>Lesbia< und >Juventius<: Zwei libelli im Corpus Catullianum: Untersuchungen zur Publikationsform und Authentizität der überlieferten Gedichtfolge 9783666251849, 352525184X, 9783525251843

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>Lesbia< und >Juventius<: Zwei libelli im Corpus Catullianum: Untersuchungen zur Publikationsform und Authentizität der überlieferten Gedichtfolge
 9783666251849, 352525184X, 9783525251843

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HYPOMNEMATA 111

V&R

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig

HEFT 111

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

JAN-WILHELM BECK

'Lesbia' und 'Juventius': Zwei libelli im Corpus Catullianum Untersuchungen zur Publikationsform und Authentizität der überlieferten Gedichtfolge

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Verantwortlicher Herausgeber: Siegmar Döpp

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Beck, Jan-Wilhelm: 'Lesbia' und 'Juventius' : zwei libelli im Corpus Catullianum ; Untersuchungen zur Publikationsform und Authentizität der überlieferten Gedichtfolge / Jan-Wilhelm Beck. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1996 (Hypomnemata ; H. 111) Zugl.: Bochum, Univ., Habil.-Schr., 1995 ISBN 3-525-25184-X NE: GT

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Diese Arbeit wurde im Dezember 1994 inhaltlich abgeschlossen. Sie lag seit Februar 1995 der Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum vor und wurde im November 1995 als Habilitationsschrift angenommen. Anschließend habe ich sie für den Druck geringfügig überarbeitet und nach Möglichkeit um in der Zwischenzeit erschienene Literatur ergänzt. Für die Aufnahme der Schrift in die Reihe der Hypomnemata danke ich den Herausgebern, vor allem Herrn Prof. Dr. Siegmar Döpp, Göttingen, dem außerdem mein herzlicher Dank dafür gilt, daß er mich ermuntert hat, meine Gedanken zu Catull niederzuschreiben und als Habilitationsschrift einzureichen. Darüber hinaus möchte ich ihm an dieser Stelle für die fruchtbare Zusammenarbeit während meiner sechsjährigen Assistentenzeit bei ihm in Bochum danken, für die Förderung, die ich während dieser Zeit erfahren habe, für sein Verständnis und seinen Rat und letztlich auch dafür, daß er mir weiterhin seine Unterstützung gewährt hat, nachdem er den Ruf nach Göttingen angenommen hatte, ich ihm aber wegen meines bereits eingeleiteten Habilitationsverfahrens nicht dorthin folgen konnte. Dem Seminar für Klassische Philologie der Ruhr-Universität Bochum weiß ich mich ebenfalls verpflichtet. Für sorgfältige Korrekturen habe ich Frau cand. phil. Heike Zejunc sowie Frau Carola Budnj und Frau Gisela Becher zu danken. Gewidmet sei dieses Buch meinen Eltern in München, insbesondere meiner Mutter, der ich für ihre stetige Fürsorge und geduldige Korrekturhilfe dankbar bin.

Bochum, im März 1996

Jan-Wilhelm Beck

Inhalt

1. Einleitung

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2. Die gängige Forschung: 'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.

Das Editions-Problem (c. 1-116) Das Prooemien-Problem (c,14a) Das Juventius-Problem (c,15ff.) Das Furius-und Aurelius-Problem (c.ll) Das baj/a-Problem (c.16)

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3. Ein neuer Ansatz: 'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli 3.1. c.1-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge 3.2. c.1-14 und 14a-26: strukturelle Bezüge 3.3. Zusammenfassung für 3.3.1. c.1-14 ('Lesbia'-libellus) 3.3.2. c.l4a-26 ('Aurelius- und Furius '-libellus)

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4. Konsequenzen für das Corpus Catullianum

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Literaturverzeichnis

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Index

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1. Einleitung Die Frage nach Gedichtzyklen, Aufbauplänen und Bucheinteilung betrifft eines der zentralen und interessantesten Probleme der modernen CatullForschung und hat auch in den meisten größeren Darstellungen oder etwa den einleitenden Kapiteln der Kommentare ihren festen Platz,1 versucht man schließlich Catull nicht nur als Autor von Einzelgedichten zu verstehen, sondern auch einem Catull als Ordner und Redaktor seiner eigenen Schöpfungen auf die Spur zu kommen. Daß dies nicht nur oberflächlich von Interesse ist und zu einem formalen Verständnis von Catulls Kompositionstechnik führt, über die man zusätzlich zur eigentlichen Erklärung der Gedichte ebenso wie über die Chronologie, die Überlieferung, die Rezeption und andere 'Äußerlichkeiten' glaubte Aussagen machen zu müssen, sondern durchaus auch für die Interpretation der carmina selbst von Belang sein kann, liegt auf der Hand und wird durch die im folgenden vorgetragenen Ergebnisse vor allem für c.1-14 oder c.17, 25 und 26 wie deren Umfeld, die c.l4a-26 insgesamt, noch ausführlicher zu zeigen sein.2 Auch bei scheinbar vergleichbaren Sammlungen anderer Autoren ist der Forschung ja längst bewußt, daß nicht von einem akribischen Wissenschaftler als dem ursprünglich intendierten Leser auszugehen ist, der den Einzelgedichten kreuz und quer durch das Buch nach chronologischen oder motivischen Gesichtspunkten folgt, wie es besonders in früherer, auf eine biographische Ausdeutung der Gedichte und Catulls Liebesroman bedachten Forschung üblich war.3 Zu rechnen ist vielmehr mit einem gewöhnlichen Leser, 1

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Vgl. z.B. WHEELER (1934) S.5ff., WISEMAN (1969) S.lff., (1979) S.175ff., (1985) S. 265f., QUINN (1972) S.9ff., (1973) S.386ff., SYNDIKUS (1984) S.52ff., E A . SCHMIDT (1985) S.29ff., FEDELI (1990) S.29ff., MARTIN (1992) S.26ff., GAISSER (1993) S.5f.; auf Anmerkungsniveau reduziert dagegen bei STOESSL (1977) S.234 Anm.2, JANAN (1994) S.155 Anm.4. MILLER (1994) S.75 spricht gar von "secondary importance". Vgl. S.154ff., bes. S.187ff., 185ff., 195ff. Zur Entwicklung der Forschung vgl. z.B. EA. SCHMIDT (1985) S.ll mit Hinweis auf die Ausnahme STOESSL (1977) und die sich nach wie vor hartnäckig haltende Beurteilung von C.51 (siehe die Beipiele u. Anm.86). Auch noch jüngst erklärt aber sogar v. ALBRECHT (*1994) S.273, daß "Für die Interpretation des Einzelgedichts [...] von der Gruppierung nicht allzuviel" abhänge, man "Gedichte, die formal oder inhaltlich verwandt sind, [...] auch unabhängig von ihrer Stellung miteinander vergleichen" werde. Gerade dieser, sonst in der Forschung trotz entsprechender Beteuerungen ebenfalls nicht wirklich überwundene Ansatz führte jedoch bislang in der Regel dazu, mehrere der hier zu betrachtenden, entscheidenden carmina viel zu flüchtig und eben in der Tat bewußt oder unbewußt ausgehend von einem stellungsunabhängigen Vergleich zu interpretieren (vgl. bes. c.ll und den vermeintlichen 'Juventius'-Roman c.l5ff.), anstatt sorgsam auf die Formulierungen der Gedichte selbst, so wie sie nacheinander überliefert sind, zu achten, diese im unmittelbaren Umfeld zu verstehen zu suchen und auszuwerten.

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Einleitung

der die Buchrolle natürlich von Anfang an aufrollt und so ein Gedicht nach dem anderen durchliest und eben wegen dieser als nach und nach fortschreitend vorauszusetzenden Lektüre vom Autor im Verständnis einzelner Gedichte ganz wesentlich durch den Kontext beeinflußt werden konnte, den der selbst seinen Gedichten durch ihre Plazierung in seiner Edition gegeben hat. Das herauszuarbeiten haben sich für Horaz z.B. in jüngster Zeit DEITMER und KERKHECKER bemüht;4 für Vergils Eklogen gibt es entsprechende Untersuchungen der Anordnung z.B. von VAN SICKLE,5 für Properz von HUTCHINSON. 6 Tibulls Corpus hat sich z.B. wiederum die sonst ja auch als Catull-Forscherin auftretende DEITMER angenommen7 ebenso wie Ovids 4

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H. D E I T M E R , Horace: A Study in Structure, Hildesheim 1983; A. KERKHECKER, Zur Komposition des vierten Horazischen Odenbuches, AA 34 (1988), S.124-143; vgl. ferner z.B. W. LUDWIG, Zu Horaz, c.2,1-12, Hermes 85 (1957), S.336-345; N.E. COLLINGE, The Structure of Horace's Odes, London 1961; R.W. CARRUBA, The Epodes of Horace. A Study in Poetic Arrangement, The Hague 1969; G. WILLIAMS, The Third Book of Horace's Odes, Oxford 1969; C. RAMBEAUX, La composition d'ensemble du Uvre I des satires d'Horace, REL 49 (1971), S.179-204; M.S. SANTIROCCO, Horace's Odes and the Ancient Poetry Book, Arethusa 13 (1980), S.43-57; M.CJ. PUTNAM, Artifices of Eternity. Horace's Fourth Book of Odes, Cornell/Ithaca/London 1986. Für ältere Literatur zu den Gedichtbüchern der Augusteer wie auch z.B. die mehrere behandelnden Aufsätze von PORT (1926, u. Anm.83) und MICHELFEIT (1969) siehe die jeweiligen Angaben in den hier Anm.3-11 genannten Arbeiten; vgl. ferner N. KREVANS, The Poet as Editor: Callimachus, Virgil, Horace, Propertius and the Development of the Poetic Book, Diss. Princeton 1984. VAN SICKLE (1980) S.16-29, 40-41; vgl. ferner z.B. P. MAURY, Le secret de Virgile et l'architecture des Bucoliques, Lettres d'Humanité 3 (1944), S.71-147; C. BECKER, Virgils Eklogenbuch, Hermes 83 (1955), S.314-349; Β. OTIS, Virgil, Oxford 1964, S.128ff.; O. SKUTSCH, Symmetry and Sense in the Eclogues, HSCPh 73 (1969), S.153-169; D E I T MER (1983, o. Anm.4) S.2ff. sowie für das 'Catalepton' z.B. M. SCHMIDT, Anordnungskunst im Catalepton, Mnemosyne 16 (1963), S.142-156. G.O. HUTCHINSON, Propertius and the Unity of the Book, JRS 74 (1984), S.99-106; vgl. ferner z.B. O. SKUTSCH, The Structure of the Propertian Monobiblos, CPh 58 (1963), S.238-239; Β. OTIS, Propertius' Single Book, HSCPh 70 (1965), S.l-44; E. BURCK, Zur Komposition des vierten Buches des Properz, WS 79 (1966), S.405-427; W.R. WETHERCUT, Notes on the Structure of Propertius, Book IV, AJPh 89 (1968), S.449-464; A. WOOLLEY, The Structure of Propertius Book III, BICS 14 (1967), S.80-83; E. COURTNEY, The Structure of Propertius Book 1 and Some Textual Consequences, Phoenix 22 (1968), S.250-258, und von demselben: The Structure of Propertius Book 3, Phoenix 24 (1970), S.48-53; H. JUHNKE, Zum Aufbau des zweiten und dritten Buches des Properz, Hermes 99 (1971), S.91-125; J.K. KING, Propertius' Programmatic Poetry and the Unity of the Monobiblos, CJ 77 (1975-76), S.108-124; H. JACOBSON, Structure and Meaning in Propertius Book 3, ICS 1 (1976), S.160-173; J.C. MARR, Structure and Sense in Propertius III, Mnemosyne 31 (1978), S.265-266; G. WILLE, Zum Aufbau des zweiten Buches des Properz, WJA 6a (1980), S.249-267; M.CJ. PUTNAM, Propertius' Third Book: Patterns of Cohesion, Arethusa 13 (1980), S.97-113; D E I T M E R (1983, o. Anm.4) S.22ff.; V. ECKEL, Untersuchungen zur Einheit von Properz I, Heidelberg 1985. H. D E I T M E R , The Arrangement of Tibuüus Books 1 and 2, Philologus 124 (1980), S.6882, sowie in ihrem 'Horace ...' (1983, o. Anm.4) S.14ff.; vgl. ferner z.B. R J . LITTLEWOOD, The Symbolic Structure of Tibullus' Book 1, Latomus 29 (1970), S.661-669; B.B. POWELL, The Ordering of Tibullus Book 1, CPh 69 (1974), S.107-112; E.W. LEACH, Poetics and Poetic Design in Tibullus' First Elegiac Book, Arethusa 13 (1980), S.79-96; C.

Einleitung

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'Amores',8 und zum Aufbau etwa seiner Sammlung der Heroidenbriefe gibt es einen neueren Beitrag von STROH, der sich ebenfalls mit dem CatullCorpus befaßt hat.9 Für die 'Fasti' ist z.B. MILLERs neues Buch zu nennen10 und für Martial neben dem auch für Catull wesentlichen Aufsatz von BARWICK Ende der 50er Jahre das von ERB.11 Während sich jedoch die Interpreten solcher Gedichtsammlungen zumeist darauf konzentrieren können, die vielfältigen mehr oder weniger offenkundigen, vielleicht ja z.T. bewußt versteckten, doch vom Dichter mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch intendierten Bezüge und Assoziationen zwischen den einzelnen Gedichten aufzuzeigen, die vorliegende Anordnung insgesamt aber - abgesehen vielleicht von gelegentlichen Überlieferungsschäden, die die Umstellung oder Trennung einzelner Gedichte erforderlich machen - als vom Dichter gewollt bereits voraussetzen dürfen, steht die Catull-Forschung vor einem zusätzlichen Problem, der "century-old 'Catullan question'"12, ob dessen Corpus mit der darin überlieferten Gedichtfolge ursprünglich wirklich von Catull selbst oder nicht vielmehr nur von einem späteren, postumen Editor stammt. Denn anders als etwa bei einem Horaz mit seiner deutlich durch c.l und 3,30 eingerahmten, dem Umfang nach gut überschaubaren, dreibändigen Odensammlung oder einem Martial, der selbst wiederholt auf seine libelli verweist, deren Anfang und Ende mit Epigrammen wie 1,1. 2. 3. 118, 2,1. 93, 3,1. 100,5,2, 6,1 explizit markiert und z.T. sogar annähernd den Umfang seiner einzelnen Bücher bezeugt (vgl. z.B. 1,118), sieht sich Catulls heutiger Leser mit einer der üblichen Zählung nach 116, tatsächlich aber wohl 118 (?) Gedichte (ohne c.18-20, mit c.2a, 14a, 58a, 68a, 78a) umfassenden Sammlung konfrontiert, die nur äußerlich nach groben metrischen Prinzipien in drei Teile, und zwar polymetrische, kleinere carmina 1-60, die sog. carmina maiora 61-68 und ausschließlich im Distichon verfaßte, wie-

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MEILLIER, La composition numérique de Tibulle I et II, Eos 73 (1985), S.269-276; F.H. MUTSCHLER, Die poetische Kunst Tibulls. Struktur und Bedeutung der Bücher 1 und 2 des Corpus Tibullianum, Frankfurt 1985. DETTMER in ihrem 'Horace ...' (1983, o. Anm.4) S.49ff.; vgl. ferner z.B. G. LÖRCHER, Der Aufbau der drei Bücher von Ovids Amores, Amsterdam 1975; K. OLSTEIN, Amores 1,9 and the Structure of Book I, Coll. Latomus 168 (1980), S.286-300. W. STROH, Heroides Ovidianae cur epistulas scribant, in: Ovidio poeta della memoria, Atti del Convegno Internazionale di Studi Sulmona 1989, 1991, S.201-244; vgl. ferner z.B. M. PULBROOK, The Original Published Form of Ovid's Heroides, Hermathema 122 (1977), S.29-45. J.F. MILLER, Ovid's Elegiac Festivals. Studies in the Fasti, Frankfurt 1991; vgl. ferner L. BRAUN, Kompositionskunst in Ovids 'Fasti', ANRWII 31,4, Berlin/New York 1981. BARWICK (1958) S.284ff., G. ERB, Zu Komposition und Aufbau im ersten Buch Martials, Frankfurt/Bern 1981; E. MERLI, Ordinamento degli epigrammi e strategie cortigiane negli esordi dei libri I-XII di Marziale, Maia 45 (1993), S.199-256; verwiesen wird ansonsten in der Regel nur noch auf die nun schon ältere Dissertation von H. BERENDS, Die Anordnung in Martials Gedichtbüchern I-XIII, Jena 1932. Hier wie auch hinsichtlich der Kommentierung gibt es also noch einiges zu tun. SKINNER (1988) S.337; vgl. auch schon im letzten Jahrhundert SEITZ (1887) S.3 "illa, quae dubito an numquam possit profligari, quaestione".

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Einleitung

derum kleinere Gedichte 69-116 gegliedert, im einzelnen aber, ohne entsprechend ordnende und auch auf Anhieb als solche erkennbare Selbstäußerungen Catulls, vielmehr auf den ersten Blick ein wirres Durcheinander verschiedenster Themen, Metren und literarischer Formen zu bieten scheint. Anders als nämlich z.B. die jeweils derselben Gattung zuzurechnenden carmina des Horaz, Liebesgedichte Ovids, seine Heroidenbriefe oder Martials Epigramme, die folglich vom Autor passend zu jeweils einer gemeinsamen Sammlung bzw. den erhaltenen Oden-, Amores- oder Epigramm-Büchern zusammenzufassen waren, enthält das sog. Corpus Catullianum von allem etwas: Einzeldistichen wie auch mehrere hundert Verse umfassende Stücke, zarte Liebesgedichte und elegisch beklagtes Liebesleid, epigrammatischen Spott und scharfe Angriffe auf reale Zeitgenossen, ja sogar auf die Großen seiner Zeit wie Caesar, Pompeius und Cicero, ferner offenbar reale, aufrichtige Trauer etwa über den Tod seines Bruders und idyllische Schilderungen z.B. seiner Villa oder seines geliebten Sirmio, mit Refrainversen zum Vortrag geeignete Hochzeitsgedichte und an reale Adressaten gerichtete Briefgedichte, Kallimacheisches und den Rang eines Kleinepos erreichende Bearbeitungen von mythischen Themen wie im sog. Peleus- und Thetys-Epyllion (c.64) neben bloßen Übersetzungen griechischer Dichtungen wie z.B. C.66 und für die eigene Situation adaptierte Bearbeitungen wie c.51. Insgesamt bietet die Catull-Sammlung ca. 2300 Verse,13 was verglichen mit dem sonst üblichen Umfang von durchschnittlich 800 Versen (440-1000 Verse z.B. bei Horaz, 430-830 bei Tibull)14 alle Maße eines normalen Gedichtbandes sprengen dürfte und überdies angesichts einer solchen Länge auch noch reichlich unpassend mit einem Einleitungsgedicht c.l eingeleitet ist, das ausgerechnet von Catulls 'gerade fertiggestelltem, neuen, netten libellus' spricht. Bedenkt man zusätzlich, daß es sich bei dem c.l dann tatsächlich folgenden, so umfangreichen Gedichtbuch - länger sogar als alle vier Georgica-Bücher Vergils zusammen (2188 Verse) oder seine ersten drei Aeneis-Bücher (2278 Verse) - nicht etwa um das eines akribischen Grammatikers oder Archivars handelt, sondern um das des in der Forschung gerade als der römische Kallimacheer geltenden Catull, war zusätzlich ein Verstoß gegen die eigenen Prinzipien Catulls und seines Kreises, "against Callimachus' familiar doctrine that a big book is a big nuisance", zu empfinden.15 So gerne man folglich bei Catull wie bei den anderen Dichtern an eine selbst gestaltete und bewußt 13

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Überliefert sind ohne die sechs Fragmentzeilen 2289 Verse (so z.B. GAISSER [1993] S.5 nach der Ausgabe von THOMSON [1978]). Da gelegentlich Gedichte unvollständig sind (c.2a, 14a, 61, 78a), dürfte die tatsächliche Verszahl noch ein wenig größer gewesen sein. Zu berücksichtigen sind ferner Freiräume zwischen den Gedichten. Vgl. z.B. SKINNERs Zusammenstellung augusteischer Monobibloi (1981) S.16 Anm.l mit Horaz' (ursprünglich aber wohl nicht selbständiger) 'Ars' mit 476, epod. 625 oder Ov. Ibis mit 642, Pont.l 678, rem.814 und Vergils Eklogen mit 829 Versen. FERGUSON (1986) S.2 mit Hinweis auf Athen. 3,72 Α.; vgl. auch bereits WISEMAN (1979) S.175, SANTIROCCO (1980, o. Anm.4) S.48, HUBBARD (1983) S.222 Anm.14 oder FEDELI (1990) S.39.

Einleitung

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geordnete Ausgabe seiner Gedichte glauben wollte, so sehr war man andererseits durch das erhaltene 'Monsterbuch',16 die so gar nicht dazu passenden Formulierungen des Einleitungsgedichts (libellus, nugae), den überaus heterogenen Charakter der Sammlung mit ganz kleinen und ganz großen Gedichten sowie wegen technischer Gründe wie der nur mangelhaften Handhabbarkeit einer derartigen Gesamtausgabe verwirrt.17 Hinzu kommt, daß in Catulls Fall keinerlei echte handschriftliche Hinweise auf eine weitergehende Bucheinteilung seines Corpus vorliegen (Martials Gesamtcorpus z.B. ist deutlich in kleinere, handliche Einheiten, eben die vom Dichter selbst bestätigten Bücher unterteilt), keine zweifelsfreien antiken Anspielungen als Bestätigung für die Gesamtausgabe schon für das 1. Jh. v. Chr. existieren (bei Horaz' Satiren-, Epoden- und Odensammlungen z.B. kann die Forschung sogar eine ziemlich genaue Chronologie der einzelnen Bucheditionen seines OEuvres erstellen) und auch aus den ohnehin nur spärlichen Grammatikerzitaten die Authentizität unseres Corpus Catullianum nicht hervorgeht, sondern höchstens, daß es etwa im 4. Jh. in dieser Form vorlag.18 Was sich bei den anderen Dichtereditionen zumeist von selbst verstehen und auch vorauszusetzen sein sollte, die Annahme der vom Dichter persönlich hergestellten Einheit und Ordnung seiner Publikation, eben diese Voraussetzung scheint somit für das Catull-Corpus erst noch zu beweisen und die Authentizität von dessen Anordnung gar nicht von vornherein gegeben zu sein, wie sie folglich auch von einem Teil der Forschung entschieden bestritten wird. Die grundlegenden Positionen,19 erstens kategorische Ablehnung eines erkennbaren und sinnvollen, auch im einzelnen ordnenden Prinzips in der erhaltenen Abfolge der Gedichte und darum von Catull als Herausgeber, zweitens nachdrückliches Eintreten für das Corpus Catullianum als authenti16 17

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Z.B. STROH (1990) spricht S.136 von einer "Monster-Gedichtrolle". Zu letzterem vgl. z.B. schon WHEELER (1934) S.16 und jetzt auch STROH (1990) S. 142: "Catull wäre in der Tat von mehr als dem gewöhnlichen Dichterwahnsinn befallen gewesen, wenn er den Käufern seiner Gesammelten Werke solche Buch-Rollstrapazen hätte zumuten wollen." Eme gute Zusammenstellung der Zeugnisse und Erwähnungen Catulls in der lateinischen Literatur gibt WISEMAN (1985) S.246ff.; diskutiert sind diese z.B. von GIARDINA (1974), EA. SCHMIDT (1979), MINYARD (1988). Vgl. auch jüngst GAISSER (1993) S.7ff. Mehr oder weniger ausführliche Hinweise zumindest auf ähnliche Ansichten vertretende Vorgänger finden sich nahezu in jedem Beitrag zur Frage des Corpus Catullianum; vgl. die u. im Literaturverzeichnis aufgeführten Bibliographien und Forschungsberichte, vor allem die beiden von GRANAROLO (1973/74 und 1986/87), oder die Zusammenstellung der Forschungsmeinungen z.B. bei HORVÁTH (1966) S.141ff., COPPEL (1973) S.141ff., WISEMAN (1969) S.lff., (1979) S.181 mit Anm.34, MOST (1981) S.109 Anm.2, HUBBARD (1983) S.218f. mit Anm.1-3, TROMARAS (1984) S.107ff. mit Anm.lff. Z.B. DETTMER (1988) verweist S.371 Anm.l dafür auf HUBBARD, FORSYTH (1993) S.495 Anm.9 dagegen direkt auf den DETTMERs Beitrag enthaltenden CW-Band, in dem "almost all of the most important works" genannt seien. Für die ältere Literatur vgl. SCHULZE (1881) S.197ff.

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sehe oder zumindest geplante Edition wie auch drittens die zwischen den beiden extremen Ansätzen vermittelnde Position, die Sammlung zwar insgesamt abzulehnen, aber wenigstens Teile davon als Reste ursprünglich von Catull selbst gestalteter Bücher zu erkennen, finden sich bereits im letzten Jahrhundert und sind zum einen etwa mit dem Hinweis auf den die "chaotische Unordnung" ablehnenden, eine eigene chronologische Folge herstellenden FRÖHLICH (1843) und entsprechend mit zwei libelli ν. BRUNÉR (1863),20 besonders aber dem bekannten Zitat B. SCHMIDTs (1914) zu belegen:21 "Niemand kann in Abrede stellen, dass die uns vorliegende Sammlung ein wüstes Chaos ist, in der nach Inhalt, Stimmung und Zeitfolge völlig verschiedene Gedichte durcheinander geworfen sind, welche, wenn sie von Catull selbst herrührte, uns nötigen würde, ihn einer wahrhaft tollen Laune für fähig zu halten [...]. Die uns erhaltene Sammlung kann erst zu einer Zeit entstanden sein, wo nicht mehr viel Kenntnis vom Leben Catulls und Verständnis seiner Poesie vorhanden war, sonst würde sie eben nicht so ausgefallen sein." Zum anderen ist - neben z.B. WESTPHAL (21870), SÜSS (1876), SEITZ (1887), VAHLEN (1904), STRELLI (1907) oder der Literaturgeschichte von SCHANZ/HOSIUS (41927)22 - natürlich auf die fast gleichzeitige, noch bekanntere, als Autorität, aber auch wegen ihres überaus selbstbewußten Charakters noch häufiger zitierte Aussage von WILAMOWITZ zu verweisen: "Sein Gedichtbuch hat er mit sorgsamster Überlegung geordnet (wer's nicht merkt, tant pis pour lui)."23 Für den eher vermittelnden Ansatz, Ordnungsprinzipien des Dichters nicht insgesamt zu leugnen, aber auch nicht für alle Gedichte ausnahmslos zu akzeptieren, ist z.B. BIRT zu nennen, der 1882 wie wenig später BAEHRENS in seinem Kommentar von 1885 c.l nur auf ein Buch mit polymetrischen carmina beziehen wollte24 (vgl. auch RICHTERS nur auf die c.2-60 beschränkte Ausführungen von 1881) sowie SCHULZE, dessen Lösung von 1881 aber verglichen mit einem großen, überlangen Buch c.1-116 wohl ebenfalls extrem wirken mußte, wenn er nur c.l-14 mit 14a als Epilog als den 'Nepos-libellus' identifizieren wollte 20

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FRÖHLICH (1843) S.692ff., das Zitat von S.696. S.692, 700 vermutet er, daß Catull die einzeln erschienenen Gedichte nachträglich als "ein Ganzes" zusammengefügt habe, doch dann "vielleicht Zufall die alte Ordnung der Gedichtsammlung aufgelöset, Willkür aber und Gutdünken eines Menschen die neue Ordnung hergestellt habe"; für v. BRUNÉR (1863) vgl. besonders S.606 "ne omnia quidem [...] minora poemata in libello Cornelio Nepoti dedicato fuisse censeo". Er rekonstruiert als erstes Buch 60-58 v. Chr. c.2, 3, 5, 7, 86, 83, 8, 60, 51, 70, 92, 69,... 116, als zweites 56-54 v. Chr. c.l, 46, 101, 31, 4, 58, 49,10, 9, 28,47,13,12, 25, 99 ... 14b. B. SCHMIDT (1914) S.275ff.; die vielzitierten Sätze stehen auf S.278 und 282. Für eine weitere ablehnende Meinung siehe im übrigen u. Anm.702. J. VAHLEN, Beiträge zur Berichtigung der römischen Elegiker, Sitzungsberichte der Akademie Berlin 38 (1904), S.1069-1075, sowie in seinen 'Gesammelten philologischen Schriften' Bd.2, Berlin 1923, S.714ff.; ansonsten vgl. die Angaben im Literaturverzeichnis. U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Sappho und Simonides, Berlin 1913, S.292; zitiert wird die Äußerung z.B. auch noch in den drei ganz neuen Beiträgen von FERGUSON (1986) S.2, STROH (1990) S.151 Anm.15 und ARKINS (1992) S.116. BIRT (1882) S.405ff., BAEHRENS (1885) S.57ff.

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so extrem jedenfalls, daß er nur unmittelbar nach Publikation seines Beitrages schärfste Kritik erfuhr, sonst jedoch in der Forschung über 80 Jahre lang völlig unbeachtet und ohne jegliche Auseinandersetzung geblieben ist.25 Auch die Autorität von WILAMOWITZ hat sich zunächst nicht durchsetzen können. Trotz seines so sicheren Gespürs für die von Catull gewollte Einheit zeigte nämlich die Forschung wie schon BIRT in seiner großen Arbeit über das Buchwesen und die älteren Kommentare Ende letzten, Anfang dieses Jahrhunderts z.B. von RIESE (1884), ELLIS (H889), MERRIL (1893), FRIEDRICH (1908) oder schließlich ebenfalls FORDYCE (1961) weiterhin eher mit einem postumen Herausgeber rechnende Skepsis,26 so daß z.B. noch 1934 von WHEELER festgestellt wird, daß Catull selbst zwar wahrscheinlich "a large number of his poems" arrangiert und publiziert habe, daß davon jedoch in der überlieferten Sammlung nichts mehr zu finden sei ("its arrangement has greatly obscured the poet's own purposes and methods").27 KROLL behalf sich 1923 mit der Annahme, daß die Sammlung zwar insgesamt auf Catull zurückzuführen sei, nicht aber auch die Anordnung aller einzelnen Gedichte, da er damit nicht mehr vor seinem Tod fertig geworden sei.28 DELLA CORTE glaubte 1951 sogar an einen Catullus plenior und damit ein anderes, umfangreicheres Corpus noch im Mittelalter; ULLMANN wollte 1955 handschriftliche Hinweise auf eine Zusammensetzung der erhaltenen Sammlung aus Einzel/iòe/ft entdecken (vgl. z.B. das Subscriptum von O für C.61 explicit epithalamium).29 HERRMANN rekonstruierte 1957, eine Kolumnengröße von jeweils 18 Versen annehmend, zwei Bücher mit gänzlich veränderter Gedichtabfolge. Auch wenn etwa letzterer, hier nur der 25

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Vgl. seine Verteidigung (1885) S.857ff.; zum Nachwirken vgl. ferner ebenso HUBBARD (1983) S.223 Anm.17 mit Hinweis überdies auf v. LEUTSCHs vorausgegangene, knappe Notiz von 1876: "But these proposals have been almost totally ignored by subsequent scholarship." Vgl. z.B. MERRILLs explizites Urteil (1893) p.XXXIV "The only satisfactory hypothesis is that the book was both arranged and published after the author's death" sowie zu c.l4b "the existing liber Catulli is a rearranged complex of earlier libelli of undeterminable context and was published by an unknown editor after the death of the poet" oder auch z.B. FRANK (1928) S.96ff. nur ein kleines, vom Autor selbst herausgegebenes, aber nicht mehr näher bestimmbares Buch akzeptierend: "That Catullus did not issue the complete edition is now rather generally accepted. [...] All the poems were regrouped after his death and the dedication of the single roll was made to serve as a preface to several rolls." E. NORDEN spricht in seiner 'Römischen Literatur' (Leipzig 1952/1961) S.36ff. von einer "nach metrischen Prinzipien vorgenommenen Kombination mehrerer Sammlungen": "Jeder vorurteilslose Leser Catulls muß anerkennen, daß in keiner uns überlieferten Gedichtsammlung guter Zeit so viel absolut Minderwertiges, auch knabenhaft Unreifes enthalten ist wie in der seinigen." WHEELER (1934) S.4ff.; vgl. auch schon seinen Aufsatz 'Hieremias de Montagone and Catullus', AJPh 29 (1908), S.186-200, dort S.193f. KROLL (61980) p.IXf. Unbestimmt, zumindest eine vor dem gefühlten Tod geplante Edition annehmend, die Anordnung des heutigen Corpus aber nicht mit Sicherheit vertretend, äußert sich SCHUSTER in seinem RE-Artikel von 1948, Sp.2366f. DELLA CORTE (1951) S.5ff., B.L. ULLMANN, Studies in the Italian Renaissance, Rom 1955, S.102-104.

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Vollständigkeit halber mitaufgeführte Versuch natürlich abzulehnen ist, wie es auch längst geschehen ist,30 können all diese Spekulationen jedoch immerhin die große allgemeine Unzufriedenheit mit dem Catull-Corpus verdeutlichen, die zusätzlich zu den bereits eingangs angeführten Bedenken auch wegen der als eigenartig empfundenen Trennung in kleinere polymetrische und epigrammatische carmina bestand. In beiden Sammlungsteilen ist schließlich inhaltlich, motivisch Vergleichbares zu finden, wie HORVATH 1966 durch Gegenüberstellung von z.B. c.43/86 und 9/107 herausarbeitete und als "distinction [...] n'est pas exclusivement formelle" zu rechtfertigen suchte. In der Folgezeit sind allerdings die z.T. recht entschiedenen Gegenstimmen gegen die Authentizität des überlieferten Catull-Buches eher seltener geworden, wie sie aber immerhin noch 1973 der zweifelnde Catull-Editor BARDON, der von seiner Analyse der sog. Allius-Elegie (c.68) ausgehende COPPEL, der direkt von einer Ausgabe spricht, "bei der man so stark die fremde Hand spürt", erheben oder der 1974 antike Grammatikerzitate auswertende GIARDINA, der je ein Hendekasyllaben- und Epigrammbuch in einer "fase saffica", ein Iambenbuch in einer "forse fase ipponattea" und "esperimenti 'callimachei'" in einer entsprechenden Phase vermutete, sowie der auch 1977 die carmina noch nach chronologisch-biographischen Gesichtspunkten interpretierende und in der Weise ordnende STOESSL und der 1978 die Neoteriker betrachtende LYNE,31 - seltener, verglichen jedenfalls mit der Vielzahl der im folgenden genannten, ein wenig näher zu betrachtenden Forscher (z.B. WEINREICH, HALM, HECK, BARWICK, METTE, TRÄNKLE, WISEMAN, E.A. SCHMIDT, OFFERMANN, FORSYTH, MOST, SKINNER, FERGUSON, DEITMER, KING, MINYARD, HALLETT).32 Während QUINN noch 1959 nur c.1-60 als Catull-Buch wertet, 30

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32

Vgl. im Gegenteil die Kritik z.B. schon von HERESCU (REL 38 [195η, S.342) oder HORVÁTH (1966) S.141ff.; gegen DELLA CORTE vgl. M. ZICÀRI, A proposito di un "altero Catullo", Scritti Catulliani, Urbino 1976, S.29-42. BARDON (21973) p.IIIf. "At libelli nunc tam miro modo compositi non Catullus auctor est, sed editor nescioquis, qui carmina quaedam delevit, reliqua ipse dissipavit", COPPEL (1973) bes. S.141ff., das Zitat S.184, GIARDINA (1974) S.230f., STOESSL (1977) S.234 Anm.2, LYNE (1978) S.185 "Our collection could not possibly have been produced by Catullus himself, and the degree to which the present order of poems still reflects any of his original wishes is largely speculation". Vgl. auch die an eine postume Edition glaubenden O. SEEL, Weltdichtung Roms, Berlin 1965, S.266f., und K. VRETSKA im CatullArtikel des 'Kleinen Paul/ (1975) Sp.1090: "Bisher gefundene Ordnungsprinzipien [...] überzeugen nicht" oder den von der "spätantiken Kompilation" des Corpus ausgehenden Diskussionsbeitrag von P.L. SCHMIDT zu dem "bewußte Zusammensetzung gattungsmäßig verschiedener Dichtungen zu einer höheren literarischen Einheit" erst in der Spätantike findenden Vortrag von W. LUDWIG über 'Die christliche Dichtung des Prudentius und die Transformation der klassischen Gattungen': "Für eine Rolle ist es offensichtlich zu lang, und eine Separierung von Polymetra und Epigrammen wäre, verglichen mit anderen Gedichtbüchern in der neoterischen Tradition [...] eine Singularität" (in: Christianisme et Formes Littéraires [...], Fondation Hardt Entretiens, Tome XXIII, Genf 1977, S.303-363,372). Vgl. ferner die Urteile von z.B. WILLIAMS (1968) S.232, 469f., GRANAROLO (1973/ 74) S.49ff. und die der u. S.27 aufgeführten neueren Arbeiten der 80er und 90er Jahre.

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c.69-116 aber als "work of someone who gathered together complete poems and fragments",33 sieht er das Corpus Catullianum dreizehn Jahre später gar als eine Kollektion, die "in a way that only Catullus could have planned" zusammenhängt.34 Seit den 50er Jahren dieses Jahrhunderts scheinen sich nämlich doch die Vertreter einer von Catull selbst stammenden CorpusAnlage allmählich durchzusetzen und gerade in letzter Zeit viel positive Unterstützung erfahren zu haben.

Bereits im letzten Jahrhundert (1867 bzw. 21870) war WESTPHAL bestrebt, innerhalb des Corpus wenigstens bei einigen aufeinanderfolgenden Gedichten - nötigenfalls mit Annahme von Gedichtausfällen (so zwischen C.13 und 14) und Umstellungen von ganzen Seiten für die c.69ff. - einen Zusammenhang zu entdecken und hat als ersten wichtigen Schritt bestimmte Einzelprinzipien der Anordnung (Trenngedichte heterogenen Inhalts zwischen zwei thematisch zusammengehörigen Gedichten) und danach aufgebaute verschiedene Zyklen Catulls herausgearbeitet, und zwar fünf für die polymetrischen carmina: einen Zyklus über die "Stadien seiner Liebe zu Lesbia von Anfang bis Ende, durchflochten von Gedichten an liebe Freunde und Genossen von mildem warmen Tone" (c.2-12), daran anschließend "Gedichte voller Bitterkeit, voll heftiger, oft ungeberdiger Sprache, in denen Catull sich gleich dem alten Archilochus seinem Hasse Luft macht" (c.l4a-29) sowie gröbere "erotische Spott- und Schmutzgedichte" (c.30-43), "anständige Gedichte erotischen Inhalts" (c.44-51) und schließlich wiederum "alles Gedichte voller Bitterkeit" (c.52-60).35 Auch RICHTER erkannte 1881 - in Auseinandersetzung mit WESTPHAL - einen 'Lesbia'-Roman (c.1-14) und danach Gedichte voller "Cynismus in der Atmosphäre der Cinaedenwirtschaft" (c,14a-36) und eine dritte Gruppe c.37-50,36 während kurz zuvor, 1876, SÜSS Catulls bewußte Ordnung durch die Dreiteilung der Sammlung mit den Anreden an Cornelius (c.l), Manlius Torquatos (c.61) und - gegen WESTPHAL die carmina malora trennend - Hortensius (c.65) sowie eine Entsprechung der carmina Battiadae von c.65 im Abschlußgedicht c.116 fest33 34

QUINN (1959) S.106 Anm.ll. QUINN (1972) S.20 und ähnlich (1973) S.386: "The arrangement of the poems is clearly far from haphazard; we can rule out the possibility that somebody merely gathered together everything that Catullus was known to have written. [...] Quickly [...] one becomes conscious of sophisticated, ingenious principles of arrangement which it is more natural to attribute to the poet himself. Given a certain amount of accidental damage [...] there are signs that the poems have come down to us pretty much in the arrangement the poet intended." Siehe auch u. S.22 mit Anm.53 und S.24.

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WESTPHAL (1870) S.4ff.; für c.61-68 sah er kleine Gruppen von jeweils zwei aufeinanderfolgenden, inhaltlich verbundenen Gedichten wie c.61 und 62 und natürlich 65 und 66, was jedoch mit c.67 und der Zweiergruppe 68/68a nicht wirklich aufgeht. Zur Seitenumstellung für c.69ff. siehe S.13-32. RICHTER (1881) S.2ff.

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zustellen glaubte, was 1887 SEITZ "dicendi generis ratione habita" zu bestätigen suchte.37 Auf WESTPHAL, RICHTER und den Ergebnissen der alten Forschung z.T. aufbauend hat dann erst 1951 der spätere CDU-Politiker und Bundesminister HECK, ein Schüler des von der Einheit des Corpus überzeugten, auf das vermeintliche 'Chaos' mit dem Schlagwort "Kosmos" antwortenden WEINREICH,38 in seiner nur maschinenschriftlich verbreiteten Dissertation die gewollte Abfolge aller Gedichte nachzuweisen versucht, indem er einen Zusammenhalt nicht nur gewisser markanter und inhaltlich zusammengehöriger, sondern auch durch mehr oder weniger willkürlich eingeschobene carmina getrennter Zyklengedichte aufzuzeigen bemüht war. Für die Polymetra etwa führte dies zur Herausarbeitung von vier thematischen (c.1-13, 14-28, 32-43, 44-60) und neun metrisch strukturierten Gruppen (2-7, 8-11, 12-16, 17-28, 29-31, 32-36, 37-39, 40-43, 44-60), verdeutlicht in mehreren Anordnungsplänen, von denen hier die die anschließend zu besprechenden, c.1-26 betreffenden abgedruckt seien:39

1. Gruppe: c.1-13

37 38 39

2. Gruppe: c.14-28

SÜSS (1876) S.23f., SEITZ (1887) S3. WEINREICH (1959) S.90; vgl. auch z.B. (1960) S.163ff. HECK (1951) S.41 und S.47; die restlichen Skizzen finden sich auf S.52, 57, 73, 80a, 90. Eine von HECK zusätzlich gegebene Markierung von nicht im Hendekasyllabus stehenden Gedichten ist in dem mir vorliegenden, nur sehr schlecht vervielfältigten Exemplar kaum mehr zu erkennen und hier ebenfalls nicht ersichtlich.

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Ausgehend von Überlegungen zum Bau von Martials Büchern hat 1958 BARWICK auch für dessen Vorbild Catull Zyklen erschlossen und so, sich allerdings wieder mehr auf die Zyklengedichte im eigentlichen Sinn konzentrierend, die Existenz des 'Lesbia'-Zyklus (c.2, 3, 5, 7, 8, 11) bestätigt, präzisierend aber danach einen 'Aurelius'- und einen 'Furius'- bzw. einen durch C.16 verbundenen, gemeinsamen Doppelzyklus (c.15,16, 21, 23, 24, 26) sowie die sich damit und gegenseitig z.T. überschneidenden zusätzlichen Zyklen auf Veranius und Fabullus (c.9, 12, 13, 28, 47), Méntula (c.94, 105, 114, 115) und Gellius (c.74, 80, 88, 89, 90, 91, 116), d.h. insgesamt fünf herausragende Gruppierungen angenommen. Durch die nachfolgende Forschung sind die festgestellten Zyklen z.T. weiter modifiziert,40 z.T. um einzelne Gedichte, ja sogar ganze Zyklen erweitert worden wie besonders durch E.A. SCHMIDTs Zyklus der "Ding-Apostrophen" von 1973 (c.31, 35, 36, 37, 42, 44) als neben den Lesbia- und Aureliusund Furius-Gedichten dritten, genau sechs carmina umfassenden Zyklus in einem Abstand von ebenfalls genau vier carmina (12-14a, 27-30). Somit schienen zumindest die ersten drei Viertel der Polymetra sehr streng und zahlenmäßig exakt geordnet, während SCHMIDT für c.45ff. nur noch die Lesbia-Gedichte 51 und 58 als "poetische Zentren" und für c.69ff. lediglich einen großen, mehrere Gedichte umfassenden "Lesbia-Rufus-Gellius-Zyklus" feststellen konnte (c.69-92). Darüber hinaus ist hier aber auch auf die zahlreichen Aufsätze FORSYTHs hinzuweisen, die z.B. dem "Ameana Cycle" (c.41-43, 1977), "The Lady and the Poem" (c.35-42, 1984), dem Zyklus "Gifts and Giving" (c.1214a, 1985), den "foul mouth poems" 97-99 (1978/79) oder dem "Gellius-Zyklus" (1972/73) gewidmet sind. (DETTMERs 1988 erschienener, insgesamt neun Zyklen umfassender Aufbauplan für alle Gedichte des Corpus wird weiter unten vorgestellt.) Neben der Herausstellung von Gedichtzyklen wollte die Forschung jedoch auch auf anderem Weg die ordnende Hand des Dichters in seinem Corpus erkennen. So glaubte z.B. 1956 METTE mit einem komplizierten, rein metrische Gesichtspunkte zugrunde legenden Schalenmodell dreier um jeweils ein Mittelgedicht angeordneter, ringkompositionsartig gebauter Gruppen die Einheit der Polymetra nachgewiesen, wie er es eher beiläufig bei der Rezension von MARMORALEs Catull-Buch entwickelte, was aber sogar 1975 in den 'Wege der Forschung'-Band über Catull aufgenommen wurde. Wesentlich erschien ihm das Alternieren von äolischen und jambischen Maßen mit den in sapphischer Strophe verfaßten c.ll und 51 bzw. dem Sirmio-Gedicht 31 (chol.) als auffällige Zentren:41 40

41

Vgl. z.B. EA. SCHMIDTs berechtigte Kritik (1973) S.216 an BARWICKs 'Veranius- und Fabullus'- sowie 'Mentula'-Zyklen. Die folgende Darstellung in Anlehnung an METTE (1956) S.36.

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1, 2, 2a, 3 4 5,6,7 8 9,10

11

12,13,14,14a ? 15,16 17 21

e

23,24 25 26, 27,28 29 30 31 32,33 34 35,36 37 38 39

E

40-43 44 45-50 51 52 53-58,58a 59,60

Ebenfalls ohne Zyklen, aber auch ohne metrische Verklammerungen ausgekommen ist 1963 HELM, dem - ebenso wie 1969 MICHELFEIT mit ausführlichem Zitat WEINREICHs - schon die triptychonartige Dreiteilung der Sammlung mit der Einrahmung der großen Gedichte durch kleine Beweis genug für deren Authentizität war.42 DEICHGRÄBER wählte den Weg über Catulls Dichterkollegen und kam 1971 zu der Annahme eines - wie bei den anderen Neoterikern - von Catull selbst stammenden, aber nicht mehr "fertiggemachten" libellus,43 Und TRÄNKLE hat 1967 zwei gegenläufige Lesbia-Linien um die carmina maiora erkannt mit einerseits anfänglichem "Liebessehnen" und "Liebeswirklichkeit", dem "Umschwung c.8 und 11 und "bitterem Haß" c.37, 58 und mit andererseits c.69ff. "Zerwürfnis", dem "Dichter zerrissen von Liebe und Haß" um die Mitte c.76, einer "kleinen Aufhellung" C.92 und schließlich der "Versöhnung" c.107, 109,44 was dann OFFERMANN in zwei Aufsätzen 1977 und - auch andere als die Lesbia-Gedichte einbeziehend - 1978 ausführlicher untersucht hat.45 Wieder berücksichtigt sind die sog. 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furius'Zyklen 1969 bei WISEMAN, der die polymetrischen carmina minora in drei, jeweils von speziell programmatischen Gedichten eingeleitete Gruppen einteilt, "carefully arranged around the framework of the two cycles on Lesbia and Juventius" für c.1-14 und c.l4a-26 mit einem dritten Teil c.27-60 hauptsächlich iambisch-aggressiver "invective poems". Für die carmina maiora 42

43

44 45

R. HELM (hrsg., übers.), Catull, Gedichte, Berlin 1963, S.15, MICHELFEIT (1969) S.349f., WEINREICH (1959) S.84ff.; vgl. ähnlich auch (1960) S.166ff. DEICHGRÄBER (1971) S.48; vgl. ferner MOST (1981) S.112Í.: 'The hypothesis is tempting: a small group of poets, bound by youth, friendship, shared poetic principles [...] who each composed as sole masterpiece one (and not more than one!) epyllion [...] and who published one (and not more than one!) liber containing that epyllion with short poems [...]". Gerade Catulls Einzigartigkeit betont dagegen EA. SCHMIDT (1979) S.219f. (siehe u. Anm.220). TRÄNKLE (1967) S.lOOff. Vgl. auch von demselben 'Catull - Martial. Dichtung im Vergleich' (Anregung 32 [1986], S.226-235, 316-325) S.322ff. "grundlegendes Bauprinzip scheint bei Catull die gesuchte Folge der Lesbiagedichte zu sein".

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sieht er das "marriage theme" als verbindendes Element wie bereits 10 Jahre zuvor LIEBERG das "tema del matrimonio", für c.69ff. erkennt er zwei Gruppen mit den dominierenden Themen Inzest bzw. irrumatio (c.69-92) und Invektiven vor allem auf die Caesarianer. Im selben Jahr ist eine kleine Studie von SKUTSCH erschienen, die für die 263 Hendekasyllaben der c.2-26 im Gegensatz zu den 279 der c.27-60 eine erstaunliche, wie es zunächst scheint, endlich einmal nicht von subjektiver Interpretation abhängige und verglichen mit METTEs metrischen Überlegungen weit überzeugendere Beobachtung zu Catulls Verstechnik vortragen konnte: So enthalten die der zuerst überlieferten Gedichte 2-26 fast ausschließlich einen spondeischen Versanfang, haben also streng gebildete äolische Basis, während unter den nachfolgenden carmina 27ff. auch 63 freier wirkende Bildungen mit anfänglichem Iambus oder Trochaeus zugelassen sind wie ebenfalls in c.l. Diese Erkenntnis, die überdies genau die von WISEMAN vorgenommene inhaltliche Abteilung unter den Polymetra bestätigt, ist von der Forschung begeistert aufgenommen worden, etwa von QUINN als "objective confirmation" der vom Autor gewollten Einheit,46 die das Einwirken eines anderen Herausgebers mit Sicherheit auszuschließen und überdies die chronologische Abfolge der Polymetra mit c.27ff. jüngeren, freier gestalteten und einem als Abschluß geschaffenen, nicht mehr Catulls früher einmal strenge Prinzipien berücksichtigenden Einleitungsgedicht zu beweisen scheint. Auch SKINNERs Ansatz von 1981 liegt SKUTSCHs Entdeckung folglich zugrunde ("a major breakthrough") und wird von ihr auch noch 1988 entsprechend gewürdigt.47 Doch nicht nur um den Nachweis künstlerischer wie metrischer Prinzipien, zusammenhängender Zyklen und damit bewußter Gestaltung der früher noch als willkürliche Ansammlung abgelehnten Sammlung war man in der Forschung in vielfacher Weise bemüht. Zugleich suchte man auch für die weiteren Anstöße, die Übergröße des Buches und die Formulierung des Einleitungsgedichts nach einer Erklärung. So begegnete man zum einen dem oft geäußerten und durch Verweis auf die Maximallängen erhaltener Versbücher wie Apollonios Rhodios IV (ca. 1780 Verse) oder Lukrez V (ca. 1455 Verse) begründeten Einwand der natürlichen Beschränkung von Papyrusrollen48 mit dem Hinweis auf das als ursprünglich einbändig angenommene 'Bellum Poenicum' des Naevius mit über 4000 Versen, die ähnlich umfangreiche Anthologie Meleagers mit ihren Anklängen im Einleitungsgedicht an Catulls c.l und den Kranz des Philipp von Thessaloniki, die Sammlung von Ovids Heroidenbriefen mit 2414 bzw. 3764 Versen für die erste bzw. zweite 46

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QUINN (1973) S.386f. "The possibility that the order is due to an editor who sandwiched 2-26 in between 1 and 27-58, or hit upon this pattern of metrical arrangement for himself, can be ruled out"; vgl. auch (1972) S.14. Siehe u. S.26 und (1981) S.6, 21ff., 43 sowie WISEMAN (1974) S.109Í., FERGUSON (1986) S.5, MINYARD (1988) S.349. So z.B. jüngst noch GAISSER (1993) S.5 mit Berechnung einer Rolle von ca. 12-16 m.

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Auflage, Papyrusrollen mit sogar drei Ilias-Büchern oder große Prosabücher wie dem ersten Livius-Buch und Ciceros Verresrede 2,3 (vgl. in letzter Zeit vor allem E.A. SCHMIDT).49 Und für libellus (V.l) verglich man mit Plinius' explizit auf Catulls c.l Bezug nehmender Einleitung der 'Naturalis Historia' (Kap. 12) oder der Praefatio des älteren Seneca zu seinen 'Controversiae' (2,55), für die nugae (V.4) ebenfalls mit Plinius oder gar GOETHEs eigener Bezeichnung "Sächelchen" in einem Brief vom 28.8.1787 für seinen 'Faust' und 'Egmont' oder "Büchlein" für seinen 'Werther'.50 Zum anderen versuchte man erneut, Catulls Corpus entsprechend der offensichtlichen Dreiteilung in ebenfalls drei Bücher c.1-60, 61-68 und 69-116 zu zerlegen,51 so daß die entstehenden Einzellibelli nur mehr ca.850, 1135 und 320 Verse umfaßten und den üblichen Buchgrößen besser entsprachen, ja im Falle einer streng metrischen Teilung in c.61-64 (807 Verse) und den ausschließlich in Distichen stehenden c.65-116 (648 Verse), wie sie in der Forschung inzwischen bevorzugt wird, als "three convenient blocks of appropriate length"52 sogar etwa den gleichen Umfang hatten und sich mit letzterem ein schönes, scheinbar geschlossenes Elegiebuch ergab. Für das Problem mit c.l bot sich nun die ja schon im letzten Jahrhundert vorgeschlagene Lösung, dieses auch nur als Einleitung des umfangsmäßig etwa Properz' erstem Elegiebuch oder einem Martial-Buch entsprechenden und damit als Monobiblos geeigneten libellus c.1-60 zu verstehen, wie es etwa QUINN 1959 und auch noch 1970 in vorsichtiger Formulierung annahm, der zunächst nur in diesen Gedichten ein von Catull stammendes Gedichtbuch, im ganzen Corpus aber eine spätere Zusammenstellung erkannte.53 Entsprechende Positionen - "the simplest hypothesis"54 - vertraten 1968 SEGAL und z.B. 1976 und 1982 CLAUSEN, 1980 und 1981 VAN SICKLE sowie ebenfalls 1981 SKINNER, die allerdings den ersten libellus mit 772 bzw. 788 Versen nur bis zu den als programmatisch aufgefaßten c.50 bzw. 51 reichen ließen und wie 49

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EA. SCHMIDT (1979) S.216ff.; zu den buchtechnischen Problemen vgl. ferner z.B. VAN SICKLE (1980) S.5ff., SYNDIKUS (1984) S.55ff., MINYARD (1988) S.345ff., STROH (1990) S.141 oder auch bereits HECK (1951) S.15 Anm.3, S.20ff. mit älterer Literatur. Vgl. die Literaturangaben der vorausgehenden Anm.; ausführlich zu den nugae als treffend auch für die großen Gedichte WEINREICH (1960) S.164f. mit weiteren Belegen als einfach nur allgemein Verse "wie er sie eben schreibt, und insbesondere seine frühen Verse, die seinerzeit Cornelius Nepos schon gut gefallen haben", und sich an diesen anschließend E A . SCHMIDT (1979) S.220 mit dem berechtigten Einwand, daß der Formulierung nach nicht ausgesagt ist, daß Catulls Buch ausschließlich solche nugae enthielt, "von denen das Werturteil des Nepos ja bereits feststand". Dann "wäre die erneute offen lassende Qualifizierung quidquid hoc libelli, qualecumque (V.8f.) überflüssig gewesen". Der auf Bucheinteilungen spezialisierte BIRT dachte (1882) S.408ff. sogar an eine Verteilung auf vier Buchrollen. FERGUSON (1986) S.2. QUINN (1959) S.106 Anni.ll und in seinem Kommentar (1970) p.XXI "On internal grounds only, the most likely (but quite unprovable) hypothesis is that Poems 1-60 were published by Catullus, whereas Poems 69-116 (a scrappier and shorter collection) are the work of somebody who gathered together complete poems and fragments". WISEMAN (1979) S.175.

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auch viele weitere Forscher in den restlichen zehn Gedichten lediglich nachträglich und wohl von fremder Hand am Ende beigegebene Einzelgedichte, Skizzen und unfertige Stücke sehen wollten, "a rather embarrassing grab-bag of doggerel and fragments"55 (vgl. bes. c.58a oder 60 als Motiv aus c.64, 154ff.). Während jedoch CLAUSEN in einem kürzeren Aufsatz mehr an der Erklärung des Corpus Catullianum insgesamt als Zusammensetzung aus einem vom Dichter selbst geschaffenen und mit c.61ff. einem zweiten und mit c.65ff. dritten Buch eines späteren Redaktors interessiert war und sich auch VAN SICKLE allgemein eher buchtechnischen Fragen widmete, hat sich SKINNER in einer ausführlichen Studie der Ordnung der polymetrischen Gedichte angenommen und diese entsprechend SKUTSCHs und WISEMANs großer Zwei- bzw. Dreiteilung in c.1-14, 14a-26 und 27ff. in drei Abschnitten über Lesbia, Juventius und schließlich bis c. 49 in "a new spirit of spontaneity"56 nachvollzogen. Sie glaubte darin sowohl das Vorbild für die Hendekasyllaben-Sammlung des jüngeren Plinius als auch mit großer Wahrscheinlichkeit das von Martial mit dem Schlagwort 'Passer' bezeichnete Catull-Buch identifizieren zu können, sind schließlich alle die Gedichte mit Spatzen und Küssen (c.2, 3, 5, 7, 48), auf die Martial später anspielt, in ihrer Sammlung enthalten. Da jedoch zusätzlich auch die weiteren Teile des Corpus ausführliche Untersuchung erfuhren (vgl. die bereits angeführten Arbeiten, bes. E.A. SCHMIDT) und man etwa unter den carmina maiora (vgl. dazu bes. die Beiträge von LIEBERG 1958, WISEMAN 1969, 1979 und MOST 1981)57 thematischen Zusammenhalt und sogar eine in der Forschung so beliebte Ringkomposition um das ja auch z.B. schon von TRÄNKLE als Zentrum bezeichnete c.64 entdecken konnte, da man wiederum wie schon im letzten Jahrhundert zwischen c.65 als speziellem Einleitungsgedicht des dritten Teiles und dem abschließenden c.116 mit der Erwähnung der carmina Battiadae einen absichtlichen Bezug und so eine deutliche Rahmung sehen wollte, wuchs folglich die Überzeugung, im Corpus Catullianum insgesamt eine von Catull selbst stammende Edition vor sich zu haben, wie es z.B. WISEMAN schon 1969 explizit formulierte und 1979 entschieden bestätigte.58 55

56 57

58

So ebenfalls z.B. schon RICHTER (1881) S.24ff., MERRILL (1893) p.XXXIVf. oder CLAUSEN (1976) S.40, HUBBARD (1983) S.220 (dort das Zitat), 233, PULBROOK (1984) S.77, GOOLD (*1989) S.245Í.; siehe aber auch die Gegenpositionen u. in Amn.116. Auch QUINN (1972) S.12ff. geht nur bis c.58; vgl. ferner SEGAL (1968) S.306 gegen den planmäßigen Aufbau aller c.1-60 mit Hinweis auf das eigenartige Ende der Sammlung c.58aff. sowie K. BARWICK, Zu Catull c.55 und 58a, Hermes 63 (1928), S.80. SKINNER (1981) S.28. Zur Anordnung speziell der carmina maiora vgl. zusätzlich z.B. HECK (1951) S.83ff., WEINREICH (1960) S.166ff., PARKER (1991, u. S.319), MARTIN (1992) S.34ff., MILLER (1994) S.lllff. sowie die Zusammenstellung bei MOST (1981) S.114 Anm.20. LEFÈVRE (1991) S.325f. erwägt für c.61-68 "ursprünglich eine selbständige Sammlung". WISEMAN (1969) S.29 "Each of the three main divisions of the collection [...] shows an internally coherent and consistent arrangement which can hardly be the work of anyone but the poet himself', (1979) S.175ff.; vgl. u.a. die Zitate u. Anm.73,935.

24

Einleitung

Auch QUINN stellte 1972 fest, daß "a good case for a collected edition made by Catullus himself exists" und sah c.l als Einleitungsgedicht für die erste fertige Rolle einer geplanten dreibändigen Edition, "a jlanned collection [...] not a haphazard jumble of poems".59 Zusätzlich hatte QUINN die später z.B. von WISEMAN und FERGUSON bestätigte Idee, die postulierte, durch die grobe metrische Ordnung ja ohnehin offensichtlich vorgegebene Teilung bereits in c.l mit der ausdrücklichen Nennung der drei chartae doctae et laboriosae des Adressaten Cornelius Nepos im sechsten Vers in Catulls Formulierung angelegt zu finden als "exact parallel between his patron's three books and his own", was man als ernst genommene Gegenüberstellung deutete, aber auch als "ironically contrasting his own economy with the historian's prolixity".60 Wenn die 1978 die Forschung überblickende und wie hier auf die Positionen von QUINN und WISEMAN hinweisende FORSYTH noch zurückhaltend mit Bezug auf das WILAMOWITZ-Zitat nur von "few critics" spricht, die bereit wären, in der ganzen Sammlung die authentische, vom Dichter geplante Anordnung zu finden,61 so sind von ihr die ebenfalls die Einheit des Corpus verteidigenden vielfältigen deutschsprachigen Beiträge von WEINREICH bis E.A. SCHMIDT nicht beachtet. Und Ende der 80er Jahre sind noch weitere entschiedene Stimmen dazu gekommen: Denn auch der bereits genannte FERGUSON erklärte sich 1987 von der von Catull gewollten Einheit und Dreiteilung der erhaltenen Sammlung überzeugt, hat mit seinem Aufsatz ein weiteres Mal die Einzelbezüge unter den Gedichten verfolgt und so für Polymetra wie Epigramme zwei Verteilungspläne der bei Catull vorherrschenden Motive aufgestellt, die das von ihm hervorgehobene Prinzip des "constant reminder" verdeutlichen sollen und von denen der erste darum auch hier mit leichten Änderungen wiedergegeben sei:62 59 60

61

62

QUINN (1972) S.16ff. QUINN (1972) S.19, WISEMAN (1979) S.175 und FERGUSON (1986) S.2, von dem die Zitate stammen und der sich im übrigen gegen einen ironischen Bezug auf Nepos ausspricht. FORSYTH (1978/79) S.403 "Although few critics today would go so far as to agree with Wilamowitz [...], many are now willing to argue that the manuscripts do preserve, at least in part, a grouping and ordering of poems established by Catullus himself. For such authorities the question has changed from 'did Catullus arrange his collection' to 'just how much of the present collection still reflects the poet's own arrangement'." Auch noch für JANAN (1994) p.IX sind die Vertreter der von ihr abgelehnten Authentizität des gesamten Corpus "only a few extremists". FERGUSON (1986) S.6 für c.1-60 und S.20 für c.69-116. Der Plan für die Epigramme verzeichnet die Motive bzw. Gruppen "Poetic practice, members of Catullus' poetic circle; Lesbia; Bithynia or Troy; Juventius, kissing; Gellius; Caelius or Rufus; Aufillena; Quintius; State or political poems (Caesar, Mamurra)". Die Abweichungen betreffen c.l3 (F statt VF), 24 (F, J statt J), 28 (Fabullus statt Furius), 46 (Β), 47 (VF statt VF, Β).

25

Einleitung Ρ = Poetic practice, members of Catullus'poetic circle; L = Lesbia; VF = Veranáis/ Fabullus; FA = Furius/Aurelius; J = Juventius; X = kissing; S = State/political poems (C = Caesar, M = Mamurra, A = Ameana); E = Egnatius; CR = Caelius/ Rufus; Β = Bithynia; R = Romulus/Remus P L 1 2 3 4 5 S 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 IS 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

VF FA

J

X SCMA E CR Β R

Ρ L L Β L

X

L L

X V Β

L (L)

FA

se

VF F

Ρ A FA

A F F

(J)

(J) (J) J

F VF

Β S CM

R

P L 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

VF FA

J X

SCMA E CR Β R

Ρ Ρ L L Ρ J? S MA S HA

L

VF J X (Ρ) Ρ (P1L

(3)

S S se

Ρ

( Ρ LI L (L)

1988 ist schließlich gar ein ganzer Teilband (81,5) der 'Classical World' dem Problem der Authentizität der Anordnung des Corpus Catullianum gewidmet, der die z.T. ja schon oben erwähnten, sich ausnahmslos "for authorial arrangement of the Catulli Veronensis liber"63 aussprechenden Beiträge von MINYARD zu buchtechnischen Fragen und der "external evidence", RICHLIN/TRAILL zur Ringkomposition und "systems of imagery", KING zum elegischen Sammlungsteil c.65-116 und HALLETT zu Catulls "comments on composition" wie etwa seiner Verwendung von ludere enthält sowie DETTMERs "Preliminary Study" mit einem dreiseitigen Diagramm von ringkompositionsartig aufgebauten "nine consecutive cycles of thematically related poems" mit einem schließenden "five-poem tag" (c. 112-116), von denen aus Platzgründen hier wiederum nur die ersten drei der die Polymetra betreffenden fünf Zyklen dargestellt sind (die restlichen umfassen c.34-44, 45-60, 61-68b, 69-78, 78b-99 und 100-111):64 63 64

SKINNER (1988) S.338. DEITMER (1988) S.371ff.; das Zitat stammt von S.371, die Darstellungen = ihre Fig.l stehen auf S.373-375; vgl. auch bereits (1983, o. Anm.4) S.473ff. mit Anm.8-12. HALLETT findet anhand der Betrachtung von c.l, 6,16, 35, 50, 61, 68, 95,101,116 einen Fortschritt derart, daß die meisten polymetrischen carmina mit "pleasurable, playful sexual activity" assoziiert seien (S.399), Catull mit c.50 und den größeren Gedichten aber zu einer "association of his own [...] verses with more serious, dutiful, reproductive sex and with shared commitment to long-term perpetuation generally" übergehe. KING erkennt für c.69ff. "three groups or series of three poems (S.391) über "the crisis Lesbia's betrayal

26

Einleitung

ι

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

Gift of a nouus libetlus' Passer (deliciae meae puellae' 2,1) (2 +2b) Passer (deliciae meae puellae' 3,4) Travel motif Kissing poem Flavi us-scortum' Kissing poem (structure parallel to Paranoia of 5-7 clarified in 8: no more kisses Travel motif Varus-sconiUum ' (structure parallel to Travel motif Symposium, lack of urbanitas Symposium, urbanitas (structure parallel to Gift of a nouus Ubellus' (structure parallel to

5) 6) 12) 1)

Aurelius, hands off my love Character of poet and poetry need not be the same Colonia and her bridge Aurelius, hands off my love Character of poet and poetry (16,12f. - 22,9ff.·) Furius' poverty (cui ñeque... Furius' poverty (cui ñeque...

(15,16-21,7") need not be the same arca· 23,1) arca* 24,5. 8.10)

Thievery: to cinaede Thalle Furius' villa Symposium (27,5-32,6·) Provinces Provinces Betrayal by Alfenus Catullus' villa Love/sex (structure parallel to 27) Thievery: to cinaede Vibenni and father (structure 25,1-4 - 33,1-4) (*: word or expression peculiar to a Catullan pair)

Eingeleitet wird das entsprechende 'Classical World'-Heft von einer vierseitigen Stellungnahme SKINNERs, die kurz die zusammengetragenen Aufsätze, ursprünglich Vorträge bei dem 80. "annual meeting of the Classical Association of the Middle West and South" am 27.4.1984, vorstellt, "the ongoing work of Ph. Y. Forsyth and T. P. Wiseman" als "especially influential in shaping current opinion" würdigt und folglich ihre eigene Sicht von 1981 dahingehend modifiziert, daß auch sie sich jetzt von der Authentizität und Einheit des Corpus im ganzen, nicht mehr nur der von ihr in ihrem 'Passer' untersuchten Polymetra c. 1-50/51 überzeugt erklärt. Die Forschung insgesamt überblickend, gibt sie folgende sehr zuversichtliche Zusammenfassung:65 "From an almost universally-held belief that our present text of Catullus represents the efforts of some unimaginative posthumous editor, the consensus of opinion, most notably in the United States and on the European conti-

65

has caused for Catullus" (c.75-77), "Catullus' reaction" (c.85-87) und "the ultimate exposé of unkept promises" (c.109-111) mit zwei Zyklen über die "particularrivals"Caelius Rufus (einschließlich c.100) und Gellius. SKINNER (1988) S.337f. mit Anm.2; vgl. ansonsten z.B. PEDRICK (1993) S.193 Anm.40 "I agree with the current majority opinion that Catullus himself is responsible [...]".

27

Einleitung

nent, has slowly come around to a studied conviction of partial or complete authorial arrangement." Unter Berufung auf die vielen "demonstrations of aesthetically significant design in the placement of the poems" und "Skutsch's crucial discovery", seinem chronologisch-metrischen Argument, beschreibt sie die Sammlung als "[...] the product of Catullus' own creativity", das seine "intention of combining all his poetry, whether previously published or uncirculated, into one complete edition" widerspiegle. Berücksichtigt man zusätzlich zu den hier aufgelisteten Beiträgen besonders der Forschung der letzten 20 Jahre noch kleinere Aufsätze wie z.B. die von DEITMER (1983), BLOCK (1984), FORSYTH (1984,1985,1989) oder die beiden von ARKINS (1987 und 1992), die ebenfalls die eine oder andere Beobachtung für die Authentizität des Corpus als Autorenprodukt beizusteuern suchen, und liest ein solches Urteil, wie es sich etwa 1979 bei WISEMAN findet, der 10 Jahre zuvor bezüglich des Zusammenhalts zwischen C.68 und 69 und des Anfangs des dritten Teiles der Sammlung noch skeptisch war, inzwischen aber entschieden dessen Beginn mit c.65 vertritt,66 oder 1984 SYNDIKUS', 1985 E.A. SCHMIDTs Eintreten für ein authentisches Catullbuch mit versuchter Widerlegung der Gegenargumente,67 so scheint auch die von Catull selbst gewollte Anlage und Edition seiner Sammlung außer Frage zu stehen. In Wirklichkeit ist sich die neuere Forschung jedoch keineswegs einig. So hat 1983 HUBBARD eine Arbeit vorgelegt, mit der er - an den Ansatz von SCHULZE anknüpfend - ein sehr kleines selbständiges 'Lesbia'-Büchlein erschloß, dessen planmäßigem Aufbau er mit großer Sorgfalt und sogar grafischer Darstellung nachgegangen ist, wie sie anschließend nachempfunden wird, und daneben ein zweites, jetzt größeres und nicht mehr so sorgfältig geordnetes, vielleicht nicht vollendetes Buch für die restlichen c,14a-50, "filled overwhelmingly with lampoon and invective (poetry which aims at public embarrassment)":68

!1

kis

i1

social pests

iE

ΓΊ Γ

II—

prologue - the libellus 1 2 passer (hymn) 2 b Atalanta? passer (dirge) 3 4 soliloquy of Catullus' boat 5 kisses 6 Flavius' girl-friend 7 kisses 8 Catullus' soliloquy 9 welcome home to Veranius 10 Varus' girl-friend 11 final dismissal of Lesbia 12 Asinius the napkin-thief 13 Fabullus is invited to a feast 14 Calvus and the bad libellus

phal. phal. phal. phal. iamb. phal. phal. phal. iamb. phal. phal. sapph. phal. phal. phal.

28

Einleitung

Nur ein Jahr später ist ein schon 1979 in Dublin vorgetragener Versuch PULBROOKs erschienen, dem "poems 1 to 14, though a coherent group by themselves" zu wenig sind ("a mere 249 lines"), "to constitute even a libellus", dem aber "on the other hand poem 1-60 or rather 1-50" zu "disorganized in subject matter and arrangement" sind, "to be convincing". So nimmt er, zunächst z.T. von denselben Argumenten wie HUBBARD ausgehend, ebenfalls mit c.1-14 und c.l4a-50 zwei Bücher in der erhaltenen Sammlung an, "the nucleus of a Lesbia-libellus" und "a second group, sometimes scurrilous, sometimes indecent, sometimes merely jocular", bringt ersteres jedoch unter Berufung auf den Wechsel von Distichen und Hendekasyllaben bei Martial durch Umstellungen und Einordnung besonders der Epigramme in die polymetrischen Gedichte auf 'Normalgröße'. Eine solche, die erhaltene Abfolge innerhalb des Corpus weitgehend aufgebende Rekonstruktion zweier Catull-Bücher erinnert an die schon erwähnten, zu Recht ohne jegliche positive Resonanz gebliebenen Versuche v. BRUNÉRs und HERRMANNs von 1863 und 1957, von denen letzterer auch von PULBROOK selbst als "improbable rearrangement" zurückgewiesen wird. Während HERRMANN allerdings für die von ihm angenommenen Bücher mit noch größerer Freiheit die überlieferten Gedichte durcheinanderwarf und wiederum zwei, mit einer Kombination aus c.l4a und 2a (und dann c.34, 45, 62, 66, 61, 63, 101, 68, 64, 65) und c.l (und dann c.51, 2, 3, 5, 7, 32, 46, 4, 10 ...) beginnende Bücher konstruierte, ist bei PULBROOK wenigstens der anfängliche 'Lesbia'-Zyklus bis C.14 - seiner Ansicht nach nur "polymetric remnant of a longer book which once contained both polymetrics and elegies" - als Kern erhalten geblieben, wenn er insgesamt aber auch reichlich weit von der vorliegenden Abfolge der Gedichte in der Catullsammlung entfernt folgende Ordnung in "five stages" herstellt: 1) c.2, 86, 3, 83, 4; 2) c.70, 5, 6, 87, 82, 92; 3) c.l, 78b, 79, 85, 104, 107, 109, 72; 4) c.8, 73, 9, 10, 75, 11; 5) c.12, 95, 13, 96, 14, 76.69 Noch einen anderen, umfangsmäßig ebenfalls ohne Zweifel besser als das gesamte Corpus Catullianum zum Einleitungsgedicht passenden libellus glaubt jüngst nun auch STROH entdeckt zu haben, der in einem seit 1985 mehrfach gehaltenen und erst 1990 publizierten Vortrag wiederum wie 66 67

68 69

WISEMAN (1979) S.175ff.; siehe u. S.53ff„ 308ff. SYNDIKUS (1984) S.52ff., ΕΛ. SCHMIDT (1985) S.29ff. Vgl. ferner z.B. G. LEE in seiner Ausgabe/Übersetzung (Oxford 1990), MARTIN (1992) S.32ff., der ausgehend vom "chiastic arrangement" der carmina maiora ebenfalls an Catulls dreigeteilte Anlage des Corpus mit seiner Trennung von Polymètre und Epigrammen "in terms of their purposes and possibilities" glaubt, deren jeweilige Folge allerdings von einem späteren Editor beeinträchtigt worden sei; MILLER (1994) S.75, dem es bei "second or third reading" als Interpretationsgrundlage für ein "proper understanding" aber lediglich auf ein "to be read in terms of one another" ankommt, unabhängig von einer eventuell vom Dichter intendierten Ordnung. HUBBARD (1983) S.223; seine Grafik auf S.226. PULBROOK (1984) S.73ff. (die Zitate auf S.77, 73, 78, 81ff.).

Einleitung

29

HUBBARD streng die überlieferte Gedicht-Folge beibehält, aber eine mit dessen libelli unvereinbare Lösung vorschlägt. Doch wenn er ausgehend von seiner neuen Beobachtung einer gewissen Responsion in der Anordnung der verwendeten Versmaße und unter Berücksichtigung des metrischen Arguments von SKUTSCH für c.1-26 im Gegensatz zu den weiteren c.27ff. diese ersten Gedichte zu einem "erotischen Liederbuch" zusammenfaßt und das nachfolgende Schema aufstellt, scheint ihm durch die erstmalige metrische Verbindung der beiden kompletten, bislang stets nur getrennt behandelten 'Lesbia'- (c.2-14) und 'Aurelius- und Furius'- bzw. seiner Ansicht nach besser 'Juventius'-Zyklen (c.l4a-26) ein auch für die von der Einheit der ganzen Gedichtsammlung Uberzeugten interessanter Erkenntnisfortschritt gelungen zu sein:70 2

2 a?

3

phal.

5

6

7

phal.

iamb, (trim.) Lesbia

chol.

8 9

phal.

10

11 12

14 a

äol. (sapph.) 13

14

15

16

17 Juventius

phal.

phal. äol. (priap.)

21

phal.

22

chol.

23

24

25 26

phal. iamb, (tetr.) phal.

Und 1993 gibt schließlich DION eine die von ihr als symbolisch bedeutsam empfundene Zahl von vier bzw. sechzehn Gedichten als Einheit zugrunde legende Aufgliederung des Corpus Catullianum, die erneut dessen Geschlossenheit und planmäßige Anlage belegen, ja nicht nur Nepos, auch Catull als doctus und laboriosus (c.l) erweisen soll. Danach stehen einander anfangs zwei mit c.l und 15 als eigenen Einleitungsgedichten beginnende Kolumnen aus je 16 carmina in zwei Vierer- und einer Sechser-Gruppe mit z.T. iambischen Abschlußgedichten gegenüber, während die restlichen Polymetra zusammen mit der ersten Hälfte der carmina maiora als nicht wirklich parallele Gruppierungen c.34-37, 38-40, 41-44, 45-50 mit Bezug von 34 auf 62 und c.51-52, 53-58, 58b-60, 61 mit Bezug von 51 auf 63, 61 auf 64 erscheinen. Für c.65-68 erkennt sie eine der Dreiteilung von c.51 entsprechende Dreiergruppe, für die Distichen c.69ff. ohne c.78a erneut Gruppen 70

Darstellung nach STROH (1990) S.140.

30

Einleitung

von 16 in drei Kolumnen (c.69-76, 77-84; 85-92, 93-100; 101-108, 109-116). Zur Verdeutlichung beigegeben sei auch hier nur der erste, die anschließend zu besprechenden Gedichte betreffende Teil ihres Schemas:71 1

Cui dono lepidum... libeUum (phal.)

15

Commendo tibi ...¡Aureli (phal.)

2 2b 3 4

Passeτ... (phal.) Tarn gratum... (phal.) Lugete, o Veneres... (phal.) Phaselus ille... (iamb.)

16 17 21 22

Pedicabo .../Aureli... et... Furi (phal.) O colonia... (priap.) Aureli... (phal.) Suffenus iste ... (chol.)

5 6 7 8

Viuamus, mea Lesbia... (phal.) Flaui... (phal.) Quaeris quot... (phal.) Miser Catulle... (chol.)

23 24 25 26

Furi... (phal.) O qui floscidus es ¡uuenüorum (phal.) Cinaede Thalle... (iamb.) Furi... (phal.)

Veroni... (phal.) Varus... (phal.)

27 28 29 30 31 32

Minister... puer (phal.) Pisonis comités ... (phal.) Quis hoc potest uidere... (iamb.) A If ene immemor... (asci.) Paene insularum, Sirmio... (chol.) Amato, mea... ¡psitüla (phal.)

33

O furum optìme... (phal.)

9 10

11 12 13 14

Fun et Aureli... (sapph.) Mamtcine Asini... (phal.) Cenabis bene, mi Fabulle... (phal.) Ni te plus.../... Calue... (phal.)

14b Si qui forte mearum inepäarum ... (phal.)

Blickt man jetzt zurück, ist von der bisherigen bzw. speziell der neueren Forschung keineswegs mehr ein so klares und einheitliches Bild zu gewinnen, wie es die oben zitierten, zuversichtlichen Äußerungen zunächst nahelegten. HUBBARD spricht im Gegenteil von "two schools of thought", STROH gar von "zwei sich fast unversöhnlich befehdenden Lagern".72 Die Situation wirkt festgefahren, die Positionen verhärtet - man wirft sich überdies gegenseitig vor, "the onus of proof' zu haben.73 Eine wirklich von allen 71 72 73

DION (1993) S.137ff., die Darstellung nach ihren Übersichtsplänen S.153ff. HUBBARD (1983) S.218, STROH (1990) S.135f. Vgl. WISEMAN (1979) S.180f. (wiederholt [1985] S.266): "As for the 'posthumous editor' so dear to Catullan scholars, his shadowy existence derives merely from the 'multiplication of hypotheses beyond necessity, and should therefore be cut short with Ockham's Razor. Other things being equal, a collection of poems by Catullus, especially one beginning with a dedication poem, ought to be Catullus' work: the onus of proof is on those who declare it to be impossible. It is hard to find any statement why it should be impossible, beyond appeals to the placing of poem 51 after poem 11 [...]", vgl. auch in seiner Rezension von STOESSLs Catullbuch (JRS 69 [1979], S.161-168) S.166f. "We have the phenomena on our side: to be persuaded to think otherwise we must have it proved to us, not that a posthumous editor could have produced the collection, but that Catullus could not"; ähnlich SKINNER (1988) S.338: "Consequently, as T.P. Wiseman observes, the onus of proof must rest on those who still deny that Catullus could have arranged his own collection and no good argument to support this position has so far been advanced. Meanwhile the evidence against that sceptical view is steadily piling up." Vgl. dagegen jedoch HUBBARD (1983) S.236f.: 'The burden of proof rests with those who would argue that libellus does not mean libellus, and that C.l-14 are organically linked to the rest of the polymetra in sequence, structure, tone, and content, despite the very sharp and abrupt break that seems to come with the troublesome C.14b."

Einleitung

31

Seiten ausgetragene Kontroverse gibt es jedoch nicht. Interessanterweise sind es nämlich nur die Vertreter der kleineren Lösungen, die explizit auf die Verschiedenheit der Ansätze aufmerksam machen, während ihre libelli in der letzten Zeit von den Vertretern der Einheit des ganzen Corpus durch Formulierungen wie SKINNERs "partial or complete authorial arrangement" oder auch FORSYTHs "at least in part"74 in ein gemeinsames Streben einbezogen scheinen, ansonsten aber einfach übergangen werden. So ist in keinem der Aufsätze der 'Classical World' von 1988 oder einem anderen der oben angeführten neueren Beiträge etwa von FERGUSON, ARKINS oder DION eine Diskussion der Lösung HUBBARDs oder gar die Widerlegung seiner Argumente und der z.T. damit übereinstimmenden, von seinem schließlich rekonstruierten Buch ja zunächst unabhängigen von PULBROOK erfolgt,75 wie umgekehrt übrigens auch STROH eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der neueren Forschung (HUBBARD, TROMARAS) bewußt vermieden hat.76 Zusammenfassend ist somit leider festzustellen, daß die "Catullan question" nach wie vor ungeklärt ist, daß vielmehr mit der Annahme des erhaltenen Corpus Catullianum als vom Autor selbst zusammengestellter einoder dreibändiger, zu Lebzeiten wirklich erschienener oder nur erst geplanter Edition, mit der Herausarbeitung verschiedener, einander z.T. widersprechender kleinerer libelli im Bereich der c.1-50, mit Rekonstruktionsversuchen ursprünglicher Zusammenhänge, die von der überlieferten Abfolge der Gedichte nicht mehr viel übrig lassen, und schließlich mit auch noch gar nicht so lange zurückliegenden skeptischen oder sogar negativen Urteilen zur Authentizität der Anordnung bzw. des Corpus als Ganzes wie denen von

74

75

76

Siehe o. S.26f. und Anm.61. Soweit ich sehe, ist HUBBARD dort überhaupt nur ein einziges Mal erwähnt (von DEITMER, siehe o. Anm.19), aber nicht wegen seiner Ergebnisse, sondern nur wegen seiner Zusammenstellung bisheriger Forschungspositionen. Auch wenn HUBBARDs Arbeit im zweiten Heft des Philologus von 1983 für den amerikanischen Kongreß von 1984 zu spät erschien, so wäre doch dessen Berücksichtigung in den erst vier Jahre später publizierten Fassungen zu erwarten gewesen, wie ja der wohl genehmere Beitrag von FERGUSON (1986) immerhin in SKINNERs Einführung S.338 Anm.l ausdrücklich genannt ist. Selbst in v. ALBRECHTs entsprechendem Abschnitt wie in seiner Bibliographie (21994) fehlt jeglicher Hinweis. (Vgl. im übrigen auch die entsprechende Feststellung HUBBARDs zur Rezeption seiner Vorgänger o. Anm.25.) Wie unlängst DION nach über 100 jähriger Forschung zum Problem des Catull-Corpus einen Aufsatz vorlegen kann, der nur die allgemeinen Bücher von RAMBAUX (trois analyses de l'amour: Catulle, Ovide, Apulée, 1985), GRANAROLO (Catulle ce vivant, 1982), GRIMAL (Le lyrisme à Rome, 1978) und MAURYs Beitrag über Vergüs Bukolik (siehe o. Anm.5), BOES' über den Achilles-Mythos bei Catull (REL 64 [1986]) zitiert, ansonsten aber völlig ohne Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Wissenschaft auskommt, ist mir unverständlich. Auch NEWMAN (1990) hat bei seinen Catull-Interpretationen viel zu wenig auf die bisherige Forschung geachtet. Vgl. STROHs Anm.32 und 61 (1990, S.153 und 155).

32

Einleitung

BARDON, COPPEL, STOESSL, LYNE oder auch GOOLD77 und der neuen Literaturgeschichten von CONTE und dem ausdrücklich zur Vorsicht mahnenden v. ALBRECHT,78 von SANTIROCCO, FEDELI und unlängst GAISSER, die, insgesamt an einen postumen Redaktor denkend, nur die polymetrischen carmina minora als Catulls libellus, 'Passer', identifizieren wollen,79 die bereits Ende des letzten Jahrhunderts vertretenen Positionen auch noch Ende dieses Jahrhunderts wiedergekehrt und ernsthaft in der Forschung erwogen, ja sogar um weitere Varianten bereichert sind. Woran aber soll sich nun der Catull-Interpret halten, was soll der Nichtfachmann zitieren?80 Den jeweils neuesten Ansatz? Den, der seinen eigenen Zielen am besten entspricht? Den, der von der Mehrzahl der Forscher und am nachdrücklichsten vertreten wird (vgl. vor allem E.A. SCHMIDT und WISEMAN, der für die Voraussetzung der Authentizität in methodischer Hinsicht die Priorität beansprucht),81 den, der die Autorität WILAMOWITZ auf seiner Seite hat?82 Den c.1-116 einschließenden Gesamtansatz - aber in welcher Variante, mit oder ohne die ebenfalls unterschiedlich definierten Zyklen oder die gängigste Alternative, CLAUSENS und SKINNERs 'Passer' für c.l50 (mit evtl. zwei weiteren nachträglich von anderen ergänzten Büchern)? Angesichts dieses unbefriedigenden Befundes mit teilweise großem Optimismus der Forschung, aber auch z.T. offenbar unvereinbaren Ansichten darf es trotz der zahlreichen bereits zu diesem Komplex vorgelegten Arbeiten gerechtfertigt, ja notwendig erscheinen, die Frage nach der vom Dichter selbst gewollten Einheit der auf uns gekommenen Sammlung ein weiteres Mal aufzugreifen, die Frage der Beweislast zu überdenken und auch die viel77

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80

81 82

Siehe o. S.16 bzw. GOOLD (1974) S.8ff. zu einem libellus mit c.l und nur Hendekasyllaben; in seinem Kommentar allerdings glaubt er, daß Catull selbst am Sammeln seiner schon umlaufenden Gedichte war und sie mit der Dedikation an Nepos versehen wollte, "when death overtook him" [...] he died with his work unfinished" (S.8). G.B. CONTE, Latin Literature. A History, Baltimore/London 1994 (Übers, der ital. Originalausgabe 1987): "[...] the majority tend to believe, rightly, that this ordering [...] is rather the work of others [...]", v. ALBRECHT (21994) S.273: "Wir wissen nicht, ob die Anordnung der Sammlung durchweg von Catull selbst stammt [...]; daher sollte man mit weitgehenden Deutungen der Gedichtanordnung zurückhaltend sein." SANTIROCCO (1980, o. Anm.4) S.48f., FEDELI (1990) S33ff., GAISSER (1993) S.6; vgl. auch KREVANS (1984, o. Anm.4) S.316, JANAN (1994, o. Anm.61). In neuester Zeit verweisen z.B. GAISSER (1993) S.277f. Anm.l7f. auf WISEMAN, CLAUSEN und SKINNER; SWANN (1994, u. Anm.855) S.48 Anm.36 zunächst bloß auf WISEMAN (1969), S.76 Anm.91f. zusätzlich auf CLAUSEN (1976), BARWICK (1958), WILAMOWITZ (1913); LEFÈVRE (1991) S.326 Anm.53ff. auf COPPEL, MOST und Ε Λ. SCHMIDT, der im entsprechenden Kapitel seiner hilfreichen Einführung (1985) seine eigenen Zyklustheorien wiederholend z.T. die Ergebnisse anderer Einheitsvertreter, vor allem die metrische Beobachtung von SKUTSCH nicht beachtet. JANAN (1994) S.155 Anm.4 und T. FUHRER, The Question of Genre and Metre in Catullus' Polymetrics, QUCC 46 (1994), S.95-108, dort S.98 Anm.18, lassen die Frage offen und nennen Vertreter aller Richtungen. Und für KING (1988) S.383 Anm.3 ist gar der nun schon recht alte Kommentar von KROLL alleiniger Bezugspunkt. Siehe o. Anm.73. So z.B. der Hinweis WISEMANs in der o. Anm.73 genannten Rezension S.166f.

Einleitung

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fältige Forschungsliteratur zusammenzufassen und kritisch zu betrachten, wie es kurz - ausführlicher nur hinsichtlich der neueren Forschung (WISEMAN, FERGUSON, DEITMER, ARKINS, STROH, DION) -, gleich im nächsten Kapitel (2.1.) geschehen soll. Vor allem aber wird von den Gedichten selbst auszugehen und viel stärker als in der bisherigen Forschung, sowohl bei den Verfechtern des Corpus Catullianum als Ganzes wie auch bei denen kleinerer libelli, darauf zu achten sein, was es für die Gedichte und ihr Verständnis bedeutet, wenn sie an der überlieferten Stelle im Corpus stehen und in der so vorgegebenen Reihenfolge angeordnet sind. Sucht man nämlich nicht nur, von der Einheit der ganzen Sammlung oder ihrer Teile von vornherein überzeugt, nach angeblich signifikanten Begriffswiederholungen, Schlagwörtern und Überschriften für die Gedichte, um diese damit in ein System und Schema einbauen zu können, werden mehrere, über die hier eingangs angedeuteten Bedenken hinausgehende Probleme zu beobachten sein, die der Forschung z.T. längst bekannt sein sollten (vgl. hierzu Kap.2.2., 2.3. und 2.5.), aber viel zu oft zugunsten des vermeintlichen Nachweises der Richtigkeit der eigenen Lösungen übersehen und vernachlässigt werden, die z.T. auch gerade Gedichte betreffen, in denen man ein deutliches Argument für eine bewußte Anordnung Catulls zu erkennen glaubte (vgl. hierzu Kap.2.4.). Ausgangspunkt also muß, wie es sich eigentlich von selbst verstehen sollte, das unvoreingenommene Verständnis der Gedichte sein,83 wozu auch die nicht an Bauplänen oder Überlegungen zur Einheit des Corpus interessierte Spezialliteratur zur Interpretation einzelner carmina in viel stärkerem Maße als bei den bisherigen Ansätzen, etwa den jüngsten Gegenpolen DEITMER/DION und STROH, heranzuziehen ist84 - in der Beurteilung keines der Kap.2.2. - 2.5. besprochenen carmina ist sich die Forschung bisher einig! Mit Bedacht und nicht einfach zur raschen Beseitigung der sich bei der Betrachtung der Anlage der Sammlung ergebenden Probleme anzuwenden sind allerdings die in der neueren Forschung immer wieder verwendeten, scheinbar alles erklärenden Zauberwörter 'Ironie' (vgl. Kap.2.4.) und 'Fiktion' (vgl. Kap.2.5.), die den Leser der modernen Sekundärliteratur gelegentlich mit dem paradoxen Phänomen zurücklassen, daß man einerseits das Corpus als sorgfältig vom Dichter geordnet hervorhebt, andererseits aber zum Verständnis der einzel83

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Vgl. im übrigen die allgemeine Forderung von W. PORT (Die Anordnung in Gedichtbüchern augusteischer Zeit, Philologus 81 [1926], S.280-308, 427-468) S.280: "Wir dürfen kein Schema und kein Prinzip von außen herantragen und den Versuch machen, diesem möglichst alle Gedichte unterzuordnen, sondern müssen [...] die Gedichte [...] mit dem Auge des antiken Lesers in ihrer überlieferten Ordnung lesen, ihre formalen und inhaltlichen Beziehungen und Zusammenhänge beobachten [...]." Hier scheint es eine unglückliche Entwicklung zu geben. Einerseits nämlich liegen die oben angeführten Arbeiten zum Bau des Corpus Catullianum oder bestimmter libelli und der Anordnung der Gedichte vor, andererseits zahlreiche Einzelstudien zu den betreffenden carmina mit z.T. sehr guten Beobachtungen, ohne daß aber die Ergebnisse gegenseitig sowohl für die Interpretation der Verse selbst wie auch für ihre Stellung innerhalb einer Sammlung wirklich genügend beachtet werden.

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nen Gedichte die Kenntnis anderer Gedichte benötigt, die der ja angeblich bewußt ordnende Dichter erst an viel späterer Stelle eingeschoben haben soll (vgl. hierzu vor allem Kap.2.4. und 2.5., aber auch die Überlegungen zu Kap.2.3.). Es wird somit sorgfältig zu prüfen sein, wo wirklich Ironie und Fiktion anzunehmen ist. Für bestimmte, wenn nicht gar die meisten Gedichte wird sich freilich sogar die Annahme eines weitaus fiktiveren Charakters ergeben, als ihn die Forschung bislang vermutete (vgl. Kap.3.1. und 3.3.), und deswegen insgesamt eine überraschende Lösung, die, auf den Ansätzen von SCHULZE, HUBBARD und STROH aufbauend, diese aber deutlich weiterführend, eine m.E. bessere Interpretationsmöglichkeit für die Eigenarten der betrachteten Gedichte bieten wird und dennoch nicht unbedingt im Widerspruch zu den Gesamtlösungen etwa E.A. SCHMIDTS, WISEMANs und SKINNERs stehen muß. Da die im folgenden zu besprechenden Probleme eigenartigerweise besonders die Gedichte der sog. 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furius'-Zyklen und deren Beziehung zueinander betreffen, wird sich die hier vorgelegte Untersuchung auf diese ersten 26 bzw. einschließlich der beiden Fragmente (c.2a und 14a) und ohne die späteren Ergänzungen (c. 18-20) tatsächlich 25 connina und damit den Anfang des erhaltenen Corpus Catullianum und gerade die durch SKUTSCHs metrische Feststellung scheinbar untrennbar zusammengehörigen Gedichte konzentrieren. Weil mit c.l unzweifelhaft ein Einleitungsgedicht für eine von Catull selbst geplante und wohl edierte Sammlung vorhanden ist, ist es ja ohnehin am nächstliegenden, wenn man versucht, einer solchen Sammlung und ihren Bauprinzipien, sei es wirklich nur ein kleiner libellus, sei es gar das gesamte erhaltene Corpus, ausgehend gleich von den ersten carmina 2ff. auf die Spur zu kommen. Schließlich wird gerade am Buchanfang vom Dichter besondere Sorgfalt in der Präsentation und Anordnung seiner carmina - vgl. z.B. Horaz' sog. Paradeoden 1,1-9 bzw. am Anfang der überlieferten Sammlung noch die getreueste Bewahrung ursprünglich auf den Autor zurückgehender Strukturen zu erwarten sein.85 Auch die Forschung hat sich folglich den anfänglichen Lesbia-Gedichten mit größter Intensität gewidmet und in der vorliegenden Abfolge c.2-11 mit ersten, vielleicht noch schüchternen Anfängen (c.2 und 3 wird nur erst ihr Spatz angedichtet, noch nicht Lesbia selbst) über die Küsserei als Höhepunkt (c.5 und 7) bis hin zur Verzweiflung Catulls über Lesbias Untreue (c.8) und seinen endgültigen Bruch mit ihr (c.ll) eine so augenfällige, so eindeutige Entwicklung in Catulls Beziehung zu seinem Mädchen herausgearbeitet - SEGAL findet "in nucleo" die ganze Liebesaffäre Catulls -, daß diese mit ganz wenigen Ausnahmen wie etwa zwangsläufig PULBROOK mit seiner Neuordnung und GOOLD,86 der nicht verstehen kann, wieso Catull 85

86

So zu Recht ja auch der Ausgangspunkt z.B. SEGALs (1968) S.306 und SKINNERs (1981) S.U. GOOLD (1974) S.9. In seinem Kommentar (21989, S.236) glaubt er die Trennung in 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furius'-Zyklus "confidently" Catull zuweisen zu können, nicht aber auch die Aufnahme von c.8 und 11 ("they anticipate too much too soon"), für die er

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nicht das ebenfalls so wunderbare c.51 einbezogen hat, gemeinhin als vom Dichter selbst stammend akzeptiert wird87 und auch hier ohne ausführlicheren Nachweis vorausgesetzt werden kann. Zu verweisen ist - wie in der Forschung üblich (etwa PULBROOK spricht von "general consent")88 - zunächst lediglich auf die entsprechenden Arbeiten SEGALs und RANKINs, der wenige Jahre später die Beobachtung seines Vorgängers bestätigen und den bei diesem bereits angelegten weiteren wesentlichen Aspekt, nämlich einen von C.2 bis c.ll fortschreitenden, immer stärker werdenden pessimistischen Zug hervorheben konnte.89 Der Vollständigkeit halber sei hier aber auch das von SEGAL zur Verdeutlichung seiner Ergebnisse erstellte Schema wiedergegeben: F

2 —

s

3 —1

ι R

2 Lesbiapoems

Loss of virginity (c.2b)

τ

Ρ E Ν Τ A

Joyful Return

5 — Lesbia-poem scormm-pocm

D

S

E C O Ν

Cynical treatment of physical love

7 — 2 Lesbiapoems

8 —'

D Joyful Return

Ρ E Ν Τ Α D

10 — 11

scortum-pocm Lesbia-poem

Cynical treatment of physical love

Loss of purity of love

Hinzuweisen ist allerdings auch auf die früheren Arbeiten etwa von WESTPHAL, RICHTER und SCHULZE, die zwar keine in gleicher Weise mit Verklammerungen beeindruckende grafische Darstellung der fraglichen

87

88 89

ein weiteres Buch mit nichthendekasyllabischen Gedichten vermutet, die den "downhill course of his love affair" zeigen sollten. Dies ist jedoch reine Spekulation ohne wirklichen Anhaltspunkt ebenso wie wenn er z.B. für c.31 bezweifelt, daß der Dichter selbst das schöne Gedicht in seine Umgebung mit lauter Invektiven gesetzt hat (S.242). Zur offenbar zu erwartenden Stellung von dem sogar als "probably the first poem written to her" geltenden c.51 in Catulls Lesbia-Geschichte (FERGUSON [1985] S.9, 147, [1986] S.3, GOOLD [21989] S.238, 246) vgl. z.B. HERRMANNs Neuordnung oder auch WILLIAMSONS und ELKELES' Catull (u. Anm.98). Vgl. z.B. jüngst STROH (1990) S.137: "Wer kann zweifeln, daß diese Lesbialieder mit Bedacht in diese Folge gebracht sind." PULBROOK (1984) S.75f. SEGAL (1968) S.309ff., RANKIN (1972) S.744ff.; SEGALs Grafik steht auf seiner S.320.

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Gedichte enthalten, aber, was die Entwicklung von c.2 zu c. 11 in einer Lesbia-Gruppe mit eingestreuten weiteren Gedichten betrifft, zu z.T. den gleichen Beobachtungen kamen wie später SEGAL und somit Wesentliches von dessen Ergebnissen bereits Ende des letzten Jahrhunderts vorwegnehmen konnten.90 Und ebenfalls ist schon bei SCHULZE durch Einbeziehung von C.13 mit dessen Erwähnung von mea puella (V.ll) die für das Verständnis des Zusammenhalts aller c.2-14 offenbar ganz bedeutende Erweiterung des nach heutiger allgemeiner Ansicht nur bis c.ll reichenden 'Lesbia'-Zyklus erfolgt, die erst in neuerer Zeit mit ähnlicher Deutung von c.13 dem dafür von STROH besonders gelobten HUBBARD gelungen zu sein scheint.91 Ob c.13 wirklich so als weiteres Lesbia-Gedicht zu verstehen ist, ob tatsächlich nur diese für die Struktur des Zyklus von Bedeutung, die restlichen c.2a, 6, 9, 10 usw. dagegen lediglich zur Variation und damit mehr oder weniger beliebig eingestreut sind, wird noch genauer zu besprechen sein wie auch die zwischen den einzelnen Gedichten hergestellten Bezüge z.B. SEGALs, HUBBARDs und DETTMERs, die noch keineswegs ausreichen, um den Bau dieses ersten Zyklus wirklich nachzuvollziehen. Doch selbst wenn sich bei näherer Betrachtung ein noch so schönes, planmäßiges und m.E. ein wenig über Ergebnisse und Verklammerungen der bisherigen Forschung hinausgehendes Aufbau-Konzept ergeben wird, das sowohl für den Ausschluß von c.51 eine Erklärung geben als auch tatsächlich alle Gedichte c.2-14 an ihrer überlieferten Position einbeziehen kann, nicht nur die Lesbia-Gedichte c.211 und ein zusätzliches c.13 mit vagen Verbindungen auch anderer carmina wie über das von SKINNER ebenfalls herausgehobene "icortu/n-theme" (c.6 und 10),92 soll dies erst gegen Ende der hier vorgelegten Untersuchung erörtet werden.93 Denn für die Frage nach der Einheit der Sammlung insgesamt und die zunächst zu betrachtenden Probleme macht es keinen großen Unterschied, ob c.1-14 noch ein wenig stärker und als geschlossenere Einheit geordnet sind als bislang angenommen. Die Eigenständigkeit auch der Publikation dieser Gedichtgruppe, wie sie HUBBARD u.a. dadurch nachzuweisen suchte, daß er seinen Bauplan, "a very intricate system of organization and cross reference, to a degree unmatched elsewhere in the Catullan corpus" 90

91

92 93

Vgl. zum 'Lesbia'-Zyklus c.2-11 WESTPHAL (21870) S.5ff., SCHULZE (1881) S.207ff., RICHTER (1881) S.3ff., HECK (1951) S.38ff. (c.1-13), BARWICK (1958) S.312ff., EA. SCHMIDT (1973) S.217ff., (1985) S.llOff., OFFERMANN (1977) S.270ff., (1978) S.39, QUINN (1972) S.9 und 40ff., SKINNER (1981) S.39ff., HUBBARD (1983) S.224ff., FERGUSON (1985) S.9, (1986) S.3f., DEITMER (1989) S.375ff., JANAN (1994) S.37ff., MILLER (1994) S.63ff.; zu c.9-13 HEILMANN (1975) S.143-148, zu c.12-14 FORSYTH (1985) S.571ff. Vgl. überdies das Urteil von WILLIAMS (1968) S.470 für c.2-11: "he gave them a meaning and significance which depended on their being collected together." HUBBARD (1983) S.225f., STROH (1990) S.144. Vgl. auch z.B. RICHTERS einleitende Bemerkung (1881) S.3: "Jene 14, bzw. 15 Gedichte haben in ihrer Zusammenstellung [...] hervorstechende Merkmale, die sie als ein eigenthümliches Ganzes von einer gewissen Abgeschlossenheit erscheinen lassen." Vgl. SEGALs Schema, SKINNER (1981) S.49. Siehe u. S.246ff.

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sogar zweifach in seine Argumentation einbindet,94 ist daraus noch nicht abzuleiten. Die Vertreter einer gemeinsamen Sammlung mit mindestens c.1-26 wie WISEMAN, SKINNER, DEITMER und STROH geben schließlich genauso detaillierte Beschreibungen für den 'Lesbia'-Zyklus, ja setzen c.1-14 ebenfalls als "a sequence complete in itself' voraus95 und können diesbezügliche Argumente HUBBARDs oder auch SCHULZEs mit dem scheinbar gleichen Recht auch für ihre eigenen Ansätze anwenden wie etwa im Fall einer Beziehung zwischen c.l und 14 mit der Erwähnung von libellus (1,1/ 14,12) und jeweils am Gedichtende saeculum (1,10/14,23) sowie dem Geschenkmotiv cui dono lepidum nouum (1,1) und hoc nouum ac repertum munus dat tibi... (14,8f.) als eine Art Rahmen.96 Ein solcher Bezug mag tatsächlich vorhanden und auch von Catull bewußt als Abschluß seines libellus so hergestellt sein, belegt aber noch nicht zwingend die Einheit des Zyklus als kleines Gedichtbuch, da c.14 eben kein wirklich dem Einleitungsgedicht entsprechendes und wieder explizit auf den vorliegenden libellus bezugnehmendes Abschlußgedicht darstellt (so etwa direkt Catulls libellus als Reaktion auf Calvus' munus statt der allgemeinen Drohung V.16ff. ad librariorum curram scrinia, ... omnia colligam uenena). Nach den Ergebnissen der bisherigen Forschung mag Catull seine Gedichte somit auch einfach in kleineren, in sich mehr oder weniger geschlossen wirkenden Einheiten angeordnet haben, so daß die übliche Begeisterung über seinen wunderbar detaillierten Bau von c.1-14 ruhig noch ein wenig zurückgestellt werden kann, da zumindest festzustehen scheint, daß im 'Lesbia'-Zyklus mit c.2-11 bewußte Anordnung vorliegt, wie sie ja fast alle heutigen Forscher zugeben. Während mit den Lesbia-Gedichten bzw. den c.1-14 neben Einzelstücken, so dem ja auch durch ORFFs Vertonung berühmten odi et amo c.85, die, wie etwa Martials wiederholte Anspielungen auf Catulls passer und seine Küsse zeigen, wohl schon in der Antike bekanntesten Gedichte der Sammlung vorliegen, die z.B. unter den nur 19 Catull-Übertragungen von Eduard MÖRIKE ebenfalls mit sechs carmina vertreten sind (3, 4, 5, 8, 11, 13)97 und wohl durch entsprechend zusammengestellte Auswahltexte auch schon den meisten Lateinschülern ihr Bild von Catull vermitteln,98 sofern dieser, ja Dich94 95 96

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HUBBARD (1983) S.236. WISEMAN (1985) S.147; vgl. auch seinen Beitrag von 1969. HUBBARD (1983) S.226f. (mit zusätzlichem Hinweis auf die beiden Adressaten als jeweils "distinguished literary figures") und andererseits schon WISEMAN (1974) S.60 mit Anm.8, (1985) S.147, bestätigt von DEITMER (1988) S.378ff. mit Hinweis auch auf G.N. SANDY (Indebtedness, Scurillitas, and Composition in Catullus, Phoenix 32 [1978], S.74), einer schematischen Gegenüberstellung der beiden carmina zum Nachweis ihrer parallelen Anlage und weiteren Überlegungen. Nach TRÀNKLE (1967) S.100 werden seit dem 1. Jh. n. Chr. "die vier Gedichte, die unsere Sammlung eröffnen, häufiger zitiert als alle anderen". Vgl. z.B. die Catull-Auswahlen in 'Aschendorffs Klassikerausgaben' (hrsg. v. G. ELKELES) mit c.l, 51, 2, 3, 5, 7 und später auch 8, 13, 9 oder die bei 'Schöningh' (hrsg. v. H. FLUCK) mit c.l, 2, 3, 5, 7, 9, 11, 13 u.a. oder ähnlich bei 'Diesterweg' (hrsg. v. R. HEINE).

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tertexte überhaupt noch in der Schule gelesen werden, während also Gedichte wie c.2, 3, 5, 7, 8, 11 oder auch 4, 12, 13 und 14 wohl in keiner CatullAuswahl fehlen werden, ist es bei den anschließenden Gedichten des sog. 'Aurelius- und Furius'-Zyklus genau umgekehrt: Abgesehen von etwa dem harmlosen c.26 werden diese Gedichte wie c.15, 16, 21 und auch 24 wegen ihrer obszönen Formulierungen und der Darstellung der Knabenliebe sicherlich niemals in eine Schulausgabe Aufnahme finden." Sie sind z.B. in der zweisprachigen Loeb-Ausgabe von PAGE u.a. (1913ff.) oder sogar von FORDYCE in seinem eigentlich das ganze überlieferte Corpus erläuternden Kommentar weder erklärt noch wenigstens im Wortlaut abgedruckt, vielmehr einfach ausgelassen, und auch von MÖRIKE natürlich nicht bearbeitet worden, der aus diesem Zyklus nur c.22 und 24 übersetzt hat. Trotzdem hat sich aber die Forschung, auch die der neueren Zeit, mit den Gedichten befaßt100 und ihren strengen, formalen Zusammenhang in zwei Triaden mit einerseits vorherrschendem impudicitia-, andererseits paupertas-Motiv erkannt,101 der gleich im nächsten Kapitel kurz berücksichtigt sein wird.102 Anders als im 'Lesbia'-Zyklus ist jedoch bei diesen Gedichten die inhaltliche Abfolge und ihre Ausrichtung nicht einfach mit dem Hinweis auf bisherige Forscher als geklärt und offensichtlich vorauszusetzen. Denn gerade die Aussagen dieses Zyklus sind es, die sorgfältig zu überdenken sind und die angekündigten interessanten Beobachtungen ermöglichen werden.103 Der Begriff des Gedichtzyklus wird dabei freilich nur im ganz allgemeinen Sinn einerseits für thematisch zusammengehörig erscheinende und gleichzeitig nahe beieinander stehende Gedichte verwendet wie von den jeweiligen Entdeckern der Zyklen, vor allem BARWICK (1958) und E.A. 99

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C.26 z.B. bei ELKELES und FLUCK (o. Anm.98), im 11. 'Fundus'-Band 'Sai et Acetum' des Auer-Verlags (hrsg. v. G. FINK) zusammen mit c.23 neben nur weiteren sieben, ζ,Τ. gekürzten und so entschärften Catull-Beispielen oder auch bei G. A. WILLIAMSONS 'Poems of Catullus', Bristol 1969 u.ö., mit c.17 und 22. Vgl. z.B. HECK (1951) S.42ff. (c.14-28), BARWICK (1958) S.315f., QUINN (1972) S.45ff. und 247, HOLLAR (1972) S.lOlff., EA. SCHMIDT (1973) S.219-221, DELLA CORTE (21976) S.165ff., SKINNER (1981) S.43ff„ ARKINS (1982) S.104ff„ FORSYTH (1989) S.81ff.; wie die ältere Forschung, so z.B. WESTPHAL (21870) S.197ff., geben vor allem RICHARDSON (1963) S.93ff. und STOESSL (1977) S.39-56 eine - über den eigentlichen Zyklus c.15-26 hinausgehende - chronologische Interpretation sämtlicher Aurelius-, Furius- und Juventius-Gedichte (siehe u. Anm.520, 543); SKINNER spricht noch 1981 nur von "relatively little critical attention" (S.43), doch vgl. für neuere Literatur u. S.162ff. zur gezielt den Aurelius-, Furius-, Juventius-Gedichten gewidmeten Dissertation von TROMARAS (1984) sowie LILJA (1983), SYNDIKUS (1984), TROMARAS (198η, MURIEL/VENTURA (1988), CARRATELLO (1995); zu FORSYTH (1989) u. Anm.542. Vgl. bes. die Ausführungen von BARWICK (1958), WISEMAN (1969), EA. SCHMIDT (1973), SKINNER (1981). Siehe u. S.46,49 und auch S.234. Zur Erinnerung sind darum hier diese Gedichte des sog. 'Aurelius- und Furius'-Zyklus der jeweiligen Besprechung im Original vorangestellt, so c.15 S.94, c.16 S.132, c.17 S.187, C.21 S.94, c.22 S.213, c.23, 24 S.94, c.25 S.186, c.26 S.195.

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SCHMIDT (1973, 1985), aber auch z.B. SKINNER (1981),104 für die eigentlichen Lesbia- bzw. Aurelius-/Furius-/Juventius-Gedichte also unter den c.l14 die Gedichte 2, 3, 5, 7, 8, 11 und unter 14a-26 die Gedichte 15,16, 21, 23, 24, 26, so daß andere Lesbia-Gedichte, etwa c.43, 51, 58 oder 72, 75, 79, 83, 86, und auch die weiteren über Juventius, nämlich die viel später folgenden und damit deutlich abgetrennten c.48, 81 und 99, nicht eingeschlossen sind.105 Der Einfachheit halber sind andererseits aber auch die restlichen zwischen den genannten zyklusprägenden, nicht Catulls puella oder puer gewidmeten und scheinbar bezuglosen, nur der Variation dienenden carmina einbezogen, so daß mit den Bezeichnungen 'Lesbia' und 'Juventius' (bzw. für letztere 'Aurelius und Furius') die Gruppen 1-14 bzw. 14a-26 insgesamt gemeint sind, wie es seit WISEMANs entsprechender Dreiteilung der Polymetra (1969) vor allem in der neueren Forschung geschieht (vgl. z.B. DEITMER [1988], FORSYTH [1989] und STROH [1990]).106 Daß methodisch gesehen diese übliche, aber recht unscharfe Verwendung des Zyklus-Begriffs nicht korrekt ist, wird von TROMARAS betont, der in seinen beiden Arbeiten von 1984 und 1987 auch unter Hinweis auf Ansätze der modernen Literaturwissenschaft auf eine genaue Definition, viel strengere Eingrenzung und überdies auf sorgfältige Trennung nach 'offenen' und 'geschlossenen' Zyklen drängt.107 TROMARAS' Einwände bestehen gewiß zu Recht, doch wie seine eigenen Arbeiten zeigen, ist ein präzises Vorgehen ausgehend von einer solchen Differenzierung in erster Linie literaturwissenschaftlich interessant, kann aber das Verständnis von Catulls Dichtung oder Zyklen nicht recht weiterbringen, wird dies im Fall von c.16 im Gegenteil sogar behindern.108 Auch als Ergebnis der im folgenden angestellten Untersuchungen werden sich die betrachteten Gedichtgruppen jeweils als 'geschlossene', ja sogar so eng zusammengehörende Einheiten ergeben, daß in ihnen jedes Gedicht genau auf dem ihm zukommenden Platz steht und eigentlich auch keines mehr oder weniger (einschließlich freilich der als ursprünglich vollständige Gedichte anzunehmenden Fragmente) einbezogen sein dürfte. Diese Erkenntnis wird jedoch nicht aus der Interpretation allein der im strengen Sinne etwa zu einem 'Aurelius'- oder zu einem 'Furius'-Zyklus zu zählenden Gedichte erwachsen; für das Verständnis der Anordnung dieser carmina sowie der c.2-11 sind vielmehr auch die übrigen, nicht im eigentli104

105

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Vgl. z.B. Ε Λ . SCHMIDTS (1973) explizite Voraussetzung S.216 "thematische Zusammengehörigkeit" und "gewisse Nähe der Anordnung"; vgl. auch z.B. STROH (1990) S.151 Anm.21; für die sorgfältige Trennung von "cyclic" und "non-cyclic pieces", die lediglich "punctuation and variation" dienen, siehe SKINNER (1981) S.48. Von einem größeren 'Juventius'-Zyklus mit 9 oder 11 Gedichten (c.48, 99, 16, 15, 21, 23, 24, 40, 81 und evtl. auch 103, 106) gehen z.B. NEUDLING (1955) S.94ff., HOLLAR (1972) S.lOlff. und DELLA CORTE (21976) S.165ff. aus; vgl. auch die Auswahl von TROMARAS (1984). LILJA (1983) S.51 beschränkt auf c.24, 48, 81, 99; z.B. WEINREICH will sogar c.25 einbeziehen (siehe u. S.285). So z.B. auch DEITMER (1983, o. Anm.4) S.481 Anm.7. TROMARAS (1984) S.107ff. und (1987) S.41ff. Siehe u. S.166.

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chen Sinn dazugehörigen, z.B. c.12-14, von großer Bedeutung, die besonders die frühere Forschung, etwa WESTPHAL und BARWICK, aber auch SEGAL, RANKIN und E.A. SCHMIDT durch ihre Fixierung auf einige wenige Zyklus-Gedichte zu unbeachtet gelassen hat und die auch in den neueren Ansätzen, so denen von HUBBARD und D E I T M E R , noch nicht genügend Beachtung gefunden haben, z.B. von FORSYTH sogar als eigener Zyklus abgetrennt werden. Der übliche unscharfe und allgemeine Zyklus-Begriff kann somit gegen TROMARAS auch hier zunächst weiterverwendet und soll eben als geläufige Bezeichnung beibehalten werden anstatt eine unverfänglichere Benennung wie z.B. 'Gruppe' zu suchen. Worauf die anschließend vorgetragenen Beobachtungen hinauslaufen werden - auf zwei libelli im Corpus Catullianum -, ist schon durch den Titel klar. Die beiden dafür gewählten Bezeichnungen 'Lesbia' und 'Juventius' sind freilich lediglich als übliche Arbeitstitel bereits der bisherigen, für den Juventius-Teil vor allem der neueren Forschung für die untersuchten Gedichte/Zyklen aufzufassen, keinesfalls aber als authentisch, belegt oder belegbar (als authentischer, zumindest bereits in der Antike üblicher Titel für den ersten libellus wäre vielmehr Martials bekannte Bezeichnung 'Passer' denkbar). 109 Doch auch als Arbeitstitel sind sie nicht wirklich korrekt: Im sog. 'Lesbia'-/ióe//í¿s/Zyklus handeln zwar sechs Gedichte von Catulls puella, C.5 und 7 sogar explizit von der V.l bzw. 2 angeredeten Lesbia, doch ist die wirkliche Hauptperson dieser und der restlichen Gedichte in ihrer Umgebung Catull selbst, während es im sog. 'Juventius'-/ifee//us/Zyklus ebenfalls in Wirklichkeit gar nicht um diesen, sondern um die ständig angesprochenen Adressaten Aurelius und Furius geht, wie im folgenden noch näher zu besprechen sein wird.110 Wie aber hätte eine Gegenüberstellung folglich korrekterer Titel mit 'Lesbia' bzw. 'Catull' und 'Aurelius und Furius' für die zu erschließenden libelli geklungen! So sind zunächst wiederum die eingeführten, als direkte Entsprechung mit der Nennung der beiden in Catulls Dichtung zentral erscheinenden Geliebten viel schöner und parallel wirkenden Bezeichnungen beibehalten, die überdies eine Anspielung auf den Titel des Beitrags von STROH ermöglichen ("Lesbia und Juventius: ein erotisches Liederbuch im Corpus Catullianum"), des im übrigen neben dem von DION jüngsten und nach den beiden Aufsätzen von E.A. SCHMIDT und den beiden Analysen von OFFERMANN aus den 70er Jahren einzigen deutschsprachigen Beitrags der letzten Zeit zur Frage speziell nach Catulls Gedichtcorpus - zufälligerweise von einem meiner verehrten Münchner Lehrer, der es mir verzeihen möge, wenn meine Untersuchung zu ein wenig anderen Schlußfolgerungen führt.

109 110

Dazu siehe u. S.244f. Siehe u. S.94ff. und 154ff.

2. Die gängige Forschung: 'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch 2.1. Das Editions-Problem (c.1-116) "The evidence against that sceptical view is steadily piling up" hatte SKINNER 1988 formuliert.111 Doch sind die vielfältigen Indizien, die die bisherige Forschung zusammengetragen hat, wirklich aussagekräftig und Beweis für die Authentizität der Anordnung der Gedichte und damit des ganzen uns überlieferten Corpus Catullianum als vom Autor selbst stammende Edition? Daß in diesem Jahrhundert und besonders in letzter Zeit mehr für die von Catull gewollte Einheit eintretende Beiträge vorgelegt sind - ebenso wie bezüglich des Ringens um ein zusammengehöriges c.2+2a oder um die Ironie des Anfangs von c.ll -, darf freilich nicht verwundern. Es ist schließlich weitaus einfacher, vermeintliche neue Argumente für die authentische Anlage zu publizieren, seien sie auch noch so gesucht, als zusätzlich zu den seit langem diskutierten und m.E. noch nicht endgültig widerlegten Gegenargumenten weitere zu finden. So ist es gelegentlich schon recht merkwürdig, wie für das Catull-Buch argumentiert wird. Ein Syllogismus, wie ihn z.B. ARKINS aufstellt ("Callimachus influenced Catullus to an extraordinary extent; Callimachus arranged his own poetic works; therefore Catullus arranged his own poetic works"),112 ist nichtssagend (jeder Autor, der eine Gedichtsammlung herausgibt, hat diese in irgendeiner Weise geordnet und sei es nur nach dem Variationsprinzip) und kann, solange sich nicht wirklich signifikante Aufbauparallelen für die gesamte Catull- und Kallimachos-Sammlung ergeben,113 in keiner Weise belegen, daß unser ganzes Corpus tatsächlich auch so auf Catull zurückzuführen ist und dies nicht etwa nur für eine mit c.l eingeleitete Teilsammlung gilt. Derartige 'Argumentationen' sind freilich nur Einzelfälle.114 Wie die Aufzählung der Forschungspositionen und Argu111 112

114

Siehe o. S.26f., Anm.73. ARKINS (1987) S.847f. mit Beachtung lediglich der Einzeleditionen der vier Aitien-Bücher und des lamben-Buches. Für überzeugendere Literatur zu hellenistischen, kallimacheischen Einflüssen, aber leider nicht beweiskräftigen Einzelheiten siehe u. Anm.139 oder ARKINS' Angaben; für den Vergleich mit der "Anordnung antiker Kallimachosausgaben nach Genera" (SYNDIKUS [1984] S.59) siehe u. Anm.226. Vgl. aber auch DEICHGRÄBERs Ansatz (1971), der von den Gedichtbüchern der anderen Neoteriker ausgeht, obgleich uns diese gar nicht für einen Vergleich vorliegen oder dazu hinreichend rekonstruierbar wären. (Gegen DEICHGRÄBER z.B. schon STOESSL [1977] S.234 Anm.l.) Zu einfach machte es sich auch WESTPHAL (21870), wenn er seine Untersuchung S.l mit folgendem Satz begann: "Catull selber hat die uns vorliegende

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

mentationsansätze im vorausgehenden Kapitel zeigt, ist man ja in der Regel um das Herausarbeiten von Bezügen zwischen den einzelnen Gedichten bemüht, und dazu ist in der Tat im Laufe der Zeit eine beeindruckende Fülle von Arbeiten und Aufbauplänen zusammengekommen, die eine solche Systematik oder einen so großen Zusammenhalt in der Abfolge der einzelnen Gedichte entdecken wollen, daß die Sammlung angeblich nur vom Verfasser der Gedichte selbst stammen kann. Schon diese schließlich von SKINNER eigens hervorgehobene Menge der "evidence", die man sich anstelle des üblichen Anmerkungsverweises wirklich einmal vor Augen führen muß, zeigt jedoch auch die Problematik solcher Beweisversuche. Es ist nämlich keineswegs so, daß sie sich alle gegenseitig ergänzen, etwa auf metrischem wie inhaltlichem Wege dasselbe Konzept erarbeitet und erwiesen oder durch sorgfältige Interpretation einzelner Gedichte Schritt für Schritt ein Mosaiksteinchen nach dem anderen für einen großen, in seinen Grundzügen bereits allseits akzeptierten Bauplan zusammengetragen würde, so daß eine von Catull gewollte Anlage all seiner uns vorliegenden Gedichte immer deutlicher, immer überzeugender werden könnte. Wie der eingangs gegebene Forschungsüberblick verdeutlicht, besteht Einigkeit vielmehr oft nur in dem gemeinsamen Ziel und der von vornherein feststehenden Überzeugung, daß ein für Catull überliefertes Gedichtbuch auch von diesem selbst geordnet und ediert sein muß. Ansonsten liegen mit den bisherigen von inhaltlichen Überlegungen ausgehenden Gesamtlösungen etwa von HECK, TRÄNKLE, OFFERMANN, E.A. SCHMIDT und WISEMAN (und ihm für die Polymetra folgend SKINNER), mit den speziellen Untersuchungen der carmina maiora z.B. LIEBERGs und MOSTs und schließlich mit dem rein metrischen Ansatz von METTE jeweils ganz eigenständige, neue Untersuchungen vor, wie es ja WISEMAN selbst einräumt,115 die sich in der Beurteilung gerade der entscheidenden Stellen der Sammlung, d.h. evtl. programmatischer Aussagen sowie der jeweiligen Abschlüsse der polymetrischen und epigrammatischen Gedichte wie z.B. c.50, 51 und 116, teilweise sogar direkt widersprechen116 und auch insgesamt und sogar unter den 'Uni-

115

116

Sammlung seiner Gedichte herausgegeben, das beweist die voranstehende Dedication an Cornelius Nepos." Beweisen kann diese nur, daß Catull eine Sammlung ediert hat, nicht aber auch, daß diese die erhaltene mit ihren über 2000 Versen ist. WISEMAN (1979) S.181 Anm.35: "The fact that these analyses differ between themselves does not, of course, mean that none of them can be right: the point is that patterns can be detected, and therefore the anonymous editor is not the only possible explanation." Aber muß es dann umgekehrt bedeuten, daß Catull selbst der Editor war, wenn jeder Interpret nur seine eigene Ordnung und nicht alle gemeinsam eine offensichtliche und damit notwendige erkennen? Vgl. auch SYNDIKUS (1984) S.62 Anm.30 "die zahlreichen Widersprüche in der Einschätzung und Gewichtung der einzelnen Kriterien zeigen sehr deutlich, daß man sich hier auf sehr unsicherem Boden befindet". Speziell für c.l siehe die Erklärungen o. S.21f. zur Dreiteilung des Corpus entsprechend des angeblichen Nepos-Bezugs und dagegen z.B. TRANKLE (1967) S.101, der eine Verteilung auf mehrere Rollen für "undenkbar" hält und seinerseits die Sammlung als "ein Büchlein scherzhaft den drei [...] chartae des Nepos" gegenüberstellt. Für c.27 siehe u. S.304ff., für den Abschluß der Polymetra mit c.50 und die restlichen Gedichte c.51ff. o.

Das Editions-Problem (c.1-116)

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tariern' keine allgemeine Akzeptanz erringen konnten.117 Besonders schön ist dies für die neueste Forschung festzustellen, wenn ausgerechnet mit demselben, ausschließlich Catulls Corpus gewidmeten 'Classical World'-Heft, das SKINNERs zitierten Forschungsüberblick und z.B. KINGs Beitrag über die Funktion von c.65 für die folgenden carmina enthält, auch DEITMERS Studie vorgelegt ist, die sich mit der Einteilung ihrer neun Zyklen über all das hinwegsetzt, was ausgehend von SKUTSCH und WISEMAN z.B. auch SKINNERs eigener Untersuchung der polymetrischen Gedichte zugrunde lag und heute allmählich von mehreren Forschern akzeptiert zu werden schien, ja zur Erklärung der Länge des Corpus und seiner proportionierten Aufteilung auf drei nahezu gleichlange Buchrollen auch unumgänglich ist, wie vor allem die Deutung von c.27 als Programmgedicht zur Einleitung eines dritten Teiles der polymetrischen carmina minora (z.B. WISEMAN, SKINNER, GOOLD) und von c.65 als solches für die dritte epigrammatische Teilsammlung bzw. Buchrolle (z.B. WISEMAN, BLOCK).118 Bei DEITMER ist c.27 dagegen als ganz normales Gedicht in ihrem bereits c.25 beginnenden und damit den fast allseits anerkannten 'Aurelius- und Furius'Zyklus sprengenden, dritten Zyklus eingebaut und mit dem 32. Gedicht in Beziehung gebracht; c.65 ist nur mehr eines unter den restlichen großen Stücken der Sammlung, die keineswegs deutlich an dieser Stelle getrennt, sondern durch ihren Bezug von c.63 auf c.67 sogar verbunden sind, und hat

S.22Í. und u. S.156ff. und dagegen z.B. WEINREICH (1959) S.84ff„ HECK (1951) S.56, OFFERMANN (1977) S.279ff., (1978) S.51, SANTIROCCO (1980, o. Anm.4) S.49 und FERGUSON (1986) S.3 mit Hinweis auf c.2 und 58 als Lesbia-Gedichte an zweiter/vorletzter Stelle. VAN SICKLE (1980) S.37 Anm.91 erwägt wegen patrona/patronus einen Abschluß bereits mit c.49. Für die meisten ist c.64 die Mitte (vgl. z.B. TRÁNKLE [1967] S.101, 103 als "der eigentliche Prüfstein dichterischen Könnens" und Catulls eigentlichen Lebensinhalt, "Liebeskummer und Liebesschmerz", in sich vereinigendes, ins Mythische erhebendes "Herzstück", MOST [1981] S.120), für D E I T M E R (1988) S.376 Anm.12 jedoch c.63 das evtl. schon durch seine "uniqueness of meter" herausgehobene "centerpiece". Für c.65 siehe u. S.308ff., für c.116 u. S.53ff. und 308ff. sowie die dort jeweils genannte Literatur. 117

118

Vgl. z.B. besonders ausführlich COPPEL (1973) S.142ff. gegen HECK und TRÄNKLE, GIARDINA (1974) S.232ff. gegen E A . SCHMIDTs 'Ding-Apostrophen', OFFERMANN (1978) S.35ff., 58f. gegen Zyklentheorien und ebenfalls bes. SCHMIDT (1973) oder u. FORSYTH (1993) gegen D E I T M E R ; vgl. ferner z.B. MOST (1981) S.110, 119 Anm.40 gegen die übliche Reduktion der carmina maiora auf ein "single theme of marriage", SKINNER (1981) S.21 gegen HECK, QUINN (1959) S.106 Anm.ll, HORVÁTH (1966) S.148f., WISEMAN (1969) S.2f. und SKINNER (1981) S.21 gegen METTE, SYNDIKUS' skeptische Beurteilung (1984, S.62 Anm.30) von HECK, BARWICK, TRÄNKLE, WISEMAN, SCHMIDT, OFFERMANN oder auch STROH (1990) S.141 zu den Versuchen BARWICKs, WISEMANs, SCHMIDTs ("haben zu keinen anerkannten Resultaten geführt") sowie S.153 Anm.42 gegen METTE und SKINNER und schließlich LEFÈVRE (1991) S.326 Anm.53 zu MOST ("zuweilen überspitzt"). Vgl. die Literatur o. S.22f., u. S.304ff., 308ff.; für die Trennung der "structural unity" der langen Gedichte vgl. auch explizit DETTMER (o. Anm.4) S.481 Anm.8: "The point should be made, however, that the assigning of Catullus' carmina to three separate books is not without its difficulties" (dagegen jedoch selbst S.482f. mit ihrem "numerical pattern").

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

demnach und als Parallele zum Paar c.68/68a ankündigende Funktion ausschließlich für das folgende c.66. Denn entweder ist c.65 Teil einer für den Leser erkennbaren Ringstruktur der sog. carmina maiora um c.64 als herausragende Mitte, oder aber c.61-64 und das angebliche Elegiebuch c.65ff. mit seinem Rahmen 65,15f. - 116, lf. sind als jeweils getrennte Sammlungen/ Buchrollen konzipiert, so daß auch c.61-64 und 65-116 jeweils für sich eine geschlossene Einheit bilden müssen und für den Leser durch den Bucheinschnitt und den vermuteten programmatischen Charakter von c.65 als Einleitung und Neuansatz deutlich abgetrennt sind. Wenn DEITMERS Lösung für die Gedichtanordnung auch insgesamt nicht überzeugen kann, wie im folgenden noch kurz zu erläutern sein wird, und ihre wohl eigene Verteidigung mit "secondary schemes" von Gruppen aus "thematically related poems" als Ergänzung einer "primary structure" für ihr Abweichen von bisherigen Forschungsergebnissen,119 die diese offenbar nicht endgültig ausschließen soll, mit den sich dann ergebenden bzw. von ihr zugestandenen, einander gar überlagernden Strukturen insgesamt doch überkompliziert und wenig wahrscheinlich wirkt, so ist ihr Versuch aber deswegen nicht einfach rasch als bloße weitere Spekulation wie z.B. das strenge Schema METTEs abzutun und etwa zu WISEMANs und SKINNERs Bauplänen bzw. Analysen zurückzukehren; der Aufsatz von DEITMER ist vielmehr für die Beurteilung der bisherigen Forschung aufschlußreich: Denn daß die ja auch durch mehrfache weitere Catull-Publikationen als Kennerin von dessen Gedichten wie moderner Forschung ausgewiesene DEITMER noch 1988 - und ebenso DION 1993 - einen sich über die angeblich programmatische Funktion z.B. von c.27 und 65 hinwegsetzenden Bauplan vorlegen kann, belegt in deutlichster Weise, daß die - aus dem Wortlaut der fraglichen beiden Gedichte in Wirklichkeit ja auch gar nicht ohne weiteres zu gewinnende - Interpretation von c.27 und 65 als Programmgedichte für einen Teil der Gedichtsammlung120 keineswegs so überzeugend und offensichtlich ist, wie dies wohl anderen bislang erscheinen mochte. Was nun DETTMERs Lösung mit ihren neun Zyklen in "ring patterns based on thematic reciprocity" betrifft, so brauchen diese nicht in allen Einzelheiten kommentiert zu werden; ihre grafische Darstellung spricht (wie die mancher anderer Forscher) schon genügend für bzw. gegen sich, da eben doch - anders als z.B. bei ihrem (aber ebenfalls fragwürdigen) Horaz121 119 120 121

DEITMER (1988) S.381 und ähnlich auch in ihrem 'Horace' (o. Anm.4). Genauer dazu siehe u. S.304ff. und 308ff. Siehe o. Anm.4; vgl. dort z.B. S.125 für das erste und dritte Odenbuch, S.204 für das zweite, S.486 für das vierte sowie ihren abschließenden Gesamtplan, aber auch die keineswegs positiven Rezensionen etwa von NADEAU (Latomus 48 [1988], S.683ff.: "it was labour wasted"), HUTCHINSON (JRS 75 [1985], S.313f.: "and yet D. has no doubt at all that the scheme is Horace's, not hers") oder SYNDIKUS (Gnomon 57 [1985], S.llff.), deren Bedenken in gleicher Weise auch auf DETTMERs Catull-Zyklen zu übertragen sind (so z.B. SYNDIKUS' abschließende Bemerkung S.15: "Ich glaube, die Verfasserin gibt sich zu

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keine wirkliche Systematik hergestellt ist und keineswegs alle ihrer Zyklen mit einem Rahmen aus einander entsprechenden Gedichten oder etwa einer offensichtlichen Ringkomposition gebaut sind (vgl. bes. c.69-78). Um nur auf einige Beispielfälle einzugehen: Es lassen sich bei oberflächlicher Betrachtung gewiß z.B. C.25 mit c.33 als Diebstahlsgedicht,122 c.26 und 31 als Villenbzw. Heimatgedicht und damit die äußeren Gedichte dieses Zyklus verbinden, aber warum ist dann DETTMERs Paar c.27/32 den zweiten Ring c.26/31 verhindernd unregelmäßig eingeschoben und nicht äußerlich entsprechend angeordnet, so daß auch der gewöhnliche Leser DETTMERs keineswegs immer ersichtliche Bezüge und Klammern hätte erkennen können? Warum fehlt ein markierter Rahmen im zweiten und siebten Zyklus, wenn DEITMER in ihrem Aufsatz z.B. für c.15 und 24 als bindende Gemeinsamkeit "a common love interest" angibt?123 Wenn die "structural wholeness" der einzelnen Zyklen von Catull dadurch besonders hervorgehoben sein soll, daß die jeweils ersten und letzten Gedichte von Personen oder Themen handeln, die sonst im Corpus nicht mehr vorkommen (vgl. aber dagegen den Furius von c.23, 24 auch in c.26 und einen Diebstahl neben c.25 und 33 auch in c.12!), warum sind dann nicht auch deutlich alle Gellius-Gedichte zu einem Zyklus zusammengefaßt, anstatt sie auf den siebten und achten ebenso wie auch die Lesbia-Gedichte zu verteilen, so daß der unbefangene Leser auch wirklich die von DEITMER zusammengenommenen Gedichte als Gruppen empfindet und nicht lediglich Lesbia und Gellius in den c.69ff. als dominierende, mehrfach wiederkehrende Themen ohne weitere Gliederung? Der Struktur nach undurchsichtig wirkt z.B. ihr vierter Zyklus, wenn zwar außen scheinbar passend c.45 und 60 durch Klammern verbunden sind sowie die Paare c.46/47 und 58/59, im Inneren aber ohne Regelmäßigkeit und mit einander überlappenden Bezügen c.49 mit 53 und 56, c.50/51 mit 55 und 58b, c.52 mit 54/57 und c.48, das noch nicht einmal das Mittelgedicht dieses Zyklus darstellt, an willkürlicher Stelle allein steht, wie im übrigen auch gelegentlich Gedichte in ihren anderen Zyklen (c.17, 30). Überdies ist - wie auch schon bei METTEs Schema - störend, daß DEITMER für ihre Entsprechungen mit Gedichtausfällen operieren muß, die sie ausgerechnet an der Stelle annimmt, an der MURETUS im 16. Jh. ausschließlich wegen der metrischen Ähnlichkeit zu c.17 die anderweitig überlieferten drei Priapeen-Fragmente als c.18, 19 und 20 einschob,124 während andererseits das wesentliche, und im Gegensatz z.B. zu c.27 mit seiner Hinwendung an den Leser wirklich eindeutig gliedernde Fragment 14a nicht ins Schema aufgenommen, dafür sogar an eine Interpolation gedacht ist oder es versuchsweise als Übergang zum zweiten Zyklus und dennoch nicht als des-

122

schnell zufrieden, wenn sie gleichklingende Wörter, einen thematischen Einzelbezug oder dergleichen in zwei Gedichten entdeckt, bei denen sie vom Schema her eine Beziehung vermutet."). Siehe dazu aber u. S.216f.

123 D E T T M E R (1988) S .372. 124

Hierzu vgl. den Beitrag von J.W. ZARKER, Catullus 18-20, TAPhA 93 (1962), S.502-522.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

sen Einleitungsgedicht gedeutet, sondern als "two-to-one correspondence with C.l and 14" offenbar dem ersten Zyklus zugezählt wird.125 Die Angaben für den zweiten, von c.15 bis 24 reichenden Zyklus und damit genau die Gedichte, denen die hier folgende Untersuchung vor allem gelten wird, wirken überhaupt wenig befriedigend. Denn am meisten stört eben (wie ähnlich auch bei METTEs Ringen von c.1-21 um 11, c.22-39 um 31), daß das nach c.23 und 24 dritte Furius-Gedicht c.26 dem dritten Zyklus zugeordnet ist, was ein Leser wegen der engen Folge doch eher den beiden vorherigen zurechnen würde, zumal auch drei Aurelius-Gedichte, eines davon sogar mit gemeinsamer Anrede an ihn und Furius, vorausgegangen waren und diese drei in ähnlicher Weise als c.15, 16 und 21 mit einem Trenngedicht nach den beiden ersten (c.17; die Nummern 18-20 existieren nicht) gesetzt scheinen wie c.23, 24 und 26 mit dazwischenliegendem c.25. Ohnehin ist c.26 kein vergleichbares, reines Villengedicht wie c.31 in DEITMERS Verbindung; in c.26 ist die Villa vielmehr nur Mittel zum Spott, um nämlich auf Schulden aufmerksam machen zu können, und paßt damit auch inhaltlich zu den ebenfalls finanzielle Probleme betreffenden c.23 und 24.126 Bedenken zu den drei "non-corresponding poems" 17, 30 und 48, die DEITMER als bewußt der Inkonzinnität in einem "otherwise [...] perfectly symmetrical scheme" dienende Auflockerungen deuten wollte, wie auch den verlorenen c.18 und 19 macht jüngst sogar FORSYTH geltend,127 obwohl sie selbst wie DEITMER von der Einheit und Authentizität der Catull-Sammlung wohl weitgehend überzeugt und ja ebenfalls, wie ihre mehrfachen Aufsätze dazu zeigen,128 auf das Aufspüren und Ausdeuten von Gedichtzyklen bedacht ist. Und obwohl FORSYTH eine Möglichkeit zu finden glaubt, durch Herstellen eines Bezuges zwischen c.23/24 mit der Armut des Furius und c.17 über das ihrer Meinung dort sogar doppelt vertretene Armutsmotiv ("poverty of Colonia" mit ihrer alten Brücke und "poverty of mind" des unbedarften municeps), außerdem zwischen c.28, 29 und 30 mit dem gemeinsamen Thema "betrayal" und schließlich auch zwischen c.45 und 48 als "love without limit" ihre Bedenken und alle einzeln stehenden Gedichte wie auch die scheinbare Notwendigkeit der Annahme der ausgefallenen c.18 und 19 zu beseitigen, will sie ihren Versuch lediglich "on the surface as strengthening the rigid mathematical model" 125 126 127

128

DEITMER (1988) S.377 Anm.16; siehe auch u. S.82f. Genauer dazu siehe u. S.195ff. FORSYTH (1993) S.494f. mit einer abschließend zwar freundlich formulierten, aber eindeutigen Ablehnung von DETTMERs Weg: "The point here is not to discount Dettmer's work, for she has many good insights to offer us, but rather to advise those who seek such mathematical symmetry in the Catullan corpus to plant their scholarly feet on firmer ground, and to avoid reducing each poem to so vague a 'theme' that it could easily be linked to any other poem." Vgl. im übrigen schon den Einleitungsaufsatz von SKINNER (1988) S.339, in dem sie eine gewisse Diskrepanz zwischen DETTMERs "rigid model of book arrangement" mit ihrem Postulat von "strict mathematical reciprocity" (vgl. dazu auch ihre Verteilungszahlen u. S.66) und TRAILLs "habitual thematic imbalance and seemingly deliberate variation in length between corresponding passages" feststellt. Siehe auch o. S.19.

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von DEITMER gesehen wissen, verweist aber anschließend mit vollem Recht auf das grundsätzliche und offensichtliche Problem von DEITMERS Ansatz: "any competent devil's advocate should see that there is a deeper problem involved in this entire approach, Le., significant patterns and parallels can be conjured up rather easily if one designates a vague enough 'theme' for each poem".129 In der Tat ist genau dies bei DEITMER der Fall (aber leider auch bei FORSYTHs eigener Deutung der Gedichte des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus als Beispiele für ineptiae, törichtes Verhalten sowie ihrer Ausweitung des Zyklus "Gifts and Giving" auch auf c.l4aff. mit z.B. "gift of love" c. 15),130 wie FORSYTH mit dem Hinweis auf die Klassifizierung und folgliche Verbindung von c.38 und 40 als "anger" oder c.49, 53 und 56 als "humor" belegen kann. Auch wird die schöne Systematik dadurch heftig gestört, daß diese jeweils der Verklammerung dienenden Klassifizierungen oder Hinweise auf Parallelen keineswegs immer derselben Ebene entnommen sind, z.T. nur Nebenmotive betreffen oder wie bei c.27 ("Symposium") und 32 ("Love/sex") ohne jegliche inhaltliche Entsprechung nur die gleiche Struktur als verbindende Gemeinsamkeit anführen können und somit vielfach reichlich gesucht und erzwungen erscheinen müssen.131 DEITMERS zusätzlicher Beleg für ein bewußtes "formal patterning" und für Catull als Redaktor, das von ihr angenommene, ihr "design from beginning to end" begleitende und verstärkende "elaborate system of verbal and structural clues"132 ist ebenfalls keineswegs überzeugend. Z.B. für c.27,5 und 32,6 mit der Aufforderung an die den Wein üblicherweise verwässernden fymphae sich fernzuhalten (at uos quo lubet hinc abite) und der nur mit dem Wort abire ähnlichen, aber ganz gegensätzlichen Aufforderung an Ipsitilla, ja nicht auszugehen (neu tibi lubeat foras abire), ist es überaus fragwürdig und noch kein wirklicher Beweis für eine vom Autor selbst vorgenommene Durchstrukturierung. Entsprechende Einwände gelten z.T. auch für die vielfältigen älteren Versuche der Forschung wie die Beiträge von WESTPHAL, HECK, TRÄNKLE, OFFERMANN und E.A. SCHMIDT, die wohlbekannt und längst diskutiert, hier ebenfalls nicht im Detail durchzusprechen sind. Die dort zusammengetragenen Beobachtungen, egal welcher Art, ob sie nun mehrere streng gebaute Zyklen, oder freie, von Gedicht zu Gedicht durch die ganze Samm129 130

131

132

FORSYTH (1993) S.495; vgl. auch ihr Zitat o. in Anm.127. FORSYTH (1989) S.81ff. (dazu siehe auch u. Anm.542) und (1985) S.571ff. Sogar c.ll mit der Bereitschaft der angeblich falschen Gefährten "to serve as messenger" wird von ihr einbezogen als "the only gift they can make to the poet" gegenüber dem "tangible gift" der aufrichtigen Freunde c.l2ff. Siehe im übrigen auch die folgende Anm. Dieser Einwand trifft auch auf FORSYTHs erwogene Verbindung von c.17 und 23/24 zu: Weder ist die Armut in c.17 das eigentliche Thema wie in c.23 und 24, noch ist bezüglich der Colonia wirklich von ihrer Armut die Rede oder der dumme Ehemann als 'arm im Geiste' bezeichnet. DEITMER (1988) S.371.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

lung fortschreitende Assoziationen feststellen, sind freilich zumeist wie auch die Mehrzahl der von DEITMER aufgefundenen Bezüge gar nicht in Abrede zu stellen.133 Wenn QUINN etwa auf viele Wiederholungen, Echos, ja gar auf "a pattern of repetition", "cross-references built in to hold the Lesbia poems together" (z.B. zwischen 8,5, 37,12 und 87,1) aufmerksam macht134 und noch ausführlicher WISEMAN speziell die beiden Gruppen der carmina minora und die dazwischen stehenden carmina maiora durch so viele "crossreferences" verbunden sieht, daß nicht alle zufällig sein könnten,135 so sind diese Bezüge vielleicht wirklich vorhanden. Auch das kürzlich von FERGUSON herausgearbeitete Motiv-Muster existiert, nur kann all dies noch nicht die notwendige Zugehörigkeit zum selben Buch belegen und beweist höchstens, daß einzelne Gedichte mit entsprechenden oder ähnlichen Formulierungen wie eben z.B. c.8,5 und 37,12 auch vom selben Autor stammen, was aber ohnehin nicht zu bezweifeln ist. Auch bei Ovid finden sich Ähnlichkeiten, Wiederholungen und Wiederaufnahmen von Einzelformulierungen, bestimmten Motiven und sogar ganzen Passagen in der 'Ars', den 'Amores' und seinen Heroidenbriefen, doch würde deswegen wohl keiner die Zugehörigkeit all dieser Gedichte auch zum selben Buch postulieren. Die bei Catull aufgespürten "cross-references" sind in keinem Fall mehr als eine bloße Wiederholung oder Ähnlichkeit in der Formulierung. Eine wirkliche Vorbereitung von Motiven etwa der größeren Gedichte in den vorausgegangenen kleineren, ein gedanklicher, durch die Wiederaufnahme einer Formulierung gekennzeichneter Fortschritt oder die Tatsache, daß sich die Gedichte in der vorliegenden Abfolge gegenseitig bedingen und voraussetzen 133

134 135

Für D E I T M E R vgl. ja z.B. auch die zunächst lobende Formulierung von FORSYTH o. in Anm.127; siehe auch u. S.282 zu den guten Beobachtungen von FERGUSON für c.l5ff. QUINN (1972) S.40, (1973) S.387. WISEMAN (1979) S.178 mit 15 Beispielen in seiner Anm.19: "The number of such crossreferences between the long poems and the 1-60 and 69-116 sequences is striking. Some are no doubt haphazard, but it would be absurd to insist that they all must be; the natural inference is that Catullus was inviting his readers to compare his treatment of mythological themes with that of his personal experience [...], which in turn implies that the reader is expected to have all three parts of the work to hand." Schlägt man die Verse nach, betreffen allein fünf der genannten Bezüge "personal experience" der kleinen Gedichte und das ebenfalls mit persönlichem Schicksal erfüllte c.68. Was ferner die Einladung zum Vergleich mit mythischen Themen betrifft, sollten dies die von WISEMAN genannten Verse wie c.64,29f. über Oceanus, der dort bereit ist, Peleus seine Tethys zur Frau zu geben, und dann c.88,5f. über die Schmach des Gellius, die selbst ultima Tethys nicht abzuspülen vermag, wirklich leisten können? Oder Formulierungen wie c.64,100 quam tum saepe magis fulgore expalluit auri und c.81,4 hospes inaurata pallidior statuai Und ist es bei anderen, glaubhafteren wörtlichen Anklängen nicht eine zunächst weit natürlichere Erklärung, daß Catull einfach bestimmte Formulierungen im Kopf hatte und diese mehrfach anwandte, so wie ja auch ganze Gedichte sehr ähnlich sind (vgl. z.B. c.24 und 81)? Das gleiche gilt für Ε Λ . SCHMIDTs motivische Bezüge zwischen c.68,135/145f./147f. und c.72/83/107 (1979, S.230 Anm.70). Vgl. übrigens auch WISEMAN zunächst selbst (1969) S.30 zu seinen "cross-references" der Anm.3 und 4: "These might just indicate that the poems were written at the same time, when Catullus had these ideas in mind, without any implications about arrangement or publication."

Das Editions-Problem (c.1-116)

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würden, ist bislang - abgesehen von Einzelfällen besonders unter den ersten 26 Gedichten, so etwa im sog. 'Lesbia'-Zyklus mit c.2 und 3, 5 und 7 oder den deutlich in engstem Zusammenhang stehenden c.23 und 24136 - nicht nachgewiesen und angesichts der Art der vermeintlichen "cross-references" wohl auch kaum nachweisbar. Gerade bezüglich der Verbindung einzelner Gedichte wie c.5 und 7, bei denen, wie etwa QUINN hervorhebt,137 Lesbias Lektüre von c.5 die Frage nach der Zahl der Küsse und Catulls Antwort darauf in c.7 hervorzurufen scheint, glaubte allerdings die Forschung seit WESTPHAL, der bereits c.2/3, 5/7, 16/21, 21/23, 34/36, 37/39, 41/43, 69/71, 70/72, 85/87, 107/109 als entsprechende Paare aufzählt,138 ein - nach E.A. SCHMIDT sogar in der Nachfolge des Kallimachos praktiziertes139 - System, ja wenigstens "one rather definite fact about the arrangement of Catullus' poems" erkennen zu können", wie FRANK fomuliert, der dies allerdings für das Werk eines fremden Editors hält.140 Ausgegangen war von diesem Prinzip, daß zwischen zwei thematisch zusammengehörende Gedichte ein andersartiges 'Trenngedicht' eingeschoben ist, zunächst auch FERGUSON und hatte dieselbe Methode erneut zusätzlich im sog. 'Aurelius- und Furius'-Zyklus für c.21 und 23 hervorgehoben. Ein gemeinsames Bauprinzip für eine größere Zahl von Gedichten ist aber auch damit nicht zu belegen; ja es zeigt sich eher, wie gesucht solcherart Bemühungen der Forschung manchmal wirken können, wie nur um einer allgemeinen Einheitlichkeit willen tatsächliche Strukturen übergangen werden. Denn gerade das einfache Prinzip der beiden einzelnen, inhaltlich zusammengehörenden Gedichte mit Trenngedicht im gleichen Versmaß, wie es der 'Lesbia'-Zyklus mehrfach - und, wie noch zu besprechen sein wird, nicht nur mit c.2/3 und 5/7141 - bietet, ist später nicht gegeben. Mit C.15 und 16 sind vielmehr, wie bereits oben festgestellt, zwei Gedichte an den- bzw. dieselben Adressaten und mit ihren Obszönitäten aus derselben Sphäre unmittelbar nacheinandergesetzt und eben jetzt anders als im 'Lesbia'-Zyklus durch ein themenfremdes Gedicht in einem anderen Versmaß von einem einzelnen weiteren inhaltlich zugehörigen Gedicht getrennt (c.21), was sich mit den c.23-26 und eingeschobenem c.25 für den zweiten Adressaten des Zyklus unmittelbar darauf wiederholt, so daß nicht die beiden c.21 und 23, sondern jeweils c.15-21 an Aurelius und c.23-26 an Furius zu verbinden sind.142 Vergleicht man darüber hinaus auch die späte136

Vgl. auch u. S.295 zu c.97ff. QUINN (1972) S.87; siehe ausführlicher auch u. S.254Í. 138 WESTPHAL (21870) S.2ff.; vgl. auch z.B. HORVÁTH (1966) S.157f„ CLAUSEN (1976) S.39, SYNDIKUS (1984) S.62, SANTIROCCO (1980, o. Anm.4) S.49. 139 E A . SCHMIDT (1973) S.239; zu den Einflüssen von Catulls "Hellenistic mentors" vgl. ferner z.B. FERGUSON (1986) S.2ff. 140 FRANK (1927) S.413f. "whoever he was - 1 do not think he was Catullus"; siehe auch o. Anm.26. 141 Siehe u. S.254ff. 142 Vgl. die Literatur zum Bau dieses Zyklus o. in Anm.101 und entsprechend gegen WESTPHAL bereits SCHULZE (1881) S.200. 137

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

ren Paare c.34ff. noch genauer mit den früheren c.5ff., wie es hier im 4. Kapitel geschehen wird,143 wird sich zeigen, daß auch bei der Paarbildung dieser Gedichte nur oberflächlich gesehen dasselbe Muster verwendet ist. Das Trenngedicht-Prinzip ist somit kein einheitliches und auch ohnehin kein in der gesamten Sammlung durchgehaltenes System144 (vgl. z.B. die unmittelbar nacheinandergesetzten ähnlichen Gellius-Gedichte 88, 89, 90, 91 ohne alle Variation in der Anordnung, was z.B. HUBBARD und GOOLD als störend empfinden;145 vgl. dazu aber auch die drei Postumus-Epigramme in Folge bei Martial 2,2 Iff.), so daß damit wiederum - wie mit den vielfältigen Einzelbezügen - nur zu belegen ist, daß an ganz bestimmten Abschnitten des Corpus und hier speziell jeweils im 'Lesbia'- und im 'Aurelius- und Furius'Zyklus, eine deutliche und keineswegs willkürliche Ordnung der Gedichte vorliegt, nicht aber auch, daß die gesamte Sammlung so wie überliefert vom Dichter selbst geordnet sein muß.146 Wenn FERGUSON seinen Beitrag dagegen damit schließt, daß die Abfolge der Gedichte "neither casual and arbitrary nor obvious" ist, "but subtly designed to bring out additional points to a sensitive reader", so daß es "hard to see" sei, "who could have produced this except the poet himself', erinnert dies an ähnliche abschließende Formulierungen etwa HECKs und OFFERMANNs, daß nur Catull die Gedichtsammlung in dieser Weise, ja sogar so "catullisch" habe ordnen können.147 Was aber heißt "catullisch"? Ein wissenschaftliches Argument ist aus derartigen Äußerungen nicht zu gewinnen. All die Bezüge, Assoziationen HECKs, OFFERMANNs, E.A. SCHMIDTs und WISEMANs, MOSTs und LEFÈVREs für die carmina malora und auch FERGUSONs "additional points" und vielfältigen "thought links" sind mit Sicherheit einleuchtend und schaffen - zumindest auf den ersten Blick und ab143 144

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147

Siehe u. S.293f. Schon z.B. SCHULZE (1881) S.200 vermißt Paarungen wie c.46 und 31, 26 und 44; siehe auch u. S.295, Anm.933 zu c.97-99 anstatt 97,99, 98 oder 61-63 statt 61,63,62. HUBBARD (1983) S.219 Anm.3, GOOLD (21989) S.261. Vgl. ja auch FRANKs oben zitiertes Urteil oder FERGUSON (1986) selbst S.2 "Any hack editor who put poems 2 and 3 together would not have resisted juxtaposing 5 and 7, 21 and 23, 37 and 39 [...]" und ähnlich S.18. Das Besondere, so daß dies "in so many instances can hardly be coincidental", ist für FERGUSON jedoch die Tatsache, daß jeweils zur Trennung ein Gedicht eingeschoben ist. Vgl. ferner CLAUSEN (1976) S.39 zu den Paarungen: "Such evidence is not sufficient to prove that the libellus contained all the polymetric poems, but probable cause for thinking that it contained most of them, and in their present order." HECK (1951) S.92 "So bildet die Sammlung der 116 Gedichte Catulls ihrer Aussage und der Form ihrer Aussage nach so sehr ein Ganzes, und so sehr hat Catull gerade in der Art und Weise und durch die Reihenfolge, in der er seine Gedichte, die Kinder seiner Liebe und seines Lebens, an den Leser heranführt, sich selbst ausgesprochen, daß es völlig unmöglich erscheint, ein anderer als Catull habe so 'catullisch' das Ganze gestalten können", OFFERMANN (1978) S.64 "Frei von jeglichem Schema, scheinbar willkürlich seinen Gedanken nachgebend, assoziativ reihend, bunt variierend und doch organisierend, wie Catull seine einzelnen Gedichte gebaut hat, so hat er auch seine Sammlung komponiert; kein anderer hätte dies in solcher Weise leisten können".

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gesehen von gelegentlichen Überinterpretationen148 - eindrucksvolle Verbindungen zwischen einzelnen Gedichten. Man lese z.B. nur die im einzelnen so überzeugenden Aufsätze von SCHMIDT und FERGUSON, deren Herausarbeitung vielfältigster Beziehungen man gerne zustimmen wird. Doch können diese Interpreten letztlich nur sehr gut, nein sogar in vorzüglicher Weise die überlieferte Abfolge der Gedichte beschreiben - z.B. KING setzt die Authentizität der Anordnung ja auch von vornherein voraus149 - und die inhaltlichen, sprachlichen und formalen Bezüge auffinden, die notwendig da sein müssen, wenn Gedichte ähnlichen Inhalts und desselben Autors in einer Sammlung vereinigt sind, die aber genauso auch bestehen würden, wenn z.B. die nach c.9, 12 und 13 beiden restlichen Veranius- und FabullusGedichte c.28 und c.47 an anderer Stelle der Polymetra eingeschoben wären. Ebenso wäre auch zwischen den Küssen von c.5, 7, dem Juventius von c.24 und dem Kußgedicht c.48 eine Verbindung herstellbar, wenn c.48 an anderer Position etwa als c.30 oder c.55 folgte.150 Für FERGUSON ist freilich das Auffällige, daß die zentralen Gestalten, über alle Polymetra verteilt, immer wieder auftreten und so nicht in Vergessenheit geraten ("the spacing has the effect of a continual reminder").151 Doch warum sind dann die Personen des zweiten Zyklus, Aurelius und Furius, um die es dort hauptsächlich geht - und nicht um Juventius, so daß c.48 als Wiederaufnahme nicht ausreicht -, nicht mehr unter den nachfolgenden Polymetra präsent etwa durch ein erst später gesetztes c.26 an Furius, das ja ohne Juventius-Bezug wie scheinbar c.15, 21 und 24 von Catull genauso einen anderen Platz hätte bekommen können, wenn "spacing" und dadurch "continual reminder" wirklich sein Bauprinzip

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So ist z.B. zusätzlich zu den Einwänden gegen D E I T M E R und FORSYTH (o. S.44ff.) FERGUSONS gedankliche Verbindung zwischen c.69-71 abzulehnen (1986, S.18; siehe u. Anm.927); seine Zusammenfassung von c.14, 16 und 22 unter das Thema "the cultured poet" oder der für c.6, 10, 12, 17, 25 festgestellte "underlying contrast with lepot" (S .5) ist zu allgemein, um ihre gemeinsame Publikation in dieser Abfolge zwingend zu erweisen, ebenso wie auch seine Beobachtung, daß zwei Gedichte "close together but not consecutive" in einem Teil der Polymetra einem weiteren im anderen Teil entsprechen (so z.B. für Veranius und Fabullus c.9, 12, 13 und 28, 47 oder für Calvus c.14 und 50, 53). Und wenn HECK (1951) mit dem oben wiedergegebenen Schema neben c.15 "Aurelius und Juventius" C.16 entsprechend als "Furius und Juventius" charakterisiert, ist dies schlichtweg falsch ebenso wie seine Deutung von c.17, daß Catulls Spott "einer Kleinstadt" gelte, die "gross sein möchte, so gross wie Rom" (S.42f.); wenn er als Freundesgedichte c.9 mit 13, 10 mit 12 verbindet, ist das Vorkommen von Veranius und Fabullus in c.12 nicht beachtet. Abzulehnen sind auch DETTMERs fragwürdige Argumentationsversuche mit angeblich sprachlichen Parallelen, die in Wahrheit aber z.T. nur einzelne Wörter, noch nicht einmal an derselben Versstelle, betreffen wie z.B. zu c.1-116, 2a-65 (siehe u. S.53 mit Anm.159). Etwa FORSYTHs und KINGs Gleichsetzung des Rivalen Caelius mit dem Freund von c.100 mißachtet die vorhandenen Zeugnisse über die Herkunft der beiden (siehe u. Anm. 702).

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KING (1988) S.383 Anm.3; vgl. entsprechend auch z.B. D E I T M E R (1984) S.107. Zu diesen Gedichten vgl. z.B. FERGUSON (1986) S.2ff. Vgl. auch schon RICHTER (1881) S.22f. zur gleichmäßigen Verteilung unter den Polymetra.

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gewesen wäre.152 Die Feststellung von "poetischen Zentren"153 oder die Erkenntnis des Grundprinzips der Variado sind gewiß korrekt, doch warnt FERGUSON ja bereits selbst davor, Ordnung wie Unordnung gleichermaßen zum System zu erheben, wie es ein wenig bei SCHMIDTs Zahlenverhältnissen und zusammenfassenden Urteilen der Fall zu sein scheint.154 Wenn z.B. c.69-116 in umgekehrter Folge überliefert wären, hätte man ebenfalls eine Lesbia-Linie entdecken können, bei andersartiger Zusammenstellung wäre vielleicht ebenso eine Lesbia-, Juventius- oder Gellius- Konzentration feststellbar oder gar eine über alle c.69ff. verteilte Gellius-Linie mit bestimmten ausdeutbaren Zahlenverhältnissen, "continual reminder" und diesem und Lesbia als Zentralfiguren des Sammlungsteiles und einem vielleicht viel schöneren Abschluß als in der jetzigen Fassung, wenn auf die positiven Lesbia-carmina 107 und 109 die beiden Catull in anderen Liebesdiensten engagiert zeigenden Aufillena-Gedichte 110 und 111 folgen (vgl. bes. c.110 mit seiner auf sich bezogenen, nicht etwa allgemeinen Kritik des dritten Verses tu, quodpromisti, mihi quod mentita inimica es,/ quod nec das et fers saepe, facis facinus).155 Der bereits von COPPEL gegen LIEBERGs Ordnung der carmina maiora und das Suchen von Einzelbezügen vorgebrachte Einwand bleibt somit trotz des 20jährigen Forschungsfortschrittes noch heute und auch für die neueren Arbeiten gültig.156 152

Auch wenn z.B., wie FERGUSON (1986) S.2ff. aufzählt, das Thema 'Bithynien' in den C.4,10, 28, 31, 46, 63, 65,101 vorkommt, kann dies genauso das Ergebnis einer rein zufälligen Verteilung sein, zumal, wie bei D E I T M E R einzuwenden war, die carmina gar nicht alle gleichwertige, in diesem Fall speziell Bithynien-Gedichte sind, so daß tatsächlich die Trauer über den Tod des Bruders in der ganzen Sammlung spürbar wäre. C.4 über den alternden phasellus ohne jeden persönlichen Bezug zu Catull, das rein mythische AttisGedicht, das nun einmal an seinem Originalschauplatz spielen muß, und die Trauer aus C.65 und 101 über den eigenen Verlust sind nicht vergleichbar! 153 Ε Λ . SCHMIDT (1973) S.224. 154 FERGUSON (1986) S.2: "It is essential to be sensitive to the principle of variation which was practised by Catullus' Hellenistic mentors. It is true, that this is a dangerous and difficult principle to apply. If one is not careful one begins to argue to a conscious design from the evidence both of order and of irregularity, like theologians arguing to the existence of God both from the order and constancy of nature and from miracles." Für SCHMIDT vgl. besonders seine Zitate u. Anm.197,220. 155 Vgl. dazu COPPEL (1973) S.145f. gegen TRÄNKLE. 156 GOPPEL (1973) S.152: "Die thematischen Beziehungen wären dieselben, wenn eine andere Reihenfolge der Gedichte vorläge. Die metrische Zweiteiligkeit der Gruppe imponiert mit ihrer Klarheit. Doch gehörte zu dieser Anlage kein genialer Einfall. Purer Schematismus ist nicht von der Hand zu weisen." In der Tat! Wie schön hätte man erst argumentieren können, wenn c.61, 63 und 62 nacheinander überliefert wären und so zwei Hochzeitsgedichte ein drittes einschlössen, wie c.65/66 und 68 zwei vom Tod des Bruders beherrschte carmina das mittlere c.67, wenn c.65 und 68 unter Aufgabe der metrischen Folge die carmina maiora umschlossen hätten, wenn c.65/66 am Ende ständen, Catull also in seiner Trauer statt c.68b letztlich nur mehr hätte übersetzen können oder wenn es mit c.61 und 62 einen positiven Ausklang gegeben hätte. Vgl. auch die zu Recht vorsichtige Formulierung FORSYTHs (1978/79) S.404 bezüglich der Aussagekraft von Assoziationen und Bezügen: "While such juxtapositions discovered may not confirm beyond all doubt a Catullan arrangement, they do in fact strengthen the case in general." MILLER

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Für einen überzeugenden Nachweis der Authentizität der Anordnung wäre es allerdings äußerst hilfreich, wenn man besonders an den Anfängen und Enden sowohl der ganzen Sammlung als auch ihrer Teile bei den jeweils einleitenden und abschließenden Gedichten bestimmte Ähnlichkeiten und bewußte Bezüge oder immer dieselben Motive feststellen könnte, wie es die Forschung seit SÜSS Ende des letzten Jh.s ja auch wiederholt versucht hat. So wird einerseits c.116 mit seiner Absage an Gellius nicht nur als Einzelgedicht gesehen, sondern hinsichtlich seiner "significant position"157 im Corpus untersucht und z.B. von MACLEOD als "inverted dedication"158 und genauso von DEITMER als Gegenstück zur "dedication" von c.l interpretiert, "written as a pair to frame the Catullan corpus" sogar mit einer sprachlichen Beziehung zwischen dem jeweils ersten und letzten Vers c.1,1 - 116,8.159 Vor allem aber gilt c.l 16 als bewußter Abschluß des vermuteten Epigrammbuches (so z.B. FORSYTH, BLOCK, WISEMAN, FERGUSON, KING; auch DEITMER rechnet mit einer Doppelfunktion in bezug auf c.l und 65),160 da in dem programmatisch verstandenen c.65, dem ersten Gedicht in Distichen, mit V.15f. carmina Battiadae angekündigt werden, im letzten Gedicht 116 aber mit genau dieser Formulierung V.lf. die Sendung von carmina Battiadae, gemeint wohl wie c.65 die von Gedichten nach Art des Battiaden, d.h. einer Kallimachos-Übersetzung,161 abgelehnt ist, was, wie FORSYTH her-

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(1994) S.118 "[...] if one were to rearrange the order of these poems, the majority of the relations [...] between them would still exist. The main loss would be in the elegance of transition." Vgl. auch MACLEOD (1973) S.304ff. MACLEOD (1973) S.308; vgl. auch OFFERMANN (1978) S.4Ó Anm.29. D E I T M E R (1983) S.19. (1984) S.108f. glaubt sie überdies sogar die jeweils drei ersten bzw. letzten Gedichte betreffende Bezüge erkennen zu können mit c.l und 116 als Einleitungs- und Abschlußgedicht sowie den das 'membrum uirile' personifizierenden c.2 und 3 einerseits und den c.l 14 und 115 auf den personifizierten Méntula, doch scheitert diese Deutung an der wortgetreuen Interpretation von c.2 und c.2a (dazu siehe u. S.229ff., S.256f., 264ff. und überhaupt das Ergebnis S.154ff.). Das gleiche gilt für ihren und BLOCKs Versuch (ebenfalls 1984, S.55f.), wegen der Erwähnung des Apfels der Atalante und dem vom Schoß des Mädchens fallenden, als Anspielung auf die Cydippe-Erzählung gedeuteten Apfel Parallelen zwischen c.2+2a und c.65 am Anfang beider vermuteten Sammlungsteile zu konstruieren. Abgesehen davon, daß es sich ohnehin um zwei verschiedene Äpfel bzw. Geschichten ohne echte Beziehung zueinander handelt, geht eine für den Bau des Corpus vielleicht auswertbare ähnliche Anfangsstellung verloren, wenn c.2a nach c.2 als eigenständiges, zweites Gedicht folgt. Zu bedenken zu geben ist ferner, ob Catull wirklich solche entferntesten Bezüge bei der Erstellung des Corpus hätte schaffen, die in den folgenden Kapiteln besprochenen, sogar dem gewöhnlichen Leser sofort auffallenden Unstimmigkeiten aber übersehen sollen? Vgl. ferner z.B. HECK (1951) S.29f., E A . SCHMIDT (1973) S.233, OFFERMANN (1978) S.46 Anm.29; vgl. auch BLOCKs Zusammenfassung (1984) S.58 Anm.30 für "context and position of c.65 [...] chosen with care to form a pattern with the rest of the corpus": 1.) c.l und 65 seien Briefe mit "programmatically introductory function", 2.) mit c.50 und 68a sei ein Brief Signal für "end of a unit", 3.) c.65/66 "signals a change" 4.) c.50 "introduces" 51 wie c.65/66 und 68/68a, 5.) c.51 entspreche c.66, 6.) c.65 und 116 seien bezogen mit carmina Battiadae. FERGUSON (1985) S.346, (1986) S.18 glaubt dafür - "no doubt" - an eine 'Ibis'.

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vorhebt, die einzige Wiederaufnahme dieser Wendung in Catulls carmina ist.162 Eine solche Gegenüberstellung von c.65 und 116 passend am Anfang und Ende des dritten Sammlungsteiles, Formulierungen wie etwa die von FERGUSON oder MARTIN163 sind sicherlich beeindruckend, aber nur solange, wie man oberflächlich bloß diese Rahmengedichte betrachtet und nicht selbst die dazwischenstehenden carmina hinzuliest. (Das alte Argument von SÜSS hat schließlich schon die frühere Forschung nicht wirklich überzeugen können.)164 Denn erstens sind wiederaufgenommen lediglich zwei Worte, eben carmina Battiadae, also keineswegs ein ganzer Vers oder eine längere Formulierung und noch nicht einmal an gleicher Versstelle, so daß c.116 auch nur einen gewissen sprachlichen Anklang enthält und eine Art inhaltliche Parallele darstellt, aber offenbar kein speziell für den Abschluß der epigrammatischen Teilsammlung oder gar des ganzen Corpus geschriebenes Gedicht ist. Und auch die von DEITMER neu erwogene sprachliche Verbindung zu c.l ist ohne Bezugnahme auf das vorliegende Buch, so wie es in c.l geschieht, ohne jeglichen Anklang in der Formulierung und ohne gleiche Satzstruktur oder wenigstens Aussageform wohl kaum überzeugend (cui dono lepidum nouum libellum - at focus nostris tu dabis supplicium) und eben nicht ihrem Horaz-Beispiel c.4,1 und 4,15 vergleichbar.165 Zweitens scheint, wie in der Forschung immer wieder festgestellt wird, c.116 inhaltlich an den Anfang der Auseinandersetzung mit Gellius zu gehören166 und wirkt angesichts der Tatsache, daß bereits sechs scharfe, ja aufs schärfste angreifende Gedichte an diesen vorausgegangen sind (c.74, 80, 88-91), mit seiner Ankündigung, daß Catull von nun an sich selbst verteidigend und rächend nicht mehr um Aussöhnung und bloßes Vermeiden von Gellius' Geschossen bemüht sein wird (V.8 atfocusnostris [sc. telis] tu dabis supplicium), reichlich eigenartig piaziert (also nicht recht wie in V.lf. saepe ... requirens/ carmina uti 162

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FORSYTH (1977) S.352f., M. PUELMA, Die Aitien des Kallimachos als Vorbild der römischen Amores-Elegie, MH 39 (1982), S.221-246, 285-304, dort S.222 Anm.6 "Dadurch wird der ganzen Sammlung elegischer Gedichte [...] der Stempel der Nachfolge des Elegikers Kallimachos aufgedrückt", und besonders ausführlich zur programmatischen Bedeutung der doppelten Kallimachos-Nennung KING (1988) S.383ff., dazu siehe u. S.310. FERGUSON (1986) S.18 "In the first Hortensius is pressing, Catullus reluctant [...] In the last Catullus is pressing, Gellius reluctant", MARTIN (1992) S.36 "a gift offered [...] a gift spurned" als "a truly Catullan touch"; vgl. auch PUELMA o. Anm.162. Vgl. schon SCHULZE (1881) S.202: "Und nur, weil im 116. Gedicht derselbe Name Battiades vorkommt, wie im 65., diesem rein äusserlichen Umstände zu Liebe sei es vom Dichter selbst ans Ende der Sammlung gestellt worden?" Gegen eine Beziehung von c.l und 116 und letzteres als spezielles Schlußgedicht vgl. explizit auch VAN SICKLE (1981) S.68f., HUBBARD (1983) S.220. Zur vertauschten Reihenfolge und c.116 als "prelude" zu den anderen Gedichten so ja selbst MACLEOD (1973) S.308 und z.B. schon SCHULZE (1881) S.202 oder in neuerer Zeit GOOLD (21989) S.264 "perhaps the first shot fired at Gellius", FEDELI (1990) S.37; dagegen NÉMETH (1977) S.30f., der die Funktion von c.116 u.a. darin sieht, "to close the series of malice and mockery", das Gedicht aber dennoch ausdrücklich als authentischen Abschluß der Sammlung ablehnt (zitiert u. Anm.173).

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possem mittere Battiadae; saepe hat er selbst Gellius angegriffen).167 Eigenartig wirkt zudem die sprachliche und metrische Gestaltung dieses c.116, dessen "metrically clumsy" gearbeiteter, rein spondeischer dritter, nur mit altertümlicher Elision eines auslautenden s aufgehender achter Vers und eine "general stylistic gaucheness" es für QUINN als "early work" erscheinen lassen168 und für WISEMAN bei unbefangener Betrachtung zunächst sogar so unpassend, daß er nur für die restliche Catull-Sammlung die Authentizität der Anordnung verteidigt, c.116 aber eigens ausgenommen hat.169 Gegen letzteren Einwand erkannte allerdings MACLEOD in c.116 sogar eine bewußte Technik zur Kontrastierung von Invektive und kallimacheisch feiner Stilisierung, was WISEMAN so sehr hat überzeugen können, daß er später als entschiedener Vertreter des Rahmens c.65-116 auftritt.170 Wenn Catull diesen Gegensatz wirklich beabsichtigt haben sollte, hätte er aber auch für den Leser von vornherein deutlicher erkennbar gestaltet sein müssen - nur dann wäre dies auch sinnvoll. So wie c.116 jedoch formuliert ist mit über das ganze Gedicht verteilten sprachlichen, metrischen und prosodischen 'Härten', die eben nicht der sonstigen Gestaltung seiner Spottepigramme entsprechen (V.3 ist Catulls einziger rein spondeischer Vers),171 wäre dies glänzend mißlungen, wenn nämlich sogar solche Catull-Kenner wie QUINN und WISEMAN einen ganz anderen Ersteindruck hatten. Läge es da nicht auch näher, c.116 weiterhin als primär nur schnell und flüchtig formulierten Angriff auf Gellius und gewiß auf ein bereits umlaufendes Paar c.65/66 oder Ähnliches, den Lesern bereits Geläufiges bezugnehmende Parallele zu deuten, mit der Catull lediglich mit seiner Bekanntheit als kallimacheischer Dichter spielt und diese für eine kleine, noch nicht einmal notwendig zusammen mit Gedichten wie c.65/66 edierte Invektive ausnutzt, ohne eine programmatische Funktion für ein späteres Buch beabsichtigt zu haben? Daß freilich für die Sammlung eine Rahmung mit carmina Battiadae besteht und damit c.116 sekundär auch eine Zusatzfunktion erhalten hat, ist sofern es wirklich eine dritte, mit c.65 beginnende Buchrolle gab - in der Tat offensichtlich. Aber da c.116 genauso offensichtlich nicht speziell als Abschlußgedicht für ein solches Buch eben mit schon vorausgehenden Angrif16

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Vgl. z.B. c.80,5f. über die rosea tabella des Gellius, hiberna candidiora niue geworden, an uere fama susurrât/ grandia te medii tenta uorare uiri und dazu z.B. die Formulierung PUELMAs (o. Anm.162) S.222 Anm.6: "Im Schlussgedicht hält er umgekehrt seinem missliebigen Adressaten Gellius vor, dieser habe sich durch die ersehnten Lieder des Catull in keiner Weise milder stimmen lassen." QUINN (21973) S.455; vgl. auch die Urteile in den anderen Kommentaren, so z.B. bei KROLL (61980) und FORDYCE (21965); dagegen allerdings wiederum NÉMETH (1977) S.28, die sorgfältige Komposition des Gedichts hervorhebend. WISEMAN (1969) S.27; vgl. auch COPPEL (1973) S.146 und HUBBARD (1983) S.220 mit Anm.5 zur "metrical, lexical, and stylistic roughness". MACLEOD (1973), S.304ff„ WISEMAN (1979) S.176. Vgl. z.B. KROLL ('wet)) ad loc., der daraus auf eine "rasche Entstehung" schließt; vgl. ferner HUBBARD (1983) S.220 Anm.5 gegen V.3: "one would expect metrical awkwardness especially in w.4-8, relating directly to Gellius."

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fen Catulls auf Gellius gedichtet sein und somit höchstens nachträglich eine umfassendere programmatische Funktion in Verbindung mit c.65 erhalten haben kann, ist mittels des Rahmens c.65-116 noch kein Beweis dafür erbracht, daß Catull persönlich für deren Anordnung verantwortlich ist. Auch in anderer Stellung hätte sich c.116 als Programmgedicht interpretieren lassen; ja wäre es nicht viel signifikanter und ohne inhaltliche Widersprüche zu C.74, 80, 88-91, wenn es als erstes kleines Epigramm nach c.68 die folgenden Invektiven eingeleitet hätte und an seiner Stelle ein ganz bestimmtes anderes der c.69-116 überlieferten Gedichte als Abschluß verwendet wäre, wie später bei der genaueren Besprechung der programmatischen Funktion von c.65 noch zu überlegen sein wird?172 Warum hat ein selbst ordnender Catull den Widerspruch nicht einfach durch Wahl eines anderen Adressaten vermieden? Da c.116 nicht wie c.l auf das fertige Buch blickt oder umgekehrt nach den vorausgegangenen Angriffen eine Versöhnung durch Übersendung netterer Gedichte anbietet, beweist seine Stellung wiederum nur eine gewisse Ordnung im Corpus Catullianum, nicht aber auch, daß diese wirklich auf den Dichter selbst zurückzuführen ist. Wenn man sieht, wie sehr die Interpreten auf das Herausarbeiten von Bezügen und Anklängen in der Formulierung bedacht sind, mag genauso schon ein Catulls Hinterlassenschaft ordnender antiker Philologe c.116 als ihm unter dem vorliegenden Material einzig geeignet erscheinenden Abschluß mit programmatischer Aussage verwendet haben.173 Andererseits gilt - wie bereits oben angedeutet leicht widersprüchlich zu den Überlegungen für c.65 und 116 - dem durch c.61 und 68 gebildeten äußeren Ring bzw. Rahmen der connina maiora das besondere Interesse, da die beiden Gedichte ebenfalls als aufeinander bezogenes Paar - "the only ones" - an denselben Adressaten Manlius Torquatus gedeutet werden.174 172 173

174

Siehe u. S.313. Vgl. auch schon NÉMETH (1977) S.31 "Poem 116 is, in our opinion, by all means a closing poem [...]. But it has nothing to do with, e.g., the elegies, the wedding of Peleus and Thetis, or the epigram of different sort in the third part [...]. How did then the poem get to the end of the volume we have? Certainly because of the phrase carmina Battiadae [...] We think it is rather the result of the efforts of the unknown arranger, who tries to emphasize his not too elaborated metrical arranging principle without any interpretation of the paralleling of word-connections", und ähnlich HUBBARD (1983) S.220: "The opening reference to Battiadae may have been enough to convince a posthumous editor to position this poem as a make-shift conclusion, but it is hardly enough for the poet himself to have designed it as a framing counter-weight to the elegant C.l." Vgl. z.B. MOST (1981) S.llöff. mit einer sorgfältigen Zusammenstellung der Forschungspositionen in Anm.31 und genauer Diskussion des Überlieferungsproblems (die folgenden Zitate stammen von S.116,118f., 122). Für Manlius bzw. zwei getrennte Gedichte 68a und b vgl. z.B. schon WISEMAN (1969) S.22f., (1974) S.102f. oder jetzt KING (1988) S.387 und besonders ausführlich z.B. K. VRETSKA, Das Problem der Einheit von Catull c.68, WS 79 (1966), S.313-330, M.B. SKINNER, The Unity of Catullus 68 [...], TAPhA 103 (1972), S.495-512, dagegen jedoch z.B. SYNDIKUS (1990) S.250ff. mit einer Zusammenstellung und Besprechung der Argumente, LEFÈVRE (1991) S.311ff. mit korrekter Erklärung der Bitte des Freundes und des Verhältnisses von c.68a, b, c, aber umständliche-

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Wiederum ist diese vor allem von MOST herausgearbeitete Verbindung auf den ersten Blick überzeugend. Aber leider ist hier die Voraussetzung, die Identität der Adressaten Manlius Torquatos von c.61 (V.16 mallio, V.222 manlio) und dem zwar auch als mali (V.ll, 30), ansonsten aber mehrfach als Allius (V.41, 50, 66, 150) überlieferten von c.68 nicht bewiesen. Aus metrischen Gründen ist c.61,16 unzweifelhaft Manlius/Mallius, z.B. c.68,41 aber Allius korrekt! MOST und andere mögen durchaus berechtigte Einwände gegen die divergierende handschriftliche Form des Namens von c.68 haben und in dessen ersten Teil lieber Mallius oder Manlius lesen wollen. Die zweimalige Auflösung des Vokativs mali als mi Alli als keineswegs ungewöhnliche, im Gegenteil leicht erklärbare, etwa wie ein Hörfehler wirkende Verschreibung mit fehlender Worttrennung bei vollzogener Elision ist jedoch m.E. eine vergleichsweise geringe Schwierigkeit gegenüber den Problemen, die sich z.B. MOST mit seiner Deutung von c.68 als "a covering letter to Mallius" und "a poem celebrating the benefaction of a different man named Allius" einhandelt. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, mich überzeugen eher die Interpretationen derer, die c.68 insgesamt an denselben Allius gerichtet sehen: c.68 ist ein strukturell zwar zunächst in zwei Teile V.lff. und 4 Iff., in Begleitbrief und eigentliche Gabe an den Freund, zu zerlegendes Gedicht, das als Paar aber genauso wie c.65 und 66 eine Einheit darstellt, die hier sogar noch deutlicher ist, da abschließend V.149ff. durch die Wiederaufnahme der direkten Anrede an Allius und die Rückkehr zur Briefform die strikte Trennung in vorausgehendes Begleitschreiben und nachfolgendes munus verwischt wird. Eine zweifelsfreie Entscheidung über die Identität der Freunde von c.61 und 68 und ein genaues Nachvollziehen der einzelnen Argumente ist hier freilich gar nicht nötig: Für den angestrebten Nachweis der von Catull selbst vorgenommenen Ordnung der größeren Gedichte sind beide Alternativen verhängnisvoll. Denn wenn es sich c.61 um Manlius, im gesamten c.68 aber um Allius und damit deutlich verschiedene Personen handelt, gibt es keinen Rahmen um die carmina maiora mit vom Dichter absichtlich aufeinander bezogenen Gedichten mehr, ist daraus für deren bewußtes Arrangement nichts zu gewinnen. Wenn man MOST folgt, daß c.68a doch derselbe Manlius wie in c.61 angeredet ist, mag man zwar rer, einen wirklichen Texteingriff erfordernder Identifizierung als Manius Allius sowie nach MOST "most of the recent writers on c.68" (z.B. VAHLEN [1902], JACHMANN [1925], PRESCOTT [1940], FRAENKEL [1962], LIEBERG [1962], WILLIAMS [1968], WITKE [1968], SOLMSEN [1975]). Für die Rahmung durch c.61/68 vgl. z.B. jetzt auch MARTIN (1992) S.36: "A later editor might have had the wit to balance poem 61 (on marriage) with poem 68 (on adultery), but only the poet himself could have written both to serve as mirror reflections of each other." Aber ist letzteres wirklich der Fall? C.68 beschäftigt sich schließlich in erster Linie mit Catull selbst, nicht jedoch wie c.61 mit dem Adressaten und dessen Situation, die lediglich als Anstoß für Catulls eigene Verse in einem sich als persönlich gebenden Brief durchscheint. Auch daß beide Gedichte gezielt für eine gemeinsame Edition geschrieben wären, ist, da beide einen ganz konkreten, unterschiedlichen Anlaß haben, nicht mit Gewißheit anzunehmen. Ausführlich zu den Forschungspositionen kürzlich auch JANAN (1994) S.174ff. Anm.26.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

diese beiden carmina miteinander in Verbindung bringen, doch ist dann überhaupt nicht mehr einzusehen, warum es sich bei c.68a und 68b um ein gemeinsames Paar handeln sollte, warum Catull trotz der in c.68a explizit ausgesprochenen Absage dem Manlius dennoch ein Gedicht und zwar eines über einen ganz anderen Freund, den Allius, hätte schicken sollen.175 Nach V.33ff. hatte Catull gerade keine geeigneten und fertigen Gedichte in Verona bei sich. Und warum hätte er in Reaktion auf die persönliche Bitte des Freundes Manlius ein neues carmen ausgerechnet über den Freund Allius schreiben sollen? Gerade hier entsteht somit ein deutlicher Widerspruch, nicht aber - gegen MOSTs diesbezüglichen Einwand - bei einem insgesamt an nur einen Adressaten, Allius, gerichteten c.68. Mit c.68b kommt Catull trotz seiner negativen Äußerung von c.68a der Bitte des Freundes schließlich nicht wirklich nach, er sendet keine heiteren muñera Musarum et Veneris, dona beata, wie gefordert (V.10, 14).176 Was er in seiner Trauer leisten kann, ist wie die Übersetzung von c.66 nur ein Ersatz, der in diesem Fall immerhin eigene und seinen Allius in freundlichster Weise preisende, aber doch den Tod des Bruders wie in seinem Einleitungsbrief in den Mittelpunkt stellende Verse enthält. Wenn man demgegenüber MOSTs Lösung und seinen Manlius für c.68a akzeptiert, sind folglich c.68a und 68b als zwei zwar gleichermaßen den Verlust beklagende, aber letztlich völlig verschiedene Gedichte voneinander zu trennen, in eine tatsächlich durchgehaltene recusatio an Manlius in Briefform ohne Beigabe und Allius preisende Verse ohne Briefelemente mit einer direkten Hinwendung an den Freund gegen Ende. Innerhalb der carmina maiora ständen sich nun nicht mehr zwei gleich große Gruppen von je drei Gedichten bzw. Paaren um c.64 gegenüber, mit drei und vier carmina gäbe es keine zahlenmäßige Entsprechung und der Rahmen wäre ebenfalls verloren, da Manlius zunächst im ersten, abschließend aber nur im vorletzten Gedicht genannt ist. Ansonsten haben z.B. MOST und LEFÈVRE nichts Zwingendes zu bieten, um die Ringkomposition bzw. bewußte inhaltliche Aneinanderreihung durch den Dichter zu erhärten. Daß 175

176

Vgl. auch MOST (1981) S.122 selbst: "What particular personal interest Mallius might have had in a poem celebrating Allius is neither explained nor, in such an epistolary situation, needed it to be." Anm.49 sucht er das Problem durch Vergleich mit Vergils 6. Ekloge abzuschwächen, "addressed to Varus but culminates in the praise of Gallus", doch ist dies keine wirkliche Parallele. Gallus ist nur ein zwar wesentliches, aber erst spät eingeführtes, noch nicht einmal abschließendes Exempel und dominiert nicht wie Allius das ganze Gedicht. S.118 ist MOST bemüht, die Adressaten Mallius und Allius auch durch Analyse von Catulls Beziehimg ihnen gegenüber als verschiedene Personen zu erweisen: "to Mallius, Catullus is bound as an equal by ties of friendship; to Allius he is obligated as an unequal by a debt of gratitude [...] there is no parallel between the relation of Catullus to Allius and that of Catullus to Mallius. It is hard to imagine how Catullus could more clearly have indicated that two different men are involved." Solches geht zu weit, ist kein zusätzlicher, unabhängiger Nachweis, sondern nur überzogene, aus dem Text nicht wirklich zu entnehmende Ausdeutung der postulierten Trennung. Freundschaft und gegenseitige Verpflichtung schließen sich nicht aus. Vgl. hierzu z.B. SYNDIKUS (1990) S.250ff. und jetzt vor allem LEFÈVRE (1991) S.312ff.

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etwa die "surrounding poems" 62 und 67 die einzigen dialogisch gehaltenen sind, in denen der Autor weitgehend zurückgetreten ist, ist nicht unbedingt signifikant ebenso wie die allgemeine Zusammenfassung unter das Thema 'Hochzeit' und speziell die Klassifizierung von c.61/62 und 67/68 als "hymenaeals" und "anti-hymenaeals". Es gibt keine auf Catull bezogene Entwicklung in seiner Einstellung zur Hochzeit; c.61f. sind echte Hochzeitsgedichte mit realen, nicht sein eigenes Liebesleben betreffenden Anlässen und damit nicht wirklich Gegenstück zu seinem Bekenntnis in c.68. Nicht beachtet ist, daß allein die metrische Gestaltung für die Plazierung verantwortlich sein könnte,177 eventuelle Bezüge sich also ganz zufällig ergeben hätten. Es sind jedoch nicht nur die carmina Battiadae und Manlius/Allius der Forschung aufgefallen. Auch ARKINS hat sich in jüngster Zeit mit seinen scheinbar neu herausgearbeiteten "crucial constants", d.h. "Callimachus, the muses, friends and enemies" um die entscheidenden Stellen, "key points", (c.l, 7, 14, 61, 64, 65, 68b, 69, 70, 116) bemüht. Schon WISEMAN, DEITMER und FERGUSON, die ARKINS aber nicht zitiert, hatten auf kallimacheische Bezüge und zugleich die Erwähnung von Musen in allen drei vermeintlichen Einleitungsgedichten der Sammlungsteile, c.l, 61 und 65, hingewiesen, wobei letzteres nach DEITMER und FERGUSON sogar am Anfang der drei ersten Odenbücher von Horaz aufgegriffen worden sei.178 Betrachtet man jedoch tatsächlich den jeweiligen Wortlaut, können auch diese Beobachtungen nicht überzeugen, da die Bezüge und z.B. Kallimachos-Anspielungen wiederum, wie bei den Bezügen von DETTMERs Gesamtlösung, keineswegs wirklich gleichwertig und keine echten Entsprechungen sind:179 So enthält bei Catull lediglich c.l einen direkten Musenanruf, während in c.61 die Muse nur als Mutter des herbeigerufenen Hymenaeus präsent ist (61,2 cultor, Uraniae genus), allein dessen Nahen gewünscht wird, nicht etwa das der Muse. Und in c.65 sind die Musen ebenfalls nicht selbst angeredet, Catull erklärt vielmehr seinem Freund auf dessen Bitte um ein Gedicht, daß er sich wegen seiner persönlichen Trauer deutlich von ihnen abgerufen fühlt, entschuldigt sich noch nicht einmal direkt den Musen gegenüber. Diese drei Erwähnungen also sollen den wirklichen Musenanrufen bei Horaz c.1,1 und 2,1 und der ausdrücklichen Selbstdarstellung des Dichters gleich in der ersten Strophe von c.3,1 als Musarum sacerdos, der den römischen Knaben und Mädchen carmina non prius audita singen will, vergleichbar sein? Soll wirklich ein bereits durch andere Werke, Epoden und Satiren, als selbständig hervorgetretener Dichter für die anschließende Edition seiner carmina in drei Bänden von einer viel Verschiedenes enthaltenden, inhaltlich insgesamt gerade nicht seinen Oden-Büchern entsprechender Sammelpublikation Ca177 178

179

Siehe u. S.289ff. und 309. WISEMAN (1979) S.176f., DEITMER (1984) S.74f., FERGUSON (1986) S.2.; jüngst vergleicht v. ALBRECHT (21994) S.284 sogar zusätzlich mit Ovids 'Amores'. Siehe auch SANTIROCCO (1980, o. Anm.4) S.48. Wie übrigens ARKINS' Hinweis (1992) S.118 Anm.24 zeigt, akzeptiert er DETTMERs Konstruktion kritiklos als "cogent presentation".

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

tulls in evtl. ebenfalls drei Büchern angeregt worden sein? Soll Catulls Mutter Urania in c.61 Horaz dazu verleitet haben, selbst zu Beginn seines zweiten Buches einen Musenanruf zu geben? Auch ohne je von Catull gehört zu haben, hätte ein Dichter wohl auf die Idee kommen können, ein dreiteiliges Werk zu schaffen - die Dreizahl war schließlich seit jeher etwas Magisches (aber natürlich nicht bindend; vgl. Ovids erste fünfbändige 'Amores'-Publikation) - und dieses jeweils mit Bezugnahme auf die Musen einzuleiten. Hier eine Verbindung zu Catull zu konstruieren, über den diesen gewiß kennenden und auch sonst von ihm vielleicht angeregten Horaz (vgl. z.B. Cat. 11 Hor.c.2,6) als Nachahmer in dieser Weise Argumente für die Authentizität der Catull-Sammlung zu suchen, scheint mir ohne weitere, wirklich stichhaltige Übereinstimmungen absurd. Ähnlich gesucht müssen auch die Kallimachos-Bezüge der angeblichen Einleitungsgedichte erscheinen, wenn - ohnehin von der Forschung in neuerer Zeit z.T. mit berechtigten Überlegungen bestritten180 - c. 1,1-2 auf dessen poetische Ideale anspielen, ja selbst im auch von Kallimachos verwendeten Phalaeceus gar "a new type of dedication poem, one that is brief' darstellen soll,181 mit C.65 aber ein kallimacheisches carmen Battiadae eingeführt ist (die 'Locke der Berenike' von c.66), das doch schließlich nach Länge und Inhalt gar nicht zu den mit c.l angekündigten c.2-60 paßt, und wenn FERGUSON für das angebliche dritte Einleitungsgedicht bloß feststellen kann, daß dessen erste Verse "give a Greek location", DEITMER sich durch Heliconei (V.l) und Aganippe (V.30) an den Traum im Aitien-Prolog des Kallimachos erinnert fühlt oder für WISEMAN und ARKINS der Kallimachos-Bezug nur darin liegt, daß Urania auch bei diesem die Mutter des Hymenaeus ist (frg. 2a,42 Pf.).182 Ist Urania als Mutter aber wirklich eine auffällige kallimacheische und darum für Catull signifikante Besonderheit? Wenn Hymenaeus für uns offenbar zuerst bei Kallimachos als Sohn der Urania genannt ist, kann dies auch nur eine Frage der Quellenlage sein; allgemein als Musensohn erscheint er schon bei Pindar (frg. 139 = Schol. Vat. ad Eur. Rhes. 895). Wenn Catull andererseits tatsächlich - bewußt oder unbewußt - durch kallimachei180

181

182

Vgl. vor allem NEWMAN (1990) S.7 mit Anm.16 und einer interessanten Stellensammlung zu den nugae als "not prima facie an Alexandrian term"; "Perhaps we should stop over-Alexandrianizing [...], and allow the Roman term lepidus to mean what it means"; vgl. auch kurz STROH (1990) S.157 Anm.94 mit Literaturhinweisen. Natürlich steht Catull in kallimacheischer Tradition, ist sein kleines, hier im folgenden zu erschließendes, bestgeordnetes Büchlein im einzelnen wie auch als Ganzes von den entsprechenden alexandrinischen Idealen beeinflußt. Doch allein die Formulierungen des Einleitungsgedichts sind nicht signifikant. Wiederum zu bedenken zu geben ist, daß ein Dichter auch ohne alle Kenntnis solcher Traditionen auf den Gedanken hätte kommen können, sein Buch als nouus und lepidus zu bezeichnen. ARKINS (1992) S.117. Seine letztere Behauptung ist unverständlich. Daß für eine Sammlung kleinerer Gedichte ein ebenso kurzes carmen zur Einleitung vorausgeht, ist weder auffällig noch für Catull als Neuheit oder gar bewußte Kallimachos-Rezeption zu deuten. FERGUSON (1986) S.2, DEITMER (1984) S.74, WISEMAN (1979) S.177, ARKINS (1992) S.117.

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sehe Genealogie beeinflußt ist, was hilft dann diese Erkenntnis, die Nennung lediglich der Mutter Urania in einem vielleicht sogar für einen aktuellen Anlaß und gar nicht speziell für die uns vorliegende Publikationsform geschriebenen Hochzeitsgedicht, zur Verteidigung der Authentizität seines Corpus? Und was die griechischen Örtlichkeiten betrifft, so war der Musenberg eben der Helikon, auf dem bereits Hesiod seine Weihe empfing! Wenn ARKINS c.l mit allen drei Konstanten (Kallimachos, Muse, Freund) das letzte Gedicht c.l 16 mit "the same constants" - jetzt allerdings mit einem Feind - gegenüberstellt, so gelten nicht nur dieselben Bedenken wie bezüglich der carmina Battiadae von c.65 im Vergleich zu c.l; von Musen ist in c.116 nichts zu spüren, eine implizite Bitte um Inspiration, wie sie ARKINS aus V.l-2 herauslesen will, in Wahrheit nicht zu erkennen. So geht die eigentlich schöne Gleichsetzung, die Catull aber auch deutlich als solche hätte formulieren müssen, schon in ARKINS' erstem Fall nicht wirklich auf.183 Daß ARKINS neben der Teilung in c.61-64 und 65ff. zusätzlich auch für den Fall der Annahme der carmina maiora als geschlossene Gruppe Entsprechendes für das dann abschließende Gedicht c.68 wie auch für das in kallimacheischer Tradition stehende, bei Abtrennung aller in Distichen verfaßten Verse abschließende Epyllion c.64 sieht und sogar unmittelbar nach den carmina maiora für c.69 und 70 als geeignete Besonderheit findet, daß mit c.69 ein Feind angeredet werde, c.70 aber die Adaption eines Kallimacheischen Epigramms sei,184 daß also insgesamt doch reichlich viel bewußte Anspielungen an reichlich viel markanten Stellen sogar mit scheinbar vorausschauender Berücksichtigung einer alternativ möglichen Bucheinteilung aufgefunden sind, macht das Ganze keineswegs wahrscheinlicher. Daß bei einem Dichter, dessen Gedichte sich zumeist mit Freunden oder Feinden beschäftigen, das erste Epigramm nach c.61-68 z.B. an den c.77 erneut auftretenden Rufus gerichtet ist, ist kaum signifikant. Bei Catull gibt es auch sonst C.61 und c.65 vergleichbare, beiläufige Anspielungen auf die Musen (c.35,16, 105,2) und mit c.l auch auf Battos, so daß dergleichen nicht ausschließlich auf die markanten Anfangspunkte des Corpus beschränkt und damit ebenfalls nicht wirklich herausgehoben ist. Auch c.7 steht nach ARKINS freilich an exponierter Stelle, nämlich genau in der Mitte des 'Lesbia'Zyklus (mit oder ohne c.2a? Die Mitte ist c.8!).185 Aber ist der Grund dafür tatsächlich die gezielt in eine Mitte zu rückende Kallimachos-Anspielung? Dort steht es m.E. nur deswegen, weil es nach dem Paar c.2/3 sowie dem ersten Kußgedicht C.5 und den dazugehörigen Trenngedichten genau an dieser Stelle als das zweite Kußgedicht im Paar auf c.5 folgen muß. Für c.14 erschließt ARKINS aus der Erwähnung des durch c.22 als Vielschreiber (V.3f. longe plurìmos facit uersus, sogar milia decern out plura) näher bekannten 183

184 185

Vgl. auch ARKINS' Argumentation für den "key point" c.64: "And given that Poem 64 is Catullus' masterpiece, we find that here he can dispense with an appeal to the Muses and with the invocation of friend or enemy" (1992, S.118). ARKINS (1992) S.116-118. Siehe u. S.246ff.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

Suffenus neben anderen Schundpoeten, mit deren Büchern sich Catull für das Saturnaliengeschenk des Calvus zu rächen droht, daß diese wie Suffenus eben als Vielschreiber und nicht wahre Musendiener den Prinzipien des Kallimachos wie des Catull mit seinem ordentlichen Musenanruf im Einleitungsgedicht entgegengesetzt sind.186 Solche Überlegungen sind gewiß konstruierbar, auch wenn nur die impietas der Poetaster im Gedicht benannt ist (V.7 tantum .... impiorum), aus ihm explizit Kritik an Vielschreiberei oder ein Gegensatz zu Kallimachos aber mit keinem Wort hervorgeht. Es ist jedoch tatsächlich gut denkbar, daß Catulls Zeitgenossen und der Adressat Calvus schon aus der bloßen Erwähnung des Suffenus die richtigen Schlüsse ziehen konnten, die für uns heute nur noch durch Zufall möglich sind, da die Catull-Sammlung ein weiteres, Einzelheiten nachlieferndes Gedicht über Suffenus enthält, das diesen allerdings nicht primär wegen seiner Vorliebe für umfangreiche, schnellverfaßte Werke kritisiert, wie es doch nach ARKINS' Interpretation von c.14 zu erwarten wäre, sondern die ungerechtfertigte Selbstzufriedenheit des Dichterlings mit seinen offenbar ganz im Gegensatz zu Talent und tatsächlicher Qualität äußerlich mit größtem Aufwand (vgl. V.5-8) hergestellten Büchern. Wenn nun aber ARKINS' Deutung von c.14 mit einem indirekten Bezug auf kallimacheische Feinheiten gegen Vielschreiberei zutrifft, ist diese dann wirklich Beleg für die Einheit des gesamten Corpus Catullianum mit seinen mehreren tausend Versen und den vielen Gedichten, die z.T. ja immer nur dieselben Gedanken, Klagen über die untreue Lesbia und deutliche Dubletten enthalten?187 Wäre es da nicht viel konsequenter, ARKINS' Beobachtung als Beleg für das kleine Büchlein HUBBARDs, c.1-14, und den Charakter von c.14 als wirkliches, mit dem Einleitungsgedicht c.l korrespondierendes Abschlußgedicht zu werten? Auch letztere Gedanken zu Kallimachos, den Musen, Freunden und Feinden verdeutlichen somit m.E. nur ein weiteres Mal, daß zwar Bezüge aller Art herstellbar und irgendwie auch richtig und nachzuvollziehen sind, daß aber die Einheit und Geschlossenheit des ganzen Catull-Corpus auf diesem Wege kaum zu erweisen ist. Ohne explizit programmatische Äußerungen des Dichters, wie z.B. bei Horaz deutliche Einleitungsgedichte an Stelle von Catulls Hochzeitsgedicht (!) c.61 und an Stelle des der KallimachosUbersetzung c.66 als Einleitungsbrief dienenden c.65 oder ohne ein die Sammlung wirklich abschließendes, zurückblickendes, zusammenfassendes c.l 16 mit einer über die lediglich gleiche Formulierung carmina Battiadae hinausgehenden Wiederaufnahme von c.65 durch etwa erneute Hinwendung an denselben Adressaten Hortensius,188 der übrigens in dem angeblich ihm 18é

187

188

ARKINS (1992) S.118 mit Hinweis auf KROLLs Komm, zu c.14 ("impiorum im Gegensatz zu den pii uates, die in göttlicher Inspiration dichten"). Zu "Callimachean stylistics" von c.l gegen das "polar opposite" von c.14 vgl. auch schon DEITMER (1988) S.378ff. Vgl. auch HUBBARD (1983) S.222 Anm.14 zu "Catullus' distaste for long books and long-winded poetry" mit Hinweis auf c.22,36, 95. Wenn der zunächst c.116 ablehnende WISEMAN (1969) S.29 seinen Catull-liber mit c.115 enden läßt und gerade hierin einen besonders schönen, rahmenden Schluß erkennt - "(...]

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gewidmeten Elegiebuch selbst als Dichter gar nicht so gut behandelt scheint (vgl. C.95),189 oder ohne eine Rahmung der Polymetra oder der ganzen Sammlung durch Cornelius-Gedichte oder zumindest der carmina maiora durch auch für alle deutlich erkennbar denselben Adressaten betreffenden Manlius-Gedichte, ohne eine wirklich einheitlich aufgebaute, im Werk von den Anfängen zum Ende fortschreitende und durchaus durch andere Themen unterbrochene beispielsweise Lesbia-Liebesgeschichte (warum steht denn jetzt der endgültige Bruch c.ll vor dem scheinbaren ersten Anfang von C.51?) ist eben nicht beweisbar, daß die Anordnung aller Gedichte wirklich auf Catulls eigene ordnende Hand zurückgeht, auch wenn sie in einzelnen Bereichen noch so schön erscheint. Schlichte Bewunderung darüber berechtigt ebenso wie über die Abfolge von Bildern in einem Museum190 weder dazu, eine auf den Künstler selbst zurückgehende Komposition von vornherein abzulehnen noch diese unbedingt vorauszusetzen. Wenn etwa in einer Ausstellung mehrerer Gemälde eines Künstlers eine Landschaft zwischen zwei Meeresbildern hängt, so zeigt dies sicher eine gewisse, evtl. beabsichtigte Ordnung. Ebenso ist es aber, wenn zunächst einander anscheinend ergänzende Seestudien von Landschaftsbildern abgelöst werden oder zwei Seestücke am Anfang und am Ende des Rundganges in einem Raum wie zur umschließenden Rahmung aufgehängt sind. Welche Anordnung am schönsten ist, wird und muß der für das Arrangement Verantwortliche entscheiden, der Betrachter wird seine eigenen Schlüsse ziehen; persönliche Vorlieben werden variieren. Allein aus der Art, wie die Bilder gehängt sind, wird aber noch nicht abzuleiten sein, ob der Maler selbst sie arrangiert hat oder nur ein Galerist mit seinem eigenen künstlerischen Geschmack. So ist nicht nur an COPPEL zu erinnern, auch STOESSLs Urteil über die vielfältigen Versuche der Forschung ist - bei allen Vorbehalten gegen seine eigenen chronologischen Ordnungen und COPPELs Interpretationen zu c.68 als "vertrauliche Privatepistel" - nach wie vor gültig:191 "Beobachtungen über Prinzi-

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Catullus finished this group as he began it, with Méntula, and completed his collection on a line any lampoonist would be glad to leave in his readers' mind [...]" -, zeigt dies bestens, wie beliebig sich die einzelnen carmina als Buchende ausdeuten lassen. Vgl. ansonsten auch z.B. COPPEL (1973) S.146, "daß dem Catullbuch ein eigentliches Schlußgedicht fehlt. Der Buchschluß ist als offen zu bezeichnen, weil er nicht wie der Anfang durch ein eigens für diese Stelle geschriebenes Gedicht markiert ist." So schon SCHULZE (1881) S.198, 202. Wenn dies allerdings für die einen ein Gegenargument gegen ein Elegiebuch Catulls ist, so ist es für andere sogar "wholly typical of Catullus to tease Hortensius in the same book" (FERGUSON [1986] S.18, aber ohne jeden Beleg). KING (1988) S.384 Anm.5 deutet Hortensius lediglich als "poet antagonist", was seinen Status als amicus nicht ausschließe. Ein solcher, freilich ganz anders gemeinter Vergleich mit Catulls Sammlung z.B. schon bei SCHULZE (1885) S.857ff. sowie QUINN (1972) S.281, E A . SCHMIDT (1973) S.240f., (1979) S.230 Anm.69, die die entsprechende "vom Künstler selbst veranstaltete und gestaltete Ausstellung seiner Bilder" einfach behaupten. STOESSL (1977) S.234 Anm.2. Selbst glaubt er, daß Catull "auf dem Höhepunkt seines Lebens, in der Zeit der glücklichen Lesbialiebe, eine Sammlung der bis dahin entstandenen Gedichte herausgegeben" und mit c.l4b und c.l Cornelius Nepos gewidmet habe,

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píen der Anordnung beweisen aber nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, die Hand des Dichters selbst: auch ein postumer Herausgeber mochte alles, was er vorfand und aufnehmen wollte, nach bestimmten Prinzipien ordnen; für einen solchen spricht auch, daß sich keines der Prinzipien in der erhaltenen Masse voll durchführen ließ." Wenn sich freilich über den bloßen, äußerlichen Schematismus der Dreiteilung in kleine, große und wieder kleine Gedichte oder eine wie in Retrospektiven übliche und angebrachte chronologische Folge hinausgehende innere Notwendigkeit für die vorliegende Anordnung nachweisen ließe, ein Aufbau mit nicht nur einzelnen Assoziationen und gelegentlichen Bezügen, sondern einander wirklich bedingenden, ja vielleicht sogar gezielt für eine gemeinsame Lektüre geschriebenen Gedichten, wie es m.E. im 'Lesbia'-Zyklus c.2-14 der Fall ist,192 oder eine solche Systematik in der Anordnung, daß diese nicht genauso durch Aufnahme nur bestimmter Gedichte von einem für eine derart beschränkende Auswahl eigentlich keinerlei Veranlassung habenden Redaktor, sondern einzig vom Dichter selbst stammen kann, wenn etwa alle entsprechenden Gedichte in exakt demselben Zahlenverhältnis vorhanden wären und folglich auch dafür eigens gedichtet oder ausgewählt sein müßten, wie es bei den carmina maiora mit je drei Gedichten/Paaren um C.64 der Fall zu sein scheint, wenn also tatsächlich zwei gleich große Teile kleiner Gedichte eine Gruppe größerer einschließen würden,193 wäre m.E. gegen STOESSL sehr wohl über die Untersuchung des Aufbaus der Sammlung eine akzeptable Aussage möglich. Denn wenn etwa im 'Lesbia'-Zyklus mit seiner auch inhaltlich nachvollziehbaren, fortschreitenden Folge genau sechs Lesbia-Gedichte und im 'Aurelius- und Furius'Zyklus ebenfalls genau sechs den Adressaten gewidmete carmina überliefert sind, ist dies doch bemerkenswert!194 E.A. SCHMIDT war folglich auf dem

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was natürlich reine Spekulation ist. Zur Zeit der Buchedition von c.2, 3, 5 und 7, also den eine besonders glückliche Phase widerspiegelnden Lesbia-Gedichten, war m.E. die Liebe längst zerbrochen (dazu siehe u. S.273f.). Auch COPPELs sonstige Überlegungen zum Catull-Corpus wird man nicht in jedem Punkt akzeptieren können; scharf gegen dessen "blatant self-contradictions" z.B. WISEMAN in seiner Rezension (CR 26 [1976], S.270f.) und (1979) S.181 Anm.36. Zu beachten ist jedoch, daß nicht etwa nur deswegen, weil das, was COPPEL und STOESSL an Eigenem zur Interpretation beizutragen haben, anfechtbar ist (ersterer rechnet z.B. mit zwei libelli mit nugae, den mit c.l eingeleiteten und den an Lesbia gerichteten 'Passer'), zugleich auch deren berechtigte Kritik an den Lösungen der Einheitsvertreter leichtfertig übergangen werden darf. Vgl. ferner das allgemeine Urteil von KREVANS (1984, o. Anm.4) S.311 "[...] evidence of artistic arrangement is no guarantee that Catullus ordered the poems. It only demonstrates that the editor was someone aware of the collection form". Siehe u. S.246ff. Gerade die Dreiteilung, die vielen schon Beleg genug für Catulls eigene Strukturierung ist (siehe o. S.20), läßt sich, wie HUBBARD (1983) S.220 einwendet, wegen der sehr ungleichen Zahlenverhältnisse auch als Gegenargument werten: "Such lopsidedness is hardly a triumph of structural artistry". Genauer dazu siehe u. S.224ff.

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richtigen Weg, wenn er unter den polymetrischen Gedichten einen dritten Zyklus mit wiederum genau sechs Zyklus-Gedichten und auch unter den Epigrammen einen sechs carmina enthaltenden Gellius-Zyklus unter Einbeziehung von Lesbia- und Rufus-Gedichten herauszuarbeiten suchte.195 Nur, wie bereits STOESSL allgemein feststellt, für die ganze Sammlung geht dies nicht wirklich auf, weitere systematisch angeordnete Sechser-Zyklen mit vergleichbar eng aufeinanderfolgenden Gedichten und gar nur innerhalb dieser Zyklen vorkommenden Personen/Themen hat Catulls Corpus nicht zu bieten, auch über Gellius nicht;196 ja selbst nach SCHMIDT lassen sich von den Polymetra nur die ersten drei Viertel in ähnlicher Weise mittels Zyklen organisieren. Der Rest c.45ff. bleiben ebenso wie der zweite Teil der Epigramme c.93ff. Einzelgedichte. Und noch nicht einmal für die vermuteten Zyklen ist Einheitlichkeit nachzuweisen. Methodisch merkwürdig muß es vielmehr wirken, wenn zu deren Erarbeitung einerseits alle Gedichte mit ihren inhaltlichen Bezügen zueinander eingeschlossen werden, wie es für c. 69ff. geschieht, andererseits aber für die Polymetra nur bestimmte, prägende Gedichte ohne rechte Beachtung ihres Umfeldes herausgegriffen werden.197 Eine weitere offensichtliche Schwachstelle ist schließlich SCHMIDTs dritter sog. 'Ding-Apostrophen'-Zyklus, wie er sich auch selbst bewußt ist, wenn er immerhin erwägt, ob die scheinbar mathematisch genaue Verteilung auch Zufall sein könnte.198 Denn nach einem 'Lesbia'- und einem 'Aurelius- und Furius'-Zyklus ist es doch recht gesucht, wenn den Zusammenhalt des hinsichtlich der Gedichtverteilung nicht ebenso regelmäßig gebildeten dritten Zyklus lediglich eine formale Gemeinsamkeit bewirken soll, obwohl unter den erhaltenen carmina genug weitere personenbezogene vorhanden sind und auch mehrfach dieselben Adressaten wie Caesar und sein Anhang angesprochen werden oder mit den Veranius- und Fabullus-Gedichten ebenfalls eine Gruppe existiert (c.9, 12, 13, 28, 47), die aber im Corpus nicht als zusammenhängender Zyklus angeordnet ist, obgleich sich damit, nimmt man 195 196

197

198

E A . SCHMIDT (1973) S.221ff. und 228ff. STOESSL (1977) S.234 Anm.2. Unter den Epigrammen gibt es schließlich sieben GelliusGedichte, die alle deutlich dieselbe negative Einstellung zu diesem erkennen lassen, auch wenn das von E A . SCHMIDT ausgenommene c.116 ohne Obszönitäten formuliert ist, wie im übrigen auch die zum 'Aurelius- und Furius'-Zyklus gehörenden c.24 und 26 im Gegensatz zu den anderen c.l5ff. Und was die einheitliche Haltung Catulls betrifft, so ist dies bei den Aurelius- und Furius-Gedichten in dem zusätzlichen, üblicherweise nicht dem Zyklus zugerechneten c.ll gerade nicht der Fall (dazu siehe u. S.104ff.). Darüber hinaus sind, anders als beim 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furius'-Zyklus, die Verse auf Gellius als c.74, 80 und 88 anfangs mit einem sehr deutlichen Abstand und gänzlich ohne entsprechende Regelmäßigkeit überliefert. Vgl. auch EA. SCHMIDT (1973) S.216ff. zu seinem 'Lesbia-Rufus-Gellius'-Zyklus "[...] seiner Struktur nach so eigenartig, so abweichend von den Zyklen unter den Polymetra und derart eng mit anderen Gedichten kompositionell und thematisch verflochten" und noch deutlicher (1985) S.122 "Der Aufbau des Buchteils in elegischen Distichen ist, zumindest in seinem ersten Teil [...], ganz verschieden. Hier heben sich nicht voneinander getrennte Gedichtzyklen aus der bunten [...] Vielfalt ab [...]." E A . SCHMIDT (1973) S.226ff.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

etwa ein Heimkehrgedicht wie c.46 dazu, leicht ein dritter, überzeugenderer Sechser-Zyklus nach c.2-11 und 15-26 hätte bilden lassen. Warum hätte sich Catull dann mit einem 'Ding-Apostrophen'-Zyklus mit Anreden sowohl an Sirmio und sein sabinisches Gut (c.31 und 44 als scheinbarer Rahmen) als auch z.B. an die Annalen des Volusius und die Taberne und ihre seinem Mädchen nachstellenden contubemales (c.36, 37), also noch nicht einmal einheitlichen Hinwendungen etwa speziell an heimatliche Gegenden behelfen sollen? Die interessanten Untersuchungen von SCHMIDT führen somit m.E. eher zum gegenteiligen, das Fehlen von kompositioneller Einheitlichkeit demonstrierenden Ergebnis und lassen lediglich die beiden anfänglichen Zyklen mit ihrer besonderen Strukturierung und inhaltlichen Konzentration auf jeweils dieselben Themen und Adressaten in auffälliger und für die Überlegungen der folgenden Kapitel bedeutsamer Weise aus der ansonsten mehr oder weniger und keinesfalls vergleichbar geordneten Sammlung heraustreten. Die Geschlossenheit des Corpus Catullianum im ganzen aber ist mit seinen Zyklen kaum zu beweisen. Daß hier DE ITMERS fünf Zyklen für die polymetrischen carmina minora keine Abhilfe schaffen können oder etwa das von ihr für die drei Zyklen c.69ff. und die vorausgehenden und folgenden c.65-68 und 112-116 aufgefundene Zahlenverhältnis 5-10-11-11-11-5 nicht, da ihr Ansatz aus methodischen Gründen skeptisch zu beurteilen ist, war bereits oben besprochen. Ebenfalls abzulehnen sind die von DION rein schematisch und ohne jede Beachtung des Inhalts der Einzelgedichte, diesbezüglich scheinbar willkürlich ermittelten Gruppen, die wiederum das angebliche Grundmuster von nun vier Gedichten nicht in jedem Fall einhalten können und besonders für c.34ff. mit den Querverbindungen zu den carmina maiora nicht nachzuvollziehen sind. Ohnehin ist, was solche Gesamtlösungen betrifft, die mit zahlenmäßig genauen Entsprechungen argumentieren wollen oder wie HECK und DEITMER detaillierteste Baupläne geben oder nicht auf inhaltlichem, sondern rein formalem Wege mit der Verteilung der einzelnen Metren um bestimmte Gedichte herum argumentieren, wiederum an ein älteres Urteil, das von QUINN, zu erinnern.199 Ein wenig treffen dessen sehr scharf geäußerte 199

QUINN (1972) S.9 "[...] they require an interest in puzzle-solving, that no sensible poet expects of his readers" und (1973) S.388 "In all such analyses there is a danger of course of going beyond what the poet hopes his readers will notice, or at any rate sense, into the sort of inquiry that is closer to detective work than to literary criticism"; vgl. auch ähnlich COPPEL (1973) S.157 zu HECK mit seinen z.B. 2 metrischen und 7 inhaltlichen Prinzipien für c.1-60 (S.62ff.; für c.69-116 vgl. z.B. die Schemata S.73, 80a) "Die verwirrende Vielfalt von Figuren [...] sowie die anhand dieses Figureninstrumentariums aufgezeigte überaus komplizierte, beim bloßen Lesen nicht wahrnehmbare Abgrenzung und Disposition von Teilgruppen [...] sprechen gegen einen ganzheitlichen Bauplan", MOST (1981) S.110 "[...] with the result that the patterns discerned are of an arbitrary and artificial complexity of questionable interpretative utility". Vgl. dagegen ganz anders DEITMER (1988) S.381 in ihrer Zusammenfassung zur Verteidigung (?) ihrer komplizierten Strukturen: "We have underestimated Catullus. The organization of his poetry is dazzling in its

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Bedenken auch auf den neuen, hier gleich mitzubesprechenden Versuch von STROH zu, der für sein kleines Modell c.1-26 inhaltliche und metrische Bezüge vereint: Lesbia und Juventius als Gegenüberstellung zweier Liebesgeschichten, zweier Formen der Liebe in einer Edition mit jeweils einem eigenen Einleitungsgedicht (c.l und 14a), die daraus in Übereinstimmung mit der antiken Catullsicht (vgl. Ov.trist.2,427-430) resultierende Relativierung der Bedeutung der Lesbia-Liebe in Catulls Leben, die die Forschung dagegen zumeist als einzige herauszustellen pflegte,200 und auch die Bezüge in der Anordnung der Gedichte mit einer axialsymmetrischen, ringkompositionsartigen Struktur des Buches wirken zwar zunächst durchaus einleuchtend. Denn da sich bei Catull (und nicht nur bei ihm) auch sonst Ringkomposition im Aufbau findet, so etwa c.99 und 101, wie STROH selbst angibt,201 oder z.B. nach MOST ja unter den carmina maiora 61-68, nach DEITMER sogar im gesamten Corpus mit ihren neun Zyklen,202 ist ein derartiges Schema zumindest wahrscheinlich, für ein von Catull selbst konzipiertes Gedichtbuch vielleicht sogar direkt zu erwarten.203 Betrachtet man jedoch wiederum den von STROH vorgeschlagenen planmäßigen Aufbau und die Vereinigung beider Zyklen zu einem Buch genauer, muß auch seine Lösung ein wenig problematisch erscheinen und dies sogar in mehrfacher Hinsicht, sowohl bezüglich des Inhalts, wie in den folgenden Kapiteln zu erörtern sein wird, als auch wegen der metrischen Komposition bzw. Korrespondenz: So sind die so überzeugend durch Klammern markierbaren Entsprechungen seines Schemas für einen (gewöhnlichen) Leser allein aus der Lektüre der Gedichte nur äußerst schwierig und kaum ohne eine vorgefertigte Aufbauskizze oder eigene, schriftlich festgehaltene Versuche zu erkennen. Beim bloßen Lesen entsteht

200

201 I M

203

complexity, and, like other great poets, Catullus succeded in making the multiplicity of structure appear effortless." Auch trotz dieser Erklärung bleiben die oben angeführten Vorbehalte gegen ihren Ansatz weiter bestehen. Zur Gleichsetzung von Lesbia- und Juventius-Liebe bei Catull vgl. auch bereits RAMMINGER (1937) S.74, der Juventius als das "zweite Unglück in Catulls Liebesleben" sieht; dagegen jedoch z.B. OFFERMANN (1977) S.296 mit Anm.122. STROH (1990) S.140 mit Anm.41. Zur Ringkomposition bei Catull vgl. den neuen Beitrag von TRAILL (1988) S.365ff. oder auch O. FRIESS, Beobachtungen über die Darstellungskunst Catulls, Würzburg 1929, H. BARDON, L' art de la composition chez Catulle, Paris 1943, sowie z.B. für c.8: E. BURCK, AU 26,3 (1983), S.5-18; für c.63: TRAILL, CPh 76 (1981), S.211-214; für c.64: TRAILL, CJ 76 (1980), S.232-241; für c.68: R. McCLURE, CSCA 7 (1974), S.219-222, D.F. BRIGHT, ICS 1 (1976), S.86-112, LEFÈVRE (1991) S.319ff. jeweils mit weiterer Literatur. Für das gesamte Gedichtbuch argumentiert ausgehend von c.68 ähnlich z.B. OFFERMANN (1977) S.302, doch da Catull schließlich nicht jedes Einzelgedicht in dieser Weise gestaltet, sondern sich sehr wohl auch andere Prinzipien finden lassen, muß auch in der Anordnung mehrerer Gedichte nicht stets Ringkomposition vorliegen, ist mit c.68, 99,101 u.ä. letztlich gar nichts zu beweisen; siehe u. S.259f. mit Anm.833. >

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eher für jeden Zyklus der Eindruck des Abwechseins von mehreren Gedichten in Hendekasyllaben mit anderen, einzeln eingeschobenen Versmaßen, die aber z.T. in ganz bestimmten, einfach auszählbaren Abständen auftreten, wie unten noch auszuführen sein wird.204 Bei STROH betrifft die Schwierigkeit weniger die Tatsache, daß sich die sechs Gedichte anderer Versmaße nicht voll entsprechen (iamb. Trimeter, Hinkiambus, sapphische Strophe Priapeus, Hinkiambus, iamb. Tetrameter), was er durch die METTE folgende Klassifizierung als äolische Maße und lamben entkräftet.205 (Wenn Catull allerdings tatsächlich eine derartige Ringkomposition bezüglich seiner Metren beabsichtigt hätte und die Bezüge hier wirklich rein metrischer Art wären, warum hätte er dies nicht auch durch die Verwendung einander vollständig entsprechender Maße deutlich machen sollen?)206 Sie liegt vielmehr daran, daß wie ja auch bei METTEs Schalen keine wirklich zahlenmäßige Korrespondenz der ohnehin schon im Verhältnis 3:2 vorhandenen Gedichte beider Zyklen ('Lesbia' 15, 'Juventius' 10) vorliegt, wie etwa in STROHs Beispielen c.99 und 101 (1+2+2+2+1 Distichen bzw. 1+3+2+3 + 1 Verse),207 sondern eine doch recht unterschiedliche Häufigkeit bei der Verteilung der hendekasyllabischen Gedichte. So entspricht z.B. den ersten drei bzw. bei Einbeziehung von c.l vier carmina im zweiten Zyklus mit c.26 lediglich ein einziges am Ende, den drei c.5, 6 und 7 nur das einzelne c.21. Darüber hinaus wird jeder Eindruck von Regelmäßigkeit durch die scheinbar planlose Anordnung der Lesbia-Gedichte und denen anderen Inhalts im Gegensatz zur strikten und damit auffälligen Bindung der Juventius- bzw. Aurelius- und Furius-Gedichte an den Hendekasyllabus verwischt,208 was STROH auch selbst zugesteht,209 aber durch inhaltliche Gründe erklärt: durch den Versmaßwechsel werde das "Auf und Ab von Glück und Verzweiflung" im Lesbia-Teil wiedergegeben gegenüber einer einheitlichen Anwendung der Phalaeceen bei "in einheitlichem Ton" gehaltenen JuventiusGedichten, obgleich er an späterer Stelle auch eine dem 'Lesbia'-Zyklus entsprechende Abkehr von Juventius sehen will.210 Auch die Verszahlen der sog. Allius-Elegie (c.68b) und z.B. TRAILLs wie MOSTs Ringe bei den carmina malora bzw. c.64 sind zwar nicht immer voll parallel und zahlenmäßig identisch, doch sind dort wie auch im Fall der von STROH herangezogenen c.99 und 101 jeweils Mittelstücke und damit eine wirkliche Ringkomposition

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Siehe u. S.225ff. STROH (1990) S.140. Zu den Versmaßen des 2. Zyklus im Vergleich zum 1. und einer versuchten inhaltlichen Erklärung für den Wechsel siehe aber auch u. S.228. Für den symmetrischen Aufbau von c.99 (so STROH [1990] S.153 Anm.41) vgl. auch TROMARAS (1984) S.104Í. Anm.41 und 42. Zur Auswertung dieses Befundes siehe u. S.235,252f. STROH (1990) S.140 "Allerdings findet sich im übrigen keine deutlichere Korrespondenz von Metrum und Gehalt". Dazu siehe u. S.100.

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zu erkennen,211 während im Fall des fraglichen Liederbuches eher zwei Teile ohne gemeinsame Mitte hintereinandergesetzt scheinen. Beide Teile/Zyklen wirken somit durch die jeweils gleiche Anzahl von Fremdversmaßen und den dabei jeweils mittleren Hinkiambus in formaler Hinsicht deutlich aufeinander beziehbar, doch erscheint dies ohne weitere inhaltliche Bezüge, deren Fehlen auch STROH einräumt, und ohne absolute, ja nicht einmal annähernd angestrebte Durchstrukturierung auch der restlichen Verse beider Zyklen nur als Wiederholung und äußerliche Gemeinsamkeit. STROHs zweifellos wesentliche Beobachtung der zahlenmäßigen Korrespondenz der nicht-hendekasyllabischen Maße kann daher nur für einen gewissen Bezug beider Zyklen aufeinander sprechen, ist jedoch noch kein unbedingter Beweis für eine gemeinsame Publikation. Faßt man zusammen, so ist, auch wenn die Besprechung von SKUTSCHs wesentlichem metrischen Argument sowie von c.l4a und der z.B. für WISEMAN und z.T. SKINNER so wichtigen, angeblich programmatischen Funktion von c.27 und 65 für Teilstücke der Sammlung noch aussteht,212 m.E. bereits jetzt festzustellen, daß trotz aller Versuche der Forschung mit ihren vielfältigen Bezügen und vermeintlichen Entsprechungen der Nachweis der von Catull selbst gewollten und hergestellten Einheit unseres Corpus Catullianum als Ganzes bislang nicht wirklich zwingend erbracht ist, daß es die eine, offensichtliche Lösung nicht gibt, daß also die die Forschung vor 1970 betreffende Äußerung COPPELs nicht nur für diese zu bestätigen ist, sondern auch für die neueren und alleraeuesten Arbeiten weiterhin Gültigkeit hat ebenso wie FORSYTHs Urteil von 1978.213 Andererseits wird man nach den Ergebnissen z.B. von SEGAL und RANKIN zum 'Lesbia'-Zyklus, von BARWICK und E.A. SCHMIDT zum 'Aurelius- und Furius'-Zyklus oder SKUTSCHs und STROHs metrischen Überlegungen heute auch nicht mehr so weit gehen dürfen wie etwa WHEELER, der "artistical" Anordnung der Metren c.1-60 ablehnt, und der bereits oben zitierte COPPEL ("[...] man so stark die fremde Hand spürt").214 211

212 213

214

Vgl. bes. TRAILL (1988) S.365ff. mit theoretischen Überlegungen zu Catulls Technik, daß zwar Variation in der Länge möglich ist, aber die "centers" stets und sogar deutlich abgesetzt sind. Dazu siehe u. S.304ff. und 308ff. bzw. gleich das nächste Kapitel. COPPEL (1973) S.162: "Bei der Behandlung der Buchanordnung hat sich ergeben, daß Catull ihr Schöpfer sein könnte, daß es aber nicht möglich ist, in ihr einen künstlerischen Gestaltungswillen zu erblicken, der geeignet wäre, der These von Catulls Urheberschaft ein größeres Maß an Glaubwürdigkeit zu sichern als der Gegenthese, nach der das Catullbuch ein aus postumer Redaktion hervorgegangenes Corpus ist." FORSYTH (1978/ 79) S.408: "While it may not be feasible yet to argue that the entire corpus as we now have it reflects a Catullan arrangement, it is certainly proper to argue that portions of that corpus do in fact reflect the will of the poet, and that this is true not only in the polymetrics, but also in the epigrams." WHEELER (1934) S.29, vgl. auch S.27 "All the numerous efforts to demonstrate that Catullus arranged the poems in detail as they stand in our collection have almost utterly bro-

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Die im folgenden vorgetragenen Beobachtungen werden vielmehr zeigen, daß die Grobstrukturierung der Sammlung mit ihren drei oder vier großen, nach metrischen Gesichtspunkten geordneten Teilen und auch die eigenartige Abtrennung der inhaltlich durchaus zu den Polymetra passenden kleinen Epigramme insgesamt wohl zwangsläufig in dieser Form erfolgen mußte, wenn man alle erhaltenen Gedichte in einer Edition vereinen wollte, ob nun Catull oder ein anderer, lediglich schematisch ordnender Redaktor der Herausgeber war.215 Für die einzelnen Gedichte ist jedoch zunächst festzuhalten, daß - selbst wenn Catull persönlich für MOSTs Ringe der carmina malora bzw. deren vonLEFÈVRE beschriebenen Sammlung oder das unten noch ausführlicher abzulehnende Elegiebuch verantwortlich gewesen sein sollte - eine zwingende Notwendigkeit, alle oder zumindest alle polymetrischen carmina 1-60 oder 1-50 oder speziell c.1-26 und c.27ff. in einer gemeinsamen und zwar dieser Zusatz ist ganz wichtig - primären Ausgabe für ihre somit erstmalige Publikation zusammenzufassen, nicht nachgewiesen ist. Das betrifft mit Einschränkungen auch c.1-26 bzw. die beiden Zyklen/Gruppen c.1-14 und 14a26, für die immerhin neben ihrer jeweiligen inhaltlichen Zusammengehörigkeit mit den Überlegungen von SKUTSCH und STROH zur vergleichbaren Versmaßverteilung deutliche Gemeinsamkeiten zu bestehen scheinen, die aber gleichfalls noch nicht absolut notwendig dafür sprechen müssen, daß Catull die Gedichte auch wirklich in dieser Form als gemeinsames kleines Buch ediert hat. Der von SKUTSCH beobachtete und in Wirklichkeit ein wenig differenzierter zu betrachtende Befund belegt zunächst nur, daß im Bereich von c.1-26 gegenüber c.27ff. bewußte und mit ziemlicher Sicherheit auf den Autor selbst zurückzuführende Ordnung vorliegt, die mit der Zyklen-Bildung am Corpus-Anfang in auffälligster Weise korrespondiert. So sind dadurch auch zunächst nur die schon in inhaltlicher Hinsicht und wegen ihrer besonderen Strukturierung herausragenden Zyklen ein weiteres Mal hervorgehoben, die gewiß irgendwie aufeinander bezogen sind. Daß nach C.27 in der Catull-Sammlung keineswegs mehr ein so deutlicher Aufbau herauszuarbeiten ist wie unter den ersten Gedichten und ein nicht nur metrischer Bruch vorliegt, gestehen ja auch schon WISEMAN, SKINNER und FERGUSON ein.216 Da nun, wie in den folgenden Kapiteln vorzuführen, zu-

215 216

ken down"; COPPEL (1973) S.184, siehe o. S.16, aber auch die Einschränkung u. S.313Í. mit Anm.978. Siehe u. S.275ff WISEMAN (1969) S.13ff., SKINNER (1981) S.26 "In the last half of the collection, however, that controlled and self-conscious manner of presentation is almost totally abandoned. Poems seem to be tossed together in a random fashion reflecting the turbulent life of a young man moving in the more sophisticated circles of a cosmopolitan society"; vgl. auch HUBBARD (1983) S.233 Anm.53 zu SKINNERS Analyse "significant ordering only in C. 15-26", deren Rezension von FORSYTH (CW 75 [1982], S.321f.) "Less lucid and less convincing is her analysis of poems 27-51" sowie FERGUSON (1986) S.5 "When she turns to the second half of the polymetrics, she is less compelling" und STROH (1990) S.141 "Von c.27 an spüren wir nicht oder doch kaum mehr die ordnende Hand Catulls". Vgl.

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sätzlich zu den formalen und methodischen Bedenken gegen die unterschiedlichen Aufbaumuster der Forschung weitaus schwerer wiegende inhaltliche hinzukommen, ist hier noch eine andere Lösung denk- und argumentativ vertretbar als etwa SCHMIDTS Riesenbuch, WISEMANs drei libelli, STROHs kleines "erotisches Liederbuch" oder der Tasser'-libellus z.B. CLAUSENS und SKINNERs für c.1-50/51, die unter den Skeptikern wohl beliebteste Alternative. Gerade ein solches Buch allein für die Polymetra ist schließlich nur eine sich an dem als üblich vorausgesetzten Umfang anderer Gedichtbücher orientierende Notlösung ebenfalls ohne innere Notwendigkeit, mit einem eher willkürlich wirkenden Abschluß und einem trotz enger thematischer Entsprechungen c.2-60 und 69-116 nicht recht erklärten Verzicht auf epigrammatische Distichen, der bei den Gesamtansätzen für das Corpus Catullianum gleichermaßen störend wirkt.217 Doch ist denn der rein formale Nachweis der Einheit des Corpus mit einem offensichtlichen Bauplan und alle Interpreten zufriedenstellenden Bezügen überhaupt nötig? Wird mit der Forderung nach einer 'zwingenden Notwendigkeit' für die Abfolge aller Gedichte von Catull als Herausgeber nicht viel zu viel verlangt? Zu erörtern bleibt die Frage der Beweislast. Wenn WISEMAN darauf hinweist, daß es bei einer solchen Menge von "diverse occasional poems", wie sie das Corpus Catullianum bietet, eine Unmöglichkeit ist, eine durchgehende logische Anordnung herzustellen, so hat er - von SKINNER bestätigt und von FERGUSON für seine "sensible observation" gewürdigt - natürlich recht.218 Kein Interpret würde mit den Maßstäben, die an die Catull-Sammlung angelegt werden, an die Gedichtbücher anderer, etwa der Augusteer oder Martials herangehen und nur deswegen die Authentizität von deren Buchformen bestreiten, weil z.B. die Epigramme bei letzterem in einer verglichen mit Catull scheinbar ähnlich nur nach dem Variationsprinzip mit metrischem Wechsel und bestimmten thematischen

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ferner HUBBARDs Urteil S.219 mit Anm.3 "[...] it is evident, that not all portions of the collection have received the same degree of care in their arrangement: even the most sympathetic critics cannot discover conscious patterns of arrangement in the epigrams which rival those obvious in the polymetra". Vgl. z.B. bereits FRÖHLICH (1843) S.694, der sich angesichts der z.T. durchgeführten metrischen Trennung fragt, warum dann nicht die Polymetra ebenfalls nach Versmaßen angeordnet und die Hendekasyllaben zusammengefaßt sind. Unbefriedigend und letztlich doch auf die Authentizität der Gedichtfolge des ganzen Corpus hinauslaufend z.B. CLAUSEN (1976) S.40 "For at some point he had decided to keep all the elegiac poems of whatever length together". Zum Abschluß mit c.50 siehe u. S.156ff. und auch das Zitat CLAUSENS o. Anm.146. WISEMAN (1969) S.13; SKINNER (1981) S.26, FERGUSON (1986) S.6. Vgl. aber auch schon WESTPHAL (21870) S.9: "Es ist natürlich, dass je weiter der Dichter in der behufs der Herausgabe von ihm vorgenommenen Anordnung seiner Gedichte fortgeschritten ist, um so mehr die übrig bleibenden Gedichte von der Art sein müssen, dass sie weniger significanten Characters sind, um sich mit analogen Gedichten zu einem fest abgerundeten Cyclus zu verbinden. Der Dichter hatte ja seine Gedichte nicht mit der Absicht auf eine dereinstige Anordnung dieser Art abgefasst."

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Konzentrationen und gelegentlichen, relativ freien Zyklen ohne strengen und offensichtlichen Bauplan für jedes einzelne Gedicht angeordnet sind. Die Abwertung und folglich Ablehnung der Sammlung durch die frühere Forschung entsprang schließlich weitgehend der damals üblichen Vorliebe, die Gedichte in biographischer Hinsicht auszuschlachten, und dem subjektiven Empfinden, chronologisch und motivisch Zusammengehöriges müßte auch direkt nebeneinander gesetzt sein. Solche Ansätze hat die heutige Forschung, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, mit Recht längst überwunden.219 Keineswegs für jedes Gedicht muß ein Bezug auffindbar, seine Position exakt an der überlieferten Stelle zu rechtfertigen sein. Bei anderen Dichtern wäre man im Gegenteil doch hochzufrieden, eine solche Vielzahl von Bezügen herausarbeiten zu können, wie dies der Forschung für Catull gelang, und würde diese, ohne zu zweifeln, als vom Autor intendiert akzeptieren können. So ist WISEMAN auch in der Frage der Beweislast natürlich zunächst zuzustimmen. Doch zu leicht wird dabei übersehen, daß es sich bei Catulls Buch eben nicht um einen sonstigen Gedichtbüchern vergleichbaren Band, sondern um einen eigentlich auch ganz offensichtlich als solchen erkennbaren Sonderfall handelt - selbst der Einheitsvertreter E.A. SCHMIDT spricht von der "Anomalie" und "Analogielosigkeit des Catullbuches",220 die man freilich nicht einfach von vornherein und auf Kosten einer unbefangenen Betrachtung der schließlich unabhängig voneinander auffälligen Schwierigkeiten und einer Erörterung möglicher Alternativen zur speziellen Eigenleistung Catulls erheben darf. Schon auf den ersten Blick problematisch sind nach wie vor die bereits oben zu Beginn der Einleitung erwähnte Formulierung von c.l und der seltsame Charakter der Sammlung mit seiner Mischung aus kleinen und großen Gedichten in verschiedensten Metren und Gattungen. Lediglich für das Problem der ebenfalls trotz vermeintlicher antiker Parallelen noch immer anstößigen Überlänge des Buches221 hat die 219

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Vgl. z.B. WISEMAN (1969) S.2, (1979) S.181 explizit gegen das störende "Chaos"; SYNDIKUS (1984) S.59 vergleicht mit dem entsprechenden Charakter hellenistischer Gedichtbücher und erkennt für Catull S.62 das "Prinzip größtmöglicher Abwechslung" als grundlegend. E A . SCHMIDT (1979) S.228f. sowie besonders (1985) S.32: "Während die anderen Neoteriker ihr Epyllion und ihre anderen kleineren Dichtungen (diese aber offenbar nicht nach Polymetra und Epigrammen geschieden) wohl getrennt publizierten, entspricht bei Catull der poetischen Kraft seiner Überwindung der neoterischen Einzelinteressen in einem [...] einheitlichen dichterischen Grundmotiv die Zusammenfassung seiner Dichtungen in einem überlegen komponierten Gedichtbuch. Im Unterschied etwa zu Vergil und Horaz, deren verschiedene Werke geschichtlich zu differenzierende Wirklichkeitsverarbeitungen darstellen, ist die Dichtung Catulls das eine Catullbuch, die einheitliche Vielfalt des einen Gedichtbuches, und einen richtigeren oder besseren Catull wird die Analyse nicht erzeugen, die das Anomale und Einzigartige zugunsten unwahrscheinlicher, unbeweisbarer oder widerlegter Normalität und nivellierender Analogie auflöst." Vgl. ferner z.B. WEINREICH (1960) S.163f. "Man muß bei Catull die exzeptionelle Größe hinnehmen". Die zur Verteidigung eines einbändigen Catull-Corpus angeführten größeren Ausgaben etwa von Meleager, Naevius oder der Heroiden-Briefe Ovids sind selbst umstritten.

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Forschung mit der postulierten Dreiteilung eine akzeptable und durchaus naheliegende Erklärung gefunden. Doch auch in diesem Falle ist an der Formulierung des Einleitungsgedichts mit lepidum nouum libellum weiterhin und keinesfalls geringerer Anstoß zu nehmen.222 Wenn Catull wirklich selbst Kränze wie der von Meleager sind nachträgliche, sekundäre Zusammenstellungen heute unbekannter Bucheinteilung und nicht authentische Editionen durch die jeweiligen Dichter. Das Heroiden-Corpus zerlegt z.B. STROH (1989, o. Anm.9) in drei Teilbände; zu Naevius' 'Bellum Poenicum' vgl. z.B. v. ALBRECHT (21994) S.284 "wer garantiert, daß es tatsächlich nur auf einer Rolle stand" sowie jetzt vor allem W. SUERBAUM, Zum Umfang der Bücher in der archaischen lateinischen Dichtung: Naevius, Ennius, Lukrez und Livius Andronicus auf Papyrus-Rollen, ZPE 92 (1992), S.153-173. S.154 stellt er zu Recht fest, daß eine Naevius-Edition in nur einem Buch als ungewöhnlich empfunden worden sein mußte, hätte sonst ja kein Anlaß zur Auflösung durch Lampadio bestanden; S.164 vermutet er für das fünfte Lukrez-Buch eine Verteilung auf zwei Rollen. Z.B. COPPEL (1973) S.163ff. glaubt eine Einzelrolle mit über 2000 Versen "wenn auch in der antiken Buchtechnik möglich, so doch bis in die Nachklassik hinein ohne jede Parallele". Wenn z.B. MINYARD (1988) S.353 angibt, "the old reasons for denying that all of Catullus could have been introduced on one roll have been demonstrated to be false", so ist in Wirklichkeit nur die theoretische Möglichkeit derart langer Bücher gegen die z.B. noch von CLAUSEN (1976) S.38, (1982) S.195 betonte "physical limitation" erwiesen, nicht aber auch, daß dies bei Catull notwendig der Fall war. Auch z.B. GOETHEs "Büchlein" (o. S.22) bleibt anders als der Catull-/f'fce//ui in jedem Fall im Rahmen der zu seiner Zeit üblichen Buchgröße. 222

Vgl. dazu ausführlich und mit Widerlegung von Einwänden gegen die wörtliche Deutung von libellus und nugae HUBBARD (1983) S.221f. oder seine Vorgänger wie schon v. BRUNÉR (1863) S.603 und SCHULZE (1881) S.203f. sowie die Verfechter eines nur polymetrischen libellus c.1-50/51 wie etwa CLAUSEN (1976) S.38f., (1982) S.195 und SKINNER (1981) S.ll; viel zu zuversichtlich dagegen SYNDIKUS (1984) S.56, "daß in dem Widmungsgedicht nichts steht, das der Annahme widerspricht, es sei für eben jene Sammlung konzipiert worden, die uns überliefert ist"; vgl. im übrigen selbst WISEMAN (1979) S.175 zu c.l "its informality makes it hard to believe that it was ever meant to introduce the whole corpus as we have it, including the ambitious and highly-wrought poems 63, 64 and 68" und sogar SYNDIKUS S.57 zur vermuteten Dreibändigkeit: "Freilich, seltsam ist es schon, daß sich keinerlei Spuren einer solchen Einteilung in drei Büchern erhalten haben; [...] und auch das Widmungsgedicht ist wie für ein Einzelbuch verfaßt." Vgl. ferner in jüngster Zeit v. ALBRECHT f1994) S.284 "Das Einleitungsgedicht paßt ohne Gewaltsamkeit zu c.1-60, nur zur Not [...]", GAISSER (1993) S.5 "the programme poem cannot have been intended to introduce the Catullan corpus as it now stands". Sich hier mit den genannten Arbeiten weiterhin auf die nugae von V.4 zu berufen, bringt sicherlich nichts. Der von WEINREICH und anderen in seiner Nachfolge vorgebrachte Einwand ist korrekt (o. Anm.50), mit c.l sind nicht direkt und ausschließlich nugae für Catulls libellus angekündigt. Und bei dem besonderen Stellenwert der Historiographie in Rom (vgl. Sallusts Anspruch) ist ohnehin Dichtung jeder Art, ob mit oder ohne Epyllion, nur eine Spielerei verglichen mit dem Geschichtswerk des Adressaten Nepos. Aus C.1 direkt ein Argument gegen eine Edition ohne carmina maiora zu gewinnen sucht allerdings E A . SCHMIDT (1979) S.221, indem er den letzten Vers mit dem Wunsch nach literarischer Unsterblichkeit als Parallele zu Kall. frg. 7,13f. und geeignet nur für ein Epyllion, nicht aber für einen libellus mit ausschließlich Kurzgedichten, nugae - seiner Ansicht nach die "schwierigere Alternative" - sieht. Betrachtet man die bisherigen Vorschläge der Forschung zu reichlich ungeordneten kleinen libelli, ist dieser Einwand berechtigt, läßt sich jedoch durch die folgenden Ergebnisse und besonders die Beobachtungen von Kap.3.1. entkräften; siehe u. S.317. Auch in V.9f. mag im übrigen eine Nepos-Anspielung

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eine solche dreibändige Edition herausgeben wollte und damit die Gelegenheit zur Anspielung auf das ebenfalls dreibändige Werk des Adressaten von c.l, Cornelius Nepos, bekam, warum nennt er dann in diesem notwendigerweise erst für seine eigene dreibändige Gesamtausgabe formulierten Gedicht sein eigenes Werk libellus anstatt entsprechend von drei libelli oder wenigstens lepidos nouos libellos... potitos im Plural zu sprechen (wie Horaz epist. 1,13,4 für seine Odenbücher, Plinius 1 praef.12 für seine 'Naturalis Historia' oder GOETHE mit seinen "vier zarten Bändchen")? Denn wenn der von der Forschung als Beleg für die Dreibändigkeit von Catulls Corpus herangezogene Bezug auf die dreibändige Weltgeschichte des Nepos (V.5-8) wirklich eine bewußte, sei es ironische, sei es aufrichtige Anspielung Catulls ist, muß das Gedicht auch speziell für das gesamte Corpus bzw. nach erfolgter Zusammenstellung oder zumindest der Planung der drei Teile geschrieben sein, als Catull bereits wußte, daß sein fertiges Werk nicht mehr einen, sondern ebenfalls genau drei libelli umfassen würde. Anderenfalls ist die Anspielung auf die drei Bände des Cornelius Zufall und kein Beleg mehr für die Dreiteilung von Catulls Corpus. Über die postulierte Dreibändigkeit von Catulls Werk ist es der Forschung folglich nur gelungen, die auch buchtechnisch-formalen Bedenken gegen einen über 2000 Verse enthaltenden Einzellibellus beiseite zu räumen, sie muß dafür aber Bedenken gegen eine als Einzel-libellus eingeleitete, tatsächlich aber drei libri oder durchaus auch noch libelli umfassende Edition in Kauf nehmen. Hier nun anzunehmen, c.l sei auch nur für das erste Büchlein c.1-60 gedacht, hilft ebenfalls nicht weiter. Wenn der erste libellus mit einem nur auf diesen bezogenen Widmungsgedicht eingeleitet ist, fehlt Entsprechendes zumindest für den zweiten und, wenn man die programmatische Funktion von c.65 ablehnt, auch für den dritten mit c.65 oder c.69 beginnenden Teil. Und das Problem mit dem Nepos-Bezug bleibt, derni welchen Sinn hätte ein vergleichender Hinweis auf Dreibändigkeit in einem Gedicht, das nicht die dreibändige Edition insgesamt, sondern nur einen EinzeUibellus einführt? Selbst wenn Catull mit c.l nur ein bereits vorhandenes Gedicht für seine Gesamtausgabe verwendet hätte, was im übrigen die Existenz einer dann damit ursprünglich eingeleiteten Publikation belegen würde, ist nicht zu verstehen, warum er diese nicht durch leichte Umformulierung - am Gedichtanfang z.B. durch den metrisch problemlos passenden Plural - oder Ergänzung an die geplante Edition angepaßt bzw. rasch zwei weitere Einleitungsgedichte für die anderen Sammlungsteile gefertigt hat. Die Lösungsversuche der Forschung haben somit die Formulierung von c.l höchstens entschuldigen, nicht aber wirklich erklären können und demonstrieren in erster Linie nur, daß ein von der Einheit der Sammlung überzeugter Interpret sich von seiner Überzeugung lediglich stecken. Interessant ist übrigens, wie die Forschung bei c.l auf jede Nuance achtet, nicht aber auch bei den nachfolgenden Gedichten! Zur Erklärung des nicht notwendigerweise "gattungsmäßige Mannigfaltigkeit", sondern nur mögliche qualitative Unterschiede bezeichnenden qualecumque V.9 vgl. z.B. COPPEL (1973) S.171 mit Hinweis auf Stat.Silv.2 Praef., Mart. 1,70,17f.

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durch eine problematische Formulierung ausgerechnet in einem als programmatisch zu wertenden Einleitungsgedicht nicht wird abbringen lassen. Bei unvoreingenommener Betrachtung sind jedoch die sich auf c.l gründenden Bedenken, wie sie vor allem die frühere Forschung, in neuerer Zeit PULBROOK und STROH und besonders entschieden HUBBARD äußern, trotz aller bisherigen Erklärungsversuche immer noch ein Problem, das zumindest eine gewisse Skepsis bezüglich der Authentizität des Corpus Catullianum als vom Autor in dieser Form stammenden Publikation rechtfertigt. (Läge hierin wie auch im folgenden nicht wirklich eine Schwierigkeit, wäre die Catull-Forschung wohl auch kaum schon seit so vielen Jahren mit der Untersuchung der Authentizität des Corpus beschäftigt.) Das zweite, auf Anhieb offensichtliche Problem ist der Charakter der Sammlung, und zwar deren Vielfalt, nicht eine im einzelnen scheinbar chaotische Ordnung. Wie oben zu Beginn der Einleitung wird in der Forschung auch sonst gerne mit den Gedichtbüchern anderer, besonders der Augusteer verglichen, um etwa zu belegen, daß ein Dichter seine Gedichte für eine Buchedition selbst und bewußt anordnet, daß er selbst und auch schon in jungen Jahren ediert.223 Man erkennt in der Anzahl der Gedichte eine Parallele zu den Augusteern mit ihrer Vorliebe für durch fünf teilbare Zahlenverhältnisse,224 ja sieht sogar in Horaz' erster Lyrik-Edition aus den drei Odenbüchern eine vergleichbare, vielleicht gar beeinflußte Ähnlichkeit zu den angenommenen drei Teilen/Buchrollen Catulls.225 Dafür daß ein Dichter ediert oder seine Gedichte selbst arrangiert, ist kein durch einen Vergleich zu gewinnender Beleg nötig; jede eigene Edition eines Dichters ist von ihm selbst in der gewünschten Weise arrangiert worden und sei es nur nach dem gröbsten Variationsprinzip. So ist der Vergleich mit den Gedichtbüchern anderer in Catulls Fail - gegen FERGUSON - viel wertvoller dazu zu nutzen, den eigenartigen Charakter und den Unterschied seines Corpus zu etwa den drei Horazischen Odenbüchern hervorzuheben. Denn vergleichbar wären diese nur dann, wenn sie ebenfalls Dichtungen unterschiedlicher Art, Länge und Gattung enthielten, also etwa eine gemeinsame Edition von carmina, Satiren und z.B. einem längeren Stück wie der 'Ars poetica' darstellten, genauso wie ja auch die Handschriften und unsere heutigen einbändigen Textausgaben den gesamten, vielfältigen Horaz enthalten. Das Corpus Catullianum wirkt folglich keinesfalls wie ein normaler Gedichtband eines Horaz, Tibull, Properz oder Ovid, sondern doch viel eher wie eine Gesamtoder Gedächtnisausgabe aller Werke eines Dichters, wie es sie natürlich auch in der Antike vielfach als spätere Zusammenstellungen gegeben hat. Auch z.B. alle drei sog. 'kleinen Schriften' des Tacitus sind in einer gemeinsamen Handschrift überliefert, obwohl es ursprünglich einzelne Werke, nicht Teile einer gemeinsamen Publikation waren. Diesen Sammelcharakter des 223 224 225

Vgl. z.B. schon FRIEDRICH (1908) S.72 oder z.B. PULBROOK (1984) S.74f. HUBBARD (1983) S.227 mit Anm.32 für den von ihm postulierten kleinen libellas. FERGUSON (1986) S.2.

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Catull-Corpus hat die Forschung natürlich gesehen,226 und wenn WISEMAN gegen entsprechende Bedenken einwendet, daß ebenso Catull selbst eine solche Sammelpublikation zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens hätte veranlassen können, und dafür sogar einen Anlaß und thematischen Schwerpunkt erwägt, der noch zu besprechen sein wird,227 hat er natürlich auf den ersten Blick - auch damit recht228 und kann überdies gut das Vorhandensein weiterer, anderweitig überlieferter Gedichte und Fragmente erklären, die eben zu dem Zeitpunkt noch nicht existierten (die aber genausogut auch einem späteren Sammler und Herausgeber entgangen sein können).229 Ein Beweis für einen postumen Redaktor als Urheber unseres Corpus ist der hier vorgetragene Vergleich also mit Sicherheit noch nicht. Aber er darf ebenfalls zur Skepsis anregen und muß vor allem zu einer anderen wesentlichen und sehr wahrscheinlichen Schlußfolgerung führen, die die Forschung wiederum längst erkannt, aber eigenartigerweise mit wenigen Ausnahmen (etwa v. BRUNÉR, SCHULZE, HERRMANN, GIARDINA, HUBBARD, PULBROOK, STROH) nicht konsequent weiterverfolgt, ja z.T. nicht einmal mehr beachtet (z.B. SYNDIKUS, FERGUSON, DEITMER) oder sogar direkt ausgeschlossen hat (z.B. E. A. SCHMIDT, MOST):230 Selbst wenn Catull sein uns überliefertes Corpus in der vorlie226

227

228 229

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Vgl. auch z.B. H. EMONDS, Zweite Auflage im Altertum, Leipzig 1941; S.19f. Anm.52 glaubt er, Catull wolle sich mit c.l entschuldigen, alle möglichen nugae veröffentlicht zu haben. Z.B. METTE (1956) S.35f. und SYNDIKUS (1984) S.59 vergleichen mit der ebenfalls nach genera geordneten antiken Kallimachos-Ausgabe unter Hinweis auf PFEIFFERS Edition (1953) Bd.2 p.XXXVff. Auch für PFEIFFER ist die von ihm angenommene Zusammenstellung aber nur eine zweite Auflage, "ipse ea in ordinem redacta iterum edidit". Wenn übrigens andererseits DELLA CORTE (1951) S.18f. bei Nachahmung einer Kallimacheischen Edition eine umgekehrte Abfolge carmina maiora, nugae, Epigramme erwartet und hierin gerade ein Argument gegen das Catull-Corpus sieht, so zeigt dies bestens, daß ein Vergleich mit Kallimachos nur auf subjektiven Empfindungen beruht und für die Authentizität von Catulls Sammlung nicht weiterhelfen kann. WISEMAN (1979) S.180 gegen WILKINSON (1974) S.85, GOOLD (1974) S.8f.; siehe u. S.311. Zwar berechtigt, aber nicht zwingend ist demgegenüber HUBBARDs Einwand (1983) S.219: "It is extremely unlikely that the poet would publish at the age of thirty a Gesamtausgabe of everything he had written (although it is entirely possible that a posthumous editor would do so)." Siehe aber u. S.300f. Zu solchen getrennt überlieferten Versen vgl. auch z.B. MINYARD (1988) S.351, E A . SCHMIDT (1985) S.32. E A . SCHMIDT (1979) S.228: "Wenn man nicht Catull selbst dafür [sc. die Edition des Corpus Catullianum] verantwortlich machen will, scheint es nach dem Ausschluß (im Sinne fehlender Bezeugung) von Einzelausgaben aller catullischen Gedichte, dem Fehlen also auch von ursprünglich durch Catull besorgten Einzelbüchern, nur noch die Möglichkeit zu geben, daß Catull überhaupt seine Gedichte nicht eigentlich publiziert hat [...]." (1985) S.16 spricht auch er allerdings von "Lesern einzeln kursierender Gedichte". Vgl. ferner die völlig unbelegte Behauptung schon von SÜSS (1876) S.2: "Wohl mochten einzelne Gedichte in Freundeskreise oder gar an die Oeffentlichkeit gelangen [...]; aber eine Veröffentlichung seiner sämmtlichen Gedichte lehnte der Dichter immer ab, so oft er darum gebeten werden mochte. Die erste vollständige Ausgabe sollte zugleich eine Ausgabe letzter Hand werden. Er starb [...] kurz nachdem er die Redaktion vollendet." MOST

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genden Form herausgegeben hat, kann dies unmöglich seine einzige und erste Edition von Gedichten gewesen sein, sondern muß für zumindest einige bereits eine sekundäre Wiederauflage bedeuten.231 Soll er zugesehen haben, wie seine Neoteriker-Kollegen ihre Gedichte verbreiteten, er selbst aber nur fleißig für eine später einmal geplante größere, ja übergroße Edition mit über 2000 Versen gearbeitet haben (vgl. den Spott über solches bei Martial 4,33 emittis guare... nihil? - edent heredes... mea carmina)?B2 So gesteht richtigerweise auch WISEMAN zu, einige Gedichte seien möglicherweise zuvor schon "grouped and published in smaller collections, for one of which poem 1 was originally written".233 Ebenfalls mit vorausgehenden Einzelbüchern oder auch einzeln umlaufenden, an Freunde gesandten (z.B. c.35, 65, 66, 68) oder wie Horaz' 'carmen saeculare' für einen ganz speziellen, wenn auch nicht so bedeutenden Anlaß gedichteten Stücken (c.61) rechnen z.B. WHEELER und COPPEL, der speziell für den 'Lesbia'-Zyklus die Übernahme aus einer Teilpublikation vermutet.234 WEINREICH nennt c.34, 42, 43, 49, 54, 61, 65f.,235 SKINNER stellt für c.54 mit direkter Anspielung auf C.29 "a context" fest, "which suggests that the latter piece was ¿ready well known",236 wie bereits WHEELER die Caesar-Gedichte als "probably issued

231 232

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235 236

(1981) S.llOf. "The issue has been further muddled by a frequent failure to distinguish between two kinds of questions [...]", die Suche nach "clear and coherent organizing principles" und die Frage, ob Gedichte ursprünglich ohne Berücksichtigung ihrer eventuell späteren gemeinsamen Publikation oder gar für die Sammlung geschrieben bzw. überarbeitet sind. "Methodological priority" gesteht er nur ersterer zu und fordert ein Ausgehen von strukturellen Untersuchungen. Dies trifft gewiß für die von ihm ausschließlich betrachteten carmina maiora zu - Spekulationen, ob bestimmte Gedichte als echte Privatepisteln nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind (vgl. COPPEL), sind in der Tat wenig fruchtbar. Für das Corpus Catulüanum als Ganzes aber ist sein Urteil zu pauschal. Gerade der von ihm vorgeschriebene Weg führte schließlich in jahrzehntelanger Forschung nur zur oben demonstrierten Vielfalt von divergierenden und damit unbefriedigenden Bauplänen bei gleichzeitiger, Strukturzwängen folgender Vernachlässigung der Interpretation der Gedichte selbst, obwohl letzteres der wirkliche Ausgangspunkt sein muß. Vgl. so z.B. auch COPPEL (1973) S.183. Vgl. schon v. BRUNÉR (1863) S.605. Z.B. schön und besonders eindringlich formuliert FRIEDRICH (1908) S.71: "Was nun die Herausgabe der Gedichte anlangt, so ist es von vornherein wahrscheinlich - das Gegenteil wäre gegen alle Natur! - daß Catull schon bei Lebzeiten ediert hat. Welcher Mensch, besonders welcher junge Mensch will nicht die Wirkung seiner Tätigkeit sehen!" Seine Begründung dafür, daß Catull mit der Edition von Gedichten "seine Angehörigen mit seinem langen Aufenthalt in Rom versöhnen muß, sich rechtfertigen muß", ist allerdings ohne jeden Anhaltspunkt und wie so viele von FRIEDRICHS Erklärungen als zu phantasievoll abzulehnen. Vgl. ansonsten z.B. COPPEL (1973) S.182 "Daß Catull nicht erst am Ende seines Lebens an eine Verbreitung von Gedichten gedacht hat, darf als sicher gelten". WISEMAN (1969) S.31. W H E E L E R (1934) S.22ff., COPPEL (1973) S.155 Anm.65, S.161f., 178, 182; vgl. ferner z.B. FRIEDRICH (1908) S.72ff., B. SCHMIDT (1914) S.280ff. WEINREICH (1960) S.163 oder z.B. schon BAEHRENS (1885) S.58. SKINNER (1981) S.94 Anm.14; vgl. auch GOOLD u. in Anm.565 oder schon RIESE (1884) ρ,ΧΧΧ, daß die Gedichte zuerst einzeln an ihre Adressaten gingen "und viele derselben von da aus in die Welt", SCHUSTER (1948) Sp.2365 "Da die Dichtungen C.s fast

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at first separately" bezeichnete.237 Auch für c.64 ist mit größter Wahrscheinlichkeit von einer vorausgegangenen Einzelpublikation in einem immerhin 408 Verse umfassenden libellus auszugehen, genauso wie ja auch die Neoteriker Cinna und Calvus ihre Epyllien 'Zmyrna' (vgl. auch Catull selbst c.95) und Ίο' als solche veröffentlicht haben werden.238 Entsprechendes mag sogar für das viel kürzere, nur 93 Verse lange Attis-Gedicht 63 gelten, für dessen separate (Buch-) Edition mit dem Zitat des Terentianus Maurus zum Galliambus vielleicht direkt ein antiker Beleg vorliegt.239 Daß Catull bereits vor der Edition des uns erhaltenen Corpus als Dichter hervorgetreten, bekannt und auch geschätzt war, zeigt darüber hinaus seine Formulierung c.l,3ff. namque tu solebas/ meas esse aliquidputare nugas/ iam tum..., auf die

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durchaus die Sprache des Erlebten sprechen, ist es klar, daß sie nach rascher Veröffentlichung riefen. Anfangs gelangten sie einzeln oder in kleinen, inhaltlich verbundenen Gruppen an gewisse Empfänger oder auch in weitere Kreise". WHEELER (1934) S.23. Vgl. in letzter Zeit z.B. CLAUSEN (1982) S.195, GAISSER (1993) S.6. E A . SCHMIDT (1979) S.226f., der bei den Grammatikern Zitate aus einem deutlich separaten EpyllienBuch vermißt und es folglich spätestens im 4. Jh. als Bestandteil einer Catull-Gesamtausgabe belegt glaubt, sieht jedoch hierin gerade einen Unterschied zwischen der Editionspraxis Catulls und der übrigen Neoteriker. COPPEL (1973) S.174ff. vergleicht zusätzlich C.61 mit anderen ebenfalls für einen aktuellen Anlaß geschaffenen Gedichten wie Ovids Hochzeitsgedicht auf Paullus Fabius Maximus, sein Trauergedicht auf Messala Corvinus oder Horaz' 'carmen saeculare', die nicht in publizierte Sammlungen aufgenommen worden seien. Ein Argument gegen die Authentizität des Catull-Corpus ist aber allein daraus mit Sicherheit nicht abzuleiten. \

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Terent.Maur.6,2899f. seruasse quae Catullum probat ipse tibi liber/ 'super alta uectus Attis ...'. Die auch schon z.B. von WHEELER (1934) S.10 angeführte Stelle ist z.B. von MINARD (1988) nicht beachtet, von E A . SCHMIDT (1979) S.227f. jedoch als einziger Beleg für eine Einzeledition zugelassen, aber bezweifelt. Wirklich eindeutig ist die Formulierung in der Tat nicht. Terentianus kann sich wohl auf ein eigenes, mit dem zitierten Beispielvers beginnendes und durch diesen Vers identifiziertes Buch beziehen, ähnlich wie ja auch sonst üblicherweise Bücher mit ihren ersten Worten bezeichnet werden (Beispiele dazu siehe u. Anm.797). Er kann aber auch nur eine Catull-Edition meinen, die c.63 enthält, ja evtl. die uns überlieferte scheinbare Gesamtausgabe, die er allgemeinverständlich nur als Catulli liber zu zitieren brauchte. Warum sollte er freilich in dem Fall für das Attis-Gedicht ausdrücklich eine Formulierung mit liber gewählt und dieses nicht einfach als carmen Catulls eingeführt haben? Wenn nur ein an später Stelle stehendes Gedicht unter vielen aus dem großen Catull-Buch gemeint ist, wäre dies mit lediglich probat liber ziemlich schlecht identifiziert. Wie die Untersuchungen der Forschung, vor allem E A . SCHMIDT (1979) und MINYARD (1988), deutlich machen, ist aus den sonstigen leider nur wenigen Fällen, wenn Catull von späteren Autoren zitiert wird, bislang kein absolut zwingendes Argument gegen seine Edition des Corpus zu gewinnen - daß aus Formulierungen wie Catullus Veronensis ... inter hendecasyllabos (Prisc.2,16,12ff.),... in hendecasyllabis (Sen.contr.7,4,7) kein Hendekasyllaben-, lamben- oder Epigrammbuch zu erschließen ist, hat E A . SCHMIDT (1979) S.221ff. überzeugend gegen GIARDINA gezeigt -, aber andererseits damit auch noch kein unbedingter Beleg dafür, daß sie von Catull selbst stammen muß. So ist derartiges, da nicht aussagekräftig, zur Bestimmung der Urheberschaft Catulls nicht heranziehbar - mit Ausnahme vom Martials Bezugnahme auf den 'Passer', die zusammen mit einer weiteren wesentlichen, bislang übersehenen Anspielung Martials noch genauer zu betrachten sein werden (siehe u. S.245 und 268f.).

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seit dem letzten Jahrhundert in der Forschung immer wieder hingewiesen wird.240 Und ähnlich postuliert schon FRIEDRICH wegen Catulls selbstbewußter herabsehender Haltung gegenüber "zeitgenössischen Dichterlingen", pessimi poetae wie Suffenus in c.14 und 22 (ergänzend zu nennen wären die 'beschissenen Annalen' des Volusius von c.36), einen diesen Gedichten vorausgehenden literarischen Erfolg und eine gewisse Stellung durch eigene Edition, nicht nur umlaufende Einzelgedichte und Rezitationen.241 Auch Catulls Selbstvergleich mit Cicero in c.49 (pessimus omnium poeta - optimus omnium patronus) wirkt nur, wenn er nicht wirklich ein ganz unbekannter, unbedeutender Dichter war, sondern bereits einen Namen als eben nicht pessimus poeta hatte. Obwohl also sogar die unerschütterlich von der Einheit und Authentizität des Corpus als Catulls eigener Edition überzeugten Forscher wie WISEMAN die Existenz früherer, kleinerer Einzelpublikationen zugeben, scheint die zumeist zu sehr auf das Corpus insgesamt fixierte Forschung diesen ziemlich gleichgültig gegenüberzustehen (vgl. z.B. SKINNERs Analyse von 1981) und nicht genau genug zwischen primärer und sekundärer Ausgabe zu differenzieren. Ansätze wie die von HERRMANN und der neuere von PULBROOK haben freilich zu Recht keine Beachtung gefunden, GLARDINAs Iambenoder Hendekasyllaben-Bücher hat E.A. SCHMIDT überzeugend widerlegt. Die hier soeben formulierte Erkenntnis berechtigt schließlich auf keinen Fall, die vorliegende Anordnung der Gedichte von vornherein abzulehnen, wie es in älterer, heute zumeist überwundener Forschung üblich war (vgl. z.B. FRÖHLICH, MERRILL, WHEELER), und sich etwa aus dem erhaltenen Corpus Catullianum beliebige eigene Gedichtbüchlein mit im einzelnen scheinbar inhaltsbezogener, letztlich aber willkürlicher (v. BRUNÉR, PULBROOK) oder nach einem angeblichen Zahlenprinzip erfolgter gewaltsamer (HERRMANN) Umstellung aller Gedichte zu basteln. Auszugehen ist auch weiterhin von der überlieferten Abfolge, da es doch in beiden Fällen, sei es bei Catull selbst als Herausgeber, sei es bei einem postumen Editor, viel wahrscheinlicher ist, daß bei der Zusammensetzung des Corpus vorliegende Strukturen möglichst übernommen und erhalten, allenfalls angepaßt 240

241

Vgl. z.B. v. BRUNÉR (1863) S.606f., SCHULZE (1881) S.205, RIESE (1884) ρΛΧΧ., Β. SCHMIDT (1914) S.277; vgl. ferner z.B. FORDYCE (21965), BARDON (21973) p.III, SYNDIKUS (1984) S.8, STROH (1990) S.141. Unbelegte - aber letztlich bestens zu dem hier S.271ff. ermittelten Ergebnis passende - Behauptung ist dagegen QUINNs Ablehnung (1973) S.387 "Catullus would be unlikely to speak the way he does if some of his nugae had already been published in volume form". Rein subjektiv und kein wirkliches Argument ist es z.B. auch, wenn FRIEDRICH (1908) S.73 meint, der "überaus bescheidene Ton" von c.l spreche für eine frühe Veröffentlichung und passe nicht für eine Edition, die auch carmina wie 49, 68 und 78b enthalte. Wenn er die nugae (c.1,4) als "erste Versuche der Jugendzeit" (S.71), "Jugendversuche" (S.73) deutet, so liest er zu viel aus dem üblichen, der Bescheidenheit dienenden Verkleinerungstopos, wie ihn auch z.B. Plinius für seine Hendekasyllaben (siehe u. Anm.542) verwendet, heraus. FRIEDRICH (1908) S.72.

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und ergänzt, aber nicht völlig aufgelöst und zerstört worden sind.242 Welchen Grund hätte denn ein fremder, von eigenen libelli Catulls ausgehender Herausgeber haben sollen, die von ihm herzustellende Gesamtausgabe völlig neu zu gestalten, anstatt urprüngliche Buchstrukturen weitestgehend zu bewahren und vorhandene Einheiten nacheinander zu setzen? Grund könnte höchstens der Wunsch nach einem klaren, geordneten Bauprinzip oder einer inhaltlich fortschreitenden Abfolge etwa eines Lesbia-Romanes sein, wie ihn z.B. PULBROOK für seinen libellus mit der Einordnung der entsprechenden epigrammatischen Gedichte unter die polymetrischen rekonstruiert, wie er aber in dem erhaltenen Corpus nun gerade nicht vorliegt. Welcher spätere Herausgeber hätte denn nicht viel lieber den von PULBROOK vermuteten 'Lesbia'-libellus als solchen belassen, anstatt daraus mühsam alle Epigramme wieder herauszuziehen und selbst zur erhaltenen Folge zu gruppieren?243 Auch für Catull als Gesamtredaktor wäre es unwahrscheinlich, daß er, wenn er früher einmal wirklich mit Bedacht und nicht nur zufällig auswählend Gedichte für ein kleines Büchlein zusammengestellt oder ja vielleicht sogar eigens dafür mit Bezügen aufeinander gedichtet hatte,244 eine solche sorgsame Ordnung dann später einfach zugunsten eines mehr oder weniger willkürlich wirkenden Variationsprinzips hätte aufgeben sollen. Zu erwarten (aber keinesfalls notwendig) wäre höchstens die Ergänzung bereits bestehender Einheiten durch weitere inzwischen entstandene carmina und wiederum eine einheitliche Anordnung etwa der Lesbia-Gedichte. Das Herausarbeiten von ursprünglichen Einzelbüchern aus dem erhaltenen Corpus muß folglich gar kein Argument gegen eine vom Autor nachträglich hergestellte Gesamtausgabe sein, wie es korrekt auch STROH betont,245 der sich im übrigen mit einer Einbeziehung nur von c.2-26, doch nicht des damit seine mögliche Funktion für die ganze Sammlung behaltenden Einleitungsgedichts c.l in seinen libellus sehr vorsichtig ausdrückt. Die Ablehnung bzw. eher Mißachtung der Ergebnisse von SCHULZE und HUBBARD durch die 'Einheitsforscher' ist nicht nur nicht nötig, sie ist im Gegenteil unverständlich, da gerade dies der Weg sein kann, die Struktur des überlangen, nur als sekundäre Edition zu betrachtenden Corpus insgesamt zu erklären: Wenn nämlich dort streckenweise die primäre, ursprüngliche Struktur früherer kleinerer libelli bewahrt ist, wenn bereits für andere Editionen bestgeordnete Einheiten gemeinsam mit vielleicht schon in diesen 242

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Vgl. ja auch z.B. COPPEL (1973) S.162 "Weitergehende Umdisponierungen aber wie etwa eine rein willkürliche Vermengung von /ibeWi-Inhalten anstelle bloßer Kontraktion braucht man wohl nicht in Erwägung zu ziehen". So aber PULBROOK (1984) S.79f. zum "rearrangement" als Arbeit eines "classifiers", wofür er auf seine Überlegungen zur ursprünglichen Folge von Ovids sog. Doppelbriefen in der 'Heroiden'-Sammlung hinweist (zwei Bücher mit epist. 16, 18, 20 und den Antworten 17, 19, 21; siehe o. Anm.9). Wegen der deutlichen Bezogenheit und Zusammengehörigkeit jeweils zweier Briefe sind diese jedoch nicht wirklich vergleichbar. Zu letzterem siehe u. S.271ff., 280ff. STROH (1990) S.141.

Das Editions-Problem (c.1-116)

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früheren Büchlein ausgesparten Gedichten zusammengefaßt sind, Gedichten ähnlichen oder auch ganz anderen Inhalts, erklärt dies das scheinbare "Chaos" und erklärt weiter, wieso etwa im polymetrischen Teil gerade 1-26 so gut geordnet erscheinen, nicht aber auch die restlichen c.27ff., wieso nicht für alle Gedichte ein einheitlicher Bauplan aufzufinden ist, wieso nicht alle Lesbia-Gedichte in einer schönen chronologischen Linie aufeinander folgen oder mit den verstreuten Veranius- und Fabullus-Gedichten 9, 12, 13 und dann erst 28, 47 nicht ein ebenso deutlicher Zyklus wie mit den eng beieinander stehenden Aurelius- und Furius-Gedichten gebildet ist. Auch die von den kritischen Bemerkungen dieses Kapitels enttäuschten, ja darüber vielleicht sogar verärgerten Anhänger eines in der überlieferten Form direkt von Catull stammenden Corpus mögen somit ruhig weiterlesen, zumindest bis zur Mitte des 4. Kapitels. Die hier angestellten Überlegungen zur Anordnung und der von der Forschung zusammengetragenen "evidence" sollen noch keineswegs ausschließen, daß Catull selbst die erhaltene Sammlung so zusammengestellt und z.B. mit einem rahmenden Bezug zwischen c.65 und 116 oder einer Ringstruktur für die großen Gedichte ediert hat. Es sollte zunächst lediglich - als Grundlage für die folgenden, die kleinen polymetrischen carmina betreffenden Überlegungen - gezeigt werden, daß eine gewisse Skepsis auch weiterhin angebracht ist und erlaubt sein muß, sowie vor allem, daß keine Zwänge bestehen, von vornherein nur auf Gesamtlösungen und Baupläne für alle oder die meisten Gedichte hinzuarbeiten, daß man vielmehr bei der Beurteilung des Corpus Catullianum frei sein kann, wirklich vom Wortlaut bestimmter, wesentlich und problematisch erscheinender carmina auszugehen, anstatt deren Probleme zu ignorieren oder mittels gesuchter Deutungen zu überspielen.

2.2. Das Prooemien-Problem (c.l4a) Si qui forte mearum ineptiarum lectores eritis manusque uestras non horrebitis admouere nobis < ... > (c.l4a)

Zusätzlich zu C.1 scheint mit dem seit GUARINUS und AVANTIUS246 und so auch in allen modernen Ausgaben als Gedichtfragment von den vorausgehenden Versen abgetrennten c.l4a (bzw. 14b) offenbar ein zweites Einleitungsgedicht überliefert, dessen einfache Einbeziehung in ein alle (z.B. WISEMAN, E.A. SCHMIDT, DEITMER) oder nur die carmina minora (z.B. CLAUSEN, SKINNER) oder auch nur die c.1-26 (STROH) umfassendes Gedichtbuch nicht unproblematisch ist. Auch wenn es angesichts des fragmentarischen Zustands von c.l4a natürlich äußerst schwierig ist, überhaupt irgendeine inhaltliche Aussage zu machen, ist es aus den immerhin drei erhaltenen Versen jedoch zumindest deutlich, daß sich Catull an seine Leser wendet und überraschenderweise in bezug auf seine eigenen Gedichte die Formulierung non horrebitis gewählt zu haben scheint. Das Gedicht hatte somit ohne Zweifel programmatischen Charakter und muß für eine Beurteilung und Untersuchung der Struktur einer Gedichtsammlung von wesentlicher Bedeutung sein. Die bloße Feststellung, daß es sich um ein überlieferungsgeschädigtes Fragment handle, "idle to conjecture its content or its purpose", wie sie sich z.B. bei FORDYCE findet,247 ist kaum ausreichend bei genauer Betrachtung des Wortlauts läßt sich m.E. sehr wohl ein deutlicher Anhaltspunkt gewinnen: Entscheidend ist nicht daß, sondern die Art, wie Catull seinen Leser anspricht, was allerdings zumeist nicht genügend beachtet wird, auch wenn Sinn und Stellung des kurzen, nur mehr aus drei Hendekasyllaben bestehenden Fragments natürlich schon lange diskutiert werden. Der Blick auf die bisherige Forschung zeigt freilich, daß im Laufe der Zeit die verschiedensten Theorien und Erklärungsversuche aufgekommen sind und sogar schon Ende des letzten Jahrhunderts z.T. bereits mit plausiblen Argumenten widerlegte Positionen auch in neuerer Zeit, den 70er und 80er Jahren, wiederkehren (z.B. bei COPPEL, STOESSL, MINYARD und jetzt auch NEWMAN 1990, DION 1993);248 ja noch 1988 wollte DETT246 247

248

Vgl. STOESSL (1977) S.89, GAISSER (1993) S.402. FORDYCE (21965) S.139; vgl. auch RIESE (1884) ρ,ΧΧΧΙΙ "Die Stellung von 14b aber hat [...] keine Bedeutung", HECK (1951) S.44 "Aus dem Fragment 14a ist für die Anordnung der Gedichte nichts zu gewinnen". Siehe die folgenden Anm.

Das Prooemien-Problem (c.l4a)

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MER die Möglichkeit einer Interpolation erwägen.249 Jeder Interpret, vor allem Vertreter der anschließend aufgelisteten Positionen 8 und 9, scheint im Gegenteil die fraglichen Verse in der für ihn gewünschten Weise auszuwerten - oder diese ganz zu übergehen (vgl. E.A. SCHMIDT 1973, 1979, 1985). Um die folgenden Überlegungen zu Catulls Gedichtsammlung nun nicht einfach mit der Nennung gewisser Autoritäten auf von anderen nicht akzeptierten Hypothesen aufzubauen, genügt es somit nicht, nur auf frühere Literatur zu verweisen. Nötig ist eine sorgfältige Besprechung des Fragments und der verschiedenen Meinungen - eine wirkliche Auseinandersetzung damit gibt in letzter Zeit ohnehin nur HUBBARD, 250 die jedoch ebenso wie seine Position z.B. von FERGUSON, DEITMER, STROH und DION bei der Erstellung ihrer eigenen neuen Modelle oder von NEWMAN bei seiner Interpretation überhaupt nicht beachtet wird. So seien zunächst die bisher vorgeschlagenen Deutungen zusammengetragen:

1.) 2.) 3.) 4.)

5.) 6.) 7.)

249

250

251

252 253 254

255

256

Von Catull selbst nicht vollendetes Gedichtfragment, Entwurf eines Prologs, ein "nichtvollendetes Konzept, das sich im Nachlaß fand";251 Teil eines später durch c.l ersetzten Prologs der Sammlung;252 Teil eines vor oder nach c.l zusätzlich bestimmten Vorworts; 253 zweiter (oder erster) Teil eines ursprünglich mit dem Fragment c.2a zusammengehörenden Gedichts und damit - evtl. auch in Verbindung mit c.2 - als c.2a + 14a oder c.l4a-t-2a tatsächliches Einleitungsgedicht neben einem außerhalb der Sammlung stehenden bloßen Widmungsgedicht c.l; 254 fragmentarischer oder mit Aposiopese endender Schluß von c. 14;255 erster Teil eines gemeinsamen Gedichts c.l4a+16,1.3-11 neben einem eigenständigen c.16,2.12-14 bzw. ein mit dem 1. Vers von c.16 zusammengehöriger "bawdy joke";256 überlieferungsgeschädigtes erstes Gedicht des korrespondierenden Paares c.l4a/16 mit

DETTMER (1988) S.377 Anm.16. Auch daß das Fragment "displaced" sein könnte, zieht sie in Betracht. Vgl. zusätzlich, aber ohne Berücksichtigung anderer Positionen und bisheriger Forschung NEWMAN (1990) S.307; MINYARD verweist (1988) S.350 Anm.21 auf einen unveröffentlichten Vortrag 'Catullan Odds and Ends (Poem 14)' und dessen Auszüge in den APhA Annual Meeting Abstracts 1982,8. STOESSL (1977) S.89; vgl. ferner z.B. RIESE (1884) und MERRILL (1893) ad loc., COPPEL (1973) S.165, 183 sowie sein Urteil S.144 "läßt nicht c.l4a auch noch als Fragment ziemlich sicher vermuten, daß es ein Stück eines für einen Buchanfang oder ein Buchende geschriebenen Gedichtes ist, mithin [...] auf jeden Fall an einem sinnlosen Platz steht". Z.B. KROLL (δ1980) S.33, LENCHANTIN DE GUBERNATIS (1964) S.35. Z.B. SCHWABE, zitiert nach RIESE (1884) ad loc. Z.B. SÜSS (1876) S.2f. mit älterer Literatur, BAEHRENS (1885) S.79ff., STRELLI (1907) S.5, FRIEDRICH (1908) S.82ff., R. HERZOG, Catulliana, Hermes 71 (1936), S.338-350, oder auch HERRMANN (1957) in seiner Ausgabe; nach HUBBARD (1983) S.232 Anm. 49 geht diese Theorie ursprünglich auf KLOTZ (1859) zurück. Z.B. DORNSEIFF (1936) S.347 und offenbar auch MINYARD (siehe o. Anm.250), NEWMAN (1990) S.307f. Vgl. FRÖHLICH (1843) S.704ff. bzw. HUBBARD (1983) S.232 Anm.49 mit Hinweis auf VOSS (1691) und DOERING (1834).

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8.) 9.) 10.)

'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch zwischenstehendem Trenngedicht c.15 ohne programmatische Funktion für einen speziellen Buchteil; 257 Überlieferungsgeschädigter Rest eines Epilogs für ein Buch mit polymetrischen Gedichten oder direkt für die Gedichtgruppe bzw. einen libellus c.1-14;25 Überlieferungsgeschädigter Rest (Gedichtanfang) eines Prologs für eine neue Sammlung (c.l5ff.); Überlieferungsgeschädigter Rest (Gedichtanfang) eines Binnenprogrammgedichts zur Ankündigung bzw. Entschuldigung für c.l5ff. 260

Sucht man nun auch nach Begründungen für die jeweiligen Theorien, so finden sich vielfach höchstens Behauptungen ohne jede Argumentation wie z.B. bei FRIEDRICH, der lediglich feststellt: "14b ist Einleitungsgedicht, und 2,11-13 gehört dazu."261 Ähnlich sicher und herrlich knapp, aber leider ebenfalls ohne allen Beleg räumt KROLL die Positionen Nr.9 und 10 beiseite: "[...] die Annahme, daß hier ursprünglich eine neue Sammlung begonnen hätte oder eine Änderung im Charakter der Gedichte eingetreten wäre, ist falsch".262 STOESSL erschließt einen Dichter, der sich "noch recht unsicher fühlt", und denkt für c.l4a an eine heute nicht mehr nachvollziehbare Gedichtsammlung, die in der "glücklichen Zeit der erfüllten Liebe" geplant war.263 Und wenn z.B. BIRT einen scherzhaften Bezug auf c.14,12 sehen will und das Gedicht mit vier Versen und in Anlehnung an die Formulierung des ersten Verses des folgenden c.15 passend zum Saturnalienkontext ergänzt, so ist das wiederum bloße Spekulation und aus dem überlieferten Text von c.14, 15 oder 14a kaum zu folgern.264 Bedenklich ist, zu welchen Ergebnissen die Verbindung der beiden gleichlangen Fragmente c.l4a und 2a führen 257

258

259

260

261 262 263 264

FRANK (1927) S.413f., (1928) S.97; vgl. ferner - zwar nicht mit Trenngedichten argumentierend, aber c.l4a ebenfalls mit c.16 als Vorbereitung des Themas in Verbindung bringend - NEWMAN (1990) S.170 "it indicates that a putative (separate) poem 14a does not begin a new section of the libellus". Wenn er dazu auf c.14,7 impii und c.16,5 pium poetarti verweist, so ist damit jedoch m.E. wie auch bei seiner Verbindung von c.14 und 14a über honibilem/horrebitis nicht beachtet, daß die ähnlichen Formulierungen nicht wirklich einander Entsprechendes bezeichnen. Z.B. SCHULZE (1881) S.208, ELLIS (21889) ad loc., DION (1993) S.138; für ν. BRUNER (1863) S.651 ist c.l4a Abschluß seines zweiten libellus, für BIRT (1882) S.410f. von c.1-60. Z.B. v. LEUTSCH (1876) S.695, WHITE (1974, u. Anm.596) S.57 Anm.70, HUBBARD (1983) S.231f., PULBROOK (1984) S.76. Z.B. RICHTER (1881) S.2f., 20f„ WISEMAN (1969) S.7, QUINN (1972) S.216, (21973) ad loc. (allerdings undeutlich formulierend "fragment of a second preface"), CLAUSEN (1976) S.39 Anm.8 (skeptisch), DELLA CORTE (1977) ad loc., SKINNER (1981) S.44, SYNDIKUS (1984) S.138f., MINAYRD (1988) S.351 Anm.21 als Alternative, STROH (1990) S.143. FRIEDRICH (1908) S.83. KROLL (61980) S.32. STOESSL (1977) S.89. BIRT (1904) S.466. Ebenfalls reine Phantasie ist RADKEs (u. Anm.592) Ergänzung von fünf Versen S.38f., soll aber in ihrem Fall auch nur eigene Dichtung und keine wissenschaftliche Rekonstruktion darstellen. Vgl. ferner GRANAROLOs an c.68,45f. anknüpfenden Versuch (1973/74) S.56 und den dort zusätzlich genannten von PIGHI.

Das Prooemien-Problem (c.l4a)

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kann. Denn SCHMID liest aus ihnen in dieser Reihenfolge durch Kombination von Anfangs- und Endbuchstaben der Versanfänge und -enden eine ganz neue, weit über die offensichtlichen Aussagen hinausgehende gemeinsame Botschaft heraus:265 Silenorum asistam epulis umquam ('Werde ich je beim Mahl der Silene aufwarten?') als Frage eines auf seinen leiblichen Tod eingestellten Mysten. Doch nicht genug damit; da das Gedicht ja nicht in dieser Form überliefert ist, nimmt SCHMID zusätzlich an, daß Catull selbst die symmetrischen Hälften voneinander getrennt und die vordere nach hinten versetzt habe. Derartiges kann man nicht mehr diskutieren, nicht widerlegen, nur staunend zur Kenntnis nehmen. Wenn schon ein tieferer, weiterer, aber ohnehin reichlich fragwürdiger Sinn in seinem Kombinationsgedicht stecken sollte, warum hätte Catull dieses dann überhaupt trennen und damit die Auffindung der versteckten Aussage unnötig erschweren sollen? Warum hätte er auch ausgerechnet den ersten Teil nach hinten versetzen sollen? Und warum ausgerechnet zwischen c.14 und 15? Selbst wenn man Catull noch so große neoterische oder kallimacheische Feinheiten unterstellen wollte, geht das doch wohl zu weit! Auch Position Nr.l, die Annahme eines von Catull selbst nicht fertiggestellten Fragments (vgl. so noch 1977 STOESSL), ist mit ziemlicher Sicherheit abzulehnen. Welcher Editor hätte denn das unfertige Bruchstück an diese Stelle der Sammlung gesetzt und nicht vielmehr an deren Ende aufgeführt,266 d.h. nach c.60 bzw. unter den letzten Polymetra c.52ff., die in der Forschung ja ebenfalls z.T. als unvollendet und nur skizzenhaft gelten?267 Daß es absichtlich nach dem ersten auf Bücher Bezug nehmenden Gedicht eingeschoben worden sei,268 ist, da im Corpus Catullianum die Gedichte auch sonst nicht von einem ordnenden Redaktor nach solchen inhaltlichen Ähnlichkeiten zusammengefaßt sind (vgl. z.B. die Stellung von c.36), kaum eine überzeugende Erklärung, zumal angesichts der wenigen - anders als bei den umfangreicheren c.52ff. - noch nicht einmal einen ganzen Satz bildenden Verse des fraglichen Fragments. So ist es auch nicht glaubhaft, daß Catull ausgerechnet diese tatsächlich als unvollendet bewahrt und selbst an ihrer überlieferten oder an anderer Stelle in sein Corpus aufgenommen haben sollte oder sie gar von einem späteren Bearbeiter interpoliert sind (vgl. so aber noch 1988 DEITMER), sind in ihnen schließlich keineswegs besondere Gedanken oder besonders gelungene Formulierungen enthalten.269 Bruch265 266

267 268 269

SCHMID (1974) S.291f. Genauso bereits FORDYCE (21965) ad loc. und z.B. HUBBARD (1983) S.231 Anm.46 "It is absolutely unbelievable that any editor would insert such a fragment at random in the middle of the collection", SYNDIKUS (1984) S.57 Anm.15. Siehe o. Anm.55. So STOESSL (1977) S.89. Daß nachträglich ein fremdes Gedicht eingeschoben und ausgerechnet der größte Teil dieses Gedichts überlieferungsbedingt auch wieder verloren gegangen sein sollte, wäre schon ein großer Zufall, ebenso wie bei DETTMERs Überlegungen zu den ausgefallenen c.18 und 19 an genau der Stelle, an der der ihre Baupläne noch nicht kennende MURETUS seine drei zusätzlichen Gedichte aufgenommen hat (siehe o. S.45).

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

stückhafte Skizzen zu den Gedichten wird es unzählige gegeben haben, die ja sonst auch nicht in der Sammlung der fertigen Gedichte erscheinen. Ähnliche Bedenken sprechen gegen eine später erfolgte Verschiebung (vgl. wiederum so noch 1988 DEITMER) 270 eines ursprünglich etwa am Beginn der uns vorliegenden Catull-Sammlung stehenden c.l4a (Positionen Nr. 2, 3 und 4). Wie HUBBARD betont, ist es bei solchen Deutungen schwer, die gegenwärtige Stellung des Fragments zu erklären.271 Aus dieser direkt ein Argument gegen eine nachträgliche Versetzung der fraglichen Verse und zugleich deren Prooemiencharakter zu gewinnen sucht im übrigen FRANK (Position Nr.7), der c.15 als Trenngedicht für die beiden apologetischen carmina 14a und 16 als "one of the numerous pairs" auffaßt und so die gleiche Struktur zu finden glaubt wie noch mehrfach im Catull-Corpus.272 Seine Argumentation ist jedoch abzulehnen, da zum einen nicht beachtet ist, daß c.15 nicht eines der zur Variation eingeschobenen und damit zur Trennung dienenden Gedichte ist (wie z.B. c.2a, 4, 6), sondern zusammen mit 16, 21, 23, 24, 26 die Hauptaussage dieses Zyklus enthält. Zum anderen ist das System der Trennung zweier jeweils inhaltlich verwandter Gedichte wie die auf den Spatzen oder die Küsse durch ein Gedicht im selben Versmaß, aber anderen Inhalts in diesem Zyklus aufgegeben.273 Ein wirkliches Argument gegen eine Umstellung ist freilich gar nicht nötig. Zunächst ist schließlich ohnehin immer von der überlieferten Abfolge auszugehen und eine Verschiebung mit eventueller Vereinigung mit dem ebenfalls fragmentarischen c.2a ein weit schwerer wiegender Texteingriff als die Annahme eines bloßen Versausfalls und nur dann zu rechtfertigen, wenn sich auch inhaltliche Bedenken gegen die überlieferte Position der betreffenden Textpassage finden ließen, so z.B. wenn c.l4a mit der Formulierung horrebitis den sog. 'Lesbia'Zyklus mit den feinen Gedichten einleiten würde, wie es jedoch nicht der Fall ist; es ist im Gegenteil ein besonders guter Anschluß an die folgenden Gedichte denkbar. Nur deshalb, weil c.l4a auch an anderer Stelle passen könnte oder auch z.B. bei Martial mit c.1,1 und 2 zwei Einleitungsgedichte nacheinander am Buchanfang stehen, ist eine Versetzung noch keinesfalls angebracht, solange nicht nachgewiesen ist, daß Martial dies tatsächlich so von Catull übernommen hat. Das aber ist aus dessen Versen gewiß nicht zu erschließen. Trotz des scheinbar passenden sprachlichen Bezuges c.14,12 honibilem ... libellum und c,14a,3 non horrebitis kann allerdings die Vermutung ebenfalls nicht überzeugen, c.l4a könnte der fragmentarische Abschluß des vorausgehenden c.14 sein (Position Nr.5). Zusätzlich zu den gleich gegen die ähnliche Position Nr.8 (und ihren Bezug der drei Verse nicht nur auf c.14, sondern auf alle davor überlieferten c.1-14) vorzubringenden Bedenken hat 270 271 272 273

Siehe o. S.82f. mit Anm.249. HUBBARD (1983) S.232. FRANK (1927) S.413Í., (1928) S.97. Dazu genauer siehe u. S.225ff., 281ff. und auch schon o. S.49f.

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z.B. HUBBARD mit Recht einzuwenden, daß "a final self-deprecation" genau das wäre, "what is not wanted in C.14, as it would seriously undercut the satirical force of the critique made there".274 Störend ist überdies der dann sogar dreimalige Wechsel in der Anrede erst an Calvus und an die pessimi poetae und plötzlich auch noch allgemein an Catulls Leser, der für das zunächst so persönlich beginnende Gedicht auch nicht etwa mit einem Hinweis auf den Adressatenwechsel in c.28 auf im selben Gedicht immerhin präsente Personen zu belegen wäre. Hier gar mit Aposiopese auf die angeredeten pessimi poetae als zukünftige Leser Catulls zu beziehen (so DORNSEIFF, auf den noch 1988 MINYARD verweist; vgl. auch NEWMAN 1990),275 hilft nicht weiter; nicht einzusehen ist, warum sich Catull in seinem Calvus-Gedicht, in dem es gerade nicht um diesen als möglichen Empfänger eines Catull-Buches geht, ja überhaupt nicht um seine eigene Dichtung, später mit möglichen eigenen Lesern auseinandergesetzt haben sollte. Und warum hätte er ausgerechnet die Produzenten von schlechter Literatur als Leser seines Buches erwarten und besonders ansprechen sollen, anstatt vielmehr auf deren niveauloses Zielpublikum als ungeeignet für seine carmina loszugehen? Die Annahme einer solchen Aposiopese ist also erst recht abzulehnen, sei es nun in Zusammenhang mit c.14 oder c.15 und 16 (Positionen Nr.5 und 6) - es findet sich in Catulls Werk ohnehin nichts Vergleichbares. Auch ist mit c.15 gezielt Aurelius angeredet, mit c.l4a aber sind im Plural die nur eventuellen, ganz unbestimmt bezeichneten Leser angesprochen. Eine Kombination schiene hier nur sinnvoll, wenn Catull sich mit c.15 ebenfalls nach einer anfänglichen Warnung vor horror zunächst direkt diesen Lesern empfehlen (vgl. dagegen V.lf. commendo tibi me ac meos amores/ Aureli) oder wenn c.15 einen Bezug auf sein Büchlein enthalten würde (vgl. z.B. Mart. 1,52, Iff. commendo tibi, Quintilione, nostros - nostros... libellos). Bei einer Verbindung mit c.16 gelten die bereits vorgebrachten Einwände gegen eine Verschiebung der Verse von c.l4a an die gegenwärtige Stelle vor c.15. Am nächstliegenden, da auch buchtechnisch am einfachsten zu verstehen und offensichtlich im Catull-Corpus eben nicht ohne Parallele (vgl. c.2a, c.78a),276 bleibt somit die Annahme, daß es sich um den Rest eines ursprünglich selbständigen Gedichts handelt (Positionen Nr.8, 9 und 10) - ob nun direkt um den Anfang oder etwa nur ein paar Mittelverse ist für die Be274 275

276

HUBBARD (1983) S.231 Anm.46. NEWMANs Argument (1990) S.308, daß Catull oft seine Anfänge - "in this case the beginning of a section" - in seinen "conclusions" wiederaufnehme, ist nicht ausreichend; siehe im Gegenteil u. Anm.738 zu den verschiedenen Formen von horror c.14 und 14a. Seine zusätzliche strukturelle Beobachtung, daß bei einer solchen Kombination beider carmina Catulls Name in V.13 genau in der Mitte bzw. am Ende der ersten Hälfte des dann 26 Verse umfassenden Gedichts steht wie in V.7 bei den 14 Versen von c.13, ist nicht durch weitere Parallelen als übliche Technik des Dichters zu belegen (c.13 ist der einzige Fall!), anders als etwa die Rahmung durch identische Verse am Anfang und Ende wie in c.16 inhaltlich ohnehin nicht signifikant und folglich keinesfalls genug, um die ansonsten festzustellenden Probleme tolerierbar zu machen. So zu Recht EISENHUT (1965) S.301ff.; siehe auch u. S.229ff. zu c.2a.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

urteilung von untergeordneter Bedeutung. Wahrscheinlich wird es sich jedoch um einen Gedichtanfang handeln, da der überlieferte Zustand am leichtesten durch einen Versausfall nach V.3 zu erklären ist. Und am einfachsten ist es wohl auch, wenn man einen rein mechanischen Verlust annimmt. Denn gegen SYNDIKUS' Vermutung, ein späterer prüder Abschreiber habe die evtl. die folgenden Obszönitäten erläuternden und damit rechtfertigenden Verse absichtlich gestrichen,277 ist einzuwenden, daß ein solcher Herausgeber dann doch wohl auch die obszönen Gedichte selbst wie c.15, 16 und 21 herausgenommen oder zusammengestrichen und auch wohl c,14a gänzlich entfernt hätte anstatt drei zusammenhanglose und noch nicht einmal einen vollständigen Satz bildende Verse stehen zu lassen.278 Gegen die Position Nr.8, die besonders in älteren Arbeiten vorgeschlagene, aber sogar 1993 noch von DION vertretene Deutung als Abschluß einer Sammlung der ersten 14 Gedichte (sei es nun als Teil eines größeren Gedichtbuches oder als eigenständige Publikation),279 spricht, wie bereits z.B. von MAGNUS und BIRT eingewendet, daß auf den Charakter der vorausgehenden Sammlung mit non horrebitis keineswegs geeignet anzuspielen wäre (BIRT sieht darin eine "unangemessene und alberne Übertreibung")280. Die Gedichte 1-14 sind ja im Gegenteil, wie auch in der Forschung immer wieder betont wird,281 inhaltlich vom Feinsten, was Catull zu bieten hat, und damit keineswegs /îorror-erzeugend (auch die Erwähnung eines scortum/ scortillum in c.6 und 10 oder die an Männern unersättliche puella von c.ll nicht)282 wie manches andere seiner Gedichte (bes. c.l5ff.) und auch in technischer Hinsicht vollkommen (vgl. z.B. die reinen Jamben von c.4 oder die Sapphiker von c.ll neben den mit fast immer spondeischer äolischer Basis streng und rein gehaltenen Hendekasyllaben). Eine tiefstapelnde, die eigene Leistung vor seinen Lesern herunterspielende Aussage ist in der Tat bezüglich c.1-14 unangemessen und, wie c.14 zeigt, auch wohl nicht beabsichtigt. Denn gerade diesen Weg hat Catull dort nicht gewählt, wo er leicht auf das von Calvus geschenkte Schundbuch mit seinem eigenen Gedichtband hätte reagieren können. Statt dessen droht er jedoch an, die Bücher von anderen, von pessimi poetae, als Revanche zusammenzukaufen, stellt sich also keineswegs selbst mit denen auf eine Stufe. Daß dies aber dann mit c.l4a geschehen sein sollte (vgl. c.14,12 honibilem libellum - c.l4a,3 non horrebitis),283 277 278

279 280 281 282

283

SYNDIKUS (1984) S.139. Das frg.l4a ist SYNDIKUS' Beispiel c.61 nicht vergleichbar, da dieses trotz des Verlusts von Versen immer noch ein eigenständiges Gedicht darstellt. Vgl. im übrigen auch DETTMERs "two-to-one correspondence" c.l - c.14,14a (o. S.46). BIRT (1904) S.466; zu MAGNUS vgl. SCHULZEs Verteidigung u. in Anm.282. Siehe u. Anm.306. So aber SCHULZE (1885) S.859, daß "auf den ausdruck non horrebitis kaum besonderes gewicht zu legen" ist und "die worte [...] in scherzhafter übertreibung vom dichter gebraucht zu sein" scheinen, "vielleicht auch befürchtete er, dasz zartere seelen an etwas derberen stellen wie c.6,4-14,10,11,17-20 anstosz nehmen könnten". Für eine Diskussion der möglichen Formen des Abscheus vgl. z.B. FRIEDRICH (1908) S.83, der mit Ovid- und Martial-Beispielen (allerdings nur für fastidire) horrebitis aus c.l4a

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wäre nach c.14 eigenartig284 und ist ohnehin für eine Rückschau auf sein Buch bzw. den vorausgegangenen Sammlungsteil wegen der Ankündigung im Futur weniger wahrscheinlich285 (vgl. bes. non horrebitis admouere statt einer zurückblickenden Perfektform), zumal dies nicht die einzige Bezugsmöglichkeit darstellt, gibt es doch c.l5ff. mit tatsächlich Äorror-erzeugenden Obszönitäten. Es paßt schließlich auch nicht zur eigenen, doch eher selbstbewußten Sicht seines Büchleins in der einleitenden Formulierung von c.l (V.10 plus uno maneat perenne saeclo). Während somit ein Rückbezug der programmatischen Aussage wohl eher abzulehnen ist, scheint demgegenüber wegen non horrebitis ein Bezug auf Folgendes, und zwar speziell auf die anschließend überlieferten c.l5ff. und zumindest den wahrlich oft garstig formulierten 'Aurelius- und Furius'-Zyklus auch inhaltlich durchaus möglich, ja sogar gut passend, wie schließlich zu Recht auch die meisten heutigen Forscher vermuten.286 Strittig ist dabei nur die Frage, ob es sich um ein Binnenprogrammgedicht (Position Nr.9) oder ein selbständiges Einleitungsgedicht für eine neue Edition (Nr.10) handelt.287 Wenn WISEMAN und sich ihm anschließend SYNDIKUS letzteres damit ablehnen, daß die Formulierung non honebitis für die Einleitung eines neuen Buches zu stark sei,288 ist dies kein wirkliches Argument, sondern lediglich subjektive Empfindung. Warum hätte denn Catull ein Gedichtbuch nicht auf diese Weise beginnen, ja vielleicht gerade damit den Leser neugierig machen und zum Lesen animieren sollen? Wenn andererseits z.B. HUBBARD die Stellung als Binnenprogrammgedicht damit ablehnt, daß eine derartige direkte Hinwendung an die lectores innerhalb einer Sammlung ohne Parallele bei anderen Dichtern und auch nicht mit Zwischenbemer-

284 285 286

288

nicht als Ausdruck des "sittlichen Abscheus", sondern als "aesthetische Geringschätzung" wie beim Uber honibilis von c.14 deuten will. Daß auch ineptiae (c.l4a,l) die vorausgehenden 14 Gedichte und nicht die folgenden meinen könne, da Catull das Wort vorzugsweise für "Liebeshändel" und "Liebesgedichte" verwende (c.6,13, 8,1) ist nicht überzeugend. Zur allgemeinen Verwendung von ineptiae siehe u. Anm.542. Auch hier gelten die Argumente HUBBARDs (siehe o. Anm.274). Vgl. genauso wiederum bereits HUBBARD (1983) S.232. Vgl. vor allem WISEMAN (1969) S.7ff. "[...] part of a warning to the reader that poems of an avowedly homosexual nature follow", SKINNER (1981) S.44 "beginning of a mock apology for the crudities contained in the following pieces" sowie HUBBARD, PULBROOK, STROH (o. Anm.259f.). Versuche über eine solche eher allgemeine Deutung von c,14a mit der auffälligen Formulierung horrebitis hinaus eine noch speziellere Beziehung zu den folgenden Gedichten herzustellen, gehen allerdings m.E. zu weit. Gegen WISEMANs neue Erklärung (1985) S.13 mit Anm.44 ("I assume that what they are expected to be shocked at is the citizen - and aristocratic - status of Juventius") vgl. die Überlegungen der folgenden Kapitel; gegen FORSYTHs Deutung der ineptiae als programmatische Ankündigung der Darstellung 'törichten Verhaltens' (1989) siehe u. Anm.542. Nicht korrekt und nicht der tatsächlichen Formulierung von c.l4a entsprechend äußert sich ferner QUINN (1972) S.216 "[...] when he was immodest enough to reckon with the possibility that they might survive". Ob das Gedicht darüber hinaus nun nur c. 15-26 oder gar alle restüchen Polymetra betrifft (so m.E. nicht korrekt HUBBARD und PULBROOK), wird S.154ff. zu besprechen sein. SYNDIKUS (1984) S.138f.

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kungen, "interior dedication", bei Martial zu vergleichen sei, so kann dies ebenfalls noch nicht überzeugen.289 Schließlich war Catull völlig frei in der Anlage seiner Sammlung und konnte doch wohl nach Belieben einzelne Gedichte einstreuen, die sich an seine Leser wenden und den Charakter seines Buches bzw. dessen einzelner Teile erklären. Daß dies sonst ohne Parallele ist, ist folglich kein ausreichendes Argument, zumal angesichts unserer insgesamt spärlichen Überlieferung antiker Gedichtbücher. Eigenartig ist jedoch, daß Catull dann nicht die ganze Sammlung mit weiteren der Leserlenkung dienenden programmatischen Aussagen durchstrukturiert hat, z.B. nach dem drastischen Zyklus c,15ff. deutlich Entwarnung gibt, oder die größeren Gedichte oder die Zusammenstellung der epigrammatischen carmina 69ff. durch ein entsprechendes Einleitungsgedicht erklärt hat und in seiner ganzen Sammlung von über 100 Gedichten oder nach DEITMER neun Zyklen nur ein einziges Mal und ausgerechnet mit c.l4a und damit ziemlich am Anfang und auch nur beim zweiten Zyklus eingegriffen haben soll, so daß das Corpus diesbezüglich für den unvoreingenommenen Leser in zwei schon äußerlich vollkommen ungleiche Teile zerfällt (c.1-14 und 14a-116).290 Und von denen enthält der zweite auch keineswegs, passend zur Ankündigung, ausschließlich 'Garstiges', sondern beispielsweise mit c.31, 34, 44, 46, 48, 50, 51 den ersten Gedichten vergleichbare 'schön-zarte' carmina und von c.61 an größere, z.T. sehr lange Dichtungen einschließlich eines Epyllions. Letzterer Einwand scheint somit eher für eine kleinere Sammlung, wie sie z.B. STROH vorschlägt, zu sprechen und ist ein immerhin beachtenswertes Argument gegen eine von Catull selbst wirklich durchgestaltete Gesamtausgabe - kein Wunder also, daß DEITMER c.l4a in ihrem neuen Schema von 1988 einfach unterschlagen hat, MINYARD ebenfalls 1988 an die alte Aposiopese-Deutung erinnert, auch NEWMAN 1990 c.14 und 14a kombinieren will und z.B. E.A. SCHMIDT 1973, 1979, 1985 und OFFERMANN 1977 das Fragment überhaupt nicht erwähnen.291 Auffallen mag ferner, daß hier mit der 2. Person Plural plötzlich ein beliebiger Leser angesprochen ist, während das eigentliche Einleitungsgedicht 289

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HUBBARD (1983) S.233; vgl. auch CLAUSEN (1976) S.39 Anm.8 "It can hardly be an 'interior dedication' of the sort found in Martial [...]", COPPEL (1973) S.165 "Ein Prooemium an den Leser hätte am Anfang oder Ende eines Buches zu stehen, nicht aber im Buchinneren". Weitere Einleitungsgedichte mit einer offensichtlichen Hinwendung an seine Leser existieren in Catulls Corpus nicht. Zur programmatischen Funktion von c.65, das jedoch primär nur Einführung und Ankündigung für die unmittelbar folgende Kallimachos-Ubersetzung ist, siehe u. S.308ff. Gegen die beliebte Interpretation von c.27 als weiteres Programmgedicht (ohnehin ohne Hinwendung an den Leser!) siehe u. S.304ff. Ansonsten läßt sich evtl. höchstens c.50 an Calvus mit c.51 als c.65/66 vergleichbares Paar verbinden; angesprochen sind die Leser allgemein noch c.68,41ff., doch dort eindeutig nicht wie in einem Einleitungsgedicht, sondern nur auf den Inhalt von c.68 und den zu preisenden Freundschaftsdienst des Allius bezogen (V.45f. dicam uobis, uosporro dicite multis...). E A . SCHMIDT (1973) S.225 zählt es nur neben c.12-14 als viertes der die beiden Zyklen trennenden Gedichte.

Das Prooemien-Problem (c.l4a)

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c.l auf einen ganz konkreten Leser, den Cornelius, als Bezugsperson Catulls hinwies. Auch dies ist jedoch noch nicht unbedingt ein Hinderungsgrund für eine Erklärung als Binnenprooem, schließlich läßt sich das Cornelius-Gedicht als bloße Widmung deuten und steht offensichtlich auch außerhalb der folgenden Sammlung.292 Darüber hinaus hat die Forschung längst auf Parallelen z.B. bei Martial aufmerksam gemacht, der ebenfalls allgemein seine Leser anspricht, sein Buch aber anfangs einer ganz konkreten Einzelperson gewidmet hat.293 Abgesehen von der auffälligen Singularität eines Gedichts dieser Art innerhalb unseres Corpus ist somit, wie eingangs bereits angedeutet, nicht die Tatsache, daß Catull hier mit c.l4a seine Leser anspricht, für die Beurteilung entscheidend - dies läßt sich in der Tat von den Vertretern beider Positionen Nr.9 oder 10 in gleicher Weise für ein Binnenprogrammgedicht oder ein neues Einleitungsgedicht auswerten -, entscheidend (und hier ist HUBBARDs Argumentation noch ein wenig zu präzisieren) ist die Art, wie dies geschieht. Denn bei der überlieferten Formulierung wirkt es sehr wohl eigenartig, wenn etwas so Angelegtes nun plötzlich in der Mitte eines Gedichtbuches als Binnenprogrammgedicht erscheinen soll und nicht etwa ganz am Anfang ("quite appropriate at the beginning or end"),294 wie es auch die offensichtlich übliche, in den Kommentaren z.B. von KROLL, ELLIS und FORDYCE ja immer wieder für Martial, den Catull-Benutzer, angeführte Verwendung solcher Formulierungen nahelegt: Mart.2,1,7 si cui forte legeris und - allerdings nicht voll parallel, aber nach NEWMAN auf Catull zurückzuführen295 - 11,1,13 sunt illic duo tresue, qui reuoluant nostrarum tineas ineptiarum jeweils in den Einleitungsgedichten der entsprechenden Bücher; vgl. auch z.B. in der Praefatio zu Frontins 'Strategemata' si qui erunt, quibus uolumina haec cordi sint... Innerhalb seines libellus wären die bei Catull in ähnlicher Weise angeredeten qui forte lectores im Gegensatz dazu nicht mehr diejenigen, die vielleicht jetzt zu Lesern würden, dieses neue Buch in die Hand nähmen, sondern hätten bereits 14 Gedichte bzw. nach STROHs Modell sogar fast zwei Drittel der Sammlung hinter sich gebracht. Störend ist allerdings nicht nur das Futur in der ganzen Satzperiode oder deren kondizionaler Charakter, wie HUBBARD hervorhebt. Man mag schließlich einwenden, daß Catull auch nur allgemein an zukünftige Leser denken konnte, wie es z.B. Ovid im letzten Gedicht des dritten Tristien-Buches vorsichtig formuliert (14,25ff. 292 293

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Dazu genauer siehe u. S.229, 239. Vgl. z.B. schon FRIEDRICH (1908) S.82 mit Hinweis auf Mart.3,1 an die Leser und 3,2 an Faustinus, 5,1 an Domitian und 5,2 an die Leser, ELLIS (21889) S.2 mit einem VarroBeispiel, daß Teile desselben Werks auch verschiedenen Personen gewidmet werden konnten; S.4 vergleicht er für ein Buch c.l-14a mit Horaz' erstem Epistel-Buch und dessen erstem an Maecenas, dessen letztem allgemein an die Öffentlichkeit gerichteten Brief. Vgl. hierzu vor allem HUBBARD (1983) S.231ff., der c,14a als "one of the strongest arguments" für seine Theorie sieht. NEWMAN (1990) S.159.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

quod, quicumque leget, si quis leget, aestimet ante, compositum quo sit tempore quoque loco). Zwischen derartigen Überlegungen wie bei Ovid sogar noch am Ende eines Gedichtbuches und Catulls Wendung an seinen eventuellen Leser besteht jedoch der wesentliche Unterschied, daß Ovid tatsächlich nur allgemein und ohne direkte Hinwendung über mögliche Rezipienten nachdenkt, Catull dagegen seine potentiellen Leser mit c.l4a wirklich angesprochen hat.296 Störend ist also statt vergleichbar unbestimmtem si qui forte erunt die Form der Anrede Catulls an seine Leser direkt sowohl als zukünftige (eritis) wie auch als nur potentielle (qui forte in doppelter Abschwächung), was beides in einem Binnenprogrammgedicht nicht mehr der Fall ist und in der Tat eher für ein echtes Einleitungsgedicht spricht. Und auch die weitere Formulierung manusque uestras ... admouere nobis kann inmitten eines Gedichtbuches eigenartig wirken - Catulls Leser haben das Buch ja bereits in den Händen, brauchen sich angesichts non horrebitis nicht erst zu überwinden und stehen gar nicht mehr vor der Entscheidung, 'Hand anzulegen'297 -, paßt jedoch gut zur Bezeichnung des ersten Zugriffs in einem wirklichen ersten Prooem. Für ein Binnenprogrammgedicht wäre eher eine Aufforderung oder Warnung weiterzulesen zu erwarten (vgl. z.B. Mart.3,68 und 86) oder statt Catulls einfachem Futur horrebitis admouere eine Bezugnahme darauf, daß der Leser das Buch bereits ergriffen hat oder haben müßte, wie z.B. Martial 10,64 contigeris... meos si... libelles im Futur II formuliert.298 Wenn nun aber c.l4a nach WISEMAN, SKINNER, STROH u.a. seine eindeutige Funktion als Binnenprogrammgedicht hätte, müßte es auch von Catull für diesen Zweck und diese Position in der Sammlung gedichtet sein und kann vorher keine selbständige oder andere Existenz gehabt haben.299 In diesem Fall ist allerdings nicht einzusehen, warum Catull dann die Hinwendung an seinen Leser in dieser Weise wie für eine wirkliche erste Einleitung am Buchanfang hätte formuliert haben sollen. Wenn jedoch c.l4a evtl. nur 296

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Ovid kann folglich in bezug auf einen beliebigen Leser durchaus auch noch im Epilog als Ausdruck der Bescheidenheit Futur gebrauchen und damit in Frage stellen, ob seine Verse überhaupt jemals gelesen werden, was übrigens gut zum Charakter der 14. Elegie paßt, in der er sich schließlich als fern aller Kultur lebender und sogar das Latein verlernender Dichter darstellt. Mit aestimet ante will und kann er hier gewiß nicht verlangen, daß der Leser sich vor der Lektüre über die Umstände der Abfassung Gedanken macht und durch die Erinnerung an das schwere Schicksal des Autors von vornherein nachsichtig an die Lektüre herangeht (so mit nunmehr direkter Wendung an den Leser am Anfang des 4. Buches, aber dort ohne eine Einschränkung, ob dies gelesen wird), sondern lediglich und geschickt endend noch einmal die Gelegenheit nutzen, auf seine 'schreckliche' Situation hinzuweisen. Die Stellung im letzten Gedicht des Buches zeigt vielmehr, daß es hier um ein abschließendes Urteil geht. Leider ist im ThLL I admouere 772,44ff. keine Parallele für diese Verbindung in literarischem Kontext aufgeführt. Für manus admouere als ersten Zugriff vgl. jedoch z.B. Sen. Med.205 sceptris superbas quisquís admouit manus, qua coepit ire ...: Wenn man einmal danach gegriffen hat, ist es schwer den eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen. Ahnlich auch am Buchanfang 1,4 contigeris nostros, Caesar, si forte libelles; vgl. ferner am Ende des Einleitungsbriefes des 2. Buches debebunt tibi si qui in hunc librum inciderint. So ja explizit WISEMAN (1969) S.8, zitiert u. Anm.959.

Das Prooemien-Problem (c.l4a)

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als bereits bei einer Zusammenstellung vorliegendes Gedicht und damit in sekundärer Funktion an diese Stelle gesetzt wurde, muß es primär für eine eigene Sammlung als Einleitungsgedicht geschaffen gewesen sein, so daß damit die Existenz einer zeitlich unserem Corpus Catullianum vorausgehenden Teilsammlung bestätigt wird. Und ehe nun das Corpus Catullianum insgesamt als wohlgeordnetes Buch interpretiert wird, ist doch wohl zunächst einmal nach dem ursprünglichen Zusammenhang und der Buchstruktur einer solchen Sammlung zu forschen. So kann es mit c,14a sehr wohl ein Problem geben, das in der Forschung nur wegen einer zu oberflächlichen und voreingenommenen Betrachtung des tatsächlichen Wortlauts zumeist untergeht: Denn Anlaß, c.l4a einfach (und zu leichtfertig) mit dem Etikett Binnenprogrammgedicht zu versehen, ist nicht etwa eigene exakte Auseinandersetzung mit seinen Formulierungen und Widerlegung der hier vorgeführten, sich aus einer genauen Analyse der wenigen erhaltenen Worte aufdrängenden Deutung, sondern das Streben, eine größere Gedichtsammlung herzustellen, sei es für c.1-26, 1-50/51 oder 1-116. Hält man sich dagegen an die erhaltenen Formulierungen,300 sollte es mit z.B. HUBBARD und PULBROOK, die beide ihre 'Lesbia'-Bücher vor c. 14a abbrechen lassen, möglich und sogar näherliegend erscheinen, c.l4a nur sekundär, nicht jedoch auch primär in ein mehrere Zyklen umfassendes Buch einzubeziehen und gegen z.B. WISEMANs und STOOHs (eben nicht oder nicht wirklich argumentativ und auf wortgetreue Interpretation der wenigen vorhandenen Verse gestützte) Annahme eher als wirklichen, c.l vergleichbaren Neuansatz für ein weiteres, wegen non horrebitis zumindest die unmittelbar folgenden c.l5ff. enthaltendes Buch zu deuten.301 Und auch wenn dies nicht überzeugen sollte - schließlich ist ja kein Gedicht als Ganzes, sondern lediglich ein dreizeiliges Fragment auszuwerten; die Hauptaussage fehlt -, so ist immerhin festzuhalten, daß die bloße Existenz der drei programmatischen Verse von c.l4a an ihrer Stelle in der Catull-Sammlung noch kein zweifelsfreies Indiz oder gar einen Beweis für einen wirklichen Zusammenhang und eine von Catull intendierte gemeinsame Publikation der polymetrischen oder gar aller überlieferten Gedichte darstellt, zumal vergleichbare programmatische Äußerungen mit der Anrede an seine Leser vor anderen Teilen der Sammlung fehlen, und daß c,14a genausogut ursprünglich Einleitung für eine eigene Sammlung gewesen sein kann.

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Angesichts der ja schon in älterer Forschung immer wieder geäußerten Bedenken bezüglich c,14a ist es unverständlich, wie MINYARD noch 1988 folgendermaßen urteilen kann (S.350): "There is nothing that indicates the existence of any other Catullan book, any other dedicatory poem [...]." Zur Ausweitung über c.26 hinaus auf fast alle restlichen Polymètre siehe jedoch S.154ff.

2.3. Das Juventius-Problem (c.l5ff.) Commendo tibi me ac meos amores, Aureli: ueniam peto pudentem, ut, si quicquam animo tuo cupisti, quod castum expeteres et integellum, consentes puerum mihi pudice, non dico a populo (nihil ueremur istos, qui in platea modo hue modo illue in re praetereunt sua occupati), uerum a te metuo tuoque pene infesto pueris bonis malisque. quem tu qua lubet, ut lubet, moueto, quantum uis, ubi eritforis paratum: hunc unum excipio, ut puto, pudenter. quod si te mala mensfiirorque uecors in tantam impulerit, sceleste, culpam, ut nostrum insidiis caput lacessas: a, tum te miserum maliquefati, quem attractis pedibus patente porta percurrent raphanique mugilesque!

Aureli, pater esuritionum, non harum modo, sed quot autfuerunt aut sunt aut aliis erunt in annis, pedicure cupis meos amores, nec clam: nam simul es, iocaris una, haerens ad latus omnia experiris. frustra: nam insidias mihi instruentem tangam te prior irrumatione. atque id si faceres satur, tacerem: nunc ipsum id doleo, quod esurire t me met puer et sitire discet. quare desine, dum licet pudico, ne finem facias, sed irrumatus. (c.21)

(C.15)

Furi, cui ñeque seruus est ñeque arca nec cimex ñeque araneus ñeque ignis, uerum est et pater et nouerca, quorum denies uel silicem comesse possunt: est pulcre tibi cum tuo parente et cum coniuge lignea parentis, nec mirum: bene nam ualetis omnes, pulcre concoquitis, nihil timetis, non incendia, non graues ruinas, non facta impia, non dolos ueneni, non casus alios periculorum. atqui corpora sicciora comu aut si quid magis aridum est habetis sole et frigore et esuritione. quare non tibi sit bene ac beate? a te sudor abest, abest saliua, muccusue et mala pituita nasi, hanc ad munditiem adde mundiorem, quod cuius tibi purior salillo est, nec toto decies cacas in anno, atque id durius estfaba et lapillis; quod tu si manibus teras fricesque, non unquam digitum inquinare posses, haec tu commoda tam beata, Furi, noli spemere nec putare parai et sestertia quae soles precari centum desine: nam satis beatus. (C.23)

O qui flosculus es Iuuentiorum, non horum modo, sed quot autfuerunt aut posthac aliis erunt in annis, mallem diuitias Midae dedisses isti, cui neque seruus est neque arca, quam sic te sineres ab ilio amari, 'quid? non est homo bellus?' inquies. est: sed bello huic neque seruus est neque arca, hoc tu quam lubet obice eleuaque: nec seruum tarnen ille habet neque arcam. (c.24)

Das Juventius-Problem (c.l5ff.)

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Auch mit dem c.l5ff. vorkommenden Knaben/Juventius und Catulls Beziehung zu diesem bzw. deren Darstellung gibt es - vor allem bei STROHs nur den 'Lesbia'- und 'Juventius'-/'Aurelius- und Furius'-Zyklus umfassendem Editionsmodell - Schwierigkeiten. Denn der von Catull selbst mit c,14a eigens als horror (V.3 horrebitis) angekündigte zweite ('Juventius'-) Teil c.l4a-26 und die 14 Gedichte des ersten 'Lesbia'-Teiles passen eigentlich nicht recht zusammen. Der zweite Zyklus ist nicht nur, wie STROH formuliert, von einer "derb-drolligen Art",302 sondern inhaltlich wie auch im Vokabular in höchstem Maße obszön gehalten303 und dies in einer bei Catull sonst kaum vorkommenden Massierung (mit c.15, 16, 21, 23, 25 sind das immerhin 5 von den 10 carmina; Vergleichbares findet sich sonst bei ihm unter den Polymetra eher vereinzelt und an unterschiedliche Adressaten gerichtet, so z.B. in C.29, 33, 37, 57, 58, 59 oder natürlich später in den Gellius-Versen C.74, 80, 88ff.), während die vorausgegangenen Gedichte des 'Lesbia'-Zyklus zu den feinsten und zartesten der Sammlung gehören.304 Was gibt es Schöneres, Einfühlsameres als die Gedichte auf den Spatzen,305 was Catulls unersättliche Liebe besser Verdeutlichendes als die Beschreibung der unzähligen Küsse! Dieser bereits von WESTPHAL und seitdem immer wieder beobachtete Gegensatz im Niveau der Gedichte,306 auf den später noch genauer einzugehen sein wird,307 spricht allein allerdings noch nicht unbedingt gegen eine Verbindung beider Zyklen zu einem Band - Catull konnte ja tatsächlich in der zweiten Hälfte seines Buches einen derberen Ton haben anschlagen wollen.308 Und so heben schließlich auch die meisten Interpreten zu Recht hervor, daß es sich hier um einen von ihm selbst bewußt gestalteten Gegensatz handele.309 302

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"V1Q

STROH (1990) S.140; vgl. auch (1992) S.78: "Hier geht es derb, ja zotig und jedenfalls ziemlich unsentimental zu." Treffender STROH (1990) S.143 "geht [...] die Obszönität des Vokabulars gleich im ersten Gedicht an die Grenzen des in lateinischer Poesie Möglichen". Zur Charakterisierung der Lesbia-Gedichte vgl. z.B. OFFERMANN (1977) S.270. SCHULZE (1881) S.208 und ELLIS (21889) S.4 sprechen von den "schönsten Perlen Catullischer Poesie"; Vergleichbares bei Catull sonst ebenfalls nur vereinzelt und stets in direkter Umgebung von z.T. scharfem Spott, so z.B. c.31, 34, 35,44,45, 46,48,50,51. Zu der in heutiger Zeit offenbar sehr beliebten, m.E. jedoch absurden Deutung von passer als méntula siehe u. S.264ff. WESTPHAL (21870) S.5ff.; SKINNER (1981) S.43f. erscheinen c,15ff. im Vergleich zu c.2ff. "coarse and trivial, a disappointing antiklimax"; vgl. ferner z.B. RICHTER (1881) S.19f., SCHULZE (1881) S.208, HECK (1951) S.38ff., E A . SCHMIDT (1973) S.221, FERGUSON (1986) S.5. Auch HUBBARD (1983) S.223 Anm.19 vermißt "real invective" in seinem libellus c.1-14. Siehe u. S.181ff. So auch STROHs Erklärung (1990) S.143 (undgenauso [1992] S.79), daß Catull den "fühlbar größten Kontrast zum 'Lesbia'-Zyklus schaffen" woUte; "absichtlich gesucht" sei "der künstlerische Effekt der Gegenüberstellung", was er durch die Existenz anderer JuventiusGedichte außerhalb des Zyklus (c.48, 81 und 99) belegt sieht. Dieses Argument läßt sich jedoch auch anders werten, siehe u. S.154ff. Siehe auch u. S.181ff., STROH in der vorausgehenden Anm. und z.B. RANKIN (1976) S.93 zur "homosexual poetry" und speziell den Juventius-Gedichten als "an ironical mirror

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

Entscheidend und m.E. die Kombination störend ist allerdings ein damit verbundener Wechsel der Zielsetzung und des Adressaten, der gegen STROHs so einfache und naheliegende Gleichsetzung und Vereinigung zweier Liebeszyklen über Lesbia und Juventius spricht.310 Denn anders als im ersten Zyklus, in dem es tatsächlich um Catull und Lesbia, um seine Liebe, seine Gefühle, seine Verzweiflung geht, ist im zweiten, nach WISEMAN, STOESSL, STROH sogar sog. 'Juventius'-Zyklus311 nicht wirklich Catulls Liebe zu einem Juventius das Thema, auch wenn bereits im zweiten oder nach dem Einleitungsgedicht ersten carmen des Zyklus (c.15) und danach in weiteren zwei carmina (21 und 24) dieser Juventius als Catulls Liebling anzunehmen sein sollte.312 Alle drei diesbezüglichen Gedichte kommen nämlich, was die Charakterisierung ihrer Beziehung betrifft, kaum über das bloße meos amores wie in c.15,1 hinaus313 (vgl. genauso c.21,4; sonst nur noch puer/puerum in c.21,11/15,5 und hunc unum in c.15,13). Selbst das einzige Gedicht, in dem Juventius direkt und namentlich angeredet, ja angedichtet scheint (c.24), preist keineswegs in erster Linie dessen besondere Schönheit oder sonst irgendeinen Vorzug (vgl. lediglich am Anfang V.lff. o qui flosculus es Iuuentiorum ...). Es erhält vielmehr ab V.5, vor allem durch den ohne Zweifel von Catull selbst stammenden engen Bezug zum vorausgehenden c.23 erkennbar (so c.24,5 und 8 sowie bes. 10 nec senium tarnen ille habet neque arcam und 23,1 cui ñeque seruus est neque arca als Rahmung), die gleiche Zielsetzung wie die übrigen Aurelius- und Furius-Gedichte und beschäftigt sich in 5 von den 10 Versen des im Vergleich zu den anderen eigentlich ziemlich kurzen carmen wie diese mit dem vermeintlichen Nebenbuhler und Adressaten von c.23. Auffällig ist ferner, daß Catull sich selbst in den Aussagen des c.24 ganz zurückhält und anders als in c.15 und 21 keine eigene Beziehung zu dem Knaben, hier deutlich Juventius, erkennen läßt: o qui flosculus es ... (V.lf.) und mallem diuitias Midae dedisses... quam sic te sineres ab ilio amari (V.4ff.) muß schließlich nicht bedeuten, daß der Dichter auch gefühlsmäßig beteiligt und direkt betroffen ist. Wenn QUINN hierin "an expression (and therefore

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image of some of the ideas of poems 1-11". SKINNER (1981) S.43f. spricht ebenfalls von "harshness" als "calculated effect". Vgl. bes. STROH (1990) S.138 zu c.l5ff. "Wir haben ja doch wieder einen kleinen Liebesroman". Zur inhaltlichen Entsprechung von den Lesbia- und Juventius-Gedichten vgl. auch bereits RANKIN (1976) S.93 als "connection of different phases of the poet's experience". WISEMAN (1969) S.3ff., STROH (1990) S.138 und gar STOESSL (1977) S.238 Anm.77, daß es "vom Standpunkt der Biographie Catulls" nur einen 'Juventius'-Zyklus gebe, "zu dem einige Aurelius-Furius-Gedichte gehören, keinen 'Aurelius-Furius'-Zyklus". Als Ergebnis der hier vorgelegten Überlegungen wird dies jedoch m.E. genau umgekehrt zu formulieren sein, nämlich daß es biographisch gesehen nur einen 'Aurelius- und Furius'-, aber keinen 'Juventius'-Zyklus gibt (siehe u. S.275ff.). Dazu siehe aber u. S.98. Siehe auch u. Anm.329.

Das Juventius-Problem (c.l5ff.)

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a confession) of a nagging, smouldering jealousy" sehen will,314 ist das nicht wirklich aus dem Text des fraglichen Gedichts zu erschließen und beruht eher auf seiner Kenntnis anderer Catull-Gedichte. Denn daß dieser auch eigenes Interesse an Juventius hat, kann sein Leser bzw. Interpret eigentlich nur aus den im Corpus viel später überlieferten c.48, 81 und 99 wissen. C.24 fehlt sogar jeglicher persönliche Bezug zu Juventius wie er zu dem anonymen Knaben aus c.15 und 21 doch zumindest mit dem Possessivpronomen deutlich gemacht worden war (c.15,1 und 21,4 meos amores; vgl. auch 5,1 mea Lesbia und z.B. das mehrfach wiederholte meae puellae c.2 und 3 und auch c.11,15, 13,11). So wie hier formuliert, wirkt c.24 lediglich als Ausdruck des Unverständnisses eines unbeteiligten Beobachters darüber, daß sich ein schöner Knabe wie Juventius, ja sogar flosculus Iuuentiorum, mit einem - finanziell - derart unattraktiven und damit gesellschaftlich unmöglichen Mann einläßt (welche Verschwendung! Da hätte man lieber den Midas-Reichtum drangeben sollen ...)315. Die Verswiederholung und die starke Konzentration auf den mittellosen Liebhaber zeigt, daß auch c.24 wie das vorausgehende C.23 primär der Verunglimpfung des Furius als Habenichts dienen soll und trotz der überaus unflätigen Wortwahl nicht weniger scharf wirken mag, da jetzt nicht mehr nur Furius angeredet und auf direkte Weise verspottet ist, sondern Catull bereits mit Dritten und zwar ausgerechnet dem Geliebten über ihn spricht. Doch wo bleibt hier Catulls Eifersucht und ein Ausdruck seiner Verletztheit, wo ein c.8 und 11 des 'Lesbia'-Zyklus vergleichbares Gedicht? Man beachte dazu in dem auch in den Formulierungen mit homo bellus (24,7f. und 81,2) ähnlich gestalteten, aber sich in diesem Punkt, das ist Catulls gefühlsmäßige Beteiligung, wesentlich unterscheidenden c.81... quem tu praeponere nobis cuides et nescis, quid facinus facias (V.5f.)! Daß der Name des Juventius nur einmal im ganzen Zyklus und auch erst ziemlich spät vorkommt, eben in c.24, welches somit als einziges die in den ersten Gedichten des Zyklus für den Leser noch anonyme Liebe zu identifizieren scheint, mag unerheblich und, wie bereits STROH feststellt,316 dem 'Lesbia'-Zyklus vergleichbar sein, wo der Name Lesbia ebenfalls erst im 5. (5,1 uiuamus mea Lesbia...) und danach nur noch einmal im 7. Gedicht fällt. Auch dort ist die tatsächliche Person der Geliebten letztlich ohne Bedeutung 314 315

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QUINN (21973) S.164. Dies kann und soll freilich nicht bedeuten, daß sich Juventius etwa für Geld prostituieren würde (dazu siehe u. Anm.899). Ob allerdings tatsächlich ein Kompliment für ihn dahintersteckt, das über flosculus Iuuentiorum hinausgeht, ist zweifelhaft (so aber STROH [1990] Anm.34 S.153: "Würde dieser einen häßlichen Mann nur wegen des Geldes lieben, wäre er ja nicht besser als ein Strichjunge"). Zumindest geht es im wieder auf Furius blikkenden und damit denselben Tenor wie in c.23 herstellenden Gedichtschluß verloren. Denn dadurch scheint auch c.24,4 mallem diuitias Midae dedisses auf Furius gemünzt und durch die irreale Aussage nur dessen Armut und die Tatsache der Absonderlichkeit, sich mit einem solchen Menschen einzulassen, besonders hervorzuheben. (Zu weit geht TROMARAS [1987] S.45, wenn er meint, daß Furius "sogar gegen Geld von der Liebe zu dem Knaben ablassen würde".) STROH (1990) S.138.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

und austauschbar. Anders als im 'Lesbia'-Zyklus mit eben c.5,1 mea Lesbia ist nun aber im zweiten Teil c. 15-26 eine Identifizierung der meos amores von C.15 und 21 als meus Iuuentius in c.24 vermieden, gerade dort fehlte, wie soeben besprochen, die persönliche Beteiligung (vgl. dagegen z.B. c.5,1 uiuamus... atque amemus, 7,9 te... bastare, 8,5 amata nobis, quantum amabitur nulla, 11,21 nec meum ... respectet amorem). Und anders als im 'Lesbia'-Zyklus geht es nicht mehr nur um Catull und eine(n) Geliebte(n) und ganz nebenbei anonyme Nebenbuhler (vgl. die unendlich vielen moechi von c.ll, 18f.), sondern um zwei konkrete Gestalten, die eben die eigentlichen Adressaten der Gedichte sind. Auffällig ist dabei, daß streng zwischen diesen beiden geschieden wird: Nur im Furius-Gedicht c.24 ist der Knabe namentlich als Juventius identifiziert, in beiden Aurelius-Gedichten beläßt es Catull bei dem namenlosen puer. So ist es noch keineswegs als gesichert vorauszusetzen, daß die beiden tatsächlich denselben Knaben lieben.317 Beachtet man vielmehr präzise die Formulierungen, läßt doch gerade die Nennung zweier verschiedener Adressaten und Catulls sorgfältige Trennung eher erwarten, daß es sich auch um zwei verschiedene Verhältnisse handelt. Wenn dagegen die ältere Forschung wie z.B. BAEHRENS zwischen Aurelius, Furius und Juventius eine Verbindung derart sehen wollte, daß der aus vornehmer Familie stammende Juventius in Aurelius' Haus lebte und dort als Gast auch Furius verkehrte und so Juventius kennenlernen konnte,318 ist dies rein spekulativ. Überdies ist eine solche, vielleicht naheliegende Verbindung von Catull eben nicht hergestellt, da das einzige Aurelius und Furius gemeinsam anredende c.16 nichts mit Juventius und gegenseitiger diesbezüglicher Rivalität zu tun hat (hier wird später noch anzusetzen sein);319 genannt sind dort schließlich nur allgemein Küsse, nicht speziell solche mit Juventius wie in 317

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Gegen die Identifizierung vgl. auch RIESE (1884) S.35, TROMARAS (1984) S.30 Anm.4; dafür allerdings S.47 Anm.2. wie auch - z.T. stillschweigend voraussetzend - z.B. BAEHRENS (1885) S.138, HECK (1951) S.44, RICHARDSON (1963) S.93ff., SCHÄFER (1966) S.12ff., WILLIAMS (1968) S.553, HOLLAR (1972) S.102ff., QUINN (1972) S.46, (21973) S.141, 164, DELLA CORTE (21976) S.165ff., STOESSL (1977) S.39ff., OFFERMANN (1977) S.277Í., (1978) S.37ff„ KONSTAN (1979) S.214ff., ARKINS (1982) S.104ff., FERGUSON (1985) S.77, E A . SCHMIDT (1985) S.96, GOOLD (21989) S.239Í., CARRATELLO (1995) S.28ff. und STROH (1992) S.78 Anm.39 gegen TROMARAS, dessen Hinweis auf c.6,16 und 10,1 er nicht überzeugend findet. Da Catull dort nicht auf seine eigene Liebe, sondern die Gehebte des Flavius und Varus jeweils mit te ac tuos amores Bezug nimmt, sind beide Stellen in der Tat kein Argument. Wieso STROH selbst allerdings aus seiner Ubersetzung von c.15,1 "... mich und meinen Liebsten ..." schließen kann, daß "damit eindeutig Juventius bezeichnet" scheine, ist unverständlich. STROHs eigene Überzeugung ist jedenfalls auch kein wissenschaftlicher Beleg für die Identität des puer von c.15/21 und 24. Vgl. ferner LILJA (1983), die S.53 die Argumente für eine Gleichsetzung als "less convincing" bezeichnet und S.55 Anm.20 einräumt, daß der anonyme puer "need not be Juventius", sowie MURIEL/VENTURA (1988) S.65. BAEHRENS (1885) S.38; umgekehrt WESTPHAL (21870) S.197ff., daß sich Juventius als hospes bei Furius aufhielt. Zu solchen romanhaften Erklärungen und Rekonstruktionen siehe auch u. S.152. Siehe u. S.166ff.

Das Juventius-Problem (c.l5ff.)

99

C.48, von denen der Leser des Corpus Catullianum oder von STROHs 'Liederbuch' noch gar nichts weiß.320 C.16 geht es in erster Linie um Dichtungskritik (V.3, 13 qui... ex uersiculis meis putastis ... legistis), nicht um Knabenliebe an sich! Während Catull mit c.2, 3, 5, 7, 8, 11 eine vielleicht aus schüchternen Anfängen beginnende, sich schließlich bis zu einem bitteren Ende entwickelnde Liebesbeziehung beschreibt, ist ohnehin im Gegensatz dazu eine solche oder überhaupt eine Entwicklung im Verhältnis zu seinem Knaben in dem laut STROH zweiten "Liebesroman", dem 'Juventius'-Zyklus c.15, 21, 23, 24, 26, nicht wirklich erkennbar; einen zweiten, den ganzen Zyklus durchziehenden Liebesroman gibt es nicht. Zum einen ist nämlich bereits vom ersten Gedicht an der Rivale präsent, dem Catulls Liebling anempfohlen wird (c.15) und in dessen Obhut er sich folglich c.21 befindet,321 zum anderen sind es eben zwei Rivalen, denen sich Catull strikt getrennt und nacheinander zuwendet. Wenn STROH nun behauptet, daß Juventius "spätestens von c.24 an der Verführung" des Nebenbuhlers erliege,322 so kann das - abgesehen da-

320

321

322

So ja auch STROH (1990) S.154 Anm.51 selbst gegen einen Bezug auf carm.48; dazu genauer siehe u. S.132ff. Vgl. andererseits als Beispiel für die verbreitete Deutung von c.16 SCHÄFER (1966) S.12 zu Juventius "im Mittelpunkt des Dreiecks". Zu einer Entwicklung c.15 - 21 vgl. z.B. HECK (1951) S.44 "in c.15 ist dieses Rivalenverhältnis noch offen ... c.21 macht das Unglück offenbar" und danach OFFERMANN (1977) S.277 Anm.42, (1978) S.42 "Was in c.15 nur befürchtet schien, scheint hier [c.21] eingetreten"; vgl. ferner TROMARAS (1987) S.43f. Die Entwicklung ist jedoch eine rein äußerliche und betrifft nur das Überwechseln des Knaben in Aureli us' Obhut (c.21,5f. simul es ...), nicht auch einen für Aurelius positiven, für Catull negativen Fortschritt in der Beziehung zu dem Geliebten. C.21 ist noch gar nichts passiert (vgl. immerhin auch OFFERMANN anschließend: "Tatsächlich ist damit nicht mehr ausgesagt als in c.15"). Catulls Formulierung mit der wiederholten Warnung aus c.15 tangam te prior irrumatione (V.8, vgl. bes. prior) zeigt vielmehr deutlich, daß sein Liebling trotz aller Versuche des Aurelius noch nicht verführt ist (V.6ff.... omnia experiris.frustra...; auch wird V.4pedicare cupis meos amores lediglich Aurelius' Begehren wie in c.15 erwähnt, nicht jedoch die vollzogene Tat gegeißelt). STROH (1990) S.138; vgl. dazu auch bereits OFFERMANN (1977) S.295 zur "Trübung des Verhältnisses", (1978) S.43 Anm.18 zur "formalen Verknüpfung" von c.21,2-3 und 24, 2-3 und SKINNER (1981) S.46, die durch diese fast wörtlichen Anklänge sogar schließen will, daß sich "the dire prophecy of poem 21" erfüllt, Aurelius den Geliebten zum "image of himself' gemacht habe. Genau zu beachten ist jedoch, daß c.24 keineswegs Catulls folglich geändertes Verhältnis zum geliebten Knaben beschrieben wird, sondern ein jetzt als Juventius identifizierter Knabe mit einem anderen Liebhaber in Verbindung gebracht wird und ein Bezug auf das Hungern bei Aurelius überhaupt keine Rolle spielt; ohnehin ist die Wiederaufnahme der Formulierung ohne jeden Anklang an das dortige esurire (zum einen pater esuritionum, zum anderen flosculus Iuuentiorum als Ausgangspunkt für den gleichen homerischen Lobpreis). Sollte dies tatsächlich vorausgesetzt sein, hätte Catull im Gegenteil in c.24 keine Verwunderung mehr darüber zu äußern brauchen, warum sich Juventius ausgerechnet mit dem bettelarmen Furius abgibt, der dann doch gerade neben seiner Schönheit über die besonderen Qualitäten verfügte, an die sich der Knabe in c.21 bei Aurelius gewöhnt hatte. Dann hätte er beide als zueinander passendes Paar verspotten können und müssen, den Hungerleider Furius und den Juventius als gelehrigen Schüler, pulchre conuenit... (vgl. c.57). Siehe auch u. S.281.

100

'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

von, daß sic sineres amari noch keine körperliche Hingabe bedeuten muß323 (vgl. übrigens die Verwendung von amare für die Beziehung zu Lesbia, ohne damit die körperliche Liebe meinen zu wollen, z.B. in c.8,5, 37,12 oder 72) nur den zweiten Teil des Zyklus, d.h. die Furius-Gedichte 23 und 24 betreffen, ist jedoch nicht als Endstufe einer Entwicklung auf den Zyklus insgesamt und so auch auf die vorausgehenden Aurelius-Gedichte auszuweiten. Im Furius-Teil mit den beiden Gedichten 23 und 24 sowie dem nachfolgenden C.26 gibt es keinerlei weitere Aussagen über die Juventius-Beziehung und folglich dort auch keine Entwicklung. Das fortschreitende Element liegt lediglich in einer Variation der Verspottung von c.23 zu c.24. Ob aber wirklich und ernstlich etwas zwischen Aurelius und Juventius oder Furius und Juventius (hier durch die irreale Formulierung V.4ff. mallem ... quam vielleicht etwas konkreter)324 passiert ist, wird von Catull nicht weiter verfolgt. Wie bereits festgestellt, fehlt ein dem ersten Zyklus entsprechendes Gedicht des leidenden, verzweifelten Catull (vgl. c.8 und auch 11). Daß wie dort mit C.8 und 11 auch im 'Juventius'-Teil von den jeweils sechs Gedichten325 zwei "unter dem Vorzeichen der Trennung vom untreu gewordenen Liebespartner" stehen, wie STROH für c.24 und c.26 angibt,326 geht aus dem Text, vor allem aus c.26 mit seinem harmlosen, finanzielle Dinge betreffenden Spott gegen Furius, der ohne jegliche Erwähnung von Juventius oder einer Rivalität in Liebesdingen bleibt, in keiner Weise hervor.327 Und ehe sich Catull mit c.24 von Juventius hätte abwenden können, hätte er doch zunächst einmal sein eigenes Interesse an diesem deutlich gemacht haben müssen. Wesentlich scheint demgegenüber im zweiten Zyklus nur der Angriff auf Aurelius (c.15 und 21) und Furius (c.23 ohne allen Bezug zu Juventius, und 323

324

325 326

327

Vgl. z.B. BAEHRENS (1885) S.166 "'sic' eo referendum puto, quod in publico [...] nimis patienter indulgenterque Iuuentius tulerat Furii, comitis adsidui, blanditias" mit Hinweis auf Ov.am.1,3,3, 3,2,57. Zur durch den Irrealis ausgedrückten Hoffnungslosigkeit Catulls vgl. z.B. TROMARAS (1984) S.68. Zur auffällig gleichen Anzahl von Lesbia- und Juventius-Gedichten siehe u. S.224ff. STROH (1990) S.138; vgl. auch seine Feststellung "[...] Catull bleibt nur die blanke, freilich nicht ganz ernsthafte, durch viel Scherz und Aufschneiderei gemilderte Wut". Wo aber zeigt sich diese Wut (und seine Aufschneiderei)? Kaum in c.24 und 26, wird Furius schließlich dort nicht direkt und auch gar nicht wegen der Wegnahme seines Lieblings angegriffen; beißender Spott findet sich zwar in der Tat in c.23, doch auch nur in bezug auf Furius, und dort weiß der Leser ja noch nichts von einer eventuellen Rivalität. Vorausgegangen waren nur die Verführungsversuche des Aurelius. Und warum ist der Knabe nicht selbst angegriffen (vgl. o. zu c.81) wie die untreue Lesbia (vgl. c.ll oder 58)? Auch z.B. bei Petron richtet sich der Zorn des betrogenen Enkolpius gegen seinen Liebling Giton (81); sobald sich dieser allerdings wieder willfährig zeigt, ist Enkolpius nur allzuschnell bereit, alles zu vergeben und zu vergessen (91). Es wäre im Gegenteil verwunderlich, wenn Catull mit c.26 seinen Juventius aufgeben würde wie mit c.ll seine Lesbia und trotzdem scheinbar harmlos mit dem Rivalen über ganz andere Dinge scherzen sollte (so aber STROH [1992] S.79 "[...] bis Catull schließlich den Kürzeren zieht [was ihn aber auch nicht hindert, weiter seine Witze über die anderen zu machen]"); zu c.26 und der Art des Furius-Spottes siehe u. S.195ff.

Das Juventius-Problem (c.l5ff.)

101

ein solcher Angriff ist auch in c.24 zu sehen, trotz der eigentlichen Anrede an Juventius, wie oben festgestellt) sowie auf beide gemeinsam mit c.16. Der Knabe - ob nun jedesmal Juventius oder nicht - steht selbst gar nicht im Vordergrund. So können die fraglichen carmina auch nur in äußerlicher Hinsicht als 'Juventius'-Zyklus aufgefaßt werden. Anders als im 'Lesbia'-Zyklus ist offensichtlich jetzt die Liebe Catulls zu Juventius nur Mittel, Vorwand für einen anderen Zweck, eben die Verunglimpfung und Verspottung der beiden Adressaten,328 was für die einzelnen Gedichte ja bereits 1966 der diesbezüglich viel zu wenig beachtete SCHÄFER, ihm folgend TROMARAS und kürzlich ohne Bezug auf beide zusätzlich auch NEWMAN bestätigen329 (ohne daß dies jedoch wirklich für die Interpretation des Zyklus als Ganzes ausgenutzt wird, den SCHÄFER als zusammengehörige Einheit sogar explizit ablehnt). Deutlich zeigt sich dies schon daran, daß von den insgesamt nur 10 Gedichten des zweiten Zyklus allein sechs Aurelius und Furius einzeln oder gemeinsam - anreden bzw. betreffen, in drei dieser sechs Gedichte aber die Rivalität zwischen Adressat und Catull bezüglich Juventius oder dem anonym belassenen puer keinerlei Rolle spielt und daß eines davon, c.16, nichtsdestoweniger dieselben harten Angriffe enthält wie auch die scheinbaren Liebesgedichte c.15 oder 21 (vgl. 16,1 und 14 pedicabo ego uos et irrumabo mit 15,18f. quem attractis pedibus patente porta... und der zweimaligen Androhung der irrumatio 21,8 und 13). Um die beiden Kontrahenten 328

Genauer dazu und bes. zur Interpretation von c.15 und 21 siehe u. S.163ff. SCHAFER (1966) S.26f. zu c.24 Obwohl [...] Juventius angeredet wird, will Catull indirekt einen anderen treffen", zu c.15 und 21 "Auch in diesem Fall also soll die persönliche Anteilnahme für Juventius nur das Laster des Gegners vergrössern", "[..] auch in diesen Aurelius-Gedichten steht eben nicht Juventius im Vordergrund, sondern der Angriff auf den Gegner" und zusammenfassend S.28 "[...] daß es dem Dichter auf die Wirkung der Invektive ankam; persönliche Gefühle für Juventius standen ganz in ihrem Dienst [...]. In keinem der Gedichte wird ein einmaliges Ereignis zum Anlaß, Catull greift Eigenschaften seiner Gegner an, und indem er Juventius einschaltet, kann er den Invektiven den Ton persönlicher Entrüstung verleihen. [...] Juventius gewinnt dabei [...] kein eigenes Leben, vielmehr wird er mehr oder weniger auf ein literarisches Motiv reduziert, das die Spielkunst des Dichters virtuos handhabt"; TROMARAS (1984) S.30f. zu c.15 "Da dieser Knabe nicht genau benannt oder beschrieben wird, steht er nicht im Mittelpunkt der Gedichte, sondern ist nur Anlaß, über Aurelius zu sprechen", S.34 "Das Gedicht beschäftigt sich also nicht mit dem puer, sondern mit Aurelius und seinem penis", S.47 und 53 zu c.21 "[...] der Liebling Catulls nur allgemein [...] genannt, ohne daß der Name des Knaben oder Beziehungen des Catull zu ihm näher bezeichnet wären. Dies ist für das Gedicht nebensächlich [...]", "Das Gedicht gibt sich äußerlich als ein Ringen Catulls um seinen Knaben, ist in Wahrheit aber eine lustige Abrechnung mit Aurelius" sowie S.115 zu c.24 und genauso (1987) S.43 für c.15 und 21, S.45 für c.24 "Obwohl dieses Gedicht unmittelbar an Juventius gerichtet wird, hat es nicht die Liebe des Dichters zu Juventius zum Thema, sondern die menschliche Würdelosigkeit des Furius". NEWMAN (1990) S.170 zu c.15 "The poem is not even about the puer. It is about Aurelius' itchy lust" und S.176 zu c.21 "This poem has very little to do with the beloved, and everything to do with a satirical joke, both at Aurelius' expense and Catullus'". Indirekt gibt dies auch STROH (1990) S.142 zu: "Bei Juventius [...] ist die Liebe so sehr ein geselliges Spiel, daß die beiden Freunde und Rivalen [...] von Anfang an fast die Hauptrollen innehaben."

102

'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

geht es also in Wirklichkeit, nicht um Juventius und nicht um eine Rivalität seinetwegen. Auffällig ist auch, daß die c.21, 23 und 24 im Grunde die gleichen Anwürfe enthalten, Aurelius und Furius also in gleicher Weise, und zwar als Hungerleider und Habenichtse, verunglimpft werden.330 Alle 'Liebesgedichte' dieses Zyklus treten damit letztlich immer nur dieselben Motive breit und bringen vergleichbare Obszönitäten (für c.15 und 21 im sexuellen, für c.23 im fäkalen Bereich) - man halte sich dagegen die Variation im 'Lesbia'-Zyklus mit Spatzen, Küssen, Verzweiflung ... vor Augen! Hält man sich streng an die vorliegenden Formulierungen, wirkt folglich der gesamte zweite Zyklus seiner Zielsetzung und seinem Gehalt nach in erster Linie an Aurelius und Furius gerichtet und wäre wohl auch weiterhin besser mit seinem Entdecker BARWICK sowie E.A. SCHMIDT und den meisten Forschern gegen WISEMAN und STROH in solcher Weise bezeichnet. Und wie schon hinsichtlich des Aufbaues festzustellen war,331 sind auch bezüglich Inhalt und Adressat, als Liebes- oder Spottgedichte der 'Lesbia'- und 'Juventius'-Teil nur oberflächlich gesehen, nicht jedoch bei genauer Betrachtung gleichwertig, sind keine einander wirklich entsprechenden Buchhälften. Die Existenz eines zweiten, scheinbaren Liebeszyklus belegt somit nicht schon zwangsläufig die Zugehörigkeit zum selben Buch, sondern läßt diese im Gegenteil wegen dessen soeben erörterter anderer Ausrichtung fraglich erscheinen. Denn wenn Catull zu seinem 'Lesbia'-Roman des ersten Zyklus als Entsprechung einen 'Juventius'-Roman hätte gestalten wollen, warum hat er dann nicht auch für diesen zweiten Teil solcher Art Gedichte ausgewählt, wie sie im Corpus Catullianum ja schließlich existieren, Gedichte, die sich wirklich und ausschließlich mit Juventius beschäftigen, von ihrer Liebe schwärmen oder auch Catulls Liebesleid ausmalen, wenn Juventius ihm untreu ist: Zu vergleichen ist hier besonders das hinsichtlich der rein spondeischen Versanfänge metrisch problemlos zu den ersten c.2-26 passende c.48 mit c.5 und 7; zu vergleichen ist auch c.99, das ebenfalls dem ersten Zyklus entsprechende, für eine erste Annäherung geeignete, zarte Töne enthält. Die Existenz derartiger Gedichte belegt, daß Catull den derben Ton des zweiten Zyklus nicht etwa aus inhaltlichen Erwägungen der gleichgeschlechtlichen Liebe zuordnet, den feinen, zarten aber für die heterosexuelle reserviert hat. Die sich aus den Überlegungen dieses Kapitels ergebenden Bedenken gegen eine gemeinsame Erstpublikation der beiden Zyklen betreffen zunächst nur einen libellus wie das von STROH postulierte 'Liederbuch' c.1-26 mit einem doppelten "Liebesroman". Bei Einbeziehung zusätzlicher Gedichte, so etwa in SKINNERs, WISEMANs Gliederung entsprechendem 'Passer' mit den drei Teilen c.lff., 14aff., 27ff. oder noch größeren Modellen für alle Ca330 331

Siehe auch u. S.160Í., 173f. Siehe o. S.67f.

Das Juventius-Problem (c.l5ff.)

103

\.\A\-carmina, wäre durchaus ein ganz anders ausgerichteter und vornehmlich als Invektive gestalteter weiterer Teil denkbar, der zu den folgenden ebenfalls keine strengen Entsprechungen und Parallelitäten aufweist und aufzuweisen braucht. Aber wenn ein solches größeres, auch c.48 enthaltendes Buch wirklich von Catull selbst stammte und durchgestaltet wurde, warum hat er dann nicht für den Leser sein Verhältnis zu Juventius und persönliches Interesse an diesem bereits c.l5ff. deutlich gemacht, c.48 also dort eingeschoben und etwa c.16 an die spätere Stelle gesetzt, so daß z.B. FERGUSONS Prinzip des "constant reminder" seine Gültigkeit hätte behalten können? Mit dem 'Aurelius- und Furius'-Zyklus gibt es jedoch nicht nur diese hier festzustellenden inhaltlichen Probleme bezüglich Juventius; auch in anderer Hinsicht und nicht nur bei STROHs Modell, auch bei den größeren Lösungen erweisen sich c.l5ff. als problematisch, wie in den beiden anschließenden Kapiteln zu besprechen sein wird.

2.4. Das Furius- und Aurelius-Problem (c.ll) Eine weitere Auffälligkeit und ein weiterer Bruch in der Sichtweise Catulls liegt in der Behandlung der Adressaten. Denn seine mit c.15, 16, 21, 23 und 24 in rüdester und obszönster Weise niedergemachten vermeintlichen Konkurrenten (in c.23 ist V.3ff. sogar die Familie des Furius einbezogen) sind ausgerechnet die in c.ll des ersten Zyklus in höchsten Tönen gepriesenen eigenen Gefolgsleute.332 Sie sind Freunde, die mit ihm durch dick und dünn gehen (vgl. V.l-14), engste, beste Freunde also, die für den Freund auch die unangenehmsten Dienste zu übernehmen bereit sind, nämlich als Mittelsmänner im Streit zwischen dem eifersüchtigen Catull und seiner Lesbia zu fungieren und dieser in seinem Namen sogar Gemeinheiten an den Kopf zu werfen (vgl. besonders V. 17-20), Freunde - nicht oft genug kann dies betont werden -, denen Catull selbst den wenig angenehmen Gang zu Lesbia mit der Aufkündigung ihrer Beziehung anvertrauen kann (V.15ff.):

5

io

15

20

332

Furi et Aureli, comités Catulli, siue in extremos penetrabit Indos, litus ut longe resonante Eoa tunditur unda, siue in Hyrcanos Arabasue molles, seu Sacas sagittiferosue Porthos, siue quae septemgeminus colorât aequora Nilus, siue trans altas gradietur Alpes, Caesaris uisens monimenta magni, Gallicum Rhenurn, horribile aequor ultimosque Britannos, omnia haec, quaecumque feret uoluntas caelitum, temptare simul parati: pauca nuntiate meae puellae non bona dieta, cum suis uiuat ualeatque moechis, quos simul conplexa tenet trecentos, nullum amans uere, sed identídem omnium ilia rumpens; nec meum respectet, ut ante, amorem, qui illius culpa cecidit uelutprati ultimi flos, praetereunte postquam tactus aratro est. (c.ll)

Vgl. z.B. RICHARDSON (1963) S.93 "The trouble with the poems of Catullus that mention the names of Juventius, Furius, and Aurelius is that when you sort them out from the rest of the poet's work and try to set them in logical or chronological order they seem to make a cycle, but the cycle makes no consistent or developing sense"; in c.ll erscheinen beide als "Catullus' staunchest and most intimate friends", in c,15ff. dagegen als "his bitterest enemies, objects of his invective at its most savage"; vgl. auch die u. Anm.434 zitierten Meinungen.

Das Furius- und Aurelius-Problem (c.ll)

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Die in solcher Weise Herausgehobenen (immerhin in dreieinhalb Strophen im Vergleich zu den nur mehr zwei über Lesbia und Catulls Liebe)333 überschwänglicher scheinbar nur noch c.9 bezüglich Veramus334 - sollen nun im zweiten Teil des von STROH postulierten Liederbuches oder CLAUSENS und SKINNERs 'Passer' und z.B. WISEMANs, E.A. SCHMIDTS, FERGUSONs und DETTMERs Gesamtansätzen aufs ärgste, unflätigste beschimpft werden und dies nicht nur einmal, sondern von Anfang an und zumindest in fünf von den zehn Gedichten? (Das sechste, c.26, wirkt harmloser, ist aber letztlich auch nicht freundlich gemeint, wie unten erörtert.)335 Und die Beschimpfung erfolgt, wie bereits im vorausgehenden Kapitel dargelegt, nicht etwa nebenbei, sondern die als pathicus und cinaedus, als 'Habenichtse und Hungerleider mit kieselhartem Stuhlgang' Beschriebenen sind die eigentlichen Zielpersonen dieses Zyklus. Daß beide Namen, Aurelius und Furius, im zweiten Zyklus wiederkehren und nicht nur einzeln, sondern in c.16 auch zusammen genannt sind (jetzt allerdings umgekehrt, in alphabetischer Folge und demgemäß auch c.15 und 21 zunächst Aurelius, c.23, 24, 26 dann Furius), macht es unwahrscheinlich, daß Catull dort zwei andere Träger derselben Namen meinen könnte - die Identität der Adressaten von c.ll und c.l5ff. wird folglich auch in der Forschung nicht bestritten. Man sieht im Gegenteil in der Nennung der beiden im abschließenden Lesbia-Gedicht ein Bindeglied zum c.15 beginnenden Zyklus über Aurelius und Furius, "a poem which foreshadows the unit to come",336 so daß dessen Figuren bereits gegen Ende des ersten Zyklus - und hier passend eben genau im letzten Lesbia-Gedicht - eingeführt, die "key figures" der Zyklen somit durch "cross-references" verbunden seien, woraus auf eine bewußte Gestaltung und den von Catull selbst stammenden Buchaufbau geschlossen wird.337 Um aber den Bruch und die geänderte Einstellung zwischen c.ll und c.l5ff. zu erklären, behilft man sich immer wieder mit der Annahme, daß Catull die beiden - in Wirklichkeit seine Feinde, wie man aus c,15ff. herauszulesen glaubt - bereits in c.ll lediglich ironisch behandele, wie z.B. die folgende bekannte, schon von WILAMOWITZ stammende Äußerung verdeutlicht: "Boten seiner Absage sind Furius und Aurelius, intime Freunde, die mit ihm bis ans Ende der Welt gehen würden. So sagt er, und wer das für Ernst hält, habe sein Vergnügen. Der Leser des Gedichtbuchs

333

So z.B. auch KROLL ("1980) S.24 "Schilderung ihrer Freundschaft [...] so breit und überschwenglich [...], daß sie fast als die Hauptsache erscheint". 334 Vgl. dazu aber u. S.257f. 335 Siehe u. S.195ff. 336 ΊΊ7 FORSYTH (1985) \ / S.571. 337 SKINNER (1981) S.25 und 41; vgl. ferner z.B. KINSEY (1965) S.543, WISEMAN (1969) S.13, QUINN (1972) S.45, EA. SCHMIDT (1973) S.224f., (1985) S.114, RANKIN (1976) S.93, FERGUSON (1985) S.53, (1986) S.4, TROMARAS (1987) S.44, HEATH (1989) S.116. Auch z.B. BELLANDI (1985) S.17 betont die "drammatica importanza", daß im "Liber catulliano" Furius und Aurelius nur hier in c.ll und dann c.l5ff. "di violente invettive" vorkommen.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

lernt das Paar von anderer Seite kennen: sie gehören in die Sphäre, in die jetzt Lesbia gesunken ist." 338 A n eine folglich mehr oder weniger stark ironische Haltung Catulls gegenüber den lediglich Pseudo-Freunden glauben viele, j a sogar die beträchtliche Mehrheit der Forscher, wie F O T I O U und S W E E T eigens betonen. 3 3 9 Beeindrucken darf dies freilich nicht und auch nicht von einer unvoreingenommenen eigenen Betrachtung von c . l l ablenken. Bereits das als Beleg vielzitierte, selbstbewußte und ohne zu argumentieren einfach voraussetzende und damit nicht überzeugende, im gleichen Stil wie seine nicht minder bekannte Aussage über Catulls Gedichtcorpus 3 4 0 gehaltene Urteil von WIL A M O W I T Z macht schließlich zugleich das große Problem dieser angeblich ironischen Behandlung deutlich: Solcherart Überlegungen, die in einem c . l l mit ironischen Tönen einen Vorgriff oder eine Vermittlerfunktion zwischen den beiden Zyklen erkennen wollen, berücksichtigen nicht nur nicht wirklich

U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Hellenistische Dichtung, Bd.II, Berlin 1924/ 21962, S.307. 339 FOTIOU (1975) S.151 Anm.l, SWEET (1987) S.510 Anm.l. Für Ironie oder zumindest distanzierte, ablehnende, überlegene Haltung vgl. vor allem die im folgenden zumeist ausführlicher ausgewerteten Beiträge von PUTNAM (1974), FOTIOU (1975), BRIGHT (1976), DUCLOS (1976), BELLANDI (1985), BLODGETT/NIELSEN (1986), SWEET (1987), BIONDI (1989) und - mit etwas eingeschränkter Sicht der Ironie - COMMAGER (1965), HEATH (1989). Vgl. ferner die entsprechenden Bemerkungen z.B. in den Kommentaren von RIESE (1884), BAEHRENS (1885), MERRILL (1893), FRIEDRICH (1908) sowie die Urteile folgender Forscher, die zum Großteil bereits SWEET S.510f. zusammengestellt hat: WESTPHAL (21870), RAPISARDI (1873), SELLAR (1881), BENOIST-THOMAS (1890), SIMPSON (1918), LAFAYE (1922), JACHMANN (1925), WEINREICH (1926, 21964), FRANK (1928), McDANIEL (21931), LENCHANTIN DE GUBERNATIS (1933, 1958), WHEELER (1934), WOODWORTH (1937-38), HAVELOCK (1939), PARATORE (1942), ERRANTE (1945), RONCONI (1953), FERRERÒ (1955), RICHARDSON (1963), BAGG (1965, 1972), ROSS (1969), WISEMAN (1969), DEROUX (1970), CAIRNS (1972), RANKIN (1972), HOLLAR (1972), NÉMETH (1973), LYNE (1975, 1978), OFFERMANN (1976, 1977), STOESSL (1977), ADLER (1981), SKINNER (1981), SMALL (1983), HUBBARD (1983), SYNDIKUS (1984), FERGUSON (1985, 1986), CARRATELLO (1995), FERNANDEZ CORTE (1995). Da SWEETs Aufsatz im 'Latomus' leicht zugänglich ist, wird hier aus Platzgründen auf genaue bibliographische Angaben für die nicht ins abschließende Literaturverzeichnis aufgenommenen Werke verzichtet und lediglich auf seine ausführlichere Auflistung verwiesen; der genaue Nachweis für die zu SWEET zusätzlich genannten Publikationen ist über die Indizes der u. S.320 angeführten Bibliographien zu erbringen und unterbleibt darum ebenfalls. Vgl. ferner FREDRICKSMEYERs "survey of opinions" (1993) S.102-105. Gegen eine ironische Sichtweise des Gedichtanfanges vgl. z.B. die anschließend ausführlicher ausgewerteten Beiträge von PENNISI (1961), KINSEY (1965), WOODMAN (1978), YARDLEY (1981), FREDRICKSMEYER (1983, 1993), TROMARAS (1984) sowie die Kommentare von KROLL ('1980; hierzu unkorrekt FOTIOU, SWEET), FORDYCE (21965), QUINN (21973) und zusätzlich z.B. REITZENSTEIN (1922), WRIGHT (1938), SCHUSTER (1948), NEUDLING (1955), METTE (1956), QUINN (1959, 1970), MACLEOD (1973), COPLEY (1978); mit leichter Einschränkung, "a slight suspicion of insincerity", ELLIS (21889) S.41, NEWMAN (1990). 338

340

Zitiert o. S.14.

Das Furius- und Aurelius-Problem (c.ll)

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Inhalt und Charakter der Gedichte und hier insbesondere von c.ll, wie noch zu besprechen sein wird, sie drehen sich überdies im Kreis, was mindestens genauso schlimm ist: Denn einerseits wird hier (nur) aus der Kenntnis von c. 15-26 im Rückschluß das Verhältnis Catulls zu Aurelius und Furius bestimmt, andererseits jedoch für den Leser des postulierten Buches c.ll als Vorbereitung für die ihm noch unbekannten Gedichte 15ff. interpretiert. Dieser Problematik sind sich natürlich auch die 'Ironie'-Forscher bewußt; lediglich von späteren Gedichten hergeleitete Interpretationen sind nicht "completely justified" und nur "partially correct", wie z.B. HEATH kürzlich explizit formulierte: "C.ll must stand or fall on its own."341 Doch selbst diese Erkenntnis, ohnehin bereits durch "completely" und "partially" eingeschränkt, hält ihn nicht davon ab anzunehmen, daß der Leser tatsächlich erst beim Weiterlesen von Catulls Gedichtband die mit c.ll nur eingeführten Adressaten wirklich kennenlerne und ihn somit die Kenntnis von c.l5ff. zum Nachdenken und vielleicht erneuter Lektüre von c.ll veranlassen sollte, das dann natürlich in einem ganz anderen Licht erscheine.342 Kann diese Erklärung aber wirklich befriedigen? Methodisch überzeugender scheint da eher der Weg, den die übrigen Forscher zumeist einzuschlagen suchen. Zusätzlich zu der aus den später folgenden c,15ff. zu gewinnenden "external evidence" ist man nämlich in vielfältiger Weise bemüht gewesen, die Annahme einer ironischen Sichtweise auch schon aus dem Gedicht selbst abzuleiten und hat dazu in zahlreichen Aufsätzen eine Fülle von Beobachtungen, "internal evidence" also, zusammengetragen, besonders sorgfältig und systematisch z.B. FOTIOU.343 Als auffälligstes Kennzeichen dafür, daß mit der Freundschaftsbekundung des Gedichtanfangs etwas nicht stimmen könnte, gilt dabei die Struktur des Gedichts mit seinem zu plötzlichen, abrupten Übergang von den Reisen in alle Teile der Welt zum tatsächlichen Auftrag V.15ff., eine Botschaft an Lesbia zu übermitteln. Während die 'Freunde' offenbar bereit wären, für und mit Catull die Mühen der geschilderten Fernreisen auf sich zu nehmen und nicht nur eine Reise, ja sogar alle zugleich erdulden würden, was die Gefahren, Entfernungen und Strapazen und damit die Aufopferungsbereitschaft beider ins Übermaß potenziert, wolle Catull von ihnen lediglich einen Botengang. Angesichts der über immerhin 14 Verse ausgemalten Bereitschaft zu einer "dangerous mission" sei die tatsächliche Forde-

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HEATH (1989) S.115; vgl. z.B. auch R. REITZENSTEIN (Philologische Kleinigkeiten, Hermes 57 [1922]) S.363 "Die Frage nach dem Charakter von Gedicht 11 kann nur aus ihm selbst entschieden werden", WOODMAN (1978) S.77 "The reader must rely on the internal evidence of the poem itself', FOTIOU (1975) S.152ff. oder FREDRICKSMEYER (1983), zitiert u. in Anm.372, sowie ausführlich (1993) S.89f. HEATH (1989) S.116 "But the poem [...] is, in fact, merely the introduction of these two characters in Catullus' libellus. [...] And upon further reading we learn just how to take this opening. [...] We do not have to wait long before learning in exquisite detail the true nature of these two comités Catulli. Then we can come back to c . l l to see new shades of meaning" (dazu siehe auch u.S.124f.). FOTIOU (1975) S.152ff.

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rung Catulls lächerlich und als Demütigung zu deuten, "for Lesbia is no tigress"344. So spricht etwa RANKIN von einem "insulting contrast between such prospective activity and the request that he actually makes", SWEET von einer "extreme disparity", einem "shock", "sudden violent shift" und "terribly bitter and vulgar insult", was den "harshly ironic character" des Gedichts an die Oberfläche rufe.345 Ohnehin wäre es "a strange service to ask of real friends", wie FOTIOU nach WILLIAMS feststellt, dessen Einschätzung er ausdrücklich als "it has been aptly noticed" lobt.346 Zusätzlich zum schon inhaltlich als entwürdigend empfundenen Auftrag gegenüber dem großartigen Gedichtanfang sieht die Forschung den Bruch zwischen beiden Teilen auch in Catulls Formulierung bestätigt und von diesem bewußt markiert, wenn er nämlich unmittelbar auf Furius' und Aurelius' V.13f. mit omnia ... temptare simul parati zusammengefaßte Bereitschaft, alles und sogar gleichzeitig auszuhalten, den tatsächlichen Auftrag für diese mit bloßem pauca nuntiate einleitet.347 Doch es ist nicht erst dieser Übergang V.15 zum Auftrag bezüglich Lesbia, bereits im Reisekatalog der ersten Strophen wollen viele Catulls Ironie erkennen. So erscheinen ihnen diese insgesamt ja 14 - Verse zu lang, zu ausgemalt und aufgebläht, "beyond nor-

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Die Zitate sind von TODD (1941) S.72. RANKIN (1976) S.93, SWEET (1987) S.515Í; vgl. ferner z.B. PUTNAM (1974) S.74 "their assertion of unconfined loyalty, to experience life with mutual fidelity, suffers narrowing to a role as message bearer [...]", KINSEY (1965) S.537 "The elaborate address [...] contrasts oddly with the last two stanzas [...]" und S.543 "Certainly the surprise nature of the request of line 15 tells against taking the address as a serious expression of feeling", COMMAGER (1965) S.100, der dies allerdings selbst einschränkt (siehe u. Anm.348). FOTIOU (1975) S.154, WILLIAMS (1968) S.468. Vgl. ferner CAIRNS (1972) S.217, WISEMAN (1969) S.13 "the reader soon realizes they are being given a dirty job" und besonders SWEET (1987) S.516: "[...] one wonders who would ever send friends on such an errand, especially after the protestation of devotion that the catalogue implies they either have just made or would be likely to make. The shock that Catullus would ask his friends to do such a ridiculous and demeaning favor for him must cause us either to think the less of Catullus or to reverse our attitude toward Furius and Aurelius and hence also toward the first half of the poem. I do not believe one can convincingly argue that Catullus is simply jesting with Furius and Aurelius in the way that is permissible among close friends. Even if the poem is read in isolation from the other poems in which Furius and Aurelius appear, the extent of the contrast between the beautiful and the ugly in language and sentiment prevents our taking the insulting character of Catullus' request as a piece of lighthearted raillery. To put an earnest, public and lengthy profession of loyalty to such a disgusting, private and essentially trivial use is not a friendly joke. The foulness of the message contaminates its bearers and causes us to presume that Catullus is being extremely ironic." Vgl. z.B. HEATH (1989) S.114 "these friends who are prepared to attempt omnia must be believed to be ready now to announce the pauca... non bona dicta", vgl. auch BELLANDI (1985) S.18f„ SWEET (1987) S.515, FERNÁNDEZ CORTE (1995) S.84ff. und ein wenig anders akzentuierend PUTNAM (1974) S.73f. "It is perhaps the very insouciant brazeness of their presumption, the hypocrisy of one huge 'preparedness' (omnia temptare - a nice cohorsl), that Catullus wishes to emphasize as he orders them into a very different campaign. Pauca will be hard enough for them to accomplish, let alone omnia."

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mal human capacity", um noch ernsthaft verstanden werden zu können.348 Als Beleg hat z.B. HEATH ähnliche Stellen in der lateinischen Dichtung gesammelt, wie Prop.1,6,1-4, Hor.c. 1,22,5-8, 2,6,1-4, 3,4,29-36, epod.l, 11-14 oder Stat.silv.3,5,19-22, 5,1,127-131 und Claud, in Rufin.5,239-244, die z.T. durchaus von Catull angeregt sein mögen, die sich aber, "even the most fully developed extant examples", wie z.B. die Horaz-Imitation c.2,6349 maximal über vier, fünf Verse bzw. eine Strophe erstrecken. Verglichen mit der sonstigen Verwendung dieses Freundschafts-τόπος würden Catulls drei ganze Strophen übertrieben wirken und müßten folglich ironisch gemeint sein.350 Anderen wie z.B. HEILMANN ist dagegen in den 14 Versen von c.ll noch nicht genug über die Freundschaft und Catulls Verhältnis zu den beiden gesagt, so daß er mit Blick auf die Gedichte des unmittelbaren Umfeldes, c.913, glaubt, daß diese nicht zu Catulls engen Freunden gehören wie z.B. die dort seiner Ansicht nach nachdrücklicher gepriesenen Veranius oder Cinna.351 Verdächtig wirkt ferner, daß Furius und Aurelius nur im ersten Vers angeredet und auch nur dort präsent sind, nicht aber auch im Reisekatalog V.2-13, dessen Prädikate einzig auf Catull selbst bezogen sind, obgleich doch eigentlich gerade die comités daran beteiligt sein sollten. So hat man daraus sogar auf eine deutliche Distanzierung Catulls von ihnen geschlossen ("Catullus keeps himself carefully separate from the two")352, die man auch sonst durch Catulls Sprache bestätigt glaubt. Denn V.l-14 analysiert man (neben V.15ff. mit der puella als "epic monster")353 als "stance of power", erkennt durch Vergleich u.a. mit der Aeneis "epic richness of the language" und "epic vocabulary", wertet dieses jedoch "viewing the opening stanzas in retrospect" als "false epic fides of his putative comités1,354 und "literary parody

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BLODGETT/N1ELSEN (1986) S.25 "Friendship and love become something odd, something grotesque, and also, through the use of the hyperbole, something impossible to achieve. Hyperbole makes a joke of the test of friendship", HEATH (1989) S.102 "[...] not just a topos for friendship, but rather its tumescence is meant to tip of! the reader that there is more going on"; vgl. auch MULROY (1978) S.238, SYNDIKUS (1984) S.125 und andererseits immerhin COMMAGER (1965) S.100: "Yet their magniloquent promises nevertheless conjure up a mood of splendid and exotic romance, the ne plus ultra of devotion." Dazu ausführlicher siehe u. S.116. Zusammengetragen sind solche Stellen auch schon z.B. bei T O D D (1941) S.70ff. oder BRIGHT (1976) S.108 Anm.10. HEATH (1989) S.lOlff. "One of the most convincing answers so far proposed to this structural oddity is that the topos has been intentionally inflated to set up (in retrospect of further reading in the poem and the libellus) the irony of the friendship: Furius and Aurelius are no real friends at all. [...] The inaugural register becomes a malignancy" und S.115 "the very hyperbole of expression must put us on our guard, that the sentiment may be insincere". HEILMANN (1975) S.145; vgl. auch SKINNER (1981) S.57f. zu Veranius und Fabullus als Kontrast zu den "satiric butts" aus c . l l und mit Bezug auf seine beiden Vorgänger genauso HUBBBARD (1983) S.230 Anm.42. HEATH (1989) S.115; vgl. auch z.B. bereits DUCLOS (1976) S.83. Z.B. SCOTT (1983) S.40.

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of high style".355 Neben solcher "elevated and mock-heroic language"356 ist es vor allem die Art, wie beide zu Anfang des Gedichts bezeichnet sind, auf die die Forschung hinweist. Denn angesprochen sind Furius und Aurelius im ersten Vers nicht als amici (vgl. c.9), sondern als comités, worin man eine eindeutige Abwertung, nicht etwa eine in positiver Weise herausgehobene Stellung beider als Freunde erkennen will: Bereits QUINN in seinem Kommentar und ausführlich z.B. TROMARAS sehen comités nur im Sinne des militärischen t.t. wie die Pisonis comités von c.28 und damit die Adressaten nur "als bevorzugte Begleiter, aber rangmäßig nicht gleichgestellt" für Catull, den "Führer einer privaten Expedition", der "weg muß", vor seiner Liebe flieht.357 Selbst die von Catull zugrunde gelegte Bereitschaft des Furius und Aurelius, ihn zu begleiten, sogar omnia ... temptare simul (V.13f.) wird negativ ausgelegt. BLODGETT/NIELSEN erscheinen die beiden deswegen als "reckless adventurers, men whose bravado may also be perceived as somewhat foolish".358 Darüber hinaus entdecken sie hier einen bewußten, auch sprachlich markierten Bezug zu Lesbia mit ihren unzähligen moechi, quos simul complexa tenet trecentos... omnium (V.19f.): "Indeed, they may be as licentious as Lesbia, if they are 'prepared to venture all things at the same time', just as the woman is bid 'to hold in thrall three hundred men at the same time'".359 Für beide, Lesbia wie Catulls comités, gelten somit nach FOTIOU "no limits". Mit Hinweis auf COMMAGER vergleicht er die auf Furius und Aurelius bezogenen "geographical stretches" mit Lesbias "far-ran-

354 p u t n a M (1974) S.71ff. "what at first seems epic power now appears mere ostentation, while the exaggerated description suggests rather a parody than an imitation of epic" (S.73). Vgl. jetzt auch FERNANDEZ CORTE (1995) S.84ff. HEATH (1989) S.100; eine ausführliche Literaturzusammenstellung zum geographischen Katalog gibt SWEET (1987) S.513 Anm.5. 356 FOTIOU (1975) S.154. 357 TROMARAS (1984) S.16, 21, 17f. mit Hinweis auf ThLL III 1769,73f.; vgl. ferner z.B. DELLA CORTE (1977) ad loc. (dagegen TROMARAS S.17 Anm.6), SWEET (1987) S.524 mit Anm.22 oder PUTNAM (1974) S.71 "This role as 'governor' of his world, Catullus now plays for a moment, securing the allegiance of his supposed friends and giving them commands [...]" und seine o. in Anm.347 zitierte Äußerung. Auch nach HEIDEL (1901) S.215 sind Furius und Aurelius damit als abhängig von Catull und seinen eventuellen "favours" charakterisiert, der Ausdruck sei ein Zeichen für "patronizing". 358 BLODGETT/NIELSEN (1986) S.27, ähnlich auch bereits DUCLOS (1976) S.83. Eine besonders eigenwillige Interpretation des Gedichtanfangs gibt RICHARDSON (1963) S.104: "But Furius and Aurelius [...] went on and on writing (and talking?) scurrilously about our poet, doubtless supplied with ammunition by Lesbia [...] though Catullus studiously ignored them and their abuse for a long time, they persisted, until finally he broke his silence and wrote poem 11 [...] wherever he may go there will be no getting rid of them"; vgl. dagegen aber schon KINSEY (1965) S.544 Anm. "Even if we accept Richardson's hypothesis (and it is no more) that Furius and Aurelius were persecuting Catullus, the word comités on his interpretation is being made to do a lot of unnatural work". 359 BLODGETT/NIELSEN (1986) S.25; vgl. auch SWEET (1987) S.517 und bereits FOTIOU (1975) S.155f. mit besonderer Betonung des zweimaligen simul und omnia/omnium.

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ging lust", und wenn von Lesbia ausgesagt ist, daß sie niemanden wirklich liebe (V.20 nullum amans uere), so sei dieses "a very important statement in understanding Lesbia's character and by poetic association that of the comites also".360 Man assoziiert jedoch nicht nur innerhalb des Gedichts, die Interpretationen von c.ll werden ohnehin immer abenteuerlicher. Nicht nur, daß Catull als Feldherr mit seiner zweifelhaften cohors Furius und Aurelius den Spuren Alexanders folgen, eine den Zügen Hannibals vergleichbare Expedition planen soll361 und daß man ihm reale Pläne unterstellt, sich den Feldzügen Caesars oder Crassus' anzuschließen,362 nachdem man militärische und epische Sprache, ja neben den deutlichen Formulierungen V.18ff. auch vorher schon vereinzelt "sexual overtones", vor allem bei penetrare (V.2) herausgearbeitet hat,363 hat nun jüngst FORSYTH auch überall im Gedicht sexuelle Töne, ja "an aggressive image of Catullus on the verge of raping the entire known world" zusammen mit den ebenfalls auf "rape" ausgehenden comités, omnia ... temptare simul parati, entdecken wollen.364 Ausgangspunkt ist für sie aber keineswegs c.ll selbst, trotz der von ihr genannten 'Warnung' von DUCLOS, "that the poem is not about Furius and Aurelius",365 sondern ausschließlich Catulls Haltung in den späteren c.l5ff., auf Grund deren Kenntnis sie postuliert, daß beide, da in den weiteren Gedichten mit einem "display of aggressive sexual behaviour" assoziiert, auch in c.ll nach diesem Muster erscheinen müßten.366 Abgesehen davon, daß wiederum ihr Ausgehen allein von c.l5ff. problematisch ist, ist freilich ihre Schlußfolgerung auch an sich keineswegs zulässig und wird schon durch c.26 (und ei360

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FOTIOU (1975) S.155f., COMMAGER (1965) S.101, der allerdings ein wenig anders akzentuiert. Dazu vgl. z.B. FREDRICKSMEYER (1983) S.77 und 88 Anm.35f. Vgl. z.B. QUINN (21973) S.127 "Did Furius and Aurelius suggest that all three might get a staff job with Crassus in the East, or with Caesar (on his second expedition to Britain)?". Etwas weniger konkret dagegen KINSEY (1965) S.540 "Crassus set off on his Parthian expedition in November, 55, and these words read in this context towards the end of that year might suggest to the reader the possibility that Catullus was going with him" und S.541 bezüglich Caesar "It may therefore be that the compliment [...] is not sincere, but is merely intended to make the reader believe that Catullus was on good terms with Caesar and to cause the reader to infer, as would be natural in the context of this poem, that Catullus had obtained an invitation to join him", SWEET (1987) S.514 "he does plan a trip, perhaps he will sign on as a staff member of some proconsul". Zugrunde liegt hier die moderne Vorstellung eines jungen, von der Liebe enttäuschten Mannes, der sich aus dem Wunsch, möglichst weit weg zu kommen, der ' A r m / oder der 'Fremdenlegion' anschließt, weniger die sorgfältige Auslegung von Catulls Wortlaut. Letzteres z.B. PUTNAM (1974) S.71f.; vgl. auch seine Anm.16 zu temptare mit Hinweis auf die "erotic implications" des Gebrauchs etwa bei Tibull. Vgl. ferner SWEET (1987) S.518 Anm.13, JANAN (1994) S.64. FORSYTH (1991) S.457ff.; das Zitat S.462. Mit voUem Recht abgelehnt als "the most eccentric" ist diese Interpretation jetzt auch von FREDRICKSMEYER (1993) S.105. Dazu siehe genauer u.S.117f. FORSYTH (1991) S.459f. Für FERGUSON (1985) S.53, (1986) S.4 ist bereits die aber doch gar nicht gegen Furius und Aurelius gerichtete Obszönität der letzten Strophe die "keynote for the others".

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gentlich auch c.23 und 24) widerlegt, das überhaupt keine solchen sexuellen Anspielungen enthält. Das gleiche gilt für die Caesar-Verse des 11. Gedichts, in denen FORSYTH den "sexually aggressive" Caesar aus c.57 wiedererkennen will,367 was jedoch ebenfalls - trotz des von ihr mit tumidus gleichgesetzten, in Wirklichkeit aber gänzlich harmlosen Adjektivs magnus aus den Versen selbst und aus dem gesamten c.ll in keiner Weise hervorgehen kann. Und was FORSYTHs sonstige sprachliche Hinweise auf die sexuelle Sphäre betrifft (vgl. besonders zum Gedichtanfang "Catull [...] about to ravage", am Ende jedoch "his own rape by Lesbia"),368 so mögen Formulierungen mit penetrare durchaus in diesem Sinne verstanden werden können, müssen aber keineswegs immer dies bedeuten sollen, zumal dann nicht, wenn sie in eindeutig anderem Kontext stehen: Denn in extremos penetrabit Indos (V.2) ist z.B. mit dem zweifelsfrei nicht in sexuelle Sphäre zu versetzenden, harmlosen geographischen Beschreibungen anderer Autoren wie extremas Corythi penetrami ad urbes (Verg.Aen.9,10), bis penetrata Britannia (Vell.2,47,1), remotas Medorum penetrare domos (Lucan.8,215f.) oder longius penetrata Germania (Tac.ann.4,44) zu vergleichen. Wie der eigentlich für ein sexuell gefärbtes penetrare bei Catull eintretende PUTNAM überdies selbst einräumt, lassen sich solche Anspielungen bei den anderen Verben des Katalogs von c.ll, so etwagradietur, nicht nachweisen.369 Wieso aber dann ausgerechnet und nur bei penetrare? FORSYTHs Interpretation ist folglich ein gutes Beispiel dafür, wie versucht wird, ausschließlich aus der Kenntnis anderer Gedichte mit bestimmten Tönen diese auch in eigentlich unverfänglichen Gedichten wiederzufinden. Ähnlich und ebenfalls deutlich widerlegbar ist der Fall bei der beliebten ironischen Deutung von c.ll. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen gehen die Interpreten nämlich - wie beim 'Juventius'-Liebesroman - in Wirklichkeit auch dafür zunächst von ihrer Kenntnis der in der Sammlung erst später folgenden c.l5ff. (bzw. im Fall von Juventius c.48 o.ä.) und der dortigen Behandlung von Furius und Aurelius aus370 und suchen nur, um eine Brücke zur überraschend veränderten Sichtweise ab c.15 zu schlagen, nach ironischer Behandlung der beiden schon innerhalb des 11. Gedichts. Auszugehen 367 368 369

FORSYTH (1991) S.461f. FORSYTH (1991) S.463. PUTNAM (1974) S.72. SWEET (1987) S.520 will freilich im ganzen Katalog sexuelle Bezüge sehen, "in the varied cluster of images involving turbulent, swollen, bursting water

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Vgl. z.B. SWEET, zitiert o. in Anm.346, oder die Ansätze von HOLLAR (1972) S.lOlff., HUBBARD (1983) S.230, BELLANDI (1985) S.17, BIONDI (1989) S.23, FERNÁNDEZ CORTE (1995) S.83. Vgl. auch z.B. STOESSL (1977) S.214, der das Gedicht streng isoliert von seinem unmittelbaren Kontext in der Sammlung, den Freundesgedichten c.9-14, betrachtet, aber die Kenntnis von c.l5ff. voraussetzt: "Welche bittere Ironie für Catull: so vereinsamt ist er nach dem Bruch, daß er sich an keine anderen Boten wenden kann, als diese beiden so sehr Verachteten". SYNDIKUS (1984) S.122 spricht von einer "[...] Anrede an zwei Bekannte [...], die einem aus anderen Gedichten als recht zweideutige Zeitgenossen bekannt sind".

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ist jedoch, wie der eingangs zitierte HEATH und andere ja selbst fordern,371 zunächst allein von c.ll, für dessen Verständnis die Annahme einer solchen Ironie nicht nötig und in Wahrheit bei unvoreingenommener Lektüre auch gar nicht abzuleiten ist, wie schließlich andere Forscher, sogar Vertreter der ironischen Sichtweise, ebenfalls wiederholt betonen.372 Die von der 'Ironie'Forschung zusammengetragenen, vielfältigen Anhaltspunkte sind vielmehr entweder nicht wirklich aus dem Wortlaut des carmen zu gewinnen, viel zu gesucht und damit keineswegs überzeugend, oder aber nicht richtig für die Interpretation des Gedichts ausgenutzt. Ersteres gilt z.B. für die bereits besprochenen angeblichen "sexual overtones" im ersten Teil von c.ll, die ebenso wie die vermeintlich ironische Sicht des 'großen Caesar' oder der trotz allem als mea puella bezeichneten Geliebten373 ohnehin noch nichts für eine ironische Abwertung etwa auch der Adressaten besagen können.374 Auch die rückschließend herzustellende assoziative Verbindung zwischen der niemanden aufrichtig liebenden Lesbia und den - daraus gefolgert ebenfalls unaufrichtigen Freunden ist ohne Vorkenntnisse über Catulls Verhältnis zu seinen comités nicht ohne weiteres herauszulesen; von Catull 371 372

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Siehe o. S.107 mit Anm.341. Vgl. z.B. HEIDEL (1901) S.216 "There is nothing in this poem to indicate that their relations were not of the best [...] I can detect no trace of serious displeasure on the part of Catullus toward the ambassadors of Lesbia", NEUDLING (1955) S.20 "There is no good reason to suppose [...] the poem was ironical", KINSEY (1965) S.538 "there is nothing in the poem itself to suggest irony of this sort", KROLL (61980) ad loc. zur Ironie "Im Gedicht selbst liegt davon nichts", FREDRICKSMEYER (1983) S.86 Anm.31 "in the poem itself there is no evidence whatever of irony, derision or contempt towards Furius and Aurelius, and it is on the evidence of the poem itself that the question, finally, must be decided" (siehe auch u. Anm.402), SWEET (1987) S.514 "On first acquaintance with the poem, if read by itself, one has no reason to suppose, that Catullus is anything but serious when he adresses Furius and Aurelius as comités" und abschließend S.526 "Yet the fact remains that in c.ll Furius and Aurelius initially seem to us to be his good friends", HEATH (1989) S.115 "There is little in this poem alone to suggest on a first reading that they are true friends or absolute enemies, [...] simply travelling companions"; vgl. auch PUTNAM (1974) S.71 "[...] apparently envisioned, at the start, as dutiful friends, willing to join the poet in experiencing the varied reaches of the universe" sowie OFFERMANN, für den (1977) S.273 die beiden sogar "in bitterböser Ironie als Freunde maskiert" sind, der (1978) S.42 aber explizit einräumt "[...] wenngleich es festzuhalten gilt, daß nirgends im Gedicht deutlich wird, wie sehr die Freunde in Wirklichkeit Feinde sind; dies bleibt in dieser Anordnung späteren Gedichten vorbehalten"; NEWMAN (1990) S.165f. "Furius and Aurelius may not have been the bosom friends of the poet most likely to follow him into danger (cf. poem 16), and the request to them to act as his emissaries may match appropriately the character of the destined recipient of his message. That however is not spelt out." Selbst FOTIOU (1975), der sechs Seiten lang die Ironie herauszuarbeiten suchte, schließt S.158 mit einer recht maßvollen Formulierung: "Concluding, I feel, that when the introducing stanzas are placed in their right context they reveal a kind of irony which does not necessarily imply abuse and hostility but point to a scepticism about the protested devotion of the comités." Zu letzterem vgl. z.B. BELLANDI (1985) S.32 Anm.25 oder SWEET (1987) S.512 mit ausführlichen Literaturhinweisen in Anm.4. Zur Behandlung Caesars, die folglich hier noch nicht berücksichtigt wird, siehe S.182 mit Literatur in Anm.612 sowie S.301f.

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selbst markiert ist sie in c.ll jedenfalls nicht. Denn daß die Freunde durch die Bezeichnung comités gleich mit dem ersten Vers abgewertet und zur untergeordneten cohors eines Verwaltungsbeamten degradiert erscheinen, ist ebenfalls von der Forschung nicht wirklich zu belegen, auch wenn TROMARAS in Selbstanrede Catulls und dritter Person "Caesars Berichtstil" und - vielleicht zu Recht (vgl. die oben angeführten Parallelen für penetrare) militärische Sprache erkennt. Wie TROMARAS aber selbst einräumt,375 sind z.B die Verse llff. gerade nicht so formuliert, daß damit auf eine geplante aktive Beteiligung Catulls an militärischen Unternehmungen angespielt sein könnte: Der Dichter will lediglich als Betrachter die Schauplätze der großen Taten Caesars aufsuchen, die bereits vollbracht und deren Orte zum sehenswerten Monument geworden sind (Caesaris uisens monumenta magni). Catull schlüpft also - im Gedicht, nicht in der Realität - nur in die Rolle des von Freunden statt von Untergebenen begleiteten Touristen, der bereits durch andere berühmt gewordene Orte besichtigt, nicht in die des Abenteurers und Feldherren, der selbst für Großes verantwortlich werden will. Auch daß Catull hier tatsächlich eine oder mehrere reale private Reisen vorhabe,376 ist gegen z.B. TROMARAS kaum anzunehmen. Gerade die Vielzahl der mit siue/seu eingeleiteten Alternativen, die jeweils zu den entferntestmöglichen Punkten der Welt in die verschiedenen Himmelsrichtungen führen (vgl. bes.V.2 extremos Indos und V.ll últimos Britannos), und das folgliche Fehlen eines konkreten Zieles sprechen gegen tatsächliche Reisepläne.377 Außerdem ist es gar nicht der Dichter selbst, der die aufgezählten Reisen plant: Die Formulierung des 13. Verses zeigt deutlich, daß dafür die Götter verantwortlich sind (quaecumque feret uoluntas caelitum), daß alles vorher Aufgezählte nur Beispiel dafür ist, wohin ihn das Schicksal verschlagen könnte. Alle V.2-12 genannten, durch die Götter herbeigeführten Reisen und selbst noch unbekannte Schickalsschläge sind Furius und Aurelius zusammen mit Catull bereit zu ertragen; von Catull als höhergestelltem Vorgesetzten ist in diesen Versen nichts zu spüren, schon gar nicht wegen einer vermeintlichen Distanz durch die nur auf ihn bezogenen Prädikate.378 375

TROMARAS (1984) S.17ff. 376 TROMARAS (1984) S.15ff.; vgl. auch S.26f. mit Anm.54 und antiken Parallelen für das "Motiv der Reise zu entfernten Orten als Mittel, um eine erfolglose Liebe zu vergessen" und z.B. RICHARDSON (1963) S.104f., QUINN (1972) S.165, 174ff., KINSEY (1965) S.540, JOLY (1974) S.435ff., DUCLOS (1976) S.82ff„ FREDRICKSMEYER (1983) S.75; dagegen jedoch SCOTT (1983) S.39ff. und - aber die Reisen trotzdem als "genuine possibilities" wertend - MULROY (1977/1978) S.239f. Literatur zu dieser Frage zusammengestellt hat SWEET (1987) S.511 Anm.2. 377 Vgl. auch SYNDIKUS (1984) S.124 Anm.15 gegen QUINN; BLODGETT/NIELSEN (1986) S.26 etwa glauben sogar, der "trip" sei "proposed because of its very impossibility"; gegen eine "actual journey" deute die unsinnige Reihenfolge der erwogenen Ziele (dazu siehe auch u. Anm.405). 378 Dazu siehe gleich unten. Vgl. im übrigen die Fortsetzung des Zitates von HEATH (o. Anm.372), der damit doch wieder Negatives suggeriert: "[...] simply travelling companions, yet companions without a close (grammatical) tie to the poet."

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Der angeblichen rangmäßigen Herabsetzung widerspricht im Gegenteil gerade die V.2-14 geschilderte, freundschaftliche, selbstaufopfernde Bereitschaft der beiden. Mit WILLIAMS und CAIRNS, die übrigens auch TROMARAS selbst zitiert,379 ist der geographische Katalog somit lediglich als ein Mittel zu sehen, "whereby a poet expressed the trust and confidence which he felt in his friend by listing the dangers that they would share together" (WILLIAMS), "that willingness to accompany a friend anywhere is a proof of friendship" (CAIRNS). Furius und Aurelius sind deshalb ohne Nebensinn wie z.B. die sodales von c.47,6 und nur in normaler Weise als 'Freunde' und angesichts des Kontextes von c.ll besonders gut passend - 'Begleiter' angesprochen, wie es ja die mit genügend Parallelen zu belegende Grundbedeutung des Wortes und folglich das Nächstliegende ist.380 Denn wie hätte ein noch nicht durch Gedichte wie c.15,16,21 und 23 vorgeprägter Leser bei der Lektüre von c.ll wissen sollen, daß comités hier als t.t. gänzlich anderer Art verwendet sein sollte, und zwar besonders dann, wenn er im unmittelbaren Umfeld vor allem mit c.9 gerade weitere Freundesgedichte381 und nicht etwa C.28 mit seinem speziellen Gebrauch des Wortes vor Augen hatte?382 Der diesbezügliche Einwand HEILMANNs, daß die Freunde in c.ll, verglichen mit den vorausgegangenen Gedichten, nicht genügend als Freunde gepriesen seien, wirkt schließlich wiederum nur als reichlich erzwungener Versuch, die von c.15 an veränderte Sicht einzubeziehen und ist kaum wirklich aus der aufeinanderfolgenden Lektüre von c.9, 10, 11 usw. zu gewinnen, zumal da keineswegs alle dort genannten Freunde so überschwenglich gepriesen sind wie der Veranius von c.9 und da z.B. Cinna in c.10 ebenfalls 'nur' als meus sodalis (V.29) eingeführt ist. Betrachtet man vielmehr das Umfeld genauer 379

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WILLIAMS (1968) S.468, CAIRNS (1972) S.99, TROMARAS (1984) S.21 Anm.24; vgl. ferner z.B. FREDRICKSMEYER (1983) S.70 "topoi of male friendship and foreign travel", FOTIOU (1975) S.154 "The geographical limits act somewhat as metaphorical boundaries within the powerful bonds of loyalty of the comités for Catullus are contained". Von einer "rhetorical journey" und "metaphor for the limits of amicitia" sprechen BLODGETT/ NIELSEN (1986) S.26. Vgl. ThLL 111,8 1769ff. und bereits BAEHRENS (1885) S.123 "erat enim haec quasi quaedam formula, qua veteres testabantur amicitiam" mit Hinweis u.a. auf Ov.am.2,16,21, Mart.10,20,7; vgl. ferner KINSEY (1965) S.538, MACLEOD (1973) S.302 "Furius and Aurelius then are simply what they are called, comités Catulli", WOODMAN (1978) S.77 "[...] no external indication that they are anything other than what Catullus says they are - comites" und jetzt FREDRICKSMEYER (1993) S.90 "Comités Catulli cannot be made out to mean inimici Catulli simply because that's what they are, or appear to be, elsewhere". Zur Formulierung vgl. auch SKINNER (1981) S.59, die Veranius und Fabullus sogar selbst als "Catullus' comités in misery" beschreibt. Vgl. so ja auch SWEET (1987) S.514 "[...] if one has been reading one's way sequentially through the libellus, they will seem to be two more friends of Catullus, perhaps like Veranius of c.9 or Varus and Cinna of c.10." Wenn z.B. PUTNAM (1974) S.71 neben c.28 auch auf c.46,9 als Beleg für den t.t. comes verweist, so sind dort m.E. die Freunde auch nur ganz normal als Begleiter (vgl. bes. V.10 simul prefectos) und nicht im speziellen Sinne als cohors des Prätors Memmius gemeint. Zu letzterem paßt schließlich kaum die Art, wie Catull seine Anrede formuliert hat: o dulces comitum ualete coetus, longe quos simul a domo profectos...

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und analysiert den ersten Zyklus insgesamt, wird sich später vielleicht im Gegenteil zeigen lassen, daß die Freundschaftsbekundung, wie sie Catull in c.ll gibt, selbst hinter c.9 nicht zurücksteht und möglicherweise sogar noch ein wenig intensiver als in diesem für den alle übertreffenden Freund Veranius (V.lf.) empfunden werden kann.383 Darüber hinaus existiert gegen eine ironische Auslegung des Reisekatalogs und der damit verdeutlichten engen Freundschaft der beiden V.l-14 auch "external evidence": Wie die bereits oben angeführten Stellen belegen,384 ist ja der Anfang von c.ll von späteren Dichtern mehrfach aufgegriffen und nachgeahmt worden, so besonders deutlich von Horaz mit seinem c.2,6, das sich schon äußerlich durch dasselbe, sapphische Versmaß als Imitation Catulls gibt und eindeutig nicht ironisch gegen seinen Adressaten gerichtet ist.385 Wie freilich die Anhänger der ironischen Sichtweise immer wieder betonen, ist dies noch kein absolut sicheres Argument, daß nicht Catulls Gedicht trotzdem ironisch gemeint gewesen sein könnte. Horaz sei schließlich frei in der Gestaltung gewesen und habe einen eigentlich ironischen Gedichtanfang auch sehr wohl in seinem Sinne anders, "to suit his purpose", eben nicht ironisch einsetzen können.386 Dies ist gewiß zuzugestehen, nur recht wahrscheinlich und das Nächstliegende ist es nicht. Warum hätte Horaz dann ausgerechnet ein ironisches Gedicht Catulls für sein ernsthaftes als Vorlage verwenden und den Bezug auch noch durch dieselbe sapphische Strophe und die exakt gleiche Länge auf Anhieb offensichtlich machen, sich auf diese Weise gleichzeitig aber der Gefahr aussetzen sollen, daß die kundigen, den deutlichen Bezug auf Catulls c.ll erkennenden Leser eine Übernahme auch der Ironie vermuten und somit seine Verse mißverstehen könnten? Immerhin sind jedoch die Horaz-Verse und andere Wiederaufnahmen zumindest als eindeutiger Beleg dafür zu werten, daß Formulierungen wie die von c.ll durchaus unverdächtig als aufrichtige Freundschaftsäußerung im Sinne eines üblichen Topos gebraucht sein können.387 Was aber ist mit dessen Länge und allzu großer Ausführlichkeit, den Übertreibungen und ihrer epischen Sprachgestaltung in Catulls Fall? Natür383 384 385

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Siehe u. S.257ff. Siehe o. S.109. Vgl. z.B. QUINN (21973) S.126, PENNISI (1961) S.132, FREDRICKSMEYER (1983) S.86 Anm.31, (1993) S.102 Anm.40. Ausführlicher zu Hor.c.2,6 und Catulls c.ll vgl. z.B. W. LUDWIG, "Horaz, c.2,6" - eine Retractatio, WS 83 (1970), S.101-109, und jüngst J.C. FERNÁNDEZ CORTE, Un ejercicio de imitación de Catulo por Horacio: Cat. 11 y Odas II 6, Latomus 52 (1993), S.596-611; vgl. ferner A.J. TOBIAS, The Catullan Echoes in Horace 1,22, CB 56 (1980), S.71-73. Vgl. z.B. FOTIOU (1975) S.152 und so ja auch kürzlich BIONDI (1989) S.30 "concentrando in una le tre strofe di Catullo, trasformandola da ironica in propria, da iperbolicamente verbale a iperbolicamente vera". Vgl. ferner KINSEY (1965) S.538 "Our poem has been compared to Hor. Odes, ii. 6 but this comparison only serves to reveal the oddity of Catullus' logic". So bestätigt jetzt auch von FREDRICKSMEYER (1993) S.98f. mit Hinweis auf Prop.1,1, 29f., 1,6,Iff., 3,21,Iff., Ov.rem.213ff., 24Iff. und die dortige Verwendung von comités, sodi, amici.

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lieh ist der Topos mit 14 Versen in einem insgesamt nur 25 Verse umfassenden Gedicht viel zu lang ausgemalt und kann und wird dadurch übertrieben wirken, gewiß mag epische Sprache parodiert sein, und zweifellos liegt auch in der Struktur des Gedichts ein Bruch, ist der Übergang von den großartigen Reisen zum tatsächlichen Auftrag zu abrupt und überraschend und auch in der Formulierung mit omnia ... temptare ... parati/pauca nuntiate, omnia/omnium und zweimaligem simul angelegt. All dies hat die Forschung völlig zu Recht herausgearbeitet. Die Frage ist nur, ob diese Beobachtungen auch korrekt ausgewertet sind und wirklich Anhaltpunkte für eine gegen Furius und Aurelius gerichtete Ironie darstellen.388 Ironie wäre es nämlich nur dann, wenn V.15ff. ein wirklich lächerlicher, demütigender, entwürdigender Auftrag folgte, ein Auftrag ohne persönlichen, tieferen Bezug zu Catull, wenn also Furius und Aurelius etwa nach ihrem von Catull formulierten Freundschaftsbekenntnis, für und mit diesem überall hinzugehen, nun zu einer Trivialität aufgefordert würden, z.B. gleich ein Paar Reiseschuhe für ihn vom Schuster abzuholen oder beim Stammtisch zu melden, daß er später oder gar nicht komme. Derartiges wäre Verspottung und eine Zumutung angesichts der vorausgegangenen Verse 1-14 mit der langen Schilderung möglicher Fernreisen, die ja nicht wirklich die Bereitwilligkeit zu gemeinsamer Weltreise malen soll, sondern nur übertragen zur Verdeutlichung der Bereitschaft der Adressaten, sich uneingeschränkt für Catull einzusetzen, gemeint ist.389 Was im Gedicht aber tatsächlich folgt, ist der sehr heikle Auftrag, zu Lesbia zu gehen und dieser, verbunden mit schmähenden Worten, wie sie Lesbia angesichts ihres treulosen, schamlosen Verhaltens V.19ff. wohl verdient, Catulls Liebe aufzukündigen. Durch das plötzliche Auftreten einer weiteren, zu Catull in enger gefühlsmäßiger Beziehung stehenden Person wird somit das scheinbare Furius- und Aurelius-Gedicht, das zunächst nur wie ein neuerliches Freundesgedicht nach c.9 und 10 wirkte, von V.15 an zu einem weiteren, ja dem letzten Lesbia-Gedicht des ersten Zyklus. Wie der Leser jetzt erkennt, geht es in Wirklichkeit also um Catull selbst und seine Beziehung zu Lesbia, nicht um sein Verhältnis zu den Adressaten, so daß es sich keineswegs gegen diese richten muß, wenn Catull sie zugunsten seiner Konzentration auf sich selbst nach dem ersten Vers zurücktreten und erst V.14 wieder in seiner Satzstruktur erscheinen läßt. Im Ansatz korrekt gesehen hat letzteres 1976 bereits DUCLOS, der aber in der nachfolgenden Forschung kaum beachtet wird390 und dessen Interpretation auch hier nur inso388 389 390

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Ubertreibung allein ist z.B. noch kein Beleg für Ironie; was wäre denn dann erst mit den unendlichen Küssen der c.5 und 7 oder der Freundschaft zu Veranius in dem ebenfalls übertrieben formulierten c.9? Zur metaphorischen Verwendung vgl. auch die Literatur o. in Anm.376. DUCLOS (1976) S.77 "Ostensibly addressed to the comités of Catullus [...] it is really about Lesbia and Catullus" und ausführlicher S.83: "To some readers, the first three stanzas of c.ll have seemed an excessively wordy and pedantic introduction to the real 'message' of the poem, the non bona dicta to Lesbia. The figures of Furius and Aurelius have also proved a distraction. The fault, I suggest, lies with the reader rather than the

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weit zuzustimmen ist, als sie die Klassifizierung von c. 11 als Lesbia-Gedicht, nicht jedoch seine Erklärung für Catulls Verhältnis zu Furius und Aurelius betrifft.391 Auch pauca und der Gegensatz omnia... parati - pauca nuntiate ist folglich nicht als abwertend für Furius und Aurelius zu sehen. Denn betrachtet man die Formulierung genau, will Catull ja plötzlich gar nicht nur pauca von den beiden trotz ihrer eindrucksvollen Bereitschaft; er will, daß sie pauca seinem Mädchen verkünden; für diese, nicht für Furius und Aurelius hat er nur mehr wenige Worte übrig. So zielt pauca ausschließlich gegen die puella, nicht aber auch gegen die Adressaten des Gedichts. Genauso ist es mit dem von der Forschung festgestellten Anklang, daß Furius und Aurelius 'alles zugleich unternehmen wollen', Lesbia sich mit 'allen ihren Liebhabern zugleich vergnügt'. Die Adressaten werden dadurch keineswegs mit Lesbia als leichtsinnige Abenteurer auf eine Stufe gestellt; Catull beschreibt so vielmehr einen wiederum ausschließlich gegen Lesbia gerichteten Kontrast, der größer nicht sein könnte: Beide Freunde sind bereit, für und mit Catull alles und gleichzeitig zu wagen - die metaphorisch gemeinten Reisen gehen ohnehin V.2-12 ausschließlich von Catull selbst bzw. V.13f. von der ihn betreffenden uoluntas caelitum, nicht von den comités aus392 -, Lesbia dagegen treibt es mit allen und sogar gleichzeitig ohne und gegen den zutiefst verletzten Dichter. Es bleibt der Auftrag an sich - Gang zu Lesbia statt aufregender Reisen den viele als Zumutung ansehen, ohne dies allerdings auch objektiv belegen zu können. So handelt es sich dabei lediglich um das persönliche Empfinden gewisser Forscher, dem mit gleichem Recht die entgegengesetzte Meinung gegenüberzustellen ist: Ist denn nicht gerade der von Catull ausgesprochene Auftrag, für ihn und in seinem Namen mit seinem Mädchen Schluß zu machen, eine ganz besonders heikle Angelegenheit, eine Mission, die man wirklich nur den engsten, intimsten Freunden anvertrauen kann? Wer wäre in solcher Lage, bei einer eben nicht im beiderseitigen Einvernehmen erfolgenden Trennung, nicht froh, wenn er treue Freunde als Beistand hätte, auf

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poet. [...] Nor is the poem about Furius and Aurelius - it is about Catullus and Lesbia and although it may be interesting to speculate about Catullus' attitude towards them, it is not germane to an understanding of the poem." Anzitiert wird dies lediglich von HEATH (1989) S.99 Anm.4, der S.116 folglich korrekt davon spricht, daß "the main issue, after all, is Lesbia", dazu widersprüchlich aber S.115 bereits in c.ll Furius und Aurelius als "the direct recipients of Catullus' powers as a poet" sieht. Vgl. ferner schon KINSEY (1965) S.537 "Furius and Aurelius are not an integral part of a poem really meant for Lesbia's eyes [...]" und BELLANDIs Interpretation (1985) S.21f., der in Anm.18 auf die DUCLOSStelle verweist; vgl. aber auch o. S . l l l zu FORSYTH (1991) S.458. Auf c . l l als LesbiaGedicht konzentriert sich ferner jetzt CELENTANO (1991) S.87ff., aber ohne Berücksichtigung des Verhältnisses zu den Adressaten oder c.l5ff. Dazu siehe u. S.130 mit Anm.439. Vgl. ja auch TROMARAS (1984) S.22 Anm.26: "Die w,13ff. werden allerdings von Catull selbst und nicht von den Angeredeten ausgesprochen." Vgl. ferner auch NEWMAN (1990) S.165f. "Artistically, the pair serves to distance the poet from his poem. The device sets up, without overemphasizing, a contrast between Catullus [...] and the worthless girl with her adulterous lovers."

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die er sich verlassen und denen er auch die unangenehme, letzte und endgültige Auseinandersetzung mit der einstmals Geliebten anvertrauen kann, zumal dann, wenn wie in Catulls Fall der Bruch von der Geliebten ausgeht und sie offenbar ohne Rücksicht auf die Gefühle des anderen schamlos betrogen hat? Wer wäre hier nicht froh, einer solchen Frau nicht noch einmal selbst unter die Augen treten zu brauchen, zumal dann, wenn diese sich überlegen fühlt, wäre nicht froh, ohne sich evtl. Vorwürfe und Beleidigungen anhören zu müssen, schnell und unpersönlich einen Schlußstrich ziehen zu können? (Wieviele in Scheidung lebenden Paare sprechen denn auch heute nicht mehr direkt miteinander, verkehren nur noch über ihre Anwälte, gemietete comités also?) Durch den Weg, den Catull gewählt hat, hat er das letzte Wort behalten und überdies das schmähliche Verhalten Lesbias öffentlich gemacht - in der Fiktion des Gedichts vor seinen Freunden, mit dem Gedicht insgesamt aber natürlich vor all seinen Lesern. Auch der Gegensatz, der scheinbare Bruch in der Struktur mit V.15ff. zielt somit nicht gegen die Adressaten, sondern allein gegen Lesbia: Den Strapazen der vielfältigen, gewiß gefahrvollen und vor allem mühsamen Reisen wird nämlich auf diese Weise die Absage an Lesbia gleichgesetzt, so daß der Gang zu ihr mindestens genauso unangenehm, wenn nicht sogar schlimmer wirkt als weite Fernreisen. Dies ist sicher übertrieben formuliert, und es steckt darin auch Komik und Ironie; durch die anfängliche Wendung an zwei Adressaten wirkt es, als ob der Botengang Catull so schlimm vorkommt, daß er sogar zwei Freunde dafür benötigt. All dies ist jedoch nur selbstironisch auf Catull und abwertend gegen Lesbia zu beziehen, da Catull persönlich und hart und auf jeden Fall stärker als bei einer beliebigen Besichtigungstour, beispielsweise zum Rhein, betroffen ist. Denn Catull selbst ist es schließlich, der von den Reisen spricht und mit diesen den Gang zu Lesbia auf eine Stufe stellt, Catull ist es, der offenbar für diesen sehr persönlichen Gang der Hilfe von Freunden bedarf und eine Aussprache von Angesicht zu Angesicht nicht fertig zu bringen scheint.393 Daß Catull hier anderen, Freunden diesen Auftrag erteilt, statt im eigenen Namen eine Absage an seine puella zu verfassen, mag darüber hinaus noch einen weiteren Grund haben.394 Wie MAYER feststellt, wirkt c.ll auf diese Weise wie ein formaler Scheidungsbrief395 - das Gedicht, in dem die 393

Vgl. z.B. bereits KINSEY (1965) S.542: "There may also be here a touch of humour at Catullus' own expense: he is willing to face the dangers of foreign travel, but not his puella with this message"; vgl. dazu auch BELLANDI (1985) S.23 mit Anm.24. Ein wenig anders zur Selbstironie QUINN (1972) S.176; vgl. ferner FREDRICKSMEYER (1993) S.101 Anm.25 mit Hinweis auf Ov.rem.663ff. "it is just possible that Catullus does not quite trust himself to face Lesbia". Warum ausgerechnet Furius und Aureli us gewählt sind, wird unten noch zu erwägen sein (siehe S.279). Ohne ihnen gegenüber spürbare Ironie in c.ll ist jedenfalls die oft und z.B. von HOLLAR (1972) S.101 vertretene Annahme, beide seien angesichts ihres Verhältnisses c.l5ff. für schmähende Worte am geeignetsten, abzulehnen. MAYER (1983) S.297f. "it was a sort of marriage, and its ending required a sort of divorce", so daß Catull mit "an eye to the proper form" andere als "nuntii of his divorce" er-

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Boten ihren Auftrag erhalten, ist natürlich schon selbst die Botschaft396 -, so daß Catull mit seiner Aufkündigung der Beziehung auch alle rechtlichen Formalitäten eingehalten hätte. Auch wenn MAYER mit dieser Auffassung ein wenig zu weit geht, der Bruch aber wirkt vielleicht dadurch noch ein wenig entschlossener und endgültiger, wenn nicht nur ein enttäuschter Catull aus dem Augenblick heraus ein Schmähgedicht schreibt, sondern zwei Freunde als Boten beauftragt.397 Daß freilich all dies wie auch der Botengang nur eine vom Dichter geschaffene Fiktion ist und nicht wirklich davon auszugehen ist, daß zwei reale Freunde Catulls mit den Worten aus c.ll zu seiner realen Freundin geschickt wurden, versteht sich von selbst.398 Blickt man nun zurück, wirkt das Gedicht insgesamt glänzend und ohne störenden, vielmehr mit einem bewußt geplanten Umschwung V.15 gestaltet. Die lange Hinführung über 14 Verse in nur einem einzigen Satz zum eigentlichen, auf diese Weise besonders herausgehobenen Anliegen, die vielen Reisen und Einzelheiten über die zu besuchenden Völker halten den Leser hin, erzeugen Spannung und den Wunsch zu erfahren, was Catull denn wirklich will.399 Zu erwarten ist mit c.ll angesichts der Eingangsverse, angesichts der vorausgegangenen Gedichte und auch wegen seiner Stellung an genau dieser Position im sog. 'Lesbia'-Zyklus, wie später noch zu besprechen sein wird,400 ein weiteres Freundesgedicht. Tatsächlich aber ist es ein gerade

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nenne. Als Beleg weist MAYER auf Cie. De orat.1,183 hin, wo es ein Ehemann bei Trennung von seiner Frau unterlassen habe, "to send the messenger" (peque nuntium priori remisisset). Da jedoch der fragliche Ehemann mit seiner zweiten Frau in Rom lebte, die erste, nicht benachrichtigte Frau dagegen in Spanien, ist die Situation kaum parallel, und es ist auch aus der Cicero-Stelle nicht wirklich abzuleiten, daß zu einem korrekten Scheidungsverfahren die Übermittlung des Endes der Beziehung durch Boten gehörte. Wegen fehlender Hochzeit in Catulls Fall abgelehnt wird diese Deutung von NEWMAN (1990) S.166. So z.B. auch HEATH (1989) S.114 mit Hinweis auf c.25 ("Catullus' poems are his whips which will scribble all over the poor robber"). Anders dagegen die frühe Forschung wie z.B. J. BALOGH (Catulls Scheltelied auf Lesbia, Philologus 85 [1930], S.103ff.), der c.ll nur als eine Art propempticon für ein weiteres, so furchtbares carmen famosum sieht, das Catull Furius und Aurelius nicht einmal schriftlich, nur mündlich als Botschaft Ubergeben werde. Solche Interpretationen sind unnötig, zu sehr auf eine konstruierte biographische Wirklichkeit ausgerichtet und aus dem Gedicht selbst nicht abzuleiten. Wie auf den vorausgegangenen Seiten vorgeführt, läßt sich also KINSEYs Problem sehr wohl erklären (1965, S.537 "Why is the message not addressed directly to Lesbia [...] or to the reader as in Poem 70?"); vgl. auch KINSEY selbst S.543f., daß auf diese Weise "the insult more insulting" werde, sowie BELLANDI (1985) S.22. Die Überlegungen etwa BLODGETT/NIELSENs (1986) S.24 zur expliziten Selbstnennung Catulls in V.l und zur Trennung von Catull als Dichter und dem in seinen Gedichten Liebenden sind natürlich korrekt, helfen jedoch für das Verständnis von c.ll und die Klärung der Ironie-Frage nicht weiter. Siehe aber u. S.262. H. OFFERMANN spricht hierfür von "Catulls Technik der verzögerten Aufdeckung" (ACD 12 [1976], S.29-36). Siehe u. S.246ff.; vgl. auch FREDRICKSMEYER (1983) S.70, daß V.l-14 "evoke no reminiscences from the preceding Lesbia cycle, the reader will at first proceed without reflective pause".

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dadurch besonders herausgehobenes, in ein Freundesgedicht nur eingekleidetes Lesbia-Gedicht, das auch primär als ein solches zu verstehen ist und für dessen Interpretation die meisten der angeblich für eine ironische Behandlung der Adressaten sprechenden Beobachtungen viel wirkungsvoller zu nutzen sind. Die Funktion des scheinbar zu langen geographischen Katalogs mit seiner Freundschaftsbekundung - hierin hatten z.B. BELLANDI und HEATH neben der ironischen Behandlung der Adressaten das zweite große Problem des Gedichts gesehen401 - ist m.E. also ganz wesentlich aus der Struktur des sog. 'Lesbia'-Zyklus und aus seiner Stellung in der Nachbarschaft zu den anderen Freundesgedichten zu erklären, da natürlich trotz der oben zitierten Forderung "must stand or fall on its own" der unmittelbar vorausgehende Kontext des carmen in seiner Sammlung - genauso wie c.2, 3, 5, 7, 8 für die Beziehung zu Lesbia - bei der Interpretation zu berücksichtigen ist, nicht aber die dem Leser noch unbekannten, späteren c.l5ff.402 Für das Gedicht selbst und seine Hauptaussage (cum suis uiuat ualeatque...) bedeutet dies, daß Catull in dem Moment, da er mit seiner Geliebten bricht und scheinbar verlassen dasteht, tatsächlich auf gute Freunde zählen kann, die für ihn da sind.403 Notwendig war folglich für den Gedichtanfang eine Form der Freundschaftsbekundung, die diese Bereitschaft der Freunde, für Catull einzutreten, hervorhebt, so wie es die denkbaren Reisen mit abschließendem omnia haec... temptare simul parati (V.13f.) auch bestens leisten. Daß Catull für diese Darstellung der Freundschaft und aufopfernden Bereitschaft seiner comités aber ausgerechnet die Begleitung bei Reisen in alle Welt gewählt hat und nicht andere Angebote wie etwa Beistand vor Gericht, Pflege bei Krankheit oder, für die Situation von c.ll eigentlich am nächstliegenden, Trost bei Liebeskummer, mag vordergründig404 - betrachtet man das Gedicht

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BELLANDI (1985) S.17ff., HEATH (1989) S.98ff. Zur Frage der "internal unity" als zentrales Problem vgl. auch z.B. QUINN (21973) S.125f. "What has the romantic travelogue [...] to do with the 'brief, harsh' message [...]. Doesn't the first half awkwardly overshadow the second?", PUTNAM (1974) S.71, MULROY (1977/1978) S.238 "Is the poem a unified piece of work, or is it two poems stitched together?". Vgl. jetzt auch FREDRICKSMEYER (1993) S.89 "I beüeve that Catullus composed his poems as self-contained, independent entities" mit entsprechender Einschränkung: "A full understanding and appreciation of them may require a knowledge of the larger background from which they came, i.e. [...] their position among other poems." Ausgewertet wird diese natürliche Erkenntnis aber zumeist nur hinsichtlich c,15ff., viel zu wenig auch bezüglich des engeren Kontextes, d.h. c.9,10,12ff. Siehe u. S.246ff. Auch z.B. YARDLEY (1981) S.63ff. sieht Catulls Freundschaft mit Furius und Aurelius als Kontrast zur "broken friendship with Lesbia"; vgl. ferner FREDRICKSMEYER (1993) S.99 mit Hinweis auf Ov.rem.583ff. tristis eñs, si solus eñs, dominaeque relictae ..., 589f. semper habe Pyladen aliquem, qui curet Oresten:/ hie quoque amicitiae non leuis usus erit. Der tatsächliche, wesentliche Grund für die Wahl gerade der Reisethematik liegt jedoch m.E. in der Anlage des gesamten Zyklus und war durch die nach c.8 notwendige, plötzliche Rückkehr eines Freundes zur Aufhebung der Vereinsamung in c.9, aber auch mit c.10 vorgegeben, so daß sich wie c.12-14 drei thematisch zusammengehörige Gedichte ergaben (dazu siehe u. S.254ff.).

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

nur für sich allein - damit zusammenhängen, daß der Dichter so gleichzeitig die Möglichkeit hatte, für sich selbst auf das übliche Motiv des Reisens als Flucht vor Enttäuschung in der Liebe anzuspielen und sich nach gebrochener Beziehung als völlig frei und ungebunden zu geben.405 So wie Catull c.ll jedoch formuliert hat, ist der Reisekatalog in erster Linie Mittel, um Furius' und Aurelius' aufrichtige Freundschaft mit ihm zu dokumentieren. Zusätzliche Ironie gegen die beiden Adressaten geht demgegenüber aus dem Gedicht selbst, seinem Aufbau und seinen Formulierungen oder seinem unmittelbaren Umfeld im ersten Zyklus in keiner Weise hervor und paßt im Gegenteil auch kaum zum in c.ll enthaltenen Auftrag.406 Auch zur Aufnahme von Catulls Gedichtanfang bei späteren Autoren als ernster und aufrichtiger Freundschaftsbekundung paßt sie nicht und ebensowenig, wie später noch genauer zu untersuchen sein wird,407 zum gesamten Ton im ersten Zyklus. Ohne Ironie aber bleibt das Problem mit c.l5ff. und den dortigen, an die Stelle des Freundespreises getretenen Angriffen.

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Siehe hierzu die o. Anm.376 genannten Forschungsmeinungen, die Zusammenstellungen und Untersuchungen zur Reise-Topik von HEATH (1989) S.99ff. sowie z.B. PENNISI (1961) S.131; FREDRICKSMEYER (1983) S.85 Anm.30 sieht die Reisen als "a symbol of Catullus' new life", (1993) S.93f. als "a prospectus and affirmation of Catullus' life with Furius and Aurelius in the future in contrast with the retrospect and disavowal of his life with Lesbia in the past", "[...] a life of virtus, as opposed to his past life, which had become, through Lesbia, sordid"; nach M.C.J. PUTNAM (The Art of Catullus 64, HSCPh 65 [1961]) S.17 ist es hier wie auch sonst in Catulls Gedichten, "as always [...] the voyage means more than geographical wandering. It symbolizes change through departure, the leaving of one kind of life for another." All diese Überlegungen mögen wohl mit hereinspielen, sind aber m.E. nicht so stark zu werten, wie dies einige Interpreten wollen, und nicht die Hauptfunktion des Kataloges. Zu bedenken ist schließlich, daß solches vielfach nur dadurch angeregt wurde, daß man die Adressaten ironisch behandelt sah, sich deswegen die ausufernde Freundschaftsbekundung nicht mehr erklären konnte und folglich oft reichlich gewaltsam Verbindungen innerhalb des Gedichts zum Lesbia-Teil suchte. Sieht man die Adressaten dagegen als wirkliche Freunde, ist auch der Gedichtanfang zu verstehen; gesuchte zusätzliche Deutungen wie z.B. die viel zu weit gehende von HEATH (1989, S.115 "Catullus will in fact journey to these places [...] How will he do it? Through poetry"; dazu siehe u. Anm.417) sind nicht nötig. Zu weit geht im übrigen auch DUCLOS (1976) S.83, wenn er im Gedicht einen Kontrast zwischen Catulls und Lesbias Leben ausgedrückt erkennen will: Bei Catull die Freiheit umherzuschweifen, bei der "in her own insatiable sexual desires" und "within the confines of one stanza" eingesperrten Lesbia dagegen "a tightly compressed intermingling of bodies". Die von ihm S.84f. herausgearbeiteten Beobachtungen zu Formulierungen und Wortstellung sind zwar korrekt, können aber die unterstellte Funktion nicht belegen. Und was nun inhaltlich den Kontrast betrifft: Ist nicht gerade die niemand wahrhaft liebende, sich mit vielen Freiern amüsierende Lesbia ein Beispiel für größtmögliche sexuelle Freiheit und Freizügigkeit?

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So ja auch z.B. SCHUSTER (1948) Sp.2371 "Unseres Erachtens brächte eine solche Verspottung der beiden Angesprochenen einen geradezu unerträglichen Mißklang in das bitterernste, tiefempfundene Gedicht", KINSEY (1965) S.538, 542 "The poem is more effective without such irony", MACLEOD (1973) S.302 "no cheap irony disturbs the venomous anger and the sorrowful regret which infuse the poem", NEWMAN (1990) S.166 "Too much insistence on 'iron/ would diminish the effect". Siehe u. S.246ff.

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Wenn der für die ironische Haltung in c.ll eintretende SWEET glaubt, als Voraussetzung klären zu müssen, ob Catull innerhalb eines Gedichtes fähig sei "of saying several different, even contradictory things at once",408 so ist das Vermögen dazu gewiß nicht zu bestreiten. Die Frage ist hier vielmehr, ob Catull dies auch gewollt hat.409 Denn warum hätte er überhaupt zweierlei Aussagen, eine aufrichtige Absage gegen Lesbia und ein unaufrichtiges Freundeslob, in diesem c.ll verknüpfen sollen?410 Nur um eine Verbindung zum zweiten Zyklus mit dessen Protagonisten Aurelius und Furius zu schaffen? Zu bedenken ist immerhin, daß c.ll keineswegs nur ein beliebiges Freundes- oder Liebesgedicht darstellt. Mit seiner offenbar endgültigen und im Corpus Catullianum übrigens einzigen Absage an die Geliebte411 erhält es ganz besonderes Gewicht, vielleicht bewußt in sapphischer Strophe formuliert als Anspielung auf das berühmte, den Zeitgenossen schon bekannte c.51, die Sappho-Übersetzung bzw. Bearbeitung, mit der Catull nach Ansicht vieler einst den allerersten Kontakt zu Lesbia herzustellen schien.412 Ist die Botschaft an Lesbia da nicht ohne gleichzeitige ironische Abqualifizierung der Boten viel eindringlicher?413 Wenn Catull wirklich gezielt für ein von ihm selbst geordnetes Büchlein durch die ironische Einführung der späteren Hauptadressaten einen Bezug zu seinem zweiten Zyklus hätte herstellen wollen, warum soll er dann nicht darauf geachtet haben, daß seine Leser diesen auch ohne weiteres verstehen können? Warum ist dann nicht, um die Einstellung zu den beiden comités zu klären, im ersten Zyklus vor c.ll z.B. C.16 eingeschoben, das sich dafür am natürlichsten angeboten hätte, da es 408 409 410

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SWEET (1987) S.514. Vgl. auch SWEET später "if [...] the poet wishes". Vgl. auch den ähnlichen Einwand von FREDRICKSMEYER (1983) S.86 Anm.31, daß Catulls offener Angriff auf Lesbia in seiner Aufrichtigkeit nie bezweifelt würde und es nicht einzusehen sei, warum dies bei der Behandlung der Adressaten "in an equally direct and unequivocal way he compliments the two men" anders sein sollte: "Is it not most unlikely that the direct expression of hostility to Lesbia would be juxtaposed to an equally direct expression of friendship to Furius and Aurelius, but that the former should be meant as sincere and the latter as insincere?"; vgl. entsprechend (1993) S.92,99. Vgl. z.B. QUINN (1973) S.387 "the poet's final, public dismissal of his mistress". Vgl. z.B. FERGUSON o. Anm.86 sowie u. S.263f. zu c.51 als poetische Fiktion; zum Verhältnis von c.11 zu c.51 vgl. z.B. COMMAGER (1965) S.102, PUTNAM (1974) S.77, DUCLOS (1976) S.78ff„ FREDRICKSMEYER (1983) S.78ff., BIONDI (1989) S.22f„ CELENTANO (1991) S.88f., JANAN (1994) S.66ff., MILLER (1994) S.lOlff. Neben dem gleichen Metrum beachten die Interpreten wie z.B. HOLLAR (1972) S.91, BRIGHT (1976) S.105 besonders das seltene Wort identidem, das Catull ausgerechnet in beiden Gedichten verwendet hat (V.20 bzw. 3); zur Stellung in der Sammlung vgl. aber den Einwand von CLAUSEN (1976) S.40 Anm.13 "if Catullus wished the reader to hear an 'echo' in identidem [...] he would have placed 51 before 11"; genau umgekehrt und die Folge 11 51 als gezielt deutend WISEMAN (1969) S.34. Zur in der Forschung nicht in Frage gestellten Identifizierung der puella mit Lesbia vgl. z.B. FREDRICKSMEYER (1993) S.90 und die u. S.246ff. angestellten Überlegungen zum Bau des Zyklus. Vgl. jetzt auch FREDRICKSMEYER (1993) S.92: "By distributing his scorn among three persons rather than concentrating it on one, Catullus would blunt his invective against Lesbia, and this cannot have been his intention."

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

ohnehin in enger Beziehung zu den Kußgedichten zu stehen scheint, wie im nächsten Kapitel zu besprechen sein wird? Sollte ein Leser statt dessen tatsächlich Furius und Aurelius in c.ll zunächst nur in harmloser Weise als Freunde sehen und erst beim Weiterlesen und danach "on a second reading" ihre wahre Natur erkennen?414 Aus c.ll allein ist ja, wie gezeigt und auch z.B. von HEATH zugegeben, bei unvoreingenommenem Zugang die Ironie nicht wirklich herauszulesen - die Kritik an seinen Freunden setzt erst im zweiten Zyklus ein. Doch wie hätte Catull sicher sein können, daß sein Leser dann, sekundär, auch wirklich c.ll in der gewünschten Weise versteht, wie HEATH voraussetzt, und sich nicht vielmehr nur über den plötzlichen Umschwung wundert?415 Auch nach der Kenntnis von c.l5ff. wird das 11. Gedicht ja nicht plötzlich in sich als ironische Behandlung der Adressaten verständlich; die oben vorgetragenen Einwände gegen die scheinbaren Anhaltspunkte für Ironie gelten auch weiterhin. Welchen Sinn sollte es überdies für c.ll haben, wenn der Leser später erkennen muß, daß der von der puella Enttäuschte nicht nur von ihr, sondern bei einer rückschließend nur ironischen Sicht der Adressaten bereits in diesem Gedicht auch von seinen comités verlassen ist?416 Wie hätte Catull sich überhaupt sicher sein können, daß sein Leser dann tatsächlich auch c.ll noch ein weiteres Mal liest und solange darüber nachdenkt, bis er die angebliche Ironie erkennt oder etwa merkt, wie jüngst HEATH als Erklärung für c.ll vermutet, Catulls Absage an Lesbia bedeute nicht nur einen Bruch in der Liebe: Durch die Nennung von Furius und Aurelius solle Lesbia gezeigt werden, daß sie in Zukunft auch keinen Platz in Catulls Gedichten mehr erhalten werde, auf literarische Unsterblichkeit also zugunsten der beiden neuen Adressaten verzichten müsse?417 Abgesehen davon, daß Catull, wenn er die Absage so gemeint 414

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HEATH (1989) S.115f. mit Anm.61 (siehe auch o. Anm.342), daß die "subtle verbal parallels are perhaps only to be found on a second reading, when we are looking for hints to help us align c.ll with the rest of the cycle". Dann aber, "in the light of Catullus' threatened actions against these two, we see how perfectly penetrabit is used [...] and discover the other subtle word play which leads in the same direction". Warum ist aber dafür nicht c.lSff. penetrare auch in genau diesem unterstellten Sinn gebraucht, um den Bezug zu markieren (c.15,19 statt dessen percurrent)? Mit "on second reading" argumentieren auch SWEET (1987) S.516, MILLER (1994) S.52ff. und vgl. z.B. schon OFFERMANN (1978) S.42 "[...] bietet so die Anordnung dem Dichter eine zusätzliche Möglichkeit der Aussage: er kann in späteren Gedichten früher Gesagtes verdeutlichen und interpretieren." Vgl. HEATH (1989) S.115 selbst: "We are left wondering what sort of friends would be called upon to deliver such a message." Vgl. dagegen z.B. bereits KINSEY (1965) S.539, BELLANDI (1985) S.26 Anm.4. HEATH (1989) S.109ff.: "Lesbia, then, has been reminded of what she has to lose if she ceases to become the subject of Catullus' poetry" (mit Bezug auf c.8), "Furius and Aurelius represent the break between Catullus and Lesbia: in the dramatic fiction, because they are to deliver the message to Lesbia; on another level, because they are replacing her in Catullus' poetry." HEATH findet so auch die Erklärung für den Gedichtanfang mit den Reisen (S.110): "It does not matter whether these are planned or purely imaginary trips they are locales which Catullus will visit through his poetry. Lesbia however will not travel with him." Bei dieser von HEATH unterstellten programmatischen Funktion und der von ihm ja ebenfalls angenommenen bewußten Anordnung der Gedichte ist allerdings zu fra-

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hätte, auch im Gedicht so hätte formulieren müssen, sollte - in der Fiktion des Buches - dies Lesbia angesichts des ausschließlich obszönen (c. 15, 16, 21, 23) oder spottenden Inhaltes (c.24 und 26) der folgenden Aurelius- und Furius-Gedichte wirklich etwas ausgemacht haben? Wäre sie da nicht vielmehr froh, nicht selbst länger Gegenstand für Catulls carmina mit solchen Angriffen zu sein? Zu bedenken ist im übrigen, daß Catull für seine Zeitgenossen und alltägliche Leser schrieb, die das Gelesene auf Anhieb und bei normaler, im Buch fortschreitender Lektüre verstehen wollten und sollten, gewiß auch darüber nachdachten, aber keineswegs Tage und Wochen unter Berücksichtigung aller weiteren von Catull geschriebenen Gedichte um die Interpretation von c.ll bemüht waren wie ein heutiger Forscher. Wenn man folglich an ein von Catull selbst und bewußt geordnetes Buch mit den hier untersuchten und absichtlich als c.ll, 15 usw. plazierten Gedichten glauben will - und dies ist ja die Position eines Großteils der heutigen Catull-Forscher wie z.B. WISEMAN, E.A. SCHMIDT, CLAUSEN, SKINNER, FERGUSON, DEITMER, STROH, FORSYTH und DION - muß man sich, genauso wie man das nähere Umfeld bezüglich der Freunde c.9, 10 und 12 oder die vorausgegangenen Lesbia-carmina einbezieht, auch um eine Klärung der veränderten Einstellung Catulls gegenüber den Adressaten von c.ll und 15ff. bemühen. Solange es aber nicht wirklich überzeugend gelingt - und gelungen ist es eben bislang noch nicht -, die vermeintliche Ironie gegen Furius und Aurelius bereits in c.ll selbst zu belegen (Anhaltspunkt ist schließlich nur die Veränderung c.l5ff.; weitere "external evidence" gibt es nicht),418 ist davon auszugehen, daß Catull die beiden in diesem Gedicht wirklich und aufrichtig nur als seine engen Freunde und Gefährten angesprochen hat, die ihm in einer bestimmten, für ihn selbst sehr bedrückenden Situation Beistand leisten sollen,419 und nach einer anderen Lösung für das konstatierte Problem mit c.ll und 15ff. zu suchen.

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gen, wo dann die entsprechenden carmina abgeblieben sind. Die Aurelius- und FuriusGedichte 15ff. haben nun wahrlich keinen Bezug zum Reisekatalog von c.ll, der folglich auch kaum als eine solche Ankündigung gedeutet werden kann. Wenn der Katalog wirklich so gemeint wäre, warum hat Catull dann nicht wenigstens 'Reisegedichte', wie sie im Corpus Catullianum z.B. mit c.31, 46 oder auch 28 ja schließlich vorhanden sind, direkt nach c.ll gesetzt? Geschickt, mehrere und vielleicht unabhängige Argumente suggerierend formuliert dagegen FOTIOU (1975) S.152: "the greater majority of the arguments [...] are external to the poem itself." Vgl. auch z.B. FREDRICKSMEYER (1983) S.86 Anm.31 "The burden of proof clearly lies with those who claim that Catullus does not mean what he says, and this proof has not been provided". Sogar ein direktes Argument gegen eine auf Furius und Aurelius bezogene Ironie findet im übrigen WOODMAN (1978) in der Reihenfolge der erwogenen Ziele V.2-12. Nur wenn die Aufzählung umgekehrt sei, also von realistischen Zielen zu vagen und phantastischen, zur "mythical and perilous region" des Ozeans und Orients übergehe, meint er hier eine Vorbereitung für Ironie erkennen zu können, denn dann würde Catull "more and more outrageous", jetzt jedoch werde er "increasingly realistic" (S.77f.). Warum die Abfolge bei Catull so nicht ist, ist klar: Schrittweise wird in der vorliegenden Weise zum V.15 folgenden konkreten Auftrag hingeleitet. Warum dies aber

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

Hierzu allerdings lediglich einen realen Hintergrund zu konstruieren, etwa anzunehmen, wie besonders in älterer Forschung beliebt, daß die Gegner Furius und Aurelius selbst sich angeboten hätten, daß Catull auf ein konkretes Angebot, entweder mit ihnen zu verreisen (in Reaktion auf von Catull geäußerte echte Reisepläne) oder als Vermittler aufzutreten, zurückgreift (nach QUINN in einer "wrily ironical answer")420 - man erwägt sogar, Lesbia könnte die beiden zu Catull geschickt haben421 -, ist unnötig, setzt wiederum nur die aus c.l5ff. gewonnene ironische Sichtweise voraus und ist aus dem Gedicht selbst ebenfalls nicht zu erschließen.422 Wenn tatsächlich ein Angebot der beiden vorausgegangen wäre oder gar Lesbia den ersten Schritt unternommen hätte,423 hätte Catull dieses auch deutlich machen und durch dixistis o.ä. darauf verweisen (vgl. in c.l6,12f. uos, quod... legistis), oder die beiden klar als Lesbias Boten identifizieren (nicht wie V.13f. "die ihr bereit seid mit mir ...", sondern "die ihr von Lesbia kommt") und zu dieser zurückschicken können und müssen (u.a. z.B. durch eine Formulierung mit renuntiare statt nuntiare in V.15).424 So wie er es dagegen formuliert, ist das Angebot der Freunde ebenso wie bei Horaz und den anderen Nachahmern nur der vom Dichter selbst gestaltete Freundestopos mit der oben beschriebenen Funktion. Ebenfalls nicht befriedigen können die weiteren bisher vorgebrachten Erklärungsversuche. Wenn z.B. WESTPHAL und BAEHRENS passend zu ihrem 'Juventius'-Roman vermuten, Furius und Aurelius, Catulls Rivalen beim geliebten Knaben, wie sie aus c.lSff. herauslesen, hätten amicitiae specie den Versuch unternommen, Catull mit Lesbia zu versöhnen, um Juventius ganz

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auch ein Argument gegen eine ironische Sichtweise der Adressaten sein soll, wird nicht recht verständlich. Wollte man die Erwähnung Caesars als ironisch auffassen (dagegen siehe jedoch u. Anm.612 und z.B. WOODMAN selbst), ließe sich auch anders argumentieren, daß bereits dessen Einbeziehung mit realen Reisemöglichkeiten nur mehr innerhalb des Imperium Romanum anstelle der großartigen Fernziele des Gedichtanfangs einen Rückschritt darstellten. So ist m.E. nur WOODMANs Ablehnung der Ironie zuzustimmen, nicht aber auch seinem hier kurz angedeuteten Argument. So z.B. QUINN (21973) S.126, FOTIOU (1975) S.153f., PUTNAM (1974) S.73f.; zu Catulls Reiseplänen siehe o. S.114. So z.B. schon RICHTER (1881) S.4, MERRILL (1893) ρ,ΧΧΧΙΙ, LENCHANTIN D E GUBERNATIS (1964), SCHMID (1974) S.254, DELLA CORTE (21976) S.177, (1977) ad loc., SYNDIKUS (1984) S.125 und BELLANDI (1985) S.19f. scheint ebenfalls von solchen Überlegungen auszugehen; vgl. dazu auch FREDRICKSMEYER (1993) S.104: We note that the most frequent proposals are that Furius and Aurelius are Lesbia's agents, and that they have falsely assured him of their friendship." Vgl. genauso FREDRICKSMEYER (Fortsetzung des Zitats der vorausgehenden Anm.): "I can see no suggestion of either of this in the poem." Abgelehnt wird dies auch von KINSEY (1965) S.539 mit Hinweis auf die Formulierungen von V.l-14 und folgender Überlegung: "Moreover, if they are expecting a reply, the surprise effect of the request, which forms so large a part of the justification of lines 1-14, disappears." Als Gegenargument VORLÄNDERs schon bei RICHTER (1881), der es S.4 Anm. nur folgendermaßen und nicht überzeugend ablehnen kann: "Aber so grob wird wohl Lesbia nicht angefragt haben, dass Catull so grob seine Absage als Antwort fassen könnte."

Das Furius- und Aurelius-Problem (c.ll)

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für sich zu behalten,425 so gelten dieselben Bedenken wie bei den anderen von einem konkreten Angebot ausgehenden Lösungen. Warum hat Catull dann nicht das selbstsüchtige Verhalten der beiden auch für andere Leser außer WESTPHAL und BAEHRENS deutlich entlarvt, selbst einen Bezug zu Juventius hergestellt, d.h. sich bei seiner Abkehr von Lesbia gleichzeitig diesem zugewandt und auf diese Weise den angeblichen 'Juventius'-Liebesroman bereits vorbereitet und die beiden Zyklen - passend für STROHs 'Liederbuch' etwa - explizit miteinander verknüpft? Derartige Lösungen wirken gewiß schön, sind aber eher phantasievoll als wissenschaftlich überzeugend und wieder nicht aus genauer Interpretation der fraglichen Gedichte gewonnen.426 Auch FREDRICKSMEYERs jüngst erneut vorgetragene Annahme, c.l5ff. in "the earliest period of Catullus' career" anzusetzen, "while c.ll dates from its end",427 mittels der Chronologie der Gedichte also zu argumentieren und einen größeren zeitlichen Abstand zu vermuten, ist problematisch. Durch die Erwähnung von Caesars Überfahrt nach Britannien (55 und 54 v. Chr.) ist zwar für c.ll in der Tat ein terminus post und die unten noch weiter auszunutzende Möglichkeit der Datierung gegen Ende von Catulls Leben gegeben,428 doch fehlen entsprechende, überzeugende Anhaltspunkte für eine Frühdatierung bei den anderen Gedichten 429 Aber selbst wenn ein größerer zeitlicher Abstand zwischen den beiden Gedichten liegen und wohl für die veränderte Einstellung Catulls verantwortlich sein sollte - mit einer zwischenzeitlichen Aussöhnung rechnen z.B. auch KROLL und METTE;430 425 426

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WESTPHAL (21870) S.202, BAEHRENS (1885) S.38,122. Gegen solche Konstruktionen vgl. z.B. bereits FOTIOU (1975) S.153. Vgl. im übrigen auch die Spekulationen von BRIGHT (1976) S.109, daß Catulls Verhältnis zu Aurelius und Furius nicht durch einen c.l5ff. zugrundeliegenden "particular quarrel" getrübt, sondern es deren ganze Persönlichkeit sei, "which Catullus simply did not find fit to befriend"; RICHARDSON (1963) sieht S.105 Aurelius und Furius angesichts ihres früheren Verhältnisses als am besten geeignet für non bona dicta. FREDRICKSMEYER (1983) S.86 Anm.31; (1993) S.90 ist es für ihn, ausgehend von ELLIS' (21889) Angaben zum Tode Catulls, die in der Forschung aber keineswegs mehr einhellig akzeptiert sind (siehe u. S.300f.), sogar "possibly the last one". Siehe u. S.271ff. Wenn z.B. R. REITZENSTEIN (Zu Horaz und Catull, Hermes 57 [1922], S.363ff.) letztere auf Grund stilistischer Überlegungen vor 59 v. Chr. datieren will, so ist dies noch keineswegs zwingend. Vgl. dazu auch BELLANDI (1985) S.25 Anm.2. Zum vermeintlichen metrischen Argument für die frühe Ansetzung der Hendekasyllaben von c.2-26, das aber im Zusammenhang mit dem problematischen c . l l von der Forschung ohnehin nicht verwendet wird, siehe u. S.235ff. KROLL (61980), M E T T E (1956) S.35; vgl. ferner SCHUSTER (1948) Sp.2371, DELLA CORTE (21976) S.178, (1977) ad loc. oder BELLANDI (1985) S.25 Anm.2 mit Hinweis auf KROLL sowie jetzt vor allem FREDRICKSMEYER (1993) S.97f.: "Their falling-out was, apparently, a result of their rivalry over Juventius [...] and this, we should think, was not a very serious or irresolvable issue [...] the assumption becomes very plausible that the three men settled their differences and became friends, or friends once again." Angesichts des Bruchs mit Lesbia ergibt sich für ihn so ein "reversal of relationships", die einstigen Feinde sind jetzt seine Freunde, die Freundin aber jetzt eine Feindin. S.101 Anm.38 spe-

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

FREDRICKSMEYER zieht gar die Versöhnung mit Caesar zum Vergleich heran -, warum sind dann, den Leser verwirrend, c.ll und c,15ff. in Catulls Sammlung so dicht hintereinandergesetzt, daß dadurch im Gegenteil eher die umgekehrte chronologische Abfolge markiert scheint?431 Warum hat Catull dann die Gruppe älterer, nicht mehr seine aktuelle Haltung Furius und Aurelius gegenüber widerspiegelnder Schmähgedichte nicht weit von c.ll getrennt und etwa am Ende der Polymetra piaziert oder überhaupt noch in seine Sammlung aufgenommen oder ihnen nicht zumindest durch Austauschen der Namen die persönliche Spitze genommen, wenn er sie schon unbedingt als, angesichts ihres obszönen Inhalts freilich recht fragwürdiges, Zeugnis seiner Dichtkunst gelesen und überliefert wissen wollte? Das zeitliche Verhältnis genau umgekehrt, also c.ll vor c.l5ff., sehen z.B. HEATH und WOODMAN 432 und glauben z.T. wie z.B. QUINN und KINSEY, verglichen mit den Versuchen, Catulls Verhalten gegenüber Furius und Aurelius in c.ll als ironisch und nicht aufrichtig abzuwerten, nun ebenfalls umgekehrt, daß nur c.ll, nicht aber auch c.l5ff. ernst gemeint ist.433 Auch wenn dies, wie die Beobachtungen der folgenden Kapitel zeigen werden, wohl tatsächlich der richtige Ansatz ist und schließlich aus den c,15ff. selbst Anhaltspunkte dafür gewonnen werden können, daß die Schmähungen nicht wahrhaft verletzende Attacken sein sollen, so ist aber damit allein das Verhältnis der Gedichte zueinander immer noch nicht ausreichend erklärt:

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kuliert er sogar, Catull könnte wünschen "to make amends to Furius and Aurelius for his former abuse of them (as, one could say, he makes amends to Caesar for his attacks on him)". Doch nicht nur letzteres, auch die unterstellte Versöhnung kann er in keiner Weise belegen. So ja auch SYNDIKUS (1984) S.125 "[...] aber hätte dann Catull in seinem Gedichtbuch die beiden unvereinbaren Sichtweisen ohne Erklärung in benachbarten Gedichten vorführen können?" WOODMANN (1978) S.77, daß die Anrede in c.ll nur dann "in a different light" zu sehen ist, wenn "these later poems were really intended to be read in a vicious spirit", HEATH (1989) S.114 zu c.l5ff. als "good-natured raillery or as representing a later, less affectionate period of the relationship". ELLIS (21889) ad loc. denkt an eine Abfassung von c.11 zumindest vor c.23 und 24. Vgl. z.B. SCHUSTER (1948) Sp.2371 "Mit Furius und Aurelius war er eben so gut befreundet, daß er sich ihnen gegenüber die klumpigsten Kraftausdrücke [...] erlauben durfte, ohne ein Mißverständnis von ihrer Seite befürchten zu müssen", FREDRICKSMEYER (1983) S.86 Anm.31 "It is [...] far from certain, perhaps unlikely, that the poems in question in fact offer evidence of a real feud or hostility between these men" sowie z.B. die Kommentare von FORDYCE (21965, S.125: "light-hearted abuse") und QUINN (21973) ad loc. und auch (1959) S.107 Anm.5 "[...] may be a genuine appeal to friends", PENNISI (1961) S.132f., KINSEY (1965) S.537. KINSEYs Lösung S.543 (vgl. auch S.544), daß Furius und Aurelius nicht gewöhnt waren "being addressed by Catullus in this sort of way [sc. wie in c.ll]", so daß "the change from the, perhaps goodhumoured, scurillity of the other poems" dazu gemeint sein könnte, "to lead the readers and the recipients to anticipate that Catullus has a surprise in store", geht wiederum nur von c.l5ff. aus (so explizit die Einleitung seines Zitates: "We may infer from the other poems [...]"), die ein Leser und Rezipient eines von Catull selbst angeordneten Buches bei der Lektüre des fraglichen c.ll noch nicht kennt. Siehe auch die u. Anm.572,575 zitierten Meinungen.

Das Furius- und Aurelius-Problem (c.ll)

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Der nur spielerische Charakter von c.l5ff. - ohnehin ja von vielen Forschern bestritten434 - ist keineswegs so offensichtlich, daß sich ein Wechsel in Catulls Haltung zwischen c.ll und 15ff. von selbst verstehen würde und wirklich auf Anhieb als lediglich neckender Umgang unter Freunden abzutun wäre. Dafür sind die Angriffe in c.l5ff. dann doch zu massiv, dafür ist der Umschwung nach c.ll zu abrupt, wie KINSEY ja auch selbst eingestehen muß,435 und die Abfolge c.ll - c.l5ff. zu eng; auch würden sonst schließlich nicht so viele Interpreten für die vermeintliche Ironie eintreten. Wie es der Forschung bislang also nicht recht gelungen ist, die mit c.l5ff. plötzlich veränderte Sicht Catulls gegenüber seinen Freunden zu erklären, so fehlt bisher - für die hier vorgenommene Untersuchung zur Publikationsform von Catulls Gedichten in einem oder mehreren von ihm zusammengestellten Gedichtbüchern natürlich besonders wichtig - ebenfalls eine überzeugende Erklärung, warum Catull gerade diese Gedichte so dicht, getrennt nur durch c. 12-14a, hintereinandergesetzt und den Leser durch die unvermittelt einsetzende Beschimpfung in c.l5ff. der noch in c.ll als Freunde und comités angeprochenen Furius und Aurelius verwirrt haben soll436 Denn daß es zwischen c.ll und c.l5ff. tatsächlich einen nicht nur für den sorgfältig nachlesenden und Bezüge untersuchenden Philologen und Wissenschaftler, sondern auch für einen beliebigen Leser ganz offensichtlichen Bruch gibt, wird zum einen eben durch die enge Folge der Gedichte deutlich, da man nach der Lektüre lediglich vier weiterer Gedichte gewiß c.ll noch im Kopf haben kann, wenn man bei c.15 angelangt ist. Zum anderen dürfte sich der Leser, wenn er nicht schon bei dem nur an Aurelius allein gerichteten c.15 an den Adressaten von c.ll denkt, gerade dadurch, daß sich gleich anschließend C.16 ebenfalls an beide wie in c.ll in einem Vers gemeinsam genannte Adressaten zugleich wendet, an c.ll erinnert fühlen. Sich hier mit der Erkenntnis zu begnügen, daß für die sechs Gedichte c. 15-26 ein "agreement as to their chronological order in relationship to each 434

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Vgl. z.B. MERRILL (1893) ρΛΧΙΧ "Catullus vented his wrath [...] in a group of bitter poems", WHEELER (1934) S.45 "the attacks upon Furius and Aurelius couched in the foulest language [...] nothing more revolting could be imagined", RICHARDSON (1963) S.94 "[...] nor are the attacks on Furius and Aurelius the good-natured joshing of overgrown boys who can insult each other outrageously and remain buddies, the ferocity of the abuse a gauge of the warmth of the affection", HOLLAR (1972) S.117 zu c.l5ff. "It is most difficult [...] to take such a poem as light-hearted abuse, instead of intentional invective meant to insult a foe", SYNDIKUS (1984) S.125 "Ich weiß nicht, Scherze unter Freunden klangen auch damals anders". Diese Einwände sind freilich wiederum nur Ausdruck subjektiven Empfindens und noch kein Argument. Doch haben die zitierten Interpreten gewiß damit recht, daß die Formulierungen der c.l5ff. nicht ein normales, harmloses Scherzen wiedergeben können (durch den u. S.168ff. erwogenen Anlaß wird Catulls Heftigkeit gegenüber Freunden aber verständlich). KINSEY (1965) S.538 "Still, even if Furius and Aurelius are friends of the poet and the abuse elsewhere is goodhumoured, there remains a difference in tone to be explained between it and the respectful address of Poem 11". Auch SKINNERs, von SWEET (1987) S.511 Anm.l gewürdigter Versuch, Furius und Aurelius zu rein fiktiven Gestalten zu machen, hilft nicht weiter; dazu siehe u. S.146ff.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

other and to poem 11" fehle,437 hieße zu vorschnell resignieren. Die von einigen Forschern vertretene Aporie, daß die Frage der Beziehung wie der Ironie "insoluble" sei438 oder daß es gar nicht darauf ankomme, Catulls Verhältnis zu den beiden zu bestimmen,439 ja die Annahme, Catull habe seine Leser sogar bewußt im Unklaren lassen wollen,440 sei sich selbst seiner Gefühle gegenüber Furius und Aurelius nicht klar,441 ist noch unbefriedigender. Dafür ist einerseits der Bruch zwischen c.ll und c.l5ff. einfach zu groß und zu offensichtlich. Andererseits ist es m.E. gegen z.B. DUCLOS für das Verständnis von c.ll als endgültigem Abschluß in Catulls Beziehung zu Lesbia bzw. der puella gerade von großer Bedeutung, in den Adressaten zwei Freunde zu sehen, die Catull bei diesem schweren Schritt zur Seite stehen. Wenn aber nicht aus c.ll die zur Erklärung des Verhältnisses dieses Gedichts zu den folgenden c.l5ff. scheinbar notwendige Ironie herauszuinterpretieren ist, ist für Lösungsversuche entgegen den bisher hauptsächlichen Bemühungen der Forschung vielleicht nicht bei diesem, vielmehr bei c.l5ff. und der Tatsache anzusetzen, daß sich das Problem ja in erster Linie durch die sehr enge Aufeinanderfolge von c.ll, 15, 16 usw. in einer angeblich von Catull selbst geordneten größeren (bzw. sogar Gesamt-) Ausgabe ergibt. 437 438

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FOTIOU (1975) S.152 und bereits KINSEY (1965) S.537. Vgl. z.B. M U L R O Y (1977/1978) S.238, BELLANDI (1985) S.18 und die auch von H E A T H (1989) S.99 Anm.4 als "charming admission" zitierte Äußerung von H. A. J. MUNRO: "What the exact impact may be of his [Catulls] commission to Furius and Aurelius, that enigmatical pair, I have never been able to make out; but on the whole I very decidedly prefer this poem to any sapphic ode of Horace" (in: Criticisms and Elucidations of Catullus, New York 1938, S.243). Vgl. z.B. BLODGETT/NIELSEN (1986) zur Frage der "real friendship" S.25 "[...] cannot be determined, nor is it necessary to determine". DUCLOS' Lösung ist es, die Rolle der angeredeten comités auf die von "public carriers of a private message to Lesbia" zu reduzieren, bloße Mittelsmänner ("intermediaries"), deren Verhältnis zu Catull ebenso wie deren evtl. ironische Behandlung, die er durchaus bereit ist, als Möglichkeit einzuräumen, ohne Belang für das Gedicht sei (vgl. seine bereits oben Anm.390 zitierte Aussage "although it may be interesting to speculate about Catullus' attitude towards them, it is not germane to an understanding of the poem"). Vgl. ferner ähnlich BELLANDI (1985) S.20, daß Catull nicht daran interessiert sei, "primariamente esprimere i suoi sentimenti d' amicizia verso i due o che Γ ironia (eventuale) verso di loro", sowie dann S.32 Anm.23 "Γ intenzione offensiva investe, naturalmente, anche i latori del messagio [...], ma sempre e solo secondariamente". E A . SCHMIDT hat das Problem mit den Adressaten in seinen Beiträgen zur Anordnimg des Corpus Catullianum (1973,1985) sogar völlig ignoriert. Vgl. z.B. BLODGETT/NIELSEN (1986) S.25 "So many variant interpretations suggest that the 'speaker', whether he wills it or not, probably does not wish the audience to have a clear idea of how exactly we are to understand the relationship between 'Catullus' and these friends" und H E A T H (1989) S.115, der sich in seiner Anm.62 auf QUINN (1972) S.164 bezieht, daß Catull mit den Gedichten über seine Beziehung zu Furius und Aurelius sowohl unsere "curiosity" erregen als auch frustrieren wollte: "But Catullus is subtle, and we are left to decide just what to make of this. This, I am convinced, is just as Catullus wished it. [...] We would like to know, and he isn't going to tell us. It is a part of the picture where the focus is deliberately blurred [...]." QUINN (1972) S.160ff. Catull sei "deliberately unclear about his feelings for Furius and Aurelius".

Das Furi us- und Aurelius-Problem (c.ll)

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Als Ergebnis dieses Kapitels ist somit wiederum festzuhalten, daß es trotz der vielfältigen Anstrengungen der Forschung mit Catulls Einstellung zu den Adressaten von c.ll und 15ff., Furius und Aurelius, und der Abfolge dieser Gedichte ein Problem gibt, und zwar vor allem dann, wenn diese Gedichte von Catull bewußt in einer gemeinsamen primären, aber auch sekundären Ausgabe, wie sie z.B. WISEMAN, E.A. SCHMIDT, CLAUSEN, SKINNER, DEITMER, STROH und DION postulieren, so eng und in ihrer überlieferten Folge nacheinander gesetzt sein sollen. Wie groß dieses Problem ist, zeigen die zahlreichen, z.T. sehr erzwungen wirkenden Versuche, mittels einer ironischen Sichtweise der Adressaten bereits in c.ll eine Verbindung zu den späteren Gedichten herzustellen, was jedoch, wie besprochen, nicht überzeugen kann.

2.5. Das ôas/a-Problem (c.l6) In C.16 wehrt sich Catull gegen die Kritik, er selbst sei wegen seiner als molliculi empfundenen Verse zu wenig pudicus und nimmt dazu für sich als Dichter in Anspruch, pudicitia und castitas nur als Person und im wirklichen Leben bewahren zu müssen, nicht jedoch in seiner Dichtung, die gerade auf diese Weise den notwendigen Esprit erhalte (vgl. V.7 salem et leporem). Trotz seiner unendlichen Küsse, von denen Aurelius und Furius gelesen hätten, sei er kein male uir. Abgeleitet wird daraus die das Gedicht als Rahmen umschließende und so besonders eindringliche Drohung Catulls, die beiden V.2 als pathice und cinaede Angeredeten in körperlicher Weise durch pedicatio und irrumatio zu mißbrauchen (V.l und V.14):

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io

Pedicabo ego uos et imimabo, Aureli pathice et cinaede Furi, qui me ex uersiculis meis putastis, quod sunt molliculi, parum pudicum. nam castum esse decet pium poetam ipsum, uersiculos nihil necesse est; qui tunc denique habent salem ac leporem, si sunt molliculi ac parum pudici et quod pruriat incitare possunt, non dico pueris, sed his pilosis, qui duros nequeunt mouere tumbos, uos, quod milia multa basiorum legistis, male me marem putatis? pedicabo ego uos et irrumabo. (c.16)

Da Catull in diesem Gedicht explizit auf Kritik Bezug nimmt, die man nach der Lektüre (V.13 legistis im Perfekt!) an früheren seiner uersiculi und daraus auf den Verfasser schließend auch an ihm geäußert hat, bezeugt er hier selbst die Existenz einer c.16 vorausgehenden Publikation mit dem oder den entsprechend angegriffenen Gedichten oder macht zumindest deutlich, daß die betreffenden Verse vor der Entstehung von c.16 in schriftlicher Form in Umlauf waren.442 Für die Frage nach Buchveröffentlichung und Gedichtanordnung von Catulls carmina muß folglich die Identifizierung die442

Hervorgehoben wird die Formulierung auch schon von ELLIS (21889) S.4 ("Furius and Aurelius had not only heard Catullus' poems recited, they had read them in his own edition") und z.B. jetzt wieder von WISEMAN (1985) S.124 oder auch unlängst von P. RADICI COLACE, Mittente - Messagio - Destinatario in Catullo. Tra Autobiographia e Problematica Dell' Interpretazione, in: La componente autobiografici nella poesia Graeca e Latina ..., Atti del Convegno Pisa 16.-17. maggio 1991, a cura di G. ARRIGHETTI e F. MONTANARI, Pisa 1993, S.241-253, dort S. 243: "Catullo ha 'scritto', Furio ed Aurelio hanno 'letto'."

Das ¿»aria-Problem (c.l6)

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ser der Kritik zugrunde liegenden Verse von wesentlicher Bedeutung sein, und es ist unverständlich, wenn z.B. TROMARAS zu Beginn seiner Behandlung von C.16 eine Entscheidung über die Zuordnung der uersus molliculi für unnötig erklärt.443 Gerade dieses - nach STROH "nicht leicht zu interpretierende"444 - c.16 enthält m.E. auch den Schlüssel zum Verständnis des ganzen Zyklus und des im Vergleich zu c.ll urplötzlich veränderten Charakters der Aurelius- und Furius-Gedichte mit ihren ungewöhnlich scharfen Angriffen. Welches de facto die die Vorwürfe des Aurelius und Furius auslösenden uersiculi Catulls waren, ist leider in der Forschung nach wie vor umstritten. Denn auch wenn in neuerer Zeit WISEMAN und TROMARAS445 ausführlicher für den schon bisher immer wieder angenommenen446 und sich aus der Erwähnung der basia in c.16 m.E. auch als offensichtlich und nächstliegend ergebenden Bezug auf Catulls bekannte und in der Sammlung vorausgehende Kußgedichte 5 und 7 eingetreten sind, so ist dieser von anderen aber doch immer wieder bestritten worden447 und wird auch in jüngster Zeit von 443

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TROMARAS (1984) S.40 (eine eigene Entscheidung folgt aber ab S.45) und genauso bereits BUCHHEIT (1976) S.345 Anm.78. In seinem neueren Aufsatz von 1987 will TROMARAS S.45 sogar c.16 aus dem 'Aurelius- und Furius'-Zyklus herausnehmen. Vgl. auch RADICI COLACE (1993, o. Anm.442) S.242 "se destinati a Giovenzio o a Lesbia poco importa: lasciamo la querelle aperta". STROH (1990) S.138; vgl. auch SKINNER (1981) S.53 über c.16 als "cryptic" und "ambiguous", FERGUSON (1985) S.57 einleitend: "This poem [...] remains a problem." WISEMAN (1976) S.14ff. und seine Darlegungen zusammenfassend auch (1985) S.123f., TROMARAS (1984) S.40ff. Für einen Bezug von c.16 (nur) auf c.5 (und 7), d.h. auf Lesbia-Küsse: z.B. RIESE (1884) S.38, ELLIS (21889) S.59 Anm.l, B. SCHMIDT (1914) S.281, WHEELER (1934) S.22, DORNSEIFF (1936) S.347, METTE (1956) S.35, LUCK (1966) S.281, WISEMAN (1969) S.12 Anm.2, (1976) S.16f., RANKIN (1970) S.119ff., MACLEOD (1973) S.300 Anm.8, WINTER (1973) S.257ff., FEHLING (1974) S.103ff., BUCHHEIT (1976) S.334, OFFERMANN (1978) S.42 Anm.16, LILIA (1983) S.55f., LEE (1990) S.154, NEWMAN (1990) S.171, FITZGERALD (1992) S.438, JANAN (1994) S.149 Anm.5; auf 5, 7 und andere Kußgedichte (c.48), d.h. auch auf Juventius-Küsse: RICHARDSON (1963) S.99, LENCHANTIN D E GUBERNATIS (1964) ad loc., KROLL (61980) ad loc., RANKIN (1976) S.89, SKINNER (1981) S.54 (zunächst nur auf c.5 und 7, nach Weiterlesen aber auch auf c.48, so daß mollis von c.16 in den Augen des Lesers dann auch einen homosexuellen Aspekt erhalte), SYNDIKUS (1984) S.143, FERGUSON (1985) S.57 mit zusätzlichem Hinweis auf c.15 und Catulls Verhältnis zu Memmius. Vgl. z.B. QUINN (21973) im Komm. S.143 auf c.48, im Komm, zu c.21 (S.154) sieht er jedoch dieses Gedicht (neben c.15, 24, 25, 97, 99) als "a further example of uersiculi that are molliculi ac parum pudici", (1959) S.79 dachte er gar an eine Affäre mit einem scortillum; KINSEY (1966) vermutet S.103 als zugrundeliegend verlorene, private und nicht unbedingt veröffentlichte Gedichte, in denen Catull evtl. selbst in der Rolle eines pathicus vielleicht des Memmius - aufgetreten sei. Häufiger wird eine Anspielung direkt auf c.48 und eventuell 99 und damit ebenfalls homosexuelle Verhaltensweisen gesehen, so z.B. von WESTPHAL (21870) S.7, 199, BAEHRENS (1885) S.144, MERRILL (1893) ad loc., FRANK (1928) S.84, SCHÄFER (1966) S.llf., WILLIAMS (1968) S.549ff., SANDY (1971) S.51, HOLLAR (1972) S.108, STOESSL (1977) S.44, ARKINS (1982) S.105, FREDRICKSMEYER (1993) S.97, CARRATELLO (1995) S.41ff.; vgl. auch die Zusammenstellung bei FEHLING (1974) S.105ff., TROMARAS (1984) S.40 A n m . l l .

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

STROH entschieden und zugunsten von Versen wie denen des 15. Gedichts abgelehnt.448 Wie im Falle der c.l4a und 11 ist somit hier wiederum ein sorgfältiges Abwägen der verschiedenen Positionen und eine genaue Betrachtung des Wortlauts des 16. Gedichts erforderlich. In der Tat läßt ja der Ton von Anfangs- und Schlußversen das Gedicht auch in enge Beziehung zum vorausgehenden c.15 treten, wo der knabenliebende Catull ebenfalls am Ende seinem Rivalen Aurelius eine Form der körperlichen Züchtigung, ja Vergewaltigung (die sog. Raphanidosis; vgl. ähnlich c.21,8 und 13 tangam te ... irrumatione und irrumatus) angekündigt hatte. So scheinen die vorgeworfenen molliculi ac parum pudici uersus sowie male marem (V.4 und 13) auf den ersten Blick sicherlich gut auf die Schilderung derartiger Verhaltensweisen beziehbar, schließlich gilt mollis fast als ein t.t. im homosexuellen Bereich, d.h. speziell für den, der den passiven Teil in einer solchen Beziehung übernommen hat (vgl. bei Catull nochmals c.25,1 cinaede... mollior ...).m Und es scheint dazu zu passen, daß in solchen Fällen der Vorwurf der impudicitia erhoben zu werden pflegt450 (vgl. bei Catull selbst C.29), weswegen manche Interpreten parum pudicus bereitwilligst direkt mit pathicus oder cinaedus gleichsetzen.451 Auch z.B. RANKIN, SANDY, nicht nur STROH sehen dementsprechend c.16 in bezug auf Formulierungen wie gerade die unmittelbar vorausgehenden des 15. Gedichts (V.9... a te metuo tuoque pene, V.18f. quem attractis pedibus patente porta percurrent raphanique mugilesque), zumai cinaede (c.16,2) als 'Retourkutsche' aufzufassen sei 452 STROH weist ferner mit Recht darauf hin, daß das von Catull in c.15 und 16 angedrohte aktive eigene Verhalten (im Gegensatz zum passiven) angesichts einer verglichen mit heute ganz anderen gesellschaftlichen Stellung von Knabenliebe und Homosexualität akzeptiert und für den Akteur ohne Verlust seiner Reputation und pudicitia möglich war.453 448

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STROH (1990) Anm.51 S.154 gegen SYNDIKUS und andere, daß es "verkehrt" sei, den "Anstoß nur auf die Kußgedichte" zu legen. Vgl. ferner SCHÄFER (1966) S.ll, STROH (1992) S.79. Dazu vgl. z.B. BUCHHEIT (1976) S.334 Anm.12 mit griechischen und lateinischen Parallelen sowie die Stellen im ThLL VIII 1365,36 zu mollis für homines pathici, cinaedi. Vgl. z.B. STROH (1990) S.152ff. Anm.30 und 49 mit Hinweis auf impudicitia-Vorwurfe in Cicero-Reden und Sekundärliteratur wie seinen eigenen Aufsatz über 'Die Knabenliebe in der klassischen Dichtung der Römer' (1992). So z.B. die Kommentare ad loc. mit Hinweis auf c.29,2 und Verg.catal.13,9 für impudicus = cinaedus, RANKIN (1976) S.88 und MACLEOD (1973) S.300 für pathicus; nach SANDY (1971) S.51 Anm.2 mache es eine vermutete Martial-Anspielung (2,36) "almost certain, that parum pudicum means something like 'pathic' or 'homosexual'". Vgl. ferner STROHs entschiedenes Urteil (1990) Anm.49 S.154: "Nicht anders, nach übüchem lateinischen Sprachgebrauch, kann man auffassen parum pudicum in V.4." SANDY (1971) S.52 "he has turned the tables on them; he threatens them with the very act they have accused him of performing", RANKIN (1976) S.87 "[...] return with vigour the missiles cast at the poet by Furius and Aurelius", STROH (1990) S.154 Anm.49, (1992) S.79; vgl. auch KINSEY (1966) S.103 und BUCHHEIT (1976) S.345f. Vgl. auch BUCHHEIT (1976) S.334; dagegen jedoch S.333 Anm.7 mit Hinweis auf die lex Scantinia und Cic.fam.8,12,3. Zur Beurteilung homosexueller Verhaltensweisen vgl. ferner

Das ftaíie-Problem (c.l6)

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Betrachtet man nun jedoch die betreffenden Gedichte 15, 16 und 21 ein wenig genauer, so ist c.16 gewiß auch insgesamt eine Retourkutsche und enthält V.2 kaum in der Realität zutreffende Bezeichnungen. Diese muß jedoch nicht auf gleichem Niveau wie die vorausgegangene Kritik sein, so daß der fragliche Vers (Aureli pathice et cinaede Furi) keinen wirklichen Rückschluß auf den inhaltlichen Charakter des zugrundeliegenden, von Aurelius und Furius geäußerten Vorwurfs zuläßt.454 Auch c.37 reagiert Catull "in an exaggerated situation of a similar kind" mit einer der Formulierung von c.16 vergleichbaren Drohung (V.8 irrumare)*55 deren Auslöser keineswegs solche homosexuellen Praktiken, sondern die Rivalität bei puellae (V.3ff. uobis/ solis licere quicquid est puellarum/ confiituere) bzw. speziell Lesbia (V.llf.) ist. Und wie weit nun der Begriff der pudicitia zu dehnen und auf welche Praktiken tatsächlich noch anzuwenden ist, was in der römischen Gesellschaft mit ihrem spezifischen Verhältnis zur Homoerotik allgemein geduldet war oder nur stillschweigend eben noch hingenommen wurde, ist letztlich zwar für uns nicht wirklich nachvollziehbar, war jedoch sicherlich schon in römischer Zeit auch und vor allem eine Frage des subjektiven Geschmacks. Catull selbst scheint sogar jede Berührung seines Knaben zu viel (c.l5,2ff. ueniam peto pudentem ... ut ... conserues puerum mihi pudice, V.13 hunc unum excipio, ut puto, pudenter). Daß aber Äußerungen wie die des 15. und 16. carmen in höchstem Grade und gewollt unanständig, obszön sind - egal ob abhängig von aktiver oder passiver Haltung noch zu akzeptieren - liegt auf der Hand; die Feststellung dieser Tatsache bedarf nicht erst einer ausdrücklichen Zurechtweisung durch andere. Die molliculi und parum pudici uersus nur auf c.l5,18f. und Ähnliches zu beziehen, ließe folglich die Kritik von Aurelius und Furius an Catulls Versen als viel zu offensichtlich flach und witzlos erscheinen.456

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die Arbeiten von LIUA (1983), WISEMAN (1985) S.lOff., STROH (1992) mit einer Zusammenstellung auch neuerer Literatur in seiner Anm.l sowie vor allem S.73 oder KROLL (61980) ZU C.16,1 und seine älteren, aber wohl am leichtesten zugänglichen REArtikel 'Lesbische Liebe' (XI, 1, 1921, Sp.897-906) und 'Knabenliebe' (XII,2, 1925, Sp. 2100-2102). Vgl. auch FEHLING (1974) S.108 "[...] formulae initii et finis [...] a proprio argumento [w.3-11] diligenter separan debeant". Anders jedoch LILIA (1983) S.55 trotz ihres ausdrücklichen Bezugs von c.16 auf c.5: "What he is refuting in 16, then, is not the whole notion that he would have anything to do with homosexual practices, but that he was mollis, unmanly himself; the best way to express this, in his opinion, is an active attack in the very same sexual sphere." So korrekt beobachtet von LILIA (1983) S.55f., aber m.E. noch nicht genügend ausgewertet; vgl. dagegen ihr Urteil in der vorausgehenden Anm. Wie im Fall des 'Juventius'Romans ist überdies wiederum zu beachten, daß die Situation nicht wirklich die gleiche ist: C.16 geht es um Kritik an Catulls Liebesdichtung, c.37 tatsächlich um eine Liebesbeziehung und diese bedrohende Rivalen. Vgl. bereits RICHTER (1881) S.5 Anm.: "Der Witz des unfläthigen Gedichtes, der hauptsächlich in dem crassen Widerspruche zwischen dem in Aussicht gestellten Beweismittel und der zu erweisenden Sache besteht, würde hinfällig werden, wenn die von den beiden ausgesprochene Verdächtigung und das Beweismittel gegen dieselbe auf eins hinausliefe."

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

Hinzu kommt, daß purum pudicus eigentlich nur eine Einschränkung der zu bewahrenden pudicitiu darstellt und nicht unmittelbar mit impudicitiu gleichzusetzen ist.457 Das vorgeworfene Vergehen muß somit nicht unbedingt dasselbe sein, wie das, das üblicherweise als impudicitiu abqualifiziert wird. Auch wenn sonst ein nicht mehr gesellschaftsfähiges homosexuelles Fehlverhalten als impudicitiu gemaßregelt zu werden pflegt - wie sollte man es auch anders bezeichnen - und mollis als t.t. für derartige Akteure Verwendung findet, sind schließlich beide Begriffe keineswegs nur für solche Verhaltensweisen gebräuchlich, ja festgelegt, wie STROH zu entschieden behauptet.458 Wie das ThLL-Material beweist, sind auch ein leno oder udulter oder allgemein ein libidinosus in erotischen Dingen impudici, nicht nur die pathici.459 Und mollis verwendet Catull selbst z.B. auch c.11,5 für die Araber wie Manil.4,654 wegen ihres Reichtums und der deswegen unterstellten verweichlichten Lebensweise und ohne jede sexuelle Anspielung wie etwa in c.25,1 bei dem Kinaeden Thallus.460 Trotz des durch Catulls deftige Formulierungen erzeugten homosexuellen Kontextes im selben Gedicht c.16 ist es somit noch keineswegs sicher, daß auch die dem Vorwurf der beiden Adressaten entstammenden Bezeichnungen wie mollis in diese Sphäre gehören. Vielmehr lassen sich die Interpreten zu leicht von den Formulierungen dieses und der anderen Gedichte des Umfeldes wie c.15 und 21 zu einem Bezug der c.16 vorausgehenden Vorwürfe auf Gedichte mit ähnlich derbem, homosexuellem Inhalt verleiten.461 Sie übersehen dabei jedoch den Widerspruch zwischen der in c.16 als getadelt vorauszusetzenden, vermeintlichen und in homosexueller Weise verstandenen mollitiu Catulls und dem von ihm selbst in c.15 und 21 angedrohten, zwar in den homosexuellen Bereich gehörigen, aber dort keinesfalls als mollis (oder das eines mule uir) zu bezeichnenden aktiven Verhalten462 - mollis, mule uir wäre dort im Gegenteil der leidtra457

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Anders jedoch TROMARAS (1984) S.40, der die Formulierung lediglich als umgangssprachlich "übliche, euphemistische Abschwächung" und somit "höfliche Umschreibung" wertet, sowie entsprechend SYNDIKUS (1984) S.143 Anm.l "Ein parum pudicus umschreibt impudicus". Siehe o. Anm.451. ThLL VII,1 impudicus 7U,36ff. mit z.B. Cic.Catil.2,23 oder p.red.in sen.12. Vgl. daher zu Recht RANKIN (1970) S.119 Anm.6 "Mollis does not necessarily entail the reputation of homosexuality" mit Hinweis auf das ThLL-Material und FEHLING (1974) S.104 "[...] omnes versus, qui quoquo modo in amore et voluptate versantur, molles dicuntur, et mille condicionibus amor nulla perversitate pollutus turpis impudicusque haberi potest, si nimius, si inconstantior, si indignus, si ostentatus, aliaque multa". Belege für mollis als "typical epithet" von Liebesdichtung und für deren "lasciviousness" gibt z.B. MACLEOD (1973) S.300 mit Anm.5 und 8 (z.B. Prop.1,7,19, 2,1,2. 34. 42; 0v.trist.2,307. 349, ars 3,331, am.2,1,2). Vgl. ferner TROMARAS (1984) S.39f. mit Anm.8 sowie SYNDIKUS (1984) S.145 "[...] mollis kann wohl im Mund eines altrömisch Gesinnten eine schlaffe, verzärtelte und dem Genuß hingegebene Lebensform meinen" (siehe auch u. S.140ff.). So schließt ja z.B. SANDY (1971) S.51 nur auf Grund der Nähe zu c.15 und 21 auch für c.16 auf homosexuelle Hintergründe und deswegen auch für die basia auf das 'männliche' Kußgedicht c.48.

Das boîi'a-Problem (c.l6)

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gende Aurelius oder Catulls Lustknabe, es paßte nur der Vorwurf parum pudicus. Schon allein deshalb können folglich Gedichte wie c.15 und 21 oder direkt diese beiden mit den uersiculi von c.16,3 nicht gemeint sein.463 Wenn nun andere sogar einen Bezug auf im Corpus Catullianum nicht (mehr) vorhandene Gedichte vermuten, in denen Catull selbst den passiven Part gespielt habe (vgl. dazu bes. male marem in c. 16,13),464 ist dies eine bereits für sich alleine ungeheuerliche, (trotz c.28)465 durch keinerlei wirkliche 462

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Nicht korrekt also STROHs explizite Feststellung, daß die uersiculi molliculi "wohl" zu den "saftigen Zoten des vorhergehenden Gedichts" passen ([1990] S.154 Anm.51). In ähnlicher Weise argumentiert BUCHHEIT (1976) S.345 Arnn.78 gegen SCHÄFER (1966) S.llff., doch konzentriert er sich auf den in c.15 alspedicator, in c.16 dagegen effeminatus beschriebenen Aurelius und lehnt den Bezug von c.16 auf solche Gedichte wie c.15 wegen dieser unterschiedlichen Sicht des Adressaten ab. Schon in c.15 ist Aurelius aber potentielles Opfer von Catulls Vergewaltigung und die Charakterisierung als pathicus in c.16 ist lediglich Vorgriff auf die mit diesem Gedicht angedrohte Vergewaltigung, ja sogar ihr Vollzug (siehe u. Anm.574), so daß nicht wirklich eine verschiedenartige Einstellung des Aurelius zu sexuellen Praktiken beschrieben und daraus kein Argument zu gewinnen ist. Zu male uir vgl. z.B. KINSEY (1966) S.103ff. und mit Bezug auf diesen und einer diesbezüglichen Untersuchung von Catulls Gedichten LILJA (1983) S.56f. sowie die bekannte, eindeutige Formulierung Ov.ars l,523f. ... si quis male uir quaerit habere uirum (einzige Parallele im ThLL) oder auch Quint.5,9,14 (mollis et parum uiri signa) und die Antwort des wegen mollitia corporis beschuldigten Valerius Asiaticus Tac.ann.11,2,1: interroga, ... Suili, fllios tuos: uirum esse me fatebuntur. C.28 scheint allerdings eindeutig (V.9ff. o Memmi, bene me ac diu supinum tota ista trabe lentus irrumasti! sed ... pari fuistis casu: nam nihilo minore uerpa farti estis); vgl. dazu besonders LILJA (1983) S.57 "may describe a real piece of truth" oder andernfalls mit Bestätigung von KINSEY (1966) S.105 Anm.2 "The fact that Catullus represents himself [...] as the pathicus of Memmius suggests that he has no insuperable general objection to the role". Das ganze Gedicht zielt jedoch nur darauf, die mangelhaften finanziellen Erfolge der Reise, ja im Gegenteil finanzielle Ausbeutung durch den jeweiligen Praetor anzuprangern (vgl. am Anfang V.6ff. equidnam in tabulis patet lucetti expensum ...), nicht auch dessen etwa perverse Verhaltensweisen und Catulls diesbezügliches Leiden (vgl. ganz knapp dazu ja auch SYNDIKUS [1984] S.144, 176 Anm.ll oder DELLA CORTE [1977] zum irrumator von c.10,12: "in Catullo ha sempre significato traslato: «chi riesce a prevaricare su un altro»" oder auch die u. Anm.574 und 616 genannte Literatur) - es wäre ohnehin eigenartig, wenn sowohl Veranius und Fabullus als auch Catull gerade an dieser Art 'Vorgesetzte' geraten wären. Deren Charakterisierung als irrumator ist somit ausschließlich metaphorisch zu verstehen und dient als Bild für einen, der andere rücksichtslos ausnützt und sich auf deren Kosten eigene Vorteile verschafft, während irrumare im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus zwar nicht unbedingt ernst, aber doch im buchstäblichen Sinne gemeint ist. Gerade die wiederholte und in c.10 einzige Klage über mangelnde Gewinne aus der Bithynien-Reise (V.12 ebenfalls irrumator) zeigt, daß Catull wohl tatsächlich nicht die erwünschte finanzielle Ausbeute erzielt hatte, also sich bereits in dieser Hinsicht geschädigt fühlte. Daß er nun auch noch ein zweites Mal, nämlich in sexueller Hinsicht geschädigt worden sein sollte, ist wiederum nicht recht wahrscheinlich. Zu vergleichen ist im übrigen auch das ähnliche, sich an zwei Nebenbuhler von Veranius und Fabullus wendende c.47, das über diese auf denselben uerpus Priapus Piso (V.4) zielt wie c.28. Wäre die von Catull beklagte irrumatio wörtlich zu verstehen, hätte er sich in c.47 wohl kaum darüber beklagen können, daß andere seinen beiden Freunden vorgezogen sind, sondern im Gegenteil erfreut ihr Loskommen von dem schändlichen und für sie selbst entwürdigenden Treiben

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Hinweise - etwa auf Ähnliches im Corpus Catullianum - zu stützende und damit ziemlich weit hergeholte, m.E. von vornherein unwahrscheinliche Annahme. Man muß schließlich für das V.3f. zugrunde liegende Vergehen nicht gleich die aus den Formulierungen molliculus, parum pudicus und male uir evtl. herauszulesende schlimmstmögliche Verfehlung annehmen, zumal ja der Autor selbst in c.16 einen auffälligen Hinweis auf die Art von Gedichten gegeben hat, deretwegen er als molliculus und parum pudicus kritisiert scheint, nämlich carmina, in denen es um Küsse geht (V.12f. uos, quod multa milia basiorum legistis...). Die Erwähnung solcher - neben V.lf. und 14 oder c,15,15ff. vergleichsweise harmlos wirkenden - Küsse bildet einen deutlichen weiteren Widerspruch zu den eben betrachteten Deutungen von c.16,466 wie sie sich z.B. bei RANKIN, SANDY und STROH oder KINSEY finden, oder auch nur zu der - aus den Küssen allein schließlich nicht zu folgernden - Unterstellung der Homosexualität bzw. bisexuellen Veranlagung des Dichters, wie sie z.B. LILJA ernsthaft erwägt.467 Denn selbst wenn die multa milia basiorum (V.12) innerhalb von c.16, wie STROH richtig feststellt,468 dazu dienen, die wiederholte Drohung am Ende des Gedichts vorzubereiten, bleibt doch eine Relevanz auch für das ganze Gedicht.469 Warum ist denn sonst nicht das verworfene, unkeusche Verhalten erwähnt, das Catull eben den Vorwurf male uir eingebracht haben soll? Warum hätte er angesichts ihm wirklich vorwerfbarer Schilderungen schlimmer, schlimmster Obszönitäten statt dessen nur auf die im Vergleich dazu so harmlosen basia anspielen sollen, wenn diese nicht - wenigstens zum Teil Gegenstand der Kritik von Aurelius und Furius waren?

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(siehe o. Anm.453) zur Kenntnis nehmen müssen (auch c.47 meint freilich materielle Vorteile bzw. konkret eine Einladung). Und sollte Catull andererseits c.28,9ff. in dieser (für ihn doch höchst peinlichen) Weise formuliert haben, wenn er sich in anderen Gedichten im eigentlichen Sinn als ein homosexuelle Nötigung Erduldender dargestellt hätte, so daß seine Leser bei Kenntnis eines solchen Catull auch c.28 hätten mißverstehen können? Überdies kann und braucht - gegen KINSEY und LILJA - die rein metaphorische Verwendung solcher Ausdrücke noch nichts über Catulls wirkliche Einstellung zu solchen Verhaltensweisen auszusagen; LILJAs Einwand, daß c.29 Pompeius als Kinaede wörtlich gemeint sein könnte, bringt nichts für die Interpretation von c.28. Eigenartig wäre dabei auch, daß sich Catull dann unter Verwendung des Wortes pius (c.16,5) hätte verteidigt haben sollen. Denn selbst wenn die homosexuellen Praktiken vom Dichter nicht tatsächlich ausgeübt werden, wie hätte er bei derartigen Gedanken und Gedichten noch als pius erscheinen können? Die Formulierung mit pius wird hervorgehoben auch von RANKIN (1976) S.90 "It can hardly be restricted to the meaning simply that the poet does not indulge in passive homosexuality. It probably carries some of its ordinary significance of 'sexually chaste' [...]", LILJA (1983) S.56 "How does all this accord with Catullus' famous proclamation in the same poem that he is castus and pius [...]"; gegen KINSEY vgl. ferner SKINNER (1981) S.66 Anm.24. LILJA (1983) S.59f.; zu den Forschungspositionen siehe o. Anm.446f. STROH (1990) S.154Anm.51. STROHs Einwand (1990) S.154 Anm.51, daß die basia in V.12 "zur Erläuterung des Eingangs überdies noch viel zu spät kämen", ist zwar ebenfalls richtig und auch wichtig, spricht aber noch nicht gegen die Kußgedichte als Anstoß und ist vielmehr in anderer Weise auszuwerten (siehe u. S.148f.).

Das barie-Problem (c.16)

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Daß aber dies tatsächlich der Fall ist, wird dadurch bestätigt, daß Catull hier V.13 eigens mit legistis den Bezug auf Aurelius und Furius hergestellt hat: Sie haben nicht von einem sich auf widerwärtige Weise homosexuell betätigenden Catull, sondern von seinen endlosen Küssen gelesen! Die Gleichsetzung basia = male uir ist es demnach, die Catull durch das angedrohte, höchst obszöne und zweifellos männliche, aber weit übertriebene Verhalten entkräften will. Warum sollte also der Vorwurf von Aurelius und Furius nicht auch oder vor allem derartige, von Küssen handelnde carmina betreffen, zumal ja tatsächlich im Corpus Catullianum drei Kußgedichte und alle drei sogar in Hendekasyllaben überliefert sind, so daß Catulls Antwort mit den Hendekasyllaben von c.16 in jedem Fall in demselben "Metrum wie in dem ihm angelasteten Gedicht" erfolgte:470 zwei Kußgedichte auf Lesbia (c.5 und 7) sowie eines auf Juventius (c.48; vgl. auch c.99), das inhaltlich zwar besser zum 'Aurelius- und Furius'-Zyklus mit seiner 'Juventius-Liebe' zu passen scheint, aber an seiner Stelle in der Sammlung erst reichlich spät folgt. Und warum sollte der gewöhnliche Leser einer von Catull selbst gestalteten Ausgabe, wie sie ja fast alle heutigen Forscher für die ersten Gedichte Iff. postulieren - sei es nun STROHs Modell bis c.26 oder SKINNERs 'Passer' bis zum Ende der Polymetra oder HECKs, WISEMANs, E.A. SCHMIDTS, OFFERMANNs, DEITMERS oder DIONs angenommene Gesamtausgabe -, wenn er doch c.5 und 7 bereits vor der Lektüre von c.16 gelesen hatte, nicht auch ganz selbstverständlich diese aufeinander beziehen (so ja z.B. auch WISEMAN)471, wenn dies - gegen z.B. STROH472 - inhaltlich nicht nur sehr wohl möglich, sondern - im Gegensatz zu den soeben abgelehnten, Obszönitäten hineinlegenden Interpretationen von c.16 - m.E. auch weitaus wahrscheinlicher ist als eine Antwort auf Vorwürfe zu c.15, wie nunmehr zu besprechen sein wird. So ist der Rückbezug auf c.5 und damit zugleich c.7, der auch durch die folgenden Überlegungen hinsichtlich der Beziehungen beider Zyklen insgesamt bestätigt werden wird, möglicherweise nicht nur durch die Erwähnung der unzähligen Küsse gegeben (milia multa basiorum, wie in c.16,12 beschrieben, am deutlichsten natürlich in der wahren Kußorgie von c.5,7ff. da mi basia milla, deinde centum, dein mille altera, dein secunda centum, deinde usque altera mille, deinde centum, dein, cum milia multa fecerìmus...; vgl. aber auch in c.7,9... tam te multa basia bastare und schließlich in c.48,2f.... usque basiare, usque ad milia basiem trecento):473 Er mag von Catull zusätzlich 470

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Das Versmaß ist also gegen STOESSL (1977) S.44 kein Beleg für den Bezug allein auf c.48. WISEMAN (1976) S.17; dazu siehe aber u. S.149ff. Wenn STROH (1990) S.154 Anm.51 es einfach für "verkehrt" erklärt, "den Anstoß nur auf die Kußgedichte" zu beziehen und die Formulierungen mit molliculus für diese als unpassend ansieht, ist dies schließlich keine wirklich argumentativ begründete und darum noch nicht überzeugende Ablehnung. Nach z.B. bereits RIESE (1884) S.38 oder WINTER (1973) S.265 Anm.13, TROMARAS (1984) S.46 Anm.29, BIONDI (1989) S.23 sind die milia multa sprachlich am nächstlie-

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

durch seine Formulierung V.lOf. über die intendierten Adressaten seiner Dichtung, behaarte und damit ältere, ja sogar ziemlich alte, da bereits ungelenkige Leser, nicht etwa Knaben, deutlich gemacht sein (non... pueris, sed his pilosis, qui duros nequeunt mouere lumbos),474 was von den Interpreten allerdings nicht genügend beachtet wird. In c.5,2 waren es gerade derartige ältere Leute, über deren Einwände er sich mit seinen (öffentlichen) Küssen hinwegsetzen wollte: vgl. die ausdrückliche Aufforderung rumoresque senum seueriorum omnes unius aestimemus assis. Und so gesehen sind auch die basia nicht mehr nur harmlos und sehr wohl parum pudica.475 Catull schreibt schließlich kaum von schnellen, flüchtigen, verwandtschaftlichen Küssen, er meint vielmehr eine nicht enden wollende Küsserei mit dem von ihm so angebeteten Mädchen. Das läßt doch eher an inniges, heißes, eng umschlungenes Küssen denken! Ein derartiges, zwar zärtliches, aber hemmungsloses Verhalten in der Öffentlichkeit kann selbst noch in unserer, durch die alles bis ins letzte Detail, visuelle und verbale Obszönitäten bietenden Medien sonst so abgestumpften Zeit Anstoß erregen, kann m.E. durchaus als parum pudicus verstanden werden, weil nicht aufgesetzt oder gespielt, sondern weil es aufrichtig und echt und eben sehr zärtlich gemeint ist (vgl. quod molliculi, parum pudicum). Die ftosia-Gedichte (und auch die auf den passer) können also als Darstellung wahrer, aufrichtiger Liebe und Gefühle weit tiefgehender, ernster und in diesem Sinne die Intimsphäre offenbarend anstößiger wirken als eine bloß äußerlich zur Schau gestellte, aufgesetzte Anhäufung von Obszönitäten, als Kraftausdrücke auf Stammtischniveau476 (auf diese Weise, als bloße Prahlerei Catulls mit seiner Männlichkeit scheint ja z.B. auch c.56,6f. zu verstehen; für den rüden, mit Obszönem angereicherten Ton selbst unter Freunden vgl. z.B. c.28) und so den von Catull erwünschten erotischen Reiz erhalten (V.9 quod pruriat incitare possunt).477 Bedenkt man

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genden als Reflex aus c.5,10 zu sehen; eindeutig ausgeschlossen ist c.48 damit freilich noch nicht, da die Wiederaufnahme der Küsse viel zu ungenau formuliert ist. Zusätzlich können immerhin L I U A (1983) S.55f., JANAN (1994) S.149 Axun.5 auf die exakt gleiche Stellung im Vers für milia multa c.5,10 und 16,12 verweisen. Z.B. auch RICHARDSON gibt pilosis mit "bearded with age" wieder (1963, S.lOO); ELLIS (21889) S.60 erklärt als non modo pueris, LATEINER (1977) S.29 Anm.7 als "old, hairy men, who are not able to move their creaking crotches". Vgl. auch STROHs schöne Paraphrase von Catulls Verteidigung (1992, S.79): "[...] und überhaupt seien seine Verse mehr als Anregungsmittel für ältere Herren gedacht." Zur vielfach m.E. unkorrekten Identifizierung der beiden von Catull mit V.lOf. genannten Gruppen siehe auch u. S.142f. Vgl. bereits ELLIS (21889) S.59 allgemein zu den Vorwürfen von Aurelius und Furius als "quite in harmony with the old national point of view". Vgl. STROHs Charakterisierung des 'Juventius'-Zyklus (1990) S.142 als "weithin auf den Ton einer Frotzelei unter Kameraden gestimmt". "Dies ist der Ton eines jugendlichen Männerstammtischs" (S.143 zu c.l5ff.). Daß (auch) derartige Ausdrücke "Befremden in Rom erregten", ist ohne Zweifel, doch geht es darum eben nicht in c.16 (es geht um weit Feineres, die c.16 schließlich genannten basia\) und wird auch nicht dadurch bezeugt (so aber STROH). Vgl. so bereits TROMARAS (1984) S.44 zum Reiz von Dichtung, "wenn sie reichlich verzärteltes Tändeln vorführt, im Uberschreiten der dem Normalleben gesetzten Scham-

Das èasifl-Problem (c.l6)

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nun, daß Catull gemeinhin als einer der ersten in Rom gilt, der eigene, subjektive Empfindungen in seine Dichtungen aufgenommen hat und als Wegbereiter der späteren Liebesdichtung - für uns vor allem Tibull, Properz, Ovid - sein eigenes Liebesglück und Liebesleid zum Thema wählte,478 der "mit der Verabsolutierung seiner Lebenswelt eine Gegenposition gegen all das bezogen" hat, "was bis dahin in Rom Gültigkeit besaß" - Verkündigung der "Apotheose eines Gefühls"... "in einer Welt, in der allein objektive Verhältnisse galten" -,479 läßt sich ein Vorwurf hinsichtlich seiner schriftlichen Darstellung intensiver Kußszenen und Gefühle wohl nachvollziehen: An solche Dichtung mit zarten, scheinbar echten, autobiographischen Tönen in Liebesdingen war man in Rom eben noch nicht gewöhnt.480 Der aus Catulls Versen erschlossene Vorwurf mangelnder pudicitia und castitas kann somit durchaus einen sehr realen Hintergrund in der römischen Gesellschaft haben.

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grenzen das Unaussprechliche berührt [...]". Die Notwendigkeit, unbedingt auf "deliberately obscene verses" zu beziehen (wie z.B. bei Priap.8,2, Mart.12,95,1), lehnt auch WISEMAN (1976) S.16 explizit ab. Beseitigt ist damit das Problem LATEINERS, der sich (1977) S.29 Anm.7 Catulls Formulierung nicht erklären kann, "since the extant corpus of Catullus, however obscene it is, is not prurient, not pornographic [...]". Vgl. hierzu bes. c.68 und 76 als Vorstufe der späteren Liebeselegie und z.B. W. STROH, Die Ursprünge der römischen Liebeselegie, Poetica 15 (1983), S.205-246 (zu Catull bes. S.210f. und S.225ff. mit Literatur sowie S.240 "Catull war ein unvergleichlicher Anreger: der erste rückhaltlos und gewissermaßen literaturoffiziell verliebte Römer, ein Dichter, der seine Liebe völlig ernsthaft, ja sogar mit moralischem Pathos trieb - wahrlich ein Novum in der römischen Geisteswelt"), oder R. RIEKS, Entwicklungsstadien der römischen Elegie, in: P. NEUKAM (Hrsg.), Reflexionen antiker Kulturen, Dialog Schule - Wissenschaft Bd.20, München 1986, S.100-122. E A . SCHMIDT (1985) S.75 spricht von der "Lesbiapoesie" Catulls als "seine Sonderleistung". Zu erhaltenen, keineswegs Catulls Kußorgien vergleichbaren Vorläufern (z.B. Porcius Licinius, Valerius Aedituus, Q. Lutatius Catulus) vgl. z.B. schon QUINN (1959) S.12ff. und bes. S.15 " [...] dealing with it [love] with a cold, unreal ingenuity [...]" und S.16 "There never was very much, perhaps, [...] until Catullus". SYNDIKUS (1984) S.22 mit Literaturhinweisen in Anm.27 (REITZENSTEIN, ALFONSI, KLINGNER) sowie S.143: "Ein solch leidenschaftlicher Überschwang war in Rom etwas Unerhörtes, so maßlos verliebt hatte man bis dahin nur die nicht sehr ernst genommenen jungen griechischen Herren auf der Komödienbühne sprechen hören. Es ist also sehr wohl denkbar, daß solche Leidenschaftsäußerungen als unrömische Weichlichkeit (molliculi) kritisiert wurden". Vgl. auch bereits BUCHHEIT (1976) S.334 mit einem zusätzlichen Aspekt: "Die - in Rom unmännlich wirkende - Verfallenheit des Liebhabers Catull an die domina Lesbia steht ebenfalls am Pranger"; ADAMIK (1977/78) S.120f. "Catullus attributes to himself such deep feelings in love that in Greek and pre-Catullian Latin literature could only be attributed to women [...]"; M.B. SKINNER, Catullus in Performance, CJ 89 (1993), S.61-68, dort S.65 mit Verweis auf die Arbeiten von FOUCAULT und Cic.Phil.2,77 "Why? a bewildered American teenager might ask. How could writing passionate love poetry (to a woman, at any rate) render someone 'unmanly"? I would reply that ancient gender assumptions differed markedly from ours. The GrecoRoman definition of masculinity was based on strict psychological self control. [...] To be swayed by tender feelings, even for a wife, might well indicate a lack of virility." Anders war es dagegen wohl bei unflätigen, obszönen Beschimpfungen: Z.B. nach KROLL (61980, zu c.16,2) gingen diese "den Alten leicht von der Zunge".

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

Doch Catulls Verteidigung in c.16 gilt ja nicht den senes seueriores aus c.5. Angesprochen sind Aurelius und Furius, zwei eher gleichaltrige Gefährten, wie man wohl aus c.ll schließen kann. Und eben aus deren Mund dürfte ein solcher Vorwurf kaum zu erwarten sein.481 Auch scheint die bisherige Deutung nicht zu der Catull ebenfalls vorgeworfenen Weichheit zu passen (c.16,13 male me marem putatis).482 Hierin liegt jedoch kein Widerspruch. Es ist vielmehr sehr gut vorstellbar, daß gerade diese beiden ebenfalls jungen Leute Catull mit seiner "Zärtlichkeit" aufzogen und gerade darin den male uir erkannten483 - die Vorwürfe wären also spöttisch und nicht etwa ernst im Sinne der senes seueriores gemeint. Denn in der Welt des Männerstammtisches mit seinen unanständigen Witzen und Prahlereien ist für zarte, leise, aufrichtige Töne und wirkliche Liebe kein Platz: Einer, der sich mit Zärteleien abgibt, der nicht gleich zur Sache kommt und 'seine Nummer' oder besser 'Nummern schiebt', mit denen er dann in der gewohnten Runde, im Freundeskreis, angeben kann, ist einfach kein ganzer Kerl (vgl. V.12f. quod milia multa basiorum legistis, male me marem putatisP).484 Gegen WISEMAN ("[...] wouldn't excite anyone but beardless boys")485 ist der Bezug freilich genau umgekehrt, und gegen z.B. BAEHRENS, RICHARDSON, SCHÄFER, SANDY und RANKIN sind m.E. auch Aurelius und Furius von Catull mit non dico pueris miteinbezogen und nicht etwa zu 481

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Vgl. z.B. KINSEY (1966) S.101 "[...] would Furius and Aurelius, whom Catullus elsewhere does not represent as austere moralists, have thought him unmanly because of the general licentiousness of his life?" Vgl. z.B. KINSEY (1966) S.lOlf. Anm.4. Auch male uir scheint also nur den "Weichling" zu beschreiben wie mollis (siehe auch o. Anm.460), nicht den homosexuellen Lüstling, wie die meisten Interpreten wollen, ist aber natürlich bewußt doppeldeutig für die Formulierungen des Catull ja nun gerade in keinster Weise als solchen erweisenden c.16 gewählt. SKINNER (1981) S.66 Anm.23 glaubt auch in der Verwendung von mollis ein doppeltes Spiel mit einerseits dem "conventional epithet of love poetry", d.h. sogar "an implication of impotence", andererseits "of habitually playing the woman's role in homosexual encounters" sehen zu können. Vgl. auch RANKINs Hinweis (1970) S.120 auf Priap.52,12 (cum tantum seiet esse mentularum) als Verspottung von Catulls c.5 und z.B. bereits KROLL (61980) ad loc. "mollem, ein echter Mann begnügt sich [...] nicht mit basia", WISEMAN (1985) S.123f. "They derided him for writing love-poems in which nothing beyond kissing was involved; that sort of thing, they said, wouldn't excite anyone but beardless boys. Writing such soft stuff, Catullus must be soft himself, and sexually effeminate" (entsprechend [1976] S.16f. "When Aurelius and Furius read love-poems containing only kisses and nothing explicitly sexual, they [...] inferred that Catullus must be sexually incapable himself'; "the relevant characteristic of Catullus' supposed mollitia was impotence") und auch TROMARAS (1984) S.41, daß Aurelius und Furius in den Gedichten die "ungewohnt privaten, zärtlich verspielten, Liebesbeziehungen auslotenden, ja selbst sexuelle Tabus ansprechenden Themen" sahen und S.45f. zu male marem "daß er nicht über die Küsse hinausgehen könne"; PEDRICK (1993) S.186. Siehe Anm.484 und WISEMAN (1976) S.17 "[...] they complained that the stuff wouldn't excite anyone but a puer delicatus". Korrekt dagegen TROMARAS (1984) S.45, daß Knaben wie Aurelius und Furius nur "alles zum äußerlich sexuellen Kitzel verkürzt sehen".

Das bone-Problem (c.l6)

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den his pilosis zu rechnen:486 gerade der Jugend, pueri, ist ein derartiges verzärteltes Verhalten zu 'soft'. Denn wie bereits ELLIS angibt, braucht his nicht auf die mit dem Gedicht Angesprochenen zu verweisen, sondern kann lediglich ein verächtlicher Ausdruck sein.487 Und wenn auch nicht im strengen Sinne, so sind schließlich Aurelius und Furius als junge Leute wie der selbst bloß etwa 30 Jahre alt gewordene und damit z.Zt. der Abfassung dieser Gedichte auf jeden Fall noch junge Catull durchaus ebenso zu den pueri zu zählen, wie auch c.12,9 ein Freund aus Catulls Kreis als puer bezeichnet ist (Asinius Pollio).488 Es ist ja gewiß damit zu rechnen, daß Catull bei den Formulierungen für beide Altersstufen ein wenig nach oben und unten übertreibt - es kommt nur auf den Gegensatz zwischen zwei Generationen an, genauso wie heute für 20-jährige ein 40-jähriger schon alt ist -, so daß die vielfältigen Versuche der Forschung, c.12 danach zu datieren, bis zu welchem Alter der 55 v. Chr. wohl erst 21/22-jährige Asinius noch mit Recht als puer zu bezeichnen war,489 letztlich gar nichts zu besagen brauchen.490 Entsprechend müssen in c.5 die senes seueriores noch nicht wirkliche Greise im strengen Wortsinn sein, sondern einfach älter als Catull, seine Freunde und

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BAEHRENS (1885) S.144, RICHARDSON (1963) S.100, SCHÄFER (1966) S.ll, RANKIN (1976) S.91, SANDY (1971) S.52 ("these paragons of hirsute virility"), LILJA (1983) S.56 mit Hinweis auf Egnatius als "typical pilosus who only pretends to be a virile man" und die restlichen Lesbia-Liebhaber von c.37, capillati (V.17). Vgl. auch SANDYs Diskussion von pilosi als "virile, hairy chested he-men" im Gegensatz zu der Bezeichnung als pathici (V.2). Da er mit Parallelen belegt, daß auch ein solcher "he-man" "ad pariendo muliebria paratus" sein könne, glaubt er Catull wolle zeigen, daß "appearences can be deceiving", daß das Äußere von Aurelius und Furius nicht ihrer inneren Einstellung widerspreche wie Catulls Dichtung dem Dichter. Diese Interpretation geht jedoch viel zu weit und beruht nur auf der m.E. eben unkorrekten Gleichsetzung der pilosi mit den beiden Adressaten. Hier wird wiederum einfach zu schnell aus dem homosexuell-lasziven Rahmen des Gedichts geschlossen, daß in ihm alles aus derselben Sphäre stammen müßte. Gegen die Identifizierung mit Aurelius und Furius zu Recht auch WISEMAN (1976) S.16 und TROMARAS (1984) S.45 Anm.28 mit weiterer Literatur. ELLIS (21889) ad loc. mit Cie. De orat. 2,60,264, Pers. 5,86 als Parallele, WISEMAN (1976) S.16. Vgl. auch die häufige Verwendung von mea puella für die Geliebte wie z.B. in c.8 und 37 (jeweils amata tantum quantum amabitur nulla) neben mulier mea in z.B. c.70 und 87 (nulla potest mulier tantum se dicere amatam ...). pueri ebenfalls nicht im wörtlichen Sinne, sondern "colloq., used in addressing one's comrades" (OLD) z.B. Apul.met.3,5. Umgekehrt dagegen seniores und pueri als Adressaten bei Martial 3,69. Zur Datierung von c.12 vgl. z.B. schon WESTPHAL (21870) S.155 oder jetzt auch SYNDIKUS (1984) S.7 und 10 mit Anm.34 und Literaturangaben. Vgl. ja auch sonst in der lat. Literatur puer zur besonderen Betonung der Jugend für um und leicht über 20-jährige wie z.B. für den 19-jährigen Octavian bei Cic.fam.12,25 puer egregius, Phil.4,3 clarissimi adulescentis uelpueri potius , für den ca. 20-jährigen Rufius bei Rut.Nam.1,173 oder für den nach Livius 26,18 schon über 20-jährigen Scipio Africanus bei Vell.2,59, Sil.13,704, 15,33. 46, den Silius an anderer Stelle (15,10. 18) auch iuuenis nennt; vgl. überdies Stellen wie Plin.epist.6,26, wo mit der Bezeichnung als puer gegen das tatsächliche Alter bestimmte Qualitäten unterstrichen werden. Dazu daß Catull hier vielleicht ebenfalls Anlaß hat, den Asinius als besonders jung erscheinen zu lassen, um damit seine für das Alter erstaunliche Leistung herauszuheben, siehe u. Anm.865.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

Altersgenossen und damit für diese wie für die heutigen jungen Leute automatisch ein wenig suspekt und ihnen zu sehr auf Sitte und Anstand bedacht. Der Gegensatz in Catulls Formulierung besteht im übrigen nur zwischen jung und alt, wie bereits oben aus der erschlossenen Gleichsetzung von his pilosis mit den senes seuerìores von c.5 hervorgeht. Gemeint sind keinesfalls speziell die im homosexuellen Milieu vorkommenden pueri glabri, die die Interpreten vielfach und, wohl wieder durch den homosexuellen Kontext verleitet, fälschlicherweise in den pueri des 10. Verses durch den Gegensatz zu den haarigen pilosi vermuten.491 Catull nennt schließlich die pueri und die pilosi einzig darum, um zwischen den möglichen Lesertypen zu differenzieren und das von ihm intendierte Zielpublikum anzugeben. Es handelt sich in diesen Versen also nur um deren mögliche Rezipienten, nicht jedoch auch um die an sexuellen Handlungen beteiligten Akteure, so daß unmöglich Lustknaben gemeint sein können, die doch nicht durch Lektüre von Gedichten erst selbst zu stimulieren wären. Vielmehr sind diese Lustknaben nur Mittel zum Zweck, um sich an ihnen ebenso zu delektieren wie auch - jedoch auf einem anderen, harmlosen Niveau - an Catulls Gedichten. Die vorausgehenden Überlegungen können m.E. zeigen, daß der Bezug von c.16 auf Kritik an Catulls Kußgedichten - und damit die durch die Nennung der basia auch ohnehin naheliegende und ohne häßliche, niveaulose Unterstellungen für c.16, für andere Gedichte des Corpus (z.B. c.50 und 68) und Catull selbst und ohne die Annahme weiterer, uns verlorener Gedichte auskommende Interpretation - inhaltlich sehr wohl möglich ist, daß sich im Gegenteil dann kein derartiger Widerspruch mehr ergeben muß, wie im Falle der Deutung als Kritik an Obszönem gegenüber der Nennung der harmlosen basia. Die Ansätze von WISEMAN und TROMARAS sind demnach mit leichten Modifikationen durchaus zu bestätigen. Und die vorausge491

Zum Gegensatz duros ¡umbos - leuia membra der glabri vgl. bes. DELLA CORTE (1977) ad loc. mit Hinweis auf c.33,7, 61,142 sowie WISEMAN (1976) S.16 für den Bezug auf einen puer delicatus (zitiert o. Anm.485). Auch V . l l qui duros nequeunt mouere lumbos (nach z.B. SCHÄFER [1966] S.12 gleich mouere penem) soll nur das Alter derer aufzeigen, bei denen 'sich nichts mehr regt', nicht etwa eine für pathici charakteristische Hüftbewegung beschreiben, so SANDY (1971) S.53 ("to wiggle the buttocks") mit der Parallele catal. 13,21, die durch das Catull-Gedicht angeregt sei, was freilich nicht zu beweisen ist. Wie im Fall des "dirty sparrow" (siehe u. S.264ff.) braucht es überdies gar nichts zu bedeuten, was der Verfasser des catal. aus c.16 herausgelesen hat, konnte er schließlich genauso wie heutige Interpreten durch die Formulierungen des Gedichtanfanges und -endes verführt worden sein. Daß bei Catull nur das Alter gemeint ist, belegen eben deutlich der im Gegensatz zu pueri gebrauchte Zusatz duros und die Formulierung mit nequeunt mouere (nicht "sie bewegen nicht", "halten still" o.ä., sondern "können nicht" sc. "nicht mehr ..."; Hinweis auf den Relativsatz auch bei WISEMAN S.16). Wieso sollten auch andererseits die Hüften von pathici bewegungsunfähig, durus, geworden sein, wenn sie nach SANDY doch damit gerade aufreizend wackeln? Ein wenig anders BUCHHEIT (1976) S.344, daß ältere, steif gewordene Lüstlinge nur noch die Rolle eines pathicus spielen können. Aber warum müssen solche älteren Herren dann gleich zu pathici werden? Für LILIA (1983) S.56 sind die pueri von c.16 casti und integelli wie der von c.15.

Das baîia-Problem (c.l6)

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henden Überlegungen u.a. zur allmählichen Entwicklung der subjektiven Liebeselegie in Rom machen es m.E. ebenfalls wahrscheinlich, daß c.16 eher auf die Zärtlichkeiten von carmina wie 5 und 7, d.h. heterosexuelle Kußgedichte, rekurriert und nicht auf c.48, das eine homosexuelle, d.h. zwar tolerierte, aber trotzdem von der Norm abweichende Beziehung wiedergibt unabhängig davon, ob das darin beschriebene Verhalten im faktischen Sinne als pudicus oder schon impudicus einzustufen ist.492 Mit letzter Gewißheit ist damit allerdings immer noch nicht geklärt, welche ftaria-Gedichte, die auf Lesbia oder das auf Juventius, von Catull wirklich gemeint sind, schließlich ist c.16 nur ein Hinweis auf die basia, nicht jedoch auch auf das Geschlecht des Geküßten gegeben.493 Auch die vermutete Wiederaufnahme von c.5,10 milia multa und 13 basiorum mit V.12 milia multa basiorum sowie zusätzlich c.5,2 senum seueriorum mit V.lOf. pilosis, qui duros ... ist mangels wörtlichen Zitierens bei einer eine zusammenhängende Formulierung von nur zwei Worten betreffenden, geringen Übereinstimmung kein absolut sicheres Argument, so daß c.16 durchaus auch c.48 betreffen kann, selbst wenn dort kein Beobachter/Rezipient erwähnt ist. Mit großer Wahrscheinlichkeit vorauszusetzen ist jedoch immerhin, daß genau diese Gedichte und nicht weitere, verlorene Kußgedichte gemeint sind warum hätte schließlich Catull sonst die Verteidigung in c.16 in seine Gedichtsammlung aufnehmen sollen und, den Leser verwirrend, zugleich andere Kußgedichte, nicht aber ausgerechnet die, die c.16 zugrunde liegen? Wie bereits oben angedeutet, pflegt die Forschung wie z.B. WISEMAN,494 gleichzeitig einer der entschiedensten Vertreter der von Catull selbst stammenden Anordnung unseres Corpus, als Entscheidungshilfe für den Bezug auf Lesbia- oder Juventius-Kiisse auf die Abfolge der Gedichte hinzuweisen. Und tatsächlich gehen ja die beiden Lesbia-Gedichte c.5 und 7 voraus, während das an Juventius gerichtete c.48 erst an viel späterer Stelle folgt, wie z.B. zu Recht STROH bemerkt,495 der sich im übrigen eingangs aber gegen die Authentizität der überlieferten Sammlung ausgesprochen hatte, so also eigentlich nicht argumentieren dürfte. Die Einbeziehung der Gedichtfolge ist jedoch ein zweischneidiges Argument und führt genau zu dem für die hier vorgenommene Untersuchung zentralen Problem mit c.16. Denn wie hätte Catull mit diesem c.16 auf Einwände reagieren können, wenn nicht zuvor Aurelius und Furius Gelegenheit gegeben war, ihre Kritik über Catulls literarisch manifestierte Küsserei zu äußern, ja davon erst einmal zu lesen, 492

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Z.B. TROMARAS (1984) S.45f. lehnt den Bezug auf das Juventius-Kußgedicht c.48 direkt damit ab, daß dort der Dichter der aktive und nicht der passive effeminatus sei. Allein aus dem Wunsch, Küsse zu geben, ist die Rollenverteilung aber leider nicht eindeutig herauszulesen; theoretisch könnte auch dort der Vorwurf molliculus und male mas vergleichsweise harmlose Zärteleien statt wirklicher sexueller Aktivität betreffen. So auch WISEMAN (1976) S.17 "Since the point at issue in line 12 is not the sex of the person kissed, but the absence of any activity [...]". Siehe o. Anm.471. STROH (1990) S.154Anm.51.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

wenn c.1-26, c.1-50 oder auch alle c. 1-116 - auf jeden Fall aber c.5,7 und 16 gleichzeitig in einem Buch ediert sind? Bei der von der Forschung für zumindest die ersten 26 Gedichte fast einmütig angenommenen gemeinsamen Publikation muß dieser von ihr ebenfalls immer wieder hervorgehobene Bezug496 eigentlich verloren gehen, ja unmöglich sein, es sei denn, man differenziert zwischen Erst- und mit dem Corpus Catullianum vorliegender Zweitpublikation. C.16 ist schließlich keine vorweggenommene Verteidigung wie etwa bei Martial sein Epigramm 1,4 an Domitian oder die Einleitungsepistel des ersten Buches oder auch die entsprechende Äußerung des Plinius im Begleitbrief an Paternus für seine Hendekasyllaben (4,14 mit wörtlichem Zitat von c.16,5-8).497 Catulls Formulierung zeigt eindeutig, daß die beiden Adressaten seine Verse über Küsse gelesen haben und ihre Kritik tatsächlich erfolgte (legistis, putastis); er schreibt sein c.16 eben nicht etwa als Vorwegnahme eines möglichen Einwandes ("wenn ihr davon lesen solltet und mich für parum pudicus haltet"), was innerhalb desselben Gedichtbuches möglich wäre, sondern (wie scheinbar Mart.1,35)498 in Form eines Angriffs wegen erfolgter Kritik. Dieser Widerspruch ist ein entscheidendes Hindernis für die einfache Annahme eines die betreffenden Gedichte einschließenden, von Catull selbst stammenden Buches, wird jedoch - obwohl als Gegenargument bereits 1881 von SCHULZE und danach mehrfach geäußert499 - von den Vertretern der anderen Forschungsrichtung wie z.B. E.A. SCHMIDT, OFFERMANN, DEITMER, DION überhaupt nicht oder nicht ernsthaft beachtet.500 Andererseits ist dies bei einigen Interpreten wie eben z.B. STROH vielleicht auch gerade der Anlaß, die offensichtliche òasia-Deutung abzulehnen, um so der Gefahr des inneren Widerspruchs zu entgehen. Die neuere Forschung scheint allerdings auch dafür eine ganz simple Lösung zu haben. Während z.B. SCHÄFER, QUINN in seinem Kommentar zu C.15 oder auch noch ARKINS die tatsächliche Existenz eines Aurelius und eines Furius bestätigten,501 auch wenn diese heute nicht mehr mit historischen Personen zu identifizieren sind, wird neuerdings mehrfach auf den 496 497

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Siehe o. Anm.446. Vergleichbares sonst z.B. Mart.ll,15,13, Ov.trist.1,9,59, 2,353ff., 3,2,5, Pont.2,7,47, 4,8,19, Apul.apol.il,2; siehe auch u. S.268f. zu Mart.1,35. Dazu siehe jedoch u. S.268f. SCHULZE (1881) S.209, (1885) S.859; vgl. ferner z.B. RIESE (1884) ρ,ΧΧΧ, BIRT (1904) S.467, WHEELER (1934) S.21f., HORVÁTH (1966) S.146 mit Anm.14, PULBROOK (1984) S.77 Anm.29. Lediglich OFFERMANN (1978) S.41 geht davon aus, daß Catulls Dichtung kritisiert wurde, ohne aber an eventuelle Folgen für die Sammlung zu denken; S.42 Anm.16 findet sich gar: "Daß nebenbei V.12 auf früher eingeordnete Gedichte, cc.5/7 [...] zurückverweist, bedarf keiner weiteren Erwähnung." SCHÄFER (1966) S.28 mit Bezug auf WEINREICH (1960) S.159f., QUINN (21973) S.140, ARKINS (1982) S.107. Zu leichtfertig einbezogen wird aber m.E. auch ein realer Juventius, dazu siehe u. S.173f., 284ff.

Das ftasi'e-Problem (c.l6)

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bloß fiktiven Charakter von Catulls Gedichten und der darin vorkommenden Gestalten und Situationen hingewiesen.502 Das mag gewiß für viele, wenn nicht gar die meisten Gedichte zutreffen (und m.E. auch weitgehend für die des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus)503. Auch wenn z.B. Martial seine Adressaten innerhalb desselben Buches reagieren läßt, wie 1,35 nach dem unmittelbar vorausgegangenen 34. Epigramm oder 3,11 Quintus auf das Thais-Distichon 3,8 ebenfalls kurz vorher (vgl. explizit V.2 cur in te factum distichon esse putas), oder wenn er nach den Postumus-Epigrammen 2,10, 12, 21, 22 die Leser allgemein nach der Identität dieses Küssers fragen läßt (2,23 non dicam, licet usque me rogetis), ist dies natürlich ebenso Fiktion wie die vorkommenden Gestalten und lediglich Aufhänger für ein weiteres Gedicht.504 Wenn SKINNER jedoch bei Catull sogar von einer "unproven assumption" spricht, Aurelius und Furius als "actual persons" und nicht "imaginative creations" aufzufassen,505 so ist dies freilich genausowenig beweisbar wie das z.B. von QUINN offensichtlich nur behauptete Gegenteil und leicht dahingehend umzudrehen, daß gerade die Interpretation als fiktive Charaktere eine unnötige, "unproven assumption" darstellt.506 Nicht zu vergessen ist C M

503 504

505 506

Vgl. dazu z.B. SKINNER (1981) p.VI, daß das autobiographische Element nur "artistic device" sei "to color a generic situation", "the pieces are ingenious fictions", sowie TROMARAS (1984) S.12f. und bes. V. BUCHHEIT, Catulls Literarkritik und Kallimachos, GB 4 (1975), S.21-50, der für mehrere Gedichte eine 'Tendenz" vermutet, hinter der das "vordergründige Thema im Grunde belanglos" und "Fiktion" ist. LILJA (1983) S.56 glaubt, Catull wolle durch den Hinweis auf seine Lesbia-Küsse und damit seine heterosexuelle Beziehung seine eigene Männlichkeit belegen, und deutet die Frage des 12. Verses als rein rhetorische, von Catull selbst stammende Fiktion. Aber warum hätte er den beiden Kritikern dann in der vorliegenden Weise ein legistis unterstellen und für seine Verteidigung selbst eine Verbindung zwischen der Frage mit den Küssen und dem Vorwurf molliculus/parum pudicus /male mas herstellen sollen, wenn dieser in Wahrheit überhaupt nichts mit Küssen zu tun hätte? Für die von LILJA erwogene Art der Verteidigung wäre doch ein bloßer Hinweis auf Kußgedichte und die Lesbialiebe ausreichend gewesen bzw. eine Aufforderung an die Kritiker, diese zu lesen, nicht aber die Unterstellung, daß sie solches bereits gelesen hätten, hätten beide schließlich in dem Fall gar nicht erst den Vorwurf erheben können. Siehe u. S.276f. Als Reaktion auf wirkliche Kritik des Decianus am Beginn des ersten Buches ("quid nobis" inquis "cum epistula ...") kann dagegen der Einleitungsbrief des zweiten wirken, mit dem Martial scheinbar nachgebend diese akzeptiert und in einem Gedichtbuch auf einen einleitenden Brief statt einem entsprechenden Epigramm verzichten will, dies aber wiederum mit einem Prosabrief erklärt und so verdeutlicht, daß er sich die Form seiner Buchanfänge nicht vorschreiben läßt. SKINNER (1981) S.63Anm.5. Zum fiktiven Charakter speziell von c.16 vgl. neben SKINNER und LIUA (o. Anm.502) vor allem SCHÄFER (1966) S.8 "Die versiculi sind [...] reine Fiktion wie auch reale Anrede an Aurelius und Furius, genauer: sie schaffen den fiktiven Raum für eine Erörterung über ihren fiktiven Charakter", "wegen der Behauptung der Fiktion dürfen wir kaum an eine reale Funktion des Gedichtes glauben" sowie BUCHHEIT (1976), der andere scharf angreift, die das Gedicht zu real verstehen (bes. S.332 Anm.3 und S.346f.). Genauso wie er FEHLING vorwirft, er "versperre sich den unbefangenen Zugang zu c.16 [...], weil er den im Kern fiktiven Charakter von c.16 nicht berücksichtigt", läßt sich auch BUCHHEIT Voreingenommenheit vorwerfen. So hätte er seinen Schluß S.346 besser vorsichtiger for-

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

schließlich, daß Catulls Angriffe z.B. auf Caesar und Cicero zeigen, daß er sehr wohl auch mit existierenden Gestalten umgeht, was im Gegensatz dazu Martial in seiner dem ersten Buch vorausgeschickten, programmatischen Einleitung ausgeschlossen hatte. Auch Aurelius und Furius von c . l l , 15, 16 usw. können folglich sehr wohl reale Personen sein, ja speziell im Fall dieser beiden Adressaten kann die Annahme der Fiktion, wie z.B. SKINNER übersieht, jetzt aber korrekt auch FREDRICKSMEYER beachtet, 507 schon ohnehin nicht weiterhelfen: Ob beides nun reale oder fiktive Personen sind, der noch in weiterer Hinsicht festzustellende Bruch in Catulls Gedichten und damit in der inneren Logik seines Buches zwischen c . l l und 15ff. bleibt bestehen - anders als etwa bei den obigen Martial-Beispielen, aber wie auch zwischen den Gellius-Gedichten 74-91 und 116. Deutlich gegen die Annahme einer wie auch immer gearteten, den Vorwurf zweier Kritiker betreffende Fiktion in c.16 spricht überdies die jetzt von STROH gemachte Beobachtung, daß die Erwähnung der Küsse beinahe am Gedichtende zur Erläuterung der Vorwürfe zu spät kommt:508 Catull wollte oder brauchte also gar nicht zu erläutern und eingangs präzise anzugeben, welches denn die gescholtenen uersiculi sind; er scheint diese Kenntnis vielmehr beim Leser seines Verteidigungsgedichts von vornherein vorauszusetzen. Auch wenn die in c.16 von ihm geäußerten Überlegungen literaturgeschichtlich gesehen höchst interessant sein mögen und sich hier zum ersten Mal ein Autor schriftlich und öffentlich über die Trennung von geschriebenem Wort und wirklichem Leben Gedanken gemacht haben mag,509 wirkt

Cfl7

508

509

muliert ("[...] ein Beispiel dafür, wie Voreingenommenheit unbefangenes Lesen und Interpretieren eines Textes erschwert"). Denn die Fiktion ist bei ihm ebenfalls von vornherein behauptet und vorausgesetzt, nicht etwa auf Grund einer Argumentation erschlossen, begründet oder bewiesen. Gewiß ist Aurelius und Furius von Catull "eine Anschuldigung in den Mund" gelegt (S.336), die aus gängigen Vorstellungen zu entwickeln war (S.334336), doch betrifft BUCHHEITs Parallelensammlung bis hin zu dem bekannten prodesse / delectare aus Horaz' 'ars' und seine Feststellung, daß Catull z.B. mit sal "Stilbegriffe der rhetorischen Theorie" verwende (S.338), nur Catulls Verteidigung c.16,7, nicht aber auch die Anschuldigungen. Für ihren Anlaß, ihren evtl. fiktionalen Charakter und die Frage, wieso ausgerechnet für die basia o.ä. Vorwürfe erhoben werden sollen, ist damit noch nichts ausgesagt. Daß das Gedicht mit "scherzhaft ironischem Rahmen" gestaltet ist, ist kein ausreichender Beleg für eine "kunstfertige Fiktion" ohne "realen Hintergrund" (so aber S.345 Anm.78). 7 FREDRICKSMEYER (1993) S.101 Anm.37. Sein zusätzlicher Einwand, es sei "unnecessarily arbitrary in the same poem [sc. c.ll] to regard, as we must, Caesar, as a real person, but Furius and Aurelius as poetic fictions", ist jedoch nicht zwingend. Catull hätte sich sehr wohl im Gespräch mit fiktiven Adressaten mit realen Geschehnissen und Gestalten auseinandersetzen können. Siehe o. Anm.469 und vgl. immerhin bereits SCHÄFER (1966) S.12, daß das Gedicht nicht aus sich verständlich sei, auf einen biographischen Zugang verweise und eine Antwort auf eine bestimmte Situation darstelle. C.16 habe Anlaß und Funktion im Lebenskreis Catulls. Viel zu weit geht aber z.B. TROMARAS (1984) S.41ff. mit seiner Sicht einer in c.16 postulierten neuen Art des Dichtens und einem dort formulierten "revolutionären Prinzip", der Trennung von Dichtung und Leben, wie auch S.39, wenn er die uersiculi molliculi ...

Das ftojie-Problem (c.16)

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das Ganze eher, als ob er sich gar nicht an einen beliebigen Leser, sondern tatsächlich primär an die Adressaten Aurelius und Furius wenden wollte, die ja die Vorwürfe selbst erhoben hatten und somit auch ohne Erläuterung wissen konnten, worum es geht. Und warum hätte Catull die Kritik ausgerechnet Aurelius und Furius oder überhaupt irgendwelchen Personen unterstellen sollen und nicht ein allgemeinverständliches, sich vielleicht sogar an seine Leser insgesamt wendendes Programmgedicht schreiben sollen, schließlich macht er sonst durchaus Ähnliches, vgl. c.l4a? Warum hätte sich Catull hier auch überhaupt verteidigen sollen? Eine immerhin mit einem ganzen Gedicht und nicht nur als nebensächlicher Schlenker vorgebrachte Selbstrechtfertigung ist doch angesichts der Harmlosigkeit des unterstellten Vergehens ohne konkreten Anlaß eigentlich unnötig. Nötig wäre vielmehr angesichts des überlieferten Kontextes mit c.15, 21 und auch 16 selbst eine Entschuldigung für die Obszönitäten von diesen c.lSff., die eben c.16 mit seinem ausdrücklichen Bezug auf die basia nicht leisten kann, wie oben ja bereits besprochen. So wird durch die schnelle Lösung mit dem sonst gewiß berechtigt anzuwendenden Schlagwort 'Fiktion' hier nicht wirklich das festzustellende Problem beseitigt, zumal sich gerade dann, wenn man c.16 auf einen realen Hintergrund bezieht, für den ganzen Zyklus eine m.E. einleuchtendere und die Eigenheiten aller Gedichte c. 15-26 besser erklärende Interpretationsmöglichkeit bietet, als wenn man die Gedichte nur einzeln betrachtet und bei Schwierigkeiten in der Deutung einfach und im Fall von c.16 ohne echte Begründung als fiktiv abtut. Die Möglichkeiten einer Erklärung als nicht fiktional sind schließlich noch nicht wirklich ausgeschöpft, das Verhältnis von c.5/7 und 16 und ihre jeweilige (möglicherweise getrennte) Publikationsform noch nicht genügend durchdacht.510 Bereits WHEELER hat zwar 1934 festgestellt, daß es nur die Alternative geben kann, daß "the fifth poem was [...] either in a different book from the sixteenth or it had been separately read",511 hat aber ersteres nicht ernsthaft weiterverfolgt. Mit ausdrücklichem Bezug auf WHEELER und c.16 hat dies dann PULBROOK versucht, dessen Gesamtlösung - wie auch die von HUBBARD - jedoch letztlich nur auf die schon bei WHEELER erwogene Buch-Trennung hinausläuft und sich bei ihm, ohne wirklich die einzelnen Gedichte in ihrer überlieferten Folge und die dadurch möglichen Bezüge zu beachten, in seiner insgesamt recht wilden Spekulation für

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als Angriff auf Catulls ineptiae oder nugae, die typisch neoterische Dichtung "privater Tändeleien" fern "staatlichen oder philosophischen Ernstes", interpretiert. Übertrieben auch bereits ADAMIK (1977/78) S.122f., 126 mit einer Verbindung von c.l und 16 als entsprechende polemische Gegenüberstellung von Catulls epikureischer uoluptas und stoischen Prinzipien bzw. Literatur in der Folge von Ennius und Nepos. Vgl. auch kürzlich BIONDI (1989) S.23 "in quale carme e a chi?" und NEWMAN (1990) S.171 "Evidenüy Aurelius and Furius had been worked upon by reading poem 5 (where?) [...]". WHEELER (1934) S.22.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

einen großen 'Lesbia'-libellus Catulls verliert. Wenn zum auch hier konstatierten und bestätigten Problem bei gleichzeitiger Edition von c.5, 7 und 16 überhaupt eine Aussage gemacht wird, scheinen die Forscher dem oben hervorgehobenen Widerspruch zumeist mit dem Hinweis auf einzeln und vor der gemeinsamen Buchpublikation umlaufende Kußgedichte, etwa als 'Flugblätter' wie die in c.42 erwähnten codicilli zu begegnen.512 Dafür, daß Catull das eine oder andere seiner später so berühmten und beliebten Kuß- oder Spatzengedichte bereits vorher als Einzelstücke in Umlauf gegeben oder sie zumindest seinen Freunden vorgelegt hat, so daß sie auf diese Weise bekannt wurden, schließlich auch Aurelius und Furius in die Hände fielen und zur Kritik anregten, ist mangels antiker Zeugnisse weder ein positiver noch ein negativer Beweis möglich. Daß Catull auch einzelne Gedichte herumgezeigt hat, ist aber natürlich sehr wahrscheinlich. Es wäre jedoch eigenartig, wenn eine solche Kritik, wie sie aus c.16 zweifellos herauszulesen ist (vgl. V.13 legistis), bloß auf ein einzelnes (sei es c.5 oder c.48), noch nicht einmal wirklich innerhalb eines Buches publiziertes carmen hin erfolgte und wenn eine solche damit eigentlich unbedeutende Kritik Catull gleich zu einer Gegendarstellung hätte veranlaßt haben sollen, die mit ihren 14 Versen sogar länger ist, als alle drei in Frage kommenden Kußgedichte (13, 12 und 6 Verse). Näher liegt es da m.E. schon, keine allein umlaufenden Verse vorauszusetzen, sondern eine geschlossene Publikation, und zwar vor allem dann, wenn diese gleich mehrere derartige Kußgedichte, wie die von Aurelius und Furius kritisierten, enthielt und somit die Küsse mit ihrer Zärtlichkeit und öffentlich gewordenen Hemmungslosigkeit auch für den Charakter der Publikation insgesamt an Bedeutung gewinnen. Und in der Tat beinhaltet ja der 'Lesbia'-Zyklus, dessen gewollten und kunstvollen, auf jeden Fall nicht zufälligen Aufbau die Forschung schließlich immer wieder hervorhebt,513 mit c.5 nicht nur ein Kußgedicht; er enthält zusätzlich c.7 und auch das wehmütig auf die Küsse zurückblickende und diese ein weiteres Mal ausmalende c.8 (V.18 quem basiabis? cui lobelia mordebis?), so daß solcher Art Verzärteltes dort tatsächlich mehrere Gedichte lang die Stimmung beherrscht.514 Gut paßt auch die Beobachtung etwa von NEWMAN, der wie schon viele andere vor ihm in der letzten Strophe von c.ll "another passage that puzzled" sieht, da das verwendete Bild eher für die "deflowered bride than the deflowering groom" geeignet sei.515 Auch diese Verse können somit 512 513 514

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Siehe die bereits o. S.77 genannte Literatur. Siehe o. Anm.87ff. Vgl. übrigens auch schon die allgemeine, nicht auf tatsächliche carmina Catulls Bezug nehmende Formulierung des einen libellus c.1-14 aber ablehnenden COPPEL (1973) S.181 Anm.165: "Die versiculi molliculi ac parum pudici [...] könnten für den Passer als eine Teilpublikation charakteristischer gewesen sein, als sie es ihrer relativen Frequenz nach für das ganze Catullcorpus sind." NEWMAN (1990) S.171f.; zum umgekehrten Bild der sonst für "virginity" stehenden Blume vgl. auch z.B. FREDRICKSMEYER (1983) S.73 mit Stellen aus Catulls anderen Gedichten, MILLER (1994) S.105 sowie bereits PUTNAM (1974) S.86 Anm.19 zu Catulls "feminine roles" mit Hinweisen auch auf ältere Literatur wie seinen eigenen Beitrag 'The

Das beíía-Problem (c.l6)

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- ohne jede Unterstellung von (unterbewußt) etwa auf Homosexualität bzw. Transvestitismus deutenden Gedanken - neben z.B. dem weinerlichen c.3 als verweichlicht, molliculus erscheinen. Aber wenn sogar mehrere, offenbar zusammengehörige Gedichte des 'Lesbia'-Zyklus dem Vorwurf der molliculi uersus entsprechen, wie hätte dann bei gemeinsamer Erstpublikation mit c.16 reale Kritik und Catulls Reaktion erfolgen können? Und warum hätte er bei einer späteren, nochmaligen Edition auch ein solches Einzelgedicht wie c.16 in eine von ihm selbst publizierte und geordnete Gedichtsammlung aufnehmen sollen, wenn dieses die Vorwürfe nicht einmal für eine größere Leserschaft auszuräumen versucht, wie oben dargelegt, sondern eigentlich nur Aurelius und Furius verständlich ist? Etwa nur deswegen, weil er bei der Zusammenstellung unseres Corpus noch ein weiteres Aurelius- und Furius-Gedicht in seinen Unterlagen fand und glaubte, mit einem weiteren Angriff den Zyklus passend erweitern zu können? Ein ordnendes Prinzip, das sich nur an Adressaten orientiert, wie es sich für eine Briefsammlung eignet, zeigt jedoch das Corpus Catullianum sonst keineswegs. Warum sollte c.16 auch gerade an dieser Stelle, damit die inhaltliche Folge der beiden Aurelius und den Knaben betreffenden c.15 und 21 unterbrechend, eingeschoben sein, wenn nicht ein tieferer, über die bloße Nennung derselben Adressaten wie in den übrigen Gedichten hinausgehender Bezug zum ganzen Zyklus besteht?516 Ein übliches Trenngedicht wie c.2a zwischen den beiden /wiwer-Gedichten 2 und 3517 oder c.6 zwischen den Küssen von c.5 und 7 kann c.16 kaum darstellen sollen, es ist schließlich Aurelius als Adressat beibehalten, und c.16 enthält die gleiche Vergewaltigungsdrohung wie c.15 und 21. Trenngedicht ist in dem Fall vielmehr das ebenfalls zwischen diesen überlieferte c.17, das ohne Erwähnung von Aurelius und Furius und deren irrumatio ist. Warum ist also das Küsse betreffende Verteidigungsgedicht c.16 nicht gleich in die Nähe der fraglichen Kußgedichte wie c.5 und 7 oder 48 gesetzt, falls doch letzteres gemeint und es auch tatsächlich bewußt an seinen Platz gestellt sein sollte, was freilich bislang gegen z.B. OFFERMANN518 noch nicht nachzuweisen gewesen ist. Wenn die Anordnung im überlieferten polymetrischen Sammlungsteil wirklich von Catull stammen würde, hätte er in beiden Fällen, sowohl für c.5 und 7 durch das unmittelbar vorausgehende c.15 mit seinem homosexuellen Inhalt, wie auch durch die große Entfernung zu dem nachträglich gesetzten C.48, den Leser unnötig verwirrend, das Verständnis von c.16 erschwert und

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Art of Catullus 64', HSCPh 65 (1961), S.167ff., und die Literaturzusammenstellung von SWEET (1987) S.518 Anm.12. Vgl. ferner A.E. RADKE, Textkritische Anmerkungen zu Catull, Hermes 123 (1995), S.253-256, S.253 zu c.2 "eigentlich ein leidenschaftliches Kußgedicht, nur nach hellenistischer Manier verkleidet in das Reduktionsmedium des passer." Und FITZGERALD (1992) S.425 Anm.12 findet gar "an echo" der Formulierung von c.2,4 incitare in c.16,9. Dazu genauer siehe u. S.154ff. Natürlich ist auch dies in der Forschung umstritten, zu c.2a siehe u. S.229ff. OFFERMANN (1977) S.277f„ (1978) S.36.

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'Lesbia' und 'Juventius' in einem Buch

den zugrunde liegenden Bezug verwischt, was auch bei Annahme einer bloßen, m.E. aber abzulehnenden Fiktion der Fall wäre (vgl. dagegen Marti,34 und 35 nebeneinander). Ja wenn - angesichts der oben vorgetragenen Gedanken zur mollitia als Zärtlichkeit Catulls und den soeben angestellten Überlegungen zu einem möglichen Bezug sogar auf alle c.2-11 m.E. unwahrscheinlicher - doch die Küsse von c.48 der Anstoß zur Kritik waren, warum ist dann dieses auch metrisch mit seinen rein spondeischen Versanfängen zum Zyklus passende Gedicht nicht in den 'Aurelius- und Furius'-Zyklus etwa in der Folge c.15, 48, 16 eingebunden, so daß der Charakter der Rechtfertigung und der Bezug auf solche Küsse auch für jeden gewöhnlichen Leser verständlich werden konnte, und ebenfalls ohne daß dieser durch ein c.16 unmittelbar vorausgehendes, erst recht parum pudicum wirkendes c.15 wie z.B. STROH vorher auf andere Gedanken gebracht worden ist?519 (Bereits in Kap.2.3. war die Stellung von c.48 als Catulls Verhältnis zu Juventius in den c.l5ff. klärendes Gedicht zu bemängeln!) So hätte sich schließlich auch die schöne Juventius-Liebesgeschichte ergeben, die die ältere Forschung wie WESTPHAL und BAEHRENS oder z.B. mit einer Herausarbeitung der "phases of the battle" noch RICHARDSON, STOESSL und ja auch - allerdings die Gedichtabfolge beibehaltend und darum nicht mehr so spekulativ STROH aus dem Zyklus herauslesen wollen.520

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Vgl. auch z.B. SYNDIKUS' berechtigten Einwand (1984) S.143 Anm.2 gegen einen Bezug von c.16 nur auf die päderastischen Gedichte: "Aber wäre dann die Einordnung des Gedichtes nicht lange nach den Kußgedichten an Lesbia nicht seltsam, um nicht zu sagen, irreführend?" Für den bereits o. in Kap.2.3. abgelehnten 'Juventius'-Roman vgl. z.B. L. SCHWABE, Quaestionum Catullianarum liber I, Gissae 1862, S.143ff. und besonders WESTPHAL (21870) S.197ff. mit einer reichlich romanhaften Rekonstruktion der Aufeinanderfolge der Gedichte S.215 (48, 16, 14b, 11, 99, 106, 15, 26, 23, 24, 21, 81; siehe auch o. S.98 mit Anm.318), daß Catull, "ohne gerade ihr Freund zu sein," Umgang mit Aurelius und Furi us pflegte wie etwa mit Gellius: "Was den Dichter in das Haus des Furius zieht, ist eben der anmutige Juventius [...] Furius verbirgt seine Liebe [...], aber Catull tritt offen damit hervor. Er fällt fast in den Ton seiner frühesten Lesbia-Lieder 5 u. 7 zurück, an denen er gewissermassen ein Plagiat begeht, wenn er an Juventius schreibt (c.48)" - "es sind die Verse, die Catull dem jungen Juventius ins Haus des Furius geschickt und die dieser mit Aurelius bei dieser Gelegenheit gelesen hatte." "Dem Furius und Aurelius kommt diese Huldigung höchst ungelegen. Dass sie selber Absichten auf Juventius haben und sich eines Concurrenten entledigen wollen, davon schweigen sie; sie legen die Maske der Moralisten an und nennen den Dichter "parum pudicum", der durch seine unanständigen Verse Knaben verführen wolle. In diesem Zusammenhange haben wir c.16 zu fassen, mit welchem Catull jenen Vorwürfen entgegentritt. Er kennt sie besser, den pathicus Aurelius, den cinaedus Furius, und gibt ihnen ohne die verborgen gehaltenen Motive ihres Tadels zu kennen eine derbe Antwort, wie sie sich für die scheinheiligen Tugendheuchler gehört." Wie aber läßt sich solches mit WESTPHALs Eintreten für die Authentizität des Corpus Catullianum vereinbaren? Muß es nicht eigentlich zur Aufgabe der Gedichtanordnung und Sammlung als vom Autor selbst hergestellte Ausgabe führen? Vgl. ferner RICHARDSON (1963) S.97ff. "The first attack seems to have been on the poet's provincial origin and failure in fashionable society [...]", sowie die u. Anm.543 genannte Literatur.

Das ftasia-Problem (c.l6)

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Festzuhalten ist also zunächst, daß es hinsichtlich der Annahme einer direkt von Catull geschaffenen, planmäßigen Gestaltung seines Corpus als primärer Edition wie aber auch als zweiter Auflage weitere erklärungsbedürftige Probleme gibt, diesmal mit c.16, seinem Hintergrund und seiner Stellung innerhalb der Sammlung, die sich offensichtlich doch nicht so leicht nur mit dem Verweis, daß dies eine Replik auf vorher einzeln umlaufende Gedichte sei, beiseite schieben läßt. Und wiederum waren Hinweise auf eine getrennte Erstpublikation gewisser Catull-Gedichte zu erschließen, so daß auch hier zunächst der Versuch zu fordern ist, dem ursprünglichen Kontext der fraglichen carmina nachzuspüren, ehe man die - notwendigerweise und wenigstens zum Teil nur als sekundär zu bewertende - Anordnung aller Gedichte in unserem Corpus Catullianum als bewußt und von Catull selbst stammend interpretieren kann.

3. Ein neuer Ansatz: 'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli 3.1. c.l-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge Blickt man nun auf die Überlegungen und Ergebnisse der vorausgehenden fünf Kapitel zurück, so haben sich mehrfache und m.E. nicht unwesentliche Bedenken gegen eine gleichzeitige primäre und von Catull selbst intendierte Publikation der beiden Zyklen über Lesbia und Aurelius und Furius, also der ersten 26 Gedichte des Corpus Catullianum, in nur einem Gedichtbuch herausgestellt: Zum einen liegen mit den besprochenen vierfachen Einwänden, nämlich gegen die Stellung von c.l4a als Binnenprogrammgedicht (Kap.2.2.), wegen der inhaltlichen Andersartigkeit des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus (Kap. 2.3.), bezüglich der plötzlich veränderten Haltung gegenüber den Freunden aus c.ll (Kap.2.4.) und vor allem zur Interpretation von c.16 (Kap.2.5.) Indizien vor, die - z.T. sogar recht deutlich - doch eher für eine getrennte Edition beider Zyklen in zwei verschiedenen libelli zu sprechen scheinen. Sowohl hinsichtlich Catulls Verhältnisses zu den beiden Freunden c.ll und c,15ff. wie auch hinsichtlich des von einem Leser eines c.1-26, 1-50 oder 1-116 enthaltenden Buches m.E. ganz natürlich herzustellenden Bezuges der in c.16 erwähnten Kritik auf c.5 und 7 wirkt die innere Logik eines solchen Gedichtbuches gestört, so daß man in der Forschung, wenn man die sich ergebenden Probleme überhaupt beachtet hat, nach Hilfskonstruktionen wie der Ironie von c.ll oder etwa verlorenen Gedichten als Ausgangspunkt für c.16 greifen mußte. Daß man sich damit jedoch ein wenig zu leichtfertig über den tatsächlichen Wortlaut und die dadurch vermittelten offensichtlichen und nächstliegenden Aussagen der fraglichen Gedichte hinwegsetzt, wurde in den vorausgehenden Kapiteln mehrfach festgestellt. Bleibt man dagegen bei einer wortgetreuen Interpretation, sind die oben beschriebenen vier Probleme unübersehbar. Oder sollte Catull tatsächlich sein Buch nur in äußerlicher Hinsicht, etwa nach ringkompositorischer Art mit gleichgroßen Zyklen oder einer gezielten Verteilung der Metren, durchgestaltet, auf eine innere Logik der darin aufeinanderfolgenden Gedichte jedoch keinen Wert gelegt haben? Zum anderen ist es der Forschung bislang nicht gelungen, hinsichtlich Gedichtanordnung (Kap.2.1.) oder Inhalt (Kap.2.3.) die Zugehörigkeit der beiden Gedichtgruppen zu einem libellus wirklich nachzuweisen. Daß der zweite Zyklus sprachlich wie inhaltlich in extremem Gegensatz zum ersten

c.1-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge

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gestaltet ist und dieser Gegensatz von Catull selbst und bewußt gesucht ist, wie die Forschung seit WESTPHAL ja immer wieder betont, auch daß beide Zyklen mit den jeweils drei Fremdversmaßen neben den sonst einheitlich hendekasyllabischen Gedichten ähnlich gestaltet wirken, wie erst kürzlich STROH beobachtet hat, ist gewiß auffällig. Doch auch all dies kann letztlich noch nicht belegen, daß beide Zyklen tatsächlich zum selben Buch gehören müssen - die Beobachtungen lassen sich vielmehr auch für eine andere Deutung als Argumente heranziehen, die in diesem Kapitel vorzuführen sein wird. Zunächst ist jedoch der bisherige Befund auszuwerten, der eigentlich zu einem ganz offensichtlichen Ergebnis führen sollte: Wenn einerseits eine gemeinsame Publikation beider Zyklen nicht bewiesen und auch nicht zwingend notwendig ist, andererseits aber Argumente gegen eine derartige gemeinsame Publikation vorliegen und dabei einer der Problemfälle ausgerechnet das Fragment c,14a ist, das sich, wie besprochen, seinem überlieferten Wortlaut nach ohnehin zunächst als eigenes, neben c.l weiteres Einleitungsgedicht und nicht nur Binnenprogrammgedicht anbietet, muß der Versuch naheliegen, auch tatsächlich mit c.l4a ein zweites Gedichtbuch beginnen zu lassen und somit die c.1-14 und 14a-26 in zwei ursprünglich getrennten libelli anzunehmen. Denn da es sich nun bei den besprochenen Einwänden gegen eine gemeinsame Publikation der fraglichen Gedichte nicht nur um einen einzigen Problemfall handelt, dem man evtl. tatsächlich mit der Annahme einzeln bereits zuvor bekannter Gedichte begegnen könnte, sondern Bedenken in mehrfacher Hinsicht aufgetreten sind und diese, was ganz wesentlich ist, unabhängig voneinander festzustellen waren und nicht etwa immer nur dasselbe Gedicht aus unterschiedlicher Perspektive betrafen, ist nicht einzusehen, warum man diesen Bedenken nicht auch bei der Rekonstruktion von Catulls Publikationsformen Rechnung tragen sollte, zumal dann die wortgetreue Interpretation der betroffenen Gedichte wie c.ll, 14a und 16 sowie der angeblichen Liebesgeschichte in c.1524 ohne umständliche Umwege möglich bleibt. Und genau dies, die möglichst wortgetreue Interpretation von Catulls Formulierungen unter sorgfältiger Berücksichtigung etwaiger Auffälligkeiten, nicht aber der Wunsch, unter allen Umständen die Einheit des Corpus Catullianum zu beweisen, sollte doch Ausgangspunkt jeglicher Deutung sein! Darüber hinaus ist zu beachten, daß bei der Annahme zweier getrennter libelli und einem Schnitt zwischen C.14 und 14a eben gerade die beiden Zyklen insgesamt voneinander getrennt werden, also nicht willkürlich offensichtlich zusammengehörige Gedichte auseinandergerissen werden - die Zusammengehörigkeit von jeweils c.l bzw. 2-14 und 14a-26 und deren jeweilige Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Zyklen wird schließlich von der Forschung mit wenigen Ausnahmen wie HECK (c.l-13, 14-28) oder DEITMER (c. 15-24) fast einmütig akzeptiert und auch von den Vertretern der Catull-Gesamtausgabe zur Argumentation

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'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli

benutzt.521 Und zu beachten ist ferner, daß nicht nur der Einzelbezug von C.16 auf ein Kußgedicht, daß vielmehr gerade die Abtrennung des ganzen so schönen, so zarten 'Lesbia'-Zyklus mit seinen mehrfach verzärtelt, weichlich wirkenden Versen von den folgenden garstigen, deftigen carmina nun angesichts der Vorwürfe von c.16 als ein weiteres Argument für die Annahme eines eigenständigen 'Lesbia'-Büchleins gelten kann, wie im vorausgehenden Kapitel besprochen. Daß sich das frg.l4a und c.16 in der hier beschriebenen Weise auswerten lassen, sollte der Forschung freilich längst, und zwar seit über 100 Jahren, bekannt sein. Es haben schließlich nicht nur in neuerer Zeit, 1983 und 1984, und wohl unabhängig voneinander HUBBARD, gestützt vor allem auf c.l4a, und PULBROOK, gestützt ebenfalls vor allem auf c.l4a und mit Hinweis auf WHEELER auch auf c.16, versucht, einen eigenständigen 'Lesbia'-frbe/lus herzustellen. HUBBARD und PULBROOK konnten ihrerseits bereits auf die Überlegungen SCHULZEs zurückgreifen, der 1881 unter Berufung auf c.16 genauso für die Gedichte des 'Lesbia'-Zyklus einen Eiméüibellus (c.l-14a) postulierte, wie in einer ganz kurzen Notiz vor ihm schon v. LEUTSCH 1876 allein wegen c.l4a. Hinsichtlich der Abtrennung eines eigenständigen 'Lesbia'-libellus ist also der hier vorgeführte Ansatz - im Gegensatz zur Kapitelüberschrift - nicht ganz neu; die diesbezüglichen Argumentationen HUBBARDs, PULBROOKs und auch SCHULZEs sind - immerhin um zusätzliche Argumente und Überlegungen erweitert - zunächst nur zu bestätigen. SCHULZE wie auch HUBBARD und PULBROOK sind jedoch ausschließlich an den ersten 14 bzw. wegen c.2a 15 Gedichten und damit dem 'hesbia.'-libellus interessiert, dessen Aufbau sie möglichst detailliert nachzuvollziehen oder zu rekonstruieren suchen, was im Fall von SCHULZE und HUBBARD noch weiter zu präzisieren, im Fall von PULBROOK dagegen energisch zu bestreiten sein wird.522 Die sich durch c,14a und 16 ergebenden Bedenken dienen bei ihnen lediglich als Mittel dafür, das interessante und schöne 'Lesbia'-Buch abtrennen zu können, beide Gedichte selbst und ihr Verhältnis zum 'Lesbia'-Zyklus sind noch nicht genügend beachtet. So hat z.B. HUBBARD sogar c.16 wie auch den Gegensatz zwischen c.ll und 15ff. übersehen und glaubt statt dessen an die - wie vorgeführt - doch sehr zweifelhafte Ironie in c.ll. Und während einerseits von HUBBARD ein wohlgeordnetes bzw. von PULBROOK ein neu rekonstruiertes und mit weiteren Gedichten angereichertes 'Lesbia'-Buch präsentiert wird, wird andererseits nur mehr ganz kurz für den mit c.l4a beginnenden libellus eine wirre und insgesamt ungeordnete, höchstens am Anfang mit dem 'Aurelius- und Furius'-Zyklus noch einigermaßen geschlossene Sammelpublikation angenommen, die praktisch alle weiteren kleineren, polymetrischen Gedichte enthal521

522

Z.B. WISEMAN (1969) S.3ff., SKINNER (1981) S.20ff. und bes. S.39ff., STROH (1990) S.136ff.; zu HECK und D E I T M E R siehe o. S.18,26. Siehe u. S.242ff. und 246ff.

c.1-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge

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ten oder - entsprechend dem 'Passer'-libellus z.B. CLAUSENS - nur bis zum einigen gar als "the perfect ending" (CLAUSEN, PULBROOK) erscheinenden C.50 reichen soll,523 das nun zusätzlich deshalb als möglicher Abschluß gilt, weil im ersten libellus ebenfalls ein an Calvus gerichtetes, sich mit literarischen Themen befassendes Gedicht am Ende steht.524 C.50 ist ein gewiß denkbarer Abschluß, den man auch problemlos als solchen akzeptieren könnte, wenn das Gedicht tatsächlich an letzter Stelle überliefert wäre oder nur scheinbar Fragmentarisches wie c.2a oder 58a folgte. Doch ohne jede Bezugnahme auf die vorausgegangenen carmina insgesamt (vgl. vielmehr V.16 hoc ... tibi poema feci) und damit ohne deutlich erkennbaren programmatischen Charakter als Schlußgedicht, ohne jede weitere Aufbauparallele eines derartigen weit umfangreicheren Buches zum kleinen, feinen 'Lesbia'libellus und ohne wirkliche Entsprechung zwischen den beiden c.14 und 50 und eine weitere Umrahmung des postulierten libellus (etwa mit einer Hinwendung an die Leser auch in c.50 oder der Wiederaufnahme des horrorMotivs aus c,14a) muß die Begrenzung mit c.50 als rein willkürlich erscheinen. Ausgerechnet das wunderschöne, als eines der wenigen carmina noch verbleibende sapphische c.51 (ille mi par esse deo ...) sollte ausgeschlossen sein, das doch z.B. GOOLD derart bedeutend erscheint, daß er wegen dessen später Stellung in der Sammlung die Authentizität der Anordnung des anfänglichen 'Lesbia'-Zyklus zunächst gar ablehnte?525 Vergleicht man im Gegenteil mit dem ebenfalls nacheinander überlieferten Paar 65/66, Einleitungsgedicht und Übersetzung (c.65,15f. mitto haec ... tibi carmina), könnte sehr wohl die Sappho-Bearbeitung c.51 das c.50 angekündigte carmen darstellen, c.50 programmatische Funktion innerhalb einer Gedichtsammlung also nur für die unmittelbar folgenden Verse haben.526 Doch selbst wenn man c.51 einbezieht und nur die restlichen c.52-60 als nachträgliche Ergänzung aus Catulls Nachlaß ansieht, wie z.B. SKINNER für ihren c.1-14 einschließenden 'Passer' oder zuvor bereits SEGAL,527 ist dies bedenklich und nicht ohne weiteres zu rechtfertigen - abgesehen davon, daß dann sowieso auf das Argument mit den parallelen Calvus-Gedichten jeweils am Buchende zu verzichten ist:528 Ausgeschlossen sollte mit c.57 ein weiteres CaesarGedicht sein, das doch inhaltlich so gut zu c.29 paßt, ebenso z.B. c.56 und 58 523

524

525 526

527 528

Siehe die o. S.22f. mit Anm.55 genannte Literatur, vgl. besonders RICHTER (1881) S. 24f., CLAUSEN (1976) S.39f., (1982) S.196, PULBROOK (1984) S.77, GOOLD (21989) S.245Í. Zum Verhältnis der beiden Gedichte vgl. ausführlich z.B. B. NÉMETH, Catullan twinpoems (c.50 - c.14), ACD 10-11 (1974-75), S.545-553. GOOLD (1974) S.9. Zum Verhältnis von c.50 und 51 und ihrer möglichen engen Beziehung vgl. z.B. auch CLACK (1976) S.50ff. SEGAL (1968) S.307Anm.l. Vgl. ja auch die o. Anm.116 bereits angeführten Gegenmeinungen von z.B. WISEMAN, E A . SCHMIDT, OFFERMANN, FERGUSON; MINYARD (1988) S.344 Anm.3 sieht sogar einen Bezug im Aufbau der Polymetra insgesamt, eine Verwandlung in Catulls Lesbia-Verhältnis, zwischen dem passer c.2 und der leaena aus c.60.

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(vgl. C.37), C.53 (vgl. c.49) oder auch c.55, die alle keineswegs als evtl. nur unfertige carmina abzuqualifizieren sind wie vielleicht die ganz am Ende stehenden, scheinbar fragmentartigen c.58a und 60 und die - verglichen mit den anderen Caesar-/Mentula- und besonders den Aurelius- und Furius-Gedichten oder einigen Epigrammen - auch nicht wegen "tasteless invective" (c.54 und 57) oder "excessive obscenity" (c.56, 58, 59)529 von Catull selbst ausgelassen sein dürften.530 Die in der Forschung bislang angestellten Überlegungen zum möglichen Ende eines polymetrischen Gedichtbuches c.1-50 oder 14a-50 und dessen Abbruch nach c.50 oder 51 oder gar 60 können folglich nicht unbedingt überzeugen, und so muß auch HUBBARDs oder PULBROOKs Lösung für einen zweiten, aber völlig unabhängigen und bezuglosen libellus, der ja wegen c,14a notwendig anzunehmen ist, wenn dieses wirklich Argument für die Abtrennung des 'Lesbia'-libellus sein soll, noch unbefriedigend erscheinen und ist ohnehin noch nicht recht durchdacht. Bislang nicht beachtet ist nämlich, daß die gegen eine gemeinsame Publikation sprechenden Bedenken bezüglich c.ll und 15ff. und besonders c.16 gleichzeitig ja auch die beiden Zytìen/libelli in eine gewisse Beziehung bringen müssen. Noch nicht beachtet ist ferner, daß die vorgeführten Probleme nicht etwa zwischen den Gedichten des 'Lesbia'-Zyklus und beliebigen anderen, über die ganze Catull-Sammlung verteilten carmina bestehen. So ist der mögliche Bezug auf die basia nicht irgendwo unter den Gedichten überliefert, sondern in c.16 und damit in ganz enger Nähe zum möglichen Einleitungsgedicht c,14a. Und das sich gegenüber den Vorwürfen mangelnder pudicitia u.ä. verteidigende Gedicht c.16 stellt keineswegs eine allgemeine Verteidigung dar, sondern ist an zwei spezielle Adressaten, Aurelius und Furius, gerichtet, deren Verhältnis zu Catull ausgerechnet ein weiteres Problem brachte. Und diese Aurelius- und Furius-Gedichte sind nun ebenfalls nicht willkürlich über das Catull-Corpus verteilt, sondern es sind eben gerade die auf c.l4a unmittelbar folgenden, den nächsten Zyklus bis einschließlich c.26 begründenden. Weitere in ähnlicher Weise Aurelius und Furius einzeln oder gemeinsam betreffende Gedichte, in denen die beiden Adressat oder überhaupt erwähnt sind, existieren im Corpus Catullianum nicht; die Namen sind nur in den c.ll und 15-26 und damit den beiden hier zu untersuchenden Zyklen verwendet.531 Aufgefallen war schließlich auch noch, daß gerade diese 529

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531

So aber z.B. GOOLD (21989) S.245f.; unzureichend auch CLAUSEN (1976) S.40: "53 and 56 are amusing squibs, 52 and 59 less so; 57 is as obscene and elegant as 29, and 58 is extremely moving. Catullus may have omitted these few poems (reasons why can be invented), or he may have written them after he had published his libellus". Oder sollte speziell c.54 deswegen nicht einbezogen sein, da es als Reaktion auf Kritik des unicus imperator an Formulierungen wie denen des im Buch enthaltenen c.29 zu verstehen ist, während man dagegen ähnliche Gedanken für c.16 nicht recht beriicksichigt? In der Forschung diesbezüglich diskutiert werden allerdings die keine direkte Namensnennung enthaltenden Gedichte 40 und 106, für deren Zuweisung an Furius oder Aurelius jedoch keinerlei wirkliche Handhabe vorliegt, so daß auch TROMARAS (1984) S.13f. sie für seine Interpretation von Aurelius-, Furius- und Juventius-Gedichten mit Recht aus-

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Aurelius- und Furius-Gedichte zwar zwei Rivalen wegen ihres Interesses an Catulls Liebling (Juventius?) angreifen, Catull selbst aber - im Gegensatz zu anderen Juventius-Gedichten außerhalb des Zyklus wie c.48, 81, 99 - in c.24 erstaunlich wenig Interesse an seinem geliebten Knaben bzw. Juventius zeigt.532 Alle Problemfälle scheinen somit in auffälliger Weise auf den sog. 'Aurelius- und Furius'-Zyklus und besonders dessen Verhältnis zum 'Lesbia'Zyklus konzentriert, auf eine Gedichtgruppe also, die auch sonst in deutlicher Weise unter den übrigen carmina Catulls herausragt: Wie die Forschung immer wieder bestätigt, handelt es sich bei den Aurelius- und FuriusGedichten, d.h. speziell bei c.15, 16, 21, aber auch 23 um die im Ausdruck anstößigsten, obszönsten, unflätigsten Stücke der ganzen Sammlung. Aurelius und Furius sind ferner im uns erhaltenen Corpus die einzigen, die einerseits als Freunde hochgeschätzt erscheinen (c.ll), andererseits aber verbal scharf angegriffen werden (c,15ff.). Alle anderen Gestalten in den uns vorliegenden Gedichten werden entweder nur freundlich behandelt, allenfalls mit harmlos neckendem Spott bedacht (z.B. Alfenus, Allius, Fabullus, Caecilius, Camerius, Calvus, Cinna, Cornelius, Cornificius, Quintius, Septimius, Varus, Veranius) oder nur attackiert (z.B. Aemilius, Egnatius, Gallus, Gellius, Mamurra, Naso, Nonius, Piso, Porcius, Rufa, Vatinius, Vibennius, Victius, Volusius).533 Aber selbst wenn Catull sonst seine Zeitgenossen teilweise recht scharf und deftig verspottet und beschimpft, es sind die Gedichte des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus die einzigen, in denen er droht, selbst aktiv zu werden. Mit Ausnahme von c.37 an die salax taberna uosque contubemales (ohne speziellen Adressaten ist die Drohung nur anonym und bleibt letztlich vage) und c.56 (der Widersacher bleibt ebenfalls anonym; Catull droht nicht, sondern berichtet nur von einer vollzogenen Bestrafung und prahlt damit)

sondert. Im Juventius-Gedicht c.81 glaubt man sowohl Aurelius (wegen V.4 inaurata pallidior statua; so z.B. ELLIS [21889] ad loc., HEIDEL [1901] S.215, FREDRICKSMEYER [1993] S.97) als auch Furius zu erkennen (wegen V.2 homo bellus verglichen mit c.24,7 non est homo bellus; so z.B. WESTPHAL [21870] S.213, RICHARDSON [1963] S.93, STOESSL [197η S.53 sowie die Kommentare von BAEHRENS [1885], KROLL [61980] ad loc.; vgl. auch SCHÄFER [1966] S.26 mit Hinweis auf 24,6/81,2), was aber in gleicher Weise nur unbelegbare Vermutungen sind wie etwa WESTPHALs Identifizierung von Furius und Juventius in c.106 (S.203); vgl. dazu bes. GREEN (1940) S.355 und L I U A (1983) S.52, TROMARAS (1984) S.91 Anm.19 und S.92 Anm.25 mit Hinweis auf andere homines belli bei Catull wie 22,9 (und damit sogar im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus) oder c.78,3 Gallus homo est bellus und ältere Literatur. Für homines belli bei Martial siehe 1,9 und HOWELLs Kommentar (1980) ad loc. Darüber hinaus findet RICHARDSON (1963) S.102 Aurelius oder Furius in c.40, SCHMID (1974) S.234ff. sogar beide im Attis-Gedicht C.63 als Kryptogramm, als linke und rechte Löwen (zu derartigem vgl. aber o. S.84f.). Siehe im übrigen gleich unten zu einem weiteren Problem mit c.15 und 21. 533

Vgl. z.B. WISEMANs schöne Formulierung "Catullus was a good hater" (1985, S.5) sowie unlängst PEDRICK (1993) zu Catulls "abusive address". Mit anderen Freunden vergleicht im übrigen auch SWEET (1987) S.523ff., doch schließt er aus der Tatsache, daß alle sonstigen Freunde auch nur als Freunde angesprochen sind, gerade umgekehrt darauf, daß Aurelius und Furius nicht dazu gehören können. Zu Caelius siehe u. S.208ff., zu Caesar u. Anm.612.

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tritt der Dichter nie selbst als Ausführender einer körperlichen Strafe in Erscheinung, so wie er es in c.15, 16 und 21 (und c.25, ebenfalls innerhalb des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus!) androht - ja selbst in c.37 läuft das V.7f. angekündigte irrumare nur auf ein Beschmieren der Wände hinaus (V.9f. namque totius uobis/ frontem tabemae sopionibus scribam). Er bleibt sonst lediglich kritischer und kritisierender Beobachter, der - scheinbar ohne direkt betroffen oder gefühlsmäßig beteiligt zu sein534 - offensichtliche Schwächen seiner Zeitgenossen anprangert. Und vieles erscheint dabei als wirklich verletzende Angriffe wegen körperlicher Gebrechen oder Gewohnheiten, die inhaltlich gesehen weit ernster wirken als die äußerlich derart massiven Attacken der Aurelius- und Furius-Gedichte. Denn da darin beide in gleicher Weise und eindeutig übertreibend als Hungerleider verspottet sind,535 dürften sie wohl keinen realen, individuellen Bezug voraussetzen, während man nur aus der Lektüre des Rufus- oder Egnatius-Gedichts 69 bzw. 39 und ohne Kenntnisse von Catulls persönlicher Beziehung und möglichen Rachewünschen, wie sie c. 77 und 37 offenbaren, sehr wohl an den störenden Achselgeruch dieses Mannes, eines scheinbar stadtbekannten Stinkers, glauben mag, wie auch an die eigenartige Mundhygiene des Egnatius oder etwa den Inzest des Gellius, die Tätigkeit des Vibennius, das Aussehen der Ameana. Es wäre ohnehin ein seltsamer Zufall, wenn c. 15-26 alles Realität wäre, wenn ausgerechnet beide Freunde etwas mit Catulls Liebling anfangen wollten und dabei nicht nur Catull, sondern sich auch gegenseitig in die Quere kämen536 534

536

Ausnahme sind c.28 und 47, bei denen aber nur die Sprache obszön ist; die Freunde selbst werden nicht angegangen. Gegen WISEMAN (1985) S.5 sind m.E. c.15 und 25 nicht voll mit c.108 vergleichbar. Als Habenichtse und Hungerleider werden beide auch z.B. von ELLIS (21889), KROLL (61980), QUINN (21973) ZU C.21,1 gesehen sowie von SCHÄFER (1966) S.27, HOLLAR (1972) S.117, STOESSL (1977) S.48, SKINNER (1981) S.45f.; anders dagegen mit zu tiefgehenden Gedanken für Aurelius als "Meister der Askese" (= c.21,1 pater esuritionum) z.B. TROMARAS (1984) S.48ff. und SCHMID (1974) S.237, der von "bewußtem Training der Bedürfnislosigkeit im Rahmen einer bestimmten Lebensauffassung und Lebensform" spricht. Gerade die Verwendung von pater - auch nach TROMARAS schließlich ein üblicher Ehrentitel - in der unerwarteten Verbindung mit "Hunger" zeigt doch, daß hier kein ernstes Kompliment gemeint ist (bestätigt jetzt auch von NEWMAN [1990] S.175, 283; vgl. auch bereits z.B. ELLIS [21889], QUINN [21973] ad loc. "a mock honorific title" und fast genauso bei SYNDIKUS [1984] S.152, GOOLD [21989] S.240) wie z.B. bei Catull genausowenig c.33,1 furum optime trotz des für sich genommen positiven Superlatives; vgl. auch für c.21 die übertriebene Fortsetzung V.2f. non harum modo, sed quot autfuerunt/ aut sunt aut aliis erunt in annis und damit wieder c.49,1-3 dissertissime Romuli nepotum/ quot sunt quoique fitere, .../ quoique post aliis erunt in annis. Für eine weitere übertragene Deutung (QUINN, KONSTAN) siehe u. Anm.547. So etwas gibt es freilich öfter: Bei Petron hat nicht nur Ascyltus ein Auge auf den schönen Giton geworfen; Enkolpius hat auch alle Hände voll zu tun, sich andere Rivalen wie den weiteren Begleiter Eumolpus vom Leibe zu halten (ein Vergleich mit Petron z.B. auch bei RICHARDSON [1963] S.103 "a Petronian ménage à trois", DELLA CORTE [21976] S.165ff.). Auch Catull beklagt sich bei verschiedenen Freunden über ihren Verrat, was zwar nicht näher spezifiziert ist, aber gut eine - allerdings nicht notwendig gleichzeitige Rivalität in Liebesdingen meinen kann, vgl. c.73, 77, 82.

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und gleichzeitig auch noch in ähnlicher Weise verarmt und mittellos und diesbezüglich angreifbar sein sollten. Allerdings ist es sehr gut möglich, daß Catull im Falle von Furius tatsächlich von bekannten Fakten ausgeht und diese dann in der vorliegenden Weise ins Maßlose übertrieben hat, Furius also in der Tat ein für sein Äußeres bekannter Schönling war, der sich als junger Mann aus vornehmem Hause mit einem entsprechend aufwendigen Lebenswandel bekannterweise in ständigem Geldmangel befand (vgl. Catull selbst in c.13, der dort ebenfalls momentan nichts im Portemonnaie hat, deswegen aber noch keineswegs verarmt ist) und sich - nicht aus wirklicher Not, sondern aus Bequemlichkeit - überall kleine oder auch größere Summen z.B. zum Begleichen von Kneipenrechnungen oder sonstigen Schulden bei seinen Freunden zusammenpumpte (vgl. c.23,26f. mit immerhin 100000 Sesterzen, quae soles precari)537. Denn auffällig ist, daß Furius im Gegensatz zu Aurelius nicht auch noch wegen impudicitia angegriffen wird und Catull sich bei ihm ausschließlich auf seine Mittellosigkeit konzentriert (c.23), die so gar nicht zu seinem in c.24 beschriebenen schönen Äußeren passe (vgl. die Wiederholung der Bezeichnung bellus V.7 und 8). Sowohl das precari in c.23 als auch bellus in c.24 mögen also sehr wohl einen realen Hintergrund haben538 - die dem eigentlich zum Bettler degradierten Furius unterstellte Forderung ist überraschend hoch, obgleich von solch einem Menschen höchstens die Bitte um ein Almosen zu erwarten wäre (vgl. z.B. centum quadrantes als übliche sportula mehrfach bei Martial oder Juv.l,120f.). Doch ist die angebliche völlige Verarmung, nicht nur seine eigene, sondern sogar die seiner ganzen Familie, deswegen wie auch angesichts der drastischen Schilderungen gewiß Fiktion. Ganz anders will dies freilich SYNDIKUS sehen, der zwar für Vorwürfe wie die gegenüber dem Bäderdieb und seinem Sohn (c.33) an eine Fiktion glaubt, Catulls Spott gegen Aurelius und Furius aber wörtlich nimmt:539 "Für ihn ist Armut als solche ein Schimpf, und er verspottet Leute wegen ihrer Armut, als ob sie mit einem verwerflichen und widerlichen Makel behaftet wären [...]; wenn jemand keine dem gesellschaftlichen Stand entsprechende Sklavenbedienung und keinen wohlgefüllten Geldschrank hat, genügt das allein schon zur Prägung eines Spottverses." Wenn dies aber tatsächlich zu537

538 539

Für Angehörige niederer Schichten mag das viel Geld gewesen sein - nach ScholJuv.3,155 lag der RitterceníUí im 1. Jh. wohl bei 400000 Sesterzen, vgl. auch z.B. Sall.Cat.30 sestertia centum als Belohnung für einen Sklaven, sestertia ducenta für einen Freien für Anzeigen über die Verschwörung - für junge Leute aus guten Verhältnissen aber wohl kaum. Catull selbst nennt schließlich sogar zweimal einen Liebeslohn von 10000 Sesterzen (c.41 und 103), den er ja nicht an sich als zu hoch beklagt, sondern der für ihn im Fall der Ameana wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes unangemessen ist (V.3 ista turpiculo puella naso). Bei Plinius sind epist.2,4 100000 Sesterzen Zuschuß zu einer Mitgift, bei Juvenal l,92f. das, was Reiche mal eben verspielen; siehe ferner u. Anm.652. Siehe aber auch u. S.277. SYNDIKUS (1984) S.14; vgl. auch schon SCHÄFER (1966) S.28, daß "die Armut und impudicitia der neuen Freunde, nicht die Untreue des Knaben die literarischen tela auslösten".

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träfe, wenn c.21 und 23, 24 ernstgemeinte, auf Reales Bezug nehmende Angriffe wären, wie hätte sich Catull dann selbst eine solche Blöße gegeben haben können, über eigene Geldprobleme zu schreiben, den angeblich als so widerlich empfundenen Makel zuzugeben und damit sogar zu spielen, wie es mit c.lO, 13, 28 und m.E. - gegen SYNDIKUS540 - auch c.26 geschieht? Natürlich hat sich auch die übrige Forschung - besonders intensiv in neuerer Zeit - mit den Aurelius- und Furius-Gedichten befaßt; neben SYNDIKUS' ausführlichen Einzelinterpretationen von 1984 liegen noch ausführlichere von TROMARAS vor, der den Aurelius-, Furius- und Juventius-Gedichten seine Dissertation gewidmet hat (erschienen ebenfalls 1984) und 1987 die fraglichen Gedichte ein weiteres Mal als Zyklus bzw. Zyklen untersuchte. Und 1983 ist LILJA, 1988 sind MURIEL/VENTURA - ohne jeden Bezug auf TROMARAS und SYNDIKUS - nochmals die Aurelius- und Furius-Gedichte einzeln durchgegangen und glaubten, damit ein authentisches Beispiel für Umgang und Ton in einer homoerotischen Beziehung im ersten Jahrhundert v. Chr. vorstellen zu können, sei es in der Realität mit vielleicht gar einem Veroneser Jüngling, sei es in literarischer, von hellenistischen Einflüssen geprägter Fiktion.541 Alle diese Interpretationen, und seien sie noch so detailliert, betrachten jedoch - mit Ausnahme eines einen anderen Aspekt herausstellenden Beitrags von FORSYTH542 - letztlich immer nur jeweils die 540 541

542

SYNDIKUS (1984) S.ll Anm.5; siehe u. S.195ff. Vgl. LILJA (1983) S.51ff., MURIEL/VENTURA (1988) S.ôlff. und bes. in ihrer Zusammenfassung S.77f. Zu den versuchten Identifikationen des Juventius oder seiner Fiktionalität siehe u. S.284ff. Die neue These FORSYTHs (1989) S.81ff., daß Catulls einleitende Formulierung in C.14a mit mearum ineptiarum ein ganz besonderes Charakteristikum aller c.15-26 treffe, "examples of folly (ineptiae) that I, as poet, am about to relate (meae), mit denen nicht nur die Gedichte selbst gemeint seien, "but also the depictions of folly contained therein", sucht zwar zu Recht die Zusammengehörigkeit des Zyklus insgesamt und unter Einbeziehung auch von c.17, 22 und 25 zu erweisen gegen z.B. WISEMAN und SKINNER, die diese lediglich als "intercalated" oder "occasional poems" ansahen (FORSYTH S.82), geht jedoch m.E. zu weit (siehe auch o. S.46f.) und ist - ohnehin von Catull nicht etwa durch gezielte Wiederaufnahme der Formulierung in den betreffenden Gedichten hervorgehoben - nicht wirklich aus allen auch weiterhin gegen FORSYTH als "primary" anzusehenden, den Zyklus schon durch ihre Anzahl dominierenden Aurelius- und Furius-Gedichten herauszulesen (vgl. ihre erzwungen wirkende Interpretation z.B. gleich für c.15, S.83f.). Ein so verstandenes ineptiae-Motiv ist mit WISEMAN (1969) S.9 tatsächlich eher auf c.17, 22 und 25 zu beschränken (zu ineptiae als Konzept vgl. auch bereits SKINER [1981] in ihrem dritten Kapitel), aber auch für diese Gedichte nicht in spezieller Weise mit der Formulierung des Einleitungsgedichts in Verbindung zu bringen. Denn selbst wenn die diesem folgenden c.15-26 in der Tat ein besonderes Spiel, eben ineptiae, darstellen, wie hier anschließend zu besprechen ist, ist für lectores mearum ineptiarum wohl zunächst lediglich mit der bei Dichtern üblichen, allgemeinen Verwendung zu vergleichen (ThLL VII,1 1299/80ff.) wie z.B. in der o. S.91 zitierten Martial-Stelle oder auch Gell.9,25,1 und Plin. epist.4,14,8 und 9,25,1 in bezug auf seine eigenen, sogar im nächsten Satz direkt als meas nugas bezeichneten Werke bzw. Hendekasyllaben (vgl. folglich auch bei Catull mearum ineptiarum mit meas nugas in seinem anderen Einleitungsgedicht 1,4). Zu ineptiae zur

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Gedichte für sich und nicht wirklich im Hinblick auf den ganzen Zyklus, selbst TROMARAS nicht, trotz eines entsprechenden Kapitels in seiner Dissertation und seines "Die Aurelius- und Furius-Gedichte Catulls als Zyklen" überschriebenen Aufsatzes, in dem er einen Furius- von einem Aurelius-Zyklus trennen will. So bleiben zum einen die soeben festgestellten Auffälligkeiten, die m.E. den 'Aurelius- und Furius'-Zyklus insgesamt sehr wohl von den übrigen Gedichten des Corpus abheben, unbeachtet. Zum anderen läßt man sich zu schnell von den scheinbar eindeutigen Liebesgedichten fesseln und blenden - gerade solche sind natürlich bei einem Dichter wie Catull zu erwarten - und blickt allzu gerne über den eigentlichen Zyklus hinaus auch auf C.48, 81 und 99, die z.B. TROMARAS, LILJA und MURIEL/VENTURA explizit einbeziehen, was zu einer mehr oder weniger ausführlichen Ausbreitung des ja von STROH ebenfalls für c. 15-26 angenommenen Liebesromans und z.T. sogar der Forderung, die Zyklusstruktur aufzugeben, oder zu TROMARAS' Zweiteilung führt. Ist aber nicht auch für die durch die enge gemeinsame Stellung wie eine Gruppe wirkenden Aurelius- und Furius-Gedichte - genauso wie im 'Lesbia'-Zyklus - zunächst von einer bewußten, geplanten Anordnung der Gedichte durch Catull selbst auszugehen und zu versuchen, diese als Gruppe zu erklären, ehe man sich aus allen Aurelius-, Furius- und Juventius-Gedichten einen eigenen Liebesroman konstruiert?543 Hinzu kommt, daß die scheinbaren Liebesgedichte des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus gar nicht so eindeutig und unproblematisch sind, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn Catull läßt in diesen carmina - im Gegensatz zu den späteren Juventius-Gedichten - nicht nur recht wenig eigene emotionale Beteiligung und Gefühle für den anonymen Knaben (c.15, 21) bzw. vor allem Juventius (c.24) erkennen, wie nun schon mehrfach hervorgehoben wurde, er ist nach c.15 sogar selbst für die Situation verantwortlich, in der er sich in den beiden Aurelius-Gedichten c.15 und 21 befindet. Catull ist es nämlich, der mit dem ersten Vers von c.15 den Kontakt zu Aurelius herstellt und diesem die beste Gelegenheit zur Verführung seines Lieblings bietet, indem er ihm den Knaben anempfiehlt und offenbar übergibt und damit doch selbst 'den Bock zum Gärtner gemacht hat' (V.lff. commendo tibi me ac meos amores). Dieses Problem ist natürlich auch der Forschung lange be-

543

Charakterisierung von Catulls Dichtung allgemein vgl. z.B. SYNDIKUS (1984) S.138 Anm.l, NEWMAN (1990) S.294. Vgl. die in der älteren Forschung hergestellte Reihenfolge (siehe o. Anm.520 zu WESTPHAL), vgl. die sich ebenfalls über die überlieferte Ordnung hinwegsetzenden Besprechungen der 60er und 70er Jahre von z.B. RICHARDSON (1963) S.93ff. (c.26, 23, 44, 99, 48,16,15,40, 21,24, 81, 11), HOLLAR (1972) S.lOlff. (c.99, 48, 26/23,16,15, 21, 24, 81), der sich ausdrücklich an RICHARDSONs "plausible reconstruction" anschließt, DELLA CORTE (21976) S.165ff. (c.99,81,23/24,26,15/21,16), STOESSL (1977) S.39ff. (c.99,48, 16,15, 21, 23, 26, 24, 81, 103,106), CARRATELLO (1995) S.27ff. (c.99, 48,15, 21, 23, 24, 26,81,16, [103,106,11]; S.45 mit Anm.86 allerdings gegen TROMARAS [198η).

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kannt, doch was man davon zu halten hat, ist offenbar immer noch nicht recht geklärt und umstritten.544 Und alle m.E. ohnehin zweifelhaften Erklärungsversuche, die zumeist den Eingangsvers mit commendo... nicht wörtlich verstehen wollen, übersehen, daß die Situation in c.21 ja ganz ähnlich ist und es somit in c.15 nicht nur an einer problematischen Einzelformulierung liegen kann.545 Denn auch in c.21 scheint Catull selbst und aus freien Stücken

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Vgl. bes. RICHARDSON (1963) S.93 "How could Catullus have been so stupid as to entrust his seemingly innocent protégé to Aurelius, when he knew his friend's predatory instincts?", MACLEOD (1973) S.298 "[...] no more unsuitable person for Catullus to entrust his boy-friend to could be imagined: he is wilfully putting the lamb in the jaws of the wolf [...] the whole situation is an absurdity", TROMARAS (1984) S.30 "So scheint also alles auf den Kopf gestellt: Dem Aurelius wird ein Knabe empfohlen, für dessen Schutz er gerade der ungeeignetste ist! Soll man glauben, daß Catull dem Aurelius tatsächlich seinen Jungen anvertrauen will?" sowie SYNDIKUS (1984) S.141 "[...] Catull hätte in Kenntnis von Aurelius' Charakter, wie er im Laufe des Gedichts offenbar wird, ja wahnsinnig sein müssen, wenn er sich einen solchen Hüter ausgesucht hätte", was er S.142 - m.E. nicht recht überzeugend - damit zu erklären versucht, daß er die Empfehlung des Gedichtanfangs c.15 als "Beschwichtigungsversuch" umdeutet. Die Formulierung c.15,1 commendo tibi erinnert doch zu sehr an die übliche Formel eines Empfehlungsschreibens, wie sie z.B. aus Cic.fam .2,6,5 bekannt sind (so ja auch TROMARAS [1984] S.30 mit Cicero-Beispielen in Anm.2). Und warum hätte Catull eine derartige Assoziation an eine wirkliche Empfehlung hervorrufen wollen, wenn diese letztlich doch nicht gemeint ist? Das Problem herunterzuspielen versucht auch NEUDLING (1955) S.20: "He does not entrust the boy to Aurelius any more than Cicero entrusts to his correspondents the many persons whom he mentions in similar words". Derartiges, ja speziell Empfehlungen von Kindern oder Jugendlichen wie bei Cie. ad Q.fr.1,3,10 oder Cael.fam.17,39 (die Stellen bei ELLIS [21889] zu c.15), ist aber doch nicht mit den Formulierungen und sogar Strafandrohungen in Catulls c.15 vergleichbar (siehe bes. V.5ff. consentes puerum mihi pudice, non dico a populo ... uerum a te metuo tuoque pene)\ QUINN denkt im Komm. (21973) S.141, daß nicht wirklich eine Übergabe des Knaben geplant sei, sondern Aurelius nur ins Vertrauen gezogen werden sollte, was jedoch m.E. ebenfalls kaum zu den Formulierungen des Gedichts paßt. Hinzuweisen ist ferner auf STROH (1992) S.78 "[...] das erste Juventiusgedicht (c.15), in dem Catull seinem Freund Aurelius den Geliebten zur Verwahrung ins Haus schickt und nun offenbar befürchtet, daß er den Bock zum Gärtner gemacht hat." So wie STROH hier formuliert, wirkt das Gedicht lediglich als Ausdruck späterer Besorgnis, nachdem Catull den Knaben bereits Aurelius anvertraut hat, und somit ohne Problem. So wie es Catull formuliert, ist es jedoch das 15. Gedicht selbst, mit dem er Aurelius den puer übergibt, so daß er sich von Anfang an darüber im klaren ist, um wen es sich bei Aurelius handelt, und er dies bewußt in Kauf nimmt. Reine Phantasie sind Erklärungen wie sie z.B. FRIEDRICH (1908) S.140 gibt, daß nicht Catull den Knaben übergeben habe, sondern dieser "nur von seinem Vater bei irgendeiner Abwesenheit von Rom dem Aurelius in Pension gegeben worden sein" könne FRIEDRICH vergleicht mit der Gepflogenheit deutscher Diplomaten bei zeitweisen Auslandsaufenthalten. Aurelius habe ferner "seine Sache, die Überwachung des Knaben, sehr ernst genommen" und Catull wegen der in c.48 beschriebenen Vorgänge "Vorstellungen" gemacht. Andererseits sei Catull mit Einverständnis des Juventius von Aurelius und Furius eifersüchtig gemacht worden - "ein richtiger Jungenstreich". Auch wenn solche Konstruktionen kaum mehr des Zitierens wert erscheinen, so zeigen sie aber immerhin sehr schön, wie verzweifelt sich die Forschung hier z.T. um eine Lösung bemüht hat und wie groß das Problem mit c.15 und 21 ist, wenn man wirklich dem Wortlaut der Gedichte folgt.

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bereit zu sein, auf seinen - nun bereits in den Händen des Aurelius befindlichen (V.5f. nam simul es) - Liebling zu verzichten: Wie in c.15 droht er dem dem puer jetzt angeblich schon offen nachstellenden Lüstling (V.4f. pedicare cupis meos amores. / nec clam ...) mit der irrumatio (V.8), doch würde er unter einer Bedingung schweigen: atque id si faceres satur, tacerem (V.9). Was ist denn das für ein Liebhaber, der nicht in jedem Fall nach dem geliebten Knaben verrückt und auf eventuelle Nebenbuhler eifersüchtig ist, sondern in einem bestimmten Fall sogar bereit ist, wegzusehen und eine Verführung durch einen anderen hinzunehmen, der über ein mögliches Hungern des puer bei Aurelius mehr Schmerz empfindet als über dessen Verführung seines Knaben (vgl. V.lOf. nunc ipsum id doleo, quod esurire ... puer et sitire discet),546 auch wenn bei einem solchen Hungerleider wie Aurelius für Catull kaum die Gefahr eintreten dürfte, wirklich wegschauen zu müssen? Wie sollte ein derartiger pater esuritionum schließlich den erforderlichen Zustand des satur erreichen können?547 SYNDIKUS' Lösung, daß für Catull eben "Armut an sich" ein zu verspottender "Makel" ist, der offenbar alles andere, auch die Liebe verdrängt, wurde bereits oben abgelehnt.548 Was die Einbeziehung des Hungermotivs freilich für das Gedicht selbst bedeutet, ist klar: Die Verspottung des Aurelius aus c.15 mit seinem zu fürchtenden penis wird in C.21 nur vorgeblich wegen dessen impudicitia weitergeführt, hat tatsächlich aber in der ihm unterstellten Hungerleiderei, mit der das Gedicht ja sogleich beginnt, neues und ganz besonders bösartiges Material gefunden. Wie bereits E.A. SCHMIDT feststellt,549 scheint diese Anwendung des Armutsmotivs auch auf Aurelius innerhalb des Zyklus gewiß die Funktion zu haben, beide Teile, die Verspottung des Aurelius und die des Furius, miteinander

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Vgl. im übrigen auch c.24 und dazu SCHÄFER (1966) S.26 "Was ihn aufbringt, ist nicht Untreue, sondern Geschmacklosigkeit", ja er formuliert sogar, Catull hätte es lieber gesehen, wenn Juventius einen anderen bellus homo zu lieben begonnen hätte. Vgl. ja auch SYNDIKUS (1984) S.153: "Diese Wertung der beiden Gefahren erscheint nach den üblichen menschlichen Maßstäben absurd" oder SCHÄFER (1966) S.27, daß der Leser von "der Akzentverschiebung konsterniert sein muß", daß die "plötzliche Wendung überrascht". Beachtet wird die Formulierung ebenfalls von KONSTAN (1979) S.214f. und in Verbindung mit der von QUINN vorgeschlagenen metaphorischen Deutung des Gedichtanfangs von c.21 (der pater esuritionum Aurelius als "fountainhead [...] of sexual appetites") ausgewertet: "we may understand Catullus to mean that he would not object if Aurelius were emotionally replete as he went about the seduction of Juventius." Lediglich auf das Verhältnis von V.9 zu den übertragen verstandenen Eingangsversen konzentriert, unterscheidet er dazu zwei Formen von "affection", "desires that are grasping and in principle insatiable" sowie "a true, dispassionate affection, whose source is not need but a fullness of love". Unabhängig davon besteht das Problem jedoch auch weiterhin, daß Catull den Formulierungen von c.21 nach unter gewissen Umständen die mittels seines Knaben körperlich ausgelebte Befriedigung, dessen pedicatio, für ihn selbst insidiae, akzeptieren würde. (Gegen KONSTAN jetzt CARRATELLO [1995] S.34 Anm.35.) Siehe o. S.161f. E A . SCHMIDT (1973) S.220; vgl. auch OFFERMANN (1978) S.42, SKINNER (1981) S.44f.

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zu verbinden und so das im zweiten ('Furius'-)Teil dann dominante Hungermotiv schon einzuführen. Wenn aber das im Zyklus mehrfach behauptete Hungern der beiden Adressaten nur Mittel zur Verspottung ist und nicht etwa Entrüstung eines jungen reichen Römers über reale Armut seiner Mitmenschen und in c.21 offenbar der Knabe und Catulls möglicher Verzicht auf diesen ebenfalls nur ein Mittel, um im zweiten Aurelius-Gedicht an die Verspottung als Hungerleider anzuknüpfen und diese möglichst kraß wirken zu lassen, wie das in ähnlicher Weise ja auch oben für das zweite Furius-Gedicht (c.24) zu vermuten war,550 könnte auch Catulls beschriebene Liebe zu dem puer überhaupt und eben auch in c.15 nur ein Mittel zur Verspottung der beiden angeblichen Rivalen sein. Bei der Beurteilung dieser Aurelius- und Furius-Gedichte wird in der neueren Forschung eines allerdings zumeist übersehen (z.B. MURIEL/ VENTURA greifen nur die c.15, 21 und 24 aus dem Zyklus heraus) und nur als Einzelgedicht für sich in einem eigenen Kapitel bei TROMARAS oder in singulären Aufsätzen besprochen, ohne aber eine mögliche Verbindung zum ganzen Zyklus zu untersuchen551 - ein Gedicht, das anscheinend auch nichts mit der Aurelius- und Furius- und Juventius-Liebesbeziehung zu tun hat und diesbezüglich uninteressant wirken muß, ja von TROMARAS sogar aus dem 'Aurelius- und Furius'-Zyklus bzw. seinen beiden Zyklen ausgesondert wird. Gerade dieses Gedicht ist es jedoch - gemeint ist natürlich c.16 -, das die beiden sonst tatsächlich getrennt scheinenden Aurelius- und Furius-Teile in auffälliger Weise miteinander verbindet, da in c.16 und nur in c.16 beide, Aurelius und Furius, gemeinsam zu Adressaten gemacht sind und beide wiederum, jetzt jedoch gemeinsam, angegriffen werden, so daß hier und nur hier die Einzelinvektiven miteinander in Verbindung gebracht sind. Und, wie schon oben festgestellt,552 in c.16 ist mit V.2 pathice und cinaede und der Vergewaltigungsdrohung des ersten und letzten Verses genau der gleiche rauhe Ton angeschlagen wie vorher in c.15 oder auch in c.21,553 so daß es ein weiteres Mal in enger Beziehung zu den übrigen Gedichten des Zyklus steht. Auffällig und dieses Gedicht von den anderen carmina deutlich absetzend ist nun aber, daß in ihm, in dem Aurelius und Furius gemeinsam attackiert 550 551

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Siehe O.S.97. Auf dem richtigen Wege mit Bezug auf c.16 ist hier allerdings bereits SYNDIKUS bei seiner Interpretation von c.15 (zitiert u. in Anm.577), doch da er von vornherein von der Einheit des Corpus Catullianum und der Authentizität von dessen Anordnung ausgeht, hat er sich den unbefangenen Zugang zu den Gedichten verbaut und kann seinen Gedanken nicht weiter auswerten. FITZGERALD (1992) S.420ff. vergleicht c.15/16 als Paar mit c.1/2 ohne Berücksichtigung der restlichen Zyklus-Gedichte und mit anderer, allgemeiner Sicht von c.16 als "not a defense of poems 5 or 7, or of the aesthetic qualities they exhibit [...]; rather it is a continuation and a filling in of the game between reader and poet" (S.441). PEDRICK (1993) S.182ff. beachtet ebenfalls nur c.16. Siehe o. S.lOlf. Vgl. z.B. bereits ELLIS ( 2 1889) S.59 zu c.21 "he threatens Aurelius exactly as he threatens Furius and Aurelius in XVI".

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werden, nicht etwa ihr Versuch, dem Dichter seinen Liebling auszuspannen, der Grund für den Angriff und trotz des zu c.15, 21 und auch 23 ähnlichen Tones Juventius bzw. der namenlose Knabe mit keinem Wort erwähnt ist, sondern der Dichter Catull mit äußerster Heftigkeit auf Kritik an seinen Gedichten und hier offenbar vor allem seiner Selbstdarstellung in den Kußgedichten reagiert. Sollte solche Kritik nicht gerade für einen Dichter ein nicht zu unterschätzender Anlaß sein, sich massiv zur Wehr zu setzen (nach HECK sind die Gedichte Catulls schließlich die "Kinder seiner Liebe und seines Lebens")554, so daß c.16 im Zyklus eine weit wesentlichere Bedeutung haben könnte als die zahlenmäßig überlegenen, dem puer gegenüber aber recht lauen Liebesgedichte wie 15,21 und evtl. 24? Wenn RANKIN zu c.16 urteilt, "It is impossible for us to conjecture the occasion of this powerful, wellknit little poem",555 ist er ein wenig zu pessimistisch. Die konkrete, c.16 auslösende Situation ist mangels äußerer Zeugnisse natürlich nicht mehr rekonstruierbar, doch ist das Gedicht vielleicht nicht nur als Einzelstück und bezogen auf Einzelgedichte, sondern in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Zu berücksichtigen sind schließlich 1.) der eigenartige Charakter des ganzen Zyklus, 2.) die oben in diesem Kapitel beschriebenen vielfachen Auffälligkeiten, 3.) Catulls sonderbares Verhältnis zu seinem Knaben in c.15 und 21 und Juventius in c.24 mit den besprochenen Problemen in c.15 und 21 und 4.) zusätzlich die Beobachtung des vorausgehenden Kapitels, daß sich c.16 auf ganz konkrete Kritik zu beziehen scheint und so wie formuliert primär an die beiden Adressaten und auch zunächst nur für diese beiden verständlich als Rechtfertigung gerichtet wirkt und nicht etwa allgemein an jeden beliebigen Leser und somit kaum als fiktiv einzustufen ist. Beachtet man all diese Punkte, haben die Attacken der c.15, 21, 23, 24 und auch 26, das ebenfalls eine Verspottung des Furius darstellt,556 möglicherweise einen ganz anderen Grund: Auslöser und Anlaß für Catulls Angriffe sind m.E. nicht, wie es zunächst scheinen muß (vgl. c.15 und Ähnliches z.B. bei Martial 11,94), daß ihm beide jetzt - anders als bei Lesbia - als Rivalen im amourösen Bereich in die Quere kommen, sondern der tatsächliche Grund kann ebensogut sein, daß beide gewagt haben, Catulls Gedichte zu kritisieren, und nicht nur ein einzelnes, sondern sein schönes erstes Büchlein, das ja auch die Kußgedichte enthält. Besonders pikant wäre dies, wenn es sich bei den Kritikern, nach c.ll eindeutig Catulls Freunden, ihrerseits um Dichter, bei der Kritik sogar um ein Gedicht handeln würde,557 554 555 556 557

HECK (1951) S.92; zitiert o. Anm.147 - eine entsetzlich pathetische Formulierung. RANKIN (1976) S.92. Siehe u. S.195ff. Vgl. z.B. G.W. WILLIAMS, Poetry in the Moral Climate of Augustan Rome, JRS 52 (1962), S.28-46, dort S.40: "Clearly Aurelius and Furius wrote a libellous poem using the evidence of Catullus' own poems to show that he was effeminate and engaged in homosexual practices." Nach den Überlegungen des vorausgehenden Kapitels ist letzterem freilich nicht zuzustimmen. Vgl. darüber hinaus LYNE (1978) S.171 Anm.13 "at least part of the reason for Catullus' enmity towards him [Furius] is literary".

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was gut möglich ist: In der Forschung wird schließlich für Furius die (weder sicher beweisbare noch schlüssig zu widerlegende) Identifizierung mit Catulls Dichter-Kollegen Furius Bibaculus erwogen.558 Es ist also keineswegs nur ein einzelnes Gedicht, mit dem Catull auf die Kritik reagiert, nicht nur mit c.16 - so für dieses carmen ja schon KROLL und auch viele Kommentatoren und Interpreten559 -, nein, praktisch mit dem ganzen Zyklus (c.l4a-26) müssen die beiden Kritiker nun am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn ein (scheinbar empörter) Catull wirklich einmal partim púdicos uersus schreibt. Der derbe und gesucht obszöne Ton der Aurelius- und Furius-Gedichte spricht hier für sich: vgl. bes. c.15,9 penis,560 15,18f., 21,8 tangam te ... irrumatione, 21,13 irrumatus·, vgl. auch die Anrede in c.16,2 als pathice und cinaede, 16,1. 14 irrumabo und pedicabo und c.21,4 ebenfalls pedicare, das, wie bereits QUINN feststellt, nur hier und damit wie der lediglich noch c.25,3 genannte penis nur im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus gebraucht ist;561 vgl. ferner c.23,12. 16ff. cuius tibi purior salillo est/ nec toto decies cacas in anno/ atque id durius est faba et lapillis;/ quod tu si manibus teras fricesque, / non unquam digitum inquinare posses. Bei den beiden zunächst einmal schon auf Grund der Überlegungen der vorausgegangenen Kapitel zu postulierenden libelli c.lff. und c.l4aff. dürfte 558

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Für eine "pleasant speculation" hält sie z.B. FORDYCE (21965) ad loc., für wahrscheinlich QUINN (1959) S.44 und spricht S.107 Anm.5 sogar direkt von c.16 als Antwort auf Kritik von "fellow poets"; vgl. ferner HEIDEL (1901) S.215ff., der Furius zumindest für einen Dichter hält, FRANK (1928) S.85, GREEN (1940) S.348ff., NEUDLING (1955) S.71-73, LOOMIS (1969) S.112ff., DELLA CORTE (21976) S.172f., LYNE (1978) S.171 Anm.13, LILJA (1983) S.51 Anm.4, FERGUSON (1985) S.73, 83, E A . SCHMIDT (1985) S.67f., FERNÁNDEZ CORTE (1995) S.100. Dagegen jedoch z.B. STOESSL (1977) S.238 Anm.90, SYNDIKUS (1984) S.44 Anm.52, S.140 Anm.3; skeptisch jetzt auch FREDRICKSMEYER (1993) S.99 Anm.5, CARRATELLO (1995) S.35ff., (vgl. auch z.B. BUCHHEIT [1976] S.341 Anm.64, TROMARAS [1984] S.54 Anm.2 und S.79 Anm.10 mit älterer Literatur). Die positiven Argumente sind, daß c.16 Furius in Uterarischem Kontext anspreche, sich c.26 auf ein ähnliches Villen-Gedicht des Furius Bibaculus beziehen lasse (dazu siehe auch u. S.205f., 277) und es schließlich eigenartig wäre, wenn Catull diesen Dichter aus seiner Umgebung - im Gegensatz zu anderen wie Cinna usw. - überhaupt nicht genannt hätte, wohl aber irgend einen anderen Furius. ARKINS' Hinweis auf Tac. ann.4,34 hilft allerdings hier nicht weiter (1982, S.107). Eine andere, kuriose, höchst fragwürdige Identifizierung gibt SCHMID (1974) S.241ff., der durch seine lautlichen Untersuchungen in Aurelius und Furius einen 'Arruntius' und 'Sossius' erkennen zu können glaubt (vgl. auch die Bedenken o. S.84f. zu seinem c.l4a). KROLL (61980) ad loc. S.35 und schon SCHULZE (1881) S.209, aber mit anderer Sicht von Catulls Verhältnis zu den Adressaten in c.ll und dem Ziel ihrer Kritik: "Furius und Aurelius, die im 11. Gedicht nicht gerade lobend erwähnt wurden, werden ihren Unmut durch eine scharfe, entsprechende Kritik der Gedichtsammlung zu erkennen gegeben haben; sie fanden die Verslein des Catull molliculi, ihn selbst parum pudicus, Worte, die sich etwa auf c.6, 10, 11,17-20, 13 bezogen haben mögen. Catull pariert den Hieb auf geschickte Weise und zahlt ihnen reichlich zurück." Vgl. überdies GOOLD (1974) S.8 zu c,14a "announces a cycle of poems which are to be molliculi ac parum pudici". Zur Obszönität des Ausdrucks vgl. QUINN (21973) S.142 und TROMARAS (1984) S.33 Anm.15 mit Cic.fam.9,22,2 gegen RICHARDSON (1963) S.100. QUINN (21973) S.143, L I U A (1983) S.52f.

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es sich folglich kaum um zwei unabhängige Publikationen mit beliebig vielen, z.T. vielleicht gar nicht mehr erhaltenen Gedichten ohne innerliche Verbindung zueinander handeln. Berücksichtigt man nämlich zusätzlich zu den soeben in diesem Kapitel vorgetragenen Auffälligkeiten auch die bereits erwähnten Beobachtungen der Forschung wie WESTPHALs inhaltlichen Kontrast, SKUTSCHs verstechnisches Argument und STROHs wichtige, später noch ausführlicher zu betrachtende Feststellung,562 daß beide Zyklen durch die Anzahl und Verteilung der nicht hendekasyllabischen Versmaße aufeinander bezogen wirken563 - was sich sonst unter den polymetrischen Gedichten nicht nochmal in gleicher Weise finden läßt und deswegen in der Tat für c.1-26 auffällig erscheinen muß -, ist eben auch eine andere Deutung für das Verhältnis der beiden Zyklen über Lesbia und Aurelius und Furius zueinander denkbar: Eine Deutung, die über die bloße Gegenüberstellung von Liebesgedichten auf Lesbia oder Juventius hinausgeht und auch die nicht zur Liebesdichtung gehörenden, eingestreuten Gedichte, wie anschließend vorzuführen, und damit die Zyklen insgesamt in eine gewisse inhaltliche wie formale Beziehung bringt. So lassen sich die beiden Zyklen auch und m.E. eher als zwei getrennte, nacheinander veröffentlichte libelli sehen,564 von denen der zweite, der sog. 'Aurelius- und Furius'-Zyklus c.l4a-26 die Reaktion Catulls auf ihm gegenüber zu seinem bereits verbreiteten und allgemein bekannten 'Lesbia'-Liebesgedichtbuch c.1-14 geäußerte Kritik darstellt, wie sie durch c.16 deutlich wird, und der zu diesem Zweck in ironisch übersteigernder, übertreibender und auch ein wenig (selbst-) parodistischer Weise als eine Art Pendant zum ersten gestaltet und ziemlich bald danach von Catull ediert ist. Daß Catull in seinen Gedichten auf Kritik an seinen bereits umlaufenden carmina eingeht, ja antwortet, zeigt sich schließlich noch mindestens ein weiteres Mal ganz deutlich in unserer Sammlung, nämlich mit c.54, das auf Caesars Klage über Anwürfe Catulls gegen ihn und Mamurra/Mentula, und hier speziell auf c.29, zu reagieren scheint (vgl. 29,11 imperator unice mit 54,6f. irascere iterum meis iambis/ immerentibus, unice imperator).565 Und auch das kurze Caesar-Gedicht 93 wirkt - legt man KOSTERs vortreffliche, auch von E.A. SCHMIDT als "glänzender Vorschlag" gewürdigte neue Interpunktion und Interpretation des Gedichtanfangs zugrunde (nil nimium! studeo ... statt des allgemein üblichen nil nimium studeo)566 - wie eine Ant562

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Zu WESTPHALs Beobachtungen siehe o. S.95; zu den Argumenten von SKUTSCH und STROH siehe das nächste Kapitel S.224ff. Gut abzulesen z.B. auch aus WISEMANs TabeUe (1969) S.lOf. Die scheinbar geringen Verszahlen sind kein Hinderungsgrund (siehe gleich u. S.174ff.)! Für Catulls "reactions experienced on receipt or in the circulation of his poems" vgl. z.B. GOOLD (21989) S.8, der c.36, 1, 49 und 54 nennt; für einzeln umlaufende Gedichte siehe o. S.77 und u. S.290ff. KOSTER (1981) S.131ff. mit nil nimium als auch entsprechend zu markierendes "EchoZitat" Catulls von Caesars Kritik; EA. SCHMIDT (1985) S.65. Daß Catull hier wirklich

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wort und der verlangte Rückzieher Catulls auf Caesars bekannte Intervention,567 stellt aber durch die Doppelfrage (V.2 utrum sis albus an ater homo) und die Formulierung der Notwendigkeit (V.lf. studeo .../ nec scire), eine Entscheidung überhaupt erst suchen zu müssen bzw. lieber gar nicht darüber nachzudenken, eine neuerliche Unverschämtheit dar.568 Während es sich bei den Caesar-Gedichten zwar jeweils nur um singuläre carmina handelt, ist es aber nicht von vornherein auszuschließen, daß Catull unter seinesgleichen bei scheinbar echter Kritik an Produkten seiner Dichtkunst und - daraus erschlossen (vgl. c.l6,3f.) - auch an seiner Person viel heftiger und sogar mit einem ganzen weiteren Büchlein reagiert. Die Intervention Caesars war letztlich durch ihn selbst provoziert und für Catull keine wirkliche Kritik, vielmehr die Bestätigung der erwünschten Wirkung seiner Verse.569 Wenn andererseits Catulls liebevolle und zarte Gefühle äußernde Gedichte des 'Lesbia'-Buches zum Gegenstand der Kritik geworden sind und ihm seine gleichaltrigen Freunde deswegen (scherzhaft) Unmännlichkeit vorgeworfen haben, ist es doch durchaus möglich, daß er sogleich ein (scherzhaftes) zweites Büchlein nachgeschoben hat, das auf die Kritikpunkte eingeht (vgl. dazu bes. die unten folgenden Beobachtungen zum Vorwurf molliculus), in Wirklichkeit aber den Spieß umdreht und die beiden Angreifer mit der von ihnen im 'Lesbia'-ßZ>e//«j vermißten Männlichkeit nun selbst heruntermacht. Wie vieles ist doch nur ein ausgelassenes Spiel bei Catull, der nach STROH "ein ganzes Gedicht schreiben kann nur um eines einzigen, schönen, von ihm erfundenen Wortes willen"!570 Für die Beschreibung eines ganzen Tages voll spielerischen Dichtens zweier offensichtlich beieinander sitzender Freunde (Catull und der angeredete Calvus) mit gegenseitigen Reaktionen gibt es schließlich mit c.50 sogar ein Selbstzeugnis: hestemo... die otiosi/ multum lusimus in meis tabellis,/ ut conuenerat esse delicatos./ scribens uersiculos uterque nostrum/ ludebat numero modo hoc, modo illoc,/ reddens mutua per iocum atque uinum (V.l-6). Ist da nicht auch der gesamte 'Aurelius- und Furius'-Zyklus gut als ein vergleichbares, locker hingeworfenes, wegen der Kri-

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eine Formulierung Caesars aufnimmt, ist aber noch nicht einmal zu verlangen, nil nimium kann auch Catulls eigene, scheinbar positive und bestätigende Reaktion auf Caesar darstellen sollen. Dazu, daß Catull mit c.93 auf einen Vermittlungsversuch antwortet, vgl. im übrigen auch schon SCHUSTER (1948) Sp.2371. Vgl. Suet.Caes.73. Nach SYNDIKUS (1987) S.79f. hegt (bei der üblichen Interpunktion) die Schärfe des Gedichts in Catulls offensichtlicher Gleichgültigkeit dem ersten Mann im Staate gegenüber. Es ist jedoch m.E. noch viel bissiger, daß Catull in c.93 die Möglichkeit des ater überhaupt in Betracht zieht und eben nicht von vornherein von dessen Integrität ausgeht. Die Frechheit des zweiten Verses hebt freilich auch SYNDIKUS zu Recht hervor. Zu albus und ater als "Begriffe der erotischen Sprache", die das Gedicht zu den sonstigen Caesar-/Mentula-Gedichten passend machen, vgl. darüber hinaus KOSTER (1981) S.133f., doch ist diese Deutung nicht unbedingt nötig. 'Weiß' und 'schwarz' als üblicher Gegensatz für 'gut' und 'böse' ist schon frech genug. Vgl. so ja auch Martial 6,60 laudai, amai, cantai nostros mea Roma libellos ... ecce rubet quidam, pallet, stupet, oscitat, odit./ hoc uolo: nunc nobis carmina nostra placent. STROH (1990) S.147 mit Hinweis auf z.B. c.41 und 45 in seiner Anm.85.

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tik über seinen ersten libellus als Auslöser zu einem Pendant führendes Spiel (vgl. bes. c.50,6 reddens mutua)571 vorstellbar? Denn auch trotz des heftigen Tones dürften die Vorwürfe der Freunde wie die Reaktion Catulls im zweiten Zyklus wohl kaum wirklich ernst und verletzend gemeint sein,572 wie bereits oben zu der übertriebenen Ausgestaltung des Hungermotivs zu vermuten war.573 Und auch die überzogene Ankündigung von c. 15,17ff. mit raphanidosis und - nach TROMARAS danach unmöglich anwendbaren, aber der "Steigerung" und "komischen Effekten" dienenden574 - mugiles und die abstoßende, starke Derbheit von c.16 und 21 zeigen, daß nicht wirklich ernsthaft an die Ausführung von Catulls Drohung zu denken ist.575 So scheint es sich 571

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Die Formulierung meint z.B. nach KROLL (61980) ad loc. das gegenseitige Vorlesen wetteifernd zum selben Thema produzierter Verse oder aber eine gegenseitige Erwiderung (so z.B. bei VergAen.6,672, Ov.met.8,717). SYNDIKUS (1984) S.250 Anm.4 verweist zur Erläuterung auf Simonides' Umformung eines Timokreon-Hexameters in einen troch. Tetrameter, was dann eine "boshafte Parodie" von diesem zur Folge hatte. Auch C.65 und 68 zeigen im übrigen, wie sich Catull und seine Freunde gegenseitig zum Dichten herausforderten und aufeinander reagierten. Vgl. z.B. schon KROLL (61980) zu c.15, daß der "halbwegs scherzhafte Ton freundschaftliche Beziehungen" keineswegs ausschließe oder daß c.16 nicht "zu ernst" zu nehmen sei, sowie zu c.21,8; für die Einzelgedichte ähnlich auch TROMARAS (1984) S.31 "[...] eine spielerische Geste voller Übertreibungen, die das gesamte Gedicht als einen übermütigen Scherz erscheinen lassen", für die Ernsthaftigkeit speziell von c.21 vgl. S.64f. mit Anm.47 und 49 und einer Auflistung der bisherigen Forschungsmeinungen. ELLIS (21889) zu c.ll, 23 will nur c.15 und 21 als "half serious" werten und erkennt in c.23 "real anger" mit einem "unusually fierce" gestalteten Angriff, was ihm jedoch nicht zu c.26 zu passen scheint. Vgl. auch o. Anm.433 und die Gegenpositionen (z.B. HOLLAR, SYNDIKUS) o. Anm.434. Siehe o. S.160f. TROMARAS (1984) S.36; S.38 Anm.2 nennt er als zusätzliches Argument gegen die Ernsthaftigkeit der Drohung, daß pedicatio und irrumatio nur durchführbar seien, "wenn der Partner freiwillig teilnimmt" (entsprechend auch die Erklärung im ThLL VII,2 inumo 444,Uff.; vgl. ferner LATEINER [197η S.19), daß Catull also eine Vergewaltigung androht, die offenbar ohne Einverständnis des zu Vergewaltigenden nicht recht möglich ist und damit ja keine Vergewaltigung mehr darstellt. Auch WISEMAN (1976) S.15 sieht deswegen die Verse als "not necessarily meant seriously", obgleich er Beispiele bringt, daß solche "assaults" tatsächlich ausgeführt wurden (Cic.Cael.71, Val.Max.6,1,13, Diod.16,93 epist.7, Justin.9,6,4-8; vgl. auch LUJA [1983] S.60 mit Anm.43). Die harten Wörter irrumatio und pedicatio im 'Aurelius- und Fwius'-libellus haben aber - anders als z.B. in bezug auf Memmius c.10 und 28 - nicht nur abgeflachten Schimpfwortcharakter (so aber zunächst SYNDIKUS [1984] S.144) und sind keineswegs nur übertragen gebraucht, wie RUHSTALLER im ThLL 444,15f. die Catull-SteUen 16,1/14, 21,13 neben 28,10 einordnet. Denn wie ebenfalls bereits WISEMAN herausstellt, kommt es bei den Drohungen der c.l5ff. gar nicht auf die Möglichkeit einer anschließend tatsächlich zu erfolgenden körperlichen Straf-Aktion an: Durch den als proleptisch zu wertenden Gebrauch von pathicus und cinaedus ist das Gedicht selbst die vollzogene Vergewaltigung. Vgl. auch LATEINER (1977) S.16 "In fact, we have not a threat, but a statement of fact about the future, because every time a reader sees these lines, Aurelius and Furius actually will be assaulted." Vgl. - neben den bereits o. Anm.572 zitierten Meinungen - schließlich z.B. bereits ELLIS (21889) ZU c.16 und 21, daß die Drohungen nur "half serious" seien, oder FEHLING (1974) S.106ff. zu den von Catull gewählten kräftigen Formulierungen: "[...] merae formulae dicendi, quae iram et contemptum significant" und genauso QUINN (1959) S.45

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nur um eine zwar reichlich grobe, aber letztlich harmlose gegenseitige Nekkerei unter jungen Leuten zu handeln,576 ausgehend von Aurelius und Furius (c.16), deren Vorhaltungen Catull im Spaß als Anstoß für einen wohl prompten Konter mit eigenen Angriffen nimmt - hinzuweisen ist wieder auf z.B. c.28 und 47 für den Umgangston auch unter Freunden. Die Tatsache, daß der eigentliche Zyklus nicht unmittelbar nach dem Einleitungsgedicht c.l4a mit c.16 und damit dem entscheidenden, die Vorwürfe klärenden Gedicht beginnt, sondern dieses erst an zweiter Stelle nachfolgt, ist kein Argument gegen die hier vorgetragene Deutung. Die Anordnung am Anfang des Zyklus ist im Gegenteil wesentlicher Bestandteil von Catulls raffinierter Strategie: Bereits im (nach der Einleitung) ersten carmen (15) hat er nämlich auf diese Weise, dem Prinzip 'Angriff ist die beste Verteidigung' folgend, zunächst einmal einen der beiden Kritiker in einer Art retorsio criminis seinerseits angegriffen und ihm genau das unterstellt (in weit übersteigertem Maße freilich), was ihm selbst vorgeworfen war, während er für sich erst danach mit c.16 und dem Hinweis auf literarische Freiheit und dichterische Fiktion die Vorwürfe zu entkräften sucht:577 vgl. c.15 pudentem,

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577

"exaggeratedly abusive language is not uncommon among friends [...] and there are hints in the Furius poems [...] that the abuse was not meant to wound - as it clearly was meant to in other poems, for example 28, 29, 47, or 59", in Anm.5 sieht er für c.15,7-8 gar einen Hinweis, "that a bond of intimacy exists, despite the abusive language", und charakterisiert c.16 als "humorously violent answer"; nicht ernst genommen werden c.l5ff. auch z.B. von MACLEOD (1973) S.298ff. "it [...] seems clear that [these] pieces concerning Furius and Aurelius give no encouragement to considering them enemies of Catullus", NEWMAN (1990) S.170ff.; SCHÄFER (1966) S.8f. spricht von "vollendetem Spiel", "überlegenem Humor", FREDRICKSMEYER (1993) S.97 macht auf c.26 aufmerksam, das "by neither reading [nostra/uestra] does [...] evince hostility to Furius". Für ein weiteres Argument siehe auch u. S.174. Vgl. ja auch z.B. MACLEOD (1973) S.301 zur Kritik und Reaktion Catulls in c.16: "simply the basis for the jokes which make the substance of the poem" oder bereits KINSEY (1966) S.lOlff. Vgl. bereits ELLIS (21889) zur Drohung von c.21 und 16 "[...] in each case it seems chosen in reference to something said or done by the persons threatened", HECK (1951) S.43 (allerdings nur zu c.16) "Angriff und Verteidigung stehen einander gegenüber" und SYNDIKUS (1984) S.139 daß die "Gedichtgruppe in Abwehr eines Angriffs geschrieben wurde" und Catull c.15 "wie auch in den Gedichten 21 und 24 zum Gegenangriff übergeht" und "umgekehrt die Unmoral der beiden" angreift, "aber nun nicht eine mangelnde Moral in Gedichten, sondern eine im Leben". Diesen m.E. richtigen Ansatz hat SYNDIKUS jedoch nicht in der oben beschriebenen Weise zu Ende gedacht und auch nicht für seine Einzelinterpretationen ausgewertet; er verliert sich vielmehr in der oben (S.161f.) abgelehnten Deutung von Catulls Verhältnis zur Armut. Vgl. im übrigen zusätzlich RICHARDSON (1963) S.100 "having devised poem 16, fine and devastating as it was, Catullus thought of an even better way of getting at Furius and Aurelius; the result was poem 15. Having now established their character as perverts, he could exploit it and make marvelous fun of them by pretending with heavy sarcasm to entrust the tender youth he was supposed to be in love with to their care and consideration", SCHÄFER (1966) S.12 zu c.16 "Catull hat den Spieß umgedreht: die uersus molliculi charakterisieren nicht den Dichter, sondern die Leser, nicht den Angegriffenen, sondern die Angreifer."

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castum, integellum, pudice, pudenter (sowie auch pudicus in c.21) mit c,16,5ff. castum, parum pudici. Zunächst hat er somit dem Leser suggeriert, daß für Aurelius dasselbe in dessen wirklichem Leben gilt, was in Catulls Fall nur literarische Motive sein sollen (sc. impudicitia): Aurelius scheint in c.15 ja sogar schlimmer und gefährlicher in seiner Wollust als jeglicher Mann von der Straße. Bei dieser Deutung von c.15 als erstem Teil von Catulls Verteidigungsstrategie erklärt sich auch das bereits oben herausgehobene Problem, warum Catull diesem gefährlichen Mann seinen Liebling überhaupt anvertraut und damit sozusagen 'den Bock zum Gärtner macht'578 und auch in c.21 abschließend so seltsam teilnahmslos wirkt, ja dem Aurelius seinen Knaben sogar unter einer bestimmten Bedingung überlassen will (V.9 tacerem): Der Knabe - sei es nun Juventius oder nicht - ist in diesem Zyklus für Catull nur Mittel zum Zweck, denn er brauchte c.15 einen Vorwand, um Aurelius bloßzustellen, einen konkreten Anlaß, um ihm seinerseits wirkliche impudicitia unterstellen zu können. Und Catull scheint sein Ziel erreicht zu haben, charakterisiert doch in der Tat z.B. WISEMAN die beiden in der gewünschten, damit dem c.16 zugrunde liegenden Vorwurf die Spitze nehmenden Weise: "two men who were themselves impudici, but accused Catullus of their own vice".579 Die Invektiven haben somit sehr wohl ihren eigentlichen Sinn, zielen primär auf die beiden Adressaten und sollen keineswegs ein Versuch sein, diese "beim geliebten Juventius zu diskreditieren".580 Die Einführung des Knaben und die behauptete Hungerleiderei der beiden dienen für Catull nur der möglichst scharfen und unflätigen Beschimpfung und Verspottung seiner Kritiker581 ebenso wie auch Juventius in c.24, den er dort m.E. am Anfang nur deswegen als flosculus ... Iuuentiorum, non horum modo, sed quoi autfuerunt... auftreten läßt, um für einen wirkungsvollen Partner zu dem homo bellus Furius zu sorgen: Ein homo bellus und die in homerischer Weise gepriesene 'Blüte der Juveniler' gehören natürlich als Paar zusammen, wenn da nicht dieser eine Anstoß wäre, den die Verse 5, 8 und 10 dem Leser überdeutlich in Erinnerung rufen: Der Mann mag so schön sein, wie er will 578 579

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Siehe auch o. Anm.544. WISEMAN (1969) S.12 und ähnlich bereits RIESE (1884) S.37 "[...] zu solchem Tadel waren gerade diese beiden, besonders nach c.15 und 21 Aurelius, ganz unberechtigt"; vgl. ferner z.B. WESTPHALs Bezeichnung (21870) S.7 "Tugendheuchler", HECKs (1951) S.39, 43 "scheinheilige Schmarotzer", GOOLDs (21989) S.5 "questionable character" sowie das Urteil von G. LUCK, Notes on Catullus, Latomus 25 (1966), S.278-286, dort S.284: "It may seem strange to modern readers that love poetry addressed to a woman should be considered as a sign oimolitia by two notorious pederasts [...]." Für ADAMIK (1977/78) S.122 wirken beide gar als "archetypes of those Martialian and Juvenalian figures, who put on the mask of the strict Catos, but if nobody sees them, they are capable of doing ugly things". So aber STROH (1990) S.138; vgl. auch S.142 "einer versucht den anderen verbal zu übertrumpfen, sicherlich auch, um bei dem schönen Knaben Eindruck zu machen". Ahnlich ist möglicherweise auch Catulls Vorgehen in einem Gellius-Gedicht; dazu jedoch erst später, siehe u. S.287.

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er hat nichts, ñeque senium ñeque arcam. So ist auch die Einbeziehung des Juventius für Catull in c.24 nur ein Mittel und nur zur Hervorhebung des Kontrastes zum schönen, aber bettelarmen Furius da.582 Interessant ist ferner, daß Catull zur Attacke auf Aurelius gerade seinen eigenen Liebling einsetzt (c.15,1 und 21,4 meos amores) und nicht etwa ein reales Verhältnis des Aurelius ausnutzt, wie er ja auch sonst mehrfach über die Freundinnen anderer spottet (c.41, 43, 86, 110, 111) oder auch in den Gellius-Gedichten (c.74, 88, 89, 90; vgl. auch c.78 über Gallus) konkrete Unterstellungen über dessen diverse Verhältnisse mit Familienangehörigen macht. Auf die in c.15 und 21 praktizierte Weise bleibt jedoch die dem Aurelius unterstellte impudicitia genauso wie die angebliche Verführung des Knaben, da diese ja anfänglich von Catull selbst ermöglicht wird (vgl. c.15,1 commendo...), rein hypothetisch und die beiden Gedichte 15 und 21 letztlich nur lockeres Spiel und nicht wirklich verletzender, real wirkender Angriff wie eben z.B. die meisten der gegen Gellius gerichteten Verse. Der anscheinend geringe Umfang der beiden libelli mit 15 Gedichten in 253 Versen (zuzüglich des Restes des unvollständigen c.2a) im 'Lesbia'Büchlein und sogar noch weniger, nämlich nur 10 Gedichten und 151 Versen (zuzüglich weiterer verlorener Verse von c.l4a) im 'Aurelius- und Furius'Buch ist ebenfalls kein Hinderungsgrund für die Annahme zweier aufeinander zu beziehender Publikationen - es wäre im Gegenteil eigenartig, wenn der zweite libellus zahlenmäßig mehr Gedichte als der erste enthielte, also länger als dieser wäre. Denn bei der hier gefolgerten Intention als nur mehr spielerisches Pendant mit dem alleinigen Ziel des (scherzhaften) Angriffs auf seine beiden Kritiker dürfte Catull kaum mit der gleichen Intensität gedichtet haben wie bei seinem feinen 'Lesbia'-//Z>e//uj. Allein die Tatsache, daß es möglich ist, für Catull nicht mehr nur einen kleinen libellus als Einzelstück, sondern wie hier zwei sich entsprechende Büchlein zu erschließen, stützt m.E. bereits die Annahme des vorausgehenden 'Lesbia'-Buches. Und daß bei diesem die überlieferten Verse keineswegs zu wenig für eine eigenständige Publikation sind, wie noch PULBROOK einwendet,583 ist bereits 582

583

Zu Folgen dieser Deutung für die übrigen Juventius-Gedichte Catulls siehe u. S.284ff. Hier sei lediglich ausführlicher an Kap.2.3. erinnert, um den Einwänden der Vertreter des 'Juventius'-Liebesromans zuvorzukommen: Wie dort besprochen, geht eine persönliche Beziehung Catulls zu Juventius aus dem 24. Gedicht wie auch dem ganzen 'Aurelius- und Furius'-Zyklus nicht hervor, ja scheint im Falle von c.24 (verglichen mit der Parallele c.81) sogar bewußt vermieden! Daß Catull ebenfalls den Juventius-Knaben leidenschaftlich abküssen will, weiß ein Leser der hier besprochenen beiden libelli wie des ganzen Corpus Catullianum nicht; zu interpretieren ist schließlich zunächst nur der Wortlaut der fraglichen Gedichte c.1-26. Und auch wenn Juventius-Gedichte vorher im Umlauf waren, ist dies für c.24 und die Vorkenntnis des Lesers unerheblich, da Catull selbst keinen Bezug hergestellt hat und Juventius mit den wenigen, insgesamt nur drei Gedichten 48, 81 und 99 in Catulls Liebesleben nicht die prägende Rolle zu spielen scheint wie seine ständig angesprochene Lesbia. PULBROOK (1984) S.77; siehe auch o. S.28.

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von HUBBARD durch seine Auflistung ähnlich kleiner libelli wie z.B. dem nur 290 Verse umfassenden 'Lygdamus'-Buch im Corpus Tibullianum, vor allem aber dem wohl ebenfalls 15 Gedichte enthaltenden 'Catalepton' mit seiner Catull-Parodie (phasellus/Sabinus ille... c.4/catal.l0) nachgewiesen.584 Solcher Art Büchlein waren also in der Antike sehr wohl möglich und sogar üblich, und warum sollte eine ganz kleine, sorgfältigst geordnete und mit jedem einzelnen Gedicht auf ein Thema hin und gleichsam nach einem Prinzip komponierte Publikation wie die des 'Lesbia'-Zyklus nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit haben wie die von der Forschung so gerne angenommene einbändige Gesamtausgabe mit allen 116 Gedichten? Die Forschung scheint hier vielfach nur in archivarischem Interesse Verse und Seiten zu zählen, möglichst viel auf möglichst wenig Raum unterbringen zu wollen585 und mögliche Maximalgrößen für Bücher zu beachten, aber gleichzeitig zu übersehen, daß die Gedichte Catulls ja kein zusammenhängendes und nicht von vornherein selbstverständlich als geschlossene Einheit zu edierendes und zu verbreitendes Langepos darstellen; Catulls carmina waren doch nicht für Forscher und peinlich genau nachrechnende und Stellen vergleichende Philologen und Kommentatoren gedacht, sondern für Catulls Freunde, seine Zeitgenossen, den gewöhnlichen Leser also, der mit feinen Auswahlen erfreut und nicht mit einer z.T. nur dieselben Themen ausbreitenden Gesamtausgabe erschlagen werden wollte (vgl. z.B. c.69-72)!586 Kleine Gedichtbücher, die eben nicht als Gesamt- oder Gedächtnisausgaben dienten, muß es auch von Catull gegeben haben, wie bereits oben postuliert.587 Und ein derartiger libellus brauchte keineswegs eine Buchrolle im Umfang eines Livius- oder ovidischen Metamorphosen-Buches zu füllen - es gab in der Antike genausowenig wie heute eine DIN-Norm mit festgelegten Minimalgrö-

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HUBBARD (1983) S.223f.; als Beispiele nennt er u.a. Nemesians Eklogen (319 V.), 'Laus Pisonis' (261 V.), 'Panegyricus Messallae' (211 V.), 'Elegiae in Maecenatem' (178 V.), 'Moretum' (122 V.) oder die sogar nur 76 Verse von Horaz' 'carmen saeculare'; weitere Beispiele bei BIRT (1882) S.296ff. Zu ergänzen ist der Traktat des Terentianus Maurus über die Aussprache der lateinischen Buchstaben ('De litteris', ca. 200 V.), der ursprünglich auf keinen Fall mit dem in der editio princeps anschließenden, deutlich als eigenes Buch abgesetzten 'De syllabis' und wohl auch nicht mit dem als drittes überlieferten Werk 'De metris' zu verbinden ist (dazu vgl. in meiner kommentierten Edition von 'De syllabis', Hypomnemata Bd. 102, Göttingen 1993, S.565ff.). Interessant ist ferner, daß neuerdings SUERBAUM (1992, o. Anm.221) S.165 für Naevius höchstens 1850 Saturnier errechnet. Bei der von Lampadio vorgenommenen Aufteilung auf sieben Bücher hätten diese ebenfalls weniger als 300 Verse enthalten.

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Vgl. so z.B. MINYARD (1988) S.345 oder auch MOST (1981) S.110 Anm.8 zur großen Anzahl von carmina minora mit "comparatively short verses": "[...] a smaller papyrus roll could be used than the number of lines alone might lead us to expect." Auch z.B. Senecas 'Epistulae morales' gehören m.E. zur angenehmsten Lektüre, die die lateinische Literatur zu bieten hat - aber nur solange, wie man einzelne Briefe oder höchstens ein ganzes Buch liest. Die Lektüre aller 124 Briefe fortlaufend und auf einmal ist mörderisch und kann bald alle Lust nehmen. Siehe o. S.75ff.

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ßen für Publikationen.588 Gerade für eine exklusive, sorgfältig und evtl. in großer Schrift geschriebene Ausgabe besonderer carmina, die unabhängig von einer eventuellen Gesamtaussage des ganzen Buches doch zunächst jeweils selbst eine Einheit darstellen und für sich wirken sollen,589 bei denen es nur auf den Inhalt und nicht ihren Umfang oder ihre Menge ankommt, könnten 10 oder 15 Gedichte leicht genug sein - man denke an heutige Gedichtbände, die oft, verschwenderisch gedruckt und mit beispielsweise bloß einem Zwei-Zeiler pro Seite, tatsächlich auch nur ganz dünne Heftchen sind. Wenn etwa mit den 15 Gedichten des 'Lesbia'-Zyklus jeweils nur ein 'Blatt' der Papyrusrolle mit viel Platz zu den beiden Seiten beschrieben wurde, so daß beim Aufrollen und Lesen immer nur ein Gedicht allein sichtbar war,S90 läßt sich durchaus der Umfang einer demgegenüber in kleiner, enger Schrift platzsparend beschriebenen Buchrolle wie etwa Ciceros erster Catilina-Rede oder dem zu Quintilians Zeit offenbar eigenständig verbreiteten Literaturbrief des Horaz erreichen. Es ist also m.E. mit weitaus mehr Zwischen- und Freiraum zu rechnen, als HUBBARD mit nur einzelnen Freizeilen zwischen zwei Gedichten annimmt,591 so daß auch der tatsächliche Umfang der 'Lesbia'-Rolle weit größer gewesen sein mag, als die bloße Vers- und Gedichtzahl vermuten läßt. Eine solche Form der Ausgabe, wie soeben für Catull erwogen, hat schließlich für die Gedichte selbst den großen Vorteil, daß darin nicht mehr bestimmte carmina aus buchtechnischen Gründen mittendrin zerrissen und mit evtl. nur wenigen Versen erst auf der folgenden Seite/Kolumne abgeschlossen würden, was den Gesamteindruck und den Blick für die Komposition der einzelnen Gedichte erheblich stört. Sie folgte damit genau den gleichen Prinzipien, die auch GOOLD für seine neue Catull-Edition zugrundelegte, der endlich einmal keine wissenschaftliche Arbeitsausgabe, sondern eine ansprechende Leseausgabe ohne Gedichttrennungen bei den kleineren Gedichten erstellen wollte und z.B. das zärtliche c.5 ebenfalls allein auf einer Seite drucken ließ!592 588

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Vgl. so schon BIRT (1882) S.296ff. zu monobiblischen Werken "Das Maximum wahren auch sie, eine obligate Minimalgrenze ist bei ihnen dagegen [...] nicht wahrzunehmen; auch kürzere Gedichte gingen in den Rollen gelegentlich für sich, falls ihr Urheber eben nicht mehr als sie edierte" und mit Bezug auf diesen HUBBARD (1983) S.223. Vgl. z.B. HECK (1951) S.l "Gedichte [...] stehen für sich selbst", SEGAL (1968) S.305 "Like all lyrics, Catullus' shorter poems stand or fall ultimately as individual pieces, and each must be appreciated in its uniqueness and individuality"; siehe aber u. S.246ff., 269. Vgl. dagegen z.B. VAN SICKLEs Beschreibung der üblichen Rollenlektüre mit seiner Berechnung nach auf einmal sichtbaren 100-180 Versen (1980) S.5: "[...] the reading will work back and forth within the two or three, four at most, columns, that are exposed at one time across the stand or lap. Free from the abrupt discontinuities of turning pages, the field of study will change gradually." HUBBARD (1983) S.223 berechnet einen Umfang von 276 Versen (einschließlich 10 Verse lacuna für c.2a). So GOOLD in seiner Einleitung (21989) p.VI; vgl. im übrigen auch die Praxis der Dichterin A.E. RADKE (Katulla. Catull-Übersetzungen ins Weibliche und Deutsche, Marburg 1992), die ihre z.T. recht kurzen Nachdichtungen/Bearbeitungen ebenfalls jeweils auf einer eigenen Seite ohne Reste von vorausgehenden oder anschließenden Gedichten pia-

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Interessant ist demgegenüber, daß sich Martial, dessen Epigramme als Spottgedichte ja in vielem mit denen Catulls vergleichbar sind, explizit über sein sogar 100 Gedichte umfassendes erstes Buch ebenso wie über sein zweites äußert und mit dem offensichtlich großen, für den Leser vielleicht zu großen Umfang zu kokettieren scheint. Ja, er rät dem Leser (natürlich nicht ernsthaft) sogar dazu, wenn ihm die neugekaufte Ausgabe als liber zu viel sei, doch nur mehr ein Gedicht pro Seite zu lesen und sie so selbst zum libellus zu machen.593 In Martials Fall ist somit klar bezeugt, daß diese vom Autor selbst veranlaßte Ausgabe mehrere Gedichte pro Seite enthielt, was angesichts seiner vielen Zwei- und Vier-Zeiler natürlich nicht verwunderlich war. (Catulls 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furìus'-libelli enthalten Vergleichbares nicht.) Daß daneben auch eine andere, eben kleinere Form der Gedichtsammlung mit z.B. nur einem carmen pro Seite/Blatt möglich ist, ist damit aber noch nicht ausgeschlossen. Durch Epigramme wie 10,2 (V.3 nota leges quaedam; vgl. auch z.B. 2,6) scheint im Gegenteil auch für Martial die Existenz weiterer und offenbar kleinerer, den uns vorliegenden Sammelpublikationen vorausgehender Büchlein bezeugt, für die TANNER - völlig unabhängig von den Überlegungen etwa HUBBARDs zum 15 Gedichte enthaltenden 'Lesbia'-libellus - ebenfalls eine Größe von "up to fifteen" Gedichten annimmt, "consisting of up to 100 lines", die seiner Ansicht nach konzentriert bestimmten Themen oder Adressaten gewidmet waren594 - genauso wie also der hier erschlossene 'Aurelius- und Fuúus'-libellus. Auch wenn dies für Martial vielleicht ein wenig spekulativ wirken mag595 und sich keine dieser kleinen "brochures", "broadsheets" rekonstruieren läßt, so ist deren Vorhandensein neben den Formulierungen der bereits genannten Epigramme aber auch wegen der Tatsache wahrscheinlich, daß seine größeren Bücher weitere, offenbar primär einmal als Einleitungsgedichte anderer Büchlein verwendete Verse enthalten, wie z.B. WHITE ebenfalls feststellt.596 Und mit dem liber spectaculorum (TANNER spricht von "double issue") ist immerhin

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ziert hat; genauso jedes Epigramm auf einer Seite für sich, auch die als Nr. 5,7,10,35, 36 gezählten Zweizeiler, bei U. CARRATELLO in seiner Ausgabe von Martials 'Epigrammaton Liber' (Rom 1981). Mart. 1,118,2,1 und 6, 4,82, 6,65,10,1. TANNER (1986) S.2667ff. "a set of poems put out in a single libellus directed wholly to lampooning this one particular target". Vgl. z.B. auch die Reaktion von M. CITRONI (Publicazione e dediche dei libri in Marziale, Maia 40 [1988], S.3-39, Anm.l) auf TANNERs Aufsatz: "Una inaccetabile forzatura di tale tesi - che non credo utile discutere." P. WHITE, The Presentation and Dedication of the Silvae and the Epigrams, JRS 64 (1974), S.40-61, dort S.46ff, 56f. zu z.B. 1,44, 2,91, 4,82, 5,80, 7,26, 11,106. S.57 Anm.70 nennt er Catulls frg.l4a, "part of the introductory poem of a libellus, als "closest analogy". Abzulehnen ist allerdings, wenn er in solchen "brochures" lediglich "private libelli" sehen will, "which the poet had circulated before he was ready to issue a full-length book". Widerlegt wird dies durch das u. S.246ff. noch genauer untersuchte, geschlossene 'Lesbia'Büchlein Catulls, das u.a. durch die Formulierungen seines Widmungsgedichts zeigt, daß auch so kleine Zusammenstellungen vollwertige Bücher darstellen sollen.

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doch ein kleineres, gezielt nur auf ein bestimmtes Ereignis ausgerichtetes Buch erhalten. Um aber zu Catulls beiden libelli zurückzukehren, so ist schließlich erneut zu bedenken zu geben, daß hier - im Gegensatz zu TANNERs Annahme für Martial - nicht etwa für Einzelgedichte oder zwei beliebige Gruppen irgendwo im Corpus stehender carmina eine eigenständige Buchpublikation postuliert wird. Catull gebraucht in c.l ja selbst den Deminutiv zur Einleitung einer Gedichtsammlung - für HUBBARD eines seiner stärksten Argumente für den 'Lesbia'-libellus597 -, die damit so naheliegend in den ausgerechnet unmittelbar darauffolgenden c.2-14 des 'Lesbia'-Zyklus überliefert sein kann. Denn auch wenn die Forschung in letzter Zeit wiederholt darauf hingewiesen hat, daß Catulls Formulierung libellus in c.l etwa als Bescheidenheitstopos und im Gegensatz zu den tres chortae doctae et laboriosae des angeredeten Cornelius alle 116 Gedichte und damit das gesamte Corpus betreffen könnte,598 kann libellus aber sehr wohl und zunächst auch weit wahrscheinlicher (zusätzlich) im eigentlichen Sinn zu verstehen sein.599 Wie oben bereits für den Wortlaut vor allem der c.ll, 14a und 16 festgestellt, wird auch im Fall von c.1,1 die offensichtliche Bedeutung einer Formulierung von der Forschung zu schnell und ohne Notwendigkeit zugunsten umständlicher, erzwungen wirkender Erklärungsversuche geleugnet. Und was nun die zweite Gedichtgruppe betrifft, so ist nochmals zu betonen, daß deren angenommener Zusammenhang ebenfalls nicht willkürlich ist; mit c.l4a ist eben auch für den zweiten libellus ein Einleitungsgedicht vorhanden, das ausgerechnet an passender Stelle überliefert ist - unmittelbar vor dem betreffenden Zyklus und unmittelbar im Anschluß an den ersten ('Lesbia'-) libellus, so daß weder vor noch nach c.l4a und damit zwischen den beiden libelli nicht zur hier vorgetragenen Deutung passende Gedichte stehen, deren Position erst umständlich erklärt werden müßte. Ja nicht nur, daß c.l4a nun nicht mehr lediglich als Binnenprogrammgedicht, sondern als wirkliches Einleitungsgedicht anzusehen ist (vgl. soweit schon Kap.2.2.), sondern daß es darüber hinaus - anders als von HUBBARD und PULBROOK vermutet - speziell und ausschließlich den 'Aurelius- und Furius'Zyklus als zweiten libellus einleitet, diese Annahme paßt gut, m.E. sogar besser zu den wenigen überlieferten Worten dieses Gedichtfragments, mit denen sich Catull bei seinen Lesern für die dem Fragment folgenden Gedichte zu entschuldigen scheint (V.3 non horrebitis). Für derart Obszönes wie das, was der 'Aurelius- und Furius'-Zyklus bietet, ist schließlich eine vorausgehende Entschuldigung und Erklärung auch sehr wohl angebracht, zumal es 597 598 599

Siehe o. Anm.222. Vgl. z.B. E A . SCHMIDT (1979) S.220 oder die o. eingangs S.21f. genannte Literatur. Vgl. so ja auch alle Vertreter der kleineren Büchlein wie z.B. CLAUSEN (1976) und SKINNER (1981), die aber natürlich nicht beweisen können, daß gerade ihr größerer libellus c.1-50/51 gemeint sein muß (siehe auch o. S.71).

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Catull selbst ist, der c.l5ff. mit den obszönen, aktiven Handlungen droht und nicht nur die Verfehlungen anderer beschreibt, für deren Unanständigkeiten er natürlich nicht verantwortlich zu machen ist. Wäre c.l4a aber auch auf die später folgenden Gedichte zu beziehen, ist nicht einzusehen, warum Catull dann z.B. angesichts des harmlosen Inhalts von c.27 oder auch 30, 31, 34,38, 40, 44, 45, 46, 48, 50 usw. seine Leser überhaupt noch vor eventuellem, im größeren Buch letztlich untergehenden horror hätte warnen sollen. Andererseits hätte er auch den anfänglichen 'Aurelius- und Furius'-Zyklus durch das Einstreuen derart netter Gedichte wie c.31 (Preislied auf Sirmio) oder 34 (Diana-Hymnus) oder 46 (Rückkehr aus Kleinasien) anstelle der c.17 und 25 entschärfen können. Verglichen z.B. mit den erst unter den Epigrammen folgenden Gellius-Attacken sind im Gegenteil fast alle c.27-60 mit Ausnahme vielleicht von c.59 über Rufa recht harmlos und rechtfertigen kaum eine einleitende Formulierung wie in c.l4a: c.28 ist primär ein Freundesgedicht an die in gleicher Lage befindlichen Veranius und Fabullus und enthält lediglich eine gemeinsame Klage über die beiden ausbeuterischen Prätoren, wie dies ja sogar im harmlosen 'Lesbia'-Zyklus von Catull zu hören war (c.l0,12f. quibus esset irrumator/ praetor). C.29 und weitere Caesar- oder Mamurra-Gedichte wie c.41, 43, 54, 57 betreffen zumeist das verschwenderische Wesen dieses Caesar-Günstlings und sind, abgesehen von einigen wenigen Formulierungen wie diffututa méntula (c.29,13) oder improbis cinaedis (c.57,1 und 10), ebenfalls in ihrer Schärfe nicht mit c.23 z.B. vergleichbar, ja sie sind im Fall von c.41 und 43 direkt mild ebenso wie der Cicero-Spott in c.49. Insgesamt betrachtet, sind die weiteren polymetrischen Gedichte somit zwar nicht genauso zart wie die des 'Lesbia'-Zyklus, doch in ihrem Spott und ihren Formulierungen auch nicht so furchtbar wie die des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus, so daß für alle kaum ein non horrebitis zutreffen könnte. Gerade die scheinbar politischen Gedichte wie c.29 wird ein Leser doch gerne und ohne Anstoß an üblichen Schimpfwörtern wie cinaede Romule (V.5, 9) lesen und goutieren!600 Gegen einen Bezug von c.l4a nur auf die Aurelius- und Furius-Gedichte hat allerdings HUBBARD einzuwenden, daß dieses als weiteres entschuldigendes Programmgedicht dann neben der programmatischen Erklärung von c.16 redundant wirken würde und es überflüssig sei, "also to apologize specifically for this group; rather, its apologetic force must extend to all poems which are like those addressed to Furius and Aurelius, i.e., most of the following polymetra". Für die Aurelius- und Furius-Gedichte sieht er die "[...] 600

HUBBARDs Charakterisierung seines zweiten Buches c.l4a-50 (1983) S.223 als "poetry which aims at public embarassment" und "little concerned with Catullus' true friends" ist also nicht wirklich für diese ganze Sammlung zutreffend (HUBBARD selbst nennt neun Ausnahmen), so daß der unterstellte Trend "to accent the negative" noch kein zwingendes Argument für eine gemeinsame Publikation von c.l4a-26 und 27ff. sein kann. Vgl. auch HUBBARDs Zugeständnis S.233 "outside of the Furius-Aurelius sequence, the polymetra of the second collection seem not to be as clearly organized" sowie die entsprechenden Forschungsmeinungen o. Anm.216.

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rather specialized programmatic function [...] already fulfilled by C.16, which is addressed specifically to Furius and Aurelius and warns them not to interpret Catullus' poetry in an overly literal manner (particularly as regards homosexual themes, such as are displayed in this group of poems)".601 Daß die anderen, mit c.27 folgenden Gedichte eben nicht so sind wie die an Aurelius und Furius adressierten, wurde soeben besprochen. Und er irrt auch bei seiner Interpretation von c.16 als Verteidigung gerade solcher homosexueller Verse und Obszönitäten wie die des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus. Denn wie im vorausgehenden Kapitel gezeigt (vgl. eben besonders V.12f. quod milia multa basiorum/ legistis), ist c.16 die Rechtfertigung Catulls für seine Zärtlichkeiten und Kußgedichte und als Verteidigung primär an die Kritiker Aurelius und Furius gerichtet, c. 14a jedoch ist Warnung vor den nun folgenden, diese beiden betreffenden Gedichten wie c.15 und 21, aber auch vor c.16 selbst mit seiner obszönen Drohung und nicht mehr für die primären Adressaten des Zyklus, eben Aurelius und Furius, sondern für einen eventuellen, beliebigen, gewöhnlichen Leser bestimmt (c.l4a,lf. si qui forte mearum ineptiarum/ lectores erìtis ...), um für diesen die Scheußlichkeit der folgenden Darstellung zu entschuldigen und vielleicht den Charakter der kleinen Sammlung zu erklären. Beide Gedichte 16 und 14a haben also als Verteidigung/Rechtfertigung - Erklärung/Entschuldigung eine gänzlich andere Funktion, (zumindest zunächst) verschiedene Adressaten602 und sind auf ganz unterschiedliche, in einem früheren Buch zeitlich vorausgehende bzw. im selben Buch folgende Gedichte zu beziehen. Bereits die bislang vorgetragenen Beobachtungen zu den eigentlichen Aurelius· und Furius-Gedichten, die ja die Gruppe c.l4a-26 durch ihren obszönen, unflätigen, von scharfen Formulierungen geprägten Charakter und die wiederholte Anrede an dieselben Adressaten dominieren, rechtfertigen m.E. die hier angenommene Deutung des zweiten Zyklus /libellus. Jetzt nämlich bietet sich für c.15, 21 und 24 und damit den Zyklus insgesamt eine bessere Interpretationsmöglichkeit im Einklang mit c.16, und letzteres Gedicht sowie die ihm zugrundeliegende Kritik ist auch wahrscheinlicher auf den ganzen ersten ('Lesbia'-) libellus mit den c.5, 7 und 8 bezogen anstelle eines einzelnen, irgendwo umlaufenden und kaum signifikanten, kritikwürdigen Kußgedichts, wie bereits im vorausgehenden Kapitel vermutet.603 601 602

603

H U B B A R D (1983) S.232. Vielleicht waren allerdings auch in c.l4a die beiden im folgenden ständig angeredeten Aurelius und Furius erwähnt oder sogar abschließend selbst zu Mitadressaten gemacht, wie Catull in c.14 oder 28 am Ende ebenfalls den Adressaten wechselt, um dann die zuvor im Gespräch mit anderen kritisierten/behandelten Personen direkt anzureden, ja anzugreifen. C.14a steht im übrigen außerhalb des Zyklus /libellus (siehe dazu genauer u. S.229), muß nicht denselben Ton wie dessen einzelne Gedichte angeschlagen und kann sehr wohl zunächst zusammenfassend und von anderer Warte aus den folgenden libellus überblickt haben. Siehe o. S.150.

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In dieser Annahme eines Bezuges der beiden ganzen libelli aufeinander wie auch in der Beschränkung des zweiten libellus auf ausschließlich die Gedichte des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus und dessen Deutung als Reaktion Catulls auf die Kritik der beiden Adressaten liegt nun auch der grundlegende Unterschied des hier vorgestellten Ansatzes gegenüber den bisherigen Versuchen der Forschung. Und die Beschränkung auf ausgerechnet die c.l4a-26 ist jetzt im Gegensatz zu HUBBARDs These für sein zweites Buch c.l4a-50 keine mehr oder weniger willkürliche Abteilung, sondern ergibt sich - ohnehin durch die Einheit des nur bis c.26 reichenden 'Aurelius- und Furius'-Zyklus naheliegend604 - zusätzlich aus den in diesem und im nächsten Kapitel vorgetragenen Beobachtungen, daß sich die angenommene inhaltliche wie strukturelle Beziehung nur zwischen den Gedichten der beiden Zyklen, nicht jedoch auch zu den weiteren c.27ff. (weder für c.l4a-26 noch für c.1-14) herstellen läßt, sowie aus der schon von SKUTSCH getroffenen Feststellung der offensichtlichen und gewollten metrischen Gleichförmigkeit der Hendekasyllaben c.2-26 im Gegensatz zu den anschließenden c.27ff. Daß etwa mit c.27 ein c.l4a vergleichbares weiteres Einleitungs- oder Programmgedicht und damit ein deutlicher weiterer Neuansatz folgt, was z.B. kürzlich FORSYTH nach WISEMAN u.a. als Argument für die Einheit des 'Aurelius· und Furius'-Zyklus anführt, ist m.E. zweifelhaft und erst noch genauer zu untersuchen.605 Für die Abgrenzung des 'Aurelius- und Furius'-//èe//ui gegenüber den c.27ff. ist dieses somit hier nicht heranzuziehen und ohnehin gar nicht nötig. Es sind jedoch nicht nur die - in ihren Attacken erstaunlich gleichförmigen - Aurelius- und Furius-Gedichte c.15, 16, 21, 23, 24, mit denen Catull auf die Kritik an seinem ersten libellus und hier speziell den Liebesgedichten zu reagieren scheint (vgl. die oben aufgelisteten Obszönitäten der c.15, 16, 21 mit STROHs berechtigtem Urteil, daß im ersten Zyklus die "Lesbialiebe [...] mit äußerster verbaler Dezenz, ja geradezu unsinnlich dargestellt" sei):606 Zugleich scheint Catull mit dem ganzen zweiten Zytíus/libellus den Vorwurf der molliculi uersus beiseite räumen zu wollen. Denn im ersten Zyklus waren nicht nur die zarten Liebesgedichte, sondern ebenso die anderer Thematik und damit der ganze Zyklus recht harmlos - man denke nur an das beschauliche phasellus-Gedicht (c.4) - und erstaunlich 'zahm' im Vergleich zu vielen anderen Gedichten unseres Corpus (von den restlichen 84 'kleinen Gedichten' c.27-60, 69-116 sind immerhin mindestens die Hälfte aggressive Spottgedichte, zumindest aggressivere als die unter den c.1-14 enthaltenen).607 So läßt sich durchaus der Catull mit dem rechten Biß, wie seine Freunde ihn 604 605 606

Siehe o. S.38 zu dessen strenger Struktur. Siehe u. S.304ff. STROH (1990) S.142, (1992) S.78 "Die Liebe zu Lesbia hat Catull schwärmerisch sentimental dargestellt, fast ohne sexuelle, ja auch nur sinnliche Note". Für den 'Lesbia'-Zyklus vgl. die o. Anm.306 genannten Forscher.

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sonst gewohnt sein konnten, vermissen (vgl. den Umgangston auch unter Freunden c.28 und 47),608 und es läßt sich ihm neckend und aufziehend überhaupt zu große Weichheit - molliculi uersus - vorwerfen, so daß molliculus und male mas auch in weiterem Sinne, als in c.16 gebraucht, verstanden werden könnten: Zu zärtlich bei seinem Mädchen und zu zart in seiner Dichtung! Auch wenn letzteres in c.16 nicht explizit ausgedrückt ist (mit den multa milia basiorum ist natürlich nur und vor allem das, wie die spätere Catull-Rezeption ebenfalls zeigt, herausragendste Motiv berücksichtigt),609 mag man dies angesichts der Art, wie Catull verglichen mit dem 'Lesbia'-Zyklus/libellas den ganzen 'Aurelius- und Furius'-Zyklus/libellus gestaltet hat, als umfassenderen und vielleicht unausgesprochen dahinterstehenden Vorwurf vermuten, nicht nur den der uersus purum pudici: Die untreue Lesbia wird im ersten Zyklus//ifee//i« schließlich nicht in Grund und Boden verdammt; lediglich vier Verse des insgesamt 25 Verse umfassenden c.ll sind ihr gewidmet610 (vgl. dagegen c.37 und besonders 58; der Vorwurf in c.58 ist m.E. schlimmer: In c.ll erscheint Lesbia 'nur' als unersättlich und männerverschlingend, dort jedoch als in Gassen auf Kundschaft lauernde Prostituierte).611 Mit V.23 ist Catull bereits wieder bei sich und seinen Gefühlen (vgl. auch das ebenfalls nur auf ihn selbst bezogene C.8). Im selben Gedicht ist Caesar erwähnt, doch weder hier noch sonst im Zyklus erfolgt der übliche Vorwurf (vgl. c.29 und 57). Der Hinweis auf Caesars Leistungen als 'sehenswerte Monumente' (V.lOff.) wirkt im Gegenteil überaus freundlich.612 C.12 kommt der Dieb des Halstuchs ohne körper608

609

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612

Auch Furius Bibaculus war im übrigen wie Catull für Angriffe auf Caesar bekannt (vgl. beide gemeinsam nennend Tac. arm. 4,34), von einer Versöhnung ist jedoch in seinem Fall nichts überliefert, so daß Bibaculus, wenn er denn mit dem Furius Catulls identisch war, seinen Freund durchaus auch damit aufgezogen haben mag, daß dieser, anders als er selbst, seine Attacken eingestellt hat. V.4 ist quod sunt molliculi, parum pudicum deutlich in kausalem Zusammenhang formuliert, V.8 dagegen sind die uersiculi molliculi ac parum pudici mit si sunt... wie zwei Vorwürfe nebeneinandergestellt, scheinen aber auch dort durch den Kontext mit den Küssen V.12 nur auf den erotischen Bereich bezogen. Vgl. auch HUBBARD (1983) S.223 Anm.19 "Even when Lesbia is abused in C.ll, it is clear that the abuse is an outgrowth of rejected love". Anders jedoch FREDRICKSMEYER (1983) S.71, daß sie in c.58 "at least gave her overworked lovers a hand", während sie diese in c.ll "not merely degrades, but virtually annihilates". Vgl. z.B. die Kommentare von RIESE (1884), ELLIS (21889), MERRILL (1893), FORDYCE (21965), QUINN (21973) ad loc. sowie BENOIST-THOMAS (1890) II S.392, LAFAYE (1922) p.XVI, PASCAL (1916) S.126f., REITZENSTEIN (1922) S.363, WRIGHT (1938) S.125, TODD (1941) S.73, PARATORE (1942) S.171, FERRERÒ (1955) S.258f., MARMORALE (1957) S.86, NEUDLING (1955) S.92, NÉMETH (1973) S.52, HEILMANN (1975) S.145f., FREDRICKSMEYER (1983) S.75, 87 Anm.32, (1993) S.94ff„ TROMARAS (1984) S.20 Anm.23 oder WISEMAN (1969) S.35ff. und GOOLD (21989) S.238, die in der Erwähnung Caesars sogar einen Hinweis auf bzw. Beleg für die "reconciliation" vermuten, gegen z.B. FRIEDRICH (1908), KROLL (61980) ad loc. und WEINREICH (1926) S.20f., GRANAROLO (1967) S.45 Anm.l, DEROUX (1970) S.627, LENCHANTIN DE GUBERNATIS (1933) S.27, KINSEY (1965) S.541, PUTNAM

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lichen Schaden nur mit einer Vielzahl von Schmähgedichten davon. Tatsächlich dürfte jedoch dieses Gedicht wie auch die gespielte Empörung Catulls über das Saturnaliengeschenk des Calvus in c.14 vor allem dazu dienen, die Freundschaft mit den beiden bzw. dreien, Veranius, Fabullus und Calvus, zu bekräftigen, wie kürzlich DÖPP wieder für das 14. Gedicht hervorgehoben hat.613 Der mit seiner offenbar häßlichen Geliebten aufgezogene Flavius soll schließlich lepido uersu besungen werden (c.6,16f.), was nicht gleichzeitig eine Verspottung bedeuten muß614 (vgl. im übrigen Catull selbst über seine Edition c.1,1 lepidum libellum). Und wenn Catull in c.10 Varus und seinem Mädchen begegnet, treffen die am Ende geäußerten Vorwürfe (V.33f.) nicht wirklich die vorlaute puella; das Gedicht ist insgesamt eher selbstironisch auf den 'sklavenreichen' Verfasser und seine Aufschneiderei gemünzt. Selbst die scheinbare Verspottung des bereits im vorausgehenden

(1974) S.83f., BRIGHT (1976) S.113ff., BLODGETT/NIELSEN (1986) S.27, die V.9-12 als Ironie gegen Caesar auffassen wollen. Wie im Falle von Aureli us und Furius geht eine evtl. ironische Intention der Formulierung aus dem Gedichttext selbst oder dem des umgebenden Zyklus jedoch nicht hervor (für anderweitige ironische Verwendung von magniis nennt z.B. FORDYCE im Komm, ad loc. Cic.fam.2,14, Ov.her.19,90) und ergibt sich nur aus der Kenntnis auch anderer Gedichte Catulls. Wenn PUTNAM die Ironie dadurch markiert sieht, daß ein Römer der 50er Jahre dieses Attribut eher mit Pompeius als mit Caesar assoziieren würde (S.85 Anm.2 mit Hinweis auf Catulls c.55,6 und Belegen aus Cicero-Briefen oder Calvus' Epigramm frg.18 [MOREL]), so stammt dieses nach WOODMAN (1978) S.77 (mit Bezug auf S. WEINSTOCK, Divus Julius, Oxford 1971) sogar direkt aus Caesars Propaganda. Zu beachten ist ferner, daß magnus in c.ll eben nur als Attribut, nicht etwa wie c.55 direkt als Beiname gebraucht ist. Mit Catulls Formulierung zu vergleichen ist im übrigen die zweifellos lobende, positive, ebenfalls Rhein und Ozean einbeziehende Hervorhebung von Caesars Taten etwa in Ciceros Marcellus-Rede (28) oder bei Ampel. 18,20 (primus Romanorum nauigauit oceanum\ vgl. auch andere CiceroStellen und Literatur zur Sicht Caesars bei FREDRICKSMEYER [1983] S.87 Anm.32). Eine ausführliche Literaturzusammenstellung zu dem Ironie-Problem mit genauen bibliographischen Nachweisen gibt SWEET (1987) S.512 Anm.3, auf deren Wiederholung hier wie auch o. Anm.339 verzichtet wird. 613

614

S. DÖPP, Saturnalien und lateinische Literatur, erschienen in dem von ihm herausgegebenen Sammelband 'Karnevaleske Phänomene', BAC Bd.13, Trier 1993, S.145-177, dort S.151; für c.12 vgl. bereits WESTPHAL (21870) S.6, FORDYCE (21965), KROLL (61980) ad loc. oder z.B. HEILMANN (1975) S.147, FORSYTH (1985) S.571f. Z.B. KROLL (61980) S.14 denkt an eine Verherrlichung wie in c.35 und 45 mit Caecilius' und Septimius' Liebe und auch HUBBARD (1983) S.223 Anm.19 sieht das Gedicht als "rather gentle and teasing in tone"; HALLETT (1988) S.397 Anm.l spricht von "charmingly attractive", SYNDIKUS (1984) S.99 von "charmanten Versen für ein charmantes Mädchen". NEWMAN (1990) betont jedoch S.155 die satirische Verwendung der sonst z.B. in ernstem Kontext aus Ciceros Archias-Rede (22) geläufigen Formulierungen wie in caelum tollere. C.6 selbst stellt freilich bereits die lepidi uersus dar (vgl. z.B. R. NIELSEN, Catullus, C.6: on the Significance of too much Love, Latomus 43 [1984], S.104-110, dort S.110, oder HEATH [1989] S.107). Zu beachten ist im übrigen der versöhnlich-harmlose Ausklang: Mit der zunächst ganz schön heftigen Unterstellung V.4f. nescioquid febriculosi scorti, die, wie sich am Ende ergibt, hypothetisch bleibt, und der abschließenden Formulierung v.l5ff. quidquid habes boni malique ... uolo te ac tuos amores ... zeigt Catull, daß er sich nur aufs Schlimmste gefaßt gibt, dem Freund aber trotzdem jede Geliebte zugestehen will.

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C.12 in freundlichster Weise erwähnten, offenbar engen Freundes durch eine Essenseinladung, zu der der Eingeladene aber alles selbst mitbringen muß (c.13), wirkt am Ende aufgehoben: Fabuli wird ja etwas viel Kostbareres, aufrichtige Freundschaft, "pure unadulterated love", und eine wahrhaft göttliche Salbe erhalten, die Catull immerhin von seinem Mädchen bekommen hat und keineswegs für sich allein behält, sondern mit dem Freund teilt.615 Es fällt auf, daß keines dieser Gedichte des ersten Zyklus, die alle, wie auch c.ll oder c.l, Catulls Freundschaft betonen (vgl. bes. c.9), einen scharfen Gedanken oder gar wirkliche Kritik enthält. Scheinbar schärfer ist er nur in c.10 geworden, wenn er seinen Propraetor Memmius V.12 als irrumator bezeichnet und für das Mädchen V.24 die Beschreibung ut decuit cinaediorem findet. Doch wie die Forschung immer wieder hervorgehoben hat, ist beides nicht im eigentlichen Sinne als t.t. und dementsprechender Angriff zu sehen, so wie später im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus in c.16 und 21 (vgl. auch deutlicher c.33,2 cinaedefili), sondern einfach als Schimpfwörter.616

615

Zu meros amores vgl. z.B. FORDYCE (21965); gegen negative Interpretationen - z.B. KROLL (61980) ad loc. spricht von einem "unvorteilhaften Tausch" - vgl. bereits SCHUSTER (1948) Sp.2372. Die neuerdings aufgekommene Deutung, meros amores könnte direkt Dichtung bzw. eine Rezitation nach dem gemeinsamen Essen meinen (MARCOVICH [1982] S.135, D E I T M E R [1986] S.87ff.), ist nicht beweisbar und unnötig, wegen des Adjektivs merus unpassend (vgl. gut übrigens VESSEY [1971] S.46f. meros amores statt "unmixed wine"), ja angesichts des vorhergehenden Kontextes, in dem es der wörtlich verstandenen Formulierung von c.13 entsprechend in erster Linie um Freundschaftsbekundungen geht (vgl. c.9, 11, 12), m.E. sogar wenig wahrscheinlich, für den Leser nicht nachvollziehbar und folglich von Catull auch nicht beabsichtigt - unabhängig davon, wie eine ähnliche Wendung, V.5 έπακονση ... μελιχρότερα, in seiner eventuellen Vorlage, einem Philodemus-Epigramm (dazu siehe auch u. S.270), gemeint war; im selben Vers vorausgegangen war dort aber Catulls meros amores ebenfalls eher entsprechend έτάρσυς ... παναληϋέας. Eine weitere neue Interpretation gibt BERNSTEIN (1984) S.127ff., der gegen die "seeming simplicity" c.13 übertragen als "invitation [...] to read and appreciate his simple, elegant and witty verse" verstehen will. Auch wenn sich ein Gedicht scheinbar einfach gibt und auf Anhieb verständlich wirkt, muß nicht unbedingt mehr, z.B. direkt ein programmatischer Charakter dahinterstecken, zumal c.13 als metaphorische Einladung an Fabull und - aus der Formulierung nicht hervorgehend - andere Leser in der Sammlung eigentlich ein wenig spät und in nicht signifikanter Position folgt und dann schon eher am Anfang oder in Übergangsstellung zu erwarten wäre. Für die hier vorgetragene Deutung beider Zyklen insgesamt ist jedoch derartiges ohne großen Belang: Ob nun tatsächlich eine Salbe oder Catulls Verse als Geschenk dahinterstecken - die positive Tendenz von c.13 bleibt, Fabull wird etwas bekommen. Daß mit der Salbe allerdings etwas ganz anderes gemeint sein könnte (vgl. die ebenfalls neue, unanständige Interpretation LITTMANNs und DETTMERs), wird u. S.264ff. allerdings mit Entschiedenheit abzulehnen sein.

616

Vgl. z.B. bereits KROLL (61980) ad loc. "kaum mehr als 'Schweinehund'" bzw. "ganz abgegriffen 'frech'" und LATEINER (1977) S.24 "Obscenity of vocabulary at times is no more than a device to devalue the object", obgleich natürlich eine solch obszöne Ausdrucksweise eine weit stärkere Beschimpfung bewirkt, wie es KROLL präzisierend hinzusetzt. Vgl. auch SKINNER (1989) S.17 "in Catullan polemic the verb irrumare and its cognates never fully lose their basic obscene meanings" sowie o. Anm.465 zu c.28.

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Was insgesamt betrachtet im 'Lesbia'-Zyklus/libellus so recht freundlich und nett, eben lepidus (c.1,1)617 ausgedrückt scheint, wirkt im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus/ft'òe/ft« dagegen unfreundlicher, schärfer, z.T. angriffslustiger formuliert618 (vgl. schon die Warnung im Einleitungsgedicht c.l4a,3 non horrebitis). Daß vor allem die bereits oben besprochenen, auf Aurelius und Furius bezogenen und damit den Charakter des Zyklus in erster Linie bestimmenden Gedichte c.15, 16, 21, 23, 24 beim besten Willen nicht mehr als zarte, zärtliche molliculi uersus zu bezeichnen sind, ist evident. Wie nun zu zeigen sein wird, trifft das jedoch nicht nur auf diese fünf 'Freundes'-Gedichte zu, deren Adressaten nun keineswegs mehr als enge Freunde wie noch in c.ll erscheinen - ja im ganzen Zyklus gibt es für Catull offenbar keinen wirklichen Freund mehr wie demgegenüber in c.9, 12, 13, 14 mit Veranius, Fabullus und Calvus (unklar ist die Enge des Verhältnisses zu Varus c.10 und 22619). Es gilt vielmehr auch für die restlichen, auf den ersten Blick scheinbar beliebig eingeschobenen Gedichte anderer Thematik, die in abweichenden Versen verfaßten c.17 und 25 sowie das Furius-Gedicht c.26, so als ob Catull jetzt unbedingt und mit dem ganzen Zyklus zeigen wollte, daß er - wenn gewünscht - auch anders, eben nicht nur molliter dichten kann. Für den hier unterstellten Bezug beider Zyklen aufeinander ist dabei aber nicht etwa allein ein schärferer Charakter der Gedichte entscheidend;620 entscheidend ist vielmehr, daß sich m.E. zwischen all den restlichen Gedichten des zweiten Zyklus//Ìòe//Ms und bestimmten carmina des vorausgehenden, zarten 'Lesbia'-Zyklus/libellus eine spezielle Verbindung herstellen läßt: Am offensichtlichsten ist dies bei c.25 als Parallele zu c. 12,621 mit dem Catull einen Dieb namens Thallus heftigst angreift. 617

618

619 620 621

Mag auch das dort von Catull gewählte Attribut von ihm nur auf die gerade hergestellte, feine äußere Form bezogen sein (vgl. z.B. KROLL [61980], FORDYCE [21965] ad loc.), so läßt es sich doch auch zugleich gut zur Charakterisierung von Inhalt und Ton heranziehen; vgl. dazu bes. WISEMAN (1979) S.169 "It is now generally and (I think) rightly accepted that poem 1 is in some way programmatic, and that lines 1-2 refer as much to the content of the book as to its external appearance: novitas and lepor also apply to the character of Catullus' work [...]" mit Hinweis auf COPLEY, FERRERÒ, ELDER, GIGANTE, CAIRNS, LEVINE, LATTA, NÉMETH, SINGLETON, CARILLI, BUCHHEIT in seiner Anm.14 - aber warum gilt das dann nicht auch für die Bezeichnung libellus? Vgl. ferner SYNDIKUS (1984) S.71f., DEITMER (1984) S.74 "the description of the physical appearance of the libellus (lepidum [...]) applies to the content of the book as well". Allgemein so ja auch die Forschung bereits seit WESTPHAL (siehe o. Anm.306), doch ohne auch einen speziellen Bezug zu den Einzelgedichten festzustellen. Dazu siehe u. S.221f. Dazu siehe auch u. S.215ff. Bezüge zwischen den beiden Gedichten werden in den Kommentaren ja immer wieder hergestellt, vgl. z.B. schon RICHTER (1881) S.16 "nur eine Variation desselben Themas in der Tonart der Geringschätzung" oder auch SYNDIKUS (1984) S.167f. "Die Behandlung des Themas ist aber hier um einiges gröber als in c.12", NEWMAN (1990) S.177 "In 12, the elder Asinius Pollio was wittily rebuked [...], but the only real retribution he received was an immortalizing poem. In 25, Thallus [...] is threatened with a flogging" und

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Cinaede Thalle, mollior cuniculi capillo uel anseris medullula uel imula oricilla uel pene languido senis situque araneoso, idemque Thalle túrbida rapador procella, cum t diua mulierarios ostendit oscitantes t remine pallium mihi meum, quod inuolastì, sudariumque Saetabum catagraphosque Thynos, inepte, quae palam soles habere tamquam auita. quae nunc tuis ab unguibus reglutina et remitte, ne laneum latusculum manusque mollicellas inusta turpiter tibi flagella conscribillent, et insolenter aestues uelut minuta magno deprensa nauis in mari uesaniente uento. (C.25)

Denn wieso sonst sollte Catull das Motiv des gestohlenen, sogar desselben Halstuchs - mit linteum aus den sudaría Saetaba c.12,14 und sudariumque Saetabum c.25,7 deutlich aufeinander bezogen und wirklich als dasselbe zu identifizieren - nochmals aufnehmen, diesmal aber den Dieb in gründlich obszöner Weise (V.l-5) und unter Androhung körperlicher Züchtigung (V.913) beschimpfen? Mit Catulls pallium (V.6) und den catagraphosque Thynos (V.7) ist das zweite Diebstahlsgedicht ja um genügend andere Gegenstände erweitert, so daß er jetzt leicht auf das bewußte Tuch und damit eine offensichtliche Wiederholung hätte verzichten können, zumal dieses ohnehin in der Vielzahl der gestohlenen Gegenstände untergeht und sich noch nicht einmal durch seine Herkunftsbezeichnung besonders absetzt (vgl. im selben Vers für den anderen, eigens als "gemustert" bezeichneten Stoff Thynos) oder etwa durch einen eigenen Relativsatz hervorgehoben ist, wie der Mantel V.6 (der Relativsatz V.8f. ist lediglich allgemein im Neutrum Plural formuliert und damit auf alles beziehbar). Durch das Hinzufügen des Tuchs aber kann c.25 in mehrfacher Hinsicht als eine Steigerung und Verschärfung von C.12 wirken: Es handelt sich jetzt um einen wirklichen Diebstahl, nicht mehr um einen für witzig gehaltenen Streich (vgl. c.12,4 hoc salsum esse putas und 25,8, quae palam soles habere tamquam auita, so daß der Dieb sich die Sachen als Gebrauchsgegenstände zur eigenen und regelmäßigen Verwendung angeeignet zu haben scheint); Catull ist alleiniges Opfer und nicht mehr nur einer unter vielen von dem 'neckischen Scherz' betroffenen (vgl. c.12,3 tollis lintea neglegentiorum, 7 tua furia)·, es wurden mehrere Dinge gestohlen, und zu dem spanischen, in kürzester Form mit nur zwei Worten genannten Tuch scheint keine gefühlsmäßige Beziehung mehr für Catull zu bestehen (vgl. demgegenüber c.l2,12ff. quod me non mouet aestimatione, uerum est mnemosynum mei sodalis/... amem necesse est ut Veraniolum meum et FaMARTIN (1992) S.132 "[...] Thallus' offense is the greater, since he attempts to surround the stolen items with false associations of his own devising by passing them off as family heirlooms", die jedoch alle den expliziten Bezug durch das sudarium Saetabum nicht beachten und auswerten, auf den z.B. WISEMAN (1969) S.12 Anm.2 hinweist, der nun aber die 'Verschärfung' nicht einbezieht. Genau umgekehrt sieht STOESSL (1977) S.137 das zeitliche Verhältnis der beiden Gedichte (also c.25 vor c.12), kann dies jedoch nicht überzeugend begründen (zu seinen Datierungen siehe auch u. S .280).

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bullum); es scheint im Gegenteil seinen ideellen und damit eigentlichen Wert als Freundesgabe verloren zu haben und nur mehr als kostbare Importware von materiellem Interesse wie seine anderen, z.B. aus Bithynien stammenden Kleidungsstücke. Und der Dieb ist nicht mehr der Bruder eines Freundes und damit ein Mitglied aus Catulls Kreisen, sondern offenbar ein wirklicher Gauner oder steht zumindest sozial unter Catull, trägt er schließlich einen im Sklaven- und Freigelassenen-Milieu üblichen Namen, 622 und er muß wirkliche und schmerzhafte Konsequenzen befürchten. Der Diebstahl ist somit nicht mehr nur Aufhänger für einen netten Freundespreis wie noch in C.12, sondern das eigentliche Thema, so daß ausschließlich das Negative im Vordergrund steht.

Auch für das Colonia-Gedicht (c.17) scheint es mit dem /?/iase//i¿s-Gedicht (c.4) eine direkte Parallele im 'Lesbia'-/Ae/Zm zu geben:623

5

io

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25

O colonia, quae cupis ponte ludere longo et salire paratum habes, sed uereris inepta crura ponticuli axulis stantis in rediuiuis, ne supinus eat cauaque in palude recumbat; sie tibi bonus ex tua pons libidine fiat, in quo uel Salisubsili sacra suscipiantur, munus hoc mihi maximi da, colonia, risus: quendam municipem meum de tuo uolo ponte ire praecipitem in lutum per caputque pedesque, uerum totìus ut lacus putidaeque paludis liuidissima maximeque est profunda uorago. insulsissimus est homo, nec sapit pueri instar bimuli tremula patris dormientis in ulna, cui cum sit uiridissimo nuptaflorepuella (et puella tenellulo delicatior haedo, adseruanda nigerrimis diligentius uuis), ludere hanc sinit, ut lubet, nec pili facit uni nec se subleuat ex sua parte; sed uelut alnus in fossa Liguri iacet suppemata securi, tantundem omnia sentiens quam si nulla sit usquam, talis iste meus stupor nil uidet, nihil audit, ipse qui sit, utrum sit an non sit, id quoque nescit. nunc eum uolo de tuo ponte mittere pronum, sipote stolidum repente excitare uetemum et supinum animum in graui derelinquere caeno, ferream ut soleam tenaci in uoragine mula. (c.17)

Doch das zunächst wie c.4 freundlich, nett, als weitere Beschreibung wirkende Gedicht, in dem die behandelte Sache ebenfalls personifiziert er622 623

Vgl. z.B. SYNDIKUS (1984) S.167 mit Hinweis auf Apul.apol.43,5f. und Inschriften. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß z.B. bereits QUINN (1959) S.89f. beide Gedichte 4 und 17 gemeinsam als Beispiele in seinem Kapitel "The beginnings of modern lyric" nennt, WALSH (1985) S.317 Anm.7 in seiner Besprechung von c.17 ebenfalls auf c.4 verweist und auch NEWMAN (1990) S.172 beide wegen der Personifikation zusammenstellt.

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scheint, jetzt sogar selbst angeredet ist, entpuppt sich im weiteren Verlauf als - im Vergleich zum Ton der Aurelius- und Furius-Gedichte allerdings gemäßigte - Verhöhnung und Verwünschung eines in Liebesdingen reichlich unbedarften, lethargischen, von seiner Frau offenbar sogar nach Belieben betrogenen Landsmannes (vgl. V.17 ut lubet). Die scheinbar beschauliche Beschreibung von Stadt, Brücke und lokalen Traditionen des Anfangs ist also gar nicht das Thema selbst und wie in c.4 der eigentliche Zweck, sondern wird letztlich nur z.T., nämlich mit der Brücke, als Mittel zur Bestrafung des Kritisierten ausgenutzt, um die Catull die Colonia als munus maximi risus bittet (V.7). Im 'Aurelius- und Furius'-libellus gibt es somit im Gegensatz zum 'Lesbia'-libellus keine harmlose Beschreibung als Selbstzweck mehr. Catulls eigentliches Interesse scheint - wie auch im Fall von c.12/25 - nur mehr der Kritisierung und Verspottung anderer zu gelten.624 Bei dieser Interpretation von c.17 als Pendant zu c.4 erklärt sich auch dessen eigenartige Struktur sowie der Gedichtanfang, der mit der Hauptaussage V.7ff. nichts zu tun zu haben scheint und der Forschung immer wieder Probleme bereitet hat, wie z.B. RUDD bezeugt:625 "A student beginning the piece assumes that he is to hear about a country town. By the time he has reached line five he realizes that the town's bridge is going to be just as important as the town itself. He is now more than a quarter of the way through the poem, [...], when it gradually dawns on him that Catullus is talking about something totally different, namely a lethargic gentleman of Verona [...] why do we have to be told so much about the unsteady condition of the bridge? [...] And why are we expected to take an interest in the town's enthusiasm for festive games, square dancing and other high jinks? These questions cannot be answered by the convenient phrase 'local color'."

Natürlich hat bereits RUDD selbst versucht, diese Fragen zu beantworten, und nicht nur die Struktur genau beschrieben und durch Gegenüberstellung der Formulierungen beider Teile V.l-6 über die Kolonie und V.7ff. über den Toren den einheitlichen Ton des Gedichts herausgearbeitet. Zusätzlich fand er eine seiner Ansicht nach dadurch markierte, weit tiefergehende inhaltliche Verbindung zwischen der spielwilligen Colonia mit ihrem unzulänglichen, da einsturzgefährdeten pons und dem "lazy husband" mit seiner jungen Frau, was die nachfolgende Forschung - am ausführlichsten 624

625

Zur Beurteilung von c.17 vgl. z.B. SYNDIKUS (1984) S.151 "Aber auch wenn der Sturz heilsam sein soll, so ganz reines Wohlwollen zeigt Catull für seinen Landsmann nicht. [...] Catulls Feder führt nicht so sehr das Mitgefühl mit dem Armen, sondern Sinn für Komik und das Lachen über einen in seinen Augen allzu stumpfen Menschen"; ARKINS (1982) S.6 spricht gar von "a vigorous attack on a neglectful husband". Eine ausführliche Zusammenstellung und Besprechung vor allem von älteren Forschungspositionen beginnend mit DOERING (1820) gibt unlängst FEDELI (1991) S.707ff., doch ohne Berücksichtigung von WALSH und SYNDIKUS. R U D D (1959) S.239/167. Ähnlich auch noch z.B. SYNDIKUS (1984) S.148 "Das ist fürwahr ein seltsamer Gedichtbeginn! Man versteht zunächst weder den Zusammenhang des Sturzes des Veronesers von der Brücke mit den guten Wünschen für diese Brücke [...]".

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WALSH - bestätigt hat:626 "The description of the community's sportive behaviour on the rickety structure amusingly prefigures the roles of wife (signified by the colonia) and husband (signified by the bridge) in a marriage in danger of imminent collapse". In der Tat besticht dieser Bezug zwischen den beiden Teilen von c.17 auf Anhieb durch die scheinbar einfache und überzeugende Gleichsetzung (vgl. auch besonders V.l quae cupis... ludere über die Kolonie und V.17 ebenfalls ludere über die puella). Blickt man jedoch genauer auf den Wortlaut des Gedichts, geht RUDDs und WALSHs Deutung keineswegs so glatt auf,627 ja Catull selbst scheint es gerade vermieden zu haben, inhaltliche Bezüge solcher Art herzustellen. Zum einen ist nämlich bei der unterstellten Parallelisierung der Perspektivwechsel zwischen den beiden Teilen V.l-6 und 7-26 verwirrend und eigenartig: Während im ersten Teil die direkt angeredete Colonia im Vordergrund steht und offensichtlich etwas von ihrer Brücke will, auf diese zur Verwirklichung der geplanten Festivitäten direkt angewiesen ist und folglich mit deren gegenwärtigem Zustand nicht zufrieden sein kann, ist die Ehefrau im zweiten Teil ganz zurückgedrängt und erst spät und auch nur V.14-17 erwähnt - in den meisten Versen beschäftigt sich Catull ausschließlich mit dem Ehemann. Und anders als bei der Colonia ist es noch keinesfalls sicher, ob die Ehefrau selbst etwas von ihrem Mann will; dargestellt ist schließlich nicht die entsprechende Klage einer Frau über ihren lethargischen, zu passiven Mann. Die Formulierung (V.17) läßt es vielmehr so erscheinen, als ob diese ganz zufrieden und nach Belieben mit ihrer Freiheit umgeht, als ob sie also bereits unabhängig vom Ehemann erreicht hätte, was für die Colonia in Abhängigkeit von ihrer schwachen Brücke erst nur zweifelhafter Wunsch sein konnte, so daß für die junge Frau im Gegensatz zur Kolonie und deren Situation eine Stärkung, Erweckung des Mannes gar nicht nötig wäre (vgl. folglich erneut V.l Colonia, quae cupis ... ludere und V.17 ludere hanc sinit, ut lubet über die puella).62* Ob die Ehe tatsächlich brüchig und in Gefahr ist, wie WALSH voraussetzt, ist von Catull nirgends erwähnt. Beide Teile sind somit nicht explizit über die Colonia bzw. puella miteinander verbunden, was doch eigentlich zu erwarten wäre, wenn sich beide wirklich in einer vergleichbaren, vom Leser als solche zu empfinden-

626

627

628

WALSH (1985) S.315f.; vgl. ferner z.B. RUTTER (1967) S.269, KHAN (1969) S.88, SEAGRAVES (1979) S.209. Während letzterer zu Recht KHANs Annahme der Homosexualität des Mannes als Grund für dessen Passivität ablehnt, geht er aber auch selbst mit seiner Erklärung für diese zu weit, wenn er einen Kontrast zwischen der "activity of the oversexed wife and the utter inactivity of the burnt-out husband" feststellt (S.210) und diesen als "defututus, i.e. exhausted from the Marathon sexual activity required by his voracious wife" bezeichnet (S.213). Auch schon die RUDD kennenden, zitierenden SYNDIKUS und FEDELI haben dessen Lösung im übrigen nicht weiterverfolgt. Vgl. schon RUDD selbst (1959) S.241: "The young wife 'amuses herself with the local lads, laughing, dancing, drinking and kissing, in fact doing all the things that Colonia wants to do."

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den Lage befänden. Es wird z.B. nicht für die arme Ehefrau an das Verständnis der V.7 angeredeten Kolonie appelliert, so daß diese, etwa um zu helfen, den Brückensturz veranlassen sollte - die Bitte betrifft der Formulierung nach eindeutig nur Catull (munus hoc mihi maximi da, Colonia, risus). Zum anderen ist die angenommene Parallelität auch bei der einfachen Gleichsetzung von Ehemann und Brücke trotz deren Beschreibung mit an ein Lebewesen erinnernden inepta crura629 von Catull nicht wirklich herausgearbeitet. Gerade die Tatsache, daß er für den kraftlosen municeps (sogar zwei) Vergleiche gibt, ihn aber eben nicht als eheuntauglich - ineptus kehrt nicht wörtlich wieder - mit einem ebenfalls nicht brauchbaren, einsturzgefährdeten Bauwerk, sondern mit einer gefühllosen, gefällten, d.h. bereits gestürzten Erle und mit einem schlafenden Kind vergleicht und damit ganz andere und nicht zu den inepta crura der zu schwachen Brücke der Eingangsverse passende Bezüge geschaffen hat,630 deutet darauf hin, daß die Verbindung zwischen den beiden Teilen vielleicht doch nicht so eng zu sehen ist und möglicherweise rein äußerlich auf die Erwähnung der Brücke und deren Ausnutzung für den Sturz beschränkt bleibt. Auch der nach V.8ff. abschließend V.23ff. erneut beschriebene und den eigentlichen Inhalt des carmen ausmachende Brückensturz dient Catulls letzter Formulierung nach nur der 'Erweckung' des Stumpfsinnigen und ist nicht direkt auf dessen Ehe bezogen. Gewiß mag sich die Möglichkeit eines sinnvollen Neuanfangs der Beziehung bieten, wenn der Mann seine negativen Eigenschaften verloren hat. Ausgedrückt aber ist dies in c.17 nicht. Zu beachten ist wiederum, daß der Sturz ursprünglich von Catull lediglich als Bestrafung und für ihn, den Dichter selbst, munus maximi risus erbeten ist. Hält man sich an den Wortlaut des Gedichts, bringt Catull V.7ff. nur sein Befremden zum Ausdruck, daß ein Mann, der eine solche Frau hat, die man sorgsamer behüten muß als kostbare Trauben (V.14ff.), derart sorglos mit ihr umgeht, sich vor lauter Stumpfsinn um sie überhaupt nicht kümmert. C.17 zeigt damit lediglich sein Unverständnis über solch gewaltige Torheit als das Gefühl eines Außenstehenden und eben eines Mannes, der in vergleichbarer Lage wahrscheinlich sehr wohl wüßte, wie man sich zu verhalten hat.631 Aber selbst wenn man RUDDs und WALSHs Erklärung des ersten Teiles von c.17 als vorweggenommene "amusing parallel" akzeptiert, ist nach wie vor ungeklärt, wieso Catull die Beschreibung der Colonia derart langwierig 629 630

631

Dazu vgl. R U D D (1959) S.239f., WALSH (1985) S.315f. Vgl. also als gegensätzlich gegen RUDD (1959) S.240 bei der Brücke die Gefahr des Zusammenbrechens (V.4 supinus... recumbat) und beim Mann den Bezug zu bereits Liegendem (V.18ff. nec se subleuat... iacet). Direkt unkorrekt ist seine Gleichsetzung des Ehemannes als "silly dolt" und der Brücke als "silly too". Im übrigen erarbeiten R U D D selbst S.238 und entsprechend WALSH (1985) S.318Í. ein Beziehungsgeflecht ansonsten nur innerhalb von V.12-22 bzw. speziell 14-17! Siehe auch u. S.282f. zur Einbeziehung dieses carmen in den Kontext des 'Aurelius- und Furius-'Zyklus/ft'í>e//uí. Ahnlich ist übrigens Catulls Empörung in c.24 über die unmögliche Verschwendung eines so schönen Jünglings wie Juventius ausgerechnet an einen Habenichts (siehe ja schon o. S.97).

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und mit Einzelheiten wie den sacra der Salisubsili ausgestaltet hat, da diese die vorgeschlagene Parallelisierung doch keineswegs vorbereiten. Eine eventuelle erotische Beziehung, wie sie noch im ersten Vers die Wortwahl mit weiblicher Colonia, ludere und einer männlichen und ausgerechnet langen und in diese hineinführenden Brücke angedeutet sein mag632 (vgl. auch die Gegenüberstellung V.l-2 mit dem Wunsch nach Spiel auf dem pons longus, der Beeinträchtigung jedoch durch die tatsächlich nur als ponticulus beschriebene Brücke), ist nicht fortgeführt. Sie wird im Gegenteil durch die folgenden Verse, die die Brücke lediglich als Austragungsort für die angestrebten Festivitäten kennzeichnen, verwischt, so daß der Gedichtanfang einschließlich V.l mit pons longus wirklich nur als harmlose Beschreibung lokaler Probleme und Traditionen wirkt, "festive games, square dances and other high jinks".633 Ein notwendigerweise unbefangener, zwar durch den obszönen Kontext der vorausgehenden Aurelius- und Furius-Gedichte 15 und 16 beeinflußter, hier aber sogar von Erotischem abgelenkter Leser - und zwar durch die konkreten Details zur Konstruktion der Brücke wie die axulae rediuiuae und die deswegen als real ausgemalte Einsturzgefahr mit der unverfänglichen Beschreibung des vierten Verses (auch WALSH sieht in V.6 "a sacral flavour")634 anstelle den vorangegangenen Obszönitäten vergleichbarer Derbheiten - kann folglich erst ganz am Ende, erst nach der Lektüre auch des zweiten Teiles und von diesem ausgehend versuchen, die von RLJDD gefundene Beziehung nachzuvollziehen. Er wird zu Beginn des Gedichts weiterhin zunächst wie dieser stutzen635 und den Übergang V.7 als reichlich plötzlich, die folgende, die Colonia unbeachtet lassende Konzentration auf ein ganz anderes Thema, den homo insulsissimus, wie einen Bruch empfinden müssen - die für die Gleichsetzung notwendige puella/Ehefrau ist schließlich erst im 14. Vers erwähnt.

632

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635

Vgl. hierzu vor allem WALSH (1985) S.317f. Auch die Lage der Brücke im Verhältnis zur Kolonie und damit das unterstellte, zweideutige Hineinführen ist freilich im Gedicht nicht markiert. Wie sollte ein zunächst einmal doch von der Grundbedeutung des Wortes salire ausgehender, durch seine Kenntnis z.B. der gängigen Saliertänze vorgeprägter römischer Leser auch erkennen, daß er in dem von Catull beschriebenen Zusammenhang eines Provinzfestes für den Tanzwunsch der Colonia an die von WALSH zugrundegelegte, in landwirtschaftlicher Fachliteratur vorkommende Spezialbedeutung 'bespringen', 'begatten' denken sollte, die ohnehin den in c.17 nicht vorliegenden transitiven bzw. im Fall der weiblichen Kolonie passivischen Gebrauch des Verbums erwarten läßt? Für CENERINI (1989) S.51 z.B. ist longus V.l sogar "un preciso referente topografico" und damit durch die Realität vorgegeben, nicht von Catull der Zweideutigkeit wegen beliebig gewählt worden. WALSH (1985) S.318; vgl. ferner z.B. CENERINIs kultische Bezüge beachtende Besprechung des Anfangs (1989, S.43ff.). Siehe o. S.188.

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Auch die bereits im letzten Jahrhundert übliche636 und noch in den neueren Publikationen wiederkehrende,637 zu Recht aber schon von RUDD nicht mehr berücksichtigte, z.B. von WALSH ausdrücklich abgelehnte Deutung638 unter Bezug auf den bekannten Brauch 'sexagenarii de ponte' kann hier nicht weiterhelfen. Wenn etwa QUINN und RANKIN einen Bezug zwischen kultischen Festen in Verbindung mit Brücken, speziell dem Fest der Argei in Rom, üblichen Brückenstürzen mit menschlichen Opfern und eben speziell dem Brauch, Männer über 60 von Brücken in Flüsse zu werfen, wie er z.B. aus Cic.S.Rosc.100 hervorgeht, oder dem ersatzweisen Herabwerfen von "straw figures" und dem von der Brücke der Colonia in den Dreck fallenden, entsprechend gefühllosen municeps quidam des c.17 als Anwendung eines "cluster of known customs" herstellen wollen,639 gewinnt der Gedichtanfang zwar eine wesentliche Funktion. Ein solcher Zusammenhang mag auch wahrscheinlich und in einem derartigen Gedicht vorstellbar und ursprünglich zugrundeliegend sein, doch ist er von Catull selbst wiederum nirgends explizit hergestellt oder auch nur angedeutet. Es geht bei ihm eingangs weder um ein Weihefest für eine neue Brücke oder eine andere kultische Begehung (die Stadt denkt nach V.lf. an ein Tanzfest, die uel Salisubsili sacra V.6 sind rein hypothetisch und dienen nur als Beispiel für wohl größtmögliche Belastung), noch ist in seinem eine Provinz-Kolonie betreffenden carmen das für eine solche Argumentation benötigte Fest der Argei erwähnt und als stadtrömisches, nach WALSH überdies auf den pons sublicius beschränktes Fest640 auch kaum zugrunde zu legen, noch muß es sich bei dem kopfüber herabgestürzten um einen "certain elderly man" handeln, wie RANKIN zu Beginn seines Aufsatzes und zumeist auch die sonstige Forschung einfach behauptend voraussetzt641 (vgl. ebenfalls WALSH gegen einen solchen Zugang "with a preconceived image of the husband as an elderly [sexagenarian] dolt")642. Gegen das hohe Alter des nur als municeps quidam beschriebenen (V.8) spricht jedoch nicht nur das Fehlen eines jeden Textbelegs in c.17 (stolidum ... ueternum V.24 meint ausschließlich die Lethargie). Auch die später noch anzustellende Betrachtung der Bezüge zwischen c.17 und 636

637

638 639 640 641

642

Zu c.17 als Angebot eines "alten Veronesers als Argeen Opfer" vgl. z.B. schon WESTPHAL (21870) S .7. Vgl. z.B. CARRATELLO (1983) S.32ff. mit ausführlicher Materialsammlung, (1992) S.186, CENERINI (1989) S.42 oder FEDELI (1991) S.709ff„ 716 mit Diskussion der Zeugnisse und einer leicht modifizierten Deutung (siehe u. Anm.646). WALSH (1985) S.315. RANKIN (1968) S.418ff. (das Zitat S.419). WALSH (1985) S.315. Vgl. z.B. den älteren Beitrag von Th. BIRT, Pontifex und sexagenarii de ponte, RhM 75 (1926), S.115-126, dort S.125f„ oder QUINN (21973) ad loc., SKINNER (1981) S.51. Korrekter spricht dagegen jetzt auch CARRATELLO (1992) S.186 von "Il lancio dal ponte di un giovane, affetto da senile torpidezza", vgl. ferner FEDELI (1990) S.109ff. Auch einen Vergleich eines stumpfsinnigen Jünglings mit der Sturheit eines Alten enthält c.17 allerdings nicht. NEWMAN (1990) S.311 argumentiert mit der Parallelität von Brücke und Ehemann, "we may perhaps draw our own conclusions about his age". WALSH (1985) S.315f.

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seinen umgebenden Gedichten macht es wahrscheinlicher, daß Catull, Aurelius, Furius und talis iste meus stupor (V.21) alle zu derselben, noch jugendlichen Altersgruppe gehören.643 Zuzustimmen ist QUINN ebenso wie in neuerer Zeit unter Berufung auf diesen SYNDIKUS und unlängst FEDELI lediglich in ihrer Erklärung des Überganges V.5-8,644 die z.B. SYNDIKUS aus der "strengen", "so klar betonten Parallelität" zwischen V.4 über den befürchteten Sturz der Bürgerschaft und V.9-11 über den eines Landsmannes und der Formulierung der fraglichen Verse 5-7 als übliche Wunschformel mit gleichzeitiger Zusicherung einer Gegenleistung gewinnt.645 Nach SYNDIKUS könne dies nur bedeuten, daß Catulls Landsmann als "Sündenbock", als "Opfer stellvertretend für alle anderen in den Morast geworfen werden solle"; zusammenfassend erkennt er als den "Witz des Gedichts" das Angebot eines "die Lust und die Freude des Festes" sicherstellenden, für das Opfer überdies "äußerst heilsamen" Ersatzes anstelle des "von der Bevölkerung befürchteten allgemeinen Sturzes von der Brücke".646 Ausdrücklich ist aber auch dies von Catull nicht formuliert, der municeps ist weder als Stellvertreter noch als Opfer bezeichnet, ja soll den letzten Versen nach anders als die evtl. fallenden Bürger sogar profitieren und ist damit eben nicht ein typisches Opfer und Sündenbock. Und zu beachten ist, daß das Fest und die Colonia im Gedicht eben nicht die Hauptrolle spielen, sich nicht etwa der Umfang der beiden Teile umgekehrt zueinander verhält oder Catull am Ende auf den Anfang V.l-6 und das Interesse der Colonia an dem Sturz eines Stellvertreters zurückgekommen ist. Das Brücken-Problem der Colonia spielt im Gegenteil im zweiten Teil des carmen überhaupt keine Rolle mehr und kehrt auch trotz der ringkompositionsartigen, von SYNDIKUS eigens hervorgehobenen Wiederholung des Brückensturzes V.8ff. - V.23ff. nicht wieder. V.23 findet sich lediglich de tuo ponte wie V.8, nicht aber auch ein Rückgriff auf die 'Vereinbarung', durch den einen Sturz alle anderen auszulösen. Durch die neue Formulierung V.23 nunc eum uolo... mittere pronum statt V.7f. munus hoc mihi... da... uolo... ire praecipitem, die SYNDIKUS korrekt als "Wunsch nach Steigerung" sieht ("der Dichter will nun selbst mit Hand anlegen"), geht vielmehr diese auf gegenseitiger Leistung beruhende 'Verabredung' von V.7ff. sogar verloren; die Bedeutung des Anfangs mit dem Interesse der Colonia ist ganz zurückgedrängt. Von V.8 an bis zum Gedichtende steht in Wirklichkeit in 19 Versen ausschließlich der homo insulsissimus (V.12) und Catulls eigenes Interesse 643 644 645 646

Siehe u. S.282f. QUINN (1969) S.19ff./113ff. SYNDIKUS (1984) S.148f. mit Anm.5; vgl. auch WALSH (1985) S.317f. SYNDIKUS (1984) S.149, 151. Ähnlich auch mehrfach FEDELI (1990) S.109ff., (1991) S.715ff., der aber anders und unkorrekterweise direkt einen Neubau voraussetzt, zu dessen Weihung der ein Opfer anbietende Catull gleichsam eine sakrale Funktion übernimmt (S.722 "il poeta assume il ruolo di sacrificante"), nicht lediglich das Erstarken und Standhalten der bestehenden Brücke; vgl. dazu die kritische Bemerkung CARRATELLOs (1992) S.187.

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am Sturz des Mannes im Vordergrund, so daß das carmen insgesamt nicht auf die für beide Seiten wünschenswerte Abmachung Catulls mit der Kolonie als Hauptsache ausgerichtet erscheint.647 Die von SYNDIKUS oder auch FEDELI gegebenen Deutungen können demnach (ebenso wie z.B. auch die Betonung der Zusammengehörigkeit über ineptiae bzw. risus durch NEWMAN)648 lediglich gut den in Catulls Formulierung angelegten Übergang zwischen den beiden Teilen von c.17 nachvollziehen - und einen solchen muß es schließlich geben -, sie können aber immer noch nicht wirklich plausibel machen, warum Catull das Gedicht trotz Ringkomposition in der vorliegenden Weise mit seiner deutlichen Zweiteilung und ohne am Ende auf die Belange der Colonia zurückzukehren, d.h. ohne so ein geschlossenes Ganzes zu schaffen, angelegt hat. Trotz aller Überlegungen bleiben Anfang und Struktur des Gedichts und deren Eindruck auf den Leser letztlich in der von RUDD beschriebenen Weise problematisch, wie es schön ja schon die Verschiedenartigkeit der einander nicht notwendig gänzlich ausschließenden Erklärungsversuche verdeutlicht, die zu zwei unterschiedlich akzentuierenden Gesamtaussagen für c.17 und den Grund für seine erheiternde Wirkung führen. Aus der einfachen Lektüre gewinnt man nach wie vor den Eindruck, als ob Catull mit viel Sympathie (vgl. hierzu z.B. den Deminutiv V.2) rein lokale Gegebenheiten beschreibt, der Stadt mit V.5f. alles Gute wünscht und - assoziativ an die Erwähnung der Brücke anschließend und durchaus in der etwa von SYNDIKUS und NEWMAN beschriebenen Weise - gleich die gute Gelegenheit nützt, seinerseits einen kleinen, zur ausgelassenen Stimmung passenden Dienst, munus maximi risus (V.7), für sich selbst zu erbitten, den Sturz eines Landsmannes von der Brücke, dessen Beschreibung dann den längeren zweiten Teil des Gedichts einnimmt und mit dem heiteren Bild der tanzenden Colonia am Anfang nichts mehr zu tun hat und auch gar nichts mehr zu tun zu haben braucht: Sieht man nämlich nun zusätzlich zu den gewiß mit zugrunde zu legenden, aber m.E. noch nicht ausreichenden Deutungen der Forschung (seien es RUDD/WALSH, seien es SYNDIKUS/FEDEU) c.17 mit der altersschwachen Brücke649 in bezug auf c.4 mit dem ebenfalls gealterten phasellus, wird der soeben geschilderte, offensichtliche Ablauf des 17. Gedichts mit seinem plötzlichen, lediglich assoziativ wirkenden Umschwung verständlich und erfordert zur Erklärung keine aufwendigere Bezugsuche innerhalb der beiden Teile V.lff. und V.7ff.: Ein ausschließlich beschreibender Anfang mit loka647

648 649

Gegen die Überbetonung der Opferdeutung (FEDELI) vgl. auch CARRATELLO (1992) S.187Í.: "Riesce chiaro, infatti, dai w.23-26 che il poeta non vuole rendere stabile il ponte con il lancio del torpido marito." NEWMAN (1990) S.173f. Entweder ist die Brücke, axulis stans in rediuiuis (V.3), bereits aus Altersgründen, aber nicht ausreichend saniert, oder sie ist von vornherein nur mit unzulänglichen Gebrauchtteilen konstruiert, so daß deren Verwendung dann ebenfalls ein Altersproblem darstellen muß. Zu rediuiuus vgl. z.B. FEDELIs Parallelen (1991) S.716f.

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lem Kolorit und der Anrede an die Stadt, wie ihn die ersten sechs Verse bieten, war in diesem Gedicht des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus nötig, um es zunächst dem ebenfalls in netter Weise schildernden c.4 vergleichbar erscheinen zu lassen, ist also in erster Linie durch äußere Bezüge zu erklären, nicht jedoch unbedingt nur aus dem Gedicht selbst zu verstehen. Und der vorgestellte Landsmann und sein Verhalten brauchen keineswegs real zu sein, sondern können sehr wohl als dem oben angenommenen Zweck - der Umwidmung einer beschaulichen Beschreibung in ein Zeitgenossen kritisierendes Gedicht - dienende Fiktion von Catull vorgeführt sein.650 Erneut an eine namentlich bezeichnete und nun im Vergleich zu den in c.25 und 17 vorkommenden Gestalten wohl nicht fiktive Person, nämlich den Furius der c.16, 23 und 24, ist das 26. Gedicht gerichtet, das das Motiv der Armut aus c.23 und 24 weiterzuführen scheint, aber auffälligerweise aus dem Tenor der sonstigen Aurelius- und Furius-Gedichte herausfällt:

5

Furi, uillula nostra non ad Austri flatus apposita est neque ad Fauoni nec saeui Boreae autApheliotae, uerum ad milia quindecim et ducentos. o uentum horribilem atque pestìlentem! (c.26)

Dieses kleine carmen präsentiert sich ohne massiv überlagernde und damit bestimmende Obszönitäten, und so wird ein feiner Bezug auf das harmlos-nette c.13 des 'Lesbia'-Zyklus/libellus ermöglicht.651 Doch läßt sich c.26 ebenfalls als eine Verschärfung gegenüber dem ersten Zyklus deuten: Die Parallele besteht jetzt in der Mittellosigkeit Catulls, die Verschärfung in deren Auswirkung auf seine Freunde und Umgebung. Denn während der in c.13 von dem mittellosen Catull eingeladene Fabullus letztlich doch etwas und ja offensichtlich viel Kostbareres, als was er selbst bringen mußte, bekommen sollte, wird der nach c.23 und 24 in schweren Geldproblemen stekkende Furius, der Catull nach c.23,26f. schon früher und offenbar sogar mehrfach um ein Darlehen angegangen ist (sestertia quae soles precari ...), im 650

651

Die Annahme, daß c.17 nur bei Zugrundelegung einer realen Gestalt verständlich und folglich nur für einen ganz bestimmten, diese erkennenden Rezipientenkreis geschrieben wurde, wie es noch die ältere Forschung annahm (vgl. z.B. WHEELER [1934] S.25f.), ist inzwischen mit Recht aufgegeben (vgl. z.B. QUINN [1959] S.89, KHAN [1969] S.89), auch wenn die Gedichte des 'Aurelius- und Furius-' Zyklus m.E. tatsächlich primär für wenige, spezielle Leser gedacht waren (siehe u. S.277f.). Auch eine Notwendigkeit, die Colonia als bestimmte oberitalische Stadt zu identifizieren (vgl. dazu in letzter Zeit CARRATELLO [1983] S.29ff., CENERINI [1989] S.41ff. mit ausführlichen Literaturhinweisen), besteht bei Annahme einer reinen Fiktion nicht mehr. Auf die ähnliche Grundsituation von c.13 und 26 weisen schließlich in der Regel auch die Kommentare hin. FORSYTH (1985) S.572 Anm.4 sieht dagegen die Wiederaufnahme des "empty purse"-Themas von c.13 in c.23, aber dort handelt es sich ja nicht mehr um Catull selbst wie in c.13 und m.E. wegen uillula nostra auch in c.26.

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26. Gedicht kurz und knapp durch den Hinweis auf die eigenen Geldprobleme Catulls abgespeist, die im Vergleich zu dem in c.13 lediglich leeren Geldbeutel und damit einem nur momentanen Liquiditätsengpaß nun weit gesteigert beschrieben sind: Catull hat Schulden, Hypotheken auf seinem ohnehin vielleicht nur kleinen Haus (V.l uillula), die, auch wenn die Summe mit nur 15200 Sesterzen in der Realität wohl nicht sehr groß ist,652 seiner Darstellung nach an die drückende Kraft von Stürmen erinnern. Ein derartiger Wind kann das Haus freilich in Wirklichkeit nicht ernsthaft gefährden, so daß horribilis und pestilens kaum wörtlich gemeint sind und Catull selbst nicht von echten und großen finanziellen Problemen bedrängt ist. Ein versöhnlicher Ausgang, wie ihn bei c.13 die Verse 9ff. - deutlich mit sed contra accipies hervorgehoben - einleiten, fehlt in diesem Gedicht aber. Von Catull hat Furius also, der bezeichnenderweise nun selbst - nicht etwa irgendein anderer Freund Catulls - der Adressat ist, im Gegensatz zu Fabull überhaupt nichts zu erwarten. Gegen KROLL z.B. ist m.E. der Bezug auf die finanzielle Not des Furius angesichts der unmittelbar vorausgehenden, von der Forschung zumindest im selben Zyklus, hier sogar in einer gemeinsamen 'Aurelius- und Furius'-Publikation angenommenen c.23 und 24 evident.653 Warum hätte Catull auch sonst in einem derartigen, an dieser Stelle im Zyklus plazierten Gedicht ausgerechnet den von seinen Lesern mühelos als den mit c.23 und 24 in Beziehung zu bringenden, abgebrannten Furius zum Adressaten machen sollen? Wie im Fall von c.17 kann die vorgetragene Deutung auch hier ein in der Forschung nach wie vor umstrittenes und noch in den drei neuesten textkritischen Ausgaben uneinheitlich gelöstes Problem zu klären helfen. Denn der unterstellte Bezug auf c.13 bestätigt die für V.l oft abgelehnte Lesart uillula nostra der Handschriften G und R (so z.B. bei BARDON und DELLA CORTE) statt des im Oxoniensis überlieferten, zumeist vorgezogenen uestra bzw. uostra (so z.B. bei MYNORS, LENCHANTIN DE GUBERNATIS, EISENHUT und GOOLD oder in den beiden letzten ausführlicheren Besprechungen des Gedichts von SYNDIKUS und TROMARAS).654 Die vor652

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Hierzu vgl. etwa die Beispiele für den Gegenwert derartiger Summen bei TROMARAS (1984) S.74 und SYNDIKUS (1984) S.171 wie Cic.Cael.17 oder in Catulls c.41,2 und 103,1. Von den wohl durch die Nennung von 'Tausendern' geblendeten Interpreten wird dies allerdings vielfach übersehen; unkorrekt ist also z.B. das Urteil von RICHARDSON (1963) S.97 "rather a lot", HOLLAR (1972) S.107 "facing or exposed not to all the winds, but a large sum of money" und das zu allgemeine von OFFERMANN (1978) S.43 "Der Leser aber weiß, was es mit diesem Wind auf sich hat, kennt er doch die früheren, ausführlicheren und von sich aus ohne weiteres verständlichen Gedichte". So ja auch schon WESTPHAL (21870) S.208 und RIESE (1884) S.52 oder z.B. HOLLAR (1972) S.107, STOESSL (1977) S.51, STROH (1990) S.138. Zu weit geht TANNER (1986) S.2639 "26 is designed to divert the latter's [Furius] mind from pederasty to worry over his debts". SYNDIKUS (1984) S . l l Amn.5, S.170ff., TROMARAS (1984) S.72ff. mit älterer Literatur in Anm.l und einem Meinungsbild in Anm.21 S.75: für uestra sind demnach FRIED-

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liegende Verteilung der Lesarten auf die Handschriften ist leider derart unglücklich, daß sich die b e i d e n gleichwertigen Überlieferungsstränge gegenüberstehen und auf textkritischem W e g e keine einfache Entscheidung zu finden ist. 655 A u c h der sonstige Wortlaut des Gedichts hilft nicht recht weiter, da dieses mit s e i n e n nur fünf Versen, v o n d e n e n fast drei o h n e h i n nur die v e r s c h i e d e n e n W i n d e aufzählen, reichlich kurz geraten ist, kaum genügend Kontext für e i n e unabhängige Interpretation bietet und zielstrebig auf die V . 4 g e g e b e n e Pointe hinausläuft, für die es ja gerade wesentlich ist, o b Catull v o n seiner e i g e n e n uillula oder der des Furius spricht. W i e z.B. auch S Y N D I K U S einleitend anmerkt, hängt das Verständnis des Gedichts in der Tat a n d e m e i n e n umstrittenen Wort. E i n e eindeutige Entscheidungshilfe scheint sich jedoch aus d e n anderen Gedichten, d e n b e i n a h e unmittelbar vorausgehenden c.23 und 24 des Zyklus gewinnen zu lassen, da dort schließlich ebenfalls Furius angeredet und weg e n seiner finanziellen Verhältnisse verspottet wird. Entsprechend, allerdings als gemäßigteren Spott, pflegt m a n nun auch c.26 zu deuten. D a ß v o n

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RICH, JACHMANN, WHEELER, GREEN, SCHUSTER, WEINREICH, HERRMANN, OKSALA, QUINN, THOMSON; vgl. ferner z.B. HOLLAR (1972) S.107, Ε Λ . SCHMIDT (1973) S.220, OFFERMANN (1978) S.43, SKINNER (1981) S.65 Anm.13; für nostra ELLIS, RIESE, KROLL, LINKOMIES, RONCONI, RICHARDSON und z.B. HECK (1951) S.46, STOESSL (1977) S.51. TROMARAS' statistische Untersuchung der Verschreibungshäufigkeiten von nostra/uestra mit einem scheinbaren Beleg für uestra (Fehlerquote bei nostra 5,2%, bei uestra 57,1%) sind nicht unbedingt relevant; z.B. ist für c.42,4 m.E. noch gar nicht sicher, ob gegen alle Haupthandschriften nostra korrekt ist (umgekehrt ist c.29,13 auch das überlieferte nostra vertretbar und z.B. von KROLL, DELLA CORTE und BARDON im Text gehalten), so daß die Prozentzahlen kein absolutes Maß darstellen und z.B. der Wert für nostra evtl. sogar noch geringer wäre. Trotzdem ist aber auch der Fall mit der geringeren statistischen Wahrscheinlichkeit in den Catull-Handschriften eingetreten (und c.26,1 vielleicht durch die vorhergehenden, inhaltlich scheinbar ähnlichen Furius-Gedichte begünstigt; dazu und auch zur Frage der lectio difßdlior siehe u. S.204). Verwechslungen derart ähnlicher Wörter können schließlich oftmals auch Einzelfälle wie die falsche Auflösung einer nur gelegentlich schlampig geschriebenen Abkürzung sein und müssen nicht in jedem Fall auf einen bestimmten, fast zwangsläufig wiederkehrenden Fehlertyp zurückzuführen sein. Auffällig ist immerhin für c.26,1, daß exakt dieselbe Verwechslung am Versanfang, an der gleichen Versstelle und in gleicher Konstruktion noch einmal auftritt, dort aber zweifellos nostra korrekt ist (siehe u. Anm.696 zu c.58,1). Zu beachten ist im übrigen auch, daß c.26,1 nicht wie z.B. im Fall von c.29,13, 42,4 oder 61,209 gegen die einhellige Überlieferung konjiziert wird, c.26,1 aber nur zwischen zwei scheinbar gleichberechtigt überlieferten Varianten auszuwählen ist. Es ist für eine Statistik somit auch zwischen den einzelnen Problemstellen zu differenzieren: Der Fehler z.B. von c.29,13 oder 61,209 kann bereits im Archetypus enthalten und lediglich von G, R und O weiter tradiert, der von c.26,1 jedoch evtl. erst bei einer Abschrift des Archetypus in O oder in der gemeinsamen Quelle von G, R entstanden sein. Unabhängig davon, wie die Kodizes sonst zu werten sein mögen - noch nicht einmal darüber scheint (vor allem in älterer Forschung) Einmütigkeit zu bestehen, welcher der beiden Überlieferungszweige der zuverlässigere ist - ist jedoch m.E. in diesem speziellen Fall dem Oxoniensis, der seine Variante uestra auch nur in Abkürzung bezeugt (urä), ohnehin nicht zu sehr zu trauen, da dort der zweite Vers des Gedichts vollständig fehlt und sich der Kodex damit für c.26 keineswegs als verläßlicher Zeuge erweist.

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Catull der Gedichtanfang mit uillula uestra im Plural formuliert sei, passe zudem gut dazu, daß er in c.23 nicht Furius alleine, sondern seine ganze Sippschaft verhöhne.656 Und nicht nur die Schlußpointe des Gedichts, die Belastung der Villa durch Hypotheken statt Naturgewalten, auch die erstaunlich niedrige und seltsam genau bezifferte Summe sei eine "neue Bosheit" und "nur ein konkreteres Mittel als die Schilderung der Hungerleiderei in c.23, um die in Catulls Augen lächerlichen Vermögensverhältnisse des Verspotteten zu charakterisieren. Ein mit einer so geringen Summe schon überschuldetes Haus kann nichts irgendwie Erhebliches gewesen sein."657 Neben der Schuldenlast sieht SYNDIKUS zusätzlich in der Aufzählung der Winde Kritik Catulls an dem bereits durch die Verkleinerungsform "abschätzig" beurteilten Häuslein, denn die Feststellung, daß an diesem "aus keiner Himmelsrichtung ein Lüftchen rühre", nicht einmal der "sonst so geschätzte laue Favonius", sei "zumal im heißen Süden ein zweifelhaftes Lob". Catull lasse also an der Villa "kein gutes Haar".658 Ein wenig anders argumentiert TROMARAS, daß das Gedicht nur sinnvoll sei, wenn Catull den Furius aus überlegener Position anspreche, "ihm zuerst in verzögerter Aufdeckung die naturgeschützte Lage, den Frieden und das Glück des Häuschens ausmalt, um ihm dann in bissigem Umschlag die kleine Hypothekensumme als Katastrophenmeldung vorzuhalten"; die "Anteilnahme Catulls" sei somit "in Spott und Ironie umgeschlagen".659 Beider Argumentationen können jedoch noch nicht wirklich überzeugen und lassen sich zumindest in Zweifel ziehen, z.T. sogar direkt umkehren. So ist gegen SYNDIKUS zum einen einzuwenden, daß von einer Überschuldung im Gedicht nirgends die Rede ist und allein die Tatsache, daß die Summe "absichtlich pfenniggenau"660 angegeben und damit im Vergleich zu c.23 konkretisiert ist, noch keine neue Bosheit bedeuten muß. Da die Summe in Wirklichkeit derart gering ist, würde ihre Angabe bei Bezug auf Furius mit uillula uestra im Gegenteil im Anschluß an c.23 und auch 24 (cui ñeque seruus est neque arca) wie ein Rückzieher wirken: Nach c.26 geht es dem Mann also doch nicht so schlecht (dazu siehe auch unten). Denn daß die 15200 Sesterzen schon den vollen Wert des Häuschens ausmachen, geht

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TROMARAS (1984) S.76f. S.76 Anm.28 (= S.97 Anm.17) muß er jedoch gegen einen einfachen Bezug auf Furius zugeben, daß von Catull wohl nos, noster usw. häufig statt ego usw. verwendet sind, nicht aber auch uos und uester. SYNDIKUS (1984) S.171f. mit Hinweis auf BAEHRENS und FRIEDRICH. SYNDIKUS (1984) S.170f. mit Hinweis auf Äußerungen antiker Autoren über die Lage von Villen und die Bedeutung des Favonius. Vgl. auch schon G. JACHMANN in seiner die tatsächlichen Formulierungen Catulls nicht beachtenden Rezension von KROLLs Kommentar, daß negativ zu sehen sei, "wo kein Windhauch hintrifft" (Gnomon 1 [1925], S.200-214, dort S.208). TROMARAS (1984) S.76. Vgl. auch z.B. QUINN (21973) S.169, bestätigt von SKINNER (1981) S.65 Anitn.13, daß bei einem Bekenntnis von Catulls eigener Armut der Witz geschwächt wäre. Aber wieso? TROMARAS (1984) S.74ff.

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ebenfalls nicht aus dem Text hervor661 - Catull macht sich nur über die geringfügige Höhe der Schulden lustig, nicht jedoch darüber, daß jemand einen nur so geringwertigen Besitz hat. Wäre letzteres der Fall, wäre ausgerechnet die Pointe V.4f. mit dem abschließenden Ausruf o uentum horribilem atque pestilentem zerstört. Der Witz liegt schließlich u.a. darin, daß die Schuldenlast der wirklich bedrohlichen Kraft der Naturgewalten aus V.l-3 gegenübergestellt wird, wegen ihrer erstaunlich geringen und genauestens bezifferten Summe aber lächerlich wirkt und damit gerade keinen uentus horribilis atque pestilens darstellen kann, während für denjenigen, der für die ca. 15000 Sesterzen bereits sein gesamtes Hab und Gut verpfändet hätte, selbst der Verlust einer so geringen Summe existenzbedrohlich und in der Tat den Gefahren durch die genannten Stürme ähnlich wäre. Anstelle des durch die überraschende Wendung V.4 mit dem nicht nennenswerten Betrag hergestellten Witzes wäre in dem Fall ein realer und gar nicht mehr komischer Vergleich getreten. Worin sollte aber dann noch der Reiz des Gedichts liegen? Daß für Catull "Armut als solche ein Schimpf' ist, also nicht nur Mittel, um andere anzugreifen und zu verspotten, sondern das eigentlich Tadelnswerte, wie SYNDIKUS sogar in seiner Einleitung als einen Charakterzug Catulls herausstellt und ihn deshalb von der "Geschichtstradition" oder den späteren Werten der augusteischen Zeit absetzt, ist eine praktisch nur aus den Gedichten des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus gewonnene, ohnehin problematische Ansicht und oben bereits zurückgewiesen.662 Darüber hinaus muß auch uillula nicht abschätzig gemeint sein, nur auf eine ganz enge Hütte hindeuten und so den Leser von vornherein auf Negatives einstimmen. Die fragliche uillula mag zwar tatsächlich klein gewesen sein, ein Deminutiv zumal in der Dichtung - wirkt jedoch zunächst eher wie eine liebevolle Verniedlichung, was auch die Fortsetzung mit den V.l-3 geschilderten Vorzügen nahelegt. Denn mit der Schilderung ihrer windstillen Lage folgt m.E. zunächst tatsächlich eine die Villa in besonderem Maße attraktiv machende Eigenschaft - und dies ist der andere, wesentliche Einwand gegen SYNDIKUS' Interpretation. Er hat natürlich recht, daß bei einer nüchternen Betrachtung von Vorzügen und Nachteilen der Lage eines Hauses ein laues, erfrischendes Wehen durchaus willkommen ist - welcher Latinist wird nicht bei der Erwähnung des Fauonius fast automatisch an das berühmte grata uice ueris et Fauoni (Hor.c. 1,4,1) denken? Doch auch wenn die im ThLL für den Fauonius aufgeführten Stellen fast alle positiv sind und seinen milden, erwünschten Charakter betonen663 und SYNDIKUS als Beleg sogar einen Plinius-Brief mit der Beschreibung von dessen eigener Villa anführen kann 661

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Zu Catulls Spiel mit oppositus als t.t. des Bankwesens vgl. SYNDIKUS (1984) S.171 mit Parallelen. Auch die Verwendung eines derartigen t.t., die nicht in freier Wahl erfolgte und eindeutig durch die doppelte Aussage mit der Notwendigkeit, ein sowohl für Winde wie Schulden zutreffendes Prädikat zu gebrauchen, bedingt ist, sagt noch nichts über den wahren Wert des Hauses im Vergleich zu den Schulden. SYNDIKUS (1984) S.14; siehe auch o. S.161f. ThLL VI,1 382,33ff.; siehe aber auch u. Anm.666.

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(2,17,19 patentibus fenestris Fauonios accipit transmittitque nec umquam aere pigro et manente ingrauescit), mögen auch Windstille und geschützte Lage ein Vorteil sein. So nennt Plinius in demselben Brief schließlich einen durch Wohnzimmer und vorspringenden Eßraum gebildeten Winkel, qui purissimum solem continet et accendit, einen z.B. für sportliche Betätigung geeigneten Platz, wo alle Winde schweigen (ibi omnes silent uenti, epist.2,17,7).664 Außerdem ist zwischen dem unangenehmen Wehen und den lauen Lüften eines Windes wohl zu unterscheiden, wie dies z.B. in Plinius' anderem Villen-Brief geschieht.665 Wenn nun Catull eine bloße Aufzählung von vier Winden nebeneinander als flatus gegeben, einen davon, den Nordwind, aber sogar als besonders wütend hervorgehoben hat (V.3 saeui Boreae), zeigt dies m.E., daß er hier auch für alle vier Winde nur ein mehr oder weniger unangenehmes Wehen im Sinn hat (vgl. überdies das gemeinsame negative, das Spiel mit der finanziellen Belastung ermöglichende Prädikat V.2 opposita est). Westwindstürme gibt es ja schließlich auch, und nicht jeder Westwind ist ein angenehmer Hauch (auch die Südwinde können durchaus unangenehm werden; vgl. z.B. deren bekanntes Wüten im ersten Aeneis-Buch V.eiff.)! 666 Die Nennung aller vier Winde erfolgt folglich einzig deswegen, um entsprechend den Himmelsrichtungen alle Möglichkeiten abdeckend667 (ähnlich wie z.B. bei Windopfern allen Winden geopfert wird) die geschützte Lage des Hauses nach allen vier Seiten zu bestätigen. Und da es, wie V.4f. zeigen, im Gedicht gar nicht wirklich um die Winde geht, dienen diese insgesamt nur zur Schaffung des Gegensatzes Windstille - Schuldensturm und zur Vorbe664

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Auch SYNDIKUS (1984) ist diese Stelle nicht entgangen; er nennt sie ohne den Wortlaut zu zitieren S.171 Anm.6 und schließt aus Plinius' Fortsetzung "aber bezeichnenderweise ist hier nicht jede Windbewegung ausgeschlossen". Liest man jedoch die Formulierung wirklich nach, so ist damit nur gemeint, daß der geschützte Platz zwar von keinem Wind direkt betroffen und wirklich windstill ist - und nur darauf kommt es hier an -, aber als nicht überdachter (ungehinderte Sonneneinstrahlung war gerade ein weiterer Vorzug) natürlich insofern auch durch das Wetter und hier speziell den Regen bringenden Wind beeinträchtigt wird, als einsetzender Regen den weiteren Aufenthalt im Freien unmöglich macht (exceptis qui nubilum inducunt, et serenum ante quam usum loci eripiunt). Nicht berücksichtigt hat SYNDIKUS ferner, daß Plinius im selben Brief noch ein weiteres Mal die völlige Windstille hervorhebt und diese somit ganz offensichtlich ein wirklich erwünschter Vorzug war: cubiculum ... subductum omnibus uentis (2,17,10; vgl. auch quod non numquam longa tranquillitas mollit bei seiner Küstenbeschreibung 2,17,27). Vgl. überdies auch Plin.nat.21,80 aluaria ... aquilonem euitent nec fauonium minus und 18,243 a flatu fauonii defendi. PÚn.epist.5,6,5 semper aer spinta aliquo mouetur, frequentius tarnen auras quam uentos habet sowie 14 a tergo Appenninum ...; accipit ab hoc auras quamlibet sereno et placido die, non tarnen acres et immodicas, sed spatio ipso lassas et infractas. Vgl. z.B. Cic.Arat.206 uis est metuenda Fauoni, Curt.6,6,28 uehemens Fauonius erat. So zu Recht ja bereits KROLL (61980) ad loc. "Die vier genannten Winde sollen die Hauptrichtungen der Windrose vertreten, ohne Rücksicht auf den schädlichen oder gesunden Charakter der einzelnen Winde". Daß man seit Homer üblicherweise von vier Winden ausgeht, belegen z.B. Sen.nat.5,16,1 (uenti quattuor sunt), Vitr.1,6,4 (nonnullis placuit esse uentos quattuor) und Plin.nat.2,119, daß zu den üblichen vier Winden auch der Favonius gehörte z.B. Gell.2,22,16 und ebenfalls Vitr.

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reitung für die Pointe V.4.; auf den jeweiligen Einzelwind, wie auch immer er nun benannt ist, kommt es dabei nicht an, so daß die Einbeziehung auch des Fauonius als vierter Wind zwar der Vollständigkeit wegen nötig war, aber keineswegs die von SYNDIKUS unterstellte Kritik an der Lage der Villa beinhalten muß. Zudem würde so wiederum die durch die langwierige Aufzählung vorbereitete, deutlich mit uerum V.4 als Gegensatz eingeleitete Pointe zerstört, wenn der Leser bereits vorher lauter Negativa über die Villa sammelt - der Effekt besteht schließlich gerade darin, daß die ansonsten recht nette (Deminutiv) und geschützte Villa (vgl. die Winde), die somit eigentlich über alle Vorzüge verfügen sollte, überraschend mit V.4 einen ganz anders gearteten Nachteil erhält, nämlich eine Hypothek. Dieses für das Gelingen der Pointe sehr wesentliche Überraschungsmoment, das als "verzögerte Aufdeckung" ebenfalls TROMARAS' Interpretation zugrundeliegt, geht jedoch, wenn es sich um Furius' Villa handelt, verloren. So spricht gegen TROMARAS' Deutung der bereits z.B. von KROLL gemachte Einwand, daß nicht einzusehen ist, warum Catull dem Furius nur die längst bekannten eigenen und ohnehin nur geringen Schulden mitteilen sollte. Da Furius selbst am besten wissen muß, welche Last auf seiner Villa liegt, wäre zumindest für ihn bei uillula uestra von Anfang an klar, worauf Catull hinaus will, nach Spott-Gedichten wie c.23 und 24 aber wohl auch für den Leser. Wozu also die "verzögerte Aufdeckung"? Das "Glück des Häuschens" wäre für Furius ja von vornherein getrübt. Es ist also sehr wohl fraglich, ob das Gedicht nur in der von TROMARAS interpretierten Weise "sinnvoll" sein kann. Mir scheint dadurch im Gegenteil eher der rechte Witz zu fehlen. Geblieben ist somit als Argument für uestra nur die auffällige Adressatengleichheit von c.23 und 26, die auf den ersten Blick auch in c.26 auf die Villa des Furius und Spott über dessen Schulden hindeuten könnte. Doch gerade gegen diese wegen desselben Adressaten scheinbar so naheliegende und derart passend an c.23 anschließende Interpretation von c.26 gibt es einen weiteren schwerwiegenden, bereits z.B. von RIESE, ELLIS und LINKOMIES angeführten668 und in der Forschung wohlbekannten Einwand, der sich auch in den neueren Arbeiten nicht hat wegdiskutieren lassen:669 Denn wenn die uilla von c.26 tatsächlich Furius und seinen Leuten gehört, ist störend und auffällig, daß dieser in c.23 damit verspottet wurde, überhaupt nichts, ja nicht einmal das sonst übliche Ungeziefer zu besitzen und diese absolute Besitzlosigkeit im weiteren Verlauf des Gedichts für Furius witzigerweise gerade als Vorteil ausgelegt wurde: Eben weil er nichts hat, geht es ihm gut. Denn so braucht er nichts zu befürchten, keine Gefahren, aber auch keinerlei Verlust und vor allem keinen Häusereinsturz (V.7ff. bene... ualetis omnes, ... nihil timetis, non incendia, non graues ruinas, non facta impia, non 668

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RIESE (1884) und ELLIS (21889) ad loc., LINKOMIES (1931) S.71; vgl. auch FRIEDRICH (1908) S.159. Zu TROMARAS siehe gleich unten; z.B. OFFERMANN (1978) und SYNDIKUS (1984) haben den Einwand einfacherweise überhaupt nicht beachtet.

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dolos ueneni, non casus alios periculorum). Hier besteht doch ein deutlicher Widerspruch: Der Furius ohne jeden Besitz, der sich sogar bei Freunden Geld zusammenbetteln wollte (c.23,26f.), soll nun in c.26 über eine ganze uillula verfügen, die noch nicht einmal hoch mit Schulden belastet ist, so daß er doch vielleicht sogar eine weitere Hypothek hätte aufnehmen können. Furius, der vor keinem Häusereinsturz Angst zu haben braucht, soll nun plötzlich doch eine uillula haben, deren Verlust er dann sehr wohl befürchten müßte. Wenn z.B. TROMARAS diesem Widerspruch mit dem Hinweis auf Catulls "poetische Freiheit zur übertreibenden Verspottung" in c.23 begegnet,670 hat er natürlich zunächst recht: Catull hat gewiß alle Freiheit für seine Gedichte. Doch sollte ein Dichter, der den ganzen Zyklus offenbar sehr sorgfältig als Verspottung der beiden Zielpersonen angelegt hat (vgl. die Folge von c.15 und 21, die Vorbereitung des Armutsmotivs von 23 in 21, den engen Zusammenhang von c.23 und 24), dann wirklich mit c.26 die vorausgehenden Gedichte selbst als maßlose Ubertreibung entlarven, die dort aufgebaute Fiktion und den witzigen Preis der Bedürfnislosigkeit von c.23 ebenso wie den Vorwurf an Juventius aus c.24 zerstören: der Mann hat ja doch etwas, sogar eine Villa und dazu noch in guter Lage, kann also auch aus diesem Grund für den Knaben interessant sein. Was stört da schon eine kleine Hypothek, die man nicht spürt und die ohnehin kaum höher ist als eine Wohnungsmiete auf dem Palatin!?671 Es ist schließlich nicht so, daß Catull für Furius in c.23 nur die eine oder andere übertriebene Formulierung gewählt hat - daß Furius nichts hat, neque senium ñeque arcam, hat Catull dem Leser in zwei Gedichten mit insgesamt 37 Versen u.a. durch die dreimalige Wiederholung eines Verses von c.23 in c.24 regelrecht eingehämmert. Wenn also die Anordnung der Gedichte in diesem Zyklus von Catull selbst stammt, was auch in der Forschung zumeist einhellig akzeptiert scheint, warum hätte Catull dann seine Gedichte in derart antiklimatischer Weise aneinanderreihen sollen?672 Wenn Catull allerdings seine eigene Villa gemeint hätte,673 ist der Widerspruch zu c.23 und 24 vermieden, die Summe nicht mehr zu gering, da für ihn selbst keine wirkliche Bedrohung, die Pointe in V.4 gewahrt, der Ausruf in V.5, wie zu erwarten, nicht ernst gemeint. Und das Gedicht läßt sich wortwörtlich und ohne gesuchte "innere Gründe"674 und Unterstellungen derart, wie sie SYNDIKUS vornimmt, interpretieren. Dagegen spricht nur, daß jetzt kein Zusammenhang mehr mit dem angeredeten Furius zu bestehen scheint - und das mag auch der Grund sein, daß in der Forschung der 670 671 672

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TROMARAS (1984) S.76 Anm.29. Siehe o. Anm.652. Vgl. z.B. HOLLARs Besprechung von c.26 (uestra) vor c.23 und damit entgegen der überlieferten Abfolge (1972, S.107)! Daß Catull sonst in seinen Gedichten seine eigene Villa erwähnt, muß gegen LINKOMIES (1931) S.71 noch kein Argument dafür sein, daß dies auch in c.26 der Fall ist (vgl. aber immerhin das ähnliche o funde noster c.44,1). SYNDIKUS (1984) S.14,170.

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evidente Widerspruch so selten beachtet675 und einfach mit dem Schlagwort "dichterische Freiheit" abgetan wird. Man sieht vielmehr einen anderen, offensichtlich als weit schwerwiegender empfundenen Widerspruch zu den vorausgehenden Gedichten: Denn da Furius von Catull unmittelbar vorher in den c.16, 23 und auch noch 24 mehrfach angesprochen oder erwähnt und eindeutig in recht negativer, unflätiger Weise beschimpft wird, stört der vermeintliche Charakter von c.26 als "freundschaftliche Mitteilung" an die "sonst stets abweisend behandelte Gestalt".676 Als eine freundschaftliche oder auch nur freundliche Äußerung kann c.26, verglichen mit dem sonstigen Charakter des Zyklus, in der Tat kaum gemeint sein. Und da der Spott in c.26 finanzielle Belange betrifft und der Angeredete selbst von Catull schon zuvor wegen seiner finanziellen Verhältnisse verspottet wurde, muß auch eine Verbindung zwischen dem Inhalt von c.26 und seinem Adressaten bestehen, wie ja bereits oben gefordert wurde. Die Wahl des Furius kann somit, anders als dies z.B. in c.113 der Fall zu sein scheint, nicht rein willkürlich sein - c.113 hätte Catull genauso irgendeinen anderen guten Freund anreden können; ein spezieller Bezug zum Adressaten ist zumindest für uns nicht mehr nachvollziehbar. Bezieht man nun aber c.26 in der oben beschriebenen Weise auf c.13, erhält auch die Anrede an Furius, dessen bloße Namensnennung schon genügt, um das in c.23 und 24 von ihm gemalte Bild beim Leser zu evozieren, zusammen mit dem ganzen Gedicht ihren Sinn: 'Furius, der du ja nichts besitzt, der du mich sogar um Geld gebeten hast (vgl. c.23,26f.), nun gib acht: ich habe zwar eine nette kleine Villa in bester Lage - aber mit Schulden (auch wenn die lächerlich sind).' Was das für Furius bedeutet, ist vor dem Hintergrund von c.13 und 23 klar und wird und braucht nicht weiter ausgeführt zu werden (gerade in der Kürze des Gedichts und dem Fehlen eines c.13 entsprechenden sed confra-Teiles liegt ja der Reiz): Anders als Fabull wird Furius von dem scheinbar Mittellosen nicht eingeladen; von einem, der selbst Schulden hat, von einem uentus horribilis atque pestilens (V.5) bedrängt ist, wird er auch kein Geld mehr erwarten können.677 Auch mit der Formulierung uillula nostra ist das 26. Gedicht somit als eine Verspottung des Furius zu verstehen, die diesmal allerdings harmloser formuliert wirkt, da sie von den finanziellen Verhältnissen Catulls selbst und nicht denen des Adressaten wie in c.23 ausgeht, und keineswegs als plötzlich wirklich "freundschaftliche

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Vgl. LINKOMIES (1931) S.71. SYNDIKUS (1984) S.170; vgl. auch bereits BAEHRENS (1885) ad loc., LINKOMIES (1931) S.71. KROLL (61980) glaubt, daß Catull mit Furius "im Augenblick gut befreundet ist" (S.48). Auch der Einwand von TROMARAS (1984) S.75 gegen die lange Beschreibung von Catulls Villa ("was könnte es auch für Furius bedeuten [...]") läßt sich also durch die hier vorgetragene Deutung entkräften: Erst jetzt und nur jetzt, wenn Furius noch nicht weiß, worauf es hinausläuft, gewinnt die ausführliche Beschreibung als Mittel, Spannung zu erzeugen, Bedeutung.

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Mitteilung" an die "sonst stets abweisend behandelte Gestalt", was ja z.B. SYNDIKUS als alleiniges Gegenargument gegen nostra anführen konnte. Diese hier vertretene Deutung ist natürlich voraussetzungsreich, aber deswegen nicht unwahrscheinlich; mit seinen gezielten Anspielungen und seiner parallelen Struktur ist der zweite libellus insgesamt sehr voraussetzungsreich und nicht an dieselben und beliebigen Leser gerichtet wie der vorausgegangene erste.678 Die Entscheidung für nostra erscheint überdies als Wahl der lectio difficilior,679 denn - wenn es sich nicht um einen bloßen Schreibfehler handelte - warum hätte ein Abschreiber einen mit uestra vorgefundenen, klaren Bezug auf Furius durch das so schwer verständliche nostra ersetzen sollen? Hier ist es doch weit wahrscheinlicher, daß er das ihm unverständliche nostra mit derselben Begründung wie z.B. SYNDIKUS mit dem scheinbar näherliegenden uestra vertauschte - sei es nun, daß er glaubte mitzudenken, sei es, daß er es unbewußt nach der für ihn sicher recht amüsanten und einprägsamen Übertragung der c.l5ff. und besonders der FuriusGedichte 23 und 24 einsetzte. Und wenn z.B. TROMARAS die Annahme, daß C.26 mit uillula nostra eine recusatio Catulls sei, als "völlig unzutreffend" zurückweist, ist das eine bloße Behauptung, noch kein Gegenargument.680 Er verweist dazu nur auf ältere Literatur, doch z.B. bei LINKOMIES findet sich ebenfalls nur behauptend "[...] an ein Zurückweisen eines Pumpversuchs seitens des Furius zu denken, wie Riese [...] nach Westphal vermutete, geht nicht an".681 Ein Pumpversuch des Furius ist immerhin von Catull selbst c.23,26f. erwähnt (quae soles precari) und schon einmal abgelehnt. Er muß jedoch genauso wie die in c.23 geschilderten finanziellen Verhältnisse des Furius keineswegs als wirklicher, unmittelbarer Anlaß diesem Gedicht wie c.26 zugrunde liegen. Daß sich Furius wirklich an Catull gewandt hat und 678

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Zu den intendierten Rezipienten der c,14a-26 siehe u. S.277f. Andere Versuche, einen Anlaß für c.26 zu finden, wie z.B. der von BAEHRENS (1885) S.174, Furius habe dem Dichter zur Erlangung des Darlehens aus c.23 Catull seine uillula als pigitus angeboten, oder von LINKOMIES (1931) S.71f. (ironische Reaktion Catulls auf einen Vorwurf des mit c.23 und 24 angegriffenen Furius, auch Catull habe schließlich Schulden und somit keinen "Anlaß ihn zu verhöhnen"; dagegen zu Recht bereits TROMARAS [1984] S.77 Anm.29) sind m.E. weit unwahrscheinlicher und reine Spekulation; vgl. auch die Annahmen von TROMARAS und KROLL (siehe o. Anm.676 und u. 680). Auch nach H E I D E L (1901) S.216 ist nostra "more probable, palaeographically considered", als lectio difficilior sieht es jetzt ebenfalls RADKE (1995, o. Anm.515) S.254. TROMARAS (1984) S.75; die Literaturangaben in seiner Anm.22. TROMARAS' eigene Lösung S.77 (wie Anm.29 zeigt nach M. SCHUSTER, Marginalien zu einer neuen Ausgabe Catulls, WS 64 [1949], S.82-106, dort S.88), daß Catull mit c.26 auf Furius' "selbstgefällige Protzerei dieser Leute, daß sich ihr Landhaus in wundervoll geschützter Lage befinde", reagiere, ist ebenso reine Behauptung wie seine oben zitierte Ablehnung, steht aber wie bereits besprochen - im Widerspruch zu c.23 und 24, so daß es gegen diesen Vorschlag durchaus ein Gegenargument gibt. LINKOMIES (1931) S.71 mit Bestätigung von KROLLs Einwand, daß sich Catull bei einem Pumpversuch "drastischer ausgedrückt" hätte. Einerseits handelt es sich jedoch m.E. keineswegs um einen realen Vorgang, wie gleich besprochen ist; andererseits hatte Catull hier vielleicht gerade einen besonderen Grund, sich nicht drastisch auszudrücken, sondern statt dessen eine feine Anspielung zu geben, wie ebenfalls unten dargelegt ist.

c.1-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge

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daraufhin mit c.26 für diesen realen Versuch auch eine reale Abfuhr erhält, ist sehr wohl in Übereinstimmung mit der Forschung abzulehnen. C.26 hat vielmehr einen ganz anderen Hintergrund, der sich durch den Bezug der beiden Gedichtzyklen aufeinander und hier speziell von c.26 und 13 ergibt: Der vermutete Charakter der Gedichte des zweiten Zyklus als Verschärfung von Catulls freundlicher Haltung im ersten Zyklus, nicht die Hypothek selbst - die nach KROLL und LINKOMIES wegen ihrer Geringfügigkeit "kein plausibler Grund" wäre -, ist die Ursache seiner jetzt ablehnenden Haltung. Hinzu kommt, daß die Voraussetzungen für das Verständnis des Gedichts rein äußerlich sind und nur dessen Anlaß betreffen; sie sind jedoch nicht mehr willkürlich wie diverse andere Versuche vorher,682 da jetzt für c.26 dieselbe Technik der Bezugnahme und Verschärfung die Erklärung möglich macht, wie sie bereits für die Paare c.17/4 und 25/12 festgestellt wurde. Wie auch in den beiden anderen Fällen ist der Bezug zwar aus den Gedichten des zweiten Zyklus allein nicht herauszulesen, aber die Interpretation von c.26 erwies sich genauso wie bei c.17 ohne den Blick auf das entsprechende Gedicht des 'Lesbia'-Zyklus als problematisch. Daß nun im Fall von c.26 gerade mit C.13 zu vergleichen ist, ist zum einen natürlich dadurch offensichtlich, daß beide die einzigen Gedichte der jeweiligen Zyklen sind, in denen Catull auf seine prekäre finanzielle Lage anspielt.683 Zum anderen wird sich dafür im nächsten Kapitel noch ein weiteres, strukturelles Argument ergeben. Daß die gegenüber dem 13. Gedicht unterstellte Verschärfung gerade mit einem Villengedicht erfolgte und sich dieses auch an Furius selbst wendet und damit anders als die 'Trenngedichte' 17 und 25 zum direkten Bestandteil der Aurelius- und Furius-Gruppe geworden ist, hat möglicherweise außer der Tatsache, daß sich Furius als 'Bettler' aus c.23 ohnehin als Adressat anbietet, noch einen ganz speziellen Grund. Denn sollte es sich bei Catulls Furius tatsächlich um den Dichterkollegen Furius Bibaculus handeln,684 zu dessen wenigen erhaltenen Stücken ja auch ein Gedicht auf eine Villa bzw. Gut im selben Versmaß wie c.26 gehört,685 hat Catull es diesem hier vielleicht gerade deshalb mit einem solchen carmen heimgezahlt, daß er sich - vgl. c.16 Kritik an Catulls Dichtung anmaßte. Daß zwischen den beiden Villengedichten eine enge Beziehung besteht, vermutet die Forschung schon längst u.a. wegen deren ähnlicher Struktur mit einleitendem Vokativ und abschließendem Ausruf und des ähnlichen, ebenfalls auf dem Spiel mit der Doppeldeu682 683

684

Vgl. die Beispiele o. Anm.678. Wenn z.B. KROLL (61980) zur Erklärung von c.26 zusätzlich auf c.10 verweist, übersieht er einen kleinen, aber gewichtigen Unterschied in der Grundsituation der Gedichte 13 und 26 gegenüber 10 und z.B. 28; dazu siehe u. S.217. Siehe o. S.167Í. mit Anm.558. Frg.2 Catonis modo, Galle, Tusculanum/ tota creditor urbe uenditabat./ mirati sumus unicum magistrum,/ summum grammaticum, optimum poetam/ omites soluere posse quaestiones,/ unum deficere: expedire nomen./ en corZenodoti, en iecur Cratetis!

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tigkeit eines Ausdrucks beruhenden Inhalts - ganz unabhängig von den hier vorgetragenen Überlegungen zu Catulls Gedichten.686 Auch bei Furius Bibaculus geht es um eine verschuldete, ja bereits zwangsversteigerte Villa, die dort allerdings dem summus grammaticus (V.4) Cato gehört, der sonst alle Fragen lösen kann und nur in diesem einen Fall versagt, expedire nomen (V.6), d.h. jetzt konkret seinen Namen aus dem Schuldbuch zu tilgen. Während die Forschung jedoch - ohne rechte Begründung - z.T. davon ausgeht, daß Catulls Gedicht das erste ist (so HEIDEL und auch GREEN im Fall von nostra c.26,1), ist es m.E., wenn tatsächlich eine Verbindung zwischen den beiden Gedichten besteht, wegen Catulls Anrede an Furius wahrscheinlicher, daß sein ohnehin kürzeres Gedicht die Reaktion darstellt und nicht das siebenzeilige des Furius, das ja auch nicht an Catull, sondern an Gallus adressiert und somit ohne expliziten Bezug ist (so auch GREEN im Fall von uestra).687 Liest man nun uestra in Catulls c.26,1, stört wiederum die Geringfügigkeit der Hypothek. Denn wo sollte der Sinn einer Reaktion liegen,688 wenn bereits das vorausgehende Gedicht des Furius Bibaculus mit "gutmütigem Spott"689 über eine hoch verschuldete, für den Besitzer deshalb verlorene Villa gehandelt hatte (für Cato also tatsächlich ein uentus horribilis atque pestilens) und Catull daraufhin lediglich feststellt, daß Furius selbst ebenfalls eine verschuldete Villa besitzt, in seinem Fall die Höhe der Schulden aber lächerlich gering ist? Sinnvoll wäre dies nur, wenn Catull den Furius zurechtweisend auf dessen eigene und ebenfalls hohe Verschuldung hätte aufmerksam machen können, so daß dieser eigentlich am allerwenigsten die Geldprobleme des angesehenen Kollegen Cato (vgl. bei Bibaculus V.4 optimum poetam; ob derselbe Cato auch von Catull selbst mit c.56 als guter Freund angeredet ist, wird noch zu prüfen sein)690 hätte verspotten dürfen. Liest man jedoch nostra, so wollte Catull dem Furius vielleicht zeigen - indirekt also nun dessen Dichtung kritisierend -, daß er, ohne sich schadenfroh über fremde Schulden lustig machen zu müssen, ein viel witzigeres Villengedicht schreiben konnte, indem er ganz unbefangen seine eigenen, unbedeutenden Schulden gesteht, aber dadurch trotzdem ein anderer, nämlich Furius selbst, so wie er ihn in in c.23 und 24 vorgeführt hatte, verglichen mit c.13 der Leidtragende und Verspottete ist. Wie allerdings TROMARAS zu Recht einwendet, beruht die Identifizierung des Furius lediglich auf "schrittweisen Hypothesen"691 und muß zweifel686

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688

689 690 691

Vgl. z.B. HEIDEL (1901) S.216 "one of these pieces was called forth by the other" und ihm folgend GREEN (1940) S.354 "one was probably written in imitation of the other, or perhaps in answer to the other". Vgl. bes. GREEN (1940) S.354 "There is little doubt, therefore, that Bibaculus' poem preceded Catullus'". Auch GREEN (1940) S.354f. erwartet in Catulls Gedicht "an additional sting as he turns the Cremona poet's rather pointed joke back upon him", ebenso FERGUSON (1985) S.83. So TROMARAS (1984) S.78 und genauso z.B. schon TRÄNKLE (1967) S.89. Dazu siehe u. S.212f. TROMARAS (1984) S.79 Anm.10.

c.1-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge

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haft bleiben, ist aber umgekehrt auch nicht von vornherein auszuschließen und immerhin möglich. Daß sich die beiden Gedichte auf "zwei völlig verschiedene Personengruppen" beziehen und ein "Anknüpfungswort" fehlt,692 ist noch kein zwingendes Gegenargument. Die Ähnlichkeit mit verschuldeter Villa und Wortspiel bleibt weiterhin auffällig. Auf die Ähnlichkeit auch der Struktur der beiden carmina ist jedoch m.E. kein zu großes Gewicht zu legen, da sie nicht wirklich gleich gebaut sind, z.B. der Vokativ bei Bibaculus auch erst an dritter Stelle im Vers erscheint und Catulls Gedichte ohnehin zumeist im ersten Vers eine Anrede enthalten.693 Für die Struktur gibt es schließlich noch eine weitere, wirklich offensichtliche und viel näherliegende, von der Forschung bislang aber anscheinend noch gar nicht gewürdigte und für die Interpretation der fraglichen Gedichte ausgewertete Parallele zu Catulls c.26,694 bei der es sich nicht etwa um den Lucilius-Vers handelt, mit dem TROMARAS vergleicht.695 Dieser kann mangels jeglicher wörtlicher, struktureller oder metrischer Übereinstimmung und ohne überlieferten, dem Catull-Gedicht entsprechenden Kontext eigentlich überhaupt nichts aussagen. Zu vergleichen ist c.26 vielmehr mit Catulls eigenem, ebenso langen und ebenfalls hendekasyllabischen c.58, das zwar keine inhaltliche Entsprechung bezüglich Geldproblemen und Villen bietet, aber vollkommen gleich gebaut ist, genauso mit Vokativ und einem auf Catull mit nostra bezogenen Subjekt beginnt,696 dieses bis zum Ende des dritten Verses in positiver Weise näher beschreibt und plötzlich mit dem 4. Vers die Pointe bringt: Furi, uillula nostra non ad Austri flatus opposita est neque ad Fauoni nec saeui Boreae aut Apheliotae, uerum ad milia quindecim et ducentos. o uentum horribilem atque pestilentem! (c.26)

692

Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa, illa Lesbia, quam Catullus unam plus quam se atque suos amauit omnes: nunc in quadriuiis et angiportis glubit magnanimes Remi nepotes. (c.58)

TROMARAS (1984) S.79. Sein Vergleich mit anderen Catull-Gedichten, der die Verwandtschaft beider Dichter belegen soll ("gemeinsame Topik und Stilart von geistesverwandten Dichtern"), bringt nichts und beruht nur auf sehr dürftigen, oberflächlichen Ähnlichkeiten. (Bibaculus' V.3f. erinnern m.E. keineswegs an Catulls c.49,4ff., das ganz anders gebaut ist, und den Dichter selbst in einen Vergleich einbezieht. Daß in beiden Gedichten die poetae mit einem Superlativ vorkommen, ist zu wenig.) 693 Siehe auch u. S.222Í. 694 In den benutzten Kommentaren und den Besprechungen von TROMARAS und SYNDIKUS (1984) findet sich weder bei c.26 noch bei c.58 ein Hinweis; ein negatives Ergebnis brachte auch die Durchsicht der in den Bibliographien von HARRAUER (1979) S.76 und HOLOKA (1985) S.201 aufgeführten Spezialliteratur zu den beiden Gedichten. 695 TROMARAS (1984) S.78 zu Lucil.666 (MARX) pars difflatur uento, pars autem obrigescit frigore. Auch c.58 ist allerdings uestra überliefert und diesmal sogar in allen Haupthandschriften G, R und O (zu ähnlichen Verschreibungen siehe auch o. Anm.655). Daß jedoch hier Catulls Lesbia und damit nostra gemeint sein muß, ist wenigstens in diesem Fall durch V.2 quam Catullus unam... eindeutig (dazu siehe auch unten).

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'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli

Da Catull auch sonst mehrfach dieselbe Technik anwendet, z.B. bei Schmähgedichten die Rahmung durch denselben Vers am Anfang und Ende wie in c.16,1 und 14, c.36,1 und 20, c.52,1 und 4, c.57, 1 und 10697 oder die Ankündigung oder Androhung von Handlung bzw. Versen, die das ankündigende Gedicht jedoch bereits selbst darstellt (vgl. z.B. c.6, 11, 16 und umgekehrt auch C.65),698 sind vielleicht auch die beiden c.26 und 58 nach einer gleichen, einheitlichen Technik gestaltet und können somit gegenseitig zur Erklärung von Problemen herangezogen werden. Die Formulierung Caeli, Lesbia nostra des 58. Gedichts könnte die Variante Furi, uillula nostra von c.26 bestätigen, so daß Catull in beiden Fällen die gleiche auf sich selbst bezogene Aussageform angewendet hätte. Und umgekehrt könnte die Anrede an Furius auch für c.58 und den dort angesprochenen Caelius bedeuten, daß letzterer ebenfalls nicht ein willkürlicher Adressat ist, sondern wie Furius in einem engen Zusammenhang mit dem Inhalt des Gedichts steht und wie Furius das eigentliche Ziel des jeweils ausgedrückten Spottes darstellt. C.58 wird freilich von der Forschung zumeist nicht als ein Spott-Gedicht gesehen; es gilt allgemein als klagender Aufschrei ("Notschrei")699 Catulls über die untreue Lesbia, an der er sich mit einer ganz besonders bösartigen Beschreibung als Gassenhure mit obszönem Vokabular rächt.700 Caelius ist dabei lediglich der gute Freund Catulls, dem der Verletzte sein Herz ausschüttet.701 Belegt wird dies z.B. mit dem Hinweis auf das die unica amicitia des Caelius aus Verona deutlich verklärende c.100, der mit dem Caelius aus c.58 identisch sein könne, ja müsse (mit V.7 cum uesana meas torreret fiamma medullas müsse schließlich Lesbia gemeint sein).702 Dies lasse es unwahrscheinlich erscheinen, daß etwa in c.58 noch ein anderer Caelius, nämlich der M. 697

Zu solchen Kompositionsprinzipien vgl. auch WISEMAN (1974) S.59ff. Für letzteres siehe u. S.308f. WEINREICH v(1960)' S.49. ΠfWl 698 699

/uu 701 702

Vgl. z.B. SYNDIKUS (1984) S.279ff. Vgl. z.B. OFFERMANN (1977) S.280 mit Anm.51: "Die Anrede hat nur einen Sinn, wenn es sich um einen Freund handelt." Vgl. z.B. die Interpretation von SYNDIKUS (1984) S.279ff., zur Gleichsetzung des Caelius von c.58 mit dem von c.77 anstatt dem von c.100 als "problematisch" EA. SCHMIDT (1985) S.105, BELLANDI (1985) S.28 Anm.8; mit dem Caelius von c.100 identifizieren als am wahrscheinlichsten auch die Kommentare z.B. von ELLIS (21889), FRIEDRICH (1908) sowie z.B. WISEMAN (1969) S.56, (1974) S.106ff„ ARKINS (1983) S.308f., während QUINN (21973) ρ,ΧΙΧ und ad loc. sowie FORSYTH (1977) S.313ff., KING (1988) S.383ff. die unterschiedliche Herkunft beider bewußt übergehend auch in c.100 den Gegner Caelius Rufus vermuten; für eine Trennung der beiden vgl. jedoch jetzt ebenfalls CARRATELLO (1992) S.194; KROLL (*Ί980) ad loc. hält die Identität der Caelii c.58 und 100 für möglich, verweist aber S.297 auf "andere Erwägungen", ohne diese jedoch auszuführen, und äußert sich insgesamt zweifelnd: "Sicherheit ist hier - auch durch noch so apodiktischen Vortrag der eigenen Behauptung nicht zu erzielen". Dies zielt auf den anschließend genannten M. ROTHSTEIN, Catull und Caelius Rufus, Philologus 81 (1926), S.472-473: "Wer beide Gedichte nebeneinander liest [...], der wird keinen Augenblick darüber im Zweifel sein, daß der Caelius dieser beiden Gedichte eine einzige Person ist. Vertraute Freunde, die man zu Mitwissern einer wahnsinnigen, ans Leben greifenden Leidenschaft macht, pflegt man nicht in größerer Zahl zu haben; der Gedanke, daß zwei

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Caelius Rufus der bekannten Cicero-Rede gemeint sei, dem Cicero allerdings in der Tat ein Verhältnis mit der berüchtigten Clodia, also einer der älteren Schwestern des ebenfalls berüchtigten Clodius Pulcher, Gattin des 59 verstorbenen Exconsuls Metellus Celer, nachsagt. Doch daß mit Catulls Lesbia nicht diese Clodia gemeint sei, sei längst durch die Untersuchungen ROTHSTEINs in den 20er Jahren geklärt. Lesbia sei höchstens die jüngere Schwester, könne also mit Caelius und der Cicero-Rede gar nichts zu tun haben, ja sie soll sogar nur eine Freigelassene der gens Clodia gewesen sein ...703 Diese verkürzte Darstellung auch heutiger Forschungsmeinungen ist hier abzubrechen; ein Eingriff in den Identitätsstreit Clodia-Lesbia und die tatsächliche Identifizierung von Catulls Geliebter würde viel zu weit vom eigentlichen Gegenstand der Untersuchung, den Gedichten des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus und ihrem Verhältnis zu denen des 'Lesbia'-Zyklus, ablenken. Festzuhalten ist jedoch, daß nur auf Grund der von der Forschung bislang vorgetragenen, etwa chronologischen Argumente die Ablehnung der so ofsolche Freunde Catulls zufällig denselben Namen geführt haben sollen, ist ein Hohn auf Etile Wahrscheinlichkeit, auf jede gesunde wissenschaftliche Methode". Wissenschaftlich ist aber auch ROTHSTEINs Ablehnung nicht, der Bezug auf Lesbia in c.100 ohne Namensnennung rein spekulativ. Daß es in Catulls Umfeld zumindest diese beiden Träger des gängigen Namens Caelius gab (vgl. auch gleich zu den beiden Catones), ist eine Tatsache, daß er trotz des gleichen Namens auch zu beiden in einer gewissen Beziehung stand und diese angesprochen hat, nicht einfach auszuschließen, zumal der Caelius des c.58 nach den folgenden Überlegungen keineswegs ein Freund des Dichters gewesen zu sein braucht. Es läßt sich vielmehr auch umgekehrt argumentieren, daß Catull seinen Caelius von c.100 extra als Veroneser identifiziert hat, um eine Verwechslung mit dem stadtbekannten und für seine Leser problemlos zu erkennenden, aus Interamnium stammenden Clodia-Liebhaber des Lesbia-Gedichts 58 zu vermeiden. Und was zufällige Namensgleichheit betrifft, so mußte ich selbst z.B. mit Erstaunen feststellen, daß es schon einmal einen Klassischen Philologen Jan W. BECK gegeben hat (immerhin Jan Wilbert statt JanWilhelm), der wie ich gegen Ende dieses Jahrhunderts ausgerechnet Ende letzten Jahrhunderts und auch über lateinische Grammatiker gearbeitet hat und ebenfalls nicht an die Authentizität des Corpus Catullianum glaubte (De controversia quadam Catulliana, Mnemosyne 41 [1913], S.302-309)! 703

Vgl. gegen die Gleichsetzung mit der berühmten Clodia vor allem WISEMAN (1969) S.50ff., (1974) S.104ff., sich verteidigend (1979, o. Anm.73) S.167, (1985) S.15ff. und T.W. HILLARD, In triclinio Coam, in cubiculo Nolam: Lesbia and the other Clodia, LCM 6 (1981), S.149-154; vgl. mit Verweis auf WISEMAN auch z.B. STROH (1990) S.150 Anm.13, der in seiner Arbeit über Ciceros 'Taxis und Taktik' (Stuttgart 1975) S.243ff. die Liebesbeziehung Caelius-Clodia als Erfindung Ciceros herausarbeiten will. Daß Catull vielleicht sogar unter Einfluß dieser Rede ein solches von Cicero geschaffenes Clodia-Bild in einem nicht notwendig nur autobiographische Realität darstellenden Gedicht aufgegriffen hat, ist damit aber nicht ausgeschlossen. Wenn hier einige Forscher mit der Chronologie der Ereignisse und Gedichte Probleme haben und - u.a. wegen SKUTSCHs metrischen Argumentes - die Lesbia-Liebe Catulls erst nach 56 datieren wollen, so beachten sie zu wenig, daß seine carmina keine tagebuchartigen Aufzeichnungen darstellen und viel Fiktives enthalten (siehe auch u. S.273f. mit Anm.868f.). Zur Vorsicht, ob die echte Clodia wirklich so verworfen war, wie die antike Literatur glauben machen will, ihr Bild nicht vielmehr rhetorischer Übertreibung entspringt ("'Clodia' of the pro Caelio as a literary construct similar to 'Lesbia'", S.275), mahnt auch M.B. SKINNER, Clodia Metelli, TAPhA 113 (1983), S.273-287.

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fensichtlichen Gleichsetzung der Lesbia mit Clodia Metelli - nach wie vor offenbar die communis opinio - nicht wirklich schlüssig zu beweisen ist, zumal diese historische Clodia mit ihrem von Cicero beschriebenen Charakter und Lebenswandel so gut zu der von Catull beschriebenen leichtlebigen Lesbia paßt, die eben in Clodius Pulcher einen Bruder hatte und mit diesem in Inzestverdacht stand, was wiederum so gut zu Catulls Wortspiel mit Lesbia und Lesbius in seinem 79. Gedicht zu passen scheint.704 Auch die Identifizierung des Caelius aus c.58 mit dem besagten Caelius Rufus bleibt somit immerhin erwägenswert und wird ja auch von einer Reihe namhafter Forscher vertreten.705 Wenn jedoch z.B. SYNDIKUS aus c.58 selbst auch inhaltliche Gründe dagegen anführt, müssen diese die Gleichsetzung mit Caelius Rufus noch nicht wirklich ausschließen; vielleicht ist nur die Deutung des Gedichts sowie der Form der Verspottung ein wenig präziser zu fassen. Daß Catull "Caelius wegen des gleichen Schicksals angesprochen" hätte, welcher, wie aus der Cicero-Rede und Quintilian bekannt ist, ja ebenfalls von Lesbia/Clodia betrogen wurde und sie in ganz ähnlicher Weise wie Catull beschimpfte (vgl. Cic.Cael.62 und Quint.inst.8,6,53 quadrantaria mit Catulls in quadriuiis et angiportis 58,4f.; vgl. auch Plut.Cic.29,4), daß also bei der Wendung an einen anderen Liebhaber der Lesbia "nostra einen süffisanten Unterton" bekäme, etwa als "Lesbia, die wir beide ja recht gut kennen", ist in der Tat mit ARKINS und SYNDIKUS abzulehnen.706 Wie der folgende alleinige Bezug auf Catull zeigt (V.2f. quam Catullus ... plus quam se atque suos amauit omnes eben nicht "die wir beide ..."), kann nostra ähnlich wie auch c.43,7 Lesbia nostra nur Catulls Lesbia bedeuten sollen.707 Caelius wird hier keineswegs zum 704

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Vgl. z.B. SYNDIKUS (1984) S.32 zusammenfassend: "Mir scheint also die Deutung Lesbias als die historische Clodia immer noch die sinnvollste Auslegung der wenigen Zeugnisse zu sein." Vgl. ferner z.B. H. D. RANKIN, Clodia II, AC 38 (1969), S.501-506; QUINN (1972) S.131ff.; C. DEROUX, L' identité de Lesbie, ANRW 1,3, Berlin/New York 1973, S.390-416; T.W. HILLARD, The Sisters of Clodia again, Latomus 32 (1973), S.505-514 (kritisch jedoch 1981, o. Anm.703); SKINNER (1983, o. Anm.703) S.273ff.; E A . SCHMIDT (1985) S.102ff.; P. FEDELI, Donna e memoria nella poesia di Catullo, Atti del convegno naz. di Studi su la donna nel mondo antico ..., hrsg. v. R. UGLIONE, Torino 1987, S.125-156. Vgl. natürlich den üblichen 'Lesbia'-Roman der älteren Forschung wie z.B. bei L. SCHWABE in seinen 'Quaestiones Catullianae' (Glessen 1862), WILAMOWITZ oder neben der Literatur o. Anm.704 z.B. die Kommentare von MERRILL (1893) p.XXXIX, FORDYCE (21965), QUINN (21973), DELLA CORTE (1977) ad loc. sowie NEUDLING (1955) S.39, METTE (1956) S.34, LENZ (1963) S.62ff., BODOH (1976) S.627f., FERGUSON (1985) S.9, 167 und auch etwa BRIGHT (1976) S.106ff., der jedoch angesichts der oben vorausgegangenen Überlegungen nicht korrekt den Gedichtanfang als "a warning of things to come" mit dem von c.ll vergleicht. ARKINS (1983) S.309, SYNDIKUS (1984) S.279f.; so aber z.B. NEUDLING (1955) S.39, QUINN (*1973) ρ,ΧΙΧ, BODOH (1976) S.627 "partners in agony, when both had learned by hard experience the pain of discovering that the woman you love is a pig", FERGUSON (1985) S.167. Vgl. ferner, ein wenig anders, RICHARDSON (1963) S.104ff. mit Anm.31 "its tone is not bitterness, but sadness. One feels that Catullus has forgiven Caelius, in fact forgiven everyone". Z.B. BRIGHT (1976) S.106 Anm.5 verweist für Catulls Gebrauch von noster auf c.68,132.

c.1-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge

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Mitleidenden gemacht. Nach dem Modell von c.26 ist jedoch denkbar, daß Catull - hier neben der Klage über Lesbias Verrat - ganz wesentlich auch den Adressaten treffen wollte.708 Denn sieht man in Caelius zunächst nur den Rivalen Catulls, nicht aber auch den später selbst Betrogenen (oder gar seinen Freund), folgt mit V.4 wie im Fall von c.26 eine überraschende Wendung: Catull beklagt sich nicht darüber, daß Lesbia ihn mit Caelius betrogen habe. Er beschimpft sie als Gassenhure, die es mit allen und auf unanständige Weise treibt. Wiederum ist die Bedeutung dieser Aussage für den Adressaten nicht explizit ausgedrückt; sie ist aber klar, wenn Caelius als Lesbia-Liebhaber bekannt ist: Caelius braucht sich also gar nichts darauf einzubilden, wenn er Lesbias Gunst gewinnen konnte, im Gegenteil, er sinkt bei dieser Deutung von c.58 selbst auf das Niveau solcher magnanimi nepotes des Remus herab,709 die es nötig zu haben scheinen, sich bei Straßenhuren ihr Vergnügen zu verschaffen. Daß Catull hier nicht nur auf Lesbia eingeht wie z.B. in c.ll mit lediglich allgemeinen moechis, quos simul complexa tenet trecentos... (V.17ff.), was ja nur auf Lesbias Maßlosigkeit zielt und über Catulls Nebenbuhler überhaupt nichts aussagt -, sondern daß er auch ihre Liebhaber durch die ironische Wendung des letzten Verses verspottet, ist ohnehin auffällig. Für eine reine Lesbia-Klage wäre es viel wirkungsvoller gewesen, sich wie in c.ll ausschließlich mit Lesbia selbst zu beschäftigen und sie als bloße, völlig heruntergekommene und eben auf den Straßenstrich angewiesene Gassenhure darzustellen, nicht jedoch so wie hier zwar als Gassenhure, aber als eine mit höchst vornehmer Klientel. Wozu also die plötzliche Wendung im letzten Vers weg von Lesbia hin zu ihren Liebhabern und dies dazu noch mit einer derart eingängigen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Formulierung, wenn gar kein konkreter Rivale gemeint ist?710

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Vgl. ähnlich, aber anders akzentuierend, TANNER (1986) S.2638: "I suggest the abuse is directed to the vocative Caeli [...]. Here he is telling his supplanter that his victory is worthless because the lady is now what Cicero called mulier potens quadrantaria". Die sieht schließlich auch z.B. SYNDIKUS (1984) S.281 negativ und in parodistischer Weise "als von ihrer Art abgefallene, heruntergekommene Römer" charakterisiert; gemeint ist angesichts der auffälligen Formulierung gegen BODOH (1976) S.629 kaum einfach "anyone". Eine zusätzliche Bosheit vermutet LENZ (1963) S.66f. in der Wahl des geschichtlich bedeutungslosen Remus, "der gar keine Zeit hatte, wirkliche Römer zu erzeugen", anstatt des Romulus, doch mag dies auch nur metrisch bedingt sein. C.28 sind schließlich beide gemeinsam als Vorfahren genannt. Zur alten Verbesserung magnanimos (so z.B. auch die Ausgaben von DELLA CORTE, BARDON, GOOLD) statt auf Remus bezogenem, üblichem magnanimi vgl. z.B. O. SKUTSCH, Catullus 58,4-5, LCM 5 (1980), S.21. Auch RADKE (1995, o. Anm.515) S.255 bestätigt jetzt das Problem: "Warum aber in diesem Gedicht, das Catulls Verzweiflung über die Käuflichkeit seiner Lesbia zum Thema hat, der Ahnherr ihrer Freier mit diesem großartigen Adjektiv versehen worden sein soll, erscheint mir unerfindlich. Denn Catulls Anliegen war es ja nicht zu zeigen, wie weit sich die Freier von ihrem Ahnherren entfernt haben, sondern wie tief gesunken seine Lesbia ist." Letzteres ist jedoch m.E. noch gar nicht sicher, wie die hier vorgetragene Deutung zeigt. Ein Texteingriff wie ihn RADKE mit mane nimis vorschlägt, ist unnötig und wegen ähnlicher Formulierung in anderen Gedichten auch ohnehin unwahrscheinlich.

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'Lesbia' und 'Juventius' in zwei

libelli

Blickt man auch auf andere Gedichte Catulls, zeigt sich, daß die an Homers μεγάϋνμος erinnernde und dieses parodierende Formulierung V.5 keineswegs singulär oder beliebig und damit auch hier wohl kein Zufall ist; Catull setzt die Remi oder Romuli nepotes bzw. einen Bezug zu den mythischen Stadtgründern offensichtlich gerne und mit Bedacht zur gezielten Verspottung ein (vgl. C.28 für die beiden Praetoren, 29 für Caesar oder Pompeius, 49 für Cicero). Auch hier dürfte somit - anders als in c.ll - der Spott ein wesentlicher Bestandteil sein und ist viel gehaltvoller und pointierter, wenn nicht nur allgemein und anonym verwendet, sondern wenn der angeredete, ja schließlich aus einer vornehmen Familie stammende M. Caelius Rufus selbst mit einbezogen ist.711 Eine solche Interpretation des vielleicht sogar anläßlich des Caelius-Prozesses entstandenen c.58 ist natürlich heute nicht mehr objektiv beweisbar. Daß Caelius tatsächlich nur der gute Freund Catulls ist, dem dieser sein Leid klagen will, und der uns evtl. unnötig erscheinende persönliche Bezug auf einen Adressaten einfach in dem dialogischeren Charakter antiker Lyrik begründet liegt, wie SYNDIKUS durch Vergleich mit c.68 erläutert,712 ist immerhin möglich; man vergleiche z.B. c.56 die Anrede an Cato mit ähnlichem Inhalt, aber ohne die gleiche starke emotionale Beteiligung Catulls wie im 58. Gedicht und anscheinend ohne daß Cato selbst etwas mit dem Gedicht oder den darin geschilderten Vorgängen zu tun hätte, wenn es sich, der communis opinio gemäß, wirklich um den Dichter Valerius Cato handelt (entsprechend auch der Adressat Cinna in c.113). Wenn dagegen der für seine Sittenstrenge bekannte und schon zu Ciceros und Catulls Zeit dafür verspottete Stoiker Cato gemeint wäre, wie BUCHHEIT vermutet,713 wäre c.56 sogar ein weiteres Beispiel für die hier für c.26 und 58 erschlossene Technik Catulls. Auch dort wäre dann nämlich eine zum natürlich fiktiven Inhalt des Gedichts sehr wohl in Beziehung zu setzende Gestalt angeredet (vgl. ja auch V.lf. rem ridiculam, Cato, et iocosam/ dignamque auribus et tuo cachinno) - nach BUCHHEIT kam nur "eine Person in Frage, von der man wußte, daß sie von Haus aus zu Ernst und Strenge neigte" -, und zwar jetzt ausgerechnet Cato, die Tugend selbst, der sogar die traditionellen Ludi Florales als zu freizügig empfand und diese mittendrin verließ, dem also Catulls obszöne Mitteilung seiner Potenz (V.5ff. deprendí modo pupulum puellaej trusantem: hunc ego .../ protelo rigida mea cecidi) erst recht nicht behagt

711 712 713

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Zum Ansehen der Familie bzw. zumindest des Vaters als römischer Ritter vgl. Cic.Cael.3. SYNDIKUS (1984) S.280. BUCHHEIT (1961) S.353ff. mit Hinweis aufbereite MURETUS (1554) und BelegsteUen wie Val.Max.2,10,8, Martials ersten Einleitungsbrief, 9,28,3, 10,20,21, Plin.epist.4,27,4, Petron 132,15, Phaedr.4,7,21f. SYNDIKUS' Ablehnung dieser Deutung (1984) S.274 Anm.2 ("[...] aber ist es wahrscheinlich, daß Catull dem strengen Stoiker gerade diese Verse zugedacht haben sollte?") ist ohne jede Berücksichtigung von BUCHHEITs Argumentation. Anders und in der Tat unwahrscheinlich ist dagegen ELLIS' Gleichsetzung mit Cato Uticensis (21889) ad loc.

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hätte.714 Genauso wie BUCHHEIT seine Identifizierung des Adressaten durch den Nachweis derartigen Spotts als "geläufigen Topos" in der lateinischen Literatur belegen kann - er sieht Catulls Gedicht ebenfalls als Echo auf den Vorfall bei den Floralia von 55 v. Chr. -, ist m.E. auch die Identifikation des im ersten Vers von c.58 genannten Caelius mit der historischen Persönlichkeit Caelius Rufus nun keine sich nur an der Namensgleichheit orientierende Spekulation mehr. Durch die Vergleichbarkeit mit Catulls Vorgehen in c.26 hat sie ein zusätzliches, die Bedenken von ARKINS und SYNDIKUS beseitigendes Argument gewonnen, da mit diesem so ähnlich gebauten Gedicht eine erstaunliche Parallele vorliegt und der Adressat für eine scheinbar rein "freundschaftliche Mitteilung" dort eben nicht ein beliebig gewählter Freund war, sondern in engem Bezug zur Aussage des Gedichts stand und selbst verspottet wurde. Doch zurück zum 'Aurelius- und Furius'Zyklus: Die Feststellung einer gewissen Wiederaufnahme und Verschärfung betrifft bislang mit c.17, 25 und 26 schon drei weitere Gedichte des zweiten Zyklus neben dessen eigentlichen Aurelius- und Furius-Gedichten (15, 16, 21, 23, 24). Doch noch in einem anderen Fall ergeben sich Bezüge, nämlich über den in c.22 ausführlich beschriebenen Suffenus, der ähnlich wie die Villa in c.26 zwar zunächst positiv, d.h. bis zum zweiten Vers als recht feiner Mensch vorgestellt wird, von V.3 an jedoch als auf Äußerlichkeiten bedachter Vielschreiber ohne jegliches Vermögen zur Selbstkritik abqualifiziert wird:

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Suffenus iste, Vare, quem probe nosti, homo est uenustus et dicax et urbanus idemque longe plurimos facti uersus. puto esse ego itti milia aut decern aut plura perscripta, nec sic, ut fit, in palimpseston relata: cartae regiae, noui libri, noui umbilici, ¡ora rubra membranae, derecta plumbo et pumice omnia aequata. haec cum legas tu, bellus ille et urbanus Suffenus unus caprimulgus autfossor rursus uidetur: tantum abhorret ac mutat. hoc quidputemus esse? qui modo scurra aut si quid hac re tritius uidebatur, idem infaceto est infacetior rure, simul poemata attigit; neque idem umquam aeque est beatus ac poema cum scribit: tarn gaudet in se tamque se ipse miratur. nimirum idem omnes fallimur, neque est quisquam, quem non in aliqua re uidere Suffenum possis. suus cuique attributus est error; sed non uidemus, manticae quod in tergo est. (c.22)

Ein wenig anders akzentuiert BUCHHEIT (1961) S.353ff.: "magst du nun eingestellt sein, wie du willst, da mußt selbst du lachen".

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Während Suffenus im 14. carmen des ersten Zyklus erst am Rande und nur als ein Beispiel unter mehreren erwähnt war, scheint Catull ihn sich jetzt mit einem ganzen Gedicht und durch die lange, detaillierte Aufzählung all seiner Schwächen viel härter und bösartiger vorgenommen zu haben.715 Auch C.22 wirkt somit ganz offensichtlich wie die verschärfte Wiederaufnahme und Ausgestaltung eines Motivs aus dem ersten Zyklus. Betrachtet man jedoch das Gedicht insgesamt, scheint sich hier sogar noch ein weiterer möglicher Bezug zu ergeben: Der eigentlich wegen seiner schlechten Dichtung scharf zu verurteilende Suffenus aus c.14 wird ja, wie neben den ersten beiden Versen vor allem das Ende des Gedichts zeigt, mit größtmöglicher Geduld und Verständnis, fast einer gewissen Sympathie angefaßt - es könnte schließlich in jedem eine Art Suffenus stecken, der sich selbst überschätzt und die eigenen Schwächen nicht sieht716 (vgl. dagegen sonst im Corpus Catullianum etwa c.36, 54, 69, 84, 97, 98). Was fast das ganze Gedicht lang, über 15 Verse bis V.17, wie Kritik wirkte, mündet somit in recht nachsichtig formulierte Gedanken - auch wenn natürlich "das literarische Urteil [...] in seiner ganzen Schärfe bestehen" bleibt.717 So ist auch dieses Gedicht zwar zuerst eine Verschärfung, wird jedoch zu einer ganz anders gearteten Einschätzung literarischer Mißstände als in c.14 (vgl. 14,21f. ualete, abite... saecli incommoda, pessimi poetae - 22,18ff. idem omnes fallimur...) und soll - genau in der Mitte des Zyklus stehend718 und nicht in stark obszönem oder unflätigem Ton gehalten und damit für den Leser deutlich von den vorausgegangenen Aurelius- und Furius-Gedichten 15, 16 und 21, dem nachfolgenden c.23 oder dem ebenfalls in erotischem Kontext stehenden c.17 abgesetzt - vielleicht auch ein bißchen selbstironisch auf Catull als Dichter und das Erscheinungsbild seines eigenen ersten libellus c.1-14 anspielen, den wir im Gegensatz zu Catulls Adressaten Aurelius und Furius und anderen zeitgenössischen Lesern ja leider nicht mehr vor uns haben, der aber vielleicht dem V.5-8 so ausführlich beschriebenen des Suffenus äußerlich ganz ähnlich war: vgl. immerhin c.22,8 pumice omnia aequata mit c.1,2 arìda modo pumice expolitum,719 715

716

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718

Interessant ist übrigens, daß Catull von den in c.14 aufgeführten Dichtern (V.18f.... Caesios, Aquinos, Suffenum, omnia colligam uenena) gerade den dort durch den Akk. Sg. allein als konkrete Einzelperson deutlichen Suffenus zum Gegenstand des 22. Gedichts macht. Denn die beiden anderen Namen stehen nicht nur für Caesius und Aquinus selbst, Catull will damit vielmehr ganz allgemein "Dichter wie Caesius und Aquinus" treffen (vgl. die Komm, ad loc.). SYNDIKUS (1984) meint S.137 Anm.23 zu den Pluralen, daß darin "das Wegwerfende des Urteils gut [...] zum Ausdruck" komme. OFFERMANN (1978) S.41 hebt ferner hervor, daß der in c.22 besprochene Suffenus gerade der letzte der in c.14 genannten Dichter war. Caesius und Aquinus sind übrigens im restlichen uns erhaltenen Corpus Catullianum nicht mehr erwähnt. An neuester Literatur zu c.22 vgl. WATSON (1990) S.13ff. Vgl. bereits KROLL (61980) ad loc. "[...] C. wird nicht heftig und ausfällig, wie es sonst seine Gewohnheit war". So SYNDIKUS (1984) S.159; OFFERMANN (1978) S.41 spricht von einem Spiel "mit der Mißverständlichkeit der scheinbar lobenden Prädikate". Dazu siehe auch u. S.224ff.

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Faßt man zusammen und blickt auf den gesamten mit c,14a-26 vorliegenden Zyklus, lassen sich also in der Tat nicht nur die an Aurelius und Furius selbst gerichteten Gedichte als Wiederaufnahme und Verschärfung sowohl der Liebes- als auch der Freundesthematik des ersten Zyklus deuten. Dies gilt für die c.15, 16, 21, 23, 24 mit ihren deutlichen Angriffen und Obszönitäten z.T. im sexuellen Bereich, die ohne jegliches Liebesbekenntnis Catulls gegenüber seinem Knaben oder auch ohne einen Ausdruck wirklicher Freundschaft gegenüber den hier einzig als Rivalen und Zielscheibe für Spott wirkenden Adressaten (oder anderen Personen) sind, verglichen mit den harmlos-netten Gedichten über Catulls Liebe und seine Verzweiflung c.2, 3, 5, 7, 8, 11 sowie den die Freundschaft preisenden Gedichten c.9, 11, 12, 13, 14, und dies betrifft auch mit direkter Entsprechung die c.26 und 13. Darüber hinaus scheint dasselbe, wie vorgeführt, fiir die 'Trenngedichte' zu gelten, so für c.17 im Vergleich mit c.4 und c.25 im Vergleich mit c.12. Und auch für c.22 ließen sich Bezüge zum 'Lesbia'-Zyklus herstellen, so daß das Gedicht ebenfalls zunächst als verschärfte Ausgestaltung eines im ersten Zyklus nur nebenbei angeklungenen Motivs (c.14) erscheint, schließlich aber durch das unerwartet geäußerte Verständnis V.18ff. eine überraschende Wendung erhält und sich damit an zentraler Stelle und mit einer für den Dichter Catull selbst wesentlichen Aussage sogar als tolerante, positive Verkehrung gegenüber c.14 erweist. Wie die in den Anm.623, 719, 621 und 651 als Beispiel angeführte Literatur belegt, sind die hier untersuchten Bezüge für die c.17, 22, 25, 26 in der Forschung längst bekannt und zumeist ja auch schon als Parallelen in den älteren Kommentaren notiert. Man hat sich jedoch bislang immer nur auf das bloße Feststellen von Ähnlichkeiten, etwa auf die Wiederaufnahme von Motiven, so des Diebstahlmotivs oder Catulls Mittellosigkeit, beschränkt, die Bezüge aber nicht recht für die Interpretation der Gedichte selbst eingesetzt und sie bislang auch noch nicht zusammengestellt und insgesamt ausgewertet. Wiederholungen und Wiederaufnahmen von Motiven sind schließlich nichts Besonderes und auch sonst im Corpus Catullianum gelegentlich feststellbar. Wenn hier nun nur zwischen einzelnen Gedichten Bezüge vorlägen, wäre dies kaum weiter auffällig und wohl tatsächlich nur ein Zufall.720 Auffällig ist aber, daß die unterstellte Verschärfung nicht nur Einzelfälle, sondern alle Gedichte des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus betrifft, sogar die ofη·\ η

Auch z.B. OFFERMANN (1978) S.41 rechnet damit, daß der Schluß von c.22 deswegen "so mild umgebogen" ist, weil Catull inzwischen selbst Kritik wegen seiner Dichtung erfahren mußte (c.16); vgl. ferner SKINNER (1981) S.55 und jetzt NEWMAN (1990) S.176 mit Anm.92, der - allerdings im Zusammenhang mit dem "poor poet motif' - ebenfalls den Bezug zu c.1,1-2 herstellt und damit glaubt zu belegen, daß Catull mit seinen Motiven so umgegangen ist, wie er es gerade brauchte, WATSON (1990) S.14 "[...] deliberately recall Catullus' own libellus as described in poem 1". Und die Kommentare wie z.B. der von QUINN (21973) S.88 verweisen ebenfalls für c.1,1 auf c.22,6-8. Vgl. die Überlegungen o. S.48f. gegen z.B. QUINNs System von strukturbildenden "crossreferences".

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fenbar ohne Zusammenhang zum eigentlichen Zyklus eingeschobenen. Auffällig ist ferner, daß Bezüge in der Art von verschärfter, die Freundlichkeit aufgebender Wiederaufnahme einzelner Motive oder gar ganzer Gedichte des vorausgegangenen 'Lesbia'-Zyklus, wie sie hier für alle carmina des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus festgestellt wurden, nur für diese Gedichtgruppe zutreffen und nicht auch beliebig zwischen den folgenden c.27ff. und denen des 'Lesbia'-Zyklus herzustellen sind, was den 'Aurelius- und Furius'-Zyklus deutlich aus der Masse der restlichen polymetrischen Gedichte heraushebt und diese Bezüge kaum als zufällig erscheinen läßt. Das sei gegen Ende dieses Kapitels überprüft: Um zunächst von den Gedichten des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus auszugehen und hier wiederum mit dem Offensichtlichsten zu beginnen, ein weiteres Diebstahlsgedicht wie C.12 und 25 gibt es unter den übrigen kleineren Gedichten, speziell den polymetrischen c.27-60, aber auch den epigrammatischen c.69-116 nicht. Neben c.12 und 25 ließe sich allerdings c.33 mit dem furum optimus balneariorum nennen und z.B. in der Verteilung dreier scheinbar motiwerwandter Gedichte über die drei angenommenen Teile der Sammlung c.2ff., c.l4aff., c.27ff. ein besonderes Prinzip erkennen; z.B. DEITMER glaubt ja, mit c.25 und c.33 die Rahmung für ihren bereits oben abgelehnten dritten Zyklus gefunden zu haben.721 Das Gedicht auf den Vibennius und seinen kinaedischen Sohn ist jedoch nicht wirklich vergleichbar: Wie die Einbeziehung des Sohnes zeigt, der aus ganz anderen Gründen als der Vater (V.l furum optime balneariorum), nämlich wegen seiner Strichjungentätigkeit, angegriffen wird - die Vergehen von Vater und Sohn sind sowohl am Anfang (vgl. V.2 den Übergang mit et und die gesonderte Erläuterung V.3 für den pater, V.4 für den filius) als auch am Ende (vgl. V.7 wiederum der Übergang mit et) deutlich getrennt -, handelt es sich lediglich um die Verhöhnung eines vielleicht stadtbekannten Pärchens, von dem der eine Teil nur zufälligerweise gerade ein Dieb ist. So ist es nicht eigentlich ein Diebesgedicht und erst recht kein Diebstahlsgedicht wie c.12 und 25. Dort lag schließlich ein konkretes Vergehen zugrunde, die gestohlenen Gegenstände waren benannt, und Catull war, ebenfalls anders als in c.33, als der Bestohlene und Leidtragende persönlich beteiligt. Da nun aber in c.33 weder ein derart persönliches Interesse oder überhaupt ein Bezug zu Catull erkennbar ist, noch die Aktivitäten des Vaters und ein tatsächlicher oder fingierter Diebstahl im Vordergrund stehen, ist das Ziel des Gedichts auch nicht die Verspottung speziell des Diebes (wie evtl. in c.25, wenn man dieses Gedicht lediglich für sich und ohne Bezug auf c.12 sieht), sondern die einer ganzen Familie, ähnlich wie ja auch c.23 Furius mit seiner ganzen Sippe verhöhnt wird. C.33 ist somit m.E. nur eine weitere Variante der vielfältigen Spottgedichte in Catulls Corpus, in denen er sich jeweils über bestimmte auffällige Eigenschaften und Eigenheiten seiner

721

Siehe o. S.44ff.

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Zeitgenossen, mal in harmloser, mal in verletzender Weise, lustig macht wie über den Achselgeruch des Rufus (c.69), über die Aspirationssucht des Arrius (c.84). Wenn man schon klassifiziert, wäre c.33 demnach den Spottgedichten zuzuordnen; die Einordnung als Diebstahlsgedicht und Parallelisierung mit c.12 und 25 ist m.E. verfehlt und beruht nur auf oberflächlichen Ähnlichkeiten wie der Tatsache, daß c.25 und c.33 jeweils eine Person als cinaedus bezeichnet wird (in c.33 übrigens noch nicht einmal der Dieb), ist aber nicht wirklich auch durch eine Interpretation des fraglichen c.33 gedeckt. Abgesehen davon ist es jedoch hier wichtig festzuhalten, daß aus c.33 genauso wie aus c.42 mit den nicht zurückgegebenen codicilli kein in ähnlicher Weise als Verschärfung zu c. 12 zu deutender Bezug herauszulesen ist, wie dies für c.25 möglich war (vgl. sogar eher als gleichwertig c.l2,10f. hendecasyllabos trecentos/ expecta und c.42,1 adeste hendecasyllabi, quot estis sowie 12,4 hoc salsum esse putat und 42,3 iocum me putat esse). Ähnlich ist auch für die Paare c.4/17 und 13/26 eine negative Feststellung bezüglich weiterer Parallelen in den späteren carmina zu treffen. Es gibt zwar auch unter den restlichen kleineren Gedichten harmlose, beschauliche Beschreibungen, so c.31, 46, doch ist keine darunter, die plötzlich und ganz überraschend doch wieder zu einer Verspottung umgewidmet wird, wie dies in C.17 mit dem dazu am Anfang überflüssig langwierig ausgedehnten lokalen Kolorit geschieht. Vergleichbar ist nämlich auch c.44 nicht, da dieses anders als c.17 über die Colonia in seinem ganzen Verlauf ein Lobgedicht auf Catulls Gut bleibt, das die Hauptrolle behält, auch wenn ab V.10 als Erklärung für Catulls Unwohlsein ein Seitenhieb auf Sestius eingebaut ist. Und ein weiteres Gedicht, in dem Catull seine (natürlich wohl nur fiktive) Mittellosigkeit einsetzt oder jedenfalls anspricht, wie dies in c.13 und m.E. auch in C.26 erfolgt, ist im Corpus Catullianum ebenfalls nicht vorhanden. Eine Klage über seine finanziellen Verhältnisse enthalten zwar die Veranius- und Fabullus-Gedichte, z.B. c.28, doch spricht Catull dort nicht ähnlich c.13 von seiner (momentanen) Geldknappheit oder etwaigen Schulden wie in c.26, sondern jammert ausschließlich darüber, daß er sich mit seinem Praetor Memmius nicht hat in der gewünschten Weise zusätzlich bereichern können wie auch die anderen beiden mit ihrem Praetor Piso nicht. C.28 ist somit durch die Gleichsetzung als Opfer nur der Ausdruck der Verbundenheit mit den beiden Adressaten wie seines Wunsches nach mehr Vermögen, nicht etwa ein Hinweis auf eigene Armut - im Gegenteil ist aus c.28 deutlich zu erkennen, daß seine Vermögenslage so gut war, daß er zu seiner Reise zuzahlen mußte und auch konnte. Und da eine Klage wie in c.28 ja bereits im 10. Gedicht des 'Lesbia'-Zyklus enthalten und Memmius bereits dort als irrumator verflucht wird, kann c.28 nur als Wiederaufnahme, nicht jedoch auch wirkliche Verschärfung des Memmius-Motivs wirken, anders als im Fall des Diebstahlmotivs c.12 und 25 (es ändert sich zwischen c.10 und 28 nur die Zielrichtung: c.10 betrifft Catull selbst und sein späteres prahleri-

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sches Verhalten, c.28 sein und seiner Freunde damaliges Leiden - die Darstellung des Memmius als gemeiner irrumator bleibt aber dieselbe).722 Und was schließlich die Literatur-Kritik in c.14 und 22 betrifft, so gibt es zwar noch mehrere andere Gedichte, die sich - teilweise auch recht deftig und in schärferer Form als in diesen beiden (vgl. bes. die annales Voltisi, cacata carta des c.36) - mit Dichtern oder Literaten beschäftigen, doch stets anderen Gestalten gelten als den in c.14 genannten (und nicht etwa Calvus, den Adressaten von c.14, selbst angreifen) und somit keinen direkten Bezug zu c.14 besitzen so wie c.22 über den Poetaster Suffenus und c.25 zu c.12 über das Halstuch. Es ist eine doch nur oberflächliche Gemeinsamkeit, daß wie in c.14 auch z.B. in c.42 und c.50 literarische Themen Gegenstand sind. Geht man nun in umgekehrter Verfahrensweise die restlichen carmina minora durch - angesichts der im 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furius'-Zyklus/libellas verwendeten Versmaße können nur die in ähnlichen Metren verfaßten c.27-60 in Betracht kommen - und sucht nach möglichen Bezügen zum 'Lesbia'-Zyklus in der Art der für den 'Aurelius- und Furius'-Zyklus festgestellten Verschärfung, so ist das Ergebnis letztlich ebenfalls negativ, abgesehen von den beiden Sonderfällen der Caesar- und Lesbia-Gedichte, die ja bereits oben als Gegenstücke zur Charakterisierung des zahmen 'Lesbia'-Zyklus herangezogen waren:723 C.27 scheint wie ein harmloses Trinklied, hat jedoch nach der Forschung auch eine programmatische Funktion, die unten noch zu besprechen sein wird.724 Mit c.29 folgt im Corpus Catullianum das erste Caesar-Gedicht, das wie die anderen ähnlichen c.57, 94, 115 scharfe Angriffe auf diesen und seinen Mamurra bietet (zwar harmloser, doch immerhin Spott über Mamurra und seine Umgebung z.B. c.41 und 43; anders c.54). Der 'Lesbia'-Zyklus enthält jedoch kein auf ganzer Länge Caesar gar preisendes Gedicht, dem man z.B. c.29 gegenüberstellen könnte. Caesar ist zwar auch in diesem Zyklus, im 11. Gedicht, erwähnt, doch geschieht dies dort nur wie nebenbei im geographischen Katalog und, für sich allein gesehen, keineswegs in besonders lobender Weise - daß die Eroberung Galliens und Britanniens auch objektiv Caesaris... monimenta magni waren, steht wohl außer Frage. Vergleicht man freilich eine derartige Aussage mit der der carmina wie 29 und 54, wirken letztere natürlich als Verschärfung. Doch da für die Beurteilung von Catulls Beziehung zu Caesar endlich einmal ein äußeres Zeugnis vorliegt, läßt sich das zeitliche Verhältnis zwischen den Gedichten hier auch umdrehen, wie ebenfalls später noch genauer zu betrachten sein wird,725 so daß nicht c.29 u.ä. die verschärfte Behandlung, vielmehr c. 11 das Fehlen eines Angriffs auffällt. C.30 bringt Catulls Klage über eine Enttäuschung durch seinen Freund 722

723 724 725

Z.B. OFFERMANN (1978) S.38ff., 55 spricht allerdings allgemein von einer "Verdüsterung" c.10-28. Siehe o. S.181ff. Siehe u. S.304ff. Siehe u. S.301ff.

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Alfenus (vgl. ähnlich c.77 und 82), doch besteht kein Bezug zum 'Lesbia'-Zyklus, da dieser Alfenus (wie auch Rufus und Quintius) dort nicht unter den besonders hervorzuhebenden Freunden, ja überhaupt nicht aufgetreten war.726 Catulls Verhältnis zu Veranius und Fabullus aus c.9, 12, 13 und Calvus c.14 bleibt im übrigen auch c.27ff. ungetrübt (vgl. c.28, 47, 50 und demgegenüber den Wandel c.ll - c.l5ff. für Aurelius und Furius). Das zunächst wie die Lesbia-Gedichte c.3-7 ebenfalls freundlich und harmlos beginnende Ipsitilla-Gedicht c.32 (vgl. V.lf. amabo, mea dulcís Ipsitilla. / meae deliciae, mei lepores) wirkt allerdings mit einer Formulierung wie paresque nobis/ nouem continuas fututiones (V.7f.) gerade als die erwünschte Verschärfung gegenüber den allzu verzärtelten Spatz- und Kußgedichten des ersten Zyklus - endlich bleibt es nicht bei Küssen, will Catull wirklich aktiv werden und das nicht nur einmal (vgl. auch die zahlreichen, seine Initiative zeigenden Imperative W . 3 iube, 4 adiuuato, 9 iubeto sowie 6 lubeat, 7 maneas, pares)\ Ein solches, auf Catull selbst bezogenes und damit zu den den Zyklus bestimmenden Gedichten wie einerseits die Lesbia- und Freundesund andererseits die Aurelius- und Furius-Gedichte gehörendes carmen hätte Catull jedoch bei der hier unterstellten Intention des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus kaum in seinen zweiten libellus aufnehmen können, da dies schließlich wie die Anerkenntnis der Kritik und entsprechendes Nachgeben gewirkt hätte. Denn dort, mit der Schaffung schärfer, obszöner formulierter Gedichte und seiner folglich der Kritik entsprechenden Reaktion akzeptiert Catull die Vorwürfe ja nur scheinbar, zeigt sich in Wirklichkeit aber als der Überlegene dadurch - und gerade darin liegt der Witz des zweiten libellus -, daß die neuen Liebesgedichte (vgl. c.15, 21 und evtl.24) und Freundesgedichte (c.15, 16,21, 23, 24, 26) nur mehr auf die beiden Kritiker Aurelius und Furius bezogen sind. Ähnliches wie für c.32 gilt auch für die heftig und z.T. mit harten verbalen Attacken auf seine Nebenbuhler formulierten Klagen über Lesbias Untreue, die Gassenhure aus c.58, die gefühllose Löwin aus 60 (Lesbia?), die Stammtischbrüder mit dem Zahnpflege-Spezialisten Egnatius aus C.37 und 39, den trusans pupulus puellae aus c.56. Alle diese Gedichte ließen sich durchaus als die für den zweiten Zyklus hier postulierte Verschärfung zu den Lesbia-Gedichten des ersten, speziell zu c.8 und 11, auffassen, in denen sich Catull wie im ganzen ersten Zyklus z.B. mit möglichen Rivalen überhaupt nicht auseinandersetzt: Die Aufnahme auch derartiger über Catull selbst und seine persönlichen Beziehungen und Gefühle handelnder Gedichte hätte aber den mit den eindringlichen, ständigen Attacken auf Aurelius und Furius entstehenden und m.E. beabsichtigten Eindruck des zweiten libellus gestört. Die dort weiter enthaltenen drei Gedichte 17, 22 und 25 sind schließlich nicht direkt freundesbezogen727 und dienen lediglich der Füllung und Herstellung einer zum ersten Zyklus parallelen Struktur, wie sie im folgenden Kapitel vorzuführen ist. Überdies hat Catull mit c.8 und 11 mit 726 727

Vgl. aber den rein spekulativen Identifikationsversuch z.B. KROLLs u. in Anm.732. Siehe auch gleich unten.

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'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli

Lesbia abgeschlossen. Ein erneutes Wiederaufwärmen gleicher Motive auch im zweiten libellus würde die Gesamtaussage728 des ersten aufheben und wäre nach dem Scheidungsbrief von c.ll ohnehin ohne Reiz. Die C.35, 36, 37, 38, 39, 40, 42, 45, 49, 50, 55, 59 sind weitere Freundesoder Spottgedichte, mal heftiger im Ton wie c.59 oder die politisch wirkenden C.52, 53, 54, mal harmloser wie das Zürnen über Cornificius (c.38), der Catull jedoch nichts angetan hat wie z.B. Alfenus aus c.30, sondern offenbar nur nicht in der erwünschten Weise tröstet, so daß letzteres Gedicht im Gegenteil ähnlich den Freundesgedichten des 'Lesbia'-Zyklus eher Freundschaft betont. Was nun Thema oder Adressat oder Einzelmotive betrifft, haben alle diese Gedichte offensichtlich keinerlei Bezüge zu denen des 'Lesbia'-Zyklus und lassen sich also auch in keinem Fall als spezielle Verschärfung deuten, so daß sie hier nicht ausführlich vorgestellt und besprochen zu werden brauchen. Eine Reaktion auf Kritik sind sie sicher nicht. Man mag im Gegenteil harmlose Gedichte wie z.B. c.45,46,48, 50, 51 direkt neben die des 'Lesbia'-Zyklus mit ihren feinen, zarten Tönen stellen, ja c.55 scheint Catull genauso die Rolle des lästigen curiosus (c.5,12, 7,llf.) zu spielen wie in c.6 (vgl. dazu auch c.45). Vergleicht man jedoch diese auch mit den Aurelius- und Furius-Gedichten, so ist wiederum als auffällig zu beobachten, daß in c.27ff. viele verschiedene und scheinbar beliebig ausgewählte Gestalten angeredet werden, c.l4a26 aber streng auf Aurelius und Furius konzentriert erscheinen und eben keine anderen Spott- oder Freundesgedichte zur Auflockerung eingestreut sind. Neben diesen beiden sind nur in c.25 der möglicherweise schon durch seinen Namen als minderwertig abqualifizierte Thallus729 sowie mit c.22 ein gewisser, auch aus c.10 bekannter Varus angesprochen730 - der mit c.17 Verspottete bleibt als municeps quidam anonym -, so daß wirklich die beiden Hauptadressaten Aurelius und Furius auch die dominanten Figuren des Zyklus sind und nicht durch andere aus Catulls Gedichten mehrfach bekannte Personen wie Calvus, Veranius, Fabullus, Cinna, Quintius, Caesius usw. Konkurrenz erhalten. Und auffällig ist, daß die c.27ff. sowohl reine Freundesgedichte sind wie c.38, 50 und 53, als auch leichten Spott wie c.45 oder 49 und auch schwere Angriffe wie c.29 und 39 enthalten, wie dies eben im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus nicht der Fall ist. In ihm scheint - anders als bei der willkürlich wirkenden Anordnung c.27ff. mit Gedichten aller Art die Beigabe abweichender Gedichte wie c.28 und 29 bewußt vermieden, um den durch die vorliegenden, dicht aufeinanderfolgenden sechs ähnlichen Aurelius- und Furius-Gedichte erzeugten Charakter des Zyklus nicht zu verwischen. Und diese scheinen mit ihren Angriffen und in ihrer Massierung dann doch wohl mehr zu sein als die bei Catull auch sonst eingestreuten Spottgedichte. 728 729 730

Dazu siehe u. S.246ff. Siehe o. S.187. Zu Varus siehe gleich u. S.221Í.

c.1-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge

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Kehrt man von der Betrachtung der c.27ff., die die Einzigartigkeit des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus und seiner keineswegs wahllos und etwa in den nachfolgenden carmina beliebig zu ergänzenden Beziehung zum 'Lesbia'Zyklus verdeutlichen sollte und m.E. auch konnte, zu diesen beiden anfänglichen Zyklen der Catullsammlung zurück, ist darüber hinaus auffällig, daß die festgestellten Bezüge des zweiten Zyklus zum ersten keineswegs nur wie im Falle von c.26/13 auf individueller Interpretation beruhen - und damit mehr oder weniger glaubhaft sein mögen. Sie sind von Catull selbst mindestens zweimal explizit hergestellt und auch nicht nur in einem Einzelgedicht vorhanden (c.l4a ist leider nur fragmentarisch, so daß damit eine mögliche und, wie der Kondizionalsatz vermuten läßt, sehr wahrscheinliche Selbstdeutung Catulls verloren ging), so in c.16 mit der Anspielung auf die Küsse aus c.5 und 7 und in c.25 mit der ausdrücklichen Nennung des bereits c.12 gestohlenen Saetabischen Tuchs. Und mit c.22 kehrt schließlich auch Suffenus aus C.14 wieder. Auffällig ist dabei ferner, daß dieser genauso wie das spezielle Halstuch neben dem 'Lesbia'-Zyklus nur mehr im zweiten Zyklus noch vorkommen, sonst nirgends im Corpus Catullianum, daß also das Saetabische Tuch z.B. nicht etwa ein von Catull gerne und wiederholt und auch in anderen Zusammenhängen eingesetztes Motiv darstellt. Nur der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, daß auch Varus, der einzige konkrete Adressat neben Aurelius und Furius (Thallus, der Dieb von c.25 mit einem Sklavennamen, zählt wohl nicht als gleichwertig), nach c.10,1 nur im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus noch einmal genannt ist (c.22,1). Anders als bei der Wiederaufnahme von Motiven wie dem Diebstahl oder der Suffenus-Kritik muß jedoch die bloße Wiederholung eines Adressaten noch gar nichts bedeuten, schließlich ist heute nicht mehr in jedem Fall nachzuvollziehen, aus welchen Gründen Catull gerade eine bestimmte Person anspricht und ob diese Person tatsächlich ein realer Bekannter und nicht vielleicht bloß eine Fiktion ist,731 um an ihr ein Gedicht festzumachen, wie dies schließlich mit der Erzählung c.10 geschieht (V.lff. Varus me meus ad suos amores I uisum duxerat...). Gerade derartige Gestalten wie in c.10 oder auch C.6 mit dem unbekannten Flavius scheinen am ehesten für eine Fiktion in Frage zu kommen. Sollte es jedoch tatsächlich den angeredeten Varus gegeben haben,732 kannte er vielleicht wirklich den Suffenus (vgl. c.22,1 Suffenus iste, Vare, quem probe nosti), bei dem es sich kaum um eine Fiktion handeln dürfte - denn wenn die Drohung Catulls in c.14 (V.18ff. Caesios, ...,/ Suffenum, omnia colligam uenena ac te his suppliciis remunerabor) nicht realisierbar wäre, geht die Wirkung des Gedichts verloren.733 Die Anrede und 731

733

Vgl. ja auch die o. S.146Í. zitierte Meinung SKINNERs. Zu den völlig unsicheren Identifikationsversuchen (z.B. der von Horaz gepriesene Varus oder ein mit dem Adressaten von c.30 identischer Jurist Alfenus Varus?) vgl. z.B. QUINN (21973) S.181, SYNDIKUS (1984) S.154, WATSON (1990) S.27 Anm.25 und die älteren Kommentare ad loc. Vgl. dazu auch z.B. SYNDIKUS (1984) S.155.

222

'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli

Wiederholung in c.22 ist also möglicherweise nicht überzubewerten und daraus keine besondere Verbindung zu c.10 abzuleiten. Immerhin ist hier jedoch zweierlei interessant: So ist erstens mit dem Adressaten von c.22 keine neue Gestalt, sondern wenigstens eine aus dem 'Lesbia'-Zyklus c.10 bereits bekannte Person in den 'Aurelius- und Furius'Zyklus aufgenommen. Und beide Male können die Freunde des Varus als recht zweifelhafter Umgang wirken: C.10 war es ausgerechnet seine vorlaute puella, die Catull in solche Schwierigkeiten brachte, c.22 erscheint er als guter Bekannter des Suffenus (V.l), der, wenn er auch im Grunde ein feiner Mensch sein soll, doch zu maßloser Selbstüberschätzung neigt und somit ebenfalls nicht gerade der beste Umgang ist. Während c.10 selbstironisch gegen Catulls eigene Aufschneiderei gerichtet war, enthält c.22 vielleicht nebenbei eine kleine Spitze gegen Varus und dessen Geschmack, wenn es vorführt, daß dieser nun auch ein zweites Mal die falschen Bekannten hat.734 Trotz der Bezeichnung Varus meus in c.10,1 ist im übrigen nicht Varus der gute Freund, um den es geht und durch den das Gedicht den anderen Freundesgedichten seiner Umgebung (c.9, 11, 12, 13, 14) vergleichbar wird: Varus ist lediglich als Mittler nötig, der den Kontakt zu der puella herstellt und so Catull die kleine Geschichte mit dem scortillum ermöglicht. Catulls wirklicher und herausgehobener Freund ist in diesem Gedicht Helvius Cinna (V.29f.).735 So ist Varus auch die einzige Gestalt des 'Lesbia'-Zyklus, die Catull in seinen verschärfenden 'Aurelius- und Furius'-Zyklus übernehmen konnte. Denn der im ganzen negative Charakter des Zyklus dürfte m.E. die Einbeziehung von Catulls besonders engen und wirklichen Freunden Veranius, Fabullus, Calvus und Cinna (c.9, 10, 12, 13, 14) oder auch des ebenfalls nur freundschaftlich geneckten Flavius aus c.6736 oder gar Cornelius aus c.l verbieten (zu dessen guter Beziehung zu Catull vgl. auch c.102).737 Zweitens ist das 10. Gedicht im 'Lesbia'-Zyklus das einzige, das nicht mit einer Anrede im Vokativ an irgendeinen Adressaten - seien es Spatz oder Liebesgötter oder Catulls Freunde - beginnt (eine anfängliche Anrede enthalten übrigens auch alle c,14a-26). Mit c.22,1 ist dann jedoch auch eine Varus-Anrede nachgetragen und ein den einheitlichen Charakter störendes 734

735

736 737

Vgl. unlängst ähnlich, meinen zunächst unabhängig gewonnenen Gedanken bestätigend WATSON (1990) S.27 Anm.25: "I assume that the Varus of 22 and 10 are the same person. In that case he is being mocked gently for his unperspicacious choice of aquaintances." Vgl. ja z.B. auch HEILMANN (1975) S.145: "Diese Verse über die Freundschaft mit C. Cinna zeigen, was dem scortillum fehlt. Dem Verlangen, das ohne Bedenken nur den eigenen Vorteil sucht, wird wahre Freundschaft gegenübergestellt, bei der die Teilhabe am Besitz des anderen selbstverständlicher Ausdruck persönlicher Verbundenheit ist." Die Funktion von Freundschaftsbekundung und Gedicht sind freilich m.E. etwas anders zu werten, siehe u. S.254ff. Zu Catulls gutem Verhältnis zu Flavius siehe o. Anm.614. Direkt an Furius oder Aurelius konnte Catull das Gedicht nicht richten; c.22 ist schließlich ein Trenngedicht wie c.17 und 25 (zur Struktur des Zyklus siehe o. S.38, 46, 49, und u. S.224ff.).

c.1-14 und 14a-26: inhaltliche Bezüge

223

'Versäumnis' erfüllt. Diese Überlegung mag freilich für sich genommen gesucht und viel zu sehr konstruiert erscheinen, paßt aber vielleicht ganz gut zu den Ergebnissen des folgenden Kapitels. Doch auch ohne die beiden letzten Gedanken hat sich insgesamt gesehen eine große Zahl von Beobachtungen ergeben, die die eingangs unterstellte Deutung des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus/libellus als leicht selbstironisches, selbstparodistisches Pendant zum 'Lesbia'-Zyklus//ifte//i« in Reaktion auf die Kritik an diesem durch die Adressaten des zweiten Zyklus, Aurelius und Furius, stützen. Und nicht nur die vorgeführten inhaltlichen Bezüge lassen sich herstellen: Ähnliches findet sich auch bei der Strukturierung des zweiten Zyklus im Vergleich zum ersten und Catulls jeweiliger Gestaltung und Auswahl der Metren.

3.2. c. 1-14 und 14a-26: strukturelle Bezüge Die bislang aufgefundenen Entsprechungen gelten natürlich nicht rein schematisch und nicht für alle Gedichte in gleicher Weise.738 Mit c.25 ist ein vollständiges Gedicht des 'Lesbia'-/ÍM/WJ, C.12, ziemlich getreu nachgebildet, während c.26 nur bezüglich Catulls zwar als problematisch geschilderter, aber keineswegs auch wirklich bedrohlicher finanzieller Situation an c.13 anknüpft. Für c.17 liegt die Entsprechung im Gedichttyp; sie ist speziell zur Phasellus-Geschichte ohne eine inhaltliche Parallele. Und mit c.22 ist nur ein Einzelmotiv aus c.14 wieder aufgenommen. Da im zweiten libellus die Freundesgedichte wie c.9, 10, 12-14 gleichzeitig mit den Liebesgedichten wie c.2, 3, 5, 7, 8, 11 durch die Aurelius- und Furius-Gedichte abgedeckt sind, konnte von vornherein nicht jedes Einzelgedicht sein Pendant erhalten - der zweite Zyklus ist mit 10 Gedichten ja auch um ein Drittel kürzer als der erste (15 überlieferte carmina einschließlich eines selbständigen c.2a). Mit Freundes- und Liebesgedichten, einem Beschreibungs-, einem Diebstahlsund einem auf den finanziellen Problemen Catulls beruhenden Gedicht kehren jedoch zumindest alle Typen des ersten Zyklus /libellus im zweiten wieder. Bei einem primär nur als Replik gedachten zweiten Büchlein hätte Catull, wie bereits oben festgestellt, schließlich auch nicht mit der gleichen Energie zu dichten brauchen und mag einfach weniger Ernst und Mühe darauf verwendet haben.739 Eine absolute Entsprechung aller Gedichte und daraus resultierend zwei völlig parallele und in jeder Hinsicht gleich gebaute Zyklen sind schließlich als starre, rein schematische und damit reizlose Wiederholung ohnehin nicht zu erwarten. Wiederum auffällig ist jedoch, daß mit jeweils sechs Lesbia- und Aurelius-/Furius-Gedichten gerade die die beiden Zyklen in erster Linie prägenden in exakt gleicher Anzahl vorliegen, was bereits von RICHTER und seitdem immer wieder hervorgehoben und ja zu Recht als absichtlicher Bezug der beiden Zyklen aufeinander gedeutet 738

739

Spontan mag man darüber hinaus auch für c,14a,3 horrebitis an eine Wiederaufnahme und Ausgestaltung des libellus horribilis von c.14,12 denken (vgl. dazu z.B. OFFERMANN [1978] S.40, 61), doch ist ein etwaiger Bezug hier m.E. nur ganz oberflächlich, da es sich um zwei völlig verschiedene Arten von horror handeln dürfte: in c. 14 um qualitativ schlechte, in c.l4aff. von Catull stammende und damit natürlich qualitätvolle, aber jetzt unanständige Dichtung. Einen weiteren Bezug zwischen c.13 und 21 findet schließlich noch FORSYTH (1985) S.572 Anm.4 ("common motif of food and eating"), doch haben beide carmina kaum etwas miteinander zu tun (siehe auch o. Anm.651). WISEMAN (1969) S.12 glaubt an eine Verbindung beider Zyklen durch c.6 und 10 im 'Lesbia'-, c.25 im 'Juventius'-Teil. Siehe o. S.174, u. S.275ff.

c.1-14 und 14a-26: strukturelle Beziige

225

wird,740 so daß den sechs zarten Lesbia-Gedichten als größtmöglicher Kontrast die sechs unflätigen, teilweise höchst obszönen Aurelius-/Furius-Gedichte gegenüberstehen. Daß über diese Entsprechung hinaus aber auch bei den übrigen Gedichten die im vorausgehenden Kapitel untersuchten Wiederaufnahmen und Bezüge vorliegen und tatsächlich die unterstellten Gedanken und Verschärfungen im Spiel sein können, legt zum einen die jeweils gleiche Abfolge der drei hier miteinander verglichenen carmina 4, 12, 13 und 17, 25, 26 in beiden libelli nahe (Sachbeschreibung,741 Diebstahl, Geldprobleme). Wie im ersten Zyklus folgen das Diebstahls- und das Geldgedicht unmittelbar aufeinander und ebenfalls wie im ersten Zyklus stehen beide gegen bzw. direkt am Ende ihres Zyklus, so daß auch die Beibehaltung der Reihenfolge hilft, nach den jeweiligen Diebstahlsgedichten 12 und 25 die Entsprechung für das im zweiten Büchlein folgende c.26 in dem im ersten an gleicher Stelle anschließenden c. 13 zu sehen. Zum anderen scheinen die beiden Zyklen//iòe//i auch insgesamt ihrer Struktur nach parallel und aufeinander bezogen. Beide haben zwar jeweils eine eigene, offensichtlich systematische, z.T. sehr fein ausgestaltete Struktur und wirken für sich einheitlich und geschlossen gebaut, wie die nun folgenden Überlegungen und das Schema verdeutlichen und wie das besonders für den 'Lesbia?-libellus später noch genauer zu untersuchen sein wird.742 Da aber beide Zyklen vorwiegend aus hendekasyllabischen Gedichten bestehen, in die scheinbar nur zur Abwechslung und Auflockerung gelegentlich andere Versmaße eingestreut sind, ist zumindest ihre Grobstrukturierung die gleiche. Dies allein wäre allerdings nicht weiter auffällig; auch c.27ff. wechseln Hendekasyllaben mit einzelnen andersartigen Gedichten ab.743 Wirklich auffällig ist jedoch, daß nur bei den beiden hier untersuchten Zyklen dieses Abwechseln mit einer ganz bestimmten Regelmäßigkeit erfolgt und, wie erst kürzlich STROH festgestellt hat,744 in beiden Fällen jeweils nur drei Gedichte mit anderem Versmaß eingeschoben sind, was sich ebenfalls so nicht mehr unter den c.27-60 findet. Nutzt man nun STROHs treffliche Beobach740

741

742

743

RICHTER (1881) S.20 "als hätte der Dichter eine numerische Symmetrie herstellen wollen"; vgl. auch z.B. HECK (1951) S.42 und HUBBARD (1983) S.233 zu den je sechs Gedichten über Aurelius und Furius als "paradigmatic figures" seiner zweiten Sammlung "even as Lesbia was in the first libellus". Auch wenn der phasellus von c.4 nicht selbst angeredet ist, sind m.E. beide Gedichte c.4 und 17 bzw. der Anfang von c.17 dem Typ nach vergleichbar und gehören in die Nähe des "Ding-Apostrophen"-Typs von E-A. SCHMIDT (siehe o. S.19). Die Zusammenstellung und der Vergleich von c.4 und 17 zeigen jedoch, daß SCHMIDTs Zyklus nicht zu eng zu fassen ist und nur die 'Ding-Apostrophe' allein nicht unbedingt ein - ohnehin gegenüber den anderen Zyklen (Lesbia, Aurelius- und Furius, Gellius, Méntula usw) lediglich äußerliches und angesichts des unterschiedlichen Inhaltes der Gedichte damit auch nicht unbedingt überzeugendes - Zuordnungskriterium darstellen kann. Siehe u. S.246ff. Vgl. auch die Aufbaupläne der Forschung mit z.T. detaillierten inhaltlichen Entsprechungen o. S.18ff. Ausführlicher dazu siehe u. S.292. STROH (1990) S.138ff.; vgl. auch die Besprechung seines Schemas o. S.67f.

226

'Lesbia' und 'Juventius' in zwei

libelli

tung der Korrespondenz der jeweils drei Fremdversmaße nur dazu, beide Zyklen zueinander in eine gewisse Beziehung zu bringen und nicht wie STROH selbst gleich auch in einem gemeinsamen Buch mit axialsymmetrischen Entsprechungen zu vereinen, ergibt sich eine m.E. für beide libelli leichter nachvollziehbare Systematik mit tatsächlich einander entsprechenden Zahlenverhältnissen, die die jeweiligen Eigenheiten der beiden Zyklen wahrt, bei ihrem Vergleich aber dieselbe Tendenz beobachten läßt, die im vorausgehenden Kapitel auch für den Inhalt festgestellt wurde: 'Lesbia'-libellus

'Aurelius- und Einleitungsgedicht

Fuñus'-libeUus

c.l

phal.

C.2 c.2a C.3

phal. phal. phal.

C.4

iamb. trim.

c.17

priap.

C.5 C.6 C.7

phal. phal. phal.

C.21

phal.

c.8

chol.

c22

chol.

C.9 C.10

phal. phal.

C.23 C.24

phal. phal.

c.ll

sapph.

C.25

iamb, tetram.

C.12 C.13 C.14

phal. phal. phal.

c.26

phal.

Sachbeschreibung

c.l4a

phal.

C.15 c.16

phal. phal.

?

Diebstahlsgedicht ^ Geldgedicht —

^

Betrachtet man zunächst beide libelli/Zyklen für sich, sind, wie oben bereits angedeutet, 745 die nicht hendekasyllabischen Verse im 'Lesbia'-Zyklus bis auf eine, später noch genauer zu besprechende Ausnahme (c.9 und 10 zwischen c.8 und II) 746 - jeweils im Abstand von drei carmina hendekasyllabischer Art eingeschoben, so daß der Leser beim einfachen, fortschreitenden Lesen und, ohne komplizierte Überlegungen anstellen zu müssen, ein scheinbar ganz regelmäßiges Abwechseln 3:1:3:1:3:1:3 bzw. mit der einen Abweichung tatsächlich 3:1:3:1:2:1:3 als Bauprinzip erkennt. Ähnlich ist es auch im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus. Die Hendekasyllaben für sich allein betrachtet sind jetzt allerdings sogar noch ein wenig raffinierter, nämlich im Verhältnis 2:1:2:1 anstatt 3:3:3:3 bzw. 3:3:2:3 verteilt, so daß mit den beiden jeweils einzeln gesetzten carmina 21 und 26 die Struktur mit Hendekasyllaben 745 746

Siehe O.S.67. Siehe gleich S.232f. und u. S.254ff.

c.1-14 und 14a-26: strukturelle Bezüge

227

zwischen drei Gedichten anderer Versmaße immerhin aufrechterhalten ist, ohne daß Catull dafür auch entsprechende drei hendekasyllabische Gedichte hätte schaffen müssen. Daß jeweils davor nur zwei solche als thematisch verbundenes (c.15/16), ja direkt zusammengehöriges (c.23/24) Paar auftreten anstatt in einer dem ersten Zyklus/libellus gänzlich vergleichbaren Dreiergruppe mit Trenngedicht (vgl. c.5/7 mit 6), liegt an der unten noch näher zu besprechenden ganz speziellen Funktion und auf Catull gerichteten, selbstironischen Aussage, die es in einem primär gegen Aurelius und Furius zielenden Büchlein natürlich nicht geben konnte.747 Da in diesem Büchlein keine ebenso gleichmäßige oder scheinbar ringförmige Anordnung vorliegt wie im 'Lesbia'-Zyklus,748 wirkt dies, als ob in ihm - den beiden Adressaten entsprechend - zwei gleichartige Teile nacheinander gesetzt sind.749 Und in der Tat sind - abgesehen von der gemeinsamen Anrede in c.16, die wegen des darin ausgedrückten Vorwurfs der beiden, der die Replik veranlaßt, auch ziemlich am Anfang des Zyklus stehen muß, aber nicht die Rivalität bei dem Knaben/Juventius beinhaltet - diese jeweils nur in einem der beiden Teile betroffen (Aurelius in c.15 und 21, Furius in c.23, 24 und sogar 26). Die Mitte bildet das Suffenus-Gedicht und somit ausgerechnet dasjenige, in dem Catull auf einen anderen Versproduzenten und Dichterkollegen und damit zumindest auf sein eigenes Metier, ja vielleicht sogar, wie oben unterstellt, ein wenig selbstironisch auf sein eigenes erstes Büchlein eingeht.750 Interessant ist, daß z.B. HUBBARD für den 'Lesbia'-libellus bereits eine ähnlich bewußte Stellung von den auf Dichtung bezugnehmenden carmina vermutet (c.l 'das gute neue Büchlein' und abschließend c.14 als Gegensatz 'ein schlechter libellus').751 Im ersten Zyklus steht dagegen c.8 mit der eindringlichen Selbstaufforderung, aus- und durchzuhalten und die ja offensichtlich vergangene Liebe vergangen sein zu lassen, im Zentrum und erhält dadurch eine - der inhaltlichen Bedeutung für Catull angemessene - starke Position.

748

750

Siehe u. S.254ff. sowie S.283 zu c.17. Was Selbstironie betrifft, so ist Ausnahme ausgerechnet C.22, das die zentrale Stellung erhalten hat und in Beziehung zur Dichtungskritik steht. Zu letzterem siehe aber u. S.259f. Zum Bau dieses Zyklus vgl. die o. Anm.101 genannte Literatur, besonders BARWICK (1958) S.315, E A . SCHMIDT (1973) S.219f. "Nicht die Anordnung einer Triade ist das den Zyklus schaffende Prinzip, sondern die Identität der Anordnung seiner Hälften", "deckungsgleich in Parallelverschiebung", und danach SKINNER (1981) S.44, 46f. Neben der offensichtlichen Struktur beobachtet SCHMIDT im einzelnen vor allem die entsprechenden Verszahlen beider Triaden (45 und 42 Verse), die Anfangsstellung des jeweils längsten, die Schlußstellung des jeweils kürzesten carmen (c.15, 23 - c.21,26), die Identität der Verszahlen von jeweils erstem und letztem Gedicht einer Triade (32 Verse). Zur Bedeutung von c.22 vgl. auch QUINN (21973) S.156 "Poem 22 amounts in fact to an assertion of important principles", die z.B. SKINNER (1981) S.56 auch in Catulls carmina verwirklicht sehen will. Ob letzterem uneingeschränkt zuzustimmen ist, sei dahingestellt. Entscheidend ist hier nur, daß c.22 offensichtlich einen zentralen Gedanken enthält. HUBBARD (1983) S.227 "his collection to be framed respectively with positive and negative paradigms of his poetic doctrine"; siehe auch o. S.37 mit weiterer Literatur in den Anm.

228

'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli

Beide hinkiambischen Mittelgedichte sind somit ihrem Inhalt nach zumindest nicht beliebig und enthalten, verglichen mit den sonst in den beiden Zyklen vorkommenden Gedichten, vielleicht die für Catull selbst bedeutsamsten Aussagen.752 Nicht beibehalten sind demgegenüber die Versmaße der beiden anderen Trenngedichte. Beim Vergleich beider Zyklen entsprechen sich - wie aus der obigen Übersicht leicht abzulesen - die Versmaße der jeweils äußeren, nicht hendekasyllabischen carmina (iamb. Trim., Hinkiamb., Sapph. - Priap., Hinkiamb., iamb. Tetram.), also c.4 und 17 bzw. c.ll und 25, nach STROH jedoch passend für seine Axialsymmetrie c.4 und 25 als zwei iamb, und c.ll und 17 zwei äol. Maße. Führt man aber die soeben angestellten inhaltsbezogenen Erwägungen weiter, könnte zum einen der sorgfältig rein gehaltene und dadurch fein wirkende iamb. Trimeter des beschaulichen phasellus-Gedichts (c.4)753 absichtlich im Falle des zunächst ebenfalls freundlich beginnenden und von der Thematik bzw. dem Typus als Beschreibung verwandt scheinenden colonia-Gedichts (c.17) durch die wegen ihrer Verbindung mit dem Gott Priapus anrüchig wirkenden Priapeen ersetzt sein.754 Zum anderen wären ähnlich statt des erhabenen, ungewöhnlichen sapphischen Versmaßes von c.ll im zweiten Zyklus c.25 die gewöhnlichen und als Hipponakteen für Spottverse der Iambographen üblichen lamben verwendet, die als iambische Septenare auch in Komödienversen häufig anzutreffen sind und damit einen ganz gebräuchlichen Verstyp darstellen. Denn auffällig ist doch, daß in beiden Fällen im 'Aurelius- und Furius'- libellus an die Stelle der feinen, besonderen Verstypen des 'Lesbia'-libellus gewöhnlichere, gröbere Maße getreten sind. Und auffällig ist wiederum, daß beide Versmaße des zweiten libellus, Priapeen und iamb. Septenare/Tetrameter, im uns überlieferten Corpus Catullianum nur für diese beiden Gedichte und für kein weiteres carmen sonst gebraucht sind.755 752

753

754

755

Ein C.8 entsprechendes, ernstes oder verzweifeltes Liebesgedicht über Catulls Leid kann es der obigen Interpretation der Aurelius- und Furius-Gedichte gemäß im zweiten Zyklus nicht geben, da in ihnen die Liebe zu dem schönen Knaben ja m.E. nur als Mittel gebraucht ist, seinerseits die Freunde aufzuziehen und als Revanche verbal niederzumachen. Nach KROLL (61980) ad loc. z.B. handelt es sich dabei um eine aus hellenistischer Dichtung stammende, nur bei den Neoterikern vorkommende Besonderheit. Vgl. z.B. frg.l auf Priap ebenfalls in Priapeen oder das Vergil zugeschriebene PriapGedicht (Append.3). Anders ist z.B. STOESSLs Einschätzung des Versmaßes von c.17 als "sehr kunstvolles Metrum" (1977, S.36). Zu Priapeen als 'unanständiges' Maß vgl. aber z.B. auch WISEMAN (1969) S.12 Anm.4, der lediglich glaubt, daß das Gedicht seines Metrums wegen zwischen die homosexuellen carmina gestellt ist, während es m.E. sogar gezielt dafür in dieser Form gedichtet wurde. Eine mit den letzten Versen zusammenhängende Deutung für die Wahl gerade dieses Verstyps als geeignet für "a comic baptism" versucht WALSH (1985) S.319ff. Die Einzigartigkeit der Metren von c.17 und 25 wurde auch z.B. bereits von E. A. SCHMIDT (1973) S.220 oder SKINNER (1981) S.65 Anm.15 hervorgehoben. Außerhalb des Corpus Catullianum bieten immerhin noch die beiden Catull zugeschriebenen, z.T. eindeutig zuzuweisenden Fragmente 1 und 2 Priapeen (vgl. Terent.Maur.6,2754ff. cecinit Catullus ...). Als weitere interessante Auffälligkeit bemerkt SCHMIDT (1985) S.37, daß

c.1-14 und 14a-26: strukturelle Bezüge

229

Die jeweilige Regelmäßigkeit ist im übrigen in beiden Büchlein keineswegs dadurch gestört, daß gleich am Anfang nicht nur die zu den restlichen Zahlenverhältnissen passenden drei bzw. zwei hendekasyllabischen Gedichte vorliegen, sondern mit c.l und c.l4a beidemal ein solches mehr vorhanden ist und sich am Anfang dadurch scheinbar unpassend eine Vierer- bzw. Dreiergruppe ergibt. In beiden Fällen handelt es sich bei den zusätzlichen Versen nur um das Einleitungsgedicht, das, da auch inhaltlich anderen Charakters, vorher auszunehmen ist,756 wie dies z.B. auch bei Martial geschieht, wenn er etwa trotz vorausgehender Einleitungswidmung (samt Epigramm) sein zweites und neuntes Gedichtbuch erst danach wirklich auf Seite eins beginnen läßt (vgl.... si qui in hune librum inciderint, quod ad. primam paginant non lassi peruenient sowie epigramma, quod extra ordinem paginarum est).757 Gerade die später aufkommende Praxis, derartige Einleitungsgedichte durch kurze Prosavorwörter, zumeist Briefe, zu ersetzen (neben Martials Büchern 1, 2, 8, 9 und 12 vgl. auch z.B. Statius' 'Siluae'), zeigt das Streben, die Widmungen auch äußerlich deutlich vom folgenden libellus abzuheben, was möglicherweise bei Catull ebenfalls für den 'Lesbia'-libellus durch die von den restlichen Gedichten abweichende metrische Gestaltung der Hendekasyllaben des ersten Gedichts erfolgte.758 Für den Eindruck einer regelmäßigen Anordnung in Gruppen von jeweils drei hendekasyllabischen Gedichten ist allerdings zu Anfang des 'Lesbia'-ft'bellus mit den meisten modernen Catull-Editoren (so z.B. DELLA CORTE, MYNORS, EISENHUT, BARDON) 759 neben c.2 ein eigenständiges c.2a

756

757

758 759

C.17 den einzigen Fall in klassischer lateinischer Dichtung darstellt, in dem Priapeen nicht für ein Priap-Gedicht verwendet sind. Dies hier besonders zu betonen, scheint zumal angesichts der in der folgenden Anm. gesammelten Literatur unnötig. Trotzdem ist jedoch in den neuen Bauplänen von HUBBARD (1983) und D E I T M E R (1988) durch eine Verbindung zu c.14 auch weiterhin c.l direkt in deren libellus/Zyklus einbezogen (dagegen siehe u. S.246ff.). Zur Stellung von Einleitungsgedichten außerhalb der Zählung, evtl. sogar extra librum außen auf der Rolle, "standing at the head of the libellus but not structurally part of it" (PULBROOK [1984] S.81), vgl. z.B. SCHULZE (1881) S.206, BIRT (1904) S.425ff., W H E E L E R (1934) S.19f., SCHUSTER (1948) Sp.2366, HECK (1951) S.33 Anm.l und seinen Bauplan, SEGAL (1968) S.307, COPPEL (1973) S.180 Anm.161, KROLL ("1980) ad loc., MINYARD (1988) S.349, FEDELI (1990) S.29, GRATWICK (1991) S.200 oder auch F.E. BRENK, Non primus pipiabat: Echoes of Sappho in Catullus' passer Poems, Latomus 39 (1980), S.702-716, dort S.711. Auch daß Martial eine Catull-Sammlung als passer und damit mit dem ersten Wort des nach dem Einleitungsgedicht ersten carmen zitiert (vgl. dazu auch u. S.244f.), läßt sich als Beleg dafür auswerten, daß ein einleitendes Gedicht bzw. hier sogar speziell Catulls c.l nicht wirklich zur folgenden Sammlung zu rechnen ist (WHEELER S.19 geht allerdings davon aus, daß die Martial vorliegende Sammlung erst mit c.2 begann). Dazu genauer siehe gleich S.235ff. Vgl. ferner z.B. WESTPHAL (21870) S.4, EISENHUT (1965) S.301ff., HECK (1951) S.40, BISHOP (1966) S.158ff., KROLL ("1980) ad loc., NÉMETH (1973) S.41, E A . SCHMIDT (1973) S.218, COPPEL (1973) S.187, STOESSL (1977) S.146f., OFFERMANN (1978) S.49f„ TAR (1979) S.5ff„ BRENK (1980) S.702ff., FOTIOU (1980) S.

230

'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli

vorauszusetzen bzw. auch umgekehrt dessen Eigenständigkeit durch die hier und im folgenden Kapitel vorgetragenen Beobachtungen zum Bau dieses Büchleins gegen die Ausgaben z.B. von LENCHANTIN DE GUBERNATIS und GOOLD zu bestätigen,760 auch wenn nur zwei hendekasyllabische carmina 2+2a und 3 in dessen erster Hälfte zunächst den ebenfalls nur zwei in der zweiten Hälfte besser zu entsprechen scheinen und damit insgesamt ein dem des 'Aurelius- und Fuúus'-libellus ähnlicheres abwechselndes Zahlenverhältnis 2:3:2:3 gegeben wäre. Schon unabhängig vom Bau des 'Lesbia'Buches oder -Zyklus als Ganzes mit seiner als Aufbauprinzip zu erschließenden Abfolge von jeweils drei hendekasyllabischen Gedichten war schließlich z.B. seit WESTPHAL immer wieder als störend empfunden worden,761 daß bei Zusammenfassung von c.2 mit 2a die beiden themengleichen Spatzen-Gedichte c.2 und 3 ohne eingeschobenes Trenngedicht wie bei dem folgenden Paar c.5 und 7 direkt aufeinander folgen und damit das so oft beobachtete Variationsprinzip solcher Paarungen durchbrochen wäre, was auch nicht durch die oft als Gegenargument genannte unmittelbare Folge der beiden Lesbia-Gedichte 7 und 8 zu belegen ist: Diese beiden carmina bilden schließlich kein c.2/3 und 5/7 vergleichbares, sich inhaltlich ergänzendes Paar; c.8 leitet vielmehr, genau in der Mitte des Zyklus stehend, den Umschwung ein und hat somit - überdies auch durch das andere Versmaß bereits deutlich abgesetzt - aus inhaltlichen Gründen eine besonders exponierte Stellung erhalten.762 Für die Abtrennung von c.2a entscheidend ist jedoch, daß es der Forschung trotz aller gegenteiligen Versuche - für die jüngste Zeit vgl. z.B. die Arbeiten von DEITMER, WIRTH und FELGENTREU 763 - nicht gelungen ist, einen wirklich problemlos nachvollziehbaren inhaltlichen Zusammenhang zwischen c.2 und den drei Versen von c.2a herzustellen.764 Der Übergang auf dessen mythologisches Exempel ist - auch

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lllff., SMALL (1983) S.167 Anm.14; genaue bibliographische Angaben in der u. Anm.763 genannten neueren Literatur bzw. den Bibliographien von HARRAUER/HOLOKA. Vgl. ferner z.B. BIRT (1904) S.426ff„ DORNSEIFF (1936) S.346ff., WAGENVOORT (1940) S.294ff., GHISELLI (1953) S.114ff., SEGAL (1968) S.309f., BARWICK (1958) S.313, LIEBERG (1962) S.99ff„ ZICÀRI (1963) S.205ff., GUGEL (1968) S.810ff., GIANGRANDE (1975) S.137ff., LOOMIS (1976) S.159ff., JOCELYN (1980) S.421ff„ NADEAU (1980) S.879Í., ADLER (1981) S.138ff., SKINNER (1981) S.42f., FITZGERALD (1992) S.425f.; genaue bibliographische Angaben in der u. Anm.763 genannten neueren Literatur bzw. den Bibliographien von HARRAUER/HOLOKA. Siehe o. Anm.759. Zu Bauplänen in Abhängigkeit von c.2a vgl. SKINNER (1981) S.42. Siehe u. S.246ff. D E I T M E R (1984) S.107ff., WIRTH (1986) S.36ff., FELGENTREU (1993) S.216ff. und unlängst JANAN (1994) S.55 Anm.51 jeweils mit ausführlicher Bibliographie. L.T. PEARCY, Catullus 2b - or not 2b, Mnemosyne 33 (1980), S.152-162, sucht sich mit einer Versumstellung, dem Einschub von c.2a in c.2, zu behelfen. FELGENTREUs Schlußsatz (1993) S.222 "Pointiert gesagt: Ohne die Verse 11-13 blieben die Verse 1-10 ein Fragment" ist völlig überzogen; DEITMER (1984) S.107ff. versucht nicht einmal die Kohärenz ihres c.2+2a zu besprechen und argumentiert ausschließlich mit äußeren Bezügen zu c.65 an angeblich entsprechender Position zu Beginn eines

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sprachlich mit dem das gesamte c.2 dominierenden männlichen, direkt angeredeten passer und dann einem sächlichen, nicht selbst angesprochenen Bezugswort für ein gratum im ersten erhaltenen Vers von c.2a oder einer nur in Gedanken zu ergänzenden, in den Formulierungen des c.2 aber keineswegs deutlich angelegten Überleitung wie etwa der von BARWICK-"Es wäre mir so lieb, wenn ich mit dem passer sicut ipsa spielen könnte ..."765 - viel zu abrupt, und es wird auch nicht ersichtlich, wieso sich passer und Apfel entsprechen sollen. Der oder die Äpfel der Atalante kommen schließlich vom Mann als Mittel, um sie zu gewinnen, und wurden von ihr (bewußt) ihrer eigenen Jungfräulichkeit vorgezogen; der passer ist dagegen das Spielzeug der puella und bei Catull von vornherein in ihrem Besitz, ohne daß sie deswegen auf etwas verzichten müßte.766 Sollte folglich Catull als nach dem Einleitungsgedicht erstes carmen seines umfangsmäßig wie auch immer gearteten Buches oder Büchleins in exponiertester Stellung ein Gedicht gesetzt haben, dessen Einheit bislang mindestens die Hälfte der Catull-Forscher und auch gewöhnlichen Leser nicht verstehen konnte - ein Gedicht mit einem sprachli-

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Sammlungsteiles. Im Vordergrund muß aber zunächst das Gedicht selbst stehen, ehe man zusätzliche Bezüge zu solch weit entfernten carmina herstellen darf. BARWICK (1958) S.313, ZICÀRI (1963) S.205ff. und entsprechend GUGEL (1968) S.815. Selbst bei einem solchen Anschluß sind sich jedoch die Interpreten uneins, worauf zu beziehen ist (z.B. nach LIEBERG [o. Anm.760] auf V.2-6, nach GUGEL auf V.9f.). Zusätzlich stört, daß der durch tarn - quam zu den folgenden Versen des Fragments, nicht etwa zum vorausgehenden c.2a geschaffene, mit jeweils personenbezogenem Dativ und est /fuisse ganz parallel gebaute Vergleich im zweiten Teil dann nicht ebenfalls eine evtl. nur zu ergänzende Handlung als Subjekt, sc. ludere, erhalten hat, sondern direkt einen als 'lieb' und 'teuer' bezeichneten Gegenstand, quam gratum... aureolum fuisse malum. Daß man auch Vögel verschenken konnte, so WIRTH (1986) S.48ff., ist gewiß richtig und seine Parallelen sind interessant, haben jedoch mit Catulls Gedicht nichts zu tun; seine Folgerimg, die puella müßte Catull den passer übergeben so wie Hippomenes der Atalante den Apfel, ist aus dem Wortlaut nicht abzulesen. Etwa GUGELs Gleichsetzung (1968) S.819, daß der Wurf des Apfels für Atalante die Gewißheit bedeutet geliebt zu werden und "das Spiel mit dem Vogel [...] dasselbe für Catull", ist folglich wegen der unterschiedlichen Grundkonstellation gerade nicht herauszulesen. Wenn GUGEL darüber hinaus den Vergleich deshalb als sinnvoll bezeichnet, weil "das Spiel mit dem Vogel [...] den Liebesschmerz lindert und die Liebeserfüllung andeutet", der Apfel aber "den Gürtel löste und damit die Erfüllung brachte", läßt sich dies auch bei Trennung in zwei Gedichte auswerten. In einem vereinten carmen stört dagegen, daß ansonsten mit c.2 wie auch c.3 die Spatzengedichte ja erst an Stelle der direkten Beziehung/Berührung stehen, von einer Liebeserfüllung also noch keine Rede sein kann. Wenn unlängst FELGENTREU (1993) S.216ff. eine zusätzliche Beziehung zwischen passer und malum aureolum (Quitte) als mit Venus assozierte "Liebesgaben" und für die Quitte als μήλον σιρονϋίσν eine Anspielung auf den passer/στρσνϋός entdeckte, so gilt ebenfalls, daß eine solche bei einem eigenständigen c.2a nicht verlorengehen muß. Zu voreilig urteilt GUGEL S.822 "[...] welch [...] reizvolles wie beziehungsreiches Netzwerk wir vor uns haben, das wir zerstören würden, wenn wir c.2a als Fragment abtrennten [...]: was haben die Vertreter der Trennung als Gewinn zu buchen, der sich als mindestens gleichwertig entgegenstellen liesse?" Gewinn ist eine die Beziehungen beibehaltende, im Einklang mit dem Bau des Zykhis/libellus stehende Deutung, die die im Falle des gemeinsamen Gedichts unzweifelhaft vorhandenen sprachlichen Härten umgeht!

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chen wie inhaltlichen Bruch, der ansonsten im Corpus Catullianum ohne Parallele ist und somit keineswegs einer von ihm mehrfach geübten Praxis entspricht? Auch das korrespondierende Spatzengedicht c.3 ist auf Anhieb verständlich und ohne einen c.2a vergleichbaren Abschluß mit einem mythologischen Vergleich. Allein daß in den Handschriften c.2 und 2a zusammengeschrieben sind, ist noch kein zwingendes Argument, ja noch nicht einmal ein ernstzunehmendes Indiz und, wie z.B. EISENHUT zu Recht einwendet, lediglich weiteren Trennungsfehlern vergleichbar, so z.B. bereits gleich danach c.2a+3 sowie c.5 + 6, 6+7, 9+10, 10+11 und bes. c.69ff.767 Daß in den Catull-Handschriften noch mehrfach Gedichte wie das hier diesbezüglich im Kap.2.2. bereits untersuchte c.l4a oder auch vielleicht c.78a nur als wenige Verse umfassende Fragmente erhalten sind, wie ebenfalls z.B. EISENHUT betont, zeigt im Gegenteil, daß auch für c.2a keine Notwendigkeit besteht, gegen dessen sprachliche wie inhaltliche Gestaltung einen gesuchten Zusammenhang mit c.2 zu konstruieren. So ist m.E. auch für c.2a weiterhin von dessen Eigenständigkeit auszugehen und das Problem der Forschung mit den drei Versen eher auf andere Weise zu beseitigen: Der wiederholte Versuch, c.2 und 2a zu einem Gedicht zu verbinden, dürfte schließlich zum Teil nur dadurch motiviert sein, daß man sich einerseits die Existenz eines selbständigen, scheinbar mythologische Inhalte betreffenden carmen innerhalb des 'Lesbia'-Zyklus und speziell zwischen den Spatzen-Gedichten nicht erklären konnte, andererseits aber doch - und in der Tat zu Recht - durch den Spatz als deliciae des Mädchens und dem c.2a beschriebenen, nun Catull als gratum vorkommenden, kostbaren (?) Gegenstand (das ist nicht etwa der goldene Apfel selbst; mit diesem wird lediglich verglichen) eine gewisse Parallelität entdeckte. Verständlich wird beides durch die spezielle Funktion, die die Trenngedichte und damit auch c.2a als selbständiges Gedicht innerhalb der das Buch bestimmenden Dreiergruppen zu erfüllen haben, doch sei dies erst im nächsten Kapitel näher erläutert.768 Für die Struktur des 'Lesbia'-//fteZ/t« bleibt es folglich bei der einen Ausnahme mit den nur zwei hendekasyllabischen c.9 und 10 zwischen den andersartigen C.8 und 11, durch die der ansonsten einheitliche Eindruck gestört wirkt. Da nun aber wegen c.2a und 14a beide Zyklen schon ohnehin einen nur mehr fragmentarischen Charakter aufweisen, könnten angesichts der sonst einheitlich durchgehaltenen 3er-Systematik im 'Lesbia'-Buch nicht bloß die restlichen Verse von c.2a und 14a, sondern auch ein weiteres hendekasyllabisches Gedicht zwischen c.8 und 11 verlorengegangen sein,769 so daß ursprünglich doch ein in jedem Falle einheitliches Bauprinzip der An767 768 769

EISENHUT (1965) S.301ff., bestätigt von GUGEL (1968) S.810f. Siehe u. S.254ff. Auch für andere Gedichte ist darum - abgesehen von den durch die Wiederholung des Gedichtanfangs am Ende mit einer deutlichen Rahmung versehenen c.16, 32, 52, 57 - gelegentlich ein Wegfall von Versen möglich und zu befürchten (zu Ausfällen vgl. bes. EISENHUT o. Anm.759). Diese Überlegungen mahnen überhaupt zur Vorsicht bei jeglichen Zahlenspielen bezüglich einer planmäßigen Gedichtverteilung im Aufbau.

c.1-14 und 14a-26: strukturelle Bezüge

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Ordnung der Gedichte des ersten libellus zugrunde lag. Bei der später noch vorzunehmenden Analyse des 'Lesbia'-Büchleins wird sich die denkbare Ausfallstelle sogar genauer bestimmen lassen und ein inhaltlich c.9, der Stellung nach c.3, 7 und 14 entsprechendes Gedicht zwischen c.10 und 11 zu vermissen sein.770 Gegen die zunächst lediglich auf formalen Erwägungen beruhende Annahme eines solchen Verlustes mag man jedoch ein weiteres äußerliches, ebenfalls nur das Zahlenverhältnis der carmina beachtendes Argument anführen. HUBBARD sieht nämlich in den 15 überlieferten carmina des 'Lesbia'-libellus (c.1-14 mit einem eigenständigen c.2a) eine Parallele zu den ebenfalls oftmals "a multiple of five" enthaltenden Büchern der Augusteer.771 Wenn freilich, wie die 3er-Anordnung und analog dazu die strengen Folgen im 'Aurelius- und Furius'-Zyklus zeigen, das Einleitungsgedicht auszunehmen ist, bliebe die 15er-Zahl auch bei Annahme eines neben c.2a weiteren Gedichtausfalls zwischen c.8 und 11 erhalten. Auch in Ovids erstem 'Amores'-Buch stehen schließlich die vier Einleitungsverse außerhalb der Zählung der eigentlichen 15 Gedichte. Solche Zahlenspiele sind somit letztlich nicht wirklich aussagekräftig und für Catull ohne Beleg einer sonstigen Vorliebe für Ser-Anordnungen772 weitgehende Spekulation, zumal selbst bei den augusteischen Dichtern Teilbarkeit durch fünf nicht als fest vorgeschriebenes Prinzip zu werten ist, sondern lediglich eine an vielen Gedichtbüchern zu beobachtende Übereinstimmung darstellt (vgl. dagegen z.B. die 22 bzw. 38 carmina im ersten Buch des Properz bzw. Horaz). Interessant ist jedoch immerhin, daß die Gedichtanzahl im hier angenommenen 'Aureliusund Furius'-//0e//i« ebenfalls bei Einbeziehung des Einleitungsgedichts durch fünf teilbar ist (c.14 a und 9 carmina 15-26), so daß beide Zyklen/libelli eine weitere, zur Gestaltung antiker Gedichtbände des 1. Jh.s v. Chr. passende Gemeinsamkeit haben und durch den zweiten libellus vielleicht sogar HUBBARDs Beobachtung für den ersten gestützt wird. Und was nun innere Gründe für einen Gedichtausfall betrifft, so wird sich später aus der Analyse des 'Lesbia'-Zyklus gerade dafür argumentieren lassen, daß Catull bei der Zusammenstellung von Gedichten für seinen ersten libellus in dem einen Fall bewußt von seinem sonst darin üblichen Dreier-Schema abgewichen ist, um das nachfolgende carmen stärker hervorzuheben - oder auch einfach nur, wie es bei oberflächlicher Betrachtung zuerst erscheinen könnte, um für ein gewisses Gleichgewicht zwischen den beiden Teilen zu sorgen, da die erste Hälfte mit c.2-7 nur 100 Verse (+ den Rest von c.2a) enthält, die zweite mit c. 9, 10, 11-14 jedoch bereits 124 Verse. So ist hier zunächst 770 771

Siehe u. S.257f. HUBBARD (1983) S.227 mit Hinweis auf z.B. jeweils 10 Gedichte in Vergils EklogenSammhing, Horaz' erstem Satiren-Buch oder dem ersten Tibull-Band, 15 im 'Catalepton' und in Ovids 'Amores' I und Horaz' viertem Oden-Buch, 20 in Horaz' erstem Epistel- und zweitem Oden-Buch, 25 im dritten Buch des Properz oder 30 in Horaz' dritter OdenSammlung; Ähnliches bereits bei HECK (1951) S.9f. Gegen HUBBARDs ohnehin nur zwei anstatt dann auch zu erwartender drei Fünfergruppen innerhalb des libellus siehe u. S.252f.

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'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli

nur festzuhalten, daß eine Abweichung im sonst gleichmäßigen Bau des 'Lesbia'-Zyklus vorliegt und man der reinen Regelmäßigkeit wegen einen Ausfall annehmen könnte, daß aber andererseits die eine Abweichung noch nicht unbedingt als störend empfunden werden muß - bereits SEGAL unterstellt für sein Aufbau-Schema der c.1-11, daß Catull "not interested in complete symmetry" war.773 Vergleicht man nun die beiden Zyklen bzw. libelli, so wirkt der zweite in jedem Fall - ob mit Annahme eines Gedichtausfalles oder nicht - durch das 2:1 Muster im Gegensatz zum 3:3 Muster der Hendekasyllaben des 'Lesbia'Buches strenger und sogar noch ein wenig diffiziler geordnet und damit durchaus als eine auch im Aufbau durchgeführte, den inhaltlichen Überlegungen des vorausgehenden Kapitels und den hier bereits geäußerten Beobachtungen zu den Versmaßen der c.17 und 25 entsprechende Verschärfung. Wenn man aber auf einen völlige Gleichmäßigkeit schaffenden Texteingriff nach c.lO verzichtet, wird sich dieser Eindruck sogar noch verstärken: Angesichts des überlieferten Befundes scheint es gar so, als ob Catull im ersten Zykhis/libellus ein gewisses Aufbau-Prinzip zwar angestrebt, aber noch nicht wirklich in jedem Fall einheitlich durchgehalten habe, wie es dann im zweiten Zy]dus/libellus geschieht, der zusätzlich ein verfeinertes Bauprinzip erhalten hat und insgesamt auch ohne jede Ausnahme angeordnet ist - z.B. SKINNER spricht für diesen schließlich von "a strict mathematical", ja sogar "the most regular structure in the collection".774 Die hier vorgetragene, die jeweiligen Eigenarten beachtende Deutung für das Verhältnis der beiden Zyklen/libelli zueinander kommt also im Gegensatz zu anderen Versuchen wie z.B. denen von METTE und DEITMER, deren Ausfall-Annahmen bereits von anderen Forschern zu Recht kritisiert werden, ohne notwendige, symmetrieschaffende Texteingriffe aus, kann im Gegenteil in der Catull-Sammlung vorgefundene Anomalien wie die Anordnung der c.9-11 bestätigen helfen und auch auf alle Gedichte betreffende und z.T. nur mehr schwierig nachzuvollziehende Verklammerungen beider Zyklen, wie sie STROH zu erkennen glaubte, verzichten. Der Nachweis einer bis ins einzelne durchgehaltenen Parallelität ist schließlich gar nicht erforderlich; wesentlich und auffällig genug ist bereits die Feststellung einer gewissen strukturellen Ähnlichkeit und Bezogenheit. Und wie im Fall der inhaltlichen Erklärung der c.17, 25 und 26 ist es auch hier wiederum dieselbe Technik der Verschärfung, die sich jetzt als strengere Durchstrukturierung auch auf den Aufbau der beiden Zyklen anwenden läßt und sich sogar im folgenden in ähnlicher Weise noch zweimal beobachten lassen wird:

773 774

SEGAL (1968) S.321. SKINNER (1981) S.47.

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Denn noch in einem weiteren Punkt scheint der zweite Zyklus strenger gebaut, wie bereits STROH feststellt:775 Die Aurelius- und Furius-Gedichte sind nunmehr allesamt in Hendekasyllaben abgefaßt, die eingeschobenen Gedichte dagegen in den drei anderen Maßen; dies war im 'Lesbia'-Zyklus noch nicht derart regelmäßig durchgehalten.776 Die dort getrennt voneinander befolgten Aufbauprinzipien der inhaltlichen und metrischen Variation scheinen jetzt im zweiten libellus zur Deckung gebracht. Und auch an Catulls Verstechnik läßt sich diese so für den Aufbau des zweiten Zyidus/libellus in mehrfacher Hinsicht anzunehmende stärkere Durchstrukturierung bzw. Reglementierung erkennen. Nach den Überlegungen zu den je drei in anderen Versmaßen abgefaßten carmina ist nämlich nun noch die Gestaltung der zahlenmäßig dominierenden Hendekasyllaben der beiden Zyklen zu betrachten und damit SKUTSCHs metrisches Argument von 1969, dessen Besprechung oben zunächst aufgeschoben worden war. Festgestellt wird bekanntlich, daß die Elfsilbler der c.2-26 mit zweifach langer äolischer Basis und demgegenüber die der c.27ff. mit mehreren trochaeischen und iambischen Versanfängen unterschiedlich gebaut sind. Da metrisch auch c.l mit seinen vier Kürzen zu Beginn (Trochaeen V.2, 8, 9, Iambus V.4) bei nur 10 Versen den ebenfalls wiederholt Kürzen aufweisenden c.27-58a viel näher steht als den unmittelbar folgenden c.2-26 und da natürlich damit zu rechnen ist, daß ein Einleitungsgedicht erst nach Fertigstellung der Sammlung als das zeitlich letzte verfaßt wurde - zumal eines, das (nur in der Fiktion?) auf das auch seiner äußeren Form nach vollendete Buch blickt (V.2 ... pumice expolitum) wie das von Catull -, wird das auffällige Phänomen der metrischen Einheit der c.2-26 im Vergleich zu denen der c.27ff. in der Forschung mit einer künstlerischen Entwicklung Catulls erklärt, die ihn in späterer Zeit anderen Prinzipien und größerer Freiheit habe folgen lassen. Das zumindest seine polymetrische Sammlung einleitende c.l sei somit erst nach Abschluß der beiden Zyklen bzw. des ganzen kleineren oder größeren, die meisten oder alle Polymetra oder gar das Corpus insgesamt umfassenden Buches von einem bereits den neuen Prinzipien der c.27ff. folgenden Catull an die Spitze seiner mit älteren, formal noch strenger gehaltenen Gedichten beginnenden Sammlung gesetzt.777 Die metrische Zweitei775 776 777

STROH (1990) S.140. Zu den inhaltlichen Gründen dafür siehe u. S.252f. Zur Forschung siehe o. S.21 und z.B. STROH (1990) S.139 "[...] wie es auch wohl alle seitdem akzeptieren". Eine wesentliche Einschränkung macht freilich HUBBARD (1983) S. 234 "Skutsch is quite correct in attributing the difference in Catullus' metrical technique to a chronological development, even though mistaken in inferring that this was perse a principle for arranging the poems. What is noticeable is the relative metrical consistency of thematic cycles"; siehe auch u. Anm.779 und 782 sowie FERGUSONS entsprechende Hervorhebung (1986) S.5, "that the Furius-Aurelius-Cycle is all within the earlier poems, ending with c.26". Für SKINNER (1981) S.23 ist der Schlüssel zur metrischen Verteilung der Hendekasyllaben "not chronological distribution per se, but the progression from strict conservatism to diversity and freedom". Sie verbindet damit eine besondere Interpretation

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lung der c.2-60 hinsichtlich des Hendekasyllabenbaus, die auch z.B. STROH als Beleg für die editorische Einheit seines 'Liederbuches' heranzieht und die hier ebenfalls zur Abgrenzung des zweiten libellus bis c.26 zugrunde zu legen ist, wirkt in der Tat unstrittig. Kritiklos und zu schnell jedoch wird in der Forschung vielfach die scheinbar offensichtliche, einfache Deutung des Befundes übernommen, die Annahme einer durch den Versanfang der Hendekasyllaben möglichen chronologischen Trennung der Gedichte in frühere und spätere und der daraus resultierende Schluß auf die notwendigerweise von Catull selbst stammende Anlage des polymetrischen Sammlungsteiles, obwohl es bei näherer Betrachtung ebenso offensichtliche, z.T. bereits zu Recht erhobene, aber nicht ernst genug genommene Einwände gibt. Denn erstens stehen einander mit c.1-26 und 27-60 nicht wirklich zwei einheitlich gestaltete Hendekasyllaben-Blöcke gegenüber - immerhin neun der 24 hendekasyllabischen carmina des zweiten Teiles weisen ebenso reine, streng spondeisch gehaltene Versanfänge auf wie die des ersten, bis c.26 reichenden Teiles.778 Betrachtet man zunächst nur diese zweite Gruppe, ist nicht einzusehen, warum die Trennung von strenger und freier gestalteten Versen nicht über c.26 hinaus durchgeführt ist, wenn damit wirklich das grundlegende Anordnungsprinzip der Polymetra getroffen wäre. Sollte ein Dichter ca. 25 Gedichte lang mit gesuchtem Aufwand ein metrisches Konzept verfolgt, dieses im zweiten Teil seiner Sammlung aber plötzlich vernachlässigt haben? Daß z.B. die mit der Bithynienreise in Verbindung stehenden und folglich von der Forschung üblicherweise früher angesetzten, rein spondeischen c.28 und 46 sowie c.47 gegen Piso nicht dem ersten Zyklus mit den angeblich ebenfalls früheren, strengen und überdies inhaltliche Bezüge bietenden Gedichten zugeordnet sind (vgl. die dortigen 'Veranius- und Fabullus'-cawij'na und besonders c.10 mit der Erwähnung des Memmius), daß entsprechend nicht auch c.48 an die inhaltlich zugehörigen und metrisch gleichgestalteten c,15ff. und hier speziell c.24 angeschlossen ist, zeigt, daß es bei der Verteilung der Hendekasyllaben nicht auf eine chronologische Trennung zweier Blöcke unterschiedlicher Technik ankam. Zweitens ist klarzustellen, daß allein Beobachtungen derart, daß z.B. das den Abschied von Bithynien nachvollziehende und damit inhaltlich früher anzusetzende c.46 anders als c.l am Versanfang ohne Variationen ist, noch kein zwingendes Argument dafür sind, daß alle carmina mit rein spondeischen Hendekasyllaben und so auch die gegen Aurelius und Furius gerichteten früher als die mit gelegentlichen anfänglichen lamben oder Trochaeen entstanden sein müssen, wie es z.B. selbst HUBBARD annimmt.779 Zur Dis-

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779

des diesbezüglich als programmatisch empfundenen c.27, die u. S.304ff. noch näher zu erörtern und abzulehnen sein wird. Skeptisch gegen eine zu enge chronologische Deutung von SKUTSCHs Befund äußert sich z.B. SYNDIKUS (1984) S.9. C.28, 33, 43, 46, 47, 48, 56, 57, 58a; vgl. auch HUBBARD (1983) S.234: "But this manner of presenting the data is overly facile, and thus misleading. [...] The division is therefore not nearly so clear-cut as Skutsch would have us believe". HUBBARD (1983) S.234.

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kussion steht keine sich unbewußt vollziehende, zweifelsfrei eine Entwicklung dokumentierende Umstellung wie in sprachstatistischen ChronologieUntersuchungen zu anderen Autoren. Catull kann und wird beide Techniken nebeneinander angewendet haben, mal inhaltsbedingt, mal in der Tat aus Nachlässigkeit auch nur um des schnellen Dichtens willen - die spondeischen Anfänge z.B. von c.46 passen sehr gut zum getragenen, wehmütigen Ton dieses Abschiedsgedichts, ebenso wie die des dadurch technisch korrekt gestalteten c.58a zu dessen mythischer Gelehrsamkeit passen, während z.B. die vier Kürzen der nur acht Verse von c.40 Lebhaftigkeit erzeugen ebenso wie der Ruf nach den hendecasyllabi von c.42 (adeste ,..).780 Die vorliegende Reihenfolge im Gedichtcorpus mit seinen zwei Hendekasyllaben-Blöcken braucht nicht auch deren entsprechende Entstehung nacheinander widerzuspiegeln. Betrachtet man nun zusätzlich auch die Gruppe mit den ersten, angeblich frühen Lesbia-Gedichten, stört vielmehr, daß darin ausgerechnet c.ll mit seiner Anspielung auf den Britannienfeldzug Caesars und damit eines der wenigen zweifelsfrei datierbaren Gedichte enthalten ist, das erst 55 v. Chr. oder danach entstanden sein kann und deswegen eigentlich zum zweiten Block mit den angeblich späteren Hendekasyllaben gehörte.781 Bei wirklicher Berücksichtigung der engen inhaltlichen Bindung von c.ll an die einander in der Darstellung von Catulls Liebesgeschichte ergänzenden c.2ff., die die Forschung schließlich ebenfalls betont und die im nächsten Kapitel noch stärker herauszuarbeiten sein wird, wird die lediglich auf formalen Erwägungen basierende Klassifizierung der Hendekasyllaben des Umfeldes fragwürdig. Wegen des ähnlichen Spotts, der z.T. identischen Formulierungen und gleichen Länge gewiß gleichzeitig geschrieben und auch für gemeinsame Verbreitung gedacht sind die beiden Gedichte auf Mamurra und seine Freundin mit der großen Nase. Variation am Anfang bietet nur c.41, nicht aber auch das Parallelgedicht 43, so daß dieses Paar bestens belegt, daß die Gestaltung der Hendekasyllaben-Anfänge nicht einfach schematisch für eine chronologische Trennung von Catulls Versen auszunutzen ist. Auch das ziemlich derb gegen Caesar und Mamurra gerichtete c.57 ist rein gehalten und mit den demgegenüber variierenden, inhaltlich entsprechenden und wohl in dieselbe zeitliche Phase gehörenden c.41 und dem reagierenden c.54 zu vergleichen. Einzubeziehen ist überdies, daß der wiederum zweifelsfrei nach der Britannienfahrt zu datierende Angriff von c.29 in im Lateinischen seltenen, fast reinen Jamben vorgetragen wird, daß das mit seiner Erwähnung der porticus Pompei ebenfalls erst nach deren Bau 55 v. Chr. entstan780

781

Eine generelle Zuordnung einer bestimmten Versform zu speziellen Inhalten ist hier natürlich nicht möglich. ZICÀRI (1957) S.250ff. spricht zu allgemein von "carmi di tono assai sbrigliato" für die mit Variationen; vgl. dagegen zu Recht bereits SKUTSCH (1969) S.38 und z.B. SKINNER (1981) S.35 Anm.8. Korrekt so ja auch HUBBARD (1983) S.234: "The thesis of chronological arrangement is in any event incompatible with the [...] evidence from external allusions, which tells us that C.ll (among the 'earlier' polymetra) is extremely late, while C.31 and 46 (among the later polymetra) are at least a year earlier."

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dene, hendekasyllabische c.55 mit nur einer durch einen Eigennamen ohnehin leicht zu entschuldigenden Ausnahme, wie sie auch sonst bei Dichtern und etwa in c.29,3 vorkommt, reine Spondeen am Anfang hat und durch die Verwendung von zusätzlichen Spondeen im Versinneren anstatt der nach den drei Längen des Eingangs auflockernden beiden Kürzen z.T. sogar noch strenger gebaut wirkt. Hier einfach mit z.B. HUBBARD anzugeben, daß alle datierbaren carmina mit Elfsilblern aus Catulls letztem Jahr Variationen aufweisen, und daraus einen Beleg für die unterstellte Entwicklung und chronologische Zuweisung zu gewinnen,782 ist folglich nicht korrekt. C.55 bestätigt mit seiner einen Ausnahme im Gegenteil, daß Catull noch 55/54 v. Chr. sehr wohl strenge Phalaeceen baute und Abweichungen am Versanfang sparsam, gezielt und in gestalterischer Absicht einsetzte. Denn der Ausnahmevers 10 gibt eine der beiden direkten, zitierten Äußerungen des Gedichts und soll offenbar auffallen, da auch die zweite direkte Rede, die Antwort V.12, durch unterbliebene Elision im ersten Versfuß hervorgehoben ist (em hic ...). Und auch c.29 macht deutlich, daß Catull keineswegs in späteren Jahren in seiner Verstechnik nachlässiger geworden ist, daß er im Gegenteil mit strengeren Formen experimentierte und mit größerer Erfahrung im Dichten auch eine reinere, anspruchsvollere Gestaltung seiner Hendekasyllaben vorgezogen haben könnte, so daß sich seine metrische Entwicklung sogar umgekehrt sehen ließe. Denn gerade für seine sorgsam komponierten Bücher bzw. zuerst einmal natürlich nur den 'Lesbia'-libellus, der ihm mit mehr als 100-jähriger Dauer das Überleben sichern sollte (vgl. den Wunsch c.l,9f.), mag er sich um eine traditionsgemäße Verstechnik bemüht haben, während er bei weniger sorgsam formulierten, z.T. ursprünglich einzeln verbreiteten und aktuellen Spottgedichten auch zwei Alternativfüße zuließ, die ihm natürlich durch die dreifache Wahlmöglichkeit für die beiden ersten Silben das schnelle Dichten ungemein erleichterten. Jeder, der selbst schon einmal quantitierende Verse fabriziert hat, weiß, wie hilfreich Auflösungen sind, weiß, daß bei Verzicht darauf gerade die schönsten Wörter Probleme bereiten, nicht in die vorgegebene Struktur passen und aufwendige Umformulierungen erfordern. Ein um Traditionen und Versaufbau unbekümmerter, vereinfachende Lizenzen zulassender Umgang mit dem Hendekasyllabus mag Kennzeichen der neoterischen Augenblicksdichtung gewesen sein auch die wenigen erhaltenen Verse zeitgenössischer Dichterkollegen enthalten unterschiedliche Füße.783 Doch da ein mit reiner Gestaltung der Hendekasyllaben-Basis durchgehaltenes Gedicht demgegenüber schwieriger zu erstellen ist, ist es in formaler Hinsicht auch als wertvoller anzusehen, so daß anhand der Verstechnik m.E. weniger eine chronologische als vielmehr eine 782 783

HUBBARD (1983) S.234 Anm.61. Z.B. nach SKINNER (1981) S.22 war die Verwendung der leichten Basis mit Kürzen "such laxity sounded harsh to Roman ears" - ein Experiment der Neoteriker "marking a deliberate break with earlier conventions", während sonst wohl allgemein spondeischer Versbeginn angestrebt war (vgl. z.B. Varrò); vgl. auch die Zusammenstellung von J.W. LOOMIS, Studies in Catullan Verse, Mnemosyne Suppl.24, Leiden 1972, S.41f.

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qualitative Unterscheidung zu treffen ist, die zu den beiden hier erschlossenen, sorgsamst durchgestalteten libelli und ihren weitgehend reinen Versanfängen verglichen mit dem inhaltlichen wie metrischen Sammelsurium der c.27ff. paßt. Für den 'Lesbia'-libellas wird im folgenden noch ein weiteres Mal eine entsprechende Bevorzugung als höherwertig anzusehender Verstypen zu konstatieren sein.784 Was aber ist mit dem evtl. zum Abschluß des libellus geschaffenen c.l mit seinen mehrfachen Auflösungen? Anstelle der üblichen, knappen Verweise in Anmerkungen wirklich auszuwerten ist hier, daß sich die metrische Unregelmäßigkeit gar nicht nur im ersten Gedicht des ersten Teils mit ansonsten reinen Hendekasyllaben findet - dies ist der dritte Einwand gegen die einfache Gegenüberstellung zweier Blöcke c.2-26 und c.l + c.27ff. mit der geläufigen chronologischen Ausdeutung. Es gibt weitere Ausnahmen c.2,4, 3,17, 7,2, evtl. auch 3,12 das überlieferte illud statt der allgemein akzeptierten Konjektur illuc sowie vielleicht sogar c.12,9 disertus statt der heutigen Verbesserung differtus,785 Auch wenn diese nur wenige weitere Verstöße gegenüber SKUTSCHs Regel darstellen - im Fall von c.3 vielleicht sogar zweimal innerhalb eines Gedichts -, sind es immerhin mindestens vier von den 12 hendekasyllabischen, insgesamt nur 15 Gedichten des 'Lesbia'-Zyklus/ft'fte/lus, die metrisch nicht vollkommen rein sind, so daß das Einleitungsgedicht nicht mehr gänzlich allein dasteht, aber durch die vierfache Wahl eines anderen ersten Versfußes natürlich nach wie vor ein wenig herausragt. Doch ist nicht genau dies von Einleitungsversen zu erwarten, zumal von einem inhaltlich nicht zur mit c.2 beginnenden Liebesgeschichte gehörigen, auf das abgeschlossene Buch blickenden und mit seiner persönlichen Anrede wie ein Begleitbrief formulierten Gedicht? Die Zulassung auch alternativer Füße am Versanfang, die z.B. für V.4 leicht vermeidbar gewesen wäre,786 läßt sich somit - vgl. ja auch die eine Ausnahme c.55 - als von Catull ganz bewußt eingesetztes Mittel deuten, um seiner Einleitungswidmung ihrer Stellung außerhalb des eigentlichen libellus gemäß einen zwangloseren Charakter zu verleihen und sie vom restlichen Buch abzuheben. Etwa Martial wird hier 150 Jahre später noch weiter gehen und direkt die Form des Prosabriefes wählen und so am Ende einer Entwicklung stehen, die sich m.E. bei Catull bereits ankündigt.

784 785

786

Siehe u. S.243f. und 290f. Z.B. STROH erwägt (1990) S.153 Anm.38 allerdings zu c.2,4 atque statt et, um die Zahl der Ausnahmen möglichst zu reduzieren; dagegen jedoch bereits SKUTSCH (1969) S.39. Da nicht alle Abweichungen gleichermaßen einfach durch Konjektur zu beseitigen sind, sollte man hier von lediglich glättenden Texteingriffen Abstand nehmen. Für eine ausführliche Diskussion von c.3,12 siehe ZICÀRI (1957) S.250ff., SKUTSCH (1969) S.38ff.; für c.12,9 siehe u. Anm.865. SKINNER (1981) S.24 nimmt an, daß c.2, 3 und 7 nach den Hendekasyllaben der c.9-26 geschrieben wurden, aber "for special emphasis" die einleitende Stellung erhalten haben. Vgl. z.B. die Umformulierung u. Anm.788.

240

'Lesbia' und 'Juventius' in zwei libelli

Auffällig ist nun, daß es ausschließlich die Gedichte des ersten libellus sind, die noch gelegentliche, z.T. gewiß angenehm auflockernde Variationen zulassen (vgl. besonders die dadurch erzielte Hervorhebung von tua/tuae in C.3 und 7),787 daß dies aber in keinem der hendekasyllabischen carmina des zweiten libellus mehr der Fall ist, in dem Catull mit viel größerer Strenge verfahren zu sein scheint. So stehen sich nicht nur die beiden Blöcke c.2-26 und 27ff. gegenüber, selbst die beiden Zyklen des ersten Blocks weisen unterschiedlichen Umgang mit dem Phalaeceus auf, was in der Forschung überhaupt nicht beachtet bzw. zur Klärung des Verhältnisses der beiden Zyklen herangezogen wird. Der spondeische, traditionsgemäße Versbau wirkt im ersten libellus weitgehend angestrebt, noch nicht mit letzter Konsequenz durchgezogen, für c.l sogar bewußt durchbrochen, was wiederum Anlaß zur Rüge gewesen sein könnte, ja tatsächlich war. Denn während bislang die unterstellte Kritik, abgesehen von c.16, nur über den Vergleich beider Zyklen und die in mehrfacher Hinsicht zu beobachtende Verschärfung zu erschließen war, gibt es hier ein explizites Zeugnis: ille enim ... permutatis prioribus syllabis duriusculum se fecit quam uolebat existimari a Veraniolis suis et Fabullis. Daß Catull für die Silbenfolge zu Beginn des Hendekasyllabus schon von seinen zeitgenössischen Lesern und speziell seinen Freunden getadelt wurde, ist eindeutig aus dieser Äußerung des älteren Plinius zu ersehen, der 'im Vorübergehen' einen anstößigen Vers von c.l umschreibt.788 Damit wie auch mit der Nennung von Veranioli und Fabulli trifft er Gedichte und Adressaten des hier postulierten 'Lesbia!-libellus (die Formulierung kann eine deutliche Anspielung auf c.12,17 Veraniolum meum et Fabullum sein; vgl. allerdings auch c.47,3), wobei freilich nicht konkret die beiden gemeint sein müssen, die, im verallgemeinernden Plural genannt, ihrem mehrfachen Vorkommen im ersten Zyklus gemäß auch nur stellvertretend für andere stehen können. Was sowohl in inhaltlicher Hinsicht, aber auch bezüglich der Formalien wie Aufbau der Zyklen und Zuordnung der Versmaße bzw. Reservierung der Hendekasyllaben oben schon des öfteren aufgefallen war, ist folglich jetzt für einen bestimmten Verstyp erneut festzustellen, daß nämlich der gescholtene Catull in seinem zweiten libellus viel strenger, d.h. nun formal perfekt und so als Verstechniker unangreifbar geworden ist und dieses Können technischer Perfektion und Präzision dort vielleicht mit Bedacht in seinen eigenen Angriffen gegen die beiden inhaltlichen Hauptkritiker Aurelius und Furius demonstriert. Und selbst wenn man weiterhin an der seit SKUTSCH eingeführten chronologischen Ausdeutung der unterschiedlichen Hendekasyllaben-Basis festhalten wollte, selbst wenn die spondeischen carmina des 'Lesbia'-Zyklus wirklich älter wären und erst später mit anderen neu gedichteten wie c.ll oder c.l (mit seiner großen Freiheit am Versanfang) zusam787

788

Zur "attraction" des damit emphatischen Possesivpronomens vgl. z.B. schon SKUTSCH (1969) S.39. Plin.nat.praef.l 'nugas esse aliquid meas putare', ut obiter etnolliam Catullum, conterraneum meum ... ille enim, ut seis,...

c.1-14 und 14a-26: strukturelle Bezüge

241

mengestellt sein sollten, warum hätte Catull auf die bezeugte Kritik hin für seine Reaktion mit c.l4a-26 nicht zur früheren Strenge zurückkehren sollen? Schließlich ist die von der Forschung m.E. zu Unrecht vorausgesetzte und nicht bewiesene chronologische Entwicklung zur Nachlässigkeit im Versbau nicht unumkehrbar! Man läßt sich zu sehr durch reine Statistik verleiten und bezieht zu wenig den lebendigen, nach Bedarf und Laune alternierenden Umgang eines Künstlers mit seinem Medium ein. Um die Formulierungen von c.16,4 oder von Plinius wieder aufzugreifen, Catull ist in seinem zweiten libellus auf jeden Fall also auch in metrischer und struktureller Hinsicht nicht mehr molliculus oder duriusculus, je nachdem wie man seine Verstöße gegen die literarisch akzeptierte Form des Hendekasyllabus nun bezeichnen will.

3.3.1. Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus) Ausgehend von der Besprechung mehrerer, bei einer gemeinsamen Buchveröffentlichung problematisch wirkender carmina zu Beginn des Corpus Catullianum, wurde im 3. Kapitel die Abtrennung der in der Forschung ohnehin als zusammengehöriger sog. 'Lesbia'-Zyklus betrachteten c.2-11 samt den drei folgenden Freundesgedichten c.12-14 als ursprünglich eigenständiger libellus erschlossen und damit bezüglich des Buchcharakters dieser Gedichtgruppe das Ergebnis SCHULZEs zum Teil, das HUBBARDs vollständig bestätigt. Argumente dafür waren u.a. die von den genannten Interpreten ebenfalls herangezogenen c.l4a (Kap.2.2.) und c.16 (Kap.2.5.), deren Aussagekraft hier zusammenzunehmen - SCHULZE mußte wegen seiner Einbeziehung von c.l4a als Abschlußgedicht noch auf dieses verzichten, v. LEUTSCH und HUBBBARD hatten c.16 übersehen - und wie auch für c.ll (Kap.2.4.) gegen andere, von der offensichtlichen, wortgetreuen Deutung abweichende Interpretationen zu verteidigen war. Während jedoch die Vertreter kleinerer libelli wie SCHULZE und HUBBARD bislang immer versuchten, diese durch Aufzeigen vielfacher Bezüge innerhalb ihrer libelli wie besonders zwischen c.l und c.14 als erstem und letztem Gedicht und somit insgesamt einer auch graphisch verdeutlichten, möglichst geschlossenen Anordnung zu belegen (vgl. die starke Gewichtung in HUBBARDs Zusammenfassung),789 wurde hier aus dem eingangs dargelegten methodischen Grund auf eine ähnliche, noch mehr Bezüge und noch größere Geschlossenheit demonstrierende Argumentation zunächst verzichtet.790 Ein solcher Nachweis ist ein gewiß wünschenswertes, aber, vergleicht man mit den Gedichtbüchern anderer wie etwa der Augusteer oder Martials, nicht unbedingt notwendiges, zwar ein zusätzliches, aber - zumal angesichts der Formulierungen von c.14 - noch keineswegs zwingendes Argument, das schließlich auch die Vertreter der Einheit des gesamten Corpus Catullianum (z.B. WISEMAN, DEITMER und auch ARKINS)791 für ihre Position zu nutzen suchen - wohl ohne allerdings zu merken, welchen Bärendienst sie sich eigentlich damit erweisen, wenn sie Bezüge und sogar einen parallelen Aufbau gerade für c.l und c.14 und nicht für die tatsächlich am Anfang und Ende des Corpus bzw. wenigstens der Polymetra stehenden Gedichte entdecken. Statt dessen wurden hier die in diesem Zusammenhang bislang vernachlässigten, ebenfalls als zusammengeschlossene Gruppe wirkenden, außerhalb des ersten libellus stehenden, aber daran unmittelbar anschließenden Gedichte c.l4aff. unter789 790 791

HUBBARD (1983) S.236; siehe auch o. S.36. Siehe o. S.34ff. Siehe o. S.37 und 59ff.

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

243

sucht (so in Kap.2.3., 2.5. und 3.1.), die in problematischer Weise über die Person der Adressaten mit diesem Büchlein verbunden schienen und auf deren Bereich auch die weiteren festzustellenden Probleme wiesen. Die Berücksichtigung auch dort noch nicht recht geklärter Verständnisprobleme besonders für c.15, 21 und 17 sowie auffälliger Wiederaufnahmen von Motiven des ersten libellus besonders für c.25 und 26 ermöglichte als Ergebnis die Annahme eines zweiten, ebenfalls recht kurzen Büchleins, das von Catull inhaltlich wie strukturell in bewußter Anlehnung an das erste gestaltet scheint und dessen Buchcharaker durch die sich zu diesem ergebenden Bezüge bestätigt. So ließen sich aus den Beobachtungen des 3. Kapitels neue, die bisher in der Forschung erörterten ergänzende Argumente sowohl für die Eigenständigkeit des ersten, sog. 'Lesbia'-libellus wie auch für dessen Umfang und Vollständigkeit gewinnen bzw. die beiden diesbezüglichen, vor kurzem etwa noch von PULBROOK vorgebrachten Bedenken ausräumen. Denn zum einen ist für die verhältnismäßig geringe Verszahl des 'Lesbia'-libellus jetzt nicht mehr nur auf ähnlich kleine libelli anderer wie den des ebenfalls mit seiner Wiederaufnahme von c.4 in Anspielung auf Catulls libellus gestalteten 'Catalepton' zu verweisen (so zu Recht HUBBARD), was eigentlich schon Parallele und Beleg genug für das tatsächliche Vorkommen solcher libelli ist; mit dem zweiten hier erschlossenen libellus existiert nun sogar eine Parallele bei Catull selbst, die auch nicht nur ein beliebiges weiteres, sondern wiederum bezogenes Büchlein darstellt. Zum anderen belegt der zweite, nur aus Hendekasyllaben, Priapeen und lamben bestehende libellus mit seiner strukturellen Anlehnung und den vielfachen Bezügen all seiner Gedichte nur auf die des 'Lesbia'-libellus, daß auch dieser von Catull tatsächlich ohne carmina in Distichen konzipiert war und solche keinesfalls nur im Laufe der Überlieferung mit den anderen epigrammatischen Gedichten c.69ff. zusammengefaßt wurden, wie es COPPEL und PULBROOK für den 'Lesbia'-Zyklus annehmen. 792 Daß beide libelli keine Distichen enthalten, obgleich genug verwandte Gedichte im Corpus überliefert sind, Catull dieselben Themen also auch in Epigrammform behandelt hat, ist gewiß auffällig, aber keinerlei Hinderungsgrund bezüglich der Annahme ihrer Geschlossenheit, die für den 'hesbia.'-libellus überdies unten noch durch zusätzliche Überlegungen zu seiner Struktur zu beweisen ist. Warum hätte Catull für diese beiden Büchlein ausgerechnet auch Distichen verwendet haben müssen? Nur deswegen, weil diese mit das beliebteste Versmaß der lateinischen Dichtung sind und auch Martial, der Catull ausdrücklich als Vorbild nennt, Distichen und Hendekasyllaben abwechseln läßt? Martial aber schreibt Epigramme und nimmt Catull als Epigrammatiker zum Vorbild, nicht den Liebeslyriker Catull mit seinen feinen, zarten Tönen, wie er dem Leser im 'Lesbia'^-libellus begegnet. Kann nun nicht die Parallelität beider libelli im Gegenteil sogar eine ganz bewußte Vermeidung Catulls von Hexameter und 792

COPPEL (1973) S.180f. lehnt direkt mit diesem Argument die Identifizierung von c.1-14 als den Nepos-libellus ab, siehe auch u. Anm.794; für PULBROOK siehe o. S.28.

244

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/i'fce//uj)

Pentameter für seine Buchpublikationen belegen, was evtl. damit zu erklären ist, daß ihm das Distichon als eines der üblichsten und für Epigramme aller Art und überall verwendetes Versmaß - auf Grabinschriften z.B. oder bei alltäglichen Kritzeleien auf Wänden, ein Versmaß, in dem eben jeder dichten konnte - für seine besonderen, feinen Bücher bzw. zumindest für das erste (im zweiten mußte, wollte er m.E. ja reagieren und war nicht mehr völlig frei in der Wahl seiner Verse) viel zu gewöhnlich und nicht fein genug erschien?793 Auch andere Dichter wie Horaz mit seinen vier carmina-Bâchtm haben für ihre Lyrik-Bände ja offenbar ganz bewußt zugunsten anspruchsvoller wirkender, seltenerer Verse auf Distichen verzichtet (vgl. auch sein c.3,30).794 Durch die zusätzlich über den zweiten libellus zu gewinnenden Argumente und Bezüge war es überdies möglich, für den Nachweis des ersten libellus auf die Einbeziehung des umstrittenen c.l mit seinen Formulierungen libellus und nugae als Argument hier - anders als etwa bei SCHULZE und HUBBARD - wiederum aus methodischen Gründen weitgehend zu verzichten wie auch auf Martials Anspielungen auf Catulls Gedichtbuch 'Passer' (11,6,16; vgl. auch 4,14), das ebenfalls eher eine seinen Epigrammbüchern vergleichbare Sammlung von carmina minora meinen dürfte und nicht eine über 2000 Verse umfassende Catull-Gesamtausgabe einschließlich eines umfangreichen Epyllion (so z.B. schon WHEELER, CLAUSEN oder wiederum HUBBARD). 795 Beides sind schließlich nur Indizien für einen kleineren, nicht aber unbedingt den jetzt zu erschließenden kleinen 'L&sbis!-libellus 793 794

795

Anders jedoch WHEELER (1934) S.33ff., bes. S.48. Rein subjektiv ist dagegen WEINREICHs Urteil (1960) S.163: "Ein Corpusculum von Kleingedichten ohne ein Epigramm darunter ist so wenig vorstellbar wie ein hellenistisches Epigrammbuch, das nur das elegische Distichon gehandhabt hätte." Bestätigend wiederaufgenommen ist es von COPPEL (1973) S.161, der damit S.178 ein Buch c.1-14 ausdrücklich ablehnt. FRIEDRICH (1908) S.74, WHEELER (1934) S.19, CLAUSEN (1976) S.39, HUBBARD (1983) S.236; dagegen allerdings MINYARD (1988) S.350, der jedoch lediglich die Bezeichnung 'Passer' beachtet. Allein aus der Zitierweise ist in der Tat nicht speziell auf ein nur kleines Büchlein zu schließen, wohl aber aus dem vielleicht zusätzlich mit einer obszönen Doppeldeutigkeit spielenden Kontext (ll,6,14ff. da nunc basia, sed Catulliana:/ quae si totfuerint, quot ille dixit,/ donabo tibi Passerem Catulli), der besser zu einem billigeren libellus mit in diesem dominierenden, Martials Äußerung zugrunde liegenden c.2,3, 5 und 7 als zu einer wertvollen Sammlung aller im 1. Jh. n. Chr. bekannten carmina Catulls paßt, in der c.2-7 neben vielen anderen Versen und eben poetischen Glanzleistungen wie C.63 und 64 weit weniger auffallen. Hinzuweisen ist schließlich auch auf COPPEL (1973) S.181f. zu 4,14 mit korrekter Betonung der gegenüber den Epikern Silius und Vergil hergestellten Analogie zwischen den libelli Martials ohne epische Formen und Catulls natürlich nicht notwendig ebenso umfangreichen - 'Passer', der "also für Martial eine Sammlung leichterer Dichtung gewesen zu sein" scheine. "Große, gelehrte und feierliche Gedichte, Geschöpfe angestrengten Kunstfleißes, wie sie im Mitteltrakt des Catullcorpus stehen, liest man nicht in gelöster Saturnalienstimmung". Daß Martial mit dem 'Passer' immerhin nicht nur ein Einzelgedicht Catulls im Sinn hat, sondern ein ganzes Gedichtbuch, bestätigen ferner z.B. SYNDIKUS (1984) S.54f. und jetzt auch GRATWICK (1991) S.200.

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/ifce//ui)

245

und auch von den Vertretern anders angenommener libelli wie CLAUSEN, SKINNER, PULBROOK und STROH zu nutzen.796 So war auch zunächst C.1 nur dazu zu verwenden aufzuzeigen, daß ein skeptischer, die Einheit des Corpus als Ganzes nicht von vornherein als natürlich voraussetzender Zugang berechtigt ist (vgl. Kap.2.1.), und das gleiche gilt für Martials Anspielung. Nachdem aber m.E. über den zweiten libellus mit seinen Bezügen die Annahme des ersten zu bestätigen ist, ist dieser natürlich auch als der von Martial angesprochene 'Passer' zu identifizieren, der in Übereinstimmung mit der antiken Zitierweise von Büchern797 mit passer als erstem Wort nach dem auszunehmenden Einleitungsgedicht beginnt und auch gerade die carmina enthält, auf die Martial besonders gerne anzuspielen scheint, d.h. die Spatzen- und Kußgedichte (vgl. z.B. Mart. 1,7, 11,6) aber auch z.B. c.13 (vgl. Mart.3,12).798 Und ebenso ist natürlich jetzt das an passender Stelle überlieferte c.l mit seinen gleichfalls so passenden Formulierungen einzubeziehen, das als Widmungsgedicht gerade dieses Büchleins möglicherweise sogar durch eine weitere Anspielung Martials - ein zusätzliches Argument für die Eigenständigkeit des libellus - zu bestätigen sein wird, wie gleich unten noch zu besprechen ist. Auch die von der Forschung herausgearbeitete Beziehung zwischen erstem und letztem Gedicht, c.l und 14, gewinnt nun an Bedeutung, nämlich daß Catull c.l von seinem libellus und seinem Wunsch, damit die Jahrhunderte zu überdauern, spricht, c.14 aber von den schlechten libelli anderer, incommoda sogar schon ihres eigenen Jahrhunderts. So zeigt er mit c.14 seinem Leser abschließend ganz deutlich, daß er sehr wohl zwischen guter und schlechter Literatur zu unterscheiden vermag und sich selbstbewußt ersterer zurechnet, wenn er für Calvus als Rache für dessen Saturnaliengeschenk nicht etwa sein eigenes Büchlein einsetzt, wie es in selbstironischer Weise doch eigentlich naheliegend wäre799 (vgl. z.B. Stat.silv.4,9 zum eigenen Buch als Saturnaliengabe und einem furchtbaren Gegengeschenk 796

797

798

STROH erwägt (1990) S.141 gar, c.l könne ursprünglich auch nur zur Einleitung eines einzelnen größeren Werkes wie c.64 bestimmt gewesen sein. Vgl. genauso z.B. Zitate für Lukrez mit Aeneadum genetrix, Vergil arma uirumque oder Ciceros 'De senectute' als O Tite; vgl. dazu z.B. WHEELER (1934) S.19f., COPPEL (1973) S.179f., SYNDIKUS (1984) S.55 und mit vielen Beispielen jetzt auch GRATWICK (1991) S.199f. Daß Catull sich dieser Praxis bewußt war und auch damit rechnen mußte, daß sein Büchlein entsprechend als 'Passer' bezeichnet werden würde, steht außer Frage. Ob allerdings deswegen 'Passer Catulli' wirklich auch der eigentliche "definite title intended by Catullus" war, wie GRATWICK S.200f. annimmt, oder dieser nicht nur zusätzlich neben 'Catulli carmina' o.ä. schlagwortartig nach der üblichen Praxis gebraucht wurde, ist nicht mehr sicherzustellen. Zu beachten ist jedoch, daß auch die Bücher von Lukrez, Vergil oder Cicero ihre eigenen, speziellen Titel hatten und keineswegs nur nach ihren ersten Worten bezeichnet wurden. Wenn GRATWICK, um die Deutung von 'Passer' als Catulls eigenen Titel zu stützen, darüber hinaus S.201 in dem traditionellen Wunsch nach literarischem Weiterleben am Ende des ersten Gedichts eine Anspielung auf die Kurzlebigkeit des Spatzen von c.2 sehen will, geht dies zu weit. Auch z.B. COPPEL (1973) S.181 vermutet ja, daß dieser 'Passer' Martials c.2, 3 und 5 enthielt; bei Martial 11,6 sind schließlich Küsse und Catulls Spatz in direkten Zusammenhang gebracht. Vgl. ferner SYNDIKUS (1984) S.55.

246

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/ibe//«j)

des Betroffenen; auch Martial schafft für sein 11. Buch durch die dem Anfang nahen Epigramme 2, 6, 15 einen Bezug zur Saturnalienfreiheit).800 Die Feststellung dieser Beziehung zwischen beiden Gedichten darf jedoch nicht dazu führen, c.l und 14 auch in einem Schema als äußeren Ring miteinander zu verklammern (so HUBBARD und DEITMER). Sie ist vielmehr unabhängig davon zu treffen, daß c.l als Einleitungsgedicht außerhalb der Struktur des libellus steht, c.14 aber eng in diesen einbezogen ist, wie ebenfalls gleich zu besprechen sein wird, und somit als letztes Gedicht seiner Gruppe wie auch als Abschluß des libellus insgesamt eine doppelte Funktion zu erfüllen hat.

Denn jetzt lohnt es sich vielleicht doch, über eine bloße Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse hinausgehend, Aussage und Gedichtanordnung des ersten libellus noch ein wenig näher zu untersuchen. Die einschlägige Forschungsliteratur ist bereits oben genannt, die bislang vorliegenden grafischen Darstellungen zur Abfolge und Zugehörigkeit der einzelnen carmina, die Schemata von HECK, SEGAL, HUBBARD und DEITMER, sind eingangs abgedruckt.801 Wie aber schon allein deren vergleichender Betrachtung zu entnehmen ist, besteht in der Forschung - auch unabhängig von der libellus-Fmge - noch nicht einmal in der Beurteilung dieser Gedichte Einigkeit: Für SEGAL z.B. sind in zwei Pentaden c.2/3 und 7/8 als jeweils zwei Lesbia-Gedichte zusammenzustellen sowie c.5/6 und 10/11 als Folge eines Lesbia- und eines scortum-Gedichts, so daß sich bei seinen Verklammerungen vier Zweierpaarungen mit zwei dazu symmetrisch eingeschobenen Rückkehrgedichten (c.4 und 9) ergeben und überdies ein Bezug zwischen c.6 und 11 ("Cynical treatment of physical love"), während für HUBBARD auf eine anfängliche Dreiergruppe c.2/2a/3 zwei jeweils ringartig gebaute Fünfergruppen c.4-8 und 9-13 mit einem Bezug zwischen ihren beiden Mittelgedichten c.6 und 11 ("whores") folgen. Es handelt sich aber nicht nur um die Klärung solcher Detailfragen, Einzelgruppierungen und Zugehörigkeiten; selbst die weit wesentlichere Frage, welche Gedichte denn nun zur Interpretation des sog. 'Lesbia'-Zyklus bzw. libellus hinzuzunehmen sind, scheint in der Forschung strittig. Für die einen sind es selbstverständlich alle carmina 2-14 des libellus (HUBBARD) bzw. des angenommenen ersten Teiles eines 799

800 801

Es ist also gerade nicht so, wie D E I T M E R (1988) S.378ff. annimmt ("The nouus libellus of Calvus becomes Catullus' through a witty practical joke"). Der von Catull mit seinem eigenen Büchlein Beschenkte ist und bleibt vielmehr Cornelius Nepos. Vgl. hierzu jetzt DÖPP (o. Anm.613) S.151f. Siehe o. Anm.89ff. sowie S.18, 35, 27, 26; vgl. ferner die Besprechung der Ansätze von HECK, BARWICK, SEGAL bei E A . SCHMIDT (1973) S.217f. und seine berechtigte Kritik vor allem an SEGAL, daß dessen "verführerische Symmetrie die Metrik als kompositorischen Faktor" mißachte und "dem Sinn künstlerischer Anordnung Gewalt" antue. Das gleiche gilt aber für SCHMIDTs eigene Fixierung nur auf die Lesbia-Gedichte, wie im folgenden zu erörtern.

Zusammenfassung für c.1-14

('Lesbia'-libellus)

247

größeren Catull-Buches (PULBROOK, STROH, DEITMER), für andere in der Nachfolge SEGALs dagegen nur die Lesbia betreffenden c.2-11, immerhin einschließlich der Trenngedichte wie c.6 (so z.B. RANKIN und FORSYTH mit einem eigenen Zyklus c.l2ff.), für wieder andere, die Zyklustheoretiker wie BARWICK, E.A. SCHMIDT und SKINNER, sogar nur die Lesbia-Gedichte selbst, also c.2, 3, 5, 7, 8 und 11, was zu den ebenfalls eingangs schon erwähnten Reflexionen über die korrekte Anwendung des Zyklusbegriffes führte (TROMARAS).802 Eine solche Beschränkung auf die scheinbar dominierenden, thematisch zusammengehörigen Gedichte ist natürlich prinzipiell nicht unkorrekt. Auch bei dem sich eigens auf Catull als Vorbild für seine epigrammatische Dichtung berufenden Martial, von dem ja z.B. BARWICK ausgegangen war, erkennt die Forschung mehrere Gedichtzyklen wie z.B. den über Domitians Tiervorstellung mit Hasen und zahmen Löwen im ersten oder den Küsser Postumus im zweiten Buch, für deren Ausdeutung auch nur speziell diese Zyklus-Gedichte und weniger die mit ganz anderer Thematik und Gestalten befaßten dazwischenstehenden Epigramme heranzuziehen sind. Martials Zyklen bestehen in der Tat aus Gedichten, die für sich thematisch eine Einheit bilden und keine rechte Beziehung zu den sie umgebenden besitzen, wie es bei den Hase-/Löwe-Epigrammen des ersten Buches (6, 14, 22, 48, 51, 60, 104) ganz deutlich ist; daß das sprechende 'Ich', also scheinbar Martial selbst, als Opfer des Postumus und daneben auch in anderen Spottgedichten erscheint, ist ohne Bedeutung. Martial erzählt mit diesen und anderen Gedichten keine zusammenhängende Geschichte, und wenn er wie im Falle des Postumus selbst auftritt, so ist er doch nur ein paradigmatisches Opfer ohne eigene innere Beteiligung und deswegen letztlich austauschbar. Anders aber ist es bei Catull: Die im eigentlichen Sinne zu seinem 'Lesbia'-Zyklus zu zählenden connina sind schließlich Liebesgedichte, die zwei Personen betreffen, das geliebte Mädchen und besonders den sich ja selbst explizit als miser Catulle identifizierenden (c.8,lff.), zunächst in Liebe schwelgenden (c.2-7), später leidtragenden (c.8 und 11) und folglich emotional anscheinend zutiefst betroffenen Dichter, was von den Zyklusvertretern zu wenig beachtet wird. Schon in diesen sog. LesbiaGedichten c.2-11 geht es - anders etwa als in c.92 (V.lff. Lesbia mi dicit semper male... Lesbia me dispeream nisi amat), 107 (V.4 quod te restituís, Lesbia, mi cupido), 109 (V.l mihi proponis amorem) - gar nicht so sehr um die geliebte Lesbia: Es ist Catull, der selbst mit dem Spatzen spielen möchte (c.2), Catull, der ihn verloren hat und zur Trauer auffordert (c.3), Catull, der ewig küssen möchte (c.5, 7). Wenn nun der Dichter die von der Geliebten enttäuschte Person, eben sich selbst, in den unmittelbar auf den zur Aufgabe der Liebe auffordernden Selbstaufruf von c.8 folgenden Gedichten auftreten (vgl. zusätzlich zu dem sprechenden 'Ich' die wiederholte Namensnennung c. 10,25, 13,7, 14,13) und darin keineswegs solche Belanglosigkeiten erleben läßt wie das 'Ich' Martials etwa bei Essenseinladungen oberflächlicher Be802

Siehe o. S.38f.

248

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

kannter (vgl. z.B. 3,44, 45, 50), sondern sich in anderen intakten Beziehungen jetzt zu Freunden zeigt, so ist dies ein wichtiger weiterer Schritt für die Aussage dieser Gedichtgruppe insgesamt. Der selbst schon einmal in der Liebe Enttäuschte mag wissen, wie wichtig es ist, im Moment des Verlassenseins gute Freunde um sich zu haben, und genau dies ist es, was Catull mit c.9ff. vorführt: Es ist doch kein Zufall, wenn er - in der Fiktion des Gedichtbuches - ausgerechnet in dem Moment, da er seine Geliebte verloren hat und sich c.8,13ff. (... quis nunc te adibii...) ihr und damit in Wirklichkeit sein eigenes Verlassensein ausmalt, in c.9 seinen den Einleitungsversen nach offenbar besten Freund von einer Reise zurückkehren läßt, so daß nur mehr Lesbia, wie in c.8 beschrieben, alleine dasteht, nicht aber auch Catull, der emotional sofort wieder in eine ganz enge, freundschaftliche Beziehung eingebunden ist (vgl. auch die Wiederaufnahme des Kußmotivs c.8,18 quem basiabis, cui labella mordebis - c.9,8f. applicansque Collum/ iocundum os oculosque suauiabor). Doch es ist nicht nur dieser eine Freund, auf den Catull zählen kann. C.10 zeigt zunächst seine durch Varus meus recht positiv gewertete Bekanntschaft mit diesem, vor allem aber seine Verbindung mit Helvius Cinna, die Catull zufolge sogar so eng ist, daß er, ohne zu fragen, über dessen Besitz verfügen kann, so als ob beide Freunde direkt eins wären. Mit c.ll läßt Catull zwei andere Freunde sich ihm für jegliche nur erdenkliche Form des Beistandes zur Verfügung stellen. Und mit c.12-14 folgen sogar noch drei Freundesgedichte zusätzlich auf Fabullus und Calvus (vgl. besonders c.l2,12ff.... amem necesse est/ ut Veraniolum meum et Fabullum), so daß der c.8 Enttäuschte und Verlassene, c.ll mit seinem Mädchen Brechende von einer Vielzahl guter, enger, aufrichtiger Freunde umgeben ist, die im zweiten Teil des libellus in den Mittelpunkt treten. Dieser Zusammenhang der beiden Themenkreise Liebes- und Freundesgedichte und ihre natürliche Aufeinanderfolge, wie sie der auf lediglich c.2-11 einschränkende SEGAL zwar noch nicht beachtete, aber zu Recht z.B. auch PULBROOK hervorhebt,803 wird zusätzlich dadurch verdeutlicht, daß mit c.ll ein Gedicht vorliegt, das zugleich beide Beziehungen, die zu einer puella wie auch die zu den Freunden betrifft, und daß auch c.13 eine puella zumindest erwähnt 803

PULBROOK (1984) S.76 "The successive references to Catullus' friends come as a natural reaction to Catullus' emotional desolation in poem 8. [...] Catullus is surrounded by a multitude of other friends who spontaneously fill the gap left by Lesbia"; ein wenig anders akzentuiert SKINNER (1981) S.57f. "Fabullus' easy elegance and Veranius' sincere affection are a means of dispelling the charged, bitter mood of the later Lesbia poems and allowing the reader to place the affair in emotional perspective" (für sie sind freilich Veranius und Fabullus "prominent dramatic foils to Lesbia on the one hand and Furi us and Aurelius on the other"). Vgl. überdies für c . l l o. Anm.403, für c.9 auch schon RICHTER (1881) S.lOf. "Ist es aus mit der Liebe zu Lesbia, so habe ich doch noch die Liebe zum Freunde, muss ich jenem Glück entsagen, so bin ich doch froh noch und glücklich in der Vereinigung mit Veranius", OFFERMANN (1978) S.38 "als solle der Freund über den Verlust Lesbias hinwegtrösten, S.54 Anm.54 "der Freund nimmt in gewisser Weise die Stelle Lesbias ein"; SEGAL (1968) S.308 sprach dagegen von "two separate themes of the journey" und Lesbia, die er erst in c . l l vereint glaubt.

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

249

wird. Wenn man das ja nicht speziell die Freundschaft betonende, noch z.Zt. der erfüllten Lesbia-Liebe piazierte c.6 ausnimmt, sind Liebes- und Freundesgedichte genau im selben Zahlenverhältnis vorhanden, mit c.2, 3, 5, 7, 8 fünf für die Lesbia-Liebe und mit c.9, 10, 12, 13, 14 wiederum fünf für die Freunde Catulls mit einem beides verbindenden c.ll, 804 so daß dadurch schon rein äußerlich deutlich wird, daß für die Interpretation nicht einfach nur die Lesbia-Gedichte herausgegriffen, die zahlenmäßig ebensovielen Freundesgedichte dagegen vernachlässigt werden dürfen. Denn genauso wie c.2-11 in der Beziehung zu Lesbia ein fortschreitend pessimistischer Zug zu erkennen war und der Übergang von Gedichten über seine Liebe zu seiner puella zu solchen, die seine Freundschaft zu Veranius, Cinna, Furius, Aurelius, Fabullus und Calvus betonen, eine Catulls innerem Zustand gemäße Abfolge darstellt, ist auch bei den Freundschaftsgedichten eine natürliche, emotionale Entwicklung Catulls festzustellen: So sind im direkten Umfeld der Beschreibung der Enttäuschung über Lesbia, also c.8 und 11, mit c.9 und eben c.ll (zur Funktion von c.10 siehe gleich unten) weit übertrieben wirkende Freundschaftsbekundungen gegeben, mit denen sich der verlassene Catull geradezu an Veranius und seine anderen Freunde zu klammern scheint (für c.9 vgl. dessen Anfang ... omnibus e meis amicis/ antistans mihi milibus trecentis und den angesichts lediglich der Rückkehr eines Freundes ebenfalls reichlich emphatischen Ausruf am Ende V.lOf. ... o quantum est hominum beatiorum,/quid me laetius est beatiusue,805 für c.ll vgl. V.l-14 und oben Kap.2.3.). Demgegenüber sind die späteren Freundschaftsäußerungen c.12 und dann besonders c.13 und 14 zwar nicht weniger herzlich (so z.B. c.l2,16f.), aber sie dokumentieren doch in wieder maßvoller Weise die enge Beziehung in freundschaftlich heiterem, harmlos neckendem Ton, wie es eben unter guten Freunden üblich ist. Nach dem Bruch mit der Geliebten in c.8 und 11 und den intensiven Freundesgedichten c.9 und 11 wirkt es folglich c.l2ff., als ob ein jetzt unbeschwerter Catull zur Normalität zurückgefunden hätte, in dessen Leben Freunde und auch Freundinnen wieder eine gewiß wesentliche, aber doch nicht so übertriebene und einander verdrängende Stelle einnehmen wie Lesbia in c.5 und 7 oder Veranius in c.9. Für die Freunde ist dies aus dem gegenseitigen netten Scherzen der c.13 und 14 mit Catulls eigenartiger Einladung und Calvus' Saturnaliengeschenk offensichtlich, für Freundinnen ebenfalls durch c.13, da in diesem Gedicht ja wieder 804

805

Anders z.B. WESTPHAL (21870) S.5ff. zu sechs Lesbia-Liedern, "durchflochten" mit sechs heterogenen Inhalts, RICHTER (1881) S.3ff. Vgl. auch SYNDIKUS' Beurteilung dieses Gedichts (1984) S.114: "Wenn Catull während des Gelages und der Erzählung des Freundes diesen an sich ziehen und auf Mund und Augen küssen will, sind das schon recht ungewöhnliche und überschwengliche Freundschaftsbezeigungen [...]. Catull spricht hier [...] in so enthusiastischer Weise vom Freund, wie man in anderen Zeiten eigentlich nur von der Geliebten sprach." Die Formulierungen von c.9 sind freilich ganz harmlos gemeint und sollen - gegen SYNDIKUS' Rezensenten H. SCHOONHOVEN (GB 19 [1993], S.266) - keinesfalls das ersatzweise Überwechseln in eine homoerotische Beziehung ankündigen (vgl. schließlich die davon freien weiteren Gedichte 10-14 und die unten angestellten Überlegungen zum Aufbau des libellus).

250

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

eine puella Catulls erwähnt ist, der die Fabullus versprochene, wunderbare Salbe gehört. So gilt das, was die Forschung, SCHULZE, HEILMANN und HUBBARD, bereits für die Abfolge der Lesbia-Gedichte c.8, 1 1 - 1 3 und Catulls Verhältnis zur Damenwelt beobachtete,806 auch für die Darstellung seines Umgangs mit sonstigen Freunden. Daß allerdings die Nennung der mea puella in c.13 eine Versöhnung mit Lesbia bedeuten könnte, ist völlig ausgeschlossen.807 Dafür wirkt einerseits c.ll mit seinen Angriffen auf Lesbia mit ihren 300 Liebhabern und der explizit ausgesprochenen Trennung zu heftig, zu endgültig formuliert, dafür ist andererseits c.13 zu wenig über eine Wiederannäherung ausgesagt, so daß die frühere Forschung in der zu raschen Aufeinanderfolge von c.ll und 13 sogar ein Argument gegen die Authentizität der Anordnung sehen wollte.808 Für HUBBARD ist c.13 somit nur ein "objectifying diminuendo", ein absichtlich antiklimatischer "bittersweet look back on the Lesbia-affair after it has irrevocably finished", für STROH ein Zeichen, daß der "Lesbia-Schmerz" kein "dauernder, bohrender" war.809 Die Salbe, "this bottle of perfume, originally bought as a token of pure love" (13,9 meros amores), deuten beide als "relic of the now finished love-affair", ja "all that is left", für die Catull nun durch ähnliche kostbare Geschenke für Lesbia z.Zt. ohnehin knapp bei Kasse ("Catullus has spent all his money on such gifts and extravagances") nur mehr die Verwendung "as a table-perfume at a dinner-party" habe, um es aufzubrauchen.810 Daß die Salbe tatsächlich ein zurückgebliebenes Andenken an Lesbia ohne "bittere Erinnerungen" ist, "ein Souvenir", an dem sich Catull "heiteren Sinnes erfreut",811 geht aus dem Gedicht selbst jedoch in Wirklichkeit gar nicht hervor. Daß Catull sich mit kostbaren Geschenken 806

807

808 809 810 811

Vgl. SCHULZE (1881) S.208, für den "sechs Lesbialiedern [...] c.13 nachfolgt, wie um zu zeigen, dass der Dichter sich über den Verlust der Ungetreuen zu trösten wisse" und der fortfährt "c.13 eröffnet eine neue Perspektive: der Dichter ist wieder ledig und giebt sich von neuem heiterem Lebensgenuss hin", HEILMANN (1975) S.148 zu c.13 "Das ganze ist von ungetrübter Heiterkeit und selbstverständlicher freundschaftlicher Verbundenheit getragen. Die Liebe Catulls zu seiner puella und die Freundschaft sind völlig unproblematisch miteinander verknüpft. Alle Spannung der Gedichte 9-11 ist gänzlich aufgehoben" (für HEILMANN sind die Adressaten von c.ll keine engen Freunde [siehe o. S.110], c.8 ist von ihm nicht einbezogen) und schließlich auch HUBBARD (1983) S.225f., der in c.13 einen "touch of ironic emodulation and disengagement which we would expect of the witty, urbane, self-conscious poet we see elsewhere" erkennt nach c . l l als "powerful rage", als "much too loud a note". So aber offenbar DEITMER (1989) S.377 "that Catullus' renunciation of Lesbia is not final"; (1986) S.90 Anm.10 deutet sie c.13 als Vorverweis für den mit Catulls Dichtung nicht vertrauten Leser, "that he has not seen the last of Lesbia in spite of the bitter invective of C.ll". Für SKINNER (1981) S.58 ist Lesbia in c.13 "transmitted into a patron saint of neoteric grace and charm", so daß - "temporarily" - die glückliche Zeit zurückgerufen scheine. Auch FERGUSON (1985) S.49, (1986) S.3 identifiziert die mea puella dieses carmen mit Lesbia. So FRÖHLICH (1843) S.697f. HUBBARD (1983) S.225f., STROH (1990) S.144. Vgl. vor allem HUBBARD (1983) S.225. STROH (1990) S.144.

Zusammenfassung für c.1-14

('Lesbia'-libeUus)

251

übernommen haben könnte, daß er Lesbia üblicherweise diese Art Parfüm schenkte, nun aber noch eine Flasche übrig hat, daß vielleicht gar Lesbia sie an Catull zurückgeschickt haben könnte,812 ist reine Spekulation. Auch ein kausaler Zusammenhang zu Catulls leerem Portemonnaie, wie ihn HUBBARD unterstellt, ist in c.13 gerade nicht geschaffen. Denn V.9 besagt keineswegs, daß das unguentum ursprünglich "as a token of pure love" von Catull selbst für Lesbia gekauft war; die Salbe wird lediglich als Liebes- und Freundesgabe für Fabullus angekündigt, der der Empfänger der meros amores (vgl. sed contra accipies...), d.h. zunächst allgemein Catulls aufrichtiger Freundschaft,813 bzw. einer, da konkret zu genießen bzw. zu riechen, noch süßeren Gabe (seu quid suauius elegantiusue est), eben der Salbe ist, wie die beiden nächsten Verse präzisierend hinzufügen. Durch die Formulierung von V.llf. ist es im Gegenteil unklar belassen, wo die puella diese tatsächlich her hat; die nähere Bestimmung quod meae puellae/ donarunt Veneres Cupidinesque dient lediglich dazu, die Qualität des unguentum zu betonen. Also wirkt es doch eher so, als ob Catull dem Gast noch nicht einmal von solchen eigenen oder zumindest einmal von ihm gekauften Sachen anbietet, die sich immer noch zu Hause finden lassen, auch wenn gerade mal kein Geld für große Einkäufe da ist: Passend zur frechen Form der Einladung greift er sogar für den als seinen Ersatz für die Forderung der Eingangsverse angebotenen Beitrag auf fremden Besitz zurück, jetzt das Parfüm seiner Freundin, so daß er selbst an der Versorgung des Gastes, der ohnehin V.3ff. alles weitere mitzubringen hatte, nun überhaupt nicht mehr beteiligt ist. Genauso wie aus c.13 nicht wirklich abzuleiten ist, daß die Salbe ein ursprünglich Lesbia geschenkter Überrest ist, ist aber auch von einem "bittersweet look back on the Lesbia-affair" nichts zu spüren. Das ganze Gedicht ist in der Tat ohne alle diesbezüglichen Ressentiments formuliert, doch womit wäre der "look back" zu belegen, ja woher weiß die Forschung, daß die V.ll nur kurz als Besitzerin des unguentum erwähnte puella die Lesbia der c.5ff. ist? Wird die Identifizierung allein damit deutlich, daß Catull hier wie auch c.2,1, 3,3ff. 11,15 von mea puella spricht und wieder die c.3,1 in einem Lesbia-Gedicht genannten Liebesgötter vorkommen, wie STROH anführt?814 C.3 ist es jedoch Catull, der die Veneres Cupidinesque anruft, und c.36,2f. ist es ebenfalls Catull, der als uotum ... pro mea puella von einem an sanctae Veneri Cupidinique gerichteten Gelöbnis spricht, so daß er selbst und seine glückliche Liebe, nicht Lesbia bzw. die puella als Person mit den Liebesgöttern verknüpft erscheinen. Für c.13 bedeutet dies, daß die Formulierung des 12. Verses auch bloß zu besagen braucht, daß nach der Enttäuschung von c.8-11 Veneres Cupidinesque nun wieder auf Catulls Seite sind, nicht aber auch, daß die puella unbedingt Lesbia sein muß. Denn was mea puella betrifft, so ist die Forschung hier ohnehin zu sehr auf Lesbia fixiert. Nicht je812

814

So die Überlegungen HUBBARDs (1983) S.225 mit Anm.29. Anders die neuere Forschung; siehe o. Amn.615. STROH (1990) S.144.

252

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/ibe//us)

desmal muß und wird mit mea puella in Catulls Gedichten Lesbia gemeint sein, genausowenig wie mit meus puer oder meos amores Juventius. Aus den weiteren carmina sind schließlich auch direkt Beziehungen zu anderen Mädchen abzulesen, so etwa zu einer mea Ipsitilla in c.32; z.B. für c.56 mit dem pupulus meae puellae war oben ein rein fiktiver Zusammenhang zu erwägen, und dies gilt evtl. genauso für c.36, in dem die puella mit ihrem Gelübde für Catull nur einen Aufhänger zur Verspottung des Volusius darstellen kann.815 Für die Abfolge der sog. Lesbia-Gedichte ergibt sich somit, daß am Anfang der Beziehung, in c.2 und 3, der in eine zunächst noch anonym belassene puella verliebte Catull auftritt.816 Auf dem scheinbaren Höhepunkt ihres gegenseitigen Liebesgenusses - und nur dort - ist der Name genannt; Lesbia also ist es, die nach dem Bruch c.8ff. wiederum nicht mehr mit Namen bezeichnet wird. Trotzdem aber ist sie c.ll eindeutig zu identifizieren, da die Absage im Versmaß der lesbischen Dichterin Sappho erfolgt. Nach diesem deutlichen, heftigen Ende erscheint nach zwei Gedichten eher beiläufig wieder eine wie am Anfang anonyme puella, in einem carmen, dessen Formulierungen eben keinen Rückblick auf die vergangene Beziehung enthalten. So hat Catull bezüglich Lesbias das c.8 von sich geforderte obdurare erreicht, ja er scheint sogar schon Ersatz gefunden und wie am Anfang wieder eine noch anonym belassene puella zu haben. Catulls Gefühlsleben also ist wieder in Ordnung, worauf er den Leser nebenbei aufmerksam macht. Die von SEGAL und RANKIN festgestellte negative Entwicklung der c.2-11 hat c.l2ff. im Umgang mit Freunden und eben auch Freundinnen letztlich doch ein positives Ende gefunden. Wie aber ist der libellus nun genau gebaut? Daß es die drei Gedichte anderen Versmaßes sind (c.4, 8, II),817 die, mit einer Ausnahme in regelmäßigen Abständen zwischen vier Gruppen hendekasyllabischer Gedichte eingeschoben, die Struktur bestimmen, wird, wie im vorausgehenden Kapitel besprochen, schon beim bloßen Lesen offensichtlich, ohne daß erst mühsam nach inhaltlichen Verklammerungen gesucht werden müßte. Zu bestätigen war dies durch den zweiten, bezogenen libellus, da Catull dort ebenfalls die Grobstruktur mit drei andersartigen Gedichten zwischen exakt abgezählten hendekasyllabischen carmina gewählt hat. Wenn nun durch die in der Forschung bislang vorgeschlagene Gruppenbildung einzelner carmina wegen der uneinheitlichen Einbeziehung auch dieser drei Gedichte deren auf Anhieb offensichtliche, gliedernde Funktion verwischt wird, wie etwa bei HECKs, BARWICKs und E.A. SCHMIDTs den größeren Abstand zwischen den bei815

816

817

Siehe o. S.212; siehe auch u. S.287 zu den Gellius-Gedichten; z.B. WISEMAN (1969) S. 42ff. argumentiert dagegen für die Chronologie von Catulls Liebesbeziehung und Dichtungen gerade mit c.36. Für die wechselnden Formen der Anrede Catulls an Lesbia vgl. bereits SEGAL (1968) S.312ff., E A . SCHMIDT (1973) S.218; die Anonymität der /«mer-Gedichte beachtet auch SKINNER (1981) S.40. Auch von DECREUS (1991) S.195 sind diese drei jetzt herausgehoben.

Zusammenfassung für c.1-14

('Lesbia'-libellus)

253

den nicht hendekasyllabischen connina nicht beachtenden Paarungen 2/3, 5/7, 8/11, bei SEGALs Zweiergruppen c.7/8 und 10/11 neben rein hendekasyllabischen Paaren c.2/3, 5/6 und einzeln stehenden lamben von c.4 und den Hendekasyllaben von c.9 oder bei HUBBARDs beiden Fünfergruppen mit c.4 und 8 sowie c.ll neben einer anfänglichen Dreiergruppe, ergibt dies einen zwar vielfältige motivische Bezüge aufweisenden, aber nur wenig befriedigenden Bauplan. Nimmt man jedoch c.l als vorangestelltes Einleitungsgedicht aus, wie ebenfalls im Kapitel zuvor besprochen, und beachtet tatsächlich die durch die drei c.4, 8 und 11 vorgegebene Struktur, so läßt sich im postulierten libellus im großen wie im kleinen sorgfältigste Anordnung erkennen, die keinen von den Aussagen der Gedichte abgelösten eigenständigen und nur formalen Aufbau schafft, sondern exakt der inhaltlichen Abfolge der einzelnen Gedichte entspricht. Denn insgesamt besteht der libellus aus zwei, durch c.8 getrennten Hälften, von denen die erste alle zunächst ja im Vordergrund stehenden, positiven Liebesgedichte 2, 3, 5, 7 im Hendekasyllabus enthält, während von c.8 an entsprechend dem Scheitern der Liebe die Liebesgedichte zu den selteneren Trenngedichten anderen Versmaßes werden (c.8, 11) und das einzige weitere auf Liebe zu Catulls puella anspielende Gedicht C.13 ebenfalls in einer Dreiergruppe das mittlere und damit trennende, in der ersten Hälfte c.2a und 6 entsprechende Gedicht darstellt, das wie diese gleich noch genauer zu betrachten sein wird. Genauso wie auch in Catulls Leben die Freunde treten somit in der zweiten Hälfte des Büchleins die ausschließlich in Hendekasyllaben verfaßten Gedichte auf sie, c.9, 10, 12, 13, 14, in den Vordergrund. Der mit c.8 eintretende Umschwung erfolgt dadurch, daß nun zum ersten Mal nach den jeweils durch ein weiteres hendekasyllabisches Gedicht getrennten c.2/3 und 5/7 mit c.l und 8 zwei Liebesgedichte unmittelbar aufeinander folgen, für den Leser der ersten Buchhälfte unerwartet und recht abrupt - so überraschend offenbar, daß die ältere Forschung wegen der Störung der bis dahin gleichmäßigen Trennung der Lesbia-Gedichte hierin keine sinnvolle, auf den Dichter zurückzuführende Anordnung mehr zugeben wollte.818 Gerade die Abweichung von der bisherigen Gleichmäßigkeit, das plötzliche Nebeneinander zweier LesbiaGedichte und die Wahl eines anderen Versmaßes für c.8 ist aber doch ein recht wirkungsvolles Mittel, den ebenfalls für den in c.l noch ungetrübt küssenden Catull wohl unvermittelt erscheinenden Bruch mit Lesbia hervorzuheben, so daß die scheinbar formale 'Störung' im Aufbau des libellus bestens Catulls emotionaler Verstörtheit, seinem Aufschrei miser Catulle ... (c.8,1) entspricht.819 818

oig

Vgl. z.B. FRÖHLICH (1843) S.697f. und MAGNUS nach SCHULZE (1885) S.857f., gegen den er sich mit der Betonung eines besonderen, rein äußerlichen Variationsprinzips verteidigt, "dasz diesen beiden Lesbialiedern zwei lieder heterogenen inhalts zur seite stehen". Vgl. so ja bereits RICHTER (1881) S.2 "veranschaulicht das himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt" oder z.B. HECK (1951) S.40, ΕΛ. SCHMIDT (1973) S.218, (1985) S.113, SKINNER (1981) S.40ff., FERGUSON (1986) S.3.

254

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/ibe//«i)

Allein mit dieser Betrachtung der Verteilung von Liebes- und Freundesgedichten ist freilich die Anlage des libellus noch nicht genügend beschrieben. Beachtet man nämlich zusätzlich die durch die nicht hendekasyllabischen carmina gebildeten vier Hendekasyllaben-Gruppen c.2/2a/3, 5/6/7, 9/10/? und 12/13/14, so zeigt sich auch im einzelnen detaillierteste Anordnung. Bis auf eine Ausnahme sind nämlich alle hendekasyllabischen Gedichte in Dreiergruppen gegeben, die zusätzlich zu ihrer regelmäßigen Verteilung jeweils durch ein gemeinsames, verbindendes Motiv herausgehoben und auch jeweils nach dem gleichen Muster gebaut sind: In allen Fällen umschließen zwei thematisch eng zusammengehörende, einander ergänzende, weiterführende oder auch steigernde carmina als Rahmen ein inhaltlich bezogenes und keineswegs nur beliebig eingestreutes Mittelgedicht, mit dem Catull in selbstironischer Umkehrung der in den Rahmengedichten vorgegebenen Situation genau das dort beschriebene Verhalten karikiert, indem er selbst in die kritisierte bzw. entgegengesetzte Rolle schlüpft. Am offensichtlichsten und von der Forschung ja auch bereits und immer wieder beobachtet,820 ist dies für die Dreiergruppe c.5/6/7 mit den beiden äußeren Kußgedichten, von denen c.7 mit der referierten Frage Lesbias (V.l quaeris, quot mihi basiationes ...) wie ihre Reaktion auf Catulls vieltausendfache Kußwünsche aus c.5 und damit deutlich als inhaltliche Weiterführung wirkt.821 In beiden Gedichten will der Dichter unzählbar viele Küsse geben, so daß kein Neugieriger oder böser Neider sie mehr durchschauen könnte. Das dazwischenstehende Gedicht c.6 handelt ebenfalls von einer Liebesbeziehung, nur ist es jetzt Flavius mit seiner Geliebten, über die Catull allzu gerne etwas erfahren möchte. Das gemeinsame Motiv aller drei Gedichte ist folglich ganz private und wohl hemmungslos ausgelebte Liebe (vgl. die Kußorgien von c.5

820

821

Vgl. z.B. schon RICHTER (1881) S.14, OFFERMANN (1977) S.270f., (1978) S.53, SKINNER (1981) S.50, HUBBARD (1983) S.228, FORSYTH (1989) S.94ff. Ein wenig anders zur "irony of c.6" SEGAL (1968) S.315, 319; HECK (1951) S.39 sieht die "Heimlichtuerei des Flavius" als "reizenden Gegensatz" zur "offenherzigen Sprache" Catulls in c.5 und 7. Vgl. ferner FITZGERALD (1992) S.438f. Vgl. z.B. QUINN o. in Anm.137. Zu den Kußgedichten und ihren Motiven vgl. vor allem COMMAGER (1965) S.84ff., SEGAL (1968) S.284ff. sowie CAIRNS (1973) S.15ff. Überdies scheint sich für den Leser in dem auf den ersten Blick harmlosen Liebesgedicht der Umschwung in der Beziehung schon anzukündigen: Wie kann denn Lesbia, nachdem Catull c.5 gerade die genaue Berechnung der Küsse abgelehnt hatte, so unromantisch sein, eine buchhalterisch exakte Zahlenangabe zu verlangen, anstatt lieber mit ihm verhebt in endlosen Küssen zu schwelgen! Hierzu vgl. auch LATEINER (1977) S.31 Anm.34 "to say quaeris ... is to show frustration and annoyance, and the answer, however beautiful, is a way of rejecting the question", FERGUSON (1986) S.3, daß die Tatsache, daß c.5 Catull von Lesbia geküßt wird, in c.7 aber selbst küßt, keine "difference purely grammatical" darstellt: "It is the difference between kisses freely given and kisses exacted as a tribute". Eine entsprechende, überleitende Funktion von "visions of happy love to disillusionment and betrayal" will NIELSEN (1984, o. Anm.614) S.105 Anm.6 bereits für c.6 als "prelude to Lesbia's lewd and insensitive behaviour in c.ll" erkennen, doch ist solches in diesem Gedicht m.E. noch nicht angelegt.

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

255

und 7, vgl. das noch verräterische Spuren zeigende Bett des Flavius in c.6), die selbstironische Verkehrung, daß Catull selbst c.6 in die Rolle des Voyeurs geschlüpft ist ("we see the poet intruding upon this privacy rather in the distasteful manner of a Peeping Tom" )822, gegen den er sich doch als verliebt Küssender in c.5 und 7 zur Wehr zu setzen suchte. Dieselben Bauprinzipien gelten nun m.E. auch für die drei anderen Gruppen. Daß c. 12/13/14 durch gemeinsame Thematik verbunden sind, hat die Forschung natürlich ebenfalls längst bemerkt. Wenn jedoch z.B. FORSYTH für ihren Zyklus "gifts and giving" als vereinendes Motiv hervorhebt oder HUBBARD zusätzlich auf die ähnliche Situation mit "feasts" und "customs" aufmerksam macht,823 so sind damit zunächst bloß Äußerlichkeiten dieser Gruppe, das die Freundschaftsbekundung und eigentliche Aussage ermöglichende Mittel benannt. Das entsprechend den c.5/6/7 wesentliche und eigentliche Thema ist vielmehr der Scherz, den Catull und seine Freunde miteinander treiben (vgl. c.12,4 hoc salsum esse putas?), und der von C.12 zu C.14 dadurch intensiviert erscheinen mag, daß er zum einen c.12 erst nur nebensächlicher Aufhänger für den Freundespreis am Gedichtende, c.14 aber die Hauptsache ist und daß er zum anderen c.12 nur von einer in Catulls Freundeskreis unbedeutenden Nebenfigur, dem Bruder eines Freundes, c.14 dagegen direkt vom Freund Catulls ausgeht. Eine vergleichbare inhaltliche Weiterführung wie in c.2/3 oder c.5/7 ist dies natürlich nicht, da andere Personen und leicht abweichende Thematik gewählt sind (Diebstahl - Saturnaliengeschenk). Doch läßt sich c.14 mit der spaßigen Gabe m.E. schon als gewisse Steigerung des Scherzes verstehen, da in c.12 Catull ein ernsthaftes Geschenk lediglich gegen einen ihm geschmacklos vorkommenden und beim Gastmahl auch unpassenden Diebstahl zu verteidigen hatte, c.14 aber das Geschenk selbst der Scherz ist und auch am Tage der Saturnalien zu passender Gelegenheit erfolgt.824 Und was nun das Mittelgedicht betrifft, so hatte Catull in c.12 und c.14 unter den Scherzen anderer zu leiden und konnte lediglich mit Drohungen reagieren (c.l2,10ff., 14,16ff.); in c.13

822 FORSYTH (1989) S.95. Λ-\ / 823 HUBBARD (1983) S.230, FORSYTH (1985) S.571ff.; für das Geschenk- und Freundschaftsmotiv vgl. ferner OFFERMANN (1978) S.39f., 54 sowie mit Hinweis auf E. ADLER (Catullan Self-Revelation, New York 1981, S.66) DEITMER (1986) S.88, 91 Anm. 12; für das c.12 und 13 gemeinsame cene-Motiv vgl. z.B. BARWICK (1958) S.316, SKINNER (1981) S.60, DEITMER (1986) S.88. 824 Auch DEITMER (1989) S.82 Anm.24 sieht eine Entwicklung zwischen dem als mißglückt aufzufassenden Scherz des Asinius in c.12 (V.4 hoc salsum esse putas) und dem demgegenüber gelungen wirkenden des c.14, doch glaubt sie mit Einbeziehung von c.13, daß Catull mit diesen beiden Gedichten zeigen wollte, was er wirklich für witzig halte. Auch OFFERMANN (1978) S.40, 54 stellt fest, "daß dieses Motiv aus c.13 (und ursprünglich aus c.12 Ende) nunmehr formal das ganze Gedicht trägt". Zu weit geht dagegen TANNER (1986) S.2639 "[...] 12 treats Asinius Marrucinus as himself an 'evil power' to be averted, and 14 puts the bad poets sent by Calvus in the same class".

256

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/ifce//uj)

aber macht er seinen eigenen freundlichen Scherz,825 so daß die von Catull C.12 und auch c.14 zu stellende Frage hoc salsum esse putas? nun von dem hungrigen Fabull an ihn selbst zu richten wäre (vgl. auch in Martials Wiederaufnahme 3,12,3 res salsa est bene olere et esurire). Für die restlichen beiden Gruppen wird die entsprechende Anordnung auf den ersten Blick nicht so deutlich, da Gedichte fehlen bzw. zu fehlen scheinen. Immerhin ist offensichtlich, daß mit c.2 auf den passer, deliciae meae puellae, und c.3 auf den Tod eben dieses Spatzen eine inhaltliche Weiterführung vorliegt. Und trennt man c.2a als Rest eines eigenständigen Gedichts ab, wie im vorausgehenden Kapitel gefordert, sind wenigstens noch drei Verse des Mittelgedichts erhalten, die aber natürlich nicht ausreichen, um dieses und sein Verhältnis zu den umgebenden beiden carmina wirklich beurteilen zu können. Interessant ist jedoch, daß genauso wie in c.2 und 3 über den Spatzen als teuren Spielgefährten bei Einsamkeit und Trost bei Kummer, deliciae, auch c.!2a von etwas Derartigem handeln mußte, einer liebgewordenen Sache, einem Spieltier, Talisman o.ä., was vielleicht in einer bestimmten Situation für den Besitzer eine große Bedeutung hat oder hatte (vgl. die erhaltene Formulierung tarn gratum ... quam ferunt puellae/ pernici aureolum fuisse malum) und nun eben genau wie in den Mittelgedichten der beiden schon besprochenen Gruppen nicht auf die puella, sondern auf Catull selbst bezogen ist (vgl. tarn gratum est mihi... mit evtl. ironischer Brechung, verstärkt durch einen übertriebenen mythischen Vergleich, der V.3 mit zonam soluit diu negatam gerade auf das hindeuten mag, was in Catulls Beziehung nach den anfänglichen c.2 und 3 noch zu fehlen scheint, nämlich die Aufnahme intimen Kontaktes).826 Daß tatsächlich in irgendeiner Weise ein Bezug zu den umgebenden carmina, d.h. speziell c.2 vorhanden scheint, belegen auch die vielfältigen Versuche der Forschung, c.2 und 2a zu kombinieren. Durch die hier vorgetragene, mit dem Bau der restlichen Dreiergruppen übereinstimmende Deutung des Fragments als thematisch bezogenes, 825

826

Für c.12 und 13 vgl. z.B. bereits BARWICK (1958) S.316, SKINNER (1981) S.60 "What was clearly lacking at the earlier party is urbanitas, now given concrete existence in the perfume Catullus offers his friend" oder DETTMERs Gegenüberstellung (1986) S.87 uenustas/"urbanity" - inuenustas/"hci of urbanity". Für MARCOVICH (1982) S.132 ist dagegen die Anlage des Gedichts mit Catulls Aufforderung lediglich Mittel "to boost the value of the host's own contribution. Lesbia's perfume matches Fabullus' entire banquet", für FORDYCE (21965) S.133 und VESSEY (1971) S.45ff. gar "sheer fun, written to please and compliment Lesbia" (MARCOVICH S.133). Vgl. die Deutung GUGELs für ein vereintes c.2+2a (o. Anm.766) und ebenso HUBBARD (1983) S.229 "[...] whatever was described in the missing verses is as pleasing to the poet as the sparrow is to Lesbia. And the nature of the following simile [...] implies that the pleasure is related to that of sexual conquest [...]. Thus C.2b accents the poet's perspective on C.2 and 3 [...] just as C.6 reverses the perspective of C.5 and 7"; vgl. auch bereits OFFERMANN (1978) S.49, für den c.2a allerdings unvollendet ist: "Hatte er am Ende von c.2, anstatt direkt banal das Spiel mit Lesbia zu wünschen, zarter sich erhofft, mit dem passer spielen zu können, so wird nun - noch immer vorsichtig in der Weise des Vergleichs! - in den wenigen Zeilen von c.2a eindeutiger von Liebe und Liebeserfüllung [...] gesprochen."

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

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selbstironisches Mittelgedicht geht dieser aber anders als bei sonstigen Rekonstruktionsversuchen von c.2a als eigenständiges Gedicht nicht verloren827 und läßt sich überdies m.E. weit besser erklären, als wenn man gegen das Geschlecht der jeweiligen deliciae (passer - gratum) einfach die beiden Gedichte zusammensetzt. Es bleibt die einzige zahlenmäßige Ausnahme, die scheinbare Zweiergruppe C.9 und 10, für die aus streng formalen Gründen jetzt leicht ein Gedichtausfall zu postulieren wäre, der zwischen c.10 und 11 erfolgt sein müßte. Denn es fehlt ein weiteres Rahmengedicht neben c.9; ein Mittelgedicht mit der oben nun schon dreimal festgestellten Ausrichtung und Funktion ist mit c.10 vorhanden. Auch sind hier wie bei den drei anderen Gruppen c.9 und 10 (und schließlich auch das nicht hendekasyllabische c.ll) durch eine ihnen allen gemeinsame Thematik verbunden, vordergründig jetzt das Reisemotiv, wie die Forschung ebenfalls hervorzuheben pflegt.828 Wiederum ist damit aber nur eine äußerliche Gemeinsamkeit getroffen, die den Aufhänger für die eigentliche Aussage, die in c.9 offensichtliche, aber auch in c.10 enthaltene Freundesbekundung bietet. Doch während c.9 drängende, überschwengliche Beteuerung der Zuneigung durch den Freund Catull ist, zeigt sich dieser in c.10 gegenüber Varus gerade so, wie man sich einen guten Freund nicht wünschen würde, und zwar als überheblicher Angeber, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt (vgl. narrantem von c.9,6ff. über den erwarteten Bericht von den Reiseerlebnissen des Veranius und Catulls eigene Reiseerzählung von c.10) und der - in die Enge getrieben - als Ausweg unbekümmert einfach über den Besitz seines Freundes Cinna verfügt (diese Wendung des Gesprächs hatte Catull schließlich nicht von vornherein beabsichtigt, von einer Gütergemeinschaft mit Cinna war er zunächst nicht ausgegangen). Daß dies eine selbstironische Karikierung des Verhaltens in einer Freundschaft sowohl gegenüber Varus als auch vor allem gegenüber Cinna darstellt und somit c.10 tatsächlich ähnlich wie die drei weiteren Mittelgedichte c.2a, 6 und 13 angelegt ist, liegt auf der Hand.829 Gemäß den für

827

828

829

Vgl. z.B. HECK (1951) S.38 Anm.2, der an einen Freund als Adressaten von c.2a wie für C.6, 9, 10 usw. glaubt, doch ist m.E. eher c.2 vergleichbar an eine Sache oder ebenfalls an ein Tier zu denken. Zu spekulativ und darum unbefriedigend z.B. J.D. BISHOP, Catullus c.2 and Its Hellenistic Antecedents, CPh 61 (1966), S.158-167, der versucht, c.2a als Teil eines "Sparrow Cycle", vielleicht eine "thank you note" des Mädchens zu deuten. BLOCK (1984) S.58 Anm.25 erwägt mit Bezug auf ROSS (1975, siehe u. Anm.868) S.89 auch für Catull wie für Gallus, Vergil, Properz und Ovid einen "programatic intent" in der AtlantaGeschichte. Vgl. z.B. SEGAL (1968) S.308, HUBBARD (1983) S.230. Zu weit geht TANNER (1986) S.2639 "7 and 9 are designed to divert divine jealousy from his joy in kissing Lesbia or welcoming home Veranius from Spain, but 10 tries to placate divine resentment at his boastful falsehood by its style of self-humiliation". Zu c.10 als "an exercise in genial self-ridicule" vgl. z.B. SKINNER (1989) S.7ff. Zusätzlich zu dieser üblichen Interpretation erkennt NIELSEN (1987) S.152 "Catullus' wish to deride her publicly for not having remembered a woman's role of silence". Die hier angestellten Überlegungen zur Funktion des Gedichts und zum von beiden noch nicht mit ausgewer-

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Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

die drei anderen Gruppen erschlossenen Bauprinzipien müßte nun auf c.10 als vermißtes Rahmengedicht ein weiteres wirkliches und vielleicht sogar noch ein wenig intensiver als c.9 wirkendes Freundesgedicht folgen (etwa auf den sonst ja auch zusammen mit Veranius angesprochenen Fabullus, vgl. C.12, 28, 47), was angesichts des fragmentarischen Zustandes auch von c.2a gewiß leicht ausgefallen sein könnte. Nur aus diesen formalen Gründen ist jedoch hier keinesfalls ein Ausfall zu fordern (in c.13 existiert im übrigen schon ein Fabullus-Einzelgedicht)! Mit den ersten Versen, ja den ersten zwei Dritteln von c.ll ist schließlich ein Gedicht mit genau der soeben geforderten Ausrichtung überliefert, das ebenfalls Reisethematik als Aufhänger für eine Freundschaftsbekundung hat und tatsächlich, verglichen mit c.9, als noch intensivere Äußerung von Freundschaft zu werten ist - so intensiv und überzogen jedenfalls, daß manche Forscher sie, wie im Kapitel 2.3. besprochen, gar nicht mehr für ernst halten wollen. Aber selbst abgesehen von den vielleicht übertrieben langen Formulierungen des Gedichtanfangs, kann zusätzlich die Art der Freundschaftsbekräftigung als Steigerung gegenüber der von c.9 empfunden werden: C.9 ist es nämlich nur Catull selbst, der die Freundschaft einseitig betont - ob diese wirklich auch so erwidert wird, geht aus dem Gedicht nicht hervor (auch c.10 ist die Freundschaft mit Cinna nur von Catull aus gesehen); in c.ll dagegen sind es die Freunde, die von sich aus ihre enge Beziehung und Bereitschaft, für Catull einzustehen, betonen, so daß jetzt erstmals deutlich wird, daß Catull in seiner Enttäuschung wirklich auf gute und sehr enge gegenseitige Beziehungen bauen kann. Neben der Funktion für das Gedicht selbst, Spannung aufzubauen, ist also m.E. die bei isolierter Betrachtung von c.ll vielleicht etwas seltsame Anlage und Gewichtung aus dem Kontext im libellus und hier vor allem aus seiner Funktion als zweites Freundesgedicht neben c.9 mit ebenfalls übertriebener Darstellung des freundschaftlichen Verhältnisses zu erklären - keinesfalls jedoch mit dem Wunsch Catulls nach ironischer Abwertung der Adressaten. Wenn nun aber c.ll mit seiner Absage an Lesbia und seinem sapphischen Versmaß tatsächlich zugleich auch das dritte Gedicht der Freundesgruppe mit c.9 und 10 ist, wiederholt sich bei diesem zweiten Lesbia-Gedicht nach dem Bruch mit ihr genau das, was auch schon bei c.8 zu beobachten war: Die regelmäßige Abfolge der Gedichte im libellus ist gestört, jetzt umso heftiger, da auch der mit c.ll erteilte Auftrag, die endgültige Trennung von seinem Mädchen zu übermitteln, den einstmals so Verliebten natürlich emotional gewaltig aufwühlt - daß Catull über die Beziehung noch nicht hinweg ist, zeigt er durch seine kräftigen, obszönen Formulierungen ihr gegenüber (V.17ff. cum suis uiuat ualeatque moechis ... trecentos ... ilia rumpens).830 So ist in einem

830

teten Kontext in der Sammlung bestätigen allerdings eher SKINNERs Deutung als das eigentliche Anliegen von c.10. Vgl. so jetzt auch FREDRICKSMEYER (1993) S.101 Anm.23 "The very violence of Catullus' repudiation suggests that he may still be (unconsciously) in love with her" oder z.B. - ein wenig anders - Ε Λ . SCHMIDT (1985) S.114 "als langer Brief zum kurzen Abschied wieder ein Bild der Leidenschaft".

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/ifre//ui)

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ansonsten mit größter Regelmäßigkeit gebauten libellus an zwei Stellen von einer strengen Verteilung von vier Hendekasyllaben-Gruppen mit jeweils Zusammengehöriges trennendem Mittelgedicht und dazwischen stehenden Gedichten anderen Versmaßes abgewichen, um die Aussagekraft der beiden an diesen Punkten piazierten wesentlichen Lesbia-Gedichte noch zusätzlich zu verstärken. Wegen der fast gleichmäßigen Gruppenbildung um c.8 als Mittelgedicht läßt sich der libellus formal sicher als Ringkomposition mit einem vorgesetzten Einleitungsgedicht verstehen (vgl. so ja auch das diesbezüglich nur leicht zu modifizierende Schema DETTMERs), zumal die beiden Mittel- bzw. Trenngedichte der um c.8 gesetzten Hendekasyllabengruppen, c.6 und c.10, dasselbe Motiv als Ausgangspunkt benutzen, eben SEGALs "scortumtheme",831 und zur Beschreibung der beiden Freundinnen des Flavius und Varus auch nahezu identische Formulierungen gebraucht sind (6,2 ni... inlepidae atque inelegantes, 10,4 non sane inlepidum ñeque inuenustum). C.6 erscheint Catull mit seiner Neugier und seinen Unterstellungen (V.2ff. nescioquid febriculosi scorti) zunächst als reichlich zweifelhafter Freund, entpuppt sich aber mit der abschließenden Beteuerung, jede Freundin des Flavius zu akzeptieren (V.15ff. quidquid habes boni malique...) und lepido uersu zu preisen, als gar nicht so bösartig;832 c.10 erweist sich Catull dagegen schließlich mit seiner Angeberei und heftigen Reaktion auf seine Überführung als wirklich unangenehm (V.33f. sed tu insulsa male et molesta uiuis ...). Auch sind es jeweils die dieser Mitte benachbarten Gruppen, die mit dem Wunsch nach unzähligen Küssen übertrieben formulierte Liebesäußerungen bzw. ebenfalls übertrieben wirkende Beteuerungen der Freundschaft enthalten. Wegen der für c.9-11 zu beobachtenden Abweichung im Bau der Hendekasyllaben-Gruppe und auch wegen der Tatsache, daß nicht das direkt in der Mitte des libellus stehende c.8, sondern erst c.ll den beiden großen Themenkreisen 'Liebe' und 'Freundschaft' gemeinsam ist, wäre es jedoch nur eine Ringkomposition mit inhaltlich der starken Gewichtung des Liebeserlebnisses entsprechend verschobener Symmetrie, so daß Catull sich in der Anordnung seiner Gedichte ganz offensichtlich nicht primär von dem nur formalen Wunsch, eine gleichmäßige Ringstruktur zu schaffen, hat leiten lassen. Angesichts der c.2-14 von ihm vorgeführten Liebesgeschichte mit ihrem Höhepunkt, dem Scheitern und der allmählichen Rückgewinnung inneren Gleichgewichts, die durch das mit uiuat ualealque als endgültige Trennung formulierte c.ll (V.17ff.) innerhalb des libellus wie eine unumkehrbare 831

OFFERMANN (1977) S.272 sieht c.10 direkt als "eine Art Fortsetzung" von c.6 "insofern, als der Freund hier bereit war, Catull mit seinen 'amores' bekannt zu machen". Für HUBBARD (1983) S.227 Anm.33 besteht dagegen - weniger überzeugend - eine Beziehung zwischen c.6 und 11: "C.6 exhorts a friend to tell the poet about his girl, while C.ll tells us about the poet's girl. Both poems denigrate the women to little more than the status of prostitutes." 832 Siehe auch o. Anm.614.

260

Zusammenfassung für c.1-14

('Lesbia'-libellus)

emotionale Entwicklung wirkt, so daß also nicht wirklich auch eine inhaltliche Entsprechung der formal zu den jeweiligen Ringen zusammenzuschließenden Gedichte etwa mit einer abschließenden, tastenden Rückkehr zu Lesbia gegeben ist (vgl. auch die m.E. neue puella in c.13 und damit dem c.2a entsprechenden Mittelgedicht, nicht an der den Lesbia-carmina 2/3 vergleichbaren Position), sollte m.E. eine evtl. aus der Verteilung der Gedichte herauszulesende Ringkomposition nicht überbewertet werden. Entsprechend der chronologisch fortschreitenden Erzählung kann die Anordnimg im libellus auch eher als linearer Fortschritt beurteilt werden, genauso wie z.B. WISEMAN ja für den Bau einzelner Gedichte nicht nur das Prinzip der Ringkomposition, sondern auch das der "linear progression" bemerkt hat.833 Daß Catull wirklich eher an ein zu seiner c.2-14 geschilderten Erfahrung passendes Nacheinander in der Folge der Gedichte gedacht hat, ist zudem durch den zweiten postulierten libellus zu belegen, da er auch dort trotz der unterstellten Bezüge zum ersten libellus seine Gedichte in zwei durch die Mitte c.22 getrennten, nacheinander gesetzten Hälften und eben nicht ringkompositionsartig zusammengefügt hat, wie es ohne weiteres möglich gewesen (also C.23 und dann nebeneinander c.26 und 24), ja zu der anfänglichen Folge mit c.16 zwischen den enger zusammengehörigen c.15 und 21 symmetrisch gewesen wäre. Um die von Catull gebotene Anordnung der Gedichte des ersten libellus zu erfassen, ist somit m.E. gar kein aufwendiges, die eigene Lektüre unterstützendes Schema mit weitgespannten Verklammerungen nötig. Jeder Leser kann und wird bei einfacher, fortschreitender Betrachtung die zahlenmäßige Entsprechung der jeweils hendekasyllabischen Gedichte, ihre Zusammenfassung zu kleinen gleichgebauten Gruppen durch weitere Gedichte in anderen Maßen sowie den durch die unvermutete Abweichung von dieser Regelmäßigkeit mit c.8 markierten Umschwung und dort später die Mitte des Ganzen erkennen können. Daß nun allerdings diese so einfache und gleichmäßige, der inhaltlichen Folge gemäße Anlage des libellus und speziell der oben beschriebene Bau der vier Hendekasyllaben-Gruppen in der Forschung so noch nicht recht gesehen zu werden scheint, liegt einmal natürlich ganz wesentlich daran, daß gleich die erste Gruppe mit dem nur mehr fragmentarischen c.2a zerstört ist. Auch daß c.l nicht konsequent genug als bloße Widmung und Einleitungsgedicht ausgenommen wird, anstatt dieses mit C.14 als Abschluß des Buchteiles bzw. libellus zu verbinden, wie es z.B. in DETTMERs neuer Übersicht oder auch bei HUBBARD geschieht, das trübt den Blick für die hier vorgeführte Gruppenbildung, da dann einerseits am Anfang vier statt der sonst üblichen drei hendekasyllabischen Gedichte 833

WISEMAN (1974) S.59ff.; vgl. auch VAN SICKLE (1980) S.5, daß die Form der Buchrolle ein "linear movement" erfordere. Daß Catull bestimmte Gedichte wie die sog. AlliusElegie c.68a ringförmig gebaut hat, muß schließlich gegen z.B. OFFERMANN (1986, o. Anm.45) S.324f. mit Anm.31 noch nicht bedeuten, daß er auch seine Gedichte stets in solcher Weise angeordnet hat. Für Literatur zur Ringkomposition bei Catull siehe o. Anm. 202, für den vermeintlichen Ring der carmina malora u. S.298.

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/ifce//us)

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zu erklären sind und andererseits durch den Ring c.1-14 auch die letzte Dreiergruppe c. 12/13/14 aufgelöst ist. Vor allem aber ist durch die gemeinsame Überlieferung mit vielen weiteren Catull-Gedichten c.l4aff. der libel/«j-Charakter von c.1-14 und damit das Bewußtsein der ursprünglichen Einheit dieser Gedichte verlorengegangen,834 so daß viele oder gar die meisten Forscher - mit SCHULZE und HUBBARD sind es überhaupt nur zwei, die ihre libelli c.1-14 tatsächlich ausführlicher als in sich geschlossene Einheit zu deuten suchten -, durch die später in der Sammlung folgenden Lesbia- und Aurelius- und Furius-Gedichte verleitet, voreingenommen nach dem nicht als Freundschaftsbekundung, sondern ironische Absage an die Adressaten mißverstandenen c.ll auf solche weiteren, den festgestellten'Lesbia'-Zyklus inhaltlich ergänzenden und für Catulls Liebesleben aussagekräftiger wirkenden Lesbia- oder Juventius-Verse wie c.24, 37 oder das berühmte c.51 geblickt und auf deren Kosten die offenbar uninteressanteren, scheinbar beliebig eingestreuten Freundesgedichte wie c.9, 10, 12 und 13 vernachlässigt haben.835 Auch der vermeintliche Forschungsfortschritt, mehrere Zyklen in der Catull-Sammlung zu ermitteln, hat zu einer zu starken Fixierung nur auf in dieser Hinsicht geeignete carmina und dem Ausschluß andersartiger, aber gerade besonders aussagekräftiger Gedichte wie eben c.9ff. oder auch c.17 und 25 aus einer gemeinsamen Interpretation geführt (vgl. ja auch TROMARAS' diesbezüglichen Überlegungen) und muß folglich jetzt für das Verständnis von Catulls Anordnung sowohl für den 'Lesbia'-/ifte//i« c.2-14 als auch für den in der Sammlung anschließenden 'Aurelius- und Futius'-libellas eher hinderlich wirken. Trotz der zahlreichen Forschungsliteratur zum sog. 'Lesbia'-Zyklus hat man sich also bislang m.E. einfach noch nicht intensiv und ernsthaft genug mit wirklich allen am Anfang des Corpus Catullianum überlieferten c.2-14 befaßt und nach deren Lektüre gleich im Corpus weitergelesen bzw. zur Interpretation die dann folgenden Gedichte herangezogen (so besonders für c.ll und Catulls Verhältnis zu Aurelius und Furius), statt wie ein nur den kleinen libellus keimender Leser über diesen als Einheit nachzudenken und ihn in sich als Entwicklung zu verstehen. Nimmt man nun für die Interpretation des sog. 'Lesbia'-Zyklus tatsächlich alle Gedichte des libellus, c.2-14, zusammen, so bekommt der Leser, wie beschrieben, ein einheitliches Bild von einer Liebeserfahrung Catulls, die Hö834 835

Zur Anlage des gesamten Corpus Catullianum in Abhängigkeit der hier postulierten libelli siehe u. S.289. Vgl. vor allem den die Forschung mit seiner Einschränkung auf c.2-11 entscheidend beeinflussenden SEGAL (1968) und z.B. OFFERMANN (1977) S.270ff., FERGUSON (1985) S.9, E A . SCHMIDT (1985) S.115, JANAN (1994) S.37ff., MILLER (1994) S.63ff. Der gleiche Einwand gilt für die Gedichte des 'Aurelius- und Furius'-libellus, für deren Interpretation man eben viel zu wenig von den eigenen Formulierungen ausgegangen ist anstatt von c.48, 99 und dem damit geschaffenen 'Juventius'-Roman, so daß eher solche harmlosen, c.5 und 7 vergleichbaren Verse mit Küssen in den Vordergrund traten und die obszönen, aber für die Deutung des Zyklus ganz besonders aussagekräftigen c.15, 16, 21 verdrängten.

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Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

hepunkte zeigt, darauf auch seine Enttäuschung und weiter, wie er dadurch, daß er in einen großen Freundeskreis eingebunden ist, mit dieser schließlich fertig geworden ist. Es ist somit Catull selbst, um den es in all den Gedichten geht, wie oben bereits für c.2-7 festzustellen war und wie es natürlich dann durch C.8 und 11 ganz offenkundig wird. Auch da mit den fünf Freundesgedichten weitere auf Catull bezogene Gedichte hinzugekommen sind, so daß deren Anzahl der der fünf Lesbia-Gedichte c.2-8 entspricht, wirkt das Gewicht der Aussagen des libellus insgesamt zu Catulls Gunsten verschoben. Gewiß ist Lesbia als die Geliebte Catulls im libellus die wesentliche Person; sie ist es schließlich, die für Catulls Emotionen verantwortlich ist. Die eigentliche Hauptperson des Büchleins aber ist der verliebte, leidende, von Freunden gestützte Sprecher Catull,836 wobei natürlich sorgfältig zwischen dem echten Catull, dem Dichter, und dem in der Fiktion des Gedichtbuches agierenden Catull zu trennen ist.837 Das als Catull in den Gedichten auftretende 'Ich' ist verliebt, dann verzweifelt, versucht tatsächlich durch den Selbstaufruf von c.8 wieder zur Ruhe zu kommen und ist c.ll über die Enttäuschung emotional noch nicht hinweg, wie bereits oben aus dessen Formulierung geschlossen wurde. Der Dichter Catull freilich hat das Liebeserlebnis, sofern er hier wirklich eigene reale Erfahrungen verarbeitet, längst oder zumindest weitestgehend überwunden. Er schreibt gefühlsmäßig distanziert, abgeklärt und mit viel Selbstironie, wie sie in diesem Kapitel für die Mittelgedichte C.6, 10 und 13 festzustellen war. Und das gilt nicht nur für diese Trenngedichte unabhängig von Catulls Liebeserlebnis. Bereits in Kap.2.3. war ein leicht selbstironischer Zug für c.ll zu bemerken, und daß durch die für c.10 unterstellte Funktion der dem Bruch mit Lesbia folgende übergroße Freundespreis karikiert wird, zeigt die Fähigkeit des Dichters zu einer derart selbstironischen Haltung auch in bezug auf den gefühlsmäßig aufgewühlten Catull. Schön ist dies zudem aus der Anlage von c.8 abzulesen, wenn der Dichter den dort Verzweifelten sich zur Entsagung der Liebe und zum Durchhalten auffordern und dies als so bereits geschehen für sich bestätigen läßt, dem Leser unmittelbar anschließend durch die vielen Fragen V.15ff. aber deutlichst vor Augen führt, wie weit der Catull dieses c.8 noch vom obdurare entfernt und vielmehr wiederum in schwärmerische Erinnerung der Liebe und Küsse der vorausgegangenen Gedichte abgeglitten ist838 (anders dagegen und mit rein ernsthafter Klage, Bitte um Erlösung im scheinbaren Parallelgedicht 76). 836

837

838

Vgl. ja auch HEILMANN (1975) S.148 zu c.9-13 "Das Lesbia-Erlebnis ist ohne Zweifel von herausragender Bedeutung für Catull, aber man muß es in den Gesamtzusammenhängen seines Lebens sehen, wie er sie dem Leser durch die Anordnung der Gedichte zu vermitteln sucht". So ja z.B. explizit CA. RUBINO, The Erotic World of Catullus, CW 68 (1975) S.289-298, dort S.298; vgl. jetzt auch GREENE (1995) S.77ff. zu c.8, 72,76. Nicht korrekt ist es folglich m.E., wenn HUBBARD (1983) S.225f. den Liebhaber selbst als fähig bezeichnet, "to look at himself and his passions objectively, and (as in C.8) even find humor in his present situation".

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

263

Berücksichtigt man, daß die Gedichte des libellus ganz auf die in ihnen auftretende Catull-Gestalt und ihre Emotionen ausgerichtet sind, scheint auf den ersten Blick auch das von der Forschung so oft am Anfang des Zyklus vermißte, nach Ansicht vieler den erstmaligen Kontakt zur Geliebten bezeugende c.51839 bestens zu passen. Auch dort wird ja die Wirkung von Lesbias Erscheinung auf Catull beschrieben (V.5-12), ist er es, der die sitzende Lesbia und ihr Gegenüber beobachtet (V.l-4), ein Erstarren der Zunge, Glühen der Glieder, Klingeln in den Ohren empfindet. Tatsächlich aber muß dieses wunderschöne Gedicht für eine Einbeziehung in den 'Lesbia'-libellus sogar in mehrfacher Hinsicht ungeeignet wirken. So ist die Darstellungsweise der ersten drei Strophen lediglich geschickt gewähltes Mittel, aus der Sicht eines anderen die göttliche, atemberaubende Schönheit der in Wahrheit im Vordergrund stehenden Lesbia hervorzuheben, während diese Lesbia bzw. mea puella im Büchlein positiv nur ein einziges Mal und in knapper Formulierung als desiderio meo nitenti (c.2,5) und damit wiederum nur nach ihrer Bedeutung für Catull bezeichnet ist. Selbst als Schönheit angedichtet oder überhaupt als liebenswerte Person in den Vordergrund gestellt ist sie c.2-11 nicht (vgl. dagegen neben c.51 z.B. c.43, 86), so daß Catull dort offenbar bewußt auf solche preisenden, c.51 vergleichbaren Aussagen verzichtet hat. Wenn der in seinem libellus geschilderten Lesbia-Beziehung wirklich ein früheres Liebesverhältnis etwa zu einer Clodia zugrunde liegt, das aber wegen der vorgeführten Entwicklung c.2-11 mit der am Ende stehenden Absage anstatt einer Versöhnung bei der Zusammensetzung des Büchleins schon zerbrochen sein muß, ist ohnehin verständlich, warum es dann keine Gedichte wie c.51 enthält und an Stelle des zu erwartenden anfänglichen Lesbia-Preises solche auf den Spatzen getreten sind. Welcher gehörnte Liebhaber wird - selbst bei aller inzwischen gewonnenen gefühlsmäßigen Distanz - die einstmals Geliebte, von der er so enttäuscht und betrogen wurde, noch später gerne enthusiastisch, gar wie eine Göttin feiern wollen? Aber auch wenn man von solchen, reale Empfindungen des Dichters voraussetzenden Erklärungen absieht, wäre das als Sappho-Bearbeitung notwendigerweise Einzelstück bleibende c.51 im sapphischen Versmaß angesichts des oben erarbeiteten Bauplans des libellus mit seinen Dreiergruppen aufeinander bezogener, sich ergänzender Gedichte wie c.2 und 3 und der sorgfältigen, für die Lesbia-Verse von Hendekasyllaben ausgehenden Verteilung der Metren nicht in die Struktur einzubeziehen gewesen. Wegen der ein

Siehe o. Anm.86 mit z.B. GOOLD, FERGUSON oder den dies zu Recht ablehnenden CLACK (1976) S.50f. mit früheren Beispielen (MONROE, WILKINSON, QUINN) "the suggestion that 51 is a literary 'overture' to Clodia occurs with such regularity as to bring it to the point of universal acceptance"; vgl. ferner EA. SCHMIDTS kritische Beurteilung der Forschung (1985) S.ll, daß man im "angelsächsischen Bereich [...] auch heute noch weiß, wie Wilamowitz vor 70 Jahren [...], daß c.51 das erste von Catull an Clodia gesandte Gedicht" war. Vgl. aber z.B. auch schon dessen korrekte Interpretation von WISEMAN (1969) S.33f.

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Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-/ifce//uj)

von der Forschung in diesem Zusammenhang viel zu wenig beachteten letzten Strophe mit ihrer seltsam zurückblickenden, das Vorausgehende relativierenden Aussage ist es überdies insgesamt kein wirklich den c.2, 3, 5, 7 vergleichbares einfaches, enthusiastisches Liebesgedicht, wie z.B. schon CLACK betont.840 Inhaltlich wäre es somit nur anstelle, nicht aber zusammen mit bzw. vor den ersten Lesbia-Gedichten des Zyklus denkbar, wie zu Recht E.A. SCHMIDT ebenfalls feststellt.841 Hinzu kommt - und auch dies wird viel zu wenig beachtet -, daß c.51 als lateinische Gestaltung des berühmten Sappho-Gedichts für den Literaturwissenschaftler eine Besonderheit sein mag. Für einen Künstler aber wird eine auch noch so gelungene Kopie niemals so wertvoll sein wie ein selbständig geschaffenes Original. Auch die Kallimachos-Übersetzung c.66 ist für Catull ja nur Ersatz für ein eigenes Gedicht (vgl. c.65) und folglich zweitrangig. Ein Gedicht wie c.51 wäre demnach nur in eine größere Gedichtsammlung mit lockerem Zusammenhalt aufzunehmen gewesen (und hier auch sehr wohl zu erwarten),842 zur Abwechslung als Einzelstück oder zusammen mit c.50 in eigenem Kontext als literarisches Spiel, nicht aber in den kleinen, gedrängten 'Lesbia?-libellus mit seinen inhaltlich zusammenhängenden 15 carmina, die ausschließlich Catulls eigenes und seinem Wunsch nach die Jahrhunderte überdauerndes Können demonstrieren sollen (vgl. c.1,10). Nimmt man ferner alle Gedichte des erschlossenen libellus mit ihrem freundlichen, harmlosen Charakter ohne böse Ironie, ohne scharfe Invektiven (mit Ausnahme der wenigen Verse von c.ll) oder offene Obszönitäten (ebenfalls mit Ausnahme weniger Formulierungen in c.ll) zusammen, so ist m.E. noch eine weitere wesentliche Feststellung zu treffen: Versteckte Obszönitäten, wie sie besonders die moderne Forschung gerne aus einzelnen Gedichten herauslesen möchte, haben in Catulls kleinem Büchlein mit dem innigen Liebes- und Freundschaftsempfinden von seiner Seite ebenfalls keinen Platz, ja ihre Unterstellung ist mit größter Entschiedenheit abzulehnen. Für c.2 und 3 und die seit POLITIANUS und VOSS beliebte Gleichsetzung von Lesbias Spatzen mit Catulls méntula843 ist dies ohnehin bereits aus 840

841 842 843

CLACK (1976) S.51 "the suggestion that SI is an overture [...] is irreparably damaged by the presence of the final otium stanza which has no meaning in such a context"; für RICHTER (1881) S.25 ist c.51 wegen der letzten Strophe sogar nur ein "misrathenes Gedicht". EA. SCHMIDT (1985) S.113. Siehe o. S.157f. mit den Einwänden gegen einen Buchabschluß mit c.50. Vgl. z.B. E.N. GENOVESE, Symbolism in the Passer Poems, Maia 26 (1974), S.121-125; G. GIANGRANDE, Catullus' Lyrics on the Passer, MPhL 1 (1975), S.137-146; Y. NADEAU, O passer nequam (Catullus 2,3), Latomus 39 (1980), S.879-880, und: Catullus' Sparrow, Martial, Juvenal and Ovid, Latomus 43 (1984), S.861-868; dagegen jedoch z.B. JOCELYN (1980) S.421ff. mit folgender korrekten Zusammenfassung auf seiner letzten Seite: "Nothing however would lead a sober student to suppose that they were not at one time elegantly lucid and straightforward." Bestätigt wird sein Beitrag z.B. von WISEMAN (1985) S.139, STROH (1990) S.152 Anm.22, GRATWICK (1991) S.200; ausführlich gegen JOCELYN wendet sich allerdings HOOPER (1985) S.162ff. und lediglich behauptend,

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

265

der inneren Logik der Gedichte selbst auszuschließen: Die Tatsache, daß sich die metaphorische Deutung in den beiden carmina nicht wirklich durchhalten läßt (passend nur für c.2, Iff, 9f.), ist ein nicht wegzudiskutierendes Gegenargument. Denn was sollte die Beschreibung des Spiels mit dem passer als solaciolum sui doloris c.2,7 meinen oder der beklagte Tod in c.3 sowie V.6ff. suamque norat ipsam tarn bene quam puella matrem, nec sese a gremio illius mouebat, sed circumsïliens modo hue, modo illuc ... (zum unschuldigen Charakter solcher Formulierungen vgl. z.B. c.61,216ff.), wenn man Catulls méntula zugrundelegt?844 Etwa eine Klage über eigene Impotenz und diese ausgerechnet zu Beginn des Zyklus unmittelbar vor den weiteren, von der allein auf c.2 und 3 fixierten Forschung nicht berücksichtigten, die Entwicklung einer Liebesbeziehung nachvollziehenden Lesbia-Gedichten? Ein Kontext, wie ihn z.B. Philodemus - ohne Spatzen (oder Hasen)! - mit seiner Klage über früheres fünf- oder gar neunmaliges Vermögen gibt (27 PAGE = A.P. 11,3o),845 paßt dazu, doch solches findet sich bei Catull eben nicht. Daß der der puella gehörende passer auch ihm genommen ist (c.3,15 tarn bellum mihi passerem abstulistis), zeigt nur sein tiefes Mitgefühl mit seinem Mädchen und deren Verlust. Wenn ein Dichter vom Tod spricht, muß damit nicht von vornherein seine Impotenz gemeint sein. Daß Martial nach der gängigen Forschungsmeinung statt der vordergründigen Deutung mehr aus den Catull-Gedichten mit dem passer herausliest oder lesen will (vgl. bes. 1,7, 7,14, ll,6) 8 4 6 -es ist immer interessanter, mehr hinter einem anscheinend

844

845

846

nicht beweisend BLOCK (1984) S.57 Anm.20 "his debunking of the more convoluted theories is refreshing, but that the sparrow was not a mere budgie seems clear"; vgl. ferner den neuen Beitrag von THOMAS (1993) S.131ff., JANAN (1994) S.46ff. mit Anm.22, MILLER (1994) S.66ff. sowie mit übertriebener Ausweitimg auf c.l. libellus und passer als "erotic objects" FITZGERALD (1992) S.420ff. (z.B. davon, daß Catull "teases Nepos with his book rather as Lesbia teases her sparrow" [S.425], ist ebenso wie von dem mit c.15/16 parallelisierten "interplay between giving and withholding" [S.427] nichts zu spüren). Vgl. dazu z.B. schon SCHUSTER (1948) Sp.2369. Wenn dagegen z.B. HOOPER (1985) S.162f. nach langjähriger eigener Erfahrung mit einem "pet parrot" aus den ersten Versen von c.2 auf deren metaphorische Bedeutung schließt, so ist dies keineswegs zwingend. Catulls Formulierungen entstammen keinem ornithologischen Fachartikel; das V.2ff. beschriebene Verhalten ist lediglich exemplarisch für die Zutraulichkeit des Vogels und nicht unbedingt gleichzeitig. Vgl. dazu jetzt THOMAS (1993) S.135, vgl. auch HOOPER (1985) S.165 zu c.3 als "a particularly sophisticated combination of two genre poems: the lament over a dead pet, and the lament over impotence". Aber wenn es, wie er damit selbst zugesteht, die einfache Totenklage auf ein Lieblingstier als traditionellen Gedichttyp gab, warum nicht auch bei Catull? Eine sorgfältige kritische Diskussion der betreffenden sechs Martial-Epigramme gibt PITCHER (1982) S.97ff. mit dem Ergebnis, daß obszöne Interpretation mit Ausnahme von vielleicht 11,6 nicht nur unnötig ist, "but also does grave injustice to the subtle ambiguity of Martial's epigrammatic style". Genau umgekehrt und ohne Beachtung von PITCHER allerdings HOOPER (1985) S.167ff., der für Martials Epigramm 11,6 immerhin folgendes, bestens zur hier erörterten Deutung von c.1-14 passendes Zugeständnis macht (S.169): "The only possible alternative to an obscene interpretation [...] is that a collection of Catullus' poems, beginning with and therefore called the Passer [...] is meant".

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harmlosen Gedicht zu entdecken, zumal sich ja ein derart pikanter Hintersinn ergeben und z.B. ein so schöner zweideutiger Vergleich der Spatzenund Tauben-carmina Catulls und Stellas ermöglicht würde -, daß in einem ähnlichen Epigramm Meleagers (65 PAGE = A.P. 7,207) gar nicht wirklich ein 'Hase' gemeint sein könnte, all dies muß noch lange nicht bedeuten, daß auch und schon Catull selbst mit dem offensichtlich harmlosen Spatzen als Spieltier auf etwas darüber Hinausgehendes zielt847 (Tiere als Spielgefährten vornehmer junger Damen waren nie etwas Ungewöhnliches; z.B. pflegen sie auf Renaissance-Gemälden häufig ein Schoßhündchen zu haben).848 Wie hätte schließlich Martial sonst mit seinem Epigramm 1,109 ein eindeutig harmloses Gedicht über Catulls Spatzen im Vergleich mit dem weitaus vortrefflicheren Hündchen Issa machen können?849 Auch bei dem neuerdings in diesem Zusammenhang genannten c.13 mit angeblich zweideutigem unguentum (= "Lesbia's vaginal secretions", LITTMANN) und totum te faciant nasum ( = penem\ DEITMER) 850 gibt es in den Formulierungen des Gedichts keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß mit der angekündigten wunderbaren Salbe etwas anderes gemeint sein könnte als ein Parfüm als freundliche Gabe Catulls an Fabullus - nur dadurch, daß DEITMER von "ithyphallic nasum" spricht, wird daraus bei Catull noch 847

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Hier müssen die Martial-Interpreten aufpassen: Eine Argumentation, wie sie HOWELL (1980) in seinem Kommentar zu 1,7 nach GIANGRANDE vorführt, "since Catullus had used passer = méntula" zu schließen, auch bei Martial müsse dies gemeint sein, ist folglich unkorrekt; vgl. auch HOOPER (1985) S.175 "[...] Martial has so expanded on the double meaning that its original force can no longer, I think, seriously be doubted". Warum sollte Lesbia nicht tatsächlich einen Spatzen gezähmt haben, und sei es nur in Catulls Fiktion, falls es sich wirklich um einen solchen handelt und die Bezeichnung 'Spatz' nicht einfach allgemein für einen ganz kleinen Vogel steht. Vgl. die Identifikationsversuche der früheren Forschung, z.B. SCHUSTERs Blaumerle (1948) Sp.2369, die nach FORDYCE (21965) S.88 immer noch als "passero" bezeichnet wird; vgl. ferner ThLL 606,68ff. für den domestizierten passer als Haustier, Spielgefährte. Z.B. für Augustinus gehört er conf.1,19,30 wie nuces und pilulae zu den oblectamenta puerorum, vgl. auch Ov. met.l0,259ff. gratapuellis muñera... paruas uolucres. Vgl. auch PITCHER (1982) S.98f. zu 1,109 "Martial gains more from the amorous associations of sparrows and doves than from identifying these with a specific méntula" und S.lOO zu 14,77 als "clearest evidence that Martial could use passer without meaning mentula". Für eine obszöne Interpretation sogar von 1,109 vgl. dagegen HOOPER (1985) S.172f., der den Hund Issa als Umschreibung für den phallus seines Besitzers Publius sehen will. Hier wird jedoch zum einen Martials spätere eigene, explizite Bezugnahme 7,87 zu wenig beachtet, über die HOOPER nur mit "there are, of course, differences" hinweggeht, die aber deutlich belegt, daß der Dichter in beiden Epigrammen tatsächlich an ein Hündchen denkt. Zum anderen gewinnt HOOPER seine Deutung durch Gleichsetzung mit dem Publius der Epigramme 2,57 und 10,98, doch ist diese angesichts sonst mehrfacher Verwendung derselben Namen für unterschiedliche, z.T. auch nur fiktive Adressaten gänzlich unbewiesen und kann auch von Martial nicht zugrunde gelegt sein, da er einen Publius nicht vor 1,109, ja noch nicht einmal im selben Buch als "fop" auftreten läßt. LITTMANN (1977) S.123ff., D E I T M E R (1989) S.83f., die ihren Vorgänger aber sogar selbst ein wenig einschränkt; gegen solches jedoch WITKE (1980) S.325ff., bestätigt von ARKINS (1979) S.80 Anm.42, MARCOVICH (1982) S.138 Anm.24, HUBBARD (1983) S.225 Anm.28, BERNSTEIN (1984) S.127 Anm.2, WISEMAN (1985) S.147 Anm.59.

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kein penis (vgl. überdies Martials spottende Reaktion 3,12 m.E. ohne jeden Hauch von Schlüpfrigkeit und mit einem ganz anderen Witz:... qui non cenat et unguitur, Fabulle, hic uere mihi mortuus uidetur)}51 So ist es einfach nicht einzusehen, wieso in wissenschaftlicher Forschung und nicht etwa produktiver, durchaus legitim verfälschender Rezeption wie evtl. bei Martial, wenn die offensichtlichen und auch wirklich aus dem Wortlaut der Gedichte hervorgehenden Interpretationen erschöpft scheinen, eine zusätzliche obszöne Deutung versucht werden muß.852 Daß man sich bei isolierter Betrachtung bestimmter Ausdrücke wie passer oder unguentum tatsächlich eine obszöne Verwendung denken, ja diese in anderem Zusammenhang und vielleicht sogar in antiker Catull-Rezeption belegen kann,853 rechtfertigt keinesfalls deren notwendige Übertragung auch auf die ursprünglichen Formulierungen der Gedichte Catulls. Für die Ablehnung solcher Deutungen muß natürlich zunächst das carmen selbst und seine textgetreue Interpretation ausschlaggebend sein, wie sie bei c.2, 3 und 13 m.E. tatsächlich möglich und natürlich auch längst geschehen ist. Die überzeugenden, ausführlichen Gegenargumentationen von JOCELYN und fast zeitgleich WITKE sind somit entschieden zu bestäti851

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Auch hier gibt es freilich - wie könnte es anders sein - eine unanständige Deutung, vgl. HALLETT (1978) S.747f., die an anderer Stelle ausführlicher zu widerlegen sein wird: Wegen der besonderen Struktur des dritten Buches (vgl. 68, 86) ist ein unanständiges Epigramm in Anspielung auf ein obszönes Caluü-carmen als 12. Gedicht ausgeschlossen. Zur Wiederaufnahme von c.13 bei Martial vgl. im übrigen noch 11,52. DETTMERs neue Interpretation von c.13 (1989) erhält mit dem ausgewerteten Philodemus-Bezug (dazu siehe auch u. S.270) schon genug "underlying purpose" und vielleicht tatsächlich einen besonderen Reiz des Gedichts ausmachende Anspielungen, die durch die vermuteten Obszönitäten nur verdeckt würden. Daß auch bei konventioneller Interpretation c.13 reizvoll ist, zeigen überdies z.B. VESSEY (1971), ARKINS (1979) und MARCOVICH (1982), daß dies auch für c.2 und 3 mit vielleicht sogar ein wenig tiefergehender Bedeutung für Catulls Lesbia-Verhältnis gilt (Widerspiegelung der drei "stages"), z.B. FOTIOU (1980). Wenn demgegenüber HOOPER (1985) S.164 die beiden carmina "taken literally" als "skilful but rather tired arrangement of traditional Hellenistic themes" abwertet, entspricht dies einzig seiner persönlichen Empfindung. Vgl. neben den Martial-Epigrammen z.B. Stellen wie Fest.p.410 L, der die Gleichsetzung von strutheum und méntula als üblich bestätigt; vgl. ferner DETTMERs Hinweis (1989) S.83 auf eine Verbindung von nasus -penis auf Grafitti, THOMAS' A.P.-Beispiele (1993) oder HOOPERs ägyptische Hieroglyphen (1985) S.163 mit dem abschließenden, viel zu weit gehenden Ergebnis "For the venustiores, the people 'in the know", passer meant phallus just as surely as basium meant kiss" (S.175). Vgl. aber auch z.B. PITCHER (1982) S.97 "That passer can mean méntula is not in dispute [...] What is equally clear is that passer does not always mean méntula; its primary meaning 'sparrow* remains". Wenn Catulls Spatzen-Gedichte für den damaligen Leser tatsächlich so offenkundig unanständig gewesen wären, wie heute manche Interpreten glauben, wie hätte übrigens dann der Besitzer des Hündchens Myia seinem Liebling eine ernstgemeinte Grabinschrift mit deutlichem Catull-Bezug in den Formulierungen setzen lassen können? Vgl. Carm. epig. 1512, zitiert auch von HOOPER (1985) S.173 als reales Gegenstück zu Mart.1,109, um durch den - nicht gelungenen - Vergleich den obszönen Charakter von letzterem zu erweisen. Er bestätigt damit jedoch umgekehrt gerade die Harmlosigkeit von Catulls Versen in den Augen antiker Rezipienten.

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gen.854 Zusätzlich ist aber nun auch aus dem insgesamt harmlosen Charakter des libellus ein Gegenargument zu gewinnen und ein weiteres aus der hier durch C.16 und Catulls Verteidigung nur für seine Küsserei erschlossenen Kritik des Aurelius und Furius an diesem libellus. Denn wenn dieser wirklich bereits derart Obszönes enthalten hätte, wie gewisse Interpreten für dessen c.2, 3 und 13 annehmen wollen, hätte die Kritik der beiden Freunde wohl kaum in der hier unterstellten Weise ausfallen können, hätte Catull sich kaum gegen den Vorwurf allzu großer Zärtlichkeit und damit unmännlicher Weichheit verteidigen müssen (vgl. besonders V.12f. uos, quod milia multa basiorum/ legistis, male me marem putatis?). Neben der aus c.16 und dem ganzen zweiten libellus herauszulesenden Reaktion beider Catull-Freunde ist im übrigen vielleicht noch ein weiteres Mal eine Bezugnahme speziell auf seinen feinen 'Lesbia'-libellus erhalten, die bestätigt, daß dieser eben gerade frei von allem Obszönen ist. Martial läßt nämlich in seinem ersten Buch auf sein erstes obszönes Epigramm, das unanständige Lesbia-Gedicht 34 (vgl. z.B. dessen letzten Vers deprendi ueto te, Lesbia, non futuí), was zweifellos als Anspielung auf Catulls Lesbia- und Liebesdichtung zu sehen ist, sofort Hendekasyllaben folgen, in denen sich ein Cornelius über mangelnden Anstand in Martials Dichtung beklagt (1,35 uersus scribere me parum seueros/ nec quos praelegat in schola magister/ Cornell quereris ...). Der Dichter antwortet VlOf. mit ebenfalls deutlicher Anspielung auf Catulls im selben Versmaß gegebene Verteidigung von c.l6,5ff. Wer dieser Cornelius war, ist natürlich nicht mehr mit Sicherheit zu ermitteln; die Martial-Forschung weiß bislang offenbar nichts mit ihm anzufangen.855 Cornelius mag ein realer Zeitgenosse, Freund oder Kritiker Martials gewesen sein, den dieser aus einem bestimmten, nicht mehr nachvollziehbaren Grund 1,35 auftreten läßt, obgleich das Ganze durch das ja im selben Buch vorangesetzte, die Klage offenbar auslösende 34. Epigramm von Martial selbst konstruiert wirkt und wegen seiner wiederholt geübten Technik der Paarbildung mit im zweiten Gedicht unmittelbar folgender Selbstrecht854

855

Siehe o. Anm.843 und 850. Selbst JANAN (1994) S.46f. bezeichnet jetzt die "textual and contextual evidence" für die letztlich auch von ihr vertretene phallische Deutung als "woefully slim", "so exiguous". Vgl. z.B. die Kommentierung von FRIEDLÄNDER (1886) "wohl kein willkürlich gewählter Name, aber schwerlich Cornelius Fuscus [6,76] oder Cornelius Pahna [12,9], sondern ein unbekannter Freund des Dichters", was HOWELL in seinem neuen Kommentar (1980) als "pure conjecture" abtut: 'The name could be fictitious." Auch für CITRONI (1975) ad loc. ist Cornelius nicht "identificabile". ERB (1981, siehe o. Anm.ll) S.52 mit Anm.75 denkt ebenfalls zunächst an einen "x-beliebigen Leser" zur Schaffung einer dialogischen Situation oder weniger an einen Freund als an einen "guten Feind" oder rein spekulativ unter Bezugnahme auf BUCHHEITs, in Catulls Fall aber mit Parallelen gestützte Cato-Deutung in dessen c.56 (siehe o. S.212f.) an einen "exemplarischen Vertreter der ehrwürdigen, altrömischen gens Cornelia", was aber nicht zu beweisen, geschweige denn mit dem geringsten Indiz zu belegen ist. H. OFFERMANN, Uno tibi sim minor Catullo, QUCC 34/5 (1980), S.107-139, dort S.114 zur Beziehung von c.16 und 1,35, sowie die neue Dissertation von B.W. SWANN, Martial's Catullus. The Reception of an Epigrammatic Rival, Hildesheim 1994, berücksichtigen den Adressaten nicht.

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fertigung (vgl. z.B. 1,109-110, 6,64-65) auch hier fiktiv erscheint. So mag der Name wie der vieler anderer seiner Adressaten auch in diesem Fall beliebig und ohne tieferen Sinn gewählt sein. Doch wenn Martial den Kritiker schon nicht anonym belassen, sich allgemein gegen seinen Leser verteidigen wollte, warum hat er ihn dann ausgerechnet Cornelius genannt (der zu lange Epigramme kritisierende Velox z.B. trägt 1,110 einen sprechenden Namen)? Angesichts der folgenden Überlegung wäre die Wahl gerade eines Vertreters dieser gens schon ein enormer Zufall! Beachtet man nämlich, daß Martial ja auch sonst mit Catulls Adressaten arbeitet, z.B. den Fabullus von c.13 selbst anspricht (3,12) oder eben auch Lesbia (neben 1,34 z.B. 5,68, 6,23, 11,62), kann im Kontext dieser beiden Gedichte voller Catull-Anspielungen (vgl. überdies kurz zuvor Mart. 1,32 mit Catulls c.86) Cornelius auch der Adressat von Catulls c.l sein sollen (vgl. zudem die gleiche Stellung des Vokatives zu Beginn des dritten Verses), mit dem ihm einst eine Gedichtsammlung, nach den hier vorgelegten Ergebnissen eben der c.1-14 umfassende libellus, gewidmet wurde. Es wäre also der Cornelius gemeint, der von Catulls libellus nur feinste und anständige carmina gewöhnt war, der dessen Dichtung ausschließlich zu loben pflegte und der nun ganz der Rechte ist, sich - freilich nur in Martials Fiktion - über die weit freizügigeren, ja vielfach reichlich unanständigen Epigramme des Catull-Nachfolgers zu beklagen (vgl. c.l,4f. tu solebas/ meas esse aliquid putare nugas - Mart. 1,35,3 quereris). Diese sich nicht nur wegen der Namensgleichheit, sondern durch den schon von Martial selbst hergestellten mehrfachen Catull-Bezug aufdrängende Identifizierung widerlegt nun einerseits die Annahme der obszönen Gleichsetzung passer = méntula durch Catull in dessen eigenen Gedichten - andernfalls nämlich hätte Martial den Cornelius keine Einwände mehr gegen seine deftigen Epigramme erheben lassen dürfen -, ohne allerdings auszuschließen, daß Martial diese vielleicht an anderer Stelle ebenfalls mit einem, nun aber das Original verfälschenden Bezug auf Catull vorgenommen hat. Andererseits wird dadurch Catulls kleiner libellus, 'Passer', als eigenständige Publikation bestätigt, die auch noch im ersten Jh. n. Chr. als solche bekannt und im Umlauf gewesen sein muß. Denn wenn die Cornelius-Widmung üblicherweise schon damals stets in einem Buch zusammen mit Catulls eigenen Obszönitäten besonders der c.l5ff. oder auch 27ff. und hier gemeinsam z.B. mit - verglichen mit Martials Lesbia-Epigramm 1,34 - speziell Catulls Lesbia wie eine Gassenhure beschreibendem c.58 gelesen wurde, hätte Martial ebenfalls nicht den Namen des Cornelius als Aufhänger für seine eigene Rechtfertigung verwenden können. Auf jeden Fall aber zeigt sich nach den Ergebnissen dieses Kapitels zum Bau des libellus, daß es nicht glücklich ist, dessen Gedichte eben für solche Gleichsetzungen wie die soeben abgelehnten zum passer von c.2, 3 oder dem unguentum von c.13 oder auch z.B. für die Beurteilung des langgezogenen Gedichtanfangs von c.ll aus dem Kontext der Sammlung zu nehmen und nur für sich alleine auszudeuten, nachdem sie einmal als zugehörig erkannt

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sind. Auch durch Einzelinterpretationen hat die neuere Forschung natürlich wesentliche Ergebnisse erzielt, die zu einem besseren Verständnis bestimmter Details führen konnten, so etwa bezüglich der letzten Strophe von c.ll 8 5 6 oder zu den Fragen, warum sich die Varus-Freundin von Catulls Trägern ausgerechnet ad Serapim bringen lassen will (c. 10,26),857 warum der Dichter für seinen eigenen Scherz von c.13 gerade die Einladung zu einem Essen gewählt hat.858 Selbst diese beiden scheinbar eigenständig konzipierten Gedichte sind jedoch nach den hier vorgetragenen Überlegungen eng und mit großer Sorgfalt in die Struktur des libellus eingebunden, so daß es nicht mehr nur die Lesbia-Gedichte sind, die gezielt aufeinanderhin komponiert wirken, wie es mehrere Forscher für die Formulierungen der c.8,18 (quem basiabis? cui tabella mordebis?) und ll,17ff. (uiuat ualeatque ... nullum amans uere) als Wiederaufnahme der vorausgegangenen Küsse von c.5 und 7, ja "ironic and bitter echoes" (c.5, Iff. uiuamus ... atque amemus) zu Recht betonen859 (vgl. auch z.B. oben zur Beschreibung des scortum c.6 und 10, zu den Veneres Cupidinesque von c.3 und 13). 856

857 858

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Vgl. die o. Anm.339 aufgelistete Literatur mit natürlich über das hier betrachtete 'Aurelius- und Furius'-Problem hinausgehenden guten Erklärungen und Parallelen. SKINNER (1989) S.15f. Vgl. MARCOVICH (1982) S.133 mit Auswertung der in den Kommentaren natürlich schon längst genannten griechischen "dinner invitation" von Philodemus (A.P.II,44) an einen Piso und danach DEITMER (1989) S.76ff. mit interessanter Einbeziehung von Catulls c.47, in dem dieser den Ausschluß der Freunde Veranius und Fabullus von Einladungen ebenfalls eines bzw. ihres aus c.28 bekannten Piso beklagt. Daß Catull dagegen mit seinem c.13 auf eine reale Einladung Fabulis reagieren könnte (so die ältere Forschung wie z.B. ELLIS [21889] ad loc.), geht aus dem Gedicht selbst in keiner Weise hervor (vgl. aber z.B. Mart.11,35) und ist bloße und m.E. nicht sehr wahrscheinliche, den wegen der Funktion innerhalb des libellus bzw. seiner Dreiergruppe wohl fiktiven Charakter des Gedichts außer acht lassende Spekulation (vgl. dagegen auch z.B. HUBBARD [1983] S.225 Anm.25 mit Literaturhinweisen). Vgl. z.B. SEGAL (1968) S.313, 315, DUCLOS (1976) S.79 mit dem obigen Zitat, FREDRICKSMEYER (1983) S.71, HEATH (1989) S.109, 111, STROH (1990) S.137. DUCLOS sieht ferner das "percussive centum, centum, centum" von 5,7ff. "ironically reflected" in c.ll,18: "Catullus now counts Lesbia's other lovers, not the kisses given to her" und als einen etwas gesuchten Bezug auch im Schluß von c.ll auf c.5 "that living and loving were the same thing and thus in c.ll he pictures his love dying as a flower dies". HEATH vergleicht zusätzlich (weniger überzeugend) c.8,13f. requiret - rogaberis mit 11,22 respectet als Ausdruck von "bitter regret" und c.8,18 cui tabella mordebis mit den morsus des Spatzen von c.2,4 als neben der im selben Vers gestellten Frage nach den Küssen "a quick glimpse of a happier past" in umgekehrter Folge. Für ELLIS (21889) ad c.7 sind die Paarungen c.5/7 und 13/14 entsprechend gebaut, als "subjective and objective statement of the same circumstances", da Catull küßt und geküßt wird, Geschenke macht und erhält. Der Position der Gedichte nach ist jedoch eher mit c.12/14 zu vergleichen, für die ELLIS' Feststellung nicht mehr aufgeht. Für weitere, mehr oder weniger überzeugende Einzelbezüge unter den c.2-11 ist zusätzlich natürlich auf SEGAL zu verweisen, so z.B. S.308 zu c.12,3 neglegentiorum als Wiederaufnahme von c.10,34 neglegentem, S.313 Anm.3 zu c.8,10 nec miser uiue und c.5,1 uiuamus, c.8,2 und 11,22, S.314ff. zu "patterns of verbal associations" sowie S.317. Vgl. ferner WISEMAN (1969) S.12f., OFFERMANN (1978) S.54 Anm. 55 für c.l0,27ff. - 13,Iff., DEITMER (1986) S.88ff. für die parallele Strukturierung von C.12 und 13, (1989) S.376 für eine angesichts der hier besprochenen Struktur des Zyklus/

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Wie die carmina im einzelnen zu datieren sind, ist leider mit Ausnahme von c.ll, nach QUINN direkt "a poem written for the collection",860 nicht mit Sicherheit zu klären. Immerhin ermöglicht aber die Nennung von Rhein und Britannien als Caesaris monimenta magni (V.lOff.) die Angabe von 55 v. Chr. als terminus post für dieses861 und damit für die Zusammenstellung und Publikation des libellus insgesamt.862 Während man nun bislang vielfach davon ausgeht, daß Catull dazu einfach unter bereits fertig vorhandenen Gedichten bestimmte geeignete, besonders gelungene und schöne ausgewählt und in die vorliegende Ordnung gebracht hat,863 ist m.E. angesichts der von der Forschung schon beachteten vielfältigen, inhaltlichen wie sprachlichen Bezüge zwischen den einzelnen Gedichten, der weitgehenden metrischen Uniformität der Hendekasyllaben-Anfänge und vor allem angesichts der hier zusätzlich festgestellten Struktur des libellus mit seinen Dreiergruppen und der offenbar ganz speziellen Funktion jedes Gedichts in seinem Kontext für die sich fortschreitend entwickelnde Gesamtaussage eher damit zu rechnen, daß alle oder doch zumindest die meisten dieser carmina auch wirklich erst dafür gedichtet wurden, nicht nur c.ll. Catull mag natürlich mit großem Geschick bereits einige ältere Verse einbezogen bzw. angepaßt haben, ja vielleicht solche Gedichte als Ausgangspunkt für seinen libellus genommen haben. So mochte er, wie schon oben und üblicherweise auch in der Forschung erwo-

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libellus nicht signifikante Beziehimg von c.2a zum Ende von c.ll. Auch auf noch eine Gemeinsamkeit der c.2+2a, 3, 5, 7, 8,11, 13 macht sie dort aufmerksam, nämlich Catulls "referring or alluding to a part of the face or to the loss of virginity" jeweils am Gedichtende, was jedoch wiederum als eine ein wenig gesuchte, nicht aussagekräftige Beobachtung erscheinen muß (vgl. Catulls eigene labella in c.8, die Nase Fabulls in c.13, aber die lingua der bösen Neider in c.7), die von der hier abgelehnten Kombination von c.2 mit dem Fragment abhängig ist. MILLER (1994) S.65 beachtet u.a. das wiederholte "nocturnal/ diurnal motif'. QUINN (1973) S.387. Eine nähere Eingrenzung mittels der Erwähnung von Caesars Taten in c.ll ist nicht möglich. Die Annahme SKINNERs, daß mehrere carmina (11, 29, 54) zwischen 55 und Sommer 54 noch vor der zweiten Britannienfahrt entstanden (1981, S.95 Anm.19), welche zeigte, daß in Britannien nicht der erhoffte Reichtum zu gewinnen war, muß nicht auch für c.ll zutreffen. Ob Britannien nun reich war oder nicht, es blieb auch nach der zweiten Expedition Caesars Denkmal und in zeitgenössischen Augen gewiß großartige Leistung, da dieser schließlich als erster Römer überhaupt ein Heer auf die Insel führte (vgl. z.B. die lobende Hervorhebung TacAgr.13). Da jedoch die Caesar-Gedichte z.T. mit der Britannienfahrt in Zusammenhang gebracht sind und ebenfalls erst nach dieser entstanden sein können, für den 'Lesbia'-libellus aber zu vermuten ist, daß er erst nach den CaesarGedichten geschaffen wurde (siehe u. S.301ff.), ist für ihn und damit auch c.ll tatsächlich eine spätere Entstehungszeit erst 54 v. Chr. (oder gar noch später ?) wahrscheinlich. Im Ansatz richtig getroffen hat dies schon v. LEUTSCH (1876) S.695, wenn er c.1-14 als "der herausgabe nach die letzten" bezeichnet. Nur sind zumindest die Gedichte des zweiten libellus c.l4aff. noch ein wenig später anzusetzen. So z.B. SCHULZE (1881) S.208 und RICHTER (1881) S.19 für c.2-14 "Catull hat [...] aus seinem Vorrath von seinem liebsten genommen"; FRIEDRICH (1908) S.72 "Jede der kleinen nugae des Catull war aber fertig. Man brauchte sie nur zu nehmen und zu einem Strauße zu vereinigen"; für c.2-11 SEGAL (1968) S.312, OFFERMANN (1977) S.271 und für c.1-14 offenbar auch HUBBARD (1983) S.223 "a choice selection of polymetra".

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gen,864 auf ein bereits umlaufendes Spatzen- oder Kußgedicht - als Einzelgedicht ursprünglich vielleicht noch mit etwas nachlässigerer Behandlung der Basis des Hendekasyllabus entstanden - zurückgreifen können oder auch auf das eine oder andere Freundesgedicht wie c.12, das man wegen der Bezeichnung des Pollio-Bruders Asinius als puer ja als frühes Gedicht zu werten suchte, ohne dies aber damit wirklich zwingend nachweisen zu können.865 Auch daß ihm c.4 schon vorlag,866 ist vorstellbar, das einzige Gedicht des libellus ohne direkten Bezug zu seinem Liebeserlebnis und ohne eigenen Auftritt, das der Struktur nach aber ebenfalls nur an seiner überlieferten Stelle stehen konnte und mit seinem Rückblick, ja fast Nachruf auf den einstmals prächtigen und aktiven, nun still vor sich hin alternden phaselus inhaltlich passend zwischen dem wehmütigen c.3 über den Tod des Spatzen und den ebenfalls die nur kurze Zeit des Lebens und rasche Vergänglichkeit des Glücks hervorhebenden Versen von c.5 eingeschoben ist.867 Daß c.9 (sowie 864 865

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Siehe o. S.149f. Siehe o. S.143. Könnte aber nicht andererseits die Formulierung V.8f. est enim leporum differtus/disertus (in O ist dissertili überliefert!) puer ac facetiarum mit disertas gerade Anspielung auf seine 54 v. Chr. erfolgte, zwar vergebliche, doch gewiß kühne Anklage gegen die Berühmtheit Cato sein und mit puer das ja auch von den Römern selbst bewundernd erwähnte noch jugendliche Alter - altero et uicesimo aetatis anno (vgl. Tac.dial.34, Quint. inst.12,6,1) besonders hervorheben sollen: '... der beredte Junge steckt ja voller Witz und Anmut.' Die Genitive wären dann als gen. qualitatis nur von puer abhängig zu machen, nicht vom Adjektiv, das ebenfalls den puer näher charakterisieren soll, was auch ohne Attribut bei den Genitiven (zwei einander nahestehende Substantive statt Substantiv mit Adjektiv) sprachlich ungewöhnlich, nicht aber unmöglich wäre (zum attributslosen Genitiv vgl. die Grammatiken wie den 'HOFMANN/SZANTYR' S.70 §56e und z.B. Vitr.8,3, 28, Apul.apol.75) und metrisch wegen der kurzen ersten Silbe von disertus neben den anderen Ausnahmen in diesem libellus ebenfalls denkbar (dazu siehe o. S.235ff.). Auch mit C.53 reagiert Catull auf erlebte Redegewandtheit vor Gericht (V.5 di magni, salaputium disertimi). An neuerer Literatur zu den Gestalten von c.12 vgl. C. DEROUX, Le frère d' Asinius Pollion. Note de prosopographie catullienne (c.12 et 54), AC 50 (1981), S.209-221. Wenn allerdings die Forschung annimmt, es sei bald nach Catulls Rückkehr aus Bithynien geschrieben (vgl. z.B. ELLIS [ 1889] p.XLV), so ist dies ohne sicheren Beleg. Vgl. hierzu aber z.B. SEGAL (1968) S.318f. zu c.4 und 9 als "both happy poems on a return from abroad", WISEMAN (1969) S.13 zu c.4, 9, 10, 12 "to give the reader a coherently developing picture of Catullus' travels and those of his friends", OFFERMANN (1978) S.42 zu c.4, 9, 10-12 für das "Motiv des Aufenthalts in der Ferne", SKINNER (1981) S.48f. zu c.4 als Einführung des "motif of foreign travel", das mit c.9 wiederaufgenommen in c.ll kulminiere und ähnlich FERGUSON (1986) S.3. Mit dem Reisemotiv ist jedoch wiederum eine m.E. nicht überzubewertende, nur äußerliche Gemeinsamkeit getroffen. Vgl. ferner M.C.J. PUTNAM, Catullus' Journey (C.4), CPh 57 (1962), S.10-19 für eine autobiographische Deutung. Für HUBBARD (1983) S.227f. ist c.4 mit c.8 demnach verbunden als "uncomplicated autobiography of external events" gegenüber der "tortured autobiography of internal conflict" und damit Verkörperung von "past" und "present", ja der beiden möglichen Zugänge zum Leben für den Dichter, "quiet retirement after a productive career, and the life of passion from which disengagement is difficult and even selfdestructive". OFFERMANN S.38 Anm.7 erkennt durch die Plazierung von c.4 über "Catull und dessen überstandene Gefährdung", zwischen c.3 und 5 "eine Art Hintergrund für die Begründung der Aufforderung zu heben", er sieht den besser zum Mann passenden phasellus an Stelle des passer getreten, die beide eine abgeschlossene Geschichte hätten.

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-libellus)

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12) und 10 auf Reisen von Catull und Veranius Bezug nehmen, die vielleicht schon eine Zeitlang zurückliegen (Catulls Bithynienreise ist im Frühjahr 57/56 anzusetzen), so daß sich z.B. die c.10 erzählte Begebenheit kaum noch 55 oder 54 v. Chr. so hätte zutragen können (vgl. V.5ff. als ob Catull gerade erst zurückgekehrt wäre und die, denen er begegnet, an neuen Informationen über das Land und seinen Erlebnissen interessiert sind), ist kein Argument dagegen, daß Catull nicht auch c.10 (und genauso auch c.4) anders vielleicht als das wie eine spontane, aktuelle Unmutsäußerung wirkende und ja auch direkt an die an den Reisen beteiligten Freunde bzw. Vorgesetzten gerichtete c.28 erst 55/54 v. Chr. gedichtet und einfach seine Reise - ein gewiß prägendes Erlebnis - auch später noch in seinen Gedichten verarbeitet und hier speziell als Aufhänger für eine fiktive Begegnung genommen haben kann. Ebenso kann er auch die schon irgendwann früher erfolgte Heimkehr des Veranius wie die Zusendung des spanischen Tuches als dessen und Fabulis Geschenk zu einem späteren Zeitpunkt aufgegriffen haben, wenn er für die in seinem libellus c.2-14 zu erzählende Geschichte nach c.8 und der Trennung von Lesbia inhaltlich passend, aber unbekümmert um tatsächliche chronologische Zusammenhänge, durch Rückkehr des Freundes eine andere Trennung aufheben und so einen Freund einführen wollte. Catulls Verse sind schließlich nicht als wortgetreuer, chronologisch korrekter, in jedem Fall autobiographisch auszuwertender Tatsachenbericht zu sehen, sondern als Werk eines Dichters, der mit Sicherheit viele reale Erlebnisse, Stimmungen und Gefühle zu seinen carmina verarbeitet hat, aber bei dem eben auch vieles in der 'Ich'-Form Berichtete nur reine Fiktion ist. Auch für seine Lesbia-Gedichte mag dies gelten868 - Catull ist schließlich nicht einfach ein noch 'unterentwickelter Vorläufer' der späteren Liebeselegiker, der nur reale Liebeserfahrungen beschreiben konnte - und ist, wenn die Gedichte des libellus tatsächlich weitgehend für diesen entstanden sind, zumindest aber, weil ihre Zusammenstellung und Publikation notwendigerweise erst nach dem Bruch erfolgt sind, mit der in ihm vorgeführten Liebesgeschichte zu belegen. Wenn nämlich Catull noch nach der Trennung von seiner Geliebten, wie sie c.ll ausdrückt, auch Gedichte wie c.2, 3, 5 und 7 in Umlauf gibt, sind diese so wunderschönen passer- und ftasia-Gedichte nicht (mehr) Ausdruck akuter Liebesleidenschaft des Dichters, sondern höchstens in Rück868

Vgl. schon z.B. D.O. ROSS, Backgrounds to Augustan Poetry: Gallus, Elegy and Rome, Cambridge 1975, S.8f.: "There has been universal agreement concerning one point about Lesbia: she did exist, whoever she may have been. I see no reason to question this assumption, or that Catullus had an affair with her, but I do wonder whether she is fairly represented in his poems [...]. A good case can be presented that Lesbia is a poetic fiction, and [...] I would like to suggest that we have been missing a great deal by reading the Lesbia poems simply as the record of an affair." Vgl. ferner SKINNER (1981) S.67 Anm.31 zu Lesbia in Catulls Gedichten nicht als "individual woman, but the symbolic representation of the ideal of urbanitas". Selbst ein Gedicht wie c.83 Lesbia mi praesente uiro mala plurima dicit ... kann folglich durchaus noch nach dem Tode des Ehemannes der Clodia, Metellus, entstanden sein, wenn es sich wirklich ursprünglich um diese beiden handelt, und braucht keinerlei realen Anlaß zu haben.

274

Zusammenfassung für c.1-14 ('Lesbia'-Z/M/ui)

schau nach einem bereits erfolgten Bruch mit der Geliebten zu sehen oder gar als rein literarische Produkte entstanden. So gibt es auch mit Catulls Beziehung zur berüchtigten Clodia-Lesbia kein chronologisches Problem, wenn z.B. STROH und andere nach dem Caelius-Prozeß 56 und der damit verbundenen Diskreditierung Lesbias durch Cicero eine Aufrechterhaltung der Liebesbeziehung bzw. deswegen die Gleichsetzung mit der Clodia Metelli bezweifeln, die endgültige Trennung mit c . l l aber scheinbar erst nach 55 vollzogen wird.869 Catull selbst mag einmal eine Clodia oder Lesbia heiß und innig geliebt haben, mehrfach betrogen worden sein und sich wiederholt ausgesöhnt haben. Vieles mag hier real sein, die Namen von Konkurrenten wie Rufus oder in der Liebe behilflichen Freunden wie Allius und manche Episoden wie z.B. die in c.68 geschilderte. Unabhängig davon, wann sich der liebende Catull aber wirklich von der realen Clodia/Lesbia getrennt hat, hat sie der Dichter Catull als literarische Gestalt beibehalten und so noch etwa 55/54 v. Chr. oder später in einem feinen libellus auf kleinstem Raum eine Liebesbeziehung mit ihr von Anfang bis Ende geschildert, in einem Büchlein, das vor allem jedoch Catull als zu zarten Tönen und Liebe fähigen, höchst beglückten, dann zutiefst enttäuschten Menschen zeigt, der schließlich umgeben von seinem großen, engen Freundeskreis zur heiteren Normalität des Lebens zurückgefunden hat.

869

STROH (1990) S.146. Zeitliche Schwierigkeiten hatte z.B. schon WESTPHAL (21870) S.201 bei seiner Datierung von c.ll ("Weshalb denkt Catull um diese Zeit noch an Lesbia?") und auch z.B. SYNDIKUS (1984) S.10 hält die "schrankenlose Bewunderung Lesbias in C.43 zu einem sehr späten Zeitpunkt" für nicht mehr möglich. Aber muß Catull hier wirklich nur an diese reale Geliebte denken? Vgl. ja SYNDIKUS' eigene Überlegungen S.31f. zu c . l l als literarisches Gebilde mit Hinweis auf Prop.3,25. Auch eine metrische Notwendigkeit, die ganze Beziehung erst nach der Rückkehr des Dichters 56 v. Chr. anzusetzen und deswegen die kurz vorher öffentlich angegangene, bereits verwitwete und deshalb nicht zu c.68 und 83 passende Clodia auszuschließen (so WISEMAN [1974]), besteht nicht (siehe o. S.235ff.). Im übrigen wird bei Annahme einer gemeinsamen Entstehung der Gedichte des 'Lesbia'Buches verständlich, wieso sich Catull darin 'nur' als leidenschaftlicher, den Augenblick ausnutzender Liebender darstellt (vgl. bes. c.5), in anderen Gedichten c.69ff. aber sogar einen dauerhaften Bund mit Lesbia anzustreben scheint (vgl. z.B. c.70,1 nubere und die entsprechende Beobachtung E A . SCHMIDTs [1973] S.235, [1985] S.124f. mit einem Vergleich von C.7 und 109): Nach dem durch c.ll dokumentierten und bei der Komposition des libellus, d.h. zumindest der Auswahl, wenn nicht sogar der Schaffung seiner Gedichte bereits zugrunde liegenden Ende der Beziehung war an letzteres natürlich nicht mehr zu denken.

3.3.2. Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Furius '-libellus) Mit denselben Argumenten, mit denen der in der Forschung bereits vereinzelt angenommene 'Lesbia'-libellus zu bestätigen war, ließ sich im 3. Kapitel ein weiteres, umfangsmäßig ebenfalls sehr kleines Buch erschließen, das gegen ähnliche Annahmen der Forschung lediglich auf die wie die Lesbia-Gedichte ohnehin längst als zusammengehörig betrachtete Gruppe der Aurelius- und Furius-Gedichte zu beschränken und keineswegs als eine Sammelpublikation beliebiger Invektiven anzusehen war.870 Offenbar erstmals wirklich versucht wurde vielmehr, all die Eigenheiten des Zyklus, den erstaunlich gleichförmigen Charakter der meisten seiner Gedichte sowohl hinsichtlich ihrer Adressatenbezogenheit als auch der inhaltlichen Gestaltung als Schmähgedichte - seit WESTPHAL als bewußter Gegensatz zu den Lesbia-Gedichten aufgefaßt -, die schon immer wieder hervorgehobene strenge Strukturierung, weitere Forschungsergebnisse wie SKUTSCHs und STROHs metrische Beobachtungen für die Hendekasyllaben bis c.26 und die dem 'Lesbia'-Zylslus/libellus vergleichbaren drei andersartigen Gedichte sowie bisher aufgefallene Einzel-Probleme für c.15, 21, 17 und 26 zu beachten und für die gemeinsame Interpretation der carmina des zweiten Zyklus auszunutzen, mit denen überdies alle die Kap.2.2. - 2.5. festgestellten Probleme mit c.l4a, c.16, dem puer/Juventius c.l5ff. und besonders natürlich auch der konstatierte Bruch in Catulls Verhältnis zu Aurelius und Furius zwischen c.ll und 15ff. im Zusammenhang zu stehen schienen. So war als Ergebnis die als Verschärfung gedeutete Wiederaufnahme einzelner Motive bzw. Gedichttypen für c.4/17, 12/25, 13/26 und folglich z.T. enge Anlehnung des zweiten Buches an das erste auch hinsichtlich seiner ebenfalls schärfer und strenger wirkenden strukturellen wie metrischen Gestaltung zu ermitteln und auf Grund dessen wie auch der Analyse von c.16 mit zwar den gleichen Drohungen wie in c.15 und 21 und auch mit c.23 vergleichbaren Obszönitäten, aber sonst gänzlich anderem Inhalt, nämlich der Rechtfertigung Catulls gegen Kritik durch die im Zyklus sechsmal, gemeinsam jedoch nur in c.16 auftretenden Aurelius und Furius an bestimmten seiner Gedichte (V.12 uos quod milia multa basiorum legistis), eine ganz spezielle Ausrichtung dieses zweiten Büchleins: Bezieht man nämlich die Vorwürfe der Kritiker nicht nur auf ein einzelnes Kußgedicht wie c.5, sondern auf den schließlich mehrere zusammengehörige, zärtlich-intime Kußgedichte und eine Liebes870

Zur Abgrenzung gegenüber den folgenden Gedichten diente wie beim 'Lesbia'-libellus die geschlossene Struktur des Zyklus, die Wiederaufnahmen jeweils gegen Buchende (c.13/ 26) und zusätzlich die Reinheit der Hendekasyllaben c.l4a-26 gegenüber denen der c.27ff.

276

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Furius'-libellus)

geschichte enthaltenden (vgl. hierzu den Vorwurf molliculus ac parum pudicus sowie male mas, da außer Küssen nichts geschehen scheint) und ohne heftige, männlich harte Töne und Spott auskommenden (vgl. hierzu ebenfalls den Vorwurf molliculus, male mas) sog. 'Lesbia'-libellus als Ganzes, ist auch der zweite libellus insgesamt als Antwort Catulls an Aurelius und Furius zu verstehen, mit dem er sich ihnen als der Dichter empfiehlt, den sie vorher vermißt (vgl. molliculus, male mas) bzw. kritisiert (vgl. parum pudicus) hatten, wie vielleicht der Anfang von c.15 - vergleichbar dem ersten Buch mit dem von Martial aufgenommenen passer an der wesentlichen Stelle nach dem Einleitungsgedicht - mit commendo me ... zusätzlich in übertragener Weise signalisieren mag. Und es ist wahrhaft eine schöne Empfehlung, wenn Catull die beiden Kritiker sofort mit c.15, aber genauso eben auch mit c.16 in deftiger, ironisch übersteigerter und sie selbst die vermißte Männlichkeit spürenlassender Weise hart und obszön angreift und ihrerseits als parum pudicus beschreibt. Catulls Erwiderung ist somit zum einen eine wirkliche Verteidigung, wie sie c.16 V.5-11 darstellt, zum anderen aber mit dem gesamten libellus eine praktische, durch Bezüge zum ersten libellus und Wiederaufnahmen von dessen Motiven spielerische und leicht selbstparodistisch gestaltete, die Kritiker selbst zum Opfer machende und sich auf diese Weise an ihnen rächende Demonstration, wie die von ihnen (natürlich nur im Scherz) vermißte Dichtung hätte aussehen können. Bei einer gemeinsamen (Erst-) Publikation beider Zyklen z.B. in CLAUSENS und SKINNERs "Passer" (c.1-50) oder STROHs "Liederbuch" (c.1-26) oder gar zusammen mit den restlichen Gedichten des Corpus Catullianum wäre diese, aus dem vorliegenden Befund zu erschließende Deutung des ganzen zweiten Zyklus als Reaktion auf den ersten und diesem gegenüber geäußerte Kritik unmöglich oder als bloße literarische Fiktion anzusehen. Für letzteres gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt. Dafür wären im Gegenteil, wie in der Forschung ohnehin beobachtet, die c.16 zugrunde liegenden Vorwürfe zu undeutlich formuliert;871 dann hätte Catull nicht 6 von den 10 Gedichten und auch nicht derart eindringlich auf die Schmähung der beiden nach c.11 doch guten Freunde Aurelius und Furius verwenden müssen. Daß Catull überhaupt schriftlich und gleich derart massiv mit einem ganzen Büchlein (zumindest ja c.16) reagiert, läßt sogar vermuten, daß vielleicht auch die Kritik schriftlich, vielleicht spielerisch in Form eines rezensierenden Gedichts erfolgte, was ihn zu einer sich mit c.16 tatsächlich verteidigenden, zusätzlich aber die Kritiker gewiß gewaltig überrumpelnden und in unerwünschter Weise bloßstellenden Antwort veranlaßt hätte. In dem postulierten zweiten libellus sind also m.E. nur die aus c.16 herauszulesenden Vorwürfe real genauso wie die beiden Adressaten, alles weitere aber, der von der Forschung konstruierte 'Juventius'-Liebesroman, die scheinbare Rivalität mit Aurelius, dessen und Furius' Armut, der Diebstahl des Thallus usw. reine Fiktion mit dem Ziel der Verspottung der Kritiker 871

Siehe o. S.148f.

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Furius'-libelius)

277

bzw. der selbstparodistischen, verschärften Wiederaufnahme von Motiven des ersten libelius. Die Attacken gegen die beiden, Aurelius und Furius, sind freilich trotz ihrer Heftigkeit kaum ernstlich boshafter Angriff Catulls. Wie die Forschung bereits für die einzelnen Gedichte aus den übertriebenen Formulierungen und Drohungen sowie der bei beiden in gleicher Weise erfolgenden Verspottung ableitete,872 stellen die carmina wohl lediglich ein derbes Spiel Catulls mit seinen beiden Freunden dar, das nun durch die hier erschlossene Ausrichtung des 'Aurelius- und Furius'-libelius als gegen zwei Kritiker an Catulls vorausgegangenem, feinen 'Lesbia'-ft'M/ui gerichtetes Parallelbüchlein verständlich wird. Daß er allerdings bestimmte reale Züge der Adressaten zum Ausgang einer karikierenden Übertreibung genommen hat, ist denkbar, nur leider heute nicht mehr sicher nachprüfbar.873 Denkbar ist auch, daß Catull, wenn der Furius in seinen Gedichten tatsächlich mit seinem bekannten Dichterkollegen Furius Bibaculus zu identifizieren ist, wie in der Forschung vielfach erwogen,874 dessen Gedichte parodiert hat, wie es oben für Catulls Villengedicht im Vergleich zu dem des Furius Bibaculus auf die überschuldete Villa des Dichters Valerius Cato zu vermuten war875 und vielleicht noch ein weiteres Mal durch ein Furius-Fragment bestätigt wird. Denn auch die Tatsache, daß gerade für die Verspottung des Furius das Armutsmotiv mit der so eindringlichen Vorführung der angeblich dürftigen Lebensumstände sogar seiner ganzen Sippe gewählt ist, ließe sich in ähnlicher Weise wie die Wahl des Villenmotivs für c.26 erklären: Furius Bibaculus hatte in einem uns erhaltenen Gedicht (frg.l) ebenfalls den verarmten Valerius Cato und dessen armselige Lebensweise spöttisch behandelt; mit Catulls C.23 bekommt der über andere Dichter wie Cato und Catull herziehende Furius selbst zu spüren, wie es ist, öffentlich als Habenichts beschrieben zu werden. Auch wenn letzteres natürlich nicht beweisbar ist, so ist es doch zumindest interessant festzuhalten, daß die beiden bzw. drei Furius-Gedichte Catulls c.23/24 und 26 motivische Gemeinsamkeiten mit den Cato-Gedichten, frg.l und 2, des Furius Bibaculus aufweisen. Durch die starke Adressatenbezogenheit und die offenbar weitgehende Voraussetzung der Kenntnis des Hintergrundes, d.h. der Kritik des Aurelius und Furius, wie sie für den gewöhnlichen Leser aus c.16 nur eingeschränkt hervorgeht, wirkt das Büchlein weniger an die Öffentlichkeit allgemein gerichtet. Daß Catull auch mit beliebigen, uneingeweihten Lesern rechnete, der zweite libelius also tatsächlich eine auch allgemein verbreitete, nicht nur Aurelius und Furius und wenigen engen Freunden ausgehändigte Publikation war, ist aus den Resten des vielleicht ja erklärenden c.l4a mit seiner 872 873 874

875

Siehe o. S.160f., 171f, 174. Siehe o. S.160f. Siehe o. Anm.558. Zu betonen ist, daß die vermutete Identität der Furii für die hier angestellten Überlegungen zu Catulls beiden libelli keineswegs notwendig ist, aber m.E. durch diese durchaus gestützt wird. Siehe o. S.205f.

278

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Fmius'-libellus)

Hinwendung an die si qui forte... lectores (V.lf.) zu schließen. Der Charakter des libellus ist jedoch, verglichen mit dem des 'Lesbia'-Büchleins, für das c.l explizit den Wunsch nach literarischer Unsterblichkeit plus uno ... perenne saeculo (V.10) äußert, ein eher spezieller und als Reaktion Catulls auf konkrete Kritik, auf eine sofortige Wirkung und auf den Freundeskreis um Catull und die neoterischen Dichter abgestimmt, zumal dann, wenn tatsächlich nicht nur Selbstparodie des ' Lesbia'-ft'òeZ/ui, sondern auch Parodie von Gedichten des Furius Bibaculus im Spiel war. Genau umgekehrt zu HUBBARD, der seine "second collection" c.l4a-50 an "a more general audience" gerichtet sieht, für seinen ersten libellus c.1-14 dagegen von "an elegant édition de luxe directed primarily (although not exclusively) to a rather limited circle consisting of Nepos, Calvus, and the poet's other friends", ja sogar "strictly a private edition" spricht,876 ist folglich m.E. der zweite, jetzt auf die Aurelius- und Furius-Gedichte beschränkte libellus die "private edition" für Catulls eingeweihte Freunde und unmittelbare Zeitgenossen, die auch den überaus derben Ton nicht falsch verstehen würden, der 'Lesbia!-libellus jedoch - trotz des feinen, intimen Charakters seiner Inhalte und der Erwähnung von Catulls vielen engen Freunden - entsprechend c.l Catulls wahres, auf weite Verbreitung über den Tod des Dichters hinaus geschriebenes Lyrikbuch, das lediglich den Anschein erwecken soll, "of being a select private edition", wie HUBBARD immerhin als Alternative erwägt. Beide libelli sind somit nicht nur in ihrem Ton verschieden; sie unterscheiden sich auch in ihrer literarischen Zielsetzung, der Zuordnung zu einem bestimmten Gattungstyp (Lyrik - Parodie/Invektive) und ihrem Stellenwert im OEuvre Catulls. Bei der hier vorgetragenen Deutung von c.1-14 und 14a-26 als zweier getrennter, aber aufeinander bezogener libelli muß natürlich c.ll seine Funktion als Bindeglied zwischen den beiden Zyklen verlieren. Es ist keineswegs so, daß Catull im letzten Lesbia-Gedicht bereits gezielt die Protagonisten der anschließenden Gedichtgrupe eingeführt hätte, wie die Forschung vielfach annimmt. Daß Catulls Abschied von Lesbia in c.ll gleichzeitig auch Abschied des Dichters von ihr als literarischer Figur sein soll, ist möglich, aber nicht mit Sicherheit zu bestätigen, da die restlichen Lesbia-Gedichte des Corpus Catullianum nicht recht datierbar sind und somit nicht festzustellen ist, ob Catull nach 55/54 v. Chr. nicht doch weitere Verse auf Lesbia produziert hat. Angesichts der unterstellten Intention des zweiten libellus ist es jedoch sicher, daß er bei der Entstehung von c.ll noch nicht daran den876

HUBBARD (1983) S.223, 235; anders und die Adressatenbezogenheit nicht beachtend auch QUINN (21973) S.140, daß es Ziel der Aurelius- und Furius-Gedichte sei, "to shock, to scandalize the senes severiores of Poem 5, or the man in the street of Poem 15". Letzteres Gedicht will er entweder als ernst gemeinte "verse-epistle that happens to have come into our hands" sehen oder zusammen mit den anderen des Zyklus als "lighthearted pasquinades directed primarily at a wider audience". Vgl. ferner WISEMANs m.E. unkorrekte Deutung von c.l4a (o. Anm.286).

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Fvuius'-libellus)

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ken konnte, an Lesbias Stelle als Zentralfigur entsprechender sechs carmina später Aurelius und Furius treten zu lassen, die ohnehin literarisch eine nicht gleichwertige Stellung erhalten haben. Als Anstoß, eine ganze Gedichtgruppe auf die Adressaten von c.ll zu schaffen, eben den zweiten libellus, war schließlich die Kritik dieser beiden an seinem ersten, bereits fertigen libellus zu vermuten, so daß die beiden späteren Nörgler in c.ll für Catull zunächst nur zwei normale Freunde neben den anderen c.9-14 genannten sein mußten. Es besteht somit keine besondere, bedeutungsvolle Beziehung, daß von den vielen Freunden gerade Aurelius und Furius c.ll den Auftrag erhalten haben, Catulls Absage an Lesbia zu überbringen, ja beide c.1-14 überhaupt erwähnt sind und daß es dann ausgerechnet wiederum diese zwei sind, die auf den 'Lesbia'-Z/óe/Zuí reagieren. Auch ist es nicht die Art und Weise ihrer Behandlung in c.ll, etwa Ironie ihnen gegenüber, die ihnen Grund zur Kritik hätte geben können: Der langgezogene Gedichtanfang und die Form der Freundschaftsbekundung waren schließlich im Kap.2.3. und 3.3.1. aus der Funktion des Gedichts innerhalb des libellus neben den anderen Freundesgedichten zu verstehen, die unterstellte ironische Sicht in c.ll dagegen abzulehnen wie auch die übliche Deutung, daß Aurelius und Furius wegen ihres zwiespältigen Verhältnisses zu Catull als eben nicht echte Freunde am besten als Übermittler der Botschaft geeignet wären.877 Bei Annahme zweier libelli ist vielmehr die Identität der Adressaten von c.ll und 15ff. nicht wirklich signifikant für die Interpretation der betreffenden Gedichte, läßt sich aber vielleicht sogar doch durch eine in deren Person liegende Gemeinsamkeit erklären. Denn wenn, wie in der Forschung eben schon unabhängig von den hier angestellten Überlegungen vermutet wird, zumindest einer der beiden, Furius, vielleicht aber ja sogar beide selbst Dichter waren, ist verständlich, warum diese und nicht beliebige andere Freunde in c.ll den Auftrag erhalten haben - eine immer wieder gestellte Frage:878 Als den Umgang mit Worten und verbalem Spott gewöhnte Dichter konnten gerade sie Catull als die geeigneten Boten für seine non bona dicta (c.ll, 16) erscheinen, und als Dichter wären sie es natürlich auch, die sich als erste über das Gedichtbuch eines Kollegen äußern würden. Ob alle Freunde Catulls demselben Freundeskreis angehörten oder er getrennte Kontakte etwa zu Aurelius und Furius einerseits und dem dreimal ebenfalls

877 070

So z.B. SWEET (1987) S.525. V / Vgl. SWEET (1987) S.523. Manche Forscher woUen sogar c.ll,9ff. eine Parodie der 'Annales belli Gallici' eines Epikers Furius ( = Bibaculus? Vgl. Hor.serm.2,5,40f.) erkennen, so z.B. LYNE (1978) S.171 Anm.13, BIONDI (1989) S.23 Anm.10, FERNÁNDEZ CORTE (1995) S.100 Anm.73 mit älterer Literatur. Auch wenn Catull im zweiten libellus vielleicht tatsächlich Gedichte des Furius in solcher Weise ausgenutzt hat, wie oben erwogen, dürfte dies für c . l l des ersten libellus mit seiner hier erschlossenen Funktion neben c.9 (siehe o. S.257f.) eher unwahrscheinlich sein. C . l l ist überdies nicht das selbstironische Mittelgedicht, das sich, wie etwa im Fall von c.13 (siehe o. S.270), für zusätzliche Parodie anbieten würde. Und schließlich sind c.11,1-14 unterschiedliche Ziele erwogen - gerade ohne spezielle und ausschließliche Anspielung auf Gallien.

280

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Fmius'-libellus)

gemeinsam auftretenden Paar Veranius und Fabullus andererseits (c.12, 28, 47) pflegte, wie eng die Freundschaft Catulls mit Aurelius und Furius im Vergleich zu der mit seinen anderen Freunden wirklich war - so eng etwa wie mit dem Dichter Calvus (vgl. c.14 und 50; gemeinsam genannt auch z.B. Hor.sat.1,10,19) oder gar noch enger? -, ist aus den carmina nicht abzulesen. Immerhin ist nach den bisherigen Ergebnissen zu c.l5ff., vor allem aber zu c.ll zu vermuten, daß es sehr gute Freunde waren (vgl. den Auftrag von c.ll als Vertrauensbeweis), so gute jedenfalls, daß Catull sie dafür gepriesen hat, quaecumque feret uoluntas caelitum (c.ll,13f.), auf sie zählen zu können, und andererseits mit ihnen, wie eben bei eng verbundenen Freunden, in gegenseitiger Frotzelei umging, wie sie der zweite libellus zu dokumentieren scheint. Wie beim ersten libellus auf Grund der inhaltlichen Geschlossenheit und vielfachen Bezüge zwischen den einzelnen, eine fortschreitende Entwicklung erzählenden carmina die etwa gleichzeitige Entstehung der meisten Gedichte für ihre gemeinsame Publikation anzunehmen war, so dürften auch die des zweiten libellus angesichts ihrer hier erschlossenen Ausrichtung zur gleichen Zeit nach dem ersten Büchlein entstanden sein. Dies gilt nun jedoch nicht mehr nur für einige oder die meisten der c.l4a-26 wie in erster Linie natürlich c.16 mit Catulls expliziter Reaktion oder die weiteren Aurelius· und Furius-Gedichte 15, 21, 23, 24, 26. Da sich gerade auch für die scheinbar eigenständigen, eingeschobenen Stücke c.17, 22 und 25 Bezüge zu Gedichten aus dem 'Lesbia'-libellus ergeben hatten und z.B. die eigenartige Struktur von c.17 m.E. eben erst dadurch verständlich wird, können diese carmina ebenfalls erst speziell für das zweite Büchlein verfaßt sein, was allerdings den in der Forschung gelegentlich vertretenen Datierungen widerspricht. Doch wenn z.B. STOESSL umgekehrt c.25 vor c.12 ansetzen will, c.22 vor c.14 und c.17 sogar in Catulls Jugend verlegt,879 so ist dies bislang in keinem Fall überzeugend begründet und beruht nur auf fragwürdigen, z.B. auch schon von SYNDIKUS abgelehnten880 Wortschatzanalysen, die - etwa denen zur Chronologie der Platonischen Dialoge eben nicht vergleichbar für ein lediglich 13 Verse umfassendes Gedicht wie c.25 und ohne tatsächlich fest datierbare Vergleichsgedichte aus Catulls Frühzeit nicht wirklich eine Entwicklung herausarbeiten können, sondern lediglich eine von vornherein angenommene Periodeneinteilung bestätigen sollen. So geht vor allem die in der Forschung auch sonst vertretene Datierung von c.17 in die "Veroneser 879

880

STOESSL (1977) S.36ff., 137,183; vgl. für c.17 auch seinen Beitrag 'Aus Catulls Frühzeit', Hermes 101 (1973), S.442-463, dort S.459ff. mit Hinweis auf die entsprechenden Annahmen in älterer Literatur (COUAT [1875], ROSTAGNI [1954], RUDD [1959], CÈBE [1969], ALFONSI [1970]), aber auch die Gegenpositionen von DELLA CORTE (1951), PEPE (1963). Ohne Beweiskraft auch FERGUSON (1985) S.61 zu c.17: "In all its complex ingenuity it reads more like a young man's poem, than the work of a mature poet seared by his brother's death and his experiences with Clodia." SYNDIKUS (1984) S.3Anm.9.

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Furius'-libellus)

281

Jugendzeit"881 von der noch unbewiesenen und - für c.17 ohne persönlichen Bezug zu Catull - ohnehin problematischen Voraussetzung aus, daß alle Gedichte, welche Anspielungen auf die Provinz, Verona oder Catulls Heimat enthalten, früh anzusetzen sind. Was nun aber sprachliche Analysen betrifft, so ist es in diesem Zusammenhang schon interessant, daß z.B. neuerdings CARRATELLO c.17 insgesamt als "'tecnicamente' maturo" bezeichnet und nur mehr in bestimmter, lexikalischer Hinsicht eine "acerbità di stile" feststellt,882 was ja nicht unbedingt Indiz für eine Frühdatierung sein muß. Genausogut ist denkbar, daß Catull hier nicht mit größter Sorgfalt formuliert hat, sondern bloß flüchtig ein nicht recht ausgefeiltes Pendant zu c.4 mit der oben beschriebenen Ausrichtung erstellt hat.883 Für eher flüchtige, nachlässige Formulierung spricht schließlich vielleicht auch die Wiederholung des homerischen Motivs quot sunt quoique fuere ... am Anfang jeweils von c.21 und 24, das nicht dazu dienen kann, die Gedichte zu verbinden, da es nicht beidemal in derselben Weise und Funktion auf Aurelius und Furius selbst angewendet ist (c.21 wird damit Aurelius verspottet, c.24 dagegen Juventius in nur leicht ironischer Weise zur passenden Bezugsperson für Furius gemacht). Bisher von der Forschung spekulativ erwogene, abweichende Datierungen einzelner Gedichte des zweiten libellus sind jedenfalls kein Gegenargument gegen dessen Annahme und postulierte Zielsetzung. Wegen dieser ist vielmehr nun ein echter Anhaltspunkt für die Datierung aller c.l4a-26 nach dem ersten libellus und damit frühestens Ende 55 bzw. 54 v. Chr. zu gewinnen. Auch wenn es im 'Aurelius- und Furius '-libellus keinen dem 'Lesbia'-ßbellus vergleichbar engen inneren Zusammenhalt aller carmina gibt und die Wahl der Motive und Themen der eingestreuten Trenngedichte nicht ebenso durch Bezüge aufeinander zu erklären ist, sondern diese durch Gedichte des vorausgegangenen 'Lesbia'-libellus vorgegeben wurden, ist das zweite Büchlein wegen der allen Gedichten gemeinsamen Ausrichtung und ihrer Beziehung zum ersten eine im ganzen aber ebenfalls einheitliche, geschlossene Publikation, deren Gedichte auch jeweils an die ihnen zukommende Position gesetzt sind. Die offensichtliche, zweiteilige Anlage mit ihrem strengen Aufbau ohne Abweichungen, die sich in ihrem strukturbildenden Gerüst mit drei die Hendekasyllaben trennenden Gedichten anderer Versmaße nach dem des 'Lesbia' -libellus richtet, wurde bereits mehrfach erwähnt884 und braucht hier nicht mehr genauer besprochen zu werden. Sowohl wegen des 881

882 883

884

Vgl. bes. STOESSL (1977) S.36ff.; für eine Datierung direkt auf 59 v. Chr. evtl. im Zusammenhang mit der Koloniegründung von Como vgl. z.B. CENERINI (1989) S.47 mit Literaturhinweisen, F. DELLA CORTE, I carmi Veronesi di Catullo, Maia 41 (1989), S. 229-234. CARRATELLO (1983) S.25ff., das Zitat S.51. Vgl. im übrigen auch SCHÄFER (1966) S.9 zu c.16 "man möchte die Grundzüge der kunstvollen Anlage durchaus auf dichterische Spontanität zurückführen". Siehe o. S.38,46,49 und 224ff. sowie die Literatur o. in Anm.lOOf.

282

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Fimus'-libellus)

schematischen Aufbaus als auch wegen seiner Ausrichtung am ersten Büchlein und der vielfältigen Einzelbezüge zwischen den Gedichten der beiden Bücher ist natürlich nun die Annahme eines Gedichtausfalls im 'Aureliusund Fmius'-libellus m.E. mit Gewißheit abzulehnen, seien es PULBROOKs zusätzlich beigemischte Distichen oder MURETs Priapeen bzw. an deren Stelle DETTMERs drei Gedichte oder nur ein aus den drei Fragmenten zusammengesetztes priapeisches vor c.17, wie COPPEL nach BIRT vermutet.885 Die Beziehung der einzelnen Gedichte des zweiten libellus zu denen des vorausgegangenen ist freilich nur so zu sehen, daß die Wahl gerade eines bestimmten Gedichttyps oder Wiederaufnahme eines Motivs sowie dessen festgestellte zumeist verschärfende Behandlung durch diesen ersten beeinflußt wurde. Die tatsächliche Ausgestaltung der Gedichte aber dürfte sehr wohl unter Einarbeitung von Bezügen auch zu den benachbarten Gedichten des libellus selbst erfolgt sein, sind schließlich auch Verbindungen und assoziative Übergänge innerhalb des zweiten Büchleins auffindbar.886 Besonders deutlich ist dies für die jeweils zusammengehörigen Aurelius- und FuriusGedichte 15/21 und 23/24, bei denen überdies das Hungermotiv im FuriusTeil bereits durch das Unzucht und Hunger kombinierende letzte AureliusGedicht vorweggenommen wird.887 Auch scheint z.B. c.25 mit dem abschließenden Vergleich uesaniente uento (V.13) die Aufzählung der Winde im folgenden C.26 vorbereitet und der Dieb als mollis und cinaedus zum Ton im Zyklus passend beschrieben (V.lff.), wie z.B. kürzlich FERGUSON hervorhob. 888 Und ebenfalls FERGUSON erkannte korrekt eine Beziehung zwi885 886 887 888

COPPEL (1973) S.167, BIRT (1882) S.402; zu MURETUS und DETTMER siehe o. S.45. Vgl. allerdings gegen FORSYTHs ineptiae o. Anm.542. Siehe o. S.165f. FERGUSON (1986) S.4f. C.22 deutet er - "less pointedly" zwischen c.21 und 23 eingeschoben - als "another attack which turns into self-criticism and leads us from the obscenities of 21 to the more whimsical 23" und sieht Aurelius, Furius und den "self-satisfied" Suffenus als "pretty trio". C.22 ist jedoch die die beiden Hälften trennende Mitte des libellus insgesamt; eine c.15/17/21 vergleichbare inhaltliche Verbindung wäre eher für c.23f./25/26 zu suchen, doch ist das Thema von c.25 durch den Bezug auf c.12 als weiteres Diebstahlsgedicht vorgegeben (vgl. allerdings FERGUSONs Hinweis auf den mittellosen Furius neben dem rapax Thallus und ebenso bereits OFFERMANN [1978] S.50 zu den Kinaeden von c.16 und 25; ähnlich auch WISEMAN [1969] S.12 mit Anm.3). Ein "pretty trio" sind die Adressaten der c.21-23 ohnehin nicht; durch Catulls Verständnis für menschliche Schwäche am Ende von c.22 ist das Suffenus-Gedicht im Gegenteil von seiner nur negativen Behandlung der Eigenschaften der beiden anderen Angesprochenen abgesetzt. Ε Λ . SCHMIDT (1973) S.221 sieht c.25 nur allgemein als Gegenstück zu c.16 und letzteres thematisch mit c.22 (Dichtung) verbunden. Für SKINNER (1981) S.51 mit Bezug auf WISEMAN ist c.25 "appropriately employed to punctuate a group of poems dealing with pederasty". SCHÄFER (1966) S.12 sucht, die sprachliche Nähe von c.l5 zu c.16 herauszuarbeiten. WISEMAN (1969) S.12 Anm.4 beachtet, daß beide Gestalten von c.22 und 24 als homines belli beschrieben sind. Gut ist auch RICHARDSONs Beobachtung (1963) S.98, daß Catull angesichts seiner eigenen metaphorischen Verwendung von sal in c.16 Furius u.a. gerade durch den Vergleich purior salillo (c.23,19) verspottet: "How lucky you are; a complete puritan, you have no wit or feelings whatsoever."

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Fmius'-libeUus)

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sehen c.17 und den dieses umgebenden Gedichten über Catulls puer.m Angesichts der Empfehlung ausgerechnet an Aurelius könnte es scheinen, als sei in allen drei Gedichten gleichermaßen nachlässiges Verhalten einer geliebten Person gegenüber, Catulls Knaben bzw. der puella tenellulo delicatior haedo (c.17,15), beschrieben. Da sich jedoch Catull keinesfalls so lethargisch verhält wie der stumpfsinnige Ehemann des c.17, der seine Frau ohne sich zu kümmern "spielen läßt", sondern, wie seine Drohungen c.15 und 21 zeigen, sehr wohl darüber wacht, daß dem bei Aurelius befindlichen Liebling nichts geschieht, ist die Beziehung dieser drei Gedichte den Dreiergruppen des 'Lesbia'-libellus entsprechend zu werten, auch wenn c.17 der variierten Struktur wegen nicht direkt hendekasyllabisches Mittelgedicht einer solchen Dreiergruppe ist: Es wird nicht dreimal dieselbe Verhaltensweise vorgeführt; nur das Mittelgedicht zeigt Nachlässigkeit des Betroffenen, nicht aber c.15 und 21 mit ihrer Vergewaltigungsdrohung an Aurelius, so daß c.17 genau gegensätzlich zu den beiden umgebenden Gedichten gestaltet ist.890 Doch anders als in den Mittelgedichten des 'Lesbia.'-libellus c.2a, 6, 10 und 13 ist es jetzt nicht mehr Catull, der sich selbstironisch verspottet; jetzt ist es eine andere Person, ein munieeps quidam, der Catulls Spott zu spüren bekommt, was der für die Gedichte auch sonst immer wieder zu beobachtenden Verschärfung entspricht. Genauso wie es im zweiten libellus keine harmlos-beschaulichen, c.4 vergleichbaren Beschreibungen als Selbstzweck mehr gibt, gibt es also auch keine für Catulls Bekannte ebenfalls harmlose Selbstironie mehr. An beider Stelle ist der scheinbar echte Angriff mit Spott über andere getreten. Anlaß, gerade ein Gedicht wie c.17 für diese Position im Büchlein zu schreiben, war nach der hier vorgetragenen Deutung des libellus somit das an entsprechender Position stehende c.4 des ersten Büchleins, Anlaß für den beschreibenden Gedichtanfang mit der Colonia und ihrer Brücke ebenfalls dieses eine Sache, den phasellus, darstellende c.4. Anlaß aber, daraus gerade ein Gedicht über einen lethargischen Ehemann werden zu lassen, der sich um seine Frau nicht kümmert, war der Wunsch nach Herstellung von Bezügen innerhalb des Büchleins, d.h. ein Gegenstück zu c.15 und 21 zu schaffen.

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FERGUSON (1985) S.65, (1986) S.5 "17 is about a husband who does not know how to look after his young wife. Catullus does know how to look after his young boy-friend, and [...] claims an injured husband's privilege". Vgl. auch schon HECK (1951) S.44 "der süsse Juventius passt so wenig zu den Hungerleidern und Schmarotzern Furius und Aurelius, wie die puella viridissimo flore tenellulo delicatior haedo zu dem insulsissimus homo in c.17". OFFERMANN (1978) S.50 sieht dagegen c.17 im unter die qui duros ... von c.16,11 gerechneten, "törichten Ehemann so etwas wie eine ausführliche Illustration eines kurzen Motivs aus 16,13 (male me marem [...]) zugleich im Sinne einer nachträglichen Interpretation [...] dies ist ein 'schlechter Mann, nicht wer von multa milia basiorum schreibt'". WISEMAN (1969) S.12 erkennt für c.17 und 22 als Gemeinsamkeit, daß beide Gedichte Männer betreffen, "who were unaware of their own faults". Vgl. auch schon E A . SCHMIDTS kurzen, allgemeinen Hinweis (1973) S.221 zu c.17 als "Gegenstück zu Catulls Sorge für seinen Knaben in c.15 und 21".

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Zusammenfassung fur c.l4a-26 ('Aurelius- und Furius>-/ibe//us)

Auf diese Weise ist insgesamt doch wieder ein auch für sich genommen reizvoller libellus mit einem gewissen inhaltlichen Zusammenhalt und wegen der eingestreuten c.17, 22 und des abschließenden harmlosen Furius-Gedichts 26 nicht nur deftigen, obszönen carmina entstanden. Darauf, daß einzelne Gedichte gelegentlich auch allein rezipiert wurden wie etwa c.22 und 24 in MÖRIKEs Übertragungen oder gar in Schulausgaben Aufnahme finden wie C.23 und 26, wurde bereits oben hingewiesen.891 Aber auch wenn die Gedichte des Büchleins nicht so eng aufeinanderhin komponiert sind wie im 'Lesbia'-libellus und besonders die anständigeren weniger untereinander als mit solchen des ersten Buches in Beziehung stehen, ist es für ihr Verständnis nicht glücklich, wenn sie aus dem Kontext im libellus gerissen und mit ganz anderen Catull-Versen zusammengestellt sind. So nämlich gehen nicht nur die Bezüge der Gedichte untereinander und zu denen des zeitlich vorausgegangenen Buches verloren; man verliert überdies bei der Interpretation nur allzu leicht das Gefühl für ihren spielerischen und weitgehend fiktiven Charakter, was z.B. dazu führt, Schülern bei c.23 die Beschreibung der Besitzlosigkeit des Furius als wirklichen Grund für die Abfassung des Gedichts zu suggerieren892 oder gar - wie im Fall von SYNDIKUS' die carmina zwar in überlieferter Folge nacheinander, tatsächlich aber nur jeweils allein betrachtenden Deutungen - aus Catulls scherzhaften, übertriebenen Angriffen auf Aurelius' Hungerleiderei und Furius' scheinbare Armut eine ernsthafte Distanzierung des Dichters von mittellosen Mitmenschen herauszulesen.893 Auch das z.B. jetzt von der Katulla-Dichterin RADKE ebenfalls nur einzeln bearbeitete c.24 sollte - ohnehin schon wegen des von Catull durch die Verswiederholung (c.23,1 - c.24,5ff.) selbst geschaffenen engen Bezuges - zusammen mit dem ihm vorausgehenden Furius-Gedicht 23, vor allem aber als Teil des 'Aurelius- und Furius'-/¿óe//i«/Zyklus gelesen werden, anstatt es für die Interpretation mit den drei weiteren, in der überlieferten Sammlung aber weit davon entfernt stehenden Juventius-Gedichten 48, 81 und 99 für die Konstruktion einer eigenen Liebesgeschichte zusammenzunehmen. Ein zweifelsfreier Hinweis auf die Identität des Juventius ist weder aus dem ganzen Zyklus c.l4a-26 noch aus einem der anderen, ihn betreffenden Gedichte zu gewinnen.894 Die Identifikationsversuche der Forschung sind somit reine Spekulation, auch wenn c.24 V.l flosculus Iuuentiorum auf die gens der Juveniler hinzudeuten scheint (vgl. z.B. WISEMANs "spoilt young aristocrat")895 und Juventius folglich als wirkliches Mitglied der römischen 891 892

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Siehe o. S.37f. So durch die Frage "Ermitteln Sie, aus welchem Anlaß Catull diese bösen Verse auf Furius gedichtet hat" zu dem ohne jede Zusatzinformationen abgedruckten c.23 in der o. Anm.99 genannten Schulausgabe S.50. Siehe o. S.161f. Schlichtweg falsch z.B. WEINREICH (1960) S.159 "Aus c.24 erfährt man, daß Juventius ein junger Veroneser war [...]". WISEMAN (1985) S.122.

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Funus'-libellus)

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oder gar einer inschriftlich belegten Juventier-Familie in Catulls Heimatstadt Verona gedeutet wird, wie kürzlich erst wieder von MURIEL/VENTURA,896 ja durch den Namen des Diebes von c.25, Thallus, sogar direkt als der oberitalischen Iuuentii Thalna zugehörig, wie z.B. WEINREICH annahm.897 Zu Thallus von c.25 besteht jedoch im Text beider Gedichte keinerlei Verbindung (vgl. dagegen etwa c.23 und 24 bezüglich Furius), so daß zumindest die konkrete Zuordnung zu den Iuuentii Thalna nur auf Grund vermeintlicher etymologischer Assoziationen reichlich fragwürdig erscheinen muß. Für STROH ist überdies ein durch Gedichte öffentlich gemachtes Verhältnis zu einem Jüngling der römischen Oberschicht völlig ausgeschlossen ("Catull hätte ihm dann Ruf und Karriere gründlich verdorben"), so daß er - "wenn der Name überhaupt echt ist" - nur an einen Freigelassenen der gens Iuuentia denken will.898 Sein Einwand ist mit Sicherheit berechtigt, nur muß es dann gleich ein Freigelassener sein?899 Genauso wie 'Lesbia' nur Catulls metrisch gleichwertiges Pseudonym für 'Clodia' ist, braucht der Name Juventius ebenfalls nicht real zu sein, wie mit Recht z.B. schon RICHARDSON und auch TROMARAS erwägen.900 Ja die Juventius-Gestalt kann, wie die Einführung im ersten Vers von c.24 als flosculus Iuuentiorum nahelegt, in Catulls Gedichten sogar nur für den schönen Jüngling schlechthin stehen, flosculus iuuentutis, der natürlich passend dazu den sprechenden Namen Juventius erhalten hätte. Denn berücksichtigt man den fiktiven Charakter der restlichen Gedichte des libellus/Zyklus, ist es durchaus möglich, daß Catull für den Angriff auf den schönen Furius eine geeignete fiktive Gestalt,901 eben die Verkörperung der schönen Jugend, geschaffen hat, genauso wie er gegen Aurelius c.15 und 21 seinen m.E. fiktiven puer einsetzt, den nur die Forschung, nicht aber auch Catull selbst als Juventius identifiziert.902 Juven-

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MURIEL/VENTURA (1988) S.61ff„ S.72, 77f. mit Hinweis auf DOLC und SMALL, vgl. auch DELLA CORTEs CIL-Stellen (21976) S.165. · ι

Siehe o. Anm.894. Zu Versuchen, sogar mit Catulls Egnatius (c.37, 39) zu identifizieren, siehe LIUA (1983) S.54 Anm.17 mit Hinweis auf BIANCO. 898 STROH (1990) S.137, (1992) S.79; vgl. jetzt auch CARRATELLO (1995) S.37f. 899 Für J. BOSWELL (Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality, Chicago 1980) S.77 und 79 ist er ein "prostitute", dagegen jedoch zu Recht LILJA (1983) S.51 mit Hinweis auf ΟΠΠ die diese Annahme nicht stützende Darstellung Catulls. RICHARDSON (1963) S.96, TROMARAS (1984) S.67 Anm.9, S.81 Anm.6; dagegen LILJA (1983) S.51 Anm.3, aber ohne zu begründen mit lediglich "It is less probable [...]". 901 Vgl. dagegen jedoch RICHARDSON (1963) S.96, KINSEY (1966) S.102 Anm.5 und diesen bestätigend LILJA (1983) S.59f. "It is difficult to see why the Lesbia poems should be assumed to have a basis in reality, if a similar assumption is not made for the Juventius poems". Eine solche Folgerung, daß Lesbia und Juventius entweder beide reale Gestalten sein müßten oder beide nur fiktive Produkte Catulls, ist jedoch (anders als bezüglich der dem Schutz von Personen dienenden Verwendung eines Pseudonyms) nicht zulässig. Schon WHEELER (1934) S.241 vermutet übrigens, daß der 'Juventius'-Zyklus "no basis in reality" habe. HOLLAR (1972) S.102 sieht ihn ebenfalls als "literary creation", "fiction", und auch O. HARNECKER (Des Catullus Juventiuslieder, Jahrb. f. class. Phil. 32 [1886], S.273-279) sprach von einem "Phantom"; dagegen jetzt CARRATELLO (1995) S.37f. 902 Dazu siehe Kap.2.3. und 3.1. o. S.94ff. und S.154ff.

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Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und F w'ms'-libellus)

tius hätte folglich in Catulls Dichtung seinen ersten Auftritt mit c.24 im 'Aurelius- und Furius'-Z/fteZ/i«903 und hier zunächst nur als Nebenfigur neben dem eigentlichen Ziel der Angriffe, Furius, könnte aber von Catull später als literarische Gestalt gelegentlich weiterverwendet und dann auf sich selbst bezogen sein, wie es die drei zusätzlichen Juventius-Gedichte vorführen. Doch mag das dritte, ebenfalls mit strenger Einhaltung der spondeischen Basis verfaßte Kußgedicht neben c.5 und 7, c.48, zunächst noch im inhaltlichen, zeitlichen Zusammenhang mit dem hier postulierten 'Aurelius- und Furìus'-libellus stehen - in der Weise nämlich, daß Catull nach seiner heftigen Reaktion gegen die Kritiker mit dem libellus anschließend auch noch mit Einzelgedichten zeigte, daß er sich seine Kußgedichte nicht verbieten läßt. In den libellus direkt einzubeziehen war ein solches carmen freilich nicht: Der erschlossenen Ausrichtung des Büchleins nach wollte und konnte der wegen seiner Zärteleien gerügte Catull dort ja nicht selbst zärtlich weiterküssen; er wollte zum einen die Kritiker durch Aufzeigen ihrer sittlichen und finanziellen Verkommenheit verspotten (c.15, 21, 23, 24, 26), zum anderen ebenfalls natürlich spottend - gerade diese zum Opfer der vermißten Männlichkeit machen (c.15, 16, 21). Einen ähnlichen Zusammenhang für die drei Kußgedichte, eine gezielte Wiederholung der Küsse aus c.5 und 7 in c.48, um Aurelius und Furius zu ärgern, sah z.B. schon B. SCHMIDT,904 und es paßt zu dieser Deutung, daß TROMARAS ebenfalls c.48 wegen der Formulierung 48,4/7,1 in zeitliche Nähe zu den Küssen des 'Lesbia'-Zyklus rückt905 und CAIRNS gar als Ergebnis seiner Analyse in c.48 - "going one stage further than either of them" - in bestimmter Hinsicht die Motive aus den beiden anderen Kußgedichten 5 und 7 vereint glaubt.906 Und mit c.81 wirkt schließlich c.24 wiederaufgenommen, so daß Catull dabei einen schon einmal verwendeten Gedichttyp, wie z.B. auch umgekehrt für c.58/26 zu vermuten war,907 auf eine andere Situation übertragen und ähnlich gestaltet haben mag, jetzt für einen Angriff auf einen heute nicht mehr zu identifizierenden, aber wegen der recht konkreten Anspielungen als moribunda ab sede Pisauri hospes inaurata pallidior statua (V.3f.) wohl realen, für seine damaligen Leser erkennbaren Zeitgenossen, der genausowenig wie Furius oder Catull selbst jemals ein Verhältnis mit Juventius gehabt haben muß.908 Auch dort 903 904 905 906

907 908

Auch z.B. LILJA (1983) S.51 hält c.24 für das zeitlich erste Juventius-Gedicht. Nach ELLIS ( 2 1889) S.59 Anm.l, der solches ablehnt. TROMARAS (1984) S.87. CAIRNS (1973) S.18. Für RICHARDSON (1963) S.96f. ist c.48 "retractation of 7", "a better and far more sophisticated poem", für KHAN (1967) S.613 "concentration and the elaboration", "full and perfect artistic deployment" eines bereits in c.3 anklingenden "metaphorical pattern - that which considers kisses and food" und erscheint somit wiederum als nachträgliche Ausgestaltung eines in einem Gedicht des 'Lesbia'-libellus vorliegenden Motivs; für HOLLAR (1972) S.105 ist c.48 als "parody of the basia poems directed to Lesbia". Vgl. ferner RAMMINGER (1937) S.12f. mit älterer Literatur. Siehe o. S.207ff. Wenn man dagegen auch weiterhin an einen realen Juventius glauben will, so ist aber zumindest zu beachten, daß aus den Formulierungen von Catulls Gedichten höchstens des-

Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Furius'-libellus)

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kann Juventius nämlich wiederum nur fiktive Gegengestalt zum homo bellus (vgl. V.2) sein und Mittel, diesen herabzusetzen und zu verspotten, wie der anonyme puer c.15 und 21, die puella von c.36 und 56 oder m.E. durchaus auch Catulls im Zusammenhang mit der Verspottung des Gellius auftretende Geliebte von c.91. Gellius braucht keineswegs etwas mit Catulls Mädchen, vielleicht gar Lesbia,909 gehabt zu haben, so daß darin mit der Forschung der Grund für Catulls Angriffe zu vermuten wäre. Wie im Fall der Aurelius- und Furius-Gedichte mit c.16 gibt es schließlich auch hier mit c.116 auf vielleicht andere Motive und sogar gegenseitigen Streit anspielende Verse, so daß die Angriffe auf Gellius gewiß nicht nur einseitige Attacken des enttäuschten Liebhabers Catull darstellten. Die Geliebte von c.91, die Catull vor Gellius sicher glaubte, kann somit ebenso lediglich das Mittel sein, zunächst Gellius' angeblichen Inzest (V.l-6), dann seine Vorliebe für alles Unrechte (V.7-10 ... in quacumque est aliquid sceleris) neben dem Spott der c.74, 88, 89, 90 nochmals auf eine besonders witzige, andere Weise anzuprangern: Denn Catull hatte sie nicht deswegen für sicher vor Gellius gehalten, weil er mit Gellius als treuem, standhaften, sittenstrengen Freund rechnete, non ideo ... quod te cognossem bene constantemue putarem (V.l-4), sondern weil Catulls Geliebte weder Gellius Schwester noch Mutter war (V.5). Die erwogene Deutung der Juventius-Gedichte, ihre Entstehung nach dem 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furius'-libellus sowie die Annahme einer rein fiktiven Juventius-Gestalt ist freilich genauso wie die in der Forschung beliebten realen Identifikationen des Jünglings nicht beweisbar. Reine Spekulation aber ist sie nicht. Es wird schließlich nicht wie in der Forschung üblich einfach ein 'Juventius'-Zyklus c.24, 48, 81, 99 auf Grund der Kenntnis all dieser Gedichte interpretiert. Ausgegangen wurde hier vielmehr - m.E. methodisch korrekter - allein vom ersten Juventius-Gedicht der Sammlung, seiner Einbindung in den erschlossenen libellus und der sorgfältigen Beachtung

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sen Verhältnis mit Furius von c.24 oder mit dem anonymen hospes von c.81 zu erschließen ist, nicht jedoch auch eine erfüllte, ausgelebte Liebesbeziehung mit Catull. C.24 ist bereits oben Kap.2.3. behandelt; in c.48 spricht Catull ausdrücklich nur von angestrebten Küssen (vgl. am Anfang mellitos occulos tiios, Irnienti, si quis me sinat usque bastare ...), c.81 hat er das Nachsehen (V.5 quem tu praeponere nobis), c.99 endet sein Kußversuch in entschiedenster Ablehnung (z.B. V.7ff. diluta tabella/ ... abstersti.../ ne quicquam nostro contractum ex ore maneret] tamquam commictae spurea saliua lupae. So z.B. SCHÄFER (1966) S.28ff., HOLLAR (1972) S.120, FORSYTH (1972/73) S.175ff., E A . SCHMIDT (1973) S.230, FERGUSON (1985) S.291, SYNDIKUS (1987) S.75f., KING (1988) S.386. Auch z.B. OFFERMANN (1978) S.37 glaubt, daß c.91 "die Motivation für die vorausgehenden Angriffe liefert". Angesichts der obigen Überlegungen und der nicht geklärten Identität der puella ist es m.E. auch fraglich, ob der sog. 'Gellius'-Zyklus wirklich in c.91 kulminiert (vgl. so vor allem FORSYTH) und nicht dieses Gedicht einfach eine weitere, variierend gestaltete und gewiß recht eindrucksvolle Schmähung darstellt; vgl. ja die Wirkung auf die heutige, diesbezüglich immer noch zu stark dem alten 'Lesbia'-Roman verhaftete Catull-Forschung. Catull aber spielt wie auch jeder andere Dichter in seinen carmina mit Gestalten und Motiven; auch wenn Vieles offenbar stärker als bei seinen Vorgängern echte Gefühle wiedergibt, schreibt er - dies kann gar nicht oft genug betont werden - keine Autobiographie!

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Zusammenfassung für c.l4a-26 ('Aurelius- und Furius'-libellus)

seiner Formulierungen, die weder eine Verbindung zu Catulls puer in c.15 und 21 noch überhaupt eine emotionale Beziehung zu Juventius erkennen lassen. Selbst unabhängig von der Annahme des Buchcharakters für c.l4a-26 mit ihrer speziellen Ausrichtung kennt ein Leser bei der Lektüre von c.24 die anderen erst viel später überlieferten Juventius-Gedichte noch nicht, so daß er auch noch nicht wissen kann, daß Juventius von c.24 Catulls Liebling sein soll und deswegen vielleicht sogar in c.15 und 21 gemeint sein könnte, wie die Forschung so gerne vermutet. Der zweite libellus insgesamt war natürlich ebenfalls nur auf Grund genauer Beachtung von Formulierungen und festgestellten Bezügen zu erschließen und leider nicht durch ein zusätzliches äußeres Zeugnis zu bestätigen, wie es für das 'Lesbia'-Büchlein mit Martials Epigramm 1,35 möglicherweise vorliegt. Doch selbst wenn einige der im 3. Kapitel besprochenen Einzel-Bezüge nicht recht überzeugen sollten, kann dies die hier postulierte Zusammenfassung der c.l4a-26 zu einem zweiten eigenständigen, wiederum recht kleinen, auf das kurz vorher edierte 'Lesbia'-Büchlein inhaltlich bezogenen libellus insgesamt nicht wesentlich beeinträchtigen. Daß es in der Antike auch ganz kleine Büchlein gegeben hat, daß c. 15-26 durch ihren strengen Aufbau zusammengeschlossen sind, daß sie einerseits mit c.l4a durch ein eigenes Programmgedicht eingeleitet, andererseits durch die ebenfalls strenge Gestaltung der Hendekasyllaben-Anfänge deutlich von den folgenden c.27ff. abgetrennt sind, ist eine Tatsache ebenso wie der gegensätzliche Charakter der beiden Zyklen auf Lesbia und Aurelius und Furius, die ähnliche Strukturierung mit den drei Gedichten anderen Versmaßes zwischen Hendekasyllaben, die Beziehung etwa von c.12 und 25 durch das Halstuch, die durch Catulls Reaktion in c.16 bezeugte Kritik der beiden an bestimmten (Kuß-) Gedichten und schließlich Catulls auffälliger Bruch in der Behandlung der Adressaten c.ll und c.l5ff. Für all dies wie auch für einzelne Interpretationsprobleme z.B. der c.15, 17 und 21 bietet m.E. die Annahme eines zweiten libellus eine gute Erklärung, und für all dies müßte vor dessen Ablehnung erst einmal eine überzeugendere Lösung gefunden werden.

4. Konsequenzen für das Corpus Catullianum Akzeptiert man die Ergebnisse der vorausgehenden Kapitel zu den c.1-14 und 14a-26 als 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furìus'-libellus, so würde das uns letztlich nur durch die eine Veroneser Handschrift erhaltene Corpus Catullianum mit zwei ursprünglich selbständigen, den von Catull intendierten Bezügen gemäß unmittelbar nacheinander gesetzten libelli beginnen, die aber gegen die in der Forschung seit SKUTSCH angenommene Chronologie relativ späte Produktionen darstellen und als Rückblick auf die Lesbia-Liebe bereits viele andere carmina des Dichters, Liebes- wie Spottgedichte, voraussetzen. Bei der Zusammenstellung des heute überlieferten Corpus wären folglich diese beiden schon vorliegenden libelli um solche weiteren früheren oder auch nachträglich entstandenen, einzeln oder ebenfalls bereits als Sammlung vorhandenen Gedichte ergänzt,910 welche dazu nach kleineren und größeren Stücken bzw. groben und offensichtlichen metrischen Prinzipien wie dem verwendeten Versmaß getrennt und in zunächst zwei Teilsammlungen mit kleineren Gedichten, Polymetra (c.27-60) und Epigrammen (c.69-116) geordnet und so an die beiden an den Anfang gesetzten, keine Distichen enthaltenden libelli angepaßt wurden. Die hinsichtlich der verwendeten Versmaße beiden Gruppen nahestehenden 'größeren' Gedichte c.61-68 hätten sich schließlich fast zwangsläufig als dazwischenzustellendes variierendes, aber auch einen zu abrupten Bruch zwischen den polymetrischen und rein epigrammatischen Teilen überspielendes Bindeglied ergeben und sind - rein äußerlich gesehen - auch dementsprechend angeordnet mit zunächst den zu den kleinen polymetrischen Gedichten passenden und dort in C.34 ebenfalls verwendeten Glykoneen von c.61, den eigenartigen Galliamben von c.63, den Hexametern von c.64 und schließlich den direkt das Metrum der c.69ff. vorwegnehmenden Distichen von c.65-68. Grund für die Zusammenfassung der Distichen wäre also nicht der Wunsch nach Dreiteilung der Sammlung, Rahmung der großen Gedichte oder Schaffung eines eigenen (unten noch ausführlicher zu betrachtenden und abzulehnenden) Elegiebuches gewesen,911 sondern das Vorhandensein zweier kleiner Bücher 910

Ähnlich auch z.B. SEGAL (1968) S.306, aber ausgehend nur von c.2-11, sowie VAN SICKLE (1980) S.37 Anm.91 für den 'Passer' als nucleus einer nachträglichen Sammlung "of all the poet's works, however different", wofür er mit Theokrit (Idyll 1-7) vergleicht, und SKINNER (1981) S. 11: "It is reasonable to presuppose that a libellus already in circulation at the time of the poet's death would serve as the point of departure for a posthumous edition."

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Siehe gleich S.308ff.; c.69-116 sind nicht einheitlich Elegien! Die Dreiteilung des CatullCorpus entspricht somit nicht einer Trennung gattungsmäßig wirklich zusammengehöri-

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Konsequenzen für das Corpus Catullianum

eben ohne Distichen, die zunächst entsprechend und mit weiteren kleinen Gedichten in metrischer Variation, aber ebenfalls ohne Hexameter und Pentameter zu ergänzen waren.912 Durch die so entstandene Gesamtausgabe mit in ihrem ersten Teil etwa 60 äußerlich ähnlichen, kleinen Gedichten in wechselndem Versmaß und dem damit zwangsläufigen Verlust des Buchcharakters für jeweils c.1-14 und 14a-26 ist gut vorstellbar, daß Verständnis und Gefühl für die ursprüngliche inhaltliche Bezogenheit und jeweilige Einheit der beiden libelli im Laufe der Zeit verloren gingen, zumal Themen und Gestalten der Büchlein wie Lesbia, Juventius, Veranius, Fabullus, Memmius u.a. auch unter den nachfolgenden c.27ff. wieder auftauchen, von der konzentrierten Interpretation von jeweils c.1-14 und 14a-26 ablenken913 und der Forschung seit Wiederentdeckung Catulls Anfang des 14. Jh.s ohnehin nur mehr ein reichlich fragmentarisches c,14a zur Verfügung stand. Die in der beschriebenen Weise hergestellte Catullsammlung wäre für die beiden erschlossenen libelli wie auch für viele, wenn nicht gar die meisten der restlichen Gedichte lediglich eine sekundäre Edition als erweiterte zweite bzw. vielleicht sogar wiederholte Auflage, wie dies ja schon oben allgemein für die umfangreicheren carmina wie das Epyllion c.64 oder für bestimmte Anlässe gedichtete Verse wie die des Hochzeitsgedichts c.61 zu fordern und für das Attis-Gedicht vielleicht sogar durch die Notiz in einer späteren Metrik zu belegen war.914 Daß auch für einige der kleineren carmina damit zu rechnen ist, die zunächst einzeln umliefen bzw. veröffentlicht wurden, war ebenfalls mit Hinweis auf entsprechende Annahmen in der Forschung bereits oben erwähnt. Zu erwarten ist eine solche Einzelverbreitung m.E. in der Tat vor allem für die Caesar-, Mamurra- und Mentula-Gedichte

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ger Werkteile wie z.B. die lamben und Elegienbücher in der Gesamtausgabe des Kallimachos. Vgl. für c.51ff. z.B. CLAUSEN (1976) S.39f., der genauso c.61 wegen des den polymetrischen kleineren carmina ähnlichen Metrums an die Spitze des zweiten Buches einer Catull-Gesamtausgabe gesetzt glaubt. Auch bei seinem 'Passer' ist das Corpus Catullianum natürlich die Weiterführung eines vorliegenden Buches. Doch im Unterschied zu seiner Lösung ist der wegen inhaltlicher Entsprechungen (vgl. z.B. die Lesbia- und Mamurra Gedichte) störende Verzicht auf Epigramme im ersten Teil durch den kleinen, feinen 'Lesbia'-libellus als Ausgangspunkt erklärbar, da für dessen sorgsame, auf ein Thema konzentrierte Gestaltung die Verwendung nur anspruchsvoller wirkender Verse als Korrespondieren von feinem Inhalt und feiner Form gegenüber dem inhaltlichen wie metrischen Durcheinander von CLAUSENS größerem Buch c.1-50 nachvollziehbar ist (siehe o. S.71). Zu Länge und Metrum als Ordnungsprinzip vgl. ferner bereits WHEELER (1934) S.18 oder jetzt v. ALBRECHT (21994) S.273; für die Abweichung mit c.62 siehe u. Anm. 933, für die Abfolge der c.65-68 u. S.309. Siehe auch o. S.260f. zu den Gründen für die Nichtbeachtung von Struktur und Einheit der Zyklen und für die bislang abweichenden, wesentliche Gedichte außer acht lassenden bzw. wegen Voreingenommenheit durch Kenntnis anderer carmina TIR. nicht wortgetreuen Deutungen. Siehe 0.S.78.

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(vgl. bes. c.54,6f.), aber auch für andere carmina mit politischem oder persönlichem Spott wie die Gellius-Epigramme, da es, wenn anders als etwa später bei Martial reale Zielpersonen, Zeitgenossen getroffen werden sollten, gewiß wirkungsvoller gewesen sein dürfte, wenn Catull diese wiederholt in immer wieder anderen Gedichten und nicht nur einmal mit einem kleinen oder größeren Gedichtbuch angegriffen hätte, in dem der Caesar-Spott doch eher untergegangen wäre.915 Auch für viele der ähnlichen Lesbia-Epigramme unter den c.69ff. mag man vermuten, daß der verletzte, enttäuschte Dichter seinen Schmerz ein um das andere Mal durch ein Gedicht bekundete und natürlich diese verbunden mit kleineren und größeren Angriffen auf Lesbia auch sofort ihr und seinen Freunden zur Kenntnis bringen wollte. Daß demnach gerade sehr viele der Epigramme vielleicht zunächst nur für die sofortige Wirkung und Verbreitung geschrieben worden wären, paßt im übrigen gut zur Beobachtung von ROSS, der für die c.69ff. andersartige, weniger sorgfältige Stilisierung mit kaum emotionsgeladenen Interjektionen und Deminutiva, poetischen Bildungen, Metaphern, Vergleichen und insgesamt eher nachlässige, prosaähnlichere Wortstellung und Formulierungen feststellt,916 wie es ja auch für die im Corpus am Schluß stehenden Verse auf Gellius aufgefallen war.917 Wenn Catull diese Gedichte nur als flüchtige Einzelstücke und nicht im Hinblick auf eine gemeinsame Publikation verfaßt hat, erklärt das überdies die gelegentlichen und auffälligen Wiederholungen einiger dieser ja beinahe wie inhaltliche Dubletten wirkenden carmina wie z.B. C.69 und 71, c.70 und 72. Sie mögen eben ursprünglich nacheinander als immer neue Spitzen gegen Gellius z.B. geschrieben und verbreitet worden sein. Und wenn Catull für solche unmittelbaren, primär für die augenblickli915

916

917

Auszugehen ist hier von einer viel unmittelbareren, lebendigeren, aktuelleren Form der Invektive als z.B. später beim literarisch verfestigten Spott eines Martial. Daß der auch sonst immer bestens informierte, sogar für eine Art Tageszeitung sorgende Caesar selbst von nur einzeln und nacheinander verbreiteten Gedichten erfahren haben dürfte, die, wenn Catull bereits einen gewissen Rang hatte, gewiß sogleich von Mund zu Mund gingen, zum Stadtgespräch l u d sogar begierig erwartet wurden, ist m.E. sicher. Wenn dagegen z.B. COPPEL (1973) S.182 glaubt, daß auch die Caesar-Gedichte auf dem Weg über "buchhändlerische Vervielfältigung" in Umlauf kamen, setzt er zu sehr heutige Verhältnisse voraus. Zu den Spottversen der Neoteriker vgl. jetzt auch G. BINDER, Herrschaftskritik bei römischen Autoren. Beispiele eines seltenen Phänomens, in: G. BINDER, B. EFFE (Hrsgg.), Affirmation und Kritik, BAC 20, Trier 1995, S.125-164. ROSS (1969) S.18ff., 22ff., 49ff., 53ff., 67ff. Zurückgeführt wird dies von ihm allerdings auf eine gattungsbedingte Verschiedenheit, "two very different poetic traditions" der kleinen polymetrischen und epigrammatischen Gedichte "in tone, expression and purpose" (vgl. auch [1975, o. Anm.868] S.9); vgl. ferner S.8: "It is not entirely necessary to assume that Catullus himself arranged his poems in three groups for the purpose of an edition; but that he considered his polymetric poems or the longer poems to be of a very different nature from his epigrams seems unquestionable." Unterschiedlich ist jedoch m.E. nicht etwa die Gattungszugehörigkeit allgemein, wie die Forschimg auch sonst vielfach herauszuarbeiten sucht, unterschiedlich ist der literarische Anspruch vieler Epigramme gegenüber den Polymetra wie c.1-14. Vgl. im übrigen auch schon QUINN (1959) S.33f. zu den Gellius-Gedichten "in these poems Catullus' poetic interest was at its lowest level". Siehe o. S.55.

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che Wirkung gedachten Einzelangriffe besonders das Distichon verwendet hat, erklärt dies auch, warum er in seinem kleinen, feinen 'Le&bia.'-libellus nun gerade keine Gedichte in diesem Versmaß mehr aufgenommen hat, und bestätigt folglich die diesbezüglichen Überlegungen des vorhergehenden Kapitels.918 Auch wenn also bei vielen der restlichen Gedichte des Corpus Catullianum mit einer als ursprünglich intendierten und auch erfolgten Einzelverbreitung zu rechnen ist, so kann dies natürlich kaum für alle der den beiden postulierten libelli folgenden kleineren Gedichte der Sammlung gelten. Wie ja aus den Formulierungen von c.l oder auch anderen Gedichten wie c.14 erschlossen wird, muß es eigentlich noch weitere kleinere und auch frühere Sammlungen/Büchlein Catulls gegeben haben,919 zumal die beiden am Anfang des Catulltextes ermittelten libelli erst relativ spät, erst nach 55 v. Chr. zu datieren sind. Anders als für den 'Lesbia'- und den 'Aurelius- und Furius'libellus fehlen jedoch entsprechende und deutlich als solche zu erkennende Einleitungsgedichte920 und auch ein vergleichbarer Aufbau scheint für c.27ff. nicht recht spürbar. Wie bereits STROH für die metrische Doppelstruktur seines Liederbuches feststellte,921 ist Ähnliches unter den c.27-60 nicht mehr zu finden, und dies gilt auch für die Einzelstrukturen der hier angenommenen beiden libelli. Die c.27ff. sind zwar ebenfalls mit metrischer Variation überliefert, doch folgen bereits c.29-31 mit iambischem Trimeter, Asklepiadeus und Hinkiambus drei nicht hendekasyllabische Maße aufeinander, so daß schon hier die strenge und von genauen Zahlenverhältnissen bestimmte Gliederung durch derartige Verstypen wie noch c.1-14 und 14a-26 mit jeweils ausschließlich aufeinanderfolgenden Hendekasyllaben aufgegeben scheint wie auch bei den offenbar beliebig wechselnden Hendekasyllaben der anschließenden carmina (32/33, 35/36, 38, 40/41/42/43, 45/46/47/48/ 49/50, 53/54/55/56/57/58/58a) und den eingeschobenen, wiederum zweimal sogar direkt nebeneinanderstehenden Fremdversmaßen (34, 37, 39, 44, 51/52, 59/60).922 Festzustellen ist jedoch nicht nur das Fehlen einer vergleichbar sorgfältigen metrischen Anordnung. Auch inhaltlich ist bislang kein vergleichbarer Zusammenhalt einer c.1-14 oder c.l4a-26 entsprechenden Gruppe mit einer einheitlichen Aussage wie im oben beschriebenen 'Lesbia'-libellus bzw. einer gemeinsamen Zielsetzung wie im 'Aurelius- und Furius'-libellus erkennbar, obwohl Catull leicht aus dem vorhandenen Mate918 919 920 921 922

Siehe o. S.243f. Siehe o. S.76ff. Siehe auch o. S.90 und u. S.304ff. zu c.27. STROH (1990) S.141. Zu letzterem vgl. auch WHEELER (1934) S.29 und dagegen z.B. den zu flüchtigen QUINN (1959) S.106 Anm.ll "Each poem the metre of which is not hendecasyllabic is usually followed by one or more pieces in hendecasyllabics" oder SYNDIKUS (1984) S.60, für den es bereits genug Variation ist, wenn c.29-31 in verschiedenen Maßen gegeben sind. Der Bau der Zyklen/libelli 1-14 und 14a-26 zeigt jedoch eindeutig, daß es dort nicht nur auf solch einen beliebigen Wechsel ankommt, sondern daß die Fremdversmaße gezielt und getrennt zur Strukturierung von Hendekasyllaben-Gruppen eingesetzt sind.

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rial etwa eine Caesar-Gruppe hätte bilden oder c.69ff. die Gellius-Epigramme stärker hätte zusammenfassen und in einen kleinen Lesbia-GelliusTeil einbinden oder die Quintius- und Caelius-Gedichte auf die Veroneser Freunde (c.82, 100) zu einer äußerlich dem 'Aurelius- und Furius'-libellus entsprechenden, geschlossenen Einheit fügen können, zumal bei letzteren mit c.100 wie mit c.16 ein an zwei Adressaten gemeinsam gerichtetes Gedicht vorliegt, das auch die c.UO und 111 adressierte Aufillena nennt. Aber selbst im Kleinen sind unter den restlichen Gedichten c.27ff. nicht mehr dieselben Anordnungsprinzipien nachzuweisen wie in den beiden anfänglichen libelli. Denn auch das seit WESTPHAL immer wieder beachtete Prinzip der zwei zueinandergehörigen, durch ein drittes Gedicht getrennten carmina, wie es mit c.2 und 3 (bei Annahme eines selbständigen c.2a) und c.5 und 7 am augenfälligsten ist und mit den Paaren 37/39, 41/43, 69/71, 70/72, 85/87, 107/109 fortgesetzt scheint,923 ist c.27ff. nicht wirklich vorhanden. Bei den Paarungen c.37ff. fehlt schließlich die für c.2/3, 5/7, die metrische Ausnahme 9/11 und die abschließenden c.12/14 zu beobachtende inhaltliche Weiterführung, ja z.T sogar Steigerung, wie sie vor allem mit dem Spatz und dem Tod des Spatzen, Catulls Schwelgen in Küssen und Lesbias Frage, wieviel er denn nun eigentlich küssen möchte, vorliegt, aber ja auch für Intensivierung der Freundschaftsbekundungen der c.9 und 11 zu vermuten war und vielleicht sogar bei der letzten Gruppe, wenn zunächst nur der Bruder eines der Freunde Catulls im Spaß bedroht wird, seine Freunde selbst aber noch gepriesen werden, während danach einem Freund selbst scherzhaft Catulls Rache angedroht ist. Verglichen damit wirkt z.B. das zweite Gedicht des Paares 37/39 als bloße Wiederholung, ist doch lediglich das bereits c.37 in V.20 schon vorhandene Motiv mit c.39 zu einem ganzen Gedicht ausgeweitet und nicht etwa ein zunächst nur erst allgemein abfällig behandelter Egnatius anschließend zur Erklärung näher mit seiner eigenartigen Form der Mundhygiene vorgestellt. Ebenfalls weitgehend ähnlich wirken die beiden Ameana-Gedichte 41/43, die ausgehend jeweils von dem häßlichen Äußeren, speziell der Nase, der jeweils als solche identifizierten Mamurra-Freundin handeln und nur in der Form der Verspottung ihrer eingebildeten Schönheit variieren.924 Und sogar z.T. direkt als Dubletten müssen die übrigen Paare erscheinen: c.69/71 über den Achselgeruch und sonstige bei der Damenwelt störende Gebrechen, 70/72 über Frauen/Lesbia, die dem Catull angeblich nicht einmal Juppiter vorziehen würden, und c.85/87 sowie 107/109 über Catulls unglückliche oder erfüllte Liebe, obgleich in letzterem Fall die Bitte an die Götter um ein aetemum foedus amicitiae (c. 109,6) durchaus als inhaltliche Steigerung wirken kann.925 Es ist jedoch nicht nur eine den c.1-14 entsprechende inhaltliche Weiterführung vielfach bei den 923 924

925

Zur bisherigen Forschung siehe o. S.49. Als gezielt angenommen wird dagegen die Aufeinanderfolge der carmina beider Paare 37/39, 41/43 von z.B. FORSYTH (1977) S.315 Anm.9 sowie in ihrem Beitrag über den Ameana-Zyklus, OFFERMANN (1978) S.55. Vgl. z.B. OFFERMANN (1977) S.299; zu c.70/72,107/109 jetzt MILLER (1994) S.58ff.

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späteren Pärchen zu vermissen; es fehlt überdies, was m.E. doch gerade das Entscheidende war, ein vergleichbarer Bezug zum eingeschobenen Trenngedicht, das wie für die Dreier-Gruppen der c.1-14 den Inhalt der umschließenden carmina in ironischer, jeweils auf Catull selbst bezogener Weise widerspiegelt. Die späteren Trenngedichte, c.38 an Cornificius, c.42 an die herbeigerufenen Hendekasyllaben,926 c.70 über die Treulosigkeit der Lesbia bzw. C.71 über den der Liebe abträglichen Achselgeruch eines Rivalen,927 C.86 über die verglichen mit seiner Lesbia nicht wirklich schöne Quintia und C.108 über das Schicksal des Cominius nach seinem Tod haben keinen solchen Bezug mehr zu den sie umgebenden carmina, geschweige denn die gleiche Funktion wie für die c.2a, 6, 10 und 13 beobachtet. Während es sich somit bei den c.2-14 tatsächlich um lauter jeweils aufeinander bezogene und auch unmittelbar aufeinander folgende, den gesamten libellus vom ersten bis zum letzten Gedicht bestimmende Dreier-Gruppen handelt, sind die von der Forschung sonst neben c.2/3 und 5/7 genannten restlichen Paarungen in Wirklichkeit eben nur Zweier-Paare und kein direkt vergleichbares Phänomen und zudem auch nur ganz vereinzelt in der weiteren Catull-Sammlung anzutreffen. Und während für die c.1-14 auf Grund der so strengen Bezüge im vorausgehenden Kapitel zu vermuten war, daß mehrere dieser Gedichte auch erst direkt für den geplanten Zusammenhalt des libellus gedichtet wurden,928 so ist m.E. für die sonstigen Paare eher das Gegenteil anzunehmen, daß nämlich lediglich bereits vorhandene Gedichte nach dem oberflächlich gesehen ähnlichen Prinzip wie bei c.1-14 bei der Schaffung des Corpus Catullianum zusammengestellt sind. Alle diese Gedanken zur Andersartigkeit von formaler wie inhaltlicher Anordnung der c.27ff. im Gegensatz zu den beiden libelli sind freilich noch keinesfalls ein Argument gegen eine von Catull selbst hergestellte Gesamtausgabe. Der soeben vorgetragene Vergleich mit dem Aufbau der restlichen 926

927

928

Daß auch in diesem Gedicht Ameana gemeint sein könnte, also doch eine Beziehung besteht, wie z.B. OFFERMANN (1977) S.277 nach KROLL vermutet, geht aus dem Text nicht hervor und ist eher zweifelhaft: In c.41 hatte Catull schließlich jeden Kontakt mit Ameana zurückgewiesen, so daß nicht einsichtig ist, warum gerade sie in c.42 Catulls codicilli besitzen sollte. FERGUSON (1986) S.18 erkennt allerdings auch c.69-71 bewußte Anordnung, "adding to the meaning of all three", daß nämlich alle drei Lesbia-Gedichte seien: "she has given him up for this goat"; ähnlich übrigens schon OFFERMANN (1978) S.51. Die Einbeziehung von c.70 als Grund für die Angriffe von c.69 scheint in der Tat zunächst gelungen, vor allem wenn man das Rufus-Gedicht c.77 zur Erklärung der Beziehung Catulls heranzieht. Doch paßt FERGUSONs Deutung wirklich zum Wortlaut der drei Gedichte? C.69 wird Rufus ja schließlich im Gegenteil darüber aufgeklärt, warum er keinen Erfolg bei der Damenwelt hat (so das Gedicht einrahmend V.lf. noli admirari, quare tibi femina nulla ... und V.9f. quare ... aut admirari desine, curfugiunt). Ausgerechnet dieser Rufiis, der keine Frau bekommt, soll dem einst Juppiter vorzuziehenden Catull seine Lesbia ausgespannt haben? Auch wenn c.69 ein lediglich fiktiver Angriff ist, ist angesichts der Art, wie c.69 und 70 von Catull formuliert sind, eine logische Verknüpfung, wie sie FERGUSON sehen will, für den unvoreingenommenen Leser ohne Kenntnis von c.77 gerade nicht herstellbar. Siehe o. S.271ff.

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Polymetra und die Überlegungen zur Anwendung des Trenngedicht-Prinzips im Corpus Catullianum sollen vielmehr nur ein weiteres Mal die Einzigartigkeit und strenge Ordnung der beiden postulierten libelli verdeutlichen. Doch nicht nur in diesen libelli, auch sonst mag noch vielfach in der erhaltenen Sammlung der 116 Gedichte Catulls eigene ordnende Hand zu spüren sein,929 sei es nun tatsächlich für sein gesamtes Corpus, sei es nur in Resten weiterer früherer libelli. Interessanterweise glaubt nämlich z.B. FORSYTH mit den von ihr als "foul mouth poems" beschriebenen und darüber hinaus "in terms of persons involved" verbundenen, ja einander ergänzenden c.97 und 98 auf die Stinker Aemilius und Victius/Vettius und zusätzlich c.99 über den offenbar von Juventius als abstoßend empfundenen Kußversuch Catulls (vgl. V.9f.) ebenfalls eine zusammengehörige Triade mit ironischer Wiederaufnahme des "foul mouth theme" und Anwendung auf Catull selbst entdeckt zu haben,930 die zwar mit c.99 am Ende statt in der Mitte nicht die gleiche Abfolge bietet und auch nicht so offensichtlich ist, wie die hier für den 'Lesbia'-libellus erschlossenen Dreier-Gruppen, aber immerhin demselben Muster zu folgen scheint. Auch die oben genannten weiteren Paare unter den c.27ff. mögen von Catull selbst nach dem Vorbild der c.1-14 gebildet sein, der dazu natürlich nicht dieselbe strenge Abfolge erzielen konnte, wenn er nur von bereits vorliegenden, z.T. ja vielleicht schon einzeln verbreiteten carmina ausgehen mußte. Denkbar ist es jedoch auch umgekehrt, daß Catull ein früher schon angewandtes Prinzip später in seinen sorgfältig gebildeten 'Lesbia'-libellus übernommen, aber durch zusätzliche inhaltliche Einbeziehung auch des Trenngedichts noch weiter verfeinert hätte, so daß z.B. das Ameana-Pärchen über die Mamurra-Freundin oder die Paare auf die untreue Lesbia aus einer den hier erschlossenen beiden libelli zeitlich vorausgehenden Publikation stammen müßten, was genau zur unten vermuteten Chronologie der Caesar-/Mamurra-/Mentula-Gedichte oder angesichts des abschließenden, rückblickenden Charakters des ersten libellus auch zu den Lesbia-Paaren paßt. Daß Catull solche Bücher nicht gänzlich übernommen, evtl. nur bestimmte Gedichte ausgewählt und z.B. auf ihm nunmehr unpassend erscheinende Einleitungs- und Widmungsgedichte verzichtet hat, falls es diese bei seinen anderen Sammlungen mit z.B. vorwiegend für sich selbst sprechenden und scheinbar gezielt an die primären Adressaten wie Caesar und Gellius gerichteten Invektiven wirklich gab, ist

929

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So ja ebenfalls z.B. WHEELER (1934) S.253 Anm.46 und mit Bezug auf diesen PULBROOK (1984) S.77 Anm.32 "probably more cases of the original order exist in our collection than we can detect". FORSYTH (1978/79) S.404ff.: "Catullus, who had just been castigating Aemilius and Victius for their foul mouth, is unexpectedly condemned by Juventius for his own foul mouth" (V.9f.). Ob freilich die Erwähnung eines Aemilius "followed at once by the mention of a Vettius, would ring a very special bell in the mind of Roman readers", wie FORSYTH weiter annimmt und durch Spekulationen bezüglich der Identität der beiden zu stützen sucht, muß fraglich bleiben. Zur Folge von c.97 und 98 vgl. ansonsten bereits WISEMAN (1969) S.29.

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ebenfalls nicht undenkbar. Wenn ein solcher früherer libellus nicht genauso streng und mit einer zentralen Aussage gebaut war, wie die beiden späteren 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furius'-ft'fte//i, sondern eher nur eine lockerere Zusammenstellung unterschiedlicher Gedichte und Metren darstellte, wie z.B. Martials größere Epigrammbücher verglichen mit seinem kleinen Buch über die Einweihung des Kolosseums, ist vielmehr gut vorstellbar, daß er, der Autor selbst, nicht etwa ein fremder Herausgeber, dessen ursprüngliche Anordnung zugunsten seiner beiden neuen libelli, die ihm als jüngste und sorgfältigste Schöpfungen natürlich am wichtigsten gewesen sein dürften und dementsprechend das Corpus beginnen sollten, teilweise aufgegeben und nach polymetrischen und epigrammatischen Gedichten getrennt hat, um seine restlichen carmina an die der anfänglichen libelli anzupassen bzw. diese wegen der in ihnen fehlenden Epigramme nicht als metrisch gesehen eigenartige Fremdkörper seinen gemischten weiteren Büchern voranzusetzen. Wenn Catull also neben den hier postulierten libelli nur mehr grober geordnete Bücher z.T. ohne thematische Konzentration mit Gelegenheitsgedichten zu den verschiedensten Anlässen sowie z.T. eben einzeln in Umlauf gebrachte Gedichte und hier vor allem Epigramme vorlagen, wird verständlich, warum die c.27ff. willkürlicher aufeinander zu folgen scheinen und Polymetra und Epigramme in zwei Gruppen getrennt sind. Ja, er mag zugunsten einer breiteren Streuung der Themen, wie sie z.B. FERGUSON verdeutlicht, auf eine ähnliche inhaltliche Konzentration weiterer Zyklen wie c.2-14 oder 14a-26 sogar bewußt verzichtet haben, um nicht - wie etwa bei E.A SCHMIDTs Lösung mit dem dritten Zyklus der 'Ding-Apostrophen' - nur für die ersten Dreiviertel seines polymetrischen Sammlungsteiles einen geordneten Aufbau vorzuweisen, für das letzte Viertel jedoch zwangsläufig die restlichen Gedichte als bloße Einzelstücke ohne erkennbare und mögliche Ordnung aneinanderzureihen. Mit der Annahme zweier ursprünglich selbständiger libelli zu Beginn des Corpus Catullianum ist somit nicht widerlegt, daß nicht auch das Corpus als Ganzes von Catull stammen könnte. Akzeptiert man die erschlossenen libelli als Kompositionen Catulls, wird durch sie im Gegenteil das System der Paare mit Trenngedicht und auch ein metrisches Variationsprinzip unter den Polymetra für den Autor selbst belegt und ist zumindest, falls nicht auch c.27ff. tatsächlich von Catull so geordnet sind, auf Catulls Vorbild der c.2-26 zurückzuführen. Belegt wird durch die beiden libelli ferner, daß von Catull die einheitliche Anwendung nur eines einzigen Ordnungsprinzips auch gar nicht zu erwarten ist, da er schon im zweiten libellus Hendekasyllaben und Gedichte in anderem Versmaß in leicht variiertem Zahlenverhältnis verteilt und auf die Dreiergruppe mit metrisch gleichem und inhaltlich bezogenem Trenngedicht verzichtet, statt dessen aber thematisch zusammengehörige Gedichte im selben Versmaß als Paare nacheinander gesetzt (c.15/16 und 23/ 24) und diese dann durch ein andersartiges carmen von einem dritten, dem Paar inhaltlich zuzuordnenden getrennt hat (c.21 und 26). So mag er selbst durchaus c.27ff. wieder anders, jetzt freier aneinandergereiht haben. Vor al-

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lem aber wird belegt, daß das Aussparen von Epigrammen bzw. Gedichten in Distichen ein tatsächlich von Catull selbst und sogar für zwei libelli angewendetes Prinzip darstellt, so daß die eigenartig wirkende Anlage des Corpus Catullianum mit seinen drei Teilen insgesamt erklärbar wird,931 wenn man die beiden libelli am Anfang als Ausgangspunkt der Zusammenstellung nimmt. Andererseits bedeutet dies freilich noch nicht, daß nicht auch ein postumer Herausgeber so hätte verfahren können, der ja vielleicht doch für das Corpus verantwortlich sein, oder zumindest an den jeweiligen Enden wie unter den c.55ff. zusätzliche Stücke eingefügt haben mag, wie es die Forschung auch vielfach annimmt. Lediglich die Zusammensetzung der Sammlung wird m.E. jetzt besser verständlich, wenn diese in der beschriebenen Weise ausgehend von zwei schönen, sorgsam gestalteten libelli, vielen einzeln verbreiteten Gedichten und weiteren Einzelbüchern/-blättern oder (im Fall einer späteren Redaktion) vielleicht ja nur deren Bruchstücken erfolgte. Was nun aber die Authentizität der Anordnung auch der restlichen Gedichte betrifft, so wäre es am einfachsten, auf die diesbezüglichen Untersuchungen der Forschung zu verweisen, die in der Einleitung und im zweiten Kapitel ja z.T. schon angesprochen wurden. Die von der Forschung herausgearbeiteten vielfachen Bezüge sollten dort schließlich - abgesehen von wenigen Ausnahmen - nicht abgelehnt und widerlegt werden. Nur ihre Beweiskraft war zunächst ein wenig skeptisch zu betrachten; daß Bezüge zwischen weiteren Gedichten tatsächlich bestehen und auch von Catull intendiert sind, ist sehr wohl möglich, zumal die meisten der bisherigen Untersuchungen ja eben nur c.2-26 (bzw. 2-11 oder -14 und 15-26) oder nur andere Gedichte als diese, und zwar von c.27 an, betreffen (vgl. die entsprechende Dreiteilung der Polymetra bei WISEMAN, SKINNER, VAN SICKLE oder auch Ε. Α. SCHMIDTS drei Zyklen c.2ff., 15ff., 3 Iff.), so daß sich keine Probleme mit der Abteilung der hier postulierten libelli ergeben. DEITMERS neuer, ohnehin zweifelhafter Gesamtplan ist m.E. allerdings durch diese widerlegt, da jetzt ihr dritter Zyklus und damit der geschlossene Aufbau des Corpus in mehreren unmittelbar aneinander anschließenden Zyklen zerstört ist.932 Zu modifizieren und bloß als letzter Teil des 'Lesbia'-Büchleins zu sehen, ist ferner FORSYTHs bis c.17 reichender und angeblich als Übergang zu den sich allmählich in den Vordergrund drängenden Aurelius- und Furius-Gedichten dienender Zyklus 'Gifts and Giving', weil c.l4a eben als Einleitungsgedicht des 'Aurelius- und Furius'-Büchleins ebenso wie c.15 und c.17 darin nicht mehr eingebunden sind. Auch die von SCHMIDT herausgestellte zahlenmäßige Übereinstimmung von jeweils vier Gedichten c. 12-14a und c.2730 zwischen den drei Sechser-Zyklen und hier vor allem seinen 'Ding931

Vgl. z.B. FORSYTH (1978/79) S.403: "At first glance, there is something artificial about a corpus so neatly divided into three parts." Sollte es freilich gelingen, die restlichen carmina ihres dritten Zyklus doch wieder neu zu einer Ringstruktur zusammenzufassen, würde dies lediglich zeigen, wie beliebig solche Zyklen herzustellen sind.

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Apostrophen' ist angesichts der Zugehörigkeiten der ersten vier Gedichte zu zwei ursprünglich selbständig konzipierten Einheiten nicht mehr signifikant, während andererseits durch die beiden hier vorgestellten libelli mit den deutlich in das 'Lesbia'-Buch einbezogenen c.9, 12 und 13 seine Ablehnung eines 'Veranius- und Fabullus'-Zyklus c.9-28/47 zu bestätigen ist. Und vergleicht man die restlichen Sammlungsteile mit den libelli c.1-14 und 14a-26 mit ihrem linearen Aufbau, wäre ich auch mit der Annahme einer in der Forschung so beliebten Ringkomposition für die Anordnung von Catulls weiteren Gedichten und hier speziell den carmina maiora um c.64 als Mitte eher vorsichtig. Denn auch wenn sich im Bau einzelner Gedichte noch so schöne Ringstrukturen ergeben mögen, scheinen c.61-68 genauso wie die Gedichte des 'Lesbia.'-libellus doch eher ein gradliniges, jetzt freilich in erster Linie metrisches Fortschreiten zu zeigen, wie es mit c.61 und den elegischen Versen von C.65 an ganz offensichtlich ist, die auch nach inhaltlichen Gesichtspunkten, so zum Übergang von Alexandrinisch-Kallimacheischem wie in c.64 zu Privatem wie dann in c.69ff., angeordnet sind. Auch ohne jeden Gedanken an eine Ringkomposition hätte sich folglich die vorliegende Abfolge ergeben können.933 Um nicht ungehaltene Reaktionen von den von der Authentizität und Einheit des Corpus als Ganzes überzeugten Forschern zu provozieren, sollte und könnte die hier vorgelegte Untersuchung an dieser Stelle mit dem Hinweis auf die Ergebnisse eben dieser Forscher zu den Bezügen zwischen den weiteren carmina (z.B. OFFERMANN, SKINNER, FERGUSON, KING), dem zyklischen Aufbau weiterer Sammlungsteile (z.B. E.A. SCHMIDT, FORSYTH und für die carmina maiora MOST, LEFÈVRE) oder etwa zur programmatischen Funktion von c.27 und 65 und der Rahmung der Epigramme durch c.65 und 116 (z.B. WISEMAN) beendet werden. Sollten evtl. weitere geschlossene Einheiten unter den c.27ff. feststellbar (vgl. z.B. die 'Ding-Apostrophen') oder die Einheit des Corpus unzweifelhaft durch solche Bezüge wie den zwischen c.65 und 116 beweisbar sein, werden dadurch die hier für die anfänglichen c.1-26 getroffenen Annahmen nicht beeinträchtigt, da durchaus mehrere, ursprünglich selbständig konzipierte Teile zugrunde liegen können. Nur zur Verteidigung des hier vorgestellten Ansatzes mit den zwei libelli ist ja die Ablehnung des Corpus als authentische weitere Edition 933

Siehe ferner u. S.309. Nicht nach der streng metrischen Folge und ohne die sonst häufige inhaltliche Variation mit Trennung zweier gleichartiger Gedichte durch ein weiteres sind freilich die beiden Hochzeitsgedichte c.61 (Glykoneen) und 62 (Hexameter) und das eigentlich sowohl auf Grund der sonst eingehaltenen metrischen Gesichtspunkte wie aber auch zur inhaltlichen Abwechslung dazwischen gehörende Attis-Gedicht c.63 (Galliamben) neben dem folgenden ebenfalls mythischen c.64 (Hexameter) überliefert (vgl. dazu z.B. schon WESTPHAL [21870] S.llf.), doch mag hier natürlich nur ein Abschreiber Ahnliches, d.h. eben die Hochzeitsgedichte direkt nacheinander gesetzt haben. Vgl. ferner CLAUSENS Erklärung für die Anordnung der carmina maiora (1976) S.40. Auch LEFÈVRE (1991) S.325f. spricht im übrigen nicht mehr von Ringen, sondern von einer "vom Glück zum Unglück", "vom Objektiven zum Subjektiven" verlaufenden Linie.

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des Autors nicht nötig, zumal dann nicht, wenn man in den ersten libellus wie STROH in den ersten Teil seines 'Liederbuches' - gegen die neuen Überlegungen zu Martials Epigramm 1,35 und gegen den schließlich auch von den Einheitsvertretern bestätigten Bezug c.1-14 vorsichtigerweise nur c.2-14 einbeziehen würde, etwa wegen der (m.E. jedoch erklärbaren) metrischen Andersartigkeit seiner Hendekasyllaben, nicht aber auch c.1,934 so daß sogar die Bezüge zwischen den Formulierungen von c.l und den drei Teilen der Sammlung mit z.B. QUINN, WISEMAN, FERGUSON weiterhin konstruierbar wären. Faßt man vielmehr zusammen, so sind aus der Annahme zweier ursprünglich selbständiger libelli zu Beginn der Sammlung zunächst noch keine negativen Konsequenzen für das Corpus Catullianum als vom Autor selbst gewollte und geordnete Edition zu ziehen - vorausgesetzt freilich man ist bereit, dieses nur als sekundäre Ausgabe und teilweise Neuauflage zu sehen, wie in Kap.2.1. gefordert. Die Konsequenzen aus den hier bislang vorgetragenen Gedanken sind m.E. eher positiv, nämlich daß sich die beiden erschlossenen libelli bestens in die überlieferte Catullsammlung einfügen, die benötigte Erklärung für ihren dreiteiligen Aufbau sowie die verglichen mit c.27ff. auffällig sorgfältige Ordnung am Anfang liefern und zeigen, daß die Trennung von kleineren polymetrischen Gedichten und Epigrammen zumindest ein vom 'späten' Catull selbst in zwei Büchlein praktiziertes Prinzip ist, das, auch wenn das Corpus Catullianum von fremder Hand stammen sollte, doch immerhin in seinem Sinne auf die ganze Sammlung übertragen ist. Abschließend seien allerdings doch noch einige wenige weitere Überlegungen angefügt. So sei zuerst an die anfangs in der Einleitung und auch in Kap.2.1. geäußerten Bedenken vor allem bezüglich c.l erinnert, die natürlich auch weiterhin bestehen und zunächst einmal ja von der Annahme eines 'Lesbia'- und eines 'Aurelius- und Furius'-libellus völlig unabhängig sind. Auch ohne die hier vorgelegte Untersuchung zu c.2-14 und 14a-26 gibt es schließlich mit c.l gegen WISEMAN935 ein die postulierte Einheit des Corpus nicht nur geringfügig störendes Argument. Auch wenn sie es sich z.T. nicht eingesteht, hat die Forschung damit schon ohnehin ein Riesenproblem. Wenn zu Beginn der Sammlung nun aber tatsächlich ein kleines Büchlein zu entdecken ist, das doch viel besser zu den Formulierungen des Einleitungsgedichts mit libellus paßt, wird das Dilemma freilich noch weitaus größer, so daß z.B. HUBBARDs diesbezügliche, entschiedene Einwände sehr wohl zu bestätigen sind. Während er allerdings c.l direkt als Argument für seinen libellus nimmt, wird hier ein wenig anders argumentiert und erst nachdem der libellus auf Grund anderer Indizien erschlossen und durch einen zweiten be934

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Siehe o. S.239. ·

ι

·

Siehe o. Anm.73 und (1979) S.182 "There is, in short, no reason to conjure Anonymus Postumus up from limbo [...]".

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stätigt ist, auch c.l einbezogen.936 Doch gleich wie man zu argumentieren sucht, in c.l steckt ein gewaltiges Hindernis bezüglich eines ca. 2300 Verse umfassenden Catullbuches (in einer wie in drei Rollen). Und wenn man nicht nur c.l mit seiner Bezeichnung libellus, der Beschreibung als lepidus und dem Hinweis auf nugae beachtet und mit solchen Gedichten wie dem langen c.64 vergleicht, sondern darüber hinaus auch sieht, mit welcher Sorgfalt Catull seine beiden kleinen Büchlein gebaut hat, ja für diese m.E. sogar eigens gedichtet und nicht nur bereits Fertiges zusammengestellt hat, muß es doch erst recht seltsam, wenn nicht gar unwahrscheinlich wirken, wenn er für eine von ihm selbst herausgegebene große, ein- oder gar dreibändige Ausgabe kein entsprechendes Einleitungsgedicht fertiggebracht haben soll,937 wie dies sogar Ovid mit den vier Versen qui modo Nasonis fueramus quinqué libelli/ tres sumus ... seiner eigentlich doch aus viel längeren 'Amores'-Gedichten bestehenden zweiten Auflage getan hat, obwohl diese auch ohne kurzes Einleitungsgedicht als Sammlung nicht zu beanstanden gewesen wäre. Auch Martial z.B. weist ja zu Beginn des zweiten Buches den Leser bzw. konkret Severus eigens darauf hin, daß die neue Sammlung bereits vorher einzeln vorgetragene und folglich bekannte Gedichte enthält.938 Catull aber soll wirklich selbst eine weitgehende Gesamtausgabe seiner großen wie kleinen Gedichte vorgenommen und dieses umfangreiche, vielleicht mehrbändige Werk einleitend als libellus bezeichnet haben? Zu berücksichtigen ist überdies eine kleine weitere, vielleicht auch chronologische Schwierigkeit. Denn wenn die beiden libelli wegen c.ll erst nach 55 oder später anzusetzen sind, als Todesdatum Catulls aber zumeist das Jahr 54 angegeben wird, müßte ihre zweite Auflage durch ihn selbst im Corpus schon reichlich bald nach ihrer ersten Verbreitung erfolgt sein, müßte Catull also, nachdem er nun gerade für bestimmte Gedichte eine ganz kleine Form der Publikation vorgezogen hatte, diese sehr rasch danach im anderen Extrem, einer ganz großen Edition, wiederholt haben. Wie freilich die zeitlichen Verhältnisse genau anzunehmen sind, ist noch keineswegs gesichert, da das angebliche Todesdatum, das einige Forscher ohnehin noch weiter gegen Ende der 50er Jahre des ersten Jh.s v. Chr. schieben wollen (z.B. für c.52 geht man z.T. sogar bis 47 v. Chr.),939 nur auf der Auslegung einer Äußerung

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Siehe o. S.178,244f. WISEMAN (1979) S.176 glaubt für das angebliche Elegiebuch ja sogar an eine nachträgliche Erweiterung von c.65. Mart.2,6,5ff. Zur z.T. zweifelhaften, zu stark autobiographische Realität anstatt poetischer Fiktion und freien Umgang mit Erlebtem voraussetzenden Datierung von Catulls Gedichten vgl. an älterer Spezialliteratur z.B. M. ROTHSTEIN, Catull und Lesbia, Philologus 78 (1922), S.l-34, P. MAAS, The Chronology of the Poems of Catullus, CQ 36 (1942), S.79-82, I.K. HORVÁTH, Chronologica Catulliana, AAntHung 8 (1960), S.361-368, WISEMAN (1969) S.42ff. sowie die Zusammenfassungen z.B. von SCHUSTER (1948) Sp.2355f., DELLA CORTE (21976) S.llff. und EA. SCHMIDT (1985) S.55ff.; speziell für c.52 vgl. A A . BARRETT, Catullus 52 and the Consulship of Vatinius, TAPhA 103 (1972), S.23-28.

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des Hieronymus beruht, der nachweislich mindestens einen zeitlichen Fehler begangen hat. Die Frage ist jedoch, warum Catull eine derartige Sammeledition, wie sie uns heute vorliegt, hätte vornehmen sollen.940 Daß er dies freilich selbst und sogar ohne besondere Begründung hätte tun können, wie WISEMAN einwendet,941 ist nicht zu bestreiten. Doch sollte es wirklich seinem Wunsch entsprochen haben, alle möglichen Gedichte in einem Buch zu vereinen, die feinen Stücke ebenso wie die groben und obszönen mit z.T. einstmals aktuellen und politischen Angriffen, während er schließlich mit dem libellus, mit dem er explizit das Weiterleben in der Nachwelt anstrebte (vgl. c.l,9f.), bewußt auf alles Grobe und Scharfe verzichtet hatte? Sollte also ein Catull, der gerade mit seinem feinen 'Lesbia'-Büchlein brilliert hatte, ziemlich bald darauf auch den zweiten deftigen libellus und all seine früheren Gedichte damit gemeinsam (und wohl z.T. nur als Neuauflage) herausgegeben haben und so den feinen, zarten Eindruck, den man nach der Lektüre des postulierten libellus vom Dichter bekommen hatte, sogleich mit eigener Hand in einem großen liber wieder zerstören wollen? Sollte ferner Catull selbst, nachdem er sich in einem kleinen, eine deutliche Entwicklung nachzeichnenden Büchlein mit c.8 explizit zum perfer et obdura aufgefordert, mit C.11 einen deutlichen Schlußpunkt gesetzt und alle positiven Äußerungen über Lesbia wie in c.51 ausgespart hatte, danach trotzdem Gedichte wie c.51, 107, 109 zusammen mit diesem 'he-sbia.'-libellus veröffentlichen und so doch letztlich ein versöhnliches Bild bewirken wollen?942 Wird dem Dichter hier nicht vielleicht ein bißchen zu sehr die Mentalität eines akribischen Wissenschaftlers unterstellt, der alles, was er je geschrieben hat, sorgsam sammelt und als gleichwertige Zeugnisse für seine Dichtkunst aufbewahrt, anstatt von Catull als Künstler auszugehen, der wie ein Maler auch hier und da ein paar rasche Skizzen ohne genaue Buchführung seiner Werke verteilt und verschenkt? So ist es m.E. schon fraglich, ob Catull selbst den 'Lesbia'- und 'Aurelius- und Furius'-libellus als literarisch gleichrangige Schöpfungen gemeinsam weiter tradiert wissen wollte und den zweiten nicht eher als nur für den Augenblick und für ein ganz konkretes und eingeweihtes Zielpublikum, seinen zeitgenössischen Freundeskreis, bestimmtes Spiel ansah, wie es die starke Adressatenbezogenheit und auch die voraussetzungsreichen Formulierungen von c.16 vermuten lassen.943 In diesem Zusammenhang ist - ausgehend von den Überlegungen des 3. Kapitels, der Verschärfung des Tones in einem zweiten, auf ein vorausgegangenes Büchlein rekurrierenden libellus - möglicherweise noch eine wei-

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Ein sicherer terminus ante für Catulls Tod liegt leider sehr spät, erst bei 32 v. Chr. (vgl. Nepos Att.12,4). Vgl. soweit auch HUBBARD, zitiert o. Anm.227. Siehe o. S.75f. So aber kürzlich wieder FERGUSON (1986) S.20 zu c.109: "He wanted the episode to be remembered not for the obscene bitterness of 11 or 58, nor for the despair of 8 or 76 [...]." Siehe o. S.277f.

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tere Folgerung zu ziehen. So ist interessant, daß Caesar, mit dem Catull in c.ll freundlich, im Vergleich zu seiner sonstigen Produktion fast überfreundlich umgegangen ist,944 im postulierten zweiten libellus keine verschärfte Behandlung erfährt, ja nicht einmal mehr erwähnt ist. Schon c.ll läßt vermuten, daß Caesars Intervention (über Catulls Vater?) und die bekannte Aussprache zur Zeit der Entstehung des Gedichts bereits erfolgt ist, Catull also die Einstellung seiner Angriffe zugesagt hat. Da er nun im zweiten, sonst eigentlich in jeder Beziehung schärfer gehaltenen libellus keinen neuen Angriff startet, obgleich das der unterstellte Charakter dieses Zyklus vielleicht erwarten lassen könnte, mag dies dafür sprechen, daß er sich - abgesehen von dem oben bereits besprochenen c.93, das aber vielleicht in jugendlich trotziger Weise als letztes Aufbäumen des Gemaßregelten seinen Rückzug einleiten soll (nil nimium. studeo tibi uelle piacere ...), - wirklich an die mit Caesar geschlossene Vereinbarung gehalten hat. Diese Beobachtung kann nun ein in der Forschung seit langem erwogenes Argument stützen,945 daß nämlich auch die ganze Sammlung des Corpus Catullianum nicht von ihm selbst so ediert wurde, weil eine nochmalige Publikation der zweifellos bereits vorher und vielleicht einzeln vorliegenden Caesar-Gedichte ein neuerliches Aufwärmen des Konflikts und einen neuen Affront darstellen würde - zumal in einem Buch, für das c.1,10 explizit den Wunsch plus uno maneat perenne saeclo erhebt. Wenn die Forschung diesem Argument lediglich damit zu begegnen pflegte, daß einem Dichter wie Catull ein solcher erneuter Bruch mit Caesar nichts ausgemacht hätte,946 so ist dies bloße Behauptung 944

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Zu c.ll und dessen evtl. ironischer Behandlung von Caesar siehe o. S.182 mit Anm.612; siehe ferner auch o. S.169f. zu c.93. Versteckte Polemik gegen Caesar sogar in c.5 und 7 findet M. VÄISÄNEN (La musa dalle molti voci [...], Helsinki 1988, S.157ff.), kann dies aber nicht überzeugend belegen. Vgl. z.B. schon SCHULZE (1881) S.198, RIESE (1884) ρ,ΧΧΧΙ, WHEELER (1908, o. Anm.27) S.194, (1934) S.241, Β. SCHMIDT (1914) S.279, STOESSL (1977) S.234 Anm.2; für FRANK (1928) S.98 ist es sogar "a stronger proof' und vgl. selbst E A . SCHMIDT (1985) S.32: "Zu denken gibt, daß Catull trotz der Versöhnung [...]". Vgl. z.B. SCHUSTER (1948) Sp.2367 "Der Einwand, daß C. die heftig losfahrenden Epigramme wider Caesar und dessen Anhänger nicht hätte aufnehmen können [...] durch des Dichters stürmisch-sorgloses Naturell entkräftet". Für WISEMAN (1969) S.35 ist die Lösung, daß die Aussöhnung - wenn die c.29 und 57 enthaltende Sammlung nicht davor veröffentlicht wurde - keine "whole hearted conversion" war, "did not mean very much" und ähnlich für E A . SCHMIDT (1985) S.33, daß sie nur "vorübergehend" war, was er mit Hinweis auf c.54 und 93 belegen will (c.54 ist jedoch lediglich Catulls Spiel mit dem zornigen Caesar, eine erfolgte Verständigung geht daraus noch nicht hervor; zur Deutung von c.93, das mit der neuen Interpunktion schließlich explizit einen Schlußstrich zieht, siehe die obigen Ausführungen). Als Alternative erwägt er, daß Catulls Attacken zu bekannt waren "als daß ihre Unterdrückung in der Gesamtausgabe irgendeine Wirkung gehabt hätte". Es besteht allerdings ein erheblicher Unterschied darin, ob lediglich früher einmal in Umlauf gegebene Gedichte auch weiterhin und ohne Zutun des Dichters im Bewußtsein bleiben, oder ob dieser selbst durch eine Neuauflage dafür gesorgt hat, daß sie nicht in Vergessenheit geraten. So ist SCHMIDT keinesfalls zuzustimmen, wenn er in der Aufnahme gegen Caesar gerichteter Gedichte ins Corpus eine alle Editionsvorschläge, vom Dichter verbreitete Einzelbüchlein wie eine postume Gesamtausgabe, betreffende

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und keine wirkliche Widerlegung. Für einen unabhängigen Dichter und scharfen Spötter ohne politische Rücksichtnahmen, als der sich Catull mit seinen carmina und ihren Angriffen gegen alle Seiten (Caesar, Pompeius, Cicero) erweist und als der er auch von Martial zum Vorbild genommen ist, mag dies tatsächlich zutreffen, aber muß das auch für den Sohn Catull gelten, wenn ihn sein Vater darum gebeten hat, die alte Gastfreundschaft mit Caesar nicht zu gefährden, oder wenn er, von Caesar daran erinnert, von sich aus auf seine Familie Rücksicht nehmen wollte? Wie sehr ihm zumindest seine Heimat am Herzen lag, zeigt c.31; für sein tiefes Verhältnis zu seinem Bruder vgl. die starke Reaktion auf dessen Tod mit c.65 und 68. Für die Chronologie der Caesar-, Mamurra- und auch Mentula-Gedichte (trotz des Pseudonyms oder besser Spitznamens blieb für Zeitgenossen die Identifikation auch weiterhin gewiß leicht möglich, so daß selbst solche Gedichte nach der überlieferten Aussöhnung kaum denkbar sind)947 würde dies weiter bedeuten, daß sie zumindest z.T. nach dem ersten Britannienfeldzug (so C.29),948 allesamt aber vor der Publikation von Catulls hier rekonstruiertem ersten libellus (und natürlich auch dem zeitlich darauf folgenden zweiten) anzusetzen sind, der seinerseits durch die im Zusammenhang mit Caesar erwähnten Fakten in c.ll eindeutig nach dessen Rheinübergang und zumindest erster Britannienfahrt und damit zumindest nach Ende 55 v. Chr. zu datieren ist.949 Faßt man nun erneut zusammen, so scheint es doch einige immerhin erwägenswerte Überlegungen und mit c.l ein wirkliches Argument gegen eine direkt von Catull edierte Gesamtausgabe zu geben, so daß man m.E. höchstens die Anordnung der Gedichte des Corpus auf den Autor selbst zurückführen kann, wie man sie etwa als private Sammlung in seinem Nachlaß aufgefunden haben mag. Dagegen, daß Catull selbst sein Corpus als solches ediert hat, spricht deutlich c.l; dagegen, daß er eine solche Edition zu Lebzeiten geplant und damit, durch seinen frühzeitigen Tod überrascht, nicht mehr fertig geworden ist, spricht evtl. das Caesar-Argument. Daß allerdings Catull, im Sterben liegend, das Corpus vielleicht gar als postum zu edie-

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Schwierigkeit sieht, zumal letztere auch erst nach der Ermordung Caesars und z.B. im Laufe des 1. Jh.s n. Chr. erfolgt sein mochte. Vgl. bereits B. SCHMIDT (1914) S.273 mit Hinweis auf 29,13; genau umgekehrt jedoch WISEMAN (1969) S.35 nach FERRERÒ, daß das Pseudonym verwendet wurde "because of Caesar's objections to the attacks on Mamurra by name". Damit gesteht WISEMAN freilich indirekt Catulls Rücksichtnahme ein und stützt sogar den Einwand gegen die Authentizität seiner überlieferten Sammlung. Denn hätte Catull, wenn er schon eigens einen Decknamen wählte, um Caesars Einwände scheinbar zu umgehen, in unserem Corpus zugleich mit solchen neuen carmina auch wieder die alten auf Caesar und speziell den explizit angegriffenen Mamurra veröffentlichen sollen? Siehe dazu aber auch o. Anm.861. Für STOESSLs Annahme (1977, S.216), c.ll sei vor den Caesar-Invektiven entstanden, fehlt ein sicherer Anhaltspunkt.

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rende Gedächtnisedition geplant hat, so daß Caesar das Andenken des Verstorbenen hätte achten müssen oder höchstens dem Herausgeber, nicht Catull und seinem Vater Vorwürfe wegen Wiederholung der Angriffe hätte machen können, ist zunächst weiterhin denkbar. Im übrigen ist nochmals zu betonen, daß beide Argumente der Forschung lange bekannt und häufig lediglich verdrängt oder umgangen (c.l) bzw. offenbar vergessen (Caesar) wurden, daß sie also keineswegs von den hier erschlossenen libelli oder denen HUBBARDs und STROHs abhängig und etwa allein mit deren Ablehnung zu entkräften wären, sondern daß sie lediglich durch die aus diesen zu gewinnenden Schlüsse zusätzliche Unterstützung erfahren.

Auch gegen die überlieferte Anordnung der Gedichte gibt es allerdings zwei bislang übersehene Einwände, die gerade die beiden betreffen, die die Forschung als besonderen Beleg für die von Catull selbst hergestellte Einheit der Sammlung zu interpretieren pflegt und an ihrer Stelle auch notwendig als programmatische Verse zur Gliederung des Corpus braucht; das sind C.27 und 65. Wie bereits in der Einleitung gefordert, ist jedoch auch für diese Gedichte sorgfältig auf ihren Wortlaut und besonders darauf zu achten, was es für sie selber und die folgenden carmina bedeutet, wenn sie in der überlieferten Abfolge stehen: Mit seinen nur sieben Versen und seiner doppelten Aufforderung einerseits an den Tischsklaven, minister uetuli puer Falerni (V.l), dem sprechenden 'Ich' nun calices amariores aufzutragen (V.2), und andererseits an die üblicherweise beigemischten fymphae, uini pemicies fortzuziehen zu den seueri, sich also zugunsten des merus Thyonianus vom Wein des Dichters künftig fernzuhalten (V.5-7), ist c.27 zunächst einmal für sich allein genommen ein scheinbar harmloses Gedicht ohne tieferen Hintersinn, das in der Tradition von Trink- und Symposion-Dichtungen steht, wie sie bereits in der griechischen Lyrik nachzuweisen ist. Die seueri sind natürlich wiederum wie in c.5,2 die Catull und seinen freimütigen, ausschweifenden Handlungen (dort Küssen) kritisch gegenüberstehenden und folglich auch beim Weingenuß gewiß beherrschten älteren bzw. eher konservativ sittenstrengen Römer, die selbst weder öffentliche Kußorgien veranstalten noch wohl jemals eine solche Ungehörigkeit begehen würden, Wein rein und ungemischt zu trinken. Wie die 'konventionellen' Interpretationen und Angaben in den Kommentaren mit ihren vielen Parallelstellen zeigen,950 ist c.27 somit zweifellos gegen SKINNER - auch ohne Unterstellung einer programmatischen Funk950

Vgl. z.B. PUTNAM (1969) S.850ff., WOYTEK (1975) S.75ff. und SYNDIKUS (1984) S.172ff., der ebenfalls die "grämlichen Sittenwächter" mit denen von c.5 vergleicht und überdies als besondere Ungehörigkeit erkennt, daß bei Catull eine Gelagekönigin mit einem "gut römischen Namen" präsidiert (V.3 ut lex Postumiae ¡übet magistrae).

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tion verständlich und reizvoll,951 ja vielleicht sogar noch nicht einmal so harmlos, wie es auf den ersten Blick erscheint. WOYTEK vermutet gar eine 'politische' Pointe, CAIRNS eine persönliche Anspielung durch Nennung der lex Postumiae magistrae (V.3) auf eine gleichnamige, wirklich existierende "mistress of Caesar".952 So ist es schon ohnehin keineswegs gesichert, daß c.27 darüber hinaus noch eine die Gedichtsammlung strukturierende Zusatzfunktion zu erfüllen hat, wie sie z.B. auch SYNDIKUS - vielleicht zu Recht - explizit ablehnt.953 Den Formulierungen des Gedichts nach möglich wäre es freilich schon, c.27 besonders mit WISEMAN, SKINNER und FORSYTH auch als Binnenprogrammgedicht zu sehen, da amaritudo gewiß als erstrebenswerte "virtue in satirical poetry" und damit die Aussage insgesamt metaphorisch auslegbar ist;954 ja Catull mag die Verse durchaus selbst in der unterstellten Funktion für eine Gedichtsammlung verwendet bzw. ihnen diese durch gezielte Plazierung zusätzlich gegeben haben. Für sein Corpus bedeutete das, daß mit diesem exakt nach dem 'Aurelius- und Furius'Zykhis/libellus überlieferten und demnach scheinbar bestens passenden Gedicht der Übergang und notwendige Neuansatz markiert wäre, so daß es mit calices amariores den Leser vorbereiten würde "for the bitter invective poems that follow".955 In der Tat folgen z.B. mit c.28, 29, 33, 36,37, 39, 41, 43,47, 49, 52, 53, 54, 57, 58, 59, 60 Angriffe auf Memmius, Caesar, Mamurra, Volusius, Egnatius und andere, z.T. recht aggressive Invektiven, die zu einem solchen Verständnis von c.27 passen würden. Aber paßt c.27 wirklich an dieser Stelle des Corpus Catullianum? Es folgen zwar Invektiven, doch mit c.31, 34, 35, 45, 46, 48, 50, 51, 55, 58a auch reichlich Freundliches und Harmloses bzw. mit C.30, 32, 38, 40, 42, 44, 56 nur leichter Spott oder Kritik; sogar das unmittelbar anschließende c.28 ist zunächst einmal ein Freundesgedicht (vgl. V.lff.) und wird erst allmählich zum Angriff auf die beiden ausbeuterischen Propraetoren. Für die unterstellte programmatische, keineswegs ja der starken Warnung von c.l4a entsprechende Ankündigung von c.27 muß dies allein noch nichts bedeuten, auch wenn bereits das danach vierte Gedicht, der wunderbare Lobpreis auf Sirmio, so gar nicht den metaphorischen calices QC1

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SKINNERs eigene Beschreibung von c.27 (1981) S.27f. als "rather puzzling skolion", das "point and meaning" nur gewinne, "if it is interpreted as a Programmgedicht in which the author playfully announces a radical new departure in the reminder of his book" ist lediglich Behauptung. Ihre Ablehnung von PUTNAMs Deutung als "painstaking but ultimately unconvincing attempt to explicate the piece along traditional lines [...]" ist ohne jede argumentative Begründung ebenfalls reine Behauptung. WOYTEK (1975) S.75ff., CAIRNS (1975) S.27. SYNDIKUS (1984) S.173 Anm.12: "Mir scheint ein solcher metaphorischer Hintersinn in einem Gedicht, in dem es allein auf ein hemmungsloses Fallenlassen in Trunkenheit und Rausch anzukommen scheint, wenig wahrscheinlich zu sein." WISEMAN (1969) S.7f., GOOLD (1974) S.8f., (21989) S.241, CAIRNS (1975) S.24ff., DELLA CORTE (1977) ad loc., SKINNER (1981) S.27f., FERGUSON (1985) S.85, (1986) S.5, FORSYTH (1989) S.82. FORSYTH (1989) S.82; vgl. ferner WISEMAN (1969) S.8 zur in der Dichtung auch sonst üblichen Wein-Wasser Metaphorik.

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amariores entspricht. Catull mochte mit diesen - anders als mit non horrebitis c.l4a - eventuell nur bestimmte Gedichte herausgegriffen und zum eigentlichen Thema des Sammlungsteiles gemacht haben.956 Entscheidend und Voraussetzung für den programmatischen Charakter von c.27 wäre jedoch, daß tatsächlich, den Formulierungen inger mi calices amariores (V.2), ... at uos quo lubet hinc abite, fymphae (V.5) gemäß, in einer solchen Gedichtsammlung mit diesem carmen ein Übergang von eher Harmlosem zu eher Aggressivem erfolgte, daß tatsächlich erst von nun an 'starker Tobak', merus Thyonianus (V.7), aufgetischt würde.957 Aber das ist im Corpus Catullianum eben nicht der Fall. Denn c.27 vorausgegangen war nicht etwa der 'Lesbia'-Zyklus mit seinen durchweg harmlos-freundlichen c.2-14 (einzige Ausnahme sind die beiden letzten Strophen von c.ll und der irrumator Memmius als Nebenfigur von c.10), sondern aufs schärfste, aggressivste formulierte Aureliusund Furius-Gedichte wie c.15, 16, 21, 23, die noch nicht einmal zur Auflokkerung mit freundlichen carmina (wie eben c.31, 34, 35, 45, 46, 48, 50, 51 usw.) abwechseln. Wie besprochen wirken schließlich c.17 mit seinem Spott über den dummen Ehemann und vor allem c.25 an den Dieb Thallus bewußt negativ ausgerichtet, und Suffenus in c.22. ist ebenfalls keine positive Gestalt.958 Was soll also danach noch negativer, aggressiver werden (vgl. z.B. c.16,2 Aurelipathice et cinaede Furi, 23,20f. nec toto decies cacas in anno,/ atque id durius ..., 25,1 cinaede Thalle, mollior...)? Selbst wenn die Gedichte des 'Aurelius- und Furius'-Zyklus/libellus vielfach übertrieben formuliert und Fiktion sind, taugt c.27 in seiner überlieferten Stellung ausgerechnet nach den Angriffen auf Aurelius und Furius folglich nicht zum Übergang zu den weiteren Invektiven c.28ff., unter denen das meiste ebenfalls übertrieben und fiktiv sein dürfte. Auch eine metrische Deutung hinsichtlich des Gebrauchs der Hendekasyllaben-Basis, wie sie SKINNER zusätzlich gibt und auch zu V.6f. ad seueros migrate zu passen scheint ("a shift from metrical and structural severity to lively variation and lack of constraint" mit "the acceptance of freer, more flexible conventions of prosody" proklamierenden "metrical anomalies" und "corresponding relaxation of thematic structure"), ist nicht möglich und widerspricht zum einen den restlichen Formulierungen von c.27. Denn mit dem fortan aufzutragenden reinen Wein könnten nur die reinen Versanfänge der Hendekasyllaben mit ausschließlich Spondeen (calices amariores = 956

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Oben war wegen der auch strukturellen Zweiteilung der c. 15-60 mit dem herausragenden 'Aurelius- und Furius'-Zyklus und den dort deutlich dominanten negativen, obszönen Aussagen und Ausdrücken besonders von c.15, 16, 21, 23, 25 gegenüber den mit Unverfänglichem abwechselnden c.27ff. eine Beschränkung von c.l4a auf den folgenden Zyklus zu fordern. Hier müßte man für c.27 ohne eine solche Möglichkeit durch die Konzentration von Invektiven auch alle c.28ff. akzeptieren, selbst c.31 und 45, die dann der Auflokkerung dienten. So ja WISEMAN (1969) S.8 "now for the real savage stuff' mit Deutung des Namens als Anspielung auf das griechische Verbum ϋύειν. Siehe o. S.213f.

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bitterer, strenger) anstatt der wie beim Wein-Wasser-Gemisch nun mit anderen Füßen, lamben und Trochaeen, vermengten und dadurch freieren Verse gemeint sein und folglich mit c.27 insgesamt nur das Übergehen zu einer restriktiveren Verstechnik bzw. strengeren Strukturierung, während es aber im erhaltenen Corpus ja gerade umgekehrt ist: Die strengen Strukturen, die reinen Verse waren die in den c.2-26 vorausgegangenen, während die Versgestaltung schon mit c.27 selbst freier wird, das sogar zweimal eine andere Basis bekommen hat (V.l iambisch, V.4 trochaeisch) und dem weitere freiere Verse folgen, also keineswegs merus Thyonianus in calices amañores. Zur metaphorischen Einführung des metrischen Wechsels hätte c.27 nur allgemein zu größerer Ausgelassenheit durch ungezügeltes Trinken auffordern dürfen, nicht aber ausgerechnet zur Hemmungslosigkeit durch Genuß von reinem Wein. Und wie hätte zum anderen ein Leser merken sollen, daß c.27 in verstechnischer Hinsicht eine Wandlung einleiten soll, wenn ausgerechnet das unmittelbar anschließende c.28 ebenso wie die c.2-26 vorausgegangenen Hendekasyllaben die streng spondeische Basis bietet, wenn sodann mit C.29, 30 und 31 ungewöhnlich reine Jamben, Asklepiadeen mit ebenfalls streng als Längen durchgehaltener Basis und Hinkiamben kommen? Erst das fünfte Gedicht bringt die angeblich mit c.27 angekündigten freien Verse, so daß der gewöhnliche Leser, durch c.28-31 - insgesamt 65 Verse - abgelenkt, eine das Metrum betreffende programmatische Ankündigung längst vergessen hätte! Eine evtl. programmatische Funktion von c.27 ist hier also gar nicht unbedingt zu bestreiten; in Frage zu stellen ist, ob c.27 diese Funktion an seiner überlieferten Position wirklich erfüllen kann und folglich auch vom Autor selbst zur Strukturierung verwendet wurde, zumal dieser, wenn er schon keine neuen Verse schaffen wollte,959 zur Ordnung seines Corpus für einen Übergang nach c.l4a-26 gar nicht allein auf dieses Gedicht angewiesen gewesen wäre. Er hätte von den aufgenommenen restlichen carmina genausogut, wenn nicht besser, das von der Forschung ebenfalls programmatisch gedeutete c.50 verwenden können, das sogar mit seiner Anrede an den Dichterfreund Licinius Calvus eher als Binnenprogrammgedicht neben c.l an Cornelius und 14a allgemein an den Leser hätte wirken können und inhaltlich als Zusammenfassung der folgenden Gedichte mit derartigen ausgelassenen Spielereien wie in ihm beschrieben (V.lff. hestemo ... die otiosi/ multum lusimus in meis tabellis ...) weitaus schöner zum im Ton wechselhaften dritten Teil der Polymetra mit c.29, 30,31 z.B. gepaßt hätte.960 Überliefert ist 959

Vgl. aber erneut WISEMAN (1969) S.8 zu c,14a und 27: "we have to suppose that Catullus wrote these poems deliberately for this function, and for the positions in the collection which they in fact occupy." Warum ist aber c.27 - wie auch c.l4a - nicht dem Kontext angepaßt formuliert, warum ist keine Verbindung zwischen c.l4a und 27 hergestellt, warum sind die Leser nach c.l4a nicht erneut angesprochen? Der Dichter selbst hätte so verfahren und c.50 ungeachtet eines ursprünglichen Kontextes diese neue Funktion geben können. Für einen fremden, Catull-Eigenes möglichst bewahrenden Editor hätte dagegen das evtl. ja als Einleitung für das anschließend überlieferte

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nach dem 'Aurelius- und Furius'-Zyklus nun aber c.27 und damit ergibt sich, wenn man nicht nur das Gedicht selbst auf seinen programmatischen Charakter hin betrachtet, sondern, wie soeben vorgeführt, auch dessen Wirkung im Kontext, eine in jedem Fall für die Annahme eines von Catull selbst gestalteten Corpus unangenehme Alternative: Verzichtet man nämlich auf dessen zusätzliche programmatische Ausdeutung (vgl. so ja ohnehin die nicht an der Anlage der Sammlung interessierten Interpreten), fehlt nach dem zweiten Zyklus///bellus ein den Übergang markierendes Gedicht, ist WISEMANs und SKINNERs Dreiteilung der Polymetra gefährdet, erscheinen die beiden anfänglichen Zylden/libelli mit ihren eigenen Einleitungsgedichten erst recht in auffälliger Weise von einem weniger geordneten Rest ohne programmatisch-strukturierende Aussagen abgesetzt. Hält man dagegen an c.27 als Binnenprogrammgedicht fest - und man braucht in der Tat etwas Derartiges nach c,14a und dem zweiten Zyklus -, so steht man vor dem beschriebenen Problem, daß der Redaktor dieses Sammlungsteiles in Wirklichkeit ungeeignete Verse dazu verwendet hätte, so daß daraus keinesfalls ein Beleg für die Authentizität der Anordnung, eher das Gegenteil abzuleiten ist. Ähnliches gilt für c.65 und damit das erste Gedicht des oben bereits hinsichtlich des zweiten skeptisch betrachteten Paares c.65-116.951 Daß dieses carmen ursprünglich nur dazu gedacht war, die in der überlieferten Sammlung tatsächlich anschließende Kallimachos-Übersetzung 'Locke der Berenike' einzuleiten (c.66), ist, wie schon besprochen, offensichtlich962 und geht eindeutig aus dem Text hervor (vgl. V.15ff.... mitto/ haec expressa tibi carmina Battiadae) - im Corpus Catullianum folgen schließlich keine weiteren Übersetzungen. Aber auch wenn c.65 nur Einleitung, echter oder fiktiver Begleitbrief für die eine konkrete Gabe an den Adressaten Hortensius ist, die Catull ihm offenbar auf seine (ebenfalls echte oder auch nur fiktive) Bitte hin zukommen läßt (V.17), so ist es trotz seiner vergleichsweisen Kürze unter den sog. carmina malora (nur 24 Verse und damit genauso lang wie der Diana-Hymnus c.34 der 'kleinen' Polymetra) eigentlich viel wertvoller als die als Hauptsache angekündigte Übertragung c.66, die vor allem mit der Kallimachos-Rekonstruktion oder der Untersuchung von Catulls Übersetzerfertigkeiten beschäftigte, eigene Einschübe und Umarbeitungen suchende Interpreten interessieren dürfte. Denn obwohl c.65 ähnlich wie auch der Allius-Brief c.68a Entschuldigung dafür ist, aus Trauer z.Zt. nicht mehr dichten und deswegen auch Hortensius nur (aber immerhin) als Zeichen seines guten Willens (vgl. V.15ff. ... ne tua dicta uagis nequiquam eredita uentis ...) mit einer Übersetzung des Battiaden und nicht einem eigenen Gedicht nach Art des Kallimachos, wie es wohl gewünscht war, versehen zu können, ist es

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C.51 vorliegende und damit wie c.65/66, 68/68a in ein Paar eingebundene Calvus-Gedicht nicht zur freien Verfügung gestanden. Siehe o. S.53ff. So ja auch explizit WISEMAN (1979) S.176.

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zugleich ein vorzügliches Zeugnis für Catulls Dichtkunst, ein kleines sehr sorgfältig gestaltetes, mit einem über 10 Verse langen Einschub verschachtelt wirkendes Meisterwerk, das praktisch nur aus einem Satz bestehend und mit den mythischen Vergleichen und Formulierungen am Anfang (V.4ff.) und dem - möglicherweise gar ein kallimacheisches Motiv enthaltenden Vergleich mit dem Mädchen und dem Apfel am Ende (V.19ff.)%3 dem Adressaten zeigt, wozu Catull eigentlich fähig wäre.964 Wie im Fall von c.27 ist es natürlich auch bei c.65 möglich, daß es über die primäre Funktion in seiner Verbindung mit c.66 hinaus durch seine absichtliche Stellung an einem ganz bestimmten Punkt einer größeren Sammlung zusätzlich programmatische Funktion ("announcement of the metrical change") für den folgenden Sammlungsteil erhalten haben könnte, wie die Forschung wegen seiner Plazierung als erstes der nur mit Distichen gebildeten carmina 65-116 und damit Beginn des postulierten Elegie-Buches vermutet.965 Doch daß gerade das 65. Gedicht und folglich auch c.66 an dieser Stelle des Corpus postiert sind, ist noch nicht unbedingt und ausschließlich auf den Wunsch zurückzuführen, es als Binnenprogrammgedicht zu nutzen, sondern mußte sich zwangsläufig bei der Anordnung der c.61ff. ergeben, wenn Catull oder ein fremder Redaktor von einer vorhandenen Anzahl Gedichte ausgehend, diese als metrisches Bindeglied zwischen den polymetrischen und epigrammatischen kleinen Gedichten einbauen wollte:966 So ist klar, daß dazu die reinen Hexameter von c.64 vorausgehen mußten, und verständlich ist auch, daß nicht beide Briefgedichte mit ihren Beigaben (c.65/ 66, 68a/68) unmittelbar aufeinander folgen sollten, daß also die einzig verbleibenden Distichen von c.67 dazwischen einzuschieben waren. Und daß dann c.65/66 als erste zu setzen waren, ist ebenfalls ganz natürlich,967 da c.66 als Kallimachos-Übertragung inhaltlich dem in alexandrinischer Tradition stehenden Epyllion oder auch dem vorausgehenden Attis-Gedicht nahesteht, während c.68 als Dank an Allius für Unterstützung Catulls in Liebesdingen besser zu den direkt anschließenden Lesbia-Elegien paßt und z.B. V.135ff. dasselbe Motiv gebraucht wie c.70 und 71. Die angenommene programmatische, ohnehin höchstens sekundäre Verwendung ist somit m.E. auch bezüglich der Position unter den carmina maiora zunächst nur ein zufälliger Nebeneffekt, was aber nicht ausschließt, daß der Dichter oder Redaktor des Corpus diesen nicht bewußt genutzt und durch die gezielte Stel963

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Zu letzterem, V.19-24 als Mittel "to suggest the style of a Callimachean simile" (sc. die Acontius-Cydippe-Erzählung) vgl. z.B. W. CLAUSEN, Catullus and Callimachus, HSCPh 74 (1970), S.85-94, dort S.93; für weitere Anspielungen vgl. z.B. WISEMAN (1969) S.18f., KING (1988) S.384f. Für E A . SCHMIDT (1985) S.92 mit Hinweis auf KROLL aber ist der Begleitbrief "ein 'Monstrum', das die 'Lässigkeit des Briefstiles'" reproduzieren soll. WISEMAN (1979) S.176; vgl. auch bereits (1969) S.14f„ 17f., oder z.B. SCHÄFER (1966) S.46ff. Anders CLAUSEN (1976) S.41, daß der fremde Editor c.65 wegen der Musennennung in den Eingangsversen als besonders geeignet zur Einleitung des dritten Buches empfand. Vgl. ja z.B. schon WESTPHAL (21870) S.12.

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lung von c.116 am Ende der Sammlung bzw. des Elegie-Buches mit seiner ähnlichen Formulierung V.2 carmina ... Battiadae und dem nun zu c.65 gegensätzlichen Inhalt, der völligen Ablehnung, dem Adressaten Gellius solche Gedichte zukommen zu lassen, hervorgehoben hätte. Die z.B. von WISEMAN und vielen weiteren Forschern968 als bewußt und gesichert angenommene Rahmung durch c.65 und 116 und die mögliche programmatische Zusatzfunktion von c.65 ist folglich wie bei c.27 gar nicht von vornherein abzulehnen, die Ähnlichkeit der Formulierung mit zweimaligem carmina Battiadae nicht zu bestreiten. Wenn c.65 wirklich zu Beginn einer dritten Buchrolle stand und durch c.116 am Ende wieder aufgenommen wird, kann und muß seine Aussage tatsächlich auch für die nachfolgenden Gedichte programmatischen Charakter gewonnen haben, wie ihn in neuerer Zeit z.B. BLOCK und KING ausführlich untersucht haben. KING sieht gemäß der Rahmung mit carmina Battiadae alles als kallimacheisch - "Thus he suggests a poetic debt to his Hellenistic predecessor in elegy [...]. Thus he presents a unifying programmatic principle, poems in the manner and the meter of the master himself' - und speziell c.65 als Ankündigung "to foreshadow the Callimachean themes taken up in later poems".969 So schauten die Anspielungen auf die Prokne- und Akontius-Geschichten "functionally" voraus auf Catulls "discussion in c.69-116 of the violation of marriage and family relationship that he contrasts with the ideal coming together of lovers", neben C.66 erinnere besonders c.67 an "Callimachean aitia", ja c.65-68b seien insgesamt ein "five poem aition", das Kallimachos' aitia evoziere, "emulating form and style" und durch eine "series of 'foundation-myth' the development of Catullus' inspiration to continue writing poetry" widerspiegle. Für c.69-116 habe Catull "a Callimachean manner" adoptiert: "subjective, personal, analytical, critical, much in little, with careful attention to form." Gilt letzteres aber nicht auch für die Polymetra und ist es wirklich signifikant? Selbst wenn tatsächlich vereinzelte direkte Berührungen mit Kallimachos-Gedichten vorliegen (vgl. c.70) und dieser ebenfalls Elegien verfaßt hat, sind KINGs unterschiedslos sämtliche großen wie kleinen Gedichte c.65ff. und 69ff. einbeziehende Feststellungen viel zu allgemein, um überzeugend eine für diesen Sammlungsteil und alle anderen carmina neben c.66 und 70 gezielt kallimacheische Ausrichtung und c.65 und 116 als diesbezügliche Programmgedichte erweisen zu können. Lediglich ein Verweis z.B. auf c.67 und später dann ein "recall the themes of c.67" für die kleineren Gedichte ist nicht genug. Überdies ist gänzlich übersehen, daß Catull mit c.65 für die Zukunft gar nicht kallimacheische Dichtungen ankündigt. Schwer getroffen vom Tod des Bruders, will er nur mehr carmina maesta singen (V.12) und gerade nichts Eigenes nach Art des Kallimachos mehr (V.2 seuocat a doctis... uirginibus) entscheidende, von KING nicht berücksichtigte Aussagen, die anschließend noch näher zu betrachten sind. Die als so bedeutsam empfundene Formulie968 969

Siehe o. S.53ff. KING (1988) S.383ff. (die Zitate auf S.385, 388-391), siehe ferner das Zitat o. Anm.162.

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rung von c.65, carmina Battiadae, kann folglich dort nur die folgende Übersetzung und diese nur als Ersatz für eigene Dichtung meinen, nicht aber zugleich die eigenen Gedichte c.67ff., zu denen sie nach ihrer Verwendung in c.65 eher im Gegensatz steht. Bezieht man nun den zweiten neueren Beitrag von BLOCK ein, so ist für sie ebenfalls "the apple falling from the girl's lap" Hinweis "to the poetry that follows",970 doch ist sie wie die Forschung zumeist ohne übertriebene, zu c.65 in Wirklichkeit widersprüchliche 'Kallimacheisierung' eher auf formal metrische Aspekte und die vermeintliche gemeinsame elegische Form bedacht. Catull zeige mit c.65, daß er nicht mehr die gleichen Verse schreiben könne, zeige "by its imagery and even existence", daß sich seine Dichtung geändert habe, was scheinbar passend die folgenden Elegien treffe, die zwar nicht ausschließlich nach dem Catulls Trauer und Veränderung verursachenden Tod des Bruders geschrieben, aber deswegen nach dem Prinzip metrischer Trennung ausgewählt und nach der "conception or informal collection of the passer libellus" als eigenes Buch zusammengefaßt seien, "standing as a lasting monument to Catullus' brother".971 Auch WISEMAN erwägt in seinem Gedankenspiel den Tod des Bruders und Catulls Erinnerung an diesen als mögliches Motiv, ja sogar Leitmotiv zur Zusammenstellung einer besonderen Gedichtsammlung.972 Betrachtet man - wie im Fall von c.116 - die betroffenen Gedichte und das verwendete Metrum nur oberflächlich, wirkt dies gewiß überzeugend. Aber ehe man diese Deutung der sogar von einem "Elegiebuch"973 sprechenden Interpreten übernimmt, sollte man c.65 und c.69ff. doch einmal gezielt daraufhin lesen. Catull spricht c.65 in der Tat davon, daß sich nunmehr seine Dichtung ändern werde, semper maesta tua carmina morte canam (V.12), er erklärt dem Hortensius aber auch, daß er vor Trauer wie gelähmt und deswegen jetzt nicht in der Stimmung ist zu dichten, sich von den doctae uirgines, den Musen abberufen fühlt. Da Catull von diesen V.2f. zweimal allgemein im Plural spricht und damit alle einbezieht und da er ebenfalls nur ganz allgemein dulcís Musarum expromere fetus (V.3) formuliert, muß dies nicht nur gelehrte Dichtung im Stil alexandrinischer Epyllien betreffen, sondern kann überhaupt eigene Dichtung meinen; c.68 ist der trauernde Catull ebenfalls nicht in der Lage, den Freund mit muñera Musarum et Veneris (V.10), d.h. mit eigenen heiteren Gedichten, zu versorgen. Angesichts solcher Aussagen von c.65 soll Catull dann selbst absichtlich dieses durch Schaffung eines Bezuges zum abschließenden c.116 zum Programmgedicht einer Sammlung, ja

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BLOCK (1984) S.50f.; vgl. dagegen aber die obige Erklärung für den Apfel-Vergleich. BLOCK (1984) S.50f. "Catullus may have taken advantage of the association to express his fraternal grief in a permanent way". WISEMAN (1979) S.180: "[...] Catullus heard the news of his brother's death and retired to his home at Verona. He had already written a substantial collection of poems long and short, and at this milestone in his life he thought of collecting them into a corpus with a certain thematic unity. The brother's death was to be a Leitmotif in the elegiac collection." Vgl. ferner z.B. FEDELI (1990) S.32f. Z.B. auch STROH (1990) S.153 Anm.43.

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eines Buches gemacht haben, das gleich mit c.67 ein heiteres Gedicht über eine Haustür in Brixia bringt, die eigentlich die Jungfräulichkeit des dahinter wohnenden Mädchens gewährleisten sollte, und noch viele, viele weitere Beweise für sein unbeschwertes und höchstens durch seinen Liebeskummer beeinträchtigtes Können wie das Spotten über Gallus, Arrius, Aemilius, Victius, Silo, Cominius, Naso (c.78, 84, 97, 98, 103, 108, 112) oder Caesar und seinen Mamurra (c.93, 94, 105, 114, 115), ja sogar höchst unanständige Gedichte wie die mehrfach eingestreuten Verse auf Gellius (c.74, 80, 88-91),974 so daß allein die metrische Form mit dem für ein elegisches Lied geeigneten Versmaß das Verprechen von c.65,12 keinesfalls erfüllt?975 Innerhalb einer Gedichtsammlung wie etwa der von LEFÈVRE erwogenen mit c.68 als σφραγίς und ohne rahmende Hervorhebung durch c.116 ist c.65 (zusammen mit seinem c.66) als Einzelstück und aktueller Gefühlsausbruch, Bekenntnis einer natürlich nur momentanen Schreibblockade mit V.12 übertriebener, wegen des unmittelbaren Verlustes verständlicher Formulierung zu werten. Am Anfang eines Gedichtbuches mit programmatischer Funktion und rahmendem Bezug zum letzten carmen aber entsteht ein reichlich merkwürdiger Eindruck: Das wäre ein schönes Bekenntnis der Trauer (vgl. semper maesta tua carmina morte canam), eine wahrhaft angebrachte Edition zum Andenken an den verstorbenen Bruder, die, obwohl eingeleitet mit einem Gedicht, in dem Catull erklärt, vor Kummer nicht mehr dichten zu können, nun eben nicht dazu passend weitere Übersetzungen oder lauter getragene Gedichte enthält - evtl. sogar auch über seinen Lesbia-Schmerz wie in c.76, der in c.68 mit der Trauer über den Tod des Bruders verknüpft ist (vgl. V.159f.) -, so daß sich Catulls Dichtung nicht wirklich geändert hätte! Vorgelegt hätte Catull statt dessen eine Ausgabe, die zeigt, daß ihn diverse andere Gedanken, auch unanständige, beherrschen, vielfach sogar dieselben wie die in den Po974

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Auch hier eine zur im vorausgehenden wiederholt festgestellten Selbstironie Catulls passende ironische Wiederaufhebung der zentralen Aussage von c.65 durch solche Gedichte zu unterstellen, wie etwa gleich durch c.67 zwischen den trauernden c.65 und 68, wäre angesichts des - verglichen mit den c.2ff. nun unzweifelhaft realen - Anlasses von c.65 geschmacklos. Vgl. aber z.B. KING (1988) S.384 "The ambivalence of sorrow-joy present in the allusions in c.65 makes a fitting introduction to the contradictory poems that follow" (c.66 und 67 als '"both sides of the coin', "marriage [and a domus] honored and dishonored"), NEWMAN (1990) S.224 "[...] 65 seems intended to lead, after the amusing divagation of 67, into the culminating 68". Vgl. aber z.B. WISEMAN (1969) S.18 "The point is, I think, that tua morte goes with maesta·. Ί shall (from now on) always write poems which are maesta because of your death." The promise is not to keep writing about the brother's death, but to keep writing carmina maesta - which means [...] to keep writing elegiacs. And, of course, the rest of our collection is in elegiacs" (bestätigt von z.B. KING [1988] S.384, STROH [1990] S.153 Anm. 43). Die von der Forschung hier für die flebilis elegeia genannten Stellen wie Ov.am.3,9,3, her. 15,7, Hor.c.1,33,3 (vgl. z.B. WISEMAN [1979] S.176 Anm.4) belegen in der Tat das Distichon dafür als das übliche und geeignetste Versmaß, aber es ist doch noch nicht allein dieses Versmaß, das ein Gedicht zur Elegie macht? Sind etwa Martials Distichen ebenfalls keine spöttischen, frechen, lustigen Epigramme, sondern allesamt nur traurige Elegien, maesta carminai

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lymetra verarbeiteten, keineswegs aber die in dem angeblich programmatischen C.65 bezeugte Trauer (man lese doch nebeneinander c.65,12 semper maesta tua carmina morte canam und z.B. gleich das erste kleine Gedicht 69, lf. noli admirari, quare tibi femina nulla, / Rufe, uelit tenerum supposuisse femur oder c.88,lf. quid facit is, Gelli, qui cum matre atque sor ore j prurit et abiectis peruigilat tunicis?). Nur ein einziges düsteres Gedicht ist c.69ff. überliefert, c.lOl, das wie c.65 Catulls aufrichtiges Trauern um den Verstorbenen wiedergibt, unter der Menge der kleinen Epigramme aber doch eher untergeht. Wenn Catulls 'Elegiebuch' wirklich dem Andenken des Bruders gewidmet wäre, warum ist dann nicht c.65 am Ende der Sammlung zumindest auch inhaltlich wiederaufgenommen mit c.101 als Schlußgedicht (vgl. den mindestens genauso guten Anklang der Formulierungen c.65,9ff. -101,6 wie beim Battiaden-Rahmen) und seinem fürwahr als Abschluß geeigneten letzten Gruß im letzten Vers (V.10 atque in perpetuum, frater aue atque uale)l Warum ist dann nicht das wegen der restlichen Gellius-Gedichte an seiner überlieferten Position ebenfalls widersprüchlich stehende c.116 den carmina minora 69ff. vorangestellt mit einem ebenso guten, wenn nicht gar weit schöneren Bezug zu c.65 und Vermeidung des abrupten Überganges c.68-69?976 Bei der vorliegenden Anordnung des vermeintlichen Elegiebuches gibt es dagegen sogar mit beiden Rahmengedichten unabhängig voneinander festzustellende inhaltliche Probleme! Wenn man darüber hinaus wieder beachtet, mit welcher Sorgfalt Catull das kleine hier zuvor postulierte 'Lesbia'-Büchlein bzw. den ersten Zyklus der Sammlung komponiert und dabei wirklich darauf geachtet hat, zusätzlich zum Inhalt der einzelnen Gedichte auch ein Ganzes mit einander ergänzenden Aussagen zu schaffen, ist der Bezug lediglich von c.65 und 116 und die unterstellte programmatische Funktion des Hortensius-Briefes ein reichlich fragwürdiger Beweis für eine auf Catull selbst zurückzuführende Gedichtfolge. Die nachfolgende Forschung mag hier entscheiden, was ihr nach ihrem Catull-Verständnis wichtiger ist: die Berücksichtigung der inhaltlichen Aussagekraft von c.65 oder das zweifellos mögliche Herstellen von rein formalen Bezügen wie dem zwischen c.65 und 116 mit der Wiederholung einer Formulierung für ein Elegiebuch, das insgesamt über 50 Gedichte mit vielfach epigrammatischem Spott, aber mit c.68 und 101 nur zwei, c.65,12 entsprechende carmina maesta und mit c.66 nur exakt eines enthalten haben soll, das zur angeblich signifikanten Wiederaufnahme carmina Battiadae paßt.977 Die Überlegungen zu beiden Gedichten, c.27 und c.65, bzw. zum Bezug von c.116, und zu ihrer Stellung in der Gedichtsammlung, können m.E. für die Authentizität der Anordnung insgesamt sogar den gegenteiligen Ein976 Q77

Siehe ja schon o. S.56. Zu letzterem vgl. schon SCHULZE (1881) S.202, der als Gegenargument anführt, daß nach c.65 "ja alle Epigramme aus Kallimachos übersetzt sein" müßten.

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druck erwecken: Denn wie gesehen lassen sich beide carmina in Wirklichkeit nur oberflächlich als Argument für einen so bewußten Bau des Corpus Catullianum deuten, daß dieser gemäß den Forderungen vieler Forscher zwangsläufig auf den Autor selbst zurückgeführt werden müßte. Daß ausgerechnet diese beiden carmina durch ihre - im Fall von c.65 innerhalb der carmina maiora ohnehin zwangsläufige - Plazierung wohl sekundär eine programmatische Funktion erhalten haben sollen, wenn sie denn wirklich besteht, kann vielmehr genausogut den Schluß zulassen, daß hier ein eben auch nur oberflächlich nach scheinbar offensichtlich als programmatisch zu verwendenden Aussagen suchender und ohne alle innere Beteiligung vorgehender Redaktor am Werk war, der in beiden Fällen ohne echte Berücksichtigung der betroffenen und folgenden Gedichte gerade solche dem Philologen interessant erscheinenden Aussagen nutzte, die die Wertung als literarische Metapher und Rahmung mit der Nennung von Catulls Vorbild ermöglichten.978 Ein absolut sicheres Argument gegen Catull selbst als Herausgeber ist auch hieraus vielleicht noch nicht zu gewinnen, genausowenig wie aber m.E. mit den besprochenen Gedichten Catulls eigene ordnende Hand nachzuweisen ist. So sei hier auch nicht mit letzter Gewißheit ausgeschlossen, daß die Anordnung der ganzen überlieferten Sammlung nicht doch auf Catull zurückgehen könnte; die zuletzt vorgetragenen mehrfachen und - das ist entscheidend - voneinander wie auch von der Annahme der beiden libelli am Sammlungsanfang zunächst gänzlich unabhängigen Bedenken mögen jedoch zumindest verdeutlichen, daß anstatt des Wegschiebens der Beweislast und derart selbstbewußter Äußerungen wie etwa der oben zitierten von WISEMAN979 noch eine Menge Überzeugungsarbeit notwendig sein wird, wenn wirklich glaubhaft werden soll, daß die Gedichtfolge des ganzen erhaltenen Corpus Catullianum und nicht nur einzelner größerer Abschnitte Catulls eigenes (und etwa sogar tatsächlich von ihm selbst publiziertes) Werk gewesen sein sollte. Daß die überlieferte Edition nicht den Charakter einer archivarisch-philologisch, auf die Zusammenstellung ähnlicher Gedichte bedachte und so für den Leser bereits erschlossenen Arbeitsausgabe hat,980 sondern den einer in978

979 980

Ist also nicht vielleicht doch ein wenig an COPPELs o. S.16 zitiertes, aus gänzlich anderen und nicht in jedem Fall zu akzeptierenden Überlegungen gewonnenes Urteil zu erinnern ("eine Ausgabe, bei der man so stark die fremde Hand spürt")? Vgl. ferner das ebenfalls bereits zitierte Urteil HUBBARDs und das hier durch die zusätzliche Betrachtung von c.65 zu bestätigende Ergebnis der Untersuchung NÉMETHs von allein c.116 (o. Anm. 173). Und gegen WISEMAN (1969) S.30f. ist es also doch nur "curious coincidence" und "purely fortuitously", wenn die Distichen der c.69ff. denen der c.65ff. mit dem "announcement of the change of metre at 65,12" folgen, ja es ist nicht einmal "coincidence": c.65,12 wird wegen fehlender Differenzierung von Inhalt und Form überinterpretiert, die Folge der Distichen ist die angesichts der Gestaltung der vorliegenden Gedichte und libelli logische Konsequenz, wie o. S.289ff. und 309 besprochen. Siehe o. Anm.73. Also eher nicht COPPELs Redaktor mit "sachlicher Gründlichkeit" (1973, S.184); auch seine Ablehnung eines Freundes als Herausgeber ist unbegründet.

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haltlich nach dem Variationsprinzip, äußerlich jedoch in zweifacher Hinsicht in Fortführung von Catulls eigenen metrischen Vorlieben - Wechsel von Hendekasyllaben und anderen Versen, Trennung von Polymetra und Epigrammen - geordneten, wohl möglichst vollständigen Leseausgabe, die ihren Leser nicht durch eine Vielzahl inhaltlich ähnlicher carmina wie nur Lesbia-, nur Gellius-, nur Caesar-/Mamurra-Gedichte nacheinander erdrückt und dadurch ermüdet und abschreckt, mag schließlich ohne weiteres auch auf einen fremden Herausgeber zurückzuführen sein. Auch ein späterer CatullLeser oder gar Verkäufer dürfte an der Herstellung eines einheitlich wirkenden, lesbaren Buches interessiert gewesen sein und zwar besonders dann, wenn ihm mit den beiden erschlossenen libelli und vielleicht weiteren hier und da gefundenen Einzelgedichten und Resten früherer Bücher noch keine einheitliche Ausgabe vorlag. Und er könnte, ja müßte in eben derselben Weise vorgegangen sein wie oben für Catull beschrieben;981 ausgehend von den beiden ohne Gedichte in Hexametern und Pentametern kompletten Büchlein, die auch heute tatsächlich am Anfang des Corpus stehen, könnte er aus der mehr oder weniger geordneten Masse übriger Gedichte die Distichen und nur die Distichen,982 unter denen es inhaltlich natürlich ohne Zweifel wunderschöne Stücke wie ebenso auch unter den Polymetra gibt (vgl. z.B. c.76 oder 101), ausgesondert und ganz am Ende der Sammlung angeordnet haben. Die übrigen, metrisch 'wertvolleren' kleineren Gedichte waren dagegen passend an die c.1-26 umfassenden libelli anzuschließen und wirken denen gemäß abwechselnd gesetzt, so daß die bei Catull so beliebten Hendekasyllaben auch dort, wenn auch nicht mit ganz der gleichen Sorgfalt wie in den beiden eigenen libelli, aber immerhin in Nachahmung dieser Büchlein gelegentlich zur Auflockerung durch andere Versmaße unterbrochen wurden.983 Wann dies aber nun geschehen sein könnte, sofort nach dem Tode Catulls (und evtl. Caesars) oder erst sehr viel später, ob ein solcher Redaktor als ehemaliger Freund Catulls dessen Prinzipien noch gekannt oder nur erkannt 981

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Die eigenartige Dreiteilung der Sammlung, die "Anomalie des Buches" wäre also gegen E A . SCHMIDT (1979) S.229 dann keineswegs eigenes Produkt eines fremden Bearbeiters mit "neoterischem Geschmack und Gestaltungswillen"; sie wäre vielmehr zwangsläufige Folge als Erweiterung der vorhandenen beiden anfänglichen libelli. Für eine nachträgliche "Entmischung der neoterisch variierenden Kleingedichte" angesichts späterer Anordnungsprinzipien vgl. auch P.L. SCHMIDT (1977, o. Anm.31) S.372; für eine evtl. durch die Catull-Sammlung beeinflußte, c.33,1 explizit auf mea Lesbia Bezug nehmende, aber ebenfalls spätere Parallele vgl. die in zwei Gruppen kleinerer Gedichte um die beiden größeren c.36 und 37 komponierten 71 Bobbio-Epigramme (dazu z.B. COPPEL [1973] S.148ff. nach WEINREICH). Die anderen kleinen Gedichte sind schließlich nicht ebenfalls streng nach ihren Versmaßen geordnet, was im Vergleich zur Uniformität der c.69ff. doch wohl auffällig erscheinen muß. Z.B. WEINREICH (1960) spricht S.166 von Gedichten "von rarerem Verscharakter" als "stützende Pfeiler"; vgl. ansonsten auch COPPEL (1973) S.lölf. zur Vorgehensweise eines Redaktors und der direkten Annahmt·., daß sich "mit großer Wahrscheinlichkeit auch einzelne ursprüngliche Gedichtketten erhalten haben".

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bzw. aus den libelli erschlossen hat, ist völlig ungewiß. Daß in der Sekundärüberlieferung keine Titel und Einzelpublikationen zweifelsfrei nachzuweisen sind, muß nicht bedeuten, daß es diese nicht gegeben hat und daß diese nicht auch von vielen rezipiert wurden (vgl. immerhin die Überlegungen zu Martiale 'Passer' und dem Catull-Buch des Terentianus Maurus).984 Die CatullSammlung mag andererseits bald nach seinem Tode entstanden - aus Respekt für den Dichter und vielleicht gar im Bewußtsein seiner die anderen Dichterfreunde überragenden Qualität - und dadurch anders als die Werke der übrigen Neoteriker erhalten sein, als Sammel- bzw. Nachlaßedition maßgeblich geworden und das antike Catull-Bild geprägt haben,985 während natürlich ursprüngliche Einzel/ifce/fö zunächst und eben zumindest bis in Martials Zeit auch weiterhin umliefen,986 genauso wie ja auch heute verschiedene, kleinere und größere Ausgaben derselben Dichter oder Musiker, nicht nur deren Gesamteditionen, im Handel erhältlich sind. Wenn in der Forschung vielfach Namen aus Catulls Umfeld und speziell seinem Freundeskreis als denkbare Herausgeber genannt werden, z.B. Cornelius Nepos, Helvius Cinna oder gar Cornelius Gallus und M. Terentius Varrò, so sind derartige Zuweisungen an konkrete Personen reine und nicht sehr sinnvolle Spekulation ohne jeden Anhaltspunkt.

In Ablehnung oder Annahme der Komposition des Corpus Catullianum insgesamt als weitgehendes Produkt des Autors muß vieles unsicher, Ansichtssache und letztlich doch bloße Spekulation bleiben, da eben leider trotz mehrfacher, insgesamt aber dürftiger Erwähnungen und Zitate des Dichters keine wirklich eindeutigen äußeren Hinweise auf sein Buch bzw. 984

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Siehe o. S.78, 244, 268f. Zu vorschnell urteilt also E A . SCHMIDT (1979) S.228, der zu glauben scheint, aus den minimalen Reflexen, Zitaten anderer Autoren getreu ein Uberlieferungsbild nachzeichnen zu können. Tatsache aber ist, daß wir hier viel zu wenig wissen können, zu wenig Belege und eben nicht den Buchmarkt vor Augen haben wie ein Martial oder Plinius. Auch z.B. von Ciceros Reden sind uns Einzeleditionen nicht mehr greifbar, und doch muß es solche bald nach deren Vortrag gegeben haben. Die Wiederaufnahme von c.l in der 'Naturalis Historia' des älteren Plinius (Praef.l) mit Bezug auf sein eigenes Werk mag ja vielleicht tatsächlich schon für dessen Zeit die Existenz einer Catull-Gesamtausgabe nahelegen, wie E A . SCHMIDT (1979) S.221 vermutet, und dies kann auch für das von ihm S.228 Anm.59 als Beleg angeführte Geschenkepigramm Martials (14,195) gelten (vgl. ferner z.B. SYNDIKUS [1984] S.53). Ob das jeweils zugrunde liegende Buch wirklich eine ziemlich vollständige Edition, nur eine Teilsammlung oder eben das bekannteste Catullbuch mit c.2, 3, 5 und 7 war, ist daraus jedoch immer noch nicht mit Gewißheit abzuleiten. Wenn SCHMIDT mit Martials sonstiger Praxis im 14. Buch vergleicht, Einzel/ibeW/ auch als solche anzuführen (Vergils "Culex" 185, Properz' 'Monobiblos' 189, Menanders 'Thais' 187), was bei Catull nicht explizit geschehen ist, so ist andererseits aber auch auf das allgemeine Cicero in membranis zu verweisen (14,188), was ohne nähere Angabe universell für mehrere Arten von Cicero-Editionen einsetzbar ist. Vgl. zu letzterem entsprechend auch COPPEL (1973) S.181, der mit einer Gesamtausgabe des Properz vergleicht, neben der auch "dessen Monobiblos bis in die Tage des Martial separat umlief (Mart.14,189)".

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seine Bücher existieren und man lediglich auf die Interpretation der vorhandenen Gedichte angewiesen bleibt. Angesichts der Tatsache, daß sich offenbar kein wirklich auffälliges System für alle carmina ergibt, das auch jeden befriedigen könnte - schließlich erforscht die z.T. freilich einseitig voreingenommene Wissenschaft987 die erhaltene Sammlung jetzt schon seit so vielen Jahrzehnten -, können die hier vorgestellten Überlegungen zu den zwei libelli im Corpus Catullianum folglich nur ein weiterer Versuch sein, der der nachfolgenden Forschung zur Diskussion gestellt werden soll. Für mich jedenfalls ergibt sich in der Tat gegen E.A. SCHMIDT, um dessen provokante Formulierung wieder aufzunehmen988 - ein "besserer", "richtigerer" Catull, der weitaus eher zu meinem subjektiven, auch aus der Lektüre der übrigen Gedichte wie der carmina maiora gewonnenen Bild dieses Neoterikers paßt: Ein Dichter, der, den alexandrinischen Idealen verpflichtet, ein Epyllion anstatt eines üblichen Großepos geschaffen hat und entsprechend mit c.1-14 ein kleines, feines, bestgeordnetes Lyrikbuch mit vielfältigen Bezügen und einer autobiographisch wirkenden, alle Einzelgedichte zusammenschließenden Erzählung als bleibendes Dokument seiner zarten Gefühle und seiner Freundschaft, insgesamt damit ein Kunstwerk, für das auch der Überlebenswunsch des Einleitungsgedichts nicht mehr ungeeignet, übertrieben erscheinen darf.989 Ein Dichter also, der auch buchtechnisch die kleine Form bevorzugt und dies sogar mit einem weiteren, jetzt anders, als Invektive ausgerichteten Büchlein c.l4a-26 bezeugt, anstelle einer wahllosen, alle Normen sprengenden Großpublikation für c.1-116 oder einer insgesamt ebenfalls eher ungeordnet wirkenden, lediglich dem Umfang anderer Gedichtbücher wie etwa der Martials vergleichbaren Edition für c. 1-50/51, so daß dessen bekannte Charakterisierung seiner Bücher für Catulls sorgfältig komponierte, aus genauer Beachtung seiner Formulierungen erschlossene libelli gerade nicht zutrifft (vgl. Mart. 1,16 sunt bona, sunt quaedam mediocria, sunt

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Vgl. WISEMANs Vorwurf (1979) S.181 gegen die Gegner des Corpus Catullianum, der aber auch für viele Einheitsvertreter zutrifft; vgl. im übrigen auch COPPEL (1973) S.141 "[...] fällt als Grundzug neuerer Untersuchungen auf, daß die Argumente der Gegenseite vielfach nicht mehr mit dem gebotenen Ernst berücksichtigt werden, als ob sie allein schon durch ihr langes Bekanntsein an Gewicht eingebüßt hätten". Zitiert o. Anm.220. Sein Urteil (1973) S.241 über das Corpus als einbändige Edition paßt ebensogut, wenn nicht sogar besser auch für die hier erschlossenen libelli: "Die Einheit des catullischen Gedichtbuches ist größer als jene Einheit es wäre, welche in der bloßen Summe aller catullischen Gedichte läge; der Leser trifft Catull auch außerhalb des einzelnen Gedichts an." Genau den von ihm abgelehnten Eindruck einer bloßen Ansammlung aller carmina gewinnt schließlich der Leser von c.1-116 in einem einzigen 'libellus'l Vgl. z.B. das Urteil SEELs (1965, o. Anm.31) zum Corpus Catullianum: "Wenn es also seine eigene Leistung wäre, so wäre es, meine ich, der am wenigsten schätzenswerte und gelungene Teil seines dichterischen Schaffens." Zu letzterem vgl. den Einwand SCHMIDTS o. Anm.220 und andererseits die Ergebnisse von Kap.3.1. zur sorgfältigen Komposition. Auch c.68,41ff. bezeugt im übrigen, daß der die Jahrhunderte überdauernde Preis der Freundschaft tatsächlich ein wesentliches Anliegen Catulls darstellt.

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mala plura/ quae legis hic: aliter non fit, Auite, liber).990 Dies ist freilich nur ein ganz persönlicher Eindruck; vor dem absoluten Gebrauch solcher Begiffe wie "besser" und "richtiger" sollte man sich hüten - wer kann schon den wahren, "echten" Catull kennen!991 Der im vorausgehenden erörterte Versuch bietet jedoch mit seinem Bemühen, die bisherigen Ergebnisse der Forschung und vor allem wirklich die Aussagen von Catulls Gedichten einzubeziehen, zu den neueren Ansätzen der 'Separatisten' wie CLAUSEN, SKINNER, HUBBARD, PULBROOK und STROH für c.1-26 eine m.E. immerhin begründete Alternative, die nicht nur auf formalen Überlegungen basiert, sondern auch inhaltliche Entsprechungen und Parallelen berücksichtigt, den im Vergleich zu c.ll eigenartigen Charakter der Aurelius- und Furius-Gedichte c.l5ff. erklärt und auch hinsichtlich der Einzelinterpretation für c.15, 16, 17 und 26 offene Fragen zu klären sucht. In äußerlicher Hinsicht ergibt sich ferner ein allein aus der Lektüre ersichtliches, etwas weniger kompliziertes Aufbaumuster ohne Notwendigkeit zu graphischer Darstellung von weitgespannten Verklammerungen, und sogar die Annahme einer Edition aller Gedichte nach Art unserer Catullausgaben durch den Dichter selbst, wie sie von 'Unitariern' wie z.B. TRÄNKLE, OFFERMANN, WISEMAN, E.A. SCHMIDT, FERGUSON und jetzt auch SKINNER vertreten wird, ist noch keineswegs ausgeschlossen, auch wenn diese nach den zusätzlichen, nur zu einem geringen Teil auf den beiden libelli beruhenden Überlegungen dieses Kapitels eher unwahrscheinlich erscheinen mag. Unabhängig davon, ob die Anordnung des Corpus Catullianum tatsächlich vom Dichter stammt oder nur von fremder Hand, wird aber auf jeden Fall nun seine etwas eigenartige Anlage als Weiterführung der hier erschlossenen libelli verständlich. Und auf jeden Fall muß es erlaubt sein, sich mit einer Untersuchung wie der hier vorgelegten und - in kritischer Auseinandersetzung damit - in Zukunft auch weiterhin über Catull, seine Gedichte und deren Anordnung Gedanken zu machen, selbst wenn einige der bisherigen Catull-Forscher von ihren eigenen Ansätzen so sehr überzeugt wirken, daß sie weitere Positionen nicht einmal mehr beachten, ja selbst wenn anderen schon viel zu viel Literatur zu Catull produziert ist.992

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Man mag hier weiterspekulieren, ob genauso wie das Epyllion solche kleinen und kleinsten Formen des Gedichtbuches eine für die Neoteriker insgesamt charakteristische Besonderheit waren; mangels überlieferter libelli, ja deren Gedichten überhaupt wie auch zeitlich vorausgehenden Vergleichsmaterials der älteren römischen Lyriker ist darüber aber leider keinerlei Gewißheit zu erlangen. Zum Ausdruck vgl. STROH (1990) S.148 abschließend: "Wir aber, die wir uns heute einmal wenigstens stückweise mit dem echten Catull beschäftigt haben [...]." Wie SCHMIDT einen "richtigeren oder besseren" Catull als Ergebnis einer wirklich auf die carmina konzentrierten Analyse von vornherein ablehnen kann, selbst aber, wie oben mehrfach festzustellen war (S.83, 146, Anm.439), entscheidende Gedichte, Formulierungen und bekannte Probleme einfach übergeht, ist mir unverständlich. Zu letzterem siehe z.B. STROH (1990) S.149 Anm.l mit einem brüskierenden Vergleich.

Literaturverzeichnis Da mit den beiden ausführlichen, einander ergänzenden Zusammenstellungen von HARRAUER (1979) und HOLOKA (1985) systematische und relativ neue Spezialbibliographien zu Catull vorliegen, ist eine umfassende, allgemeine Literatursammlung zu den hier behandelten Gedichten nicht nötig. Im anschließenden Verzeichnis sind folglich nur solche Titel erfaßt, die in der vorausgegangenen Untersuchung benutzt wurden und für die in dieser Arbeit betrachteten Probleme von Belang erscheinen, d.h. besonders Literatur zur Frage der Authentizität der Anordnung und Einheit des Corpus Catullianum wie auch zu den einzelnen diesbezüglich besprochenen Gedichten, selbst wenn insgesamt weit mehr Arbeiten gesichtet und auf ihre Relevanz überprüft wurden. Zusätzlich, aber nicht mehrfach verwendete Literatur zu Detailfragen ist jeweils an Ort und Stelle bibliographiert. Alle ins Literaturverzeichnis aufgenommenen Beiträge sind in der Arbeit abgekürzt lediglich mit Verfassernamen und Seitenangabe sowie zusätzlich dem Erscheinungsdatum zitiert, nicht nur um zwischen mehreren Beiträgen desselben Autors zu differenzieren, sondern vor allem um sofort die zeitliche Einordnung des jeweiligen Beitrags in die Forschung zu gewährleisten. Berücksichtigt wurden sämtliche von HARRAUER und HOLOKA in den einschlägigen Kapiteln "The Composition and the Arrangement of the Poems" (S.120f.) bzw. "On the Arrangement of the Collection" (S.249ff.) genannten Arbeiten. Die dort z.B. aufgeführte Studie von Κ A . GEFFCKEN (A Dominant Structural Pattern in the Poems of Catullus, Diss. Bryn Mawr College 1962, 229S. [Microfilm]) wurde eingesehen, aber nicht weiter beachtet und auch im folgenden nicht mit aufgelistet wie ähnliche Untersuchungen, die ebenfalls nur die Struktur der Gedichte selbst und damit Catulls Technik im einzelnen, nicht aber auch das Corpus Catullianum insgesamt betreffen. Nicht zugänglich war mir M.Ph. PARKER: The Cyclical Unity of Catullus 61 to 68, Diss. McMaster University, Hamilton/Ont. 1991 (DA 53 [1992/1993], 142-A). Zur Ermittlung neuerer Literatur wurden die entsprechenden Bände der 'Année Philologique' bis 1992 bzw. des 'Gnomon' bis einschließlich dessen bibliographischer Beilage 1/1996 ausgewertet. Für Literatur zur Frage nach Authentizität und Einheit der Sammlung vgl. im übrigen die Einleitung o. S.9ff., für Literatur speziell zum 'Lesbia'-Zyklus o. Anm.90, zum 'Aurelius- und Furius'-Zyklus o. Anm.100 sowie o. S.162f.; für Arbeiten zu den einzelnen Gedichten vgl. neben den Einträgen bei HARRAUER und HOLOKA besonders die Literaturzusammenstellungen von TROMARAS (1984) in den jeweils ersten Anmerkungen seiner Kapitel über die einzelnen Aurelius-, Furius-, und Juventius-Gedichte; z.B. für die Problemgedichte c.2 und 2a vgl. die umfangreichen Angaben in den Anmerkungen bei D E I T M E R (1984), JANAN (1994), für C.11 bei SWEET (1987), für c.13 ebenfalls D E I T M E R (1989) S.76 mit Anm.1-5. Für den lateinischen Text der Gedichte wurde die neueste Teubner-Ausgabe von EISENHUT (1983) zugrunde gelegt; Abweichungen sind jeweils besprochen.

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Catull: 1

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11

34f., 41, 46f., 60, 63, 65, 88, 97f., 100, 104-131, 136, 148, 150, 155f., 159, 167f., 182, 184, 208, 210-212, 215, 218-220, 222, 226, 228, 232234, 237, 240, 242, 246-254, 257264, 269-280, 288, 293, 300-303, 306,318 12 36, 45, 47, 51, 65, 81, 109,121,125, 129, 143, 182f., 185-187, 205, 215222, 224-226, 233, 239f., 248-256, 258, 261f., 270, 272f„ 275, 279f, 282,288, 293,298 13 36, 47, 51, 65, 81, 87, 97, 109, 121, 129, 161f., 168, 183f„ 195f., 203, 205, 215, 217, 219, 221f., 224-226, 233, 245-262, 266-271, 275, 279, 283, 294, 298 14 36f., 46f., 51, 59,61f., 67, 70,79,84, 86, 88,121, 129,157,180, 183, 214216, 218f., 221f., 224, 227, 229, 233, 242, 245-256, 260-262, 270, 279f., 292f. 14a 45, 47, 63, 70, 82-93, 129, 149, 155158, 162, 172, 174, 178-181, 221, 229, 232f., 242, 275, 277, 288, 290, 297,305,307 15 38, 45-51, 84-88, 94-103, 105, 124f., 129, 133-138, 151f., 155, 159-174, 180f., 215, 227, 243, 260f., 275f., 278, 280, 282f., 285-288, 296f., 306, 318 16 38f., 46, 49, 51, 83-88, 95, 98f., 101, 103, 105, 123, 125f., 129, 132-160, 166-173, 179-184, 208, 215, 221, 227, 232, 240-242, 260f., 268, 275f., 277f., 280, 282f., 286f., 293, 296, 301,306,318 17 45-47, 51, 151, 162, 179, 187-195, 205, 215, 217, 219f., 222, 224-226, 228, 234, 243, 261, 275, 280-284, 288,297,306,318 21 38, 46, 49-51, 68, 88, 94-103, 105, 125, 133, 135-137, 151, 159f., 163168, 171-174, 180-184, 215, 224,

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29

30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

226f., 243, 260f., 275, 280-288, 296, 306,318 38, 46, 51, 61f., 79, 159, 162, 185, 213-215, 218-224, 227, 260, 275, 280, 282-284, 306 38, 45-50, 94-105, 112, 125, 159, 161, 167f., 171, 179, 181, 195-198, 201-206, 215, 227, 260, 275-277, 280-286, 296,306 38, 45-51, 65, 94-103, 105, 112,125, 133, 159, 161, 163, 165-167, 172174, 180f., 195-198, 201-206, 215, 227, 236, 260f., 275-277, 280-288, 296 39, 43, 45f., 49, 51, 95, 120, 133, 136, 160, 162, 168, 179, 185-187, 195, 205, 215-228, 234, 243, 261, 275f., 280,282, 2 8 5 , 2 8 8 , 3 0 6 45f., 49, 51, 65, 68, 70, 99f., 105, 112, 125, 162, 167f., 171f., 195-208, 211-213, 215, 217, 221, 224-227, 234, 243, 260, 275-277, 280, 282, 284, 2 8 6 , 2 9 6 , 3 1 8 43-47, 70, 179-181, 218, 292, 297f., 304-308 46, 51f., 65, 81, 87, 110, 115, 125, 137,140, 160,162, 171f., 179f., 182, 21 lf., 217-220, 236, 258, 270, 273, 280, 297f., 305, 307 46, 77, 95,134, 138, 157f., 169,172, 179, 182, 197, 212, 218, 220, 237f., 271, 292,297, 303, 305, 307 4 5 f , 51, 179, 218-220, 292, 297, 305,307 45f„ 52, 65f., 90, 95, 125, 179, 217, 237, 303,305-307 43, 45, 47, 219, 232, 252, 292, 305, 307 45, 95, 144, 161, 184, 216f., 236, 292, 305 49f., 77, 90, 95, 169, 179, 289, 292, 305f., 308 61,65f., 77, 95,183, 220, 292,305 49, 62, 65f„ 79, 85, 169, 208, 214, 218, 220, 251f., 287, 292, 305 48-50, 65f„ 95, 100, 135, 143, 159f., 182, 219f., 261, 285, 292f., 305 47,179, 220, 292,294, 305 46,49f., 160,219f„ 285, 292f„ 305 47,158f., 179, 220,237, 292,305 49, 161, 170, 174, 179, 218, 237, 292-295, 305 65f., 77, 150, 197, 217f., 220, 237, 292, 294,305

43 44 45 46 47

48

49 50

51

52 53 54 55 56 57 58

58a 59 60 61 62 63 64 65

66 67 68

39, 49, 7 7 , 1 7 4 , 1 7 9 , 210, 218, 236f., 263, 274,292f., 295, 305 65f., 9 0 , 9 5 , 1 7 9 , 2 1 7 , 2 9 2 , 3 0 5 45f., 95, 170, 179, 183, 220, 292, 305f. 45, 52, 66, 90, 95, 115, 125, 179, 217, 220, 236f., 292,305f. 45, 51, 65, 81, 115, 137, 160, 172, 182, 219, 236, 240, 258, 270, 280, 292, 298,305 39, 45f., 51, 90, 95, 97, 99, 102f., 112, 132-153, 159, 163f„ 174, 179, 220, 236, 261,284, 286f„ 292,305f. 43, 45, 47, 77, 79, 158, 169, 179, 207,220, 305 22f., 42, 45, 51, 53, 71, 90, 95, 144, 157, 170f., 179, 218-220, 264, 280, 292,305-307 22f., 39, 42, 45, 53, 63, 71, 90, 95, 123, 157, 220, 261, 263f., 292, 301, 305f. 45,157,208,220,232,292,300,305 4 5 , 4 7 , 5 1 , 1 5 7 f . , 220, 2 7 2 , 2 9 2 , 3 0 5 45, 77, 157f., 169, 179, 214, 218, 220,237, 271,290-292, 302,305 45, 51, 157f„ 183, 220, 238f., 292, 297,305 45, 47, 140, 157-159, 206, 212f„ 219, 2 3 6 , 2 5 2 , 2 6 8 , 2 8 7 , 292,305 45, 95, 112, 157f., 179, 182, 208, 218, 232,236f., 292,305 39, 43, 45, 95, 100, 157f., 182, 197, 207-213, 219, 269, 286, 292, 301, 305 23,45,157f., 236f., 292, 305 45, 95, 157f., 172, 179, 220, 292, 305 23, 45,157f., 219, 292,305 15, 17, 44, 52, 56-62, 67, 77f., 88, 144,197,265,289f., 298 52,59,298 4 3 , 5 2 , 7 8 , 1 5 9 , 2 4 4 , 289, 298 23, 43f., 48, 58f., 61, 64, 68, 78, 244f., 289f., 298 17, 23, 43f„ 51-62, 66, 74, 77, 81, 157, 171, 208, 230, 264, 289, 298, 303, 308-313 44, 52-62, 66, 77, 157, 264, 289, 308-313 43, 52,59, 66,289,309f., 312 44, 48,52f., 56-59,61,63, 66-68, 77, 79, 84, 90, 141, 144, 171, 210, 212, 260, 274, 289, 298, 303, 308f., 311313, 317

328 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 78. 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 97 98 99 100 101 102 103 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116

Index 45, 49, 5If., 56, 59, 61, 74, 160,175, 214, 217,289, 291, 293f., 310-313 49, 51, 59, 61, 143, 175, 274, 291, 293f., 308,310 49,51,175,291-294,308 39,48f., 100,175, 291, 293 160 54,56, 65,95,174, 287,312 39 141, 262, 301,312, 315 61,160,219, 294 45,159,174, 312 79,87, 232 39,210 54-56,65, 95, 312 39, 48, 95, 97, 100, 159, 163, 174, 284,286f. 160, 219, 293 39,48, 273f. 214,217, 312 49,293 39,174, 263,269, 294 48f., 56, 65,143, 293 48, 50, 54, 56, 65, 95, 174, 287, 312f. 50, 54, 56, 65,175, 287,312 50, 54, 56, 65,174, 287,312 50, 54, 56, 65, 287,312 247 169f., 302,312 218,312 62f„ 78 133,214, 295,312 214, 295, 312 39, 67f., 95, 97, 102, 133, 139, 159, 163,174,261, 284,286f., 295 51,208f., 293 52,67f., 313, 315 222 39,161, 312 61,312 39,158f. 48f., 52,247, 293,301 160, 294, 312 49, 52, 247,274, 293, 301 52,174, 293 52,174, 293 66,312 66,203, 212 53,66,312 53,62,66, 218,312 17, 23, 42, 44, 51, 53-56, 59, 61f„ 65f., 81,287,298, 308-313

frg.l frg.2 frg.3

228,282 228,282 282

Martial: epigr.

177f., 296

l,ep. 1, 1 1. 2 1, 3 1, 4 1, 6 1. 7 1, 9 1, 14 1, 16 1, 22 1, 32 1, 34 1, 35 1, 48 1, 51 1, 52 1, 60 1, 70 1,104 1,109 1,110 1,118

146,148,212,229 11,86 11,86 11 146 247 245,265f. 159 247 317f. 247 269 147,152, 268f. 146f., 152, 268f„ 288,299 247 247 87 247 74 247 266f„ 269 269 11,177

2,ep. 2, 1 2, 2 2, 6 2, 10 2, 12 2, 21 2, 22 2, 23 2, 36 2, 57

147,229 91,177 212 177,300 147 147 50,147,247 50,147,247 50,147,247 134 266

3, 3, 3, 3,

11,91 91 147 147

1 2 8 11

Index

3, 12 3, 44 3, 45 3, 50 3, 68 3, 69 3, 86 3,100

245,256,267, 269 247f. 247f. 247f. 92,267 143 92,267 11

4, 14 4, 33 4, 82

244 77 177

5, 1 5, 2 5, 68

91 11, 91 269

6, 6, 6, 6, 6,

11 269 170 269 177, 269

1 23 60 64 65

7, 14 7, 87

265f. 266

8,ep.

229

9, ep. 9, 28

229 212

10, 10, 10, 10, 10,

1 2 20 64 98

177 177 115,212 92 266

11, 11, 11, 11, 11, 11, 11, 11,

1 2 6 15 35 52 62 94

91 246 244-246,265f. 146,246 270 267 269 167

12, ep. 12, 95

229 141

14, 77 14,185 14,187 14,188 14,189 14,195

266 316 316 316 316 316

„An excellent new edition..." Mnemosyne

„De syllabis", ein sich nach Form und Inhalt von den üblichen Silbenbehandlugen wesentlich unterscheidendes verifiziertes Fachbuch über die Silbenprosodie im lateinischen Hexameter von Terentianus Maurus (Ende 2. / Anfang 3. Jh. n. Chr.), wird hier seit über 100 Jahren nach Lachmanns und Keils Editionen in einer textkritischen Ausgabe mit sorgfältiger Dokumentation der bisherigen Forschungsleistung sowie einer Vielzahl neuer Texteingriffe mit Vers- und Seitenumstellungen neu vorgelegt und zum ersten Mal übersetzt, ausführlich kommentiert und interpretiert.

Jan-Wilhelm Beck

Terentianus Maurus, De syllabis Textausgabe, Übersetzung, Kommentar. (Hypomnemata 102). 1993. 621 Seiten, kartoniert. ISBN 3-525-25202-1

Kapitel zu Überlieferung, Inhalt, Sprache, Verstechnik, der Frage des Lehrgedichts und des Adressaten, der literaturgeschichtlichen Einordnung des Tertianus, seinem Verhältnis zu den lateinischen Grammatikern und zur relativen Chronologie seiner erhaltenen Werke runden die gründliche Analyse ab, ergänzt noch durch eine umfangreiche, übersichtlich gegliederte Bibliographie zum Gesamtwerk und der Reproduktion des einzigen Textzeugen.

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Lustrum

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Internationale Forschungsberichte aus dem Bereich des klassischen Altertums. Herausgegeben von Hans Gärtner und Hubert Petersmann.

Zeitschrift für griechische und lateinische Sprache. Herausgegeben von Klaus Nickau und Klaus Strunk, ab Band 72/1994 gemeinsam mit Gerhard Meiser.

Erscheinungsweise: jährlich ISSN 0024-7421 Lustrum knüpft an Aufgaben und Stil der seinerzeit zentralen deutschen Bibliographie, der von C. Bursian begründeten »Jahresberichte über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft« an. In Lustrum werden kritische Literaturberichte über internationale Entwicklungen und Ergebnisse auf wichtigen Gebieten der Altertumskunde vorgelegt. Es ist den neuen Herausgebern gelungen, eine größere Zahl international renommierter Fachvertreter aus dem In- und Ausland für die Mitarbeit zu gewinnen.

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Erscheinungsweise: in zwangloser Folge (pro Band 2 Doppelhefte). Die Bände 1-39 (1909-1960/61) mit Index der Bände 1-20 sind lieferbar bei Schmidt Periodicals, Bad Feilnbach. ISSN 0017-1298 Die Zeitschrift wurde im Jahre 1907 von Paul Kretschmer und Franz Skutsch zu dem Zweck gegründet, die Zusammenarbeit von Sprachwissenschaft und Philologie auf dem Gebiet der griechischen und lateinischen Sprache zu fördern. Die zunehmende Spezialisierung in beiden Disziplinen erfordert heute mehr denn je eine solche Verbindung. Mitarbeiter aus beiden Bereichen stellen hier Gegenstände, Methoden und Ergebnisse ihrer Forschung zur Diskussion.

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