουσόμενον οὐδ᾽ ἂν μεῖζον ἐμβοήσῃ τοῦ Στέντορος…· φρονεῖν γὰρ οὕτω καὶ γιγνώσκειν ἱκανὸν ἦν καὶ ἄνευ τῆς βοῆς· οὐδεὶς γὰρ δὴ πρὸς ἑαυτὸν δεῖται βοᾶν.49

3.5.2. Tod und Theater Ganz anderen Tenors ist die Beschreibung der zentralen Szene des Werkes, in der Lukian inszeniert, wie ein vor kurzem früh verstorbener Jüngling,50 der schon auf der Bahre liegt, vom sinnlosen Geschrei des Vaters bis in den Tod „gestört“ sich plötzlich auf seinen Ellbogen stützt und anfängt, die Lebenden zu belehren. Diese Beschreibung ist – im Gegensatz zu der des Hades in 2-9 – auf eine sehr lebhafte und bildhafte Art und Weise geführt: sehr leicht hat man bei der Lektüre den Eindruck, als Zuschauer mit anwesend zu sein und die ganze Szene aus einiger Entfernung zu beobachten.51 Der komische Effekt entspringt daraus, dass zwei „Handlungsstränge“ (nämlich die Handlungen und Perspektiven der Lebenden und des Toten), welche „inhaltlich“ zwar sehr eng miteinander zusammenhängen (die Familie trauert um das Hinscheiden eines ihrer Mitglieder) aber naturgemäß an sich ganz weit voneinander entfernt liegen (die Familie lebt noch, im Gegensatz zum Verstorbenen), die ganze Zeit aneinander vorbei laufen, ohne jedoch dass es je zu einer Berührung kommen würde (diese findet nur in der „Vogelperspektive“ des Lesers statt). Ein gutes Beispiel bietet De luctu 12: Οἰμωγαὶ δὲ ἐπὶ τούτοις καὶ κωκυτὸς γυναικῶν καὶ παρὰ πάντων δάκρυα καὶ στέρνα τυπτόμενα καὶ σπαραττομένη κόμη καὶ φοινισσόμεναι παρειαί· καί που καὶ ἐσθὴς καταρρήγνυται καὶ κόνις ἐπὶ τῇ κεφαλῇ πάσσεται, καὶ οἱ ζῶντες οἰκτρότεροι τοῦ νεκροῦ· οἱ μὲν γὰρ

_____________ 48 De luctu 1: Ἄξιόν γε παρατηρεῖν…καὶ λεγόμενα καὶ τὰ ὑπὸ τῶν παραμυθουμένων δῆθεν αὐτοὺς αὖθις λεγόμενα. 49 Falsch liegt also m. E. ANDÒ mit ihrer Bemerkung (ANDÒ [1984], 139): «in questo paragrafo Luciano tocca il fondo del suo razionalismo nichilista, non rischiarato qui nemmeno dalla luce dell’ironia: il vecchio è sciocco a lamentarsi, giacché lo fa solo per la gente presente…e per di più senza sapere che cosa sia la morte» – dies ist allzu banal, als Sophist dürfte Lukian etwas subtiler verfahren sein. 50 Zur Rhetorik um den Topos der immatura mors vgl. KASSEL (1958), 81f. 51 Den Realismus im rituellen γόος des Vaters in 13 hat REINER (1938), 24-7, gezeigt.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

χαμαὶ κυλινδοῦνται πολλάκις καὶ τὰς κεφαλὰς ἀράττουσι πρὸς τὸ ἔδαφος, ὁ δ᾽ εὐσχήμων καὶ καλὸς καὶ καθ᾽ ὑπερβολὴν ἐστεφανωμένος ὑψηλὸς πρόκειται καὶ μετέωρος ὥσπερ εἰς πομπὴν κεκοσμημένος.

Wollte man nun – wie es die bisherigen Interpreten getan haben –, all die traditionellen Topoi der konsolatorischen Literatur in der Klage des Vaters (13) und der Gegenrede des Sohnes (16-19) aufspüren und verzeichnen, hätte man dabei ein wirklich leichtes Spiel.52 Dadurch hätte man allerdings, wie ich meine, den wesentlichen Charakter dieser ganzen Passage nicht begriffen, nämlich ihre Theatralik.53 Lukian führt diese Personen wie witzige Figuren auf einer komischen Bühne ein. Mag die blinde Befolgung von νόμος καὶ συνήθεια beim Trauern ein kynisches Thema sein, so ist doch seine Spezifizierung, Umformung und „Aufführung“ in dieser theatralischen Art und Weise etwas spezifisch Lukianisches. Der Autor selbst gibt m. E. im Text explizite Signale dafür, dass diese die präferentielle Lektüre sein soll: De luctu 13: Εἶθ᾽ ἡ μήτηρ ἢ καὶ νὴ Δία ὁ πατὴρ ἐκ μέσων τῶν συγγενῶν προελθὼν καὶ περιχυθεὶς αὐτῷ – προκείσθω γάρ τις νέος καὶ καλός, ἵνα καὶ ἀκμαιότερον τὸ ἐπ᾽ αὐτῷ δρᾶμα54 ᾖ –, φωνὰς ἀλλοκότους καὶ ματαίας ἀφίησι, πρὸς ἃς ὁ νεκρὸς αὐτὸς ἀποκρίναιτ᾽ ἄν, εἰ λάβοι φωνήν· φήσει γὰρ ὁ πατὴρ γοερόν τι φθεγγόμενος καὶ παρατείνων ἕκαστον τῶν ὀνομάτων, „Τέκνον ἥδιστον, οἴχῃ μοι καὶ τέθνηκας καὶ πρὸ ὥρας ἀνηρπάσθης, μόνον ἐμὲ τὸν ἄθλιον καταλιπών, οὐ γαμήσας, οὐ παιδοποιησάμενος, οὐ στρατευσάμενος, οὐ γεωργήσας, οὐκ εἰς γῆρας ἐλθών· οὐ κωμάσῃ πάλιν οὐδὲ ἐρασθήσῃ, τέκνον, οὐδὲ ἐν συμποσίοις μετὰ τῶν ἡλικιωτῶν μεθυσθήσῃ“. De luctu 15: Ὁ δ᾽ οὖν πρεσβύτης ὁ πενθῶν οὑτωσὶ ταῦτα πάντα ὁπόσα εἴρηκα καὶ ἔτι τούτων πλείονα οὔτε τοῦ παιδὸς ἕνεκα τραγῳδεῖν ἔοικεν…οὔτε μὴν αὑτοῦ. De luctu 19: Καὶ ταῦτα μὲν ἴσως μέτρια· τί δέ με ὁ κωκυτὸς ὑμῶν ὀνίνησι καὶ ἡ πρὸς τὸν αὐλὸν αὕτη στερνοτυπία καὶ ἡ τῶν γυναικῶν περὶ τὸν θρῆνον ἀμετρία; .

_____________ 52 So könnte man z. B. den ganzen Paragraph 17 als eine artikulierte „Expansion“ des Themas „die vielen Übel im Leben“ deuten, welches dagegen bei Cic., Tusc. I 83: «‘Illud angit vel potius excruciat, discessus ab omnibus iis quae sunt bona in vita’. Vide ne ‘a malis’ dici verius possit» in aller Kürze formuliert ist (so ANDÒ [1984], 142). Zum Topos „Dem Verstorbenen ist vielleicht durch seinen frühen Tod manches Leid erspart geblieben“ vgl. KASSEL (1958), 82f. 53 Allein von KASSEL – allerdings nur beiläufig – notiert (KASSEL [1958], 86: «Lukian de luctu 15 schränkt sie auf die Gründe des „Theaters“ ein, das der Trauernde aufführt, und verwirft mit kynischer Boshaftigkeit beide Möglichkeiten: der wahre Grund ist die ostentatio doloris»). 54 Andere Belege für diese Bedeutung von δρᾶμα im lukianischen Werk sind jetzt bei KARAVAS (2005), 202 zu finden.

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3. Am Kynismus vorbei (und darüber hinaus): Die Schrift De luctu

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De luctu 20: Πρὸς Διός, ἐὰν λέγῃ ταῦτα ὁ νεκρὸς ἐπιστραφείς, ἀνακλίνας αὑτὸν ἐπ᾽ ἀγκῶνος, οὐκ ἂν οἰόμεθα δικαιότατα ἂν αὐτὸν εἰπεῖν; ἀλλ᾽ ὅμως οἱ μάταιοι καὶ βοῶσι καὶ μεταστειλάμενοί τινα θρήνων σοφιστὴν πολλὰς συνειλοχότα παλαιὰς συμφορὰς τούτῳ συναγωνιστῇ καὶ χορηγῷ τῆς ἀνοίας καταχρῶνται, ὅπη ἂν ἐκεῖνος ἐξάρχῃ πρὸς τὸ μέλος ἐπαιάζοντες.

Besagte Umformung bleibt sicherlich auch nicht ohne inhaltliche Konsequenzen, es ist nämlich so, als ob Lukian damit sagen möchte: «Seht, beim Tod ist alles ein Theater!». Es ist eine Tatsache, dass sein Hauptaugenmerk sich auf die theatralischen Aspekte der Handlungen, die mit dem Tod zusammenhängen, konzentriert, als ob einzig diese das Element im Todesbereich seien, das wir rationell prüfen, beobachten und vielleicht auch kontrollieren können. Also nicht die Topoi über den Tod sind – scheint es mir – in seiner Perspektive signifikant gewesen, sondern das Neue und die eigene These des Autors: Der Kern der lukianischen Aussagen in De luctu ist diese Verbindung zwischen Tod und Theater. – Aber was ist mit dem Tod selbst? 3.5.3. Pessimismus in De luctu? Lukians „Standpunkt“ in De luctu ist auf Grund des darin geäußerten Spottes gegen die Todessitten und der „nihilistischen Ansichten“, die in der Rede des Sohnes auftauchen, oft genug des Pessimismus bezichtigt worden. Und in der Tat: Mehr als eine Stelle dort könnte bei einer flüchtigen Betrachtung leicht zu diesem Gedanken verleiten.55 Dabei scheint mir jedoch das genaue Gegenteil der Fall zu sein. Lukian äußert sich in De luctu nicht direkt darüber, was uns seiner Überzeugung entsprechend nach dem Tode erwarten kann. (Dies ist aber – nebenbei bemerkt – auch nicht sein Thema hier, so dass Äußerungen in diesem Sinne von ihm auch nicht zu erwarten sind.) Dennoch suggeriert er vielleicht zwischen den Zeilen seine Meinung dazu, und diese ist sicherlich nicht als pessimistisch zu bezeichnen, denn zum einen sind die ganzen Furcht erregenden Jenseitsmythen qua herodoteischer Unfug (d. h. qua Parodie der Ethnographie eines Herodot) schon bei Seite gelegt worden und zum anderen erscheint der Zustand nach dem Tod, wenn man von _____________ 55 Vgl. De luctu 16: ὦ μάταιε, τί σοι χρηστὸν εἶναι δοκεῖ παρὰ [varia lectio περὶ] τὸν βίον οὗ μηκέτι μεθέξομεν; … οὐκ ἐννοεῖς δὲ ὅτι τὸ μὴ διψῆν τοῦ πιεῖν πολὺ κάλλιον καὶ τὸ μὴ πεινῆν τοῦ φαγεῖν καὶ τὸ μὴ ῥιγοῦν τοῦ ἀμπεχόνης εὐπορεῖν; und 17 in toto.

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dem Gesamteindruck,56 welchen die Rede des Sohnes (16-19) hinterlässt, ausgeht, als einer, in welchem der Schmerz und die Not, welche dem Leben anhaften, nicht mehr existieren. Gleichwohl ist abermals ausdrücklich zu betonen, dass der Fokus der Aufmerksamkeit Lukians in De luctu überhaupt nicht hierin lag. Er beabsichtigte die Frage nach einem eventuellen Leben im Jenseits weder zu erörtern noch zu beantworten.57

_____________ 56 Für die rhetorischen Einzelheiten und Parallelen zum Topos der völligen Bewusstlosigkeit nach dem Tod, wie in einem tiefen Schlaf vgl. hingegen KASSEL (1958), 77-9. 57 Vgl. den locus classicus Arist., Nicom. eth. I 1, 1094 b 23-25: πεπαιδευμένου γάρ ἐστιν ἐπὶ τοσοῦτον τἀκριβὲς ἐπιζητεῖν καθ᾽ ἕκαστον γένος, ἐφ᾽ ὅσον ἡ τοῦ πράγματος φύσις ἐπιδέχεται.

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4. Die lukianische Schrift De sacrificiis 4.1. Interpretationsgeschichtliches als Vorstufe zur Interpretation Lukians kurze Schrift Über die Opfer hat auf Grund ihrer scheinbaren Schlichtheit, die den Interpreten so leicht zu einer irrtümlichen Vereinfachung verlocken kann, einen beinahe paradigmatischen Wert. Dem kleinen Werk ist bisher sehr wenig Beachtung geschenkt worden. Außer einem kurzen Anhang bei HELM1 und einer recht unbekannten Dissertation des Niederländers K. J. POPMA,2 welche im Übrigen an den entscheidenden Stellen von HELMS Auffassung eindeutig abhängig ist, gibt es keine Studie, die sich mit ihr gründlich befasst.3 So einfach und unproblematisch erschien diese Schrift ihren Lesern, dass sie sozusagen „von oben herab“ behandelt worden ist. Eine ernsthafte bottom-up-Problematisierung ist bisher nicht erfolgt. Vielmehr schien jedes Element sich einem unmittelbaren Zugang zu erschließen. Es ist meine Absicht, diese interessante Schrift von den Hindernissen solcher Vorurteile und Vereinfachungen zu befreien, so dass ihr Wert voll zur Geltung kommen kann. Über die Datierung und den Entstehungsort dieser Schrift kann nur spekuliert werden.4 Das Argument (wenn man dieser Spekulation den Status eines Argumentes zubilligen will), De sacr. sei ein Alterswerk, weil Lukian (a.) auf die ägyptische Religion zu sprechen komme, was auf Autopsie des nunmehr im römischen Dienst5 in Ägypten residierenden Greises zurückgehen „müsse“,6 und (b.) seine künstlerische Inspiration im hohen Alter nachlasse, was aus den Mängeln im Aufbau des Werkes7 sowie _____________ 1 2 3 4

5 6

7

HELM (1906), Anhang I.: ‘Über die Trauer’. ‘Von den Opfern’, 348-53, bes. 350-3. POPMA (1931). Weitere Bibliographie zum Werk: LUMBROSO (1903); WILCKEN (1903); ERMAN (1893), 79. Übersehen bzw. nicht beachtet auch von CAMPLANI/ZAMBON (2002). Darf etwa die rasche Bemerkung in De sacr. 10: καὶ πολίτας αὐτῶν ἀποφαίνουσιν, ὁ μὲν Δελφὸς τὸν Ἀπόλλω καὶ ὁ Δήλιος, ὁ δὲ Ἀθηναῖος τὴν Ἀθηνᾶν – μαρτυρεῖται γοῦν τὴν οἰκειότητα τῷ ὀνόματι –, als eine Art witziges Augenzwinkern gegenüber einem athenischen Publikum verstanden werden? Dazu PFLAUM (1959). POPMA (1931), iv: «Verisimile esse [sic] disputationem nostram senectutis opus esse: non solum quod de Aegyptiaca religione mentio fit huc indicat – scimus enim Lucianum senem in Aegypto munere functum esse, quo etiam fit ut ea quae de Aegyptorum sacrificiis narret recta via explicanda sint – sed etiam vitiosa operis compositio, quam supra diximus, huic opinioni favet». POPMA (1931), iii: «Ut ad compositionem redeamus, neminem praeterire puto nostrum initio quarti capitis ex libidine [!?] cancellos quibus ipse se circumdedisset [?]

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aus dem Fehlen neuer Ideen8 „ersichtlich“ sei, ist eine reine petitio principii. Der Text bietet nämlich keinerlei Anhaltspunkte, die eine solche Urteilsschärfe und -sicherheit zulassen könnten. Es ist im Gegenteil äußerst lehrreich zu beobachten, dass diese petitio principii letztlich auf einer vorgefassten Vorstellung der „geistigen Entwicklung“ des Menschen Lukian fußt: «Cum viro doctissimo M. C r o i s e t [9] verisimillimum puto nostrum ea parte vitae de qua in Nigrino agit conversionem mentis quandam paene passum esse; sed morum levitatem ei innatam tantam gravitatem non tulisse, et post vitae cardinem magis magisque a veri reperiendi studio eum degeneravisse. Eo fieri ut desperatus ab invenienda veritate nihilo minus eos qui in quaerendo obstinent aut qui minus potiora retineant, derideat atque insultet».10

Solche Äußerungen zu machen bedeutet so viel, wie eine überaus rutschige Materie mit einem festen, sicher fassbaren Boden zu verwechseln. Entstanden in einem besonderen Klima in der Geschichte der klassischen Philologie – dem gleichen Klima, welches letztlich die Entstehung von HELMS Buch Lucian und Menipp ermöglichte –, sind sie hauptsächlich durch ihre Einseitigkeit gekennzeichnet. Sie legen Zeugnis über die Art und Weise ab, wie Lukian damals interpretiert wurde, sind jedoch darüber hinaus größtenteils inakzeptabel geworden.11 Man hat bezeichnenderweise die Schrift περὶ θυσιῶν ohne weiteres mit der Frage ihrer Historizität konfrontiert, als ob definitiv geklärt wäre, dass sie ein historisches Dokument hätte sein wollen: Haben die _____________ 8

9 10 11

exire et per octo capita – octo, inquam, capita! – varias res narrare, quae ad sacrificia nihil attineant [!]». POPMA (1931), iv: «Annis praetereuntibus eius risum dissonare coepisse, cum iocosum ingenium extingueretur»; vii Anm. 14: «De libello H e l m pag. 353 adnotat Lucianum senem ingenio extincto in materie vetere versari»; HELM (1906), 351: «Daß das Ganze etwas altersschwach ist, wird man ohne weiteres zugeben können; statt die Torheit und Unmoralität der Opfer auszuführen, schweift der Schriftsteller bei der Erwähnung des Chryses und Apoll sofort ab»; 353: «Als Phantasie und Schaffenskraft erlahmt sind, arbeitet er doch noch mit den ihm von früher vertrauten Motiven fort». In der Anm. 11 z. St. verweist POPMA auf CROISET (1882), 11, wo man u. a. liest: «D’ailleurs la nature de Lucien était essentiellement mobile; et de même qu’il s’éprenait facilement, il se détachait aussi sans effort». POPMA (1931), iv. Ähnliches gilt etwa auch für ALLINSON (1926) und GALLAVOTTI (1932) (vgl. dazu HELMS vernichtende Rez. in: «Gnomon» 10 [1934], 147-51). – WHITMARSH (2003) betont dagegen vortrefflich die neuere Tendenz der Suche nach der Vielseitigkeit dieses Autors (75): «The bibliography on Lucian is growing slowly as his sophistication– apparently so congenial to the self-consciousness of this millennial age–is more appreciated, and as his self-arrogated status as a literary and cultural ‘outsider’ is more sympathetically and intelligently assessed».

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4. Die lukianische Schrift De sacrificiis

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lukianischen Ausführungen in dieser Schrift überhaupt einen historischen Wert? Sind sie „wahr“? Und, wenn ja, inwieweit? Auch bezüglich dieser Frage ist die Sicherheit von HELM und POPMA kaum zu erschüttern. «Iam videamus, quanti eiusmodi acerbissima religionis damnatio nobis facienda sit. [...] Lucianus ipse nobis viam ostendit. Cum in Icaromenippo scientiam deridentem eum videmus[12], apparet nostrum apertae ignorantiae non pudere, vel potius ne conscium quidem esse: si ita res habent quae ad scientiam pertinent, num fidum iudicem religionis eum ducere possumus? Manifestum est nulla seria intentione eum insultare neque ipsius indolis descriptioni in qua expressis verbis se maxime serium esse contendit,[13] magnam fidem habendam esse. Cachinnari, non castigare vult talis satirarum scriptor».14

Einige Anmerkungen zu dieser Stellungnahme: 1. in περὶ θυσιῶν handelt es sich nicht um eine allgemeine Verurteilung der Religion («eiusmodi acerbissima religionis damnatio»); 2. im Ikaromenipp verspottet Lukian überhaupt nicht die Wissenschaft als solche, en bloc; 3. dass jeder Satiriker konstruktive Kritik («castigare») beabsichtigen müsse, ist eine schwer vertretbare These; außerdem 4. sieht man nicht, worin genau sich die lukianische Rüge in περὶ θυσιῶν von jener Sorte von Rüge, die man für gewöhnlich bei mehr „engagierten“ Satirikern wie Horaz oder Juvenal findet, unterscheidet (bzw. dies müsste präzisiert werden); 5. Lukian beleidigt («insultare») in περὶ θυσιῶν nicht, sondern führt die Gründe für seinen Dissens an; _____________ 12 POPMA meint hier die Stelle Icar. 6: Καὶ μήν, ὦ ἑταῖρε, γελάσῃ ἀκούσας τήν τε ἀλαζονείαν αὐτῶν καὶ τὴν ἐν τοῖς λόγοις τερατουργίαν, οἵ γε πρῶτα μὲν ἐπὶ γῆς βεβηκότες καὶ μηδὲν τῶν χαμαὶ ἐρχομένων ἡμῶν ὑπερέχοντες, ἀλλ᾽ οὐδὲ ὀξύτερον τοῦ πλησίον δεδορκότες, ἔνιοι δὲ καὶ ὑπὸ γήρως ἢ ἀργίας ἀμβλυώττοντες, ὅμως οὐρανοῦ τε πέρατα διορᾶν ἔφασκον καὶ τὸν ἥλιον περιεμέτρουν καὶ τοῖς ὑπὲρ τὴν σελήνην ἐπεβάτευον καὶ ὥσπερ ἐκ τῶν ἀστέρων καταπεσόντες μεγέθη τε αὐτῶν διεξῄεσαν, καὶ πολλάκις, εἰ τύχοι, μηδὲ ὁπόσοι στάδιοι Μεγαρόθεν Ἀθήναζέ εἰσιν ἀκριβῶς ἐπιστάμενοι τὸ μεταξὺ τῆς σελήνης καὶ τοῦ ἡλίου χωρίον ὁπόσων εἴη πηχῶν τὸ μέγεθος ἐτόλμων λέγειν, ἀέρος τε ὕψη καὶ θαλάττης βάθη καὶ γῆς περιόδους ἀναμετροῦντες, ἔτι δὲ κύκλους καταγράφοντες καὶ τρίγωνα ἐπὶ τετραγώνοις διασχηματίζοντες καὶ σφαίρας τινὰς ποικίλας τὸν οὐρανὸν δῆθεν αὐτὸν ἐπιμετροῦντες. 13 POPMA meint hier die berühmte Stelle Pisc. 20 (ΠΑΡΡΗΣΙΑΔΗΣ. Μισαλαζών εἰμι καὶ μισογόης καὶ μισοψευδὴς καὶ μισότυφος καὶ μισῶ πᾶν τὸ τοιουτῶδες εἶδος τῶν μιαρῶν ἀνθρώπων· πάνυ δὲ πολλοί εἰσιν, ὡς οἶσθα); dazu MACLEOD (1979). 14 POPMA (1931), iii.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

6. die berühmte „programmatische Erklärung“ Icar. 6 würde, wenn es sicher wäre, dass sie überhaupt eine programmatische Erklärung ist und ihre Reichweite auch die Schrift περὶ θυσιῶν einschließt (mit anderen Worten dass es legitim ist, die eine Stelle zur Erklärung der anderen zu verwenden), zu den satirischen Ausführungen von περὶ θυσιῶν einwandfrei passen. 4.1.1. Das Beispiel KARL MEISERS Ich möchte diese Revue der zu diesem Werk geäußerten fragwürdigen Ansichten mit einem recht bedeutsamen Beispiel abschließen. In De sacr. 9 liest man folgende Parodie: ‘ οἱ δὲ θεοὶ πὰρ Ζηνὶ καθήμενοι ’ [Il. 6, 1] – πρέπει γάρ, οἶμαι, ἄνω ὄντα μεγαληγορεῖν ἀποσκοποῦσιν εἰς τὴν γῆν καὶ πάντῃ περιβλέπουσιν ἐπικύπτοντες εἴ ποθεν ὄψονται πῦρ ἀναπτόμενον ἢ ἀναφερομένην κνῖσαν ‘ ἑλισσομένην περὶ καπνῷ ’ [Il. 1, 317]. κἂν μὲν θύῃ τις, εὐωχοῦνται πάντες ἐπικεχηνότες τῷ καπνῷ καὶ τὸ αἷμα πίνοντες τοῖς βωμοῖς προσχεόμενον ὥ σ π ε ρ α ἱ μ υ ῖ α ι · ἢν δὲ οἰκοσιτῶσιν, νέκταρ καὶ ἀμβροσία τὸ δεῖπνον.

In einer Miszelle von 1904 hat KARL MEISER diese Stelle, insbesondere den Vermerk ὥσπερ αἱ μυῖαι, mit einer Passage aus dem mesopotamischen Gilgamesch-Epos (11. Tontafel) in Verbindung gebracht. Letztere lautet: «Da ließ ich [es spricht Atramchasis-Utnapischtim, der „babylonische Noah“ (vgl. 1. Mos. 7f.), gleich nachdem die Sintflut vorüber ist] (alles) hinaus nach den vier Winden, brachte ein Opfer dar und machte eine Spende auf den höchsten Gipfel des Berges. Sieben und sieben Adagurgefäße stellte ich hin, schüttete unter ihnen Kalmus, Zedernholz und Myrte hin. Die Götter rochen den Duft, die Götter rochen den angenehmen Duft, die Götter sammelten sich wie Fliegen [ki-ma zu-um-bé-e] bei dem Opferer».15

_____________ 15 MEISER (1904), 31f. MEISER zitiert die deutsche Übersetzung von C. BEZOLD, Ninive und Babylon, (Monographien zur Weltgeschichte 18) Bielefeld/Leipzig 1903, 108 (nicht S. 112, wie bei MEISER falsch angegeben). Es handelt sich – etwas genauer – um Tafel XI, Zeilen 155-61. In der neueren Übs. von K. HECKER (Das akkadische Gilgamesch-Epos (in: Texte aus der Umwelt des alten Testaments, Bd. III, Lieferung 4: Mythen und Epen II, Gütersloh 1994, 734) lauten sie: «Da ließ ich hinausgehen nach den 4 Winden und opferte ein Opfer, brachte ein Schüttopfer dar auf dem Turmbau des Berges. 7 und 7 Räuchergefäße stellte ich auf und goß Süßrohr, Zeder(nholz) und Myrte hin. Die Götter rochen den Duft, die Götter rochen den süßen Duft. Die Götter versammelten sich wie Fliegen [ki-ma zuub-bi] um den Herrn des Opfers».

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4. Die lukianische Schrift De sacrificiis

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Sein Kommentar verdient, hier vollständig wiedergegeben zu werden: «Sollte diese merkwürdige Übereinstimmung nicht ein Beweis dafür sein, daß diese interessante kleine Schrift περὶ θυσιῶν wirklich ein Werk Lukians ist, der in Samosata am Euphrat geboren von den religiösen Mythen der Babylonier Kenntnis haben musste?».16

Von der Tatsache abgesehen, dass im babylonischen Text die Götter nicht vom Geruch des Blutes – wie bei Lukian –, sondern eher vom besonderen Duft der aromatischen Materialien («Kalmus, Zedernholz und Myrte») angezogen zu werden scheinen, fragt man sich, ob nicht sowohl Lukian als auch der anonyme Babylonier unabhängig voneinander durch ein Minimum an Beobachtungsfähigkeit ein banales Faktum registriert haben können: dass sich nämlich wegen des Blutgeruchs an so gut wie jeder Opferstelle der antiken Welt viele Fliegen versammeln mussten. Diese mit den Göttern zu vergleichen war nun wirklich ein sehr kleiner Schritt, den jeder mit ein wenig Phantasie begabte Mensch hätte tun können – ohne über Jahrtausende aktiv gebliebene kulturelle Wurzeln nötig zu haben.17 4.1.2. Das Problem der Gattung Was die Definition der Gattung angeht, hat man auch hier die Dinge viel stärker vereinfacht, als es zulässig ist. Häufig wird eine Deduktion herangezogen, um den menippeischen Ursprung des Werkes zu „belegen“: «Es gibt andere Schriften, in denen der Autor die gleichen Themen wie hier behandelt. Diese Schriften sind mit Sicherheit menippeisch. Folglich muss auch Περὶ θυσιῶν menippeisch sein».18 _____________ Eine (nach dieser Gilgamesch-Stelle ergänzte) Parallele findet man auch im sog. Atramchasis-Epos, Tafel III v 46f. (vgl. Atra-hasis. The Babylonian Story of the Flood, by W.G. LAMBERT and A.R. MILLARD, Oxford 1969, 99f. und die Anm. auf S. 163f.), in der allerdings diese Bemerkung einen ätiologischen Wert zur Erklärung der fliegenförmigen Schmuckstücke der Götter haben soll. Die neueste kommentierte Ausgabe des Gilgamesch-Epos (A.R. GEORGE, The Babylonian Gilgamesh Epic. Introduction, Critical Edition and Cuneiform Texts, Bd. 2, Oxford 2003, Anm. zu Zl. 161-7 auf S. 891) hat dazu keine Anmerkung. 16 MEISER (1904), 32. 17 Vgl. ADORNO et al. (2001) und WEST (2003). 18 POPMA (1931), ii: «Libellus cui nomen περὶ θυσιῶν eandem materiam praebet, quam aliae Luciani disputationes nobis dant, quas menippeas, ut aiunt, satiras esse constat: possumus ergo disputationem in qua noster de sacrificiis agit circuitione quadam e Menippo desumptam praedicare» [meine Hervorhebung]; ähnlich HELM (1906), 352 (1. Absatz); interessant vor allem seine Schlussfolgerung (S. 351): «Auch hier [scil. in De sacr. 14] ist in menippischer Weise ein ganzer Homervers (Il. VI 150 XX 213) mitten im Satz verwandt»: durch das gleiche Schlussverfahren könnte man auch „beweisen“, dass z. B. die or. 5 des Maximus von Tyrus «menippisch» ist! Dazu vgl. infra.

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Ein weiteres „Argument“ ist genauso stichhaltig wie dieses erste: da ein Titel (!) einer menippeischen Satire Varros ἑκατóμβη περὶ θυσιῶν lautet, muss Lukian hier Menipp nachahmen.19 Es handelt sich nicht um eine προλαλιά.20 Die hastigen, d. h. unpräzisen Bezeichnungen ,Vortrag‘ (HELM)21 oder ,libellus‘ bzw. ,disputatio‘ (POPMA)22 zeigen, dass dieses Problem einfach nicht gesehen worden ist: Es ist jedoch entscheidend, weil die Bestimmung der Gattung in diesem Fall gleichzeitig eine starke These über die Natur des Werks impliziert. Das, was übrig bleibt, ist die bequemste und deswegen meist adoptierte Wahl: zu denken, περὶ θυσιῶν sei eine mehr oder weniger kynisch angehauchte Diatribe.23 Drei Schwierigkeiten ergeben sich nun daraus, wenn man diese Ansicht so leichtfertig vertritt: (1.) Lukian wird zu rasch, zu pauschal und zu eng mit dem Kynismus verbunden, was das recht komplexe Bild seiner Bezüge zu dieser Sekte, welches die neueren Studien herausgearbeitet haben,24 übersieht. (2.) So klare kynische Merkmale sind m. E. im Text von περὶ θυσιῶν nicht vorhanden, wahrscheinlich weil diese vermeintliche kynische Färbung von Lukian gar nicht intendiert war. (3.) Diese kynische Haltung gegenüber den Opfern, die Lukian in περὶ θυσιῶν hätte übernehmen sollen, wird von den Interpreten in der Regel mehr behauptet als belegt.25 Sucht man z. B. im 6. Buch der Leben der Phi_____________ 19 POPMA (1931), v: «Nostrum hic Menippum imitari verisimile fit ex titulo Varronis satirae menippeae nobis tradito: ἑκατóμβη περὶ θυσιῶν.» – GEFFCKEN (1931); CEBE (1975), 428 («elle imite probablement la même source ménippéenne [wie die Varros]»). 20 NESSELRATH (1990). 21 HELM (1906), 350 («dem kleinen Vortrag ‘über die Opfer’»). 22 POPMA (1931), z. B. ii und passim. 23 CEBE (1975), 429 («la diatribe de Lucien») und 428 : «Leurs [der Kyniker] points de vue sont spirituellement exprimés par Lucien dans une pièce qui nous intéresse au premier chef […]». 24 NESSELRATH (1998). 25 CEBE (1975), 428: «Pour la majorité des Cyniques … les offrandes et sacrifices aux dieux … étaient un indice palpable de la démence du plus grand nombre. Ils se plaisaient à mettre malignement en évidence les côtés grotesques ou exécrables de ces pieuses manifestations, dont le principe même était à leurs yeux dérisoire, puisqu’ils croyaient au destin mais non aux dieux [sic!]…et refusaient d’accorder le moindre respect aux temples et aux objets de culte (thèmes 92 et 93 Oltramare)». BILLERBECK (1978), 8: «Die Charakterisierung von Diogenes als Agnostiker und Kritiker kultischer Handlungen wird durch die geschickte Apophthegmenwahl in § 91 wenn nicht widerlegt, so zumindest abgeschwächt»: die Ergebnisse meiner Untersuchung aller Stellen, die Frau BILLERBECK in der entsprechenden Anm. zur Unterstützung dieser Ansicht anführt, sind im Text zu lesen. Einen Blick auf die vortreffliche Materialzusammenstellung bei OVERWIEN (2005), 322-25, bestätigt schließlich dieses Urteil: sehr viel zur Religion, extrem wenig zu den Opfern (nur Diog. Laert., Vit. VI 42 und 63, vgl. infra).

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losophen des Diogenes Laertius, wo die Figur des kynischen Schulgründers Diogenes dargestellt wird, nach Stellen, in denen der Philosoph seine Gedanken über dieses (wohlgemerkt) spezifische Thema der Opfer (und nicht etwa seine Meinungen über die Götter im Allgemeinen o.ä.) manifestiert, steht man mit fast leeren Händen da. Von den zwei Paradoxa, die er in unmittelbarem Zusammenhang mit den Opfern notierte, bestand das erste (ein recht banales im Übrigen) in der blinden Fixierung auf das Äußere mit Vernachlässigung des wahrhaftigen ethischen Inhalts eines Opferritus: θυόντων τινῶν τοῖς θεοῖς ἐπὶ τῷ υἱὸν γενέσθαι, ἔφη, περὶ δὲ τοῦ ποδαπὸς ἐκβῇ οὐ θύετε;26

Ein zweites, ebenfalls sehr witzloses Paradoxon lautet: ἐκίνει δ᾽ αὐτὸν καὶ τὸ θύειν μὲν τοῖς θεοῖς ὑπὲρ ὑγιείας, ἐν αὐτῇ δὲ τῇ θυσίᾳ κατὰ τῆς ὑγιείας δειπνεῖν.27

Wie man sieht, handelt es sich eher um bloße Anekdoten (wenn nicht sogar um kleine Witze), die zwar sehr gut in die gesamte religiöse und nicht-religiöse Weltanschauung des frühen Kynismus passen, ohne jedoch Verallgemeinerungen zuzulassen. Die anderen Stellen, auf die man sich normalerweise beruft, handeln, wie gesagt, von anderen, d. h. mit dem unseren nicht unmittelbar verwandten religiösen Themen, wie etwa der δεισιδαιμονία,28 der Heuchelei der Priester,29 dem Atheismus30 und dem „Kannibalismus“.31 _____________ 26 Vit. VI 63 [= V B 343 GIANNANTONI (Text nach GIANNANTONI (1983/85), Bd. 2)]. 27 Vit. VI 28 [= V B 345 GIANNANTONI]. 28 Vit. VI 37f. [= V B 344 GIANNANTONI]: Θεασάμενός ποτε γυναῖκα ἀσχημονέστερον τοῖς θεοῖς προσπίπτουσαν, βουλόμενος αὐτῆς περιελεῖν τὴν δεισιδαιμονίαν, καθά φησι Ζωίλος ὁ Περγαῖος, προσελθὼν εἶπεν, οὐκ εὐλαβῇ, ὦ γύναι, μή ποτε θεοῦ ὄπισθεν ἑστῶτος – πάντα γάρ ἐστιν αὐτοῦ πλήρη – ἀσχημονήσῃς;. 29 Vit. VI 45 [= V B 462 GIANNANTONI]: Θεασάμενός ποτε τοὺς ἱερομνήμονας τῶν ταμιῶν τινα φιάλην ὑφῃρημένον ἄγοντας ἔφη, οἱ μεγάλοι κλέπται τὸν μικρὸν ἄγουσι. 30 Vit. VI 42 [= V B 334 GIANNANTONI]: Λυσίου τοῦ φαρμακοπώλου πυθομένου εἰ θεοὺς νομίζει, πῶς δέ, εἶπεν, οὐ νομίζω, ὅπου καὶ σὲ θεοῖς ἐχθρὸν ὑπολαμβάνω; οἱ δὲ Θεόδωρον εἰπεῖν τοῦτο. 31 Vit. VI 73 [= V B 132 GIANNANTONI]: Μηδέν τε ἄτοπον εἶναι ἐξ ἱεροῦ τι λαβεῖν ἢ τῶν ζῴων τινὸς γεύσασθαι· μηδ᾽ ἀνόσιον εἶναι τὸ καὶ τῶν ἀνθρωπείων κρεῶν ἅψασθαι, ὡς δῆλον ἐκ τῶν ἀλλοτρίων ἐθῶν· καὶ τῷ ὀρθῷ λόγῳ πάντ᾽ ἐν πᾶσι καὶ διὰ πάντων εἶναι λέγων [vgl. DK 59 B 4]. καὶ γὰρ ἐν τῷ ἄρτῳ κρέας εἶναι καὶ ἐν τῷ λαχάνῳ ἄρτον, καὶ τῶν σωμάτων τῶν λοιπῶν ἐν πᾶσι διά τινων ἀδήλων πόρων [καὶ] ὄγκων εἰσκρινομένων καὶ συνατμιζομένων, ὡς δῆλον ἐν τῷ Θυέστῃ ποιεῖ, εἴ γ᾽ αὐτοῦ αἱ τραγῳδίαι. – Die Interpretation dieser Stelle als Beweis für eine «contestation du sacré», die Diogenes in seiner Politeia vertreten hätte (so GOULET-CAZÉ [2003], 37f. und 42), geht m. E. zu weit, weil sie sonst unbelegt ist.

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Die Tatsache schließlich, dass Lukians Zeitgenosse Epiktet in seiner Skizze des „idealen Kynikers“ (Diss. III 22), auf das Detail des Verständnisses der Opfer nicht eingeht, scheint mir auch sehr bedeutsam zu sein.32 Nicht mit dem Kynismus, sondern mit dem Platonismus des Maximus Tyrius muss man Vergleiche anstellen. 4.2. Ein Vergleich zwischen Luc. De Sacr. und Maximus Tyrius Or. 5 4.2.1. Die Mythen Genauso wie Lukian verwendet auch Maximus am Anfang seiner 5. (= 11. DUEBNER) Rede33 zum Thema εἰ δεῖ εὔχεσθαι34 zwei recht berühmte Mythen (Midas35 [or. 5, 1] und Kroisos36 [or. 5, 2]) als Ausgangspunkt seiner Darlegungen. Natürlich erklären die unterschiedlichen Grundziele, welche die beiden Autoren in ihren Reden verfolgen, die unterschiedliche Wahl der dort jeweils angewendeten spezifischen mythologischen Beispiele; natürlich entscheidet sich der Autor, jene Beispiele anzuführen, welche den ductus seiner Argumentation am effektivsten stärken. Auffällig bleibt jedoch m. E. eben dieser gleiche Ausgangpunkt aus der mythischen Materie, der schwerlich auf bloßem Zufall beruhen kann. Eine weitere Auffälligkeit ist die unterschiedliche Behandlung des Mythos. Hier ist ein Vergleich wirklich lehrreich. Bei Maximus werden in beiden Fällen die Mythen sozusagen „aufgelöst“ bzw. in ihrer moralischen Deutung „aufgehoben“. Am Ende des kleinen Abschnitts, der die Erzählung enthält, ist der jeweilige Mythos so gut wie unbedeutend geworden bzw. „dekonstruiert“. Was dagegen bleibt, ist die Formulierung eines allgemeinen, zum Thema passenden moralischen Prinzips. Der Mythos ist hier nur noch exemplum episodischen, wenn nicht sogar anekdotischen Charakters: eine nette kleine Geschichte (könnte man sagen), eine gefügige, leicht dehnbare Materie in den Händen des Rhetors, deren einziger Sinn und einzige Funktion das bildhafte Erläutern von etwas anderem ist – _____________ 32 33 34 35 36

Zu den textkritischen Problemen dieser Stelle sowie zur Streitfrage bezüglich der Tragödien des Diogenes vgl. die Literaturangaben in der Anm. 92 auf S. 34 ebd. BILLERBECK (1978), 8. Der neueste Überblick bei TRAPP (1997), 40-2. Zum Thema vgl. SCHMIDT (1907). Xen., Anab. I 2, 13; Paus., Graec. descr. I 4, 5; Philostr., Vit. Apoll. VI 27; ID., Imag. I 22. Hdt., Hist. I 50-6; Luc., JConf. 14.

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und auf dieses „etwas andere“ kommt es an. Dieses Prinzip wird sogar expressis verbis formuliert: ὁ μύθος αἰνίττεται.37 Somit hat die mythologische Erzählung keinen eigenständigen Wert mehr, sondern ist nur tegumentum, nur eine „Leiter“ zur Wahrheit: Einleitung und Übergang (ἡ πρὸς τὸ ἀληθὲς ὁδός [or. 5, 1, f]) zu einer nicht mehr bildhaften, sondern rein logisch-deduktiven Darstellung philosophischer (religiöser, moralischer) Begriffe (τὸ ἀληθές!).38 Maximus braucht also weder die „Unglaubwürdigkeit“ der fabula an sich ausdrücklich zu betonen noch sie überhaupt zu erwähnen,39 denn diese ist für ihn eine Selbstverständlichkeit bzw. eine grundsätzliche Voraussetzung seines Denkens, welche übrigens durch die Erzählform selbst (eine diegesis, welche in der Moral, dem epimythion, gipfelt) genügend klar gemacht wird (ihre Herkunft ist natürlich platonisch). 4.2.2. Homer Die Reihe der Parallelismen setzt sich mit Homer fort.40 Zitate aus und Anspielungen auf Homer sind in beiden Autoren recht zahlreich. Unmittelbar nach den schon besprochenen zwei Mythen wendet sich Maximus in or. 5, 2 einigen homerischen Passagen zu: Ἀκούω δὲ καὶ παρ᾽ Ὁμήρῳ εὐχομένου Ἕλληνος ἀνδρός, [Il. 7, 179f.] ‘ Ζεῦ πάτερ, ἢ Αἴαντα λαχεῖν, ἢ Τυδέος υἱόν, ἢ αὐτὸν βασιλῆα πολυχρύσοιο Μυκήνης ’· καὶ δηλαδὴ ὁ Ζεὺς ἐπιτελεῖ τὴν εὐχήν, [Il. 7, 182f.] ‘ ἐκ δ᾽ ἔθορε κλῆρος κυνέης, ὃν ἄρ᾽ ἤθελον αὐτοὶ Αἴαντος ’. Καὶ τῷ μὲν Πριάμῳ εὐχομένῳ ὑπὲρ τῆς οἰκείας γῆς, βοῦς καὶ ὄϊς ὁσημέραι τῷ Διὶ καταθύοντι, ἀτελῆ τὴν εὐχὴν τίθησιν· τῷ δὲ Ἀγαμέμνονι

_____________ 37 Max. Tyr., or. 5, 1, f-g (Zitate nach der Ausgabe Maximus Tyrius, Dissertationes. Edidit M.B. TRAPP, [BT] Stutgardiae u. a. 1994]): ἐπαινῶ τὸν μῦθον τῆς χάριτος καὶ τῆς πρὸς τἀληθὲς ὁδοῦ. Τί γὰρ δὴ ἄλλο αἰνίττεται, ἢ ἀνοήτου ἀνδρὸς εὐχὴν ἐπ᾽ οὐδενὶ χρηστῷ, εὐχομένου μέν, ἵνα τύχῃ, μεταγιγνώσκοντος δέ, ἐπειδὰν τύχῃ;. 38 Vgl. die unmittelbare Fortsetzung des Passus (ebd.): Τὴν δὲ θήραν τοῦ Σατύρου, καὶ τὰ δεσμά, καὶ τὸν οἶνον ᾐνίξατο ὁ μῦθος· ὅτι οἱ μὲν ἀπατήσαντες, οἱ δὲ καὶ βιασάμενοι τυχόντες ὧν ἐπεθύμουν, οὐχ ὧν εὔξαντο, ἀνατιθέασιν θεοῖς τὴν δωρεάν, οὐ παρ᾽ ἐκείνων λαβόντες· οὐδὲν γὰρ τῶν μὴ καλῶν δίδωσιν θεός, ἀλλ᾽ ἐστὶν ταῦτα δωρεὰ τύχης, ἄλογος ἀλόγου, οἷαι καὶ παρὰ τῶν μεθυόντων φιλοφροσύναι. 39 Maximus beschränkt sich auf das neutrale ὥς φησιν ὁ μῦθος (or. 5, 1, a). 40 Vgl. WEINSTOCK (1926) und NAPOLITANO (1974/75).

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[Il. 2, 112] ‘ ...ὑπέσχετο καὶ κατένευσεν ’ ἐπὶ τὴν ἀλλοτρίαν ἐλθόντι [Il. 2, 113] ‘ Ἴλιον ἐκπέρσαντ᾽ εὐτείχεον ἀπονέεσθαι ’. Καὶ ὁ Ἀπόλλων πρότερον μὲν οὐκ ἐπαμύνει τῷ Χρύσῃ ἀδικουμένῳ, ἐπεὶ δὲ πρὸς αὐτὸν ἐπαρρησιάσατο καὶ ἀνέμνησεν τῆς κνίσης τῶν μηρίων, τότε τοὺς ἰοὺς ἀφίησιν εἰς τὸ Ἑλληνικόν, ‘ ἐννῆμαρ ἐποιχόμενος ’ αὐτούς, καὶ ‘ ὀρεῖς καὶ κύνας ’.41

Das Ziel des Maximus ist hier durchsichtig und unverkennbar. Er benutzt diese homerischen Stellen, um ein spezifisches Problem in den Mittelpunkt zu rücken: Dadurch, dass man bei Homer Widersprüchliches über das Gebet findet (manchmal erhören die Götter – hier, pars pro toto, durch Zeus exemplarisch vertreten – das Gebet [καὶ δηλαδὴ ὁ Ζεὺς ἐπιτελεῖ τὴν εὐχήν], manchmal jedoch – ohne ersichtlichen Grund und genau dann, wenn man das Gegenteil erwarten würde – nicht [ἀτελῆ τὴν εὐχὴν τίθησιν]), wird man auf eine emphatische und plastische Weise vor die Frage gestellt, ob man überhaupt beten sollte. Dieses Problem kann Maximus nur in Verbindung mit einer allgemeinen Erörterung der Natur der Götter, also durch die Philosophie (oder rationale Theologie), lösen, denn diese Schwierigkeit (ob man überhaupt beten sollte) kann nur durch die Beantwortung einer anderen, ihr logisch übergeordneten Frage, beseitigt werden: lassen sich die Götter umstimmen?42 Das Problem ist hiermit auf den Punkt gebracht: λίχνον καὶ δωροδόκον τὸ θεῖον, καὶ μηδὲν διαφέρον τῶν πολλῶν ἀνθρώπων; […] ἢ τουναντίον, ἄστρεπτον τὸ θεῖον καὶ ἀτενὲς καὶ ἀπαραίτητον; Auch hier also fungiert Homer nur als Überleitung. Es darf der Aufmerksamkeit nicht entgehen, wo genau im rhetorischen Aufbau der Rede die Mythen und Homer ihre Stellung finden: sie spielen nämlich nur im einleitenden Teil, oder besser: als einleitender Teil der fünften Rede, eine Rolle. Nach der Einleitung verlässt Maximus sie, um sich auf das höhere Niveau der philosophischen Spekulation zu erheben.43 _____________ 41 Or. 5, 2, b-e. 42 Or. 5, 3, a: Τί ταῦτα, ὦ ποιητῶν ἄριστε; λίχνον καὶ δωροδόκον τὸ θεῖον, καὶ μηδὲν διαφέρον τῶν πολλῶν ἀνθρώπων; καί σου τὸ ἔπος τοῦτο ἀποδεξόμεθα, [Il. 9, 497] ‘ ...στρεπτοὶ δέ τε καὶ θεοὶ αὐτοί ’; ἢ τουναντίον, ἄστρεπτον τὸ θεῖον καὶ ἀτενὲς καὶ ἀπαραίτητον; μετατίθεσθαι γὰρ καὶ μεταγινώσκειν προσήκει μὴ ὅτι θεῷ, ἀλλ᾽ οὐδὲ ἀνδρὶ ἀγαθῷ· ὁ γὰρ στρεπτὸς ἀνὴρ καὶ μετανοητικός, εἰ μὲν εἰς τὸ βέλτιον ἐκ τοῦ φαυλοτέρου μετατίθεται, πονήρως ἐβουλεύσατο· εἰ δὲ εἰς τὸ χεῖρον ἐκ τοῦ βελτίστου, πονηρῶς μετέθετο· τὸ δὲ θεῖον ἔξω πονηρίας. 43 Auch die exempla, die er im weiteren Verlauf der 5. Rede bringt (etwa or. 5, 4, g-h: ᾿Αθηναῖοι λοιμώττουσιν, σείονται Λακεδαιμόνιοι, ἡ Θετταλία ἐπικλύζεται, ἡ Αἴτνη φλέγεται und or. 5, 5, a-c: ᾿Αλλ᾽ οὐδὲ ὁ Ζεὺς αὐτὸς εὕρατο παρ᾽ ἐκείνης ἀποτροπήν, ἀλλ᾽ ὀδύρεται· [Il. 16, 433f.] ‘ ὤμοι ἐγών, ὅτε μοι Σαρπηδόνα φίλτατον ἀνδρῶν/ μοῖρ᾽ ὑπὸ Πατρόκλοιο Μενοιτιάδαο δαμῆναι ’ usw.), sind reine

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Er verlässt Homer, um (wenn man es so formulieren möchte) Platon zu erreichen. Lukian hingegen bleibt von Anfang bis Ende von περὶ θυσιῶν in die Mythen – bewusst und man möchte fast sagen: zu seinem großen Vergnügen – gleichsam verstrickt. 4.2.3. Eine Philosophie des Gebets Das Gebet erscheint also bei Maximus als Gegenstand der philosophischen Analyse. Es ist nun sehr wichtig in Hinblick auf einen vollständigen Vergleich mit Lukians περὶ θυσιῶν, dass der Leser einen genauen Eindruck des besonderen „Geschmacks“, d. h. der spezifischen Beschaffenheit der Schrift des Maximus bekommt. Zu diesem Zweck skizziere ich im Folgenden die in der Rede vorgeschlagene Lösung des Problems εἰ δεῖ εὔχεσθαι. Nach der aporetischen Einleitung bemüht Maximus eine zwar nicht neue,44 doch sehr genaue divisio: Es gibt gewisse Bereiche, denen die Gegenstände der menschlichen Gebete zugehören; jeder Bereich fällt unter die Kontrolle einer eigenen „Macht“: Καὶ μὴν τῶν ὅσα οἱ ἄνθρωποι εὔχονται γενέσθαι, φησί, τὰ μὲν ἡ πρόνοια ἐφορᾷ· τὰ δὲ εἱμαρμένη καταναγκάζει, τὰ δὲ μεταβάλλει ἡ τύχη, τὰ δὲ οἰκονομεῖ ἡ τέχνη.45

Das Verständnis des besonderen Wesens jeder dieser „Kräfte“, d. h. das Wissen darüber, welche Kraft letztlich für welche Effekte zuständig ist, soll dem Akt des Betens normative Richtung geben.46 Nach dieser anfänglichen partitio bedient sich Maximus im Hauptteil der Rede eines Ausschlussverfahrens, welches jeden der aufgezeigten Bereiche der Reihe nach berührt. Schematisch betrachtet ergibt sich die folgende Tabelle:47

_____________ 44 45 46 47

τόποι und situieren sich sozusagen lediglich am Rande der Argumentation, ohne sie zu konstituieren: rhetorischer Schmuck. Vgl. Diog. Laert., Vit. III 96; Stob., Antholog. I 93; Sext. Emp., Pyrr. hypot. I 237; Sallust., De diis et mundo 12; Plut., Plac. philos. I 29, 885 C-D. Or. 5, 4, a. Or. 5, 4, b-c: ἃ τοίνυν εὐχόμεθα, ἢ εἰς πρόνοιαν συντελεῖ θεοῦ, ἢ εἰς εἱμαρμένης ἀνάγκην, ἢ εἰς ἀνθρώπου τέχνην, ἢ εἰς τύχης φοράν. Or. 5, 4, b: Καὶ ἡ μὲν πρόνοια θεοῦ ἔργον, ἡ δὲ εἱμαρμένη ἀνάγκης, ἡ δὲ τέχνη ἀνθρώπου, ἡ δὲ τύχη τοῦ αὐτομάτου.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Ursache θεός ἀνάγκη ἄνθρωπος αὐτόματον

ĺ ĺ ĺ ĺ

Wirkung (ἔργον) πρόνοια εἱμαρμένη τέχνη τύχη

Im Bereich, der von der πρόνοια regiert ist, macht das Beten keinen Sinn, denn die göttliche Vorsehung, von Natur aus immer auf das „Wohl“ bzw. „Heil“ des Ganzen bedacht, wird die Erfüllung jener Wünsche, die dieses „Heil“ beeinträchtigen, nicht zulassen.48 Noch weniger Sinn ergibt das Gebet, das sich auf notwendige Zusammenhänge bezieht, denn per definitionem ist das Notwendige festgesetzt und unabänderlich.49 Das Gebet im Bereich der τύχη ist widersinnig, weil die τύχη das Irrationale schlechthin ist: der Bereich oder das Element, in dem jede Berechnung (ratio) und Planung (Voraussetzung für das geplante bzw. berechnete Ziel des Gebets) a priori ausgeschlossen sind.50 Die Technik – schließlich –, wenn sie vollkommen ist, vermag qua talis sowieso schon ihre Ziele zu erreichen, und lässt somit nichts zu wünschen übrig.51 Wann und wofür soll man also beten? Τί τοίνυν ἐστίν, ὑπὲρ ὅτου κἂν εὔξαιτο ἄν τις τοῖς θεοῖς, ὃ μὴ προνοίας ἔχεται, ἢ εἱμαρμένης, ἢ τέχνης, ἢ τύχης;52 Die Lösung (§ 8): die Erfüllung eines Gebets ist eine

_____________ 48 Or. 5, 4, c-f: Καὶ εἰ μὲν εἰς πρόνοιαν συντελεῖ, τί δεῖ εὐχῆς; εἰ γάρ τοι προνοεῖ ὁ θεὸς […] κἀν τοῖς ἐπὶ μέρους ἡ πρόνοια ἐξετάζεται. Τί δὴ φῶμεν; βούλει τοῦ ὅλου προνοεῖν τὸν θεόν; οὐκ ἐνοχλητέον ἄρα τῷ θεῷ· οὐ γὰρ πείσεται, ἤν τι παρὰ τὴν σωτηρίαν αἰτῇς τοῦ ὅλου. 49 Or. 5, 5, a. e: Τί δὲ τῶν κατὰ τὴν εἱμαρμένην; ἢ κἀνταῦθα ἡ εὐχὴ γελοιότατον· θᾶττον γὰρ ἄν τις βασιλέα ἔπεισεν ἢ τύραννον· τυραννικὸν δὲ ἡ εἱμαρμένη, καὶ ἀδέσποτον, καὶ ἀμετάστρεπτον. […] Τοιοῦτο χρῆμα ἡ εἱμαρμένη Ἄτροπος, καὶ ἡ Κλωθώ, καὶ ἡ Λάχεσις, ἄτρεπτον, καὶ ἐπικεκλωσμένον, καὶ διειληχὸς τοὺς ἀνθρωπίνους βίους. Πῶς ἂν οὖν τις εὔξαιτο ἀπαραιτήτῳ εἱμαρμένῃ;. 50 Or. 5, 6, a: ᾿Αλλ᾽ οὐδὲ ἐν τοῖς κατὰ τὴν τύχην εὐκτέον, καὶ πολὺ μᾶλλον ἐνταῦθα οὐκ εὐκτέον· οὐδὲ γὰρ ἀνοήτῳ δυνάστῃ διαλεκτέον, ἔνθα οὐ βούλευμα οὐδὲ κρίσις οὐδὲ ὁρμὴ σώφρων οἰκονομεῖ τὴν ἀρχήν, ἀλλὰ ὀργή, καὶ φορά, καὶ ἄλογοι ἕξεις, καὶ ἔμπληκτοι ὁρμαί, καὶ ἐπιθυμιῶν διαδοχαί. 51 Or. 5, 6, c: Λοιπὸν δὴ μετὰ τὴν τύχην ἡ τέχνη. Καὶ τίς τέκτων εὔξεται περὶ κάλλους ἀρότρου, τὴν τέχνην ἔχων; ἢ τίς ὑφάντης περὶ κάλλους χλανίδος, τὴν τέχνην ἔχων; ἢ τίς χαλκεὺς περὶ κάλλους ἀσπίδος, τὴν τέχνην ἔχων; ἢ τίς ἀριστεὺς περὶ εὐτολμίας, τὴν ἀνδρείαν ἔχων; ἢ τίς ἀγαθὸς περὶ εὐδαιμονίας, τὴν ἀρετὴν ἔχων;. 52 Or. 5, 7, a.

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Funktion der ἀξία, des moralischen Wertes eines Menschen.53 Es ist nämlich dieser Wert, der bewirkt, dass man das Gewünschte erreicht, denn – im Gegensatz zum πονηρός, der sich außerhalb des Standpunktes der Betrachtung der kosmischen Harmonie situiert (für ihn ist der Teil wichtiger als das Ganze) und deswegen Unbilliges und Unmögliches wünscht –,54 misst der χρηστὸς ἀνήρ sein Gebet am Maßstab der Angemessenheit desselben für sich selbst und das Ganze. Er ist als einziger im Stande, für sich selbst diese regulative Funktion zu übernehmen, die sonst für die weniger Guten der Gott übernimmt. Daraus folgert Maximus die intrinsische Absurdität der gewöhnlichen Gebete um Geld, Sieg, glückliche Fahrt usw.: die wachsamen55 Götter, welche diese Bitten wie ein strenges Richterkollegium examinieren, werden auf solche Forderungen nicht eingehen: Τί τοῖς θεοῖς ἐνοχλεῖς; μηδὲν τὸ παρὰ τὴν ἀξίαν φοβηθῇς· καὶ πλουτήσεις, κἂν Ἱππόνικος ἦς· νικήσεις, κἂν Κλέων ᾖς· αἱρήσεις, κἂν Μέλητος ᾖς. Ἐὰν δὲ εἰς τὰς πρὸς τοὺς θεοὺς παρέλθῃς εὐχάς, εἰς δικαστήριον παρελήλυθας ἀκριβὲς καὶ ἀπαραίτητον· οὐδεὶς ἀνέξεταί σου θεὸς εὐχομένου τὰ μὴ εὐκτά, οὐδὲ δώσει τὰ μὴ σοὶ δοτά.56

Wie man sieht, sind die gewöhnlichen Gebete, die den Alltag der Zeitgenossen des Maximus ausmachten, durch die philosophische Betrachtung praktisch gänzlich beseitigt worden. Sie sind verschwunden und haben einer reineren Form des Betens Platz gemacht, jener Form nämlich, die der Weise praktiziert. Die letzte Parallele zwischen Lukian und Maximus ist die Tatsache, dass beide am Ende ihres Stücks einen Philosophen anführen: hier Sokrates. Sokrates bat um nichts Materielles, was er nicht besaß und besitzen wollte. Sein Beten war vielmehr eine rein spirituelle Tat, ein Gespräch mit den Göttern und ein „Kontakt“ mit ihnen: ἀλλὰ σὺ μὲν ἡγεῖ τὴν τοῦ φιλοσόφου εὐχὴν αἴτησιν εἶναι τῶν οὐ παρόντων, ἐγὼ δὲ ὁμιλίαν καὶ διάλεκτον πρὸς τοὺς θεοὺς περὶ τῶν παρόντων καὶ ἐπίδειξιν τῆς ἀρετῆς· ἢ, οἴει, τοῦτο εὔχετο ὁ Σωκράτης,

_____________ 53 Or. 5, 7, h: ᾿Αλλ᾽ ὁ θεὸς λέγει, Ἐπὶ ἀγαθῷ αἰτεῖς; λάμβανε, εἰ ἄξιος ὢν αἰτεῖς· ταῦτα ἔχοντί σοι οὐδὲν εὐχῆς δεῖ, λήψῃ καὶ σιωπῶν. 54 Or. 5, 8, d: Ἐὰν δέ τις παρὰ μὲν τῆς γῆς εὔπλοιαν αἰτῇ, παρὰ δὲ τῆς θαλάττης εὐκαρπίαν, καὶ παρὰ μὲν ὑφάντου ἄροτρον, παρὰ δὲ τέκτονος χλανίδα, ἄπεισιν ἀτελὴς καὶ ἄδωρος καὶ ἄτευκτος. 55 Or. 5, 7, g-h: Ἐξεταστὴς καὶ λογιστὴς ἐφέστηκεν ταῖς ἑκάστου εὐχαῖς πικρός, εὐθύνων τῷ τοῦ συμφέροντος μέτρῳ τὰ σά· οὐδὲ αὐτὸν μεταχειριῇ ἀναβιβασάμενος ὥσπερ εἰς δικαστήριον τὰς ὀρέξεις τὰς σὰς ἐλεεινὰ φθεγγομένας, ᾽Οἴκτειρον᾽ βοώσας, πολλὴν τὴν κόνιν καταχεομένας τῆς κεφαλῆς, sowie or. 5, 8, e: Ὦ Ζεῦ, καὶ Ἀθηνᾶ, καὶ Ἄπολλον, ἐθῶν ἀνθρωπίνων ἐπίσκοποι. 56 Or. 5, 7, e-g.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

ὅπως αὐτῷ χρήματα γένηται, ἢ ὅπως ἄρξει Ἀθηναίων; πολλοῦ γε καὶ δεῖ.57

Mit dem Beispiel des Sokrates ist Maximus am Ende angekommen.58 Der Punkt, mit dem er schließt, erscheint jedoch etwas paradox. Letztlich kann und darf man also die Götter nur um moralische Güter beten (ἀρετὴν ψυχῆς, καὶ ἡσυχίαν βίου, καὶ ζωὴν ἄμεμπτον, καὶ εὔελπιν θάνατον). Diese sind aber gleichzeitig eine eigene Errungenschaft des (moralisch guten) Individuums (ἐλάμβανεν δὲ παρ᾽ ἑαυτοῦ); die Götter beschränken sich ihrerseits auf eine lose Zustimmung.59 Wie kann nun aber ein δῶρον τῶν θεῶν etwas sein, das ich mir aus mir selbst heraus verschaffe? Der letzte Schritt, nämlich eine vollständige Identifizierung des Akts des Betens mit der philosophischen Reflexion über die Götter, wird nicht getan. Die Frage, ob auch Maximus selbst diese Paradoxie empfunden hat, kann hier jedoch nicht diskutiert werden. 4.2.4. Zusammenfassung Als provisorische Zusammenfassung kann behauptet werden, dass der Versuch eines Vergleichs zwischen Lukian und Maximus u. a. zeigt, 1. dass es einen philosophisch-rhetorischen Diskurs über das Gebet, eventuell (aber nicht unbedingt) in einem Zusammenhang mit den Opfern gab; 2. dass dieser Diskurs strukturiert war, z. B. es wurde erwartet, dass man sich auf Homer bezog, insbesondere auf bestimmte Episoden (etwa Chryses, Phoinix, Sarpedon); 3. dass Maximus einige theologische Ansätze entwickelte, Lukian dagegen nicht. 4.3. Interpretation der Schrift Περὶ θυσιῶν Eines darf an erster Stelle mit Sicherheit behauptet werden: Lukian hat in dieser kleinen Schrift ein hohes Maß an Klarheit bezüglich seiner Zielset_____________ 57 Or. 5, 8, b-c. Vgl. Sen., Ep. 41, 1; ID., Nat. quaest. II 35, 1; Marc. Aurel., In sem. ips. IX 40. 58 Der Schlussteil der Rede (or. 5, 8, e-g) ist ein recht konventioneller, doch in seiner Ernte-Metaphorik schöner Hymnus auf die Wichtigkeit der Philosophie im Leben. 59 Hier der vollständige Passus (or. 5, 8, c): Ἀλλ᾽ εὔχετο μὲν τοῖς θεοῖς, ἐλάμβανεν δὲ παρ᾽ ἑαυτοῦ, συνεπινευόντων ἐκείνων, ἀρετὴν ψυχῆς, καὶ ἡσυχίαν βίου, καὶ ζωὴν ἄμεμπτον, καὶ εὔελπιν θάνατον, τὰ θαυμαστὰ δῶρα, τὰ θεοῖς δοτά.

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zung erreicht. Analysiert man nämlich Anfang und Ende der Schrift, jene „privilegierten Eckstellen“, in denen ein antiker Autor seine Meinung äußert und betont, kann kein Zweifel mehr darüber bestehen. Wir lesen also in De sacr. 1: Ἃ μὲν γὰρ ἐν ταῖς θυσίαις οἱ μάταιοι πράττουσι καὶ ταῖς ἑορταῖς καὶ προσόδοις τῶν θεῶν καὶ ἃ αἰτοῦσι καὶ ἃ εὔχονται καὶ ἃ γιγνώσκουσι περὶ αὐτῶν, οὐκ οἶδα εἴ τις οὕτως κατηφής ἐστι καὶ λελυπημένος ὅστις οὐ γελάσεται τὴν ἀβελτερίαν ἐπιβλέψας τῶν δρωμένων. Καὶ πολύ γε, οἶμαι, πρότερον τοῦ γελᾶν πρὸς ἑαυτὸν ἐξετάσει πότερον εὐσεβεῖς αὐτοὺς χρὴ καλεῖν ἢ τοὐναντίον θεοῖς ἐχθροὺς καὶ κακοδαίμονας, οἵ γε οὕτω ταπεινὸν καὶ ἀγεννὲς τὸ θεῖον ὑπειλήφασιν ὥστε εἶναι ἀνθρώπων ἐνδεὲς καὶ κολακευόμενον ἥδεσθαι καὶ ἀγανακτεῖν ἀμελούμενον.

Inhaltlich sind diese Anfangszeilen so außerordentlich reich und „dicht“, dass diese ihre „Dichte“ einer „Auflösung“ bedarf. Mehrere Elemente werden deutlich eingeführt. Diese bilden nicht nur den bloß äußeren Rahmen, sondern sind wie die tragenden Linien der ganzen Konstruktion, an denen entlang sich die weitere Schrift entwickelt. Die Reihe der wiederholten καὶ darf nicht täuschen: die Passage stellt nicht Gleichwertiges nebeneinander, sondern zeigt eine strenge Hierarchie. Zunächst wird der Bereich angegeben: ἐν ταῖς θυσίαις, wobei die Wortstellung im ersten Satz die Bedeutung der zwei parallelen Zusätze καὶ ταῖς ἑορταῖς καὶ προσόδοις τῶν θεῶν, abgrenzt: betrachtet werden nämlich Prozessionen und festliche Anlässe nur insofern, als in ihnen Opferriten vorkommen. Das, was sich in diesem Bereich abspielt, nämlich καὶ ἃ αἰτοῦσι καὶ ἃ εὔχονται καὶ ἃ γιγνώσκουσι περὶ αὐτῶν präzisiert anschließend das Thema ,Opfer‘, nämlich das Opfer als Vermittlung eines Anliegens (der menschlichen Bitten und Gebete), das den Akt des Opferns selbst „transzendiert“. Besonders wichtig ist das letzte Element der Reihe (καὶ ἃ γ ι γ ν ώ σ κ ο υ σ ι περὶ αὐτῶν): eins unter vielen ähnlichen Signal-Wörtern aus dem philosophischen Bereich wie οἱ μάταιοι und τὴν ἀβελτερίαν im oben zitierten Passus. Sie dienen dazu, die im Werk aufgeworfene Frage, oder – besser gesagt – deren Behandlung, welche im Werk bald stattfinden wird, als philosophisch zu qualifizieren. Gleichzeitig wird auch die Verbindung der zwei zentralen Elemente, welche den Hintergrund der ganzen in der Schrift ausgebreiteten Ausführungen bilden, ein für allemal vorgeführt und festgelegt: Die einfältige Dummheit provoziert, wenn sie beobachtet wird, unweigerlich das Lachen. Die philosophische Wendung, die Lukian seinem Diskurs geben will, wird im nächsten Abschnitt von De sacr. 1 (καὶ πολύ γε usw.) bekräftigt. Bevor sie verspottet werden kann, muss nämlich diese einfältige Dummheit erst festgestellt bzw. präzisiert werden. Worum es im Wesentlichen

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geht, ist die Begründung der Feststellung, dass den μάταιοι nicht das Prädikat «fromm» (εὐσεβεῖς), sondern das genaue Gegenteil, «den Göttern verhasst» (θεοῖς ἐχθροὺς καὶ κακοδαίμονας), zusteht. (Man merke übrigens, wie der Begriff der ἀβελτερία jetzt genauere Konturen, nämlich jene der ἀσέβεια, angenommen hat.) Ich rede an dieser Stelle von ,Feststellung‘, weil die scheinbare Erwägung bzw. Erforschung (πρὸς ἑαυτὸν ἐξετάσει), zu der der Text einlädt, rein vom Ton her, einer Feststellung äquivalent ist: Sie hat schon stattgefunden, genau so wie ihre Begründung. Die drei Fehler, welche das Götterbild der μάταιοι vollständig verzerren, sind schon längst identifiziert worden und haben mittlerweile einen kanonischen bzw. topischen Status (οἵ γε οὕτω ταπεινὸν καὶ ἀγεννὲς τὸ θεῖον ὑπειλήφασιν ὥστε εἶναι [1.] ἀνθρώπων ἐνδεὲς καὶ [2.] κολακευόμενον ἥδεσθαι καὶ [3.] ἀγανακτεῖν ἀμελούμενον). Lukian sagt hier seinem Publikum nichts Neues und weiß es: daher seine Kürze. Nicht im bloßen Verzeichnis der Topoi, die jeder Philosoph oder Rhetor seit den Tagen seiner Ausbildung bei Bedarf im Munde zu führen lernte, will Lukian sein Können zeigen, sondern in dem Auffüllen dieser leeren Gefäße, d. h. im Beleben dieser allgemeinen und abstrakten Schemen durch den Erfindungsreichtum seiner vis satirica. Sowohl das Lachen als auch die philosophische Einbettung kehren ringkompositorisch am Ende von περὶ θυσιῶν wieder zurück. Wie der Anfang ist auch das Ende im oben angegebenen Sinne sehr signifikant. In De sacr. 15, also den allerletzten Zeilen, fasst Lukian die „Botschaft“ des opusculum auf prägnante Weise – eine Art „Erkennungssiegel“ – zusammen: Ταῦτα οὕτω γιγνόμενα καὶ ὑπὸ τῶν πολλῶν πιστευόμενα δεῖσθαί μοι δοκεῖ τοῦ μὲν ἐπιτιμήσοντος οὐδενός, Ἡρακλείτου δέ τινος ἢ Δημοκρίτου, τοῦ μὲν γελασομένου τὴν ἄγνοιαν αὐτῶν, τοῦ δὲ τὴν ἄνοιαν ὀδυρουμένου.60

Die Erwähnung der beiden Philosophen akzentuiert noch einmal, dass περὶ θυσιῶν ein philosophischer Beitrag sein will.

_____________ 60 In Erasmus’ schöner lateinischer Übersetzung (Luciani complura opuscula ab Erasmo et Thoma Moro interpretibus optimis in Latinorum linguam traducta, ed. Chr. ROBINSON, in: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami recognita et adnotatione critica instructa notisque illustrata, Bd. I 1, Amsterdam 1969, 602): «Haec igitur quum sic habeant, et tamen a vulgo vera seriaque credantur, mihi quidem postulare videntur, non qui reprehendat, sed vel Heraclitum potius aliquem vel Democritum, quorum hic amentiam eorum rideat, ille deploret inscitiam».

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4.3.1. Exkurs: Heraklit und Demokrit bei Lukian Auf der gleichen Linie, jedoch auf einer anderen, etwas feineren (d. h. nicht von jedem Leser wahrnehmbaren) Ebene verleiht Lukian hier seinem Text einen sehr persönlichen „Pinselstrich“. Die gleichen Figuren des weinenden Heraklit und des lachenden Demokrit tauchen nämlich, in der gleichen Art wie hier präsentiert, d. h. (1.) den gleichen Charaktereigenschaften assoziiert und (2.) der gleichen Funktion zugeordnet, auch an anderen Stellen des lukianischen Gesamtwerkes auf. 1. In De morte Peregrini 6f. wird dem heuchlerischen Weinen und Trauern über den bevorstehenden Verlust (durch Selbstverbrennung) des geliebten Meisters das wahrhaftige Lachen eines Unbekannten, welches diese Heuchelei entblößt, entgegengesetzt.61 2. Am Ende des gleichen Werkes (§ 45), als zusammenfassende Abschlussbemerkung (vgl. oben), fordert Lukian den Freund, an den er sich im Laufe der ganzen Schrift imaginär gerichtet hatte, auf, sich das Lachen des Demokritos als die beste „Reaktion“ gegenüber „Phänomenen“ wie dem Leben(sende) des Peregrinos anzueignen.62 3. In Vitarum auctio 13f. werden beide Philosophen sogar zusammen zum Verkauf angeboten, jedoch genau auf Grund ihrer Grundeigenschaften von niemandem gekauft.63 Die Stelle ist aufschlussreich, weil hier auch die entsprechende Begründung für diese Grundhaltung angegeben wird: sie werden nämlich auf einige, wohl satirisch verzerrte Grundsätze der jeweiligen Philosophien zurückgeführt.64 Die An_____________ 61 De morte Peregr. 6f.: «…ἀλλὰ νῦν ἐξ ἀνθρώπων εἰς θεοὺς τὸ ἄγαλμα τοῦτο οἰχήσεται, ὀχούμενον ἐπὶ τοῦ πυρός, ὀρφανοὺς ἡμᾶς καταλιπόν.» ταῦτα ξὺν πολλῷ ἱδρῶτι διεξελθὼν ἐδάκρυε μάλα γελοίως καὶ τὰς τρίχας ἐτίλλετο, ὑποφειδόμενος μὴ πάνυ ἕλκειν· καὶ τέλος ἀπῆγον αὐτὸν λύζοντα μεταξὺ τῶν Κυνικῶν τινες παραμυθούμενοι. Μετὰ δὲ τοῦτον ἄλλος εὐθὺς ἀναβαίνει, οὐ περιμείνας διαλυθῆναι τὸ πλῆθος ἀλλὰ ἐπ᾽ αἰθομένοις τοῖς προτέροις ἱερείοις ἐπέχει τῶν σπονδῶν. καὶ τὸ μὲν πρῶτον ἐπὶ πολὺ ἐγέλα καὶ δῆλος ἦν νειόθεν αὐτὸ δρῶν· εἶτα ἤρξατο ὧδέ πως· Ἐπεὶ ὁ κατάρατος Θεαγένης τέλος τῶν μιαρωτάτων αὐτοῦ λόγων τὰ Ἡρακλείτου δάκρυα ἐποιήσατο, ἐγὼ κατὰ τὸ ἐναντίον ἀπὸ τοῦ Δημοκρίτου γέλωτος ἄρξομαι. 62 De morte Peregr. 45: τί σοι δοκεῖ ὁ Δημόκριτος, εἰ ταῦτα εἶδε; κατ᾽ ἀξίαν γελάσαι ἂν ἐπὶ τῷ ἀνδρί; καίτοι πόθεν εἶχεν ἐκεῖνος τοσοῦτον γέλωτα; σὺ δ᾽ οὖν, ὦ φιλότης, γέλα καὶ αὐτός, καὶ μάλιστα ὁπόταν τῶν ἄλλων ἀκούῃς θαυμαζόντων αὐτόν. 63 Vit. auct. 14: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Τουτὶ τὸ κακὸν οὐ πόρρω μελαγχολίας ἐστίν· οὐδέτερον δὲ ὅμως αὐτῶν ἔγωγε ὠνήσομαι. ΕΡΜΗΣ. Ἄπρατοι καὶ οὗτοι μένουσιν. 64 BEAUPERE scheint mir daneben zu greifen, wenn sie schreibt (BEAUPERE [1967], Bd. 2, 71): «Cette attitude dédaigneuse [scil. des lukianischen Demokrit] donne une vue déformée de ce génie encyclopédique qui ne fut ni coupé des hommes ni muré dans

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schauung des unbeständigen und unendlichen „Tanzes der Atome“ führt Demokrit dazu, an Stelle der scheinbaren, d. h. täuschenden Handfestigkeit der realweltlichen Objekte (und somit auch der menschlichen Angelegenheiten) ihre „Leere“ wahrzunehmen. Worüber er also bei Lukian lacht, ist diese auf einem erkenntnistheoretischen Fehler beruhende allgemeine Vertauschung der „Extreme“, des scheinbaren und des wahren (Konkretheit vs. Leere; Beständigkeit vs. Vergänglichkeit; Wichtigkeit vs. Eitelkeit). Vom Käufer befragt, was er so zu lachen habe (τί ταῦτα, ὦ οὗτος; τί γελᾷς;), antwortet der Philosoph aus Abdera: ΔΗΜΟΚΡΙΤΟΣ. Ἐρωτᾷς; ὅτι μοι γελοῖα πάντα δοκέει τὰ πρήγματα ὑμέων καὶ αὐτοὶ ὑμέες. ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Πῶς λέγεις; καταγελᾷς ἡμῶν ἁπάντων καὶ παρ᾽ οὐδὲν τίθεσαι τὰ ἡμέτερα πράγματα; ΔΗΜΟΚΡΙΤΟΣ. Ὧδε ἔχει· σπουδαῖον γὰρ ἐν αὐτέοισιν οὐδέν, κενεὰ δὲ πάντα καὶ ἀτόμων φορὴ καὶ ἀπειρίη.65

4. Heraklit zieht nun (könnte man sagen) aus dem gleichem Prinzip die gegenteilige Konsequenz. Seine Antwort ist etwas länger und aus den berühmtesten herakliteischen Zitaten recht künstlich gewoben, doch völlig nach der gleichen Technik gestaltet: Ἡγέομαι γάρ, ὦ ξεῖνε, τὰ ἀνθρωπήϊα πρήγματα ὀϊζυρὰ καὶ δακρυώδεα καὶ οὐδὲν αὐτέων ὅ τι μὴ ἐπικήριον· τῷ δὴ οἰκτείρω τε σφέας καὶ ὀδύρομαι, καὶ τὰ μὲν παρεόντα οὐ δοκέω μεγάλα, τὰ δὲ ὑστέρῳ χρόνῳ ἐσόμενα πάμπαν ἀνιηρά, λέγω δὲ τὰς ἐκπυρώσιας καὶ τὴν τοῦ ὅλου συμφορήν· ταῦτα ὀδύρομαι καὶ ὅτι ἔμπεδον οὐδέν, ἀλλ᾽ ὅκως ἐς κυκεῶνα τὰ πάντα συνειλέονται καί ἐστι τὠυτὸ τέρψις ἀτερψίη, γνῶσις ἀγνωσίη, μέγα μικρόν, ἄνω κάτω περιχωρέοντα καὶ ἀμειβόμενα ἐν τῇ τοῦ αἰῶνος παιδιῇ.66

Die Gegenüberstellung des weinenden und des lachenden Philosophen ist natürlich keine Erfindung Lukians.67 Insbesondere die Figur des Demokrit konnte einen leichten Eingang in eine Schrift gegen einen (falschen) Ky_____________ l’étude des lois naturelles à l’exclusion des sciences humaines», oder: «mais dans notre texte, Lucien ne se contente pas d’utiliser cette philosophie; il la vide totalement de son sens: au moraliste pénétrant […], Lucien ne prête qu’un refus sommaire de prendre en considération le domaine humain», oder noch: «devant une telle simplification, une telle désagrégation de ce qui fut un système, certaine impatience nous ferait évoquer les Femmes Savantes» [73], oder von «certains aspects de la sagesse de Démocrite – interprétés de façon plus ou moins tendancieuse» [71] redet. – All diese Vorwürfe sind unberechtigt, weil sie sich außerhalb des satirischen Bereichs, den Lukian für sich in Anspruch nimmt, situieren. 65 Vit. auct. 13. 66 Vit. auct. 14. 67 NESTLE (1925), 19 Anm. 12.

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niker wie Peregrinos finden, weil die spätere Antike die Gestalt eines „kynischen Demokrit“, der die Narrheit der Welt verlacht (Democritus ridens), irgendwann vor Lukian kreiert hatte.68 Eine zum ersten Mal bei Cicero69 bezeugte Tradition hat einen lachenden Demokrit, der auch die weisen Gymnosophisten Indiens besucht, und wird bei Horaz70 und in den pseudepigraphischen Briefen des Hippokrates (1. Jh. n. Chr.) fortgeführt, in denen der Arzt Hippokrates (gerufen, um den für verrückt erklärten Philosophen zu heilen) erklärt, dieser sei gesünder als die normalen Menschen.71 Doch der erste Beleg für das Auftauchen des Paares ist Senecas Lehrer Sotion, bei Stobaios referiert: Σωτίωνος ἐκ τοῦ Περὶ ὀργῆς β’. Τοῖς δὲ σοφοῖς ἀντὶ ὀργῆς Ἡρακλείτῳ μὲν δάκρυα, Δημοκρίτῳ δὲ γέλως ἐπῄει.72

Auch andere Autoren wie Seneca und Juvenal belegen dieses Motiv. Allein aus diesen Daten schließen zu wollen, dass «the list of writers in whom the story appears suggests that someone within the general circle of Menippus created the ‘Cynic’ Democritus and contrasted him with the ‘Stoic’ Heraclitus»,73 ist leider nur spekulativ. Lukian präsentiert diese beiden Philosophen so, dass sie in seinen Augen für gewisse geistige Qualitäten, die er besonders schätzte und zu denen er sich bekannte, zu stehen scheinen: ein Lachen und ein Weinen, die als Waffen bzw. Bollwerke gegen die unterschiedlichen Formen und Konsequenzen des Unwissens, die die Welt überschwemmen, verwendet werden können. In dieser Hinsicht darf außerdem nicht vergessen werden, dass der Status beider Figuren als konsolidierte auctoritates in den allgemein geltenden kulturellen Vorstellungen dieser Operation des Lukian nicht wenig zu Gute kommen musste: dadurch nämlich, dass sowohl Heraklit als auch Demokrit im Allgemeinen als große Philosophen der Vergangenheit, fast als zwei Prototypen des Weisen galten: ihnen widersprach man _____________ 68 Vgl. RÜTTEN (1992), 43-9. 69 Cic., De orat. II 235: «Atque illud primum, quid sit ipse risus, quo pacto concitetur, ubi sit, quo modo exsistat atque ita repente erumpat, ut eum cupientes tenere nequeamus, et quo modo simul latera, os, venas, oculos, vultum occupet, viderit Democritus; neque enim ad hunc sermonem hoc pertinet, et, si pertineret, nescire me tamen id non puderet, quod ne illi quidem scirent, qui pollicerentur». 70 Hor., Epist. II 1, 194-200: «Si foret in terris, rideret Democritus, seu/ diuersum confusa genus panthera camelo/ siue elephans albus uolgi conuerteret ora;/ spectaret populum ludis attentius ipsis/ ut sibi praebentem nimio spectacula plura;/ scriptores autem narrare putaret asello/ fabellam surdo». 71 Ps.-Hipp., Epist. 17 LITTRÉ (Bd. IX, 348ff.); vgl. DIELS (1918). 72 Stob., Antholog. III 20, 53, p. 550 H. 73 STEWART (1958), 186f.; vgl. auch HENDRICKSON (1927), 53 Anm. 1: «the treatise of Democritus περὶ εὐθυμίας seems the most likely source of the tradition, but with apparent distortion of cheerfulness to satirical laugher», sowie LUTZ (1954).

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nicht so leichtfertig. Lukian konnte sich mit anderen Worten auf die kulturell definitiv sanktionierte „Unantastbarkeit“ seiner Quellen, auf das hohe Ansehen seiner Gewährsmänner (indirekt) berufen und sicherte sich damit (ebenfalls indirekt, doch nicht uneffektiv) gleichzeitig auch eine gewisse Stärke für die Position, die er selbst (im Text zumindest) vertrat. Es scheint also, dass dieses Philosophenpaar für ihn einen symbolischen bzw. programmatischen Charakter hatte. 4.3.2. Wiederaufnahme der Interpretation Zurück zu De sacr. 15. Das Merkmal, welches vielleicht am tiefsten beeindruckt, ist der offen erklärte Verzicht auf Kritik (τοῦ μὲν ἐπιτιμήσοντος οὐδενός). Dieser Verzicht ist so offensichtlich und prominent gemacht, dass er am Ende schlichtweg demonstrativ wirkt. Die Kritik nämlich, auf welche verzichtet wird, ist, wie die Wortwahl deutlich signalisiert, jene Kritik, welche ihren Sinn in einer Verbesserung des Kritisierten sieht, also sozusagen eine konstruktive Kritik. Lukian (bzw. der Sprecher, der im Text ,ich‘ sagt) befindet sich in einer unausweichlichen Situation: er kann sich nur in einem „Raum“ zwischen zwei Polen bewegen: einerseits der ἄγνοια, andererseits der ἄνοια.74 Wie auch immer geartet die Antwort des Sprechers auf sie sein mag – sei es nämlich in Form des Lachens (γελασομένου), sei es in Form der Trauer (ὀδυρουμένου) –, es steht unverkennbar fest, dass keine Alternative vorhanden ist: Man hat keine Wahl, außer sich mit der ἄγνοια und/oder mit der ἄνοια zu konfrontieren. Das Bild der normalen Situation, welches am Ende skizziert wird, ist also ein recht düsteres: Nicht nur weil man es sowieso mit negativen und verwerflichen Eigenschaften wie ἄγνοια und ἄνοια zu tun hat, sondern auch weil diese, wie gesagt, den normalen Zustand der Dinge (also „die Dinge, wie sie sind“) bilden, denn die Zahl jener Menschen, die von ihnen „infiziert“ ist, bildet die deutliche Mehrheit (ὑπὸ τῶν πολλῶν πιστευόμενα). Diese Mehrheit ist fast eine absolute und ihr Gewicht ist so groß, dass es jeden Widerstandsversuch abschmettert. Es hat keinen Sinn, sich gegen derartig allgemein verbreitete Haltungen, Grundsätze und Meinungen widersetzen zu wollen, eben weil fast jeder sie teilt. Das Lachen und die Trauer erscheinen also umgeben von einem Schein von Niederlage, als kleineres Übel sozusagen (durch sie grenzt sich der Verständige von der Masse der πολλοί lediglich ab). Sie _____________ 74 Auch dieser Schlussverweis auf Termini, welche das Feld der mangelnden Überlegung und ungenügenden Geisteskraft bezeichnen, mag im Übrigen indirekt auf die philosophische „Begriffsarbeit“ dieser Schrift, die man gerade zu Ende gelesen hat, hinweisen.

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sind die Zeichen eines schon angetretenen Rückzugs. (Es wundert also nicht, dass auf sehr konsequente Art und Weise überhaupt nichts über die Wirkung des Lachens bzw. der Trauer gesagt wird: sie haben nämlich keine und können auch keine haben.) Es scheint mir also durchaus berechtigt, von einem trostlosen oder wenigstens allgemeinen Pessimismus als grundsätzlichem geistigem Hintergrund für περὶ θυσιῶν zu reden. Zwar kehrt das Lachen über die ἀβελτερία vom Anfang, jetzt in Verbindung mit der synonymischen ἄγνοια hier wieder, doch jetzt nicht mehr allein, sondern um das triste Gegenstück der Trauer erweitert. In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig zu erwähnen, dass es keinen „positiven Ertrag“ aus den in De sacrificiis durchgeführten Beobachtungen gibt. Lukian sagt am Ende, nachdem er all das Irrtümliche und Verwerfliche am Opfer gezeigt hat, nicht, wie es richtig sein sollte, was man stattdessen tun sollte, wie ein wahres Opfer auszusehen hätte. Hierzu, um diese wichtige Eigenschaft der lukianischen Position hervorzuheben, möchte ich einen bedeutenden Text aus Porphyrios (eigentlich handelt es sich um ein excerptum aus Theopompos von Chios) zum Vergleich heranziehen. Hier wird erzählt, wie ein reicher Mann den Gott Apoll durch den Prunk seiner Opfer in Delphi zu einer besonderen Anerkennung zu zwingen dachte (ein klarer Fall von hybris). Zu seiner großen Überraschung wurde er durch die Pythia eines besseren belehrt. Nicht seine pietas, sondern jene eines armen Bauern in Arkadien sei die beste: Τὰ παραπλήσια δὲ καὶ Θεόπομπος ἱστόρηκεν, εἰς Δελφοὺς ἀφικέσθαι ἄνδρα Μάγνητα ἐκ τῆς Ἀσίας φάμενος, πλούσιον σφόδρα, κεκτημένον συχνὰ βοσκήματα. τοῦτον δ᾽ εἰθίσθαι τοῖς θεοῖς καθ᾽ ἕκαστον ἐνιαυτὸν θυσίας ποιεῖσθαι πολλὰς καὶ μεγαλοπρεπεῖς, τὰ μὲν δι᾽ εὐπορίαν τῶν ὑπαρχόντων, τὰ δὲ δι᾽ εὐσέβειαν καὶ τὸ βούλεσθαι τοῖς θεοῖς ἀρέσκειν. οὕτω δὲ διακείμενον πρὸς τὸ δαιμόνιον ἐλθεῖν εἰς Δελφούς, πομπεύσαντα δὲ ἑκατόμβην τῷ θεῷ καὶ τιμήσαντα μεγαλοπρεπῶς τὸν Ἀπόλλωνα παρελθεῖν εἰς τὸ μαντεῖον χρηστηριασόμενον· οἰόμενον δὲ κάλλιστα πάντων ἀνθρώπων θεραπεύειν τοὺς θεοὺς ἐρέσθαι τὴν Πυθίαν, τὸν ἄριστα καὶ προθυμότατα τὸ δαιμόνιον γεραίροντα θεσπίσαι καὶ τὸν ποιοῦντα τὰς θυσίας προσφιλεστάτας, ὑπολαμβάνοντα δοθήσεσθαι αὑτῷ τὸ πρωτεῖον. τὴν δὲ ἱέρειαν ἀποκρίνασθαι, πάντων ἄριστα θεραπεύειν τοὺς θεοὺς Κλέαρχον κατοικοῦντα ἐν Μεθυδρίῳ τῆς Ἀρκαδίας. τὸν δ᾽ ἐκπλαγέντα ἐκτόπως ἐπιθυμῆσαι τὸν ἄνθρωπον ἰδεῖν καὶ ἐντυχόντα μαθεῖν, τίνα τρόπον τὰς θυσίας ἐπιτελεῖ. ἀφικόμενον οὖν ταχέως εἰς τὸ Μεθύδριον πρῶτον μὲν καταφρονῆσαι μικροῦ καὶ ταπεινοῦ ὄντος τὸ μέγεθος τοῦ χωρίου, ἡγούμενον οὐχ ὅπως ἄν τινα τῶν ἰδιωτῶν, ἀλλ᾽ οὐδ᾽ ἂν αὐτὴν τὴν πόλιν δύνασθαι μεγαλοπρεπέστερον αὑτοῦ καὶ κάλλιον τιμῆσαι τοὺς θεούς. ὅμως δ᾽ οὖν συντυχόντα τῷ ἀνδρὶ ἀξιῶσαι φράσαι αὐτῷ, ὅντινα τρόπον τοὺς θεοὺς τιμᾷ. Τὸν δὲ Κλέαρχον φάναι ἐπιτελεῖν καὶ σπουδαίως θύειν ἐν τοῖς καθήκουσι χρόνοις, κατὰ μῆνα ἕκαστον ταῖς νουμηνίαις στεφανοῦντα καὶ

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φαιδρύνοντα τὸν Ἑρμῆν καὶ τὴν Ἑκάτην καὶ τὰ λοιπὰ τῶν ἱερῶν, ἃ δὴ τοὺς προγόνους καταλιπεῖν, καὶ τιμᾶν λιβανωτοῖς καὶ ψαιστοῖς καὶ ποπάνοις· κατ᾽ ἐνιαυτὸν δὲ θυσίας δημοτελεῖς ποιεῖσθαι, παραλείποντα οὐδεμίαν ἑορτήν· ἐν αὐταῖς δὲ ταύταις θεραπεύειν τοὺς θεοὺς οὐ βουθυτοῦντα οὐδὲ ἱερεῖα κατακόπτοντα, ἀλλ᾽ ὅτι ἂν παρατύχῃ ἐπιθύοντα, σπουδάζειν μέντοι ἀπὸ πάντων τῶν περιγιγνομένων καρπῶν καὶ τῶν ὡραίων ἃ ἐκ τῆς γῆς λαμβάνεται, τοῖς θεοῖς τὰς ἀπαρχὰς ἀπονέμειν· καὶ τὰ μὲν παρατιθέναι, τὰ δὲ καθαγίζειν αὐτοῖς· αὐτὸν δὲ τῇ αὐταρκείᾳ προσεσχηκότα τὸ θῦσαι βοῦς προεῖσθαι.75

Diese schöne Anekdote ist in einer Reihe von gut balancierten Antithesen strukturiert: zwischen Pracht und Schlichtheit, zwischen hybris und Demut, und zwischen dem Individualismus (dem Sich-Profilieren-Wollen) und dem Verständnis seiner selbst als normales und (daher auch) normatives Mitglied einer Gemeinschaft. Ihre Pointe ist eindeutig die Behauptung, dass die richtige Kultform (θεραπεύειν τοὺς θεοὺς) mit einer demütigen, innig gefühlten Observanz der Tradition grundsätzlich identisch ist, einer Art naiven Volkspietät,76 welche jedoch gleichzeitig keine blinde Anpassung ist, sondern für sich die Freiheit beansprucht, die kultischen Formen u. U. nach Gewissen zu gestalten (ἐν αὐταῖς δὲ ταύταις θεραπεύειν τοὺς θεοὺς οὐ βουθυτοῦντα οὐδὲ ἱερεῖα κατακόπτοντα, ἀλλ᾽ ὅτι ἂν παρατύχῃ ἐπιθύοντα). Was hier zählt, ist hauptsächlich die Intention. Auch das Wenige kann eine große Bedeutung haben: Die Mentalität des Evangeliums ist nicht fern.77 – Ich will diesen Text nicht weiter analysieren, sondern durch ihn plastisch zeigen, dass es im Rahmen einer Diskussion über die richtigen und falschen Kultformen durchaus Platz für klare und konkrete Vorschläge gab.78 Nicht so bei Lukian. Ähnliches wie das in Bezug auf eine fehlende Bestimmung der „richtigen Opfer“ gerade Gesagte könnte man auch in Hinblick auf die Frage, wie nun, nach der ganzen „satirischen Katharsis“ vom Unsinn der alten Mythen, nach der Meinung Lukians die Götter denn seien, wiederholen. Im Unterschied zu Porphyrios oder zu Moralisten wie etwa Seneca, der nach der pars destruens der Kritik meist darum bemüht ist, Lucilius _____________ 75 Porphyr., De abstin. II 16 (= FGrHist 115 F 344; JACOBYS Kommentar dazu [FGrHist, 2. Teil: Zeitgeschichte, Bd. D, Berlin 1930, 397]: «Eine der exemplarischen delphischen Geschichten, wie deren schon Herodot aufgenommen hat»; Zitat nach der Ausgabe Porphyrii philosophi Platonici opuscula selecta, iterum recognovit A. NAUCK, [BT] Lipsiae 1886). Vgl. auch BELAYCHE (2002), 119 mit Anm. 166. 76 Vgl. MIKALSON (1983), 101ff. 77 Vgl. die Parabel vom Scherflein der Witwe in Mc. 12, 41-4 und Luc. 21, 1-4. 78 Ein ähnliches, doch in seiner kulturellen Verwurzelung ganz anders geartetes Beispiel, nämlich die Rechtfertigung des blutigen Opfers durch juristische Argumente in Rom (Tieropfer als Hinrichtung, weil das Tier sich etwas zu Schulden hat kommen lassen), hat GLADIGOW (1971) analysiert.

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4. Die lukianische Schrift De sacrificiis

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konkrete Hinweise und klare Richtlinien für die individuelle Praxis im Alltagsleben zu geben,79 kann also der Leser bzw. der Interpret von περὶ θυσιῶν etwaige Konsequenzen aus dem Gesagten (oder Gelesenem) nur – wenn überhaupt – e silentio ziehen. Zum einen ist dies völlig im Einklang mit der schon erwähnten pessimistischen Haltung. Zum anderen darf dieser Aspekt in der exegetischen Bilanz weder über- noch unterschätzt werden. (a.) Er darf nicht überschätzt werden, in dem Sinne, dass er nicht als Manko (an intellektuellem Mut, an Ideenkraft, an künstlerischem Willen usw.) aufgefasst und Lukian vorgeworfen werden darf. Jedem Menschen (und, a fortiori, jedem Künstler) sollte das Recht auf freie Entscheidung eingeräumt werden, selbst die Grenzen seiner Kritik zu setzen, denn eine Kritik muss nicht per definitionem immer auch propositiv sein. Jeder Autor ist a priori und vollständig frei zu entscheiden, was er zu sagen hat bzw. sagen will. Die Kriterien einer Beurteilung dürfen höchstens die von ihm angeführten Gründe betreffen. In diesem Sinne hat Lukian das Ziel, welches er sich zu erreichen vorgenommen hat, nicht nur eingangs klar gesetzt und eingegrenzt, sondern es am Ende auch erreicht. Die Reichweite der in De sacrificiis zum Ausdruck gebrachten Gedanken darf jedoch ebenso wenig (b.) unterschätzt werden. Die lukianische Kritik am Blutopfer betrifft nämlich eine der zentralen und wichtigsten Institutionen der damaligen Gesellschaft. Sie zerstört die intrinsische Legitimität dieser Institution selbst dadurch, dass sie gleichzeitig auch die wichtigste Voraussetzung für ihr Funktionieren, nämlich den Götterapparat, aufhebt: Dem Opfer wird einfach jede Grundlage entzogen. Man wird also nicht völlig fehlgehen bei der Annahme, dass die Kraft des „Aufpralls“ dieser Kritik in der realen Welt der Zuhörer nicht gering gewesen sein muss. Ihre, wie wir gesehen haben, in der Schrift selbst wohl unausgesprochen gebliebenen Implikationen waren mit Sicherheit revolutionär, ihr Potential verheerend und umwälzend, denn mit der Abkehr von dieser Opferart wären auch beträchtliche Teile jenes gesellschaftlichen Systems sofort mit entfernt worden – quasi in einem kulturellen Domino. Die neulich erforschte Polemik Kaiser Julians gegen die Christen bezüglich der Opfer ist ein in dieser Hinsicht sehr lehrreiches Beispiel für Konsequenzen dieser Ansichten, die historisch eingetreten sind.80 All diese Anmerkungen schärfen den Blick, wenn man einen Rückblick auf die gesamte Schrift werfen will. Ich versuche eine Definition: Das, was wir bis hier gelesen haben, ist also die Zurschaustellung (und Be_____________ 79 Vgl. inter multa alia CLASSEN (2003), 126: «Anyone who reads Seneca’s epistles to Lucilius soon gets the impression of being taken by his hand and led step by step to a state of greater perfection, of being shown means and ways to live». 80 BELAYCHE (2002).

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gründung) der zwei Eigenschaften der menschlichen ἄγνοια und der ἄνοια in einem spezifischen Bereich des religiösen Lebens: dem Opfer. Diese Zurschaustellung wird als philosophischer Akt präsentiert, der bewusst von einer realweltlichen Wirkung absieht (was man vielleicht als Pessimismus bezeichnen kann).

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5. Ethnische Konflikte auf dem Olymp: Deorum concilium Perché nulla di sé e del mondo sa la generalità degli uomini, se la letteratura non glielo apprende. L. SCIASCIA, La strega e il capitano (1986)

5.1. Form des Werkes Die Versammlung der Götter könnte als das „Protokoll“ einer Vollversammlung der Götter auf dem Olymp bezeichnet werden.1 Das Werk hat die äußere Form einer langen, beinahe monologischen Anklagerede, die der Gott Momos vor dem Plenum der Götter hält (sie wird nur durch kurze Zwischenbemerkungen des Zeus gelegentlich unterbrochen). Gezielt, prägnant, doch unauffällig konzentriert Lukian bereits in den Anfangssätzen die relevanten Hintergrundinformationen, die den Hörer/Leser präzise davon in Kenntnis setzen, wo die Handlung sich abspielt,2 wer die handelnden Personen sind3 und vor allem in welcher Situation sich diese befinden.4 Die «vielen unwürdigen Götter» (πολλοὶ ἀνάξιοι, 1) sind der Gegenstand der Debatte. Zu diesem Zweck haben sich die Götter zu einer offiziellen Vollversammlung (ἐκκλησία, 1) eingefunden, welche durch die Verkündigung des Herolds (Hermes) formell eröffnet wird. Obwohl die Idee einer Götterversammlung im kulturellen Horizont der Griechen ursprünglich homerisch ist,5 verläuft diese Götterversammlung – wie die verwendete Terminologie6 und der geschilderte Ablauf _____________ 1 2 3 4 5

6

Vgl. HELM (1906), 152-65; SCHWARTZ (1965), 130; HALL (1981), 57 und insbes. BRANHAM (1989), 164-77. Die Situation an sich lässt kaum eine andere Möglichkeit als den Olymp zu. Spätestens im § 14 erfährt man, dass dies der Fall ist. Vgl. die drei Vokative ὦ θεοί, ὦ Ζεῦ und ὦ Ἑρμῆ in § 1. Deor. conc. 1: ἐπείπερ ἀποδέδοται περὶ τούτων ἐκκλησία. Der locus classicus, Lukian wohl bekannt, für die literarische Darstellung einer Götterversammlung ist Hom., Od. I 26-95. – Es ist außerdem zu bemerken, dass unter den lateinischen Autoren auch Ovid die Form der Götterversammlung zum Zweck einer (wohl verkappten) Satire (in seinem Falle politischer Natur) verwendet zu haben scheint, vgl. MÜLLER (1987) und JANKA (1999). Deor. conc. 1: ΖΕΥΣ. Μηκέτι τονθορύζετε, ὦ θεοί, μηδὲ κατὰ γωνίας συστρεφόμενοι πρὸς οὖς ἀλλήλοις κοινολογεῖσθε, ἀγανακτοῦντες εἰ πολλοὶ ἀνάξιοι μετέχουσιν ἡμῖν τοῦ συμποσίου, ἀλλ᾽ ἐπείπερ ἀποδέδοται περὶ τούτων ἐκκλησία, λεγέτω ἕκαστος ἐς τὸ φανερὸν τὰ δοκοῦντά οἱ καὶ κατηγορείτω. σὺ

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insgesamt unmissverständlich klar machen – ganz nach dem Muster der athenischen Volksversammlung, wie man es etwa aus den Reden des Demosthenes oder den Komödien des Aristophanes kennt.7 5.2. Die Figur des Momos Der Gott Momos meldet sich als erster zu Wort. Gebildete Angehörige des lukianischen Publikums werden über diese Figur etwa das gewusst haben, was die heutigen Philologen wissen.8 Momos war laut Angabe des Hesiod eins der Kinder, welche die Göttin Nacht alleine, d. h. ohne sich mit einer männlichen Gottheit zu vereinigen, gebar.9 Nach einer Version des Mythos spielte er außerdem eine wichtige Rolle in den Ereignissen, die zum Ausbruch des trojanischen Krieges führten.10 Die erste und unmittelbare Assoziation, die sein Name im Kopf aller geweckt haben dürfte, ist jedoch mit ziemlicher Sicherheit jene der personifizierten Kritik. Lukian überlässt jedoch sehr wenig dem Zufall und steuert unauffällig die Wahrnehmung der Zuhörer auf diese zentrale Figur dadurch, dass er den Charakter selbst sich auf genaue und signifikante Art präsentieren lässt. Es ist wichtig, auf das so gezeichnete Bild näher einzugehen, weil Momos mit seinen Argumenten schlichtweg die Schlüsselfigur im ganzen Text ist. Wenn man dies tut, fällt auf, dass Momos hier gar keine steife und typisierte Gestalt ist. Im Gegenteil fällt an der Figur des Momos auf, dass dieser Gott sich selbst immer treu bleibt und sich weder von Furcht noch Scham einschüchtern lässt. Er denunziert direkt und offen, _____________

7 8 9

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δὲ κήρυττε, ὦ Ἑρμῆ, τὸ κήρυγμα τὸ ἐκ τοῦ νόμου. ΕΡΜΗΣ. Ἄκουε, σίγα. τίς ἀγορεύειν βούλεται τῶν τελείων θεῶν οἷς ἔξεστιν; ἡ δὲ σκέψις περὶ τῶν μετοίκων καὶ ξένων; ebd. 14: ΜΩΜΟΣ. Ἀγαθῇ τύχῃ. Ἐκκλησίας ἐννόμου ἀγομένης ἑβδόμῃ ἱσταμένου ὁ Ζεὺς ἐπρυτάνευε καὶ προήδρευε Ποσειδῶν, ἐπεστάτει Ἀπόλλων, ἐγραμμάτευε Μῶμος Νυκτὸς καὶ ὁ Ὕπνος τὴν γνώμην εἶπεν. Vgl. etwa die Stellenverweise (auf Ar., Ach. 45, Th. 379; Aeschin., or. 1, 23) im Apparat des 3. Bandes von MACLEODS OCT-Ausgabe (S. 149) sowie die Zusammenstellung der möglichen Modelle aus der Komödie bei HELM (1906), 156f. Vgl. u. a. W. KROLL in: RE, Bd. 16.1, 1933, 42; E. SIMON in: LIMC, Bd. 6.1, 1992, 649f.; C. WALDE in: DNP, Bd. 8, 2000, 351. – Zu Momos im lukianischen Werk vgl. die Übersicht in der Anm. zu VH II 3 von GEORGIADOU/LARMOUR (1998), 179. Hes., Th. 211-16: Νὺξ δ᾽ ἔτεκε στυγερόν τε Μόρον καὶ Κῆρα μέλαιναν/ καὶ Θάνατον, τέκε δ᾽ Ὕπνον, ἔτικτε δὲ φῦλον Ὀνείρων./ δεύτερον αὖ Μῶμον καὶ Ὀιζὺν ἀλγινόεσσαν/ οὔ τινι κοιμηθεῖσα θεῶν τέκε Νὺξ ἐρεβεννή,/ Ἑσπερίδας θ᾽, αἷς μῆλα πέρην κλυτοῦ Ὠκεανοῖο/ χρύσεα καλὰ μέλουσι φέροντά τε δένδρεα καρπόν. Vgl. WEST (1966), 227: «Momos’ advice to Zeus was responsible for the chain of events that led to the Trojan War in the Cypria (sch. Il. 1.5)».

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was er für unaufrichtig und boshaft hält.11 Momos ist kein „professioneller Nörgler“, der a priori und immer an allem und jedem etwas auszusetzen hat, sondern eine Figur, welche den Mut zur Meinungs- und Ausdrucksfreiheit für sich in jeder Situation beansprucht. Nicht einmal die unangenehmen Konsequenzen seines Handelns auf sein soziales Image, die ihm durchaus bewusst sind, vermögen diesen Mut zu verringern.12 Seine Rede ist kein unkontrollierter Ausbruch eines Welthassers, sondern bewegt sich gänzlich im institutionellen Rahmen der ἐκκλησία, der ganz bewusst und sozusagen programmatisch diesen Freiheitsbereich garantiert. Ein in der hellenischen Kultur so traditionsreiches Wort, dass es bald stellvertretend für bestimmte Kontexte und Werte wurde, nämlich παρρησία, verdeutlicht und präzisiert das setting der Handlung, indem es eine kaum übersehbare Verbindung zu dieser Tradition (nämlich zu Athen) schafft. Dies scheint kein bedeutungsloses Detail zu sein, denn immer wieder bezieht sich Momos vorsichtig fragend darauf, um sich und sein Handeln durch die wiederholte Bestätigung, dass diese Garantie doch wirklich gelte, zu schützen.13 Sein Selbstbild basiert grundlegend auf diesem Bezug. Momos’ Rede ist also nicht wild und unüberlegt, sondern (und das ist ein zentraler Punkt) weiß immer Argumente für den ausgesprochenen Tadel vorzubringen.14 5.3. Das behandelte Problem: die Dialektik von Alt und Neu Abstrakt formuliert ist das inhaltliche Zentrum des ganzen Werkes, der Brennpunkt, um welchen herum sich die ganze Darlegung entfaltet, das Problem der Zugehörigkeit: Eine homogene Gruppe hat gemerkt, dass es in _____________ 11 Deor. conc. 2: ἀλλὰ πάντες με ἴσασιν ὡς ἐλεύθερός εἰμι τὴν γλῶτταν καὶ οὐδὲν ἂν κατασιωπήσαιμι τῶν οὐ καλῶς γιγνομένων· διελέγχω γὰρ ἅπαντα καὶ λέγω τὰ δοκοῦντά μοι ἐς τὸ φανερὸν οὔτε δεδιώς τινα οὔτε ὑπ᾽ αἰδοῦς ἐπικα λύπτων τὴν γνώμην. 12 Deor. conc. 2: ὥστε καὶ ἐπαχθὴς δοκῶ τοῖς πολλοῖς καὶ συκοφαντικὸς τὴν φύσιν, δημόσιός τις κατήγορος ὑπ᾽ αὐτῶν ἐπονομαζόμενος. 13 Deor. conc. 2: ἀξιῶ δέ, ὦ Ζεῦ, μετὰ παρρησίας μοι δοῦναι εἰπεῖν; ebd. 4: Εὖ γε, ὦ Ζεῦ, ὅτι καὶ παροτρύνεις με πρὸς τὴν παρρησίαν· ποιεῖς γὰρ τοῦτο βασιλικὸν ὡς ἀληθῶς καὶ μεγαλόφρον, ὥστε ἐρῶ καὶ τοὔνομα; ebd. 6: ΜΩΜΟΣ. Σιωπήσομαι, ὦ Ζεῦ, διὰ σέ, πολλὰ εἰπεῖν ἔχων. καίτοι εἰ μηδὲν ἄλλο, ἔτι τὰ σημεῖα ἔχουσι τοῦ πυρός. εἰ δὲ ἐξῆν καὶ πρὸς αὐτὸν σὲ τῇ παρρησίᾳ χρῆσθαι, πολλὰ ἂν εἶχον εἰπεῖν; ebd. 13: Πολλὰ ἔτι ἔχων εἰπεῖν καταπαύσω τὸν λόγον· ὁρῶ γοῦν πολλοὺς ἀχθομένους μοι λέγοντι καὶ συρίττοντας, ἐκείνους μάλιστα ὧν καθήψατο ἡ παρρησία τῶν λόγων. 14 Deor. conc. 2: διελέγχω [LSJ9: “convict”, “expose”] γὰρ ἅπαντα καὶ λέγω τὰ δοκοῦντά μοι ἐς τὸ φανερὸν.

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ihrer Mitte „Fremdkörper“ gibt, also nicht-homogene Elemente, welche sich später dem ursprünglichen Nukleus hinzugesellt haben. Dies ist allerdings nur die Prämisse des wahren Problems, welches erst dann beginnt, wenn diese neuen, heterogenen Elemente anfangen, die Rechte und Prärogative der ursprünglichen Gruppe auch für sich in Anspruch zu nehmen,15 was eine Selbstschutzreaktion der letzteren hervorruft. Man kann also sagen, dass das Deorum concilium im Wesentlichen von dieser Dialektik von ,Alt‘ und ,Neu‘, also dem wechselseitigen Verhältnis zwischen den Polen des Oppositionspaares ,zugehörig‘ vs. ,nicht-zugehörig‘, lebt. Dieses Oppositionspaar bildet das semantische Fundament des ganzen Werkes. Betrachtet man das Ganze unter diesem Blickwinkel, lassen sich einige Besonderheiten, die auf den ersten Blick sehr befremdlich erscheinen können, gut erklären und zuordnen. U. a. gilt es, die zwei folgenden Fragen befriedigend zu beantworten: (a.) Warum hat Lukian ausgerechnet die politische Form der Anklagerede vor einer Volksversammlung gewählt? Es handelt sich nämlich offensichtlich nicht um eine nur „technisch“ motivierte Wahl, die dazu dient, unterschiedliche Stimmen und Standpunkte verschiedener Götterfiguren im Laufe der Erzählung auftreten zu lassen und gegeneinander ausspielen zu können (wie es z. B. in JTr. der Fall ist). (b.) Warum greift Lukians Momos im Pantheon gerade gut etablierte Götter, wie Dionysos (§§ 4-5), Herakles und Asklepios (§ 6), an, deren göttlichen Status niemand zu jener Zeit ernsthaft angezweifelt hätte, sowie göttliche Figuren, welche zwar eine im römischen Kaiserreich nicht überall verbreitete, doch in den jeweiligen lokalen Kontexten sehr alte, solide und außerhalb dieser Grenzen allgemein bekannte und institutionell anerkannte kultische Verehrung genossen (wie Attis und Mithras in § 9 oder die ägyptischen Kulte des Apisstiers und des Anubis in § 10)?16

_____________ 15 Deor. conc. 2: καὶ τοὺς ἀκολούθους καὶ θεράποντας αὐτῶν ἰσοτίμους ἡμῖν ἀποφανοῦσιν; ebd. 3: Πολλοὶ γάρ, φημί, οὐκ ἀγαπῶντες ὅτι αὐτοὶ μετέχουσι τῶν αὐτῶν ἡμῖν ξυνεδρίων καὶ εὐωχοῦνται ἐπ᾽ ἴσης, καὶ ταῦτα θνητοὶ ἐξ ἡμισείας ὄντες, ἔτι καὶ τοὺς ὑπηρέτας καὶ θιασώτας τοὺς αὐτῶν ἀνήγαγον ἐς τὸν οὐρανὸν καὶ παρενέγραψαν, καὶ νῦν ἐπ᾽ ἴσης διανομάς τε νέμονται καὶ θυσιῶν μετέχουσιν; ebd. 10: ἃ ὑμεῖς, ὦ θεοί, πῶς ἀνέχεσθε ὁρῶντες ἐπ᾽ ἴσης ἢ καὶ μᾶλλον ὑμῶν προσκυνούμενα;. 16 Diese Frage etwa so beantworten zu wollen: „Um einen der runnig gags, von deren Erfolg der Autor sicher ausgehen konnte, zu bringen, also um einen Topos satirisch zu erschöpfen“, ist insofern unbefriedigend, als dies nur für „billige Witze“ wie in § 6 (wo, sich auf Herakles und Asklepios beziehend, Momos sagt: Σιωπήσομαι, ὦ Ζεῦ, διὰ σέ, πολλὰ εἰπεῖν ἔχων. καίτοι εἰ μηδὲν ἄλλο, ἔτι τὰ σημεῖα ἔχουσι τοῦ πυρός) oder in § 14 (der Himmel ist „überbevölkert“ und entsprechend ἐπιλέλοιπε δὲ ἡ ἀμβροσία καὶ τὸ νέκταρ, ὥστε μνᾶς ἤδη τὴν κοτύλην εἶναι διὰ τὸ πλῆθος τῶν πινόντων) der Fall zu sein scheint, sich jedoch sicherlich nicht auch auf alle anderen Fälle genau so gut anwenden lässt.

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Natürlich ist die Satire des Dionysos und der Satyrn nicht wörtlich zu nehmen. Lukians Absicht kann es unmöglich gewesen sein, den Dionysos-Kult anzufechten. Dafür fehlt jeder Anhaltspunkt in seinem Werk. Sie ist vielmehr Mittel zum Zweck und dient als Vehikel für einen allgemeinen Diskurs, der zwar mit ihr beginnt, sich dann aber bis zum Ende immer mehr (allerdings nicht ohne gelegentliche Unterbrechungen) ausweitet. Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Olympier steht in Wirklichkeit für die Zugehörigkeit zur hellenischen Kultur schlechthin.17 Die neuen Götter sind vor allem Fremdgötter; ,fremd‘ sind sie in Bezug auf den als echt und ursprünglich präsentierten kulturellen Raum der Griechen. Wer, angefangen von seinem Aussehen und seiner Sprache, in diesem Rahmen als Fremder erscheint, d. h. ein Nicht-Grieche, und auch nichts daran ändert, so dass seine Fremdartigkeit weiterhin besteht und jedem sofort kenntlich ist, also er selbst auch künftig immer wieder als Fremder erscheint, darf kein Zugangsrecht zur hellenischen Kultur beanspruchen. Die Beharrlichkeit, mit der Lukian die grotesken Details und die barbarischen Merkmale einiger neuer Göttergestalten sorgfältig ausarbeitet und betont (z. B. in § 4 und § 9),18 kann nicht zufällig, marginal oder oberflächlich sein: Dafür ist sie viel zu prononciert. Dieser entscheidende und zentrale Zusammenhang wird einem aufmerksamen Beobachter spätesten bei der Lektüre des artikulierten ψήφισμα klar, welches das Werk auf unbestreitbar signifikante Art und _____________ 17 Vgl. in diesem Sinne GOLDHILL (2002), bes. das 2. Kap. (Becoming Greek, with Lucian), 60-107. 18 Deor. conc. 4f.: ὁ γάρ τοι γενναιότατος οὗτος Διόνυσος ἡμιάνθρωπος ὤν, οὐδὲ Ἕλλην μητρόθεν ἀλλὰ Συροφοίνικός τινος ἐμπόρου τοῦ Κάδμου θυγατριδοῦς, ἐπείπερ ἠξιώθη τῆς ἀθανασίας, οἷος μὲν αὐτός ἐστιν οὐ λέγω, οὔτε τὴν μίτραν οὔτε τὴν μέθην οὔτε τὸ βάδισμα· πάντες γάρ, οἶμαι, ὁρᾶτε ὡς θῆλυς καὶ γυναικεῖος τὴν φύσιν, ἡμιμανής, ἀκράτου ἕωθεν ἀποπνέων· ὁ δὲ καὶ ὅλην φατρίαν ἐσεποίησεν ἡμῖν καὶ τὸν χορὸν ἐπαγόμενος πάρεστι καὶ θεοὺς ἀπέφηνε τὸν Πᾶνα καὶ τὸν Σιληνὸν καὶ Σατύρους, ἀγροίκους τινὰς καὶ αἰπόλους τοὺς πολλούς, σκιρτητικοὺς ἀνθρώπους καὶ τὰς μορφὰς ἀλλοκότους· ὧν ὁ μὲν κέρατα ἔχων καὶ ὅσον ἐξ ἡμισείας ἐς τὸ κάτω αἰγὶ ἐοικὼς καὶ γένειον βαθὺ καθειμένος ὀλίγον τράγου διαφέρων ἐστίν, ὁ δὲ φαλακρὸς γέρων, σιμὸς τὴν ῥῖνα, ἐπὶ ὄνου τὰ πολλὰ ὀχούμενος, Λυδὸς οὗτος, οἱ δὲ Σάτυροι ὀξεῖς τὰ ὦτα, καὶ αὐτοὶ φαλακροί, κεράσται, οἷα τοῖς ἄρτι γεννηθεῖσιν ἐρίφοις τὰ κέρατα ὑποφύεται, Φρύγες τινὲς ὄντες· ἔχουσι δὲ καὶ οὐρὰς ἅπαντες. ὁρᾶτε οἵους ἡμῖν θεοὺς ποιεῖ ὁ γεννάδας; Εἶτα θαυμάζομεν εἰ καταφρονοῦσιν ἡμῶν οἱ ἄνθρωποι ὁρῶντες οὕτω γελοίους θεοὺς καὶ τεραστίους; ; ebd. 9: Ἀλλ᾽ ὁ Ἄττης γε, ὦ Ζεῦ, καὶ ὁ Κορύβας καὶ ὁ Σαβάζιος, πόθεν ἡμῖν ἐπεισεκυκλήθησαν οὗτοι, ἢ ὁ Μίθρης ἐκεῖνος, ὁ Μῆδος, ὁ τὸν κάνδυν καὶ τὴν τιάραν, οὐδὲ ἑλληνίζων τῇ φωνῇ, ὥστε οὐδ᾽ ἢν προπίῃ τις ξυνίησι; τοιγαροῦν οἱ Σκύθαι ταῦτα ὁρῶντες, οἱ Γέται αὐτῶν, μακρὰ ἡμῖν χαίρειν εἰπόντες αὐτοὶ ἀπαθανατίζουσι καὶ θεοὺς χειροτονοῦσιν οὓς ἂν ἐθελήσωσι, τὸν αὐτὸν τρόπον ὅνπερ καὶ Ζάμολξις δοῦλος ὢν παρενεγράφη οὐκ οἶδ᾽ ὅπως διαλαθών.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Weise beendet und damit die darin gewonnene Sichtweise auf das ganze Vorhergehende zurückprojiziert. Das Szenario und die Verhältnisse, d. h. das Grundproblem, von dem das Ganze ausgegangen war (nämlich Trennung und Konflikt zwischen den zwei Gruppen von Himmelsbewohnern), werden zu Beginn des fiktiven Dokumentes wieder aufgenommen und in ausführlicherer Form vorgestellt: Ἐπειδὴ πολλοὶ τῶν ξένων, οὐ μόνον Ἕλληνες ἀλλὰ καὶ βάρβαροι, οὐδαμῶς ἄξιοι ὄντες κοινωνεῖν ἡμῖν τῆς πολιτείας, παρεγγραφέντες οὐκ οἶδα ὅπως καὶ θεοὶ δόξαντες ἐμπεπλήκασι μὲν τὸν οὐρανὸν ὡς μεστὸν εἶναι τὸ συμπόσιον ὄχλου ταραχώδους πολυγλώσσων τινῶν καὶ ξυγκλύδων ἀνθρώπων, ἐπιλέλοιπε δὲ ἡ ἀμβροσία καὶ τὸ νέκταρ, ὥστε μνᾶς ἤδη τὴν κοτύλην εἶναι διὰ τὸ πλῆθος τῶν πινόντων· οἱ δὲ ὑπὸ αὐθαδείας παρωσάμενοι τοὺς παλαιούς τε καὶ ἀληθεῖς θεοὺς προεδρίας ἠξιώκασιν αὑτοὺς παρὰ πάντα τὰ πάτρια καὶ ἐν τῇ γῇ προτιμᾶσθαι θέλουσι […].19

Ein bedeutender Unterschied zur vorherigen Darstellung ist, dass die Gleichsetzung alte Götter = wahre Götter (τοὺς παλαιούς τε καὶ ἀληθεῖς θεούς) und neue Götter = unechte Götter oder Pseudogötter (πολλοὶ τῶν ξένων…οὐδαμῶς ἄξιοι ὄντες κοινωνεῖν ἡμῖν τῆς πολιτείας, παρεγγραφέντες οὐκ οἶδα ὅπως καὶ θεοὶ δόξαντες), die früher nur impliziert oder angedeutet war,20 jetzt hier auch deutlich artikuliert wird. Man bemerke außerdem, dass die Konfusion, die jetzt im Himmel herrscht, durchaus als „ethnisch“ basierter Konflikt beschrieben wird (πολλοὶ τῶν ξένων, οὐ μόνον Ἕλληνες ἀλλὰ καὶ βάρβαροι, ὡς μεστὸν εἶναι τὸ συμπόσιον ὄχλου ταραχώδους πολυγλώσσων τινῶν καὶ ξυγκλύδων ἀνθρώπων). Nach wie vor dreht sich alles um die Zugehörigkeitskategorie ξένος. Die Fortsetzung des Dekrets, nämlich der Teil, der den Vorschlag einer konkreten Maßnahme enthält (§ 15), ist nicht weniger interessant. Darin wird nämlich die Einsetzung einer von Zeus geleiteten „Kommission“ angeordnet, deren Mitglieder ausschließlich Götter der „alten Garde“ sind,21 mit dem Auftrag, nach gehöriger Überprüfung der Titel, welche gegebenenfalls Anspruch darauf verleihen, über das Zugehörigkeitsrecht der Neuen zu entscheiden. Wie gesagt: Nur die „alten“ Götter, also nur diejenigen Götter, über deren effektive Göttlichkeit kein Zweifel besteht _____________ 19 Deor. conc. 14. 20 Bereits in der anfänglichen Verkündigung des Hermes in § 1: ΕΡΜΗΣ. Ἄκουε, σίγα. τίς ἀγορεύειν βούλεται τῶν τελείων θεῶν οἷς ἔξεστιν;. 21 Deor. conc. 15: ἑλέσθαι δὲ ἐπιγνώμονας τελείους θεοὺς ἑπτά, τρεῖς μὲν ἐκ τῆς παλαιᾶς βουλῆς τῆς ἐπὶ Κρόνου, τέτταρας δὲ ἐκ τῶν δώδεκα, καὶ ἐν αὐτοῖς τὸν Δία.

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(ἑλέσθαι δὲ ἐπιγνώμονας τελείους θεοὺς ἑπτά),22 können über die „Reinheit“ der Neuankömmlinge, d. h. letztlich über die ausreichende Ähnlichkeit der Göttlichkeit dieser letzten mit der eigenen(!) bestimmen und entscheiden. Anscheinend ist also kein anderer Zugang zum Begriff des Göttlichen als der traditionelle zulässig. Diesbezüglich gibt es nur eine Frage zu klären: Entweder ist ein Wesen ein Gott oder es ist keiner.23 Aber – und dies scheint der entscheidende Punkt zu sein, auf den Lukian abzielt – nur in Form eines ursprünglich hellenischen Gottes ist es möglich, überhaupt ein Gott zu sein.24 ,Gott-Sein‘ heißt also Assimilation bzw. Assimilierbarkeit zur hellenischen Vorstellung der Göttlichkeit. Bemerkenswert ist hier nicht nur diese Art von Archaismus, sondern auch die Radikalität der Auffassung, die im Dekret geäußert wird. Dieses sieht nämlich in den Schlussbestimmungen vor, alles, was mit den Kulten jener „Götter“ zu tun hat, die sich als nicht „göttlich genug“ werden erweisen können, von der Erdoberfläche buchstäblich zu tilgen: ἢν δέ τις ἁλῷ τῶν ἀδοκίμων καὶ ἅπαξ ὑπὸ τῶν ἐπιγνωμόνων ἐκκριθέντων ἐπιβαίνων τοῦ οὐρανοῦ, ἐς τὸν Τάρταρον ἐμπεσεῖν τοῦτον25 […] ὁπόσοι δὲ ἤδη ναῶν ἢ θυσιῶν ἠξιώθησαν, ἐκείνων μὲν καθαιρεθῆναι τὰ ἀγάλματα, ἐντεθῆναι δὲ ἢ Διὸς ἢ ῞Ηρας ἢ Ἀπόλλωνος ἢ τῶν ἄλλων τινός, ἐκείνοις δὲ τάφον χῶσαι τὴν πόλιν καὶ στήλην ἐπιστῆσαι ἀντὶ βωμοῦ.26

„Archaismus“ und „Radikalismus“ kumulieren jedoch in einem Oberbegriff, der beide enthält und umfasst, nämlich im Hellenozentrismus: Der höchste hellenische Gott, Zeus, leitet dieses Kollegium, in welchem nur ursprünglich hellenische Götter sitzen. Diese hellenozentrische und damit natürlich ethnozentrische Perspektive, die wir als Lukians grundlegende _____________ 22 Vgl. bereits die schöne lateinische Anm. z. St. von GESNER (1743), 528): «Sed mihi hic videbatur ad perfectionem civilem & plenum ius civitatis potissimum referri, ut sint οἱ ἐν τέλει [...] principes civitatis, quibus magistratus, quem gerunt, aut dignitas concionis habendae jus tribuit. Classicos vocavi [nämlich in seiner lat. Übs.], ex moribus Romanis, quasi primae classis cives, qui primi ad suffragia vocantur, & rem fere conficiunt». 23 Deor. conc. 15: οἱ δὲ ἐπιγνώμονες ἐξετάζοντες ἢ θεοὺς εἶναι ἀποφανοῦνται ἢ καταπέμψουσιν ἐπὶ τὰ σφέτερα ἠρία καὶ τὰς θήκας τὰς προγονικάς. 24 Deor. conc. 15: τὸν Ἑρμῆν δὲ κηρύξαντα ξυναγαγεῖν ἅπαντας ὅσοι ἀξιοῦσι ξυντελεῖν ἐς τὸ ξυνέδριον, τοὺς δὲ ἥκειν μάρτυρας ἐπαγομένους ἐνωμότους καὶ ἀποδείξεις τοῦ γένους. τοὐντεῦθεν δὲ οἱ μὲν παρίτωσαν καθ᾽ ἕνα, οἱ δὲ ἐπιγνώμονες ἐξετάζοντες […]. 25 Diese Wendung (ἐς τὸν Τάρταρον ἐμπεσεῖν τοῦτον) scheint auf Grund der engen Übereinstimmung mit Sen., Apocol. 9 («Qui contra hoc senatus consultum deus factus, dictus pictusve erit, eum dedi Larvis et proximo munere inter novos auctoratos ferulis vapulare placet») ein genuin menippeisches Motiv zu sein. 26 Deor. conc. 15f.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Leitidee im Deorum concilium vermuten, offenbart sich spätestens und am allerdeutlichsten in den Kriterien, welche die Bewerber erfüllen müssen, um eine reguläre cooptatio in den offiziellen Himmel zu erlangen, denn dort erfolgt die Legitimierung durch die Sicherung der „genetischen“ Verhältnisse innerhalb (wohlgemerkt!) des hellenischen Gemeinwesens: …τοὺς δὲ ἥκειν μάρτυρας ἐπαγομένους ἐνωμότους καὶ ἀποδείξεις τοῦ γένους [so im Dekrettext, unmittelbar danach so von Zeus unmissverständlich präzisiert:] ἥκετε κομίζοντες ἕκαστος ἐναργῆ τὰ γνωρίσματα καὶ σαφεῖς τὰς ἀποδείξεις, πατρὸς ὄνομα καὶ μητρός, καὶ ὅθεν καὶ ὅπως θεὸς ἐγένετο, καὶ φυλὴν καὶ φράτορας.27

Andere „faktische“ Entscheidungskriterien, wie die Verbreitung bzw. der Erfolg eines Kults sowie die Ansichten der Menschen über den wahren oder falschen Status eines vermeintlich göttlichen Wesens, werden allesamt für ungültig erklärt: ὡς ὅστις ἂν μὴ ταῦτα [nämlich ἐναργῆ γνωρίσματα] παράσχηται, οὐδὲν μελήσει τοῖς ἐπιγνώμοσιν εἰ νεών τις μέγαν ἐν τῇ γῇ ἔχει καὶ οἱ ἄνθρωποι θεὸν αὐτὸν εἶναι νομίζουσιν.28

Man darf sich über diesen so wichtigen Punkt nicht täuschen. Es ist nämlich bemerkenswert, wie Lukian mit der Auswahl ausgerechnet dieser strengen Kriterien gleichzeitig heimlich und auf geschickte Weise eine Hintertür öffnet, durch welche die im Laufe der Jahrhunderte mit vollem Recht, d. h. in jeder Hinsicht hellenisch gewordenen Götter wie Dionysos, Herakles und Asklepios, die vorher, am Anfang der Anklagerede des Momos, aus der Vordertür hinausgeworfen worden waren, wieder in das olympische Pantheon zurückkommen können. Man darf nämlich annehmen (und der Text selbst suggeriert es)29, dass wenigstens diese drei Gottheiten genügend klare Zeichen und überzeugende Zeugnisse ihrer Würde vor der „Prüfungskommission“ hätten vorbringen können. Für die orientalischen Götter wie Mithras und Zamolxis (§ 9) scheint dies hingegen nur schwerlich vorstellbar.

_____________ 27 Deor. conc. 15 und 19. 28 Deor. conc. 19. 29 Deor. conc. 6: ΖΕΥΣ. Μηδέν, ὦ Μῶμε, εἴπῃς μήτε περὶ Ἀσκληπιοῦ μήτε περὶ Ἡρακλέους· ὁρῶ γὰρ οἷ φέρῃ τῷ λόγῳ. οὗτοι γάρ, ὁ μὲν αὐτῶν ἰᾶται καὶ ἀνίστησιν ἐκ τῶν νόσων καὶ ἔστιν πολλῶν ἀντάξιος ἄλλων, ὁ δὲ Ἡρακλῆς υἱὸς ὢν ἐμὸς οὐκ ὀλίγων πόνων ἐπρίατο τὴν ἀθανασίαν· ὥστε μὴ κατηγόρει αὐτῶν.

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5. Ethnische Konflikte auf dem Olymp: Deorum concilium

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5.4. Struktur und Intention Ist hier bisher die Kohärenz der internen thematischen Entwicklung im Dialog besonders hervorgehoben worden, so darf dieses Merkmal des Deorum concilium trotzdem nicht überbewertet werden. Das Werk ist nämlich kein Pamphlet mit systematischen Ansprüchen, sondern eine zwar recht brisante Satire, die dennoch – wie wohl jede Satire (man denke nur an Horaz) – nicht unfrei von „Abschweifungen“ ist, d. h. von marginalen Teilen, deren Zusammenhang mit dem Hauptstück oder thematischen Kern (der Problematik um die neuen Götter) zwar irgendwie vorhanden, doch eigentlich nur sehr lose und schwer erkennbar ist. Ein auffälliges Beispiel dafür sind die Partien mit der Kritik an den falschen Propheten und am Aberglauben (πᾶς λίθος καὶ πᾶς βωμὸς χρησμῳδεῖ, sagt Lukian auf pointierte Weise) in § 12.30 Ähnliches könnte auch für den running gag der Konsequenz der Liebschaften des Zeus mit sterblichen Frauen in §§ 7-831 wiederholt werden. Die gedankliche Arbeit am Begriff der Verbindung zwischen den Götterbildern in den Köpfen der Menschen, dem damit verbundenen Erfolg gewisser Kulte und der „separaten“ Existenz der Götter im Himmel, wie sie für den Ikaromenipp skizziert worden ist, fehlt also offensichtlich im Deorum concilium. 5.5. Historische Quellenforschung vs. literarische Interpretation: ὁ Ὕπνος τὴν γνώμην εἶπεν (Deor. conc. 14) Der amerikanische Philologe F.W. HOUSEHOLDER, dem die lukianische Forschung die bisher einzig vorhandene detaillierte Sammlung und Studie _____________ 30 Deor. conc. 12: Τὸν Τροφώνιον, ὦ Ζεῦ, καὶ ὃ μάλιστά με ἀποπνίγει, τὸν Ἀμφίλοχον, ὃς ἐναγοῦς ἀνθρώπου καὶ μητρολῴου υἱὸς ὢν μαντεύεται ὁ γενναῖος ἐν Κιλικίᾳ, ψευδόμενος τὰ πολλὰ καὶ γοητεύων τοῖν δυοῖν ὀβολοῖν ἕνεκα. τοιγαροῦν οὐκέτι σύ, ὦ Ἄπολλον, εὐδοκιμεῖς, ἀλλὰ ἤδη πᾶς λίθος καὶ πᾶς βωμὸς χρησμῳδεῖ, ὃς ἂν ἐλαίῳ περιχυθῇ καὶ στεφάνους ἔχῃ καὶ γόητος ἀνδρὸς εὐπορήσῃ, οἷοι πολλοί εἰσιν. ἤδη καὶ ὁ Πολυδάμαντος τοῦ ἀθλητοῦ ἀνδριὰς ἰᾶται τοὺς πυρέττοντας ἐν Ὀλυμπίᾳ καὶ ὁ Θεαγένους ἐν Θάσῳ, καὶ Ἕκτορι θύουσιν ἐν Ἰλίῳ καὶ Πρωτεσιλάῳ καταντικρὺ ἐν Χερρονήσῳ. 31 Deor. conc. 7f.: Τὴν γάρ τοι ἀρχὴν τῶν τοιούτων παρανομημάτων καὶ τὴν αἰτίαν τοῦ νοθευθῆναι ἡμῶν τὸ ξυνέδριον σύ, ὦ Ζεῦ, παρέσχες θνηταῖς ἐπιμιγνύμενος [...]. Ἀφ΄ οὗ δὲ ἅπαξ σύ, ὦ Ζεῦ, ἀνέῳξας τοῖς τοιούτοις τὰς θύρας καὶ ἐπὶ τὰς θνητὰς ἐτράπου, ἅπαντες μεμίμηνταί σε, καὶ οὐχ οἱ ἄρρενες μόνον, ἀλλ΄, ὅπερ αἴσχιστον, καὶ αἱ θήλειαι θεοί. τίς γὰρ οὐκ οἶδεν τὸν Ἀγχίσην καὶ τὸν Τιθωνὸν καὶ τὸν Ἐνδυμίωνα καὶ τὸν Ἰασίωνα καὶ τοὺς ἄλλους; ὥστε ταῦτα μὲν ἐάσειν μοι δοκῶ· μακρὸν γὰρ ἂν τὸ διελέγχειν γένοιτο.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

sämtlicher literarischer Zitate und Anspielungen auf andere Autoren im Corpus Lucianeum (also eine Art kühner Rekonstruktion der „Privatbibliothek“ dieses z. T. sehr schwer greifbaren Autors) zu verdanken hat,32 widmete 1940 den (wie er sie nannte) ,mock decrees‘ bei Lukian (an drei nicht ganz marginalen Stellen33 im lukianischen Gesamtwerk wird nämlich die Form des Dekrets verwendet) eine eingehende Studie.34 Nicht nur weil er sich mit einer prominenten Stelle im Deor. conc. befasst, soll dieser Beitrag hier gesondert berücksichtigt werden, sondern auch und vor allem weil er in höchstem Maße symptomatisch für eine gewisse Art ist, mit Lukian umzugehen. Drei seiner Ausgangsfeststellungen sind: 1. Der Ausdruck τὴν γνώμην εἶπεν, der im Dekret in Deor. conc. 14 erscheint, findet sich nur in Inschriften aus Kyme in Äolien. 2. Die Verwendung eines Postskripts statt eines Präskripts in einem Dekret ist für Athen nie bezeugt, wohl aber für andere Städte, u. a. Kyme. 3. Bei Lukian wird die Imperativform δεδόχθω statt des in den Inschriften uniform bezeugten Infinitivs δέδοχθαι verwendet.35 Dies könnte auf eine Anlehnung Lukians an den narrativen Stil eines Historikers, der in seiner erzählerischen Wiedergabe von Dekreten genau auf diesen Umtausch Infinitiv/Imperativ in der Regel zurückgreifen würde (Beispiel: Thuc., Hist. V 47)36, schließen lassen. Hieraus ergibt sich HOUSEHOLDERS erste Schlussfolgerung: «All these common elements—use of postscript, use of imperative, addition of τὴν γνώμην—suggest strongly that Lucian’s fundamental notion of a decree was derived from Ephorus. The use of a postscript instead of the cumbersome prescript seems very appropriate to historical narrative; so also the use of the imperative; finally, the one city which regularly employs both a postscript and the object τὰν γνώμαν is Cyme. Ephorus was not only a native of Cyme, but a loyal patriot who wrote a local history and took every opportunity of magnifying the importance of his home. He was certainly most familiar with the forms in use at Cyme, and would quite naturally be influenced by those forms in devising a system for adapting decrees to his narrative».37

Anschließend widmet sich HOUSEHOLDER einer Analyse der einzelnen acht Bestandteile der lukianischen Einleitungspartie und stellt dabei fest, _____________ 32 33 34 35 36 37

HOUSEHOLDER (1941). Deor. conc. 14-18; Tim. 50f.; Necyom. 20. HOUSEHOLDER (1940). HOUSEHOLDER (1940), 200. HOUSEHOLDER (1940), 200 Anm. 8. HOUSEHOLDER (1940), 201.

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5. Ethnische Konflikte auf dem Olymp: Deorum concilium

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dass sowohl die Wortwahl als auch die Reihenfolge jenen am nächsten kommen, die die Inschriften aus der Stadt Magnesia auf dem Sipylos aufweisen. Daraus schlussfolgert er: «Now it seems almost certain that Lucian’s model was a Magnesian decree; no other extant prescript offers such a perfect agreement in terminology and order. The possibility of some other Ionian city is not entirely ruled out, since there are a few for which little or no evidence is available. But in the absence of such evidence Magnesia seems most attractive. We must then ask why Lucian used a Magnesian formula».38

Diese letzte Frage beantwortet er so: «If he was using the style deliberately, it must have been one which his audience could appreciate, with which they were familiar. We are, therefore, led to suppose that the Deorum concilium was originally delivered, and perhaps written at Magnesia».39

Natürlich (fährt der Autor fort) sei Lukian nicht in Magnesia an den öffentlichen Plätzen umhergegangen und habe sich dabei die Dekrete angesehen, sondern, da er ein «distinctively bookish man»40 gewesen sei, müsse er ein magnesisches Dekret in irgend einer Quelle gefunden haben, höchstwahrscheinlich (der Kreis schließt sich!) bei Ephoros, vielleicht im Zusammenhang mit einem Ehrendekret für Themistokles, den berühmtesten Gast dieser Stadt.41 Die These, dass Lukian einem hypothetischen Publikum in Magnesia durch die Hervorhebung eines „Lokalkolorits“, d. h. durch eine Nachahmung eines spezifisch magnesischen „Dekretstils“, hätte schmeicheln wollen, wird heute wenige Verfechter finden, denn sie ist aus verschiedenen Gründen (u. a. der Tatsache, dass Lukian Ephoros und Magnesia nie erwähnt)42 offensichtlich absurd.43 HOUSEHOLDER grenzt sich zwar von _____________ 38 39 40 41

HOUSEHOLDER (1940), 204. HOUSEHOLDER (1940), 204 (meine Hervorhebung). HOUSEHOLDER (1940), 205. HOUSEHOLDER (1940), 205: «I would therefore suggest the history of Ephorus as the book in which Lucian read an account of Themistocles, which perhaps concluded with a decree or decrees of the Magnesians in honour of the man and his descendants». 42 HOUSEHOLDER (1940), 205: «Lucian nowhere mentions Magnesia [...]. He never cites Ephorus, but this too is of no significance, for Lucian quotes only works of literary interest». 43 Wer unter dem Publikum hätte es erkennen können? Wieso ausgerechnet solch ein winziges Detail für eine Schmeichelung des Publikums wählen? Viel zu klein das Detail und entsprechend viel zu groß das Risiko, dass es an der Mehrheit der Zuhörer hätte völlig unbemerkt vorbeirauschen können. Aber vor allem: Wäre in erster Linie Lukian selbst in der Lage gewesen, solche sprachlichen Unterschiede wahrzunehmen?

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

HELM ab,44 doch er verfällt (paradoxerweise mit viel größerer Intensität) dem gleichen Irrtum, denn der Text wird von diesem so minutiösen und gelehrten Disput in seiner Absicht und Funktion nicht im geringsten erklärt. Sehr viel aufschlussreicher scheint es mir, sich in Bezug auf diese Textstelle zu fragen, warum Lukian hier ausgerechnet den Schlafgott, ὁ Ὕπνος, als Urheber des Dekrets auftreten lässt, oder allgemeiner sich zu fragen, ob diesem Detail überhaupt eine Bedeutung in der Interpretation zugemessen werden soll oder ob es sich nur um einen reinen Zufall handelt, der nicht weiter von Bedeutung ist. Die Entscheidung für den zuletzt genannten Fall ist allein auf Grund der besonders prominenten Stellung des Urhebers eines Dekrets bedenklich. Dieses Dekret ist also – strikt genommen – das Dekret des Schlafes, ein Produkt des Schlafes, also vielleicht ein Traum. Will der Autor also, dass man das ganze Werk als eine Traumvision betrachtet? Und wenn ja, soll dies etwa bedeuten, dass der darin formulierte Diskurs nicht ernst zu nehmen ist, genau so wenig, wie man einen Traum ernst nimmt? Wenigstens eins ist m. E. sehr naheliegend, dass eine mögliche Anregung zur Erwähnung der Figur des Hypnos der bereits zitierte hesiodeische Passus (Theog. 211f.: Νὺξ δ᾿ ἔτεκε στυγερόν τε Μόρον καὶ Κῆρα μέλαιναν/ καὶ Θάνατον, τέκε δ᾿ Ὕπνον, und gleich danach, 213f.: τέκε Νὺξ ἐρεβεννή/ δεύτερον αὖ Μῶμον), in welchem Momos und Hypnos unmittelbar nacheinander erwähnt werden, sein könnte – vorausgesetzt natürlich, dass Lukian diese Stelle vor seinem geistigen Auge hätte haben können.

_____________ 44 Vgl. den kritischen Hieb, mit dem der Artikel beginnt (HOUSEHOLDER [1940], 199): «An investigation of the sources or literary models of an ancient writer need not degenerate into a systematic attempt to discredit his originality».

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6. Paradoxe und Aporien im Himmel: Ikaromenipp J’avoue que ce paradoxe me sembla si extravagant que je ne pus m’empêcher d’en rire. CYRANO DE BERGERAC, L’Autre Monde ou Les États et Empires de la Lune (1657)

6.1. Lukians Ikaromenipp: Versuch einer „Definition“ Wollte man versuchen, das Wesen dieses Werkes in einer kurzen „Definition“ zu erfassen, so könnte man m. E. Folgendes sagen: Lukians Ikaromenipp ist ein in satirischer Form verfasstes antiphilosophisches Paradox.1 Dadurch, dass in dieser „Definition“ die zwei Aspekte (Philosophenkritik und Paradoxie), die zentral zu sein scheinen, berücksichtigt werden, will sie versuchen, etwas präziser als die gängige Bezeichnung ,menippeische Satire‘ zu sein. Das Paradox ist das Medium, in welchem das ganze Werk gleichsam eingetaucht ist, im Allgemeinen sowie im Detail. Allein schon die Grundidee der Himmelsreise,2 d. h. die Vorstellung, dass ein menschlicher Körper durch an die Arme gebundene Vogelflügel in die Luft fliegen könne, ist vollkommen paradox. Ebenso paradox ist eine ganze Reihe von Details wie etwa das folgende: …καὶ δὴ συλλαβὼν τὰ ὄρνεα θατέρου μὲν τὴν δεξιὰν πτέρυγα, τοῦ γυπὸς δὲ τὴν ἑτέραν ἀπέτεμον εὖ μάλα.3

«Ich fieng also ein paar solche Vögel» (WIELAND): Als ob der Fang eines Adlers und eines Geiers sowie ihre Verstümmelung das Einfachste und Selbstverständlichste der Welt wären! Das Gleiche kann auch für die anderen Einzelheiten der Vorbereitung und Durchführung der Luftreise, wie sie in den Paragraphen 10-11 geschildert sind, wiederholt werden, oder _____________ 1 2 3

Der hier verwendete Begriff lehnt sich an das aufklärerische Verständnis der Paradoxie als Erkenntnismittel (etwa wie bei DIDEROTS Paradoxe sur le comédien) an. Vgl.ȱLUCK-HUYSE (1997). Vgl. Icar. 10 in WIELANDS Übersetzung (Hervorhebung von mir): «Daß mir jemals Federn und Flügel wachsen könnten, das däuchte mir auf alle Weise eine pure Unmöglichkeit zu seyn: wenn ich mir aber Adlers- oder Geyersflügel anzusetzen wüßte, die mit der Größe des menschlichen Körpers in gehörigem Verhältnis zu seyn schienen, so zweifelte ich nicht, daß mir der Versuch gelingen möchte. Ich fieng also ein paar solche Vögel, lösete gar zierlich dem Adler den rechten und dem Geyer den linken Flügel ab, band sie mir sodann mit tüchtigen Riemen um die Schultern, und befestigte an die Spitzen der Schwingfedern eine Art von Henkeln, womit ich die Flügel zu regieren gedachte».

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

z. B. auch noch für die spätere Episode, als Menipp nach dem Gastmahl der Götter, an dem er teilnehmen durfte, nicht einschlafen kann, weil er über einige „Besonderheiten“ der Götterwelt grübeln muss. Es heißt im § 28: ‘ ἄλλοι μέν ῥα θεοί τε καὶ ἀνέρες ἱπποκορυσταὶ εὗδον παννύχιοι, ἐμὲ δ᾽ οὐκ ἔχε νήδυμος ὕπνος· ’ [Il. 2, 1f.] ἀνελογιζόμην γὰρ πολλὰ μὲν καὶ ἄλλα, μάλιστα δὲ ἐκεῖνα, πῶς ἐν τοσούτῳ χρόνῳ ὁ Ἀπόλλων οὐ φύσειε πώγωνα ἢ πῶς γίνοιτο νὺξ ἐν οὐρανῷ τοῦ ἡλίου παρόντος ἀεὶ καὶ συνευωχουμένου. Τότε μὲν οὖν μικρόν τι κατέδαρθον. ἕωθεν δὲ διαναστὰς ὁ Ζεὺς προσέταττε κηρύττειν ἐκκλησίαν.

Wären wirklich dies die Fragen, die sich ein hypothetischer Himmelsbesucher in einer solchen privilegierten Situation stellen würde? Sicherlich nicht, sondern wahrscheinlich viel wichtigere und wesentlichere, d. h. auf kosmisch-theologische Erklärungen abzielende Fragen! Es scheint mir angebracht, in Bezug auf den Ikaromenipp von ,paradoxem Charakter‘ und nicht etwa von ,Absurdität‘ zu sprechen. Natürlich kann man sagen, dass vieles in dieser Erzählung an und für sich einfach absurd ist, in dem Sinne, dass das dort Geschilderte keine realweltliche Entsprechung hat. Dies ist aber natürlich nur der Fall, wenn das Werk „von außen“ betrachtet wird. Wir wissen aber, dass es ursprünglich als einheitliche, d. h. in einem Zug vorgetragene „Lesung“ (höchstwahrscheinlich nicht ohne eine gewisse theatralische bzw. schauspielerische Kunst) präsentiert wurde. Das Resultat, sowohl der geschickten rhetorischen Technik des Autors als auch der äußeren Rahmenbedingungen der Aufführung des Werkes (niemand unterbrach oder stellte Fragen), war nun, der Absurdität dieser Fabulierung den Anschein von kurzzeitiger Plausibilität zu verleihen, mit andern Worten: Rhetorik und Rahmenbedingungen hoben diese Absurdität zum Teil und für eine begrenzte Zeit auf, so dass die Absurdität in der Zeit der Aufführung (oder, für uns, der Lektüre) „abgeschwächt“ und damit sozusagen zum Paradox „heruntergestuft“ wurde. Auch rein sprachlich hat man übrigens eine Bestätigung dieses paradoxen Charakters, denn dieser wird mehrmals explizit erwähnt.4 (Zum zweiten Aspekt, der Philosophenkritik, vgl. infra.) _____________ 4

Vgl. Icar. 2: Σὺ μὲν πάλαι σκώπτων δῆλος εἶ, καὶ θαυμαστὸν οὐδὲν εἴ σοι τὸ παράδοξον τοῦ λόγου μύθῳ δοκεῖ προσφερές, 19: Ὦ μακάριε Μένιππε τῆς παραδόξου θέας. αἱ δὲ δὴ πόλεις πρὸς Διὸς καὶ οἱ ἄνδρες αὐτοὶ πηλίκοι διεφαίνοντο ἄνωθεν; , 22: καὶ μετ᾽ ὀλίγον εἰσεκλήθην πάνυ δεδιὼς καὶ τρέμων, καταλαμβάνω τε πάντας ἅμα συγκαθημένους οὐδὲ αὐτοὺς ἀφρόντιδας· ὑπετάραττε γὰρ ἡσυχῇ τὸ παράδοξον μου τῆς ἐπιδημίας, καὶ ὅσον οὐδέπω πάντας ἀνθρώπους ἀφίξεσθαι προσεδόκων τὸν αὐτὸν τρόπον ἐπτερωμένους.

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6. Paradoxe und Aporien im Himmel: Ikaromenipp

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6.2. Lukians Menipp 6.2.1. Die Aporien Menipps Mit der Hauptfigur des Dialogs, Menipp, schuf Lukian einen plastischen Charakter, welcher einer künstlerisch geglückten Figur in einem dramatischen Werk sehr ähnlich ist. Der Menipp des Ikaromenipp weist prägnante und erkennbare Züge auf. Er ist keineswegs ein bloßer Name für eine sonst neutrale Stimme, deren Aufgabe es wäre, die Erzählung lediglich vorzutragen, sondern ein fiktives Individuum. Diese Gestalt berichtet in den anfänglichen Teilen des Werkes ausführlich über sich selbst und über die genauen Gründe, die sie zum Wagnis der Himmelsreise bewogen haben. Folglich ist es nicht schwierig, ihre zentralen Motive und Antriebe, die ihren Handlungen zugrunde liegen, zu identifizieren. Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist vor allem der § 4, in dem Menipp für uns „die Geschichte seiner Seele“ Revue passieren lässt. (1.) Menipp ist ein Suchender. Er will Erklärungen und Gründe, er wird nicht müde nachzufragen und nachzuforschen; seine ist eine wahrhaftige Wissensgier (4: …τί ποτε ἦν ἄρα ἐπόθουν εἰδέναι). Zunächst wandte er sich sozusagen dem Nächstliegenden zu, d. h. dem eigenen Leben als Mensch, und anschließend dem Ferneren, der Natur und dem Kosmos zu. Doch immer wieder blieb sein Durst nach Sinn und Begründung – aus jeweils unterschiedlichen Gründen – ungestillt: οὐ γὰρ εἶχον εὑρεῖν oder δυσείκαστα πάντα καὶ ἀτέκμαρτα ἦν (4), musste er als Fazit bei seinen Erfahrungen immer wieder sagen. (2.) Menipp ist also ein enttäuschter Suchender. Er sieht sich von Problem zu Problem, von Schwierigkeit zu Schwierigkeit getrieben, sein Leben ist eine einzige Folge von ungelösten Aporien. So wird ,Aporie‘, das impasse des Erkenntnisvermögens, zwangsweise das häufigste Wort, das er im Mund führen muss: πολὺ μᾶλλον ἀπορεῖν ἠναγκαζόμην (4). Was Menipp inbrünstig begehrt und radikal will, ist die Einheit bzw. die Einheitlichkeit (§ 5). Was er in der sublunaren Welt (d. h. in seinem normalen Erfahrungsbereich) dagegen nur findet, ist die Bruchstückhaftigkeit, die Differenz, der Streit, was für ihn unerträglich ist (ὃ δὲ πάντων…χαλεπώτατον [5]). Menipp verlangt nach einer allumfassenden „Universaltheorie“, die die Gesamtheit der Welt einheitlich erklärt und letztere somit in Ordnung bringt. Im § 5 beschreibt er selbst die eigene Haltung so: ἠξίουν…τὴν τῶν ὅλων διακόσμησιν καταμαθεῖν. 6.2.2. Philosophenkritik Sein Wissensdurst und sein starker Wille, all diese Probleme nicht ungelöst zu lassen, bringen ihn zu den Philosophen als derjenigen sozialen

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Gruppe, welche sich genau auf diese Forschungsgegenstände spezialisiert hat.5 (Eine gewisse Ähnlichkeit mit der Erfahrung des jungen Sokrates, auf die später noch eingegangen werden wird, ist hier kaum zu verkennen.) Die Philosophen werden hier zunächst als undifferenzierte Kategorie präsentiert (die genauen Bezeichnungen tauchen erst später, gegen Ende, auf), obwohl jedem gebildeten Leser bald klar gewesen sein dürfte, um welche Schulen es sich in diesem Bericht Menipps jeweils handelt. Bei ihnen erlebt Menipp abermals eine schwere Enttäuschung. Diese basiert nicht so sehr auf der Verwirrung, in welche ihn die philosophischen Fachbegriffe stürzen (Icar. 5: ὥστε καὶ εἰς μείζους ἀπορίας φέροντες ἐνέβαλον, ἀρχάς τινας καὶ τέλη καὶ ἀτόμους καὶ κενὰ καὶ ὕλας καὶ ἰδέας καὶ τὰ τοιαῦτα ὁσημέραι μου καταχέοντες)6, bzw. auf seiner Unfähigkeit, sich diese anzueignen, sondern hauptsächlich darauf, dass er bald bemerken muss, wie uneinig die Spezialisten selbst, d. h. diejenigen, die auf Grund ihres Sozialbildes par excellence über die Lösungen für die Probleme, die ihn quälen, verfügen sollten,7 untereinander sind. Das traumatische Erlebnis des unerfüllten Einheitswunsches wiederholt sich, und diesmal – aus besagtem Grund – in gesteigertem Maße: ὃ δὲ πάντων ἐμοὶ γοῦν ἐδόκει χαλεπώτατον, ὅτι μηδὲν ἅτερος θατέρῳ λέγοντες ἀκόλουθον ἀλλὰ μαχόμενα πάντα καὶ ὑπεναντία, ὅμως πείθεσθαί τέ με ἠξίουν καὶ πρὸς τὸν αὑτοῦ λόγον ἕκαστος ὑπάγειν ἐπειρῶντο.8

6.2.3. Verbindung von „Kosmologie“ und „Theologie“ Die Himmelfahrt des Menipp ist fern davon, lediglich ein lächerlicher und plötzlicher Einfall eines erhitzten Kopfes zu sein, sondern ist das Ergebnis eines konsequenten Gedankenganges. Bei all der Verwirrung im Bereich _____________ 5 6 7 8

Icar. 5: Οὐκοῦν ἐπειδήπερ οὕτω διεκείμην, ἄριστον εἶναι ὑπελάμβανον παρὰ τῶν φιλοσόφων τούτων ταῦτα ἕκαστα ἐκμαθεῖν· ᾤμην γὰρ ἐκείνους γε πᾶσαν ἔχειν ἂν εἰπεῖν τὴν ἀλήθειαν. Ähnlich Icar. 8: Τί δ᾽ εἰ ἀκούσειας, ὦ θαυμάσιε, περί τε ἰδεῶν καὶ ἀσωμάτων ἃ διεξέρχονται ἢ τοὺς περὶ τοῦ πέρατός τε καὶ ἀπείρου λόγους; Icar. 5: ΕΤΑΙΡΟΣ. Ἄτοπον λέγεις, εἰ σοφοὶ ὄντες οἱ ἄνδρες ἐστασίαζον πρὸς αὑτοὺς περὶ τῶν λόγων καὶ οὐ τὰ αὐτὰ περὶ τῶν αὐτῶν ἐδόξαζον. Icar. 5. Dieses Motiv der Zwiespältigkeiten der Philosophen wird anschließend in den Paragraphen 6 und 7 in witziger Art fortgesponnen und variiert. Es handelt sich um keine besonders raffinierte und feine Ironie, sondern diese Witze haben etwas Banales und Derbes an sich. Man könnte also vielleicht die Vermutung anstellen, dass Lukian sie ursprünglich in irgend einer menippeischen bzw. kynischen „Vorlage“ vorfand und sie nur in sprachlich eleganterer Form überarbeitete, doch der Inhalt blieb im Grunde das, was er gewesen war: banal und derb.

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6. Paradoxe und Aporien im Himmel: Ikaromenipp

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der Kosmologie, in welche er dank der Philosophen geriet, war nämlich für ihn nun der nächste konsequente Schritt, sich der Theologie, d. h. der Erforschung der Götter, zu widmen. Ein Aspekt des Kosmos-Problems ist nämlich sein Ursprung, d. h. die Frage, ob es sich bei der Entstehung der Welt um einen rein mechanischen Zufall oder um einen bewussten Akt eines göttlichen Urhebers handle. Auch hier kollidieren natürlich die Meinungen der Philosophen, doch wichtig scheint mir vor allem die Tatsache zu sein, dass die Himmelsreise eine direkte Konsequenz der theologischen Problematisierung ist (Viele Götter oder ein höchster Gott? Immaterielles Wesen oder nicht? Fürsorglich für die Welt oder nicht? usw.)9, der sich Menipp in diesem präzisen und man könnte fast sagen „systematischen“ Zusammenhang öffnet. Zwei Stellen verdeutlichen diese Verbindung: (1.) Πρῶτα μὲν γὰρ αὐτοῖς ἡ περὶ τοῦ κόσμου γνώμη διάφορος, εἴ γε τοῖς μὲν ἀγέννητός τε καὶ ἀνώλεθρος εἶναι δοκεῖ, οἱ δὲ καὶ τὸν δημιουργὸν αὐτοῦ καὶ τῆς κατασκευῆς τὸν τρόπον εἰπεῖν ἐτόλμησαν· οὓς καὶ μάλιστα ἐθαύμαζον θεὸν μέν τινα τεχνίτην τῶν ὅλων ἐφιστάντας, οὐ προστιθέντας δὲ οὔτε ὅθεν ἥκων οὔτε ὅπου ἑστὼς ἕκαστα ἐτεκταίνετο, καίτοι πρό γε τῆς τοῦ παντὸς γενέσεως ἀδύνατον καὶ χρόνον καὶ τόπον ἐπινοεῖν.10 (2.) Εἶτα καὶ προνοεῖν τῶν καθ᾽ ἡμᾶς πραγμάτων οὐ πᾶσιν ἐδόκουν οἱ θεοί, ἀλλ᾽ ἦσάν τινες οἱ τῆς συμπάσης ἐπιμελείας αὐτοὺς ἀφιέντες, ὥσπερ ἡμεῖς εἰώθαμεν ἀπολύειν τῶν λειτουργιῶν τοὺς παρηβηκότας· οὐδὲν γὰρ ὅτι μὴ τοῖς κωμικοῖς δορυφορήμασιν ἐοικότας αὐτοὺς εἰσάγουσιν. ἔνιοι δὲ ταῦτα πάντα ὑπερβάντες οὐδὲ τὴν ἀρχὴν εἶναι θεούς τινας ἐπίστευον, ἀλλ᾽ ἀδέσποτον καὶ ἀνηγεμόνευτον φέρεσθαι τὸν κόσμον ἀπελίμπανον.11

6.2.4. Menipps „Wille zum Glauben“ Zwar musste Menipps Forschergeist mehrfach Enttäuschungen erleben, doch diese vermochten in ihm keine Resignation zu erzeugen. (3.) Dieses äußerst wichtige Merkmal des Charakters dieser Figur möchte ich „den Willen zum Glauben“ nennen. Menipp glaubt nämlich ganz fest an die Wahrheit (τὶ περὶ τούτων ἀληθές [10]) und nichts, weder der Mangel an eigener theoretischer Begabung noch das Unwissen der _____________ 9 Vgl. Icar. 8: καὶ οἱ μὲν τοὺς ἄλλους ἅπαντας θεοὺς ἀπελάσαντες ἑνὶ μόνῳ τὴν τῶν ὅλων ἀρχὴν ἀπένεμον, ὥστε ἠρέμα καὶ ἄχθεσθαί με τοσαύτην ἀπορίαν θεῶν ἀκούοντα· οἱ δ᾽ ἔμπαλιν ἐπιδαψιλευόμενοι πολλούς τε αὐτοὺς ἀπέφαινον καὶ διελόμενοι τὸν μέν τινα πρῶτον θεὸν ἐπεκάλουν, τοῖς δὲ τὰ δεύτερα καὶ τρίτα ἔνεμον τῆς θειότητος· ἔτι δὲ οἱ μὲν ἀσώματόν τι καὶ ἄμορφον ἡγοῦντο εἶναι τὸ θεῖον, οἱ δὲ ὡς περὶ σώματος αὐτοῦ διενοοῦντο. 10 Icar. 8. 11 Icar. 9.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Philosophen, kann seinen Glauben an die universelle Ordnung der Dinge (τὴν τῶν ὅλων διακόσμησιν) zerstören. Menipp ist kein Skeptiker und wird auch nie zu einem. Immer, allen Missgeschicken zum Trotz, bewahrt er die Hoffung, dass es die Wahrheit, nach der er so sehnlich sucht, gibt und er sie herausfinden kann: er braucht nur die Suchmethode zu ändern. Nach der bitteren Erfahrung seiner Begegnung mit der Philosophie analysiert er die Lage auf nüchterne (und naive) Weise und zieht daraus die nötigen Konsequenzen: «Auf Erden ist die Wahrheit über den Himmel weder durch mich selbst zu finden noch von anderen zu erfahren. Also muss ich sie mir daselbst holen gehen. Also ab in den Himmel». Hier beginnt das eigentliche Werk und liegt der Kern seiner ganzen Komik.12 οὐ μὴν εἶχόν γε ὅπῃ τῶν λόγων τραπόμενος ἀνεπίληπτόν τι αὐτῶν εὕροιμι καὶ ὑπὸ θατέρου μηδαμῆ περιτρεπόμενον. ὥστε δὴ τὸ Ὁμηρικὸν ἐκεῖνο ἀτεχνῶς ἔπασχον· πολλάκις μὲν γὰρ ἂν ὥρμησα πιστεύειν τινὶ αὐτῶν, ‘ ἕτερος δέ με θυμὸς ἔρυκεν ’ [Od. 9, 302]. Ἐφ᾽ οἷς ἅπασιν ἀμηχανῶν ἐπὶ γῆς μὲν ἀκούσεσθαί τι περὶ τούτων ἀληθὲς ἀπεγίνωσκον, μίαν δὲ τῆς συμπάσης ἀπορίας ἀπαλλαγὴν ᾤμην ἔσεσθαι, εἰ αὐτὸς πτερωθείς πως ἀνέλθοιμι εἰς τὸν οὐρανόν.13

6.2.5. Lukians Menipp ist kein Kyniker Einiges scheint dezidiert gegen die Auffassung einer sehr engen Abhängigkeit Lukians vom Werk des historischen Menipp von Gadara im Ikaromenipp zu sprechen. Zu bemerken ist zunächst, dass die philosophische Entwicklung des Menipp von der Ethik hin zur Naturwissenschaft in die entgegengesetzte Richtung als jene des Sokrates läuft. Sokrates war nicht nur das prototypische Vorbild für die Angehörigen der kynischen Sekte, sondern die ganze „spirituelle Suche“ Menipps im Ikaromenipp scheint mit der, welche in der Apologie Platons geschildert wird, literarisch in Verbindung zu stehen. Genau dieses sehr ausgeprägte Interesse des Helden an den kosmologischen Problemen, welches (a.) sehr ausführlich dargestellt wird und (b.) im ganzen Werk durchweg konstant bleibt, bildet die signifikanteste Auffälligkeit in diesem Zusammenhang, denn es ist ja bekannt, dass die Naturforschung in der Philosophie der Kyniker in der Regel gar keine Rolle spielte, weil für sie das Hauptaugenmerk auf den ethischen Aspekten des _____________ 12 Icar. 10: τούτου δέ μοι παρεῖχε τὴν ἐλπίδα μάλιστα μὲν ἡ ἐπιθυμία < . . . > [lac. stat. FRITZSCHE] καὶ ὁ λογοποιὸς Αἴσωπος ἀετοῖς καὶ κανθάροις, ἐνίοτε καὶ καμήλοις βάσιμον ἀποφαίνων τὸν οὐρανόν. 13 Icar. 10.

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Lebens lag. Im Gegensatz dazu ist hier das kosmologische Problem der ausschlaggebende Beweggrund, der Menipp zu seiner Reise veranlasst. 6.3. Der Himmel und seine Götter Was genau ist dieser Himmel, in den Menipp angeflogen kommt? Wie ist dieser „Ort“ beschaffen? Die lukianische Beschreibung ist in dieser Hinsicht sehr kärglich, so gut wie nicht existent, denn sie geht auf optische Details bzw. auf Bilder aus der himmlischen Region überhaupt nicht ein. Wenn die Reise beginnt, erfahren wir lediglich von dem Schwindelgefühl und der Müdigkeit, welche die ungewohnte Höhe und die Flugbewegungen verursachen und weiter nichts. Auch die Ankunft auf dem Mond wird in einem Nebensatz ganz kurz angedeutet und sozusagen nur „registriert“, doch nicht veranschaulicht: ἀλλ᾽ ἐπὶ τὸν Ὄλυμπον ἀναβὰς καὶ ὡς ἐνῆν μάλιστα κούφως ἐπισιτισάμενος τὸ λοιπὸν ἔτεινον εὐθὺ τοῦ οὐρανοῦ, τὸ μὲν πρῶτον ἰλιγγιῶν ὑπὸ τοῦ βάθους, μετὰ δὲ ἔφερον καὶ τοῦτο εὐμαρῶς. ἐπεὶ δὲ κατ᾽ αὐτὴν ἤδη τὴν σελήνην ἐγεγόνειν πάμπολυ τῶν νεφῶν ἀποσπάσας, ᾐσθόμην κάμνοντος ἐμαυτοῦ, καὶ μάλιστα κατὰ τὴν ἀριστερὰν πτέρυγα τὴν γυπίνην.14

Das gleiche Fehlen von Verbildlichungen kann man auch konstatieren, wenn der Held nach einer Zwischenstation auf dem Mond, um sich dort auszuruhen, seine Reise regelrecht im Weltall, d. h. zwischen Gestirnen und Planeten, fortsetzt und kurz darauf sein Ziel endlich erreicht. All dies wird in einer kurzen Passage komprimiert: Ἔσται ταῦτα, ἦν δ᾽ ἐγώ, καὶ ἅμα πρὸς τὸ ἄναντες ἔτεινον τὴν ἐπὶ τοῦ οὐρανοῦ, ‘ ἔνθα μὲν οὔτε βοῶν οὔτ᾽ ἀνδρῶν φαίνετο ἔργα ’ [Od. 10, 98]· μετ᾽ ὀλίγον γὰρ καὶ ἡ σελήνη βραχεῖά μοι καθεωρᾶτο καὶ τὴν γῆν ἤδη ἀπέκρυπτον. Λαβὼν δὲ τὸν ἥλιον ἐν δεξιᾷ διὰ τῶν ἀστέρων πετόμενος τριταῖος ἐπλησίασα τῷ οὐρανῷ, καὶ τὸ μὲν πρῶτον ἐδόκει μοι ὡς εἶχον εὐθὺς εἴσω παριέναι.15

Der Blick des Menipp wird hingegen nie müde, die Angelegenheiten auf der Erde zu beobachten.16 Da gibt es Bilder, Verbildlichungen und optische Darstellungen in Hülle und Fülle. Dieser Blick auf die Erde ist, wenn man so will, immer nur eine Art Rückblick. Menipp verlässt nie die sublunare (d. h. menschliche) Perspektive, selbst wenn er zum Himmel reist oder im Himmel ist. In diesem Detail kann man vielleicht die Konsequenz, mit _____________ 14 Icar. 11. 15 Icar. 22. 16 Vgl. KOPPENFELS (2001).

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welcher sich Lukian an den Hauptton des „phantastischen Realismus“ in der ganzen Erzählung hält, sehen: Denn als Mensch konnte Menipp nicht anders als genau so zu handeln, wie er handelt. Was wäre nämlich spontaner für jeden Menschen als dieser Blick zurück aus einer Höhe, die man nach einer anstrengenden Reise erreicht hat? Lukian beschreibt also den Himmel so gut wie nicht, doch an den wenigen Stellen, wo er es zu tun scheint bzw. ansatzweise tut, verwendet er durchgehend Material aus Homer. Manchmal sind diese Verweise unpräzis, und es ist entsprechend schwer zu explizieren, was Lukian damit hat ausdrücken wollen. So wird z. B. in Icar. 22 der homerische Vers ἔνθα μὲν οὔτε βοῶν οὔτ᾽ ἀνδρῶν φαίνετο ἔργα (Od. 10, 98) zitiert. Dieser Vers könnte die radikale Unterschiedlichkeit zwischen Himmel und Erde, also zwischen Menschen- und Göttersphäre, andeuten.17 Dabei ist es jedenfalls klar, dass man sich bei einer derartigen, nur negativen Beschreibung nichts Konkretes (und schon gar nichts Bildhaftes!) vorstellen kann. In Icar. 19 hilft Lukian dagegen der Phantasie des Lesers etwas mehr auf die Sprünge: Menipp fliegt weiter gen Himmel, und zwar δώματ᾽ ἐς αἰγιόχοιο Διὸς μετὰ δαίμονας ἄλλους (Il. 1, 222). Daraus ergibt sich zunächst ein recht einfaches Panorama: Lukian will anscheinend, dass der Leser sich den Himmel als einen Palast, nämlich jenen des Zeus, vorstellt. Im Allgemeinen könnte man behaupten, dass er will, dass man sich den Himmel, d. h. den Ort, den die Götter bewohnen, ganz auf homerische Weise, d. h. ganz traditionell, vorstellt. Lukian hat keine Energie sei es seines Denkens sei es seiner Kunst darauf verschwendet, etwas Neues oder gar Persönliches in die Darstellungsweise der himmlischen, d. h. göttlichen, Regionen zu integrieren.18 Die Ankunftsszene des Menipp hebt sich jedoch von diesem homerischen Hintergrund etwas ab, weil sie auf eine Türszene der Neuen Komödie, wo ein Charakter (meist ein Sklave) an die Tür eines der zwei Häuser auf der Bühne klopft, woraus Lärm und Aufregung und Rufe nach dem Hausherrn – genau wie hier im § 22 – folgen, gemünzt zu sein scheint: ἄριστον γοῦν κρίνας τὸ μὴ παρακινδυνεύειν ἔκοπτον προσελθὼν τὴν θύραν. ὑπακούσας δὲ ὁ Ἑρμῆς καὶ τοὔνομα ἐκπυθόμενος ἀπῄει κατὰ σπουδὴν φράσων τῷ Διί.

_____________ 17 Zu diesem Aspekt vgl. infra. 18 Zu diesem Aspekt vgl. infra.

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6.4. Eigenschaften der Götter 6.4.1. Die „Mode“ Eine essentielle Charakteristik, die Lukian im Ikaromenipp hervorhebt, ist, dass die Welt der Götter dem „Gesetz der Mode“ bzw. „des Marktes“ und ihren Schwankungen unterworfen zu sein scheint. Auf dieser „Grundidee“ basierend wird erklärt, wie es zu „Konkurrenzphänomenen“ im religiösen Bereich entweder innerhalb der Gruppe der Olympier selbst (etwa in der Form: Zeus-Kult gegen Apoll-Kult) oder zwischen diesen alten, „kanonischen“ Göttern und anderen, neueren (z. B. Bendis) bzw. lokalen (z. B. Anubis), Göttern kommen kann. Zeus sagt in seiner Beschwerde: ἐξ οὗ δὲ ἐν Δελφοῖς μὲν Ἀπόλλων τὸ μαντεῖον κατεστήσατο, ἐν Περγάμῳ δὲ τὸ ἰατρεῖον ὁ Ἀσκληπιὸς καὶ τὸ Βενδίδειον ἐγένετο ἐν Θρᾴκῃ καὶ τὸ Ἀνουβίδειον ἐν Αἰγύπτῳ καὶ τὸ Ἀρτεμίσιον ἐν Ἐφέσῳ, ἐπὶ ταῦτα μὲν ἅπαντες θέουσι καὶ πανηγύρεις ἀνάγουσι καὶ ἑκατόμβας παριστᾶσι καὶ χρυσᾶς πλίνθους ἀνατιθέασιν, ἐμὲ δὲ παρηβηκότα ἱκανῶς τετιμηκέναι νομίζουσιν, ἂν διὰ πέντε ὅλων ἐτῶν θύσωσιν ἐν Ὀλυμπίᾳ. τοιγαροῦν ψυχροτέρους ἄν μου τοὺς βωμοὺς ἴδοις τῶν Πλάτωνος Νόμων ἢ τῶν Χρυσίππου συλλογισμῶν.19

Es scheint mir inhaltlich korrekter, an dieser Stelle den lukianischen Gedanken mit der obigen Formulierung wiederzugeben, dass nämlich die Götterwelt von einer Art „Marktgesetz“ abhängig ist – gegen den bloßen Wortlaut des Textes, der hier lediglich von den überalterten Göttern (ἐμὲ δὲ παρηβηκότα ἱκανῶς τετιμηκέναι νομίζουσιν) spricht. Zu sagen, dass die zeitlichen oder geschichtlichen Veränderungen auch die Götter bzw. die Göttervorstellungen direkt berühren, im Sinne einer schematischen und ziemlich trivialen Gegenüberstellung ,damals‘ (ἦν γάρ ποτε χρόνος, ὅτε..., 24) vs. ,heute‘ (ἐξ οὗ δὲ..., ebd.), würde ja bedeuten, den Kern der Aussage von § 24 zu einer Banalität zu reduzieren. Noch weniger kann dieser Kern in der offenkundig unwahren Behauptung am Ende des obigen Zitats stecken, die Altäre (d. h. der Kult) des Zeus würden in dieser Zeit vernachlässigt werden (ψυχροτέρους ἄν μου τοὺς βωμοὺς ἴδοις, 24). Lukian führt hier vielmehr eine „soziologische“ Beobachtung aus. Er behauptet hier, oder besser: er lässt hier den höchsten Gott feierlich erklären, dass die Beziehung Götter/Menschen eine „asymmetrische“ ist, in dem Sinne, dass sie der Lust und Laune der letzteren gänzlich unterworfen ist. Es sind die Menschen, die auf Erden, d. h. in der Geschichte, den Göttern Ehre erweisen und das „Maß“ dieser Ehre (einen kleineren oder größeren Tempel, häufigere oder weniger häufige Opfer usw.) bestimmen, wobei diese Verehrung der geschichtliche und damit der einzig wahre (qua einzig _____________ 19 Icar. 24.

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r e a l e ) „Reflex“ der rein theologischen, rein gedanklich (sei es von den Priestern sei es von den Dichtern) konzipierten Macht und des Wesens der Götter ist: ohne Tempel (bzw. ohne Opfer), kein Gott – zumindest in der Wirklichkeit, denn in einem fiktiven Himmel, der (wie der Leser/Hörer jetzt aus Menipps Erfahrung weiß) 3000 Stadien und 500 Parasangen und noch einen Tagesflug eines kräftigen Adlers von der Erde, d. h. letztlich von den Menschen, entfernt ist,20 bestehen all diese Gottheiten ja weiter und sind sogar (ohnmächtige) Zeugen dieser Wandlungen. Wie bestimmen nun die Menschen besagtes Maß an Ehre? Auf welche Art finden diese Wandlungen statt? Der lukianische Text liefert hierfür ein klares Stichwort: τὸ φιλόκαινον (24). 6.4.2. Einheit und Pluralismus Die ganze Zeit habe ich den Plural verwendet und von den Göttern gesprochen. Folgt man jedoch sehr eng dem reinen ductus der Erzählung im Ikaromenipp, muss man zugeben, dass der Held durchgängig nur mit der Figur des Zeus zu tun hat. Zwar sind auch die anderen olympischen Götter anwesend und Menipp sieht sie auch, doch es findet zwischen ihm und diesen keine direkte Interaktion statt, die sich mit jener mit Zeus wirklich vergleichen ließe. Außerdem erscheint der Rest der göttlichen Wesen im Palast des Zeus sehr flüchtig und wirklich nur im Hintergrund der Handlung. Man könnte sie mit einem sehr schwach hervortretenden und blassen Chor, also einer recht undifferenzierten Masse, vergleichen, während Zeus ganz ohne Zweifel der erste Schauspieler ist. Weiterhin auffällig ist die ganz typisierte Art und Weise, wie diese sekundären Figuren dargestellt werden, wie zum Beispiel Dionysos = Wein. Signifikant in dieser Hinsicht sind zwei Szenen aus dem abendlichen Gastmahl der Götter, wo es heißt: Ἁπάντων δὲ ἤδη σχεδὸν αὐτῷ διῳκημένων ἀπῄειμεν ἐς τὸ συμπόσιον· δείπνου γὰρ ἤδη καιρὸς ἦν· καί με ὁ Ἑρμῆς παραλαβὼν κατέκλινε παρὰ τὸν Πᾶνα καὶ τοὺς Κορύβαντας καὶ τὸν Ἄττιν καὶ τὸν Σαβάζιον, τοὺς μετοίκους τούτους καὶ ἀμφιβόλους θεούς. καὶ ἄρτον τε ἡ Δημήτηρ παρεῖχε καὶ ὁ Διόνυσος οἶνον καὶ ὁ Ἡρακλῆς κρέα καὶ μύρτα ἡ Ἀφροδίτη καὶ ὁ Ποσειδῶν μαινίδας [...]. Ἐν δὲ τῷ δείπνῳ ὅ τε Ἀπόλλων ἐκιθάρισε καὶ ὁ Σιληνὸς κόρδακα ὠρχήσατο καὶ αἱ Μοῦσαι ἀναστᾶσαι τῆς τε Ἡσιόδου Θεογονίας

_____________ 20 Icar. 1: Οὐκοῦν τρισχίλιοι μὲν ἦσαν ἀπὸ γῆς στάδιοι μέχρι πρὸς τὴν σελήνην, ὁ πρῶτος ἡμῖν σταθμός· τοὐντεῦθεν δὲ ἐπὶ τὸν ἥλιον ἄνω παρασάγγαι που πεντακόσιοι· τὸ δὲ ἀπὸ τούτου ἐς αὐτὸν ἤδη τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν ἀκρόπολιν τὴν τοῦ Διὸς ἄνοδος καὶ ταῦτα γένοιτ᾽ ἂν εὐζώνῳ ἀετῷ μιᾶς ἡμέρας.

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ᾖσαν ἡμῖν καὶ τὴν πρώτην ᾠδὴν τῶν ὕμνων τῶν Πινδάρου. κἀπειδὴ κόρος ἦν, ἀνεπαυόμεθα ὡς εἶχεν ἕκαστος ἱκανῶς ὑποβεβρεγμένοι.21

Lässt sich nun unter diesen Umständen die Gültigkeit der Aussagen, die Zeus in Bezug auf seine göttliche Kondition tätigt und die bisher analysiert worden sind, auch auf die restlichen Götter erweitern? Betrifft das, was Zeus meist mit direktem Bezug zu sich selbst sagt, auch jeden anderen Gott per se, d. h. qua Gott? Die Antwort ist eindeutig ja. Am Tag nach der Ankunft des Menipp beruft Zeus eine Götterversammlung ein, in der die Gefahr, welche die Meinungen der Philosophen für die Götter darstellen, dargelegt und Maßnahmen dagegen getroffen werden (§§ 29-34). Dabei handelt es sich um eine Gefahr, die alle Götter, sozusagen als einheitliche Gruppe, betrifft, weil die Spekulationen der irdischen Denker, oder – besser gesagt – ihre Auswirkungen auf die kollektive Mentalität, die Gesamtheit des göttlichen Bereichs (sogar eine relativ wenig bedeutende Komponente davon wie die Mondgöttin) berühren; deswegen müssen auch alle mit entscheiden.22 Der entscheidende Punkt scheint mir darin zu liegen, dass die Auswirkung der Meinungen der Menschen auf den religiösen Bereich sowohl in der „Leidensgeschichte“ des Zeus als auch hier, in der durch die Nachrichten des Menipp ausgelösten Debatte, im Wesentlichen die gleiche ist – mit dem einzigen Unterschied, dass es in diesem zweiten Fall nicht um die Ansichten aller Menschen im Allgemeinen, sondern um jene der besonderen Gruppe der Philosophen geht. Das Kernproblem, auf Grund dessen sich die ganze Diskussion entzündet, sind die Schäden, die für die Götter aus den Launen der Menschen resultieren könnten: ὥστε ὥρα ὑμῖν λογίζεσθαι διότι ἢν ἅπαξ οὗτοι πεῖσαι τὸν βίον δυνηθῶσιν, οὐ μετρίως πεινήσετε. τίς γὰρ ἂν ἔτι θύσειεν ὑμῖν πλέον οὐδὲν ἕξειν προσδοκῶν;23

Zwar hat Zeus vorhin (§ 24) die Geschichte seiner besonderen, „privaten“ Schwierigkeiten in seinen Kulten und Tempeln erzählt, doch von einer ähnlichen Bedrohung darf sich keiner ausgenommen fühlen.

_____________ 21 Icar. 27. 22 Icar. 32: Ἃ μὲν γὰρ ἡ Σελήνη αἰτιᾶται, πάντες ἠκούσατε τοῦ ξένου χθὲς διηγουμένου. πρὸς ταῦτα βουλεύεσθε ἃ καὶ τοῖς ἀνθρώποις γένοιτ᾽ ἂν ὠφελιμώτατα καὶ ἡμῖν ἀσφαλέστατα, und 33: ἡσυχίαν δὲ ὁ Ζεὺς αὖθις παραγγείλας, Ἔσται ταῦτα ὡς βούλεσθε, ἔφη, καὶ πάντες ἐπιτρίψονται αὐτῇ διαλεκτικῇ. 23 Icar. 32.

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6.5. Feindschaft zwischen Religion und Philosophie Eine auffällige Konstante im ganzen Werk ist die Kritik an der Philosophie bzw. an den Philosophen. Dieser Konstante kommt eine sehr große Bedeutung zu, denn sie kehrt an den Schlüsselstellen, d. h. am Anfang, in der Mitte und am Ende des Ikaromenipp und in immer ausführlicherer Form wieder: (a.) in der Geschichte der „spirituellen Suche“ des Menipp (§§ 4-9), (b.) in der Beschwerdeszene des Mondes gegenüber Menipp (§ 20f.), (c.) im Plädoyer des Zeus während der Götterversammlung am Schluss des Werkes (§§ 29-32).24 Hierzu zwei Bemerkungen: (1.) Es scheint mir zutreffender, von regelrechter Kritik als von oberflächlicher Satire in diesem Zusammenhang zu sprechen, weil auf diese Weise ein Missverständnis beseitigt werden kann. Der Begriff ,Kritik‘ muss sachlicher präzisiert werden. Man muss einsehen, dass dieser Begriff nicht an einem absoluten Maßstab einer reinen, zeitlosen, allgemein gültigen Logik gemessen, sondern – viel einfacher – in der werkinternen Perspektive des Ikaromenipp gesehen werden muss. Die von einer bestimmten philosophischen Schule vorgebrachten Argumente und Theorien werden hier weder in ihrer logischen Form noch in ihrer logischen Gültigkeit bzw. Überzeugungskraft erfasst. Menipp versucht von vornherein keine Widerlegung, welche sich auf der gleichen gedanklichen Ebene der „Zieltheorie“ konstituiert. Dies ist, was man in der Regel heute innerhalb eines gewissen Faches, der Philosophie z. B., unter ,Kritik‘ verstehen würde und die erwähnte Gemeinsamkeit in den Grundlagen wäre entsprechend die fachinterne Grundanforderung an eine derartige Kritik (Beispiel: FICHTE, SCHELLING und HEGEL polemisieren mit KANT, indem alle drei Argumentationen im Rahmen der und mit Bezug auf die transzendentale Philosophie des letzteren produzieren). – Gänzlich dahingestellt bleibe die Ernsthaftigkeit dieser Auseinandersetzung in den jeweiligen konkreten Fällen (Beispiel: SCHOPENHAUERS Schrift Über die Universitätsphilosophie). _____________ 24 Außerdem – in kleinerem Format und ganz topischer Form – als Teil der Gesamtbeschreibung des Menschenlebens in Icar. 16: Καὶ τὰ μὲν τῶν βασιλέων τοιαύτην παρέσχε μοι τὴν διατριβήν, τὰ δὲ τῶν ἰδιωτῶν πολὺ γελοιότερα· καὶ γὰρ αὖ κἀκείνους ἑώρων, Ἑρμόδωρον μὲν τὸν Ἐπικούρειον χιλίων ἕνεκα δραχμῶν ἐπιορκοῦντα, τὸν Στωϊκὸν δὲ Ἀγαθοκλέα περὶ μισθοῦ τῷ μαθητῇ δικαζόμενον, Κλεινίαν δὲ τὸν ῥήτορα ἐκ τοῦ Ἀσκληπιείου φιάλην ὑφαιρούμενον, τὸν δὲ Κυνικὸν Ἡρόφιλον ἐν τῷ χαμαιτυπείῳ καθεύδοντα. τί γὰρ ἂν τοὺς ἄλλους λέγοιμι, τοὺς τοιχωρυχοῦντας, τοὺς δεκαζομένους, τοὺς δανείζοντας, τοὺς ἐπαιτοῦντας; ὅλως γὰρ ποικίλη καὶ παντοδαπή τις ἦν ἡ θέα.

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Für den Ikaromenipp muss kein so spezifischer, „technischer“ Begriff von Kritik, sondern ein breiterer angewendet werden. Menipp produziert nämlich keine Argumentation stricto sensu, sondern berichtet von seiner eigenen persönlichen Erfahrung. Aus der Perspektive und in der Wahrnehmung der Gestalt des Menipp handelt es sich im Falle der Philosophie um eine regelrechte Kritik. Sein Gegenargument ist – um es so zu formulieren – nur diese seine Erfahrung, und er hat das volle Recht, dieses Argument geltend zu machen, denn er erzählt seine Geschichte. Methodisch gesehen, müssen unsere theoretischen Anforderungen und Axiome (man darf nur von ,Kritik‘ sprechen, wenn diese sachlich und objektiv ist) im Rahmen einer historisch-philologischen Interpretation unberücksichtigt bleiben. (2.) Es wird im Ikaromenipp kein Unterschied zwischen Mensch und Beruf, d. h. der „reinen Disziplin“, nämlich der Philosophie an sich, und ihren jeweiligen Vertretern, den Philosophen, gemacht. Eine Folge, die sich aus dieser Undifferenziertheit ergibt, ist von Belang für die Interpretation und verdient deswegen gebührend hervorgehoben zu werden. Wenn nämlich ,Philosophen‘ gleichzeitig auch ,Philosophie‘ schlechthin heißt (und umgekehrt), so bedeutet dies, dass es in der Perspektive des Ikaromenipp keinen Platz für eine „richtige Philosophie“ gibt, denn alle Philosophen sind für Menipp schlecht. Von einer fehlerfreien oder aufrichtigen, positiven Variante dieser Wissensform ist im Werk nie die Rede, und es wird dort stark suggeriert, dass diese Möglichkeit ausgeschlossen ist. Wenn es so ist, dann scheint der Begriff, auf welchen diese ganze Polemik (möge sie in ihrem Ursprung von Menipp von Gadara oder von Lukian von Samosata stammen) grundsätzlich hindeutet, der eines unbeugsamen Kontrastes, mehr noch: einer unerbittlichen Feindschaft bzw. radikalen Inkompatibilität zwischen Philosophie und Religion zu sein. Die intellektuellen Anstrengungen, welchen sich die Menschen bzw. die Philosophen im theologischen Bereich unterziehen, um deutlichere Ansichten über die Götter zu erlangen, scheitern alle auf groteske und z. T. gefährliche Weise. Die Philosophie „erreicht“ das Göttliche nicht, noch vermag sie es zu erklären, so dass sich eine Reise wie die des Menipp als nötig erweist, um einen „Kontakt“ mit den Göttern und ihrer Welt überhaupt zu etablieren. Eine Bestätigung dieser Sichtweise kann der Ausgang der ganzen Erzählung bieten. Laut Urteil der Götterversammlung sollen nämlich alle Philosophen vom Blitz des Zeus, d. h. (könnte man umformulieren) durch göttliche Intervention, in Grund und Boden und ohne Ausnahmen vernichtet werden. Diesbezüglich ist der Wortlaut des Textes sehr explizit

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und gibt keinen Anlass zu Zweifeln.25 Zur Erinnerung: ,alle Philosophen‘ heißt hier ,die Philosophie an sich‘. Dieser vernichtende Beschluss der Götterversammlung gegen die Philosophen wird nicht sofort ausgeführt. Zwar steht dafür ein Termin schon fest (ἐς νέωτα οὖν ἀρχομένου ἦρος, 33), jedoch erfährt der Leser nicht mehr, was daraus „tatsächlich“ werden wird, weil die Erzählung (bzw. die Fiktion) früher endet. Dennoch sieht jedoch am Ende des Ikaromenipp die Lage so aus, dass die Philosophie bald gänzlich untergehen wird. Die Welt „danach“, d. h. eine vom Übel der bösen Philosophen befreite Welt, bildet – wie schon gesagt – nicht mehr den Gegenstand der Erzählung, so dass von diesem Moment an nur die Möglichkeit zu spekulieren bleibt. Dennoch liegt es sehr nahe zu denken, dass das, was diesen fiktiven Untergang der Philosophie überdauert und es bis in die neue Welt schafft, die bewährten Formen der traditionellen Pietät, die „Religion“ alleine ohne theologische Verkomplizierungen, kurz: die Welt der Götter, wie sie in den „guten alten Zeiten“ war, sind. 6.6. Fazit Man könnte so etwas wie eine „Bilanz“ des Ikaromenipp an dieser Stelle versuchen. Mit ,Fazit‘ meine ich hier die Beantwortung von Fragen wie: Was gibt es oder was bleibt „am Ende“? Auf welche Fragen bietet dieser Dialog eine Antwort? Mit welcher „Botschaft“ entlässt er die Zuhörer? Was am Ende bleibt, sind die Zweifel und das Misstrauen gegenüber einer Philosophie, die in sich uneinig und in ihren Grundlagen schwach ist und von sehr suspekten Figuren betrieben wird. Hinzu kommen die Götter, die zum Teil noch die homerischen26 sind und daher ziemlich vertraut und in diesem Sinne den Menschen noch _____________ 25 Icar. 33: Εἰπόντος ταῦτα τοῦ Διὸς ἡ ἐκκλησία διετεθορύβητο, καὶ εὐθὺς ἐβόων ἅπαντες, κεραύνωσον, κατάφλεξον, ἐπίτριψον, ἐς τὸ βάραθρον, ἐς τὸν Τάρταρον, ὡς τοὺς Γίγαντας. ἡσυχίαν δὲ ὁ Ζεὺς αὖθις παραγγείλας, Ἔσται ταῦτα ὡς βούλεσθε, ἔφη, καὶ πάντες ἐπιτρίψονται αὐτῇ διαλεκτικῇ [...] ἐς νέωτα οὖν ἀρχομένου ἦρος κακοὶ κακῶς ἀπολοῦνται τῷ σμερδαλέῳ κεραυνῷ. ‘ ἦ καὶ κυανέῃσιν ἐπ᾽ ὀφρύσι νεῦσε Κρονίων ’ [Il. 1, 528]. 26 Götter und Menschen können kraft der traditionell etablierten kultischen Formen miteinander unproblematisch kommunizieren. Es ist nicht einmal notwendig, eine neue Sprache zu lernen, um sich mit einem Gott unterhalten zu können. Der einzige Unterschied liegt in der Lautstärke: Zeus redet natürlich, d. h. erwartungsgemäß, mit „Donnerstimme“ (Icar. 23: ὁ δὲ Ζεὺς μάλα φοβερῶς, δριμύ τε καὶ τιτανῶδες εἰς ἐμὲ ἀπιδών, φησί· ‘ Τίς πόθεν εἶς ἀνδρῶν, πόθι τοι πόλις ἠδὲ τοκῆες; ’ [Od. 1, 170] Ἐγὼ δὲ ὡς τοῦτ᾽ ἤκουσα, μικροῦ μὲν ἐξέθανον ὑπὸ τοῦ δέους, εἱστήκειν δὲ ὅμως ἀχανὴς καὶ ὑπὸ τῆς μεγαλοφωνίας ἐμβεβροντημένος. χρόνῳ δ᾽ ἐμαυτὸν ἀναλαβὼν ἅπαντα

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„nah“ sind. Unter ihnen ist Zeus sehr prominent. Obwohl sie offenbar um die Vermeidung eines „zu engen“ Kontaktes mit der menschlichen Welt (wie etwa den eines direkten und unangemeldeten Besuchs eines Menipp)27 bemüht sind, nehmen sie die Welt, das Leben und die Bedürfnisse der Menschen durchaus wahr und wissen um den häufigen Wahnund Unsinn dieses Lebens und seiner Bedürfnisse. Den entsprechend wahn- und unsinnigen Herausforderungen, die (z. B. in Form von Gebeten) aus der Sphäre der Sterblichen bis hin zu der der Unsterblichen drängen, sind diese Götter jedoch nur zum Teil gewachsen. Es handelt sich um Götter, die sehr viel können, doch bei weitem können sie nicht alles, und das Unmögliche, nämlich eine radikale Beseitigung der menschlichen Irrtümer, schon gar nicht.28 Die zwei Sphären, die der Menschen und die der Götter, sind durchaus nicht getrennt. Zwischen ihnen bestehen im Grunde eine Kommuni_____________ διηγούμην σαφῶς). Unter dieser Perspektive ist m. E. auch die wirklich massive Präsenz von Zitaten aus und Anspielungen auf Homer zu subsumieren. Man kann nun dieses auffällige Phänomen etwas mechanisch folgendermaßen zu erklären versuchen: Lukian, der diese homerischen Teile in seiner menippeischen Quelle vorfand, übernahm sie (wie genau und inwieweit, ist eine andere Frage) in seiner „Bearbeitung“, dem Ikaromenipp. Es scheint mir allerdings möglich, hier eine mehr balancierte und weniger grobschlächtige Alternative vorzuschlagen. Die homerische Färbung könnte nämlich funktional sein. Natürlich bedeutet die homerisierende Sprache, dass Lukian seine Götter in homerischem Gewand auftreten lassen wollte, doch diese Behauptung kommt einer petitio principii gefährlich nahe und wirft bestenfalls die Frage erneut auf, warum Lukian dies tat. Die Lage ist vielleicht weniger banal, als man zu denken geneigt sein könnte. Lukian sah sich mit der künstlerischen Entscheidung konfrontiert, seine Götter reden zu lassen. Eine nicht besonders konnotierte Prosa zu verwenden, brachte das hohe Risiko mit sich, nicht „prägnant“ genug, d. h. letztlich nicht erfolgreich zu sein. Eine andere Ausdrucksform als die homerische zu wählen, hätte bedeutet, sich für Formen und Modelle aus den theologischen Ausarbeitungen, welche philosophische Schulen wie Platonismus oder Stoizismus entwickelt hatten, um über das Göttliche zu reden, entscheiden zu müssen. Beide „Extreme“, Götter und Menschen, sind also auch in dieser Hinsicht einander sehr nah. Eine Gottheit scheint ein unmittelbar erreichbares und unproblematisch zugängliches Gegenüber für einen Menschen zu sein. 27 Icar. 22: καταλαμβάνω τε πάντας ἅμα συγκαθημένους οὐδὲ αὐτοὺς ἀφρόντιδας· ὑπετάραττε γὰρ ἡσυχῇ τὸ παράδοξον μου τῆς ἐπιδημίας, καὶ ὅσον οὐδέπω πάντας ἀνθρώπους ἀφίξεσθαι προσεδόκων τὸν αὐτὸν τρόπον ἐπτερωμένους, 34: Περὶ δὲ τουτουὶ Μενίππου ταῦτα, ἔφη, μοι δοκεῖ· περιαιρεθέντα αὐτὸν τὰ πτερά, ἵνα μὴ καὶ αὖθις ἔλθῃ ποτέ, ὑπὸ τοῦ Ἑρμοῦ ἐς τὴν γῆν κατενεχθῆναι τήμερον. 28 So ist u. a. die Passage Icar. 25 über die „skeptische Ratlosigkeit“ des Zeus (ἐπὶ μιᾶς δέ τινος εὐχῆς καὶ ἀποροῦντα αὐτὸν ἐθεασάμην· δύο γὰρ ἀνδρῶν τἀναντία εὐχομένων καὶ τὰς ἴσας θυσίας ὑπισχνουμένων οὐκ εἶχεν ὁποτέρῳ μᾶλλον ἐπινεύσειεν αὐτῶν, ὥστε δὴ τὸ Ἀκαδημαϊκὸν ἐκεῖνο ἐπεπόνθει καὶ οὐδέν τι ἀποφήνασθαι δυνατὸς ἦν, ἀλλ᾽ ὥσπερ ὁ Πύρρων ἐπεῖχεν ἔτι καὶ διεσκέπτετο) zu verstehen.

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kation29 und eine Beziehung, die beide – trotz ihrer im Grunde sehr einfachen Art – gar nicht leicht sind. In dieser Beziehung haben die Götter die Rolle von höheren Mächten, die Dinge gewähren und regeln, während die Menschen, weil sie schwach sind, als die Bittenden erscheinen. Die Götter bemühen sich darum, diese Kommunikation mit den Menschen aufrecht _____________ 29 An unterschiedlichen Stellen des Werkes wird diese Kommunikation zwischen Göttern und Menschen thematisiert. Diese scheint hauptsächlich (vgl. die ebenso lustige wie in ihrem Ursprung umstrittene Szene des Gebetsaudienzsaals, τὸ ἐπηκοώτατον, mit seinen θυρίδες in Icar. 23 [καὶ ἅμα ἐξαναστὰς ἐβάδιζεν ἐς τὸ ἐπηκοώτατον τοῦ οὐρανοῦ· καιρὸς γὰρ ἦν ἐπὶ τῶν εὐχῶν καθέζεσθαι] und 25 [Τοιαῦθ᾽ ἅμα διεξιόντες ἀφικνούμεθα ἐς τὸ χωρίον ἔνθα ἔδει αὐτὸν καθεζόμενον διακοῦσαι τῶν εὐχῶν. θυρίδες δὲ ἦσαν ἑξῆς τοῖς στομίοις τῶν φρεάτων ἐοικυῖαι πώματα ἔχουσαι, καὶ παρ᾽ ἑκάστῃ θρόνος ἔκειτο χρυσοῦς. καθίσας οὖν ἑαυτὸν ἐπὶ τῆς πρώτης ὁ Ζεὺς καὶ ἀφελὼν τὸ πῶμα παρεῖχε τοῖς εὐχομένοις ἑαυτόν]; vgl. WEINREICH [1929], bes. die Lit. in der Anm. 56 auf S. 369, und ANDERSON [1980]) in der Form des Gebets stattzufinden. Da die Gebete von den Menschen kommen, sagen sie entsprechend über diese letzteren etwas aus, und das Bild von der Menschheit, welches daraus resultiert, ist für sie durchaus nicht schmeichelhaft, sondern markiert negativ und – trotz des witzigen Tons der Erzählung – z. T. hoffnungslos. Einige exemplarische Beispiele von Gebeten werden in Icar. 25 vorgeführt. Zwar wird am Anfang dieser Passage von den Gebeten im Allgemeinen gesagt, dass sie „unterschiedlich und bunt“ sind (εὔχοντο δὲ πανταχόθεν τῆς γῆς διάφορα καὶ ποικίλα), doch es ist ganz offenkundig, dass sie grundsätzlich in zwei Kategorien zerfallen. Jeder Mensch ist ausschließlich auf sein eigenes partikuläres Interesse aus. Nun gilt besagtes Interesse zum einen materiellen Gütern (im weitesten Sinne des Wortes) und, zum anderen, ist der Charakter vieler Wünsche intrinsisch böse, vgl. Icar. 25 (mit modifizierter Interpunktion als in MACLEODS OCT): ὁ Ζεὺς...παρεῖχε τοῖς εὐχομένοις ἑαυτόν· εὔχοντο δὲ πανταχόθεν τῆς γῆς διάφορα καὶ ποικίλα. συμπαρακύψας γὰρ καὶ αὐτὸς ἐπήκουον ἅμα τῶν εὐχῶν. ἦσαν δὲ τοιαίδε· „Ὦ Ζεῦ, βασιλεῦσαί μοι γένοιτο”, „Ὦ Ζεῦ, τὰ κρόμμυά μοι φῦναι καὶ τὰ σκόροδα”, „Ὦ θεοί, τὸν πατέρα μοι ταχέως ἀποθανεῖν”, ὁ δέ τις ἂν ἔφη· „Εἴθε κληρονομήσαιμι τῆς γυναικός”, „Εἴθε λάθοιμι ἐπιβουλεύσας τῷ ἀδελφῷ”, „Γένοιτό μοι νικῆσαι τὴν δίκην”, „Δὸς στεφθῆναι τὰ Ὀλύμπια”. τῶν πλεόντων δὲ ὁ μὲν βορέαν εὔχετο ἐπιπνεῦσαι, ὁ δὲ νότον, ὁ δὲ γεωργὸς ᾔτει ὑετόν, ὁ δὲ γναφεὺς ἥλιον. Natürlich könnte man die narrative Ebene verlassen und sagen, dass die Sorgen um die materiellen Problemen des Lebens an und für sich nicht unbedingt etwas Schlechtes sind (ein Bauer hat z. B. sicherlich das Recht, um das Gedeihen seines Anbaus zu beten [Ὦ Ζεῦ, τὰ κρόμμυά μοι φῦναι καὶ τὰ σκόροδα]), und man darf schließlich auch nicht vergessen, dass ein ähnlicher „Materialismus“ überaus viele der überlieferten „wahren“ Gebete aus der griechisch-lateinischen Antike prägte. Doch wenn man auf der narrativen Ebene bleibt (also kein „an und für sich“, sozusagen), ist kaum zu übersehen, dass Lukian hier ein sehr negatives Bild skizzieren will, denn, wenn ein Mensch betet, sind entweder kurzsichtiger, kleinlicher Materialismus oder schiere Bosheit die unerfreuliche Alternative. Da nun die negative Präsentation der menschlichen Natur qua talis offenkundig eine Konstante im ganzen Werk ist (vgl. Icar. 17-19), könnte man für den speziellen Fall des Gebets zusammenfassend sagen, dass die Gebete schlecht sind, weil die Menschen, d. h. ihre Urheber, ebenfalls schlecht sind.

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zu erhalten und diese Beziehung nicht in die Brüche gehen zu lassen, indem sie die menschliche Existenz berücksichtigen und ein offenes Ohr für die Stimmen der Menschen haben;30 mit anderen Worten: nicht nur üben sie ihre Macht einfach aus, sondern sie verwalten sie absichtlich für bestimmte Zwecke.31 Entsprechend versuchen sie also, den mannigfaltigen Verpflichtungen, die ihre Rolle mit sich bringt, „gewissenhaft“ nachzukommen. Sie bewahren dabei auch einen guten Sinn für Gerechtigkeit und verwalten die Welt so, wie es für die sinnvollen Wünsche und die objektiven Notwendigkeiten ihrer Bewohner zuträglich und billig ist. Die Götter wissen also von ihren Verpflichtungen und von den menschlichen Erwartungen an sie; doch die „Privilegien“, die ihnen zustehen, und die Forderungen, welche sie umgekehrt den Menschen stellen dürfen, sind ihnen ebenfalls bewusst. Als „Belohnung“ für ihre „Dienste“ verlangen die Götter „Aufmerksamkeit“32 von den Menschen, in Form von Opfern und kultischer Verehrung (d. h. Ritualen und Bauten), wie es auch (könnte man sagen) recht und billig ist. Die Welt, die uns Menipp vor Augen führt, ist ganz einfach und sozusagen „noch in Ordnung“; sie enthält keine Gründe zur Sorge und zum übermäßigen Kummer oder zur Beunruhigung. In ihr gibt es die zwei Gruppen der Menschen und der Götter (für das etwas unheimliche Wesen der Dämonen, die etwa Plutarch und die späteren Neuplatoniker beschäftigten, gibt es keinen Platz). Die Beziehungen zwischen ihnen sind seit immer bekannt, klar definiert und eigentlich einfach (auch die Unberechenbarkeit der homerischen Götter ist verschwunden). Die Götter sind bereit, den Menschen zu helfen, doch diese irren weiter. Der Grund für diese Irrtümer ist allein im Menschen zu suchen. Doch auf Verbesserung besteht weiterhin noch Hoffnung (wenn der Schlusssatz nicht sarkastisch _____________ 30 Icar. 24: Μεταξύ τε προϊὼν ἀνέκρινέ με περὶ τῶν ἐν τῇ γῇ πραγμάτων, τὰ πρῶτα μὲν ἐκεῖνα, πόσου νῦν ὁ πυρός ἐστιν ὤνιος ἐπὶ τῆς Ἑλλάδος, καὶ εἰ σφόδρα ὑμῶν ὁ πέρυσι χειμὼν καθίκετο, καὶ εἰ τὰ λάχανα δεῖται πλείονος ἐπομβρίας. 31 Vgl. die „Verwaltungssprache“ in Icar. 26-7: Ἐπεὶ δὲ ἱκανῶς ἐχρημάτισε ταῖς εὐχαῖς, ἐπὶ τὸν ἑξῆς μεταβὰς θρόνον καὶ τὴν δευτέραν θυρίδα κατακύψας τοῖς ὅρκοις ἐσχόλαζε καὶ τοῖς ὀμνύουσι. χρηματίσας δὲ καὶ τούτοις καὶ τὸν Ἐπικούρειον Ἑρμόδωρον ἐπιτρίψας μετεκαθέζετο ἐπὶ τὸν ἑξῆς θρόνον κληδόσι καὶ φήμαις καὶ οἰωνοῖς προσέξων. εἶτ᾽ ἐκεῖθεν ἐπὶ τὴν τῶν θυσιῶν θυρίδα μετῄει, δι᾽ ἧς ὁ καπνὸς ἀνιὼν ἀπήγγελλε τῷ Διὶ τοῦ θύοντος ἑκάστου τοὔνομα. ἀποστὰς δὲ τούτων προσέταττε τοῖς ἀνέμοις καὶ ταῖς ὥραις ἃ δεῖ ποιεῖν· Τήμερον παρὰ Σκύθαις ὑέτω, παρὰ Λίβυσιν ἀστραπτέτω, παρ᾽ Ἕλλησι νιφέτω, σὺ δὲ ὁ Βορέας πνεῦσον ἐν Λυδίᾳ, σὺ δὲ ὁ Νότος ἡσυχίαν ἄγε, ὁ δὲ Ζέφυρος τὸν Ἀδρίαν διακυμαινέτω, καὶ τῆς χαλάζης ὅσον μέδιμνοι χίλιοι διασκεδασθήτωσαν ὑπὲρ Καππαδοκίας. (27) Ἁπάντων δὲ ἤδη σχεδὸν αὐτῷ διῳκημένων ἀπῄειμεν ἐς τὸ συμπόσιον. 32 Icar. 24: μετὰ δὲ ἠρώτα εἴ τις ἔτι λείπεται τῶν ἀπὸ Φειδίου καὶ δι᾽ ἣν αἰτίαν ἐλλείποιεν Ἀθηναῖοι τὰ Διάσια τοσούτων ἐτῶν, καὶ εἰ τὸ Ὀλυμπίειον αὐτῷ ἐπιτελέσαι διανοοῦνται, καὶ εἰ συνελήφθησαν οἱ τὸν ἐν Δωδώνῃ νεὼν σεσυληκότες.

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ist), sogar für den schlimmeren Fall der Philosophen. Menipp eilt also zur Agora mit seiner ernüchternden und bekehrenden Botschaft direkt aus dem Himmel. Nichts scheint dem Autor des Ikaromenipp ferner gelegen zu haben, als die Existenz und das Wirken der Götter zu leugnen. Ganz im Gegenteil bilden diese das Zentrum des Werkes. Trotz des paradoxen Tons und der satirischen Form scheint also diese Schrift am Ende auf das Gleiche wie z. B. die frommen und traditionalistischen platonischen Vorträge eines Maximus von Tyros hinauszulaufen. Von dem „kräftigeren“ ironischen Ton anderer Werke (wie z. B. JConf. oder JTrag.), in denen nichts verschont bleibt, ist Lukian im Ikaromenipp vollkommen fern. Ich beeile mich jedoch zu sagen, dass ein derartiges Fazit zu wagen, aus dem Paradox, welches dieses Werk von Anfang bis Ende ist, herauszukommen bedeutet, um sich in die hypothetische Sphäre der Reflexionen, die ein Rezipient nach der Aufführung oder Lektüre hätte anstellen können, hineinzubewegen.

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7. Juppiter tragoedus The mind, which has feasted on the luxurious wonders of fiction, has no taste of the insipidity of truth. S. JOHNSON, Preface to Shakespeare (1756) Come dire che nell’aiuola della retorica non c’è fiore da cui non sia possibile spremere una goccia di misterioso e ironico miele. G. BUFALINO, Cere perse (1985)

Zusammen mit wenigen anderen gehört der Juppiter tragoedus zu den bekanntesten und am häufigsten untersuchten Werken Lukians. Aus diesem Grund ist es ratsam, darauf zu verzichten, Altbekanntes zu wiederholen, um stattdessen auf Aspekte, welche einen gewissen Fortschritt für die Studien (wenngleich nur auf spezielle Präzisierungen beschränkt) bedeuten können, aufmerksam zu machen. 7.1. Datierung Für eine genaue Datierung des Werkes gibt es keine sicheren Anhaltspunkte. Man kann allerdings auf Grund stilistisch-technischer Beobachtungen J. BOMPAIRE ohne weiteres zustimmen, wenn er sagt: «De toute façon il appartient à la maturité de l’auteur».1 Viel diskutiert worden sind auch die Fragen (1.) der möglichen inhaltlichen und chronologischen Beziehungen innerhalb der vermeintlichen „Dialogtrias“ JConf., JTr. und Deor. Conc. und dabei insbesondere (2.) die Frage der Bezüge zwischen den ersten beiden Dialogen.2 Berührungspunkte in der Thematik und der Aufbautechnik sind unübersehbar, doch bis heute ist es der Forschung m. E. noch nicht gelungen, über eine Vielfalt an mehr oder weniger sinnvollen Hypothesen hinaus sichere, allgemein akzeptierte Erkenntnisse herauszuarbeiten.3 _____________ 1 2 3

BOMPAIRE (2003), 3 (ebd. auch eine Übersicht über die verschiedenen Datierungsversuche). – Die Ausgabe Zeus’ tragische rol. Inleiding, vertaling, aantekeningen verzorgd door T.H. JANSSEN, Amsterdam: Boom, 1994, war mir nicht zugänglich. Vgl. z. B. HELM (1906), 115ff.; BOMPAIRE (1958), 497ff.; kritisch dagegen ANDERSON (1976d), 269f. Sehr symptomatisch ist in dieser Hinsicht der höchst spekulative Beitrag von GAZZA (1956).

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7.2. Titel Der Titel τραγῳδός bezieht sich nicht auf eine wie auch immer geartete „theatralische Dimension“ der Zeus-Figur im Dialog, wie z. B. BOMPAIRE vermutet.4 Aus dem Text selbst lässt sich nämlich leicht und unmissverständlich der simple Sinn entnehmen, in welchem das Beiwort τραγῳδός aufzufassen ist, nämlich in Zusammenhang mit der fürchterlichen und gefährlichen Situation (3: Ἐν ἐσχάτοις, ὦ ῞Ηρα, τὰ θεῶν πράγματα, 4: ὁρᾶτε τὸν κίνδυνον, ὡς ἐν στενῷ παντάπασι τὰ ἡμέτερα), in der die Götter und – quasi stellvertretend für sie – Zeus im Dialog dargestellt sind, kurz: ,tragisch‘ ist die Situation auf Grund des hohen, ihr innewohnenden Risikos, nicht die Figur Zeus. Dieser Situation wird dann – gemäß einem Prinzip, welchem Lukian auch an anderer Stelle folgt5 – auch die Sprachform einfach angepasst: daher die Iamben der Tragödie und die Hexameter des Epos.6 Bereits ein altes Scholion hatte dies völlig richtig gesehen.7 7.3. Götterbilder im JTr. (1. Teil) Zwar ist Zeus der Hauptdarsteller bzw. Hauptwortführer in der dialogischen Piece, doch m. E. kann nicht behauptet werden, dass diese Figur von Lukian mit ausreichend prägnanten und charakteristischen Zügen gezeichnet wurde, um sich über den Status einer gesichtslosen Stimme in einem Dialog hinaus zu erheben und damit zu einem echten Charakter, einem Rundbild sozusagen, zu werden. Zwar weist der Zeus vom JTr. menschliche Emotionen oder Haltungen wie Furcht8, Unentschlossen_____________ 4

5 6 7

8

BOMPAIRE (2003), 3 (meine Hervorhebung): «Le principal, Zeus, est un personnage de tragédie: c’est le sens du titre ‘Zeus tragédien’». Für die restlichen Belege von τραγῳδός im lukianischen Werk im Sinne von „(tragischem) Schauspieler“ vgl. KARAVAS (2005), 200. Über Zeus in der Tragödie vgl. LIBRÁN MORENO (2001). Vgl. z. B. De sacr. 9: ‘οἱ δὲ θεοὶ πὰρ Ζηνὶ καθήμενοι’ – πρέπει γάρ, οἶμαι, ἄνω ὄντα μεγαληγορεῖν. JTr. 5: Δεινὰ ταῦτα ὡς ἀληθῶς, καὶ οὐ μάτην, ὦ Ζεῦ, ἐπετραγῴδεις αὐτοῖς, 33: Παῦε, ὦ Ἑρμαγόρα βέλτιστε, τραγῳδῶν (= «hör auf, in Iamben zu sprechen»). Scholia in Lucianum, p. 57f. RABE: ἡ τραγῳδία πεπλήρωται συμφορῶν. ἐπεὶ οὖν ἐν συμφορᾷ νῦν ὁ Ζεύς ἐστιν, εἰκότως αὐτὸν ὡς τραγῳδὸν ὑποτίθεται· διὰ τοῦτο γὰρ καὶ διὰ ἰάμβων τραγικῶν διαλέγονται αὐτῷ ῞Ηρα καὶ Ἀθηνᾶ, καὶ αὐτὸς δὲ δι᾿ ἰάμβων πρὸς αὐτὰς ἀποκρίνεται . JTr. 15: βούλομαι δὲ ἤδη…αὐτὰ ὑμῖν δηλῶσαι σαφῶς, ἐφ᾿ οἷς διαταραχθεὶς συνήγαγον τὴν ἐκκλησίαν, 45: ΜΩΜΟΣ. Τοῦτ᾿ ἐγὼ πρὸ πολλοῦ ἠπιστάμην ἐροῦντα τὸν ἄνθρωπον. τί δ᾿ οὖν, ὦ Ζεῦ, ὠχρίακας ἡμῖν καὶ συγκροτεῖς τοὺς

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heit9, Resignation10, leichte Reizbarkeit11 und sogar eine gewisse Geldgier bzw. einen gewissen „Materialismus“12 auf und ist auch auf ein gewisses äußeres Dekorum bedacht,13 doch bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass es sich dabei eigentlich um Einwürfe und Sätze handelt, deren Funktion sich lediglich darin erschöpft, eine jede Phase der dialogischen Handlung reibungslos und auf natürliche Weise zur nächsten überzuleiten und ihre Gesamtabfolge nicht ins Stocken geraten zu lassen. Ihre Funktion ist also strukturell, nicht charakterisierend;14 sie fällt den Philologen, nicht dem Publikum auf. Ähnliches gilt, in stärkerer Form, auch für die anderen kleineren Götterfiguren. Diese Beobachtung kann vielleicht durch eine zusätzliche Anmerkung verstärkt werden. In Bezug auf die Pragmatik der „Aufführung“ dieses Werkes hat J. COENEN in einer Passage von exemplarischer Klarheit seines Kommentars von einem „Ein-Mann-Theater“ gesprochen.15 Dies scheint mir keine besonders glückliche Wortwahl, denn sie legt Assoziationen nahe, die historisch kaum zu begründen sind. Gewiss hat Lukian einen Dialog wie JTr. nicht monoton vorgetragen.16 Inwieweit er während des Vortrags auch geschauspielert hat (z. B. durch eine gewisse Anpassung der Stimme an die verschiedenen Figuren und Situationen), d. h. ob und in_____________ 9 10 11

12 13 14

15 16

ὀδόντας ὑπὸ τοῦ τρόμου; θαρρεῖν χρὴ καὶ τῶν τοιούτων ἀνθρωπίσκων καταφρονεῖν. Vgl. inter multa alia JTr. 5: τί δ᾿ οὖν, ὦ Ἑρμῆ καὶ ῞Ηρα καὶ Ἀθηνᾶ, πράττοιμεν ἄν; συνευρίσκετε γὰρ καὶ αὐτοὶ τὸ μέρος, oder 53: ἡμεῖς δὲ τί ποιῶμεν ἐπὶ τούτοις;. JTr. 33: Τί οὖν ἔτι ποιεῖν λοιπόν, ὦ θεοί, ἢ ἀκροάσασθαι ἐπικύψαντας αὐτῶν;. JTr. 11: Τί γὰρ ἔδει παρεῖναι καὶ τοῦτον [d. h. den Koloss von Rhodos] ἐλέγξοντα τὴν τῶν ἄλλων μικρότητα καὶ ἐνοχλήσοντα τῇ καθέδρᾳ; 31: Τί τοῦτο ἀνεκάγχασας, ὦ Μῶμε; καὶ μὴν οὐ γελοῖα τὰ ἐν ποσί· παῦσαι κακόδαιμον, ἀποπνιγήσῃ ὑπὸ τοῦ γέλωτος. JTr. 7: Ἐχρῆν μὲν οὕτως, ἀλλ᾿ ὁ χρυσὸς ὅμως προτιμητέος. ΕΡΜΗΣ. Μανθάνω· πλουτίνδην κελεύεις ἀλλὰ μὴ ἀριστίνδην καθίζειν, καὶ ἀπὸ τιμημάτων. JTr. 5: ΕΡΜΗΣ. Ἀλλ᾿ οὔτε ἀγνοήσεται ταῦτα, ὦ Ζεῦ, ἐν φανερῷ ἐσομένης τῆς ἔριδος τοῖς φιλοσόφοις, καὶ δόξεις τυραννικὸς εἶναι μὴ κοινούμενος περὶ τῶν οὕτω μεγάλων καὶ κοινῶν ἅπασιν. So ist es z. B. in JTr. 5 natürlich nicht so, dass Lukian an dieser Stelle auf das vorhandene oder nicht vorhandene „tyrannische“ Wesen des Zeus die Aufmerksamkeit lenken möchte, sondern dieses bon mot des Hermes dient offensichtlich als begründende Überleitung zur Einberufung der Götterversammlung. COENEN (1977), CXL: «Lukian trug seine Dialoge als eine Art „Ein-Mann-Theater“ in öffentlichen Rezitationen vor [vgl. Pisc. 26 und Prom. es 2], so wie er vorher mit epideiktischen Reden aufgetreten war». Ein schönes Beispiel bietet COENEN (1977), Anm. zu JTr. 15 ‘ὦ ἄνδρες θεοί’: «Zeus hebt – dem Demosthenes folgend – mit ὦ ἄνδρες an, bemerkt dann seinen Fehler und verbessert sich rasch durch die Hinzufügung von θεοί. Im Vortrag ließ sich dies durch eine kleine Pause verdeutlichen». Zum Vortrag im Allgemeinen vgl. ROHDE (1914), 327 Anm. 1.

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wieweit sein Vortrag tatsächlich auch „theatralisch“ wurde, ist allerdings eine andere Frage. Vieles in Lukians Dialogen passiert nämlich nur indirekt. Die bahnbrechende Studie von A.R. BELLINGER hat z. B. brillant gezeigt, dass viele Details die Funktion hatten, dem Publikum verständlich zu machen, wer genau die im Vortragsfluss neu eintretenden bzw. sich abwechselnden Figuren waren.17 Es handelt sich um eine zwar klare, d. h. leicht nachvollziehbare, doch eben indirekte Identifizierung, denn das Publikum muss sie selbst nachvollziehen. Nun werden in der Regel auch die Reaktionen oder Emotionen einer Figur A nur in den Worten einer anderen Figur B, also wiederum nur indirekt, mitgeteilt.18 Ein gutes Beispiel dafür ist die schon zitierte Passage JTr. 45 (ΜΩΜΟΣ. …τί δ᾿ οὖν, ὦ Ζεῦ, ὠχρίακας ἡμῖν καὶ συγκροτεῖς τοὺς ὀδόντας ὑπὸ τοῦ τρόμου;).19 Lukian brauchte nicht schauspielerisch zu werden (er hätte es vielleicht im Falle solcher Zeichen auch schwer gekonnt…), wenn – wie hier – die individuelle Phantasie der Publikumsmitglieder20 die Aufgabe übernehmen musste, sich in Gedanken auszumalen, wie Zeus blass wurde und wie er anfing, mit den Zähnen zu klappern. Genau deswegen, weil also das Publikum und nicht der Autor in solchen entscheidenden Momenten „verantwortlich“ war, brauchte Lukian seine Götterfiguren nicht als plastische und kohärente Charaktere, wie jene, die von Schauspielern auf einer Bühne getragen werden, zu formen. Diese zentrale Rolle der Phantasie der Anderen wird umso klarer, sobald man überlegt, dass an manchen Stellen _____________ 17 BELLINGER (1928), 11ff.; COENEN (1977), CXL: «Da Lukian alle Rollen selbst sprach, mußte er die Identität seiner Personen nicht nur – wie im Bühnendrama üblich – bei ihrem ersten Auftritt enthüllen, sondern auch im weiteren Verlauf des Dialogs dafür Sorge tragen, daß den Zuhörern stets klar war, welche Rolle er gerade mimte». 18 Ein nur scheinbares Gegenbeispiel ist JTr. 14: ΖΕΥΣ. Ἀλλὰ νῦν, ὦ τέκνον, οὐκ οἶδα εἴτε ὑπὸ τοῦ μεγέθους τῶν ἐφεστώτων δεινῶν εἴτε καὶ ὑπὸ τοῦ πλήθους τῶν παρόντων–πολυθεωτάτη γάρ, ὡς ὁρᾷς, ἡ ἐκκλησία–διατετάραγμαι τὴν γνώμην καὶ ὑπότρομός εἰμι καὶ ἡ γλῶττά μοι πεπεδημένη ἔοικε. In dieser Stelle geht es um das Spiel mit dem sapphischen Hypotext (vgl. zuletzt CITTI [1992]), nicht um billige Mimik. Diese fanden die Zuhörer zur Genüge im Theater. 19 Vgl. auch JTr. 12: φιλονεικοῦσι γάρ, ὡς ὁρᾷς, 13: ΕΡΜΗΣ. Ἀλλ᾿, Ἡράκλεις, ὡς θορυβοῦσι τὰ κοινὰ καὶ τὰ καθ᾿ ἡμέραν ταῦτα βοῶντες, Διανομάς· ποῦ τὸ νέκταρ; ἡ ἀμβροσία ἐπέλιπεν· ποῦ αἱ ἑκατόμβαι; κοινὰς τὰς θυσίας, 30 [Apollon fällt in Trancezustand]: ΖΕΥΣ. Τί ποτε ἐρεῖς, ὦ τέκνον; ὡς τά γε πρὸ τοῦ χρησμοῦ ταῦτα ἤδη φοβερά· ἡ χρόα τετραμμένη, οἱ ὀφθαλμοὶ περιφερεῖς, κόμη ἀνασοβουμένη, κίνημα κορυβαντῶδες, καὶ ὅλως κατόχιμα πάντα καὶ φρικώδη καὶ μυστικά. 20 COENENS Anmerkung (COENEN [1977], CXLI): «Dieses Spiel mit der Phantasie und Kombinationsfähigkeit seines Publikums verlieh Lukians Vorträgen sicher einen besonderen Reiz», ist richtig, dennoch bleibt sie zu generell. Im Text versuche ich, sie zu präzisieren.

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neue Ereignisse dermaßen rasch aufeinander folgen, dass jeder für sich die kurzen Hinweise hat zwangsweise in seinem Kopf bildlich „ergänzen“ müssen, um der Entwicklung folgen zu können.21 Darüber hinaus fehlt uns ein weiteres, schlichtweg entscheidendes Element zum richtigen Verständnis solcher Details: wir wissen nicht, ob solche Bemerkungen, wie der oben zitierte Satz von Lukian selbst, mit Stimme und Mimik so vorgetragen wurden, dass sie vom Publikum als kleine Witze verstanden wurden. Wenn das der Fall war, dürfen sie natürlich nicht (mehr) als konstitutive Elemente eines Gottesbildes, welches dem Autor irgendwie vorschwebte und er in seinem Werk vielleicht auch nur indirekt vermitteln wollte, gelten, denn qua witzig oder lustig wurden sie höchstwahrscheinlich von den Rezipienten automatisch nicht ernst genommen, d. h. von ihnen unbewusst in die mentale Kategorie des Nicht-Wichtigen eingestuft.22 Offenbar (so könnte man es vorsichtig formulieren) war es nicht Lukians Absicht, dass sich das Publikum Zeus als eine klar umrissene Figur vorstellen sollte. Zeus ist nur eine Stimme, die Dinge erzählt. Nur aus diesen Äußerungen können wir ein Gottesbild rekonstruieren. Daher soll ihnen im Folgenden unsere Aufmerksamkeit gelten. 7.4. Götterbilder im JTr. (2. Teil) In JTr. 6 wird durch Hermes die Versammlung der Götter einberufen. Diese Stelle ist ein sehr gutes Beispiel einer (im Übrigen meisterhaften) rhetorischen Ausdehnung eines an sich kaum relevanten Momentes. Das Gleiche gilt ebenfalls für die Szene des Eröffnungsaktes der Versammlung selbst mit der nicht unproblematischen Einleitungsrede des Zeus (JTr. 1418). Ein Vergleich mit Deor. conc. 1 lehrt nämlich, dass sich Lukian bei einer sehr ähnlichen Szene auch kürzer zu fassen wusste.23 Hier ist man _____________ 21 JTr. 7: Εὖ γε, ὦ Ἑρμῆ, ἄριστα κεκήρυκταί σοι, καὶ συνίασι γὰρ ἤδη· ὥστε παραλαμβάνων κάθιζε αὐτοὺς, 13: ΕΡΜΗΣ. Οὐχ ἅπαντες, ὦ Ζεῦ, τὴν Ἑλλήνων φωνὴν συνιᾶσιν· ἐγὼ δὲ οὐ πολύγλωττός εἰμι, ὥστε καὶ Σκύθαις καὶ Πέρσαις καὶ Θρᾳξὶν καὶ Κελτοῖς συνετὰ κηρύττειν. ἄμεινον οὖν, οἶμαι, τῇ χειρὶ σημαίνειν καὶ παρακελεύεσθαι σιωπᾶν. ΖΕΥΣ. Οὕτω ποίει. ΕΡΜΗΣ. Εὖ γε, ἀφωνότεροι γεγένηνταί σοι τῶν σοφιστῶν. ὥστε ὥρα δημηγορεῖν. 22 Vgl. allerdings das ridendo dicere verum (Hor., Serm. I 1, 24), also den Fall, in welchem die lustige Form die Wahrnehmung eines ernst gemeinten Inhalts nicht verhindert. 23 Deor. conc. 1: σὺ δὲ κήρυττε, ὦ Ἑρμῆ, τὸ κήρυγμα τὸ ἐκ τοῦ νόμου. ΕΡΜΗΣ. Ἄκουε, σίγα. τίς ἀγορεύειν βούλεται τῶν τελείων θεῶν οἷς ἔξεστιν; ἡ δὲ σκέψις περὶ τῶν μετοίκων καὶ ξένων. – Vgl. JTr. 18: κήρυττε οὖν, ὦ Ἑρμῆ, τὸ κήρυγμα τὸ ἐκ τοῦ νόμου, ὡς ἀνιστάμενοι συμβουλεύοιεν. ΕΡΜΗΣ. Ἄκουε, σίγα, μὴ

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

sicher, was man vor sich hat: pure Rhetorik, die zum Zwecke reinen Entertainments eingesetzt wurde. Wie wichtig und wie häufig diese „ausschließlich rhetorischen“ Momente, die keine inhaltlichen Rückschlüsse zulassen, im JTr. sind, lässt sich durch zwei Beobachtungen etwas besser verdeutlichen. (a.) Manchmal hat man es im JTr. mit „Einschüben“ zu tun, bei denen keine strukturelle Funktion erkennbar ist. Diese Partien schmücken lediglich die Erzählung aus, gestalten sie lebendiger und feiner, wobei jedoch Hinweise darauf, dass man in ihnen eine besondere Bedeutung sehen bzw. suchen sollte, komplett fehlen. Diesen Fall hat man ganz offensichtlich in JTr. 15, wo Lukian eine kleine lustige διήγησις entfaltet, mit dem klaren Zweck, auch in Übergangspassagen, bei denen rein theoretisch auch ein einziger Satz ausgereicht hätte, nicht banal zu werden.24 Dieser Passus enthält nichts, was zur Vermutung veranlassen könnte, dass Lukian etwas über die menschliche Haltung bei den Opfern im Allgemeinen zum Ausdruck bringen wollte. (b.) Die Szene, in der Zeus zugeben muss, vor lauter Aufregung das Proömium seiner Eröffnungsrede vergessen zu haben und von Hermes den Rat bekommt, ein demosthenisches Proömium (Olynth. 1, 1-2) zu adaptieren, ist mit Sicherheit einer der heitersten Momente in der ganzen Piece. Die humoristische Pointe der ganzen Stelle liegt weder in der Verlegenheit des Zeus noch im ausgeklügelten Einfall des Hermes. Vielmehr evoziert Lukian hier anscheinend eine Szene, welche sich damals während der Deklamationen in Wirklichkeit vielleicht nicht so selten ereignet haben wird, und vielen unter den habitués als recht bekannt vorgekommen sein wird, nämlich das unerwartete, auf der großen Anspannung beruhende Versagen der professionellen Fähigkeiten des Rhetors (einige sensationelle Fiaskos dieser Art von berühmten „Rhetorik-Stars“ der Zweiten So-

_____________ τάραττε· τίς ἀγορεύειν βούλεται τῶν τελείων θεῶν, οἷς ἔξεστι; τί τοῦτο; οὐδεὶς ἀνίσταται, ἀλλ᾿ ἡσυχάζετε πρὸς τὸ μέγεθος τῶν ἠγγελμένων ἐκπεπληγμένοι;. 24 JTr. 15: Χθὲς γάρ, ὡς ἴστε, Μνησιθέου τοῦ ναυκλήρου θύσαντος τὰ σωτήρια ἐπὶ τῇ νηῒ ὀλίγου δεῖν ἀπολομένῃ περὶ τὸν Καφηρέα, εἱστιώμεθα ἐν Πειραιεῖ, ὁπόσους ἡμῶν ὁ Μνησίθεος ἐπὶ τὴν θυσίαν ἐκάλεσεν· εἶτα μετὰ τὰς σπονδὰς ὑμεῖς μὲν ἄλλος ἄλλην ἐτράπεσθε, ὡς ἑκάστῳ ἔδοξεν, ἐγὼ δὲ – οὐδέπω γὰρ πάνυ ὀψὲ ἦν – ἀνῆλθον ἐς τὸ ἄστυ ὡς περιπατήσαιμι τὸ δειλινὸν ἐν Κεραμεικῷ, ἐννοῶν ἅμα τοῦ Μνησιθέου τὴν μικρολογίαν, ὃς ἑκκαίδεκα θεοὺς ἑστιῶν ἀλεκτρυόνα μόνον κατέθυσε, γέροντα κἀκεῖνον ἤδη καὶ κορυζῶντα, καὶ λιβανωτοῦ χόνδρους τέτταρας εὖ μάλα εὐρωτιῶντας, ὡς αὐτίκα ἐπισβεσθῆναι τῷ ἄνθρακι, μηδὲ ὅσον ἄκρᾳ τῇ ῥινὶ ὀσφραίνεσθαι τοῦ καπνοῦ παρασχόντας, καὶ ταῦτα ἑκατόμβας ὅλας ὑποσχόμενος ὁπότε ἡ ναῦς ἤδη προσεφέρετο τῷ σκοπέλῳ καὶ ἐντὸς ἦν τῶν ἑρμάτων.

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phistik sind von Philostrat überliefert).25 Manche Signale im lukianischen Text scheinen in diese Richtung hinzudeuten.26 Wenn es so war, stünde man an dieser Stelle vor einem sehr subtilen Spiel von Parallelismen (Zeus : versammelte Götter = Rhetor : Publikum) und Gegensätzen (erfolgreicher [Lukian] vs. nicht-erfolgreicher [Zeus] Redner). 7.5. Götterbilderpolemik In JTr. 7 sind die gerufenen Götter schon da. Zeus befiehlt Hermes, ihnen ihre Sitzplätze κατὰ τὴν ἀξίαν zuzuweisen. Die unmittelbare Fortführung des Textes macht klar, dass mit dem Wort ἀξία nicht die besondere Würde und Macht eines jeden Gottes gemeint ist, sondern der materielle Wert ihrer „Substanz“ (Gold, Stein, Elfenbein usw.) und der Grad an Kunstfertigkeit ihrer Bearbeitung.27 Diesen Abschnitt hat man nun als eine Götterbilderpolemik Lukians deuten wollen und seine „These“ etwa so wiedergegeben: Dadurch, dass Lukian hier die Götter mit ihren materiellen Bildern gleichsetze, habe er eine irreligiöse Botschaft vermitteln wollen. Die Götter gebe es nicht, sie seien nichts weiter als die von einer menschlichen Hand angefertigten Artefakte, die man vor sich sehe. Diesbezüglich schreibt z. B. CLERC in seiner umfangreichen Spezialstudie: «Il présente l’assemblée des dieux comme une assemblée de statues. […] Ceux qui veillent sur le monde n’ont pas une autre nature que la matière inerte de leur vêtement».28

Die gleiche Meinung vertritt auch COENEN in seinem Kommentar.29 Sie ist allerdings schwerlich so uneingeschränkt haltbar und sollte neu erörtert werden. Die ganze Passage JTr. 7-12 ist nämlich bloß eine leichte und anmutige Parodie, ein literarischer Scherz, der sich in sich selbst erschöpft. Sein Zweck ist es zu zeigen, wie souverän und gleichzeitig reizvoll die rhetori_____________ 25 ANDERSON (1976b), 255; KORENJAK (2000), 108-10, bes. die Anm. 38 und 39 auf S. 108. 26 JTr. 14: Εὖ γε, ἀφωνότεροι γεγένηνταί σοι τῶν σοφιστῶν. […] οὕτω γοῦν οἱ πολλοὶ νῦν ῥητορεύουσιν. 27 JTr. 7: ὥστε παραλαμβάνων κάθιζε αὐτοὺς κατὰ τὴν ἀξίαν ἕκαστον, ὡς ἂν ὕλης ἢ τέχνης ἔχῃ, ἐν προεδρίᾳ μὲν τοὺς χρυσοῦς, εἶτα ἐπὶ τούτοις τοὺς ἀργυροῦς, εἶτα ἑξῆς ὁπόσοι ἐλεφάντινοι, εἶτα τοὺς χαλκοῦς ἢ λιθίνους, καὶ ἐν αὐτοῖς τούτοις οἱ Φειδίου μὲν ἢ Ἀλκαμένους ἢ Μύρωνος ἢ Εὐφράνορος ἢ τῶν ὁμοίων τεχνιτῶν προτετιμήσθων, οἱ συρφετώδεις δὲ οὗτοι καὶ ἄτεχνοι πόρρω που συνωσθέντες σιωπῇ ἀναπληρούντων μόνον τὴν ἐκκλησίαν. 28 CLERC (1915), 116. 29 COENEN (1977), 53f. mit Anm. 3.

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sche Befähigung des Autors die elementare Ausgangsvorstellung Götter = Götterbilder entwickeln kann; welche höchst raffinierten, neuen, lustigen Umformungen das literarische Talent des Rhetors aus diesem Thema hervorzaubern kann. Kurz, JTr. 7-12 kann als Demonstration rhetorischer Bravour angesehen werden. Lukian „deduziert“ eine ganze Reihe von humorvollen Kontradiktionen und Paradoxa aus der besagten „Gleichung“ und erfindet jeweils noch witzigere „Lösungen“ dafür. Dabei sind sowohl die ἀπορία als auch die λύσις von Grund auf gekünstelt und konstruiert, sie bleiben von Anfang bis Ende des Abschnitts auf der rein literarischen Ebene. Es handelt sich nicht um wahrhaftige Problemstellungen oder Beobachtungen der zeitgenössischen Realität.30 Es liegt nicht in Lukians Absicht, die theologisch-spekulative Frage nach der Bestimmung des größeren oder kleineren „Wertes“ einer Gottheit zu erörtern, und auch für die Annahme einer Polemik gegen bzw. Kritik an dem Aberglauben jener Individuen, welche einen Gott mit seinem Kultbild gleichsetzen würden, fehlt im Text jegliches Indiz, insbesondere – wohlgemerkt – eine auch nur indirekte und flüchtige Erwähnung der Zielscheibe dieser vermeintlichen Polemik! Einen jenseits jeden Zweifels klärenden Einblick in diese Technik sowie in die dahinter stehende Absicht gewährt die kurze Passage am Anfang von § 12, welche das Ende des vermeintlich polemischen Abschnittes über die Götterbilder darstellt: Ἰδοὺ πάλιν ἄλλο δύσλυτον καὶ τοῦτο· χαλκῶ μὲν γὰρ ἀμφοτέρω ἐστὸν καὶ τέχνης τῆς αὐτῆς, Λυσίππου ἑκάτερον τὸ ἔργον, καὶ τὸ μέγιστον, ὁμοτίμω τὰ ἐς γένος, ἅτε δὴ Διὸς παῖδε, ὁ Διόνυσος οὑτοσὶ καὶ Ἡρακλῆς. πότερος οὖν αὐτῶν προκαθίζει;

Für einen kurzen Moment ganz „nackt“, d. h. ohne den Schirm der regen dialogischen Form, wird hier die gekünstelte, im wörtlichen Sinne sophistische Art der „Schwierigkeiten“, die im JTr. bis zu dieser Stelle vorgeführt worden sind, deutlich erkennbar. Außerdem ist auch die Tatsache, dass diese Debatte am Ende ohne Lösung bleibt, und abrupt von Zeus abgebrochen wird,31 in dieser Hinsicht sehr signifikant. Es erscheint als ein klares Signal, dass Lukian diesen zwar schönen Spaß dennoch nicht über das richtige Maß hinaus übertreiben will. Er weiß, dass er zum richtigen Zeitpunkt aufhören sollte, damit den Zuhörern nicht langweilig wird. Ein weiterer Hinweis in diese Richtung ist wahrscheinlich auch, dass der prak_____________ 30 Nicht ernst zu nehmen sind dementsprechend Äußerungen wie z. B. JTr. 8: ἡ Βενδῖς δὲ αὕτη καὶ ὁ Ἄνουβις ἐκεινοσὶ καὶ παρ᾿ αὐτὸν ὁ Ἄττις καὶ ὁ Μίθρης καὶ ὁ Μὴν ὁλόχρυσοι καὶ βαρεῖς καὶ πολυτίμητοι ὡς ἀληθῶς. 31 JTr. 12: Διατρίβομεν, ὦ Ἑρμῆ, πάλαι δέον ἐκκλησιάζειν· ὥστε νῦν μὲν ἀναμὶξ καθιζόντων, ἔνθ᾿ ἂν ἕκαστος ἐθέλῃ, εἰσαῦθις δὲ ἀποδοθήσεται περὶ τούτων ἐκκλησία, κἀγὼ εἴσομαι τότε ἥντινα χρὴ ποιήσασθαι τὴν τάξιν ἐπ᾿ αὐτοῖς.

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tische Anlass zum Disput selbst offensichtlich ad hoc konstruiert und an sich ziemlich absurd ist. Um das ganze Problem ab ovo zu vermeiden, hätte es ja durchaus gereicht, wenn sich die Götter einfach in einem breiten Halbkreis, also alle in der ersten (und einzigen) Reihe sozusagen, angeordnet hätten. An Raum dürfte es im Himmel für eine solche Disposition wohl nicht gefehlt haben! Lukian brauchte ganz einfach einen Ansatzpunkt, worauf er sein rhetorisches Gebilde stützen konnte.32 Schließlich (und das ist der wichtigste Punkt) muss man sich vergegenwärtigen, dass Lukian an keiner Stelle hervorhebt, dass die Sprecher Statuen sind, sondern es jedem Leser überlässt, es für sich zu folgern – oder auch nicht. Diesen so wunderbar diskreten Weg zu gehen, ist nun eine sinnvolle Strategie für eine Polemik? Ein Vergleich mit zwei anderen Stellen bestätigt diese Gesamtdeutung. (1.) Aus Pro imag. 23 lernen wir, dass Lukian sehr wohl in der Lage war, zwischen einem Gott und seiner Statue zu differenzieren, und dass er „bei Bedarf“, d. h. wenn er glaubte, dass dies für seine Argumentation von Nutzen war, ohne Schwierigkeiten die konträre Position beziehen konnte.33 Man kann also die Stelle in JTr. schwerlich als Lukians persönliche Überzeugung betrachten. (2.) In Gall. 24 wird zunächst das, was in JTr. 8 nur eine nicht weiter ausgeführte Randbemerkung über den frappierenden _____________ 32 Daher scheint mir überhaupt nicht nötig, den Grund der (angeblichen) Schwierigkeiten dieses Abschnitts in einem nicht genug geglätteten Einschub menippeischen Guts sehen zu wollen, wie COENEN es tut (COENEN [1977], 54): «Schließlich könnte die Umständlichkeit des Verfahrens bei der Sitzordnung, die im krassen Gegensatz zur Dringlichkeit der zu behandelnden Frage steht, als Indiz dafür gewertet werden, daß diese Szene ursprünglich nicht für unseren Dialog erfunden wurde». Der Zitattext fährt dann so fort: «Doch diese Diskrepanz kann natürlich auch bewusst um ihrer komischen Wirkung willen geschaffen worden sein». Aber: (1.) Lukian legt im Text nicht den Akzent auf irgendeine „Diskrepanz“, und (2.) zu denken, dass sein Ziel nur eine derart einfache komische Wirkung war, ist eine Vergröberung. 33 Pro imag. 23: Τάχ᾿ ἂν οὖν φαίης, μᾶλλον δὲ ἤδη εἴρηκας, ἐπαινεῖν μέν σοι εἰς τὸ κάλλος ἐφείσθω· ἀνεπίφθονον μέντοι ποιήσασθαι τὸν ἔπαινον ἐχρῆν, ἀλλὰ μὴ θεαῖς ἀπεικάζειν ἄνθρωπον οὖσαν. ἐγὼ δὲ – ἤδη γάρ με προάξεται τἀληθὲς εἰπεῖν – οὐ θεαῖς σε, ὦ βελτίστη, εἴκασα, τεχνιτῶν δὲ ἀγαθῶν δημιουργήμασιν λίθου καὶ χαλκοῦ ἢ ἐλέφαντος πεποιημένοις· τὰ δὲ ὑπ᾿ ἀνθρώπων γεγενημένα οὐκ ἀσεβές, οἶμαι, ἀνθρώποις εἰκάζειν. ἐκτὸς εἰ μὴ σὺ τοῦτο εἶναι τὴν Ἀθηνᾶν ὑπείληφας τὸ ὑπὸ Φειδίου πεπλασμένον ἢ τοῦτο τὴν οὐρανίαν Ἀφροδίτην ὃ ἐποίησεν Πραξιτέλης ἐν Κνίδῳ οὐ πάνυ πολλῶν ἐτῶν. ἀλλ᾿ ὅρα μὴ ἄσεμνον ᾖ τὰ τοιαῦτα περὶ τῶν θεῶν δοξάζειν, ὧν τάς γε ἀληθεῖς εἰκόνας ἀνεφίκτους εἶναι ἀνθρωπίνῃ μιμήσει ἔγωγε ὑπολαμβάνω. – Für diese Unterscheidung vgl. auch Philops. 20: Ἀλλ᾿, ὦ Εὔκρατες, ἦν δ᾿ ἐγώ, ἔστ᾿ ἂν χαλκὸς μὲν ὁ χαλκός, τὸ δὲ ἔργον Δημήτριος ὁ Ἀλωπεκῆθεν εἰργασμένος ᾖ, οὐ θεοποιός τις ἀλλ᾿ ἀνθρωποποιὸς ὤν, οὔποτε φοβήσομαι τὸν ἀνδριάντα Πελλίχου, ὃν οὐδὲ ζῶντα πάνυ ἐδεδίειν ἂν ἀπειλοῦντά μοι.

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Unterschied zwischen Innen- und Außenseite einer Götterstatue ist,34 rhetorisch dezidiert ausgeweitet: λίθινοι δὲ ἢ χαλκοῖ ὅμως ἅπαντες ἢ οἵ γε πολυτελέστατοι αὐτῶν ἐλεφάντινοι ὀλίγον ὅσον τοῦ χρυσοῦ ἐπιστίλβον ἔχοντες, ὡς ἐπικεχράνθαι καὶ ἐπηυγάσθαι μόνον, τὰ δὲ ἔνδον ὑπόξυλοι καὶ οὗτοι, μυῶν ἀγέλας ὅλας ἐμπολιτευομένας σκέποντες.

ἐμαυτὸν [es spricht der Hahn Pythagoras] δὲ ἠλέουν ὅμοιον ὄντα τοῖς μεγάλοις ἐκείνοις κολοσσοῖς, οἵους ἢ Φειδίας ἢ Μύρων ἢ Πραξιτέλης ἐποίησεν· κἀκείνων γὰρ ἕκαστος ἔκτοσθεν μὲν Ποσειδῶν τις ἢ Ζεύς ἐστι πάγκαλος ἐκ χρυσίου καὶ ἐλέφαντος συνειργασμένος, κεραυνὸν ἢ ἀστραπὴν ἢ τρίαιναν ἔχων ἐν τῇ δεξιᾷ, ἢν δὲ ὑποκύψας ἴδῃς τά γ᾿ ἔνδον, ὄψει μοχλούς τινας καὶ γόμφους καὶ ἥλους διαμπὰξ πεπερονημένους καὶ κορμοὺς καὶ σφῆνας καὶ πίτταν καὶ πηλὸν καὶ τοιαύτην τινὰ πολλὴν ἀμορφίαν ὑποικουροῦσαν· ἐῶ λέγειν μυῶν πλῆθος ἢ μυγαλῶν ἐμπολιτευόμενον αὐτοῖς ἐνίοτε.

Durch seine Stellung in unterschiedlichen Kontexten gewinnt der gleiche Gedanke eine radikal andere Bedeutung. Was in JTr. 8 lediglich eine etwas despektierliche Bemerkung war, um den (übrigens völlig fiktiven) Kontrast zwischen den „ärmeren“ Götterbildern der Griechen und jenen der Barbaren, die viel kostspieliger sind, zu verschärfen,35 wird hier in Gall. 24, wie die Fortsetzung des Textes klar zeigt, zu einem artikulierten Sinnbild der Nichtigkeit der nur scheinbaren Vorteile einer Machtstellung.36 Er hat also paradoxerweise keinen eigenen, fest definierten Inhalt, sondern ist zunächst eine leere Form, die Lukian dann jeweils unterschiedlichen Zwecken frei anpasst. Hier von Überzeugung zu sprechen oder sogar an autobiographische Hintergründe Lukians aus seiner Zeit als Bildhauerlehrling zu denken,37 scheint mir auf Grund der vorangehenden Bemerkungen äußerst bedenklich.38 _____________ 34 Archäologische Erörterung in BÄBLER (2002), 226-9. 35 COENENS Anmerkung ad loc. (COENEN [1977], 58: «Goldstatuen waren in Griechenland ohnehin nicht üblich [vgl. H. BLÜMNER, in: RE, Bd. 7.2, 1912, 1570ff.]») mag zwar an sich historisch sicherlich richtig sein, doch sie scheint mir das Wesentliche zu verfehlen, denn Lukians Absicht war hier keine historische Genauigkeit. 36 Gall. 25: Οὐδέπω ἔφησθα τὸν πηλὸν καὶ τοὺς γόμφους καὶ μοχλοὺς οἵτινες εἶεν τῆς ἀρχῆς, οὐδὲ τὴν ἀμορφίαν ἐκείνην τὴν πολλὴν ἥτις ἐστίν. 37 CLERC (1915), 115: «Il y a quelque ironie à penser que ce contempteur des idoles avait débuté – de façon malheureuse, il est vrai – dans l’atelier d’un sculpteur [vgl.

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7.6. Das abschließende Streitgespräch Thematisches Zentrum des ganzen Werkes ist zweifelsohne das Streitgespräch zwischen dem Epikureer und dem Stoiker. Die genaue Herkunft der unterschiedlichen philosophischen Argumente und Begriffe, die diesen Abschnitt inhaltlich ausmachen, ist schon ausgiebig untersucht worden.39 An dieser Stelle möchte ich mich der Betrachtung der spezifischen Dimension oder des besonderen Tones dieser zweiköpfigen Debatte widmen. Was Inhalt und Handlungsablauf angeht, ist JTr. – insgesamt betrachtet – ein Werk ganz ohne Überraschungen. Sehr bald, schon am Anfang, wird dem Zuhörer klar, wie das Ganze am Ende ausgehen wird. Nach einer kurzen einleitenden Beschreibung der Ausgangssituation und ihrer Problematik, enthält 4 die grundsätzliche partitio, d. h. die knappe, fast schematische Ankündigung in disjunktiver Form der zwei Gegenthesen, die bis zuletzt debattiert werden.40 In 17 meldet Zeus die ersten Anzeigen von Schwäche bei dem Stoiker und die Präferenz der Mehrheit der Zuhörer für den Rivalen.41 In 34, also unmittelbar vor Beginn der Wiederaufnahme des Streitgesprächs selbst(!), erfährt man aus Zeus’ Mund, wer definitiv der Sieger sein wird.42 Die Debatte, welche anschließend beginnt und den ganzen zweiten Teil des Werkes bis zum Ende einnimmt, ist also, genau _____________ 38

39 40

41

42

Somn. 1-3]. Il semble qu’il ait gardé de cet apprentissage le cynisme de ceux qui ont hanté les coulisses, et qui savent comment se prépare le spectacle sacré». Vgl. treffend BRANHAM (1989), Anm. 81 auf S. 258f. [meine Hervorhebung]: «Lucian’s stance toward the gods and heroes of myth depends entirely on rhetorical context. For example, Lycinus blithely conflates myth and history in his arguments in support of the antiquity of mimic dance and is at least ostensibly serious when citing Castor and Pollux as the inventors of the Caryatic, a dance in honor of Artemis (Salt. 7-10). Similarly, there is nothing risible about the anthropomorphic goddesses of Olympus when they can serve to enhance an encomium of the emperor’s mistress in Im. and Pro Im. It is probably significant that these more conventional attitudes are assumed in works written for the emperor’s court». Vgl. BRUNS (1888) und (1889). JTr. 4: καὶ νῦν μετέωροι πάντες εἰσίν, ὁπότερος κρατήσει καὶ ἀληθέστερα δόξει λέγειν. ὁρᾶτε τὸν κίνδυνον, ὡς ἐν στενῷ παντάπασι τὰ ἡμέτερα, ἐν ἑνὶ ἀνδρὶ κινδυνευόμενα; καὶ δυοῖν θάτερον ἢ παρεῶσθαι ἀνάγκη, ὀνόματα μόνον εἶναι δόξαντας, ἢ τιμᾶσθαι ὥσπερ πρὸ τοῦ, ἢν ὁ Τιμοκλῆς ὑπέρσχῃ λέγων. JTr. 17: πλὴν ἐκεκμήκει γὰρ ἤδη καὶ πονήρως ἐφώνει καὶ τὸ πλῆθος εἰς τὸν Δᾶμιν ἀπέβλεπε, συνεὶς δὲ ἐγὼ τὸ κινδύνευμα τὴν νύκτα ἐκέλευσα περιχυθεῖσαν διαλῦσαι τὴν συνουσίαν. ἀπῆλθον οὖν εἰς τὴν ὑστεραίαν συνθέμενοι εἰς τέλος ἐπεξελεύσεσθαι τὸ σκέμμα, κἀγὼ παρομαρτῶν τοῖς πολλοῖς ἐπήκουον μεταξὺ ἀπιόντων οἴκαδε παρ᾿ αὑτοὺς ἐπαινούντων τὰ τοῦ Δάμιδος καὶ ἤδη παρὰ πολὺ αἱρουμένων τὰ ἐκείνου. JTr. 34: ὁ δὲ Τιμοκλῆς αὐτὸς οὐ πάνυ μοι ἀρέσκει ὑποτρέμων καὶ ταραττόμενος· ἀπολεῖ ἅπαντα οὗτος τήμερον· δῆλος γοῦν ἐστιν οὐδὲ ἀντάρασθαι τῷ Δάμιδι δυνησόμενος. ἀλλ᾿ ὅπερ ἡμῖν δυνατώτατον, εὐχώμεθα ὑπὲρ αὐτοῦ.

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genommen, gar keine (bereits kurz vor Ende wird die Siegesverkündigung antizipiert!).43 Zu betonen ist auch das Fehlen jeglichen Hinweises auf die Möglichkeit eines plötzlichen und unerwarteten Richtungswechsels im Disput. Dies deutet m. E. sehr stark darauf hin, dass Lukian von seinem Publikum überhaupt nicht erwartete, dass es diese (Pseudo-)Diskussion als regelrechte Auseinandersetzung verstehen würde: zu einer solchen groben Verwechslung gab es nämlich keinen Anlass.44 Somit kann man dem JTr. die Bezeichnung ,philosophischer Dialog‘ aus gutem Grund abstreiten. Sie ist unpräzise und verursacht nur Missverständnisse. JTr. ist kein philosophischer Dialog,45 sondern eine Satire, deren Stoff größtenteils philosophische Themen bilden, in der aber die „rhetorischen Momente“ (will sagen: die Zurschaustellung der Tüchtigkeit des Autors in seinem Metier) eindeutig zentral sind. Dieser Umstand ist bei einer Gesamtbetrachtung des Dialogs von entscheidender Bedeutung, denn es handelt sich hier um weitaus mehr als ein bloßes Detail unter vielen. Kraft seines Inhalts (des Bewusstseins nämlich, Zuschauer einer rhetorischen Demonstration gewesen zu sein) bietet sie sich als Grundperspektive an, welche den Sinn des Werkes determiniert. Alle in Bezug auf den religiösen Bereich potentiell „kritischen Motive“, denen man während der Lektüre begegnet, werden dadurch drastisch entschärft. Auch für IVO BRUNS’ Feststellung, wonach die stoischen Argumente des Timokles von der logischen Argumentationstechnik her alles andere als eine angemessene Artikulation finden,46 wird auf diese Weise eine neue und etwas präzisere Begründung geliefert. Der mangelnde Aufbau in der Argumentation geht nicht auf Lukians hastige Verarbeitung irgendeiner doxographischen Quelle zurück, sondern ist in perfekter Harmonie mit dem vom Autor intendierten, grundsätzlich rhetorischen Charakter des Werkes. Dieses plumpe Hinken, dieses absehbare Hin und Her zwischen der stoischen These und der epikureischen Widerlegung ist bewusst so offensichtlich und explizit konstruiert. Es hat die Funktion, das Publikum nicht zu verwirren: Jeder soll die ganze Zeit genau wissen, dass er gerade keine philosophische Vorlesung hört. Von dem Druck im Voraus befreit, _____________ 43 JTr. 50: ΜΩΜΟΣ. Ταυτὶ μὲν ἤδη κατὰ ῥοῦν προχωρεῖ τῷ Δάμιδι καὶ πλησίστιος ἐπὶ τὴν νίκην φέρεται. ΖΕΥΣ. Ὀρθῶς, ὦ Μῶμε, εἰκάζεις. ὁ δ᾿ οὐδὲν ἰσχυρὸν ὁ Τιμοκλῆς ἐπινοεῖ, ἀλλὰ τὰ κοινὰ ταῦτα καὶ καθ᾿ ἡμέραν ἄλλα ἐπ᾿ ἄλλοις εὐπερίτρεπτα πάντα ἐπαντλεῖ. 44 Ein möglicher Einwand lautet: Auch bei Platon weiß man meist schon im Voraus, welche These die richtige ist. Aber bei Platon ist die intrinsische Qualität, d. h. das Niveau der Argumentation viel höher als hier im JTr. Sie ist, mit anderen Worten, ernst gemeint und sehr streng durchgeführt. 45 So z. B. BOMPAIRE (2003), 3 und VII: «Ce sont des textes où l’intention philosophique est clairement présente». 46 BRUNS (1889), 389ff.

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aufmerksam sein zu müssen, um den Faden der Argumentation nicht zu verlieren, kann jeder sich zurücklehnen und das rhetorische „Spektakel“ genießen. Die rhetorische Grundhaltung, von der die Rede ist, ist nicht nur in der Anordnung der „Argumente“ im Disputteil von JTr. (35-52), sondern auch in ihrer Einzelgestaltung wirksam. So wird z. B. die am Beispiel der auf einem Schiff herrschenden Organisation exemplifizierte stoische Vision einer Weltordnung für Lukian Anlass zu einer ausführlichen Gegenbeschreibung des chaotischen Lebens auf besagtem Schiff, welche einer ἔκφρασις in der besten rhetorischen Tradition sehr nahe kommt.47 Ein noch deutlicheres Beispiel bietet die rhetorische Verzerrung des stoischen „Altäre-Syllogismus“.48 Aus diesem Blickwinkel betrachtet gewinnt vielleicht auch Zeus’ anscheinend nur flüchtige und nicht weiter wichtige Bemerkung am Anfang: ὁρᾶτε τὸν κίνδυνον, ὡς ἐν στενῷ παντάπασι τὰ ἡμέτερα, ἐν ἑνὶ ἀνδρὶ κινδυνευόμενα; (JTr. 4), fast die Bedeutung eines Augenzwinkerns vom Autor, als ob er damit, mit ganz unverhüllter Ironie den Schleier der Fiktion nur für einen Augenblick durchbrechend, etwa Folgendes sagen möchte: »Seht ihr? In diesem Dialog hängt das Schicksal aller Götter von einem einzigen Mann, vom Resultat einer einzigen Auseinandersetzung, also wohl der wahrhaftigen Krönung der Philosophie, dem ultimativen philosophischen Gespräch, welches die Sache ein für allemal entscheiden wird, ab. Ihr bemerkt also, wie schrecklich ernst die Lage, die ich euch gleich vorführen werde, ist!«. Durch die Annahme, dass das ganze Gewicht des Werkes auf die rhetorische Komponente verlagert ist, erklärt sich auch auf befriedigende Weise, dass die an und für sich schwerwiegende Behauptung in JTr. 18: Ταῦτ᾿ ἔστιν ἐφ᾿ οἷς ὑμᾶς συνεκάλεσα, οὐ μικρά, ὦ θεοί, εἰ λογιεῖσθε ὡς ἡ πᾶσα μὲν ἡμῖν τιμὴ καὶ δόξα καὶ πρόσοδος οἱ ἄνθρωποί εἰσιν,49 über welche man denken sollte, dass sie schwerlich ohne Konsequenzen bzw. ohne Entwicklungen im weiteren Verlauf der Komposition bleiben kann, von Lukian nur einmal und sehr am Rande erwähnt wird und ohne _____________ 47 JTr. 47-49. 48 JTr. 51: Ἴδοις γὰρ εἰ ἀκόλουθα ταῦτα συλλογίζομαι, καὶ εἴπῃ αὐτὰ δυνατόν σοι περιτρέψαι. εἰ γὰρ εἰσὶ βωμοί, εἰσὶ καὶ θεοί· ἀλλὰ μὴν εἰσὶ βωμοί, εἰσὶν ἄρα καὶ θεοί. τί πρὸς ταῦτα φής; ΔΑΜΙΣ. ῍Ην πρότερον γελάσω ἐς κόρον, ἀποκρινοῦμαί σοι. 49 Die vollständige Passage lautet: Ταῦτ᾿ ἔστιν ἐφ᾿ οἷς ὑμᾶς συνεκάλεσα, οὐ μικρά, ὦ θεοί, εἰ λογιεῖσθε ὡς ἡ πᾶσα μὲν ἡμῖν τιμὴ καὶ δόξα καὶ πρόσοδος οἱ ἄνθρωποί εἰσιν· εἰ δ᾿ οὗτοι πεισθεῖεν ἢ μηδὲ ὅλως θεοὺς εἶναι ἢ ὄντας ἀπρονοήτους εἶναι σφῶν αὐτῶν, ἄθυτα καὶ ἀγέραστα καὶ ἀτίμητα ἡμῖν ἔσται τὰ ἐκ γῆς καὶ μάτην ἐν οὐρανῷ καθεδούμεθα λιμῷ ἐχόμενοι, ἑορτῶν ἐκείνων καὶ πανηγύρεων καὶ ἀγώνων καὶ θυσιῶν καὶ παννυχίδων καὶ πομπῶν στερούμενοι.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Folgen bleibt. Wer sie zum „ideologischen“ Zentrum des ganzen Dialogs machen will,50 bleibt wenigstens eine (schwer lieferbare) Erklärung schuldig, nämlich weswegen sie, obwohl sie so wichtig ist, so wenig Relief bekommt. Aus dem gleichen Grund ist es zu weit hergeholt zu denken, dass Lukian implizit die Schlussfolgerung, dass die Götter extrem schwach oder beinahe ohnmächtig seien51 und vor allem, dass sie sich der Menschen nicht annähmen, hätte suggerieren wollen. Diese Götter haben nämlich einen solchen Anspruch nie erhoben, denn sie haben jenseits der Papyrusrolle, von der Lukian vorlas, keine weitere Existenz. Längst ist erkannt und hervorgehoben worden, dass die Figur des Damis auf Grund ihres impliziten Atheismus52 bei weitem nicht einem _____________ 50 Exemplarisch COENEN (1977), 54: «So werden die Götter, die doch den Anspruch erheben, für die Menschen zu sorgen, als in jeder Hinsicht von den Menschen abhängig dargestellt: Sie verdanken ihnen ihr Dasein (als Statuen) und ihre Fortexistenz (durch die Opfer […]) und das menschliche Denken – personifiziert in den beiden Philosophen – entscheidet über ihr Sein oder Nichtsein». So schon BLÜMNER (1867), 47f.: «Obgleich nun Lucian […] ein so grosser Bewunderer und Liebhaber der Kunst war, so giebt es doch einen Fall, in dem er zuweilen gezwungen ist [sic], ihr gleichsam entgegenzutreten: nämlich wenn er den Aberglauben seiner Zeit und die alte Religion, die durch die Götterbilder Nahrung und Stütze empfing, bekämpft. […] [S]o macht er sich auch lustig über die Klasse von Menschen [Aber wo sind im Text die konkreten Hinweise darauf, dass sich Lukian nur gegen eine bestimmte Gruppe wendet? In der Anm. 1 auf S. 48 scheint mir nämlich BLÜMNER überaus zu pauschalisieren und an der bloßen Oberfläche zu bleiben, wenn er schreibt: «Der alte Glaube und mit ihm der alte Aberglaube, bloss noch zehnmal ärger, fand jener Zeit hauptsächlich bei dem Landvolke und dem ungebildeten Haufen seine Zuflucht»], welche die Götterbilder nicht als Kunstwerke, sondern als die Götter selbst betrachten und anbeten [Aber hat es solche Menschen überhaupt je wirklich gegeben? Und, wenn es sie damals tatsächlich gab, warum hätten sie für einen raffinierten und elitären Rhetor wie Lukian überhaupt von Interesse sein sollen?]», ähnlich HELM (1906), 140 und BETZ (1961), 40. – Am drastischsten CASTER (1937), 205 [meine Hervorhebung]: «l’idée de Dieu, c’est une idée fausse en elle-même, elle ne s’alimente que de brouillards et de ténèbres, elle ni vit que dans les coins d’obscurité du cerveau humain, esse se décompose à la lumière. Chaque esprit clair tue les dieux, par définition. L’idée de Dieu ne continuera à planer au-dessus des hommes que dans la mesure précise où ils ne seront pas cultivés. C’est pourquoi il y aura toujours des dieux, puisqu’il y aura toujours une plèbe inculte et des Barbares: [JTr. 53] πολλῷ γὰρ οἱ τἀναντία γιγνώσκοντες πλείους, Ἑλλήνων ὁ πολὺς λεὼς βάρβαροί τε ἅπαντες». 51 BOMPAIRE (2003), VII (meine Hervorhebung): «Ce sont des textes où l’intention philosophique est clairement présente, dans un cadre souvent proche de la comédie: l’accent est mis sur l’impuissance des dieux (Zeus tragédien, Icaroménippe), sur leur injustice (Prométhée ou le Caucase), sur le ridicule des humains, notamment ceux des philosophes (Songe ou le coq […])», 3 mit Anm. 2. 52 Vgl. JTr. 17: ῏Ην δὲ ἄρα περὶ ἡμῶν ὁ πᾶς λόγος αὐτοῖς· ὁ μὲν γὰρ κατάρατος Δᾶμις οὔτε προνοεῖν ἡμᾶς ἔφασκε τῶν ἀνθρώπων οὔτ᾿ ἐπισκοπεῖν τὰ γινόμενα παρ᾿ αὐτοῖς, οὐδὲν ἄλλο ἢ μηδὲ ὅλως ἡμᾶς εἶναι λέγων· τοῦτο γὰρ αὐτῷ δηλαδὴ ὁ λόγος ἐδύνατο. Die gleiche pauschalisierende Gleichsetzung auch in JTr.

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wahrhaftigen, „orthodoxen“ Epikureer entspricht.53 Die Wiedergabe oder das Abbild davon, welches Lukian in JTr. präsentiert, ist also im Grunde historisch falsch. Früh und oft ist die Vermutung geäußert worden, dass er damit die ungenaue und oberflächliche Wahrnehmung des „populären“ Empfindens in Bezug auf die religiösen Ansichten des Epikureismus wiedergebe.54 In Anbetracht der Tatsache, dass JTr. ein Werk ist, welches zum Zweck seiner öffentlichen „Aufführung“ entstanden ist und von daher nicht marginal durch die Dialektik der lebendigen Interaktion mit einem Publikum lebt, ist jedoch viel angemessener – und viel ergiebiger – an dieser Stelle zu fragen, ob Lukian davon ausging, dass das Publikum diese seine „Fälschung“ erkenne. Diese Frage ist m. E. aus mindestens drei Gründen dezidiert zu bejahen, denn (1.) zumindest ein Teil des Publikums hatte in der Regel einen ziemlich hohen Bildungsgrad (οἱ πεπαιδευμένοι) – besonders in Athen, dem wahrscheinlichen Aufführungsort der Piece;55 (2.) die philosophische Bedeutung, um die es in diesem Falle geht,56 ist an sich sehr einfach und klar und war also wahrscheinlich wirklich nicht schwer zu verstehen, selbst für einfache Leute, und (3.) der parodistische Charakter der anhand bzw. in der Figur des Damis vollzogenen lukianischen Verzerrung dieses Begriffs ist an mehreren Stellen (um nicht zu sagen: durchgehend) transparent. All das lässt also nicht ohne Grund vermuten, dass das Publikum nicht nur das „Endprodukt“ der Parodie, nämlich die „Fälschung“ selbst, sondern auch ihren primären Stoff, nämlich eine im Volk weit verbreitete grobschlächtige Vorstellung des Epikureismus, gar bald erkannte. Es dürfte klar geworden sein, dass sich bei Lukian keinerlei Götterbilderpolemik finden lässt: Ganz eindeutig ging es dem Autor nicht darum, zu theologischen Fragen Position zu beziehen. Abschließend soll der Gesamteindruck des Werkes in den Blick genommen werden, der auf Grund seines performativen Charakters von Bedeutung ist. _____________ 53 54 55 56

35: ΤΙΜΟΚΛΗΣ. Τί φής, ὦ ἱερόσυλε Δᾶμι, θεοὺς μὴ εἶναι μηδὲ προνοεῖν τῶν ἀνθρώπων;. CASTER (1937), 161. CASTER (1937), 206f. Eine Diskussion dieses Aspekts in KORENJAK (2000), 52-65. Vgl. etwa Epic., Rat. sent. 1: Τὸ μακάριον καὶ ἄφθαρτον οὔτε αὐτὸ πράγματα ἔχει οὔτε ἄλλῳ παρέχει· ὥστε οὔτε ὀργαῖς οὔτε χάρισι συνέχεται· ἐν ἀσθενεῖ γὰρ πᾶν τὸ τοιοῦτον, oder noch deutlicher Ep. ad Menoec. 123: Πρῶτον μὲν τὸν θεὸν ζῷον ἄφθαρτον καὶ μακάριον νομίζων, ὡς ἡ κοινὴ τοῦ θεοῦ νόησις ὑπεγράφη, μηθὲν μήτε τῆς ἀφθαρσίας ἀλλότριον μήτε τῆς μακαριότητος ἀνοίκειον αὐτῷ πρόσαπτε· πᾶν δὲ τὸ φυλάττειν αὐτοῦ δυνάμενον τὴν μετὰ ἀφθαρσίας μακαριότητα περὶ αὐτὸν δόξαζε. θεοὶ μὲν γὰρ εἰσίν· ἐναργὴς γὰρ αὐτῶν ἐστιν ἡ γνῶσις· οἵους δ᾿ αὐτοὺς οἱ πολλοὶ νομίζουσιν, οὐκ εἰσίν.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Nach den vorangehenden Beobachtungen möchte ich die einzelnen Züge des Gesamtbildes, vor welchem der antike Zuschauer unmittelbar nach dem Abschluss der Vorführung von JTr. stand, kurz rekapitulieren: Ein als „unecht“ erkannter Epikureer bestreitet in einer Debatte, die eigentlich gar keine ist, dass es eine universelle πρόνοια bzw. überhaupt ihre Träger, die Götter, gebe. Diese Debatte wurde durch eine ganze Reihe von lediglich rhetorischen Szenen, in welchen die Götter Hauptdarsteller sind, vorbereitet. Die Diskussion bleibt am Ende unabgeschlossen, doch ihr ganzer Ablauf lässt gar keinen Zweifel daran, dass der „Epikureer“ der Sieger ist. Am Ende bestätigt Zeus selbst den Sieg desjenigen, der die Götter leugnet. Bestimmend sind überwiegend die „nicht-engagierten“ Züge. Eine religiöse Polemik kann also schwerlich im Sinne des Autors dieses Textes gewesen sein.

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8. Der lukianische Prometheus 8.1. Das Problem des Bezugs zum PV des Aischylos 8.1.1. Einleitende Bemerkungen Alle Interpreten, die sich mit diesem Werk eingehend beschäftigt haben,1 haben die Ansicht vertreten, dass Lukian am Anfang seines Prometheus ganz bewusst auf die berühmte Eröffnungsszene des PV des [Ps.-?]Aischylos,2 in welcher der Titan gebunden und festgenagelt wird, Bezug nehme, diese verkürzend umgestalte und dem besonderen Ton seiner eigenen Schrift anpasse. Besonders betont worden ist dieser Aspekt neulich im ausführlichen Aufsatz von T. GARGIULO sowie in einem Abschnitt der Spezialstudie von O. KARAVAS.3 Vieles scheint jedoch gegen diese Auffassung zu sprechen.4 _____________ 1

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3 4

Einschlägige Bibliographie im Überblick: HOPHAN (1904), 21-24; HELM (1906), 181f.; GALLAVOTTI (1932), 91, 112-15 [weist auf Inkongruenzen im Werk nach der Ästhetik von Benedetto Croce hin]; STOIANOVICI (1961), 385-393 [marxistische „Interpretation“]; ANDERSON (1976), 158f.; GARGIULO (1993); ESTRELLA/DRIBAN (1999); GARZYA (2001), 139-44; CARMEN CABRERO (2001), 47-67 [nichts Neues]; DOUGHERTY (2006), 46f. [wiederholt die communis opinio zum lukianischen Prom.]. Zur Echtheitsfrage vgl. GRIFFITH (1983); SAÏD (1985); WEST (1990); LLOYD-JONES (2003). – Vgl. bereits BELLINGER (1928), 9: «In Prometheus, on the other hand, Lucian is obviously following Aeschylus […]». GARGIULO (1993), 191 schreibt: «Non c’è dubbio che Luciano, nello scrivere il suo Prometheus, avesse soprattutto in mente il Prometeo di Eschilo», und fährt in der Anm. 14 so fort: «È altrettanto indubbio che per Luciano, come per gli antichi senza eccezione, il PV era opera di Eschilo». KARAVAS (2005), 182-85. Bezeichnend für die Form, in welcher dieses Problem behandelt wurde, ist die Art und Weise, wie KARAVAS die Lage präsentiert ([2005], 182): «La tragédie à laquelle Lucien fait les allusions les plus nombreuses est sans doute Prométhée enchaîné, non seulement parce qu’il a écrit deux dialogues dont le titre contient le nom du héros mythologique, mais aussi parce que nous trouvons des références à ladite tragédie dans plusieurs opuscules». – Was den Wert des ersten „Grundes“ («parce qu’il a écrit deux dialogues dont le titre contient le nom du héros mythologique») angeht, möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Der zweite Grund ist schlichtweg falsch: man findet bei Lukian keinen einzigen Hinweis auf die Tragödie des Aischylos («des références à ladite tragédie»), sondern nur einige auf die Figur (bzw. den Mythos) des Prometheus (vgl. JConf. 8, De sacr. 6, De merc. cond. 26, Philops. 2, De salt. 38, D.Deor. 5). – Ähnliches gilt auch in Bezug auf die aischyleischen Anklänge, die KARAVAS in der Podagra finden will ([2005], 318): «le protagoniste a été immobilisé (par la goutte) comme Prométhée est enchaîné sur le Caucase (Pr. 88-92)»; «ses paroles furieuses ressemblent à…l’énumération des biens que Prométhée a apportés aux mortels (Pr. 476-499)». Über die reine Behauptung geht der Autor allerdings nicht hinaus (noch bestätigen sie die von ihm angeführten aischyleischen Stellen).

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Auf der Ebene der reinen sprachlichen Form lassen sich folgende Bemerkungen machen. Das Argument der engen sprachlichen Ähnlichkeiten bzw. sogar der Übernahme einzelner Wörter aus der aischyleischen Vorlage durch Lukian erweist sich bei genauerer Betrachtung als schwach. (1.) Lukian musste z. B. nicht unbedingt die Tragödie des Aischylos gelesen haben, um von der μαντεία des Titanen zu wissen,5 sondern er hätte diese Information aus irgendeiner anderen zusammenfassenden Darstellung – sei es der Tragödie sei es des Mythos – gewinnen können, in schriftlicher oder mündlicher Form. (2.) Sicher verwenden sowohl Lukian als auch Aischylos das Wort σοφιστής in Bezug auf Prometheus, aber die Bedeutungsunterschiede sind recht groß. Bei Aischylos drückt es eine negative Eigenschaft aus, die im Übrigen nur marginal zu sein scheint (nur zwei Belege in der ganzen Tragödie, VV. 62 und 944, an kaum prominenter Stelle).6 Bei Lukian dagegen ist dieser Terminus durchaus positiv besetzt und weist vor allem auf ein wesentliches Merkmal der Figur hin, nämlich seine wirkungsvolle Beredsamkeit. Eine hochinteressante Stelle bei Dion von Prusa, in der Prometheus ebenfalls als σοφιστής bezeichnet wird,7 ohne dass dort eine Anspielung auf Aischylos denkbar wäre, ist ein weiteres bedeutendes Gegenbeispiel, welches vor voreiligen Schlussfolgerungen warnt. (3.) Das Vorkommen des etwas ungewöhnlichen Verbes προσπατταλεύω in beiden Autoren beweist ebenfalls nichts, nicht nur weil es auch in der klassischen Prosa (z. B. Thukydides) vorkommt und nicht spezifisch für Aischylos bzw. die Tragödie ist. Eine Überprüfung der zwei anderen Stellen im gesamten Corpus, an denen Lukian es verwendet,8 _____________ 5 6

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Vgl. Prom. 20: ΕΡΜΗΣ. ἐκεῖνο δέ γε θαυμάζω, ὅπως μάντις ὢν οὐ προεγίγνωσκες ἐπὶ τούτοις κολασθησόμενος. Aesch., PV 61f.: ΚΡΑΤΟΣ. καὶ τήνδε νῦν πόρπασον ἀσφαλῶς, ἵνα/ μάθῃ σοφιστὴς ὢν Διὸς νωθέστερος, 944-46: ΕΡΜΗΣ. σὲ τὸν σοφιστήν, τὸν πικρῶς ὑπέρπικρον,/ τὸν ἐξαμαρτόντ᾽ εἰς θεοὺς ἐφημέροις/ πορόντα τιμάς, τὸν πυρὸς κλέπτην λέγω. – Ausführliche Diskussion in BEES (1993), 143-47 und SAÏD (1985), 12-15. Dio, or. 8, 33: τὸν δὲ Προμηθέα, σοφιστήν τινα, ἐμοὶ δοκεῖν, καταλαβὼν ὑπὸ δόξης ἀπολλύμενον, [καὶ] νῦν μὲν οἰδοῦντος αὐτῷ καὶ αὔξοντος τοῦ ἥπατος, ὁπότε ἐπαινοῖτο, πάλιν δὲ φθίνοντος, ὁπότε ψέγοιεν αὐτόν, ἐλεήσας καὶ φοβήσας ἔπαυσε τοῦ τύφου καὶ τῆς φιλονικίας· καὶ οὕτως ᾤχετο ὑγιᾶ ποιήσας. ταῦτα μὲν οὖν ἔπραττεν οὐδὲν Εὐρυσθεῖ χαριζόμενος. – Dazu DESIDERI (1978), 204f. sowie GARGIULO (1993), 200 Anm. 44 und BÜCHELER/GILDEMEISTER (1872), 450 Anm. 1 – Zu einem anderen Fall eines Kontaktes zwischen Lukian und Dio vgl. neulich auch GEORGIADOU/LARMOUR (1997). Catapl. 13: ΜΕΓΑΠΕΝΘΗΣ. Τολμήσει γὰρ Κυνίσκος ἐπανατείνασθαί μοι τὸ βάκτρον; οὐκ ἐγώ σε πρῴην, ὅτι ἐλεύθερος ἄγαν καὶ τραχὺς ἦσθα καὶ ἐπιτιμητικός, μικροῦ δεῖν προσεπαττάλευσα; ΚΥΝΙΣΚΟΣ. Τοιγαροῦν μενεῖς καὶ σὺ τῷ ἱστῷ προσπεπατταλευμένος; D.Mar. 14, 3 (Mythos der Andromeda): ἐπεὶ δὲ κατὰ τὴν παράλιον ταύτην Αἰθιοπίαν ἐγένετο, ἤδη πρόσγειος πετόμενος, ὁρᾷ

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8. Der lukianische Prometheus

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lehrt vor allem, dass es für ihn die einfache, allgemeine Bedeutung von „jemanden an etwas anbinden“ gehabt zu haben scheint. Eine dritte Stelle, aus dem pseudepigraphischen Werk Amores,9 ist nicht weniger lehrreich, weil sie gut zeigt, dass für Lukian die Möglichkeit bestand, über dieses Verb ausgerechnet in Zusammenhang mit Prometheus auch außerhalb eines Tragikertextes, nämlich bei Menander, zu stolpern. In eine ähnliche Richtung weist m. E. auch die Stelle De salt. 38 hin:10 Lukian könnte den Prometheus-Mythos (bzw. einen Teil davon) auch in Form einer Pantomime gesehen und daraus, ohne direkten Bezug auf eine bestimmte literarische Vorlage, eine Anregung empfangen haben. Auch eine Inspiration durch bildliche Darstellungen ist natürlich im Prinzip nicht auszuschließen, obwohl sich dafür kein Beweis erbringen lässt. (4.) Selbst jene Interpreten, die auf diesen Bezug insistieren, geben außerdem zu, dass die aischyleische Vorlage durch die lukianische Transposition unter starken Veränderungen gelitten hat. Der alles in allem nur leicht irritierte lukianische Hermes ersetzt die furchteinflößende Figur des Kratos,11 und Hephaistos, der hier wie dort in seiner Eigenschaft als Schmied vorkommt und bei Aischylos rührendes Mitleid mit Prometheus’ Lage hat, ist ihm dagegen bei Lukian stark abgeneigt. Es ist m. E. sehr schwierig – hält man an der Hypothese fest –, diese und andere12 Abweichungen zu erklären (und tatsächlich werden besagte Abweichungen bei den Interpreten zwar manchmal erwähnt, aber nie weiter verfolgt), vor allem weil im lukianischen Text keine Elemente vorhanden zu sein schei-

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τὴν Ἀνδρομέδαν προκειμένην ἐπί τινος πέτρας προβλῆτος προσπεπατταλευμένην, καλλίστην, ὦ θεοί, καθειμένην τὰς κόμας, ἡμίγυμνον πολὺ ἔνερθε τῶν μαστῶν. Amor. 43: Ταυτὶ μὲν οὖν εὐσταθοῦς βίου τεκμήρια· τῶν δὲ πικροτέρων εἴ τις ἐθελήσειε κατὰ μέρος τὸ ἀληθὲς ἐξετάζειν, ὄντως καταράσεται Προμηθεῖ τὴν Μενάνδρειον ἐκείνην ἀπορρήξας φωνήν· [Men., fr. 508 K.-A.] ‘ Εἶτ᾽ οὐ δικαίως προσπεπατταλευμένον/ γράφουσι τὸν Προμηθέα πρὸς ταῖς πέτραις;/ καὶ γίνετ᾽ αὐτῷ λαμπάς, ἄλλο δ᾽ οὐδὲ ἓν/ ἀγαθόν. ὃ μισεῖν οἶμ᾽ ἅπαντας τοὺς θεούς,/ γυναῖκας ἔπλασεν. ὦ πολυτίμητοι θεοί,/ ἔθνους μιαροῦ. γαμεῖ τις ἀνθρώπων, γαμεῖ;/ λάθριοι λοιπὸν γὰρ ἐπιθυμίαι κακαί,/ γαμηλίῳ λέχει μοιχὸς ἐντρυφῶν ’. De salt. 38: εἶτα ἑξῆς Γιγάντων ἐπανάστασιν, πυρὸς κλοπήν, ἀνθρώπων πλάσιν, Προμηθέως κόλασιν, Ἔρωτος ἰσχὺν ἑκατέρου, καὶ μετὰ ταῦτα Δήλου πλάνην καὶ Λητοῦς ὠδῖνας καὶ Πύθωνος ἀναίρεσιν καὶ Τιτυοῦ ἐπιβουλὴν καὶ τὸ μέσον τῆς γῆς εὑρισκόμενον πτήσει τῶν ἀετῶν. Ich kann BOMPAIRE nicht zustimmen, wenn er schreibt ([1958], 565): «on retrouve dans les actes d’Hermès la hâte, l’obéissance aveugle, le souci du travail bien fait de Kratos». Z. B. der Ort: ein nicht näher präzisierter Ort am Rande der Welt bei Aischylos, der Kaukasus bei Lukian.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

nen, die an eine wahrhaftige Parodie des Aischylos denken lassen könnten.13 Die gewisse Ähnlichkeit in der Behandlung dieser Szene bei beiden Autoren lässt sich m. E. im Grunde dadurch befriedigend und einfach erklären, dass dieser besondere Moment der gemeinsamen mythologischen Vorlage (Prometheus wird im Kaukasus an einem Stein festgebunden) an sich keinen großen Raum für ganz unterschiedliche Behandlungen übrig lässt. Keineswegs sekundär ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich Lukian in keinem anderen seiner uns erhaltenen Werke an Aischylos angelehnt hat, noch scheint es im Allgemeinen plausibel, dass Lukian eine gute Kenntnis dieses Tragikers überhaupt besaß.14 Dies hätte mehr Bedenken erregen sollen, zumal auch bekannt ist, dass in der Zeit Lukians ein Kanon der Tragiker noch nicht existierte,15 was u. a. impliziert, dass für Lukian der PV des Aischylos (wenn er dieses Stück wirklich kannte, direkt oder indirekt) nur eine unter den vielen anderen seiner Tragödien gewesen ist und in keiner Weise die gleiche wichtige Bedeutung wie für uns hatte. – Es lässt sich also zusammenfassend sagen, dass es sich hier um einen nur scheinbaren Fall von Intertextualität handelt.

8.1.2. Diskussion des Problems in Bezug auf die Interpretation des lukianischen Prometheus Die Diskussion dieses Aspektes ist für die Interpretation des lukianischen Dialogs insofern von großer Bedeutung, weil die Überzeugung, dass Lukian diese aischyleische Tragödie verarbeitet hätte, automatisch die Frage nach der Rezeption dieses Modells aufwirft. Mit anderen Worten, man liest Lukian mit Aischylos im Hinterkopf. Und in der Tat: Zieht man die Prometheus-Interpretation von Autoren wie CROISET16 oder _____________ 13 Contra KARAVAS ([2005], 183: «La parodie est plausible»), jedoch ohne Begründung. 14 Vgl. HOUSEHOLDER (1941), 59 und 65: «Probably Lucian did not study Aeschylus in school». Erwähnt wird der Dichter nur in De morte Peregr. 3 und Adv. indoct. 15. – Man kann sich dessen vergewissern, wenn man sieht, dass das einzige direkte Zitat aus Aischylos, ein Fragment aus der Niobe (fr. 162, 1f. RADT), im pseudolukianischen Demosthenis encomium (§ 13) zu lesen ist, wie auch KARAVAS ([2005], 138) zugeben muss. Noch verdächtiger erscheint die Lage, wenn man bedenkt, dass das gleiche Fragment auch bei Platon (Resp. III 391 e) zitiert wird. (Um genauer zu sein, handelt es sich in Wirklichkeit um zwei kurze Zitate, die Ps.-Lukian mit einem καί verbindet: vgl. NESSELRATHS Hinweis in der Anm. 4 ebd.) 15 Dies gibt auch KARAVAS zu, ([2005], 185): «Le corpus des tragédies n’était pas aussi limité pour Lucien qu’il est pour nous aujourd’hui». 16 CROISET (1882), 217-19.

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8. Der lukianische Prometheus

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CASTER heran, kann man sich schwerlich des Eindrucks erwehren, dass sie jenen (wohl noch romantisch geprägten) prometheischen erfinderischen „Rationalismus“ und stolzen „Rebellionsgeist“, den sie bei Aischylos vorfanden, auf den lukianischen Prometheus stark projizieren.17 Man darf jedoch auf der anderen Seite die Wichtigkeit dieses Fragenkomplexes auch nicht überschätzen. Selbst wenn als sicher gelten dürfte, dass Lukian in diesem besonderen Falle Aischylos als Modell genommen bzw. die Tragödie gekannt hätte, wäre diese Information in Hinblick auf das Verständnis des lukianischen Prometheus kaum relevant. Es ist nämlich eine leicht zu beobachtende Tatsache, dass der lange zentrale Teil, nämlich die dreifache, sehr gut konstruierte Verteidigung des Prometheus (§§ 7-19), den Kern des Werkes bildet,18 im Vergleich zu dem die Einleitung (§ 1-2)19 und der Schlussteil (§§ 20-21), beide recht kurz, in ihrer lediglich einrahmenden Funktion durchaus verblassen. Der Fokus der Aufmerksamkeit der Hörer/Leser war auf diesen Mittelteil konzentriert, in dem ja kein aischyleisches Material enthalten ist. Doch damit nicht genug. Man kann nämlich in dieser Richtung weiter gehen und ganz allgemein beobachten, dass, selbst wenn Lukian den PV kannte, in seinen Prometheus gar keine der aischyleischen Hauptzüge und wichtigsten Themen eingegangen sind. Die Motive der ungebändigten Macht und brutalen Gewalttätigkeit des Zeus, die bei Aischylos dominieren, sind bei Lukian völlig abwesend, mehr noch: man findet etwas fast Gegenteiliges.20 Die Hauptmotivation des aischyleischen Prometheus, nämlich seine Menschenliebe, konkretisiert im Diebstahl des Feuers und in den technischen Erfindun_____________ 17 Vgl. CASTER (1937), 204: «Ce thème, depuis Eschyle, place plus ou moins directement l’humanité en face des dieux, et l’idée de révolte, ne serait-ce que celle du Titan, plane dans l’air: Lucien prend cela aussi à son compte. Il trait ce thème en sophiste, mais c’est tout de même sur lui qu’il s’appuie […] Il est fier de sa technique sophistique, mais tout ce qui relève de la sophistique chez lui n’est pas perdu pour la pensée», sowie CROISET (1882): «…le dialogue intitulé Prométhée ou le Caucase nous offre une vigoureuse revendication des droits de la raison et de la morale contre des fictions à demi barbares. Prométhée est pour Lucien ce que Eschyle l’a fait, l’ami dévoué des hommes, leur bienfaiteur, puni par la jalousie et la défiance du dieu suprême» (Hervorhebungen von mir). 18 Vgl. bereits CASTER (1937), 200. 19 Die §§ 3-6 dienen als Vorbereitung auf den Mittelteil und gehören nicht mehr zur Einleitung. 20 Die einzige Stelle, die auf den Zorn hinweist, ist Prom. 13: καί, ὡς ἔοικε, τὸ ἀπ᾽ ἐκείνου ἧττον θεοί εἰσιν οἱ θεοί, διότι καὶ ἐπὶ γῆς τινα θνητὰ ζῷα γεγένηται· οὕτω γὰρ δὴ καὶ ἀγανακτεῖ νῦν ὁ Ζεὺς ὥσπερ ἐλαττουμένων τῶν θεῶν ἐκ τῆς τῶν ἀνθρώπων γενέσεως, εἰ μὴ ἄρα τοῦτο δέδιε, μὴ καὶ οὗτοι ἐπανάστασιν ἐπ᾽ αὐτὸν βουλεύσωσι καὶ πόλεμον ἐξενέγκωσι πρὸς τοὺς θεοὺς ὥσπερ οἱ Γίγαντες. – Aber der übermächtige Zeus des PV tut alles, außer sich vor den Menschen zu fürchten!

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

gen,21 die in der Tragödie den einzigen Grund für seine Bestrafung bildet, ist ebenfalls verschwunden: Lukians Prometheus hat keine enge emotionale Verbindung zum Menschengeschlecht, ganz im Gegenteil: er erschafft die Menschen zu Gunsten der Götter. Auch der Abschnitt über seine vielen hilfreichen Gaben an sie, d. h. der Aspekt des Prometheus als Erfinder (PV 436ff.), findet bei Lukian kein Echo.22 8.2. Hesiod und die anderen Quellen Worüber man dagegen keine Zweifel hegen kann, ist der Bezug zur hesiodeischen Behandlung des Prometheus-Mythos, weil ein direktes Zitat aus der entsprechenden Stelle der Theogonie (V. 541) in Prom. 3 angeführt wird.23 Aber gleichzeitig ist auch klar, dass Lukian über Hesiod hinaus auch andere Quellen ins komplexe Gewebe des Mittelteils einfließen ließ. Der fingierte „gerichtliche Rahmen“, d. h. die Strukturierung der Rede des Prometheus als λόγος δικανικός, erklärt (a.) das auffällige wiederholte Vorkommen von Wendungen dieser Art von Beredsamkeit (bisweilen fühlt man sich an Demosthenes erinnert),24 sowie (b.) die transparenten Anspielungen auf die Apologie des Sokrates, indem sich Prometheus wie ein neuer Sokrates vor Gericht gebärdet.25 In Prom. 12: ῏Ην τοίνυν πάλαι – ῥᾷον γὰρ οὕτω δῆλον ἂν γένοιτο, εἴ τι ἠδίκηκα ἐγὼ μετακοσμήσας _____________ 21 Vgl. PV 7-11 und vor allem 228-35 (Prometheus widersetzt sich als einziger dem Vernichtungsplan des Zeus gegen die Menschheit). In dieser Tragödie wird außerdem der Titan als φιλάνθρωπος bezeichnet vgl. dazu GRIFFITHS (1983), 9 Anm. 27. 22 Recht merkwürdig mutet auch an, dass das Potential der Stelle PV 511-525, in welcher das Verhältnis zwischen der Macht des Zeus und der Schicksalsgöttinnen (zum Nachteil des Ersteren) thematisiert wird (vgl. dazu BEES [1993], 168ff.) – bekannterweise ein sehr beliebtes Thema von Lukian –, völlig ungenutzt bleibt. 23 CAMEROTTO (1998), 148; PINTO (1974), 977f. 24 Nur einige unter den zahlreichen möglichen Beispielen: Prom. 12: ἐγὼ δὲ – ἀεὶ γάρ τι προβουλεύω ἐς τὸ κοινὸν καὶ σκοπῶ ὅπως αὐξηθήσεται μὲν τὰ τῶν θεῶν […], 14: ὁρᾷς ὅπως τὰ ἐμαυτοῦ μόνα σκοπῶ, τὰ κοινὰ δὲ καταπροδίδωμι καὶ ἐλάττω ποιῶ; , 15: ὑμεῖς δέ, τιμᾶν ἐπὶ τῷ πολιτεύματι τούτῳ δέον, ἀνεσταυρώκατέ με καὶ ταύτην μοι τὴν ἀμοιβὴν ἀποδεδώκατε τοῦ βουλεύματος, ebd.: πρὸς δὴ τί τοῦτ᾽ ἔφην; ὅτι μὴ γενομένων τῶν ἀνθρώπων ἀμάρτυρον συνέβαινε τὸ κάλλος εἶναι τῶν ὅλων […], 19: Εἴρηκα. σφὼ δέ, ὦ Ἑρμῆ καὶ ῞Ηφαιστε, εἴ τι μὴ καλῶς εἰρῆσθαι δοκεῖ, διευθύνετε καὶ ἐξελέγχετε, κἀγὼ αὖθις ἀπολογήσομαι. 25 Prom. 4: ΠΡΟΜΗΘΕΥΣ. Ἔοικας, ὦ Ἑρμῆ, καὶ σὺ κατὰ τὸν ποιητὴν ἀναίτιον αἰτιάασθαι, ὃς τὰ τοιαῦτά μοι προφέρεις, ἐφ᾽ οἷς ἔγωγε τῆς ἐν πρυτανείῳ σιτήσεως, εἰ τὰ δίκαια ἐγίγνετο, ἐτιμησάμην ἂν ἐμαυτῷ. Vgl. dazu auch GARGIULO (1993), 198f.

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καὶ νεωτερίσας τὰ περὶ τοὺς ἀνθρώπους – ἦν οὖν τὸ θεῖον μόνον καὶ τὸ ἐπουράνιον γένος usw., könnte man außerdem (c.) vielleicht eine Anspielung auf den berühmten Auftakt des Prometheus-Mythos in Platos Protagoras (320c8-d1): ῏Ην γάρ ποτε χρόνος, ὅτε θεοὶ μὲν ἦσαν, θνητὰ δὲ γένη οὐκ ἦν usw. sehen. 8.3. Die Gattung und ihre Implikationen Dank mehrerer eindeutiger Signale26 im Text, die sogar bis zu einer wahrhaftigen „Selbstdefinition“ des Werkes im Werk selbst reichen,27 ist die Frage der Zugehörigkeit des Werkes zu einer bestimmten literarischen Gattung, nämlich dem fingierten λόγος δικανικός,28 längst und bis ins Detail befriedigend geklärt worden, so dass sich eine entsprechende Diskussion erübrigt. Nur der nicht ganz triviale Hinweis, dass diese Information bei einer Deutung des Werkes nicht besonders hilfreich ist, sei hier noch gestattet. Sicherlich erfahren wir dadurch etwas über die Erwartungen der Rezipienten, nämlich dass sie – genau so wie wir – den Prom. in die Reihe jener rhetorischen Übungen eingeordnet haben werden, in denen berühmte historische und mythische Figuren die fiktive Möglichkeit erhielten, einen wichtigen und charakteristischen Moment ihres Lebens neu zu bedenken und zu besprechen (und sich daraufhin eventuell sogar auch anders zu entscheiden). Aus der Antike sind zahlreiche Beispiele davon erhalten geblieben, und sie reichen von Seneca dem Älteren über Aelius Aristides bis Libanios.29 Der grundlegende Aufbaustoff wiederholte sich, war gängig und wohl vertraut, so dass das wesentliche Element in diesen Übungen natürlich die geistreiche Erfindung neuer Argumente zur Erneuerung des alten Materials war (zum Teil sicherlich oft mit einer ge_____________ 26 Vgl. z. B. Prom. 4: εἰ γοῦν σχολή σοι, ἡδέως ἂν καὶ δικαιολογησαίμην ὑπὲρ τῶν ἐγκλημάτων, ὡς δείξαιμι ἄδικα ἐγνωκότα περὶ ἡμῶν τὸν Δία, 5: ΗΦΑΙΣΤΟΣ. Ὁ Ἑρμῆς καὶ ὑπὲρ ἐμοῦ ἐρεῖ· ἐγὼ γὰρ οὐ πρὸς λόγοις τοῖς δικανικοῖς εἰμι, ebd.: ΠΡΟΜΗΘΕΥΣ. πλὴν ἀλλ᾽ εἰ καὶ τοῦτο, ὦ Μαίας παῖ, ὑφίστασαι, καιρὸς ἤδη περαίνειν τὴν κατηγορίαν, 7: ἐγὼ δέ, ἐπείπερ ἱκανὰ φὴς εἶναι τὰ κατηγορημένα, πειράσομαι ὡς ἂν οἷός τε ὦ διαλύσασθαι τὰ ἐγκλήματα. 27 Prom. 4 Ende: …ἔστ᾽ ἂν ὁ ἀετὸς καταπτῇ ἐπιμελησόμενός σου τοῦ ἥπατος. τὴν ἐν τῷ μέσῳ δὴ ταύτην σχολὴν καλῶς ἂν ἔχον εἴη εἰς ἀκρόασιν καταχρήσασθαι σοφιστικήν, οἷος εἶ σὺ πανουργότατος ἐν τοῖς λόγοις. 28 Vgl. BOMPAIRE (1958), 247f., insbesondere die Anm. 2 auf S. 248 für eine Gliederung der Selbstverteidigung des Prometheus nach der Fachterminologie der antiken Rhetoriktheorie (dazu vgl. auch MÜLLER [1929], 560f.). Prom. ist im Übrigen keineswegs die einzige Instanz dieser Kategorie im Corpus Lucianeum: Überblick in BOMPAIRE (1958), 242-64. 29 Noch die byzantinische Zeit bietet Beispiele davon, vgl. z. B. PIGNANI (1983).

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schickten Manipulation besagter Ausgangselemente in eins fallend). Genau das wird u. a. auch das lukianische Publikum in diesem besonderen Falle höchstwahrscheinlich erwartet – und genossen! – haben. Dennoch sagen diese recht allgemeinen Bestimmungen und Kategorien m. E. noch nicht viel über die Eigentümlichkeit des lukianischen Prometheus als individuelles Produkt von Lukians Geist aus. Insbesondere hat man aus der bloßen Gattungszugehörigkeit des Prom. auf seine Inhalts- bzw. Ideenlosigkeit schließen wollen. Da der Prom. lediglich eine Deklamation ist, könne er – wie jede andere Deklamation auch – nicht ernst gemeint (bzw. genommen) worden sein und bleibe daher, trotz der ungewöhnlichen Komplexität, bloßer „Scherz“.30 So lässt sich jedoch in Hinblick auf den Prom. nicht argumentieren. Es würde sich um einen unfruchtbaren „Kurzschluss“ handeln, denn (a.) es lässt sich einfach nicht sagen, wie die Sensibilität der antiken Menschen diese Übungen wirklich empfunden hat, und (b.) scheinen die breite Verbreitung und der große Umfang solcher Produkte sowie der dahinter stehende Eifer eher auf das Gegenteil hinzudeuten. In diesem Zusammenhang ist es auch sehr wichtig zu bemerken, dass – im Gegensatz zu einer Meinung, die in der Literatur bisweilen geäußert wird31 – die Gemeinsamkeit des Prom. und der zwei Phalariden äußerst gering ist. Letztere sind wahrhaftige ἔγκωμια ἄδοξα,32 bei denen von vornherein die intrinsische Absurdität der Zielsetzung integraler und konstanter Bestandteil des rhetorischen Unterfangens selbst ist; der Prom. dagegen nicht, weil sein Stoff und seine Anlage der Argumentation viel mehr freien Spielraum lassen. Beim Lob einer Fliege kann man a priori nicht Recht haben; bei der Verteidigung des Prometheus dagegen kann man den Prozess doch noch gewinnen (im Prinzip, zumindest), weil der Materie dieses Mythos per se eine gewisse Ambiguität anhaftet, denn der „Fall“ Prometheus gegen Zeus wurde sozusagen „nur“ faktisch, durch Anwendung von brachialer Gewalt, entschieden (der Titan wurde bestraft und dann befreit), in seinem „Kern“ jedoch letztlich nicht (kann „man“ dieses Verdikt vertreten?). Die Voraussetzung für die Komposition der aischyleischen Tragödie ist im Prinzip die gleiche.

_____________ 30 HELM (1906), 181; HOPHAN (1904), 23. Contra CASTER (1937), 203 (vgl. infra). 31 HELM (1906), 181. 32 Vgl. BURGESS (1902), 157-66 und PEASE (1926).

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8.4. Die Interpretation von M. CASTER Trotz alledem scheint es mir, dass Lukian (um bei der Metapher zu bleiben) diesen „Prometheus-Prozess“ im Grunde nicht gewinnen wollte. Um diesen zentralen Aspekt besser klären zu können, bietet die vorläufige Diskussion der Interpretation, die MARCEL CASTER vom Prometheus gegeben hat,33 einen ausgezeichneten Ausgangspunkt. Der französische Philologe ging grundsätzlich von einer engen inhaltlichen Verbindung der zwei Stücke Prom. und JTr. aus, welche durch den Anfang der Zeusklage im JTr. 1 (Ὦ παγκάκιστα χθόνια γῆς παιδεύματα,/ σύ τ᾽, ὦ Προμηθεῦ, οἷά μ᾽ εἴργασαι κακά) auch explizit signalisiert wäre. Die Übereinstimmung beider Dialoge in ihrer Hauptaussage bestünde in der Identifizierung und Verkündigung der „Gefahr“, welche die Menschen für die Götter darstellten, im Sinne einer kompletten Abhängigkeit der zweiten von den ersten: ohne den Glauben und die Verehrung seitens der Menschen wären die Götter nichtig, so wie dies in den Schlusszeilen des JTr. ziemlich transparent angedeutet würde.34 So gesehen, schließt CASTER, seien diese zwei Stücke, zusammen genommen, umso bedeutender, weil sie Lukians Verständnis des Göttlichen durchschimmern ließen.35 Was in dieser interpretatorischen Perspektive speziell den Prom. anbelangt, gilt Folgendes: Im unterschiedlichen Umfang der drei Bestandteile der prometheischen Apologie (jeweils vier [§§ 7-10], sieben [§§ 11-17] und zwei [§§ 18-19] Paragraphen für die drei Anklagepunkte: Betrug bei der Verteilung der Opfergaben, Schöpfung des Menschen, Feuerdiebstahl) spiegele sich die Wichtigkeit des jeweils behandelten Stoffes in der Perspektive des Autors unmittelbar wider. Dieses Kriterium allein wäre je_____________ 33 CASTER (1937), 200-5. 34 JTr. 53: : Ὀρθῶς ἐκεῖνό μοι ὁ κωμικὸς εἰρηκέναι δοκεῖ, οὐδὲν πέπονθας δεινόν, ἂν μὴ προσποιῇ. τί γὰρ καὶ ὑπέρμεγα κακόν, εἰ ὀλίγοι ἄνθρωποι πεπεισμένοι ταῦτα ἀπίασι; πολλῷ γὰρ οἱ τἀναντία γιγνώσκοντες πλείους, Ἑλλήνων ὁ πολὺς λεὼς βάρβαροί τε ἅπαντες. – Vgl. CASTER (1937), 205: «Cette fois ce n’est pas une grossière guerre à coups de rochers, livrée par des géants en chairs et en os ; c’est l’attaque, incisive et implacable, de l’esprit critique. « Si les hommes ne croient plus en nous, nous n’existerons plus », telle est l’angoisse des dieux. On ne peut nier que Lucien, ici, n’ait parfaitement conscience de ce qu’il dit. Il sait qu’il renverse le rapport de dépendance entre les hommes et les dieux. […] maintenant les dieux sont à la merci de la pensée des hommes» (Hervorhebungen von mir). 35 CASTER (1937), 200: «…il y a deux ouvrages où je crois possible de découvrir la pensée de Lucien au sujet de la divinité; ce sont le Prométhée sur le Caucase et le Zeus Tragédien»; 203f.: «…un des meilleurs exemples de la fusion, chez Lucien, de la sophistique livresque et de la pensée personnelle […] La meilleure preuve qu’il y a une pensée dans le Prométhée sur le Caucase, c’est l’existence du Zeus Tragédien».

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doch einfach zu mechanisch, um wahr zu sein. CASTER ist sich dessen durchaus bewusst und sucht im Inhalt eine Bestätigung, wobei er, um seine These aufrecht erhalten zu können, den ersten und dritten Teil der Verteidigung natürlich wegdiskutieren muss – was auch geschieht.36 Aber die grundlegende Idee, welche von Grund auf die ganze Interpretation von CASTER prägt, ist die der „sophistischen“, d. h. in hohem Maße listigen und heimtückischen Natur der Reden des Prometheus. Prometheus redet wider besseres Wissen, denn er weiß ganz genau, dass er schuldig ist, so dass die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt, um sich effektiv zu verteidigen, darin besteht, das Hauptfaktum seines Verbrechens geschickt unter den Tisch fallen zu lassen und sich auf dessen Nebenumstände zu konzentrieren, also: «Si Lucien a une idée dans la tête, il faudra donc la chercher dans ce que Prométhée cherche a dissimuler. Tout son plaidoyer développe cette affirmation qu’il a créé les hommes pour le bonheur des dieux. C’est donc que les hommes sont vraiment un danger pour les dieux»37, und allgemeiner: «Ce que Prométhée escamote, c’est, par définition même, ce qui est vrai»38. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kehrt also CASTER jede negative Aussage der prometheischen Apologie in ihr Gegenteil um und sieht in Stellen wie z. B. Prom. 1339 nicht so sehr den verstellten Ausdruck einer bevorstehenden Bedrohung, sondern einen Hinweis auf eine zum Teil schon aktuell gewordene Wirklichkeit. Auf ähnliche Weise interpretiert CASTER auch den Rest, z. B. die Fürsorge für die Menschen als angenehmes Gegenmittel gegen die himmlische Langeweile und die Schöpfung der Menschen als intelligente Wesen als Voraussetzung für das Durchführen der Opfer und den Bau der Tempel. (Spätere Ausführungen vorwegnehmend lässt sich schon jetzt dagegen einwenden, dass man genauso gut es weder verwunderlich noch merkwürdig finden kann, dass Prometheus seine Verteidigung dadurch wirkungsvoller zu machen versucht, dass er in der Form einer geschickten praeoccupatio auf _____________ 36 CASTER (1937), 200: «Cependant ce passage [Prom. 7-10] ne nous apprend rien de plus que tous ceux où les mythes scandaleux sont critiqués»; 202 : «Les répliques de Prométhée sur le vol du feu (18-19) ne contiennent rien d’important». 37 CASTER (1937), 200f. (Kursiv des Autors). 38 CASTER (1937), 201. 39 Prom. 13: καί, ὡς ἔοικε, τὸ ἀπ᾽ ἐκείνου ἧττον θεοί εἰσιν οἱ θεοί, διότι καὶ ἐπὶ γῆς τινα θνητὰ ζῷα γεγένηται· οὕτω γὰρ δὴ καὶ ἀγανακτεῖ νῦν ὁ Ζεὺς ὥσπερ ἐλαττουμένων τῶν θεῶν ἐκ τῆς τῶν ἀνθρώπων γενέσεως, εἰ μὴ ἄρα τοῦτο δέδιε, μὴ καὶ οὗτοι ἐπανάστασιν ἐπ᾽ αὐτὸν βουλεύσωσι καὶ πόλεμον ἐξενέγκωσι πρὸς τοὺς θεοὺς ὥσπερ οἱ Γίγαντες. – CASTERS Kommentare, ([1937], 201): «Admirons cette façon de traiter par le dédain, comme l’hypothèse la plus absurde et qu’on ne mentionne que pour plaisanter, le grief le plus pesant des dieux», und ([1937], 202): «Au contraire les dieux sentent fort bien qu’il y a maintenant sur la terre une force rivale qui s’élèvera contre eux».

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die eigentlichen Gegenstände der Besorgnis bzw. auf die wahren Anlässe des Zornes der Götter direkt eingeht – was ja längst nicht heißen soll, dass sie „wahr“, d. h. bereits real, wären.) Als Gesamtergebnis seiner Analyse erklärt CASTER «l’opposition des hommes aux dieux, la révolte imminente, traitée, ou plutôt dissimulée, dans la partie centrale, et de beaucoup la plus développée, du plaidoyer» als den Drehpunkt des ganzen Werkes («l’axe du dialogue»).40 Es darf allerdings als Zeichen der intellektuellen Ehrlichkeit des Autors und gleichzeitig vielleicht auch als Chiffre für seinen Deutungsansatz hier die Tatsache gelten, dass in primis der Interpret selbst ihn angezweifelt und diesen Zweifel zum Ausdruck gebracht hat. Es war nämlich CASTER durchaus bekannt, dass Lukian in der Regel, ganz anders als z. B. die hellenistische Dichtung, nicht Anspielungen als Hauptmittel seiner Kunst einsetzt,41 so dass es ihm selbst recht merkwürdig erschien, dass die ultimative Aussage des Werkes in diesem besonderen Fall ausgerechnet im Nicht-Gesagten liegen sollte.42 Dieser Einwand erschien ihm bedeutsam, doch er fand letztlich keinen besseren Weg, dieser Schwierigkeit beizukommen, als die „Schuld“ Lukian zuzuschieben! «Comment se fait-il alors que Lucien n’ait pas indiqué d’une façon plus claire, en conclusion, la véritable portée de son dialogue? […] Dans le cas présent, je crois plus sage de conclure à une sorte de défaillance de Lucien, laquelle s’expliquerait par la fragilité de son goût pour la philosophie. Il est, au moins, aussi content d’avoir mené à bien un tour d’adresse sophistique, que d’avoir traité une question importante».43 Es ist unleugbar, dass die Kernidee dieses interpretatorischen Konstruktes (die Umkehrung ins Gegenteilige) eine geistreiche Seite besitzt, die jedoch, wenn sie auch zum Teil ziemlich anregend und attraktiv wirkt und in gewisser Weise plausibel erscheinen mag, auf der anderen Seite an Spitzfindigkeit grenzt44 und andere Komponenten im Text komplett vernachlässigt. Ihre Schwäche liegt nicht nur darin, dass sie zu einem einfach absurden Schluss führt (s. o.), oder in der Tatsache, dass sie letztlich auf einer unpräzisen Sichtweise des Prometheus (a.) als eine Art „kämpferischer Gegenpol“ zu den Göttern45 und (b.) als Lügner beruht (wohingegen im Text lediglich seine nicht zu unterschätzende rhetorische Begabung _____________ 40 CASTER (1937), 203. 41 Vgl. FANTUZZI/HUNTER (2002), 3ff., sowie GARNER (1990), 178ff. 42 CASTER (1937), 203: «C’est un procédé dangereux que de prêter à Lucien des intentions, des sous-entendus, des insinuations subtiles : en général, il dit nettement ce qu’il veut dire». 43 CASTER (1937), 203 (Hervorhebung von mir). 44 So bereits BOMPAIRE (1958), 591 Anm. 1: «l’analyse un peu subtile de Caster». 45 Vgl. CASTER (1937), 204 (zit. oben).

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hervorgehoben wird – dazu später)46, sondern m. E. vielmehr ganz einfach darin, dass sich aus dem Text nicht das ableiten lässt, was CASTER aus ihm ableiten möchte. Im Gegenteil: man findet etwas fast Gegenteiliges, oder, sagen wir, etwas ganz Anderes darin. Die im Folgenden angewandte interpretatorische Strategie besteht darin, zunächst den „nackten“ Duktus der Rede des Prometheus so aufmerksam wie möglich zu verfolgen, bevor man diesen unter Bezugnahme auf die versteckten Intentionen, die vermeintlich hinter dieser ganzen Rede stehen sollen, beleuchtet. Ein bedeutendes Moment dieses Duktus bildet für meine Zwecke Prom. 15, denn dort kommt Prometheus auf das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen zu sprechen. – Diese Stelle könnte ungeheuer wichtig sein, weil durchaus sein könnte, dass wir hier die Chance hätten, etwas darüber zu erfahren, wie Lukian dieses Verhältnis konzipierte. – Zu dessen Erläuterung bedient sich also Prometheus eines klaren, in rhetorischer Frageform formulierten Vergleiches: Ἔτι δέ μοι, ὦ Ἑρμῆ, καὶ τόδε ἐννόησον, εἴ τί σοι δοκεῖ ἀγαθὸν ἀμάρτυρον, οἷον κτῆμα ἢ ποίημα ὃ μηδεὶς ὄψεται μηδὲ ἐπαινέσεται, ὁμοίως ἡδὺ καὶ τερπνὸν ἔσεσθαι τῷ ἔχοντι.

Die interne Logik dieser rhetorischen Frage schließt von vornherein CASTERS „solipsistische“ Interpretation aus, welche die Existenz des beobachteten Objektes (hier der Götter) gänzlich vom Beobachter (den Menschen) abhängig machen möchte. Denn natürlich behält das ἀγαθὸν ἀμάρτυρον grundsätzlich seine Haupteigenschaft, nämlich die Güte, auch dann, wenn es nicht wahrgenommen oder beobachtet wird (wie die Beispiele des κτῆμα und des ποίημα m. E. deutlich zeigen); also nicht um Existenz an sich geht es in diesem Denkansatz, sondern um eine Steigerung oder Variation im Grad besagter Eigenschaft: das ὁμοίως ist es, worum es hier offensichtlich geht. Auf die Götter nun angewendet, heißt dies – wie die Fortsetzung des Textes zeigt –,47 dass die Schönheit, der Reichtum, die Größe usw. des Götterlebens an sich prinzipiell unangetastet bliebe, mit oder ohne die Menschen, deren Existenz jedoch gleichzeitig eine Erhöhung und Erweiterung jener Eigenarten bedeutet: οὔτε ἡμῖν _____________ 46 Prom. 4: οἷος εἶ σὺ πανουργότατος ἐν τοῖς λόγοις (ironisch), 5: ΗΦΑΙΣΤΟΣ. Ὁ Ἑρμῆς καὶ ὑπὲρ ἐμοῦ ἐρεῖ· ἐγὼ γὰρ οὐ πρὸς λόγοις τοῖς δικανικοῖς εἰμι, ἀλλ᾽ ἀμφὶ τὴν κάμινον ἔχω τὰ πολλά· ὁ δὲ ῥήτωρ τε ἐστι καὶ τῶν τοιούτων οὐ παρέργως μεμέληκεν αὐτῷ. 47 Prom. 15: ὅτι μὴ γενομένων τῶν ἀνθρώπων ἀμάρτυρον συνέβαινε τὸ κάλλος εἶναι τῶν ὅλων, καὶ πλοῦτόν τινα πλουτήσειν ἐμέλλομεν οὔτε ὑπ᾽ ἄλλου τινὸς θαυμασθησόμενον οὔτε ἡμῖν αὐτοῖς ὁμοίως τίμιον· οὐδὲ γὰρ ἂν εἴχομεν πρὸς ὅ τι ἔλαττον παραθεωρῶμεν αὐτόν, οὐδ᾽ ἂν συνίεμεν ἡλίκα εὐδαιμονοῦμεν οὐχ ὁρῶντες ἀμοίρους τῶν ἡμετέρων τινάς· οὕτω γὰρ δὴ καὶ τὸ μέγα δόξειεν ἂν μέγα, εἰ τῷ μικρῷ παραμετροῖτο.

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αὐτοῖς ὁμοίως τίμιον. Ohne die Menschen wären die Götter nichtsdestotrotz schön, reich und groß – mit ihnen sind sie es aber mehr. Ähnlich lässt sich meiner Meinung nach auch in Bezug auf den nächsten Punkt von Prometheus’ Verteidigung (die Fürsorge für das Menschengeschlecht ist ein guter Zeitvertreib [διατριβή] für Götter, die sich sonst nicht zu beschäftigen wüssten) argumentieren. Auch in diesem Fall ist klar, dass dieses durch die Schöpfung des Prometheus neu zustande gekommene Verhältnis für beide involvierten Partien durchaus Vorteile bietet und insofern sehr positiv ist. Auf der anderen Seite – vom evidenten humorvollen Ton abgesehen – impliziert ja eine Passage wie ἢ τί γὰρ ἂν ἐπράττομεν οὐκ ἔχοντες ὧν προνοοῦμεν τούτων; ἠργοῦμεν ἂν καὶ τὸ νέκταρ ἐπίνομεν καὶ τῆς ἀμβροσίας ἐνεφορούμεθα οὐδὲν ποιοῦντες48 aber auch, dass die Götter „schlimmstenfalls“ weiterhin bestehen würden, vielleicht mit etwas mehr Langeweile als vorher, aber im Prinzip unbekümmert. Auf Grund dieser Analyse scheint es mir im Endeffekt viel angemessener, im Falle des Prom. von einem wechselseitigen dialektischen Verhältnis als von einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis (wie insbesondere CASTER es tut) zu sprechen. Zwar sind beide Seiten in einem solchen Verhältnis aufeinander angewiesen, doch das sind sie nur unter einem gewissen Aspekt, nämlich jenem der gegenseitigen „Anerkennung“ – ein wenig wie in der berühmten Dialektik von Herrscher und Knecht in HEGELS Phänomenologie des Geistes, wenn man so will. Darüber hinaus ist es sehr interessant zu sehen, wie Lukian anscheinend das gegenseitig Funktionale als eine zentrale Komponente der Beziehung Götter/Menschen ansah. Ihr Verhältnis beruht auf fester Gegenseitigkeit, beide Seiten der Beziehung erhalten eine klar definierte Rolle und erbringen dementsprechend eine bestimmte „Leistung“ füreinander, was sich in der traditionellen und traditionsreichen do-ut-des-Formel triftig zusammenfassen ließe. In dieser Hinsicht ist hier die lukianische Darstellung mit einem der ältesten und wichtigsten kulturellen Merkmale griechischer religiöser Tradition vollkommen im Einklang. (Zumindest betrifft dies das Reziprozitätsprinzip, welches an manchen Stellen hinter der Oberfläche des erzählerischen und argumentativen Flusses greifbar wird, denn was diese Oberfläche selbst, d. h. den ganzen rhetorisch-erzählerischen „Überbau“ der Verteidigung, angeht, ist und bleibt dieser durchgängig ins Medium des Humors eingetaucht, wie die in den Erzählfluss ständig eingeflochtenen witzigen Bemerkungen deutlich machen.49) _____________ 48 Prom. 16. 49 Z. B. Prom. 15: …οὕτω γὰρ δὴ καὶ τὸ μέγα δόξειεν ἂν μέγα, εἰ τῷ μικρῷ παραμετροῖτο. ὑμεῖς δέ, τιμᾶν ἐπὶ τῷ πολιτεύματι τούτῳ δέον, ἀνεσταυρώκατέ με καὶ ταύτην μοι τὴν ἀμοιβὴν ἀποδεδώκατε τοῦ βουλεύματος. 16: καίτοι τό γε

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In letzter Konsequenz bleibt jedoch dieses Verhältnis sozusagen asymmetrisch, denn Anteil an ihrem Glück hätten die Götter ohnehin. CASTER hat mit seiner Behauptung der unlösbaren Verbindung beider Bereiche im Grunde richtig gesehen, dabei aber sozusagen die falsche Seite dieser Funktionalität bzw. Abhängigkeit betont, nämlich die Abhängigkeit der Götter, wobei dagegen der Text des Prom. – genau genommen – auf das Gegenteil hinweist. 8.5. Die fiktionale Ebene und die „Grundstimmung“ des Werkes Lukian hat die ganze Inszenierung der rhetorischen performance auf kaum zweideutige Art und Weise angelegt und charakterisiert. Im Prom. zeigt sich sehr früh auf eindeutige Art und Weise, in was für einen „Grundton“ die ganzen bravourösen Ausführungen der prometheischen Verteidigung eingebettet sind, nämlich in anmutigen Humor und leichte Ironie.50 Im Prom. ist die Stimmung weder ernsthaft-dramatisch noch „engagiert“. Spätestens seit Beginn von § 4 wird dies evident auch auf sprachlicher Ebene. Dort heißt es: Ἔοικας, ὦ Ἑρμῆ, καὶ σὺ κατὰ τὸν ποιητὴν ‘ ἀναίτιον αἰτιάασθαι ’ [Il. 13, 775], ὃς τὰ τοιαῦτά μοι προφέρεις, ἐφ᾽ οἷς ἔγωγε τῆς ἐν πρυτανείῳ σιτήσεως, εἰ τὰ δίκαια ἐγίγνετο, ἐτιμησάμην ἂν ἐμαυτῷ. εἰ γοῦν σχολή σοι, ἡδέως ἂν καὶ δικαιολογησαίμην ὑπὲρ τῶν ἐγκλημάτων, ὡς δείξαιμι ἄδικα ἐγνωκότα περὶ ἡμῶν τὸν Δία.

Die Ironie und der Humor brechen an dieser Schlüsselstelle nicht nur durch das Heranziehen der Passage aus der Apologie (36 e), einem Werk, in welches diese in nicht geringem Maße vorhanden ist, herein. Der ironische Unterton bzw. die ironische Wendung, die die Unterredung ab jetzt dezidiert nehmen wird, wird auch durch den patenten komischen Effekt zu Beginn des nächsten Satzes beibehalten und intensiviert. Die übertrieben höfliche Formulierung ist nämlich für die gegenwärtige Lage des Titanen, der an einem steilen Bergabhang in Fesseln gebunden hängt und auf die Adlerqual wartet, völlig unpassend. Ob auch der vorhergehende Teil der Einleitung des Werkes (§§ 1-3) ebenfalls in einer lustigen, vielleicht sogar karikaturesken Manier vorgetragen wurde, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen, doch eine Kontinui_____________ ἐργῶδες τοῦτο καὶ ἡδύ· ἄλλως καὶ ἡ φροντὶς οὐκ ἀτερπὴς ἔχουσά τινα διατριβήν. ἢ τί γὰρ ἂν ἐπράττομεν οὐκ ἔχοντες ὧν προνοοῦμεν τούτων; ἠργοῦμεν ἂν καὶ τὸ νέκταρ ἐπίνομεν καὶ τῆς ἀμβροσίας ἐνεφορούμεθα οὐδὲν ποιοῦντες. 50 Sehr treffend GARZYA (2001), 141: «Si le ton du dialogue n’est pas parodique, il est sûrement empreint d’humour».

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tät im Ton scheint mir die nächstliegende Annahme zu sein, wie auch die lustigen Andeutungen, die unmittelbar folgen,51 zeigen. Dies hat eine bedeutende Auswirkung zunächst in Bezug auf das Zeusbild, wie es in der Widerlegung des ersten Anklagepunkts, des Betrugs bei der Opfergabenverteilung (§§ 7-10), dargestellt wird. Es ist sehr leicht, dennoch entscheidend, an erster Stelle zu beobachten, dass Lukian seine „Quelle“, Hesiods Theogonie, dermaßen stark umgeformt hat, dass sie an und für sich wahrhaftig kaum noch erkennbar ist. Wäre das hesiodische Werk ganz verloren gegangen und könnte man sich einzig und allein auf Lukians Prometheus für eine Rekonstruktion stützen, könnte kein Philologe oder kein Religionswissenschaftler mehr die Version des Mythos, wie sie ursprünglich in der Theogonie gestanden hat, auf Grund der lukianischen Vorlage rekonstruieren.52 Daher erscheint mir grundsätzlich ein gewisser Zweifel daran, ob Lukian den Prometheus-Mythos der Theogonie während der Komposition seines Prometheus vor dem geistigen Auge als bewusst zu manipulierende Vorlage gehabt hat, mehr als legitim. Vielleicht war die Hesiod-Stelle nur als eine etwas vage Erinnerung in seinem Kopf präsent? Schließlich weiß Lukian nur ein Zitatfragment, καλύψας ἄργετι δημῷ, welches sich – wenn man so will – auf ein etwas unspezifisches Merkmal bezieht, daraus zu bringen. Der hesiodeische Zeus, mit dem sich Prometheus anlegt, strotzt einfach vor Macht und ist insofern recht gefährlich: wer seinen Zorn erregt, kommt ohne Schaden nicht davon, nicht einmal der tüchtige Prometheus, vgl. die „Moral“ am Ende des Mythos (Th. 613-16): ὣς οὐκ ἔστι Διὸς κλέψαι νόον οὐδὲ παρελθεῖν./ οὐδὲ γὰρ Ἰαπετιονίδης ἀκάκητα Προμηθεὺς/ τοῖό γ᾽ ὑπεξήλυξε βαρὺν χόλον, ἀλλ᾽ ὑπ᾽ ἀνάγκης/ καὶ πολύιδριν ἐόντα μέγας κατὰ δεσμὸς ἐρύκει.53 Entsprechend lässt sich dieser Zeus von der List des krumm denkenden Prometheus bei der Op-

_____________ 51 In § 4: (Hermes) «Wir müssen eh warten, bis der Adler kommt, also können wir es uns bis dann mit ein wenig Plaudereien gut gehen lassen, zumal Prometheus es gut kann» (ΕΡΜΗΣ. …ὅμως δ᾽ οὖν λέγε· καὶ γὰρ ἄλλως περιμένειν ἀναγκαῖον, ἔστ᾽ ἂν ὁ ἀετὸς καταπτῇ ἐπιμελησόμενός σου τοῦ ἥπατος. τὴν ἐν τῷ μέσῳ δὴ ταύτην σχολὴν καλῶς ἂν ἔχον εἴη εἰς ἀκρόασιν καταχρήσασθαι σοφιστικήν, οἷος εἶ σὺ πανουργότατος ἐν τοῖς λόγοις), in § 5: ΗΦΑΙΣΤΟΣ. Μὰ Δί᾽, ἀλλὰ κατήγορον ἀντὶ δικαστοῦ ἴσθι με ἕξων, ὃς τὸ πῦρ ὑφελόμενος ψυχράν μοι τὴν κάμινον ἀπολέλοιπας. 52 Vgl. WEST (1966), 319 ad Th. 538: «Neither of these versions is more than a confused and inaccurate digest of Hesiod’s story, simplified by the omission of Zeus’ complaint and the fact that he is allowed to make his own choice». 53 WEST (1966), 305: «…and the moral is drawn that Zeus is not to be outwitted or his purpose thwarted».

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

fergabenverteilung natürlich überhaupt nicht betrügen,54 sondern erkennt die Lage und entscheidet sich ganz bewusst für den schlechteren Teil (Th. 543-49: “ Ἰαπετιονίδη, πάντων ἀριδείκετ᾽ ἀνάκτων,/ ὦ πέπον, ὡς ἑτεροζήλως διεδάσσαο μοίρας. ”/ ὣς φάτο κερτομέων Ζεὺς ἄφθιτα μήδεα εἰδώς·/ τὸν δ᾽ αὖτε προσέειπε Προμηθεὺς ἀγκυλομήτης,/ ἦκ᾽ ἐπιμειδήσας, δολίης δ᾽ οὐ λήθετο τέχνης·/ “ Ζεῦ κύδιστε μέγιστε θεῶν αἰειγενετάων,/ τῶν δ᾽ ἕλευ ὁπποτέρην σε ἐνὶ φρεσὶ θυμὸς ἀνώγει ”), mit dem Ziel, diese Gelegenheit mit kaltem, hinterlistigen Kalkül für seine weitere Pläne mit den Menschen auszunützen (Th. 550-52: φῆ ῥα δολοφρονέων· Ζεὺς δ᾽ ἄφθιτα μήδεα εἰδὼς/ γνῶ ῥ᾽ οὐδ᾽ ἠγνοίησε δόλον· κακὰ δ᾽ ὄσσετο θυμῷ/ θνητοῖς ἀνθρώποισι, τὰ καὶ τελέεσθαι ἔμελλε, sowie 559-60: Ἰαπετιονίδη, πάντων πέρι μήδεα εἰδώς,/ ὦ πέπον, οὐκ ἄρα πω δολίης ἐπελήθεο τέχνης). Von alledem sowie von der ätiologischen Anlage des Mythos55 findet sich bei Lukian nichts mehr. Aus der hesiodeischen Vorlage(?) verwendet er im Prom. lediglich das Motiv vom gewaltigen Zorn des Zeus mehrmals wieder,56 und hat vor allem, wie GARGIULO zutreffend notiert hat,57 die mythische Gelegenheit, zu der bei Hesiod der Opferbetrug stattfand, etwas forciert interpretiert, nämlich als ein ganz gewöhnliches Symposion anlässlich einer wichtigen Entscheidung. Natürlich steht nichts im hesiodeischen Text, was diese Deutung zuließe,58 doch Lukian ging geschickt genug vor, um sich eben _____________ 54 Dies wird erst beim Feuerdiebstahl der Fall sein, Th. 565-67: ἀλλά μιν ἐξαπάτησεν ἐὺς πάις Ἰαπετοῖο/ κλέψας ἀκαμάτοιο πυρὸς τηλέσκοπον αὐγὴν/ ἐν κοίλῳ νάρθηκι. 55 WEST (1966), 305: «The Prometheus myth is aetiological through and through». 56 Vgl. z. B. Th. 553-55: χερσὶ δ᾽ ὅ γ᾽ ἀμφοτέρῃσιν ἀνείλετο λευκὸν ἄλειφαρ,/ χώσατο δὲ φρένας ἀμφί, χόλος δέ μιν ἵκετο θυμόν, ὡς ἴδεν ὀστέα λευκὰ βοὸς δολίῃ ἐπὶ τέχῃ, 561-64: ὣς φάτο χωόμενος Ζεὺς ἄφθιτα μήδεα εἰδώς./ ἐκ τούτου δἤπειτα χόλου μεμνημένος αἰεὶ/ οὐκ ἐδίδου μελίῃσι πυρὸς μένος ἀκαμάτοιο/ θνητοῖς ἀνθρώποις οἳ ἐπὶ χθονὶ ναιετάουσιν, 567-69: δάκεν δ᾽ ἄρα νειόθι θυμὸν/ Ζῆν᾽ ὑψιβρεμέτην, ἐχόλωσε δέ μιν φίλον ἦτορ,/ ὡς ἴδ᾽ ἐν ἀνθρώποισι πυρὸς τηλέσκοπον αὐγήν. – Vgl. z. B. Prom. 7: τὸ τῆς ὀργῆς κεφάλαιον ἡλίκον ἐστὶν ἐννοήσαντα καὶ ὡς μειρακίου τὸ τοιοῦτον, ὀργίζεσθαι καὶ ἀγανακτεῖν εἰ μὴ τὸ μεῖζον αὐτὸς λήψεται, 8: ὥστε ἔγωγε οὐδὲ μνημονεύσειν εἰς τὴν ὑστεραίαν ἔτι ᾤμην τούτων τὸν Δία, οὐχ ὅπως τηλικαῦτα ἐπ᾽ αὐτοῖς ἀγανακτήσειν καὶ πάνδεινα ἡγήσεσθαι πεπονθέναι, 9: ἢ τί γὰρ ἂν ἐποίησεν οὗτος ὅλον βοῦν ἀπολέσας, εἰ κρεῶν ὀλίγων ἕνεκα τηλικαῦτα ὀργίζεται [v. l. ἐργάζεται: γ];. Als erster hat GARGIULO (1993), 205f. (mit den Anm.) die lukianische Wiederverwendung mehrerer Topoi über den Zorn im Prom. vortrefflich bewiesen. 57 GARGIULO (1993), 203: «Si ricordi che, nell’episodio mitico…siamo trasportati da Esiodo in medias res nella località di Mecone senza un chiaro antefatto. Luciano sfrutta l’ambiguità del racconto esiodeo, la mancanza di un preciso contesto […]». 58 Th. 535-37: καὶ γὰρ ὅτ᾽ ἐκρίνοντο θεοὶ θνητοί τ᾽ ἄνθρωποι/ Μηκώνῃ, τότ᾽ ἔπειτα μέγαν βοῦν πρόφρονι θυμῷ/ δασσάμενος προύθηκε, Διὸς νόον ἐξαπαφίσκων.

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8. Der lukianische Prometheus

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diese Unbestimmtheit der knappen Angabe (προύθηκε: wo, außer „bei Tisch“?) zu Nutze zu machen. Die literarische Technik ist hier wirklich bewundernswert. Diese geringfügige Änderung eines einzelnen Details, dieser Wechsel des „Bühnenbildes“ bewirkt eine radikale Wendung der ganzen jetzt in die neue symposiastische Atmosphäre transponierten Szene. Dank dem veränderten setting ist auf einmal viel neues Potential da, welches in einer komischen Dimension entfaltet werden kann: Der Betrug wird zu einem harmlos gemeinten Scherz59 (παιδιά) des Prometheus, um die Stimmung im Trinkgelage etwas geistreich zu erheitern,60 wobei der übermäßige Zorn des Zeus (a.) die besondere Freiheit, die für die symposiastische Situation charakteristisch ist,61 überhaupt nicht berücksichtigt – wie es sich dagegen einem Gott (zumal er der höchste ist!) geziemte –, und außerdem (b.) in gar keinem Verhältnis zur lächerlich geringen Menge des entzogenen Fleisches steht.62 Im einleitenden Abschnitt des Werkes wird die rhetorische Meisterschaft der Hauptfigur mehrmals betont, so dass im Publikum die entsprechende Erwartung einer rhetorischen Leistung hohen Niveaus, welche sich – wie bereits angemerkt – in einem entspannten Ton leichten Humors entfaltet, entsteht. Auch der gerade besprochene literarische Kunstgriff ist, unter den zahlreichen anderen, natürlich in genau diesem Zusammenhang zu sehen. Da nun aber die mit der Argumentation verbundenen rhetorischen Aspekte – darunter nicht zuletzt jene Elemente, die absolut typisch für Lukian sind, wie die Eros- und Opfergier der Götter63 – bereits in _____________ 59 Außerdem erwägt GARGIULO (1993), 204 (m. E. ganz zu Recht) die Möglichkeit, dass diese Idee des Scherzes Lukian aus dem Lächeln des Prometheus in Th. 546f.: τὸν δ᾽ αὖτε προσέειπε Προμηθεὺς ἀγκυλομήτης,/ ἦκ᾽ ἐπιμειδήσας, δολίης δ᾽ οὐ λήθετο τέχνης, hat kommen können. 60 Prom. 8: ἀλλ᾽ εἰ καί τι ἡμάρτηται μεταξὺ εὐωχουμένων, παιδιὰν ἡγεῖσθαι καὶ αὐτοῦ ἐν τῷ συμποσίῳ καταλιπεῖν τὴν ὀργήν· ἐς δὲ τὴν αὔριον ταμιεύεσθαι τὸ μῖσος καὶ μνησικακεῖν καὶ ἕωλόν τινα μῆνιν διαφυλάττειν, ἄπαγε, οὔτε θεοῖς πρέπον οὔτε ἄλλως βασιλικόν […] ὥστε ἔγωγε οὐδὲ μνημονεύσειν εἰς τὴν ὑστεραίαν ἔτι ᾤμην τούτων τὸν Δία […] …εἰ διανέμων τις κρέα παιδιάν τινα ἔπαιζε πειρώμενος εἰ διαγνώσεται τὸ βέλτιον ὁ αἱρούμενος. 61 Prom. 8: ἢν γοῦν ἀφέλῃ τις τῶν συμποσίων τὰς κομψείας ταύτας, ἀπάτην καὶ σκώμματα καὶ τὸ διασιλλαίνειν καὶ ἐπιγελᾶν, τὸ καταλειπόμενόν ἐστι μέθη καὶ κόρος καὶ σιωπή, σκυθρωπὰ καὶ ἀτερπῆ πράγματα καὶ ἥκιστα συμποσίῳ πρέποντα. – Weitere Stellen zu diesem ungeschriebenen Gesetz in GARGIULO (1993), 205 Anm. 63, insbesondere Plut., Quaest. conv., Buch I, prooem., 612 C-D und Luc., Symp. 3. 62 Prom. 9: ἢ τί γὰρ ἂν ἐποίησεν οὗτος ὅλον βοῦν ἀπολέσας, εἰ κρεῶν ὀλίγων ἕνεκα τηλικαῦτα ἐργάζεται. Dieser Punkt wird in §§ 9-10 mit lustiger Virtuosität amplifiziert. 63 Prom. 17: ὃ δὲ μάλιστά με πνίγει τοῦτ᾽ ἐστίν, ὅτι μεμφόμενοι τὴν ἀνθρωποποιίαν καὶ μάλιστά γε τὰς γυναῖκας ὅμως ἐρᾶτε αὐτῶν καὶ οὐ διαλείπετε κατιόντες,

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

anderen vortrefflichen Beiträgen analysiert worden sind,64 möchte ich an dieser Stelle die Aufmerksamkeit auf einen anderen, vernachlässigten Aspekt richten, nämlich darauf, dass das Werk ein happy ending hat. Nicht nur hat Prometheus, als er seine Verteidigung abschließt, seine früheren Gegner überzeugt,65 sondern hat auch ihre Sympathie für sich definitiv gewonnen, so dass sie sich wünschen, ihn bald wieder frei zu sehen. Mehr noch: Prometheus weiß – kontert er zum Schluss –, dass er bald wieder frei sein wird, weil er über eine Information verfügt, welche sogar Zeus selbst dazu bewegen wird. Bezeichnenderweise schließt das Werk mit einer letzten Bemerkung des Hermes, welche den Moment der Befreiung selbst vorwegnehmend visualisiert.66 Much ado about nothing also: niemand hat sich am Ende ernsthaft verletzt und alles kehrt an seinen ordnungsgemäßen Platz wieder zurück. (Hervorgehoben ist diese heitere Atmosphäre der Schlussszene auch durch einen gelungenen kleinen Witz.67) Ich fasse das bis hierher Erarbeitete zusammen: anmutiger Humor und leichte Ironie als durchgängige Grundstimmung, Erwartung einer glänzenden rhetorischen performance als bewusst induzierte Rezeptionsbedingung für den Hauptteil des Dialogs, das Ganze mit heiterem Schluss. In seiner προλαλιά Dionysos hat Lukian sein Publikum – und somit indirekt auch uns – auf unvergleichlich geistvolle Art und Weise davor gewarnt, seine Werke zu banalisieren und in ihnen nur den banalen Aspekt gedankenloser Lustigkeit (σατυρικὰ καὶ γελοῖά τινα καὶ κομιδῇ κωμικά) zu sehen.68 Es ist natürlich unzulässig, die in dieser Passage ausgedrückte Idee auf den ganzen Lukian zu projizieren und aus ihr eine Art _____________

64 65 66 67 68

ἄρτι μὲν ταῦροι, ἄρτι δὲ σάτυροι καὶ κύκνοι γενόμενοι, καὶ θεοὺς ἐξ αὐτῶν ποιεῖσθαι ἀξιοῦτε, ebd.: ἀλλὰ ὑμεῖς, ὅταν μὲν ὑμῖν τὰς ἑκατόμβας προσάγωσιν, οὐκ ὀκνεῖτε, κἂν ἐπὶ τὸν Ὠκεανὸν ἐλθεῖν δέῃ “μετ᾽ ἀμύμονας Αἰθιοπῆας”, 19: ὁρῶ δέ γε ὑμᾶς μάλιστα χαίροντας τῷ καπνῷ καὶ τὴν εὐωχίαν ταύτην ἡδίστην οἰομένους, ὁπόταν εἰς τὸν οὐρανὸν ἡ κνῖσα παραγένηται “ἑλισσομένη περὶ καπνῷ”. ἐναντιωτάτη τοίνυν ἡ μέμψις αὕτη ἂν γένοιτο τῇ ὑμετέρᾳ ἐπιθυμίᾳ. Vgl. vor allem GARGIULO (1993) und CARMEN CABRERO (2001). Prom. 20: ΕΡΜΗΣ. Οὐ ῥᾴδιον, ὦ Προμηθεῦ, πρὸς οὕτω γενναῖον σοφιστὴν ἁμιλλᾶσθαι. Prom. 21: ὑπόμενε οὖν καρτερῶς· εἴη δέ γε ἤδη σοι τὸν Θηβαῖον ὃν φὴς τοξότην ἐπιφανῆναι, ὡς παύσειέ σε ἀνατεμνόμενον ὑπὸ τοῦ ὀρνέου. Prom. 20: ΕΡΜΗΣ. Εἰ γὰρ γένοιτο, ὦ Προμηθεῦ, ταῦτα καὶ ἐπίδοιμί σε λελυμένον, κοινῇ σὺν ἡμῖν εὐωχούμενον, οὐ μέντοι καὶ κρεανομοῦντά γε. Bacch. 5: ὅτι μοι δοκοῦσι […] ὅμοιόν τι πάσχειν οἱ πολλοὶ πρὸς τοὺς καινοὺς τῶν λόγων τοῖς Ἰνδοῖς ἐκείνοις, οἷον καὶ πρὸς τοὺς ἐμούς· οἰόμενοι γὰρ σατυρικὰ καὶ γελοῖά τινα καὶ κομιδῇ κωμικὰ παρ᾽ ἡμῶν ἀκούσεσθαι […] οἱ μὲν οὐδὲ τὴν ἀρχὴν ἀφικνοῦνται, ὡς οὐδὲν δέον παρέχειν τὰ ὦτα κώμοις γυναικείοις καὶ σκιρτήμασι σατυρικοῖς καταβάντας ἀπὸ τῶν ἐλεφάντων, οἱ δὲ ὡς ἐπὶ τοιοῦτό τι ἥκοντες ἀντὶ τοῦ κιττοῦ σίδηρον εὑρόντες οὐδ᾽ οὕτως ἐπαινεῖν τολμῶσι τῷ παραδόξῳ τοῦ πράγματος τεθορυβημένοι.

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höchstes Prinzip der lukianischen Poetik machen zu wollen. Allein die Datierungsschwierigkeiten für die einzelnen Werke verböten dies, doch das Hauptproblem hier ist, dass es unklar bleibt, auf welche seiner Produkte genau Lukian diese Äußerung bezog.69 Im Prom. jedoch (um es so zu formulieren) überwiegen „die Komödie“ und „die Sophistik“ zu sehr, als dass man sich ernsthaft über die intentio operis noch täuschen könnte. Wie uns die lukianische Ermahnung im Dionysos lehrt, schließt die sophistische Komödie Elemente ernsthafter Reflexion im Prinzip nicht aus, aber wenn ihre Präsenz so massiv wie im Prom. wird, dann erscheint jeder Versuch, der sozusagen das Gleichgewicht verliert und das rein Komödienhafte im Werk stark reduziert bzw. ganz verdrängt, um dies durch ein hohes Maß an Engagement zu ersetzen, als ein Willkürakt, der einige Aspekte verabsolutiert und andere ausblendet. So z. B. ist dem Werk keine grundsätzliche religionskritische Intention aufzuzwingen, lediglich weil in Hermes’ erstem Einwurf unmittelbar nach dem Abschluss der prometheischen Apologie sich unter anderem auch die Bemerkung findet: οὕτω δεινῶς αὐτοῦ [sc. Zeus] κατηγόρηκας ἀπολογεῖσθαι δοκῶν.70 Hierbei kann es sich aber kaum um eine σφραγίς für die ganzen vorigen Ausführungen, also um einen vom Autor etwas versteckt dargebotenen „gesamten Deutungsschlüssel“ für das ganze Vorhergehende, handeln. Der Zweck dieser Bemerkung ist vielmehr, was die erzählerische Ökonomie anbelangt, einen bestimmten Ausgang der dialogischen Gesamtsituation herbeizuführen, in diesem Falle den dialektischen Sieg des Prometheus in der Verteidigung seines Falles vor Gericht zu verkünden. Der Sinn dieser Stelle ließe sich also – wollte man ihn expliziter machen – etwa mit folgenden Worten wiedergeben: »Da du, Prometheus, gezeigt hast, dass du offenbar Recht hast, würde sich Zeus, den wir ja mittlerweile als Kleingeist gut kennen (siehe z. B. die Episode mit den Knochen und dem Fleisch), noch stärker darüber ärgern, jetzt wo er sich in deiner ungerechten Verurteilung so bloßgestellt sieht; und ich könnte mir gut vorstellen, dass er dich darum noch stärker bestrafen würde!«. Ich sehe hier keine Ansatzpunkte, um daraus einen „Anklageakt gegen die Götter“, ein titanisches J’accuse! (GARGIULO spricht von «la requisitoria di Prometeo»71) zu machen. (Außerdem ist auch hier der Ton dieser Bemerkung – wie der Satz ἑκκαίδεκα _____________ 69 Vgl. NESSELRATH (1990), 138 mit Anm. 49. 70 Prom. 20, die ganze Stelle lautet: ΕΡΜΗΣ. Οὐ ῥᾴδιον, ὦ Προμηθεῦ, πρὸς οὕτω γενναῖον σοφιστὴν ἁμιλλᾶσθαι· πλὴν ἀλλὰ ὤνησο, διότι μὴ καὶ ὁ Ζεὺς ταῦτα ἐπήκουσέ σου· εὖ γὰρ οἶδα, ἑκκαίδεκα γῦπας ἂν ἐπέστησέ σοι τὰ ἔγκατα ἐξαιρήσοντας· οὕτω δεινῶς αὐτοῦ κατηγόρηκας ἀπολογεῖσθαι δοκῶν. ἐκεῖνο δέ γε θαυμάζω, ὅπως μάντις ὢν οὐ προεγίγνωσκες ἐπὶ τούτοις κολασθησόμενος. ΠΡΟΜΗΘΕΥΣ. Ἠπιστάμην, ὦ Ἑρμῆ, καὶ ταῦτα μὲν […]. 71 GARGIULO (1993), 213.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

γῦπας ἂν ἐπέστησέ σοι τὰ ἔγκατα ἐξαιρήσοντας zeigt – leicht ironisch und witzig, wie der Rest des Werkes sonst auch.) Dies ist zu bedenken auch in Bezug auf die sehr vertiefte Lektüre des Werkes, die TRISTANO GARGIULO, m. E. der bisher feinste Interpret des Prom., 1993 gegeben hat. Für den italienischen Philologen liegt die „Hauptbotschaft“ des opusculum in der Hervorhebung der grundsätzlichen Ähnlichkeit zwischen Göttern und Menschen, was vor allem daran zu erkennen sei, dass beide Gruppen die gleichen Schwächen zeigen. Der Anspruch der Götter auf Überlegenheit sei somit unbegründet, und genau hierin liege die religionskritische Intention Lukians im Prom.72 Diese Interpretation basiert im Grunde auf der an sich richtigen Beobachtung, dass der gleiche „Mechanismus der Anerkennung unter Ungleichen“ (die Reichen und Mächtigen brauchen den Anblick und die Gegenwart derjenigen, die ärmer, schwächer und unglücklicher sind als sie, um sich überhaupt bzw. besser an der eigenen Überlegenheit erfreuen zu können), der im Prom. für die Götter gilt,73 von Lukian in anderen Werken74 auf die Reichen bzw. die Pseudophilosophen, diesmal kritisch, bezogen wird.75 Nun behält diese Beobachtung qua Feststellung einer intertextuellen Dimension dieser Stelle im Prom. gewiss ihre Richtigkeit; ihr wird jedoch, wie mir scheint, ein disproportionierter Wert beigemessen, sobald man daraus die Grundlage für die Deutung des ganzen Werkes machen will, denn dieser argumentative Ansatz (der Mechanismus der Anerkennung unter Ungleichen nämlich) ist nur eines unter vielen anderen gleichwertigen Argumenten, die in der Rede des Prometheus sukzessiv an die Reihe kommen, und ich kann auf rein textueller Ebene kein Merkmal aufspüren, das ausgerechnet dieses Argument über die anderen hinauf zur Rolle einer zentralen Grundidee erheben würde. Es ist lediglich ein Aspekt unter an_____________ 72 GARGIULO (1993), 214: «Come i potenti e i ricchi e gli intellettuali disonesti, anche gli Olimpi costituiscono un gruppo dominante che pretende di avere e di far valere un’autorità cui molti erroneamente credono, ma che è in realtà usurpata, giacché essi non hanno i titoli per possederla, cioè la superiorità morale e intellettuale […]; così gli Olimpi…mostrano di partecipare – quasi paradigma rovesciato – delle manchevolezze, intellettuali e morali, degli uomini al punto da risultare uguali o anche inferiori ad essi (§§ 10, 16)». 73 Vgl. Prom. 12: καὶ γὰρ ἐνδεῖν τι ᾤμην τῷ θείῳ, μὴ ὄντος τοῦ ἐναντίου αὐτῷ καὶ πρὸς ὃ ἔμελλεν ἡ ἐξέτασις γιγνομένη εὐδαιμονέστερον ἀποφαίνειν αὐτό· θνητὸν μέντοι εἶναι τοῦτο, εὐμηχανώτατον δ᾽ ἄλλως καὶ συνετώτατον καὶ τοῦ βελτίονος αἰσθανόμενον, und 15 (zit. oben). 74 Vgl. u. a. Nigr. 23, Sat. 29, Paras. 58 (vgl. NESSELRATH [1985], 487). 75 GARGIULO (1993), 205f.: «…al § 15, dove diviene evidente che una tale configurazione del rapporto dei/uomini non è che un’estensione del rapporto ricchi/poveri».

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8. Der lukianische Prometheus

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deren, ein Argument unter den vielen, die sich der geschickte Prometheus zu Nutze zu machen weiß, nicht der fokale Punkt seiner Rede.

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9. De Astrologia 9.1. Zur Frage der Autorschaft Ähnlich wie im Falle von De dea Syria, das „ionische Pendant“ zu De astrol. im Corpus Lucianeum, ist die Frage der Zuweisung dieser Schrift an Lukian seit langem debattiert worden. Gründliche Überblicke über die Verteilung der Meinungen der verschiedenen Forscher für oder gegen die lukianische Autorschaft findet man bei HALL1 und neuerdings bei LIGHTFOOT,2 so dass hier ein nur schematischer Hinweis ausreichen wird: pro

dezidiert contra 3

ERASMUS 4 DU SOUL HARMON5 HALL6 FELDTKELLER7 LIGHTFOOT8

9

WIELAND DINDORF10 BOLL11 CROISET12 WEDEMEYER13 HELM14 CASTER15 NILSSON16 BETZ17 SCHWARTZ18 HERRMANN19

vorsichtiger contra ALLINSON20 SCHMID21 LESKY22 BOMPAIRE23 JONES24 NESSELRATH25

_____________ 1 HALL (1981), 381f. 2 LIGHTFOOT (2003), 191 mit Anm. 476 und 478. 3 Z. B. Ep. 267, 11. November 1512 (Opvs epistolarvm Des. Erasmi Roterodami, denvo recognitvm et avctvm per P.S. ALLEN, T. 1: 1484 - 1514, Oxonii 1906). 4 Apud GESNER (1743), 361. 5 Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, 347 (seine frühere Meinung [Bd. 1, 1913, ix] widerrufend). 6 HALL (1981), 381-8. 7 FELDTKELLER (1994), 38. 8 LIGHTFOOT (2003), 195 [Hervorhebung von mir]: «But this, surely, is to multiply hypotheses beyond what is necessary, to avoid facing the obvious conclusion: DDS is an authentic Lucianic work, and so is the Astrologia». – Allerdings in der Anm. 502 ebd.: «Which leaves the problem of the Astrologia’s objective». 9 Lucians von Samosata Sämtliche Werke. Aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen und Erläuterungen versehen von C.M. WIELAND, Theil 5, Leipzig 1789, 246 Anmerkung. 10 Herodoti Historiarum Libri IX. Recognovit et commentationem de dialecto Herodoti præmisit Guilielmus DINDORFIUS. Ctesiae et chronographorum, Castoris, Erathosthenis etc. fragmenta dissertatione et notis illustrata a Carolo MÜLLERO. Graece et Latine cum indicibus, (Didot) Parisiis 1844, xlvi. 11 BOLL (1894), 151-3.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

In Bezug auf die Forschungsgeschichte zu De astrol. müssen die folgenden Punkte festgehalten werden: (a.) Sehr leicht zu entdecken (und daher auch längst ausgesprochen und immer wiederholt) ist jenes Element, welches alle Positionen, die De astrol. Lukian absprechen, gemeinsam haben: der Grund für die Ablehnung ist die Unfähigkeit mancher Gelehrter, ihr eigenes, oft sehr idiosynkratisches Bild von Lukian als einem „Religionskritiker“, der insbesondere den Aberglauben angreife, mit der anscheinend positiven Darstellung und Verteidigung eines typisch abergläubischen Phänomens wie der Wahrsagung, welche in De astrol. scheinbar zu finden sind, zu vereinbaren.26 _____________ 12 CROISET (1899), 590. 13 WEDEMEYER (1923), 67-72, z. B. 69: «Wenn aber eine unzweifelhaft unechte ionische Schrift wie die Apologie der Sternkunde in Lukians Werke Eingang finden konnte, so mußte sein Name offenbar mit der pseudoionischen Manier irgendwie in Beziehung stehen: erst die Schrift de dea Syria hat wahrscheinlich die Apologie nach sich gezogen». 14 HELM (1927), 1731. 15 CASTER (1937), 260-3. 16 NILSSON (1950), 537 Anm. 5. 17 BETZ (1961), 25. 18 SCHWARTZ (1965), 129. 19 HERRMANN (1966), 450-3. 20 ALLINSON (1886), 206f. 21 SCHMID/STÄHLIN (1924), 721. 22 LESKY (1971), 763 (HELM folgend). 23 BOMPAIRE (1958), 653f.; BOMPAIRE (1993), xxvii. 24 JONES (1986), 170. 25 NESSELRATH (1999), 499; NESSELRATH (2001), 29; H.-G. NESSELRATH, Rez. von LIGHTFOOT (2003), in: «CR» 54 (2004), 345 mit Anm. 1 (z. Zt. aber etwas mehr zum pro geneigt: mündliche Mitteilung am 10.07.2006). 26 Z. B. CASTER (1937), 261: «L’atmosphère de ce traité sur l’Astrologie…produit chez le lecteur habitué au vrai Lucien l’impression d’un complet dépaysement…Et comment veut-on que Lucien ait écrit ces lignes, qui contredisent toute sa pensée?»; HERRMANN (1966), 451: «En tout cas, il est absolument impossible d’attribuer un tel ouvrage à Lucien, ne serait-ce qu’à cause de tout ce qu’il a écrit contre les oracles». Den Tenor von HERRMANNS „Argumenten“ kann man aus der Fortsetzung des zitierten Passus entnehmen: «Je remarque aussi une contradiction formelle au sujet de la naissance d’Énée issu des amours divins d’Anchise et d’Aphrodite entre Lucien (Dialogi deorum XI, 1; XX, 5 ; Deorum Concilium, 8) et le De astrologia, 20». Vermutlich hätten solche „contradictions formelles“ Lukian selbst nicht übermäßig gestört. – LIGHTFOOT formuliert die gleiche Schwierigkeit in Bezug auf DDS so: «Could the same man who was contemptuous of religious sectarianism, and of communities who laid claim to particular deities, write a straight-faced treatise on the Assyrian Hera of Hierapolis?» (LIGHTFOOT [2003], 186). Vgl. auch JONES (1986), 90 mit Anm. 1.

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9. De Astrologia

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(b.) Wie es bei der Interpretation mancher lukianischer Werke nicht selten der Fall ist, ist der mangelhafte Kontext, d. h. die fehlenden Informationen über den ursprünglichen Sitz im Leben der Schrift, auch für De astrol. der Anlass zu zahlreichen Hypothesen gewesen, womit man diesen luftleeren Raum zu füllen versuchte. Was dabei immer wieder ins Auge springt, ist, wie mechanisch in solchen Fällen verfahren wird. • Auf Grund der sprachlichen Ähnlichkeit, also des ionischen Dialekts, dachte man z. B. an eine Verbindung zwischen dem lukianischen Tadel für fehlerhaften Gebrauch des ionischen Dialekts durch manche Historiker in De historia conscr. und den beiden ionischen Stücken De astrol. und DDS, welche als eine Art Kontrastfolie den Nachweis liefern sollten, wie gut Lukian selbst dagegen ionisch schreiben konnte.27 • Auf gleiche Art und Weise hat man wegen der thematischen Vergleichbarkeit die Hypothese eines Zusammenhanges von De astrol. mit der Orakelkritik in JConf. 12-14 oder sogar mit der Rede Gegen die Astrologen des Favorinus, auf welche es eine Antwort sein soll, aufgestellt.28 • Da Lukian Demokrit in Vit. auct. 13 ionisch sprechen lässt (Ionisch war natürlich seine Muttersprache) und ein Interesse des Philosophen aus Abdera an den mit der Astrologie angrenzenden Gebieten bezeugt ist, so müsste Lukian wahrscheinlich an Demokrit als Sprecher dieser Schrift gedacht haben.29 Alle diese Thesen oder Hinweise lassen sich jedoch mit nichts untermauern. Manchen können sie vielleicht plausibel erscheinen, aber verbindlich sind sie mit Sicherheit für niemanden. Sie bleiben Spekulationen, wenn auch z. T. geistreiche. (c.) Nach einer endlosen Reihe oberflächlicher Behauptungen über diesen so delikaten und spezifischen Punkt seitens vieler Forscher hat endlich LIGHTFOOT durch eine meisterhafte Analyse den unbestreitbaren Nachweis für die enge sprachliche Affinität von DDS und De astrol. erbracht.30 Dies sollte nunmehr als ein festes Ergebnis der Forschung gelten, von welchem abzusehen nicht mehr möglich ist. _____________ 27 HARMON, Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, Anm. 1 auf S. 369; HALL (1981), 384. 28 CASTER (1937), 262; HALL (1981), 384-5. Anlass zu dieser Verbindung mit Favorinus ist vermutlich die Stelle De astrol. 2: ἀλλὰ μέμφομαι ὁκόσοι σοφοὶ ἐόντες τὰ μὲν ἄλλα ἐπασκέουσι καὶ παισὶ τοῖς ἑωυτῶν ἀπηγέονται, μούνην δὲ ἀστρολογίην οὔτε τιμέουσιν οὔτε ἐπασκέουσιν gewesen. 29 HARMON, Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, 347 [Hervorhebung von mir]: «A mock eulogy of judicial astrology, put into the mouth of some ancient worthy who used the Ionic dialect, almost certainly Democritus the peer of Herodotus in Ionic prose style and the author, according to Cicero (de Divin., I, 42), of a treatise on extispicy». 30 LIGHTFOOT (2003), 189-194.

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9.2. Thema und Adressat Um sich von der Einfachheit von De astrol. nicht irreführen zu lassen, muss man sich vorab auf möglichst präzise Weise zu Gemüte führen, was genau diese Schrift ist. Man tut ihrer Klarheit Unrecht, wenn man sie allgemein bloß als eine „Verteidigung der Astrologie“ bezeichnet. Ihr Thema, wie es in den ersten zwei Paragraphen präsentiert wird, ist – genauer – die Wahrhaftigkeit der astrologischen Wahrsagung. Es wird explizit gesagt, dass es sich nicht um eine Lehrschrift technischen Inhalts (§ 1: ὁ δέ μοι λόγος οὐκ ὑποθημοσύνην ἔχει οὐδὲ διδασκαλίην ἐπαγγέλλεται ὅκως ταύτην τὴν μαντοσύνην διενεκτέον), sondern um eine Polemik (§ 1: ἀλλὰ μέμφομαι, § 2: οὐ δικαίως, ἐμοὶ δοκέει, φρονέοντες) handelt – was ja das Darbringen von Gegenargumenten natürlich impliziert. Die Adressaten, gegen welche sich der Tadel des Autors richtet, sind nicht näher definierte σοφοί, also „Gelehrte“ (der vage Terminus σοφός schließt sowohl die Kategorie der Rhetoren als auch jene der Philosophen mit ein),31 welche besagte Disziplin missachten und weder unterrichten noch pflegen (§ 1: ἀλλὰ μέμφομαι ὁκόσοι σοφοὶ ἐόντες τὰ μὲν ἄλλα ἐπασκέουσι καὶ παισὶ τοῖς ἑωυτῶν ἀπηγέονται, μούνην δὲ ἀστρολογίην οὔτε τιμέουσιν οὔτε ἐπασκέουσιν). Später wird die gleiche Haltung mit den folgenden Ausdrücken beschrieben (§ 2): ἄστρων τε κατηγορέουσιν καὶ αὐτὴν ἀστρολογίην μισέουσιν, οὐδέ μιν οὔτε ὑγιέα οὔτε ἀληθέα νομίζουσιν, ἀλλὰ λόγον ψευδέα καὶ ἀνεμώλιον. Der Grund dafür wird nicht explizit genannt, doch unmittelbar danach ist im Text die Rede davon, wie oft in der damaligen Zeit Individuen falsche Prophetien verkündeten (§ 2: καὶ εὖτ᾿ ἂν ἀνδράσιν ἐπικυρέωσιν ψεύδεα μαντευομένοις). Diese seien es, die die Disziplin so sehr in Verruf gebracht hätten. Wegen ihres Unwissens und ihrer Trägheit beherrschten sie sie nämlich nicht mehr. 9.3. Ernst gemeint oder nicht? HALL weist auf einen wesentlichen Aspekt hin, nämlich darauf, dass ganz besonders im Falle von De astrol. das richtige Verständnis des Werkes von seiner konkreten „Aufführung“ abhängig zu sein scheint. Stimme, Mimik, besondere Betonung gewisser Details usw. hätten die Ambiguität, welche dem reinen Wortlaut der Schrift z. T. anhaftet, beseitigt.32 M. E. denkt sie _____________ 31 Vgl. HALL (1981), 151f. für die fließende Grenze zwischen diesen beiden Kategorien im 2. Jh. n. Chr. 32 HALL (1981), 386f.

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jedoch diesen so belangreichen Punkt nicht zu Ende, denn wenn man bereits richtig erkannt hat, dass die Schrift zum größten Teil eine «solemn parade of increasing absurdities»33 aufweist, dann dürfte man – wäre man konsequent – eigentlich auch nicht mehr an einer intrinsischen Zweideutigkeit von De astrol. festhalten und behaupten: «A believer in astrology might read the piece and find nothing in it to offend him».34 Ich möchte dagegen die Behauptung wagen, dass selbst diesem „believer“ die ironische Intention gar nicht lange hätte verborgen bleiben können – oder zumindest wäre er am Ende von einer derartig schwachen Verteidigung der Astrologie schwer enttäuscht gewesen. In diesem Zusammenhang verdient aber auch ein anderer, und zwar sehr bedeutsamer Aspekt unsere Aufmerksamkeit: dass nämlich die Piece nicht nur im (literarischen) ionischen Dialekt geschrieben, sondern vor allem in dieser Sprachform auch öffentlich rezitiert und laut vorgelesen wurde. In einem Kontext wie jenem der declamationes der Zweiten Sophistik35 war nun der „Wert“ der sprachlichen Reinheit im Sinne des Attizismus schlichtweg maßgeblich.36 Man versuche, sich das bildlich vorzustellen: Das laute Vorlesen solch ungewohnter ionischer Laute – ob mit oder, vielmehr, ohne Vorankündigung, um dadurch eine gewisse Überraschung zu erzielen, weiß man nicht – musste per se bei einem sonst an den so feinen Ton der attischen Mundart37 gewöhnten Publikum sofort einen starken „Verfremdungseffekt“ hervorrufen (um eine etwas weniger abstrakte Idee einer solchen Situation zu bekommen, stelle man sich etwa einen strengen lutherischen Theologie-Professor vor, der zu Beginn eines Festvortrags mit vollkommen ernster Miene plötzlich anfinge, das Publikum auf Dialekt über die Unfehlbarkeit des Papstes zu belehren). Bedenkt man das, wird einem sofort klar, wie wenig diese in höchstem Maße gekünstelte Vermittlungsform sich dafür, dass sich das Publikum auf ein derartiges Produkt wie De astrol. ernsthaft einlassen würde, eignen konnte.38 – Man kann nur darüber staunen, dass dieser so simple wie offenkundige Aspekt bisher der allgemeinen Aufmerksamkeit derer, die sich mit De astrol. näher befasst haben, entgangen zu sein scheint.39 Man kann also des weiteren _____________ 33 34 35 36 37

HALL (1981), 387. HALL (1981), 386. Vgl. KORENJAK (2000), 33ff. SWAIN (1996), 17-64; SCHMITZ (1997), 67-96; KORENJAK (2000), 58. Zu diesem Aspekt unter expliziter Berücksichtigung Lukians vgl. WEISSENBERGER (1996) sowie zuletzt KARAVAS (2005), 10-22. 38 Die Möglichkeit, dass De astrol. als προλαλιά hätte verwendet werden können, wird übrigens auch von HALL selbst anerkannt (HALL [1981], 384). 39 Auch ANDERSON, der auf diesen Aspekt eingeht (ANDERSON [1976c], 73): «If Lucian presented the DS in front of a regular public, anyone familiar with D.Deor. or the

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folgern, dass der besondere Reiz dieses Werkes – paradoxerweise muss man, aus unserer Sicht gesehen, wohl sagen – darin bestand, dass der Autor, bei allem klaren Bewusstsein, dass er vom Publikum sicherlich nicht ernst genommen werden würde, dennoch nicht darauf verzichtete, sich im Werk den Anschein zu geben, „irgendwie“ überzeugen zu wollen, „selbst“ irgendwie hinter der darin verfochtenen These der Tüchtigkeit der Astrologie zu stehen.40 9.4. Analyse des Werkes Man kann meiner Meinung nach dem ersten Teil von A.M. HARMONS Gesamturteil über die kurze Schrift (insbesondere seiner Bezeichnung von De astrol. als „mock eulogy“) durchaus zustimmen, wenn er schreibt: «The thing is so clever that it has duped almost everyone...into taking it in earnest and proclaiming it spurious. Its Lucianic origin, however, is apparent if one looks closely enough».41

HARMON fährt aber folgendermaßen fort: «It is only mock eulogy, but still, in spite of the fun in it, not quite meant as satire or parody. It is primarily a sophistical literary exercise of the same nature as the first and second Phalaris, in which the fun is incidental—a Lucianic “parergy” ».42

Es gibt aber, glaube ich, gute Gründe, um diese Auffassung von De astrol. als rein literarisches Spiel ohne satirische vis kategorisch zu bestreiten. Gar nicht spekulativ wie die Hypothesen zum Sitz im Leben des Werkes sind dagegen die thematischen und strukturellen Ähnlichkeiten zwischen De astrol. und anderen Werken Lukians, die HARMON selbst und andere beobachtet haben. Solche Berührungspunkte sind aber in der Regel nur sehr flüchtig erwähnt worden, und dementsprechend ist ihnen nicht der gebührende Wert beigemessen worden. Daher scheint es mir nicht fehl am Platz, diesen Aspekt hier etwas eingehender darzulegen. _____________ ‘Menippean’ pieces would appreciate its irony from the mouth of an outspoken sceptic. If, on the other hand, he had to deliver it to a strange audience, then it would still need only a brief prolalia to make his intentions clear». 40 In dieser Richtung denkt anscheinend auch HOLFORD-STREVENS in der brillanten Notiz, welche LIGHTFOOT (2003), in der Anm. 502 auf S. 195 abdruckt, wenn er schreibt: «the reader’s fun is waiting to see who will get the treatment next and how it will be done, the author’s how long the penny will take to drop». 41 Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, 347. 42 Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, 347.

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A.) Niemand scheint bisher beobachtet zu haben, dass auf der Ebene der Makrostruktur die drei kleinen „Traktate“ De astrol., De luctu und De sacr. die gleiche dreiteilige Gliederung mit – einem kurzen einleitenden Teil mit Verkündung der Intentionen des Autors, d. h. mit ausgeprägt persönlicher Stellungnahme (negativen Tons) in Bezug auf die Hauptthese, – einem langen Hauptteil, vorwiegend aus einer kritisch-ironischen Auseinandersetzung mit mythologischem Material bestehend, und – einem ebenfalls kurzen Schlussteil, ringkompositorisch auf den Anfang zurückverweisend, mit Bekräftigung, durch Wiederholung, der „Ergebnisse“ der Ausführung aufweisen. In allen drei genannten Werken sind diese drei Teile klar erkennbar, u. a. weil die Überleitungen nicht „glatt“ ausgearbeitet, sondern einander gleichsam gegenübergestellt worden sind – absichtlich. B.) Nicht auf bloßem Zufall mag auch der Parallelismus in der Reihenfolge der Stationen kultureller Errungenschaften bis zum Endpunkt Griechenland beruhen:43 iter der Philosophie bis ins Griechenland: Fug. 8 Indien Äthiopien Ägypten Babylon Skythien Thrakien (Orpheus erwähnt) Griechenland

iter der Astrologie bis Einsatz von Tanz bei nicht-griechischen Völkern: nach Griechenland: De salt. 17-19 De astrol. 3-10 Indien Ø Äthiopien Äthiopien Ägypten Ägypten/Libyen Babylon Ø Orpheus (Thrakien) Griechenland

C.) Es gibt in De astrol. nicht wenige Inkonsistenzen, auffällige und breite „Risse“ im Gesamtaufbau oder im Netz der Argumentationsentwicklung. Sie dürfen nicht ignoriert werden, denn dem ernsthaft engagierten Autor eines echten „Pamphlets pro astrologia“ wären solche Fehler schwerlich unterlaufen. 1. Bei der anfänglichen Präsentation der Hauptthese des ehrwürdigen Alters der astrologischen Kunst in § 2 wird auf einige alte „fromme“ Könige (ἀλλ᾿ ἔστιν ἔργον ἀρχαίων βασιλέων θεοφιλέων) Bezug genommen. Diese verschwinden dann aber spurlos im Rest der Darlegung (bis auf die einzige Ausnahme – falls man diese als Ausnahme be_____________ 43 Vgl. schon HARMON, Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, Anm. 1 auf S. 354, und LIGHTFOOT (2003), 192, ANDERSON ([1976c], 70f.) ergänzend.

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trachten will – der Brüder Atreus und Thyestes im Zweikampf um den Thron von Argos in § 12). In § 3 wird behauptet, dass die Äthiopier (a.) auf Grund der Beobachtung der Mondphasen entdeckt hätten, dass (b.) das Mondlicht nur ein Reflex des Sonnenlichtes sei,44 aber man sieht hier den Zusammenhang zwischen (a.) und (b.) überhaupt nicht, d. h. aus dem Text wird überhaupt nicht ersichtlich, wie sie, von (a.) ausgehend, (b.) hätten entdecken können. Außerdem versteht man nicht, warum sie, wenn sie in ihren Beobachtungen schon so tüchtig waren, den Ägyptern ein nur unvollständiges System (ἀτελέα τὸν λόγον, ἡμιεργέα τὴν μαντικὴν) überliefert hätten. Einen fehlenden Zusammenhang, welcher schwerlich der kleinen lacuna zuzuschreiben ist, zwischen den zwei Begriffen οἰκία und ζῷα hat man auch in § 6 Ende. In § 7 ist der Zusammenhang im Satz καὶ κριὸν μὲν σέβουσιν ὁκόσοι ἐς κριὸν ἀπέβλεπον recht obskur (vgl. aber § 20). In § 10 wird nicht gesagt, woher Orpheus seine astrologischen Kenntnisse überhaupt hatte, wenn sie zu ihm weder aus Ägypten noch aus Äthiopien kamen. Jeder Hinweis auf die Chaldäer fehlt, und den Babyloniern wird eine extrem marginale Rolle zugewiesen, d. h. praktisch keine Achtung geschenkt (§ 9): und das in einer Verteidigung der Astrologie!45

D.) Eine zwar immer subtile und raffinierte, aber nichtsdestoweniger offenkundige ironische Färbung wird man – pace LESKY46 – folgenden Passagen schwerlich absprechen können: 1. § 3: die Äthiopier sind weiser als die anderen Völker.47 _____________ 44 De astrol. 3: ἰδόντες ὦν πρῶτα τὴν σεληναίην οὐκ ἐς πάμπαν ὁμοίην φαινομένην, ἀλλὰ πολυειδέα τε γιγνομένην καὶ ἐν ἄλλοτε ἄλλῃ μορφῇ τρεπομένην, ἐδόκεεν αὐτέοισιν τὸ χρῆμα θωύματος καὶ ἀπορίης ἄξιον. ἔνθεν δὲ ζητέοντες εὗρον τουτέων τὴν αἰτίην, ὅτι οὐκ ἴδιον τῇ σεληναίῃ τὸ φέγγος, ἀλλά οἱ παρ᾿ ἠελίου ἔρχεται. 45 De astrol. 9: ἔγνωσαν δὲ τούτων ἕκαστα καὶ Βαβυλώνιοι, οὗτοι μέν, λέγουσιν, καὶ πρὸ τῶν ἄλλων, ἐμοὶ δὲ δοκέει, πολλὸν ὕστερον ἐς τούτους ὁ λόγος ἀπίκετο. – Vgl. außerdem HARMON (Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, Anm. 1 auf S. 354): «In the Goddesse of Surrye (2) Lucian is similarly minded as to Babylonian claims of priority in religion». 46 LESKY (1971), 763: «Wer nicht um jeden Preis zwischen den Zeilen Parodie und Ironie finden will, wird die religionsgeschichtlich wichtige Schrift Lukian absprechen müssen» – dies ist zwar auf DDS bezogen, aber auch im Fall von De astrol. gültig. 47 De astrol. 3: αἰτίη δὲ αὐτέοισι τὰ μὲν ἡ σοφίη τοῦ ἔθνεος – καὶ γὰρ τἄλλα τῶν ἄλλων σοφώτεροι Αἰθίοπες – τὰ δὲ καὶ τῆς οἰκήσιος ἡ εὐμοιρίη. – Eine Bestätigung dafür, dass diese Ansicht bloße Erfindung ist (oder zumindest etwas, was sie unter starken Verdacht stellen sollte), hat man in der Tatsache, dass diese „Tradition“

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2. § 7: ἰχθύας δὲ οὐ σιτέονται ὁκόσοι ἰχθύας ἐπεσημήναντο: ein Witz.48 3. § 13: eine verkannte unio mystica des Bellerophon mit den Sternen: ὑψηλά τε φρονέοντα καὶ ἄστροισιν ὁμιλέοντα ἐς οὐρανὸν οὐχὶ τῷ ἵππῳ ἀναβῆναι ἀλλὰ τῇ διανοίῃ. 4. § 10: ein kleiner boshafter Touch in der Darstellung der Figur des Orpheus, der am Ende nicht als ein verehrungswürdiger Weiser, sondern eher als ein verdächtiger Zauberer erscheint: οὐ μάλα ἐμφανέως, οὐδὲ ἐς φάος τὸν λόγον προήνεγκεν, ἀλλ᾿ ἐς γοητείην καὶ ἱερολογίην, οἵη διανοίη ἐκείνου. 5. § 10: ein Vermerk (am Ende des Abschnitts über Orpheus), der wegen seiner Allgemeinheit und Ungenauigkeit (man sieht nicht, was diese αἴτια sein sollen) leicht in peiorem partem gedeutet werden kann: ἢν δὲ τὰ λέγω αἴτια γνοίης, σὺ δὲ καὶ ἐν τῷ οὐρανῷ δέρκεο ἕκαστον τουτέων. 6. § 15: das Ende des Ikaros: Sturz in ein Meer von… Problemen!: ἐς πέλαγος κατηνέχθη ἀβύσσων πρηγμάτων, wobei die Ablehnung der geographischen Version absichtlich lächerlich ist: τὸν Ἕλληνες ἄλλως μυθολογέουσιν καὶ κόλπον ἐπ᾿ αὐτῷ ἐν τῇδε τῇ θαλάσσῃ Ἰκάριον εἰκῆ καλέουσιν; 7. § 16: Pasiphae verliebt sich in eine… Lehre!: ἐς ἔρωτα τοῦ λόγου ἀπίκετο. 8. § 20: Phaethon vollendet leider nicht sein Lebenswerk: Φαέθων δὲ τοῦ ἠελίου δρόμον ἐτεκμήρατο, οὐ μέν γε ἀτρεκέως, ἀλλ᾿ ἀτελέα τὸν λόγον ἀπολιπὼν ἀπέθανεν. 9. § 20: wie man ein Dieb von Geburt wird: κλέπτης δὲ Αὐτόλυκος, ἡ δέ οἱ κλεπτικὴ ἐξ Ἑρμέω ἀπίκετο. 10. § 21: τὸ δὲ βάθος τὸ πολλὸν τοῦ ἠέρος Τάρταρος καλέεται: eine zu offenkundig falsche Angabe, um Glaubwürdigkeit zu beanspruchen. _____________ über die Weisheit der Äthiopier nur in De astrol. belegt ist. HARMON, Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, Anm. 1 auf S. 350-1: «In Lucian’s day current theory ascribed the origin of astronomy to the Egyptians. We must applaud his insight in favouring the Ethiopians, since Diodorus…records that they were the first men, that they first taught people to worship the gods, that the Egyptians were their colonists, and that most of the Egyptian institutions were Ethiopian». Die Stelle Diod., Bibl. hist. 3, 2, 1-2 (vgl. FGrHist 673, 21; 665, 74) ist jedoch überhaupt keine Parallele, wie HARMON in seiner Anm. z. St. behauptet, denn dort ist lediglich vom hohen Alter dieses Volkes die Rede. Näheres bei SPOERRI (1959), 210. 48 HARMON, Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, Anm. 1 auf S. 353 [Hervorhebung von mir]: «…in connecting the fish-taboo in that country with the constellation Pisces he presents the result of original research» – man traut kaum den eigenen Augen.

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E.) Folgende Details verraten und bestätigen schließlich jenseits jeden Zweifels die lukianische Autorschaft, nicht nur weil sie aus anderen echten Werken bekannt sind, sondern auch und vor allem weil sie in seinem Oeuvre so oft und so prominent wiederkehren, dass sie schlichtweg charakteristisch für den Autor sind: 1. § 7: besonderes Interesse für Apis; 2. § 19: die kurze Erzählung vom Ende des Phaethon zeigt eine sehr ausgeprägte Ähnlichkeit mit dem Electrum, was schwerlich bloßer Zufall sein kann;49 3. § 21: besonderes Interesse für den blutrünstigen Konflikt zwischen Zeus und Kronos; 4. § 22: besonderes Interesse für den Ehebruch von Aphrodite und Ares; 5. § 22: die goldene Kette des Zeus: die definitive, unzweifelhafte σφραγίς Lukians. F.) Erneut müssen auch die auffallenden motivischen Affinitäten zwischen De astrol. und De saltatione betrachtet werden,50 nicht um sie zu bestreiten, sondern um klar zu machen, wie weit die Ähnlichkeit wirklich reicht. Früher sind sie nämlich m. E. zu grob bzw. falsch eingeschätzt worden. De salt. 15 ~ De astrol. 10 (Orpheus) Ἐῶ λέγειν, ὅτι τελετὴν οὐδεμίαν ἀρχαίαν ἔστιν εὑρεῖν ἄνευ ὀρχήσεως, Ὀρφέως δηλαδὴ καὶ Μουσαίου καὶ τῶν τότε ἀρίστων ὀρχηστῶν καταστησαμένων αὐτάς, ὥς τι κάλλιστον καὶ τοῦτο νομοθετησάντων, σὺν ῥυθμῷ καὶ ὀρχήσει μυεῖσθαι. ὅτι δ᾿ οὕτως ἔχει, τὰ μὲν ὄργια σιωπᾶν ἄξιον τῶν ἀμυήτων ἕνεκα, ἐκεῖνο δὲ πάντες ἀκούουσιν, ὅτι τοὺς ἐξαγορεύοντας τὰ μυστήρια ἐξορχεῖσθαι λέγουσιν οἱ πολλοί. Ἕλληνες δὲ οὔτε παρ᾿ Αἰθιόπων οὔτε παρ᾿ Αἰγυπτίων ἀστρολογίης πέρι οὐδὲν ἤκουσαν, ἀλλὰ σφίσιν Ὀρφεὺς ὁ Οἰάγρου καὶ Καλλιόπης πρῶτος τάδε ἀπηγήσατο, οὐ μάλα ἐμφανέως, οὐδὲ ἐς φάος τὸν λόγον προήνεγκεν, ἀλλ᾿ ἐς γοητείην καὶ ἱερολογίην, οἵη διανοίη ἐκείνου. πηξάμενος γὰρ λύρην ὄργιά τε ἐποιέετο καὶ τὰ ἱερὰ ἤειδεν· ἡ δὲ λύρη ἑπτάμιτος ἐοῦσα τὴν τῶν κινεομένων ἀστέρων ἁρμονίην συνεβάλλετο. ταῦτα Ὀρφεὺς διζήμενος καὶ ταῦτα ἀνακινέων πάντα ἔθελγεν καὶ πάντων ἐκράτεεν· οὐ γὰρ ἐκείνην τὴν λύρην ἔβλεπεν οὐδέ οἱ ἄλλης ἔμελε μουσουργίης, ἀλλ᾿ αὕτη Ὀρφέος ἡ μεγάλη λύρη, Ἕλληνές τε τάδε τιμέοντες μοίρην ἐν τῷ οὐρανῷ ἀπέκριναν καὶ ἀστέρες πολλοὶ καλέονται λύρη Ὀρφέος.

Die Ähnlichkeit liegt nicht darin, dass in beiden Fällen Orpheus die Eigenschaft des Gründers zugesprochen wird, sondern vielmehr darin, dass _____________ 49 De astrol. 19: πεσόντα δέ μιν αἱ ἀδελφαὶ περιστᾶσαι πένθος μέγα ἐποίεον, ἔστε μετέβαλον τὰ εἴδεα, καὶ νῦν εἰσιν αἴγειροι καὶ τὸ ἤλεκτρον ἐπ᾿ αὐτῷ δάκρυον σταλάουσιν. Vgl. De electr. 1f. 50 Verzeichnet in HALL (1981), Anm. 108 auf S. 596f.

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er jeweils (1) Tanz bzw. Astrologie in die Mysterien einführt und (2) dies beide Male in Zusammenhang mit der Musik geschieht. In Fug. 8 geschieht dies in Bezug auf die Philosophie.51 De salt. 23 ~ De astrol. 19-20 (Frömmigkeit) Ὥστε, ὦ θαυμάσιε, ὅρα μὴ ἀνόσιον ᾖ κατηγορεῖν ἐπιτηδεύματος θείου τε ἅμα καὶ μυστικοῦ καὶ τοσούτοις θεοῖς ἐσπουδασμένου καὶ ἐπὶ τιμῇ αὐτῶν δρωμένου καὶ τοσαύτην τέρψιν ἅμα καὶ παιδείαν ὠφέλιμον παρεχομένου. …οὐχ οὕτω ταῦτα ἐγένετο οὐδὲ ὅσιον αὐτοῖσι πείθεσθαι, οὐδὲ Ἠέλιος παῖδα ἐποιήσατο, οὐδὲ ὁ παῖς αὐτῷ ἀπέθανεν. Λέγουσιν δὲ καὶ ἄλλα Ἕλληνες πολλὰ μυθώδεα, τοῖσι ἐγὼ οὐ μάλα τι πείθομαι. κῶς γὰρ δὴ ὅσιον πιστεῦσαι παῖδα Αἰνείην τῆς Ἀφροδίτης γενέσθαι καὶ Διὸς Μίνω καὶ Ἄρεος Ἀσκάλαφον καὶ Αὐτόλυκον Ἑρμέω;

Der Unterschied ist auch hier ziemlich groß: De salt. sagt, dass es nicht fromm sei, das zu missachten (angeredet wird ein Kyniker), was von den Göttern geschätzt werde und u. U. zu ihrer Verehrung diene (nämlich gewisse Tanzformen), während De astrol. behauptet, dass es nicht fromm sei, daran zu glauben, dass die Götter Kinder zeugten. De salt. 80 ~ De astrol. 2 (Techne und Technit) Ἐπεὶ δὲ τὰς ἀρετὰς ἔφην τὰς ὀρχηστικάς, ἄκουε καὶ τὰς κακίας αὐτῶν. τὰς μὲν οὖν ἐν σώματι ἤδη ἔδειξα, τὰς δὲ τῆς διανοίας οὕτως ἐπιτηρεῖν, οἶμαι, δύναιο ἄν. πολλοὶ γὰρ αὐτῶν ὑπ᾿ ἀμαθίας—ἀμήχανον γὰρ ἅπαντας εἶναι σοφούς—καὶ σολοικίας δεινὰς ἐν τῇ ὀρχήσει ἐπιδείκνυνται, οἱ μὲν ἄλογα κινούμενοι καὶ μηδέν, ὥς φασι, πρὸς τὴν χορδήν, ἕτερα μὲν γὰρ ὁ πούς, ἕτερα δ᾿ ὁ ῥυθμὸς λέγει· […] ἀλλ᾿ οὐκ ἀπό γε τῶν τοιούτων ὀρχηστῶν ὀρχήσεως αὐτῆς, οἶμαι, καταγνωστέον οὐδὲ τὸ ἔργον αὐτὸ μισητέον, ἀλλὰ τοὺς μέν, ὥσπερ εἰσίν, ἀμαθεῖς νομιστέον, ἐπαινετέον δὲ τοὺς ἐννόμως καὶ κατὰ ῥυθμὸν τῆς τέχνης ἱκανῶς ἕκαστα δρῶντας. …καὶ εὖτ᾿ ἂν ἀνδράσιν ἐπικυρέωσιν ψεύδεα μαντευομένοις, ἄστρων τε κατηγορέουσιν καὶ αὐτὴν ἀστρολογίην μισέουσιν, οὐδέ μιν οὔτε ὑγιέα οὔτε ἀληθέα νομίζουσιν, ἀλλὰ λόγον ψευδέα καὶ ἀνεμώλιον, οὐ δικαίως, ἐμοὶ δοκέει, φρονέοντες· οὐδὲ γὰρ τέκτονος ἀϊδρίη τεκτοσύνης αὐτῆς ἀδικίη οὐδὲ αὐλητέω ἀμουσίη μουσικῆς ἀσοφίη, ἀλλ᾿ οἱ μὲν ἀμαθέες τῶν τεχνῶν, ἑκάστη δ᾿ ἐν ἑωυτῇ σοφή.

Dieser topische Gedanke, der – wie bereits HARMON notiert hat – auf die platonische Quelle Gorg. 456d-57e zurückgeht, beweist an sich nicht viel, was die Autorschaft anbelangt. _____________ 51 Fug. 8: …εἶτα εἰς Θρᾴκην, ἔνθα μοι Εὔμολπός τε καὶ Ὀρφεὺς συνεγενέσθην, οὓς καὶ προαποστείλασα ἐς τὴν Ἑλλάδα, τὸν μὲν ὡς τελέσειεν αὐτούς, τὸν Εὔμολπον – ἐμεμαθήκει γὰρ τὰ θεῖα παρ᾿ ἡμῶν ἅπαντα – τὸν δὲ ὡς ἐπᾴδων προσβιβάζοι τῇ μουσικῇ, κατὰ πόδας εὐθὺς εἱπόμην.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

G.) Man kann schließlich HALL auch nicht zustimmen, wenn sie eine Vergleichbarkeit darin sehen will, dass in De salt. 9-19 «various mythological personages are in mock-serious fashion euhemerised into famous dancers of old».52 Dort handelt es sich nämlich nicht nur um mythische Figuren, sondern auch um Götter, Völker und religiöse Kulte wie die Mysterien. Auch der „Ton“ ist allerdings in De salt. ein ganz anderer: zwischen preisend und gelehrt. In De salt. rekonstruiert Lukian nicht die Geschichte der Tanzkunst, wie er es dagegen in De astrol. mit der Astrologie sehr wohl tut. Im ersten Werk geht er nicht „linear“ in seiner Darlegung vor, sondern führt die griechische Welt als erste vor, dann kommt eine kurze Digression über Inder (§ 17), Äthiopier (§ 18) und Ägypter (§ 19), auch Rom erscheint kurz (§ 20), bevor am Ende des Abschnittes (§ 23) wieder Beispiele aus dem griechischen Raum kommen. Nicht nur der „Ton“, sondern auch die „Methode“ ist in den zwei Werken anders. Die der Übersicht in De astrol. zu Grunde liegende Verfahrensweise à la Palaiphatos (dazu vgl. unten) spielt in De salt. nur an einer Stelle eine Rolle, nämlich in der Neudeutung des Proteus-Mythos im § 19,53 denn in De salt. deutet Lukian die Mythen nicht neu, sondern er hebt zwar in ihnen die Rolle der Tanzkunst besonders hervor, lässt aber dabei ihren Kern unangetastet. Sinn des ganzen Abschnitts ist für ihn, Bestätigungen der Ausgangsthese (§ 7), wonach der Tanz gleichzeitig mit dem Universum entstanden sei,54 in verschiedenen Beispielen aus Mythos und Geschichte (denn in diesem Abschnitt sind es nicht vorwiegend Mythen, die behandelt werden) zu finden, wobei ein rhetorisches Ziel dabei natürlich auch – wie HALL richtig gesehen hat –55 der Preis des Tanzes durch den Nachweis seines Alters ist. _____________ 52 HALL (1981), 383. 53 De salt. 19: δοκεῖ γάρ μοι ὁ παλαιὸς μῦθος καὶ Πρωτέα τὸν Αἰγύπτιον οὐκ ἄλλο τι ἢ ὀρχηστήν τινα γενέσθαι λέγειν, μιμητικὸν ἄνθρωπον καὶ πρὸς πάντα σχηματίζεσθαι καὶ μεταβάλλεσθαι δυνάμενον, ὡς καὶ ὕδατος ὑγρότητα μιμεῖσθαι καὶ πυρὸς ὀξύτητα ἐν τῇ τῆς κινήσεως σφοδρότητι καὶ λέοντος ἀγριότητα καὶ παρδάλεως θυμὸν καὶ δένδρου δόνημα, καὶ ὅλως ὅ τι καὶ θελήσειεν. ὁ δὲ μῦθος παραλαβὼν πρὸς τὸ παραδοξότερον τὴν φύσιν αὐτοῦ διηγήσατο, ὡς γιγνομένου ταῦτα ἅπερ ἐμιμεῖτο. 54 De salt. 7: καὶ πρῶτόν γε ἐκεῖνο πάνυ ἠγνοηκέναι μοι δοκεῖς, ὡς οὐ νεώτερον τὸ τῆς ὀρχήσεως ἐπιτήδευμα τοῦτό ἐστιν οὐδὲ χθὲς καὶ πρῴην ἀρξάμενον, οἷον κατὰ τοὺς προπάτορας ἡμῶν ἢ τοὺς ἐκείνων, ἀλλ᾿ οἵ γε τἀληθέστατα ὀρχήσεως πέρι γενεαλογοῦντες ἅμα τῇ πρώτῃ γενέσει τῶν ὅλων φαῖεν ἄν σοι καὶ ὄρχησιν ἀναφῦναι, τῷ ἀρχαίῳ ἐκείνῳ Ἔρωτι συναναφανεῖσαν. ἡ γοῦν χορεία τῶν ἀστέρων καὶ ἡ πρὸς τοὺς ἀπλανεῖς τῶν πλανήτων συμπλοκὴ καὶ εὔρυθμος αὐτῶν κοινωνία καὶ εὔτακτος ἁρμονία τῆς πρωτογόνου ὀρχήσεως δείγματά ἐστιν. 55 HALL (1981), 383.

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9. De Astrologia

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9.5. Die Maske des einfältigen Astrologen De astrol. präsentiert sich, wie oben schon gezeigt, ohne jeden Zweifel als eine Polemik gegen den Sternglauben, die Gegenargumente vorbringen will. Von entscheidender Bedeutung ist nun zu notieren, dass diese Gegenargumente in der Form, wie sie in dieser Schrift auftauchen, extrem schwach sind56 – was starke Bedenken gegen die Ernsthaftigkeit dieser „Polemik“ hervorruft. Würde man die Existenz von De astrol. einem glücklichen Papyrusfund verdanken, könnte man die Idee konzipieren, dass diese Eigenart einfach auf die Ungeschicktheit des Autors zurückzuführen sei. Aber die Schrift ist unter dem Namen Lukians überliefert. In diesem Gesamtbild passt u. a. auch ein weiteres Detail sehr gut, nämlich die drastisch vereinfachte, man möchte fast sagen: naive oder durch und durch volkstümliche Vorstellung des Kerns der Astrologie, wie sie in § 20 präsentiert wird: Ὁκόσοι γὰρ δὴ ἀνθρώποισι ἐν τῇ γενεῇ ταύτῃ οἰκοδεσποτέουσι, οὗτοι ὅκως τοκέες ἑωυτοῖσι πάντα ἰκέλους ἐκτελέουσιν καὶ χρόην καὶ μορφὴν καὶ ἔργα καὶ διανοίην, καὶ βασιλεὺς μὲν ὁ Μίνως Διὸς ἡγεομένου, καλὸς δὲ Αἰνείης Ἀφροδίτης βουλήσει ἐγένετο, κλέπτης δὲ Αὐτόλυκος, ἡ δέ οἱ κλεπτικὴ ἐξ Ἑρμέω ἀπίκετο.

„Derjenige, der unter dem Einfluss des Planeten Jupiter geboren wird, der wird König; wer unter Merkur, der wird Dieb.“ – Kann man nach solchen Sätzen noch Zweifel darüber hegen, dass man es hier mit einer subtilen satirischen Verzerrung zu tun hat? Dies führt uns zu der Frage zurück, wer der Sprecher in bzw. von De astrol. ist. Wer sagt dort „ich“? Lukian selbst? Demokrit? Oder jemand sonst? – Die Antwort scheint mir sozusagen unmittelbar vor uns zu liegen, _____________ 56 Man bedenke nur, dass sowohl das anfängliche Argument platonischer Herkunft am Ende von § 1 (Fehler beweisen nichts gegen die Techne selbst, sondern nur gegen den Techniten: οὐδὲ γὰρ τέκτονος ἀϊδρίη τεκτοσύνης αὐτῆς ἀδικίη οὐδὲ αὐλητέω ἀμουσίη μουσικῆς ἀσοφίη, ἀλλ᾿ οἱ μὲν ἀμαθέες τῶν τεχνῶν, ἑκάστη δ᾿ ἐν ἑωυτῇ σοφή) als auch dass von §§ 19-20 (eine astrologische Allegorie vermeidet eine frevelhafte Meinung über die Götter im Falle gewisser Mythen: οὐχ οὕτω ταῦτα ἐγένετο οὐδὲ ὅσιον αὐτοῖσι πείθεσθαι, οὐδὲ Ἠέλιος παῖδα ἐποιήσατο, οὐδὲ ὁ παῖς αὐτῷ ἀπέθανεν. Λέγουσιν δὲ καὶ ἄλλα Ἕλληνες πολλὰ μυθώδεα, τοῖσι ἐγὼ οὐ μάλα τι πείθομαι. κῶς γὰρ δὴ ὅσιον πιστεῦσαι παῖδα Αἰνείην τῆς Ἀφροδίτης γενέσθαι καὶ Διὸς Μίνω καὶ Ἄρεος Ἀσκάλαφον καὶ Αὐτόλυκον Ἑρμέω; ἀλλ᾿ οὗτοι ἕκαστος αὐτέων θεοφιλέες ἐγένοντο καὶ σφίσι γεινομένοισι τῷ μὲν ἡ Ἀφροδίτη, τῷ δὲ ὁ Ζεύς, τῷ δὲ ὁ Ἄρης ἐπέβλεψαν) nur ganz kurz angerissen werden, wobei man in Anbetracht ihrer Wichtigkeit eine etwas längere Entwicklung erwartet hätte. — So hat im Übrigen schon CROISET ([1899], 590) völlig zu Recht bemerkt (Hervorhebung von mir): «l’auteur [der für ihn nicht Lukian war] feint de croire à l’astrologie, mais il la réduit en fait à peu de chose; il est d’ailleurs incrédule à l’égard de la mythologie […]».

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

so nah, dass man sie übersieht: wer in De astrol. spricht, ist natürlich zunächst niemand anders als ein Verfechter der Astrologie. Lukian schuf diese literarische Figur, genau so wie er viele andere literarische Figuren in anderen Werken schuf. Wenn Lukian diese Schrift vorlas, setzte er einfach die „Maske“ des naiven Astrologen auf, genau so wie er für DDS die Maske eines herodoteischen Periegeten aufsetzte. Lukians Absicht war es, einen Verfechter der Astrologie sozusagen in Aktion zu zeigen. Dieser tritt zwar mit Großtuerei und einem „Blick von oben herab“ auf und ist seiner Sache ganz sicher, aber auf dem Terrain der harten Tatsachen weiß er seine „Wissenschaft“ (ἐπιστήμη, § 17) ausschließlich mit idiotischen Argumenten zu verteidigen. Er selbst merkt dieses Gefälle zwischen hohen Ansprüchen und peinlichem Versagen, also zwischen Arroganz und Plumpheit, natürlich nicht – wohl aber die Zuhörer, daher der komische Effekt. Wenn dies so ist, scheint mir also eine „Umkehrung aller Werte“ in Bezug auf De astrol. notwendig und die Annahme legitim, dass die vom plumpen und arroganten Astrologen verworfenen Ansichten (z. B. in § 27) eine Auffassung darstellen, für welche der Autor selbst „Sympathie“ empfand bzw. für welche er das Publikum „Sympathie“ empfinden lassen wollte. Die Perspektive, einen direkten Angriff auf die Astrologie, ganz auf ernsthafte Weise und ohne Rückgriff auf eine lächerliche Maske durchgeführt, zu schreiben, wirkte vielleicht auf Lukians spöttischen Geist nicht inspirierend genug. Wahrscheinlich lief ein solcher Angriff in Lukians Augen außerdem Gefahr, allzu leicht eine Anreihung allgemein bekannter, durch und durch topischer Argumente zu werden (das Beispiel der durch Gellius epitomierten Rede Gegen die Astrologen des Favorinus ist klar genug),57 ein Verfahren also, durch welches man schwerlich in der Lage sein konnte, Zuhörer zu begeistern und ihren Beifall zu ernten, und sicherlich war es nichts Neues. Der von Lukian eingeschlagene Weg dagegen ist viel witziger und origineller und, was den kritischen Effekt angeht, mindestens so wirkungsvoll wie ein frontaler Angriff. Den Höhepunkt des Lächerlichen hat man in der Kulmination der Argumentation, als am Ende der Schrift (§ 29) der Astrologe mit seinen beiden „Steinen der Weisheit“ kommt. Er muss zunächst den Einwand derer, die jeden Zusammenhang zwischen der menschlichen Sphäre und der der Gestirne abstreiten,58 neutralisieren. Mit dem zweiten „Totschlag_____________ 57 Gell., Noct. Att. XIV 1, 1-36 (= Fav., fr. 3 BARIGAZZI). 58 De astrol. 27: οἱ μὲν αὐτέων ἀδύνατα εἶναι λέγουσιν ἀνθρώποισι τέλος εὕρασθαι μαντικῆς· οὐ γὰρ εἶναί μιν οὔτε πιστὴν οὔτε ἀληθέα, οὐδὲ τὸν Ἄρεα ἢ τὸν Δία ἐν τῷ οὐρανῷ ἡμέων ἕνεκα κινέεσθαι, ἀλλὰ τῶν μὲν ἀνθρωπηίων πρηγμάτων οὐδεμίην ὤρην ἐκεῖνοι ποιέονται οὐδ᾿ ἔστιν αὐτέοισιν πρὸς τάδε κοινωνίη, κατὰ σφέας δὲ χρείῃ τῆς περιφορῆς ἀναστρέφονται.

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9. De Astrologia

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argument“ will er anschließend die Grundschwierigkeit, welche die astrologische Weltanschauung mit sich bringt, beseitigen. Diese, vom akademisch-skeptischen Philosophen Karneades zum ersten Mal formuliert59 und von den Gegnern der Astrologie in einer Vielzahl von Variationen immer wieder verwendet, besagt, dass die Astrologie keinen Nutzen habe, weder wenn sie positive Dinge voraussagt, denn dieses Gute wäre uns sowieso, d. h. auch ohne eine Voraussage, zugestoßen, noch wenn sie negative vorhersagt, weil man diese nicht ändern kann.60 Lukian bemüht sich darum, dass die Dummheit dieser Pseudolösungen ordentlich in Erscheinung tritt, indem er ihren lächerlichen Seiten besonderes Relief gibt. So ist im ersten Teil von § 29 der Einfluss der Gestirne lediglich in einem armen und hinkenden Vergleich, zusätzlich mit dem komischen Touch einer unwahrscheinlichen δίνη τῶν ἀστέρων versehen, „begründet“: …ἢ ἐθέλεις ἵππου μὲν θέοντος καὶ ὀρνίθων καὶ ἀνδρῶν κινεομένων λίθους ἀνασαλεύεσθαι καὶ κάρφεα δονέεσθαι ὑπὸ τῶν ἀνέμων τοῦ δρόμου, ὑπὸ δὲ τῇ δίνῃ τῶν ἀστέρων μηδὲν ἄλλο γίγνεσθαι; καὶ ἐκ μὲν ὀλίγου πυρὸς ἀπορροίη ἐς ἡμέας ἔρχεται, καὶ τὸ πῦρ οὐ δι᾿ ἡμέας καίει τι οὐδέ οἱ μέλει τοῦ ἡμετέρου θάλπεος, ἀστέρων δὲ οὐδεμίην ἀπορροίην δεχόμεθα;

Das Argument, das unmittelbar danach in der zweiten Hälfte von § 29 kommt und damit das ganze Werk abschließt, war an sich ziemlich geläufig; in der lukianischen Wiedergabe zeigt es einen dermaßen topischen Charakter und wird so schematisch präsentiert, dass kein Zweifel mehr darüber bestehen kann, wie wenig überzeugend und intellektuell anspruchslos (man bekommt fast den Eindruck, er könne nur „Handbuchformeln“ ungeschickt aufsagen) Lukian seinen fiktiven Astrologen wirken lassen wollte:61 καὶ μέντοι τῇ ἀστρολογίῃ τὰ μὲν φαῦλα ἐσθλὰ ποιῆσαι ἀδύνατά ἐστιν οὐδὲ ἀλλάξαι τι τῶν ἀπορρεόντων πρηγμάτων, ἀλλὰ τοὺς χρεομένους τάδε ὠφελέει· τὰ μὲν ἐσθλὰ εἰδότας ἀπιξόμενα πολλὸν ἀπόπροσθεν εὐφρανέει, τὰ δὲ φαῦλα εὐμαρέως δέχονται· οὐ γάρ σφισιν ἀγνοέουσιν ἐπέρχεται, ἀλλ᾿ ἐν μελέτῃ καὶ προσδοκίῃ ῥηίδια καὶ πρηέα ἡγεῖται.

Die Schwäche dieses Schlussarguments zur vermeintlichen Unterstützung der Astrologie ist zu offensichtlich, um nicht bewusst vom Autor so gestaltet worden zu sein. Dies kann durch zwei Beobachtungen bestätigt werden. Es ist zunächst bekannt, dass die zeitgenössische Philosophie über _____________ 59 Dazu vgl. AMAND (1954). 60 De astrol. 28: ἄλλοι δὲ ἀστρολογίην ἀψευδέα μέν, ἀνωφελέα δὲ εἶναι λέγουσιν· οὐ γὰρ ὑπὸ μαντοσύνῃ ἀλλάσσεσθαι ὁκόσα τῇσι μοίρῃσι δοκέοντα ἐπέρχεται. 61 So bereits CASTER (1937), 261: «…tout cela selon les moyens de son intelligence, qui sont médiocres»; «…le plus médiocre des Stoïciens n’aurait jamais consenti à raisonner de façon si naïvement inconséquente».

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

einen großen Vorrat an sehr entwickelten Argumenten gegen die Astrologie verfügte, wie etwa das Beispiel von Sextus Empiricus, Adv. Math. V, deutlich zeigt. Die meisten Philosophen hätten also ein leichtes Spiel gehabt, eine solche Argumentation zu demontieren. Den meisten Zuschauern oder Lesern, die über eine gewisse Bildung verfügten, wird außerdem die mögliche (und leichte) Umkehrung dieses Arguments auch auf der rhetorischen Ebene sofort eingefallen sein, denn dieses Thema war – wie das folgende Beispiel des Favorinus zeigt – dem Standardrepertoire der sophistischen Deklamationen sicherlich nicht fremd: Aut adversa...eventura dicunt aut prospera. Si dicunt prospera et fallunt, miser fies frustra exspectando; si adversa dicunt et mentiuntur, miser fies frustra timendo; sin vera respondent eaque sunt non prospera, iam inde ex animo miser fies, antequam e fato fias; si felicia promittunt eaque eventura sunt, tum plane duo erunt incommoda: et exspectatio te spei suspensum fatigabit, et futurum gaudii fructum spes tibi iam praefloraverit. Nullo igitur pacto utendum est istiusmodi hominibus res futuras praesagientibus.62

Schließlich muss man natürlich auch die ungewöhnliche Kürze der Darbietung dieser Antworten bedenken. Für eine echte Verteidigungsrede kommt die Lösung einfach zu kurz. – Man kann aber vielleicht darin auch das mangelnde Interesse Lukians an solchen Ammenmärchen vermuten: Er muss sie natürlich behandeln, wie seine fiktionale Konstruktion es verlangt, aber es fiele ihm zur Last, sie länger als unbedingt notwendig behandeln zu müssen. Seine Meinung war das vermutlich nicht. Es sei zu guter Letzt auch bemerkt, dass, wenn dies so ist, Lukian von der Anschuldigung von «flagrant hypocrisy», die HALL gegen ihn vorbringt,63 frei gesprochen werden kann. 9.6. ,Rationalizing Myths‘? Ein erster Einwand, der sich gegen die wiederholte Anwendung des Begriffes „Rationalisierung“ in Bezug auf De astrol. seitens vieler Interpreten vorbringen ließe, ist, dass dieser zunächst höchst unpräzise ist. Rationalisiert unser Autor die Mythen etwa so, dass er die mythischen „Ereignisse“ auf den Boden der kaum idyllischen Fakten der normalen Prozesse von Natur und Zivilisation zurückbringen will? Dies scheint mir kaum der Fall _____________ 62 Gell., Noct. Att. XIV 1, 36 (= Fav., fr. 3 BARIGAZZI [p. 147]; Zitate nach der Ausgabe A. Gellii Noctes Atticae, recognovit brevique adnotatione critica instruxit P.K. MARSHALL, Tomus 2: Libri XI-XX, [OCT] Oxonii 1968). – HALL ([1981], Anm. 109 auf S. 597) verweist auf Sen. maior, Suas. 3, 3 und 4, 1-4, aber die thematische Ähnlichkeit scheint mir nur sehr lose. 63 HALL (1981), 385.

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zu sein. Vielmehr dekonstruiert er sie lediglich, um in ihnen astrologische Aspekte zu entdecken,64 die (wohlgemerkt!) mindestens genau so abstrus und phantastisch wie jene Elemente sind, die sie in der ursprünglichen Vorlage ersetzen – es ließe sich also vielleicht höchstens sagen, dass er die Mythen „astrologisiert“. Sicher wird der Kern des jeweiligen Mythos auf diese Weise negiert und mit einem neuen Inhalt erfüllt, doch der wesentliche Punkt scheint mir zu sein, dass eben diese neue Version nur einen Anschein von Rationalität hat und genau so fragwürdig und anrüchig wie die originäre Fassung ist. Man bewegt sich hier also nicht vom Mythos zum Logos, sondern vielmehr von einer Ebene zu einer anderen innerhalb des Mythos selbst.65 Ähnliches lässt sich m. E. auch über den oft behaupteten Euhemerismus von De astrol. sagen.66 Man muss sich auch hier sorgfältig in Erinnerung rufen, was genau das Wort „Euhemerismus“ bezeichnet. Euhemeros scheint nämlich – wie eine neue Studie gründlich geklärt hat67 – nichts weiter behauptet zu haben, als dass Wohltäter, Erfinder und hervorragende Persönlichkeiten in den Urzeiten der Menschheit von den späteren Generationen deifiziert worden seien.68 Nun passt allerdings diese Vorstellung – genau genommen – zu keinem der in De astrol. §§ 11-22 vorgeführten Beispiele. Zum Glück besitzen wir dank Strabon ein Fragment aus Polybios, in welchem die gleiche Überlieferung wie in De astrol. 12 über die astrologischen Tätigkeiten des Atreus, belegt ist. Eine Kontrastierung beider Stellen verdeutlicht, was in diesem Falle, trotz oberflächlicher Übereinstimmungen in der Ausdrucksform (ἡγεμονίας καὶ τιμῆς τυγχάνειν παρὰ τοῖς πρὸ ἡμῶν ~ τάδε εἰπόντα βασιλέα μιν Ἀργεῖοι ἐποιήσαντο, καὶ μέγα κλέος ἐπὶ σοφίῃ αὐτοῦ ἐγένετο), echter _____________ 64 Der Autor äußert sich ziemlich deutlich über sein Verfahren, wenn er in § 14 schreibt: ξείνη μὲν ἡ ἱστορίη, δοκέω γε μὴν οὐκ ἔξω ἀστρολογίης. 65 Aus diesem Grund kann ich LIGHTFOOT nicht zustimmen, wenn sie schreibt (LIGHTFOOT [2003], 191 [Hervorhebung von mir]): «The slant of the Astrologia is quite different from that of DDS: it is aggressively rationalising, and defends theological propriety, after the manner of an Ionian rationalist, by denial, or astrological allegory». 66 Ein zu flüchtiger Blick auf den Verweis auf die ἀρχαίων βασιλέων θεοφιλέων in § 2 mag vielleicht bei vielen der Anlass dazu gewesen sein. 67 WINIARCZYK (2002), 107f.: Zwar räumte Euhemerus die Existenz ewiger Götter wie Sonne, Mond und Gestirne ein, doch in seinem Werk, der ἱερὰ ἀναγραφή, beschäftigte er sich nur mit seiner zweiten Kategorie von „Göttern“, den deifizierten Menschen. 68 Vgl. Euhem., TT 25-28 WINIARCZYK, inbes. T 25 (= Diod., Bibl. hist. 6, 1, 1-2): …ἑτέρους δὲ λέγουσιν ἐπιγείους γενέσθαι θεούς, διὰ δὲ τὰς εἰς ἀνθρώπους εὐεργεσίας ἀθανάτου τετευχότας τιμῆς τε καὶ δόξης, οἷον Ἡρακλέα, Διόνυσον, Ἀρισταῖον, καὶ τοὺς ἄλλους τοὺς τούτοις ὁμοίους.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Euhemerismus und was dagegen nur ausgeschmückte bzw. „verdünnte“ διήγησις ist. Καὶ Πολύβιος δ᾿ ὀρθῶς ὑπονοεῖ τὰ περὶ τῆς πλάνης [des Odysseus]. τὸν γὰρ Αἴολον τὸν προσημαίνοντα τοὺς ἔκπλους ἐν τοῖς κατὰ τὸν πορθμὸν τόποις ἀμφιδρόμοις οὖσι καὶ δυσέκπλοις διὰ τὰς παλιρροίας ταμίαν τε εἰρῆσθαι τῶν ἀνέμων καὶ βασιλέα νενομίσθαι φησί, καθάπερ Δαναὸν μὲν τὰ ὑδρεῖα τὰ ἐν Ἄργει παραδείξαντα, Ἀτρέα δὲ τοῦ ἡλίου τὸν ὑπεναντίον τῷ οὐρανῷ δρόμον, μάντεις τε καὶ ἱεροσκοπουμένους ἀποδείκνυσθαι βασιλέας· τούς θ᾿ ἱερέας τῶν Αἰγυπτίων καὶ Χαλδαίους καὶ Μάγους σοφίᾳ τινὶ διαφέροντας τῶν ἄλλων ἡγεμονίας καὶ τιμῆς τυγχάνειν παρὰ τοῖς πρὸ ἡμῶν. οὕτω δὲ καὶ τῶν θεῶν ἕνα ἕκαστον τῶν χρησίμων τινὸς εὑρετὴν γενόμενον τιμᾶσθαι.69 Ἀτρέος δὲ καὶ Θυέστεω περὶ τῇ πατρωίῃ βασιληίῃ φιλονεικεόντων ἤδη τοῖσιν Ἕλλησιν ἀναφανδὸν ἀστρολογίης τε καὶ σοφίης τῆς οὐρανίης μάλιστ᾿ ἔμελεν, καὶ τὸ ξυνὸν τῶν Ἀργείων ἄρχειν ἔγνωσαν ἑωυτῶν ὅστις τοῦ ἑτέρου σοφίην προφερέστερος. ἔνθα δὴ Θυέστης μὲν τὸν κριὸν σφίσιν τὸν ἐν τῷ οὐρανῷ σημηνάμενος ἐπέδειξεν, ἀπὸ τέω δὴ ἄρνα χρύσεον Θυέστῃ γενέσθαι μυθολογέουσιν. Ἀτρεὺς δὲ τοῦ ἠελίου πέρι καὶ τῶν ἀντολέων αὐτοῦ λόγον ἐποιήσατο, ὅτι οὐκ ἐς ὁμοίην φορὴν ἠέλιός τε καὶ ὁ κόσμος κινέονται, ἀλλ᾿ ἐς ἀντίξοον ἀλλήλοις ἀντιδρομέουσιν, καὶ αἱ νῦν δύσιες δοκέουσαι, τοῦ κόσμου δύσιες ἐοῦσαι, τοῦ ἠελίου ἀντολαί εἰσιν. τάδε εἰπόντα βασιλέα μιν Ἀργεῖοι ἐποιήσαντο, καὶ μέγα κλέος ἐπὶ σοφίῃ αὐτοῦ ἐγένετο.70

Sucht man nach einem Vorbild für diese Art von Behandlung der Mythen, so ist der einzige, der dafür wirklich in Frage käme, m. E. nur Palaiphatos.71 9.7. Stoische Einflüsse? Behauptet worden ist auch ein Zusammenhang der Schrift mit dem Stoizismus.72 Zwar war bekannterweise die Wahrsagung ein von den Stoikern _____________ 69 Polyb., Hist. XXXIV 2, 4-8 (= Strab., Geogr. 1, 2, 15). Weitere Belege für diese und eine leicht andere Tradition über Atreus und Thyestes als Astronomen bei WALBANK (1979), 508. HARMONS Angabe (Loeb-Ausgabe, Bd. 5, 1936, Anm. 1 auf S. 358f.) «Previous authors left this topic to Lucian “incomplete”» ist falsch. 70 De astrol. 12. 71 Diese Ansicht ist in gewisser Weise von HOLFORD-STREVENS (Notiz bei LIGHTFOOT [2003] Anm. 502 auf S. 195), antizipiert worden: «Whereas Palaephatus reduces everything to the dysfunctionalities of everyday life, this speaker explains everything by star-cunning». – Zu Palaiphatus vgl. neulich STERN (1999). 72 HALL (1981), 384 [Hervorhebung von mir]: «Similarly, it is, I think, not inconceivable that the Astrology might have been composed by Lucian to please some patron of Stoic sympathies and astrological predilections».

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9. De Astrologia

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bevorzugtes Thema,73 aber man darf sich von diesem Berührungspunkt nicht täuschen lassen: die Ähnlichkeit ist nur oberflächlich. Für die Stoiker war nämlich nicht so sehr die Wahrsagung an sich, sondern vielmehr die Verbindung der Mantik mit dem Begriff der πρόνοια (bzw. der εἱμαρμένη) zentral.74 Von dieser Verbindung gibt es aber in De astrol. überhaupt keine Spur. Viele Exegeten denken, dass eine Anlehnung an den Stoizismus darin zu sehen sei, dass der Autor von De astrol. die Mythen allegorisiere.75 Aber auch diese Ansicht ist zu verwerfen, weil die echte stoische Allegorese rein physische Wurzeln hatte.76 Ihre Tendenz ging eindeutig dahin, die traditionellen Götter in Eigenschaften, Teile und Vorgänge der physischen Welt komplett aufzulösen, jene durch diese restlos zu ersetzen.77 In De astrol. fehlt auch dieser zweite wichtige Aspekt ganz. Man hat alles andere als den Eindruck, dass der Autor Zeus durch den Äther ersetzen wolle! Außerdem ging es den Stoikern bei ihren Allegorien um Götter, während in De astrol. die Rede nicht von Göttern, sondern von anderen mythischen Figuren wie Teiresias, Thyestes oder Bellerophon ist. 9.8. Lukian und seine Zeit: De astrol. und das Weltbild Lukians Obwohl sich De astrol. im Prinzip als ein gegen gewisse σοφοί gerichtetes Pamphlet polemischer Natur präsentiert, findet in ihm eine direkte Polemik mit den zeitgenössischen Gegnern nur extrem wenig Raum. Eine direkte Anklage finden wir nur am Anfang, wo in § 1 die „Modernen“ für ihre Inkompetenz und Faulheit, die sie daran hindern, das Wesen der Astrologie zu verstehen, getadelt werden. Sonst wird in De astrol. nur auf indirekte Weise polemisiert, sei es auf der Ebene der Betonung der hohen Stellung und des großen Ruhmes dieser Praxis seit der mythischen Vergangenheit der Griechen (§§ 3-26), sei es indem in einem kleinen Unterabschnitt (§§ 23-26) gezeigt wird, welche bedeutende Rolle im Gegensatz zur Gegenwart die astrologisch gewonnenen Weissagungen (§ 23: καὶ γὰρ δὴ τὰ μαντήια αὐτέοισι οὐκ ἔξω ἀστρολογίης ἦν) im politischen und sozialen Leben für die ältesten Generationen (οἱ παλαιοί) ge_____________ 73 74 75 76 77

Vgl. z. B. SVF I 173. SVF I 174. Vgl. z. B. BETZ (1961), 25-26. SVF I 167 und 169. Vgl. den ganzen Abschnitt De ceteris deis popularibus in SVF II 1076-1100, insbesondere Nr. 1077.

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habt haben.78 Über das Jetzt, in dem der Autor und seine Gegner leben, erfährt man also im Grunde sehr wenig, außer dass die Zeitgenossen im Vergleich zu früher ein geringes Interesse am Bereich der Astrologie hätten, oder, wie der Autor es prägnant formuliert (§ 27): Οἱ μὲν ὦν πρὸ ἡμῶν οὕτω κάρτα ἦσαν φιλομάντιες, οἱ δὲ νῦν, οἱ μὲν αὐτέων ἀδύνατα εἶναι λέγουσιν ἀνθρώποισι τέλος εὕρασθαι μαντικῆς […]. Selten begegnet man bei Lukian Aussagen, die dermaßen kontrafaktisch sind wie diese. Denn von all dem, was wir wissen, zu urteilen, waren astrologische Praktiken in dieser Zeit bis in die entlegensten Winkel verbreitet und ihre Bedeutung im Weltbild der ungebildeten Individuen, d. h. der „Massen“, sowie der kulturellen und politischen Eliten zentral. Hervorragende Religionshistoriker wie MARTIN P. NILSSON oder ARTHUR D. NOCK haben jene Spuren dieser Art, die eigene Welt wahrzunehmen, die sich in den Dokumenten der Literatur und des Alltags niederschlugen, bereits gesammelt und gebührend verwertet.79 Liest man nun De astrol., indem man sich diese Daten präsent hält, so sticht die eigenartige Beschaffenheit einer Schrift, die mitten im 2. Jh. n. Chr. behauptet, dass die Astrologie unwichtig wäre, in unseren Wahrnehmungshorizont mit umso stärkerer Deutlichkeit und größerem Nachdruck hervor. Schwerlich kann dieser Aspekt als Zeichen einer reellen Polemik bzw. eines beobachtenden Bezugs auf die wahren Begebenheiten der kontemporären Welt „da draußen“ gedeutet werden – dafür fehlt es diesem kleinen Werk, wie schon viele gespürt haben, einfach an „Substanz“, an gedanklicher Energie. Was sagt aber De astrol. über die Weltanschauung seines „wahren“ Autors (nicht der fiktiven Figur, in deren Mund er es legt)? Darf man, wenn man die oben vorgeschlagene These einer „Umkehrung“ der ironisch dargebotenen Gedanken akzeptiert (oder, kürzer und allgemeiner gesagt, die ironische Intention des Werkes), aus dem zum Schluss des Werkes (§§ 2728) in verklausulierter Form nahe gelegten Skeptizismus etwa schließen, dass Lukian keine kontemplative Natur war, ohne jeden Sinn und Gespür für die Schönheit des Himmelsgewölbes?80 Eine solche Einschätzung ist nur unter der Voraussetzung möglich, dass auf der Ebene der literarischen _____________ 78 De astrol. 23: Ἅπερ οἱ παλαιοὶ ἰδόντες μάλιστα μαντηίῃσιν ἐχρέοντο καὶ οὐ πάρεργον αὐτὴν ἐποιέοντο, ἀλλ᾿ οὔτε πόλιας ᾤκιζον οὔτε τείχεα περιεβάλλοντο οὔτε φόνους ἐργάζοντο οὔτε γυναῖκας ἐγάμεον, πρὶν ἂν δὴ παρὰ μάντεων ἀκοῦσαι ἕκαστα. 79 NILSSON (1950), 486ff.; NOCK (1933), 99ff. 80 So CASTER (1937), 261: «On sent dans l’Astrologie une attitude d’esprit qui ne fut jamais celle de Lucien: celle d’un homme qui contemple l’univers et, avec une certaine crainte religieuse et une certaine admiration des merveilles du cosmos, se plaît à exposer quelques-unes de ses lois divines…».

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9. De Astrologia

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Fiktion unbedingt das Auftauchen autobiographischer Elemente erwartet wird. Mit etwas mehr Vorsicht könnte man sagen, dass De astrol. stark daraufhin zu deuten scheint, wie sehr der Mensch Lukian seine Hoffnungen und Sorgen auf die sublunare Sphäre beschränkte.

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10. Zusammenfassung des ersten Teils • Die wichtigsten Beiträge über Lukian aus den letzten hundert Jahren zerfallen in zwei klar umrissene Gruppen, nämlich die historischen und die literarischen Arbeiten. Die Arbeiten der ersten Kategorie sammeln aus dem Werk Lukians Informationen über Gesellschaft und Kultur der Zeit und untersuchen ihre historische Zuverlässigkeit; dabei steht das Verhältnis des Autors zu seiner Umgebung im Mittelpunkt. Repräsentativ für diese Kategorie sind das scharfsinnige Buch von C.P. JONES Culture and Society in Lucian von 1986, oder die Dissertation von M. CASTER Lucien et la pensée religieuse de son temps von 1937, welche heute noch die grundlegende Arbeit zu Lukians religiösen Vorstellungen ist. Die Arbeiten der zweiten Kategorie betrachten Lukians Texte hingegen nicht als historische Quellen, sondern ausschließlich oder vorwiegend als Produkte einer hoch raffinierten literarischen Kunst, die es in ihrer Genese und Form zu erforschen gilt. Paradebeispiele für diese zweite Gruppe sind etwa die revolutionäre Monographie von J. BOMPAIRE Lucien écrivain (1958), die gewichtige Studie von G. ANDERSON Lucian. Theme and Variation in the Second Sophistic (1976) oder R.B. BRANHAMS bahnbrechendes Werk Unruly Eloquence von 1989. Bei der Verfassung einer neuen Untersuchung über Lukian ist es kaum möglich, diese Polarisierung zu ignorieren, sondern man muss zu ihr Position beziehen. Ist das Interessengebiet nun der Bereich der Religion und situiert man sich in der historischen Kategorie, wie es bei mir der Fall ist, bildet die bereits erwähnte monographische Studie von CASTER einen obligatorischen und primären Bezugspunkt. Das Bild von Lukians Verhältnis zur Religion wurde nämlich von dieser Untersuchung dauerhaft und entscheidend geprägt, ja man kann sagen, dass die Interpretation von CASTER heute noch so gut wie konkurrenzlos ist; also mussten auch meine eigenen Untersuchungen in stetiger Auseinandersetzung mit den einflussreichen Analysen des französischen Philologen geschehen. MARCEL CASTER hatte keine hohe Meinung von Lukian. Der Samosatenser war für ihn ein durch und durch nihilistischer und irreligiöser Geist, oberflächlich und ruhmsüchtig. Mit dieser Ansicht setzte CASTER die „Lukian-feindliche“ Linie fort, zu deren Vertretern große Philologen wie WILAMOWITZ oder NORDEN zählten. Eine Kernthese seiner Interpretation war Lukians sklavische Abhängigkeit von seinen literarischen Modellen. Darauf sei die auffällige Tatsache zurückzuführen, dass Lukian, der sonst so gerne und so oft über Religion sprach, viele bedeutende Phänomene der Religiosität seiner Zeit nie erwähnte. Der Grund dafür sei nach CASTER darin zu sehen, dass Lukian keine passenden Kritikformen gegen diese neuen religiösen Erscheinungen in seinen

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

Modellen vorgefunden habe, Modelle, denen er blind gefolgt sei, weil er zu konservativ und geistlos gewesen sei, um selbst Neues zu erschaffen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang u. a., dass sich auch der große Religionshistoriker M.P. NILSSON diese Interpretation zu Eigen machte: «Welch dankbare Vorwürfe hätten dem Satiriker nicht die fremden Kulte, der Mystizismus, die Astrologie, der Dämonenglaube, die Zauberei bieten können, wenn er sie hätte ausnutzen wollen. Sie paßten aber nicht in sein ein für allemal feststehendes literarisches Fachwerk hinein».1

Aufgrund von NILSSONS Autorität fand diese Sichtweise zwar breite, aber unkritische Akzeptanz und wurde zur communis opinio. Dies ist im Wesentlichen der Forschungsstand, auf den meine Arbeit aufbaut. Der einzige Weg, um sich von diesem fest etablierten Bild wegzubewegen, ist der Versuch einer gründlichen Analyse der einzelnen Werke dieses Autors. Methodisch war es notwendig, jede Schrift von neuem rein für sich zu betrachten und zu durchdenken. Grundsätzlich geht es um jene ursprünglichen, d. h. von Lukian selbst konzipierten Sinneinheiten, welche die einzelnen opuscula darstellen, und nicht darum, mit allgemeinen Kategorisierungen zu arbeiten (z. B. die bereits erwähnte Polarisierung ‚Lukian als realistischer Beobachter seiner Umgebung‘ vs. ‚Lukian als reiner Literat‘). • Zu Beginn des ersten Teils zum populären Gottesbild habe ich darauf hingewiesen, dass Lukians Neigung zur Religionskritik nicht so sehr von Faktoren wie seinem „Außenseiter-Status“ determiniert wurde, sondern viel einfacher ihren Ursprung in der rhetorischen Ausbildung gehabt haben könnte, die u. a. Übungen zur Dekonstruktion von Mythen vorsah, und habe dies anhand des konkreten Beispiels von Theons προγυμνάσματα gezeigt (I.1). • Lukians satirische Behandlung der Olympier in einem seiner bekanntesten Werke, den D.Deor. (I.2), lässt sich jedoch nicht nur anhand dieser Beobachtung erklären. Sie erfordert vielmehr eine grundsätzliche Überlegung über die Art und Weise und das Ausmaß, in dem die Menschen der Antike ihre Götter kritisch ansehen bzw. sie in der Kategorie des Lächerlichen betrachten konnten. Mit Hilfe der theoretischen Modelle der Religionswissenschaftler P. VEYNE, R. MACMULLEN und D. FEENEY habe ich diese Analyse für den konkreten Fall der D.Deor. vorgenommen. Das Ergebnis war, dass die für uns verblüffende Fähigkeit der Griechen und Römer, widersprüchliche Aspekte und Tätigkeiten bezüglich der religiösen Sphäre miteinander in Einklang zu bringen, per se die unstrittige Schärfe mancher der lukianischen Götterburlesken nicht aufhebt. _____________ 1

NILSSON (1950), 561.

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10. Zusammenfassung des ersten Teils

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• In zwei wenig beachteten Schriften, De luctu (I.3) und De sacrificiis (I.4) richtet Lukian ferner seine Aufmerksamkeit auf zwei mit dem religiösen Glauben eng verbundene Phänomene: auf den Sinn und Wert von Opfern und Gebeten und auf den Umgang mit dem Tod bzw. die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits. In beiden Fällen ist Lukians Haltung auffällig negativ, wenn nicht sogar destruktiv. Dabei ließ sich Lukian von kynischem Gedankengut inspirieren, er war jedoch weit davon entfernt, diese Ideen ganz zu akzeptieren oder systematisch zu entwickeln. Die geistige Atmosphäre dieser opuscula ist sehr düster. An keiner Stelle wird Hoffnung kommuniziert oder tritt ein positiver Gedanke zum Vorschein. Von einflussreichen und weit verbreiteten Sinnangeboten und Lösungsvorschlägen für die Opfer- und Gebetsproblematik, wie etwa diejenigen, welche die platonische Philosophie präsentierte, findet man bei Lukian keine Spur. Als Kontrastbeispiel habe ich Maximos von Tyros, der hingegen etwa zur gleichen Zeit diese Lösungsvorschläge eifrig rezipierte, eingehend dargestellt. Lukians Standpunkt zu diesen zwei Kernthemen findet seinen prägnantesten Ausdruck im Bild des lachenden Demokrit und des weinenden Heraklit. Seine Deutung wird im Text selbst angeboten: Über die Torheit der Menschen im Allgemeinen und über den Unfug der Religion insbesondere kann man entweder sarkastisch lachen oder bitterlich weinen. Das Bild dieses Philosophenpaares bzw. die damit verbundene pessimistische Botschaft scheint für Lukian eine tiefe Bedeutung gehabt zu haben: Man bedenke nur, dass das gleiche Bild als Deutungschiffre für die gesamte Geschichte des Peregrinos verwendet wird. • Im Gesamtœuvre Lukians fehlt ferner auch nicht die Polemik gegen den Sternglauben, die man in der Schrift Über die Astrologie (I.9) findet. Das Werk ist in einem artifiziellen ionischen Dialekt verfasst; sein Inhalt (es handelt sich um eine sehr naiv durchgeführte Preisung der Astrologie) mutet für einen Satiriker recht befremdlich an. Die lukianische Autorschaft wurde daher stark angezweifelt, jedoch lassen sich m. E. gute Argumente vorbringen, welche die Zuweisung an Lukian sehr überzeugend machen. Eine zwar subtile, jedoch spürbare Ironie durchtränkt das kurze Werk; die vermeintliche Wertschätzung der Astrologie ist also in Wahrheit in ihr Gegenteil umzukehren. Die lächerliche Selbstüberzeugung und die lästige Einfalt, mit denen der anonyme Sprecher die Dogmen des Sternglaubens vorträgt, dienen dazu, die Absurdität solcher Vorstellungen umso deutlicher in den Vordergrund treten zu lassen. Am Schluss der Lektüre bleibt der klare Eindruck, dass die Gestirne und ihre komplexen Bewegungen und Konjunktionen für den Autor (höchstwahrscheinlich Lukian) kein Weg der gegenseitigen Beeinflussungen oder der Kommunikation zwischen Himmel und Erde waren.

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I. Lukians Darstellungen der traditionellen Götter

• Dennoch, wenngleich schwierig, sind solche Beeinflussungen und Kommunikation zwischen Göttern und Menschen für Lukian nicht unmöglich. Man würde sich nämlich sehr täuschen, wenn man glaubte, dass die lukianische Position am besten mit der Behauptung wiedergegeben sei, dass es für Lukian schlicht und ergreifend keine Götter gäbe. Dies zu behaupten wäre nicht nur eine Vereinfachung und Banalisierung, sondern v. a. rein empirisch falsch, denn es widerspricht dem, was man bei Lukian selbst lesen kann. In vielen seiner bedeutendsten Werke sind nämlich die Konfrontation und die Interaktion von Göttern und Menschen das Thema. Ich denke dabei besonders an die Schriften Deorum concilium (I.5), Icaromenippus (I.6), Juppiter tragoedus (I.7) oder Prometheus (I.8). Diese Werke zeigen die Götter in ihrer aktiven Teilnahme am Leben der Menschen; das, was auf Erden geschieht, interessiert oder besorgt sie. Ferner steht diese lukianische Götterdarstellung in der besten Tradition des hellenischen Glaubens, weil auch mit den Göttern Lukians ohne große Umstände und manchmal etwas skrupellos umgegangen und verhandelt werden kann, wie bei Homer und Herodot. Dennoch leiden die lukianischen Götter – und insbesondere ihr König und Vater Zeus – unter einer chronischen Schwäche. Zwar hören sie z. B. die Gebete der Menschen, können sich aber nicht entscheiden, welche Bitten sie erfüllen; zwar sind sie willens, Frevler zu bestrafen und große Ungerechtigkeiten zu beseitigen, vertagen aber die Verwirklichung dieses Vorsatzes ad kalendas Graecas; zwar verfolgen sie besorgt die Verbreitung atheistischer Lehrmeinungen unter den Philosophen, vermögen aber diese Debatte in keiner Weise konkret zu beeinflussen. • Es ist äußerst schwierig, sich ein fundiertes Urteil darüber zu bilden, wie das Publikum und die Leser Lukians damals eine derartige Schwächung der olympischen Götter rezipiert haben mögen. Aus heutiger Perspektive wirkt sie jedenfalls nicht gerade förderlich, was Pietät und Kultus angeht. Wichtig ist jedoch v. a. im Auge zu behalten, dass die lukianische Religionskritik größtenteils auf rein literarischer Ebene geschah, auch wenn der Samosatenser nicht davor zurückschreckte, gelegentlich auch echtes philosophisches Gedankengut als Material für seine Satiren heranzuziehen, wie es im Dialogenpaar JTr. und JConf. der Fall ist. Zwar verwendet Lukian also Themen, Ideen und Topoi, die viel älter waren, aber er tut es in einem Zusammenhang, der neu und originell ist (jedenfalls so weit wir aufgrund der Quellenlage urteilen können). Ähnlich kann man sagen, dass der Himmel Lukians von literarischen Mustern und Konventionen tief geprägt ist. Dennoch, obwohl seine Götter im Wesentlichen diejenigen sind, von denen bereits Homer, Herodot und Platon sprachen, sind an ihnen gleichzeitig die Züge der unverwechselbaren Persönlichkeit des Autors kenntlich, wobei auffälliges Merkmal dieser Persönlichkeit ihre iro-

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10. Zusammenfassung des ersten Teils

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nisch-distanzierte, gelegentlich schwer sarkastische, oft tief pessimistische und grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber der Welt der Menschen und der Götter war.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian 1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus Die edelsten Dinge auf Erden existieren vielleicht nur in den Worten, die sie heraufbeschwören. N.G. DÁVILA, Escolios a un texto implícito (1977)

1.1. Einleitung Im Vergleich zu den anderen philosophischen Richtungen setzt sich Lukian insgesamt nicht sehr oft mit Platon und seiner Philosophie auseinander. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der athenische Philosoph für den Samosatenser eine marginale Rolle gespielt hätte.1 Im Allgemeinen kann man sagen, dass eine solche Auseinandersetzung zu dieser Zeit a priori von einer gewissen „Zwiespältigkeit“ geprägt war. Es wurden nämlich zwei scharf voneinander getrennte und unabhängige Aspekte dieser Figur von den zeitgenössischen Kulturvertretern wahrgenommen: Platon als überragender Schriftsteller auf der einen, Platon als origineller Philosoph auf der anderen Seite.2 Hierin unterscheidet sich Lukian kaum von den anderen Gebildeten seiner Epoche.3 Ein gewichtiger Faktor unterscheidet den Fall der lukianischen Bezüge zu Platon und dem Platonismus. Im Unterschied zu den übrigen drei zu seiner Zeit kanonischen philosophischen Schulrichtungen (Stoizismus, Epikureismus, Aristotelismus), die der Samosatenser, was ihre spezifischen Lehrmeinungen angeht, nicht besonders gut zu kennen scheint4 – besaß er direkte und breite Kenntnisse der Primärquellen _____________ 1

2 3 4

Ausführliche aber methodisch leider sehr veraltete Untersuchungen dieses Themas bieten HELM (1902), 202-6, TACKABERRY (1930), 62-85, und CASTER (1937), 29-40. Aus der neueren Forschung vgl. bes. BRANHAM (1989), 104-23 und NESSELRATH (2001), 144. Vgl. DE LACY (1974) und TRAPP (1990). Vgl. SHEWRING (1934) und NEEF (1940). Beispiele – besonders den Stoizismus betreffend – in BOMPAIRE (1958), 351f. (z. B.: «En définitive il s’en tiendra lui aussi à la surface des systèmes. Il les résume le plus souvent de façon schématique […] C’est sans doute qu’il veut en faire la caricature mais cette tendance s’accommode parfaitement d’une certaine pauvreté de connaissances,

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

dieser Philosophie, d. h. von Platons Dialogen. Dieser entscheidende Faktor verdient eingangs mit Nachdruck betont zu werden, denn er wird in der Regel leicht übersehen bzw. nicht gebührend berücksichtigt. Lukian hat Platon in extenso gelesen (dies gilt zumindest für die wichtigsten unter seinen Dialogen; man denke diesbezüglich nur an die minutiöse Wiederverwendung des Gorgias im Parasitendialog oder an die meisterhaft nachgeahmte platonische Dialogform im Hermotimos) und war mit den sprachlichen und stilistischen Ausdrucksformen dieses Autors sehr wohl vertraut. Außerordentlich zahlreich sind die Anlehnungen Lukians an Platons schriftstellerische Manier. Sie betreffen manchmal subtile Details des Ausdrucks, bleiben jedoch nicht nur auf die sprachliche Ebene beschränkt, sondern erstrecken sich häufig auch bis zur Übernahme typisch platonischer Gedanken.5 Nicht nur scheint er z. B. ein nicht unbedingt so geläufiges Werk wie die Νόμοι gut genug gekannt zu haben, um daraus solche sekundären Einzelheiten wie Platons Meinung zu den erlaubten und unerlaubten Tanzformen referieren zu können6 (sogar ein von Platon stark beeinflusster Autor wie Dion von Prusa nimmt äußerst selten auf die Gesetze Bezug),7 sondern er war auch und vor allem ohne weiteres in der Lage – wenn er nur wollte –, einige Punkte der platonischen Doktrin vollkommen korrekt wiederzugeben (s. dazu infra). Daraus ist zunächst eine wichtige Konsequenz zu ziehen: Während es sich im Falle der anderen philosophischen Sekten oft nur um eine Wahrnehmung handelte, hat man es, _____________

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quand elle ne s’explique pas par elle» [Hervorhebungen von mir]). Ich bin mit dieser Ansicht einverstanden, solange sie für die anderen philosophischen Systeme geltend gemacht wird, aber ich kann BOMPAIRE dann nicht mehr zustimmen, wenn er die gute und extensive Kenntnis der platonischen Texte, HELM (1906), 83-90 folgend, leugnet (352): «On saisit le niveau affligeant de ces clichés [scil. Frauengemeinschaft, Ideenlehre] qui, loin de supposer la pratique directe des textes platoniciens, pourtant évidente dans certains cas chez Lucien, procèdent d’un florilège élémentaire» (Hervorhebung von mir). Ausführliche, noch unübertroffene Gesamtübersicht bei TACKABERRY (1930), 80-5. Vgl. auch NESSELRATH (1985), Index s. v. ,Platon‘, Unterlemma ,platonischer Sprachgebrauch in De Parasito‘, 549; nützlich auch NEEF (1940), 22-37, der in knapper Form versucht, die platonischen Einflüsse in einigen Hauptwerken zu verzeichnen. Zum rein lexikalischen Aspekt vgl. SCHMID (1887) und DEFERRARI (1916). Pl., Leg. VII 814e-816d ~ Luc., De salt. 34; HELM (1902), 204f. Witziges Urteil über den Stil in Icar. 24: ΖΕΥΣ. …ἐπὶ ταῦτα μὲν ἅπαντες θέουσι καὶ πανηγύρεις ἀνάγουσι καὶ ἑκατόμβας παριστᾶσι καὶ χρυσᾶς πλίνθους ἀνατιθέασιν, ἐμὲ δὲ παρηβηκότα ἱκανῶς τετιμηκέναι νομίζουσιν, ἂν διὰ πέντε ὅλων ἐτῶν θύσωσιν ἐν Ὀλυμπίᾳ. τοιγαροῦν ψυχροτέρους ἄν μου τοὺς βωμοὺς ἴδοις τῶν Πλάτωνος Νόμων ἢ τῶν Χρυσίππου συλλογισμῶν. Zum Platonismus des Dion vgl. neulich TRAPP (2000); zu den Νόμοι bes. 227, 229, 235f.

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1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus

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wenn Lukian für oder gegen Platon (bzw. Sokrates) Position bezieht, vielmehr mit einem echten Urteil zu tun. Der methodisch einzig vertretbare Weg, um sich der Frage nach Lukians Rezeption des platonischen Gottesbildes oder, allgemeiner, der platonischen Theologie zu nähern, ist nun – in Anbetracht der Quellenlage – die generelle Erörterung ebendieses lukianischen Urteils über Platon insgesamt. Dabei gilt es m. E. vor allem, das Prozedere von Philologen wie HELM und TACKABERRY zu vermeiden, nämlich lediglich eine trockene Liste aller Stellen, in denen Lukian über Platon spricht, herzustellen und kurz zu kommentieren, denn in einem derartig oberflächlichen Überblick gehen sowohl das Spezifische und Bedeutsame der einzelnen Passagen als auch ihre möglichen internen Verbindungen miteinander unweigerlich verloren. Der Eindruck von Oberflächlichkeit in der lukianischen Behandlung Platons, welchen die Philologen auf den Autor selbst zurückprojizieren, ist vielleicht in Wahrheit (wenigstens zum Teil) nur eine Folge ihrer Untersuchungsmethode. Zwar trifft es auf der einen Seite zu, dass im lukianischen „Platon-Spott“ feste Motive erkennbar sind, aber andererseits ist es ebenso wahr, dass diese auf unterschiedliche Art wiederkehren. 1.2. D.Mort. 4 (21) Den geeignetsten Einstieg in die Diskussion der lukianischen Rezeption des Platonismus bietet m. E. der kurze Dialog D.Mort. 4 (21). Hier befragt Menipp Kerberos über das Verhalten des Sokrates bei seiner Ankunft in der Unterwelt. Es stellt sich dabei heraus, dass dieser alles andere als tapfer und weise gewesen ist: kaum dass er den finsteren Abgrund des Hades erblickt hatte, wurde auch der große Sokrates von unbezwingbarer Angst ergriffen und fing an, wie ein Kind zu weinen. Sein äußerlicher Mut und seine exemplarische Akzeptanz des Unvermeidlichen in den letzten Stunden seines Lebens waren also nur Ostentation, ein fingiertes Schauspiel zugunsten derer, die ihm dabei zuschauten, letztlich also nur ein Akt erbärmlicher Eitelkeit. In dieser seiner Mutlosigkeit und Heuchelei gegenüber dem bitteren Phänomen des Todes – fügt Kerberos hinzu – verkörpere Sokrates auf beinahe exemplarische Art und Weise die Attitüde der meisten Menschen, wenn sie in die Unterwelt kommen. Kurz der Philosoph wird hier geradezu als negatives Paradigma dargestellt, u. a. durch die Kontrastierung am Schluss mit Diogenes und Menipp selbst, welche als perfekt symmetrischer Gegensatz zu Sokrates die positive, d. h. in diesem

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

Falle die echte kynische, von Lukian offenbar geschätzte Haltung bezüglich des Todes konkret vertreten.8 Dieser Tadel, oder besser: Diese regelrechte Demaskierung des Sokrates erscheint mir als recht bedeutsam, weil sie m. E. deutlich einen Grundzug der persönlichen Sichtweise Lukians über solche „geheiligten“ Figuren wie Sokrates und, wie wir gleich sehen werden, auch Platon selbst offenbart: den Verdacht. D.Mort. 4 zeigt nämlich meiner Meinung nach, dass sie Lukian in dem Sinne verdächtig erschienen, als er durchgängig und im Wesentlichen hinter der Oberfläche der edlen Haltung, der beispielhaften Gesinnung und des bewundernswerten Großmuts, welche die meisten Menschen für bare Münze nahmen, ganz andere, weitaus weniger edle, tugendhafte und lobenswerte Gründe als die einzig wahren Beweggründe für das Tun und Denken jener „Helden“ argwöhnte und ihnen unterstellte.9 1.3. Momente „platonischer Komödie“ in Vit. auct. 15-19 Als Anschuldigung gegen Sokrates kommt bei Lukian die Knabenliebe mehrfach vor. Zu Beginn der Verkaufsszene Vit. auct. 15-19, in der die akademisch-platonische Lebensform feilgeboten wird, präsentiert sie Lukian sogar als diejenige Haupteigenschaft, die den Athener am besten charakterisiert.10 Natürlich versäumt Lukian hier nicht die Gelegenheit, _____________ 8 D.Mort. 4 (21): ΜΕΝΙΠΠΟΣ. Ὦ Κέρβερε – συγγενὴς γάρ εἰμί σοι κύων καὶ αὐτὸς ὤν – εἰπέ μοι πρὸς τῆς Στυγός, οἷος ἦν ὁ Σωκράτης, ὁπότε κατῄει παρ᾿ ὑμᾶς· εἰκὸς δέ σε θεὸν ὄντα μὴ ὑλακτεῖν μόνον, ἀλλὰ καὶ ἀνθρωπίνως φθέγγεσθαι, ὁπότ᾿ ἐθέλοις. ΚΕΡΒΕΡΟΣ. Πόρρωθεν μέν, ὦ Μένιππε, παντάπασιν ἐδόκει ἀτρέπτῳ τῷ προσώπῳ προσιέναι καὶ οὐ πάνυ δεδιέναι τὸν θάνατον δοκῶν καὶ τοῦτο ἐμφῆναι τοῖς ἔξω τοῦ στομίου ἑστῶσιν ἐθέλων, ἐπεὶ δὲ κατέκυψεν εἴσω τοῦ χάσματος καὶ εἶδε τὸν ζόφον, κἀγὼ ἔτι διαμέλλοντα αὐτὸν δακὼν [τῷ κωνείῳ] κατέσπασα τοῦ ποδός, ὥσπερ τὰ βρέφη ἐκώκυεν καὶ τὰ ἑαυτοῦ παιδία ὠδύρετο καὶ παντοῖος ἐγίνετο. ΜΕΝ. Οὐκοῦν σοφιστὴς ὁ ἄνθρωπος ἦν καὶ οὐκ ἀληθῶς κατεφρόνει τοῦ πράγματος; ΚΕΡ. Οὔκ, ἀλλ᾿ ἐπείπερ ἀναγκαῖον αὐτὸ ἑώρα, κατε θρασύνετο ὡς δῆθεν οὐκ ἄκων πεισόμενος ὃ πάντως ἔδει παθεῖν, ὡς θαυμάσονται οἱ θεαταί. καὶ ὅλως περὶ πάντων γε τῶν τοιούτων εἰπεῖν ἂν ἔχοιμι, ἕως τοῦ στομίου τολμηροὶ καὶ ἀνδρεῖοι, τὰ δὲ ἔνδοθεν ἔλεγχος ἀκριβής. ΜΕΝ. Ἐγὼ δὲ πῶς σοι κατεληλυθέναι ἔδοξα; ΚΕΡ. Μόνος, ὦ Μένιππε, ἀξίως τοῦ γένους, καὶ Διογένης πρὸ σοῦ, ὅτι μὴ ἀναγκαζόμενοι ἐσῄειτε μηδ᾿ ὠθούμενοι, ἀλλ᾿ ἐθελούσιοι, γελῶντες, οἰμώζειν παραγγείλαντες ἅπασιν. 9 Zu Sokrates bei Lukian vgl. u. a. BOMPAIRE (1958), 185-7; NESSELRATH (1985), 422f.; RÜTTEN (1997), 72-8; MÖLLENDORFF (2000), 350f. 10 Vit. auct. 15: ΕΡΜΗΣ. Βούλει τὸν Ἀθηναῖον ἐκεῖνον, τὸν στωμύλον; ΖΕΥΣ. Πάνυ μὲν οὖν. ΕΡΜ. Δεῦρο ἐλθὲ σύ. βίον ἀγαθὸν καὶ συνετὸν ἀποκηρύττομεν. τίς ὠνεῖται τὸν ἱερώτατον; ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Εἰπέ μοι, τί μάλιστα εἰδὼς τυγχάνεις;

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1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus

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diese so sonderbare Selbstdarstellung des Sokrates mit einigen recht hübschen Witzen zu kommentieren, ja, sich beinahe selbst zu übertreffen: Die gelungenen Witze überschlagen sich geradezu, und der ganze Abschnitt geht mit einem großartigen ἀπροσδόκητον zu Ende, Vit. auct. 18f.: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Ὠνησάμην ὅσου φής. τἀργύριον μέντοι εἰς αὖθις καταβαλῶ. ΕΡΜΗΣ. Τί σοι τοὔνομα; ΑΓ. Δίων Συρακούσιος).11 M. E. wäre es allerdings irrig zu denken (etwa mit HELM), dass sich die ganze narrative Sequenz des Verkaufs des Akademikers einzig und allein in dieser zweifellos vorhandenen witzigen Dimension erschöpft. Bezeichnenderweise zeigt nämlich der unmittelbare Fortgang des Gesprächs, dass Lukian auch und vor allem seinen typischen Argwohn – eben jenen wie in D.Mort. 4 – ins Spiel bringt, denn das gleich darauf aufgenommene Thema der Heuchelei des Sokrates, der, freilich ohne Erfolg, die völlige Unschuldigkeit seiner Zuneigung für die jungen Knaben beteuert («Aber ich liebe nicht ihre Körper, sondern nur ihre schönen Seelen!»), ist – scheint es mir – bloß eine andere Ausdrucksform ebendieses grundsätzlichen lukianischen Argwohns oder Verdachts.12 Offenkundig fand Lukian die berühmte, in Symp. 218b-219d geschilderte Episode vom misslunge_____________ ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Παιδεραστής εἰμι καὶ σοφὸς τὰ ἐρωτικά. – In Bezug auf diesen Abschnitt der Vit. auct. ist darauf hinzuweisen, dass hier die sog. γ-Überlieferung, im Unterschied zur von ITZKOWITZ und MACLEOD übernommenen β-Tradition, durchgehend ‘ΠΛΑΤΩΝ’ statt ‘ΣΩΚΡΑΤΗΣ’ als Namen des feilgebotenen Philosophen hat. Vgl. ITZKOWITZ (1992), Praefatio, LIIf. samt Anm. 4 («Initio libelli huius partis in U [Vat. gr. 1324] „Σωκράτ(ης) (καὶ) Πλάτ(ων)“ invenitur, quod solum rem de qua agitur indicat; in sequentibus „Σωκ(ράτης)“ occurrit»); die Schlussfolgerung des Editors: «Ex his recensitis manifestum nomina ab auctore nobis non tradita esse» (LIII). Die einleitende Charakterisierung ΕΡΜΗΣ. Βούλει τὸν Ἀθηναῖον ἐκεῖνον, τὸν στωμύλον; ΖΕΥΣ. Πάνυ μὲν οὖν, lässt geringe Zweifel über die wahre Identität des Sprechers aufkommen (dagegen NESSELRATH [1993b], 51 Anm. 26). Vgl. auch HELM (1902), 202 Anm. 1; BEAUPÈRE (1967), 93 Anm. 1; MÖLLENDORFF (2000), 353 Anm. 31. 11 Auf den Satz Παιδεραστής εἰμι καὶ σοφὸς τὰ ἐρωτικά erwidert z. B. der Käufer: Πῶς οὖν ἐγὼ πρίωμαί σε; παιδαγωγοῦ γὰρ ἐδεόμην τῷ παιδὶ καλῷ ὄντι μοι (Vit. auct. 15); oder, unmittelbar danach (für den Text vgl. folgende Anm.), der Witz über die eigenartigen Schwurgewohnheiten des Sokrates, fälschlich mit den theriomorphen Göttern kombiniert (zu diesem Aspekt vgl. SMELIK/HEMELRIJK [1984]; zu Lukian bes. 1967-71). 12 Vit. auct. 15-16: ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Τίς δ᾿ ἂν ἐπιτηδειότερος ἐμοῦ γένοιτο συνεῖναι καλῷ; καὶ γὰρ οὐ τῶν σωμάτων ἐραστής εἰμι, τὴν ψυχὴν δὲ ἡγοῦμαι καλήν. ἀμέλει κἂν ὑπὸ ταὐτὸν ἱμάτιόν μοι κατακέωνται, ἀκούσει αὐτῶν λεγόντων μηδὲν ὑπ᾿ ἐμοῦ δεινὸν παθεῖν. ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Ἄπιστα λέγεις, τὸ παιδεραστὴν ὄντα μὴ πέρα τῆς ψυχῆς πολυπραγμονεῖν, καὶ ταῦτα ἐπ᾿ ἐξουσίας, ὑπὸ τῷ αὐτῷ ἱματίῳ κατακείμενον. ΣΩ. Καὶ μὴν ὀμνύω γέ σοι τὸν κύνα καὶ τὴν πλάτανον οὕτω ταῦτα ἔχειν. ΑΓ. Ἡράκλεις τῆς ἀτοπίας τῶν θεῶν. ΣΩ. Τί σὺ λέγεις; οὐ δοκεῖ σοι ὁ κύων εἶναι θεός; οὐχ ὁρᾷς τὸν Ἄνουβιν ἐν Αἰγύπτῳ ὅσος; καὶ τὸν ἐν οὐρανῷ Σείριον καὶ τὸν παρὰ τοῖς κάτω Κέρβερον;.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

nen Verführungsversuch des Sokrates durch Alkibiades13 alles andere als glaubwürdig, und dies suggeriert er auch seinem Publikum. Aus dem gleichen Blickwinkel – bedenkt man ihren ebenfalls sexuellen Charakter – könnte auch die nächste Charakterisierung des Platonismus betrachtet werden, die in Vit. auct. 17 erörtert wird. Auf die Frage des Käufers hin erklärt nämlich Sokrates die Frauengemeinschaft für den wichtigsten Lehrsatz (τῶν δογμάτων…τὸ μέγιστον) der platonischen Philosophie. Wenn Lukian nun auch in Bezug auf diesen Punkt genauso argwöhnisch dachte, wie es sonst der Fall bei ihm war, so könnte dies bedeuten, dass er vielleicht hinter der platonischen Deduktion der Politeia, welche zu diesem befremdlichen Ergebnis führte, einen unausgesprochenen, aber sehr wirksamen „Hintergedanken“ vermutete: dass Sokrates/Platon nämlich unter dem edlen Vorwand, die bestmögliche Staatsverfassung zu finden, in Wahrheit eine Art höchst raffiniertes Mittel zu einer Billigung sexueller Ausschweifungen ersonnen hatte. Ich möchte diese Interpretation wenigstens als möglich hinstellen. Auf Grund der inhaltlichen Parallelen aus den anderen Werken und vor allem der Stelle im Text, in der es heißt: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Τοῦτο φής, ἀνῃρῆσθαι τοὺς περὶ μοιχείας νόμους; ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Νὴ Δία, καὶ ἁπλῶς γε πᾶσαν τὴν περὶ τὰ τοιαῦτα μικρολογίαν,14 erscheint sie mir jedoch sehr plausibel. Eine Anmerkung noch. Die witzige Übertreibung in der ganzen Darstellung dieses eigenartigen δόγμα des Platonismus in Vit. auct. 16f. ist evident und gewollt, sie zeigt aber gar keine Spur von Oberflächlichkeit. Sie dient mit anderen Worten nicht bloß und wahrscheinlich auch nicht hauptsächlich dazu, «die Lachmuskeln seiner Leser und Hörer zu reizen».15 Zum einen ist sie nämlich, erzählungstechnisch gesehen, vollkommen mit dem Charakter dieses so lüsternen Sokrates kohärent, in dem Sinne, dass _____________ 13 Vgl. insbes. Pl., Symp. 219b-d: Ἐγὼ μὲν δὴ ταῦτα ἀκούσας τε καὶ εἰπών, καὶ ἀφεὶς ὥσπερ βέλη, τετρῶσθαι αὐτὸν ᾤμην· καὶ ἀναστάς γε, οὐδ᾿ ἐπιτρέψας τούτῳ εἰπεῖν οὐδὲν ἔτι, ἀμφιέσας τὸ ἱμάτιον τὸ ἐμαυτοῦ τοῦτον – καὶ γὰρ ἦν χειμών – ὑπὸ τὸν τρίβωνα κατακλινεὶς τὸν τουτουί, περιβαλὼν τὼ χεῖρε τούτῳ τῷ δαιμονίῳ ὡς ἀληθῶς καὶ θαυμαστῷ, κατεκείμην τὴν νύκτα ὅλην. καὶ οὐδὲ ταῦτα αὖ, ὦ Σώκρατες, ἐρεῖς ὅτι ψεύδομαι. ποιήσαντος δὲ δὴ ταῦτα ἐμοῦ οὗτος τοσοῦτον περιεγένετό τε καὶ κατεφρόνησεν καὶ κατεγέλασεν τῆς ἐμῆς ὥρας καὶ ὕβρισεν – καὶ περὶ ἐκεῖνό γε ᾤμην τὶ εἶναι, ὦ ἄνδρες δικασταί· δικασταὶ γάρ ἐστε τῆς Σωκράτους ὑπερηφανίας – εὖ γὰρ ἴστε μὰ θεούς, μὰ θεάς, οὐδὲν περιττότερον καταδεδαρθηκὼς ἀνέστην μετὰ Σωκράτους, ἢ εἰ μετὰ πατρὸς καθηῦδον ἢ ἀδελφοῦ πρεσβυτέρου. 14 Vit. auct. 17. 15 HELM (1902), 203; vgl. auch BOMPAIRE (1958), 351: «Ce sont des plaisanteries aussi faciles qui définissent l’idéal de la cité platonicienne proposé par la République et les Lois», und BEAUPERE (1967), 89: «Quant à la nature même de la plaisanterie [zu Sokrates und Alkibiades in Vit. auct. 15], qu’elle soit banale et facile, c’èst évident», 96: «On retrouve la même déformation de vaudeville dans le Banquet».

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sie sozusagen ihre natürliche, erwartungsmäßige Folge darstellt;16 zum anderen scheint Lukian, um gleichzeitig seine Belesenheit und sein schriftstellerisches Können zur Schau zu stellen, hier die Formulierung des platonischen Originals etwas nachzuzeichnen.17 Generell ist die Tatsache nicht zu übersehen, dass der lukianische Humor in diesem Abschnitt einer geschickten Manipulation – meist durch Auslassung18 – zweier kanonischer Bezugstexte, nämlich der bereits erwähnten Stelle Symp. 218b-219d (Sokrates und Alkibiades verbringen eine Nacht keusch miteinander) und Resp. V, 457c (unter den Wächtern herrscht Frauengemeinschaft). Es handelt sich hier also nicht um das triviale Verfahren eines Witzboldes, sondern der lukianische Witz ist in Wirklichkeit an dieser Stelle sehr raffiniert. Den Schluss der Akademiker-Verkaufsszene bildet die Präsentation der Theorie der Ideen als κεφάλαιον der platonischen Weisheit (Vit. auct. 18f.). Diese Stelle scheint mir eine zusätzliche Bestätigung für die von mir vorgeschlagene Lektüre zu bieten. Die hier von Lukian entworfene Skizze der Ideenlehre zeichnet sich trotz ihrer Knappheit durch ihre grundsätzliche Richtigkeit aus: Lukian weiß offenbar genau, wovon er spricht.19 Die Sokrates in den Mund gelegte Bemerkung ἐγὼ δὲ πάντων ὁρῶ εἰκόνας καὶ σὲ ἀφανῆ κἀμὲ ἄλλον, καὶ ὅλως διπλᾶ πάντα (Vit. auct. 18), verrät sogar, dass er von einer sehr spezifischen, sozusagen „fachinternen“ Kritik an der Ideenlehre (Verdopplung der Wirklichkeit) Kenntnis hatte.20 _____________ 16 Die lustige „Abrundung“ am Ende von § 17, welche die sexuelle Gemeinschaft auch auf die schönen Knaben erweitert (ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Τί δὲ περὶ τῶν ἐν ὥρᾳ παίδων σοι δοκεῖ; ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Καὶ οὗτοι ἔσονται τοῖς ἀρίστοις ἆθλον φιλῆσαι λαμπρόν τι καὶ νεανικὸν ἐργασαμένοις. ΑΓ. Βαβαὶ τῆς φιλοδωρίας), scheint mir dies zu bestätigen. 17 PL., Resp. V, 345c10-d1: γυναῖκας ταύτας τῶν ἀνδρῶν τούτων πάντων πάσας εἶναι κοινάς, ἰδίᾳ δὲ μηδενὶ μηδεμίαν συνοικεῖν ~ Vit. auct. 17: μηδεμίαν αὐτῶν μηδενὸς εἶναι μόνου, παντὶ δὲ μετεῖναι τῷ βουλομένῳ τοῦ γάμου. Diese Beobachtung stammt von HELM (1902), 203 Anm. 3. 18 Die Pointe des Witzes in Vit. auct. 17 kann z. B. nur dadurch erzielt werden, dass die Einschränkung der Frauengemeinschaft auf die Wächter allein unerwähnt bleibt (vgl. BEAUPÈRE [1967], 95f.). Ähnlich in 18 klingt der Satz ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Ποῦ δὲ ἑστᾶσιν; ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Οὐδαμοῦ· εἰ γάρ που εἶεν, οὐκ ἂν εἶεν deswegen so komisch, weil ein Teil fehlt; es müsste nämlich heißen: „Wenn sie irgendwo wären, dann wären sie nicht Ideen (bzw. könnten sie nicht Ideen sein)“. 19 Vgl. bereits TACKABERRY (1930), 63: «This witty characterization shows a real grasp of the theory of Ideas as a mode of speaking of the universal which, in the realism of Plato, becomes an objective thing, an ontological unit of reality». 20 Vgl. in diesem Sinne BALTES’ (1998) Kommentar zu Text Nr. 131.1 (= Luc., Vit. auct. 18), 313-16. – Der Text: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. …τῆς δὲ σοφίας τί σοι τὸ κεφάλαιον; ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Αἱ ἰδέαι καὶ τὰ τῶν ὄντων παραδείγματα· ὁπόσα γὰρ δὴ ὁρᾷς,

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Durch seine Ironisierung distanziert er sich natürlich tout court von dieser philosophischen Auffassung. Bemerkenswert ist dabei vor allem die Tatsache, dass das Mittel, durch welches besagte Ironisierung geschieht, kein billiger Witz ist, sondern die zentrale Fragestellung einer ernsthaften Problematik, welche der Ideentheorie im Wesentlichen anhaftet: Wenn die Ideen als Modelle Zeit und Raum transzendieren (sie sind ἔξω τῶν ὅλων, wie Lukian sagt), also gar keinen „Platz“ haben oder haben können und für uns unsichtbar (ἀφανεῖς) sind, wie sind sie für die Menschen überhaupt greifbar? Man braucht dafür – lässt Lukian seinen Sokrates sagen – eine spezielle Einsicht, ein besonderes „Auge der Seele“, das nur wenige besitzen. Mir scheint es nun, dass diese ernsthafte Präsentation der Ideenlehre zusammen mit dem nüchternen Aufgreifen einer ganz präzisen platonischen Metaphorik und Begrifflichkeit21 vielleicht ein klares und bewusstes Signal dafür sein könnte, dass der Autor, als er diese Passage schrieb, gar nicht auf der Suche nach einem unkomplizierten Frohsinn (dem HELM’schen «Reiz der Lachmuskeln») war, sondern auf seine eigene Art und Weise eine Konfrontation mit Platon, im Sinne einer persönlichen, zwar ironisch gefärbten, aber vom Ton her nicht unernst gemeinten Erwiderung, eingehen wollte. Der Wendepunkt der Szene ist dann vielleicht der entscheidende Moment, an dem Lukian etwas von seiner persönlichen Haltung, nämlich seinen ganzen für ihn so typischen Argwohn und sein Misstrauen, zum Vorschein kommen lässt: «Wo sind [stehen] die Ideen?», «Nirgendwo». Mit dieser Theorie konfrontiert kann der Durchschnittsmensch nur sagen «οὐχ ὁρῶ ταῦθ᾿ ἅπερ λέγεις τὰ παραδείγματα» (§ 18). Wahrscheinlich dachte Lukian, dass hinter einer solchen Theorie, die unbedingt „Eingeweihte“ oder Fachpersonen braucht, um richtig (bzw. überhaupt) verstanden zu werden (ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Τοιγαροῦν ὠνητέος εἶ σοφὸς καὶ ὀξυδερκής τις ὤν [18]), sich „etwas Anderes“, ein heimlicher, betrügerischer Grund, verbergen könnte, genauso wie in den oben besprochenen Fällen. Sicher ist, dass er in Bis. acc. 34 dieses verborgene Andere in der Wichtigtuerei einer eitlen elitären Art gesehen hat.22 Ähnlich würde ich auch die Passage in § 17 auffassen: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. …ἀλλὰ τίνα βιοῖς τὸν τρόπον; ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Οἰκῶ μὲν ἐμαυτῷ τινα πόλιν ἀναπλάσας, χρῶμαι δὲ πολιτείᾳ ξένῃ καὶ νόμους νομίζω τοὺς ἐμούς. Dieser Gedanke findet sich auch in Ver. hist. II 17, in einem sehr ähnlichen Wortlaut formuliert: Πλάτων δὲ μόνος οὐ παρῆν, ἀλλ᾿ _____________ τὴν γῆν, τὰ ἐπὶ γῆς, τὸν οὐρανόν, τὴν θάλατταν, ἁπάντων τούτων εἰκόνες ἀφανεῖς ἑστᾶσιν ἔξω τῶν ὅλων. 21 Genaue Stellenverweise in den Anmerkungen 23-25 bei BALTES (1998), 315. 22 Bis acc. 34: ...καὶ τὸ φρόντισμα ἡδὺ αὐτῷ [scil. Dialogos] δοκεῖ καὶ μέγα φρονεῖ ἢν λέγηται ὡς οὐ παντὸς ἀνδρός ἐστι συνιδεῖν ἃ περὶ τῶν ἰδεῶν ὀξυδορκεῖ.

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ἐλέγετο [καὶ]23 αὐτὸς ἐν τῇ ἀναπλασθείσῃ ὑπ᾿ αὐτοῦ πόλει οἰκεῖν χρώμενος τῇ πολιτείᾳ καὶ τοῖς νόμοις οἷς συνέγραψεν.24 Der anmutige Witz ist hier wiederum kein Selbstzweck, sondern man spürt, dass dahinter ein Gedanke steckt. Die imponierende Konstruktion der platonischen idealen πόλις wird in diesem Spruch als ein reines „Artefakt“ präsentiert. Vor seinem geistigen Auge imaginiert Lukian, wie Platon in aller Einsamkeit, der Welt und den Menschen ganz entrückt, unter Verwendung von „fremden“ (πολιτείᾳ ξένῃ ist bewusste Doppeldeutigkeit: ,fremd‘ und ,fremdartig‘)25 oder schlechthin erfundenen Gesetzen das pure Phantasiegebilde seiner idealen Polis spinnt; und natürlich ist ein Philosoph, der ein solches Gebilde bewohnt, entsprechend „nicht mehr da“, d. h. „anderswo“ als in der normalen Welt.26 (Vielleicht spielten auch andere Faktoren bei dieser auffälligen Abwesenheit Platons eine gewisse Rolle. Möglicherweise nahm Lukian z. B. an Stellen wie etwa Resp. IX, 592a10-b4, wo die Unwirklichkeit des idealen Staatsentwurfes explizit erklärt wird, Anstoß;27 oder er kannte sogar die biographische Tradition zu Platons Abneigung gegen die τρυφή, insbesondere jene des sizilischen Hofes, sodass er aus der sinnlichen Landschaft auf der Insel der Seligen entfernt werden musste.28) Noch etwas mehr Plausibilität gewinnt die Hypothese einer (wohl nur zum Teil) ernsthaften Auseinandersetzung Lukians mit Platon, die ich bisher skizziert habe, wenn man bedenkt, dass sich für keinen der hier von Lukian gegen Platon vorgebrachten „Kritikpunkte“ eine genaue Entsprechung in der literarischen Tradition der „Platon-Witze“ der Komödie finden lässt.29 _____________ 23 Zu dieser Athetese von SOMMERBRODT vgl. die Diskussion bei BOMPAIRE (1998), 108 Anm. 64, und MÖLLENDORFF (2000), 352 Anm. 30. 24 HELM (1902), 203; STENGEL (1911), 66. 25 BEAUPÈRE (1967), 93f. denkt vielmehr an einen Kontrast zwischen ξένος und πολιτεία, barbarischer Lebensweise und griechischer Verfassungsform. 26 MÖLLENDORFFS interessanter Vorschlag (MÖLLENDORFF [2000], 352) einer Bezugnahme Lukians auf Pl., Phaed. 59b10 – Πλάτων δὲ μόνος οὐ παρῆν könnte eine Anspielung auf diese Stelle sein – ist vielleicht zu subtil; „Lokalisierungsvorschlag“ der Stadt der Politeia «offenbar an irgendeinem abgelegenen Ort der Insel [scil. der Seligen]» bei NESSELRATH (1993), 51; zum «eigenbrötlerischen Charakter» Platons aus Lukians Sicht vgl. NESSELRATH (1985), 376, sowie die Anmerkungen zum Gebrauch von πλάττω bei Platon bei BEAUPÈRE (1967), 93 und SCIOLLA (1988), 112. Der Kommentar von GEORGIADOU/LARMOUR (1998), 196f. z. St. bringt kaum Neues. 27 MÖLLENDORFF (2000), 353. 28 NESSELRATH (1993), 51 sowie NESSELRATH (1985), 381 mit Verweis auf Pl., Ep. VII, 326b6-d6. 29 Vgl. – ex negativo – Alexis, fr. 98 K.-A.; Amphis, fr. 6 K.-A.; Philippides, fr. 6 K.-A. (nebst adnotatio).

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1.4. Ver. hist. II 19; Symp. 39 Die gleichen Themen, die in Vit. auct. in einem kohärenten Zusammenhang vorkommen, finden sich auch vereinzelt in anderen Werken des Samosatensers. In solchen Fällen ist es ziemlich evident, dass Lukian seiner Phantasie und vis comica einfach freie Bahn gelassen hat. Hier ist das bloße Lachen der eigentliche Zweck, so dass ein Versuch, in solchen Stellen über den Witz und den Humor hinaus auch einen gedanklichen Nukleus zu suchen, vollkommen verfehlt wäre. Bei einem derartigen Verfahren wird die sexuelle Thematik naturgemäß bevorzugt. In Ver. hist. II 19 spielt Lukian mit der Vorstellung einer faktischen Anwendung der von Platon theorisierten Frauengemeinschaft (der utopische Raum für dieses Gedankenspiel ist, wie zu erwarten, die Insel der Seligen), und kombiniert diesen Punkt mit dem kynischen Brauch, den Geschlechtsverkehr öffentlich zu praktizieren, sowie mit der sokratischen Heuchelei, schöne Jungen (in diesem Fall Hyakinth und Narziss) nur platonisch zu lieben, die im gleichen Moment ihrer Behauptung entlarvt wird.30 Symp. 39 ist ein ähnliches Beispiel. Hier wird das Thema der Päderastie des Sokrates wiederum aufgegriffen, diesmal sogar in der Form einer expliziten Lobpreisung der Knabenliebe. Dieser versucht der Platoniker Ion, einer der zum Symposion eingeladenen Philosophen, einen Anschein von Würde dadurch zu verleihen, dass sie auf die Autorität und das einflussreiche Beispiel zweier eminenter Philosophen wie Sokrates und Platon zurückgeführt wird. Es scheint mir offensichtlich, dass der primäre Sinn und Zweck dieser etwas flüchtigen Episode der Erzählung in ihrer komischen Wirkung besteht. Letztere rührt aus dem Kontrast zwischen dem Rahmen (einem Hochzeitsbankett, in Anwesenheit der zwei frisch Vermählten!), in welchem Ion seine kurze Rede hält, und seinen Ansichten über die Sexualität her: am besten wäre nach Ion der komplette Verzicht auf sexuelle Kontakte mit Frauen, was ja praktisch gesehen heißt, dass man ihnen die Knaben vorziehen sollte. Sollte dies aber nicht möglich

_____________ 30 Ver. hist. II 19: περὶ δὲ συνουσίας καὶ ἀφροδισίων οὕτω φρονοῦσιν· μίσγονται μὲν ἀναφανδὸν πάντων ὁρώντων καὶ γυναιξὶ καὶ ἄρρεσι, καὶ οὐδαμῶς τοῦτο αὐτοῖς αἰσχρὸν δοκεῖ· μόνος δὲ Σωκράτης διώμνυτο ἦ μὴν καθαρῶς πλησιάζειν τοῖς νέοις· καὶ μέντοι πάντες αὐτοῦ ἐπιορκεῖν κατεγίνωσκον· πολλάκις γοῦν ὁ μὲν Ὑάκινθος ἢ ὁ Νάρκισσος ὡμολόγουν, ἐκεῖνος δὲ ἠρνεῖτο. αἱ δὲ γυναῖκές εἰσι πᾶσι κοιναὶ καὶ οὐδεὶς φθονεῖ τῷ πλησίον, ἀλλ᾿ εἰσὶ περὶ τοῦτο μάλιστα Πλατωνικώτατοι· καὶ οἱ παῖδες δὲ παρέχουσι τοῖς βουλομένοις οὐδὲν ἀντιλέγοντες.

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sein, dann sollte man wenigstens die Frauen mit allen Männern gemein haben.31 Liest man nun aber diese Passage im Lichte der Intertextualität, entdeckt man auch hier das Element des lukianischen Argwohns: zieht man die schon besprochenen Parallelstellen während der Lektüre heran, könnte man sich leicht zu denken geneigt fühlen, dass Ion die sozial unantastbaren Beispiele des Sokrates und Platon hauptsächlich dazu verwendet, um auf ehrenvolle Weise seine eigene sexuelle Vorliebe zu rechtfertigen. (Dies würde außerdem auch zum allgemeinen Bild der Philosophen im lukianischen Symposion als Heuchler, die nur allzu gerne ihre wahren Absichten verschleiern, besonders gut passen.) 1.5. Fugit. 18 In Fugit. 18 beklagt Φιλοσοφία vor Zeus in einer langen Rede die Freveltaten der Pseudophilosophen. Einen der Punkte ihrer Beschwerde bilden die sexuellen Exzesse, welche jene hinter einer äußerlich strengen und würdevollen Miene heuchlerisch geheimzuhalten versuchen. In ihren Ausschweifungen gehen sie sogar so weit, dass sie ihre „Beute“ an fremden Ehefrauen und schönen Jungen an ihre Genossen einfach „weiterreichen“. Dies tun sie aber nicht wider besseres Wissen, ganz im Gegenteil! In ihrer Ignoranz denken sie nämlich, auf diese Weise Platons Vorschrift bezüglich der Frauengemeinschaft zu verwirklichen.32 Fugit. 18 zeigt also eine weitere Kombinationsmöglichkeit der von Lukian mit dem Platonismus assoziierten Sexualthematik, wobei diesmal – trotz des witzigen Einschubs ὡς φιλοσοφοῖεν δὴ καὶ αὗται – der Ton nicht entspannt und lustig wie in Symp. 39, sondern sehr sarkastisch ist. Vor allem ist dieser Passus aber auf Grund seiner Schlussbemerkung (οὐκ εἰδότες ὅπως ὁ ἱερὸς ἐκεῖνος ἠξίου _____________ 31 Symp. 39: Ὁ τοίνυν Ἴων, Πρῶτος οὖν ἄρχομαι, ἔφη, εἰ δοκεῖ. καὶ μικρὸν ἐπισχών, Ἐχρῆν μὲν ἴσως, ἔφη, τοιούτων ἀνδρῶν παρόντων περὶ ἰδεῶν τε καὶ ἀσωμάτων εἰπεῖν καὶ ψυχῆς ἀθανασίας· ἵνα δὲ μὴ ἀντιλέγωσί μοι ὁπόσοι μὴ κατὰ ταὐτὰ φιλοσοφοῦσιν, περὶ γάμων ἐρῶ τὰ εἰκότα. τὸ μὲν οὖν ἄριστον ἦν μὴ δεῖσθαι γάμων, ἀλλὰ πειθομένους Πλάτωνι καὶ Σωκράτει παιδεραστεῖν· μόνοι γοῦν οἱ τοιοῦτοι ἀποτελεσθεῖεν ἂν πρὸς ἀρετήν· εἰ δὲ δεῖ καὶ γυναικείου γάμου, κατὰ τὰ Πλάτωνι δοκοῦντα κοινὰς εἶναι ἐχρῆν τὰς γυναῖκας, ὡς ἔξω ζήλου εἴημεν. 32 Fugit. 18: Καὶ ἧττον ἂν δεινὸν τὸ πρᾶγμα ἦν, εἰ τοιοῦτοι ὄντες μηδὲν εἰς ἡμᾶς ἄλλο ἐξύβριζον· οἱ δέ, μάλα σεμνοὶ καὶ σκυθρωποὶ τὰ ἔξω καὶ τὰ δημόσια φαινόμενοι, ἢν παιδὸς ὡραίου ἢ γυναικὸς λάβωνται καλῆς ἢ ἐλπίσωσιν, σιωπᾶν ἄξιον οἷα ποιοῦσιν. ἔνιοι δὲ καὶ ξένων τῶν σφετέρων γυναῖκας ἀπάγουσι μοιχεύσοντες κατὰ τὸν Ἰλιέα ἐκεῖνον νεανίσκον, ὡς φιλοσοφοῖεν δὴ καὶ αὗται· εἶτα κοινὰς αὐτὰς ἅπασι τοῖς ξυνοῦσι προθέμενοι Πλάτωνός τι δόγμα οἴονται ποιεῖν, οὐκ εἰδότες ὅπως ὁ ἱερὸς ἐκεῖνος ἠξίου κοινὰς ἡγεῖσθαι τὰς γυναῖκας.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

κοινὰς ἡγεῖσθαι τὰς γυναῖκας) sehr von Bedeutung. Diese zeigt nämlich, wie bewusst Lukian die wahre Bedeutung des platonischen Textes war, den er an anderer Stelle zu witzigen Zwecken verzerrte. – In diesem Zusammenhang muss auch ein Fragment aus einem verlorenen Werk des nur wenig früheren Epiktet erwähnt werden, weil es eine erstaunlich enge Parallele zum lukianischen Passus bietet.33 Ähnlich wie Lukian will Epiktet anhand des extremen Beispiels des augenfälligen Missbrauchs der Theorien der Politeia durch zügellose Römerinnen zeigen, dass die Menschen im Allgemeinen auf den unmöglichsten Wegen ihre Fehler und Schwächen zu veredeln versuchen. Der Tenor der Aussage bei beiden Autoren ist im Grunde der gleiche. Da diese Kritik kein τόπος gewesen zu sein scheint (sie kommt meines Wissens nur in diesen zwei Fällen vor),34 macht das Fragment aus Epiktet u. a. klar, dass die satirische Pointe des Lukian in diesem Falle nicht ganz aus der Luft gegriffen, d. h. rein literarischer Natur war, sondern offenbar einen gewissen Realitätsbezug hatte. 1.6. Abschied vom Platonismus: Pisc. 22 Pisc. 22 ist eine andere wichtige Stelle, in der sich Lukian selbst mit Platon – nicht nur auf stilistischer Ebene, wie man vielleicht denken könnte – konfrontiert. Aus der Gruppe der wieder auferstandenen Philosophen fragt Platon, wer die Rolle des Anklägers gegen Parrhesiades übernehmen möchte. Alle bitten unisono ihn selbst darum. Sehr bedeutsam ist nun die Begründung dieser Aufforderung durch den Chor der Philosophen, denn _____________ 33 Epict., fr. 15 SCHENKL (= 53 SCHW. = Stob., Antholog. III 6, 58): Τοῦ αὐτοῦ ἐκ τῶν Ἀπομνημονευμάτων· «Ἐν Ρώμῃ αἱ γυναῖκες μετὰ χεῖρας ἔχουσι τὴν Πλάτωνος πολιτείαν, ὅτι κοινὰς ἀξιοῖ εἶναι τὰς γυναῖκας. τοῖς γὰρ ῥήμασι προσέχουσι τὸν νοῦν, οὐ τῇ διανοίᾳ τἀνδρός, ὅτι οὐ γαμεῖν κελεύων καὶ συνοικεῖν ἕνα μιᾷ εἶτα κοινὰς εἶναι βούλεται τὰς γυναῖκας, ἀλλ᾿ ἐξαιρῶν τὸν τοιοῦτον γάμον καὶ ἄλλο τι εἶδος γάμου εἰσφέρων. καὶ τὸ ὅλον οἱ ἄνθρωποι χαίρουσιν ἀπολογίας τοῖς ἑαυτῶν ἁμαρτήμασι πορίζοντες. ἐπεί τοι φιλοσοφία φησὶν, ὅτι οὐδὲ τὸν δάκτυλον ἐκτείνειν εἰκῆ προσήκει». Zum gleichen Thema vgl. auch Epict., Diss. II 4, 8. 34 Zwar wird eine Stelle aus Plutarch (Amat. 767D-E: στέργεσθαι δὲ καὶ στέργειν ἑνί μοι δοκεῖ γράμματι τοῦ στέγειν παραλλάττον εὐθὺς ἐμφαίνειν τὴν ὑπὸ χρόνου καὶ συνηθείας ἀνάγκῃ μεμιγμένην εὔνοιαν. Ὧι δ᾿ ἂν Ἔρως ἐπισκήψῃ [...] καὶ ἐπιπνεύσῃ, πρῶτον μὲν ἐκ τῆς Πλατωνικῆς πόλεως (Resp. V, 462c) ‘τὸ ἐμὸν’ ἕξει καὶ ‘τὸ οὐκ ἐμόν’· οὐ γὰρ ἁπλῶς ‘κοινὰ τὰ φίλων’ οὐδὲ πάντων ἀλλ᾿ οἳ τοῖς σώμασιν ὁριζόμενοι τὰς ψυχὰς βίᾳ συνάγουσι καὶ συντήκουσι, μήτε βουλόμενοι δύ᾿ εἶναι μήτε νομίζοντες) als weitere Parallele dazu angeführt (BOMPAIRE [1958], 352 Anm. 1), aber ich kann den Zusammenhang mit Lukian oder Epiktet beim besten Willen nicht erkennen.

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1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus

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sie ist gleichzeitig eine explizite und artikulierte Formulierung von Lukians Ansicht über den Philosophen Platon.35 Obwohl leichter Humor in dieser Passage nicht ganz fehlt (man findet sogar eine exquisite Form der Selbstironie in der Behauptung, Parrhesiades sei viel gefährlicher als die älteren Sophisten), ist ihr Ton m. E. insgesamt überhaupt nicht ironisch und schon gar nicht spöttisch. Auffällig ist dabei vor allem die Tatsache, dass die lukianische Schätzung Platons nicht so sehr unter Bezugnahme auf die hohe rhetorische Qualität des platonischen Stils erfolgt, sondern sie berücksichtigt hauptsächlich den inhaltlichen Aspekt in Platons Schrifttum. Wenn also auf der einen Seite die wohlklingende Reinheit der attischen Sprache Platons, ihre angenehm wirkende Anmut und die markante Ironie erwähnt werden, wird Platon andererseits vorwiegend wegen seiner ungewöhnlichen Geistesgröße (μεγαλόνοια),36 Intelligenz und seiner Fähigkeit, überzeugende und präzise Beweisführungen zu produzieren, gegen welche auch ganz große Sophisten wie Gorgias oder Hippias machtlos waren, gepriesen. H. DÖRRIE nahm diese lukianische Stelle in die Sammlung Der Platonismus in der Antike auf, fasste sie aber, im Gegensatz zur hier vorgeschlagenen Deutung, als lediglich ironische Äußerung auf, als ob dieses Urteil nicht Lukians Ernst wäre (d. h. kein Urteil überhaupt); außerdem interpretierte er sie in literaturkritischem Sinne.37 Es ist nämlich bekannt, dass _____________ 35 Pisc. 22: ΠΛΑΤΩΝ. Τίς οὖν ὁ ἐπιτηδειότατος ἐξ ἡμῶν ἂν γένοιτο πρὸς τὴν δίκην; ΦΙΛΟΣΟΦΟΙ. Σύ, ὦ Πλάτων. ἥ τε γὰρ μεγαλόνοια θαυμαστὴ καὶ ἡ καλλιφωνία δεινῶς Ἀττικὴ καὶ τὸ κεχαρισμένον καὶ πειθοῦς μεστὸν ἥ τε σύνεσις καὶ τὸ ἀκριβὲς καὶ τὸ ἐπαγωγὸν ἐν καιρῷ τῶν ἀποδείξεων, πάντα ταῦτά σοι ἀθρόα πρόσεστιν· ὥστε τὴν προηγορίαν δέχου καὶ ὑπὲρ ἁπάντων εἰπὲ τὰ εἰκότα. νῦν ἀναμνήσθητι πάντων ἐκείνων καὶ συμφόρει εἰς τὸ αὐτό, εἴ τί σοι πρὸς Γοργίαν ἢ Πῶλον ἢ Πρόδικον ἢ Ἱππίαν εἴρηται· δεινότερος οὗτός ἐστιν. ἐπίπαττε οὖν καὶ τῆς εἰρωνείας καὶ τὰ κομψὰ ἐκεῖνα καὶ συνεχῆ ἐρώτα. 36 Es ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig zu notieren, dass diese Verbindung bei Lukian eine konstante Assoziation zu sein scheint, vgl. Merc. cond. 25: Τί γὰρ κοινόν, φασί, λύρᾳ καὶ ὄνῳ; πάνυ γοῦν, οὐχ ὁρᾷς; ἐκτετήκασι τῷ πόθῳ τῆς Ὁμήρου σοφίας ἢ τῆς Δημοσθένους δεινότητος ἢ τῆς Πλάτωνος μεγαλοφροσύνης, ὧν ἤν τις ἐκ τῆς ψυχῆς ἀφέλῃ τὸ χρυσίον καὶ τὸ ἀργύριον καὶ τὰς περὶ τούτων φροντίδας, τὸ καταλειπόμενόν ἐστι τῦφος καὶ μαλακία καὶ ἡδυπάθεια καὶ ἀσέλγεια καὶ ὕβρις καὶ ἀπαιδευσία. 37 H. DÖRRIE bei BALTES (1990), Nr. 56.2, Kommentar z. St., 398: «Dieses Lob Platons ist von Ironie durchtränkt; es wird eben der hohe Überschwang an Platon gerühmt, der durch Kaikilios von Kale Akte und durch Dionysios von Halikarnaß in Mißkredit geraten war. Lukians wahres Urteil deutet sich in dem Umstand an, daß im weiteren Gang der Handlung nicht Platon, sondern der Kyniker Diogenes dazu ausersehen wird, die Sache der Philosophen zu vertreten». – Dieselbe Ansicht vertrat bereits WALSDORFF (1927), 87f., der aber, obwohl ihm «das Pathos des Satirikers hier [...] verdächtig» erschien, Lukian die richtige Anerkennung der Eigenart des platonischen Stils und eine aufrichtige Bewunderung einräumte.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

es in der Kaiserzeit einige Literaturkritiker wie Kaikilios von Kale Akte und Dionysios von Halikarnass gab, die an der häufigen Übertreibung im Gebrauch von übertragenen Ausdrücken, die sie bei Platon festzustellen glaubten, Anstoß nahmen.38 Ein berühmtes Beispiel, anhand dessen diese Eigenschaft demonstriert wurde, war das Bild des Wagen lenkenden Zeus in Phaedr. 246e,39 das gleiche Bild nämlich, welches auch Lukian in Pisc. 22 erwähnt. DÖRRIE schließt: «Aus dem wichtigen Umstand, daß diese für Platons ὑψηλόν typische Wendung hier ›hochgespielt‹ wird, läßt sich ablesen, daß Lukian sich die StilKritik des Kaikilios und des Dionysios zu Eigen gemacht hat».40

Sicherlich kann es nicht auf bloßem Zufall beruhen, dass genau die gleiche platonische Stelle bei so unterschiedlichen Autoren in einem ähnlichen Kontext vorkommt. Im Gegenteil ist die Tatsache, dass die Anspielung auf Phaedr. 246e auch bei Lukian in einem Zusammenhang erfolgt, in dem er sich unter anderem auch mit rhetorischen Eigenschaften befasst, sehr auffällig und zeigt m. E. recht deutlich, dass diese besondere Kritikform an Platon dem Samosatenser mit Sicherheit wenigstens bekannt gewesen sein muss. Würdigt man den Text eines näheren Blickes, bekommt man allerdings überhaupt nicht den Eindruck, dass Lukian diese Anspielung hier im literaturkritischen Sinne wertet, etwa zu dem Zweck, um über Platon zu ironisieren oder um ihn anzugreifen. Vielmehr scheint es mir klar zu sein, dass Lukian diesen gelehrten Hinweis dazu benutzt, um einen zwar raffinierten, aber im Grunde leichten und harmlosen Witz zu machen, der im Übrigen offenbar auch die Funktion hat, den Abschnitt mit der „Prä_____________ 38 Vgl. BALTES (1990), Nr. 55.1 (= Anon., De subl. 32, 7 = fr. 150 OFENLOCH): ὅτι μέντοι καὶ ἡ χρῆσις τῶν τρόπων, ὥσπερ τἆλλα πάντα καλὰ ἐν λόγοις, προαγωγὸν ἀεὶ πρὸς τὸ ἄμετρον, δῆλον ἤδη, κἂν ἐγὼ μὴ λέγω. ἐπὶ γὰρ τούτοις καὶ τὸν Πλάτωνα οὐχ ἥκιστα διασύρουσι, πολλάκις ὥσπερ ὑπὸ βακχείας τινὸς τῶν λόγων εἰς ἀκράτους καὶ ἀπηνεῖς μεταφορὰς καὶ εἰς ἀλληγορικὸν στόμφον ἐκφερόμενον. Nr. 56.1b (= Dion. Halic., De Demosth. dict. 5, p. 137,16-138,5 U.-R.): μάλιστα δὲ χειμάζεται περὶ τὴν τροπικὴν φράσιν, πολλὴ μὲν ἐν τοῖς ἐπιθέτοις, ἄκαιρος δ᾿ ἐν ταῖς μετωνυμίαις, σκληρὰ δὲ καὶ οὐ σῴζουσα τὴν ἀναλογίαν ἐν ταῖς μεταφοραῖς. ἀλληγορίας τε περιβάλλεται πολλὰς καὶ μακράς, οὔτε μέτρον ἐχούσας οὔτε καιρόν, σχήμασί τε ποιητικοῖς ἐσχάτην προσβάλλουσιν ἀηδίαν καὶ μάλιστα τοῖς Γοργιείοις ἀκαίρως καὶ μειρακιωδῶς ἐναβρύνεται. 39 Pl., Phaedr. 246d6-247a1: Πέφυκεν ἡ πτεροῦ δύναμις τὸ ἐμβριθὲς ἄγειν ἄνω μετεωρίζουσα ᾗ τὸ τῶν θεῶν γένος οἰκεῖ, κεκοινώνηκε δέ πῃ μάλιστα τῶν περὶ τὸ σῶμα τοῦ θείου [ψυχή], τὸ δὲ θεῖον καλόν, σοφόν, ἀγαθόν, καὶ πᾶν ὅτι τοιοῦτον· τούτοις δὴ τρέφεταί τε καὶ αὔξεται μάλιστά γε τὸ τῆς ψυχῆς πτέρωμα, αἰσχρῷ δὲ καὶ κακῷ καὶ τοῖς ἐναντίοις φθίνει τε καὶ διόλλυται. ὁ μὲν δὴ μέγας ἡγεμὼν ἐν οὐρανῷ Ζεύς, ἐλαύνων πτηνὸν ἅρμα, πρῶτος πορεύεται, διακοσμῶν πάντα καὶ ἐπιμελούμενος· τῷ δ᾿ ἕπεται στρατιὰ θεῶν τε καὶ δαιμόνων, κατὰ ἕνδεκα μέρη κεκοσμημένη. 40 DÖRRIE bei BALTES (1990), 399.

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sentation“ der Qualitäten Platons abzuschließen und damit zum nächsten überzuleiten. Dass Lukian dieses Bild nicht (literatur)kritisch verstanden hat, beweist – scheint mir – eine andere Stelle, nämlich Rhet. praec. § 26, zur Genüge. Es handelt sich um die Abschlusszeilen des Werkes, wo sozusagen die Bilanz des Ganzen gezogen wird. Dort wird die Phaidros-Stelle abermals zitiert, wobei diesmal das Zitat (bzw. das Bild) die Quintessenz der Macht, welche angeblich der Beherrschung der (verdorbenen) Rhetorik entspringt, verdeutlichen soll: der erfahrene Rhetor übt die gleiche Macht wie Zeus aus, wenn dieser, auf seinem kosmischen Wagen fortfahrend, das Weltall lenkt.41 (Lukian hat übrigens in diesem Falle lediglich den „Anwendungsbereich“ des platonischen Bildes auf witzige Weise leicht geändert, nicht jedoch seine ursprüngliche Bedeutung, denn auch bei Platon ist diese Metapher eine Versinnbildlichung der höchsten Macht.) 1.7. Die schärfste Auseinandersetzung: Bis. acc. 33f. Dieses platonische Bild scheint Lukian sehr teuer gewesen zu sein, denn es spielt auch in Bis. acc. 33f. – einer auf Grund ihrer Einzigartigkeit überaus wichtigen Stelle, in welcher der Autor selbst eine explizite Erörterung seiner „Ästhetik“ präsentiert – eine zentrale Rolle.42 Auf das Wesentliche reduziert, besteht die Beschwerde bzw. Anklage, welche Διάλογος in § 33 vorträgt, darin, dass er jetzt durch den Syrer seine frühere σεμνότης, die er aus den von ihm in dialogischer Form behandelten Themen bezog, verloren hat. Die weiteren Ausführungen des Διάλογος machen klar, wie genau er dieses Wort bzw. die dadurch evozierte Vorstellung verstand: man könnte nämlich genauso gut sagen, dass Διάλογος den Verlust seines sozialen Ranges oder die Vernichtung seines früher so hohen Ansehens bei den Menschen beklagt. Um nun diese Erhabenheit, d. h. die Höhe und Größe dieser früheren Reputation, zu symbolisieren, lässt Lukian Διάλογος sich genau vom Bild des Zeus-Wagens _____________ 41 Rhet. praec. 26: Εἶεν· ὁ μὲν γεννάδας εἰπὼν ταῦτα πεπαύσεται· σὺ δὲ ἢν πεισθῇς τοῖς εἰρημένοις, καὶ δὴ παρεῖναι νόμιζε οἷπερ ἐξ ἀρχῆς ἐπόθεις ἐλθεῖν, καὶ οὐδέν σε κωλύσει ἑπόμενον τοῖς νόμοις ἔν τε τοῖς δικαστηρίοις κρατεῖν καὶ ἐν τοῖς πλήθεσιν εὐδοκιμεῖν καὶ ἐπέραστον εἶναι καὶ γαμεῖν οὐ γραῦν τινα τῶν κωμικῶν, καθάπερ ὁ νομοθέτης καὶ διδάσκαλος, ἀλλὰ καλλίστην γυναῖκα τὴν Ῥητορικήν, ὡς τὸ τοῦ Πλάτωνος ἐκεῖνο πτηνὸν ἅρμα ἐλαύνοντα φέρεσθαι σοὶ μᾶλλον πρέπειν περὶ σεαυτοῦ εἰπεῖν ἢ ἐκείνῳ περὶ τοῦ Διός. – DÖRRIE, der diese Stelle auch anführt (bei BALTES [1990], Nr. 56.3), hat diesen Zusammenhang nicht gesehen. 42 Zu dieser Schlüsselstelle vgl. den Kommentar von BRAUN (1994), 307ff., sowie – weniger vertieft – TACKABERRY (1930), 62f.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

bedienen und es erweitern: Der Sturz aus der Höhe in Folge des Eingreifens des Syrers wird durch das Bild der Zerstörung der Flügel veranschaulicht, wobei diese Flügelmetapher in der Phaidros-Stelle unmittelbar vor dem Wagenbild vorkam. Auch der Syrer wird den Hinweis auf τὰ πτερά am Ende seiner Verteidigung (§ 34) von neuem aufgreifen. Nun ist es sicherlich richtig zu behaupten, dass Lukian hier so etwas wie eine „Ästhetik“, also einige Richtlinien seiner Kunst, formuliert, und dass er dabei unter anderem auch stilistische Fragen berücksichtigt. Dieser Aspekt sollte jedoch nicht überschätzt werden, denn er ist m. E. sekundär. Es ist nämlich durchaus korrekt, bei der Interpretation dieser Stelle einen Unterschied zu machen zwischen dem Dialog als einer von Platon entscheidend geprägten literarischen Form und den in dieser Form vermittelten philosophischen Inhalten, also Platons Philosophie als solcher. Vermieden werden sollte jedoch die Fehleinschätzung, wonach sich der Autor hier ausschließlich bzw. hauptsächlich mit dem platonischen Dialog als literarischer Form auseinandersetzt. Lukian selbst scheint die Sache ganz anders betrachtet zu haben. Man wird dessen gewahr, sobald man bedenkt, dass in der Selbstdarstellung von Bis acc. 33f. vorwiegend inhaltliche Aspekte von der lukianischen Veränderung der Dialogform betroffen sind. Die Auseinandersetzung mit der Anklage des Διάλογος, deren Zeuge der Leser wird, ist also eine Auseinandersetzung mit Platon selbst. Vielleicht könnte man den Hauptertrag einer aufmerksamen Lektüre der gesamten Passage etwa so formulieren: die stilistisch-formale Umwandlung geschieht nicht ohne bzw. nur über eine tief gehende inhaltliche Veränderung; diese bildet die Voraussetzung jener. Der lukianische Dialog (und mit ihm das Geistesleben seines Autors) entsteht nur durch eine Ausklammerung oder besser Verdrängung der originären Themen und Inhalte von Platons Denken. In der Mitte seiner kurzen Verteidigungsrede, die gleichzeitig auch ihr Höhepunkt ist, macht der Syrer diesen zentralen Punkt unmissverständlich klar, als er sein Desinteresse an Platons Kernfragen und das „Unbehagen“, welches sie ihm bereiten, ausdrücklich bekundet. Er lehnt diese gänzlich ab und erklärt, er habe einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Wie das metaphorische Feld der Opposition ,hoch‘/,niedrig‘, welche geradezu wie ein Leitfaden in der ganzen Passage wirkt,43 auf bedeutende Weise zeigt, führt dieser Weg den Syrer zu einer Position, die jener Platons diametral entgegengesetzt ist: Wie _____________ 43 Bis acc. 33: …ὑψηλὸν ἄνω που τῶν νεφῶν ἀεροβατοῦντα, ἔνθα ὁ μέγας ἐν οὐρανῷ Ζεὺς πτηνὸν ἅρμα ἐλαύνων φέρεται, κατασπάσας αὐτὸς ἤδη κατὰ τὴν ἁψῖδα πετόμενον καὶ ἀναβαίνοντα ὑπὲρ τὰ νῶτα τοῦ οὐρανοῦ καὶ τὰ πτερὰ συντρίψας ἰσοδίαιτον τοῖς πολλοῖς ἐποίησεν, 34: …πρῶτον μὲν αὐτὸν ἐπὶ γῆς βαίνειν εἴθισα εἰς τὸν ἀνθρώπινον τοῦτον τρόπον […] …καὶ τὰ πτερὰ ἐκεῖνα ζητεῖ καὶ ἄνω βλέπει τὰ πρὸ τοῖν ποδοῖν οὐχ ὁρῶν.

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1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus

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Διάλογος/Platon die „Höhe“ der großen Probleme und ihrer ausführlichen Behandlungen sucht, so entscheidet sich der Syrer dagegen für das, was sich „unten“ befindet. Etwas präziser gesagt, sind die Komponenten dieser Gegenentscheidung im Wesentlichen zwei: (1.) Zum einen hat er die Abschaffung der älteren, recht „dornigen“,44 also kaum attraktiven Themen im Bereich der dialogischen Gattung vollzogen, was ja konkret die „Verbannung“ aller metaphysischen und kosmologischen Forschungsschwerpunkte (...τὰ γλίσχρα ἐκεῖνα καὶ λεπτά..., εἰ ἀθάνατος ἡ ψυχή, καὶ πόσας κοτύλας ὁ θεὸς ὁπότε τὸν κόσμον εἰργάσατο τῆς ἀμιγοῦς καὶ κατὰ ταὐτὰ ἐχούσης οὐσίας ἐνέχεεν εἰς τὸν κρατῆρα ἐν ᾧ τὰ πάντα ἐκεράννυτο)45, sowie aller damit zusammenhängenden dialektischen Subtilitäten (καὶ εἰ ἡ Ῥητορικὴ πολιτικῆς μορίου εἴδωλον, κολακείας τὸ τέταρτον)46 bedeutet. Ersetzt werden sollen diese durch die Fokussierung auf Probleme, die den Menschen und ihrem Alltag näher sind, d. h. sie unmittelbar berühren (τὰ πρὸ τοῖν ποδοῖν). (2.) Zum anderen hat er die Verbindung der dialogischen Form mit der Komödie und dem Kynismus des Menipp neu eingeführt. Das Ziel, welches der Syrer mittels dieser beiden Neuerungen verfolgt, ist jedoch ein und dasselbe: dadurch nämlich, dass der Dialog jetzt dank dieser Neugestaltung seinen Adressaten Freude bereitet (ἡδίω τοῖς ὁρῶσι παρεσκεύασα), kann der Autor ein größeres Publikum von „Nicht-Spezialisten“ erreichen und vor allem deren Beifall ernten. Mit anderen Worten: der Syrer zielt ausdrücklich auf Erfolg (τὴν εὔνοιαν παρὰ τῶν ἀκουόντων) ab. Eine m. E. schlichtweg fundamentale Dimension des ganzen Textes läuft allerdings Gefahr, hinter der spielerischen Dimension des ἀγών zwischen Διάλογος und dem Syrer gänzlich zu verschwinden und auf diese Weise verloren zu gehen. Man muss also versuchen, sozusagen durch den etwas überspielten lustigen Ton dieser Ausführungen hindurch zu blicken, und sich der durchaus radikalen Bedeutung des Unternehmens, welches Lukian hier in Gang gesetzt hat, bewusst zu werden. Wenn nämlich das, was Lukian auf so unbefangene Art in Bis acc. 33f. tut, im Grunde genommen nichts anderes ist, als sowohl die Methode (d. h. die Dialektik), als auch das Ergebnis oder den Inhalt, kurz das ganze Erkenntnisgut der Philosophie Platons (d. h. seine Metaphysik) grundsätzlich abzulehnen, ist dies – weit davon entfernt, lediglich die Rechtfertigung a posteriori seiner „stilistischen Reform“ des platonischen Dialogs zu _____________ 44 Bis. acc. 34: …οἳ τέως τὰς ἀκάνθας τὰς ἐν αὐτῷ δεδιότες ὥσπερ τὸν ἐχῖνον εἰς τὰς χεῖρας λαβεῖν αὐτὸν ἐφυλάττοντο. 45 Bis acc. 34. 46 Bis acc. 34.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

sein – mit der Ablehnung des Platonismus tout court gleichbedeutend. Genau hierin liegt die Bedeutung des ganzen Passus, genau das ist der zentrale Punkt, der sorgfältig bedacht werden muss. Eine radikalere Ablehnung einer philosophischen Anschauung als eine, die sie methodologisch sowie inhaltlich verwirft ist nämlich m. E. schwer denkbar – und genau das tut Lukian hier. Der Samosatenser geht dabei so weit, sogar eine so charakteristische Eigenschaft wie die platonisch-sokratische Ironie (von der man eigentlich zu denken geneigt sein könnte, dass sie eher die Zustimmung dieses Autors finden sollte) zu verwerfen, um stattdessen für seine Kunst die beißende, unerbittliche Attitüde des Menipp in Anspruch zu nehmen.47 Nicht übersehen werden darf außerdem auch eine andere wichtige Komponente, welche in nicht unbeachtlichem Maße die Prägnanz dieses Textes ausmacht, nämlich die unglaubliche Anmaßung, die Lukians Stellungnahme impliziert. Eine derartige Ablehnung Platons – einer der bedeutendsten Figuren überhaupt für die Griechen aller Epochen –, gewagt von einem nur mittelmäßig bekannten, aus der fernen „Provinz“ stammenden, daher so gut wie (καὶ ταῦτα βάρβαρος αὐτὸς εἶναι δοκῶν [§ 34]) barbarischen Sophisten, muss in den Augen der Mehrheit der Zeitgenossen einem richtigen Skandal des Hochmuts gleichgekommen sein. Das kulturelle Ansehen Platons war nämlich unermesslich groß. Auch Lukian selbst macht sich anderswo die außer Diskussion stehende Autorität dieses Autors zu Nutze, wenn es darum geht, in Fragen attischen Sprachgebrauchs zu entscheiden.48 Natürlich war dieser sein Rang an sich alles andere als unantastbar, man denke nur an Aelius Aristides und seine platonischen Reden mit dem darin in großem Stil durchgeführten Angriff gegen Platon. Doch selbst Aristides geht nie so weit, die Belanglosigkeit der platonischen Kernthemen zu behaupten, wie Lukian es tut (Ausdrücke wie μετὰ δὲ τὸν αὐχμὸν τὸν πολὺν ἀποπλύνας oder χαίρει γὰρ οὐκ οἶδ᾿ ὅπως τὰ τοιαῦτα λεπτολογῶν καθάπερ οἱ τὴν ψώραν ἡδέως κνώμενοι sind schließlich alles andere als zurückhaltend.) Eine deutliche Bestätigung dafür, dass die lukianische Einstellung nur allzu leicht eine erhebliche Störung bzw. Provokation für die zeitgenössische Wahrnehmung implizierte, kann man darin finden, dass Lukian diesen „wunden Punkt“ nicht einfach hat verschweigen können, sondern ihn in seine Verteidigung sorgfältig integriert hat. (Überhaupt ist der ganze Bis acc. eine lange, kunstvoll gestaltete Selbstverteidigung.) Es ist oben schon angedeutet worden, worin die lukianische Antwort auf diesen Vorwurf besteht, _____________ 47 Bis acc. 34: …ὃν παραλαβὼν ἐγὼ σκυθρωπὸν ἔτι τοῖς πολλοῖς δοκοῦντα καὶ ὑπὸ τῶν συνεχῶν ἐρωτήσεων κατεσκληκότα. 48 Vgl. Pro lapsu 4; HELM (1902), 204-6.

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1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus

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nämlich in der Hervorhebung des Erfolges, welchen Lukians Neuerungen dem Διάλογος eingebracht haben, sodass diese durchaus als Wohltaten gelten dürften, für die Διάλογος eher dankbar sein sollte, anstatt dagegen Anklage zu erheben (§ 34, erster Teil). (Ein weiterer wichtiger Teil dieser gleichen Verteidigungsstrategie ist das vorsichtige [im Optativ: οὐκ ἂν οἶμαι μέμψαιτό μοι] Abstreiten der Kritik, die Reinheit der Sprache Platons durch Einführung von barbarischen Elementen verdorben zu haben.49) Es ist des Weiteren wichtig, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass das Element des lukianischen Argwohns auch diese Passage entscheidend prägt. Besonders auffällig tritt dieses z. B. im Bild der Maske (§ 33) in Erscheinung,50 sowie in anderen Anspielungen, die den Eindruck der Wichtigtuerei, welche der philosophischen Spekulation eigen ist, vermitteln sollen.51 Zwei Ergebnisse können aus der vorangehenden Diskussion von Bis. acc. 33-34 gewonnen und festgehalten werden: (a.) Erstens ist zu bemerken, dass die Ablehnung einer Philosophie im Allgemeinen gleichzeitig auch die Ablehnung der Weltanschauung, die in jener zum Ausdruck kommt, impliziert. Es wäre diesbezüglich sehr aufschlussreich in Bezug auf ein besseres Verständnis der Persönlichkeit dieses Autors, wenn man wissen könnte, ob nun im Falle Lukians eher diese zweite Ablehnung die ursprüngliche Ursache der ersten gewesen ist. Mit anderen Worten, hat etwa erst das allgemeine Menschen- und Weltbild, welches sich in Platons Schriften widerspiegelt, den zunächst nur unbestimmt gespürten Missfallen des Samosatensers zu erregen begonnen, noch bevor er sich mit dieser Philosophie selbst näher beschäftigt hat?52 – Wie dem auch sei, sicher bleibt, dass _____________ 49 Bis acc. 34: ἐπεὶ τῶν γε ἄλλων ἕνεκα οὐκ ἂν οἶμαι μέμψαιτό μοι, ὡς θοἰμάτιον τοῦτο τὸ Ἑλληνικὸν περισπάσας αὐτοῦ βαρβαρικόν τι μετενέδυσα. 50 Bis acc. 33: ...καὶ τὸ μὲν τραγικὸν ἐκεῖνο καὶ σωφρονικὸν προσωπεῖον ἀφεῖλέ μου, κωμικὸν δὲ καὶ σατυρικὸν ἄλλο ἐπέθηκέ μοι καὶ μικροῦ δεῖν γελοῖον. 51 Bis acc. 33: Πῶς οὖν οὐ δεινὰ ὕβρισμαι μηκέτ᾿ ἐπὶ τοῦ οἰκείου διακείμενος, ἀλλὰ κωμῳδῶν καὶ γελωτο ποιῶν καὶ ὑποθέσεις ἀλλοκότους ὑποκρινόμενος αὐτῷ;, 34: …καὶ τὸ φρόντισμα ἡδὺ αὐτῷ δοκεῖ καὶ μέγα φρονεῖ ἢν λέγηται ὡς οὐ παντὸς ἀνδρός ἐστι συνιδεῖν ἃ περὶ τῶν ἰδεῶν ὀξυδορκεῖ. 52 Diese Frage ist weniger trivial, als sie vielleicht auf den ersten Blick erscheinen könnte, wenn man bedenkt, dass Lukian offenbar viel weniger Anstoß an den zeitgenössischen Vertretern des Platonismus, denen er persönlich hat begegnen können, genommen zu haben scheint – das einzige, nur beschränkt aussagekräftige Beispiel in dieser Richtung wäre die Figur des Ion in dem Philopseudeis (vgl. aber auch Alex. 25) –, als es bei anderen Sekten wie dem Kynismus und vor allem dem Stoizismus bei ihm der Fall ist. Man kann annehmen, dass er den Stoizismus hasste, weil er die kontemporären Stoiker zu hassen gelernt hatte; aber wie verhält es sich mit den Platonikern?

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

viele Komponenten der für die Kultur von Lukians Zeit maßgeblichen platonischen Weltanschauung auf ihn selbst keinen Eindruck machten, er hatte dafür sozusagen kein Organ. Die Stelle Musc. enc. 7 symbolisiert fast diesen Aspekt. Die platonische Behandlung der Unsterblichkeit der Seele im Phaidon mit dem abergläubischen Märchen über die Auferstehung der Fliege in Verbindung zu bringen,53 ist an sich ein geradezu genialer Einfall und kann in seiner Funktion als „gelehrter Witz“ kaum überschätzt werden. Gleichzeitig muss man aber auch die Bedingung berücksichtigen, welche diese Verbindung im Geist des Samosatensers überhaupt ermöglichte: Für ihn war die Bedeutung eines für das kulturelle Selbstverständnis der gebildeten Griechen so essentiellen Themas wie der Unsterblichkeit der Seele offenbar dermaßen gering, dass er sich diese besondere „Anwendung“ auf den Fall einer Fliege (zumal in einem an sich bereits lächerlichen Kontext wie dem eines paradoxen Enkomions) ausdenken konnte. (b.) Ein zweiter Punkt ist eine besondere Schlussfolgerung aus dieser allgemeinen Feststellung: Wenn Punkt (a.) richtig ist, dann war auch ein besonderer Teil dieser Weltanschauung, nämlich die religiösen Ideen Platons, die sehr vielen seiner Zeitgenossen so intensiv zu denken gaben, für Lukian kaum von Bedeutung. Anders ausgedrückt: Die Ablehnung einer Philosophie impliziert in der Regel auch die Ablehnung ihrer Theologie, was besonders im Falle der Philosophie Platons, bei der ja die Beschäftigung mit der Problematik des Göttlichen eine primäre Rolle spielt, bezeichnend ist. Zur näheren Erläuterung dieses zentralen Aspektes lasse ich nun drei Beispiele, zwei negative und ein positives, folgen. — In zwei Stellen des Prometheus hat TACKABERRY den unmittelbaren Einfluss Platons festzustellen geglaubt.54 In Prom. 18 soll sich die platonische Auffassung der _____________ 53 Musc. enc. 7: Ὃ δὲ μέγιστον ἐν τῇ φύσει αὐτῶν ὑπάρχει, τοῦτο δὴ βούλομαι εἰπεῖν. καί μοι δοκεῖ ὁ Πλάτων μόνον αὐτὸ παριδεῖν ἐν τῷ περὶ ψυχῆς καὶ ἀθανασίας αὐτῆς λόγῳ. ἀποθανοῦσα γὰρ μυῖα τέφρας ἐπιχυθείσης ἀνίσταται καὶ παλιγγενεσία τις αὐτῇ καὶ βίος ἄλλος ἐξ ὑπαρχῆς γίνεται, ὡς ἀκριβῶς πεπεῖσθαι πάντας, ὅτι κἀκείνων ἀθάνατός ἐστιν ἡ ψυχή, εἴ γε καὶ ἀπελθοῦσα ἐπανέρχεται πάλιν καὶ γνωρίζει καὶ ἐπανίστησι τὸ σῶμα καὶ πέτεσθαι τὴν μυῖαν ποιεῖ, καὶ ἐπαληθεύει τὸν περὶ Ἑρμοτίμου τοῦ Κλαζομενίου μῦθον, ὅτι πολλάκις ἀφιεῖσα αὐτὸν ἡ ψυχὴ ἀπεδήμει καθ᾿ ἑαυτήν, εἶτα ἐπανελθοῦσα ἐπλήρου αὖθις τὸ σῶμα καὶ ἀνίστα τὸν Ἑρμότιμον. – BILLERBECK (1998), 196 und (2000), 101 suggeriert, dass Lukians Anregung aus der Stelle Phaid. 82b, wo es heißt, dass die Seelen guter aber unphilosophischer Menschen als zahme und gesellige Tiere wie Bienen, Wespen oder Ameisen wiedergeboren werden, hat schöpfen können. Die Originalität von Lukians Assoziation bleibt allerdings unbestreitbar, denn «[ü]ber die Fliege fällt hier, wie überhaupt im platonischen Corpus, kein Wort» (BILLERBECK [1998], 196). 54 TACKABERRY (1930), 79.

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1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus

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Götter als Wesen, die von Natur aus nur gut sind und anderen nur Gutes tun können, widerspiegeln.55 Eine direkte Bezugnahme auf die einschlägigen platonischen Texte ist jedoch ausgeschlossen. Aber auch eine ferne Reminiszenz ist unwahrscheinlich: Für die Vorstellung der göttlichen Güte und des göttlichen Wohlwollens musste Lukian nicht unbedingt auf Platon als einzig vorhandene oder privilegierte Quelle zurückgreifen, denn dieser Gedanke war zu seiner Zeit allgemein verbreitet und geradezu volkstümlich geworden. (Außerdem wird bei Lukian genau genommen nicht behauptet, dass die Götter ausschließlich gut seien!) Genauso wenig kann sich Lukian in Prom. 12 – einer Stelle übrigens, die beim besten Willen nicht als «argument of Prometheus for the presence of evil in the world to serve as a foil to the goodness of the gods»56 bezeichnet werden kann – auf Theaet. 176a beziehen. Der inhaltliche Unterschied zwischen beiden Passagen ist einfach zu groß: Bei Platon behauptet Sokrates, dass Gut und Böse ein Gegensatzpaar bilden und als solche notwendigerweise immer koexistent sind, daher die Unmöglichkeit, das Böse in der sublunaren Welt vollkommen zu beseitigen.57 Bei Lukian sagt Prometheus, dass die Götter einen „minderwertigen Gegenpol“ nötig hätten, um das höhere Glück ihrer Daseinsform vollständig zu begreifen (dies ist übrigens ein völlig unplatonischer Gedanke).58 (Will man an dem Bezug auf den Theaitet unbedingt festhalten, so müsste man annehmen, dass Lukian entweder diese einfache Stelle völlig falsch verstanden hat, oder dass er sie bewusst manipuliert hat. Aber für beides fehlt m. E. jegliches Indiz.) In einem dritten Fall kann man dagegen mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass Lukian eine Passage aus der Politeia (II, 377a ff.) im Hinterkopf hatte. In Necyom. 3 erwähnt Menipp als Grund seiner Entscheidung _____________ 55 Prom. 18: αὕτη γάρ, οἶμαι, φύσις τουτουὶ τοῦ κτήματος, οὐδέν τι ἔλαττον γίγνεται, εἰ καί τις ἄλλος αὐτοῦ μεταλάβοι· οὐ γὰρ ἀποσβέννυται ἐναυσαμένου τινός· φθόνος δὲ δὴ ἄντικρυς τὸ τοιοῦτο, ἀφ᾿ ὧν μηδὲν ὑμεῖς ἠδίκησθε, τούτων κωλύειν μεταδιδόναι τοῖς δεομένοις. καίτοι θεούς γε ὄντας ἀγαθοὺς εἶναι χρὴ καὶ ‘ δωτῆρας ἑάων ’ [Od. 8, 325] καὶ ἔξω φθόνου παντὸς ἑστάναι. 56 TACKABERRY (1930), 79. 57 Pl., Theaet. 176a3-b3: ΘΕ. Εἰ πάντας, ὦ Σώκρατες, πείθοις ἃ λέγεις ὥσπερ ἐμέ, πλείων ἂν εἰρήνη καὶ κακὰ ἐλάττω κατ᾿ ἀνθρώπους εἴη. ΣΩ. Ἀλλ᾿ οὔτ᾿ ἀπολέσθαι τὰ κακὰ δυνατόν, ὦ Θεόδωρε – ὑπεναντίον γάρ τι τῷ ἀγαθῷ ἀεὶ εἶναι ἀνάγκη – οὔτ᾿ ἐν θεοῖς αὐτὰ ἱδρῦσθαι, τὴν δὲ θνητὴν φύσιν καὶ τόνδε τὸν τόπον περιπολεῖ ἐξ ἀνάγκης. διὸ καὶ πειρᾶσθαι χρὴ ἐνθένδε ἐκεῖσε φεύγειν ὅτι τάχιστα. φυγὴ δὲ ὁμοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν· ὁμοίωσις δὲ δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι. 58 Prom. 12: ἐγὼ δὲ…ἐνενόησα ὡς ἄμεινον εἴη ὀλίγον ὅσον τοῦ πηλοῦ λαβόντα ζῷά τινα συστήσασθαι καὶ ἀναπλάσαι τὰς μορφὰς μὲν ἡμῖν αὐτοῖς προσεοικότα· καὶ γὰρ ἐνδεῖν τι ᾤμην τῷ θείῳ, μὴ ὄντος τοῦ ἐναντίου αὐτῷ καὶ πρὸς ὃ ἔμελλεν ἡ ἐξέτασις γιγνομένη εὐδαιμονέστερον ἀποφαίνειν αὐτό.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

für eine Reise in die Unterwelt den frappierenden Widerspruch zwischen den in den homerischen Mythen erzählten Taten der Götter, die er als Kind hörte und als völlig normal und sogar maßgeblich wahrnahm, und den in den Gesetzen kodifizierten gesellschaftlichen Verhaltensnormen, die er als Erwachsener später kennen lernte. Ehebruch, Elternmisshandlung, Hass und Neid sind für die epischen Götter gang und gäbe, und nie werden sie dafür getadelt, aber genau diese und ähnliche Handlungen und Eigenschaften werden von den Gesetzen als strafbare Schandtaten bezeichnet und verboten.59 Die genaue Identität der Thematik, die Erwähnung des festen Paares Homer und Hesiod, sowie die Hinweise auf die Kindheit als jene Altersstufe, in der die unmoralischen mythischen Geschichten einen gefährlichen dauerhaften Eindruck hinterlassen können (genauso wie es bei Menipp auch der Fall gewesen sein soll), und auf die Gesetzgeber als entgegenwirkende Kraft, können m. E. nicht zufällig sein. Lukian hat hier ganz offenbar dieses platonische Motiv aus einer seinerzeit sehr bekannten Stelle aus dem zweiten Buch der Politeia wieder aufgegriffen. Aber was ist aus besagtem Motiv, d. h. aus dem ursprünglichen platonischen Zusammenhang und der intendierten Bedeutung, bei Lukian übrig geblieben? Von der Übernahme der grundlegenden Elemente abgesehen, ist der Fokus bei beiden Autoren ein ganz unterschiedlicher. Platon geht es darum, den Aspekt der ungeheuer großen Wirkung der Mythen auf Kinder in ihrer erzieherisch-politischen Bedeutung zu betonen. Lukian konzentriert sich dagegen auf den Widerspruch im erwachsenen Menipp, was ihm als erzähltechnisches Mittel dient, um die Geschichte in Gang zu setzen: Platon bringt ein Argument, Lukian setzt ein Stilmittel ein. Aber auch die Grundvoraussetzung, die dieses ganze Argument im Wesentlichen prägt, ist ganz unterschiedlich. Platon entwirft eine rationale Theologie,60 er deduziert aus allgemeinen Prinzipien über die Natur der Götter _____________ 59 Necyom. 3: καὶ δὴ πρῶτά σοι δίειμι τὰ περὶ τῆς γνώμης τῆς ἐμῆς, ὅθεν ὡρμήθην πρὸς τὴν κατάβασιν. ἐγὼ γάρ, ἄχρι μὲν ἐν παισὶν ἦν, ἀκούων Ὁμήρου καὶ Ἡσιόδου πολέμους καὶ στάσεις διηγουμένων οὐ μόνον τῶν ἡμιθέων, ἀλλὰ καὶ αὐτῶν ἤδη τῶν θεῶν, ἔτι δὲ καὶ μοιχείας αὐτῶν καὶ βίας καὶ ἁρπαγὰς καὶ δίκας καὶ πατέρων ἐξελάσεις καὶ ἀδελφῶν γάμους, πάντα ταῦτα ἐνόμιζον εἶναι καλὰ καὶ οὐ παρέργως ἐκινούμην πρὸς αὐτά. ἐπεὶ δὲ εἰς ἄνδρας τελεῖν ἠρξάμην, πάλιν αὖ ἐνταῦθα ἤκουον τῶν νόμων τἀναντία τοῖς ποιηταῖς κελευόντων, μήτε μοιχεύειν μήτε στασιάζειν μήτε ἁρπάζειν. ἐν μεγάλῃ οὖν καθειστήκειν ἀμφιβολίᾳ, οὐκ εἰδὼς ὅ τι χρησαίμην ἐμαυτῷ· οὔτε γὰρ ἄν ποτε τοὺς θεοὺς μοιχεῦσαι καὶ στασιάσαι πρὸς ἀλλήλους ἡγούμην εἰ μὴ ὡς περὶ καλῶν τούτων ἐγίγνωσκον, οὔτ᾿ ἂν τοὺς νομοθέτας τἀναντία παραινεῖν εἰ μὴ λυσιτελεῖν ὑπελάμβανον. 60 Ein deutliches Beispiel ist Resp. II, 379a5-c1: Ὀρθῶς, ἔφη· ἀλλ᾿ αὐτὸ δὴ τοῦτο, οἱ τύποι περὶ θεολογίας τίνες ἂν εἶεν; Τοιοίδε πού τινες, ἦν δ᾿ ἐγώ· οἷος τυγχάνει ὁ θεὸς ὤν, ἀεὶ δήπου ἀποδοτέον, ἐάντέ τις αὐτὸν ἐν ἔπεσιν ποιῇ ἐάντε ἐν μέλεσιν ἐάντε ἐν τραγῳδίᾳ. Δεῖ γάρ. Οὐκοῦν ἀγαθὸς ὅ γε θεὸς τῷ ὄντι τε καὶ λεκτέον οὕτω; Τί μήν; Ἀλλὰ μὴν οὐδέν γε τῶν ἀγαθῶν βλαβερόν· ἦ γάρ; Οὔ μοι δοκεῖ.

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1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus

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die besonderen Konsequenzen und wendet sie auf die konkrete Gestaltung des Lebens der Wächter an. Dieses entscheidende Element ist bei Lukian gänzlich verloren gegangen. Von einem Einfluss der platonischen Theologie auf ihn kann offenbar kaum die Rede sein. 1.8. Hermot. 56; 85 Punkt (b.) führt uns zum Hermotimos. Zwei Stellen aus diesem Werk vermögen nämlich beide Punkte zusätzlich zu beleuchten. Das Kapitel Hermot. 56 ist, was den gerade besprochenen Zusammenhang angeht, insofern von Bedeutung, als es zeigt, dass Lukian die „Theologie“ als einen integralen Bestandteil eines philosophischen „Systems“, der nicht von dessen anderen κεφάλαια getrennt werden kann, ansah.61 An Hermot. 85 kann man außerdem ziemlich deutlich sehen, dass der Samosatenser ruhig und direkt die vollständige Ablehnung des Platonismus wenigstens als ganz selbstverständliche Möglichkeit hinstellen konnte, obwohl es sich hier in der Perspektive der Autormaske wahrscheinlich um viel mehr als einen rein möglichen Fall handelt: Die hypothetische Formulierung des Satzes fällt nämlich kaum ins Gewicht, weil jeder sofort sieht, dass sie viel zu „schwach“ ist, um von Lykinos wirklich ernst gemeint zu sein.62 Er scheint damit vielmehr das genaue Gegenteil andeuten zu wollen: Wäre Hermotimos ein Anhänger der Lehre Platons gewesen, selbst dann wäre die Auseinandersetzung zwischen den beiden Gesprächspartnern im Dialog nicht anders ausgefallen, mit anderen Worten: der Platonismus wäre durch Lykinos’ Kritik ebenfalls ganz zerschmettert worden. _____________ Ἆρ᾿ οὖν ὃ μὴ βλαβερὸν βλάπτει; Οὐδαμῶς. Ὃ δὲ μὴ βλάπτει κακόν τι ποιεῖ; Οὐδὲ τοῦτο. Ὃ δέ γε μηδὲν κακὸν ποιεῖ οὐδ᾿ ἄν τινος εἴη κακοῦ αἴτιον; Πῶς γάρ; Τί δέ; ὠφέλιμον τὸ ἀγαθόν; Ναί. Αἴτιον ἄρα εὐπραγίας; Ναί. Οὐκ ἄρα πάντων γε αἴτιον τὸ ἀγαθόν, ἀλλὰ τῶν μὲν εὖ ἐχόντων αἴτιον, τῶν δὲ κακῶν ἀναίτιον. Παντελῶς γ᾿, ἔφη. 61 Hermot. 56: Ὃ δὲ φής, ὅτι τὰ κεφάλαια ῥᾴδιον ἀκοῦσαι ἁπάσης φιλοσοφίας ἐν ὀλίγῳ μορίῳ ἡμέρας (οἷον ἀρχὰς αὐτῶν καὶ τέλη καὶ τί θεοὺς οἴονται εἶναι, τί ψυχήν, καὶ τίνες μὲν σώματα πάντα φασί, τίνες δὲ καὶ ἀσώματα εἶναι ἀξιοῦσι, καὶ ὅτι οἱ μὲν ἡδονήν, οἱ δὲ τὸ καλὸν ἀγαθὸν καὶ εὔδαιμον τίθενται καὶ τὰ τοιαῦτα) οὑτωσὶ μὲν ἀκούσαντας ἀποφήνασθαι ῥᾴδιον καὶ ἔργον οὐδέν· εἰδέναι δὲ ὅστις ὁ τἀληθῆ λέγων ἐστίν, ὅρα μὴ οὐχὶ μορίου ἐστὶν ἡμέρας ἀλλὰ πολλῶν ἡμερῶν δέηται. 62 Hermot. 85: ταῦτα πάντα, ὦ φιλότης, ὁπόσα εἶπον, μή με νομίσῃς κατὰ τῆς Στοᾶς παρεσκευασμένον ἢ ἔχθραν τινὰ ἐξαίρετον πρὸς Στωϊκοὺς ἐπανῃρημένον εἰρηκέναι, ἀλλὰ κοινὸς ἐπὶ πάντας ὁ λόγος. τὰ γὰρ αὐτὰ πρὸς σὲ εἶπον ἄν, εἰ τὰ Πλάτωνος ἢ Ἀριστοτέλους ᾕρησο τῶν ἄλλων ἀκρίτων ἐρήμην καταγνούς. νῦν δὲ ἐπεὶ τὰ Στωϊκῶν προετίμησας, πρὸς τὴν Στοὰν ἀποτετάσθαι ὁ λόγος ἔδοξεν οὐδὲν ἐξαίρετον πρὸς αὐτὴν ἔχων.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

Natürlich darf die Bedeutung der Aussagen, die man im Hermotimos – Lukians „letztem Wort“ zur Philosophie – findet, nicht übertrieben werden, in dem Sinne, dass es grundsätzlich fehlerhaft und irreführend wäre, andere Dialoge wie Pisc. oder Bis acc., die aller Wahrscheinlichkeit nach früher entstanden sind, als Hintergrund dieses Werkes, welches dagegen höchstwahrscheinlich zu den Altersjahren Lukians gehört,63 zu lesen. Hält man jedoch an dieser Chronologie fest, wie es sich empfiehlt, kann man in der im Hermot. bezogenen Position die letzte, besonders deutliche Äußerung einer Haltung sehen, die für diesen Autor eigentlich viel früher zu dokumentieren ist, wie ich oben gezeigt zu haben hoffe. Von einer Entwicklung im eigentlichen Sinne kann man, glaube ich, in diesem Falle nicht reden, denn wenn auch in Lukians Platonbild gewisse Schattierungen deutlich zu sehen sind, so hat doch ein substantieller Wechsel in seinen Bezügen zu diesem Autor – falls es je solche gegeben hat – gar keine Spuren im Gesamtœuvre hinterlassen. 1.9. De paras. 34; Rhet. praec. 17 Der hier dargebotene Rekonstruktionsversuch von Lukians geringer Wertschätzung des athenischen Philosophen bzw. der platonischen Philosophie als „geistiger Leistung“ hat sich bemüht, die feste Zusammengehörigkeit der verschiedenen Momente von Lukians Position hervorzuheben. Damit steht sie im Gegensatz zur früheren Forschung, die sich damit begnügte, diese Momente isoliert und nebeneinander zu betrachten. Diese neue Interpretation bietet den Vorteil einer größeren Einheitlichkeit und versetzt uns dadurch in die Lage, andere lukianische Äußerungen zu dem großen Athener, die vereinzelt und gleichsam als oberflächliche Randbemerkungen erscheinen, etwas angemessener einzuordnen, d. h. in ihrem kohärenten Bezug zum lukianischen Platonbild zu verstehen, indem man sie auf ebendiesen Hintergrund bezieht. De paras. 31ff. entwickelt das Thema des Philosophen als Parasiten. Als Beispiele bekannter Philosophen, die diese eigenartige, jedoch mitnichten leichte Kunst ausgeübt hätten, werden zunächst die Sokrates-Schüler Aischines (§ 32) und Aristipp (§ 33) angeführt, deren Proben in der parasitischen Technik am Hofe des sizilischen Tyrannen Dionysios von glänzendem Erfolg gekrönt worden seien. Ein negatives Beispiel bildet dagegen Platon, der die Reihe abschließt. Das Hin und Her seiner Reisen nach Sizilien sowie der Glücks- und Unglückswechsel in den Verhältnissen zum Tyrannen werden von Lukian in § 34 auf unvergleichlich lustige _____________ 63 Vgl. zuletzt NESSELRATH (1992), 3454-62, 3479.

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1. Unter dem Zeichen des Verdachtes: Lukian und der Platonismus

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Weise so dargestellt, als ob es sich dabei nur um auf Grund seiner mangelnden Begabung und Ungeschicktheit immer wieder scheiternde Versuche Platons gehandelt habe, auf dem schwierigen Gebiet dieser Technik Fuß zu fassen.64 In dieser Passage verarbeitet Lukian bekannte kritisch-spöttische Motive (wahrscheinlich kynischer Herkunft) aus der älteren Tradition zu Platons Biographie.65 Ein näherer Blick auf diese Tradition macht einen interessanten Aspekt klar: Im Vergleich zu den gleichen Anklagen oder Unterstellungen, die man in anderen Quellen liest, ist die lukianische Version von Platons Missgeschicken in Sizilien – trotz des komischen Hintergrundtons, der diese ganzen pseudogelehrten Ausführungen Simons begeleitet – an und für sich betrachtet viel bissiger, feindlicher und schärfer. Sie kommt einem persönlichen Angriff nahe, bei welchem eine gewisse Spur von Feindseligkeit oder Schadenfreude nicht fehlt. Stellt man das Porträt Platons als Parasiten jenem der anderen beiden Philosophen gegenüber – diese so unbefangen, lebensfroh und sympathisch gezeichnet, jener dagegen so negativ –, sticht dies sehr ins Auge. Aber auch die von den anderen Quellen gegen Platon hervorgebrachten Anschuldigungen (er hätte z. B. von Dionysios Geld entgegengenommen; die wahre Motivation für seine Reisen nach Sizilien sei seine Zuneigung zum berühmt-berüchtigten Luxus der Syrakusaner gewesen, usw.) können in gewisser Weise mit dieser von Lukian fingierten Episode kaum mithalten. Sie schrieben Platon immerhin eine aktive Rolle zu, während er bei Lukian nur als erbärmlicher Versager erscheint (ἐξέπεσε zweimal wiederholt!). Der Hieb, nämlich die Bloßstellung der angeborenen Unfähigkeit (ὑπὸ ἀφυίας) und des Unwissens (ὑπὸ ἀμαθίας) des Philosophen, ist bei Lukian viel subtiler und viel kräftiger und lässt sich letztlich nur im Rahmen seiner gründlichen Ablehnung des Platonismus befriedigend erklären. Zum gleichen Zusammenhang gehört auch das Positive des indirekten Lobes Platons in Rhet. praec. 17: sie wird nämlich dadurch im Wesentlichen aufgehoben, dass das Lob nur von der Polemik gegen die schlechte Rhetorik ausgelöst wird.66 _____________ 64 De paras. 34: ὁ δὲ Πλάτων ὑμῶν ὁ γενναιότατος καὶ αὐτὸς μὲν ἧκεν εἰς Σικελίαν ἐπὶ τούτῳ, καὶ ὀλίγας παρασιτήσας ἡμέρας τῷ τυράννῳ τοῦ παρασιτεῖν ὑπὸ ἀφυίας ἐξέπεσε, καὶ πάλιν Ἀθήναζε ἀφικόμενος καὶ φιλοπονήσας καὶ παρασκευάσας ἑαυτὸν αὖθις δευτέρῳ στόλῳ ἐπέπλευσε τῇ Σικελίᾳ καὶ δειπνήσας πάλιν ὀλίγας ἡμέρας ὑπὸ ἀμαθίας ἐξέπεσε· καὶ αὕτη ἡ συμφορὰ Πλάτωνι περὶ Σικελίαν ὁμοία δοκεῖ γενέσθαι τῇ Νικίου. 65 Vgl. dazu GEFFCKEN (1929), 89; SWIFT RIGINOS (1976), 71 Anm. 3 und 5; NESSELRATH (1985), 378-82. 66 Rhet. praec. 17: ἀλλὰ καὶ ἀναγίγνωσκε τὰ παλαιὰ μὲν μὴ σύ γε, μηδὲ εἴ τι ὁ λῆρος Ἰσοκράτης ἢ ὁ χαρίτων ἄμοιρος Δημοσθένης ἢ ὁ ψυχρὸς Πλάτων, ἀλλὰ τοὺς τῶν ὀλίγον πρὸ ἡμῶν λόγους καὶ ἅς φασι ταύτας μελέτας, ὡς ἔχῃς ἀπ᾿ ἐκείνων ἐπισιτισάμενος ἐν καιρῷ καταχρῆσθαι καθάπερ ἐκ ταμιείου προαιρῶν.

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung 2.1. Einleitung Sehr viele interpretatorische Hypothesen zum Nigrinus sind bis heute formuliert worden, jedoch entziehen sich die meisten unter ihnen (besonders die, die aus der früheren Forschung stammen) auf Grund ihrer erstaunlichen Kühnheit der Möglichkeit einer Überprüfung, die ein fundiertes Urteil über ihren Wahrheitsgehalt abgeben könnte.1 Da HALL und TACKABERRY einen sehr brauchbaren Überblick über solche Thesen bereits gegeben haben,2 erübrigt es sich, sie hier einzeln erneut Revue passieren zu lassen. Im Folgenden versuche ich also – was mir sinnvoller scheint –, jene von der früheren Forschung erarbeiteten Kenntnisse, die als sicher _____________

1

2

Einschlägige Bibliographie im Überblick: SCHWARTZ, Anton: Ueber Lucians Nigrinus, Progr. Zengg 1863 [non vidi]; SMITH (1897); SCHWARTZ (1902); PUTNAM (1909), bes. 172-6; HARTMANN, A.: Lucian und Juvenal, in: ‘Iuvenes dum sumus’. Aufsätze zur klassischen Altertumswissenschaft der 49. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner zu Basel, dargebracht von Mitgliedern des Basler Klassisch-Philologischen Seminars aus den Jahren 1901-1907, Basel 1907, 18ff. [non vidi]; HASENCLEVER, L.: Über Lukians Nigrinos, Programm des Maximiliansgymnasiums München 1907/1908, Beilage, München 1908 [urspr. Diss. München 1906; non vidi]; HELM (1906), 360-3; LITT (1909); MESK (1912) und (1913); TACKABERRY (1930), 64-7; GALLAVOTTI (1930); GALLAVOTTI (1932), 52-67; VENCHI, R.: La presunta conversione di Luciano, Rom 1934 [non vidi]; CASTER, M.: La composition du „Nigrinos“ et les intentions ironiques attribuées à Lucien, in: Mélanges offerts à M. Octave Navarre par ses éléves et ses amis, Toulouse 1935, 471-85 [non vidi; vgl. aber CASTER (1937), 35-7]; FUMAROLA (1951); QUACQUARELLI (1956); BOMPAIRE (1958), 277-8, 504ff.; PALM (1959), 4457; ROBINSON (1979), 52-4; ANDERSON (1978); HALL (1981), 157-64; DUBUISSON (1984/86), bes. 201-6; SCHÄUBLIN (1985), bes. 126-9; TARRANT (1985); JONES (1986), 84-7; BRANDÃO, J.L.: La morsure du chien: philosophie et politique dans le ‘Nigrinus’ de Lucien, in: Recherches brésiliennes: archéologie, histoire ancienne et anthropologie, publ. par P. LEVEQUE et al., (Annales littéraires de l’Université de Besançon 527; Centre de recherches d’histoire ancienne 130) Paris 1994, 79-93 [non vidi]; MACLEOD (1994), 1389-91; CAMEROTTO (1998), 257-60; CLAY (1992), 3420-25; GARZYA, A.: Varia Philologica. 17, in: EΠIEIKEIA. Studia Graeca in memoriam Jesús Lens Tuero, ed. por M. ALGANZA ROLDÁN et al., Granada 2000, 167-8 [non vidi]; SCHRÖDER (2000); KASULKE (2005), 107-32. Diese Unzufriedenheit ist oft zur Sprache gebracht worden, vgl. PUTNAM (1909), 172; TACKABERRY (1930), 66 («none of these interpretations seems entirely satisfactory»); ANDERSON (1978), 369; TARRANT (1985), 94 («Lucian’s Nigrinus, which has been interpreted in a variety of unconvincing ways […]»). HALL (1981), 157-161, zu ergänzen mit TACKABERRY (1930), 65f. für die Literatur vor 1900.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

gelten dürfen, zu „systematisieren“, d. h. ihren Zusammenhang (dort, wo ein solcher vorhanden ist) auf möglichst konsequente Weise herauszuarbeiten, und so eine wenn nicht ganz neue, so dennoch sicher kohärentere Gesamtlektüre des Werkes zu geben. 2.2. Scheinbares Ziel des Werkes Will man die im Geleitbrief an Nigrinus selbst, der dem eigentlichen Werk vorangestellt ist, enthaltenen Angaben ernst nehmen, so ist der Nigrinus nichts außer einer Erzählung der massiven, noch andauernden Nachwirkungen von Lukians Begegnung mit dem Philosophen.3 Auffällig in dieser Einleitung ist der äußerst persönliche Ton. Lukian richtet ein Privatschreiben an den Philosophen, er verwendet seinen eigenen Namen, erzählt von sich selbst und seinem aktuellen Geisteszustand: Niemand außer ihm scheint betroffen zu sein. Je weiter man in der Lektüre fortschreitet, desto spürbarer wird es, wie diese markante Ich-Bezogenheit nicht auf den anfänglichen Brief beschränkt ist, sondern deutlich das ganze Werk charakterisiert. Zu Beginn und am Ende der Erzählung stellt Lukian sich selbst, d. h. seine inneren Erfahrungen, sehr in den Mittelpunkt.4 Die Wiedergabe von Nigrinus’ Ansichten entfaltet sich nämlich zwischen zwei inhaltlich fast identischen Stellen (§§ 3b-5 ~ §§ 35-37), die sie wie zwei thematische Eckpunkte dadurch umrahmen, dass in beiden Fällen die innere Umwälzung sowie der hoch begeisterte Empfang der philosophischen λόγοι des Nigrinus zum Ausdruck gebracht werden. Kaum übersehbar ist die Verwendung, hier wie dort, des gleichen metaphorischen Feldes der orgiastischen Begeisterung5 sowie der gleichen

_____________ 3 4 5

Nigr., ep. prooem.: ἐπεὶ δὲ μόνην σοι δηλῶσαι τὴν ἐμὴν γνώμην ἐθέλω, ὅπως τε νῦν ἔχω καὶ ὅτι μὴ παρέργως εἴλημμαι πρὸς τῶν σῶν λόγων […]. Contra – aber eindeutig hyperkritisch – BALDWIN (1973), 21 und TARRANT (1985), 93f. Nigr. 5: δοκῶ γάρ μοι ὅμοιόν τι πεπονθέναι πρὸς φιλοσοφίαν, οἷόνπερ καὶ οἱ Ἰνδοὶ πρὸς τὸν οἶνον λέγονται παθεῖν, ὅτε πρῶτον ἔπιον αὐτοῦ· θερμότεροι γὰρ ὄντες φύσει πιόντες ἰσχυρὸν οὕτω ποτὸν αὐτίκα μάλα ἐξεβακχεύθησαν καὶ διπλασίως ὑπὸ τοῦ ἀκράτου ἐξεμάνησαν. οὕτω σοι καὶ αὐτὸς ἔνθεος καὶ μεθύων ὑπὸ τῶν λόγων περιέρχομαι ~ Nigr. 37: ὥσπερ γὰρ οἱ τοῦ Φρυγίου αὐλοῦ ἀκούοντες οὐ πάντες μαίνονται, ἀλλ᾿ ὁπόσοι αὐτῶν τῇ Ρέᾳ λαμβάνονται, οὗτοι δὲ πρὸς τὸ μέλος ὑπομιμνήσκονται τοῦ πάθους, οὕτω δὴ καὶ φιλοσόφων ἀκούοντες οὐ πάντες ἔνθεοι καὶ τραυματίαι ἀπίασιν, ἀλλ᾿ οἷς ὑπῆν τι ἐν τῇ φύσει φιλοσοφίας συγγενές.

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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homerischen Floskel von Ambrosia und Lotus,6 wodurch ja offensichtlich ein thematischer Bezug gestiftet werden soll. Gegenstand dieser Erfahrung ist eine Veränderung (aber die Interpreten sprechen generell von „Bekehrung“ oder „Konversion“), welche dermaßen tiefgreifend gewesen ist, dass sie sich sogar in der äußeren Erscheinung manifestiert und anderen unmöglich verborgen bleiben kann. Sofort bemerkt der ἑταῖρος, der zu Beginn des Werkes Lukian anredet und dem dieser seinen Besuch bei Nigrinus erzählt, dass er einen komplett veränderten Menschen vor sich hat. In freudigem Ton bestätigt Lukian ihm dies: Jetzt habe er die Glückseligkeit, die Freiheit und die Einsicht erreicht und seine frühere geistige Verblendung definitiv hinter sich gelassen.7 Aus dieser Perspektive gesehen, erscheint der Hinweis auf eine Augenkrankheit (oder, besser gesagt, auf den entsprechenden Heilungswunsch) als Anlass zur Reise nach Rom, die zum Treffen mit Nigrinus zufällig (ὁδοῦ πάρεργον) führen sollte, natürlich als verdächtig „passend“.8 Eine zwar indirekte, aber unmissverständliche Bestätigung dafür, dass dieses πάθος ἐν τῷ ὀφθαλμῷ symbolisch (oder zumindest als Metapher) zu verstehen ist, bekommt man etwas weiter im Text (§ 4 Ende), als Lukian die Folge seines Kontaktes mit dem Philosophen als eine Befreiung von der Finsternis irriger Meinungen durch das Erblicken eines großen Lichtes beschreibt, wobei er die Blindheit (bzw. die Sehschwäche) metaphorisch vom Auge auf die Seele überträgt.9 _____________ 6

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9

Nigr. 3: Ὁ δὲ ἀπ᾿ ἀρξάμενος, ὦ ἑταῖρε, περὶ τούτων λέγειν καὶ τὴν ἑαυτοῦ γνώμην διηγεῖσθαι τοσαύτην τινά μου λόγων ἀμβροσίαν κατεσκέδασεν, ὥστε καὶ τὰς Σειρῆνας ἐκείνας, εἴ τινες ἄρα ἐγένοντο, καὶ τὰς ἀηδόνας καὶ τὸν Ὁμήρου λωτὸν ἀρχαῖον ἀποδεῖξαι· οὕτω θεσπέσια ἐφθέγξατο ~ Nigr. 38: Ὡς σεμνὰ καὶ θαυμάσια καὶ θεῖά γε, ὦ ἑταῖρε, διελήλυθας, ἐλελήθεις δέ με πολλῆς ὡς ἀληθῶς τῆς ἀμβροσίας καὶ τοῦ λωτοῦ κεκορεσμένος. Nigr. 1: Ὁδοῦ πάρεργον ἥκω σοι εὐδαίμων τε καὶ μακάριος γεγενημένος καὶ τοῦτο δὴ τὸ ἀπὸ τῆς σκηνῆς ὄνομα, τρισόλβιος […] Οὐ θαυμαστὸν εἶναί σοι δοκεῖ πρὸς Διός, ἀντὶ μὲν δούλου με ἐλεύθερον, ἀντὶ δὲ πένητος ὡς ἀληθῶς πλούσιον, ἀντὶ δὲ ἀνοήτου τε καὶ τετυφωμένου γενέσθαι μετριώτερον; – Zum Thema der philosophischen Konversion vgl. NOCK (1933), 164ff. (behandelt [177] den Hermot., jedoch nicht den Nigr.) und den klassischen Aufsatz von GIGON (1945). Nigr. 2: Ἐστάλην μὲν εὐθὺ τῆς πόλεως βουλόμενος ἰατρὸν ὀφθαλμῶν θεάσασθαί τινα· τὸ γάρ μοι πάθος τὸ ἐν τῷ ὀφθαλμῷ μᾶλλον ἐπετείνετο. – Vgl. GALLAVOTTI (1932), 62f.; QUACQUARELLI (1956), 73 und CLAY (1992), 3422: «It is a metaphor which has a long pedigree in the history of Greek philosophy». Was das Thema der „Reise auf der Suche nach der Wahrheit“ angeht, vgl. u. a. FESTUGIÈRE (1939). Nigr. 4: ἄρτι δὲ αὐτὰ μὲν ἐδόκει μοι ταπεινὰ καὶ καταγέλαστα· ἔχαιρον δ᾿ αὖ ὥσπερ ἐκ ζοφεροῦ τινος ἀέρος τοῦ βίου τοῦ πρόσθεν ἐς αἰθρίαν τε καὶ μέγα φῶς ἀναβλέπων [eine Anspielung auf Platons „Höhlengleichnis“?]· ὥστε δή, τὸ καινότατον, τοῦ ὀφθαλμοῦ μὲν καὶ τῆς περὶ αὐτὸν ἀσθενείας ἐπελανθανόμην, τὴν δὲ ψυχὴν ὀξυδερκέστερος κατὰ μικρὸν ἐγιγνόμην· ἐλελήθειν γὰρ τέως αὐτὴν τυφλώττουσαν περιφέρων. – Vgl. auch Vit. auct. 18: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Οὐχ ὁρῶ ταῦθ᾿

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

2.3. Erscheinungsformen der Philosophie; Widersprüche Der Verzögerungseffekt der absichtlich in die Länge gezogenen Einleitung (gute 11 von insgesamt 38 Paragraphen) hat offenbar den Zweck, die Neugierde des Lesers zu wecken und die Spannung zu verstärken:10 Denn während in §§ 1-7 von irgendwelchen großen und staunenswerten Folgen nur andeutungsweise geredet wird, wird jedoch über ihre genaue Ursache sorgfältig geschwiegen. Lukian will natürlich seinen Leser so weit haben, dass dieser, genau so wie der ἑταῖρος im Dialog,11 irgendwann die Geduld verliert und anfängt, sich gespannt die Frage: „Was für eine extraordinäre Weisheit muss diejenige gewesen sein, die im Stande war, solche radikalen Veränderungen zu verursachen?“ zu stellen. Was genau ist also die so bewundernswerte wie heilkräftige Philosophie des Nigrinus? Die Antwort auf diese Frage hat den modernen Interpreten immer wieder eine gewisse Enttäuschung bereitet, als sie feststellen mussten, dass die Lehre des Nigrinus im Grunde nichts weiter als eine Ansammlung von allgemeinen Binsenweisheiten ist.12 – Die große Diskrepanz (aus moderner Sicht!) zwischen dem hohen Grad der Begeisterung und der inhaltlichen Armut dessen, wofür sich Lukian begeistert, war der Ursprung des Verdachtes bzw. der Annahme einer grundsätzlichen Ironie im Nigrinus. Außerdem muss in dieser Beurteilung m. E. auch ein stereotypes Lukian-Bild – vielleicht meist nur auf unbewusster Ebene, aber des_____________ ἅπερ λέγεις τὰ παραδείγματα. ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Εἰκότως· τυφλὸς γὰρ εἶ τῆς ψυχῆς τὸν ὀφθαλμόν. 10 In dieser Kunst ist Lukian Meister gewesen: man führe sich nur Dial. meretr. 5 zu Gemüte. – Contra (aber kaum richtig) FUMAROLA (1951), 187 [Hervorhebung von mir]: «nella prosopopea retorica che si effonde prima della presentazione del discorso di Nigrino, dilazionando sino alla nausea l’inizio, non è difficile percepire l’ironico ripudio di essa e delle sue aberrazioni»; ähnlich auch GALLAVOTTI (1932), 60 («dichiarazione di guerra alla retorica»; «Quando infatti Luciano…stende un proemio alla maniera di un retore adducendo scuse e destando interesse, di ciò l’amico lo beffa in bella maniera mostrando il convenzionalismo e la falsità di questo fare retorico»). 11 Nigr. 10: Ὡς εὖ γε νὴ τὸν Ἑρμῆν καὶ κατὰ τὸν τῶν ῥητόρων νόμον πεπροοιμίασταί σοι […] οὐ ταῦτ᾿ ἐρεῖν ἔμελλες; οὐδὲν οὖν αὐτῶν ἔτι σοι δεῖ πρὸς ἐμέ· νόμισον δὲ τούτου γε ἕνεκα πάντα σοι προειρῆσθαι· ὡς ἐγὼ καὶ βοᾶν καὶ κροτεῖν ἕτοιμος. ἢν δὲ διαμέλλῃς, μνησικακήσω γε παρὰ τὸν ἀγῶνα καὶ ὀξύτατα συρίξομαι. – Zum Auszischen im rhetorischen Kontext vgl. KORENJAK (2000), 81. 12 Hierüber herrscht perfekter Konsens unter den Interpreten, man vergleiche u. a. GALLAVOTTI (1932), 53; HALL (1981), 19 («the “philosophy” which inspired Lucian with such rapture consists of the tritest moral commonplaces, churned out for generations by rhetoricians quite as much as by philosophers») und 157; ROBINSON (1979), 53; ANDERSON (1978), 367 («these twenty sections of moral platitude»); TARRANT (1985), 91; BALTES (1993), 372.

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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wegen nicht auf weniger wirksame Weise – eine entscheidende Rolle gespielt haben: Man konnte sich einen Lukian, der für irgend etwas schwärmt, einfach nicht vorstellen. Dies hätte, wenn überhaupt, höchstens nur in seiner Jugend passieren können. Doch dazu infra. Man kann ohne weiteres sagen, dass der Grundbegriff von Philosophie in diesem Werk der einer Lehre ist, die zeigt (bzw. davon überzeugt), dass die materiellen Güter wie Macht, Ruhm und Reichtum, welche von der Mehrheit (οἱ πολλοί) als wahre Güter betrachtet und entsprechend begehrt und an anderen beneidet werden, keine wirklichen Güter, also auch kaum erstrebenswert, sind.13 Dieser gleiche Grundbegriff kehrt, leicht variiert, auch an anderen Stellen im Nigrinus wieder (§ 14 Ende, § 20 Anfang). Eine bedeutende Folge dieser Erkenntnis auf praktischer Ebene ist natürlich die Freiheit, d. h. die Befreiung von der Gier nach Macht, Ruhm und Reichtum mit all ihren schlimmsten Begleiterscheinungen. Durch das philosophische Denken lernt man, sich vom Materiellen zu distanzieren, es u. U. sogar zu verachten, um nur das natürlich Gute (τὰ φύσει καλά) zu schätzen. Dementsprechend sind auch die Sitten eines Volkes, welches für den Reiz der Philosophie besonders sensibel ist, moralisch gut, wie das Beispiel der Athener deutlich zeigt.14 Daher, d. h. von ungenügender Neigung zur Philosophie, rührt auch die Maßlosigkeit im Gebrauch der ἡδοναί, die im Gegenteil die Römer charakterisiert.15 Kurz: Philosophie bewirkt Sittlichkeit – so könnte man den Kern dieser Auffassung formulieren. Andere spezielle Erscheinungsformen der Philosophie sind ebenfalls ausschließlich moralischer Natur und bestehen z. B. darin, die eigene Pflicht zu erfüllen, nicht zu lügen, ein gewisses Gespür für das richtige Maß zu entwickeln und es im Alltag praktisch umzusetzen.16 _____________ 13 Nigr. 4: προήχθη γὰρ αὐτήν τε φιλοσοφίαν ἐπαινέσαι καὶ τὴν ἀπὸ ταύτης ἐλευθερίαν καὶ τῶν δημοσίᾳ νομιζομένων ἀγαθῶν καταγελάσαι, πλούτου καὶ δόξης καὶ βασιλείας καὶ τιμῆς, ἔτι τε χρυσοῦ καὶ πορφύρας, καὶ τῶν πάνυ περιβλέπτων τοῖς πολλοῖς, τέως δὲ κἀμοὶ δοκούντων. 14 Nigr. 14: ταῦτά τε οὖν ἐπῄνει καὶ προσέτι τὴν ἐλευθερίαν τὴν ἐκεῖ [d. h. in Athen] καὶ τῆς διαίτης τὸ ἀνεπίφθονον, ἡσυχίαν τε καὶ ἀπραγμοσύνην, ἃ δὴ ἄφθονα παρ᾿ αὐτοῖς ἐστιν. ἀπέφαινε γοῦν φιλοσοφίᾳ συνῳδὸν τὴν παρὰ τοῖς τοιούτοις διατριβὴν καὶ καθαρὸν ἦθος φυλάξαι δυναμένην, σπουδαίῳ τε ἀνδρὶ καὶ πλούτου καταφρονεῖν πεπαιδευμένῳ καὶ τῷ πρὸς τὰ φύσει καλὰ ζῆν προαιρουμένῳ τὸν ἐκεῖ βίον ὡς μάλιστα ἡρμοσμένον. 15 Nigr. 31: ὃ καὶ μάλιστα διέσυρεν αὐτῶν, ὅτι μηδὲ χρῆσθαι ἴσασιν ταῖς ἐπιθυμίαις […]. σολοικισμὸν οὖν ἐκάλει τοῦτο τῶν ἡδονῶν. 16 Nigr. 27: παρῄνει δὲ τοῖς συνοῦσι μήτ᾿ ἀναβάλλεσθαι τὸ ἀγαθόν, ὅπερ τοὺς πολλοὺς ποιεῖν προθεσμίας ὁριζομένους ἑορτὰς ἢ πανηγύρεις, ὡς ἀπ᾿ ἐκείνων ἀρξομένους τοῦ μὴ ψεύσασθαι καὶ τοῦ τὰ δέοντα ποιῆσαι […]. Οὐ μικρὰ δὲ

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

Der negative Gegenpol zur Philosophie ist schließlich, ganz folgerichtig, die ἄνοια, nämlich jene undistanzierte Haltung, die sich am Materiellen (speziell in seiner Variante als Unbeständiges) fest klammert und auf diese Weise an unsinnigen Hoffnungen hängt.17 Nicht so sehr auf die freie Mischung von verschiedenen stoisch, epikureisch, platonisch und kynisch anmutenden Gedanken, die man auch (etwas zu nachsichtig) „Eklektizismus“ zu nennen pflegt, muss man sich im Falle des Nigrinus konzentrieren; (1.) vielmehr scheint mir die patente Oberflächlichkeit bzw. Allgemeinheit der dargebotenen „philosophischen“ Inhalte für das Verständnis des Werkes von primärer Bedeutung zu sein, zumal – wohlgemerkt! – Lukian behauptet, dass ihm nicht so sehr die Persönlichkeit bzw. das Auftreten, sondern vor allem die λόγοι des Nigrinus imponiert hätten. Ist man wirklich zu glauben bereit, dass jemand, der nur solche Gemeinplätze im Mund führte, eine echte philosophische Persönlichkeit war? Und vor allem muss man sich als Interpret fragen, ob man wirklich bereit ist, die folgende Frage bejahend zu beantworten, ob nämlich ein solcher soi-disant Philosoph mit ausgerechnet diesen Allerweltstopoi einen listigen und raffinierten Geist wie Lukian je so sehr, d. h. „fürs Leben“, hätte beeindrucken, faszinieren und bewegen können? – Wenn Nigrinus tatsächlich ein Philosoph war (oder dachte, einer zu sein), dann war er ein schlechter oder zumindest ein sehr mittelmäßiger Philosoph. Dies aber ist mit der exorbitanten Begeisterung, die Lukian im Nigrinus zweifelsohne vermitteln möchte (ob er sie wirklich teilte oder nicht, sei momentan dahingestellt), in keiner Form zu vereinbaren. (2.) Ein weiteres Element ist in dieser Hinsicht m. E. ebenfalls sehr bedeutsam, nämlich die grundsätzliche Inkongruenz, auf der die ganze Darstellung basiert: Nigrinus, der expressis verbis als Platoniker bezeichnet18 _____________ οὐδὲ ἐκεῖνα παρέχει τοῖς ζηλοῦν ἐθέλουσι παραδείγματα, τῆς τροφῆς τὸ ἀπέριττον καὶ τῶν γυμνασίων τὸ σύμμετρον καὶ τοῦ προσώπου τὸ αἰδέσιμον καὶ τῆς ἐσθῆτος τὸ μέτριον. 17 Nigr. 20: ἔνεστι δὲ καὶ φιλοσοφίαν θαυμάσαι παραθεωροῦντα τὴν τοσαύτην ἄνοιαν, καὶ τῶν τῆς τύχης ἀγαθῶν καταφρονεῖν ὁρῶντα ὥσπερ ἐν σκηνῇ καὶ πολυπροσώπῳ δράματι τὸν μὲν ἐξ οἰκέτου δεσπότην προϊόντα, τὸν δ᾿ ἀντὶ πλουσίου πένητα, τὸν δὲ σατράπην ἐκ πένητος ἢ βασιλέα, τὸν δὲ φίλον τούτου, τὸν δὲ ἐχθρόν, τὸν δὲ φυγάδα· τοῦτο γάρ τοι καὶ τὸ δεινότατόν ἐστιν, ὅτι καίτοι μαρτυρομένης τῆς Τύχης παίζειν τὰ τῶν ἀνθρώπων πράγματα καὶ ὁμολογούσης μηδὲν αὐτῶν εἶναι βέβαιον, ὅμως ταῦθ᾿ ὁσημέραι βλέποντες ὀρέγονται καὶ πλούτου καὶ δυναστείας καὶ μεστοὶ περιίασι πάντες οὐ γινομένων ἐλπίδων. 18 Nigr. 2: δόξαν οὖν μοι διὰ πολλοῦ προσειπεῖν Νιγρῖνον τὸν Πλατωνικὸν φιλόσοφον, ἕωθεν ἐξαναστὰς ὡς αὐτὸν ἀφικόμην.

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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und charakterisiert19 wird und der sich selbst (wenngleich etwas indirekt) als einen Anhänger Platons zu erkennen gibt,20 muss – aus unserer Sicht, zumindest – diese Zuordnung entschieden abgesprochen werden. Nigrinus kann unmöglich ein echter Platoniker sein (ganz egal, ob man ihn als historische Figur oder als fiktionales Wesen betrachten möchte), denn zu viele und zu gewichtig sind jene Unterschiedspunkte, die ihn vom Platonismus, wie wir ihn aus Platons Dialogen kennen, trennen.21 Dazu zählen die folgenden: 1. Die Metaphysik ist in dieser Philosophie einfach nicht vorhanden; nur die Moral oder, besser gesagt, eine Form von moralischer Kritik, die im Übrigen vorwiegend moralistische Züge zeigt, scheint ihr Zentrum zu sein.22 2. Gar keine Rolle spielt in dieser ganzen moralischen Kritik die Gerechtigkeit (im Nigrinus fällt das Stichwort nur einmal und ganz am Rande), noch wird auf die kanonische Einteilung der Kardinaltugenden Bezug genommen.23 3. Der ständige Antrieb zum Lachen und Verlachen, d. h. der stetige Wille, das Tun und Treiben der Menschen als lächerlich bloßzustellen, der im Hintergrund konstant lauert, war Platon in dieser Form unbekannt.24 _____________ 19 Nigr. 2: προὔκειτο δὲ ἐν μέσῳ καὶ πινάκιόν τισι τῶν ἀπὸ γεωμετρίας σχημάτων καταγεγραμμένον καὶ σφαῖρα καλάμου πρὸς τὸ τοῦ παντὸς μίμημα ὡς ἐδόκει πεποιημένη. 20 Nigr. 18: τὸ λοιπὸν οἰκουρεῖν εἱλόμην καὶ βίον τινὰ τοῦτον γυναικώδη καὶ ἄτολμον τοῖς πολλοῖς δοκοῦντα προτιθέμενος αὐτῇ φιλοσοφίᾳ καὶ Πλάτωνι καὶ ἀληθείᾳ προσλαλῶ. 21 Sehr treffend HALL (1981), 157: «if Lucian did not tell us that Nigrinus was a Platonist ([§]2), we would never have guessed»; ROBINSON (1979), 53: «Certainly the Platonist label attached to Nigrinus means nothing». 22 1. Einwand: „Aber Lukian sagt nicht, dass er das ganze System, die ganze Philosophie des Nigrinus darstellen möchte“. 2. Einwand: „Aber vielleicht hat ihm Nigrinus auch von Metaphysik erzählt, doch dieser Teil hat Lukian nicht begeistert und deswegen hat er ihn in der schriftlichen Redaktion einfach ausgelassen“. – Beide Einwände setzten voraus, dass das Werk (in seinem Kern zumindest) historisch ist und das geschilderte Treffen in Rom tatsächlich stattgefunden hat. Ich dagegen vertrete die These der reinen Fiktionalität. – Zum „Moralismus“ vgl. bereits ZELLER (1923), 841: «…aber die Reden, welche er von ihm berichtet, könnten fast ebensogut einem Musonius oder Epiktet in den Mund gelegt sein». 23 Nigr. 16: …παρασύρεται δὲ τῆς ψυχῆς ὑποκλυζομένης πάντοθεν αἰδὼς καὶ ἀρετὴ καὶ δικαιοσύνη. – Vgl. dagegen die infra zitierte Stelle Albin., Didasc. 28, 1 (und DILLON [1977], 301). 24 Einige Beispiele: Nigr. 21 (Ὃ δὲ δὴ ἔφην, ὅτι καὶ γελᾶν ἐν τοῖς γιγνομένοις ἔνεστι καὶ ψυχαγωγεῖσθαι, τοῦτο ἤδη σοι φράσω. πῶς γὰρ οὐ γελοῖοι μὲν πλουτοῦντες αὐτοὶ καὶ τὰς πορφυρίδας προφαίνοντες καὶ τοὺς δακτύλους

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

4. Nigrinus’ Lebenseinstellung ist resigniert und der Pessimismus ihrer Zurückgezogenheit etwas zu simpel.25 5. Völlig unplatonisch ist die völlige Abwesenheit der Götter, oder, besser gesagt, das Fehlen jeden Hinweises auf die göttliche Sphäre als ontologische Begründung und Garantie für die ethischen Anforderungen – was in einer Schrift wie Nigrinus, wo von Anfang bis Ende nur moralisiert wird, umso stärker auffällt. Besonders dieser letzte Aspekt gewinnt umso größere Bedeutung, da uns ja die Möglichkeit eines direkten Vergleichs mit der Philosophie des historischen Albinus parat steht. Man kann nämlich diesen Vergleich dazu durchführen, um die Echtheit des Platonismus des lukianischen Nigrinus – insbesondere, natürlich, im ethischen Bereich, da es ja im Nigrinus hauptsächlich um Moral geht – zu „testen“ (d. h. man ist in diesem Falle durchaus berechtigt, vom Problem der Identifizierung des Albinus mit dem lukianischen Nigrinus gänzlich abzusehen), weil Albinus mit seinem Didaskalikos an und für sich repräsentativ für den Schulplatonismus um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. ist.26 Wie ein orthodoxer Platoniker definierte Albinus das Gute, also sozusagen die Grundlage der Moral, in einem religiös-theologischen Zusammenhang, nämlich als „Wissen um Gott“,27 und sah das τέλος des menschlichen Lebens im Akt der Angleichung an Gott, welche ihrerseits wiederum als Ausübung der Gerechtig-

_____________ προτείνοντες καὶ πολλὴν κατηγοροῦντες ἀπειροκαλίαν), 22 (Πολὺ δὲ τούτων οἱ προσιόντες αὐτοὶ καὶ θεραπεύοντες γελοιότεροι, νυκτὸς μὲν ἐξανιστάμενοι μέσης, περιθέοντες δὲ ἐν κύκλῳ τὴν πόλιν καὶ πρὸς τῶν οἰκετῶν ἀποκλειόμενοι, κύνες καὶ κόλακες καὶ τὰ τοιαῦτα ἀκούειν ὑπομένοντες), 24 (τὸ δὲ καὶ τῶν φιλοσοφεῖν προσποιουμένων πολλοὺς πολλῷ ἔτι τούτων γελοιότερα δρᾶν, τοῦτ᾿ ἤδη τὸ δεινότατόν ἐστι), 25 (Καὶ ταῦτα μὲν οὖν γελοῖα ἡγεῖτο). 25 Nigr. 17f.: ἢ τί καὶ πράξειν διέγνωκας μήτ᾿ ἀπαλλάττεσθαι μήτε χρῆσθαι τοῖς καθεστῶσι δυνάμενος; Οὕτω δὴ βουλευσάμενος καὶ καθάπερ ὁ Ζεὺς τὸν Ἕκτορα ὑπεξαγαγὼν ἐμαυτὸν ἐκ βελέων, φασίν, ἔκ τ᾿ ἀνδροκτασίης ἔκ θ᾿ αἵματος ἔκ τε κυδοιμοῦ, τὸ λοιπὸν οἰκουρεῖν εἱλόμην καὶ βίον τινὰ τοῦτον γυναικώδη […] ποστιθέμενος καὶ καθίσας ἐμαυτὸν ὥσπερ ἐν θεάτρῳ μυριάνδρῳ σφόδρα που μετέωρος ἐπισκοπῶ τὰ γιγνόμενα, τοῦτο μὲν πολλὴν ψυχαγωγίαν καὶ γέλωτα παρέχειν δυνάμενα. – Zum Aspekt der Zurückgezogenheit vgl. das 4. Kap. (“The Inclination to Retirement”) in FESTUGIÈRE (1954), 53ff. 26 DILLON (1977), 304. 27 Albin., Didasc. 27, 1: τὸ μέντοι ἡμέτερον ἀγαθόν, εἴ τις ἀκριβῶς αὐτοῦ τὰ συγγράμματα ἀναλάβοι, ἐτίθετο ἐν τῇ ἐπιστήμῃ καὶ θεωρίᾳ τοῦ πρώτου ἀγαθοῦ, ὅπερ θεόν τε καὶ νοῦν τὸν πρῶτον προσαγορεύσαι ἄν τις; (Text nach der Ausgabe Alcinoos, Enseignement des doctrines de Platon. Introduction, texte établi et commenté par J. WHITTAKER, et traduit par P. LOUIS, [CUF] Paris 1990) – DILLON (1977), 298f.; DILLON (1993), 165-7.

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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keit und damit als Tugend intendiert war.28 Wo aber bleibt dieser religiös-theologische Zusammenhang bei Nigrinus? Auf welche anderen Grundlagen stützte er seine moralischen Ansichten? Auf Grund dieser zwei Beobachtungen scheint es mir nicht abwegig zu folgern, dass diese Schrift nicht das sein kann, als was sie sich präsentiert. 2.4. Zentrale Rolle der Rhetorik In einer Schrift, die gemäß der Anfangserklärung unter dem Zeichen der beispielhaften Schlichtheit und Bescheidenheit des „Meisters“, der sie inspiriert hat, steht (ἐγὼ…εἰ μὲν δύναμιν λόγων ἐπιδείξασθαι βουλόμενος…εἰχόμην ἂν τῷ γελοίῳ) und nichts mehr als eine Darlegung der sehr persönlichen „Rezeption“ von Nigrinus’ Lehre durch Lukian sein will (μόνην σοι δηλῶσαι τὴν ἐμὴν γνώμην ἐθέλω), würde man nicht unbedingt erwarten, dass die rhetorische Ausformung eine so zentrale Rolle spielt, wie es im Nigrinus dagegen eindeutig der Fall ist. Lukian hat, scheint es, große Freude daran gehabt, makellos ausgefertigte Beschreibungen zu liefern. Besonders greifbar und evident wird dies in den Szenen aus dem Leben der Klienten (§§ 21-22) und in den Bädern (§ 34) sowie in §§ 35-37, wo er die Bogenschießen-Metapher mit vorzüglicher Virtuosität in all ihrem Potential ausschöpft, und schließlich in der Bemühung, durch die konstante Verwendung der Theater-Metaphorik in regelmäßigen Abständen im Werk Einheitlichkeit zu stiften. Ganz lukianisch ist außerdem der Geschmack für die fein ausgearbeiteten kleinen Details, wie der Hinweis auf Momos in § 32, die zahlreichen Zitate aus und Verweise auf Homer, Formulierungsfeinheiten wie z. B.: μεσταὶ γὰρ αὐτοῖς τῶν φιλτάτων πᾶσαι μὲν ἀγυιαί, πᾶσαι δὲ ἀγοραί und ὑφ΄ ἧς δὴ ῥεούσης ἀενάῳ τε καὶ θολερῷ ῥεύματι πᾶσαι μὲν ἀνευρύνονται ὁδοί in § 16, das Zitat aus Eupolis in Nigr. 7,29 und generell ein sehr kontrollierter Duktus des Stils, wo die üblichen rhetorischen Figuren reichlich verwendet werden, ausgiebig zeigen. Aber der Einfluss der Rhetorik macht sich auch in anderen kleineren Details, wie z. B. der Beschreibung des Zim_____________ 28 Albin., Didasc. 28, 1: Οἷς πᾶσιν ἀκόλουθον τέλος ἐξέθετο ὁμοίωσιν θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν· ποικίλως δὲ τοῦτο χειρίζει. Ποτὲ μὲν γὰρ ὁμοίωσιν θεῷ λέγει τὸ φρόνιμον καὶ δίκαιον καὶ ὅσιον εἶναι, ὡς ἐν Θεαιτήτῳ· διὸ καὶ πειρᾶσθαι χρῆναι ἐνθένδε ἐκεῖσε φεύγειν ὅτι τάχιστα· φυγὴ δὲ ὁμοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν, ὁμοίωσις δὲ δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι· ποτὲ δὲ τὸ μόνον δίκαιον εἶναι, ὡς ἐν τῷ τελευταίῳ τῆς Πολιτείας; – DILLON (1977), 299f.; DILLON (1993), 171f. 29 Eupol., fr. 102, 6f. K.-A.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

mers und der „Pose“ des Philosophen, sehr bemerkbar.30 Auch für Lukians Schlussreaktion nach dem Ende von Nigrinus Rede („Emotionsstau“: Weinen und Stummheit) hat man ein gewisses Muster in einem Musonios-Fragment identifiziert.31 Die Rolle der πενία ist ebenfalls topisch,32 wie auch das Motiv des Philosophen, der sich aus einer Großstadt voller Laster zurückgezogen hat.33 2.5. Anti-römische Satire? Athen versus Rom Manche Interpreten (besonders in der früheren Forschung) haben in Hinblick auf die Rekonstruktion eines Gesamtbildes Lukians besonders den Aspekt der im Nigrinus an den verfallenen Sitten der Stadt Rom geübten _____________ 30 BALTES (1993), 368f. vergleicht (Anm. 6) Tac., Dial. 3, 1: «Igitur ut intravimus cubiculum Materni, sedentem ipsumque, quem pridie recitaverat librum, inter manus habentem deprehendimus», mit Nigr. 2: καὶ παρελθὼν εἴσω καταλαμβάνω τὸν μὲν ἐν χερσὶ βιβλίον ἔχοντα. Auch für den Brauch, Büsten berühmter Philosophen im Haus oder im Zimmer aufzustellen (Nigr. 2: πολλὰς δὲ εἰκόνας παλαιῶν φιλοσόφων ἐν κύκλῳ κειμένας), lassen sich leicht Parallelen finden (Stellen in der Anm. 7 ebd.). – Sehr treffend CLAY (1992), 3425: «Lucian’s Convert to “the philosophy of Nigrinus” might have exchanged his state of slave for that of a free man, but one thing did not change. The Convert remained a rhetorician to the end». 31 Gell., Noct. Att. V 1. GALLAVOTTI (1932), 58; FUMAROLA (1951), 199. 32 FUMAROLA (1951), 196f. 33 ANDERSON (1978), 373 mit Verweis auf Dio, or. 32, 97-99: Θεόφιλόν φασι παρ᾿ ὑμῖν [die Einwohner Alexandriens] γενόμενον ἄνδρα σοφὸν σιωπᾶν πρὸς ὑμᾶς καὶ μηδὲν ἐθέλειν διαλέγεσθαι. καίτοι τίνα γνώμην νομίζετε αὐτὸν ἔχειν; πότερον ὡς σοφοὺς ὑμᾶς καὶ μὴ δεομένους θεραπείας; ἢ μᾶλλον ὡς ἀνιάτων ἀπεγνωκέναι; παραπλήσιον γάρ, ὥσπερ εἴ τις τῶν ἐμπόρων πολλὰ καὶ τίμια ἔχων καταπλεύσειεν εἰς πόλιν, ἔπειθ᾿ ὑπ᾿ ἀνέμων τινῶν ἢ τύχης ἄλλης κρατούμενος καὶ διατρίβων ἐκεῖ χρόνον συχνὸν μήτε προθείη τῶν ὠνίων μηδὲν μήτε δείξειε μηδέποτε· δῆλον γὰρ ὡς ἐσχάτην τινὰ αὐτῶν πενίαν κατεγνωκὼς ἢ ἀπειρίαν οὐκ ἂν θέλοι μάτην ἐνοχλεῖσθαι, σαφῶς εἰδὼς ὅτι οὔτ᾿ ἂν ὠνήσαιτο τῶν ἀνθρώπων τούτων οὐθεὶς οὔτ᾿ ἂν ἴσως προσέλθοι. καὶ Θεόφιλος τοίνυν πολλὰ ἔχων καὶ μεγάλα ἔνδον ὤνια παρ᾿ αὑτῷ ταῦτα, συνειδὼς ὑμῖν τὴν ἐσχάτην ἀπορίαν, οὐ χρημάτων, ἀλλὰ νοῦ καὶ συνέσεως. τοιγαροῦν τέθνηκε κατασιωπήσας ὑμῶν τὴν πόλιν, [τοῦτ᾿ ἔστι καταδικάσας αὐτήν,] καὶ ὑμεῖς τοῦ δεῖνος μὲν πολλάκις ἀκηκόατε καὶ διαμέμνησθε τῶν σκωμμάτων αὐτοῦ καὶ τῶν τοῦ δεῖνος ᾀσμάτων, Θεοφίλου δὲ οὐκ οἶδα εἴ ποτε ἠκούσατε· ὥσπερ ἔφη τις τοὺς ἐν τῇ Ἀττικῇ κανθάρους, τοῦ καθαρωτάτου μέλιτος ὄντος, τοῦ μὲν μηδέποτε γεύσασθαι, μηδ᾿ ἂν ἐκχέηται, τῆς δὲ ἑτέρας τροφῆς. ἀλλ᾿ ἐστὲ ἱλαροὶ καὶ σκῶψαι πάντων δεινότατοι. Weitere Ähnlichkeiten mit Dion bei PERETTI (1946), 58-61 und FUMAROLA (1951), 199f.; GALLAVOTTI ([1932], 55) verweist schließlich auf Pl., Phaedr. 228a-c als Muster für Nigr. 6 (auch unaufgefordert wird man die außerordentliche Erfahrung von sich aus erzählen).

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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Kritik verwertet.34 Der zentrale Teil des Werkes (§§ 19-34) stellt nämlich eine Art „Lasterkatalog“ dar und besteht aus einer kritischen Beschreibung der Unsitten und Ausartungen, welche an verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Lebens in Rom, wie Nigrinus sie beobachten kann, haften.35 Was ist aber die spezifische Qualität dieser Kritik? Zunächst ist zu bemerken, dass es sich dabei ausschließlich um private Laster wie kulinarische Exzesse, Geldverschwendungen verschiedener Art, also übertriebenen Luxus und Missbrauch von Sklaven, handelt. Auffällig abwesend sind in diesem Szenario die Ausschweifungen sexueller Natur. Der öffentliche Bereich bleibt dagegen sorgfältig geschont und unerwähnt, die politische Sphäre nicht ausgenommen. Zwei weitere Eigenschaften treten noch besonders hervor. Mit Sicherheit kann einerseits behauptet werden, dass diese Kritik, da sie ja auf Topoi basiert, trotz der lebendigen Beschreibungen dennoch recht allgemein bleibt. Folglich ist sie ohne weiteres übertragbar: Stünde da nicht der Name „Rom“ als Etikett, könnte sie wahrscheinlich in Bezug auf so gut wie jedes große städtische Zentrum des damaligen Kaiserreichs wiederholt werden, ohne deswegen ihre Geltung im Geringsten einzubüßen.36 Was andererseits diese Kritik kennzeichnet, ist die Tatsache, dass sie innerhalb eines höchst schematischen Gebildes artikuliert wird: Auf der einen Seite Athen, die Stadt, in der die „spirituellen Werte“ bester Tradition noch allgemein akzeptiert und in Taten umgesetzt wer_____________ 34 Exemplarisch PERETTI (1946) (vgl. die Rezension von A. MOMIGLIANO, in: «Rivista storica italiana» 60 [1948], 430-432 und den polemischen Austausch zwischen SCARPAT und PERETTI: G. SCARPAT, in: «Paideia» 2 [1947], 215-220; A. PERETTI, in: «Maia» 1 [1948], 147-157; G. SCARPAT, «Paideia» 3 [1948], 333; sowie C.P. JONES, Plutarch and Rome, Oxford 1971, 128; wie PERETTI auch D. MUSTI, L’itinerario di Pausania: dal viaggio alla storia, in: «QUUC» 17 [1994], 7-18, und M. PINTO, Fatti e figure della storia romana in Luciano, in: «Vichiana» 3 [1974], 227-38); vgl. auch DUBUISSON (1984/86) und BIANCHI BANDINELLI (1976). 35 Für eine präzisere Unterteilung von Nigrinus’ Rede vgl. ANDERSON (1978), 371. 36 So bereits SMITH (1897), 340, mit der wichtigen Beobachtung, dass die Laster, die in Nigr. den Römern vorgeworfen werden, in anderen lukianischen Werken auf die Griechen bezogen werden («…with the exception of their undue interest in horseracing, the Romans are not charged with a single vice or folly which is not also laid at the door of the Athenians in others of the Lucianic writings…we must admit that, as far as Lucian’s evidence goes, we have nothing to prove that society in Athens differed more widely from society in Rome than the province always differs from the capital»). Für die spezifisch römischen Elemente wie die Klienten (§§ 21-23) oder die „Testamentsjagd“ (§ 30), die aus Martial und Juvenal wohl bekannt sind, vgl. die zwei ausführlichen Studien von MESK (1912) und (1913), der jedoch den Nigrinus als eine auf der – extrem unwahrscheinlichen – direkten Kenntnis der juvenalischen Satiren basierende Reaktion Lukians auf Juvenals „Griechenhass“ interpretiert; vgl. dazu auch COURTNEY (1980), 624-29.

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

den;37 auf der anderen, diametral entgegen gesetzten Seite Rom, das Reich des Materialismus, in dem das Geld das Maß aller Dinge geworden ist.38 Im ersten Fall konkretisiert sich dieses „Spirituelle“ in Formen wie Mäßigkeit, Freiheit, Ruhe, Witz, Fröhlichkeit, welche der vom Geldbesitz herrührenden Arroganz und Zurschaustellung bedeutungsvoll direkt entgegengestellt werden.39 Im zweiten wird der Akzent auf die Folgen des Materialismus gesetzt: schlechter Geschmack, komplette Abhängigkeit von jeder Form von Lust und Anmaßungen aller Art bei den Reichen; Schmarotzerei und Unterdrückung bei den Armen. Es ist evident, dass Lukian hier ein Schwarz-Weiß-Bild zeichnet (in Athen nur Gutes, in Rom nur Böses; für die eine Stadt nur Lob, für die andere nur Tadel) und dies tut er ganz bewusst. Durch die Konstruktion dieses so krassen Gegensatzes will er auf ein bestimmtes Ziel hinaus. Dadurch verlieren nämlich Athen und Rom ihre Konturen als reale Städte, sie werden auf ein symbolisches Niveau transponiert und stehen am Ende im Text stellvertretend für zwei Weltanschauungen. Nigrinus repräsentiert Athen, so dass die Akzeptanz seiner Philosophie gleichzeitig die Annahme der durch Athen symbolisierten kulturellen Werte ist. Die Erklärung, mit der Lukian das Werk beginnen lässt, nämlich keine Eulen nach Athen tragen zu wollen, gewinnt somit auch eine symbolische Färbung und steht für eine bedingungslose Übernahme dieser Werte, denen Lukian sich nicht erdreisten will, etwas Neues oder Anderes hinzuzufügen. 2.6. Die Bekehrung umkehren? Zwei Interpretationen, nämlich (1.) jene von TARRANT und (2.) jene von DÖRRIE/BALTES, verdienen eine ausführliche Betrachtung, weil dort _____________ 37 Nigr. 12-14. 38 Nigr. 15: ὅστις δὲ πλούτου ἐρᾷ καὶ χρυσῷ κεκήληται καὶ πορφύρᾳ καὶ δυναστείᾳ μετρεῖ τὸ εὔδαιμον, ἄγευστος μὲν ἐλευθερίας, ἀπείρατος δὲ παρρησίας, ἀθέατος δὲ ἀληθείας, κολακείᾳ τὰ πάντα καὶ δουλείᾳ σύντροφος, ἢ ὅστις ἡδονῇ πᾶσαν τὴν ψυχὴν ἐπιτρέψας ταύτῃ μόνῃ λατρεύειν διέγνωκε, φίλος μὲν περιέργων τραπεζῶν, φίλος δὲ πότων καὶ ἀφροδισίων, ἀνάπλεως γοητείας καὶ ἀπάτης καὶ ψευδολογίας, ἢ ὅστις ἀκούων τέρπεται κρουμάτων τε καὶ τερετισμάτων καὶ διεφθορότων ᾀσμάτων, τοῖς δὴ τοιούτοις πρέπειν τὴν ἐνταῦθα διατριβήν. – Vgl. FUMAROLA (1951), 203f. zu den Unterschieden zwischen der römischen Kritik in Nigr. und der in De merc. cond. 39 Nigr. 12 (ἡ μὲν ἀρχὴ τῶν λόγων ἔπαινος ἦν Ἑλλάδος καὶ τῶν Ἀθήνησιν ἀνθρώπων, ὅτι φιλοσοφίᾳ καὶ πενίᾳ σύντροφοί εἰσιν καὶ οὔτε τῶν ἀστῶν οὔτε τῶν ξένων οὐδένα τέρπονται ὁρῶντες, ὃς ἂν τρυφὴν εἰσάγειν εἰς αὐτοὺς βιάζηται) und 13.

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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m. E. die wesentliche Frage der Interpretation des Nigrinus mit besonderer Prägnanz und Klarheit ersichtlich wird. (1.) TARRANT rekonstruiert die Lage so: Albinus, mit dem lukianischen Nigrinus identisch, war ursprünglich ein Kommentator von Platons Werken. Irgendwann, in Folge eines starken Wechsels in seinem Leben, hörte er mit der schulischen Kommentatorentätigkeit auf, um sich freieren Formen der philosophischen Spekulation zu widmen und dem Einfluss anderer philosophischen Richtungen, insbesondere dem Stoizismus, zu öffnen. Als äußeres Zeichen für seinen Wechsel änderte er seinen Namen zu Alkinoos. Unter diesem neuen Namen schrieb und veröffentlichte er u. a. seinen Didaskalikos. Der eigentliche Gegenstand von Lukians Satire im Nigrinus wäre nun – behauptet TARRANT – genau dieser Namenswechsel und, etwas allgemeiner, die plötzliche „Konversion“ von einer Lebensform zu einer anderen.40 Unter den vielen Kritikpunkten, die sich gegen diese Rekonstruktion einbringen ließen, möchte ich hier nur auf die folgenden mit Nachdruck aufmerksam machen: – TARRANTS Behauptung der großen Liebe des Nigrinus/Albinus zu Homer41 (Grund für die Wahl des neuen Namens Alkinoos)42 ist schlicht fehlerhaft, denn es ist Lukian derjenige, der die homerischen Verweise hereinbringt. – Wer eine plötzliche und umwälzende Konversion erfährt, ist wiederum Lukian, nicht Nigrinus.43 – Wäre die Namensänderung Lukians wirkliche Zielscheibe gewesen, dann müsste man ihm sehr dafür gratulieren, dass er diese so gut und sorgfältig im Text versteckt hat! Außerdem setzt diese Idee voraus, dass die Zuhörer mit den ganzen Ereignissen der Namensänderung und der Konversion des Albinus gut vertraut waren, was an sich sehr _____________ 40 TARRANT (1985), 92: «I therefore propose the following interpretation of the Nigrinus: because the Platonist Albinus had experienced some revelation [aber welche?], whereby he ceased to be a Platonic interpreter and began to live philosophy and to preach it; and because this revelation had led to the well-intentioned but laughable step of adopting a Greek epic name, Lucian writes a satire which harmlessly makes fun of his extreme dedication to philosophy, his devotion to Greece at the expense of Rome, his love of Homer, his name, and the whole idea of an instant conversion to philosophy», und 94 Punkt (iii). 41 TARRANT (1985), 91, bes. Punkt (5): «Nigrinus’ love of Homer». 42 TARRANT (1985), 91: «To adopt such a name would be a symbolic rejection of Rome in favor of Greece and its intellectual capital, and to associate oneself with the Homeric age. Moreover, such a name-change would be symbolic of some inner change, probably of a change of philosophy». 43 TARRANT (1985), 91, bes. Punkt (2): «the theme of rapid revelation and conversion».

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

unplausibel scheint, denn Albinus war schließlich keine so bedeutende Figur. Richtete sich Lukians (recht sanfte!) Polemik tatsächlich gegen das Phänomen einer zu eiligen oder zu einfachen Konversion, hätte man ja einen sehr drastischen Fall von Selbstkritik (Lukian selbst ist der Konvertierte!) – ein wahrhaftiges, Unikum im Gesamtwerk.44 der wichtigste Einwand: Es gibt im Nigrinus keine Andeutungen und Anhaltspunkte, die an eine verdeckte spöttische Intention gegenüber Nigrinus denken lassen könnten (λέξις ἐσχηματισμένη).45 Das Lob dieser Figur ist sozusagen makellos und vollkommen.46 Denjenigen, die die Hypothese der indirekten Ironie verteidigen, bleibt nur übrig, auf die angebliche Übertreibung und den Schwulst in der Beschreibung von Lukians Reaktion auf die Rede des Nigrinus zu rekurrieren. ROBINSON schreibt in diesem Sinne exemplarisch: «This elaborate evocation of the philosopher’s power is delivered in so self-consciously rhetorical and theatrical a way (the care with which the types of image are interrelated is a good example), and the first speaker himself [d. h. der ἑταῖρος] is made to lay such open stress on the theatricality of the account (10, 12)[47], that one should be on one’s guard against taking it too seriously».48

_____________ 44 Pace ANDERSON (1978), 372: «As to the self-satire so conspicuous in Nigrinus 8-12, Lucian has used the same technique in Convivium 3-4, where Lycinus is cast as a scandalmonger who pretends to be reluctant to tell tales; here he affects to be too inspired to be brought down to earth». – Wer, wie z. B. GALLAVOTTI ([1932], 58: «…il Nigrino vuol essere da parte di Luciano la dimostrazione del suo istintivo trasporto per la filosofia», und 61) den Nigrinus wörtlich nimmt, sieht darin keine Schwierigkeit: «Ora Luciano ha visto…quello che di ridicolo era in lui, nella sua grande ammirazione per Nigrino, nell’invasamento per le nuove dottrine, e senza preoccuparsi che il ridicolo cadeva sulla sua stessa figura [!], ha voluto rappresentare fedelmente se stesso come egli si vedeva in quel momento» (ebd., 60, Hervorhebung von mir) . 45 LITT (1909), 98f.; ANDERSON (1978), 368. 46 Vgl. DRYDEN (1711), 218: «…[Lucian] seems to me, to be an Enemy to nothing but to Vice, and Folly. The Pictures which he draws of Nigrinus and of Demonax, are, as fair, as that of Vertue her self; if, as the Philosopher said, she could wear a Body. And if we oppose to them the Lives of Alexander the false Prophet, and of Peregrinus, how pleasingly, and with how much Profit, does the Deformity of the last, sett off the Beauty of the first!». 47 Das ist kaum richtig, denn diese „Betonung des Theatralischen“ (vgl. dazu vor kurzem MATTEUZZI [1998]) mag zwar im einleitenden Teil präsent sein, aber sie ist es nicht mehr im Schlussteil und es bleibt also nachzuweisen, ob die Wirkung dieser Metapher sich bis dorthin erstreckt. 48 ROBINSON (1979), 53 (Hervorhebung von mir).

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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Aber auch das führt nicht weiter. Lukian will hier einfach seine literarische Virtuosität in der Entfaltung des Motivs zeigen und außerdem auch noch einen gewissen Klimax-Effekt am Ende des Werkes erreichen. Ferner hat wahrscheinlich auch das Bedürfnis nach harmonischer Balancierung, d. h. das Bemühen um inneres Gleichgewicht innerhalb des Werkes eine große Rolle gespielt: nach einer solchen Prachtentfaltung moralischer Gesinnung wäre eine etwas kühle Reaktion vonseiten Lukians schlichtweg fehl am Platz gewesen. Außerdem hat C. GALLAVOTTI darauf aufmerksam gemacht, dass eine ähnliche „Übertreibung“, diesmal aber wirklich ganz ohne die Möglichkeit einer Ironie, auch am Anfang der Imagines zu finden ist.49 (2.) Im dritten Band der Sammlung Der Platonismus in der Antike haben H. DÖRRIE und M. BALTES unabhängig voneinander eine „demaskierende Interpretation“ des Schlussteils des Nigrinus (§ 38)50 vorgeschlagen.51 _____________ 49 GALLAVOTTI (1932), 59. 50 Nigr. 38: Ὡς σεμνὰ καὶ θαυμάσια καὶ θεῖά γε, ὦ ἑταῖρε, διελήλυθας, ἐλελήθεις δέ με πολλῆς ὡς ἀληθῶς τῆς ἀμβροσίας καὶ τοῦ λωτοῦ κεκορεσμένος· ὥστε καὶ μεταξὺ σοῦ λέγοντος ἔπασχόν τι ἐν τῇ ψυχῇ, καὶ παυσαμένου ἄχθομαι καὶ ἵνα δὴ καὶ κατὰ σὲ εἴπω, τέτρωμαι· καὶ μὴ θαυμάσῃς· οἶσθα γὰρ ὅτι καὶ οἱ πρὸς τῶν κυνῶν τῶν λυσσώντων δηχθέντες οὐκ αὐτοὶ μόνοι λυσσῶσιν, ἀλλὰ κἄν τινας ἑτέρους [καὶ αὐτοὶ] ἐν τῇ μανίᾳ τὸ αὐτὸ τοῦτο διαθῶσιν, καὶ οὗτοι ἔκφρονες γίγνονται· συμμεταβαίνει γάρ τι τοῦ πάθους ἅμα τῷ δήγματι καὶ πολυγονεῖται ἡ νόσος καὶ πολλὴ γίγνεται τῆς μανίας διαδοχή. — Οὐκοῦν καὶ αὐτὸς ἡμῖν ἐρᾶν ὁμολογεῖς; — Πάνυ μὲν οὖν, καὶ προσέτι δέομαί γέ σου κοινήν τινα τὴν θεραπείαν ἐπινοεῖν. — Τὸ τοῦ ἄρα Τηλέφου ἀνάγκη ποιεῖν. — Ποῖον αὖ λέγεις; — Ἐπὶ τὸν τρώσαντα ἐλθόντας ἰᾶσθαι παρακαλεῖν. 51 BALTES (1993) [Nigr. 1-5 = Nr. 98.5, Kommentar von BALTES auf SS. 367-72], 372: «Hier wird Nigrinos mit einem tollwütigen Hund verglichen, Lukian mit einem von diesem Hund Angefallenen, sein Freund mit einem von einem tollwütigen Menschen Gebissenen und die philosophische Lehre mit einer sich ausbreitenden epidemischen Seuche. Die Weitergabe der philosophischen Lehren…wird damit zur Weitergabe eines Wahnsinns (μανίας διαδοχή, 38). Mit anderen Worten: die angeblich so erhebenden Lehren der platonischen Philosophie erweisen sich bei näherem Zusehen nicht nur als hohle Platitüden, sondern sogar als gefährliche Volksseuche. Und welches Heilmittel soll gegen die Seuche helfen? Der, von dem die Infektion ausgegangen ist, der Philosoph Nigrinos, soll auch die Heilung vollbringen (38)! Hätte die Antwort noch grotesker ausfallen können?»; – vgl. auch die Anm. 1 auf S. 372 von DÖRRIE: «Was ist zu tun? Lukians witziger Vorschlag ist dazu angetan, dieser spukhaften μανία sofort ein Ende zu machen. Dazu wird an den Orakelspruch erinnert, durch den die Leiden des Telephos beendet werden: ὁ τρώσας ἰάσεται. Diesem mythischen Exempel sollten die beiden Partner dieses Dialoges, Lukian und sein Freund, folgen: Sie sollten Nigrinos aufsuchen und ihn um Heilung bitten. Das heißt in der Entschlüsselung: Nigrinos übt gar keinen Zauber aus. Was Lukian im Tone ehrfürchtiger Bewunderung von ihm berichtet, ist gar nicht wahr. Man braucht Nigrinos nur einmal zu begegnen, um von der Illusion, die Lukian erzeugt hat, völlig geheilt zu sein».

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

Der dort verwendete Vergleich («ein Vergleich, der alles entlarvt»)52 μανία ~ φιλοσοφία (letztere überträgt sich wie eine spezielle Form der ersten, nämlich wie die Tollwut) und die damit zusammenhängende Anspielung auf den Schluss des Telephos-Mythos (die Heilung ist bei demjenigen zu suchen, der das Leiden ursprünglich zugefügt hat) ließen sich nach diesen zwei Autoren als verklausulierte Hinweise deuten, durch welche Lukian kurz vor Schluss in der Manier eines fulmen in clausula dem Leser zu verstehen gäbe, dass das ganze Vorhergehende, d. h. die positive Darstellung des Nigrinus, nicht ernst gemeint war. Der Leser wäre somit aufgefordert, plötzlich das Ganze ins exakte Gegenteil umzuwenden und aus der (scheinbaren) Lobpreisung einen satirischen Hohn zu machen. Es ist unleugbar, dass dieser Ansatz für sich eine gewisse Plausibilität beanspruchen darf, denn oft beobachten wir Lukian, indem er Dinge preist, ohne jedoch selbst hinter diesem Lob wirklich zu stehen (die beiden Phalariden, das Lob der Fliege und De astrologia sind genügend eloquente Beispiele in dieser Hinsicht). Außerdem wirft der grobe Stoff des Vergleichs (die Tollwut), wenn man so will, an und für sich alles andere als ein anmutiges und „freundliches“ Licht auf den verglichenen Gegenstand, obschon nur indirekt – wobei dann zu fragen wäre, ob auch der Vergleich der Wirkung des Sokrates mit einem Schlangenbiss bei Platon Symp. 218 a negativ aufzufassen wäre.53 Konfrontiert man also einen derartigen Schluss mit den enthusiastischen und hoch preisenden Tönen der früheren Abschnitte, ist ein gewisser Verdacht auf Grund des leichten Kontrastes und Tonwechsels nicht ganz unberechtigt. Diese Lektüre ist allerdings zu subtil. Soviel wir von ihm wissen, war Lukian kein hermetischer Schriftsteller, der seine Meinung zu verstecken pflegte bzw. aus Angst vor möglichen Konsequenzen verstecken musste oder wollte: Ganz im Gegenteil lag es in seinem Interesse, dass man ihn gut verstand. Diese Interpretation begeht den Fehler, einen zu starken Akzent auf sehr kleine Details zu legen, kaum darauf bedacht, sie mit dem restlichen Kontext in Einklang zu bringen. Ihre Verabsolutierung geschieht auf Kosten einer organischen Gesamtbetrachtung und dank einiger Auslassungen. Liest man langsam und sorgfältig, entdeckt man sehr bald, wo die hermeneutische Inkonsistenz liegt: Nigrinus wird eigentlich nicht mit einem tollwütigen Hund verglichen, noch die Philosophie mit einer Seuche – außer lediglich secundum litteram. Diese Betonung des Wörtlichen im Vergleich ist eine abstrakte Rekodierung des Interpreten, nicht die Intention des Autors. Zwar stimmt es, dass Heilung bei Nigrinus zu _____________ 52 BALTES (1993), 371. 53 Vgl. ANDERSON (1978), 372 Anm. 18: «The comparison of Nigrinus’ speech to the bite of a mad dog might seem uncomplimentary (cf. Herm. 86)»; CLAY (1992), 3245.

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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suchen ist und dass die Weitergabe des philosophischen Lebens mit der Weitergabe des Wahnsinns (in der Form der Tollwut) verglichen wird, und in der Tat bleibt es völlig im Unklaren, was genau die erwünschte Heilung ist, d. h. was Lukian und der ἑταῖρος bei Nigrinus zu finden hoffen (diese Unklarheit ist eigentlich die Wurzel des Problems). Aber ich kann im Text keinen Hinweis darauf entdecken, dass diese nicht näher definierte Heilung in einer Distanzierung von oder sogar in einer Vernichtung der Philosophie des „Meisters“ bestehen sollte, wie DÖRRIE und BALTES möchten. Wenn Lukian die Wahrnehmung des Lesers wirklich in diese Richtung hätte lenken wollen, warum hat er denn das Wort ἐρᾶν, an sich gar nicht negativ, verwendet?54 Oder, um in der Metapher zu bleiben und es positiv auszudrücken: Den tollwütigen Hund, der uns gebissen und infiziert hat, zu töten, nützt uns, was den Heilungsprozess angeht, gar nichts. Der Vergleich mit der Tollwut soll vielmehr die ungewöhnliche Stärke und Geschwindigkeit bildlich veranschaulichen und hervorheben: Die intrinsische Kraft der „philosophischen Offenbarung“ ist so groß, dass sie sich unheimlich leicht und gewaltig überträgt. Nicht die Gefährlichkeit oder die Negativität, sondern die Kraft soll durch diese Metapher evoziert werden. Außerdem scheint mir die grundsätzliche inhaltliche Kontinuität (oder zumindest die starke Ähnlichkeit) zwischen dem metaphorischen Feld der Tollwut im Schlussteil und dem vorhergehenden der Bogenverletzung (§§ 36-37) kaum zweifelhaft, wie auch die Wiederaufnahme durch τέτρωμαι zeigt: Auf ganz natürliche Art und Weise fährt der Freund in seiner Schlusserwiderung auf der gleichen Linie wie Lukian fort und wählt eine verwandte Metapher. Doch selbst wenn man dem abschließenden Hinweis auf den Telephos-Mythos55 eine große Bedeutung beimessen und ihn als Grundlage für unser Verständnis der Stelle nehmen möchte, ließe sich trotzdem die durch DÖRRIE und BALTES verfochtene Deutung nicht besser begründen, aus dem einfachen Grund, dass der Teil des Mythos, in dem die Heilung statt findet, überhaupt keinen Konflikt enthält. Im Gegenteil, die Begegnung mit Achill erweist sich für alle als sehr lohnend: Telephos wird geheilt und die Griechen erfahren den Weg nach Troia. _____________ 54 Nigr. 38: Οὐκοῦν καὶ αὐτὸς ἡμῖν ἐρᾶν ὁμολογεῖς; – die Konjekturen von HARMON (μανίαν) und MACLEOD (ἑλλεβοριᾶν) für das überlieferte ἐρᾶν sind überflüssig. Der Text ist klar und sinnvoll. 55 Vgl. dazu neulich PREISER (2000), 41ff. – Vgl. contra z. B. GALLAVOTTI (1932), 55f.: «[Lukian] propone il rimedio di Telefo, cioè farsi ancora colpire dalla medesima lancia. Il che significa evidentemente ritornare ad ascoltar Nigrino, cioè diventare filosofi e darsi alla pratica delle virtù morali», und die Anm. 1, ebd.: «Per comprendere bene questo rimedio della famosa lancia, si ricordi l’uso di questo motivo nei dugentisti rimatori italiani, che fanno il contronto di questa lancia portentosa di Peleo con il bacio della donna amata».

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

Aber der stärkste Hinweis darauf, dass Lukian keinen negativen Doppelsinn unter der Oberfläche des Wortlauts von Nigr. 38 verbergen wollte, ist zu guter Letzt die platonische Herkunft nicht nur der Tollwut-Metapher selbst, sondern auch der ganzen Situation (die plötzliche Übertragung einer Begeisterung nach einem Vortrag). Wie bereits TACKABERRY zeigte, hat Lukian hier offenkundig Stellen wie Phaedr. 234 d56, Gorg. 447 b57 und vor allem Symp. 217 e58 im Kopf – und höchstwahrscheinlich ist es auch genau seine Absicht, auf stilistisch sehr konsequente Weise auch dem abschließenden Wortwechsel eine Färbung platonischer Manier zu verleihen, genau so wie er dies bereits seit Beginn des Werkes fortwährend getan hatte.59 ANDERSON hat schließlich auch darauf hingewiesen, dass diese Metapher an anderen Stellen des lukianischen Gesamtwerkes durchaus auch eine positive Verwendung findet.60 _____________ 56 Pl., Phaedr. 234 d 1-6: Δαιμονίως μὲν οὖν, ὦ ἑταῖρε, ὥστε με ἐκπλαγῆναι. καὶ τοῦτο ἐγὼ ἔπαθον διὰ σέ, ὦ Φαῖδρε, πρὸς σὲ ἀποβλέπων, ὅτι ἐμοὶ ἐδόκεις γάνυσθαι ὑπὸ τοῦ λόγου μεταξὺ ἀναγιγνώσκων· ἡγούμενος γὰρ σὲ μᾶλλον ἢ ἐμὲ ἐπαΐειν περὶ τῶν τοιούτων σοὶ εἱπόμην, καὶ ἑπόμενος συνεβάκχευσα μετὰ σοῦ τῆς θείας κεφαλῆς. 57 Pl., Gorg. 447 b 1-3: Οὐδὲν πρᾶγμα, ὦ Σώκρατες· ἐγὼ γὰρ καὶ ἰάσομαι. φίλος γάρ μοι Γοργίας, ὥστ᾿ ἐπιδείξεται ἡμῖν, εἰ μὲν δοκεῖ, νῦν, ἐὰν δὲ βούλῃ, εἰς αὖθις. 58 Pl., Symp. 217 e 6-218 a 5: ἔτι δὲ τὸ τοῦ δηχθέντος ὑπὸ τοῦ ἔχεως πάθος κἄμ᾿ ἔχει. φασὶ γάρ πού τινα τοῦτο παθόντα οὐκ ἐθέλειν λέγειν οἷον ἦν πλὴν τοῖς δεδηγμένοις, ὡς μόνοις γνωσομένοις τε καὶ συγγνωσομένοις εἰ πᾶν ἐτόλμα δρᾶν τε καὶ λέγειν ὑπὸ τῆς ὀδύνης. ἐγὼ οὖν δεδηγμένος τε ὑπὸ ἀλγεινοτέρου καὶ τὸ ἀλγεινότατον ὧν ἄν τις δηχθείη — τὴν καρδίαν γὰρ ἢ ψυχὴν ἢ ὅτι δεῖ αὐτὸ ὀνομάσαι πληγείς τε καὶ δηχθεὶς ὑπὸ τῶν ἐν φιλοσοφίᾳ λόγων, οἳ ἔχονται ἐχίδνης ἀγριώτερον […]. – Zu bemerken ist im Übrigen, dass diese Metapher keine Erfindung Platons ist, sondern auch bei anderen Autoren vorkommt: vgl. die Stellen bei CLASSEN (1959), 27 Anm. 6. 59 Einzelheiten und Übersicht bei TACKABERRY (1930), 67 mit Anm. 427-429; HOUSEHOLDER (1941), 36; ANDERSON (1978), 372: «Platonic reminiscences are more thickly concentrated here than anywhere else in his work; while the whole ensemble, with its apparently serious central reported speech, is an attempt to reproduce something of the Menexenus». PUTNAM (1909) war die erste, die diese Ähnlichkeit mit dem platonischen Menexenus für die Interpretation des Nigrinus fruchtbar zu machen versuchte. 60 Vgl. ANDERSON (1978), 372 Anm. 18: «The comparison of Nigrinus’ speech to the bite of a mad dog might seem uncomplimentary (cf. Herm. 86), but the author of De saltatione uses it as a compliment, and Lucian compares the effect of his audience at Dips. 9 to the bite of a poisonous snake». – Erwähnenswert aus der jüngsten Forschung ist zuletzt auch der Aufsatz von SCHRÖDER (2000). Ihr (auf ANDERSONS [1978] Analysen fußender) unmittelbarer Rückschluss von Nigrinus’ moralischen Ansichten auf Lukians eigene Position (436: «Eine Betrachtung dessen, was der Bekehrte von Nigrinos und seinen Lehren bzw. Ansichten berichtet, und ein Vergleich mit den Themen, die sich durch Lukians Werk ziehen, zeigt, daß sich Nigrinos’ Aussagen nicht von denen des Autors bzw. Redners Lukian unterscheiden»), der in letzter Konsequenz zu einer Identifizierung der beiden führt (437: «Nigrinos wäre dann nicht das

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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2.7. Das Problem des Namens Gegen die angeblich von Lukian beabsichtigte Assoziation des Namens „Nigrinos“ mit niger, also mit dem Bereich der „Dünkelhaftigkeit“,61 ist einzuwenden, dass bei einer solchen Rom-Kritik, wie man sie in diesem Werk findet, römische Leser nicht primär in Frage zu kommen scheinen, wobei also in Bezug auf ein griechisches Publikum dieser pun m. E. erheblich an Wirkung verliert;62 und des weiteren auch, dass im Text kein weiterer Hinweis auf dieses Wortspiel (bzw. Namenswechsel) zu finden ist. Vor allem bleibt jedoch die Frage unbeantwortet, warum oder in welchem Sinne ein auf Grund seiner Weisheit so „glänzender“ Philosoph (dessen „Höhe“ im Übrigen explizit hervorgehoben wird: σφόδρα που μετέωρος) „schwarz“ oder „dunkel“, sozusagen ein „Mr. Black“63 sein sollte – zumal wir ja wissen, dass Lukian gegebenenfalls vor direkteren Formen von Kritik ad personam durchaus nicht zurückscheute.64 2.8. Schluss Bei dem Versuch einer interpretatorischen Bilanz gilt es vor allem sowohl kontrafaktische Aussagen65 als auch drastische Vereinfachungen66 sowie _____________

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Pseudonym für Albinos, sondern – mit einem analogen Wortspiel – eine weitere Rolle des Lukian wie z. B. die Rolle des Lykinos in anderen Stücken: Die Figur Nigrinos…sehe ich als Spiegelbild eines Redners – Lukian –, der in seiner Eigenschaft als Redner häufig moralphilosophische Themen vorbringt, z. T. unter der Maske des Komischen versteckt»), scheint mir allerdings sehr bedenklich qua etwas mechanisch. Darauf insistiert z. B. BALTES (1993), 368 Anm. 1, 370f.; vgl. auch TARRANT (1985), 90f. Pace ANDERSON (1978), 374. Richtiger CLAY (1992), 3423: «Many of the scenes of trumpery of Rome are such as would strike a Greek: the nomenclator, the captatores, the banquets and baths, but they are no more the striking for that». BALDWIN (1973), 29; MACLEOD (1994), 1390; CLAY (1992), 3420 («Professor Max Black for Professor Whitehead»); SCHRÖDER (2000), 434. TARRANT (1985), 92: «Though Nigrinus is not depicted as a despicable fellow by any means (Lucian had a special formula for dealing with these)…»; ANDERSON (1978), 368f.: «But Lucian has much more convincing ways of expressing himself on either subject: if he wants to show that he has been duped by a philosopher, he can write the kind of speech which is clearly ἐσχηματισμένος, like Hetoimocles’ letter in Convivium 22-27 or the false rhetor’s speech at Rhetorum Praeceptor 12-25; Nigrinus’ monologue…is quite unlike either»; Ein weiterer Einwand von HALL ([1981], 163): Warum ein Pseudonym verwenden, wenn man einen Menschen zu loben beabsichtigt? Z. B. ROBINSON (1979), 53: «But the real problem is that the ‘philosophy’ of Nigrinus, as reported to us, not only contains nothing to justify the recipient’s ecstasy, but is not philosophy at all». – Aber wenn das Lukians Meinung – in welcher Form auch

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II. Das platonische Gottesbild bei Lukian

einen gewissen „Pessimismus“67 zu vermeiden. Man muss sich möglichst nah an die rein textuellen Fakten halten und diesen den Vorrang geben, um sich somit vor ungebührender Überschätzung sekundärer Elemente zu schützen. – Wir wollen daher die Fakten klar konstatieren. Grundsätzlich sind sie die folgenden: (1.) das Lob Athens, (2.) der Tadel Roms und (3.) die „Konversion“. Ihr Zusammenhang scheint mir ziemlich evident, denn (1.) und (2.) bedingen sich gegenseitig bzw. man könnte auch sagen, dass (2.) einfach die Folge von (1.) ist. Was die „Konversion“ angeht, also (3.), muss man sich meiner Meinung nach fragen: Wozu genau „konvertiert“ Lukian? Etwa zur Philosophie an sich? Nein, natürlich zur Philosophie des Nigrinus, nämlich – im Negativen – zu (2.) und – im Positiven, was viel mehr ist – zu (1.).68 Wenn nun das, was oben dargelegt worden ist, nicht völlig abwegig und verfehlt ist, so kann man daraus etwa Folgendes schließen: Der Nigrinus ist eigentlich nicht der Bericht einer Begegnung mit einer hervorragenden Philosophenfigur, die zu einem radikalen Wandel in Lukians Leben und Persönlichkeit geführt hat, sondern das lukianische „Lob Athens“. Wie hätte eine Stadt wie Athen besser gepriesen werden können als durch die Verherrlichung ihrer Rolle als Wiege der Kultur und Mutter der Geistesfeinheit? Und welche Form dieser Kultur hatte in Athen mehr geblüht und Exzellenz erreicht als die Philosophie? Und wer waren die besten und bekanntesten Philosophen, wenn nicht Sokrates und Platon? Auf all dies musste man sich also in einer solchen Lobpreisung beziehen.69 _____________

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immer – war, d. h. wenn er eine solche Vorstellung von Philosophie hatte und sich dafür anscheinend irgendwie begeistern konnte, ist es im Prinzip methodisch korrekt, sie ihm einfach zu lassen. Z. B. ANDERSON (1978), 373: «The work at its face value does suit what Lucian tells us about Nigrinus: that he sent it as a compliment to an (otherwise unknown) Platonic philosopher of that name – in an effort presumably to display as much of his repertoire as he could, including a superficial command of Plato». – Aber dies bedeutet so viel wie alles, was uns Lukian erzählt, für bare Münze zu nehmen. Ähnlich TARRANT (1985), 93: «…but if he had meant to praise him, then he would have put something rather subtle into his mouth than stock diatribe-material». TARRANT (1985), 94: «Lucian may never have been based in Rome; ‘Nigrinus’ may never have been there; Rome is just a symbol. Nothing may be told about Lucian’s life from this work». Andere dagegen sehen diesen Zusammenhang nicht: CLAY (1992), 3423: «What is striking about the ‘Nigrinus’ is not in fact the philosophy of Nigrinus; it is the enthusiasm of the Convert», oder TARRANT (1985), 93: «The praise of Athens is frankly so absurd and so escapist (14), that the attentive reader will not take seriously the commonplace criticism of Rome which accompanies it». In diese Richtung, allerdings nur sehr allgemein bleibend, bereits PUTNAM (1909), 175f.: «The main argument is…conventional; it is a compliment to Athens in the form of antithesis, a sophistic mechanism […] for the purpose of ingratiating himself

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2. Die Bedeutung des Nigrinus für die lukianische Weltanschauung

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Wenn wirklich ein persönliches Element im Nigrinus enthalten ist – man betritt jedoch natürlich mit dieser Fragestellung den äußerst unsicheren Bereich des Psychologischen –, d. h. ein Aspekt, der den Menschen Lukian direkt betrifft, so ist dies höchst wahrscheinlich nicht in seiner „Bekehrung“ zur Philosophie durch Nigrinus zu sehen, sondern es verbirgt sich vielmehr im „Gefühl“ der Dankbarkeit und der Bewunderung für eine Stadt, die als Symbol galt und schlechthin stellvertretend für die griechische Kultur in ihrer reinsten und besten Form stand. Auf Grund des einzigartigen Prestiges dieses Kulturzentrums sind vielleicht die Erfolge, die Lukian dort gefeiert hat, für ihn die kostbarsten und teuersten gewesen und dort hat er sich vielleicht deswegen auch außerordentlich „wohl“ fühlen müssen, will sagen: nicht nur und nicht so sehr als ein arrivierter Rhetor, sondern vielmehr als ein echter Grieche.70

_____________ with an Athenian audience[zu einfach!]»; SMITH (1897), 340f.: «… while De Mercede Conductis war written in a realistic spirit, with the author’s eye on the object, the Nigrinus was composed on a palpably sophistic plan with argumentation that will not bear scrutiny. The comparison of Athens and Rome is manifestly ad captandum. […] I conceive that Lucian, having occasion to address an Athenian audience, determined on two points: that he would give them a sort of Panathenaic oration, and that he would do it in the Platonic manner, of which he had made a special study. In pursuit of inspiration for the first point he read Pericles’ funeral oration in Thucydides and Plato’s Menexenus». – Dass Lukians Absicht darin bestanden habe, «a sort of Panathenaic oration» zu halten, scheint mir jedoch kaum wahrscheinlich. Vgl. auch die treffliche, wenngleich schematische Zusammenfassung von MACLEOD (1994), 1390: «The two basic features of ‘Nigrinus’ are an encomium of Athens and a Cynic psogos of riches and its attendant vices; Rome is not attacked qua Rome but as the symbol par excellence of la dolce vita». 70 Vgl. Pisc. 19-20: ΦΙΛΟΣΟΦΙΑ. …ἀλλὰ εἰπέ μοι σύ, τί σοι τοὔνομα; ΠΑΡΡΗΣΙΑΔΗΣ. Ἐμοί; Παρρησιάδης Ἀληθίωνος τοῦ Ἐλεγξικλέους. ΦΙ. Πατρὶς δέ; ΠΑ. Σύρος, ὦ Φιλοσοφία, τῶν Ἐπευφρατιδίων. ἀλλὰ τί τοῦτο; καὶ γὰρ τούτων τινὰς οἶδα τῶν ἀντιδίκων μου οὐχ ἧττον ἐμοῦ βαρβάρους τὸ γένος· ὁ τρόπος δὲ καὶ ἡ παιδεία οὐ κατὰ Σολέας ἢ Κυπρίους ἢ Βαβυλωνίους ἢ Σταγειρίτας. καί τοι πρός γε σὲ οὐδὲν ἂν ἔλαττον γένοιτο οὐδ᾿ εἰ τὴν φωνὴν βάρβαρος εἴη τις, εἴπερ ἡ γνώμη ὀρθὴ καὶ δικαία φαίνοιτο οὖσα. ΦΙ. Εὖ λέγεις· ἄλλως γοῦν ἠρόμην. – Vgl. als Kontrastfolie Aristid., Rom. enc. 41 und SCHMID/STÄHLIN (1924), 713.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian 1. Einleitung Will man die Haltung Lukians gegenüber dem spezifischen Aspekt der Theologie und des Gottesbildes des Stoizismus ergründen, so darf man zunächst nicht vom Gesamtbild des stoischen Philosophen und der stoischen Philosophie, welches im Werk des Samosatensers anzutreffen ist, absehen. Im lukianischen Corpus stehen nämlich die betreffenden Hinweise nicht isoliert da, so dass sie für sich betrachtet werden könnten, sondern sind jeweils in allumfassende Darstellungen des Systems der Stoiker fest eingebunden, welche vom Autor anscheinend als eine thematische Sequenz konzipiert worden sind. Ganz offensichtlich gehörten die Stoiker zu den Lieblingszielscheiben, gegen welche Lukian seinen Zorn und Spott richtete: Niemand, der über eine auch nur mittelmäßige Kenntnis seines Werkes verfügt, wird daran den geringsten Zweifel hegen.1 Dies ist die grundlegende Tatsache, welche die Basis für jede weitere Diskussion des Themas darstellt. Mit dieser Tatsache konfrontiert, ist die bisherige Forschung im Grunde genommen jeweils zwei verschiedenen Herangehensweisen gefolgt: (i.) Einerseits hat man die einschlägigen Stellen bei Lukian sozusagen als „geschlossenes Ganzes“ betrachtet und sie ausschließlich (oder wenigstens hauptsächlich) im Rahmen der übrigen Produktion dieses Autors verstehen wollen; (ii.) oder aber man hat alternativ versucht, sie vorwiegend in ihrem dialektischen Verhältnis zu anderen zeitgenössischen, inhaltlich verwandten Quellen zu betrachten. Im ersten Fall wird man sich während der Lektüre der betreffenden Beiträge, in denen sich die erste Tendenz widerspiegelt, kaum eines deutlich aufkommenden „klaustrophobischen“ Gefühls erwehren können. Lukians Kritik an den Stoikern erscheint nämlich – betrachtet man alle Stellen nacheinander, sozusagen in Form eines riesigen Querschnitts aus dem Gesamtoeuvre – trotz des bewundernswerten Reichtums an Variationen als im Grunde sehr repetitiv und kaum originell:2 Das Porträt des _____________ 1 2

Zu den Stoikern im lukianischen Werk vgl. POLZER (1879), passim; HELM (1902), 266-78; TACKABERRY (1930), 15-22; CASTER (1937), 12-29; HALL (1981), 168f., 186f. ROBINSON (1979), 50: «…in general nothing could be more clichéd than Lucian’s portrait of the sects».

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

lukianischen Stoikers mit all seinen festen, immer wieder auftretenden Kerneigenschaften lässt sich bequem auf einer halben Seite zusammenfassen. Die Darlegungen von HELM und TACKABERRY bleiben zwar in ihrer Ausführlichkeit und Genauigkeit immer noch maßgeblich und sind auch heute, obwohl es sich um bereits sehr alte Arbeiten handelt, nur schwerlich oder kaum zu ersetzen. Doch liegt das Problem mit diesen Beiträgen darin, dass sich die darin so minutiös geschilderten Aspekte des Stoikerbildes bei Lukian am Ende nicht zu einem kohärenten Gesamtbild zusammenfügen; ihre gegenseitigen Beziehungen sind nicht mehr oder überhaupt nicht erkennbar, genauso wenig wie die „Leitlinien“, d. h. die autorialen Grundideen, die sich im Allgemeinen hinter diesen einzelnen Beschreibungen und Typisierungen verbergen mögen. Andererseits ist diese Beschränkung nur allzu leicht erklärlich: Man ging nämlich von der geistigen „Hohlheit“ des Autors aus; diese Annahme bildete die meist unausgesprochene Prämisse, welche diese Philologen in ihrer Arbeit leitete, dass nämlich hinter der mannigfaltigen Oberfläche der verschiedenen Erscheinungsformen der lukianischen Philosophenfiguren kaum „Substanz“, d. h. nichts weiteres als der sorgfältig nach Schulen und τόποι zu klassifizierende Wortlaut zu finden wäre. – In ebendieser Eigenschaft, die man heute als Einschränkung sehen könnte, liegt aber gleichzeitig auch das Verdienst oder der Erfolg dieser Darstellungsversuche, denn auf diese Weise hat sich keine forcierte Systematisierung in einem Bereich etabliert, in welchem sie ab ovo nie vorhanden gewesen ist. Im Gegensatz dazu ist besonders die englische Philologin J. HALL in ihrer Dissertation Lucian’s Satire (1981) den als zweiten genannten Weg gegangen, ohne jedoch jene zahlreichen Gemeinsamkeiten und Differenzen, welche dieser Quellenvergleich zutage förderte, zu vertiefen, so dass das ganze Potential dieses Ansatzes in ihrer Arbeit nicht völlig zur Geltung kommen konnte. Für sich genommen erweist sich die Methode jedoch als äußerst fruchtbar. Mittels einer erneuten Prüfung des Materials aus den Parallelquellen gelangt man nämlich sehr leicht zu dem Ergebnis, dass eine viel präzisere, sozusagen zweidimensionale Vorstellung dieser von Lukian so beliebten Verspottung am besten durch die Anwendung ebendieser vergleichenden Methode gewonnen werden kann. Lässt man also (metaphorisch gesprochen) die lukianischen Texte zu den Stoikern mit anderen entsprechenden Quellen „reagieren“, dürfte auf diese Weise wohl der ursprüngliche „Geschmack“ dieser Verspottung am ehesten wieder entstehen. In diesem Sinne versteht sich die im Folgenden gewählte Vorgehensweise als eine „verbesserte Variante“ des HALL’schen Ansatzes, denn in Wirklichkeit sind die Bezüge zwischen der lukianischen antistoischen Polemik und den ihr ähnlichen Quellen viel enger und gehen viel tiefer als die recht interessan-

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2. Ambivalenz aus Menipp?

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ten, aber allzu knappen Hinweise, die man bei HALL liest, vermuten ließen. Wie es im Abschnitt zum Platonismus bereits geschehen ist, werden auch im Folgenden nur exemplarische Momente aus der lukianischen Polemik gegen die Stoiker eingehend analysiert, denn gute Übersichten sowie ausführliche Sammlungen zu diesem Thema sind – wie gesagt – bereits vorhanden und noch sehr brauchbar; sie ersetzen zu wollen ist sinnlos, besonders bei einer so spezifischen Fragestellung wie der hier erörterten.3

2. Ambivalenz aus Menipp? Der Diskussion möchte ich folgende Beobachtung voranschicken. Auch im Falle der Stoiker (dies gilt aber für die lukianischen Philosophen im Allgemeinen) läuft man ständig Gefahr, in der grundsätzlichen Schwierigkeit der Beurteilung der Ernsthaftigkeit Lukians, wenn er sie porträtiert oder kritisiert, verfangen zu bleiben. Diese Schwierigkeit mag jedoch ihren letzten Ursprung nicht bei Lukian selbst, sondern bereits bei Menipp haben. Der Charakter von Menipps Schriften4 veranlasste die antiken Leser, die sie noch in vollständiger Form lasen, zu geradezu entgegengesetzten Urteilen.5 Die Position des Diogenes Laertios z. B., des einzigen Autors aus der ganzen Antike, der eine verhältnismäßig lange Skizze dieser Figur hinterlassen hat,6 ist eindeutig: Er hielt Menipp für einen oberflächlichen Possenreißer, für welchen die Belustigung ein Zweck an sich war: φέρει μὲν οὖν σπουδαῖον οὐδέν· τὰ δὲ βιβλία αὐτοῦ πολλοῦ καταγέλωτος γέμει.7 Seine Darstellung ist von einer spürbaren Feindseligkeit oder wenigstens Abneigung gekennzeichnet; so wenig Achtung hat Diogenes für ihn übrig, dass er sich sogar die Mühe macht, ein eigenes gegen Menipp gerichtetes Spottepigramm (καὶ ἡμεῖς ἐπαίξαμεν εἰς αὐτόν) in den Text zu integrieren. Andere antike Autoren entdeckten dagegen in seinen Werken genuin philosophische Inhalte (natürlich kynischer Prägung), d. h. ein grundsätzlich ernstes, engagiertes Bestreben, jenseits der spöttischen „Schicht“, die übrigens allem Anschein nach ziemlich „dick aufgetragen“ gewesen sein muss. Stellvertretend für diese Haltung sei nur das keines_____________ 3 4 5 6 7

Dieser Richtung folgte bereits CASTER (1937), 18 (Abschnitt zu Amn. 24 ebd.). Vgl. DÖRING (1998) und ABEL/ERLER (2005). HALL (1981), 78f. D.L., Vit. VI 99-102. D.L., Vit. VI 99.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

wegs vereinzelte Beispiel des Kaisers Mark Aurel angeführt.8 Daraus kann man – scheint mir – mit gutem Grund schließen, dass das, was die ursprüngliche menippeische Produktion kennzeichnete, ihre prononcierte intrinsische Ambivalenz gewesen ist, hervorgerufen durch das Überwiegen des lustig-lächerlichen Elements: Nicht selten ist es sehr schwer zu sagen, wie weit das rein Scherzhafte eines Scherzes geht9 (man könnte sogar sagen, dass das in nuce die Kernproblematik der Ironie und des Humors ist). Wie einige Titel seiner Werke eindeutig zeigen (‘Πρὸς τοὺς φυσικοὺς καὶ μαθηματικοὺς καὶ γραμματικοὺς’ καὶ ‘Γονὰς Ἐπικούρου’ καὶ ‘Τὰς θρησκευομένας ὑπ᾽ αὐτῶν εἰκάδας’)10, kann als sicher gelten, dass Menipp auch gegen die Philosophenschulen polemisiert hat. Trotz der Abwesenheit eines direkten Hinweises wird man mit der Annahme, dass darunter auch die Stoiker kaum gefehlt haben werden (wer könnte sich hinter den μαθηματικοί besser verbergen?), nicht sehr fehlgehen. Durchaus denkbar wäre also, dass diese konsequenzreiche Haupteigenschaft auch im spezifischen Falle der Kritik an den Stoikern im Grunde kein Proprium Lukians gewesen ist, sondern vielmehr ein Erbe seines „Modells“ Menipp war.11

3. Die Stoiker in der Komödie (Überblick) Wie bereits für andere Aspekte des lukianischen Werkes geschehen, so wurde auch hier bezüglich seiner Polemik gegen die Stoiker in der Komödie nach früheren Belegen für die in dieser Polemik vorkommenden _____________ 8 Marc. Aurel., In sem. ips. VI 47: Ἐννόει συνεχῶς παντοίους ἀνθρώπους καὶ παντοίων μὲν ἐπιτηδευμάτων, παντοδαπῶν δὲ ἐθνῶν τεθνεῶτας, ὥστε κατιέναι τοῦτο μέχρι Φιλιστίωνος καὶ Φοίβου καὶ Ὀριγανίωνος. μέτιθι νῦν ἐπὶ τὰ ἄλλα φῦλα· ἐκεῖ δὴ μεταβαλεῖν ἡμᾶς δεῖ ὅπου τοσοῦτοι μὲν δεινοὶ ῥήτορες, τοσοῦτοι δὲ σεμνοὶ φιλόσοφοι, Ἡράκλειτος, Πυθαγόρας, Σωκράτης, τοσοῦτοι δὲ ἥρωες πρότερον, τοσοῦτοι δὲ ὕστερον στρατηγοί, τύραννοι· ἐπὶ τούτοις δὲ Εὔδοξος, Ἵππαρχος, Ἀρχιμήδης, ἄλλαι φύσεις ὀξεῖαι, μεγαλόφρονες, φιλόπονοι, πανοῦργοι, αὐθάδεις, αὐτῆς τῆς ἐπικήρου καὶ ἐφημέρου τῶν ἀνθρώπων ζωῆς χλευασταί, οἷον Μένιππος καὶ ὅσοι τοιοῦτοι (Zitate nach der Ausgabe The Meditations of the Emperor Marcus Aurelius Antoninus. Edited with Translation and Commentary by A.S.L. FARQUHARSON, Vol. 1: Text and Translation, Oxford 1944). 9 Vgl. z. B. Cic., De orat. II 250: «Nullum genus est ioci, quo non ex eodem severa et gravia sumantur. Atque hoc etiam animadvertendum est, non esse omnia ridicula faceta». 10 D. L., Vit. VI 101. 11 Zugegeben: die Nützlichkeit dieser Bemerkung ist – wie immer: Menipp ist schließlich nicht überliefert – eingeschränkt; nichtsdestotrotz darf sie nicht unerwähnt bleiben, weil sie dem Problem selbst auf intrinsische Art und Weise, d. h. von unserem mangelhaften Kenntnisstand gänzlich abgesehen, anhaftet.

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3. Die Stoiker in der Komödie (Überblick)

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Hauptmotive gesucht, die für Lukian möglicherweise die Rolle literarischer Vorbilder gehabt haben können.1 Bereits HELM hat jedoch 1906 feststellen und zugeben müssen, dass der Befund dieser Untersuchungsrichtung – anders als im Falle der restlichen Philosophenschulen – diesmal sehr karg und unbefriedigend war: Direkte Übernahmen lassen sich nicht nachweisen.2 Es lag in der Natur der Sache selbst, dass die Komödie zunächst das, was rein äußerlich besonders auffällig war, berücksichtigen musste; daher die Witze über die ungewöhnlich strenge Enthaltsamkeit, die den Schulgründer Zeno sowie die von ihm unterrichtete Lehre kennzeichneten.3 Bald wurde sie sogar sprichwörtlich.4 Nur ein einziges Fragment (Philemon, fr. 95 K.-A.)5 geht, wie es scheint (Zeus und der Ἀήρ werden in V. 4 gleichgesetzt), auf die pantheistische Gotteslehre der Stoiker ein. Hier wird die Allgegenwärtigkeit des göttlichen Prinzips besonders betont, und daraus auf lustige Art und Weise seine Allwissenheit abgeleitet. Die vielleicht wichtigste Eigenschaft des stoischen Gottes, nämlich seine Materialität, wird jedoch kaum erwähnt. Bemerkenswert ist allerdings vor allem die Tatsache, dass es auch frontale Angriffe gegen die Stoiker auf der komischen Bühne gegeben zu haben scheint, die hinter den lukianischen an Heftigkeit nicht zurückblei_____________ 1

2 3

4 5

Vgl. NESSELRATH (1985), 226ff., 268f., 306, 372, 391, 418, 451 465; WEIHER (1914), 68-74, der sich allerdings in seiner Darstellung auf ein sehr gefährliches Kriterium verlässt (71): «Die Stoiker haben im öffentlichen Leben damals eine so allgemeine Rolle gespielt, daß sie manchmal gar nicht genannt werden, sondern nur irgendeine Andeutung vorgebracht wird, die aber in ihrer Beziehung nicht mißzuverstehen ist». HELM (1906), 382. Philemon, fr. 88 K.-A.: φιλοσοφίαν καινὴν γὰρ οὗτος φιλοσοφεῖ· πεινῆν διδάσκει καὶ μαθητὰς λαμβάνει. εἷς ἄρτος, ὄψον ἰσχάς, ἐπιπιεῖν ὕδωρ. – Vgl. NESSELRATH (1985), 391. Posidippus, fr. 15 K.-A.: ὥστ᾽ ἐν ἡμέραις δέκα εἶναι δοκεῖν Ζήνωνος ἐγκρατέστερον. – Vgl. NESSELRATH (1985), 391. Philemon, fr. 95 K.-A.: ὃν οὐδὲ εἷς λέληθεν οὐδὲ ἓν ποιῶν, οὐδ᾽ αὖ ποιήσων, οὐδὲ πεποιηκὼς πάλαι, οὔτε θεὸς οὔτ᾽ ἄνθρωπος, οὗτός εἰμ᾽ ἐγώ, Ἀήρ, ὃν ἄν τις ὀνομάσειε καὶ Δία. ἐγὼ δ᾽, ὃ θεοῦ ᾽στιν ἔργον, εἰμὶ πανταχοῦ, ἐνταῦθ᾽ ἐν Ἀθήναις, ἐν Πάτραις, ἐν Σικελίᾳ, ἐν ταῖς πόλεσι πάσαισιν, ἐν ταῖς οἰκίαις πάσαις, ἐν ὑμῖν πᾶσιν· οὐκ ἔστιν τόπος, οὗ μή ᾽στιν Ἀήρ· ὁ δὲ παρὼν ἁπανταχοῦ πάντ᾽ ἐξ ἀνάγκης οἶδε πανταχοῦ παρών.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

ben. In einem langen Fragment des Damoxenus z. B. wird ihnen jede Fähigkeit abgesprochen, das, was sie hauptsächlich suchen (nämlich das wahre Gute), zu finden, geschweige denn es anderen beizubringen.6 Das einzige Porträt eines Stoikers in der Komödie findet sich im Fragment 1 K.-A. des Theognetus.7 Hier trifft man einige Charakteristika an, die auch bei Lukian wiederkehren, nämlich die stoische Liebe für verbale Subtilitäten, die als absurd dargestellte Verurteilung des dem σοφία-Götzen geopferten Reichtums sowie schließlich die Büchernarrheit. Wie bei Damoxenus wird auch hier eine starke Feindseligkeit gegenüber diesem Stoiker zum Ausdruck gebracht (vgl. die zwei Schlussverse des Fragments: πεφιλοσόφηκας γῇ τε κοὐρανῷ λαλῶν,/ οἷς οὐδέν ἐστιν ἐπιμελὲς τῶν σῶν λόγων – Anspielung auf die stoische Physik?). Abschließend gilt es nicht zu vergessen, dass bereits in der Komödie der bei Lukian so häufige τόπος der Inkongruenz zwischen Worten und Taten mehrfach kritisch gegen die Philosophen im Allgemeinen(!) ins Feld geführt wird.8 In ähnlicher Weise sind auch die hochgezogenen Augenbrauen als bezeichnendes Merkmal für den Typus des Philosophen bezeugt.9 _____________ 6

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Damoxenus, fr. 2, 64-67 K.-A.: {A.} οἱ δ᾽ ἐν τῇ στοᾷ ζητοῦσι συνεχῶς οἷόν ἐστ᾽ οὐκ εἰδότες. οὐκοῦν ὅ γ᾽ οὐκ ἔχουσιν, ἀγνοοῦσι δέ, οὐδ᾽ ἂν ἑτέρῳ δοίησαν. {Β.} οὕτω συνδοκεῖ. Theognetus, fr. 1 K.-A.: ἄνθρωπ᾽, ἀπολεῖς με· τῶν γὰρ ἐκ τῆς ποικίλης στοᾶς λογαρίων ἀναπεπλησμένος νοσεῖς· ἀλλότριόν ἐσθ᾽ ὁ πλοῦτος ἀνθρώπῳ, πάχνη· σοφία δ᾽ ἴδιον, κρύσταλλος. οὐδεὶς πώποτε ταύτην λαβὼν ἀπώλεσ᾽. ὦ τάλας ἐγώ, οἵῳ μ᾽ ὁ δαίμων φιλοσόφῳ συνῴκισεν. ἐπαρίστερ᾽ ἔμαθες, ὦ πονηρέ, γράμματα· ἀνατέτροφέν σου τὸν βίον τὰ βυβλία. πεφιλοσόφηκας γῇ τε κοὐρανῷ λαλῶν, οἷς οὐδέν ἐστιν ἐπιμελὲς τῶν σῶν λόγων. – Vgl. NESSELRATH (1985), 313. Vgl. Anaxippus, fr. 4 K.-A.: οἴμοι, φιλοσοφεῖς. ἀλλὰ τούς γε φιλοσόφους ἐν τοῖς λόγοις φρονοῦντας εὑρίσκω μόνον, ἐν τοῖσι δ᾽ ἔργοις ὄντας ἀνοήτους ὁρῶ. – Ähnlich Antiphan., fr. 193, 13 K.-A.; Cratin., fr. 326 K.-A.; Men., Ench., fr. 5 K.-A.; vgl. NESSELRATH (1985), 421. Vgl. Bato, fr. 5, 11-19 K.-A.: {Α.} ἑόρακας οὖν φιλόσοφον, εἰπέ μοι, τινὰ μεθύοντ᾽ ἐπὶ τούτοις θ᾽ οἷς λέγεις ζηλούμενον; {Β.} ἅπαντας· οἱ γοῦν τὰς ὀφρῦς ἐπηρκότες καὶ τὸν φρόνιμον ζητοῦντες ἐν τοῖς περιπάτοις καὶ ταῖς διατριβαῖς ὥσπερ ἀποδεδρακότα,

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4. Fugit. 12-21 und D.Mort. 20 (10)

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Aus der näheren Betrachtung dieses so karg überlieferten Materials bekommt man den Eindruck einer evidenten Disproportion zwischen den in diesen Quellen verstreuten „Keimen“ und dem, was bei Lukian zu lesen ist und was mancher ja als die daraus resultierenden „Früchte“ ansehen möchte. Zwar erlaubt das uns zur Verfügung stehende Material den sicheren Schluss zu ziehen, dass topische Kritikpunkte gegen die Stoiker bei den Komikern bereits vorhanden waren, doch bei weitem nicht in dem Ausmaß, nicht mit der Ausdifferenzierung und nicht mit der Virtuosität, die bei Lukian zu finden sind.

4. Fugit. 12-21 und D.Mort. 20 (10) Den besten Einstieg in die Diskussion bietet der Abschnitt Fugit. 12-21. Es handelt sich dabei um eine Anklagerede der personifizierten Philosophie, in der sie die ganze Misere und die ganzen Laster der falschen Philosophen denunziert. Der Grund für diesen Tadel ist ganz offensichtlich (und wird am Ende des Abschnitts abermals bekräftigt): Durch ihr äußerst schlechtes Benehmen ruinieren diese dubiosen und leider sehr zahlreichen (§ 16) Individuen den guten Ruf der philosophischen Disziplin bei den Laien (ἰδιῶται). – Aus mehreren, im Folgenden aufgezählten Gründen ist diese lange Passage von sehr großem Interesse: (1.) Alle negativen Kritikpunkte, die Lukian gegen die Philosophen verwendet, finden sich hier auf unvergleichlich überschaubare Art und Weise versammelt. (2.) Gattungsspezifisch betrachtet ist das Stück ein ψόγος.10 Zwar erwähnt Lukian (§ 15), dass es auch gute Philosophen gibt, doch er ist eindeutig in keiner Weise darum bemüht, diesen Unterschied besonders hervorzuheben. Dies verdeutlicht die hier vom Autor verfolgte Strategie: Die Aussage, welche indirekt durchgesetzt werden muss, ist, dass die vielen schlechten Philosophen in der Tat die Minderwertigkeit der Philosophie tout court verursachen und repräsentieren. So deutet Fugit. 12-21 u. a. die Verbindung der zwei oben erwähnten Aspekte, Negativität der Philosophie und Bosheit der Philosophen an, wie sie sich in Lukians Vorstellung darstellte: der Hermotimos wird auf die Negativität der Philosophie fokussieren und somit den zweiten Teil eines „Programms“ ausführen, welches in nuce bereits in Fugit. enthalten ist. _____________ οὕτως, ἐπὰν γλαυκίσκος αὐτοῖς παρατεθῇ, ἴσασιν οὗ δεῖ πρῶτον ἅψασθαι τόπου καὶ τὴν κεφαλὴν ζητοῦσιν ὥσπερ πράγματος, ὥστ᾽ ἐκπεπλῆχθαι πάντας. – Vgl. NESSELRATH (1985), 372. 10 Zur Gattung vgl. Ps.-Aristid., Ars rhet. I 12, 2, 8; Aphthon., Progymn. 10, 27 RABE.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

(3.) Die Stelle bietet einen ausgezeichneten Einblick in die lukianische Vorgehensweise bei der Behandlung eines Themas, welches für ihn – wie die Häufigkeit seiner Verwendung zeigt – schlichtweg zentral war. Der ψόγος der Philosophen in Fugit. ist nämlich in zwei klar inhaltlich abgegrenzte Teile gegliedert. Auf der einen Seite ist es unmissverständlich klar, dass die Kyniker die Zielscheibe dieser überaus harten Missbilligung sind. Die Anspielung auf den Charakter des niedrigen Volkes, die Erwähnung der kynischen Schulhäupter (§ 16; 20 Ende) und ihrer typischen Merkmale (τριβώνιον, πήρα, ξύλον) sowie schließlich die in § 16 entwickelte „Hunde-Metaphorik“11 deuten ganz gezielt darauf hin. In § 18-20 fließt jedoch plötzlich eine neue „Strömung“ in den Fluss von Vorwürfen ein, welche nicht mehr die Kyniker betrifft; die Richtung ändert sich spürbar, und es werden auf einmal Anschuldigungen vorgebracht, die sich in ihrer eher unspezifischen Formulierung für Pseudophilosophen im Allgemeinen, d. h. von ihrer Schulzugehörigkeit ganz abgesehen, ohne weiteres eignen (würden). Mehr noch: Der Lukian-Leser erkennt in ihnen sofort die typischen gegen die Stoiker erhobenen Anklagen. Gleichzeitig lassen sich aber einige dieser Vorwürfe tatsächlich auch für die Kyniker andernorts im Werk des Samosatensers belegen. In Bezug auf Stichworte wie ἡδονή und χολή denke man etwa an das Benehmen des Kynikers Alkidamas im Symposion. Umgekehrt lässt sich jedoch auch sagen, dass Vorwürfe, die gelegentlich gegen die Kyniker gerichtet sind (z. B. die λοιδορία, Fugit. 15), bei Lukian an anderen Stellen seines Werkes ebenfalls gegen die Stoiker geltend gemacht werden: Man rufe sich nur den Timokles im JTr. in Erinnerung, der seinen epikureischen Gegner anzuschreien und ihn zu beschimpfen anfängt, sobald ihm die Argumente ausgehen.12 (Zur Interpretation dieses Sachverhalts vgl. unten den Abschnitt zu D.Mort. 20 [10].) (4.) Hieran schließt sich sehr eng eine weitere Beobachtung an. Die negativen Eigenschaften folgen in der ganzen Passage in sehr dicht gedrängtem Rhythmus nahtlos aufeinander, so dass ein wichtiger Aspekt dabei leicht übersehen werden kann. Es ist nämlich zu notieren, dass in dieser langen Darstellung der verdorbenen Philosophen die eigentlichen Lehrmeinungen so gut wie überhaupt keine Rolle spielen: darunter auch die (philosophische) „Theologie“. Dies ist natürlich in Einklang sowohl mit der Gattung des ψόγος als auch und vor allem mit der Ansicht, dass die _____________ 11 Fugit. 16: Τοιγαροῦν ἐμπέπλησται πᾶσα πόλις τῆς τοιαύτης ῥᾳδιουργίας, καὶ μάλιστα τῶν Διογένη καὶ Ἀντισθένη καὶ Κράτητα ἐπιγραφομένων καὶ ὑπὸ τῷ κυνὶ ταττομένων, οἳ τὸ μὲν χρήσιμον ὁπόσον ἔνεστι τῇ φύσει τῶν κυνῶν, οἷον τὸ φυλακτικὸν ἢ οἰκουρικὸν ἢ φιλοδέσποτον ἢ μνημονικόν, οὐδαμῶς ἐζηλώκασιν, ὑλακὴν δὲ καὶ λιχνείαν καὶ ἁρπαγὴν καὶ ἀφροδίσια συχνὰ καὶ κολακείαν καὶ τὸ σαίνειν τὸν διδόντα καὶ περὶ τραπέζας ἔχειν, ταῦτα ἀκριβῶς ἐκπεπονήκασιν. 12 Vgl. z. B. JTr. 52.

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4. Fugit. 12-21 und D.Mort. 20 (10)

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falschen Philosophen als solche keine Fachkenntnisse vorweisen könn(t)en, weil sie solche ja a priori nicht haben (Lukian ist in dieser Hinsicht sehr konsequent und bezichtigt sie u. a. der ἀμαθία). Die oft explizit ausgedrückte „Leitidee“ ist, dass das ganze schändliche Tun und Treiben dieser Menschen nur ein kolossaler Bluff ist, und es besteht kein Zweifel darüber, dass Lukian absichtlich ein schwarzweißes Bild zeichnet (die Pseudophilosophen sind nur böse, das Recht liegt auf der anderen Seite, jener der „Guten“). Die Zeitgenossen werden Lukian für seine geschickte Art, ebendieses „Konzentrat von Negativität“ zu entfalten, bewundert und diese rhetorische Fähigkeit genossen haben. Aber – und das ist der Punkt – Lukian bedient sich der gleichen Begriffe, Muster und Anklageformen auch dann, wenn er eine ernsthafte Polemik zu beabsichtigen scheint. (5.) Per se impliziert ja die ψόγος-Gattung notwendigerweise eine (kalkulierte) Übertreibung, welche auch in den Fugitivi nicht fehlt.13 Aber sehr würde sich derjenige irren, der von dieser Eigenschaft auf den rein literarischen, d. h. der damaligen Realität ganz entrückten Charakter des Abschnittes schließen möchte. Entscheidende Hilfe für die Rekonstruktion des ursprünglichen Tenors der Fugitivi-Passage bietet D.Mort. 20 (10). Um hier dem kleinen, zerbrechlichen Boot des Charon die Überfahrt zu ermöglichen, müssen sich die toten Passagiere, bevor sie in den Kahn einsteigen, von all dem Schweren entledigen, welches sie bei sich tragen. Dies sind aber nichts anderes als ihre eigenen Laster. Eine ganze Reihe berühmter Persönlichkeiten, jeweils stellvertretend für eine bestimmte Menschengruppe (Tyrannen, Athleten, Soldaten, Reiche, Rhetoren), lässt Lukian vor den gnadenlosen Augen von Hermes, Charon und ihrem Gehilfen Menipp Revue passieren. Eine lange Szene, wohl die längste in diesem nicht kurzen Dialog, ist einem Philosophen gewidmet. Dieser wird weder namentlich angeführt (im Unterschied zu den Vertretern der anderen Kategorien) noch irgendwie (z. B. bezüglich seiner Schulrichtung) _____________ 13 Vgl. etwa Fugit. 17 Ende: ταῦτα ὁ ἐπὶ Κρόνου βίος δοκεῖ αὐτοῖς καὶ ἀτεχνῶς τὸ μέλι αὐτὸ ἐς τὰ στόματα ἐσρεῖν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ, 19: ἀληθεύειν τοὺς ἄλλους προτρέποντες, οὐκ ἂν οὐδὲ κινῆσαι τὴν γλῶτταν μὴ μετὰ τοῦ καὶ ψεύσασθαι δύναιντο, und 20: Μὴ σύ γε κεῖθι τύχοις, ὅτε ὁ μιαρὸς ἐκεῖνος ἐκχεῖται βόρβορος, „Χρυσίον μὲν ἢ ἀργύριον, Ἡράκλεις, οὐδὲ κεκτῆσθαι ἀξιῶ· ὀβολὸς ἱκανός, ὡς θέρμους πριαίμην· ποτὸν γὰρ ἢ κρήνη ἢ ποταμὸς παρέξει.“ καὶ μετ᾽ ὀλίγον αἰτοῦσιν οὐκ ὀβολοὺς οὐδὲ δραχμὰς ὀλίγας, ἀλλὰ πλούτους ὅλους, ὥστε τίς ἔμπορος τοσοῦτον ἀπὸ τοῦ φόρτου ἐμπολήσειεν ἂν ὅσον τούτοις φιλοσοφία ἐς χρηματισμὸν συντελεῖ; εἶτ᾽ ἐπειδὰν ἱκανῶς συλλέξωνται καὶ ἐπισιτίσωνται, ἀπορρίψαντες ἐκεῖνο τὸ δύστηνον τριβώνιον ἀγροὺς ἐνίοτε καὶ ἐσθῆτας τῶν μαλθακῶν ἐπρίαντο καὶ παῖδας κομήτας καὶ συνοικίας ὅλας, μακρὰ χαίρειν φράσαντες τῇ πήρᾳ τῇ Κράτητος καὶ τῷ τρίβωνι τῷ Ἀντισθένους καὶ τῷ πίθῳ τῷ Διογένους.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

näher identifiziert, vielmehr ist klar, dass es Lukians Absicht ist, diese Figur als Repräsentant der ganzen Kategorie der Philosophen darzustellen: Er ist nur φιλόσοφός τις. Ebenfalls klar ist aber auch die hier angestrebte Gleichsetzung »Philosoph = Pseudophilosoph«, welche bereits die erste, „identifizierende“ Zeile programmatisch ankündigt und die im weiteren Verlauf der Szene ausgeführt wird. Wir finden hier die gleichen negativen Eigenschaften wie in der Szene aus den Fugitivi wieder, bloß auf viel engerem Raum und in kleinerem Format, was sie umso sichtbarer macht. Im Falle von D.Mort. 20 lässt sich jedoch ein Unterschied in der Gewichtung feststellen: Eine unter jenen Eigenschaften wird als die wichtigste (d. h. die schlimmste) bezeichnet, nämlich die κολακεία. Außerdem ergreift Lukian hier die Gelegenheit, um die üblichen äußerlichen Merkmale des Philosophen (überlanger Bart, riesige und natürlich immer hochgezogene Augenbrauen) als Material für den Aufbau einer lustig-boshaften „Beschneidungsszene“ zu verwenden (20, 9). Ein weiterer Unterschied zu den Fugitivi ist, dass der Samosatenser auf ähnliche Weise einen (an sich sehr allgemeinen) Punkt der philosophischen Lehre, nämlich die Unsterblichkeit der Seele, dazu nützt, um durch diesen Verweis eine abschließende Pointe gegen den Philosophen zu erzielen und dadurch die Reihe der typischen τόποι, nach den Ausschweifungen und der Geldgier, zu vervollständigen (20, 11 Ende). Wie in den Fugitivi, so ist auch hier die Gestaltung der Charaktere sehr stark polarisiert: Dem bösen Philosophen, einem wahrhaftigen Sammelbecken jeden Lasters, wird die durch und durch positive Figur des edelmütigen Menipp gegenübergestellt (20, 9 Ende). Diese Unterschiede sind gewiss nicht unbedeutend, insofern sie die lukianische Kompositionstechnik konkret am Werk zeigen: Obwohl die „Bausteine“ der Beschreibung im Grunde die gleichen sind, vermeidet Lukian ganz strikt jede platte Wiederholung und bemüht sich, neue Möglichkeiten der Rekombination jenes Materials zu erfinden. Dieser Aspekt darf jedoch den anderen nicht zu sehr in den Schatten stellen, denn es ist genauso bedeutsam, dass die dichte Aneinanderreihung der negativen Eigenschaften des Philosophen, welche in § 8 in rein „atomarer Form“, d. h. ganz schlicht und ohne jegliche Entwicklung vorgeführt werden, auf exakt dem gleichen Grundmaterial aufbaut, das Lukian in Fugit. 12ff. in viel ausführlicherer Art und Weise gestaltet hat. Mit anderen Worten: So sehr unterschiedlich und variiert die rhetorische Ausarbeitung sein mag, ist es doch evident und in höchstem Maße auffällig, dass diese Grundideen oder Grundbausteine – man möchte fast sagen „Stichworte“ – hier wie dort genau die gleichen sind. Ich kann mir keinen Grund vorstellen, der daran zweifeln ließe, dass ein antiker Leser, der beide Stellen kannte, diese offen liegende Identität übersehen konnte.

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4. Fugit. 12-21 und D.Mort. 20 (10)

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Näher und genauer lässt sich die Natur dieses Sachverhalts erfassen, wenn man zwei weitere Texte zum ergänzenden Vergleich heranzieht. In D.Meretr. 10 wird die problematische Lage geschildert, in der sich die Hetäre Drosis befindet.14 Nachdem ihr junger Liebhaber Kleinias auf Wunsch seines Vaters Architeles der pädagogischen Aufsicht des Philosophen Aristainetos unterstellt wurde, ist das Liebesverhältnis zwischen den beiden zu einem abrupten Ende gekommen. Wie der heimlich durch den Diener Dromon überreichte Abschiedsbrief des Kleinias erklärt, hat nämlich der neue strenge Lehrer den Jungen sofort gezwungen, ihm alles zu beichten, und ihn anschließend überredet, den Kontakt mit der Dirne ganz abzubrechen. Dieser Aristainetos (der im Übrigen die üblichen Merkmale seiner Berufsgruppe trägt) ist eindeutig als ein Stoiker charakterisiert,15 und entsprechend klingen sowohl das Argument, das er gegen die Liaison mit der Hetäre vorbringt (die Tugend sei bei weitem dem sinnlichen Genuss vorzuziehen)16, als auch das Lebensmodell, an welches er seinen Schützling zu binden versucht (durch starke Kasteiung werde man tugendhaft und somit auch glücklich)17. Der Sklave Dromon verrät jedoch die Wahrheit: Hinter diesen anscheinend so edlen Bemühungen um die Bildung des jungen Kleinias und der strengen Rederei von der mühsamen Tugendhaftigkeit verberge sich in Wahrheit eine ganz andere Art von Interesse, nämlich die Vorliebe des Philosophen für hübsche Knaben,18 so dass Lukian die kleine Piece wieder mit dem zusammenfassenden Stichwort der ἀλαζονεία des Stoikers abschließen kann.19 – Auch der Philosoph, der uns in D.Meretr. 10 entgegentritt, weist also die gleichen verdorbenen Züge wie in Fugit. 12ff. und D.Mort. 20 (10) auf (mit gutem _____________ 14 Kommentar z. St. in SIRUGO (1995), 172-5; vgl. auch LEGRAND (1907/08), 213-17. 15 D.Meretr. 10,1: ΔΡΟΣΙΣ. Οὔκ, ἀλλ᾽ ὁ κάκιστα φιλοσόφων ἀπολούμενος Ἀρισταίνετος. ΧΕΛΙΔΟΝΙΟΝ. Τὸν σκυθρωπὸν λέγεις, τὸν δασύν, τὸν βαθυπώγωνα, ὃς εἴωθε μετὰ τῶν μειρακίων περιπατεῖν ἐν τῇ Ποικίλῃ; ΔΡ. Ἐκεῖνόν φημι τὸν ἀλαζόνα, ὃν κάκιστα ἐπίδοιμι ἀπολούμενον, ἑλκόμενον τοῦ πώγωνος ὑπὸ δημίου. 10,2: ΔΡΟΣΙΣ. …ἔπεμψα τὴν Νεβρίδα περισκεψομένην αὐτὸν ἢ ἐν ἀγορᾷ διατρίβοντα ἢ ἐν Ποικίλῃ. 16 D.Meretr. 10, 3: πολὺ γὰρ ἄμεινον εἶναι τὴν ἀρετὴν προτιμᾶν τῆς ἡδονῆς. 17 D.Meretr. 10, 3: εἰ δὲ σωφρονοῖμι καὶ πάντα πεισθείην αὐτῷ, ὑπισχνεῖται πάνυ εὐδαίμονα ἔσεσθαί με καὶ ἐνάρετον καταστήσεσθαι τοῖς πόνοις προγεγυμνασμένον. 18 D.Meretr. 10, 4: ὁ μέντοι Δρόμων ἔφασκε παιδεραστήν τινα εἶναι τὸν Ἀρισταίνετον καὶ ἐπὶ προφάσει τῶν μαθημάτων συνεῖναι τοῖς ὡραιοτάτοις τῶν νέων καὶ ἰδίᾳ λογοποιεῖσθαι πρὸς τὸν Κλεινίαν ὑποσχέσεις τινὰς ὑπισχνούμενον ὡς ἰσόθεον ἀποφανεῖ αὐτόν. ἀλλὰ καὶ ἀναγιγνώσκει μετ᾽ αὐτοῦ ἐρωτικούς τινας λόγους τῶν παλαιῶν φιλοσόφων πρὸς τοὺς μαθητάς, καὶ ὅλος περὶ τὸ μειράκιόν ἐστιν. 19 D.Meretr. 10, 4: ΔΡΟΣΙΣ. Εὖ γε, συστράτευε μόνον, ὦ Χελιδόνιον, κατὰ τοῦ ἀλαζόνος Ἀρισταινέτου.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

Grund fehlt hier natürlich der Zorn; die Geldgier kann man sich leicht hinzudenken). Niemand wird jedoch ernsthaft behaupten wollen, dass es Lukians Absicht war, mit diesem Dialog eine antistoische Polemik zu betreiben: Dafür ist die Prägung des Stücks durch die Modelle der Neuen Komödie einfach zu tief. Ihre Nachahmung und Umwandlung im dialogischen Medium stellt hier – wie auch sonst in den übrigen Hetärengesprächen – ganz offenkundig das primäre Ziel des Autors dar. Das Beispiel von D.Meretr. 10 zeigt also auf sehr klare und eindrucksvolle Art und Weise, wie die lukianische Stoiker-Topik u. U. einem anderen, vom Autor als wichtiger hingestellten Zweck gänzlich unterworfen und angepasst werden konnte. Durch diese rein instrumentale Verwendung verlor sie aber naturgemäß jene ihre intrinsische Bedeutung und Prägung, die ja an anderen Stellen vordergründig und dominant zu sein schienen. In engem Zusammenhang mit dieser gewichtigen Charakteristik fällt die Betrachtung des zweiten Textes: Apuleius, Florida 7.20 _____________ 20 Vgl. HIJMANS (1994), 1734. – In seiner vollständigen Form lautet der Passus folgendermaßen: «Alexandro illi, longe omnium excellentissimo regi, cui ex rebus actis et auctis cognomentum magno inditum est, ne vir unicam gloriam adeptus sine laude umquam nominaretur - nam solus a condito aevo, quantum hominum memoria exstat, inexsuperabili imperio orbis auctus fortuna sua maior fuit successusque eius amplissimos et provocavit ut strenuus et aequiperavit ut meritus et superavit ut melior, solusque sine aemulo clarus, adeo ut nemo eius audeat virtutem vel sperare, fortunam vel optare -, eius igitur Alexandri multa sublimia facinora et praeclara edita fatigaberis admirando vel belli ausa vel domi provisa, quae omnia adgressus est meus Clemens, eruditissimus et suavissimus poetarum, pulcherrimo carmine illustrare; sed cum primis Alexandri illud praeclarum, quod imaginem suam, quo certior posteris proderetur, noluit a multis artificibus vulgo contaminari, sed edixit universo orbi suo, ne quis effigiem regis temere adsimularet aere, colore, caelamine, quin saepe solus eam Polycletus aere duceret, solus Apelles coloribus deliniaret, solus Pyrgoteles caelamine excuderet; praeter hos tris multo nobilissimos in suis artificiis si quis uspiam reperiretur alius sanctissimae imagini regis manus admolitus, haud secus in eum quam in sacrilegum vindicaturum. Eo igitur omnium metu factum, solus Alexander ut ubique imaginum simillimus esset, utique omnibus statuis et tabulis et toreumatis idem vigor acerrimi bellatoris, idem ingenium maximi honoris, eadem forma viridis iuventae, eadem gratia relicinae frontis cerneretur. Quod utinam pari exemplo philosophiae edictum valeret, ne qui imaginem eius temere adsimularet, uti pauci boni artifices, idem probe eruditi omnifariam sapientiae studium contemplarent, neu rudes, sordidi, imperiti pallio tenus philosophos imitarentur et disciplinam regalem tam ad bene dicendum quam ad bene vivendum repertam male dicendo et similiter vivendo contaminarent. Quod utrumque scilicet perfacile est. Quae enim facilior res quam linguae rabies et vilitas morum, altera ex aliorum contemptu, altera ex sui? Nam viliter semet ipsum colere sui contemptus est, barbare alios insectari audientium contumelia est. An non summam contumeliam vobis imponit, qui vos arbitratur maledictis optimi cuiusque gaudere, qui vos existimat mala et vitiosa verba non intellegere aut, si intellegatis, boni consulere? Quis

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4. Fugit. 12-21 und D.Mort. 20 (10)

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Bei diesem Fragment handelt es sich um einen sehr artikulierten Vergleich. Im ersten Teil lobt der Rhetor Alexander den Großen dafür, dass er, nachdem er seine für die Öffentlichkeit bestimmten Porträts von den drei besten Künstlern der Zeit hatte anfertigen lassen, in seiner vorsorgenden Klugheit unter Androhung von Strafmaßnahmen befahl, ausschließlich Kopien von ebendiesen bestimmten Vorbildern in seinem Königreich zu verbreiten. Auf diese Weise sicherte sich der makedonische König die direkte Kontrolle über sein öffentliches Image. Im zweiten Teil (Beginn: «Quod utinam pari exemplo…») wendet Apuleius diesen bewundernswerten Einfall des Alexander auf die zeitgenössische Philosophie an, indem er das Fehlen eines ähnlichen Verbots in diesem Bereich stark bemängelt. Es wimmle heutzutage nur so vor falschen Philosophen – beschwert er sich – und jedem von ihnen stünde es leider frei, ein vollkommen unwürdiges Abbild des Modells, nämlich der Philosophie in ihrer wahrhaftigen Natur, zu propagieren. Von geradezu entscheidender Bedeutung scheint mir nun die Charakterisierung der falschen Philosophen, die dieser zweite Teil des Fragments bietet. Wollte man es vorsichtig formulieren, könnte man sagen, dass sie eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den lukianischen Darstellungen zeigt; in Wahrheit handelt es sich größtenteils um präzise Übereinstimmungen. i. Die Pseudophilosophen, die Apuleius hier angreift, gehören keiner besonderen Schule an. Freilich könnten einige Hinweise auf die Kyniker hindeuten, doch die Beschreibung (bzw. Anschuldigung) bleibt letztlich – zumindest nach diesem relativ kleinen Textfragment zu urteilen – allgemein. ii. Wie Lukian betont auch Apuleius, dass es für diese Schwindler recht einfach ist, die äußere Form der der philosophischen Spekulation gewidmeten Existenz nachzuahmen. …neu rudes, sordidi, imperiti pallio tenus philosophos imitarentur et disciplinam regalem tam ad bene dicendum quam ad bene vivendum repertam male dicendo et similiter vivendo contaminarent. Quod utrumque scilicet perfacile est. Quae enim facilior res quam linguae rabies et vilitas morum, altera ex aliorum contemptu, altera

Fugit. 12: μιαρὸν γάρ τι φῦλον ἀνθρώπων καὶ ὡς τὸ πολὺ δουλικὸν καὶ θητικόν, οὐ ξυγγενόμενον ἡμῖν ἐκ παίδων ὑπ᾽ ἀσχολίας· ἐδούλευεν γὰρ ἢ ἐθήτευεν ἢ ἄλλας τινὰς τέχνας οἵας εἰκὸς τοὺς τοιούτους ἐμάνθανεν, σκυτεύειν ἢ τεκταίνειν ἢ περὶ πλυνοὺς ἔχειν ἢ ἔρια ξαίνειν […]. Fugit. 14: Τὰ δ᾽ ἡμέτερα πάνυ ῥᾷστα, ὡς οἶσθα, καὶ ἐς μίμησιν πρόχειρα – τὰ

_____________ ex rupiconibus, baiolis, tabernariis tam infans est, ut, si pallium accipere velit, non disertius maledicat?» (Zitate nach der Ausgabe Apulei Platonici Madaurensis opera quae supersunt, vol. 2, fasc. 2: Florida, recensuit R. HELM, [BT] Lipsiae 1910).

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

ex sui? [...] Quis ex rupiconibus, baiolis, tabernariis tam infans est, ut, si pallium accipere velit, non disertius maledicat?

προφανῆ λέγω – καὶ οὐ πολλῆς τῆς πραγματείας δεῖ τριβώνιον περιβαλέσθαι καὶ πήραν ἐξαρτήσασθαι καὶ ξύλον ἐν τῇ χειρὶ ἔχειν καὶ βοᾶν, μᾶλλον δὲ ὀγκᾶσθαι ἢ ὑλακτεῖν, καὶ λοιδορεῖσθαι ἅπασιν.

iii. Bei beiden Autoren wieder zu finden sind außerdem (1.) die ungesittete Lebensweise („vilitas morum“); (2.) der Hinweis auf die niedrige gesellschaftliche Herkunft („quis ex rupiconibus...“); (3.) die Arroganz dieser Menschen, die sich einbilden, allen anderen überlegen zu sein, und sich daher im Recht glauben, wenn sie sich respektlos benehmen; (4.) der Missbrauch der Redefreiheit, die dem Philosophen von Natur aus gebührt, in Form von zornigen Beleidigungen der Zuhörerschaft; und vor allem (5.) die schlechte Auswirkung, welche diese Scharlatane auf die Vorstellung der Laien von der Philosophie an sich hatten. (In dieser Hinsicht ist es besonders zu bedauern, dass wir nicht mehr wissen können, ob und inwieweit die „guten Philosophen“ eine Rolle in der ursprünglichen epideiktischen Rede in ihrer Vollständigkeit spielten, oder ob sich diese Rüge noch länger hinzog.) Auf Grund seiner nur fragmentarischen Überlieferung bietet der Apuleius-Text eine zu unsichere Basis, um daraus sichere Schlüsse ziehen zu können. Dies vorausgeschickt, kann man gleichwohl wenigstens einige provisorische Überlegungen anstellen. Lukian und Apuleius, zwei Rhetoren, die zur gleichen Epoche und unter ähnlichen Umständen gelebt haben, bewegen sich im gleichen (bzw. sehr ähnlichen) Gedankenhorizont, d. h. sie verwenden die gleichen (bzw. sehr ähnliche) Begriffe und weisen auf die gleichen (bzw. sehr ähnliche) Umstände hin, wenn sie die Philosophen kritisieren wollen. Ein Grund für diese Gemeinsamkeit mag in der Sache selbst gelegen haben: Sie beobachteten beide die gleichen Phänomene in der gleichen Welt. Dennoch sind die Übereinstimmungen in diesen ihren Beobachtungen viel zu genau dafür, dass sie nur auf diese Ursache zurückgeführt werden könnten. Vielmehr scheinen sie auf eine gemeinsame „professionelle“ Grundlage hinzudeuten, d. h. auf ein Begriffsinstrumentarium, welches viele Rhetoren miteinander teilten – eine Annahme, die wiederum zumindest tendenziell ausschließen würde, dass es sich hierbei um eine lukianische Eigentümlichkeit handelt. Man kann jedoch einige Unterschiede in der Verwendung desselben Materials bei den zwei Autoren feststellen: Lukian hat diese τόποι weder erfunden noch hat er sie – wie es scheint – besonders entwickelt bzw. erweitert, aber im Unterschied zu Apuleius hat er sie häufiger benutzt.

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5. Hauptdarstellungen der stoischen Lehre

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5. Hauptdarstellungen der stoischen Lehre: Hermot. 81-83, Vit. auct. 20-25 Der Hermotimos ist bekanntermaßen jenes Werk Lukians, in welchem er den Angriff auf die Philosophie – insbesondere die stoische – im größeren Stil, d. h. sowohl was den Umfang, wie auch, was die Anzahl und den Entwicklungsgrad der vorgebrachten Argumente angeht, durchgeführt hat.1 Ein entscheidender Moment in der Gesamtarchitektur des Werkes ist die Schlusspartie (§§ 80-83), an deren Ende Hermotimos jeden Versuch, seine bisherige Einstellung aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, definitiv aufgibt und sich zum gesunden Menschenverstand bekehrt.2 Lykinos treibt Hermotimos durch eine Frage in die Ecke: Hermotimos hatte kurz vorher das Prinzip akzeptiert, dass die wahre Tugend nur in den konkreten Einzelhandlungen enthalten ist (§ 79); nun müsse er sich entscheiden – drängt ihn Lykinos –, ob er nicht nur den rein theoretischen Teil der Lehre seines Meisters rezipieren, sondern auch dessen konkrete Charakterprägung, die ja alles andere als tugendhaft sei, übernehmen möchte. Will Hermotimos wirklich der stoischen Philosophie zuliebe den grundsätzlichen Fehler des Meisters, nämlich die Differenz zwischen Wort und Tat, auch in sich reproduzieren? Daran schließt Lykinos die Erzählung einer sehr signifikanten Episode an, und dadurch gelingt es ihm, die Widerstandskraft seines Gegners endgültig zu brechen und seine Augen der Wahrheit endlich zu öffnen: die schonungslose Darstellung einer heftigen Auseinandersetzung zwischen einem Laien und einem stoischen Philosophielehrer. Der Streit entzündete sich um den Neffen des Mannes. Aus der Sicht des Onkels hat nämlich die philosophische Unterweisung in keiner Weise dazu beigetragen, aus dem Neffen einen in irgendeiner Form besseren Menschen zu machen: Die Tochter des Nachbarn hat er vergewaltigt, die eigene Mutter, die ihn beim Diebstahl eines Hausgeräts hindern wollte, geschlagen; auch seine übrigen negativen Charakterzüge haben sich im Vergleich zu früher nur verschlechtert.3 Daher der verständliche Zorn des einfachen Mannes: Er möchte für das Geld, welches die Familie in die Bildung des Jungen investiert hat, auch etwas haben, zufriedenstellende Ergebnisse sehen. (Witzig stellt Lukian dar, wie diese einfältige Persönlichkeit den philosophischen Unterricht als nichts _____________ 1 2 3

NESSELRATH (1992); MÖLLENDORFF (2000a). S. dazu insbes. NESSELRATH (1992), 3465. Hermot. 81: τὰ μὲν γὰρ ἐς ὀργὴν καὶ θυμὸν καὶ ἀναισχυντίαν καὶ ἐς τόλμαν καὶ ψεῦδος μακρῷ τινι ἄμεινον εἶχε πέρυσιν ἢ νῦν.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

anderes als eine kommerzielle Transaktion konzipiert.)4 Der erzürnte Onkel fährt in seiner Rede fort und gibt recht amüsante Einblicke in den Alltag des Jünglings, der gerade zu lernen versucht, ein stoischer Philosoph zu sein. Parodistisch verzerrt kehren hier jene Hauptmerkmale des Stoizismus wieder, welche den Stoff der Chrysipp-Szene in Vit. auct. bilden, also die logischen Schlüsse mit dem Krokodil und dem Wechsel von Tag und Nacht, die abstruse Terminologie der Stoiker mit ihren ganzen ἕξεις und καταλήψεις. Am Schluss dieser Verspottung kommt – ein äußerst seltener Fall, bei dem Lukian diesen Aspekt direkt anführt – auch die stoische Gotteslehre zur Sprache: ἀκούομεν δὲ αὐτοῦ λέγοντος ὡς καὶ ὁ θεὸς οὐκ ἐν οὐρανῷ ἐστιν ἀλλὰ διὰ πάντων πεφοίτηκεν, οἷον ξύλων καὶ λίθων καὶ ζῴων ἄχρι καὶ τῶν ἀτιμοτάτων.5

Im Grunde kann man durchaus behaupten, dass Lukian diese Lehre völlig richtig als Pantheismus aufgefasst hat. Seine Darstellungsweise ist jedoch höchst entstellt bzw. schlichtweg nicht korrekt: Auch der plumpste Stoiker hätte nicht zugestimmt und diese Lehre als jene seiner eigenen Schule bezeichnen wollen, und am allerwenigsten wohl ein Stoiker, wie Lukian ihn öfters darstellt, nämlich einer, der reichlich über dialektische Erfahrung verfügt und mit großer spitzfinderischer Aggressivität versehen ist. Bei dem Gott, welcher nach den Stoikern das Universum wie eine Art magnetisches Feld durchdringt, handelt es sich um keinen persönlichen Gott, sondern lediglich um ein Prinzip, oder – besser gesagt – um eine Substanz göttlicher Natur. Korrekt müsste es also in der lukianischen Passage τὸ θεῖον an Stelle von ὁ θεός heißen. Nun wird man einem hoch gebildeten und (wie man wohl annehmen darf) intellektuell überdurchschnittlich begabten Menschen wie Lukian wohl zutrauen wollen, dass er diesen zwar einfachen, aber wesentlichen Unterschied verstehen konnte – und sicherlich auch verstanden hat. Diese Verzerrung geschieht also absichtlich, mit anderen Worten handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Künstlers. Man muss nämlich bedenken, dass die Figur, in deren Mund dieses Porträt eines heranwachsenden Stoikers gelegt wird, die eines rohen und naiven ἄγροικος ist; von ihm kann man natürlich gar kein Verständnis all dieser Ansichten erwarten, die ihm sowieso nur als irritierender Wahnwitz vorkommen, wie ja auch die vorhergehenden Beispiele für seine begrenzte „Rezeptionsfähigkeit“ anderer stoischer κεφάλαια zu Genüge zeigen. _____________ 4 5

Hermot. 81: Πέπαυσο, εἶπεν, ὦ θαυμάσιε, τὰ μέγιστ᾽ ἠδικῆσθαι λέγων, εἰ ῥημάτια παρὰ σοῦ πριάμενοι μηδέπω ἐκτετίκαμεν διάφορον. καίτοι ἃ μὲν ἡμῖν πέπρακας, ἔχεις ἔτι καὶ αὐτὸς καὶ οὐδὲν ἔλαττον γέγονέ σοι τῶν μαθημάτων. Hermot. 81.

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5. Hauptdarstellungen der stoischen Lehre

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Die Darstellung findet ihren Gipfel in den abschließenden Zeilen, in denen der Lehrling seine primäre Motivation kund tut, d. h. jenes Element offenlegt, aus welchem er die Antriebskraft für seine Studien überwiegend schöpft. Es ist dies nichts weiter als eine unermessliche Überheblichkeit, eine leere Arroganz, der anmaßende Glaube, durch die philosophische Erkenntnis über allen anderen Mitmenschen zu stehen und auf sie von oben herab blicken zu dürfen: καὶ τῆς γε μητρὸς ἐρομένης αὐτὸν τί ταῦτα ληρεῖ, καταγελάσας αὐτῆς, Ἀλλὰ ἢν τὸν λῆρον τοῦτον, ἔφη, ἐκμάθω ἀκριβῶς, οὐδὲν κωλύσει με μόνον πλούσιον μόνον βασιλέα εἶναι, τοὺς δὲ ἄλλους ἀνδράποδα καὶ καθάρματα νομίζεσθαι ὡς πρὸς ἐμέ.6

Auch hier also – mit dem kleinen Unterschied, dass der „Anwendungsbereich“ hier eine andere Schule ist – erklingt wieder die gleiche Auffassung der Philosophie, die in den Fugitivi bezeugt ist, nämlich philosophisches Wissen als Waffe gegen die soziale Umgebung, als Mittel zur Unterdrückung und Einschüchterung der Nicht-Gleichgesinnten, kurz: Philosophie als bewährtes und einfaches Mittel zum sicheren Aufstieg in die höheren (d. h. privilegierten und wohlhabenden) Schichten der Gesellschaft, zum Erlangen einer sorglosen, mit profitablem gesellschaftlichem Ansehen und z. T. auch mit einer gewissen Immunität (παρρησία!) versehenen „Nische“. Insgesamt ist der Ton dieser Verspottung im Hermotimos sehr boshaft: Lukian porträtiert nämlich nicht nur den stoischen Lehrling als einen eingebildeten „kulturellen Hochstapler“, sondern er zeichnet auch die Züge seiner μανία besonders markant. Das Gesamtbild dieser Figur, welches durch die Worte des Onkels entsteht und auf den Leser Eindruck machen soll, ist das eines Menschen, der den Bezug zur Realität allmählich verliert und kurz vor dem (sektiererischen) Wahnsinn steht (81: καὶ μάλιστα ὅταν ἐπιβυσάμενος τὰ ὦτα μελετᾷ πρὸς αὑτὸν ἕξεις τινὰς καὶ σχέσεις καὶ καταλήψεις καὶ φαντασίας καὶ τοιαῦτα πολλὰ ὀνόματα διεξιών). Sehr bezeichnend ist weiterhin die Reaktion der familiären Umgebung, d. h. der normalen Welt, von der sich der Junge immer stärker trennt, auf sein inzwischen anomal gewordenes Benehmen: Man lacht ihn unverhohlen aus (81: ἡμεῖς δὲ γελῶμεν ἐπὶ τούτοις). Diese Reaktion oder Haltung ist die lukianische „Antwort“ auf solche Phänomene, aber natürlich gleichzeitig auch die, die er seiner Zuhörerschaft suggerieren will: Man kann bzw. sollte über solcherlei Ausartungen einfach nur lachen. Der zweite Teil dieser Szene, nämlich die Antwort des Philosophielehrers auf den klagenden Onkel, rundet das negative Bild des Stoizismus, _____________ 6

Hermot. 81.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

welches hier vermittelt wird, ab. Die philosophische Unterweisung oder, besser gesagt, die Ehrfurcht vor der Majestät und Würde der Philosophie, erfüllt – so lautet die Antwort – etwa die Funktion eines Zügels, χαλινός, des schlechten Charakters. Der Lehrer sollte also deshalb bezahlt werden, weil die Schäden, die der Schüler ohne diesen Zügel angerichtet hätte, sicherlich noch viel schlimmer gewesen wären. Gegen die jeweiligen konkreten Fälle könne er nichts tun, denn er sei schließlich kein Kinderwart des Jungen. Wenn dieser Philosoph den Lehrstoff präsentiert, in welchem seine Schüler ihre Exzellenz zeigen, erscheint dieser dementsprechend als rein abstraktes Wissen um „merkwürdige Dinge“, welche die Wirklichkeit (z. B. die menschliche Handlungsweise) nicht wesentlich beeinflussen können. Es ist schließlich wert zu bemerken, dass in dieser Aufführung der „Stärken“ der stoischen Schule kein expliziter Bezug mehr auf die stoische Theologie genommen wird. Auch das Auftreten und der Verkauf des Stoikers (vermutlich Chrysipp)7 in Vit. auct. 20-258 sind eines näheren Blickes wert, weil sich hier abermals die Gelegenheit bietet, das von Lukian im Rahmen dieser Verkaufsszene entworfene Bild des Stoizismus in Hinblick auf die religiöse Fragestellung zu analysieren. Die Relevanz dieser relativ langen Passage liegt nämlich darin, dass es sich um ein mit ziemlicher Ausführlichkeit gezeichnetes Gesamtbild dieser Schule handelt, bei dem also die prinzipiellen Eigenschaften des stoischen Systems eine bedeutsame satirische Erörterung erfahren. Was eine inhaltlich-strukturelle Gliederung der Szene angeht, so bieten die sukzessiven Fragen des anonymen Käufers ein entscheidendes Orientierungsmittel. Im § 21 wird zunächst die für die stoische Philosophie bezeichnende terminologische Obskurität anhand einiger markanter Beispiele demonstriert. Der Punkt, den Lukian hier klar machen will, ist nicht schwer zu durchschauen: Nur den Eingeweihten, die im Voraus ein entsprechendes logisches Training genossen hätten, ist diese Philosophie verständlich, nicht aber dem durchschnittlichen Menschen (hier durch den Käufer symbolisiert). Der folgende § 22 ist gänzlich der stoischen Dialektik gewidmet. In der lukianischen Darstellung ist ihre hauptsächliche Verwendung die feindliche Unterdrückung des Gegenübers.9 An_____________ 7 8 9

Vgl. aber HELM (1902), 266: «Hier ist auch der eigentliche Chrysipp so wenig zum Ausdruck gekommen, daß man sich jeden beliebigen Stoiker an seiner Stelle denken könnte». Für einen Einzelkommentar zu dieser Passage s. BEAUPÈRE (1967), 106-130, Anm. 203-245; NESSELRATH (1985), 226 mit Anm. 520. Wenig hilfreich sind die knappen Anmerkungen von CALERO SECALL (1988), 67ff. Vit. auct. 22: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Ὢ τῆς ἀγχινοίας· τί δὲ ἄλλο μάλιστα φὴς εἰδέναι; ΧΡΥΣΙΠΠΟΣ. Τὰς τῶν λόγων πλεκτάνας αἷς συμποδίζω τοὺς προσομιλοῦντας

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5. Hauptdarstellungen der stoischen Lehre

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schließend werden drei besondere syllogistische Schlüsse, in einer stichwortartigen Bezeichnung bekannt („das Krokodil“,10 „Elektra“ und „der Verschleierte“; eine vierte Form, „der Mäher“, wird im § 25 nur beiläufig erwähnt), lächerlich gemacht.11 Das Ziel Lukians ist es hier aufzuzeigen, dass sich dieser große Aufwand an geistiger Energie im logischen Bereich in lauter Quisquilien erschöpft, d. h. letztlich vollkommen fruchtlos bleibt. In § 23 lässt Lukian den Stoiker den „Gipfel“ seiner Weisheit, d. h. die Quintessenz seiner ganzen philosophischen Mühen, enthüllen.12 Bezüglich dieses wesentlichen Punktes erfährt man aber sehr wenig, denn offensichtlich hat dieser Stoiker keine genaue Vorstellung darüber, welche Möglichkeiten demjenigen offen stehen, der die vollkommene Tugend in seinen Besitz gebracht hat; er kann nur ein allgemeines Stichwort wie das κατὰ φύσιν ζῆν nennen.13 Vielmehr ist er nämlich mit leicht masochistischem Tenor an der ganzen Phase des Davor, d. h. an den verschiedenen grotesken Formen des πόνος, der zum Erlangen der ἀρετή notwendigen Vorübung, interessiert.14 Durch den bösartigen Witz am Ende dieser Schlüsselstelle (καὶ τὸ κεφάλαιον, οὐ θέμις γενέσθαι σοφόν, ἢν μὴ τρὶς ἐφεξῆς τοῦ ἐλλεβόρου πίῃς)15 wird schließlich auch explizit, was man von dieser höchsten Weisheit der Stoiker halten sollte: Sie ist bloß Wahnsinn, der unbedingt kuriert werden muss. Es folgt ein kräftiger Hieb gegen die Geldgier der stoischen Philosophielehrer, die amüsanterweise mit deren ausgewiesener Beherrschung des logischen Kalküls, welche auch in der Zinsberechnung nützlich sein kann, in Verbindung gebracht wird (hier macht sich Lukian die Doppeldeutigkeit des griechischen (συλ)λογίζεσθαι zu Nutze), bzw. auf ihre Bemühung um die moralische Integrität ihrer Schüler zurückgeführt wird, die ja sonst _____________

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καὶ ἀποφράττω καὶ σιωπᾶν ποιῶ, φιμὸν ἀτεχνῶς αὐτοῖς περιτιθείς· ὄνομα δὲ τῇ δυνάμει ταύτῃ ὁ ἀοίδιμος συλλογισμός. ΑΓ. Ἡράκλεις, ἄμαχόν τινα καὶ βίαιον λέγεις. Vgl. HARMON, Loeb-Ausgabe, Bd. 2, 492 Anm. 1. Vgl. MIGNUCCIȱ(1967), 157ff. Vit. auct. 23: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. ὅμως δ᾽ οὖν τί σοι τῆς σοφίας τὸ τέλος, ἢ τί πράξεις πρὸς τὸ ἀκρότατον τῆς ἀρετῆς ἀφικόμενος;. Für ein ähnliches Motiv vgl. Hermot. 76-79, bes. 78. Vgl. D.L., Vit. VII 87. Vit. auct. 23: ΧΡΥΣΙΠΠΟΣ. Περὶ τὰ πρῶτα κατὰ φύσιν τότε γενήσομαι, λέγω δὲ πλοῦτον, ὑγίειαν καὶ τὰ τοιαῦτα. πρότερον δὲ ἀνάγκη πολλὰ προπονῆσαι λεπτογράφοις βιβλίοις παραθήγοντα τὴν ὄψιν καὶ σχόλια συναγείροντα καὶ σολοικισμῶν ἐμπιπλάμενον καὶ ἀτόπων ῥημάτων. Vgl. auch die Verbindung Wahnsinn/stoische Tugend kurz infra (Vit. auct. 23): τί φῶμεν, ἀνδρὸς ἤδη πεπωκότος τὸν ἐλλέβορον καὶ τελείου πρὸς ἀρετήν; , zu diesem Aspekt s. außerdem Symp. 30, Ver. hist. II 6. 18, Hermot. 86; Hippocr., De vict. I 35.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

durch den Umgang mit dem Geld, das sie dem Lehrer als Honorar auszahlen, verdorben werden würden. Dazu entschlüpft dem Käufer eine spöttische Bemerkung, die den verärgerten Stoiker sofort zu einer „syllogistischen Revanche“ veranlasst (§§ 24-25): ein sehr gutes Beispiel für jenes feindliche Verständnis der Logik, welches den Angehörigen dieser Schulrichtung oben bereits vorgeworfen wurde.16 Durch eine dicht gedrängte Reihe logischer Schlüsse in syllogistischer Form, die dank der hohen Geschwindigkeit im Wechsel von Frage und Antwort richtig erscheinen, „verwandelt“ er nämlich einen Menschen (hier den etwas perplexen Käufer) in einen Stein und dann wieder zurück (d. h. „beweist“ anhand geschickt vertuschter Paralogismen, dass der Begriff „Mensch“ unter den Begriff „Stein“ zu subsumieren ist oder ihn impliziert, und umgekehrt): natürlich nur in leeren Worten. Dieser Passus ist ein authentisches Meisterwerk jener sophistischen Kunst, welche auch den absurdesten Dingen den trügerischen Anschein von Plausibilität oder gar von Wahrheit verleihen kann. Nicht nur auf Grund der Absurdität der Materie dieses bizarren Austausches an sich, sondern auch dank des Einschubs zweier anmutiger kleiner Witze, welche jeweils die Umwandlungen Mensch > Stein und Stein > Mensch abgrenzen,17 ist der Gesamteffekt dieses brillanten „dialektischen Feuerwerkes“ äußerst amüsant. Außerdem verfolgt Lukian damit weiterhin die Hervorhebung der logisch-dialektischen Begabung der Stoiker (mit ihren absurden Seiten), durch welche der ganze Passus sehr stark geprägt ist. Genau diese sehr dubiose Demonstration dialektischen Talents aber ist es, die den Käufer definitiv zu überzeugen (ἀλλὰ ὠνήσομαί γε σέ, ruft er begeistert plötzlich aus) und ihn dazu zu bewegen vermag, zum Erwerb des buchstäblich wundersamen Stoikers – durch seine letzte skurrile Darbietung zum Schluss wirklich nur noch auf einen Wortzauberer niedrigster Art reduziert – einen auffällig hohen Preis (zwölf Minen) zu bezahlen. Als Hermes verwundert fragt, ob sich eine allein stehende Privatperson solch eine enorme Geldausgabe leisten könne, stellt sich heraus, dass der Käufer in Wahrheit lediglich als Beauftragter eines größeren „Konzerns“ recht vieler Interessenten, die das Ganze von Anfang an im nahen Hintergrund _____________ 16 Vgl. Vit. auct. 24f. (mit Gleichsetzung Logik = Waffe): ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Καὶ μὴν τοὐναντίον ἐχρῆν τὸν νέον μὲν εἶναι περιεκτικόν, σὲ δὲ τὸν μόνον πλούσιον ἐκχύτην. ΧΡΥΣΙΠΠΟΣ. Σκώπτεις, ὦ οὗτος. ἀλλ᾽ ὅρα μή σε ἀποτοξεύσω τῷ ἀναποδείκτῳ συλλογισμῷ. ΑΓ. Καὶ τί δεινὸν ἀπὸ τοῦ βέλους; ΧΡ. Ἀπορία καὶ σιωπὴ καὶ διαστραφῆναι τὴν διάνοιαν. ὃ δὲ μέγιστον, ἢν ἐθέλω, τάχιστά σε ἀποδείξω λίθον. Zu einem ähnlichen Einsatz des Syllogismus vgl. Symp. 23. 17 Vit. auct. 25: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. Μηδαμῶς. ἀλλ᾽ ἀνάλυσόν με πρὸς τοῦ Διὸς καὶ ἐξ ὑπαρχῆς ποίησον ἄνθρωπον. ΧΡΥΣΙΠΠΟΣ. Οὐ χαλεπόν· ἀλλ᾽ ἔμπαλιν ἴσθι ἄνθρωπος […] ΑΓ. Εὖ γε ἐποίησας, ὡς ἤδη μου τὰ σκέλη καθάπερ τῆς Νιόβης ἀπεψύχετο καὶ πάγια ἦν.

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5. Hauptdarstellungen der stoischen Lehre

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gespannt verfolgt hatten, das Geschäft verhandelt und abgeschlossen hat. Die stoische Verkaufsszene, welche durch einen deutlichen Hinweis auf die große Popularität, die der Stoizismus in der kontemporären Gesellschaft (besonders in ihren wohlhabenden Schichten)18 genoss, eingeleitet wurde, endet also ebenfalls mit der Betonung dieses gleichen Aspektes.19 Lukians Pointe könnte nicht deutlicher sein: Seine Satire richtet sich gegen ein doppeltes Ziel, denn er geißelt nicht nur den Stoizismus, sondern gleichzeitig – und zwar genau dadurch, dass er das Objekt der Bewunderung und des Interesses vieler Reichen und Mächtigen anschwärzt – auch die Rezipienten dieser Philosophie und die Förderer dieser geistigen Bewegung. Die Szene mit dem Stoiker in Vit. auct. ist nach dem Modell einer „Abfertigungsszene“ aus der Komödie aufgebaut,20 und ihr sehr amüsanter Charakter wirkt geradezu überwältigend, wobei man sich jedoch, verweilt man lediglich bei diesem köstlichen Genuss, leicht über das versteckte Potential und die wahre Eigenschaft des lukianischen Humors hinweg täuschen kann. Denn an dieser Stelle hat die Satire des Samosatensers – scheint mir – einen besonders bitteren Beigeschmack und zeigt eine ziemlich aggressive Tendenz. So tritt sie nämlich durch die Kritik am Stoizismus in Konfrontation mit einer sehr verbreiteten und einflussreichen Komponente der damaligen Kultur, was ja, konkret gesehen, so viel bedeutete, wie sich gegen zahlreiche und mächtige Zeitgenossen zu stellen. Lukian griff den Stoizismus sozusagen in seinem intimsten Kern an, indem er das vielleicht wichtigste Element des Selbstverständnisses eines stoischen Philosophen, nämlich seinen Überlegenheitssinn (man könnte es vielleicht das „μόνος-Syndrom“ taufen: μόνος οὗτος σοφός, μόνος καλός, μόνος δίκαιος ἀνδρεῖος βασιλεὺς ῥήτωρ πλούσιος νομοθέτης καὶ τὰ ἄλλα ὁπόσα ἐστίν)21, durch kräftiges Eintauchen in das Säurebad des Lächerlichen zu zerstören trachtete. Dadurch, dass er den Stoizismus brutal verhöhnte und ihn aus seiner selbstgefälligen und pompösen Hülle herausriss, nahm er einem großen Teil der kulturellen Elite jene Projektionsfläche für das eigene elitäre Empfinden. Es ist so, als würde Lukian hier _____________ 18 Hermes’ Worte Πολλοί γε καὶ τοὺς ὤμους καρτεροὶ καὶ τοῦ θερίζοντος ἄξιοι (vgl. folgende Anm.) sind wohl als Anspielung auf den Reichtum zu interpretieren. Nach HELM (1902), 277 wären eher die Römer damit gemeint. 19 Vit. auct. 20: ΖΕΥΣ. Ἄλλον κάλει, τὸν ἐν χρῷ κουρίαν ἐκεῖνον, τὸν σκυθρωπόν, τὸν ἀπὸ τῆς στοᾶς. ΕΡΜΗΣ. Εὖ λέγεις· ἐοίκασι γὰρ πολύ τι πλῆθος αὐτὸν περιμένειν τῶν ἐπὶ τὴν ἀγορὰν ἀπηντηκότων. ~ Vit. auct. 25: ΑΓΟΡΑΣΤΗΣ. […] πόσον ὑπὲρ αὐτοῦ καταβαλῶ; ΕΡΜΗΣ Μνᾶς δώδεκα. ΑΓ. Λάμβανε. ΕΡ. Μόνος δὲ αὐτὸν ἐώνησαι; ΑΓ. Μὰ Δί᾽, ἀλλ᾽ οὗτοι πάντες οὓς ὁρᾷς. ΕΡ. Πολλοί γε καὶ τοὺς ὤμους καρτεροὶ καὶ τοῦ θερίζοντος ἄξιοι. 20 Komischen Ursprungs könnte auch der für einen Geizhals sprichwörtlich gewordene Name Γνίφων im § 23 sein. 21 Vit. auct. 20; vgl. auch D.Mort. 10, 8; Hermot. 5, 81.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

sagen wollen: „Seht nur! Was ihr euch und eurem Nachwuchs für teures Geld erkauft und was den Anspruch erhebt, etwas Erhabenes und Exklusives zu sein, kommt in Wahrheit den haarspalterischen Obsessionen eines Wahnsinnigen gleich.“ Bedenkt man die weite Verbreitung und das hohe Ansehen des Stoizismus damals, so erscheint dieses Urteil Lukians in all seiner wahren entmutigenden Bitterkeit: Es herrschte überall eine starke philosophische Pseudokultur, viele bewunderten sie, waren bestrebt, sich diese anzueignen, und erwiesen sich schließlich auch als ihrer wert (καὶ τοῦ θερίζοντος ἄξιοι). Blickt man nun auf die ganze Passage zurück, kann man zusammenfassend feststellen, dass das Bild des Stoizismus, wie es in diesem Werk erscheint, in seinen markantesten Zügen grundsätzlich nicht von jenem im Hermotimos (oder auch in anderen Werken) abweicht. Der einzige bemerkenswerte Unterschied ist in der Vitarum auctio in der besonderen Hervorhebung der zwar virtuosen, aber letztlich unnützen und größtenteils absurden Dialektik und Logik der Stoiker, kurz in der arroganten aber leeren Weitschweifigkeit dieser Philosophie zu sehen, wobei dagegen anderswo das Hauptaugenmerk in der Beschreibung mehr auf Aspekten wie der Ethik, die durch ihre extrem rigoristische Prägung in Heuchelei endet, oder aber dem Kontrast Leben/Lehre (auffälligerweise in Vit. auct. völlig abwesend) liegt. Zu konstatieren ist aber vor allem die Tatsache, dass die stoische Theologie (ähnlich wie die stoische Naturphilosophie) hier gar keinen Platz in der satirischen Präsentation des Stoizismus findet. Das Beispiel des Hermotimos zeigt jedoch, dass die Gotteslehre der Stoa per se für Lukian durchaus Anlass und Materie zu einer witzigen Behandlung sein konnte, und dass er im Grunde gar keine Schwierigkeit damit hatte, sie gegebenenfalls neben bzw. mit den anderen charakteristischen Eigenschaften des Stoizismus in einen satirischen Rahmen größeren Umfangs einzuarbeiten. Man kann also aus diesem Vergleich schließen, dass sie für den Samosatenser keinen bedeutenden Bestandteil der stoischen Lehre darstellte. Eine Bestätigung dessen erhält man bei der Betrachtung von Bis acc. 19-21, einer Konfrontationsszene vor Gericht zwischen der Stoa und dem „Lustprinzip“ (ἡδονή), welches seinen stellvertretenden Verteidiger natürlich in Epikur findet.22 Hier geschieht nämlich in gewisser Weise das Gegenteil von dem, was sich in Vit. auct. abspielt, denn diesmal entfaltet sich die Auseinandersetzung, in ihrem Wechsel von Anklage- und Verteidigungsrede, fast ausschließlich um den ethischen Aspekt. Anlass zu diesem _____________ 22 Einzelkommentar bei BRAUN (1994), 160-211, der sich besonders auf die rhetorische Form konzentriert.

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5. Hauptdarstellungen der stoischen Lehre

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fingierten Streit gab ein berühmt gewordener Fall von „Übertritt“ von der Stoa zum Hedonismus der Kyrenaiker durch einen gewissen Philosophen namens Dionysios.23 Die Divergenz beider Schulen bezüglich des Grundprinzips der Moral (von Lukian hier in der extrem vereinfachten Form „ἡδονή vs. πόνος“ gestaltet)24 bildet den Rahmen, in dessen Mittelpunkt der grundsätzliche Irrtum der stoischen Ethik angeprangert wird, die mit ihrer Überbewertung des πόνος im krassen Widerspruch zur Natur des Menschen an sich steht, weil in dieser der körperliche Bereich unleugbar eine zentrale, permanente und unausweichliche Rolle spielt.25 Der Hauptgedanke, auf welchen der Satiriker durch die Darstellung des Kampfes zweier Weltanschauungen in Form einer Gerichtsverhandlung hinaus möchte, ist, dass die Heuchelei der Anhänger des Stoizismus, die er ja in diesem Abschnitt abermals hervorzuheben beabsichtigt,26 bloß die Konse_____________ 23 Bis acc. 20: Τοῦτο γάρ τοι καὶ τὸ παρὸν ἔγκλημά ἐστιν, ὅτι οὕτως ἑταιρικῶς ἐσκευασμένη τῷ ἐπαγωγῷ τῆς ὄψεως ἐραστὴν ἐμὸν ἄνδρα τότε σώφρονα τὸν Διονύσιον φενακίσασα πρὸς ἑαυτὴν περιέσπασεν, […] …ἐν οἷς καὶ τὸν δείλαιον ἐκεῖνον ἀφηνιάσαι ἡμῶν πεποίηκεν, νοσοῦντα τηρήσασα· οὐ γὰρ ἂν ὑγιαίνων ποτὲ προσήκατο τοὺς παρὰ ταύτης λόγους. – Vgl. die Nachricht in D.L., Vit. VII, 166f.: Διονύσιος δ᾽ ὁ Μεταθέμενος τέλος εἶπε τὴν ἡδονὴν διὰ περίστασιν ὀφθαλμίας· ἀλγήσας γὰρ ἐπιπόνως ὤκνησεν εἰπεῖν τὸν πόνον ἀδιάφορον. ῏Ην δὲ παῖς μὲν Θεοφάντου, πόλεως δ᾽ Ἡρακλείας. ἤκουσε δέ, καθά φησι Διοκλῆς, πρῶτον μὲν Ἡρακλείδου τοῦ πολίτου, ἔπειτ᾽ Ἀλεξίνου καὶ Μενεδήμου, τελευταῖον δὲ Ζήνωνος. Καὶ κατ᾽ ἀρχὰς μὲν φιλογράμματος ὢν παντοδαποῖς ἐπεχείρει ποιήμασιν, ἔπειτα δὲ καὶ Ἄρατον ἀπεδέχετο, ζηλῶν αὐτόν. ἀποστὰς δὲ τοῦ Ζήνωνος πρὸς τοὺς Κυρηναϊκοὺς ἀπετράπη καὶ εἴς τε τὰ χαμαιτυπεῖα εἰσῄει καὶ τἄλλ᾽ ἀπαρακαλύπτως ἡδυπάθει. βιοὺς δὲ πρὸς τὰ ὀγδοήκοντ᾽ ἀσιτίᾳ κατέστρεψε. 24 Vgl. etwa Bis acc. 21: …τὴν παρὰ ταύτης ἀηδίαν μυσαχθεὶς καὶ ἥν φησι κεφάλαιον τῶν πόνων τὴν εὐδαιμονίαν παραγίγνεσθαι λῆρον οἰηθείς […] καὶ τὸν μὲν πόνον, ὅπερ ἐστί, πονηρόν, ἡδεῖαν δὲ τὴν ἡδονὴν οἰηθείς. – Für eine gründliche Erörterung dieses Aspektes vgl. dagegen GRAESER (1975), 135ff. 25 Das ist der hauptsächliche Ertrag der Diskussion, am Ende des Passus besonders deutlich gemacht, Bis acc. 21: …καὶ ἐμιμοῦντο ἅπαντες τὸν Διονύσιον, ὃς μέχρι μὲν τῆς νόσου ἤλπιζεν ὠφελήσειν τι αὐτὸν τοὺς περὶ τῆς καρτερίας λόγους· ἐπεὶ δὲ ἤλγησεν καὶ ἐνόσησεν καὶ ὁ πόνος ἀληθέστερος αὐτοῦ καθίκετο, ἰδὼν τὸ σῶμα τὸ ἑαυτοῦ ἀντιφιλοσοφοῦν τῇ Στοᾷ καὶ τἀναντία δογματίζον, αὐτῷ μᾶλλον ἢ τούτοις ἐπίστευσεν καὶ ἔγνω ἄνθρωπος ὢν καὶ ἀνθρώπου σῶμα ἔχων, καὶ διετέλεσεν οὐχ ὡς ἀνδριάντι αὐτῷ χρώμενος, εἰδὼς ὅτι ὃς ἂν ἄλλως λέγῃ καὶ Ἡδονῆς κατηγορῇ, ‘ λόγοισι χαίρει, τὸν δὲ νοῦν ἐκεῖσ᾽ ἔχει ’ [Eur., Phoen. 360]. Für eine ähnlich Form dieser Kritik vgl. u. a. Hor., Ep. I 1, 106-8: «Ad summam: sapiens uno minor est Ioue, diues,/ liber, honoratus, pulcher, rex denique regum,/ praecipue sanus, nisi cum pituita molesta est». 26 Vgl. Bis acc. 21: Καίτοι τίς ἂν κριτὴς δικαιότερος δόξειεν αὐτοῦ ἐκείνου, ὃς τὰ παρὰ τῆς Στοᾶς εἰδώς, εἰ καί τις ἄλλος, καὶ μόνον τέως τὸ καλὸν ἀγαθὸν οἰόμενος εἶναι, μεταμαθὼν ὡς κακὸν ὁ πόνος ἦν, τὸ βέλτιον ἐξ ἀμφοῖν δοκιμάσας εἵλετο; ἑώρα γάρ, οἶμαι, τούτους περὶ τοῦ καρτερεῖν καὶ ἀνέχεσθαι τοὺς πόνους

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

quenz dieser viel tieferen Widersprüchlichkeit ist. Ein Hinweis auf die ausgeprägte dialektische Begabung der stoischen Schule fehlt auch hier nicht, diese Eigenschaft erscheint jedoch diesmal nicht als offensives „Unterdrückungsmittel“ im Allgemeinen, sondern – viel spezifischer – stellt sich hauptsächlich in den Dienst des absurden ethischen Konzepts der Stoiker.27 Lediglich zur Randerscheinung reduziert ist die abstruse Fachterminologie.28 Der Aspekt der großen Verbreitung des Stoizismus wird ganz ausgelassen. Sieht man von der gewöhnlichen Atheismus-Anklage ab, die die Stoa zweimal gegen Epikur richtet, um ihn vor den Juroren zu diskreditieren,29 erschien die stoische Theologie auch hier in Lukians Augen offensichtlich keiner Aufmerksamkeit würdig und ist daher einfach unerwähnt geblieben.

6. Weitere Passagen zum Stoizismus Über jene Stellen hinaus, in denen primär bzw. ausschließlich die Lehre der Stoiker der Satire Stoff bietet, sind im Corpus Lucianeum auch sehr zahlreiche andere Passagen zu lesen. Ein gutes Beispiel für diese zweite Kategorie ist etwa De merc. cond. 33-35, wo von den Demütigungen des Stoikers Thesmopolis berichtet wird, der sich als Angestellter um die schwangere Hündin seiner Hausherrin während einer Reise kümmern und die Witze der Mitreisenden über sich ergehen lassen muss. Hier kann von _____________ πολλὰ διεξιόντας, ἰδίᾳ δὲ τὴν Ἡδονὴν θεραπεύοντας, καὶ μέχρι τοῦ λόγου νεανιευομένους, οἴκοι δὲ κατὰ τοὺς τῆς Ἡδονῆς νόμους βιοῦντας, αἰσχυνομένους μὲν εἰ φανοῦνται χαλῶντες τοῦ τόνου καὶ προδιδόντες τὸ δόγμα, πεπονθότας δὲ ἀθλίους τὸ τοῦ Ταντάλου, καὶ ἔνθα ἂν λήσειν καὶ ἀσφαλῶς παρανομήσειν ἐλπίσωσιν, χανδὸν ἐμπιμπλαμένους τοῦ ἡδέος. εἰ γοῦν τις αὐτοῖς τὸν τοῦ Γύγου δακτύλιον ἔδωκεν, ὡς περιθεμένους μὴ ὁρᾶσθαι, ἢ τὴν τοῦ Ἄϊδος κυνῆν, εὖ οἶδ᾽ ὅτι μακρὰ χαίρειν τοῖς πόνοις φράσαντες ἐπὶ τὴν Ἡδονὴν ὠθοῦντο ἂν. 27 Vgl. Bis acc. 21: …τοὺς μὲν ἀγκύλους ἐκείνους λόγους καὶ λαβυρίνθοις ὁμοίους ἀπέφυγε, πρὸς δὲ τὴν Ἡδονὴν ἄσμενος ἐδραπέτευσεν ὥσπερ δεσμά τινα διακόψας τὰς τῶν λόγων πλεκτάνας, ἀνθρώπινα καὶ οὐ βλακώδη φρονήσας. 28 Vgl. Bis acc. 22: ΣΤΟΑ. Κακὸν ἡγῇ τὸν πόνον; ΕΠΙΚΟΥΡΟΣ. Ναί. ΣΤ. Τὴν ἡδονὴν δὲ ἀγαθόν; ΕΠ. Πάνυ μὲν οὖν. ΣΤ. Τί δέ; οἶσθα τί διάφορον καὶ ἀδιάφορον καὶ προηγμένον καὶ ἀποπροηγμένον; ΕΠ. Μάλιστα. ΕΡΜΗΣ Οὔ φασιν, ὦ Στοά, συνιέναι οἱ δικασταὶ τὰ δισύλλαβα ταῦτα ἐρωτήματα· ὥστε ἡσυχίαν ἄγετε. ψηφοφοροῦσι γάρ. 29 Vgl. Bis acc. 20: Καίτοι τι ἂν ἔγωγε ἀγανακτοίην κατ᾽ αὐτῆς, ὅπου μηδὲ τῶν θεῶν φείδεται, ἀλλὰ τὴν ἐπιμέλειαν αὐτῶν διαβάλλει; ὥστε εἰ σωφρονεῖτε, καὶ ἀσεβείας ἂν δίκην λάβοιτε παρ᾽ αὐτῆς. […] πλὴν ἀλλὰ ὑμεῖς γε τοῦ ὅρκου μνημονεύσαντες ψηφίσασθε ἤδη τὰ εὔορκα μὴ πιστεύσαντες Ἐπικούρῳ λέγοντι μηδὲν ἐπισκοπεῖν τῶν παρ᾽ ἡμῖν γιγνομένων τοὺς θεούς.

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7. Anmerkung zu Epiktet

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irgendeiner Auseinandersetzung mit der stoischen Philosophie als solcher überhaupt keine Rede mehr sein, sondern es wird offenbar, dass Lukians einziges Ziel die Herabwürdigung und das Lächerlichmachen der hinter diesen Figuren stehenden sozialen Gruppen ist. In solchen Fällen wird nicht nur das große Vergnügen spürbar, mit welchem er dies tut, sondern der Leser bekommt sogar den Eindruck, Lukian hege ein wahres Hassgefühl und eine gewisse Verbitterung gegen sie.1 – Ähnliches gilt auch für andere bekannte highlights der lukianischen Stoiker-Satire, wie etwa den lächerlichen Brief des Hetoimokles in Symp. 22-27, das peinliche Auftreten des Thesmopolis in Gall. 10f., und schließlich in gewisser Weise auch für die Episode mit Thrasykles in Timon 54-57, mit der das Werk schließt (Thrasykles ist allerdings kein Stoiker, sondern steht für den Typ des Philosophen im Allgemeinen). Aufschlussreich sind all diese Stellen in Hinblick auf eine Untersuchung des Philosophentyps bei Lukian, aber sie enthalten kaum Material bezüglich der hier verfolgten Frage und dürfen deshalb außer Betracht bleiben.

7. Anmerkung zu Epiktet Nach einer in der Literatur oft anzutreffenden Meinung soll Epiktet der einzige Stoiker gewesen sein, der als absolute Ausnahme keine negative Behandlung durch Lukian erfahren habe.2 Dieses Urteil basiert allerdings auf einer wohl zu raschen Lektüre der betreffenden Passage, Adv. ind. 13. Die angebliche Erwähnung Epiktets im positiven Ton ist dort in Wahrheit gar nicht zu lesen, denn der Fokus der Aussage liegt eindeutig auf der Albernheit des kostspieligen Fetischismus.3 Aus dieser Randbemerkung heraus auf Lukians Haltung zu Epiktet zu schließen, scheint mir kaum _____________ 1 2

3

Man könnte wohl mit HELM (1902), 277 sagen: «Hier ist also kein Witz, sondern Bosheit». Vgl. HELM (1902), 278: «Nur ein Stoiker hat in seinen Augen Gnade gefunden, Epiktet; ihn nennt er in der Schrift ‘Gegen den Ungebildeten’ (13) einen bewundernswerten Greis und gesteht ihm Weisheit zu. […] Aber gerade diese Hervorhebung des Epiktet ist bezeichnend; sie gilt nicht dem reinen Stoiker, sondern dem Philosophen, der dem theoretischen Wissen nur noch geringen Wert beilegt, der die Logik und Naturwissenschaft verschmäht, der das Hauptgewicht der Philosophie in der Moral sieht [...], der endlich sein Ideal ausdrücklich in der Form des Kynismus vor Augen führt [...]»; genau so TACKABERRY (1930), 22. Adv. ind. 13: Καὶ τί σοι τὸν Ὀρφέα ἢ τὸν Νέανθον λέγω, ὅπου καὶ καθ᾽ ἡμᾶς αὐτοὺς ἐγένετό τις καὶ ἔτι ἐστίν, οἶμαι, ὃς τὸν Ἐπικτήτου λύχνον τοῦ Στωϊκοῦ κεραμεοῦν ὄντα τρισχιλίων δραχμῶν ἐπρίατο; ἤλπιζεν γὰρ οἶμαι κἀκεῖνος, εἰ τῶν νυκτῶν ὑπ᾽ ἐκείνῳ τῷ λύχνῳ ἀναγιγνώσκοι, αὐτίκα μάλα καὶ τὴν Ἐπικτήτου σοφίαν ὄναρ ἐπικτήσεσθαι καὶ ὅμοιος ἔσεσθαι τῷ θαυμαστῷ ἐκείνῳ γέροντι.

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III. Das stoische Gottesbild bei Lukian

möglich. Viel aussagekräftiger ist in dieser Hinsicht die Anekdote in Demon. 55; sie zeigt das genaue Gegenteil, dass nämlich nicht einmal Epiktet (bzw. auch er nicht) von Lukians Ironie verschont blieb.4 Dies scheint mir schließlich auch für die scharfsinnige Vermutung von Frau BEAUPÈRE, dass das Beispiel der Lahmheit in Vit. auct. 21 eine sehr despektierliche Anspielung auf Epiktet sei, zu sprechen.5

_____________ 4

5

Demon. 55: Ἐπεὶ δέ ποτε ὁ Ἐπίκτητος ἐπιτιμῶν ἅμα συνεβούλευεν αὐτῷ ἀγαγέσθαι γυναῖκα καὶ παιδοποιήσασθαι – πρέπειν γὰρ καὶ τοῦτο φιλοσόφῳ ἀνδρὶ ἕτερον ἀντ᾽ αὐτοῦ καταλιπεῖν τῇ φύσει – ἐλεγκτικώτατα πρὸς αὐτὸν ἀπεκρίνατο, „Οὐκοῦν, ὦ Ἐπίκτητε, δός μοι μίαν τῶν σαυτοῦ θυγατέρων”. BEAUPÈRE (1967), 104. Vit. auct. 21: ΧΡΥΣΙΠΠΟΣ. Ἀλλ᾽ οὐδεὶς φθόνος· ἢν γάρ τις χωλὸς ὢν αὐτῷ ἐκείνῳ τῷ χωλῷ ποδὶ προσπταίσας λίθῳ τραῦμα ἐξ ἀφανοῦς λάβῃ, ὁ τοιοῦτος εἶχε μὲν δήπου σύμβαμα τὴν χωλείαν, τὸ τραῦμα δὲ παρασύμβαμα προσέλαβεν. Zu Epiktets Lahmheit vgl. Diss. I 16, 20.

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IV. Lukian und Galen Mehrere sehr charakteristische Züge von Lukians Geist, die sich vielleicht letztlich zu einer Skizze seiner schriftstellerischen Persönlichkeit zusammenfügen können, lassen sich nicht nur aus einer Untersuchung seiner Werke gewinnen, sondern können auf besonders deutliche Art und Weise auch durch einen Vergleich mit manchen Äußerungen Galens erarbeitet werden.1 Der große Arzt aus Pergamon, dessen Leben jenem Lukians chronologisch fast parallel verlief, eignet sich hervorragend dazu (im Gegensatz etwa zu Plutarch)2, weil beide Figuren, was ihre Urteile über Religion und Philosophie anging, erstaunliche Gemeinsamkeiten aufweisen, ohne jedoch identisch zu sein, im Gegenteil: Sie gingen von fast den gleichen Ausgangsvoraussetzungen aus, kamen aber zu gegensätzlichen Schlüssen. Im Folgenden sollen nur einige besonders bedeutende Passagen aus Galens umfangreichem Œuvre berücksichtigt werden, es ist aber dabei wichtig, diese etwas detaillierter darzulegen, um auf diese Weise den Kontrast deutlicher herauszuarbeiten. Feststellen kann man zunächst, dass die Tendenz zum Eklektizismus bei Galen sehr ausgeprägt war.3 ,Eklektizismus‘ meint in diesem Falle zwar auch die Neigung, eine Auswahl aus den „besten Teilen“ der verschiedenen philosophischen Systeme zu treffen (ἐκλέγοιμι δὲ τὰ παρ᾽ ἑκάστοις καλά schreibt er etwa in De libr. propr. 19) und diese in einer sehr persönlichen und freien Synthese zu kombinieren, aber vor allem den tiefen Unwillen Galens, „sich festzulegen“, d. h. sich zu einer besonderen Schule unter Ausschluss aller anderen zu bekennen, nur eine Philosophie als die einzig wahre zu akzeptieren und die anderen in toto abzulehnen.4 Zu dieser _____________ 1

2 3 4

Der einzige mir bekannte Hinweis in dieser Richtung ist die folgende kurze Anmerkung von V. NUTTON in seinem Kommentar zu De propriis placitis 2, 1 (NUTTON [1999], 132): «His agnosticism is shared by his contemporary Lucian, who likewise describes the dispute over the creation or non-creation of the world as the best example of a useless, but highly popular, argument (Icaromenippus 8)». Ein Vergleich dieser Art mit Plutarch wäre im wörtlichen Sinne des Wortes unangemessen, d. h. ganz ohne Maß, denn die Distanz zwischen diesen zwei Persönlichkeiten ist definitiv unüberbrückbar. Vgl. dennoch WÄLCHLI (2003). Vgl. HANKINSON (1992). Gal., De aff. dign. 8, 8 (V 43 KÜHN): ταύτας, ἔφην, ἐγὼ παρὰ τοῦ πατρὸς λαβὼν τὰς ἐντολὰς ἄχρι δεῦρο διαφυλάττω, μήτ᾽ ἀφ᾽ αἱρέσεώς τινος ἐμαυτὸν ἀναγορεύσας, ὧν σπουδῇ πάσῃ ἀκριβῆ τὴν ἐξέτασιν ἔχω, ἀνέκπληκτός τε πρὸς

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IV. Lukian und Galen

Haltung kam er z. T. durch eigene Beobachtung, doch mit Sicherheit nicht gering war die Rolle, welche seine Erziehung in diesem Zusammmenhang spielte. In De affectuum dignotione 8 schildert er in einer sehr beeindruckenden Passage, wie sein Vater ihn von Anfang an in allen vier Hauptrichtungen des philosophischen Denkens unterweisen ließ und ihn eindringlich ermahnte, nichts zu überstürzen und seine Wahl der für ihn geeignetsten Schule erst nach geraumer Zeit zu treffen (δεῖ μὴ προπετῶς ἀπὸ μιᾶς αἱρέσεως ἀναγορεύειν σεαυτόν, ἀλλ᾽ ἐν χρόνῳ παμπόλλῳ μανθάνειν τε καὶ κρίνειν αὐτά).5 Der Grund für diese vorsichtige Haltung von Galens Vater lag in seinem offensichtlich recht scharfen Bewusstsein der ohnehin sehr auffälligen Meinungsverschiedenheiten, welche die Philosophen unterschiedlicher Schulrichtungen trennte. Dieses „Grundgefühl“ entstand bei ihm durch die mathematische Ausbildung, die er in seiner Jugend genossen hatte und die ihn zur Überzeugung führte, dass der ultimative Ursprung der Dispute zwischen den Philosophen in der fehlenden Anwendung des mathematischen Beweisverfahrens ihrerseits zu suchen sei.6 Diese Ansicht übernahm der Sohn genau in dieser Form. Eine weitere Auffälligkeit in diesem Passus ist die Tatsache, dass es nach Galens Vater von entscheidender Bedeutung war, neben der reinen „Theorie“, d. h. der Lehre an sich, auch die „Praxis“, d. h. die konkrete Lebensführung der Philosophielehrer zu prüfen, um sich überhaupt ein Urteil über die Person bilden zu können.7 Bedeutsam ist jedoch vor allem der Gedanke am Schluss dieser Partie: Es sei notwendig, von den Unterschieden in den philosophischen Lehrmeinungen ganz abzusehen und sich _____________

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τὰ κατὰ τὸν βίον ὁσημέραι συμπίπτοντα διαμένων, ὥσπερ ἑώρων τὸν πατέρα (Text nach DE BOER [1937]). Zu dieser Passage vgl. auch MORAUX (1985), Nr. 6, 424. Gal., De aff. dign. 8, 3 (V 41f. KÜHN): ἡ μὲν οὖν ὑπὸ τῷ πατρὶ παιδεία τοιαύτη τις ἦν· ὑποπληρώσας δὲ τετταρεσκαιδέκατον ἔτος ἤκουον φιλοσόφων πολιτῶν, ἐπὶ πλεῖστον μὲν Στωϊκοῦ, Φιλοπάτορος μαθητοῦ, βραχὺν δέ τινα χρόνον καὶ Πλατωνικοῦ, μαθητοῦ Γαΐου, διὰ τὸ μὴ σχολάζειν αὐτὸν εἰς πολιτικὰς ἀχολίας ἑλκόμενον ὑπὸ τῶν πολιτῶν, ὅτι μόνος αὐτοῖς ἐφαίνετο δίκαιός τε καὶ χρημάτων εἶναι κρείττων, εὐπρόσιτός τε καὶ πρᾶος. ἐν τούτῳ δέ τις καὶ ἄλλος ἧκε πολίτης ἡμέτερος ἐξ ἀποδημίας μακρᾶς, Ἀσπασίου τοῦ Περιπατητικοῦ μαθητής, καὶ μετὰ τοῦτον ἀπὸ τῶν Ἀθηνῶν ἄλλος Ἐπικούρειος. Gal., De aff. dign. 8, 5f. (V 42 KÜHN): …ἐγεγύμναστο δ᾽ ἐπὶ πλεῖστον ἐν γεωμετρίᾳ καὶ ἀριθμητικῇ καὶ ἀρχιτεκτονίᾳ καὶ ἀστρονομίᾳ. βουλόμενος οὖν ὅμοια ταῖς γραμμικαῖς ἀποδείξεσι λέγειν χρῆσθαι τὸν διδάξαντα. διὰ ταύτην δ᾽ ἐχρῆν τὴν αἰτίαν μηδὲ διαφωνίαν τινὰ γεγονέναι πρὸς ἀλλήλους †τοῖς ἀπὸ τῶν σοῦ δῆλον ὅτι μαθημάτων καλῶν, καθάπερ οἱ ἀρχαῖοι κατὰ τὰς προειρημένας τέχνας, ὧν αἱ πρῶται γεωμετρία τε καὶ ἀριθμητική, †. Gal., De aff. dign. 8, 4 (V 42 KÜHN): …ὧν ἁπάντων ὁ πατὴρ δι᾽ ἐμὲ τοῦ τε βίου καὶ τῶν δογμάτων ἐξέτασιν ἐποιεῖτο σὺν ἐμοὶ πρὸς αὐτοὺς ἀφικνούμενος.

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IV. Lukian und Galen

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primär auf die praktische Ausübung der wichtigsten Tugenden wie Gerechtigkeit und Besonnenheit zu konzentrieren, denn darin, dass dies letztlich das Hauptziel bzw. der Hauptgewinn der Beschäftigung mit der Philosophie sei, seien alle einig. Dabei wird der wahrhaftige Besitz von Tugend als Mittel gedacht, welches uns vor dem Schmerz um unbedeutende Dinge wie etwa die materiellen Güter oder den Ruhm schützt (ἀνέκπληκτός τε πρὸς τὰ κατὰ τὸν βίον ὁσημέραι συμπίπτοντα διαμένων).8 Die Philosophie muss auf ganz konkreter und individueller Ebene positive Ergebnisse produzieren, behauptet Galen, und verdeutlicht diesen Punkt (nicht ohne spürbare Selbstgefälligkeit) durch sein eigenes Beispiel.9 Wichtig ist schließlich, dass Galens Vater die Tendenz der Menschen, anderen tugendhaft erscheinen zu wollen, obwohl sie es in Wirklichkeit nicht sind, als allgemein und zentral betrachtet. Alle reden zwar über die Tugend, wollen aber in Wirklichkeit nur eins: frei von Schmerz (ἄλυποι) zu sein.10 Diesen Unwillen, sich zu einer einzigen Schule zu bekennen, spürte Galen im Übrigen nicht nur in Bezug auf die philosophischen Sekten, sondern dies war offensichtlich eine grundlegende Einstellung seines Charakters, welche auch den für ihn viel ernsteren Bereich der rivalisierenden medizinischen Schulen betraf. An einer prominenten Stelle nämlich, als er nach einer verbindlichen professionellen Zugehörigkeitserklärung gefragt wird, geht Galen sogar so weit, diejenigen, die sich als Anhänger des Hippokrates oder des Praxagoras verstanden und präsentierten, als ,Sklaven‘ (δούλους) zu bezeichnen, und beanspruchte für sich die Freiheit, aus den _____________ 8 Gal., De aff. dign. 8, 8 (V 43 KÜHN). 9 Gal., De aff. dign. 8, 8f. (V 43f. KÜHN): …οὔτ᾽ οὖν ἀπώλειά τινος ἱκανὴ λυπῆσαί με, πλὴν εἰ παντελῶς ἀπολέσαιμι τὰ κτήματα (τοῦτο γὰρ οὐδέπω πεπείραμαι), δόξης τε καὶ τιμῆς ὁ πατὴρ εἴθισέ με καταφρονεῖν ἀλήθειαν μόνην τιμῶντα. λυπουμένους δ᾽ ὁρῶ τοὺς πολλούς, ὅταν ἠτιμάσθαι δοκῶσιν ὑπό τινος, ἢ χρημάτων ἀπωλείᾳ. κατὰ τοῦτ᾽ οὖν, ἔφην, οὐδὲ λυπούμενον εἶδές μέ ποτε, μήτε χρημάτων ἀπώλεια συνέπεσέ μοι μέχρι δεῦρο τηλικαύτη τὸ μέγεθος, ὡς μηκέτ᾽ ἔχειν ἐκ τῶν ὑπολοίπων ἐπιμελεῖσθαι τοῦ σώματος ὑγιεινῶς, μήτ᾽ ἀτιμία τις, ὁρῶ τοῦ συνεδρίου τῆς τιμῆς [βουλῆς] ἀφαιρεθέντας usw. 10 Gal., De aff. dign. 8, 6f. (V 42f. KÜHN): … πρὸς ἁπάντων μὲν ἀνθρώπων ἐπαινεῖται, συνομολογεῖται δὲ καὶ τοῖς φιλοσόφοις εἶναι ζηλωτέα, ταῦτα καὶ νῦν ἤδη καὶ διὰ παντὸς τοῦ βίου ζηλωτέον ἀσκεῖν, καὶ μανθάνειν καὶ αὐξάνειν ἀξιῶ σε δικαιοσύνης ἀντιποιούμενον καὶ σωφροσύνης ἀνδρείας τε καὶ φρονήσεως. ἐπαινοῦσι γὰρ ἅπαντες τὰς ἀρετὰς ταύτας, κἂν αὐτοὶ συνειδῶσιν ἑαυτοῖς οὐδεμίαν αὐτῶν ἔχουσι, καὶ φαίνεσθαί γε πειρῶνται τοῖς ἄλλοις ἀνδρεῖοι καὶ σώφρονες καὶ φρόνιμοι καὶ δίκαιοι, ἄλυποι μέντοι κατ᾽ ἀλήθειαν εἶναι, κἂν μὴ φαίνωνται τοῖς πέλας· ὥστε τοῦτο μέν σοι πρῶτον ἁπάντων ἀσκητέον ἐστὶ τὸ σπουδαζόμενον ἅπασιν ἀνθρώποις μᾶλλον τῶν ἀρετῶν.

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verschiedenen Werken und Schulen jeweils das Beste auszuwählen.11 Diese Passage (bzw. ihr ganzer Kontext) ist u. a. deswegen von Bedeutung, weil sie deutlich zeigt, dass Galen trotz seines Eklektizismus die große Auktorität mancher Vorgänger ohne Schwierigkeit anerkennen konnte: die beiden Begriffe Eklektizismus und auctoritas existierten bei ihm ohne Widerspruch nebeneinander. In seinem Fall waren seine auctoritates Hippokrates und Platon (diesen letzten bezeichnete er als θειότατος)12, wie aus seiner Tätigkeit als Kommentator einiger ihrer Werke hervorgeht und vor allem auch aus seinem sehr umfangreichen Werk De placitis Hippocratis et Platonis, einer monumentalen Auseinandersetzung und Abrechnung mit dem Erbe und der Gedankenwelt des großen Arztes und des großen Denkers, ohnehin evident ist.13 Hier wird ein fundamentaler Unterschied zu Lukian besonders deutlich, denn ein solcher auctoritas-Begriff war dem Samosatenser völlig fremd, er erkannte die Unantastbarkeit von keiner der zahlreichen Figuren an, welche in der kulturellen Tradition seiner Zeit als exemplarisch und nachahmenswert galten. Bei Galen lassen sich zahlreiche Stellen finden, in denen er von seinen direkten Erfahrungen mit den Philosophen berichtet. Der dominante Ton ist dabei eindeutig der des Misstrauens und der Enttäuschung, welch beide Galen explizit auf die Differenzen, die er bei ihnen immer wieder vorfand, zurückführt. Das Problem der internen Disharmonie in den wissenschaftlichen Disziplinen (bzw. zwischen ihren Vertretern) scheint Galen besonders beschäftigt zu haben. In De plac. Hippocr. et Plat. IX 6, 16ff. diskutiert er z. B. aus Anlass einer entsprechenden Beobachtung des Hippokrates das Problem, aus welchem Grund verschiedene Ärzte ganz unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche Therapien für die Behandlung der gleichen Krankheit anwandten. Das Verwunderliche und Problematische daran sei, dass den Ärzten doch immer die Möglichkeit frei stehe, durch empirische Prüfung (πείρα), d. h. mittels eines Experimentes, die „klinische“ Wahrheit festzustellen (κρῖναι τῇ πείρᾳ τό τ᾽ ὠφελοῦν καὶ τὸ βλάπτον). Auf eine Art und Weise, die sehr stark an KANTS antimetaphysische Polemik erinnert, führt Galen in diesem Zusammenhang die Philosophie als Ge_____________ 11 Gal., De libr. propr. 19 (XIX 13f. KÜHN): πυθόμενος οὖν εἰς ἀνατομικὸν πρόβλημα τούς τε λόγους καὶ τὰ διδαχθέντα μοι δημοσίᾳ πρὸς ἁπάντων τῶν ἀκολουθησάντων ἐπῃνῆσθαι μεγάλως ἤρετό τινα τῶν ἐμῶν φίλων, ἀπὸ ποίας εἴην αἱρέσεως. ἀκούσας δ᾽ ὅτι δούλους ὀνομάζω τοὺς ἑαυτοὺς ἀναγορεύσαντας Ἱπποκρατείους ἢ Πραξαγορείους ἢ ὅλως ἀπό τινος ἀνδρός, ἐκλέγοιμι δὲ τὰ παρ᾽ ἑκάστοις καλά, δεύτερον ἤρετο, τίνα μάλιστα τῶν παλαιῶν ἐπαινοῖμι . 12 Gal., De plac. Hippocr. et Plat. IX 9, 3; De usu partium XVI 1. 13 Vgl. FREDE (2003), 75 und DE LACY (1972).

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genbeispiel an und behauptet, dass der Streit der Philosophen und ihre verschiedenen Ansichten über die Kernfragen der Philosophie (er führt einige Beispiele kosmologischer Natur auf) dadurch entstünden, dass die Philosophen diese Möglichkeit des Rückgriffs auf die Empirie nicht hätten (…ὡς ἂν μὴ δυναμένων τῶν πραγμάτων ἐναργῶς κριθῆναι τῇ πείρᾳ, oder αἰσθήσει γὰρ ἐναργεῖ τὴν τοιαύτην διαφωνίαν ἀδύνατον κριθῆναι).14 Eine ähnliche Argumentation, bereichert um eine autobiographische Schilderung, findet sich in De foetuum formatione 6, 20-2, die man als Ergänzung zu jener in De aff. dign. 8 betrachten kann. Begierig, mehr über die Natur des kosmischen Architekten, der veranwortlich ist für den von Galen so tief bewunderten anatomischen Aufbau des menschlichen Körpers, in Erfahrung zu bringen, begab sich der junge Galen zu den Philosophen. Groß war aber seine Enttäuschung über deren Unfähigkeit, weder mathematisch strukturierte Beweise15 (γραμμικὰς ἀποδείξεις, …τῷ πρώτῳ, καθ᾽ ὃν ἐν γεωμετρίᾳ τρόπον ἀποδείξεις ἠκηκόειν, οὕτως ἤλπιζον ἀκούσεσθαι καὶ παρ᾽ ἐκείνου) zur Unterstützung ihrer Thesen, noch rhetorisch angemessen gestaltete und wenigstens plausible Argumente zu bringen. Anders als in De plac. Hippocr. et Plat. IX 6, 16ff., wo die Unmöglichkeit eines empirischen Nachweises als Grund für die Unlösbarkeit der philosophischen (kosmologischen) Probleme ausgemacht wurde, macht Galen hier unmissverständlich klar, dass der Grund für die Kontroversen und Widersprüche der Philosophie seiner Ansicht nach genau und ausschließlich in dieser Unfähigkeit liegt, sich bei einer philosophischen Problemerörterung des mathematischen Beweisverfahrens zu bedienen. _____________ 14 Gal., De plac. Hippocr. et Plat. IX 6, 20ff.: θαυμάσαι γάρ ἐστι διὰ τί τέχνην μετιόντες οἱ ἰητροὶ καθ᾽ ἣν τῇ πείρᾳ τὰ προσφερόμενα βοηθήματα κριθῆναι δύναται, πότερον ὠφέλησεν ἢ ἔβλαψεν, ὅμως ἐναντιωτάτας ἀποφάσεις ἐποιήσαντο περὶ τῶν ὠφελούντων τε καὶ βλαπτόντων. ἐν μὲν γὰρ φιλοσοφίᾳ μὴ πεπαῦσθαι τὰς πλείστας τῶν διαφωνιῶν οὐδὲν θαυμαστόν, ὡς ἂν μὴ δυναμένων τῶν πραγμάτων ἐναργῶς κριθῆναι τῇ πείρᾳ καὶ διὰ τοῦτο τινῶν μὲν ἀποφηναμένων ἀγέννητον εἶναι τὸν κόσμον, τινῶν δὲ γεννητόν, ὥσπερ γε καὶ τινῶν μὲν οὐδὲν ἔξωθεν αὐτοῦ περιέχον εἶναι, τινῶν δὲ εἶναι λεγόντων καὶ τούτων αὐτῶν [περιεχόμενόν τι φάντων] ἐνίων μὲν κενὸν ἀποφηναμένων εἶναι τοῦτο μηδεμίαν οὐσίαν ἔχον ἐν ἑαυτῷ, τινῶν δὲ κόσμους ἄλλους ἀριθμῷ ἀπεριλήπτους, ὡς εἰς ἄπειρον ἐκτετάσθαι πλῆθος. αἰσθήσει γὰρ ἐναργεῖ τὴν τοιαύτην διαφωνίαν ἀδύνατον κριθῆναι. οὐ μὴν ὅμοιόν γέ ἐστι τὸ τῆς ὠφελείας καὶ βλάβης τῶν προσφερομένων τοῖς σώμασιν ἰαμάτων εἰς διαφωνίαν ἀφικόμενον ἐν τοῖς ἰατροῖς, δυναμένοις γ᾽ αὐτῶν κρῖναι τῇ πείρᾳ τό τ᾽ ὠφελοῦν καὶ τὸ βλάπτον (Text nach DE LACY [1980]). 15 Zu den γραμμικαὶ ἀποδείξεις vgl. MORAUX (1985), Nr. 7, 44-6 und die entsprechende Anmerkung von NICKEL in seinem Kommentar z. St. (NICKEL [2001], 158).

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Der Schluss des Passus, wo er eingesteht, selbst keinen rigorosen Beweis (λόγον ἰσχυρόν) bezüglich der Morphologie der Lebewesen gefunden haben zu können, ist äußerst bezeichnend für Galens forma mentis: Für ihn können nur die strengen mathematisch-deduktiven Argumente eine sichere Erkenntnisquelle konstituieren. Da es aber keine solchen Argumente in Bezug auf den Kosmos und die Götter zu geben scheint, muss man darauf verzichten, sie gründlich und sicher zu kennen.16 Sicherlich war der Agnostizismus auch eine wichtige Komponente der Persönlichkeit des Lukian. Auch im Werk des Samosatensers taucht mehrfach die Idee auf, dass die Menschen keine definitiven und allgemein gültigen Wahrheiten besitzen können. Dabei handelt sich jedoch um eine stark vereinfachte Form von Agnostizismus, weil sie sich bei Lukian auf kein Gerüst von vergleichbaren Reflexionen wie bei Galen stützt. Ähnlichen Tenors ist der Anfang von De libris propriis 11, eine Passage, welcher auf Grund des dort geäußerten Grundgedankens eine noch größere Bedeutung beizumessen ist. – Früh überzeugte sich Galen vom entscheidenden Wert der Logik im Hinblick auf den Fortschritt des eigenen Wissens, denn die Beherrschung der Beweistheorie (ἀποδεικτικὴ θεωρία) versetzte einen in die Lage, eine falsche Argumentation zu erkennen und ihre unbegründeten Ergebnisse zu verwerfen. Um diese Kunstfertigkeit zu erlernen, nützte er das Bildungsangebot der Philosophieschulen, fand aber bald heraus, dass nicht nur die logischen Kenntnisse, welche in diesen Einrichtungen vermittelt wurden, für besagte Zielsetzung vollkommen nutzlos waren, sondern auch, dass die Grundauffassung der Logik selbst von Schule zu Schule radikal unterschiedlich war.17 Derart groß waren _____________ 16 Gal., De foet. format. 6, 20-2: τίς δ᾽ οὗτός [scil. der Demiurg] ἐστιν, ἤλπιζον ἔμπροσθεν ἀκούσεσθαι παρὰ τῶν φιλοσόφων, οἵ γε καὶ περὶ τοῦ κόσμου καὶ τῆς ὅλης γενέσεως ἀποφαίνονται· πολὺ γὰρ εἶναι ῥᾷον ἡγούμην ἐγνῶσθαι τοῦτο, ὅπως αὐτοῖς κατεσκεύασται τὸ σῶμα. καὶ μαθητήν γε ἐμαυτὸν ὑποβαλὼν ἑνὶ τῷ πρώτῳ, καθ᾽ ὃν ἐν γεωμετρίᾳ τρόπον ἀποδείξεις ἠκηκόειν, οὕτως ἤλπιζον ἀκούσεσθαι καὶ παρ᾽ ἐκείνου· γνοὺς δ᾽ αὐτὸν μὴ ὅτι γραμμικὰς ἀποδείξεις, ἀλλὰ μηδὲ ῥητορικὰς πίστεις λέγοντα, μετῆλθον ἐφ᾽ ἕτερον, ὃς καὶ αὐτὸς ἐξ ἰδίων ὑποθέσεων ἐναντία τῷ πρόσθεν ἀπεφαίνετο, καὶ τρίτην γε καὶ τετάρτην πειραθεὶς οὐδενὸς, ὡς ἔφην, ἄμεμπτον ἀπόδειξιν ἤκουσα. λυπηθεὶς οὖν ἐπὶ τούτῳ μεγάλως, ἐζήτησα μέχρι δεῦρο κατ᾽ ἐμαυτὸν εὑρεῖν τινα λόγον ἰσχυρὸν ἐπὶ ταῖς τῶν ζώων κατασκευαῖς· εἶθ᾽ εὕρισκον οὐδένα. τοῦτό γε αὐτὸ διὰ τοῦδε τοῦ γράμματος ὁμολογῶ, παρακαλῶν τοὺς περὶ ταῦτα δεινοὺς τῶν φιλοσόφων ζητήσαντας, εἴ τι σοφὸν εὑρίσκοιεν, ἀφθόνως ἡμῖν αὐτοὺς κοινωνῆσαι (Text nach NICKEL [2001]). Vgl. MORAUX (1985), Nr. 8, 46. 17 Gal., De libr. propr. 11 (XIX 39,3 – 40,4 KÜHN): Ἅπαντας ἀνθρώπους ὁρῶν, ἐν οἷς ἀμφισβητοῦσιν, ἑαυτούς τ᾿ ἀποδεικνύειν ἐπαγγελλομένους ἐλέγχειν τε τοὺς πέλας ἐπιχειροῦντας οὐδὲν οὕτως ἐσπούδασα μαθεῖν ἁπάντων πρῶτον ὡς τὴν ἀποδεικτικὴν θεωρίαν ἠξίωσά τε παρὰ τῶν φιλοσόφων – ἐκείνους γὰρ ἤκουον αὐτὴν διδάσκειν –, εἰ μέν τι καὶ ἄλλο κατὰ τὸ λογικὸν μέρος τῆς φιλοσοφίας

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solche Differenzen, dass sie mit Sicherheit zu einer völligen Verwirrung im Geist des jungen Schülers geführt hätten, hätte er sich nicht in diesem entscheidenden Moment auf die vorher zu Hause erlernte mathematische Methode – eine wahrhaftige Familientradition – stützen können. Andernfalls wäre er definitiv dem Skeptizismus verfallen: …καὶ νὴ τοὺς θεούς, ὅσον ἐπὶ τοῖς διδασκάλοις, εἰς τὴν τῶν Πυρρωνείων ἀπορίαν ἐνεπεπτώκειν ἂν καὶ αὐτός, εἰ μὴ καὶ τὰ κατὰ γεωμετρίαν ἀριθμητικήν τε καὶ λογιστικὴν κατεῖχον, ἐν αἷς ἐπὶ πλεῖστον ὑπὸ τῷ πατρὶ παιδευόμενος ἐξ ἀρχῆς προεληλύθειν ἀπὸ πάππου τε καὶ προπάππου διαδεδεγμένῳ τὴν θεωρίαν.18

Aber die Genauigkeit, Klarheit und Zuverlässigkeit dieser Methode, welche sich in der empirisch verifizierbaren Berechnung natürlicher Phänomene wie der Eklipsen äußerte oder in der Herstellung von Messgeräten wie Sonnen- und Wasseruhren Anwendung fand, festigten in Galen das Bewusstsein, dass über all die rein subjektiven Wahrnehmungen und Meinungskonflikte hinaus ganz sichere Erkenntnisse und unanfechtbare Wahrheiten existierten, dass – mit anderen Worten – die Welt sich nicht ganz im konfusen Magma der unlösbaren Unsicherheit und des schädlichen Irrtums auflöste: Mathematik, also, als mächtiges „Gegengift“ gegen die skeptische Verzweiflung oder den skeptischen Pessimismus.19 _____________ διδάσκεται, φυλάττειν εἰσαῦθις, τὴν ὠδῖνα τῆς περὶ τὰς ἀποδείξεις ἐπιθυμίας παῦσαι διδάξαντας, ἥτις ἄρα μέθοδός ἐστιν, ἣν ὁ μαθὼν ἑτέρου τε λέγοντος λόγον ἀποδεικτικὸν ἀκριβῶς γνωριεῖ, πότερον ὄντως ἐστὶ τοιοῦτος ἢ καθάπερ τι νόμισμα κίβδηλον ἔοικε μὲν τῷ δοκίμῳ, μοχθηρὸς δὲ κατ᾿ ἀλήθειάν ἐστιν, αὐτός τε δυνήσεται καθ᾿ ἕκαστον τῶν ζητουμένων ὁδῷ τινι χρώμενος ἐπὶ τὴν εὕρεσιν αὐτοῦ παραγενέσθαι. πᾶσιν οὖν τοῖς κατ᾿ ἐκεῖνον τὸν χρόνον ἐνδόξοις Στωϊκοῖς τε καὶ Περιπατητικοῖς ἐμαυτὸν ἐγχειρίσας πολλὰ μὲν ἔμαθον ἄλλα τῶν λογικῶν θεωρημάτων, ἃ τῷ μετὰ ταῦτα χρόνῳ σκοπούμενος ἄχρηστα πρὸς τὰς ἀποδείξεις εὗρον, ὀλίγιστα δὲ χρησίμως μὲν αὐτοῖς ἐζητημένα καὶ τοῦ προκειμένου σκοποῦ τυχεῖν ἐφιέμενα, διαπεφωνημένα δὲ καὶ ταῦτα παρ᾿ αὐτοῖς ἐκείνοις, ἔνια δὲ καὶ ταῖς φυσικαῖς ἐννοίαις ἐναντία. 18 Gal., De libr. propr. 11 (XIX 40,4-10 KÜHN). 19 Gal., De libr. propr. 11 (XIX 40,10 – 41,12 KÜHN): ὁρῶν οὖν οὐ μόνον ἐναργῶς ἀληθῆ φαινόμενά μοι τὰ κατὰ τὰς ἐκλείψεων προρρήσεις ὡρολογίων τε καὶ κλεψυδρῶν κατασκευὰς ὅσα τ᾿ ἄλλα [τὰ] κατὰ τὴν ἀρχιτεκτονίαν ἐπινενόηται, βέλτιον ᾠήθην εἶναι τῷ τύπῳ τῶν γεωμετρικῶν ἀποδείξεων χρῆσθαι· καὶ γὰρ καὶ αὐτοὺς τοὺς διαλεκτικωτάτους καὶ φιλοσόφους οὐ μόνον ἀλλήλοις ἀλλὰ καὶ ἑαυτοῖς ηὕρισκον διαφερομένους ἐπαινοῦντας ὅμως ἅπαντας ὡσαύτως τὰς γεωμετρικὰς ἀποδείξεις· ἀλλήλοις μὲν λέγω διαφέρεσθαι τοὺς φιλοσόφους ἐν τῇ λογικῇ θεωρίᾳ, τοὺς Περιπατητικούς τε καὶ Στωϊκοὺς καὶ Πλατωνικούς, ἑαυτοῖς δὲ πάλιν ἰδίᾳ τοὺς καθ᾿ ἑκάστην αἵρεσιν (μικρὰ μὲν δή πώς ἐστιν ἡ παρὰ τοῖς Περιπατητικοῖς διαφωνία, μεγάλη δὲ παρὰ τοῖς Στωϊκοῖς καὶ Πλατωνικοῖς). κατὰ τοῦτο τοίνυν ἔτι καὶ μᾶλλον ἔγνων δεῖν ἀποστῆναι μὲν ὧν ἐκεῖνοι λέγουσιν, ἀκολουθῆσαι δὲ τῷ χαρακτῆρι τῶν γραμμικῶν ἀποδείξεων. ὅσοι τοίνυν ἐθέλουσι κατὰ τὰς γραμμικὰς ἀποδείξεις ἀσκηθῆναι, παιδευθῆναι μὲν [ἐν] αὐτοῖς ἐν

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Auch Lukian war in Bezug auf den Aspekt der starken Disharmonie der Philosophierichtungen äußerst empfindlich; dieses Thema ist geradezu ein Leitmotiv, welches in seinem Werk immer wieder rekurriert. Er verfügte seinerseits jedoch nicht über ein ähnliches Hilfsmittel wie die mathematische Methode (bzw. den entsprechenden familiären Bildungshintergrund) bei Galen, welches ihn davor schützen konnte, aus jener Disharmonie die radikalsten Konsequenzen zu ziehen. Zu Beginn der Schrift De ordine librorum suorum kommt Galen abermals auf diese seine Überzeugung in knapper und daher noch prägnanterer Form zu sprechen: Der Mangel an logisch-mathematischem Fachwissen (ἀποδεικτικὴ μέθοδος) sei die Ursache der Meinungsverschiedenheiten und der Streitigkeiten unter Philosophen und Ärzten.20 Daran schließt er jedoch auch noch einige weitere Beobachtungen an, welche auf Grund ihres recht nüchternen und ernüchternden Tons besonders auffallen.21 Galen stellt nämlich erneut Philosophie und Medizin nebeneinander, wobei er diesmal die Frage der Gründe aufwirft, die ein Individuum zu einer speziellen Orientierung innerhalb dieser Disziplinen veranlassen. Er beantwortet sie mit dem Hinweis darauf, dass diese Gründe in der Regel kaum objektiv sind, sondern lediglich mit schlichtweg zufälligen und recht banalen Nebenumständen, wie der „Geschmacksorientierung“ der sozialen Umgebung, in der man aufgewachsen ist, zu tun haben. Man entscheidet sich nicht im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern übernimmt lediglich auf unkritische Weise irgendeine bereits vorhandene Tendenz. Was die zeitgenössischen Philosophen bzw. Philosophielehrer selbst insbesondere angeht, so ist die Lage nicht anders, denn im Grunde tradieren sie automatisch jene philosophische Richtung weiter, in der sie selbst unterrichtet wurden – zumal für viele diese Art Unterricht ohnehin die einzige Möglichkeit war, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.22 _____________ ἐκείναις συμβουλεύω, μετ᾿ ἐκείνας δὲ τὴν ἡμετέραν ἀναλέξασθαι ‘περὶ τῆς ἀποδείξεως’ πραγματείαν, ἣν ἐν πεντεκαίδεκα βιβλίοις ἐποιησάμην. – Vgl. dazu auch DE LACY (1991). 20 Gal., De ordine librorum suorum 1 (XIX 52,1-9 KÜHN = MÜLLER [1891], 82): ἐπίστασαι δὲ καὶ σὺ τοὺς πολλοὺς τῶν ἰατρῶν τε καὶ φιλοσόφων, ὅταν ἐξελέγχωνται, ὡς μηδὲν ἀποδεικτικὴν μέθοδον ἠσκηκότας, ἐπ᾽ ἐναντίας ὁδοὺς ἐκτρεπομένους καὶ τοὺς μὲν αὐτῶν μηδ᾽ εἶναι φάσκοντας ἀπόδειξιν, ἐνίους δ᾽ οὐ μόνον ὑπάρχειν ἀπόδειξιν ἀλλὰ καὶ γιγνώσκεσθαι φύσει πᾶσιν, ὡς μηδὲν εἰς τοῦτο μήτε μαθήσεως δεῖσθαί τινα μήτ᾽ ἀσκήσεως· οἷς πῶς ἂν ἔτι διαλέγοιτό τις εἰς τοσοῦτον ἐμπληξίας ἥκουσιν;. 21 Zu dieser Passage vgl. MORAUX (1984), 790f. 22 Gal., De ordine librorum suorum 1 (XIX 50,5-18 KÜHN = MÜLLER [1891], 80f.): θαυμάζουσι γοῦν ἄλλος ἄλλον ἰατρῶν τε καὶ φιλοσόφων οὔτε τὰ αὐτῶν μεμαθηκότες οὔτε ἐπιστήμην ἀσκήσαντες ἀποδεικτικήν, ᾗ διακρῖναι δυνήσονται

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Wenn Galen die Philosophie betrachtete, erschienen ihm also weder die Suche nach der Wahrheit noch die Wissensproduktion als die markantesten Kennzeichen dieses Bereiches, sondern vielmehr die konkrete Notwendigkeit des Broterwerbs, also die Herausbildung der Philosophie als Beruf, und vor allem der konservative und tradierungs- bzw. traditionsfixierte Aspekt, d. h. die definitive, strikte und erstickende Unterteilung alles philosophischen Denkens in kanonische Schulen: ein für die Entwicklung einer ergebnisreichen Reflexion keineswegs förderliches Phänomen. Trotz alledem hielt es Galen für prinzipiell möglich, sich ein treffendes Urteil zu bilden und die richtige Wahl unter den vielfältigen und z. T. verwirrenden Angeboten breit gefächerter τέχναι wie Medizin und Philosophie zu treffen, und behandelte dieses Thema sogar in monographischer Form in einem leider verloren gegangenen Traktat περὶ τῆς ἀρίστης αἱρέσεως. Zwei komplementäre Bedingungen waren seiner Meinung nach zu erfüllen, um dieses Ziel erreichen zu können: (1.) Kompetenz in Fragen der Logik und Argumentationstechnik und (2.) eine Haltung, die möglichst frei von πάθος sei, d. h. von unmotivierten Formen der Ab- und Zuneigung. Galens Optimismus scheint unerschütterlich: Erfüllt man sie, kann man nicht umhin, die richtige Wahl zu treffen.23 Die erstaunliche Übereinstimmung des Arztes aus Pergamon und des Rhetors aus Samosata in fast allen Einzelaspekten dieser Ansicht über die Philosophie springt jedem, der Lukians Hermotimos gelesen hat, sofort ins Auge. Ein einziger Faktor trennt die beiden: Lukian hätte auf das πάθος _____________ τοὺς ψευδεῖς λόγους τῶν ἀληθῶν, ἀλλ᾽ ἔνιοι μὲν ὅτι πατέρας ἔσχον ἤτοι γ᾽ ἐμπειρικοὺς ἢ δογματικοὺς ἢ μεθοδικούς, ἔνιοι δ᾽ ὅτι διδασκάλους, ἄλλοι δ᾽ ὅτι φίλους ἢ διότι κατὰ τὴν πόλιν αὐτῶν ἐθαυμάσθη τις ἀπὸ τῆσδε τῆς αἱρέσεως. οὕτω δὲ κἀπὶ τῶν φιλοσοφίας αἱρέσεων ἄλλος κατ᾽ ἄλλην αἰτίαν ἤτοι Πλατωνικὸς ἢ Περιπατητικὸς ἢ Στωικὸς ἢ Ἐπικούρειος ἐγένετο, νυνὶ δ᾽ ἀφ᾽ οὗ καὶ διαδοχαὶ τῶν αἱρέσεών εἰσιν, οὐκ ὀλίγοι κατὰ τήνδε τὴν πρόφασιν ἀναγορεύουσιν ἑαυτοὺς ἀπὸ τῆς αἱρέσεως, ὅθεν ἀνατρέφονται, μάλισθ᾽ ὅταν ἀπορῶσιν ἀφορμῆς ἑτέρας βίου. 23 Gal., De ordine librorum suorum 1 (XIX 51,6 – 52,1 KÜHN = MÜLLER [1891], 81f.): …ἠναγκάσθην δὲ διὰ ταῦτα καὶ βιβλίον τι γράψαι περὶ τῆς ἀρίστης αἱρέσεως, οὐ τοιοῦτον οἷον πολλοὶ τῶν ἔμπροσθεν ἔγραψαν ἰατρῶν τε καὶ φιλοσόφων ὀνομαστὶ τὴν ἑαυτῶν αἵρεσιν ἐπαινοῦντες, ἀλλὰ τὴν ὁδὸν αὐτὴν μόνον ἐνδεικνύμενος, ᾗ τις ἂν χρώμενος τὴν ἀρίστην αἵρεσιν συστήσαιτο ἢ κατ᾽ ἰατρικὴν ἤ τιν᾽ ἄλλην τέχνην. εἴρηται δ᾽ ἐν αὐτῷ καὶ δέδεικται τὸ λεγόμενον ὀλίγον ἔμπροσθεν, ὡς ἀποδείξεως ἐπιστήμονα χρὴ γεγονέναι πρότερον, ὅστις ἂν μέλλῃ κριτὴς ὀρθὸς ἔσεσθαι τῶν αἱρέσεων. οὐκ ἀρκεῖ δ᾽ οὐδὲ τοῦτο μόνον ἀλλὰ καὶ πάθους ἀπηλλάχθαι χρή, καθ᾽ ὃ φιλοῦντες ἢ μισοῦντες τὰς αἱρέσεις [οὐχ ὡς] οἱ πολλοὶ τυφλώττουσιν ἀμφ᾽ αὐτάς· εἰ γάρ τις μὴ τοῦτ᾽ ἔχων ἐθελήσειεν ἤτοι κατὰ μέθοδον ἐπιστημονικὴν αὐτὸς ζητῆσαι τἀληθὲς ἢ τὰ τοῖς ἄλλοις εἰρημένα κρῖναι, μόνος ἂν οὗτος ἐξεύροι τὴν ἀρίστην αἵρεσιν.

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IV. Lukian und Galen

nicht verzichten wollen, d. h. er hätte weiterhin bevorzugt, primär den Eindruck aus dem direkten Umgang mit den Vertretern einer Philosophie auf sich wirken zu lassen, ohne zwischen einer Philosophie und ihren Vertretern unterscheiden zu wollen (vgl. etwa Demonax). Die Idee, dass man durch rein logisches Argumentieren auf die bessere Philosophie bzw. auf die besseren Teile eines philosophischen Systems kommen konnte, blieb ihm grundsätzlich fremd. Die Enttäuschungen in seiner Jugend, seine Unzufriedenheit mit dem damaligen Zustand des philosophischen Wissens sowie seine nüchterne Haltung bewirkten jedoch bei Galen keine innere Verschlossenheit gegenüber dem religiösen Bereich oder der metaphysischen Erfahrung, im Gegenteil: Galens Empfinden blieb, was seinen Bezug auf die Religion und das Göttliche betrifft, besonders offen und in hohem Maße rezeptiv. Es ist für einen Leser immer wieder recht überraschend zu sehen, wie Galen etwa mitten in einer trockenen anatomischen Darlegung plötzlich die materielle Ebene verlässt, um aus Anlass der gerade beobachteten empirischen Tatsachen Rückschlüsse auf die Wirkung des göttlichen Demiurgen in der Welt zu ziehen. Immer wieder findet Galen die Spuren der göttlichen Weisheit in den natürlichen Dingen (wie etwa – vorzugsweise – im Aufbau des menschlichen Körpers), und er wird nicht müde, diese faszinierenden Konstruktionen zu bewundern.24 Die Stelle De usu partium XV, 1 hat in dieser Hinsicht einen geradezu exemplarischen Wert. Galen diskutiert dort ausgiebig Beschaffenheit und Funktion des männlichen Gliedes und betont dabei mehrfach die unverzichtbare Rolle des anatomischen Verfahrens bei der präzisen Erfassung der Fakten, doch kann er nicht sein Gefühl der bewundernden Ehrfurcht für die überragende „konstruktiv-architektonische“ Weisheit und Fürsorge des Demiurgen unterdrücken.25 Wichtig ist vor allem Folgendes: Diese _____________ 24 Der Einfluss der Philosophie Platons ist in dieser Hinsicht sicherlich entscheidend gewesen, wie auch durch den Timaios-Kommentar ersichtlich wird. 25 Gal., De usu partium XV, 1 (IV 216,13 – 217,16 KÜHN = HELMREICH [1909], 340f.): ἆρ᾽ οὖν οὐ θαυμάσαι μὲν χρὴ πρῶτον τὴν σοφίαν τε ἅμα καὶ πρόνοιαν τοῦ δημιουργοῦ; πολὺ γὰρ εὐκολώτερον ὑπάρχον ἑκάστου τῶν γεγονότων λόγῳ τὴν γένεσιν διελθεῖν ἢ ἔργῳ τὸ πρᾶγμα αὐτὸ κατασκευάσαι τοσοῦτον ὁ ἡμέτερος ἀπολείπεται λόγος τῆς τοῦ δημιουργήσαντος ἡμᾶς σοφίας, ὥστ᾽ οὐδ᾽ ἐξηγήσασθαι δυνάμεθα τὰ πρὸς ἐκείνου ῥᾳδίως γιγνόμενα. δεύτερον δὲ μετὰ τὸ θαυμάσαι τε καὶ ἀπορῆσαι τῷ λόγῳ, τί τὸ σόφισμά ἐστι τοῦτο τὸ περὶ τὴν τῶν αἰδοίων κατασκευήν, ἐπὶ τὴν ἀνατομὴν ἀφικέσθαι χρὴ τοῦ μορίου καὶ θεάσασθαι, μή τινα φύσιν ἑτέραν σώματος ὁ δημιουργὸς ἡμῶν ἐξεῦρεν αἰδοίῳ πρέπουσαν· εἶτ᾽, εἰ μὲν μηδὲν εὕροιμεν, ὃ μὴ καὶ κατ᾽ ἄλλο τι μόριον ἰδεῖν ἔστι, θαυμάσαι, πῶς ἐκ τῶν αὐτῶν ὀργάνων οὐ τὰς αὐτὰς ἐνεργείας ἐδημιούργησεν· εἰ δ᾽ εὕροιμέν τινα σώματος οὐσίαν, οἵαν οὐδὲ καθ᾽ ἓν ἄλλο μόριον ἰδεῖν ἔστιν,

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unerreichbare Überlegenheit der göttlichen Intelligenz ist das zentrale Element dieser Sichtweise, ihr wahrhaftiger „Drehpunkt“: Das Wirken Gottes ist nämlich in Galens Augen dermaßen überlegen, dass es grundsätzlich für die Menschen unerklärlich bleibt. Vorzüglich verdeutlicht der Schluss des Abschnittes diesen Punkt: Galen fordert auf, das grundlegende Gefälle zwischen göttlicher δύναμις und menschlicher Reichweite primär ins Auge zu fassen und sich infolgedessen auf das sorgfältige Studium des ὅτι, d. h. der nackten Tatsachen, zu beschränken, ohne dabei das Gespür für das richtige Maß in der eigenen Neugierde zu verlieren. Denn zu fragen, d. h. wissen zu wollen, wie (ὅπως) der höchste Gott seine Werke in der Natur verrichtet hat, ist ein Akt der größten Anmaßung schlechthin.26 Seinerseits blieb Lukian offensichtlich immer diesseits der Fragestellung, ob und inwieweit man Gott kennen kann; vermutlich erschien sie ihm nicht bedeutend genug. Ebenso wenig Plausibilität und Überzeugungskraft hatte für ihn eine Auffassung der Natur als harmonisches Ganzes, für dessen Ordnung ein göttliches Prinzip verantwortlich ist. Bezeichnend ist dabei aber vor allem die Tatsache, dass Lukian auch nur diese „mildere“ Form von Religiosität, welche Galens gemäßigter Agnostizismus sehr gut exemplifiziert,27 nie erreicht zu haben scheint. Seine Ablehnung des Platonismus, zu dessen Begriffsinstrumentarium etwa auch die Vorstellung eines Weltdemiurgen, d. h. einer fürsorglichen und ordnenden Intelligenz, gehörte, mag in dieser Hinsicht eine entscheidende Rolle gespielt haben. Wenn es also auf der einen Seite klar ist, dass Galens Empirismus und Realismus seinen religiösen Sinn nicht erstickten, so verwiesen sie ihn _____________ ἐπαινέσαι μὲν πάλιν αὖ κἀνταῦθα τῆς προνοίας τὸν δημιουργόν, ἀφίστασθαι δὲ μήπω τοῦ ζητουμένου πρὶν ἐκ τῆς ἀνατομῆς ἀκριβῆ ποιήσασθαι τὴν βάσανον. 26 Gal., De usu partium XV, 1 (IV 217,17 – 218,16 KÜHN = HELMREICH [1909], 341f.): τοῦτ᾽ οὖν ἐστιν, ὃ τῷ λόγῳ ζητοῦντες ἀρτίως οὐχ ηὑρίσκομεν οὐδ᾽ ἂν ηὕρομέν ποτε μὴ πρὸς τῆς ἀνατομῆς διδαχθέντες. ὃ γὰρ οὐχ ἑωράκειμεν οὐδὲ καθ᾽ ἓν ἄλλο μέρος ὅλου τοῦ σώματος, ἐπινοεῖν οὐκ ἐτολμῶμεν. εἰ δέ γ᾽ ἦμεν ὄντως φυσικοί, πάντως ἂν ἐνοήσαμεν, ὡς, ἐπειδὴ σκληρόν τε ἅμα καὶ κοῖλον εἶναι χρὴ τὸ τῶν αἰδοίων ἴδιον σῶμα, φύεται μὲν ἐξ ὀστοῦ, καθάπερ οἱ λοιποὶ πάντες σύνδεσμοι, κοῖλον δ᾽ ἔσται μόνον ἐξ ἁπάντων, ὡς ἡ χρεία κελεύει. ταῦτ᾽ οὖν ὁ δημιουργὸς μὲν ἡμῶν ἐβουλήθη γενέσθαι. ἐπεὶ δ᾽ ἐγένετο, μηδ᾽ ἐπιχειρήσῃς ἔτι μηδὲ τολμήσῃς ὅπως ἐγένετο ζητεῖν. ὅσα γὰρ οὐδ᾽ ὅτι γέγονεν ἐξηύρισκες, εἰ μὴ πρὸς τῆς ἀνατομῆς ἐδιδάχθης, πῶς ἂν εὐλόγως τολμῷς ζητεῖν ὅπως ἐγένετο; ἀρκεῖ σοι τό γε τοσοῦτον ηὑρῆσθαι, διότι πᾶν μόριον, ὡς ἡ χρεία κελεύει, κατεσκεύασται, τὸ δ᾽, ὅπως ἐγένετο τοιοῦτον, ἐὰν ἐπιχειρήσῃς ζητεῖν, ἀναίσθητος φωραθήσῃ καὶ τῆς σῆς ἀσθενείας καὶ τῆς τοῦ δημιουργοῦ δυνάμεως. – Vgl. dazu FREDE (2003), 78f. 27 Die vom Titel her viel versprechende Miszelle von STROHMAIER (1965) ist in ihrer Kürze leider kaum ergiebig. Besser MORAUX (1984), 785-91, DONINI (1992), 35024, HANKINSON (1992), 3505-22, NUTTON (1999), 131f., und FREDE (2003), 125f.

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IV. Lukian und Galen

dennoch eindeutig in seine Grenzen. Das Wechselspiel dieser drei Tendenzen und ihre delikate Balance kann man am besten anhand einer Passage wie De plac. Hippocr. et Plat. IX 7, 9-16 nachvollziehen. In dieser Stelle finden sich nämlich, miteinander verknüpft, all die Hauptfäden im Gewebe von Galens Geist wieder, die wir bisher verfolgt haben. Den rein spekulativen Fragestellungen der Philosophie, welche sich mit der Natur des Kosmos und der Götter befassen, steht Galen skeptisch gegenüber, nicht nur weil er an der Möglichkeit zweifelt, eine befriedigende Antwort darauf zu finden, sondern grundsätzlich weil diese Antwort, selbst wenn sie sich tatsächlich finden ließe, keinerlei Folgen in Bezug auf das konkrete Leben der Menschen (etwa im Sinne einer Verbesserung dieser Lebensumstände) hätte. Es gibt jedoch aus seiner Sicht auch Ausnahmen, in denen die Beschäftigung mit einer abstrakten Problematik doch bedeutende praktische Konsequenzen haben kann. Der religiöse Bereich ist ein gutes Beispiel: Ein exaktes Wissen über das Wesen der Götter – erklärt Galen in Anlehnung an das platonisch-sokratische exemplum – wird niemandem wirklich dazu helfen, ein besserer Mensch zu werden bzw. anderen oder sich selbst nützlich zu sein, wohl aber die Gewissheit und innere Überzeugung hinsichtlich der wohlwollenden Fürsorge und Verantwortung des göttlichen Prinzips im Bereich der ihm untergeordneten Schöpfung.28 _____________ 28 Gal., De plac. Hippocr. et Plat. IX 7, 9-16: μόνοις οὖν ἐκείνοις τοῖς φιλοσόφοις καὶ τὸ μηδὲν εἰς ἦθός τε καὶ τὰς πολιτικὰς πράξεις χρήσιμον ζητεῖν ἀκόλουθόν ἐστιν, ὅσοι τὴν θεωρητικὴν φιλοσοφίαν εἵλοντο, καθάπερ γε καὶ εἰ μετὰ τὸν κόσμον τοῦτόν ἐστί τι, καὶ εἰ ἔστιν, ὁποῖόν τι τοῦτο, καὶ εἰ ὁ κόσμος οὗτος ἐν ἑαυτῷ περιέχεται καὶ εἰ πλείους ἑνὸς καὶ εἰ πάμπολύ τι πλῆθος, ὁμοίως δὲ καὶ εἰ γεννητὸς ἢ ἀγέννητος ὅδε ὁ κόσμος ἐστίν, ὥσπερ γε καὶ εἰ γεγονότος αὐτοῦ θεός τις ἐγένετο δημιουργὸς ἢ θεὸς μὲν οὐδείς, αἰτία δέ τις ἄλογός τε καὶ ἄτεχνος εἰργάσατο κατὰ τύχην οὕτως καλὸν αὐτὸν ὡς εἰ καὶ θεὸς ἐπεστάτει τῇ κατασκευῇ σοφώτατος ἅμα καὶ δυνατώτατος. ἀλλὰ τά γε τοιαῦτα ζητήματα πρὸς τὸ καλῶς οἰκεῖν τὸν ἴδιον οἶκον ἢ τῶν τῆς πόλεως πραγμάτων προνοεῖσθαι προσηκόντως ἢ συγγενέσι καὶ πολίταις καὶ ξένοις προσφέρεσθαι δικαίως τε καὶ κοινωνικῶς οὐδὲν συντελεῖ. παρεγένοντο δ᾽ ἐπὶ τὴν ζήτησιν αὐτῶν ἔνιοι τῶν πρακτικὸν ὑποτιθεμένων τὸ τέλος ἐκ τῶν χρησίμως ζητουμένων κατὰ βραχὺ προελθόντες ὡς ἐφ᾽ ὅμοια. οὐ γὰρ δή, ὥσπερ γεγονέναι τὸν κόσμον ἢ μὴ γεγονέναι ζητεῖν ἄχρηστον, οὕτω καὶ περὶ προνοίας καὶ θεῶν. ὅτι γάρ ἐστί τι κρεῖττον ἀνθρώπου δυνάμει τε καὶ σοφίᾳ κατὰ τὸν κόσμον, ἅπασιν ἡμῖν ζητεῖσθαι βέλτιον, οὐ μήν, ὁποῖοί τινές εἰσι τὴν οὐσίαν οἱ θεοί, πότερον ἀσώματοι παντάπασιν ἢ καθάπερ ἡμεῖς, οὕτω καὶ αὐτοὶ μετὰ σωμάτων, ἀναγκαῖον σκοπεῖσθαι. καὶ γὰρ καὶ ταῦτα καὶ ἄλλα πολλὰ τελέως ἄχρηστ᾽ ἐστὶν εἰς τὰς ἠθικάς τε καὶ πολιτικὰς ὀνομαζομένας ἀρετάς τε καὶ πράξεις, ὥσπερ γε καὶ εἰς τὰς τῶν ψυχικῶν παθῶν ἰάσεις. καὶ γέγραπται περὶ αὐτῶν ὑπὸ Ξενοφῶντος ἄριστα, μὴ μόνον αὐτοῦ τῆς ἀχρηστίας κατεγνωκότος, ἀλλὰ καὶ Σωκράτην φάσκοντος οὕτω φρονεῖν. ὁμολογοῦσι δ᾽ αὐτῷ καὶ οἱ ἄλλοι τοῦ Σωκράτους ἑταῖροι καὶ Πλάτων αὐτός, ὃς τὴν φυσικὴν θεωρίαν τῇ φιλοσοφίᾳ

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IV. Lukian und Galen

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Dasselbe tiefe Unbehagen hinsichtlich der rein abstrakten Fragen der Philosophie, begründet u. a. mit ihrer Zwecklosigkeit zu praktischen Zwecken, lässt sich auch bei Lukian an zahlreichen Stellen belegen, insbesondere in der Polemik gegen die Stoiker. Er vollzieht aber wiederum nicht den entscheidenden Schritt, denn er glaubt nicht, dass eine religiöse Überzeugung, selbst wenn sie kein religiöser Irrsinn (δεισιδαιμονία) ist, auch positive Folgen haben kann. Galens Quelle für seine Anerkennung der Existenz des Göttlichen war also die Natur und insbesondere die perfekte Struktur des menschlichen Körpers, welche ihm ohne die Annahme der Wirkung einer übergeordneten causa ordinans offenbar unerklärlich war.29 Über die Essenz dieser höchsten Ursache konnte bzw. wollte Galen jedoch keine Behauptung wagen. In nuce lässt sich seine Position so wiedergeben: Er war zwar davon überzeugt, dass es „Gott“ gab, aber er hielt es für unmöglich, ihn zu kennen.30 So wichtig sie auch gewesen sein mag, blieb allerdings die Beobachtung der natürlichen Formen und Prozesse nicht das einzige Mittel, welches Galen Zugang zur Sphäre des Göttlichen verschaffte. Er scheint näm_____________ προσθεὶς Τιμαίῳ ἀναφέρει τὸν περὶ αὐτῆς λόγον, οὐχὶ Σωκράτει, καθάπερ καὶ τὴν ἐπὶ πλέον ἐκτεταμένην διαλεκτικὴν εἰς Παρμενίδην τε καὶ τὸν ἑταῖρον αὐτοῦ Ζήνωνα. δι᾽ ὁμοιότητα μὲν οὖν τινα τοῖς χρησίμοις τῶν λογικῶν τε καὶ φυσικῶν θεωρημάτων καὶ ἡ τῶν ἀχρήστων προσετέθη ζήτησις. 29 Gal., De propr. plac. II 1: «Et illa [scil. deitas] est uirtutes quarum operationes reperiuntur in hoc mundo operationibus que non possunt esse nisi a creatore: ergo ipse deum significant» (Text nach NUTTON [1999], 57f.). 30 Vgl. etwa Gal., De foet. format. 6, 19ff. (IV 694,12 – 695,6 KÜHN): τὸ δ᾽ αὐτὸ κᾀπὶ τῶν ὀστῶν ἐστι, πλεόνων ὑπαρχόντων ἢ διακοσίων. καὶ γὰρ καὶ τούτων οἱ σκοποὶ καθ᾽ ἕκαστον αὐτῶν ὄντες πολὺ πλείους τῶν δέκα γίγνονται, καὶ δῆλον, ὅτι διπλασιασθέντες ἔσονται πλείους τῶν ‚δ. ἡ δ᾽ αὐτὴ τέχνη καὶ κατὰ τὰ σπλάγχνα πάντ᾽ ἐστὶ, καὶ ὅλως ὁπωσοῦν μόριον, ὡς, ἄν τις ἀριθμῇ τοὺς σκοποὺς τῆς κατασκευῆς, εἰς μυριάδας, οὐ χιλιάδας, ἀριθμὸν ἀναχθῆναι, κατωρθωμένων εἰς ἄκρον ἁπάντων, οὓς ἐγὼ μὲν, ὡς ἔφην, οὐκ ἄν ποτε πεισθείην ἄνευ σοφωτάτου τε καὶ δυνατωτάτου δημιουργοῦ γεγονέναι. τίς δ᾽ οὗτός ἐστιν, ἐλπίζομεν ἔμπροσθεν ἀκούσεσθαι παρὰ τῶν φιλοσόφων, οἵ γε καὶ περὶ τοῦ κόσμου καὶ τῆς ὅλης γενέσεως ἀποφαίνονται […]; 6, 23f. (IV 696,3 – 697,4 KÜHN): ὅταν γὰρ θεασώμεθα τὰ παιδία φθεγγόμενα μὲν, ἅττ᾽ ἂν αὐτοῖς φθέγξασθαι κελεύσωμεν, οἷον, εἰ τύχῃ, σμύρναν, καὶ σμίλην, καὶ σμῆγμα, μήτε τοὺς κινοῦντας ἐπιτηδείως τῇ τοιαύτῃ φωνῇ τὴν γλῶτταν μῦς ἐπιστάμενα, μήτε πολὺ μᾶλλον ἔτι τὰ τούτων αὐτῶν νεῦρα, πιθανώτατον μὲν ἡγοῦμαι, τὸν διαπλάσαντα τὴν γλῶτταν, ὅστις ποτ᾽ ἐστὶν, ἢ αὐτὸν ἔτι διαμένειν ἐν τοῖς διαπλασθεῖσι μορίοις, ἢ ζῶα τὰ μόρια κατεσκευακέναι, γνωρίζοντα τὸ βούλημα τοῦ τῆς ἡμετέρας ψυχῆς ἡγεμονικοῦ. τούτου δ᾽ ἀκόλουθον εὑρίσκων, ἄλλην μὲν εἶναι τὴν κατὰ τὸ ἡγεμονικὸν ἡμῶν ψυχὴν, ἄλλας δὲ τὰς ἐν ἑκάστῳ τῶν μορίων, ἢ πάντως γε μίαν κοινὴν τὴν ἅπαντα διοικοῦσαν, εἰς ἀπορίαν ἔρχομαι, μηδ᾽ ἄχρι δυνατοῦ ἐπινοίας, μήτι γε βεβαίας γνώσεως, εὑρίσκων τι περὶ τοῦ διαπλάσαντος ἡμᾶς τεχνίτου.

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IV. Lukian und Galen

lich durchaus auch Erfahrungen religiöser Art gemacht zu haben, die seine eigene Person direkt betrafen.31 In einem sehr wichtigen Passus32 aus dem Traktat De propriis placitis (leider nur in einer groben lateinischen Übersetzung aus dem Arabischen überliefert), der sich übrigens in seiner Gedankenstruktur mit der gerade angeführten Stelle De plac. Hippocr. et Plat. IX 7, 9-16 durchaus deckt,33 weist Galen auf die beinahe greifbare Präsenz der Gottheit in Träumen und der Wahrsagung sowie auf die vielen Fälle einer direkten und speziellen Intervention eines Gottes zugunsten gewisser Menschen hin und verrät in diesem Zusammenhang auch die autobiographische Episode einer Genesung, welche die Gottheit (aller Wahrscheinlichkeit nach der Gott Asklepios) an ihm selbst vollbracht hätte: Sed de operationibus dei in nobis in contraria briga †misi magis quam† apparuerunt per uirtutem suam, quod curauerit me semel de una infirmitate quam habui et quod uidetur in mari liberatione illorum qui sunt propinqui pati naufragium per signa que uident et firmiter credunt liberari. et significat significatione manifesta uirtutem mirabilem et hoc expertus sum egoipse.34

Die Episode, auf welche hier angespielt wird, ist vermutlich die gleiche, von der in De libris propriis 2 die Rede ist. Als Kaiser Mark Aurel Galen darum bat, ihn in dem Krieg gegen die Marcomannen zu begleiten, lehnte der Arzt dieses Angebot mit der Begründung ab, er habe ein negatives Zeichen von Asklepios erhalten, einem Gott, dessen θεραπευτής er ab dem Zeitpunkt geworden war, als dieser ihn von einer lebensgefährlichen Krankheit gerettet hatte.35 _____________ 31 Zu diesem Aspekt vgl. KUDLIEN (1981). 32 Ausführliche Analyse durch FREDE (2003), 86ff. 33 Vgl. Gal., De propr. plac. II 2f.: «Sed ego dico quod nulla scientia est in me de substantia earum [scil. uirtutes deitatis]; sed quod ipse sunt, scio per operationes earum quoniam ab ipsis est regimen animalium et inueniuntur in diuinationibus et in sompniis. […] Et non uideo quod noceat hominibus si nesciant substantiam deitatis, et uideo quod debeam predicare (= ἐπαινέσαι?) et sequi in hoc legem et accipere quod precepit Socrates qui de hoc precepit firmius [vgl. Xen., Memor. I 1, 11-16]» (NUTTON [1999], 58). 34 Vgl. Gal., De propr. plac. II 2 (NUTTON [1999], 58). FREDE (2003), 90f. schlägt eine Identifizierung dieser Krankheit mit jener vor, die in Cur. rat. ven. sect. 23 (XI 314,18 – 315,7 KÜHN) erwähnt wird und deren Behandlung gemäß zwei von Asklepios an Galen gesendeten Träumen erfolgte. 35 Gal., De libr. propr. 2 (XIX 18,15 – 19,5 KÜHN = MÜLLER [1891], 99): μεταστάντος δ᾽ ἐξ ἀνθρώπων τοῦ Λουκίου κατὰ τὴν ὁδὸν εἰς Ῥώμην αὐτοῦ κομίσας τὸ σῶμα τὴν ἀποθέωσιν Ἀντωνῖνος ἐποιήσατο καὶ μετὰ ταῦτα τῆς ἐπὶ τοὺς Γερμανοὺς στρατείας εἴχετο περὶ παντὸς ποιούμενος ἀπάγειν με, πεισθεὶς δ᾽ ἀφεῖναι λέγοντος ἀκούσας τἀναντία κελεύειν τὸν πάτριον θεὸν Ἀσκληπιόν, οὗ καὶ θεραπευτὴν ἀπέφαινον ἐμαυτόν, ἐξ ὅτου με θανατικὴν διάθεσιν ἀποστήματος

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IV. Lukian und Galen

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Es ist sehr fraglich, ob Lukian in Bezug auf sich selbst von einer auch nur annähernd ähnlichen Erfahrung hätte berichten können. Nichts von all dem, was von seinen Schriften überliefert ist, gibt jedenfalls Anlass dazu, das Gegenteil zu vermuten. Hier wächst die Distanz in den Weltanschauungen am größten und das Profil beider Individuen zeichnet sich am schärfsten. Vielleicht sprach Lukian mit seinen religiösen Satiren den anderen einfach das ab, was er in sich selbst nie (oder in unzureichendem Maß) erlebt hatte, nämlich ein intimes und aufrichtiges religiöses Empfinden, frei von Zweifeln und Heucheleien, das Gefühl eines „Kontaktes“ mit der Gottheit, ihrer unmittelbaren Nähe und Präsenz, ihrer Zuwendung zu ihm selbst.

_____________ ἔχοντα διέσῳσε, προσκυνήσας τὸν θεὸν καὶ περιμεῖναί με τὴν ἐπάνοδον αὐτοῦ κελεύσας.

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V. Zusammenfassung: Einblicke in Lukians Geist ZIEL der Arbeit war es, nach der grundlegenden, aber inzwischen veralteten Studie von MARCEL CASTER Lucien et la pensée religieuse de son temps (1937) mit Hilfe einer nach der Methode des close reading durchgeführten Analyse einiger lukianischer Werke, die in dieser Hinsicht exemplarisch zu sein schienen, Lukians Stellungnahme zu den Figuren des Göttlichen, wie sie die Tradition oder der „Volksglaube“ (Teil I.) und die Philosophie (Teile II. und III.) kodifiziert hatten, neu zu beleuchten. In diesem Zusammenhang nahmen weniger bekannte Schriften des Corpus Lucianeum wie De sacrificiis, De luctu, De astrologia und Nigrinus eine besonders wichtige Stellung ein, weil die dort stattfindende Auseinandersetzung mit einer existentiellen Thematik Näheres über die Weltanschauung des Autors zu verraten schien. • Eine wichtige Etappe im Prozess der Bildung seiner kritisch-skeptischen Ansicht gegenüber dem religiösen Bereich kann im Falle Lukians seine rhetorische Schulausbildung gewesen sein. Manche der elementaren rhetorischen Vorübungen (προγυμνάσατα) schulten nämlich den Geist der angehenden Rhetoren besonders darin, mit dem Stoff der kulturellen Tradition sehr frei und „distanzlos“ umzugehen. Aufgefordert wurde man im Rahmen dieser Übungen u. a. dazu, diese Kreativität und Freiheit durchaus auch im negativen Sinne zu entfalten, indem man nämlich die traditionellen Mythen „dekonstruierte“, d. h. nach den „schwachen Stellen“ im Erzählstoff selbst und in seinen Hintergründen suchte, an denen besonders gut Kritik geübt werden konnte. • Ob und inwieweit Lukians Herkunft aus einem Randgebiet1 des römischen Kaiserreiches und möglicherweise auch aus einem kulturell heterogenen, d. h. autochthonen Gesellschaftsteil einen Einfluss auf seine spätere Einstellung zur traditionellen Religion gehabt hat, darüber lässt sich nur spekulieren.2 Nicht hinreichend sind in dieser Hinsicht die Informationen über Lukians Leben, die wir aus anderen Quellen besitzen, und kaum _____________ 1 2

Vgl. MILLAR (1993). Pace SWAIN (1996), 312. Ein extremes Beispiel in dieser Hinsicht ist GALLAVOTTI (1932), der Lukians kritische Haltung auf seine semitische Herkunft zurückführt (vgl. etwa 141). Vgl. außerdem bereits WILAMOWITZ (1912), 247: «Lukianos von Samosāta, der von seiner Mutter vermutlich mit einem syrischen Namen gerufen war […]».

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V. Zusammenfassung. Einblicke in Lukians Geist

zuverlässig sind die hoch stilisierten, sehr gezielt gestalteten Angaben darüber, die von Lukian selbst stammen (Somnium, Bis accusatus). Sicher ist, dass Lukian Schwierigkeiten mit seiner Identität als Hellene hatte. Diese war für ihn keine Selbstverständlichkeit. Er konnte sich so weit als Fremder wahrnehmen, dass er sich an einer entscheidenden Stelle – als es nämlich darum ging, sich gegen heftige Angriffe zu verteidigen, die sein Verhältnis zur griechischen Hochkultur betrafen – als einen Fremden, d. h. nicht als Hellenen, sondern als Syrer darstellte. Dass dies ausschließlich auf Grund der Konfrontation mit den vorgebrachten (fiktiven) Anklagen geschah bzw. geschehen musste (er nannte sich „der Syrer“, weil seine Ankläger es getan hatten), scheint nicht plausibel, sondern weist auf eine Form von Selbstverständnis des Autors hin, welche wenigstens teilweise unabhängig von der im Bis accusatus geschilderten Situation war. Mit Sicherheit konnten seine Gegner ihn als Fremden betrachten, andernfalls hätte es zu solchen Anklagen gar nicht kommen können. Bezeichnend ist jedoch vor allem die Verteidigungsstrategie, die Lukian in diesem und anderen Fällen angewendet hat: Sie bestand im Wesentlichen darin, seine innige Verbundenheit mit der Tradition, die er kritisiert bzw. erneuert hatte, zur Schau zu tragen, indem er zeigte, dass die „Keime“ dieser Kritik und Erneuerung dieser Tradition selbst bereits immanent waren. Wenn Lukian sein Verhältnis zur bzw. seine Auseinandersetzung mit der Tradition thematisierte, tat er das nicht, indem er die Rolle bzw. Position eines Außenstehenden einnahm, sondern „von innen her“, d. h. aus dieser Tradition selbst heraus, indem er sich nämlich ihrer Sprache, Bilder, Kategorien, Denkmuster und Konventionen bediente. Schriften wie Prometheus es in verbis oder Dionysos sind glänzende Beispiele für diese Verfahrensweise. • Was die „Religion“3 betrifft, lässt sich sagen, dass seine Herangehensweise rein literarisch war. Wenn Lukian über die Götter spricht, hat man nicht den Eindruck, dass er an Wesen denkt, deren tatsächliche Existenz unter Umständen angenommen und geglaubt werden könnte. Das einzige, was für ihn dabei eine Rolle spielte, waren jene literarischen Modelle, in welchen diese Götter als Figuren auftraten und agierten. Das Nachdenken über die Götter geschieht bei Lukian – soweit dies für uns noch greifbar ist – lediglich im Prozess des Schreibens und ist durch diesen grundsätzlich bestimmt. Etwas wie ein persönliches religiöses Gefühl des Autors ist an keiner Stelle seines sehr umfangreichen Gesamtœuvres zu belegen, auch indirekt nicht. Vielmehr erscheint „Religion“ immer als etwas Nega_____________ 3

Die Anführungszeichen sind hier äußerst notwendig, denn Lukian scheint die Welt der religiösen Phänomene nicht als undifferenzierte Größe, sondern primär in ihrer ganzen Vielfalt wahrgenommen zu haben.

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tives, als eine unter den vielen Schwächen, die die menschliche Natur hat. Lukian fehlte im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Galen die Erfahrung des Numinosen, des Heiligen im Sinne OTTOS, jener höheren Macht, welche hinter den von den Menschen erfundenen oder manipulierten Riten und Kulten als Substanz immer erhalten bleibt. In den religiösen Phänomenen sah der Samosatenser mit anderen Worten immer nur den menschlichen Teil. Paradoxerweise stand Lukian jedoch der traditionellen griechischen Religion im Prinzip nicht ablehnend gegenüber. Nie hätte er sie ablehnen wollen oder können, denn besagte Religion war ein wesentlicher Bestandteil jener hellenischen Identität, die Lukian selbst so stark für sich in Anspruch nahm. In diesem Sinne ist die Äußerung des Tychiades in Philops. 10 durchaus ernst zu nehmen.4 Da antwortet der Wortführer Lukians auf den Vorwurf, «nicht einmal daran zu glauben, dass es Götter gibt» (οὐδὲ θεοὺς εἶναι πιστεύειν), weil er den wundersamen Heilungen skeptisch gegenüberstehe, mit den Worten: «Sag das nicht, mein Bester […]. Ich für meine Person verehre sehr wohl die Götter, sehe ihre Heilungen und was sie den Kranken Gutes tun» (ἐγὼ δὲ καὶ θεοὺς σέβω καὶ ἰάσεις αὐτῶν ὁρῶ καὶ ἃ εὖ ποιοῦσι τοὺς κάμνοντας).

Man konnte nicht Grieche sein wollen, ohne den Göttern der Griechen die gebührende Ehre zu erweisen. Schließlich mag es wohl kein Zufall sein, dass der Euhemerismus, jene Ansicht, welche die traditionellen Götter in ihrer Göttlichkeit selbst gänzlich aufhob, nie bei Lukian auftaucht. Dass Lukians satirische Auseinandersetzung mit den Götterbildern nicht auf der Ebene einer theologischen Reflexion wie bei Galen, sondern auf der Ebene der satirischen Umformung des Mythos geschieht, ist nur allzu verständlich, denn Lukian war primär ein Rhetor, dessen Domäne das literarische Wort war. • Das Bild eines Lukians als Kämpfer gegen den Aberglauben und den religiösen Obskurantismus ist seit der Renaissance in der Rezeptionsgeschichte dieses Autors immer wieder in Mode gekommen.5 Die Bezeichnung Lukians als „Voltaire der Antike“6 (mit all den Assoziationen, die diese Vorstellung weckt) taucht in der Literatur direkt oder indirekt im_____________ 4

5 6

Philops. 10: Σύ μοι δοκεῖς, ἦ δ᾿ ὃς ὁ Δεινόμαχος, τὰ τοιαῦτα λέγων οὐδὲ θεοὺς εἶναι πιστεύειν εἴ γε μὴ οἴει τὰς ἰάσεις οἷόν τε εἶναι ὑπὸ ἱερῶν ὀνομάτων γίγνεσθαι. Τοῦτο μέν, ἦν δ᾿ ἐγώ, μὴ λέγε, ὦ ἄριστε· κωλύει γὰρ οὐδὲν καὶ θεῶν ὄντων ὅμως τὰ τοιαῦτα ψευδῆ εἶναι. ἐγὼ δὲ καὶ θεοὺς σέβω καὶ ἰάσεις αὐτῶν ὁρῶ καὶ ἃ εὖ ποιοῦσι τοὺς κάμνοντας ὑπὸ φαρμάκων καὶ ἰατρικῆς ἀνιστάντες· ὁ γοῦν Ἀσκληπιὸς αὐτὸς καὶ οἱ παῖδες αὐτοῦ ἤπια φάρμακα πάσσοντες ἐθεράπευον τοὺς νοσοῦντας, οὐ λεοντᾶς καὶ μυγαλᾶς περιάπτοντες. Ἔα τοῦτον, ἔφη ὁ Ἴων, ἐγὼ δὲ ὑμῖν θαυμάσιόν τι διηγήσομαι. Vgl. BAUMBACH (2000); NESSELRATH (2001), 29 Anm. 51. Vgl. HEWITT (1924).

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mer wieder auf. Die Eindrücklichkeit solcher Begriffe ist sehr groß, denn sie bestimmen im Grunde die Wahrnehmung der ganzen Figur des Samosatensers. In diesen und ähnlichen Ausdrücken äußert sich mit andern Worten ein Gesamturteil über den Autor, sie vermitteln ein Gesamtbild von ihm. In der Konstitution dieses Urteils spielen hauptsächlich die Schriften De morte Peregrini und Alexander einerseits, und Philopseudeis andererseits eine unberechtigt große Rolle. Es wäre aber ein Irrtum, die Bedeutung dieser Werke in Bezug auf besagtes Gesamtbild Lukians überzubewerten. Die ersten beiden sind nämlich wahrhaftige Pamphlete, in denen eine Kritik ad hominem von vornherein zum Programm und Plan des Werkes gehört. Sie richtet sich primär gegen die zwei Scharlatane und sozusagen nur per accidens gegen die religiöse „Degeneration“, die in ihnen konkrete Gestalt annahm. Ähnliches kann in Bezug auf Philopseudeis gesagt werden, denn die Kritik am Aberglauben will nicht so sehr den Aberglauben an sich, sondern primär dessen tiefere Ursache treffen, nämlich die angeborene Schwäche des menschlichen Geistes, wie der Schluss des Werkes sehr deutlich zeigt. Philopseudeis bleibt außerdem in seiner besonderen Art ein Unikat im Corpus Lucianeum. Die Aberglaubenspolemik war aber für Lukian immerhin wichtig genug, um ihr eine ganze Schrift zu widmen, doch insgesamt betrachtet, d. h. aus der Perspektive des Gesamtwerkes, nimmt sie eine viel bescheidenere Dimension ein: Sie ist nämlich bei Lukian nur ein Thema unter vielen anderen und darf insofern nicht als Hauptinteresse dieses Autors im Allgemeinen angesehen und gedeutet werden. In Lukians Geist fanden sehr viele ganz unterschiedliche Dinge Platz. Auch die Epoche, in der Lukian lebte und seine Werke verfasste, kann übrigens – im Gegensatz zu einer oft genug geäußerten Meinung – nicht als übermäßig abergläubisch im Vergleich zu anderen beschrieben werden. Das historische Material, welches zur Rechtfertigung einer solchen Ansicht angeführt werden kann, ist dafür schlichtweg nicht hinreichend. Im Gegenteil kann man sehr leicht feststellen, dass diese Sichtweise größtenteils ausgerechnet auf Lukians (absolut parteiischem) Zeugnis in De morte Peregrini und Alexander basiert oder konstruiert ist. Mit Sicherheit war das 2. Jh. n. Chr. eine Zeit geistig-religiösen Umbruchs; in ihr blühte das religiöse Leben in einer sehr großen Vielfalt von Manifestationen. Diese Epoche sah das Aufkommen charismatischer Figuren wie etwa Apollonios von Tyana oder Montanus, aber nicht jeder unter diesen religiösen leaders sollte ohne weiteres als Schwindler gelten. Es ist nämlich paradox genug, dass es nur eine einzige Episode gibt, die man wirklich mit den suspekten Tätigkeiten eines Peregrinus Proteus oder eines Alexander parallelisieren könnte, nämlich die Absicht eines Gauners, im Jahre 167 n. Chr. mittels religiösen Schwindels die von der Pest geplagte Stadt Rom auszuplün-

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dern.7 Zwar sind einige wenige gesetzliche Maßnahmen Kaiser Mark Aurels gegen den Aberglauben (superstitio) bekannt,8 doch – vom Problem ihrer späteren und fragmentarischen Überlieferung abgesehen – betrafen sie ganz allgemein einige Straftaten, welche in Zusammenhang mit den religiösen Praktiken hätten begangen werden können. Auf eine besondere Verbreitung der superstitio in der Zeit lässt sich jedoch auf der Basis dieser kurzen Texte m. E. nicht zurückschließen, und genauso wenig auf einen geschwächten Zustand der Staatsreligion, welchen die superstitio ja voraussetzen würde.9 • Die hier durchgeführten Analysen und die darauf basierenden Interpretationen der Schriften De luctu, De sacrificiis und De astrologia haben einen zentralen Aspekt der schriftstellerischen Persönlichkeit Lukians beleuchtet. Der Samosatenser bediente sich, wenn er Kritik an bestimmten Ideen und Haltungen üben wollte, leicht erkennbaren Gedankenguts, bekannter Denkmuster und bewährter Topoi, welche bereits in einer literarischen und philosophischen Tradition (etwa die kynische Diatribe im Fall der Schrift De luctu) existierten. Sein Vorgehen ist diesbezüglich sehr durchschaubar. – Wer daran interessiert ist, ein Urteil kritisch-ästhetischer Art über Lukian zu äußern, kann mit Sicherheit an dieser Stelle behaupten, dass er – im gerade präzisierten Sinne seiner Abhängigkeit von einer Tradition, d. h. letztlich von Gedanken anderer – nicht originell war. Aus seinen Quellen schöpfte er ausgiebig. Doch dieser Aspekt sollte nicht die Aufmerksamkeit von einer anderen genauso auffälligen und prägenden, aber viel wichtigeren Eigenschaft ablenken. Lukians überdurchschnittliche rhetorische Kunstfertigkeit sowie sein enger Bezug zur philosophischen und literarischen Tradition (Homer, Herodot, Platon, die Komödie, Menipp usw.) schließen nämlich keineswegs ein hohes Maß an persönlicher Überzeugung oder gar, wenn man so will, ein gewisses Engagement aus.10 Dies wird sowohl an der Auswahl der Themen selbst als auch und vor allem an der Art und Weise ihrer Behandlung ersichtlich, in der eine konstante Richtung zu erkennen ist. Das Material, welches er aus der _____________ 7 SHA, Vit. Marc. 13, 6: «Tantaque clementia fuit, ut et sumptu publico vulgaria funera iuberet et ecferri et vano cuidam, qui diripiendae urbis occasionem cum quibusdam consciis requirens de caprifici arbore in campo Martio contionabundus ignem de caelo lapsurum finemque mundi affore diceret, si ipse lapsus ex arbore in ciconiam verteretur, cum statuto tempore decidisset atque ex sinu ciconiam emisisset, perducto ad se atque confesso veniam daret». Vgl. MOTSCHMANN (2002), 162f. 8 Dig. 48, 19, 30; Dig. 48, 13, 4, 3; Mos. et Rom. Leg. coll. 15, 2, 5; Sent. 5, 21, 1f. Vgl. dazu MOTSCHMANN (2002), 144-167. 9 Pace MOTSCHMANN (2002), 167. 10 In diesem Sinne – mutatis mutandis – bereits BALDWIN (1961); im Gegensatz dazu GRONINGEN (1965).

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Überlieferung rezipierte, erhielt durch die Feder des Samosatensers eine sehr charakteristische Prägung, was umso deutlicher auffällt, wenn man sie in den Gesamtkontext aller erhaltenen Werke einbettet. Alles scheint also darauf hinzudeuten, dass Lukian die Ideen, die er in vielen seiner Schriften zum Ausdruck brachte, durchaus auch teilte,11 wenngleich dies auf seine etwas argwöhnische, distanziert-kritische Art und Weise geschah. • Eine vergleichende Betrachtung sowohl des Umfangs als auch der Intensität und Tiefe von Lukians Auseinandersetzung mit den beiden, in der damaligen Zeit kulturell dominanten Formen des Gottesbildes, nämlich des platonischen und des stoischen (Kyniker und Epikureer hatten im Bereich der Theologie vergleichsweise kaum Bedeutendes zu bieten, und für Peripatetiker interessierte sich Lukian in erheblich geringerem Ausmaß), legt eine ebenso elementare wie entscheidende Schlussfolgerung nahe: Das komplexe Gottesbild, welches die stoische und die platonische Philosophie entwickelt hatten, rief in Lukian kein substanzielles Interesse hervor. Der tiefe Argwohn, welcher in seinen Beschreibungen der Vertreter dieser Schulen immer wieder zum Ausdruck kommt, prägte seinen Umgang mit diesen hoch bedeutenden Formen des intellektuellen Lebens seiner Zeit und war das Element, welches ihn vermutlich daran hinderte, solche Ansichten zu rezipieren. Viel tiefer und stärker war dagegen das Interesse des Samosatensers für den Komplex von Mythen, Glaubens- und Kultformen der traditionellen Religion. • Lukians Nihilismus: der Samosatenser im Urteil des Patriarchen Photios. – Trotz der grundsätzlichen Ambiguität, welche der Ironie immer anhaftet und Missverständnisse erzeugen kann, ist das kritische Potential der lukianischen Religionssatiren nicht zu unterschätzen, ihre kritische Intention und Wirkung ernst zu nehmen. Von den inneren Gründen abgesehen, weist auch die früheste Phase der Rezeptionsgeschichte des lukianischen Opus eindeutig und dezidiert in diese Richtung. Dies gilt insbesondere für das Urteil des Patriarchen Photios, welches trotz seiner Kürze eine der besten Überlegungen zu diesem Autor bleibt,12 lässt sich aber auch in Bezug auf die Beurteilung jener

_____________ 11 Pace ANDERSON, der einerseits behauptet ([1982], 64): «Anyone who feels that it is a sophist’s obligation to be concerned for the human condition wholly misunderstands the sophist’s milieu», anderseits aber zugibt ([1982], 65): «the emperor derived his own spiritual nourishment from the same stock of clichés». 12 Bibl., Cod. 128.

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anderen Autoren wiederholen, die als erste Lukian lasen und deuteten: Eunapius13, Lactantius14 und Isidorus Pelusiota15. Lukian ist wesentlich als ein ernsthafter Kritiker der hellenischen Kultur in ihrer Gesamtheit verstanden, sein Schreiben immer als ein Schreiben „gegen“ aufgefasst worden. Präziser ausgedrückt ist das Ziel, gegen welches sich dieses Schrifttum richtet, die kulturelle Tradition der Griechen in ihren drei Hauptbestandteilen, nämlich Religion, Dichtung (in ihrem engen Zusammenhang mit der Mythologie verstanden) und Philosophie.16 Diese drei zentralen Bereiche wurden im Medium des Komischen „aufgelöst“ und in ihrem ernsthaften Bedeutungskern ausgehöhlt: Die Religion der Griechen sei nur Irrtum (habe Lukian sagen wollen), ihre Philosophie nur Heuchelei.17 Überhaupt ist die Komödie die grundlegende Kategorie, auf welcher Photios’ Verständnis des Samosatensers basiert: καὶ ἁπλῶς, ὡς ἔφημεν, κωμῳδία τῶν Ἑλλήνων ἐστὶν αὐτῷ ἡ σπουδὴ ἐν λόγῳ πεζῷ.18 Diese Beobachtung ist von besonderer Bedeutung, weil hier der Grund für die gegen ihn vorgebrachte Anschuldigung von „Nihilismus“ (αὐτὸς τῶν

_____________ 13 Vit. soph. II 1, 7-9, p. 454: αὐτίκα οὖν ὁ θεσπέσιος Πλούταρχος τόν τε ἑαυτοῦ βίον ἀναγράφει τοῖς βιβλίοις ἐνδιεσπαρμένως καὶ τὸν τοῦ διδασκάλου, καὶ ὅτι γε Ἀμμώνιος Ἀθήνησιν ἐτελεύτα, οὐ βίον προσειπών. καίτοι γε τὸ κάλλιστον αὐτοῦ τῶν συγγραμμάτων εἰσὶν οἱ καλούμενοι παράλληλοι βίοι τῶν ἀρίστων κατὰ ἔργα καὶ πράξεις ἀνδρῶν· ἀλλὰ τὸ ἴδιον καὶ τοῦ διδασκάλου καθ᾿ ἕκαστον τῶν βιβλίων ἐγκατέσπειρεν, ὥστε, εἴ τις ὀξυδορκοίη περὶ ταῦτα, [καὶ] ἀνιχνεύων κατὰ τὸ προσπίπτον καὶ φαινόμενον, καὶ σωφρόνως τὰ κατὰ μέρος ἀναλέγοιτο, δύνασθαι τὰ πλεῖστα τῶν βεβιωμένων αὐτοῖς εἰδέναι. Λουκιανὸς δὲ ὁ ἐκ Σαμοσάτων, ἀνὴρ σπουδαῖος ἐς τὸ γελασθῆναι, Δημώνακτος φιλοσόφου κατ᾿ ἐκείνους τοὺς χρόνους βίον ἀνέγραψεν, ἐν ἐκείνῳ τε τῷ βιβλίῳ καὶ ἄλλοις ἐλαχίστοις δι᾿ ὅλου σπουδάσας. 14 Inst. div. I 9: «‘quid tu?’ inquiet aliquis ‘poetisne credendum putas?’ quidni putem? non enim Lucilius ista narrat aut Lucianus, qui diis et hominibus non pepercit, sed ii potissimum, qui deorum laudes canebant. quibus igitur crederemus, si fidem laudantibus non habemus?» (CSEL XIX 1, ed. S. BRANDT [1890]). 15 Ep. IV 55 (= PG 78, 1105-8 = Nr. 1338 ÉVIEUX). 16 Vgl. Bibl. Cod. 128, 96a 25-33: …λόγοι, ἐν οἷς σχεδὸν ἅπασι τὰ τῶν Ἑλλήνων κωμῳδεῖ, τήν τε τῆς θεοπλαστίας αὐτῶν πλάνην καὶ μωρίαν καὶ τὴν εἰς ἀσέλγειαν ἄσχετον ὁρμὴν καὶ ἀκρασίαν, καὶ τῶν ποιητῶν αὐτῶν τὰς τερατώδεις δόξας καὶ ἀναπλάσεις, καὶ τὸν ἐντεῦθεν πλάνον τῆς πολιτείας, καὶ τοῦ ἄλλου βίου τὴν ἀνώμαλον περιφορὰν καὶ τὰς περιπτώσεις, καὶ τῶν φιλοσόφων αὐτῶν τὸ φιλόκομπον ἦθος καὶ μηδὲν ἄλλο πλὴν ὑποκρίσεως καὶ κενῶν δοξασμάτων μεστόν. 17 Die Parallele mit Isidorus Pelusiota ist erstaunlich eng: Ep. IV 55, PG 78, 1105 C-D (= S. 384, 24-40 ÉVIEUX). 18 Bibl. Cod. 128, 96a 33-5.

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μηδὲν ἦν ὅλως δοξαζόντων),19 die durch Photios zum ersten Mal formuliert wurde und seitdem die Debatte um die Figur Lukians nicht mehr verlassen hat, letztlich liegt. Es ist nämlich vom Duktus seiner Argumentation her klar, dass Photios auf diese Einschätzung nur dank eines indirekten Vergleichs mit den anderen Komikern, bei welchen viel stärker als bei Lukian positive Ansichten zu finden sind, kommen kann. • Glaubte Lukian an Nichts? – Der Begriff auctoritas, d. h. die Vorstellung des unbedingten Wertes und der Unantastbarkeit einer Idee, Meinung, Philosophie, Methode oder Überzeugung, fehlte im geistigen Horizont Lukians komplett. Generell offenbart sich dieser Schlüsselaspekt ohnehin in der konstanten „distanzierten Haltung“, welche den größten Teil der lukianischen Produktion kennzeichnet und sich in den verschiedenen Formen der Ironie, des Sarkasmus, der Parodie und des Spottes äußert. Noch greifbarer und deutlicher wird dieses Distanziertsein durch den Vergleich mit der Geisteshaltung Galens. Es ist somit nicht korrekt zu behaupten – wie etwa Photios es tut und viele nach ihm getan haben –, dass Lukian an Nichts geglaubt hätte, denn dies kann schlicht und ergreifend auf keine Weise nachgewiesen werden. Richtig ist dagegen zu sagen, dass Lukian keine auctoritas hat gelten lassen. Er entschied sich dafür, sich zu keiner Partei, Schule oder Richtung zu bekennen. Diese spirituelle Haltung verdient nicht nur eine richtige Einschätzung, sondern auch Respekt20: an sich und wegen der erhabenen Werke, die aus diesem Geist heraus entstanden und der Nachwelt geblieben sind.

_____________ 19 Vgl. Bibl. Cod. 128, 96a 35-8: Ἔοικε δὲ αὐτὸς τῶν μηδὲν ὅλως πρεσβευόντων εἶναι· τὰς γὰρ ἄλλων κωμῳδῶν καὶ διαπαίζων δόξας, αὐτὸς ἣν θειάζει οὐ τίθησι, πλὴν εἴ τις αὐτοῦ δόξαν ἐρεῖ τὸ μηδὲν δοξάζειν. Dieses Urteil wird am Ende des Abschnittes wiederholt und durch das Zitat eines Epigramms bekräftigt (Bibl. Cod. 128, 96b 4-10): Ὅτι δὲ αὐτὸς τῶν μηδὲν ἦν ὅλως δοξαζόντων, καὶ τὸ τῆς βίβλου ἐπίγραμμα δίδωσιν ὑπολαμβάνειν. Ἔχει γὰρ ὧδε· Λουκιανὸς τάδ᾿ ἔγραψα, παλαιά τε μωρά τε εἰδώς· μωρὰ γὰρ ἀνθρώποις καὶ τὰ δοκοῦντα σοφά, κοὐδὲν ἐν ἀνθρώποισι διακριδόν ἐστι νόημα· ἀλλ᾿ ὃ σὺ θαυμάζεις, τοῦθ᾿ ἑτέροισι γέλως. 20 Vgl. BALDWIN (1973), 117: «To conclude that he believed in nothing is open to question, but is not necessarily a disappointment. The position is intellectually respectable, and perhaps men who believe in nothing are more tolerant and less dangerous than the proselyte and the converted».

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302 GIBSON (2004)

GIGON (1945) GLADIGOW (1971)

GOLDHILL (2000) GOULET-CAZÉ (2003)

GRAESER (1975) GRIFFITH (1983)

GRONINGEN (1965)

HALL (1981)

HALLIWELL (1991a) HALLIWELL (1991b) HANKINSON (1992) HELM (1902)

HELM (1906) HELM (1927) HELMREICH (1909)

HENDRICKSON (1927) HENSE (1890)

Bibliographie

GIBSON, C.A.: Learning Greek History in the Ancient Classroom: The Evidence of the Treatises on ‘progymnasmata’, in: «CPh» 99 (2004), 103-29. GIGON, O.: Antike Erzählungen über die Berufung zur Philosophie, in: «MH» 3 (1945), 1-21. GLADIGOW, B.: Ovids Rechtfertigung der blutigen Opfer. Interpretationen zu Ovid, fasti I 335-456, in: «AU» 14.3 (1971), 5-23. GOLDHILL, S.: Who needs Greek? Contests in the Cultural History of Hellenism, Cambridge 2002. GOULET-CAZÉ, Marie-Odile: Les ‘Kynika’ du stoïcisme, (Hermes Einzelschriften 89) Stuttgart 2003. GRAESER, A.: Zenon von Kition. Positionen und Probleme, Berlin 1975. Aeschylus: Prometheus Bound, ed. by M. GRIFFITH, (Cambridge Latin and Greek Classics) Cambridge u. a. 1983. GRONINGEN, B.A. van: General Literary Tendencies in the Second Century A.D., in: «Mnemosyne» ser. iv, 18 (1965), 41-56. HALL, J.: Lucian’s Satire, (Monographs in Classical Studies) New York 1981 [urspr. Diss. Cambridge 1967]. HALLIWELL, S.: Comic Satire and Freedom of Speech in Classical Athens, in «JHS» 121 (1991), 48-70. HALLIWELL, S.: The Uses of Laughter in Greek Culture, in: «CQ» 41 (1991), 279-96. HANKINSON, R.J.: Galen’s Philosophical Eclecticism, in: ANRW II 36.5, 1992, 3505-22. HELM, R.: Lucian und die Philosophenschulen, in: «NJbb» 9. Band, 5. Jahrgang, 1902, 188-213; 26378; 351-69. HELM, R.: Lucian und Menipp, Leipzig/Berlin 1906. HELM, R.: Art. Lukianos, in: RE, Bd. 26, 1927, 1725-77. Galeni de usu partium libri XVII, ad codicum fidem recensuit G. HELMREICH, vol. II, (BT) Lipsiae 1909. HENDRICKSON, G.L.: ‘Satura tota nostra est’, in: «CPh» 22 (1927), 46-60. HENSE, O.: Ariston von Chios bei Plutarch und Horaz, in: «RhM» 45 (1890), 498-554.

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Bibliographie

HENSE (1909) HERMANN (1832)

HERRMANN (1966) HEWITT (1924) HIGHET (1962) HIJMANS (1994) HIRZEL (1883)

HIRZEL (1895) HOLZBERG (1981)

HOLZBERG (1988)

HOPHAN (1904)

HOUSEHOLDER (1940) HOUSEHOLDER (1941) HUMBACH (1974)

303

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304 ISER (1976)

ISER (1991)

JACOB (1832) JANKA (1999)

JEBB (1900)

JOHANN (1968)

JONES (1986) KANNICHT (1971)

KARAVAS (2005) KASSEL (1958)

KASULKE (2005)

KENNEDY (1983) KINDSTRAND (1976)

Bibliographie

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Bibliographie

KOKOLAKIS (1960)

KONSTANTAKOS (2002) KOPPENFELS (2001)

KORENJAK (2000)

KORUS (1986) KORUS (1999)

KUDLIEN (1981)

LANE FOX (1986) LAUVERGNATGAGNIERE (1988)

LEGRAND (1907/08)

LESKY (1971) LEVEQUE (1959)

LEVY (1926)

LIBRÁN MORENO (2001)

LIEBERG (1973)

305

KOKOLAKIS, M.M.: Lucian and the Dramatic Performances in His Time, in: «Platon» 12 (1960), 67109. KONSTANTAKOS, I.M.: Towards a Literary History of Comic Love, in: «C&M» 53 (2002), 141-172. KOPPENFELS, W. von: ‘Kataskopos’ oder der Blick von der Höhe: ein menippeischer Streifzug, in: «A&A» 47 (2001), 1-20. KORENJAK, M.: Publikum und Redner. Ihre Interaktion in der sophistischen Rhetorik der Kaiserzeit, (Zetemata 104) München 2000. KORUS, K.: Zur Chronologie der Schriften Lukians, in: «Philologus» 130 (1986), 96-103. KORUS, K.: Alle origini del mimo letterario greco, in: Studies in Ancient Literary Theory and Criticism. Essays ed. by J. STYKA, (Classica Cracoviensia 5) Krakau 2003 [urspr. 1999], 131-59. KUDLIEN, K.: Galen’s Religious Belief, in: Galen. Problems and Prospects. A Collection of Papers submitted to the 1979 Cambridge Conference, ed. by V. NUTTON, London 1981, 117-30. LANE FOX, R.: Pagans and Christians, Harmondsworth 1986. LAUVERGNAT-GAGNIERE, Christiane: Lucien de Samosate et le Lucianisme en France au XVIe siècle: athéisme et polémique, (Travaux d’Humanisme et Renaissance 227) Genf 1988. LEGRAND, Ph.: Les dialogues des courtisanes comparés avec la comédie, in: «REG» 20-21 (1907-1908), 3979; 176-231. LESKY, A.: Geschichte der griechischen Literatur, 3. Aufl., Bern u. a. 1971. LEVEQUE, P.: ‘Aurea catena Homeri’. Une étude sur l’allégorie grecque, (Annales Littéraires de l’Université de Besançon 27) Paris 1959. LEVY, I.: Recherches sur les sources de la légende de Pythagore, (Bibliothèque de l’école des hautes études. Sciences religieuses 42) Paris 1926. LIBRÁN MORENO, M.: ‘Zeus Tragodoumenos’. Apariciones de Zeus come personaje en la tragedia, in: «CFC(C)» 11 (2001), 101-25. LIEBERG, G.: Die ‘theologia tripertita’ in Forschung und Bezeugung, in: ANRW I 4 ,1973, 63-115.

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306 LITT (1909) LLOYD (1989)

LLOYD-JONES (2003) LUCK-HUYSE (1997)

LUMBROSO (1903) LUTZ (1954) MAAS (1922) MACLEOD (1961)

MACLEOD (1979) MACLEOD (1994)

MACMULLEN (1981) MAGINI (1996)

MANNING (1981) MARSH (1998)

MARTHA (1865) MATTEUZZI (1998)

Bibliographie

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Bibliographie

MATTIOLI (1981)

MCCARTHY (1934) MEISER (1904)

MESK (1912) MESK (1913) MIGNUCCI (1967)

MIKALSON (1983) MIKALSON (1991) MILLAR (1993) MOGGI /OSANNA (2003)

MOLES (1978) MÖLLENDORFF (1995)

MÖLLENDORFF (2000b)

MONACO (1967)

MORALEJO (2003)

307

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308 MORAUX (1984)

MORAUX (1985)

MOTSCHMANN (2002)

MRAS (1909)

MRAS (1916) MÜLLER (1891) MÜLLER (1929) MÜLLER (1987)

MÜNSCHER (1911)

NAPOLITANO (1974/75) NEEF (1940)

NESSELRATH (1984)

NESSELRATH (1990)

NESSELRATH (1990a)

Bibliographie

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Bibliographie

NESSELRATH (1992)

NESSELRATH (1993a) NESSELRATH (1993b)

NESSELRATH (1994)

NESSELRATH (1998) NESSELRATH (1999) NESSELRATH (2001) NESTLE (1942)

NESTLE (1950) NICKEL (2001)

NILSSON (1950)

NILSSON (1955)

NOCK (1925)

309

NESSELRATH, H.-G.: Kaiserzeitlicher Skeptizismus in platonischem Gewandt: Lukians ‘Hermotimos’, in: ANRW II 36.5, 1994, 3451-82. NESSELRATH, H.-G.: Parody and Later Greek Comedy, in: «HSPh» 95 (1993), 181-95. NESSELRATH, H.-G.: Utopie-Parodie in Lukians Wahren Geschichten, in: W. AX / R.F. GLEI (Hgg.), Literaturparodie in Antike und Mittelalter, (BAC 15) Trier 1993, 41-56. NESSELRATH, H.-G.: Menippeisches in der Spätantike: Von Lukian zu Julians ‘Caesares’ und zu Claudians ‘In Rufinum’, in: «MH» 51 (1994), 30-44. NESSELRATH, H.-G.: Lucien et le Cynisme, in: «AC» 67 (1998), 121-35. NESSELRATH, H.-G.: Art. Lukianos, in: DNP, Bd. 7, Stuttgart/Weimar 1999, 493-501. NESSELRATH, H.-G.: Lukian und die antike Philosophie, in: EBNER et al. (2001), 135-52. NESTLE, W.: Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates, 2. Aufl., Stuttgart 1942. NESTLE, W.: Art. Asebieprozesse, in: RAC, Bd. 1, Stuttgart 1950, 735-40. Galen, Über die Ausformung der Keimlinge, herausgegeben, übersetzt und erläutert von D. NICKEL, (Corpus Medicorum Graecorum 5, 3, 3) Berlin 2001. NILSSON, M.P.: Geschichte der griechischen Religion, Bd. 2: Die hellenistische und römische Zeit, (Handbuch der Altertumswissenschaft, Abt. 5, Teil 2) München 1950. NILSSON, M.P.: Geschichte der griechischen Religion, Bd. 1: Die Religion Griechenlands bis auf die griechische Weltherrschaft, 2., durchges. und erg. Aufl., (Handbuch der Altertumswissenschaft, Abt. 5, Teil 2) München 1955. NOCK, A.D.: Studies in the Graeco-Roman Beliefs of the Empire, in: «JHS» 45 (1925), 84-101 (partiell nachgedr. in: DERS., Essays on Religion and the Ancient World, selected and edited, with an Introduction, Bibliography of Nock’s Writings, and Indexes, by Z. STEWART, Bd. I, Oxford 1972, Nr. 4, 33-48).

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310 NOCK (1926)

NOCK (1933)

NORDEN (1891)

NORDEN (1915)

NUTTON (1999)

OLIVER (1972)

OLIVER (1980) OLTRAMARE (1926) OVERWIEN (2005)

PALM (1959)

PATILLON (1997)

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PINTO (1974) PIOT (1914) PLAZA (2006) POLLMANN (1996) POLZER (1879)

PRAECHTER (1898) PRAECHTER (1898b)

PRATESI (1985)

PREISER (2000) PUTNAM (1909) QUACQUARELLI (1956) RADT (1985) REARDON (1971)

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RELIHAN (1987) REVERMANN (2006)

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ROBINSON (1979) ROHDE (1898)

ROHDE (1914) ROMANO (1999) ROMERI (2001) ROOD (2004)

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SCHMID (1887)

SCHMID (1891) SCHMID (1907)

SCHMID/STÄHLIN (1924)

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SCHMIDT (1907)

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Aristoteles Rhet. 1, 3, 1358a 36ff.: 111 Nicom. eth. 1, 1, 1094b 2325: 7057 Bato fr. 5, 11-19 K.-A.: 24420 Bion fr. 70 KINDSTRAND: 5411 Caecilius fr. 150 OFENLOCH: 20438 Cicero De divin. 1, 42: 16529 De orat. 2, 250: 2429 2, 235: 8969 Tusc. disp. 1, 102: 5520 1, 104: 5620 1, 108: 5828 Corpus iuris civilis Dig. 48, 13, 4, 3: 285+8 48, 19, 30: 285+8 Mos. et Rom. Leg. coll. 15, 2, 5: 285+8 Sent. 5, 21, 1f.: 285+8 Cratinus fr. 326 K.-A.: 24419 Damoxenus fr. 2, 64-67 K.-A.: 24417 Demetrius De eloc. 113 (III 287,7ff. SP.): 193 Demosthenes Olynth. 1, 1-2: 130 Dio Prus. or. 8, 33: 1427 32, 97-99: 22633

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320

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Diodorus Sic. Bibl. hist. 1, 91f.: 59 1, 93: 59f. 3, 2, 1-2: 17147 6, 1, 1-2: 179+68 Diogenes Laertius Vit. philos. 3, 96: 8144 4, 48: 5621 6, 28: 77+27 6, 37f.: 7728 6, 42: 7625; 7730 6, 45: 7729 6, 63: 7625; 77+26 6, 73: 7731 6, 79: 5620 6, 99-102: 2416 6, 99: 2417 6, 101: 24210 7, 87: 25744 7, 166f.: 26154 Ps.-Diogenes Ep. 25: 5620; 5723 Dionysius Halic. De Demosth. dict. 5: 20438 Epictetus Diss. 1, 16, 20: 26465 2, 4, 8: 20233 fr. 15 SCHENKL: 20233 Epicurus Ep. ad Menoec. 123: 13956 Rat. sent. 1: 13956 Euhemerus TT 25-28 WINIARCZYK: 179+68 Eunapius Vit. soph. 2, 1, 7-9: 287+13 Eupolis fr. 102, 6f. K.-A.: 22529 Euripides Phoen. 1447-50: 5412 1451f.: 5516 fr. 162, 1f. RADT: 14414 Favorinus fr. 3 BARIGAZZI: 17657; 178+62

Galenus Cur. rat. ven. sect. 23: 27834 De aff. dign. 8: 266; 269 8, 3: 266+5 8, 4: 266+7 8, 5f.: 266+6 8, 6f.: 267+10 8, 8: 2654; 267+8 8, 8f.: 267+9 De foet. format. 6, 19ff.: 277+30 6, 20-2: 269; 27016 6, 23f.: 277+30 De libr. propr. 2: 278f. 11: 270f. 19: 265; 268+11 De ord. libr. suor.: 272f. De plac. Hippocr. et Plat. 9, 6, 16ff.: 268f. 9, 6, 20ff.: 26914 9, 7, 9-16: 276f.; 278 9, 9, 3: 26812 De propr. plac. 2, 1: 2651; 277+29 2, 2f.: 278+34 De usu part. 15, 1: 274f. 16, 1: 26812 Gellius Noct. Att. 14, 1, 1-36: 17657; 178+62 5, 1: 22631 Hecataius Miles. FGrHist 1 F 25-27: 3332 Hellanicus Mytil. FGrHist 4 F 28: 3332 Herodorus Heracl. FGrHist 31: 3332 Herodotus Hist. 1, 50-6: 7836 3, 38: 58+26 2, 136, 2: 6035 4, 71-2: 6646 Hesiodus Theog. 211f.: 106

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211-16: 969 535-37: 15658 541: 146 543-49: 156 546f.: 15759 550-52: 156 553-55: 15656 559-60: 156 561-64: 15656 565-67: 15654 567-69: 15656 613-16: 155 Hippocrates De vict. 1, 35: 25746 Ps.-Hippocrates Epist. 17 LITTRÉ: 89+71 Homerus Il. 1, 222: 114; 12025 1, 317: 74 2, 112f.: 80 6, 1: 74 7, 179f.: 79 7, 182f.: 79 9, 497: 8042 16, 433f.: 8043 Od. 1, 26-95: 955 1, 170: 12026 10, 98: 114 19, 172f.: 1933 Horatius Ep. 1, 1, 106-8: 26156 2, 1, 194-200: 8970 Serm. 1, 1, 24: 12922 Isidorus Pelusiota Ep. 4, 55 (= Nr. 1338 ÉVIEUX): 287+15.17 Lactantius Inst. div. 1, 9: 287+14 Lucianus Adv. ind. 13: 263f. 15: 14414 Alex. 25: 20952 Amor. 43: 143+9 Bacch. 5: 158+68

321

Bis acc. 19-21: 260f. 20: 26154; 26260 21: 26155.56.57; 26258.59 22: 26259 33f.: 205ff. 34: 198 Catapl. 13: 142+8 D.Deor. 1: 35ff. 4: 37f. 5: 38; 1414 6: 38ff. 7: 40f. 8: 41f. 9: 42ff. 10: 44f. 13: 45 15: 39; 45f. 22: 39; 46f. 24: 47f. D.Mar. 14, 3: 142+8 D.Meretr. 10: 249f. D.Mort. 10, 8: 25952 20(10): 245ff. 4(21): 193f.; 1948 Deor. conc. 1: 95+6; 10020; 129+23 2: 97f. 3: 9815 4: 9713 4f.: 98f. 6: 97f.; 102+6 7f.: 103+31 9: 98f.; 102 10: 98+15 12: 103+30 13: 9713 14: 966; 9816; 100+19; 103ff. 15: 100ff. 19: 102+28 De astrol. 1: 166; 17556; 181 2: 16528; 166; 169; 17966 3: 170+44.47 3-10: 169 3-26: 181 6: 170 7: 170ff. 9: 170+45

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322 10: 170ff. 11-22: 179 12: 170; 179; 180+70 13: 171 14: 17964 15: 171 16: 171 17: 176 17-20: 174 19: 172+49; 174 19f.: 173; 17556 20: 171; 175 21: 171f. 22: 172 23: 174; 18278 23-26: 181 27: 176+58 27f.: 182 28: 17728 29: 176f. De electr. 1f.: 17249 De hist. conscr. 20: 125 57: 125 De luctu 1: 64f.; 6748 1-9: 63 2: 66 2-9: 65+45; 67 3: 61 5: 61f.; 66+46 6: 66 7: 667 9: 62 10: 62; 65+45 10-20: 63 11: 62 12: 67f. 13: 6751; 68 14: 667 15: 67f. 16: 51; 6239; 6955 16-19: 63f.; 68; 70 18: 6239 19: 62; 68 20: 51; 69 21: 57+24 21-24: 63 24: 65 De merc. cond. 26: 1414

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33-35: 262f. De morte Peregr. 3: 14414 6f.: 87+61 45: 87+62 De paras. 31ff.: 214 34: 214f. 58: 16074 De sacr. 1: 85f. 6: 1414 9: 74f.; 1265 10: 714 15: 86+60 De salt. 7: 174+54 9-19: 174 15: 172 17-19: 169 19: 174+53 23: 173 34: 1926 38: 1414; 143+10 80: 173 Demon. 55: 264+64 Demosth. enc. 13: 14414 Fugit. 8: 169; 173+51 12: 251 12-21: 245ff. 14: 251 16: 24622 17: 24724 18: 201f. 19: 24724 Gall. 10f.: 263 24: 133f. 25: 13436 Hermot. 5: 25952 56: 213f. 76-79: 25743 81: 25334; 25435.36; 255+37; 25952 81-83: 253ff. 85: 213f. 86: 25746 Icar. 1: 116+20

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2: 1084 4: 109 4-9: 118 5: 109f. 6: 73f. 6f.: 1108 8: 110f. 9: 111 10: 107+3; 111f. 11: 113 16: 11824 19: 1084 20f.: 118 22: 1084; 113f.; 121+27 23: 11926; 122+29 24: 115f.; 123+30.32 25: 121+28; 122+29 26f.: 123+31 27: 116f. 28: 108 29-32: 118 29-34: 117 32: 117+22.23 33: 119+25 34: 1926 JConf. 8: 1414 12-14: 165 14: 7836 JTr. 1: 149 3: 126 4: 135+40; 137 5: 1266; 1279.13 7: 12712; 12921; 131+27 7-12: 131f. 8: 13230; 133f. 11: 12711 12: 12819; 13231 13: 12921 14: 12818; 13126 14-18: 129f. 15: 1268.16; 130+24 17: 135+41; 13852 18: 12923; 137+49 30: 12819 33: 12710 34: 135+42 35: 13952 35-52: 137 45: 1268; 128

323

47-49: 13747 50: 136+43 51: 13748 52: 24623 53: 13850; 14934 Merc. cond. 25: 20336 Musc. enc. 7: 210+53 Necyom. 3: 211f. 20: 10433 Nigr. ep. proem.: 2183 1: 2197 1-5: 23151 1-7: 220 2: 2198; 22218; 22319; 22630 3: 2196 3-5: 218 4: 219+9; 22113 5: 2185 6: 22633 7: 225 10: 22011 12: 22839 12-14: 22837 14: 221+14 15: 22838 16: 22323; 225 17f.: 22425 18: 22320 19-34: 227 20: 221; 22217 21: 22324 21f.: 225 22: 22424 23: 16074 24: 22424 25: 22424 27: 22116 31: 22115 35: 225 35-37: 218; 225 36f.: 233 37: 2185 38: 231ff. Patr. enc. 9: 528 Philops. 2: 1414 10: 283+4 20: 133+33

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Pisc. 19f.: 23770 20: 73+13 22: 202ff. 26: 12715 Pro imag. 23: 133+33 Pro lapsu 4: 20848 Prom. 1-3: 154f. 3-6: 14519 4: 14625; 14726.27; 15247; 154; 1554 5: 14726; 152+46; 1554 7: 14726; 15656 7-10: 150+36; 155 7-19: 145 8: 15656; 15760.61 9: 15656; 15762 12: 146f.; 211+58 13: 14520; 150+39 15: 14624; 152f.; 16073.75 16: 15348.49 17: 15763 18: 210f. 19: 14624 20: 15865.67; 159+70 21: 15866; 160+73 Prom. es 2: 12715 Rhet. praec. 17: 214f. 26: 205+41 Sat. 29: 16074 Somn. 1-3: 13437 Symp. 3: 15761 22-27: 263 23: 25847 30: 25746 39: 200f. Tim. 50f.: 10433 54-57: 263 Ver. hist. 2, 3: 968 2, 6: 25746 2, 17: 198+22 2, 18: 25746 2, 19: 200f. Vit. auct. 13: 165

13f.: 87f. 15: 19410; 19511 15-19: 194f.; 15f.: 19512 17: 196+14; 19716; 198 18: 19718.20; 2199 18f.: 195ff. 20: 25950.52 20-25: 253ff. 21: 264+65 22: 25640 23: 257+43.45.46 24f.: 258+47.48 25: 25950 Marcus Aurelius In sem. ips. 6, 47: 2428 9, 40: 8457 Maximus Tyrius or. 5: 78ff. 5, 1, a: 7939 5, 1, f-g: 7937.38 5, 2, b-e: 79f. 5, 3, a: 80+42 5, 4, a: 81+45 5, 4, b-c: 8146.47 5, 4, c-f: 8248 5, 4, g-h: 8043 5, 5, a. e: 8249 5, 5, a-c: 8043 5, 6, a: 8250 5, 6, c: 8251 5, 7, a: 82+52 5, 7, e-g: 83+56 5, 7, g-h: 8355 5, 7, h: 8353 5, 8, b-c: 84+57 5, 8, c: 8459 5, 8, d: 8354 5, 8, e-g: 8458 8: 82 Menander Ench., fr. 5 K.-A.: 24419 fr. 508 K.-A.: 143+9 test. 104 K.-A.: 2512 Minucius Felix Oct. 20, 2f.: 2035

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Nicolaus Soph. Progymn. p. 449,4-6 SP.: 114 Novum Testamentum Mc. 12, 41-4: 9277 Luc. 21, 1-4: 9277 Palaephatus De incredibilibus (ed. FESTA) 1: 32+31; 3335 15: 33+34 Pausanias Graec. descr. 1, 4, 5: 7835 2, 17, 4: 3129 8, 1, 4: 3127 8, 2, 4-7: 28f. 8, 8, 2: 3025 8, 8, 3: 31+26 Philemon fr. 88 K.-A.: 24314 fr. 95 K.-A.: 243+16 Philippides fr. 6 K.-A.: 19929 Philostratus Imag. 1, 22: 7835 Vit. Apollon. 6, 27: 7835 Photius Bibl., cod. 128: 286+12; 287+16.18; 288+19 Plato Apol. 36e: 154 Ep. VII, 326b6-d6: 19928 Gorg. 447b: 234 456d-57e: 173 Leg. VII, 814e-816d: 1926 Phaed. 115c2-5: 6138 59b10: 19926 82b: 21053 99b2-6: 6444 Phaedr. 228a-c: 22633 234d: 234 246d6-247a1: 204+36 Protag. 320c8-d1: 147 Resp. II, 377a ff.: 211 II, 379a5-c1: 21260

325

III, 391e: 14414 V, 457c: 197 V, 462c: 20234 IX, 592a10-b4: 199 Symp. 217e: 234 218a: 232 218b-219d: 195; 197 219b-d: 19613 Theaet. 176a: 211+57 Plutarchus Consol. Apoll. 15: 5620 De aud. 18, 48 B-D: 1312 De tranquill. 469 D: 5517 Plac. philos. I 29, 885 C-D: 8144 Quaest. conv. 712 B-D: 2512 612 C-D: 15761 Amat. 767 D-E: 20234 Polybius Hist. 34, 2, 4-8: 180+69 Porphyrius De abstin. 2, 16: 91f. Posidippus fr. 15 K.-A.: 24315 Quintilianus Inst. or. IX 2, 31: 6340 Sallustius De diis et mundo 12: 8144 Scholia in Lucianum p. 57f. RABE: 1267 Scriptores Historiae Augustae (SHA) Vit. Marc. 13, 6: 285+7 Seneca Ad Marc. 26: 63f. Apocol. 9: 10125 Ep. 41, 1: 8457 24, 13: 5517 115, 8: 5517 Nat. quaest. 2, 35, 1: 8457 Seneca maior Suas. 3, 3: 17862 4, 1-4: 17862 Sextus Empiricus Pyrr. hypot.

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1, 237: 8144 3, 226-9: 5829 Stobaeus Antholog. 1, 93: 8144 3, 20, 53: 8972 3, 40, 8: 516 Stoicorum Veterum Fragmenta (SVF) I 167: 181+76 I 169: 181+76 I 173: 181+73 I 174: 181+74 II 1076-1100: 181+77 Strabo Geogr. 1, 2, 15: 180+69 Tacitus Dial. 3, 1: 22630 Teles (ed. HENSE2) p. 29,1-30,1: 53 p. 30,1-10: 54 p. 31,1-3: 61; 6239 p. 31,1-32,2: 55 p. 31,6-7: 61 Theon (ed. SPENGEL) Progymn. p. 60,1-10: 14+15 p. 61,23-26: 12+9 p. 61,28-62,10: 1312 p. 65,1-7: 1516

p. 65,11f.: 1518 p. 65,17-22: 1519 p. 65,22-25: 1312; 1517 p. 72,28-32: 1310 p. 74,2-8: 1414 p. 74,25: 1827 p. 75,31-76,5: 13f.; 14+13 p. 76,18-22: 1620 p. 76,28-32: 1624 p. 76,32-77,9: 1621 p. 76,6-7: 1310 p. 77,14-20: 1622 p. 77,32-78,3: 1623 p. 84,21-3: 1726 p. 87,13-21: 1828 p. 89,29-90,15: 1830 p. 95,3-5: 17+25 p. 95,8-96,14: 1727 Theognetus fr. 1 K.-A.: 24418 Thucydides Hist. 2, 2: 1829 4, 64: 1933 5, 47: 104 TrGF adesp. 281 KANNICHT-SNELL: 5414 Xenophon Anab. 1, 2, 13: 7835 Memor. 1, 1, 11-16: 27833

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2. Register der Namen und Begriffe Aberglaube 36; 23; 103; 132; 13850; 164; 283ff. (sowie Kap. I.9) | s. auch 'Glaube', 'Götter', 'Religionskritik' "Abfertigungsszene" (Komödie) 259 Absurdität 108 Aelius Aristides 8; 25; 36; 147; 208 Agnostizismus 265+1 Aischines (Sokratiker) 214 Aischylos 141ff. Albinus (Platoniker) 224; 229 Alexander von Abonuteichos 284f. Alkibiades 196f. Alkidamas 246 Allegorie 17556; 17965; 191 | s. auch 'Symbol' ANDERSON, G. 723; 12; 19; 225; 12229; 1252; 16739; 16943; 185; 22012; 22633; 22735; 234; 236; 28611 Anubis 98 Apis(stier) 98 Apuleius 250f. Aristipp (Sokratiker) 214 Aristophanes 25; 50; 6239; 96 Asklepios 45f.; 98+16; 102; 278 Atheismus 3232; 77+30; 138f.; 188; 262ff. | s. auch 'Aberglaube', 'Glaube', 'Götter', 'Religionskritik' Athen 226f.; 236

auctoritas-Begriff 65; 200; 208; 268 Aufklärung 4f. BACHTIN, M. 24 BALTES, M. 231f. Barbaren 134 BAUMBACH, M. 36; 2835 BAYLE, P. 5+17 Bekehrung 219; 228ff.; 236 BELLINGER, A.R. 128 Bendis (Göttin) 115 Bildhauerei 134 BOMPAIRE, J. 11f.; 125f.; 13645; 14311; 15144; 163; 185; 1914 BRANHAM, R.B. 1+2; 8; 21; 23+7; 49f.; 185 BRUNS, I. 136 CAMEROTTO, A. 929; 3438; 14623; 217Anm. CASTER, M. 2ff.; 145+17; 149ff.; 16426; 185; 281 Chrysipp 58; 254; 256 Cicero 27; 58; 89; 16529 close-reading-Methode 8 COENEN, J. 127f.; 131 Damis (Epikureer) 138f. Dämonen 722; 123; 186 Demiurg 27016; 274f.

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Register der Namen und Begriffe

Demokrit 87ff.; 165; 175; 187 Demosthenes 96; 130 Dialektik 207; 258; 260; 262 Dialog 11f.; 19; 21+2; 132; 136; 149; 151; 159; 192; 205ff. Diatribe (kynische) 51; 527; 6239; 75f.; 23666; 285 Diodor 59ff.; 16947 Diogenes (Kyniker) 5620; 61; 7625; 77+31; 193; 20337 Diogenes Laertius 77; 241 Dion von Prusa 124; 192+7; 22633 Dionysos 24f.; 3539; 46f.; 98f.; 102; 116; 158f.; 282 DÖRRIE, H. 231f.; 203ff. Eklektizismus 222; 265f. Epiktet 78; 202; 263f. Epikur(eismus) 9; 135f.; 139f.; 191; 222; 246; 260; 262; 286 Eros (Gott) 3539; 38ff. Euhemerus 3232; 174; 179f.; 283 Favorinus 176 Frauengemeinschaft, platonische 196; 200f. Frömmigkeit 2532; 50; 173 | s. auch 'Glaube', 'Mythos', 'Religion' Ganymedes 41; 44f. GARGIULO, T. 141; 156; 159f. Gebet 81ff.; 121; 122+29; 187f. | s. auch 'Glaube', 'Mythos', 'Religion' Gesetze (Platons Νόμοι) 192+7 Glaube 5; 226; 29f.; 32f.; 49; 51; 60f.; 65; 111f.; 129; 13850; 149; 175; 186ff.; 281; 288) | s. auch 'Aberglaube', 'Götter', 'Religionskritik'

Götter/Götterbild/Gottesbild 95.12 6ff.157f.181ff.188 | Atheismus 138f.; Beziehung zu den Menschen 121f.137.146.188; Einheitlichkeit der Götter 116ff.; Fremdgötter 97ff.; Galen, Götter bei 274f.; Gastmahl der Götter 116f.; Götterbilder, Kritik der 131ff.; Halbgötter 46; Komödie, Götterkomödie 48; Kosmos, Götter und 111; Natur, Götter in der 277f.; platonisches Gottesbild 211f.; Rhetorik, Götter und 129f.; Schwächen der Götter 138; stoisches Gottesbild 243f.246.254; traditionelle Götter 101ff.113ff.; Veränderlichkeit der Götter 115f.; Wissen um die Götter 276 | s. auch 'Mythos/Mythen', 'Religionskritik', 'Theologie' HALL, J. 240f. HARMON, A.M. 168 Hedonismus 260f. Helios (Gott) 47 Hellenozentrismus 101f.; 235ff. HELM, R. 1; 36; 8; 226; 527; 71f.; 193; 196+15; 198; 240 Hephaistos 45f. Hera 41ff. Herakles 28; 3539; 45f.; 98; 102 Heraklit 87f. Hermes 35; 37f.; 95; 10020; 12714; 129ff.; 143+11; 15551; 158f.; 247; 258; 25949 Herodot 17; 19; 58; 60; 64ff.; 69; 9275; 16529; 176; 188; 285 Hesiod 65; 96; 106; 146ff.; 155f.; 212 Himmel 113ff. Himmelsreise 107 Hippokrates 89; 267f.

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Register der Namen und Begriffe

Homer 19+33; 226; 2614; 3438; 36; 43f.; 50; 65; 79f.; 84; 95; 114; 120; 12126; 123; 188; 212; 219; 225; 229+41; 285 HOUSEHOLDER, F.W. 103ff. Humor 153ff.; 197; 203; 260 | s. auch 'Ironie' und 'Satire' Ideenlehre, platonische 197ff. Insel der Seligen 199f. Io 40 Ironie 61ff.; 137; 154; 220 | s. auch 'Humor' und 'Satire' Isis 40 Ixion 42 JONES, C.P. 8; 163+24; 185; 22734 Julian (Kaiser) 8; 93 KARAVAS, O. 6854; 141+4; 14413-15; 16737 KASSEL, R. 527; 5620; 5825; 6750; 6852f.; 7056 Knabenliebe 194; 248 Komödie 24f.; 48ff.; 96; 159; 194; 199; 242; 259 Konversion s. u. 'Bekehrung' Kosmos 107; 111; 269f.; 276ff. Kulte 27+17; 34; 49; 98; 101ff.; 117; 174; 185; 283 Kynismus 9; 51ff. (Kap. I.3); 76+23; 77f.; 89; 1108; 112f.; 194+8; 207; 241; 246; 251; 286 Lachen 48f.; 85; 89f.; 176f.; 196; 200; 223 Libanios 147 LIGHTFOOT, J.L. 163ff. Logik 258+47; 260; 26362; 270; 273

329

Lukian "Ästhetik", L.s 205; "Aufklärer", L als 4f.; "versteckter" Autor, L. als 175f.182f.; Aischylos, L. und 142.144ff.; Ausbildung 12; Autor, L. als 213.218. 237; Eklektizismus 222; Glaube 288; Herkunft ('der Syrer') 281f.; Herodot, L. und 64ff.; Homer, L. und 36.43.95.108.114.116; Humor 197f.204; Ironie 61; Komödie, L. und die 24f; Kultur 260; kulturelle Zugehörigkeit 235ff.; Künstler, L. als 7; Kynismus, Verhältnis zum 51ff.75ff.; Lachen bei L. 49f.85.89f.; Menipp, L. und 75f.112f.241f.; Mythos, Verhältnis zum 16 (sowie Kap. I.2); Nihilismus 286f.; Opfern, Verhältnis zu den 93f.; Optimismus 123f.; Persönlichkeit 8f.; Pessimismus 69f.93f.; Platon, L.s Verdacht/Misstrauen gegenüber 194f.209; Platon, Lob P.s durch L. 215; Platon, Urteil über 203ff.207f.212; Platonbild, Schattierungen in L.s 214; platonische "Theologie" 210ff.; platonische Ideenlehre 197ff.; platonischen Gesamtwerkes, L.s Kentnisse des 192; platonischen Stils, L.s Nachahmung des 197. 203.205f.212.234; Realismus 186; Rhetor, L. als 283; Satiriker, L. als 22.43f.66.87; Skeptizismus/ Agnostizismus L.s im Vergl. zu Galen 273ff.279.287; stereotypes L.-Bild 220f.226ff.; Stoizismus, stereotype Darstellung des 239f.; Theatralik 68f.; Tradition, Bezug zur 285; Vortrag eigener Werke 23.127f.139.166f.; Weltbild 181ff.188f.281ff. Magnesia (Stadt) 105 Mantik s. u. 'Wahrsagung'

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Register der Namen und Begriffe

Mark Aurel (Kaiser) 8; 242; 278; 285 Maximus Tyrius 78ff. MEISER, K. 74ff. Menipp 10125; 109f.; 112ff.; 193; 207; 211; 241f. Metapher 225; 234; 246 Metaphysik 36; 514; 63; 207; 222f.; 207 Methode 7ff. Mithras 98; 102 Momos (Gott) 95ff.; 988; 102; 106; 225 Musonius Rufus 226 Mysterien 173f. Mythos/Mythen 148; 174; 178ff.; 181; 186; 212; 286ff. | D.Deor., M. in den 21ff.; dialogische Umformung der M. 18; Freude an den M. 19f.22; Kreativität, M. und 14f.78; Prometheus-M. 143. 146f.155 (s. auch Kap. I.8); rhetorischen Ausbildung, M. in der 13ff.; Telephos-M. 23151.232f. | s. auch 'Humor', 'Satire', 'Religionskritik', 'Rhetorik' NESSELRATH, H.-G. 7620.24; 14414; 15969; 16074; 163+25; 1911; 1925; 1949; 19510; 19926.28; 21463; 21565; 24312.14f.18-20; 253; 256; 283 Neues Testament 23; 9277; 93 NILSSON, M.P. 249; 6647; 163+16; 182; 186 Olymp(ier) 3436; 36; 44; 49; 95; 98f.; 102; 115f.; 13538; 16072; 186; 188 Opfer 85; 157f.; 187 (sowie Kap. I.4) Optimismus 123f.; 273

Orakelkritik 165 (sowie Kap. I.9) Ovid 955 Palaiphatos 32ff.; 174; 180 Paradox(ie) 107ff.; 124 Parasiten 214f. Parrhesiades 202f. Pausanias 28ff. Peregrinus Proteus 88f; 284f. Pessimismus 51; 69f.; 91; 93f.; 187; 189; 224; 236; 271f. Phaethon 47; 128f.; 199 Philogelos 48 Philosophen 109; 120; 218; 226 | Pseudophilosophen 201; 214; 244; 245f.; 248; 251; 272f. Philosophie 1; 3f.; 9; 59; 63; 79f.; 81ff.; 86; 111; 118ff.; 173; 178; 209; 265f. | Binsenweisheiten, P. als Ansammlung von 220.227; Dialog, philosophischer 136; Gegenpol zur P. 222; Heilung, P. als 233; Inhalt der P. 221; Inkongruenz der P. 222f.; Negativität der P. 245.248.255f.; Schulen, philosophische 266f.; Tugend als Ziel, P. hat die 267f.; Unterschiede der philosophischen Schulen negativ betrachtet 268ff. 272f. | s. auch 'Götter/Götterbild/Gottesbild', 'Platon/Platonismus', 'Stoizismus', 'Theologie' Photios 287f. Platon/Platonismus 17; 19; 42; 61f.; 79; 81; 112; 12126; 13644; 173; 17556; 187f.; 191ff.; 223; 233; 268 | Biographie 215; negatives Paradigma, P. als 193f.; Nigrinus als Platoniker 223; Schulplatonismus 224f.; Witze über P. 199+29.215 Plutarch 23; 25+12; 2614; 527; 5620; 123; 20234; 265+2

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Register der Namen und Begriffe

Polybios 179f. POPMA, K.J. 71ff. popular religion 26ff; 92f. PRAECHTER, K. 51f. Propheten, falsche 103; 166; 23046 Prophyrios 23; 26+14; 91f. Publikum 4f.; 24; 27; 47; 50; 66; 714; 86; 96; 105+43; 127f.; 131; 136; 16739; 188; 246ff. Realismus 6646; 6751; 114; 132+30; 186; 19719; 202; 23769; 247; 255; 275f. REARDON, B.P. 12 Religion Definition 1f.; des Publikums Lukians 22.25; Lukians Götter 44.46.48.282f. Religionskritik 103; 164 | Cicero und Seneca, R. bei 27; D.Deor., R. in den 23ff.; MACMULLEN, der Ansatz von 26f.; Opfer, R. als Kritik der 93; Palaiphatos, R. bei 32ff.; Pausanias, R. bei 28ff. | s. auch 'Götter/Götterbild/Gottesbild', 'Lukian' Rezeptionsästhetik 8 Rhetorik 1; 36; 49; 63f.; 78; 84; 86; 108; 129ff.; 178; 205; 215; 225f.; 247f.; 251; 282 Rom 219; 226f.; 236 Satire 1; 412; 9; 226; 50f.; 66; 76; 955; 99; 103; 107; 118; 136; 168; 188; 226f.; 232; 241; 259; 262f.; 279; 286 | s. auch 'Humor', 'Ironie', 'Rhetorik' Schicksal 82; 137 Schlafgott (Ὕπνος) 106 Seneca d. Ä. 147 Seneca d. J. 23; 26f.; 63ff.; 89; 92f.; 1012

331

Sextus Empiricus 2614; 58; 178 Skeptizismus 27; 58; 112; 12128; 177; 182; 189; 271; 276; 281; 283 Sokrates 53; 61; 83f.; 110; 112; 146; 193ff.; 211; 214; 232; 236 Stoizismus Apuleius und der S. 250ff; Darstellung der stoischen Lehre 253ff.261f.; Darstellung, monotone D. des S. durch Lukian 239f.248f.252.259.262f.; Geldgier der Stoiker 257f.; Komödie, Stoiker in der 242ff.; Logik, stoische L. 254.257f.; Theologie des S. 243f.; typischer/typisierter Stoiker 249f.257f. 259; Wahrsagung, stoische Sicht über die 180f. Symbol/symbolisch 90; 205; 210; 219; 228; 22942; 23667; 237+69; 256 | s. auch 'Allegorie' TACKABERRY, W.H. 210f.; 240 TARRANT, H.A.S. 229ff. Technik 173 Teles 51ff. Theater 108; 126ff.; 225; 230+47 Theologie 110; 118ff.; 224; 243f.; 246f.; 269f.; 286 | s. auch 'Lukian', 'Religionskritik' Theon 12ff. Timokles (Stoiker) 136; 246 Tod 5620; 5723; 61; 63ff.; 67ff.; 187; 193f. Tugend 53; 194; 223; 225; 249; 253; 257; 267 Varro 76+19 Volkspietät 26ff.; 92f. Vorsehung 38; 49.13; 6; 2035; 82 VOLTAIRE 5; 283f. VON MÖLLENDORFF, P. 25332

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332

Register der Namen und Begriffe

VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF,

U. 36; 3333; 526; 5413; 185; 2812 Wahrheitsbegriff 270ff. Wahrsagung 164; 166; 180f.; 278 Witz s. u. 'Humor' und 'Satire' Zamolxis 102 Zeus 34ff.; 80; 103; 116; 121; 126; 129;145; 148; 155; 157; 204f. Zufall 82 ἄγνοια 90f.; 94 ἀλαζονεία 249 ἀμαθία 247 ἀνάγκη 82 ἄνοια 90f.; 94; 222 αὐτόματον 82

δεισιδαιμονία 7728 εἱμαρμένη 82; 181 ἐκκλησία 97 ἡδονή 260f. κολακεία 248 μεγαλόνοια 203 πάθος 273f. προγυμνάσματα 11ff.; 281 προλαλιά 158f. πρόνοια 82; 181 σοφία 244 σοφός 166 τέχνη 82; 173 τραγῳδός 126 τύχη 82 ψόγος 245ff.

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