Grundzüge einer deutschen Grammatik [2., unveränderte Auflage, Reprint 2022]
 9783112642627

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Zeichenindex
1. Grundlagen
1.1. Sprachsystem, Äußerungsstruktur, Grammatik
1.2. Zur semantischen Komponente des Sprachsystems
1.3. Die kommunikativ-pragmatische Komponente
1.4. Zum Begriff des Inhalts und zum Zeichenverhältnis bei morphologischen Kategorien
1.5. Die syntaktische Komponente
1.6. Die phonologische Komponente
1.7. Die Beziehungen zwischen den Schichten der Äußerungsstruktur
2. Struktur der Wortgruppen
2.1. Grundlagen
2.2. Einfunktionale Wortgruppen
2.3. Mehrfunktionale Wortgruppen
3. Wortklassen und Wortstrukturen
3.0. Das Wort
3.1. Verben
3.2. Substantive
3.3. Adjektive
3.4. Fronomen
3.5. Unflektierbare
4. Reihenfolgebeziehungen im Satz (Topologie)
4.0. Grundlagen
4.1. Die Grundreihenfolge der Stellungsglieder
4.2. Umordnungen der Grundreihenfolge
5. Zur Systematisierung der Abwandlungen
5.1. Allgemeines
5.2. Abwandlungen in einfachen Sätzen
5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen
6. Phonologie: Intonation
Einleitung
6.1. Phonetisch-phonologische Grundlagen
6.2. Die Beziehung der Intonation zur Syntax
6.3. Spezifische syntaktische Funktionen der Intonation
7. Phonologie: Segmentale Struktur
7.0. Allgemeines
7.1. Phonologische Merkmale
7.2. Hauptklassen von Segmenten
7.3. Der Vokalismus
7.4. Der Konsonantismus
7.5. Kombination von Merkmalen und Segmenten: Phonologische Strukturbedingungen
Verzeichnis der Umschrifftzeichen
Literaturverzeichnis
Register

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Grundzüge einer deutschen Grammatik

Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut f ü r Sprachwissenschaft

Grundziige einer deutschen Grammatik Von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Karl Erich Heidolph, Walter Flämig und Wolfgang Mötsch

2., unveränderte Auflage

Akademie-Verlag • Berlin 1984

Autoren: Walter Flämig, Brigitta Haftka, Karl Erich Heidolph, Horst Isenberg, Fritz Jüttner, John Pheby, Renate Steinitz, Wolfgang Ullrich Wurzel

Erschienen im Akademie-Verlag, D D R • 1086 Berlin, Leipziger Str. 3—4 L e k t o r : Anneliese F u n k e © Akademie-Verlag Berlin 1980 L i z e n z n u m m e r : 202 • 100/175/83 Offsetdruck u n d B i n d u n g : V E B Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 B a d Langensalza G e s t a l t u n g : Rolf Kunze, Großpösna B e s t e l l n u m m e r : 753 1255(6302) • L S V 0815 P r i n t e d in G D R D D R 48,-TM

Vorwort

Die »Grundzüge« sind ein Versuch, einen Überblick über den Aufbau des Systems der gegenwärtigen deutschen Literatursprache njit der Darstellung der internen Zusammenhänge dieses Systems zu verbinden. Deshalb werden alle Teilbereiche der Grammatik (einschließlich der segmentalen Phonologie und der Intonation) mehr oder weniger ausführlich behandelt. An ein Buch mit diesem Ziel werden gewichtige Anforderungen gestellt: — Die Teilbereiche des Sprachsystems sind auf der Grundlage eines möglichst einheitlichen Modells darzustellen. Auch bei der Beschreibung grammatischer Details dürfen diese nicht als isolierte Tatsachen behandelt werden, sondern sind in übergreifende Zusammenhänge zu stellen. — Das Sprachsystem selbst darf nicht als isolierter Beschreibungsgegenstand erscheinen. Es ist deshalb wichtig, ausgehend von einem marxistisch-leninistischen Gesamtkonzept der menschlichen Sprache, einen sprachtheoretischen Bezugsrahmen zumindest anzudeuten. I n diesem Bezugsrahmen kann das Sprachsystem in seinen Beziehungen zu anderen Aspekten der Sprache betrachtet werden. — Die Darstellung soll nicht nur Forschungsresultate vermitteln, sie hat auch die Motive für die jeweiligen Entscheidungen zu verdeutlichen und mögliche Alternativlösungen aufzuzeigen, so daß in unklaren Fällen dogmatische Festlegungen vermieden werden. Angestrebt war somit nicht eine reine Resultatsgrammatik, sondern eine problemorientierte Darstellung grammatischer Regelmäßigkeiten der deutschen Gegenwartssprache. Daher setzt das Buch, obwohl nicht allein für Grammatikspezialisten bestimmt, doch Leser voraus, die bereits linguistische Kenntnisse besitzen. Andernfalls ist eine hochschulpädagogische Umsetzung erforderlich. Die »Grundzüge« können u. a. Hochschullehrern im In- und Ausland, die Vorlesungen und Übungen zur deutschen Grammatik für Germanistikstudenten vorbereiten, als fachliches Hilfsmittel dienen, sie können jedoch auch Lehrern und fortgeschrittenen Studenten sprachwissenschaftlicher Disziplinen zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Gegenstand verhelfen. Darüber hinaus kann das Buch Sprachwissenschaftlern eine grammatische Grundlage für kommunikationstheoretische, textlinguistische, stilistische, soziolinguistische oder psycholinguistische Untersuchungen geben. Auch für Vergleiche des Deutschen mit anderen Sprachen kann es herangezogen werden. In bestimmtem Maße eignet

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Vorwort

es sich (neben den üblichen Materialien) als Hilfsmittel für die Vorbereitung des Fremdsprachenunterrichtes oder des Deutschunterrichts für Ausländer. Schließlich können sich Vertreter anderer Wissenschaftszweige, in deren Problematik Sprache eine Rolle spielt, vor allem anhand des Kapitels 1, einen ersten Einblick in den Aufbau von Sprachsystemen und in die Probleme ihrer linguistischen Darstellung verschaffen. Trotz unbestreitbarer Erfolge der Sprachwissenschaft gerade auf dem Gebiet der Grammatik ist jeder Versuch, das System einer Sprache genauer zu erfassen, noch immer ein mit erheblichen Unsicherheiten und zahlreichen Schwierigkeiten verbundenes Unternehmen. Die gegenwärtige Situation kann weder, in empirischer noch in theoretischer Hinsicht als stabil bezeichnet werden. Auch Spezialisten sind sich nicht immer bewußt, wie groß — neben der beträchtlichen Menge bereits erkannter Regelmäßigkeiten — die Lücken in der Kenntnis des Systems der betreffenden Sprache sind. Eher grundsätzlichen Charakter haben hingegen die Schwierigkeiten auf theoretischem Gebiet. So sind gegenwärtig selbst einige zentrale Fragen ungeklärt, wie z. B. die folgenden: — Welche Schichten in der Struktur von Äußerungen sind anzunehmen? — Welche Rolle spielt das Lexikon im Sprachsystem? — Welche pragmatischen Faktoren sind in der Grammatik zu berücksichtigen, und in welcher Form muß das geschehen? Hinzu kommt, daß der Erkenntnisprozeß auf theoretischem Gebiet maßgeblich durch mehrere konkurrierende Konzeptionen bestimmt wird, die meist auf sehr unterschiedlichen Ansprüchen an wissenschaftstheoretische Voraussetzungen beruhen. Einen systematischen Vergleich von Grammatik-Positionen, der es ermöglichen würde, tatsächlich verschiedene theoretische Standpunkte von bloßen Verbalisierungsdifferenzen abzuheben, gibt es nur in Ansätzen und jedenfalls nicht als ein Wissen, das allgemeine Anerkennung findet. Da die Analyse sprachlichen Materials, die Darstellung und Interpretation von Fakten, in einem erheblichen Maße von theoretischen Voraussetzungen abhängt, entbindet auch eine Konzentration des Interesses auf die sprachlichen Tatsachen nicht von der Verpflichtung, die theoretischen Grundlagen anzugeben, von denen aus die Grammatik einer Sprache geschrieben werden soll. Die Autoren der »Grundzüge« waren bemüht, theoriebewußt vorzugehen, ohne die Darstellung selbst zu stark mit technischen Mitteln zu belasten. Sie setzen deshalb bei ihren Beschreibungen ein den Zwecken angepaßtes Modell voraus. Die Wahl eines Modells für die Darstellung des Systemaspekts einer Sprache ist mit mehreren grundsätzlichen Entscheidungen verbunden, die bis zu den methodologischen und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen reichen. Bei der theoretischen Begründung des in den »Grundzügen« vorausgesetzten Grammatikmodells wurde versucht, wesentliche Zusammenhänge zwischen linguistischen und philosophischen Aspekten eines umfassenden Sprachkonzepts aufzuzeigen und zugleich zu verdeutlichen, daß die marxistisch-leninistische Philosophie in der Lage ist, einen systematischen Bezug der für die Beschreibung und Erklärung grundlegenden Eigenschaften natürlicher Sprachen herzustellen. Was den Systemaspekt der Sprache angeht, so stützen sich die »Grundzüge« auf

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Vorwort

ein Modell, das Erkenntnisse der Grammatikforschung verschiedener Richtungen berücksichtigt. Dieses Modell ist nicht als ein Beitrag zur Grammatiktheorie gemeint, sondern als eine Basis für die in den einzelnen Kapiteln vorzunehmenden Beschreibungen gedacht. Daraus leiten sich einige Unbestimmtheiten ab, die der Zweck des Buches zuläßt. So ist der Aufbau der kommunikativ-pragmatischen Komponente und ihr Zusammenspiel mit anderen Komponenten noch weitgehend ungeklärt. Es schien den Autoren jedoch wichtiggerade die mit dieser Komponente verbundenen Tatsachen und Problemstellungen aufzuzeigen, da es sieh hier um ein Gebiet des Sprachsystems handelt, das für das Verständnis dieses Systems wesentlich ist und dessen genauere theoretische Erfassung eine zentrale Aufgabe der gegenwärtigen Grammatikforschung ist. Auch der Begriff der Abwandlung ist — so wie er in den »Grundzügen« verwendet wird — in gewissem Maße ungenau, da seine theoretischen Voraussetzungen und Konsequenzen — insbesondere auch sein Verhältnis zum Begriff der Transformation in einem Erzeugungssystem — nicht in allen Einzelheiten angebbar ist. Denjioch gestattet dieser Begriff nach Meinung der Autoren, die mit ihm beschriebenen grammatischen Beziehungen in einer anschaulichen Weise darzustellen. Das Manuskript wurde mit dem Wissen um einige Schwächen abgeschlossen, Die einzelnen Kapitel lassen noch an vielen Stellen Züge der separaten Erarbeitung erkennen. Eine größere Vereinheitlichung sowie der Ausgleich von. Disproportionen und Lücken wäre denkbar gewesen, hätte jedoch erhebliche Zeit beansprucht. Grundsätzlich war es von Vorteil, daß die »Grundzüge« auf der unter Leitung von Walter Flämig erarbeiteten »Skizze der deutschen Grammatik« aufbauen konnten, die 1972 einem kleinen Kreis von Fachkollegen zu Diskussionszwecken zugänglich gemacht wurde. Einige darin getroffene Festlegungen erwiesen sich später allerdings als ungünstig. Die Autoren glauben aber, daß das große Interesse, das bereits die »Skizze« im Hochschulunterricht gefunden hat, es rechtfertigt, die »Grundzüge« in der vorliegenden Form herauszugeben. Sie gehen davon aus, daß ihre Arbeit der Information dient, aber auch die Diskussion grammatischer Fragen fördern kann. Die Autoren sind bzw. waren Mitarbeiter des Zentralinstituts für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR. Im einzelnen sind mit den folgenden Kapiteln bzw. Abschnitten beteiligt: Karl Erich Heidolph Renate Steinitz Walter Flämig Horst' Isenberg Brigitta Haftka Fritz Jüttner John Pheby Wolfgang Ullrich Wurzel :

1.1., 1.2., 1.3., 1.4., 1.7., 2.2., 2.3.1. 1.5., 2.1., 2.3.2., 2.3.3. 3.O., 3.1., 3,2., 3.3., 3.4.1., 3.5. 3.4.2., 3.4.3. 4. 5. 6.

1.6., 7.

Karl Erich Heidolph hat in Diskussionen mit anderen Mitarbeitern die Konzeption des Buchs ausgearbeitet und in Kapitel 1 formuliert. An der Konzeption und Diskussion von Vorstufen anderer Kapitel hat er z. T. erheblichen Anteil. Die Gesamtverantwortung für Kapitel 3 hatte Walter Flämig. Die Gesamtre-

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Vorwort

daktion lag in den Händen von Wolfgang Mötsch, der insbesondere Kapitel 5 stärker bearbeitet hat. An der Diakussion des Manuskripts beteiligte sich eine große Zahl von Kollegen, die z. T. umfangreiche Gutachten zu den einzelnen Kapiteln verfaßten und den Autoren wertvolle Hinweise gaben. Wir danken an dieser Stelle Manfred Bierwisch, Wilhelm Bondzio, Gerhard Heibig, Jürgen Kunze, Ewald Lang, Ronald Lötzsch, Werner Neumann, Rudolf Rüiiöka, Thea Schippan, Hartmut Schmidt, Karl-Ernst Sommerfeldt, Günter Starke, Peter Suchsland, Dieter Viehweger« und Ilse Zimmermann. Unser besonderer Dank gilt Gisela Krause, Dorothea Duckwitz, Renate Sobolewski, Brita Unger und Renate Eickhoff für die große Einsatzbereitschaft bei der Manuskriptherstellung und unseren beiden neuen Kolleginnen Edda Oehme und Edeltraut Winkler, die die'mühevolle Korrekturarbeit mit uns teilten. Karl Erich Heidolph Walter Flämig Wolfgang Mötsch

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen 19 Zeichen index 23 1.

Grundlagen 27

1.1.

Sprachsystem, Äußerungsstruktur, Grammatik 27

1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4.

Zur semantischen Komponente des Sprachsystems 46 Vorbemerkungen über Voraussetzungen und Bedingungen der Beschreibung 46 Bemerkungen zum Verhältnis von Sprache, Bewußtsein und Wirklichkeit 51 Semantische Eigenschaften von Äußerungen 62 Zum Aufbau semantischer Strukturen 70

1.3. 1.3.0. 1.3.1. 1.3.2.

Die kommunikativ-pragmatische Komponente 84 Zum Charakter der kommunikativ-pragmatischen Komponente 84 Orientierung auf die Bedingungen der Kommunikationssituation 91 Intention der Äußerung: Die Festlegung der Verwendungsweise der mit der Äußerung verbundenen Sachverhaltsbeschreibung 93 Bewertung der Geltung der Äußerung 96 Bewertung und Gliederung der in der Äußerung enthaltenen Information nach ihrer Bekanntheit 101 Zur grammatischen Darstellung der kommunikativ-pragmatischen Struktur 105

1.3.3. 1.3.4. 1.3.5. 1.4.

Zum Begriff des Inhalts und zum Zeichenverhältnis bei morphologischen Kategorien 107

1.5. 1.5.0. 1.5.1. 1.5.2. 1.5.3. 1.5.4. 1.5.5. 1.5.6. 1.5.7.

Die syntaktische Komponente 112 Die syntaktische Komponente im Sprachsystem und in der Grammatik 112 Reihenfolgebeziehungen 114 Hierarchische Beziehungen 116 Grundbegriffe der Konstituentenstruktur 119 Valenzbeziehungen 124 Wortgruppen und syntaktische Funktionen 129 Zwei-Teilung der syntaktischen Komponente 130 Syntaktische Grundstruktur und abgewandelte Strukturen 135

1.6. 1.6.0.

Die phonologische Komponente 145 Die phonologische Komponente im Sprachsystem und in der Grammatik 145

10

Inhaltsverzeichnis

1.6.1. 1.6.2. 1.6.3.

Phonologische und phonetische Ebene 146 Phonologische Einheiten 148 Phonologische Regularitäten 150

1.7. 1.7.0. 1.7.1. 1.7.2. 1.7.3. 1.7.3.1. 1.7.3.2. 1.7.3.3. 1.7.3.4. 1.7.4.

Die Beziehungen zwischen den Schichten der Äußerungsstruktur 152 Einleitung 152 Der Satz als zentrale Einheit in der Struktur von Äußerungen 154 Sätze und Satzfolgen und ihre Beziehungen zum Äußerungsinbalt 156 Das Wort als Vermittlungseinheit zwischen semantischer und syntaktischer Struktur 159 Wortketten 159 Semantische Valenz 163 Syntaktische Valenz 168 Semantische Rollen und syntaktische Funktionen 172 Weitere Teilaspekte der Beziehungen zwischen den Struktur schichten 175

2.

Struktur der Wortgruppen 176

2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3.

Grundlagen 176 Wortgruppen 176 Satzglieder 179 Die übrigen syntaktischen Konstituenten, ihre Funktionen 183

2.2. 2.2.0. 2.2.1. 2.2.1.1. 2.2.1.2. 2.2.1.3. 2.2.1.4. 2.2.1.5. 2.2.2. 2.2.2.1. 2.2.2.2. 2.2.2.3. 2.2.2.4. 2.2.3. 2.2.4.

Einfunktionale Wortgruppen 185 Einführung 185 Die Satzbasis (SB) 187 Allgemeine Charakteristik von SB 187 Der Aufbau von SB 193 Obligatorische Konstituenten von SB: Das Subjekt 202 Fakultative Konstituenten von SB: Adverbialbestimmungen in 207 Fakultative Konstituenten von SB: Negation 220 Die Prädikatsgruppe (PG) 224 Allgemeine Charakteristik von PG 224 Der Aufbau von PG 226 Fakultative Konstituenten von PG: Adverbialbestimmungen n 230 Fakultative Konstituenten von PG: Objekte 232 Die engere Prädikatsgruppe (ePG) 238 Das Prädikat (P) 247

2.3. 2.3.1. 2.3.1.0. 2.3.1.1. 2.3.1.2. 2.3.1.3. 2.3.1.4. 2.3.1.5. 2.3.1.6.

Mehrfunktionale Wortgruppen 254 Die Substantivgruppen (SbG) 254 Einleitung und Übersicht 254 Die Grundstruktur: Volle SbG 262 Grundstruktur: Pronominale SbG 280 Abgewandelte syntaktische Struktur von SbG: Attributive Erweiterungen 287 Hauptfunktionen von SbG: Subjekt 315 Hauptfunktionen von SbG: Objekt (Einziges Objekt) 331 Hauptfunktionen von SbG: Objekt (Mehrere Objekte) 354

Inhaltsverzeichnis

11

2.3.1.7. 2.3.2. 2.3.2.0. 2.3.2.1. 2.3.2.2. 2.3.2.2.1. 2.3.2.2.2. 2.3.2.2.3. 2.3.2.3. 2.3.2.3.1. 2.3.2.3.2. 2.3.2.3.3. 2.3.2.4. 2.3.2.4.1. 2.3.2.4.2. 2.3.2.4.3. 2.3.2.5. 2.3.2.6. 2.3.2.7. 2.3.2.8. 2.3.3. 2.3.3.0. 2.3.3.1. 2.3.3.1.1. 2.3.3.1.2. 2.3.3.1.3. 2.3.3.2.

Nebenfunktionen von SbG: SbG als Adverbialbestimmungen 367 Präpositionalgruppe (PräpG) 370 Funktionen und interne Struktur 370 Adverbialbestimmung — Hauptfunktion von PräpG 372 Adverbialbestimmung des Typs Advbz 378 Räumliche Einordnung 380 Lokalbestimmung 384 Richtungsbestimmung 387 Adverbialbestimmung des Typs Advb n 388 Artangabe 389 Maßangabe 392 Instrumentalbestimmung 397 Adverbialbestimmung des Typs Advb m 402 Eigentliche Temporale 404 Zeitdauerangaben (Durative) 411 Frequentative 419 „Valenznotwendigkeit" sonst nicht-notwendiger Adverbial-Klassen 425 PräpG als Präpositionalobjekt 427 PräpG als Prädikativ 431 PräpG als Abwandlungaresultat 442 Adverbgruppe (AdvG) und Adjektivgruppe (AdjG) 444 Interne Struktur 444 Adverbialbestimmung — Hauptfunktion von AdvG 446 Pro-Formen 446 Relationale Adverbien 450 „Autonome" Adverbien 455 Adverbialbestimmung und Prädikativ als Nebenfunktionen von AdjG bzw. AdvG 456

3.

Wortklassen und Wortstrukturen 458

3.0. 3.0.1. 3.0.1.1. 3.0.1.2. 3.0.2. 3.0.2.1. 3.0.2.1.1. 3.0.2.1.2. 3.0.2.1.3. 3.0.2.2. 3.0.2.2.1. 3.0.2.2.2. 3.0.2.2.3. 3.0.2.2.4. 3.0.2.2.5. 3.0.2.3.

Das Wort 458 Das Wort als sprachliche Grundeinheit 458 Definition des Wortes 458 Zur Problematik der Definition des Wortes 462 Grammatische Merkmale des Wortes 464 Die Morphemstruktur des Wortes 464 Morpheme und Morpheminventare 464 Distribution und Hierarchie 467 Problematisches 469 Semantischer Aspekt 469 Die Bedeutung des Wortes 469 Zur Bedeutungsstruktur 471 Bedeutungsbeziehungen zwischen Wörtern / Wortformen 474 Bedeutungsunterschiede 474 Bedeutungsvereinbarkeit 478 Kommunikativ-pragmatischer Aspekt 480

12

Inhaltsverzeichnis

3.0.2.4. 3.0.2.5. 3.0.2.5.1. 3.0.2.5.2. 3.0.3. 3.0.3.1. 3.0.3.1.1. 3.0.3.1.2. 3.0.3.1.3. 3.0.3.2. 3.0.3.2.1. 3.0.3.2.2. 3.0.3.2.3.

Syntaktischer Aspekt 482 Morphologischer Aspekt 483 Allgemeines 483 Die Flexion 483 Die grammatische Klassifizierung des Wortbestandes 487 Die grammatischen Wortklassen 487 Allgemeines, Klassifizierungsgrundsätze 487 Wortklassen, Merkmale 490 Gesamtcharakteristik 492 Klassifizierungsfragen 493 Zur Heterogenität, Schichtung der Wortklassen 493 Handhabbarkeit und Widerspruchsfreiheit 494 Übergreifende Gesichtspunkte, Querschnittsbetrachtung 495

3.1. 3.1.1. 3.1.1.1. ,3.1.1.2. 3.1.2. 3.1.2.1. 3.1.2.1.1.

3.1.2.2. 3.1.2.2.1. 3.1.2.2.2.

Verben 497 Allgemeines 497 Wortklassencharakteristik 497 Subklassifizierung 499 Struktur des Verbs 500 Semantisch-syntaktischer Aspekt 500 Kategoriale Merkmale der Verbstämme Zur Bedeutung 500 Kategoriale Merkmale der Verbstämme Aktionsart 501 Kategoriale Merkmale der Verbstämme Valenz 505 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Tempus/Modus 507 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Person/Numerus 539 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Genus des Verbs 540 Morphologischer Aspekt 560 Formativstruktur 560 Konjugation 561

3.2. 3.2.1. 3.2.1.1. 3.2.1.2. 3.2.2. 3.2.2.1. 3.2.2.1.1. 3.2.2.1.2. 3.2.2.1.3. 3.2.2.1.4. 3.2.2.2.

Substantive 568 Allgemeines 568 Wortklassencharakteristik 568 Subklassifizierung 570 Struktur des Substantivs 571 Syntaktisch-semantischer Aspekt 571 Genus des Substantivs 571 Numerus 576 Kasus 579 Der Artikel 591 Morphologischer Aspekt 595

3.1.2.1.2. 3.1.2.1.3. 3.1.2.1.4. 3.1.2.1.5. 3.1.2.1.6.

Inhaltsverzeichnis

3.3. 3.3.1. 3.3.1.1. 3.3.1.2. 3.3.1.3. 3.3.2. 3.3.2.1. 3.3.2.1.1.

13

3.3.2.3. 3.3.2.3.1. 3.3.2.3.2. 3.3.3.

Adjektive 601 Allgemeines 601 Wortklasaencharakteristik 601 Subklassifizierung 603 Abgrenzungsfragen 606 Struktur des Adjektivs 608 Semantischer Aspekt 608 Kategoriale Merkmale der Adjektivstämme Allgemeines 608 Kategoriale Merkmale der Adjektivstämme Semantische Valenzbeziehungen 610 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Komparation 612 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Genus, Numerus, Kasus 615 Syntaktischer Aspekt 615 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Verbs Satzgliedfunktionen 616 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Verbs Syntaktische Valenz 618 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Verbs Zur Adjektiv-Adverb-Probl«»natik 621 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Substantivs / Adjektivs Gliedteilfunktionen 623 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Substantivs / Syntaktische Kongruenz 625 ' Morphologischer Aspekt 627 Komparationsformen 627 Deklinationsformen 628 Adjektivische Funktionen von Partizipien 630

3.4. 3.4.1. 3.44.1. 3.4.1.2. 3.4.2. 3.4.2.1. 3.4.2.2. 3.4.3. 3.4.3.1. 3.4.3.2. 3.4.3.3. 3.4.3.4. 3.4.3.5. 3.4.3.6. 3.4.3.7.

Fronomen 632 Allgemeines 632 Wortklassencharakteristik 632 Definitionsfragen 635 Subklassen von Pronomen 636 Semantische Subklassen 636 Syntaktische Subklassen 639 Charakteristik der einzelnen Pronomen 644 Stellvertreter-Pronomen 644 Deiktische Personalpronomen 649 Interrogativpronomen 657 Negationspronomen 661 Kollektiv- und Distributivpronomen 663 Definitpronomen 669 Indefinitpronomen 678

3.3.2.1.2. 3.3.2.1.3. 3.3.2.1.4. 3.3.2.2. 3.3.2.2.1. 3.3.2.2.2. 3.3.2.2.3. 3.3.2.2.4. 3.3.2.2.5.

14

Inhaltsverzeichnis

3.5. 3.5.0. 3.5.1. 3.5.1.1. 3.5.1.2. 3.5.1.3. 3.5.1.4. 3.5.2. 3.5.2.1. 3.5.2.2. 3.5.2.3. 3.5.3. 3.5.3.1. 3.5.3.2. 3.5.3.3.

Unflektierbare 682 Allgemeine Charakteristik 682 Adverbien 684 Allgemeine Charakteristik 684 Struktur des Adverbs 686 Abgrenzungskriterien 691 Exemplarische Übersicht zur Subklassifizierung 692 Präpositionen 695 Allgemeine Charakteristik 695 Struktur der Präpositionen 695 Subklassifizierung der Präpositionen 697 Konjunktionen 698 Allgemeine Charakteristik 698 Struktur der Konjunktionen 699 Subklassifizierung der Konjunktionen 701

4.

Reihenfolgebeziehungen im Satz (Topologie) 702

4.0.

Grundlagen 702

4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.2.1. 4.1.2.2.

Die Grundreihenfolge der Stellungsglieder 703 Die Zweitstellung des finiten Verbs in der Grundreihenfolge 703 Die Anordnung der nichtfiniten Stellungsglieder in der Grundreihenfolge 706 Die Anordnung der nichtfiniten Stellungsglieder der Prädikatsgruppe 707 Die Grundposition der Stellungsglieder der Satzbasis (AdverbialbestimmungIir und Subjekt) 713

4.2. 4.2.1. 4.2.1.1. 4.2.1.2. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.4.0. 4.2.4.1. 4.2.4.2. 4.2.4.3. 4.2.4.4. 4.2.4.5. 4.2.5.

Umordnungen der Grundreihenfolge 715 Umordnungen des finiten Verbs, die den Stellungstyp beeinflussen 715 Die Endstellung 717 Die Spitzenstellung 719 Umordnungen innerhalb umfangreicher Verbgruppen 723 Umordnungsmöglichkeiten und -beschränkungen für ePG-Stellungsglieder 725 Kontextuell bedingte Umordnungen der Stellungsglieder 726 Grundlagen 726 Themabereich'und Thematisierung 728 Die Reihenfolge nicht neuer thematischer Einheiten im Hauptfeld 732 Rhemabereich und Rhematisierung 738 Einige automatische Rhematisierungsregeln für Aktivsätze 741 Rhematisierungsbedingungen in Passivkonstruktionen 748 Spezielle kommunikativ-pragmatische Funktionen der Thema-Rhema-Gliederung 751 Spezielle kommunikativ-pragmatische Funktionen der Rhematisierung 751 Spezielle kommunikativ-pragmatische Funktionen der Thematisierung 755 Die Extraposition von Stellungsgliedern 759 Voranstellungen und Parenthesen 759 Nachträge 760

4.2.5.1. 4.2.5.2. 4.2.6. 4.2.6.1. 4.2.6.2.

Inhaltsverzeichnis

15

\

5.

Zur Systematisierung der Abwandlungen 765

5.1.

Allgemeines 765

5.2. 5.2.1.

Abwandlungen in einfachen Sätzen 766 Allgemeines 766

5.2.2.

Aussagesätze

5.2.3. 5.2.4. 5.2.5. 5.2.6. 5.2.7. 5.2.8. 5.2.9.

Fragesätze 768 Ausrufesätze 771 Wunschsätze 772 Aufforderungssätze 772 Kontextbedingte Zuordnungen der Grundreihenfolge 774 Passivsätze 774 Unvollständige Sätze 777

5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.3.1. 5.3.3.2. 5.3.3.2.1. 5.3.3.2.2. 5.3.3.3. 5.3.3.3.1. 5.3.3.3.2. 5.3.3.3.3. 5.3.3.3.4. 5.3.3.4. 5.3.3.4.1.

Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen 777 Allgemeines 777 Darstellung allgemeinster Beziehungen von Sachverhalten 780 Darstellung einer ausgezeichneten Relation zwischen Sachverhalten 785 Allgemeines 785 Temporalverhältnisse 788 Gleichzeitigkeit von Sachverhalten 788 Zeitliche Aufeinanderfolge 791 Sachverhaltsrelationen auf der Grundlage von Konditionalverhältnissen 794 Konditionalverhältnisse 794 .Kausalverhältnisse 799 Die Finalrelation 804 Die Konzessivrelation 806 Modalverhältnisse 810 Nähere Charakterisierung des Sachverhalts p durch den Sachverhalt q (Modalverhältnisse im engeren Sinne) 811 Determination einer Modalität des Sachverhalts p durch eine Modalität des Sachverhalts q (Vergleichsrelation) 813 Charakterisierung eines Sachverhalts in seiner Gesamtheit 816 Hervorhebung des Themas eines Satzes durch einen Satz (Exponierung) 817 Darstellung von Sachverhalten als Bestandteile von Sachverhalten 818 Allgemeines 818 Prädikatsausdrücke mit Subjektsätzen 820 Prädikatsausdrücke mit Objektsätzen 822 Prädikatsausdrücke mit Subjekt- und Objektsätzen 824 Kennzeichnung von Individuen durch einen Sachverhalt 826 Allgemeines 826 Determinierende Attribution 828 Allgemeines 828 Einschränkende oder erläuternde Determination durch Attribution 830 Explikation 833 Reduktionsformen von Attributsätzen 835

5.3.3.4.2. 5.3.3.4.3. 5.3.3.5. 5.3.4. 5.3.4.1. 5.3.4.2. 5.3.4.3. 5.3.4.4. 5.3.5. 5.3.5.1. 5.3.5.2. 5.3.5.2.1. 5.3.5.2.2. 5.3.5.3. 5.3.5.4.

768

16

Inhaltsverzeichnis

6.

Phonologie: Intonation 839

6.1. 6.1.0. 6.1.1. 6.1.1.1. 6.1.1.2. 6.1.1.3. 6.1.2. 6.1.2.1. 6.1.2.2. 6.1.3. 6.1.3.1. 6.1.3.2. 6.1.4. 6.1.4.1. 6.1.4.2. 6.1.5.

Phonetisch-phonologische Grundlagen 840 Allgemeines 840 Hebung und Senkung der Stimme 842 Phonetisches: Die Tonhöhenbewegung 842 Phonologisohes: Das Tonmuster 843 Nähere Beschreibung der Tonmuster 844 Gliederung 848 Phonetisches: Die artikulatorische Gliederung der Äußerung 848 Phonologisohes: Die Tongruppe 849 Rhythmus 850 Phonetisches: Die rhythmische Struktur der Äußerung 850 Phonologisohes: Der Takt 852 Betonung 854 Phonetisches: Prominenz 854 Phonologisohes: Die Tonsilbe 855 Nähere Charakterisierung der Tongruppe: Das phonologische System der Intonation 856

6.2. 6.2.0. 6.2.1. 6.2.2. 6.2.2.1. 6.2.2.2. 6.2.2.3. 6.2.3. 6.2.3.1. 6.2.3.2. 6.2.4. 6.2.4.1. 6.2.4.2. 6.2.4.3. 6.2.4.4.

Die Beziehung der Intonation zur Syntax 857 Allgemeines 857 Funktionen der Tongruppe: Kongruenz 859 Bestimmung der Kongruenz 861 Bestimmung der Satzgliedkongruenz 862 Bestimmung der Satzkongruenz 863 Die Funktion der Kongruenz: Informationsverteilung 864 Die Funktion der Tonsilbe: Die Stellung der Informationsschwerpunkte 866 Die unmarkierte Schwefpunktstellung 866 Die markierte Schwerpunktstellung 873 Funktionen der Tonmusterselektion: Differenzierung 874 Unterscheidung zwischen Satzarten 874 Unterscheidungen innerhalb der Satzarten 874 Tonmusterselektion und Informationsverteilung 876 Reihenfolge der Informationseinheiten 877

6.3. 6.3.0. 6.3.1. 6.3.1.1. 6.3.1.2. 6.3.2. 6.3.2.1. 6.3.2.2. 6.3.3. 6.3.3.1. 6.3.3.2.

Spezifische syntaktische Funktionen der Intonation 879 Allgemeines 879 Die Intonation im Aussagesatz 881 Die Intonation im kongruenten Aussagesatz 881 Die Intonation im inkongruenten Aussagesatz 883 Die Intonation im Fragesatz 885 Die Intonation im kongruenten Fragesatz 885 Die Intonation im inkongruenten Fragesatz 888 Die Intonation bei koordinativer Verknüpfung 889 Konjunktive Verknüpfung {und) 890 Adversative Verknüpfung {aber) • 891

Inhaltsverzeichnis

17

6.3.3.3.

Disjunktive Verknüpfung (oder) 892

6.3.4.

Die Intonation bei subordinativer Verknüpfung 893

7.

Phonologie: Segmentale Struktur

7.0.

Allgemeines

7.1.

Phonologische Merkmale 899

898

898

7.2.

Hauptklassen von Segmenten

7.3. 7.3.1. 7.3.2.

Der Vokalismus 904 Qualitative Klassifizierung der deutschen Vokale 904 Quantitative Klassifizierung der deutschen Vokale: Länge, Gespanntheit u n d Zentralisierung 907 Länge und Gespanntheit der Vokale in n a t i v e n Wörtern. Lange u n d k u r z e Vokalphoneme 910 Länge u n d Gespanntheit der Vokale in nichtnativen Wörtern. Die kurzen nichtzentralisierten Vokalphoneme 914 Die Diphthonge 920 Vokalische Alternationen 921 Der unbetonte Zentralvokal [a] („Schwa") 922 Quantitative Alternation in nichtnativen Wörtern. Halblänge 928 Z u m Umlaut 932

7.3.2.1. 7.3.2.2. 7.3.3. 7.3.4. 7.3.4.1. 7.3.4.2. 7.3.4.3. 7.4. 7.4.1. 7.4.2. 7.4.2.1. 7.4.2.2. 7.4.2.3. 7.4.2.4. 7.4.2.5. 7.4.3. 7.4.3.1. 7.4.3.2. 7.4.3.3. 7.4.3.4. 7.4.3.5. 7.4.4. 7.5.

901

Der Konsonantismus 937 Die Problematik der deutschen Affrikaten 937 Die Klassifizierung der Konsonanten 940 Das Vorkommen der könsonantischen L a u t e 940 Allgemeine Prinzipien der Klassifizierung. Obstruenten und Sonoranten, stimmh a f t e und stimmlose Konsonanten 943 Artikulationsstelle und artikulierendes Organ 944 Artikulationsart 947 Zusammenfassung: Die phonologischen Merkmale der deutschen K o n s o n a n t e n 949 Konsonantische Alternationen 949 Die „Auslautverhärtung" und die Geminatenvereinfachung 951 Die Alternation zwischen^] und [x]. Der phonologische S t a t u s des Gleitlautes [h] 954 Die Alternation zwischen [g] und [ \> V . ^

Tonmuster: la, lb, 2a, 2b, 3

*

Tonhöhe einer schwachen bzw. einer starken Silbe (Punkt bzw. fetter Strich über Transkriptionslinie)



Tonsilbe

5i i.

—f

Tonhöhenbewegung innerhalb einer schwachen Silbe s

—\

Tonhöhenbewegung innerhalb einer Tonsilbe

Grundlagen

Sprachsystem, Äußerungsstrukturen, Grammatik I n der Sprache sind Bewußtsein und lautliche (oder graphische) Äußerung zu einer Einheit verbunden. Durch die Verbindung der Abbildung der Wirklichkeit im Bewußtsein mit vom Menschen selbst erzeugbaren und wahrnehmbaren Äußerungen kann sie die sozialen Beziehungen vermitteln und die Bewußtseinsprozesse organisieren (s. dazu 1.2. und 1.3.). Die Einheit von Bewußtsein und Lautäußerung verwirklicht sich in den einzelnen sprachlichen Äußerungen als Einheit eines konkreten Bewußtseinsinhalts mit einer konkreten Lautäußerung. Diese gegenseitige Zuordnung ist nicht zufällig, sie erfolgt nicht spontan für jede einzelne Lautäußerung. Sie stützt sich vielmehr auf bestimmte Eigenschaften des jeweiligen Bewußtseinsinhalts und auf bestimmte Eigenschaften der jeweiligen Lautform. In ihrer gegenseitigen Zuordnung verwirklichen die beiden Seiten der sprachlichen Äußerung bestimmte Typen, ebenso ist die Beziehung zwischen ihnen typisiert, regelhaft. Jede ¡einzelne sprachliche Äußerung verwirklicht also in ihrer Verbindung von konkretem Bewußtseinsinhalt und konkreter Lautäußerung etwas Allgemeines, etwas Regelhaftes. Wir nennen nun a) die Gesamtheit der Eigenschaften, auf Grund derer sich ein Bewußtseinsinhalt in einer sprachlichen Äußerung mit einer Lauteinheit verbindet, den Inhalt der sprachlichen Äußerung, b) die Gesamtheit der Eigenschaften, auf Grund derer sich eine Lautäußerung in einer sprachlichen Äußerung mit einem Bewußtseinsinhalt verbindet, die Lautform der sprachlichen Äußerung. Zum Verhältnis der Begriffe „Inhalt" und „Bedeutung" s. § 6, s. 1.2.0. u n d 1.4. Auf dieser Stufe der Darstellung braiucht zwischen beiden noch nicht streng unterschieden zu werden.

Das Allgemeine, Regelhafte, das sich in allen Äußerungen der Sprache findet, soweit es im Aufbau von Inhalten und von Lautformen und i n ihrer gegenseitigen Zuordnung besteht, konstituiert eine besondere Seite der Sprache. Diese Seite nennen wir das Sprachsystem. Es umfaßt also die allgemeinen Eigenschaften der Inhalte und Lautformen und ihrer gegenseitigen Zuordnung in den Äußerungen der Sprache. Das System erscheint in den Äußerungen als ein Allgemeines. Wer eine Sprache erlernt, muß sich dieses Allgemeine in subjektiver Form in Gestalt sprachlicher

1.1. Sprachsystem,

Äußerungsstruktur,

Grammatik

Fähigkeiten aneignen. Damit ist er in der .Lage, Äußerungen dieser Sprache zu verstehen und selbst hervorzubringen. Das Sprachsystem gehört zu den gesellschaftlichen Normen. Zu den entsprechenden sprachlichen Fähigkeiten der Einzelnen verhält es sich wie das Soziale zum Individuellen. Eine Wissenschaft* liehe Beschreibung, ein theoretisches Abbild des Systems einer Sprache nennen wir eine Grammatik dieser Sprache. Das Sprachsystem ist nicht identisch mit der Sprache überhaupt. Es ist nicht das Allgemeine an den Äußerungen schlechthin. Es ist vielmehr nur eine Seite, ein Aspekt der Sprache. Diese Seite.wird im folgenden kurz mit „Laut-Bedeutungs-Zuordnung" bezeichnet, wobei wir ausdrücklich anmerken, daß wir die allgemeinen Eigenschaften der einander zugeordneten Seiten — der Bedeutungen und der Lautformen — mit in diese Bezeichnung einschließen. Die Bestimmung des Sprachsystems als des Systems der Laut-BedeutungsZuordnung bedarf weiterer Erklärungen. Diese betreffen die Determination der Äußerungen durch das Sprachsystem. Die Individuen, die eine Sprache erlernen, eignen sich die allgemeinen Eigenschaften, die zum System dieser Sprache gehören, auf der Basis der Äußerungen ihrer Kommunikationspartner an. Sie verstehen deren Äußerungen nur, indem sie diese allgemeinen Eigenschaften als gesellschaftlich gültige Regeln erfassen; und dadurch, daß sie versuchen, diese allgemeinen Eigenschaften in ihren eigenen Äußerungen zu verwirklichen, werden ihre Äußerungen für andere verstehbar. Auf diese Weise determiniert das System die Äußerungen bzw. — s. § 1 — eine bestimmte Seite der Äußerungen. Umgekehrt gibt es im genetischen Sinne eine Determination des Sprachsystems durch die Äußerungen, da die Individuen sich das System aus einzelnen Äußerungen einzelner Partner in einzelnen Situationen aneignen. Daraus ergeben sich mehr oder weniger zufällige Differenzen zwischen den Individuen und insbesondere charakteristische Differenzen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Wenn sich solche Differenzen zwischen aufeinanderfolgenden Generationen von Sprechern herausbilden, so hat sich damit das Sprachsystem verändert.

I m strengen (phonetischen) Sinne unterscheidet sich jede Äußerung von jeder anderen. Insofern aber als die Äußerungen Träger von Eigenschaften sind, die durch das Sprachsystem determiniert sind, gehören sie jeweils bestimmten Äußerungstypen an. Äußerungstypen sind demnach Klassen von Äußerungen, die in bezug auf die allgemeinen Eigenschaften der Laut-Bedeutungs-Zuordnung übereinstimmen. Wenn z. B. derselbe Sprecher in verschiedenen Situationen sagt: Ich möchte gern Ihren Bruder sprechen, so liegen verschiedene Äußerungen vor. Sie gehören aber zu demselben Typ. Die beiden Äußerungen Es ist schon halb zehn! und Es ist schon halb zehnl, die verschiedenen Inhalt (Aussage/Frage) haben und sich lautlich durch die Intonation unterscheiden, verwirklichen verschiedene Äußerungstypen. Aber auch Äußerungen, die sich nur in der Bedeutung unterscheiden, gehören verschiedenen Typen an; vgl. z. B. Die Wellen waren zu stark. Die Wellen kann sich sowohl auf die Meereswogen beziehen als auch auf Maschinenteile; stark beschreibt einmal eine dynamische Eigenschaft, im anderen Fall eine Körperausdehnung.

Bei der Bildung und beim Verstehen von Äußerungen besteht einer der grund-

Äußerungsstrukturen

29

legenden Teilprozesse in der Schaffung bzw. Identifizierung des Äußerungstyps In den Äußerungstypen verwirklicht sich die Determination der Äußerungen durch das Sprachsystem. Das Sprachsystem stellt jedoch ktein festes Repertoire fertiger Äußerungstypen dar, sonst könnte die Sprache ihre Funktion bei der Vermittlung der sozialen Beziehungen und bei der Organisation des Bewußtseins nicht erfüllen. Daß die Beherrschung einer Sprache (des Systems einer Sprache) die Fähigkeit einschließt, über die früher gehörten, Wortformen, Wortableitungen und Wortgruppen hinaus neue, bis dahin nicht gehörte, zu verstehen und selbst zu bilden, und daß diese Fähigkeit m i t der menschlichen Fähigkeit zusammenhängt, neues Wissen über die Wirklichkeit sprachlich weiterzugeben, hat L. V. SÖERBA 1931 in der Arbeit „0 trojakom aspekte jazykovych javlenij" (SÖERBA (1975)) hervorgehoben. Dieselbe Erscheinung hat N. C H O M S K Y zunächst in ihren formal-strukturellen Grundlagen beschrieben (Rekursivität syntaktischer Strukturen, s. C H O M S K Y (1970), Kap. 3). Unter der Bezeichnung „Kreativität des Sprachgebrauchs" hat er sie sodann als eines der Hauptargumente zur Widerlegung der behavioristischen Sprachpsychologie und zur Begründung seiner eigenen a m philosophischen Rationalismus orientierten Sprachtheorie benutzt (vgl. dazu C H O M S K Y (1970), Kap. 1, bes. § 8; C H O M S K Y (1966), Kap. 1). Eine auf dem Marxismus-Leninismus aufbauende Theorie der Sprache kann die Grundlage der „Kreativität des Sprachgebrauchs" nicht in den geistigen Fähigkeiten des isolierten menschlichen Individuums suchen. Sie muß vielmehr ausgehen v o n der neuen Qualität, die die Widerspiegelung der Wirklichkeit bei den ihren Lebensunterhalt produzierenden, gesellschaftlich organisierten Menschen gegenüber den Tieren annimmt. (Vgl. dazu B I E R W I S C H , H E I D O L P H , M Ö T S C H , N E U M A N N , S U C H S L A N D (1973), S . , 2 4 - 3 1 und S. 6 2 - 6 3 . )

Die Zahl der Äußerungstypen ist in jeder Sprache im Prinzip unbegrenzt. Trotzdem sind sie vom Sprachsystem determiniert. Diese Tatsache ist wie folgt zu erklären. Die Äußerungen bauen sich aus Einheiten verschiedener Beschaffenheit und verschiedenen Umfangs auf. Diese Einheiten und die Beziehungen, die sie beim Aufbau der Äußerungen miteinander eingehen (einschließlich der Zuordnung von Lautform und Bedeutung), sind vom Sprachsystem bestimmt. Aus der Zusammensetzung und dem inneren Aufbau ergeben sich auch die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Äußerüngstypen sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch hinsichtlich der Lautform.

Die Einheiten, die das Sprachsystem vorgibt, können elementar oder komplex sein. Elementare Einheiten sind solche, die hinsichtlich der Eigenschaften, die für die Lant-Bedeutungs-Zuordnung maßgebend sind, nicht aus kleineren Einheiten zusammengesetzt sind. Im Rahmen der Beziehungen., die das Sprachsystem vorsieht, können sich die elementaren Einheiten zu komplexen Einheiten verbinden, die komplexen Einheiten zu komplexen Einheiten höherer Stufe usw. Dadurch aber, daß das Sprachsystem auch Beziehungen zuläßt, nach denen komplexe Einheiten relativ hoher Stufe als Bestandteile in komplexere Einheiten einer relativ niederen Stufe eingehen, können aus einem begrenzten Bestand an Einheiten und einer begrenzten Anzahl vorgegebener Beziehungen unbegrenzt viele Äußerungstypen aufgebaut werden.

1.1. Sprachsystem, Äußerungsstruktur,

Grammatik

Die Fähigkeit des Sprachsystems, unbegrenzt viele Äußerungstypen zu determinieren, beruht darauf, daß es Arten der Komplexbildung zuläßt, die im mathematischen Sinne als rekursiv zu bezeichnen sind.

Die Arten von Einheiten und von Beziehungen zwischen Einheiten, die das Sprachsystem vorsieht, sind korrelativ. Sie existieren nur miteinander und in gegenseitiger Abhängigkeit. In dieser gegenseitigen Abhängigkeit bilden sie die Strukturell der Äußerungen. Auf der Äußerungsstruktur beruhen die allgemeinen, für die Laut-Bedeutungs-Zuordnung wesentlichen Eigenschaften der Äußerungen. a) Die Korrelativität zwischen Einheiten des Systems und Beziehungen besteht tatsächlich. Es sind aber nicht alle Beziehungen von der Art, daß sich komplexere Einheiten stufenweise aus jeweils weniger komplexen aufbauen. Die Äußerungsstruktur umfaßt — vgl. die folgenden Paragraphen — mehrere Schichten, die jeweils relativ unabhängig voneinander organisiert sind (die Lautform, die Bedeutung usw.). Der stufenweise Aufbau gilt innerhalb dieser Schichten. Zwischen ihnen' aber bestehen Beziehungen, die zwar ebenfalls vom System bestimmt sind, aber völlig anderen Charakter haben. b) Zur Struktur der Äußerungen gehören wesentlich auch Beziehungen zu Äußerungen, die anderen Typen angehören. Das wurde weiter oben mit der Formulierung angedeutet, daß sich aus der Zusammensetzung und dem inneren Aufbau auch die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Äußerungstypen ergeben. Das gilt sowohl für Äquivalenzen zwischen Bedeutungen, die unterschiedlich strukturiert sind als auch für syntaktische Abwandlungen (s. u. § 7). c) Besondere Probleme sind mit der obersten Einheit des Sprachsystems und dem Verhältnis von Äußerungsstruktur und Äußerungstyp verbunden. Der Typ einer Äußerung wird auf der Grundlage ihrer Struktur identifiziert. Die Struktur wiederum ist einer der durch das System gegebenen möglichen Äußerungstypen. Mit anderen Worten: Die Äußerungen sind das Einzelne, der Äußerungstyp ist das Besondere; die Struktur bezieht das Einzelne auf das Allgemeine, das System. Die Betonung des dialektischen Charakters der hier besprochenen Erscheinungen hat Konsequenzen für die sprachwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden. An- < nahmen über ) A = B oder B und C Eine Einheit der Klasse A besteht entweder aus je einer Einheit der Klassen B und C oder aus einer Einheit der Klasse B allein. Dann fungieren die Einheiten der Klasse B auf doppelte Weise, sie haben an zwei verschiedenen allgemeinen Strukturzusammenhangen teil. Das Resultat ist ebenfalls eine Teilklassenbildung innerhalb der Klasse von Teilstrukturen, die durch A bezeichnet ist. In der syntaktischen Komponente sind meist beide Arten von alternativen Regelgruppen, miteinander verbunden, vgl. z. B. die Regeln, die den Aufbau von Substantivgruppen betreffen (2.3.1.1., § 8).

1.1. Sprachsystem, Äußerungsstruktur,

Grammatik

Auf die kleinsten Einheiten — und zwar fast ausschließlich auf sie — beziehen Bich Regeln einer anderen Art. In diesen Hegeln erscheinen diese Einheiten als Klassen, denen die bestimmten einzelnen Einheiten, über die die betreffende Komponente des Sprachsystems verfügt, als Elemente zugeordnet werden. So bezieht sich z. B . auf die Einheit „semantisches Prädikat" eine Gruppe alternativer Hegeln, die die verschiedenen semantischen Prädikate, über die die Sprache verfügt, dieser Einheit zuordnet. Auf die Eiinheit „Substantiv" oder „Präposition" beziehen sich Regeln, die festlegen, welche Wörter zu diesen Klassen gehören usw. Dasselbe gilt z. B . auch für die Einheit „Äußerungsintention" der kommunikativpragmatischen Struktur (s. 1.3.2.), die durch die bestimmten Einheiten „Aussage", „Frage", „Aufforderung" spezifiziert wird, für die Einheit „Tempus" in der Flexion des Verbs, die als Präsens, Präteritum oder Futur festgelegt werden kann usw.

Zur Determination jeder Schicht der Äußerungsstruktur ist also außer den Regeln, die den Aufbau der Strukturschicht bestimmen, immer noch eine andere Art von Regeln nötig: Solche Regeln nämlich, die festlegen, welche bestimmten einzelnen Einheiten als Teile in die Strukturen eingehen können. E s gibt sogenannte „abstrakte Einheiten". Das sind Einheiten, die nur im Rahmen einer Abwandlungsbeziehung durch bestimmte einzelne Einheiten spezifiziert werden können. S. dazu die Behandlung der Abwandlungsbeziehungen in 1.5.7. und vgl. insbesondere § 87.

Die Regeln, die Klassen von Einheiten spezifizieren, bilden alternative Gruppen. Die Altemation kann durch besondere Bedingungen eingeschränkt sein: a) Relationale semantische Prädikate können nur auftreten, wenn mehrere Argumente zu der Proposition gehören. Semantische Prädikate, die Eigenschaften beschreiben, sind auf Propositionen mit einem Argument beschränkt. Verben und adjektivische Prädikatsnomina sind an die An- oder Abwesenheit von Objekten und / oder engen Adverbialbestimmungen gebunden (s. 1.5. und Kap. 2.1.). In diesen Fällen ist es die An- oder Abwesenheit von Einheiten bestimmter Klassen, die das Auftreten der einzelnen semantischen Prädikate, der einzelnen Verben usw. beschränkt, Mit Einschränkungen dieser Art ist die Bildung bestimmter Subklassen innerhalb der jeweiligen Klasse von Einheiten verbunden. b) Das Auftreten von bestimmten einzelnen Einheiten einer Klasse ist daran gebunden, daß Einheiten einer anderen Klasse, die in derselben Struktur auftreten, bestimmte Eigenschaften haben (d. h.: bestimmten Subklassen angehören). Diese Art von Beschränkungen alternativer Regeln ist am besten für die syntaktische Komponente untersucht. E s sei hier nur erinnert an Verben, die nur bei vielzahligem Subjekt oder Objekt auftreten können (sieh oder jemand versammeln usw.),. Im übrigen sei verwiesen auf Abschnitt 1.5.4. und Kap. 2.3.1.1., § 10, e). Zusammenhänge dieser Art spielen eine Rolle bei der Auswahl des Tempus und des Modus des Verbs. Welches Tempus und welcher Modus in einer gegebenen Struktur auftreten können, hängt u. a. von den Eigenschaften der Satzintention ab; s. dazu 1.3.5.

Beziehungen zwischen den Komponenten

41

Aber auch innerhalb der kommunikativ-pragmatischen Komponente selbst gibt es derartige Beschränkungen: Die Charakterisierung der Äußerung als Aufforderung hängt z. B. davon ab, daß der gesamte Sachverhalt als nachzeitig gegenüber dem Sprechakt festgelegt ist und daß einer der Teilnehmer des Sachverhalts als der Angesprochene identifiziert ist (vgl. 1.3.2.).

Zum Teil gehören die Beschränkungen, die unter b) anzuführen wären, bereits zu den Erscheinungen des Ineinandergreifens der verschiedenen Komponenten, die im nächsten Paragraphen zu behandeln sind. Eine weitere Art von Regeln bestimmt Entsprechungsverhältnisse zwischen verschiedenartigen Strukturen. Solche Regeln existieren in der semantischen und in der syntaktischen Komponente des Systems. Unter Entsprechung ist Entsprechung hinsichtlich einer bestimmten Schicht der Struktur zu verstehen. Das schließt nicht notwendigerweise Äquivalenz hinsichtlich anderer Schichten der Struktur ein.

In der semantischen Komponente muß es Regeln geben, die Quantitätsverhältnisse begründen. Solche Verhältnisse bestehen logisch zwischen All- und doppelt verneinten partikulären Aussagen sowie zwischen partikulären Aussagen und doppelt verneinten Allaussagen: Alle Metalle leiten Elektrizität — Kein Metall leitet Elektrizität nicht; Einige Metalle oxydieren — Nicht alle Metalle oxydieren nicht. Wenn, Was anzunehmen ist, beide logischen Quantoren zum Bestand der semantischen Komponente gehören, dann muß diese auch eine Regel enthalten, die die Äquivalenzbeziehungen zwischen den entsprechenden Klassen von semantischen Strukturen festlegt. Von besonderer Bedeutung sind Entsprechungsbeziehungen zwischen Klassen von syntaktischen Strukturen. Entsprechende Regeln gehören zum Bestand der syntaktischen Komponente. Die verschiedenen Typen syntaktischer Abwandlongsbeziehongen (Transformationen) und bestimmte Bedingungen, denen ihre Geltung unterliegt, werden in 1.5.7. behandelt. Die einzelnen Komponenten des Sprachsystems besitzen jeweils eigene Regeln. Bei der Determination der Äußerungsstrukturen wirkt das System jedoch als Gesamtheit seiner Komponenten. Die verschiedenen Schichten in der Struktur der Äußerungen sind miteinander verbunden. Das verleiht den Äußerungen den Charakter komplexer sprachlicher Zeichen (s. dazu § 4). Die Komponenten des Sprachsystems sind auf zweierlei Weise miteinander verbunden: a) Einheiten der einen Komponente können Interpretationen in bezug auf Einheiten anderer Komponenten besitzen; b) Regeln der einen Komponente können an Bedingungen gebunden sein, die von Regeln anderer Komponenten bestimmt sind, d. h. einer anderen als der von ihnen determinierten Schicht der Struktur angehören. Zu den Einheiten des Sprachsystems, die für mehrere Komponenten zugleich von Belang sind, gehören vor allem die Wörter bzw. ihre Basismorpheme. Sie haben mit ihrer Bedeutung Anteil an der semantischen und mit ihrer Laut-

1.1. Sprachaystem, Äußerungaatruktur, Grammatik form Anteil an der phonologifichen Komponente. Außerdem linterliegen sie den Regeln der syntaktischen Komponente: Sie gehören zu bestimmten Wortklassen wie Verb, Substantiv, Adjektiv, Präposition usw. Dadurch ist festgelegt, in welcher Weise sie in die übergeordneten syntaktischen Strukturen eingehen können. Bei den Verben z. B. gibt es aber noch weitere syntaktische Charakteristika : Sie gehören zu verschiedenen Subklassen, je nachdem, ob sie Objekte oder verschiedene Arten von Adverbialgruppen bei sich haben können oder nicht. Bei Verben und Präpositionen gibt es Unterschiede hinsichtlich der Rektion (d. h. der Kasus der Substantivgruppen, mit denen sie syntaktisch verbunden sind). Innerhalb der Wortstruktur wirkt sich die Wortklassenzugehörigkeit vor. allem auf die Verbindung mit Flexionsmorphemen aus. Substantive, Adjektive und Verben sind außerdem in verschiedene Flexionsklassen eingeteilt, je nachdem, wie die verschiedenen Wortformen gebildet sind. Manche Wörter, wie z. B. ich, du, jetzt, hier u..a. sind überdies auch noch kommunikativ-pragmatisch charakterisiert. Sie beziehen sich auf bestimmte Bedingungen def Kommunikationssituation. Trotzdem ist es nicht zulässig, Wörter als Einheiten zu betrachten, die mehreren Komponenten des Systems zugleich angehören. Die Wörter bzw. ihre Basismorpheme sind Einheiten der syntaktischen Komponente. Sie besitzen eine Interpretation hinsichtlich der Einheiten der semantischen Komponente als auch hinsichtlich der phonologischen Komponente. Sie sind aber nicht Einheiten dieser Komponenten. Die kleinsten Einheiten der semantischen Komponente sind semantische Prädikate („semantische Merkmale", „Seme") und bestimmte semantische Argumente (s. o. § 7; s. 1.2.). Die übergeordnete, komplexere Einheit ist die Proposition. Auf diese Einheiten beziehen sich die Regeln der semantischen Komponente. Die Wortbedeutungen sind Komplexe von semantischen Prädikaten (s. 1.2.). Keine der semantischen Begeln bezieht sich auf Wortbedeutungen als eine besondere Einheit. Im Aufbau der semantischen Strukturen gibt es keine besonders ausgezeichnete Stufe der Komplexbildung, die man als die Stufe der Wortbedeutungen (etwa gegenüber einer Stufe der Morphembedeutungen auf der einen und einer Stufe der Wortgruppenbedeutungen auf der anderen Seite) identifizieren könnte. Das heißt nicht, daß es kein Morphem geben könnte, das nicht genau einer elementaren semantischen Einheit (einem semantischen Merkmal oder Sem) entspräche, oder daß es prinzipiell kein Wort geben könnte, dessen Bedeutung allein einen ganzen Sachverhalt erfaßte. Es heißt aber, daß es keine automatische Parallele zwischen den komplexen Einheiten verschiedener Komponenten gibt. S. dazu auch PASCH anderen zu schließen: (4)

Das Land exportiert Konsumgüter / Fertigwaren Im zweiten Saal hängen zwei sehr schöne Aquarelle / Der Betrieb stellt Elektrogeräte / Heizgeräte her

Landschaften

Für jeweils einige Sachverhalte der objektiven Realität können beide Charakteristiken zutreffen. Es ist jedoch nicht garantiert, daß der jeweils gegebene Fall dazugehört (s. u. § 24, a)). c) Äußerungen können Sachverhalte der objektiven Realität so charakterisieren, daß sie sich auf keinen Fall auf denselben Sachverhalt beziehen können. Auf denselben Sachverhalt bezogen widersprechen sie einander: Der Pförtner begrüßte die junge Frau freundlich / Der Pförtner nickte dem Kollegen kurz zu. Man vergleiche auch widersprüchliche Charakterisierungen innerhalb derselben Äußerung wie z. B. im Scherzgedicht: Drinnen saßen stehend Damen, schweigend ins Gespräch vertieft. . . Diese Äußerungen haben semantische Eigenschaften, die sich gegenseitig ausschließen. Treten widersprüchliche Charakterisierungen auf, so karüi — wie z. B. bei verheirateter Junggeselle — eine Interpretation hergestellt werden, die den Widerspruch aufhebt (z. B . ,x ist zwar verheiratet, lebt aber wie ein Junggeselle').

Bei bestimmten Arten von Äußerungen gibt es besondere Formen des Gegenstandsbezugs und / oder der Beschreibung. a) Bezug auf Klassen: Äußerungen wie (5)

Kupfer leitet elektrischen Strom Quecksilber ist giftig Delphine sind Säugetiere '

beziehen sich weder auf einzelne Gegenstände noch beschreiben sie einzelne Fälle des Zusammentreffens von bestimmten Eigenschaften oder Beziehungen bei einzelnen Gegenständen. Sie sind mit Abbildern verbunden, die allgemeine, mehr oder weniger wesentliche Zusammenhänge widerspiegeln. Sie bilden z. B. nicht die Tatsache ab, daß ein einzelner Gegenstand zugleich aus Kupfer ist und Strom leitet. Sie drücken den Zusammenhang aus, daß mit der Kupferqualität stets, bei beliebigen Gegenständen, Leitfähigkeit verbunden ist, usw. Den Eigenschaften (oder Beziehungen) entsprachen Klassen von Gegenständen

¡Semantische

Eigenschaften

65

(oder Paaren, Tripeln usw. von Gegenständen). Äußerungen wie die von (5) beziehen sich also auf Klassen von Gegenständen und charakterisieren die Beziehungen zwischen den Eigenschaften, die diese Klassen konstituieren. Ein direkter Bezug auf einzelne Gegenstände ist bei Äußerungen dieser Art nicht möglich. Bezogen auf Klassen besagt z. B. Kupfer leitet elektrischen Strom, daß die Klasse der kupfernen Gegenstände eine Teilklasse der Gegenstände ist, die leiten. Eine Äußerung wie Dieses (Stück) Kupfer leitet elektrischen Strom, würde aber eben nur das Zusammentreffen der beiden Eigenschaften in einem Einzelfall erfassen, einen Sachverhalt, der nur einen Sonderfall im Verhältnis der beiden Klassen darstellt, nämlich den, wo die Kupfer-Eigenschaften gegeben sind. Die hauptsächliche Funktion von Abbildern, die die Beziehungen zwischen Klassen darstellen, besteht darin, daß sie es erlauben, von den festgestellten Eigenschaften einzelner Gegenstände auf die nicht direkt festgestellten Eigenschaften zu schließen: Vgl. „Kupferne Gegenstände sind Leiter. Dieser Gegenstand ist aus Kupfer: Dieser Gegenstand leitet elektrischen Strom."

b) Bezug auf erschlossene Gegenstände: In Äußerungen wie: Dazu müssen Sie doch eine Meinung haben; (Ich glaube,) es war jemand hier, während wir im Garten waren; Vielleicht ist der Eingang auf der Rückseite? usw. wird auf Gegenstände Bezug genommen, von denen lediglich ihre Klassenzugehörigkeit und ihre Teilnahme an der beschriebenen Beziehung bekannt ist. Diese Beziehung gilt aber keineswegs für die Gesamtheit der Gegenstände der betreffenden Klasse. Die Gegenstände, auf die referiert wird, sind auf Grund einer verallgemeinerten Abbildung der jeweiligen Beziehung erschlossen. In Wo Rauch ist, ist Feuer; Affen leben auf Bäumen usw. bezieht sich Feuer bzw. Bäume auf Gegenstände, die eine Teilklasse der Feuer bzw. Bäume ausmachen. Alle Eigenschaften dieser (gegenstände, die über die typischen Merkmale der jeweiligen Klasse hinausgehen, sind für den Zusammenhang, den die Äußerungen abbilden, unerheblich. Verallgemeinerte Abbilder der Art, wie sie mit diesen Äußerungen verbunden sind, sind dadurch bildbar, daß jede Klasse im Prinzip beliebig viele Gegenstände umfaßt. Unter Voraussetzung dieser Eigenschaft der Klasse kann die Existenz der einzelnen Gegenstände angenommen werden. Wenn verallgemeinerte Abbilder dieser Art auf einzelne Sachverhalte bezogen werden (vgl. die eingangs von b) genannten Beispiele), dann bildet ein bestimmter Gegenstand den Ausgangspunkt. Durch seine Zugehörigkeit zu der Klasse, für die die Beziehung verallgemeinert ist, wird die Beziehung auf ihn selbst übertragen („Alle Haucherscheinungen sind mit Feuer verbunden. Hier ist eine Raucherscheinung. Also gibt es ein Feuer, das mit ihr verbunden ist"). Die Beziehung selbst und die übrigen Glieder der Beziehung brauchen nicht direkt erkannt zu sein. Es wird ein einzelner Sachverhalt erschlossen und mit ihm die Existenz eines bestimmten Gegenstandes. Diesen Gegenstand (den Eingang eines Hauses, die Quelle einer Störung, die Lösung einer Gleichung usw.) herauszufinden, kann ein Glied in der Lösung praktischer oder theoretischer Probleme sein. Ist ein solcher Gegenstand nicht auffindbar oder gehört er zu einer anderen Klasse als der angenommenen, so muß das verallgemeinerte Abbild der Beziehung, das den Ausgangspunkt bildete, revidiert werden. 5 Deutsche Gramm.

1.2. Semantische

Komponente

c) Wirklichkeitsbezug in negierten Äußerungen: Eine' besondere Art des Wirklichkeitsbezuges liegt bei Äußerungen vor, die eine Negation enthalten (s. HEIDOLPH (1970)).

Unter den im einzelnen sehr vielfältigen Möglichkeiten sei eine zur Betrachtung ausgewählt. Die Frage War der Kohlenhändler dal kann z. B. wie folgt beantwortet werden: (6a) (6b)

(Ja,) er hat (auch) Holz gebracht (Ja, aber) er hat kein Holz gebracht

Die Äußerung (6a) beschreibt einen Sachverhalt der Wirklichkeit, sie referiert auf bestimmte Gegenstände (er, Holz) und beschreibt die Beziehung zwischen ihnen; (6b) nimmt nur auf einen dieser Gegenstände (er) Bezug. Die Charakterisierung ist negiert: (Er) hat kein Holz gebracht = (Er-\-) Nicht + hat Holz gebracht. I n (6c)

(Ja, aber) er hat das Holz nicht mitgebracht (das wir bestellt hatten)

h ä t t e auch das Holz einen bestimmten Referenten: ,dasjenige, das wir bestellt haben'; (kein) Holz in (6b) aber bezieht sich nicht auf einen bestimmten Gegenstand, ebensowenig ist nicht mitbringen die Beschreibung einer wirklichen Beziehung zwischen Gegenständen. Daraus ergibt sich, daß (6b) und (6c) zwar mit Abbildern verbunden sind, die die Form von Sachverhaltsabbildern haben, daß sie aber keine Sachverhalte der Wirklichkeit charakterisieren. Die beiden Äußerungen besagen nichts darüber, was der Kohlenhändler getan hat. Das wäre zu erfahren aus positiven Fortsetzungen wie z . B . : (8d) . . . er hatte (nur) Kohlen auf dem Wagen (6e) . . . er wollte (nur) kassieren

Äußerungen wie (6b) und (6c) sind mit Abbildern jeweils ganz bestimmter möglicher Sachverhalte verbunden und negieren zugleich deren Wirklichkeit. I n (6b) und (6c) wird unter den möglicher^ Sachverhalten genau derjenige ausgeschlossen, der mit der positiven Äußerung ((6a)) beschrieben wäre. Eine negative Äußerung tritt dann auf, wenn (nach Meinung des Sprechers) Bedingungen bestehen, die es erlauben, aus vorhandenen Abbildern der Realität ein Abbild abzuleiten, das nicht mit der Realität übereinstimmt. Der negierte Teilbereich der Äußerung benennt die unrichtige Schlußfolgerung und blockiert sie mittels der Negation. Die ausdrückliche sprachliche Formulierung des Nichtvorhandenseins eines Sachverhalts hat in jedem Falle eine besondere kommunikative Funktion. I m einzelnen können verschiedenartige Anlässe vorliegen. Der Sprecher kann z. B. davon ausgehen, daß der Hörer den durch die Negation ausdrücklich ausgeschlossenen Sachverhalt besonders gewünscht hat, und er will ihn durch rechtzeitige Information vor Enttäuschung bewahren. Er kann aber z. B. auch den Zweck verfolgen, ihn auf einen Mißstand aufmerksam zu machen usw. Daraus, daß der negierte Teilbereich der Äußerung einer Schlußfolgerung entspricht, erklärt sich auch der Status solcher Einheiten wie (kein) Holz in (6b).-Es handelt sich um erschlossene Gegenstände, wie sie in b) behandelt werden. Negierte Äußerungen beziehen sich also nicht unmitelbar, sondern nur im Rahmen

Semantische Eigenschaften

67

einer ganzen. Gruppe miteinander verbundener Abbilder auf die Wirklichkeit. Die negierten Äußerungen haben Korrekturfunktion. Sie beschreiben selbst nicht Sachverhalte der Wirklichkeit, sondern sind sprachlich realisierte Glieder innerhalb des Abbildungsprozesses. Ihrem Charakter nach gehören sie zu den in § 24 zu behandelnden Erscheinungen. Sie wurden in § 23 behandelt wegen ihrer engen Beziehung zu den in a) und b) beschriebenen Fällen des Wirklichkeitsbezugs. Weiteres s. § 24, b). Die in a}—c) behandelten Sonderformen des Wirklichkeitsbezuges sind m i t besonderen Formen der Operation auf Abbildstrukturen verbunden. Diese Formen sind a) die Generalisierung, b) die Individualisierung u n d c) die Negation. Relative semantische Eigenschaften einer Äußerung ergeben sich aus der Beziehung zwischen dem Sachverhaltsabbild bzw. den Sachverhaltsabbildern, die in der Äußerung als Bestandteil ihrer S t r u k t u r enthalten sind, und anderen Sachverhaltsabbildern, die im Bewußtsein vorhanden, in der Äußerungsstruktur jedoch nicht direkt repräsentiert sind. In den relativen semantischen Eigenschaften der Äußerungen drückt sich die Tatsache aus, daß das Bewußtsein ein zusammenhängendes Ganzes bildet, in dem die einzelnen Abbilder von Sachverhalten der Wirklichkeit miteinander verbunden sind. Zugleich drückt sich darin aus, daß das Bewußtsein tätigen Charakter hat, nicht nur in dem Sinn, daß es die verschiedenen einzelnen Abbilder zu Abbildkomplexen zusammenfaßt, sondern auch darin, daß es von einem Abbild zum anderen-übergeht, daß es neue Abbilder aus bereits vorhandenen gewinnt (s. dazu auch § 23, b) und c)). Im folgenden werden einige der Abbildzusammenhänge betrachtet, die sich auf die semantischen Eigenschaften von Äußerungen auswirken (vgl. dazu LANG (1976) und (1977)).

a) I n den folgenden Beispielen scheinen sich — ähnlich wie in den Beispielen von § 22, a) — speziellere und allgemeinere^ anschaulichere u n d stärker auf wesentlichere Zusammenhänge gerichtete Charakterisierungen gegenüberzustehen: (7)

Das Kupferblech färbte sich grün / Das Kupferblech oxydierte; Werner M. versetzte Klaus R. einen Stoß vor die Brust / Der Spieler M. griff den Spieler R. tätlich an / Der Spieler M. beging gegenüber Spieler R. einen Regelverstoß.

Genauere Überlegung zeigt, daß der Übergang vom Anschaulichen zum weniger Anschauliehen, Wesentlicheren jeweils einer bestimmten Vermittlung bedarf, z. B. in der folgenden F o r m : „Wenn sich K u p f e r g r ü n f ä r b t , oxydiert e s " ; „Beim Fußball sind Stöße gegen" den Mitspieler tätliche Angriffe", „Tätliche Angriffe verstoßen gegen die Regeln" o. a. Diese Zwischenstufen gewährleisten, d a ß die Beziehung auf denselben Sachverhalt der Wirklickeit gewahrt bleibt. E s zeigt sich nämlich, d a ß sich die jeweils verglichenen Äußerungen nicht d u r c h speziellere und allgemeinere Charakterisierung unterscheiden. E s h a n d e l t sich vielmehr um Charakterisierungen unterschiedlicher Sachverhalte, die in einem Realitätsausschnitt zusammentreffen: G r ü n f ä r b u n g ist kein Spezialfall von Oxydation; Stöße sind n u r in manchen Fällen auch tätliche Angriffe, u n d t ä t liche Angriffe sind n u r im Sonderfall zugleich Verstöße gegen sportliche Regeln. Tatsächlich liegen also Fälle wie in § 22, b) vor. • Das Verhältnis von speziellerer u n d allgemeinerer Charakterisierung des Sach5*

1.2. Semantische

Komponente

Verhalts ergibt sich erst darau> daß zwischen beiden ein Abbild eines allgemeinen Zusammenhangs in dem entsprechenden Bereich der Wirklichkeit steht. Dieses schränkt die Interpretation der relativ anschaulichen Abbilder und damit den Geltungsbereich der semantischen Charakterisierungen ein. Analoge Verhältnisse bestehen bei gegenseitigem Ausschluß von Charakterisierungen. E i n e Äußerung Das Holz brannte lichterloh und eine Äußerung Das Holz -war sehr feucht k ö n n e n k a u m auf denselben Sachverhalt bezogen werden, weil feuchtes H o l z i m allgemeinen nicht brennt. Dieser Z u s a m m e n h a n g m u ß aber als Abbild verfügbar sein, w e n n beide Charakterisierungen — der Wirklichkeit g e m ä ß — als unvereinbar gelten sollen. Eine Charakterisierung Das feuchte Holz brannte lichterloh ist in sich widersprüchlich n i c h t auf Grund der absoluten semantischen E i g e n s c h a f t e n der B e s t a n d t e i l e der Äußerung, sondern n u r auf Grund ihrer Beziehung auf den allgem e i n e n Z u s a m m e n h a n g , der das Miteinandervorkommen beider E i g e n s c h a f t e n ausschließt.

b) Daß Äußerungen, die eine Negation enthalten, nicht direkt, auf Grund des mit ihnen verbundenen Abbilds, auf die Wirklichkeit bezogen werden können, sondern nur relativ zu einer ganzen Gruppe von Abbildern, wurde bereits in § 23, c) herausgearbeitet. Dort wurde aber nicht diskutiert, weshalb negierte Äußerungen auf ganz verschiedene Welse verstanden werden können. D i e Äußerung (6a) kann einmal so verstanden werden, daß zwar kein Holz, aber e t w a s anderes ( K o h l e n z . B . ) geliefert worden ist; sie k a n n auch so vorstanden werden, d a ß der Kohlenhändler gar nichts gebracht hat. Die Interpretation h ä n g t a b v o n den Voraussetzungen, die die K o m m u n i k a t i o n s p a r t n e r machen. Bei diesen Voraussetzungen aber handelt es sich um Abbilder wirklicher oder möglicher Sachverhalte in ihrem B e w u ß t s e i n . I m ersten Fall lautet die Voraussetzung e t w a : „Wir h a b e n K o h l e n u n d Holz bestellt. Der Kohlenhändler war da. Er wird also e t w a s geliefert haben, w e n n nicht das Holz, d a n n die Kohlen", im z w e i t e n Fall wäre die Voraussetzung g e w e s e n : „Wir h a b e n nur H o l z bestellt. W e n n er das nicht geliefert hat, d a n n hat er gar nichts geliefert". Eine sinngemäße Antwort auf die erste Interpretation wäre z. B . : l'nd wann wird er es liefern? Auf die zweite Interpretation k ö n n t e die Frage folgen: Was wollte er denn?-, sie wäre, auf die erste Interpretation bezogen, sinnlos.

Äußerungen, die eine Negation enthalten, beziehen sich nur durch Vermittlung anderer, mit ihnen nicht unmittelbar verbundener Abbilder und auf Grund bestimmter Operationen auf diesen Abbildern auf die Wirklichkeit. Ihre Interpretation hängt in jedem Fall davon ab, was als Voraussetzung angenommen wird. Dies gilt generell für Äußerungen, die eine Negation enthalten. c) Die im Bewußtsein verfügbaren Abbilder von Sachverhalten sind in erster Linie dadurch miteinander verbunden, daß jeweils dieselben Gegenstände mit unterschiedlichen Eigenschaften oder in unterschiedlichen Beziehungen zu anderen Gegenständen abgebildet sind. Diese Eigenschaften und Beziehungen können konstant oder an bestimmte Zeitpunkte oder -abschnitte gebunden sein (s. § 19, e)). Die entsprechenden Abbilder können nach der zeitliehen Abfolge der Sachverhalte geordnet und aufeinander bezogen werden. Im besonderen Fall hängt das Auftreten einer Eigenschaft oder Beziehung vom Auftreten anderer Eigenschaften oder Beziehungen ab. Es ergibt sich auf diese Weise »r "

Semantische Eigenschaften

69

„Geschichte" eines Gegenstandes oder einer Reihe miteinander verbundener Gegenstände. So wie die einzelnen Teiläußerungen zusätzliche Interpretationen aus anderen Gliedern erhalten (Parallele oder Gegensatz, Ursache-WirkungsZusammenhang u. dgl.), so wird auch das Ganze nicht als eine bloße Folge verstanden, die in beliebiger Weise verlängert oder verkürzt werden könnte, sondern als ein relativ abgeschlossenes komplexes Abbild eines möglichen Hergangs, einer möglichen Verkettung von Ereignissen und Umständen. Das ist auch dann der Fall, wenn der Vergleich mit anderen derartigen Hergängen oder eine abschließende Bewertung oder begriffliche Einordnung nicht erfolgt. Eine andere Form solch loser aber doch relativ integrierter und dadurch mit zusätzlichen Abbildqualitäten versehener Verknüpfung von Sachverhaltsabbildern liegt bei einfachen Schilderungen vor. Die Situation erscheint als ein Komplex zeitlich und räumlich miteinander verbundener Sachverhalte. Vgl. etwa: Die Sonne war hinter dem Wald verschwunden. Über dem See lag ein leichter Dunst. Das Fährboot hatte schon Lichter gesetzt. Auch bei Schilderungen kann eine explizite zusammenfassende begriffliche Einordnung der Einzelsachverhalte fehlen. Sie mag latent in der Auswahl der Einzelsachverhalte gegeben sein. I m allgemeinen wird sie als eine Art gemeinsamer Nenner („Gemeinsame Einordnungsinstanz", s. L A N G (1977), S. 66ff.) verstanden. Dieser wird vorausgesetzt und beim Verständnis der Äußerung rekonstruiert. Vgl. etwa: Brigitte zeichnet. Thomas liest, (und) Klaus macht sich eine Angel zurecht („Was tun die Kinder?"). Unter der „gemeinsamen Einordnungsinstanz" ist eine gemeinsame Eigenschaft der in der Äußerung charakterisierten Sachverhalte oder eine ihnen gemeinsame Beziehung zu einem anderen Geg istand zu verstehen. Eigenschaft oder Beziehung und ihr Zutreffen f ü r die in der Äußerung charakterisierten Sachverhalte müssen ideell repräsentiert sein. Lei der konjunktiven (durch und ausdrückbaren) Verbindung von Sachverhaltsabbildern in der semantischen Struktur einer Äußerung findet also vor der synthetischen Operation (eben der Verknüpfung) stets eine analytische Operation statt. Sie arbeitet den Verkniipfungsgesichtspunkt heraus. Diese Verbindung analytischer und synthetischer Operationen, die zum Aufbau übergreifender Abbildkomplexe führt, ist auch die Voraussetzung für die Herausarbeitung von Parallelen oder von Gegensätzen in Erzählungen und Schilderungen, in Formen der Verknüpfung also, die für sich genommen eine einfachere Struktur haben. d) Auch beim Verständnis der folgenden Äußerungen werden relative semantische Eigenschaften wirksam. Die absoluten semantischen Eigenschaften reichen aus, um die Beziehung auf einzelne Sachverhalte der Wirklichkeit herzustellen. Sie reichen jedoch nicht aus, ein Gesamtverständnis zu begründen. Dazu müssen die mit der Äußerung verbundenen Sachverhaltsabbilder mit anderen Abbildern in Beziehung gesetzt werden: (7a) (7b)

Klaus hat nicht angerufen. Ihm ist etwas zugestoßen Es liegt Schnee und der Himmel ist klar. Heute nacht wird es kalt

Für (7a) gibt es zwei mögliche Interpretationen: Klaus' Unfall ist eine Tatsache. Sie ist dem Sprecher bikannt. Er setzt voraus,

70

1.2. Semantische

Komponente

daß Unfälle der gegebenen Art Anrufe ausschließen. Er setzt ferner voraus, daß Klaus den Anruf nicht aus anderen Ursachen (z. B. aus Bequemlichkeit) unterlassen hat. Dann ist der eine der beiden in der Äußerung beschriebenen Sachverhalte die Folge des anderen Sachverhalts. Der Sprecher vermutet, daß Klaus etwas zugestoßen ist. Er wählt unter einigen möglichen Ursachen für das Ausbleiben des Anrufs eine bestimmte aus. Sie dient als hypothetische Erklärung. In beiden Fällen kommt eine Interpretation der Äußerung nur durch Rekonstruktion der Voraussetzungen zustande, die der Sprecher macht. Diese Voraussetzungen schließen allgemeine Aussagen über mögliche Gründe dafür ein, daß der Anruf unterblieben ist. Eine der Operationen besteht darin, diese allgemeinen Aussagen auf den einzelnen Fall zu beziehen. Zu (7b): Es wird das Absinken der Temperatur vorausgesagt. Als Grund für die Annahme wird der Sachverhalt herangezogen, daß der Himmel nicht bewölkt ist. Vorausgesetzt wird, daß unter bestimmten Bedingungen klarer Him r mel bewirkt, daß starker Frost eintritt. Daraus, daß ein Sachverhalt ermittelt ist, der als Ursache in Frage kommt, und daraus, daß die sonstigen Bedingungen gegeben sind, wird auf das Eintreten der Wirkung geschlossen. Während in der zweiten Interpretation von (7a) auf die Ursache zurückgeschlossen wird, wird hier auf die Wirkung geschlossen. Im ersten Fall liegt eine hypothetische Erklärung vor, im zweiten Fall eine hypothetische Voraussage. In beiden Fällen liegt der Vermutung eine allgemeine Regel zugrunde. Diese „allgemeine Regel" ist im ersten Fall eine einfache Verallgemeinerung der alltäglichen Erfahrung. Das ist auch bei (7b) möglich. Wenn bei (7b) aber eine auf Einsicht in meteorologische Gesetzmäßigkeiten begründete Voraussage vorliegt, dann sind weitere vermittelnde Ableitungsschritte nötig. Aber auch dann, wenn die kausale Verknüpfung der Sachverhalte in der Äußerung selbst mitbeschrieben wird und nicht erst, wie in (7a) und (7b), auf Grund der Äußerung rekonstruiert werden muß, ist ein solcher Bezug auf ein verallgemeinertes Abbild des betreffenden Zusammenhangs die Voraussetzung für das volle Verständnis, vgl.: (7c) (7d)

Klaus hat nicht angerufen, denn es ist ihm etwas zugestoßen Es liegt Schnee, und der Himmel ist klar, also wird es heute nacht sehr kalt

1.2.4.

Zum Aufbau semantischer Strukturen

§ 25

Die Semantik als ein Teil der Grammatik gibt die Regeln und die Einheiten an, die den Aufbau der semantischen Strukturen bestimmen. Die Regeln und Einheiten der semantischen Komponente bewirken zweierlei: a) Sie legen fest, in welcher Weise rationale Abbilder der Wirklichkeit Bestandteile von Äußerungsstrukturen sind. b) Sie bestimmen die semantischen Eigenschaften der Äußerungen und damit ihre Beziehungen zur Wirklichkeit. Die Regeln und Einheiten der semantischen Komponente sind jedoch bisher

Semantische

Strukturen

71

nur in einem bestimmten Ausschnitt theoretisch erfaßt. Systematisch beschreibbar ist deshalb vorerst auch nur dieser Ausschnitt. Er bildet mit seinen Einheiten und Regeln einen gewissen Grundappärat innerhalb der semantischen Komponente. Er umfaßt etwa den Bereich, der für die absoluten semantischen Eigenschaften der Äußerungen bestimmend ist (s. §22 und 23), und einen Teil der Mechanismen, die relative semantische Eigenschaften (s. § 24) determinieren. Damit deckt dieser Grundapparat auch nur einen Teil dessen ab, was man im vollen Sinne des Wortes als die semantische Struktur der Äußerungen bezeichnen kann, d. h. grob genommen die Gesamtheit der sozial normierten Abbildbeziehungen, die mit ihr verbunden sind. Da es im folgenden darum geht, diesen Grundapparat und die Verfahren zu seiner Beschreibung zu skizzieren, schränken wir den Begriff der semantischen Struktur ein: Wir beschränken ihn auf den Teilkomplex innerhalb der Gesamtstruktur, der durch diesen Grundapparat determiniert wird. Die Einheiten der semantischen Struktur entsprechen Einheiten^ in denen die rationale Abbildung der Wirklichkeit vor sich geht — den Gegenstandsabbildern, den Abbildern von Eigenschaften und Beziehungen, den Sachverhaltsabbildern und ihren Verbindungen. Es besteht jedoch keine völlige Identität. Die semantischen Strukturen entsprechen vor allem bestimmten formalen Eigenschaften rationaler Abbilder. Das ergibt sich daraus, daß zwischen der Einheit „Begriff" auf der einen Seite und der Einheit „semantisches Prädikat" (s. u. § 27) auf der anderen Seite keine einfache Übereinstimmung besteht. Die Begriffe bilden nur im Grenzfall e i n z e l n e Eigenschaften oder Beziehungen von Gegenständen der Wirklichkeit ab, im Prinzip jedoch widerspiegeln sie jeweils solche Kombinationen von Eigenschaften oder Beziehungen, die für die Erkenntnis bestimmter Zusammenhänge des jeweiligen Wirklichkeitsbereichs von Bedeutung sind. Die sprachliche Entsprechung dieser Seite der Begriffe bilden die semantischen Strukturen- der Wörter, d. h. der Komplexe aus semantischer, syntaktischmorphologischer, phonologischer und z. T. auch kommunikativ-pragmatischer Charakteristik, die einen gesellschaftlich geprägten und verfügbaren Grundbestand sprachlicher Zeicheneinheiten darstellen und die — s. u. 1.7. — für das Funktionieren des Sprachsystems eine wichtige Rolle spielen. Eine Diskrepanz zwischen der semantischen Struktur und der Abbildstruktur insgesamt ergibt ,sich daraus, daß Wortbedeutungen als solche keine primären Einheiten der semantischen Komponente sind. Den Wortbedeutungen entsprechen in den semantischen Strukturen die semantischen Prädikate jeweils zusammenhängender Propositionen (s. u. § 26 und 27). Die semantischen Prädikate entsprechen nicht einfach den Begriffen, sondern ihren Merkmalen. Die Verallgemeinerung, die sich in der Zusammenfassung verschiedener Eigenschaften und Beziehungen von Gegenständen in den Begriffen ausdrückt, wird durch die semantischen Strukturen nicht unmittelbar wiedergegeben. Sie drückt sich aus in dem Verhältnis der semantischen Struktur der Äußerung zu ihrer .Lexikalisierung, d. h. zu ihrer Aufgliederung in bestimmte Zeicheneinheiten. Auch in einer anderen Hinsicht drückt die semantische Struktur nur einen Teil der Eigenschaften der Bewußtseinsabbilder aus. Die semantischen Prädikate fungieren in den Äußerungen gleich, obwohl sie ihrem Erkenntnisinhalt nach sehr verschiedener Natur sind.

1.2. Semantische

Komponente

Einige von ihnen entsprechen zweifellos bestimmten Arten von Perzeptionsergebnissen, an denen sich unter anderem das unmittelbare praktische Handeln orientiert und die die Grundlage für die rationalen Formen der Wirklichkeitsabbildung sind. Andere, gleichfalls zu einer solchen Grundschicht gehörigen semantischen Prädikate betreffen elementare biologische und soziale Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens: Geschlechts-und Altersunterschiede, bestimmte einfache soziale Beziehungen in und zwischen Gruppen usw. Eine weitere Schicht bilden solche semantischen Prädikate, die allgemeine Zusammenhänge der Wirklichkeit widerspiegeln: Verhältnisse zwischen Klasse und Exemplar, zwischen Menge und Element, Verhältnisse zwischen Klassen und Teilklassen, Anzahlen von Mengen, elementare zeitliche und räumliche Beziehungen, kausale Beziehungen usw., s. u. § 30. Der Inhalt der Abbilder entspricht dem Stand der Entwicklung, den die jeweilige Gesellschaft erreicht hat; daher gibt es außer den genannten semantischen Prädikaten auch noch andere. Ihr Inhalt ergibt sich nicht unmittelbar aus der Perzeption oder aus elementaren Verallgemeinerungen natürlicher und sozialer Zusammenhänge. Ihr Inhalt ist mit den vielfältigen aufeinander aufbauenden Formen der praktischen und geistigen Tätigkeit der Gesellschaft, der Arbeit, der Erkenntnis und der sozialen Organisation verbunden. Wie die semantischen Prädikate der zuerst genannten Arten differenzieren sie Bedeutungen von Wörtern oder Äußerungen, sie fungieren in denselben umfassenderen Einheiten. Ihre Existenz ist jedoch abhängig von dem gesamten Bestand an begrifflichen Kategorien zur Widerspiegelung der Wirklichkeit, über den die Gesellschaft auf einer gegebenen Stufe ihrer Entwicklung in Gestalt der Wortbedeutungen verfügt. Bei ihrer Anwendung wird im Rahmen der formalen Strukturen ständig Bezug genommen auf die materiell- und ideell-praktischen Zusammenhänge, in denen die betreffenden Gegenstände, Eigenschaften und Beziehungen eine Rolle spielen. Diese Zusammenhänge reichen über die semantischen Strukturen der Äußerungen in dem hier festgelegten engeren Sinn hinaus. Das Bewußtsein widerspiegelt in einzelnen Abbildern Sachverhalte der Wirklichkeit. Die Struktur von Saehverhaltsabbildern ist allgemein beschreibbar als Verbindung des Abbilds einer Beziehung oder einer Eigenschaft mit Abbildern von Gegenständen oder Gegenstandsmengen; für bestimmte Eigenschaften oder Beziehungen kommt als weiterer Bestandteil eine zeitliche Einordnung in Frage (vgl. § 19, e)). Diese Abbildstruktur ist verallgemeinert. Sie tritt auch bei Bewußtseinsinhalten auf, die selbst nicht unmittelbar die Wirklichkeit abbilden, sondern als sekundäre, möglicherweise gültige Abbilder der Wirklichkeit aus anderen abgeleitet sind. Diese Struktur haben ferner auch Gebilde, die nicht selbst Abbilder sind, sondern lediglich unselbständige Zwischenstufen bei Gewinnung neuer Abbilder darstellen (vgl. z. B . Abbilder oder Teilabbilder, die der Negation unterliegen — s. o. § 23, c) und 24, b)). Den Sachverhaltsabbildern entsprechen in der semantischen Struktur der Äußerungen Propositionen. Jede semantische Struktur enthält mindestens eine solche Proposition. Tatsächlich aber treten in den semantischen Strukturen

Semantische

Strukturen-

73

stets Komplexe von Propositionen auf. Diese Komplexe sind entweder integriert (vgl. dazu § 27, e)) oder nicht integriert. In jedem Fall jedoch ist die Proposition als die Entsprechung eines Sachverhaltsabbildes (oder einer strukturell gleichen ideellen Einheit) die kleinstmögliche Funktionseinheit der semantischen Struktur. Die Proposition baut sich aus verschiedenen Teilen auf: Sie enthält ein semantisches Prädikat (s.u. § 27, § 30) und, je nach Beschaffenheit des Prädikats, ein oder mehrere semantische Argumente (s. u. § 29). In integrierten komplexen Propositionen treten andere Propositionen als Argumente auf (s. u. § 27,e)). Die zeitliche Einordnung mancher Propositionen ist als ein selbständiger Bestandteil zu betrachten. Vgl. die folgenden allgemeinen Schemata : (8a)

Proposition Prädmaf

(8b) Prädikat

Argument,

. . .

Argument

n

n» 1

Proposition Argument,

...

Argument n

Über die Form der Zeiteinordnung und ihres Bezugs auf die jeweilige Proposition ist durch die schematische Darstellung in (8b) noch nichts ausgemacht. Eine ausführliche Untersuchung der semantischen^ Grundlagen der temporalen Adverbialien enthält Kap. 2.3.2.

S e m a n t i s c h e S t r u k t u r e n s i n d ideelle Gebilde. Sie h a b e n also k e i n e R e i h e n f o l g e . E i n e R e i h e n f o l g e i h r e r Teile m u ß e r s t b e s t i m m t w e r d e n , w e n n sie l a u t l i c h o d e r g r a p h i s c h d a r g e s t e l l t w e r d e n . Ü b e r die R e i h e n f o l g e d e r Teile m u ß bei s o l c h e n D a r s t e l l u n g e n willkürlich e n t s c h i e d e n w e r d e n , die e i n m a l g e t r o f f e n e E n t s c h e i d u n g m u ß a b e r b e i b e h a l t e n w e r d e n . E s liegt i m P r i n z i p n i c h t s d a r a n , o b in d e r g r a p h i s c h e n D a r s t e l l u n g , wie z. B . i n (8a), die P r ä d i k a t e v o r d e n A r g u m e n t e n s t e h e n o d e r u m g e k e h r t . D a s P r o b l e m ist hier e i n f a c h , weil zw ischen A r g u m e n t e n u n d P r ä d i k a t e n leicht u n t e r s c h i e d e n w e r d e n k a n n . Schwierig ist die F r a g e d e r R e i h e n f o l g e d e r A r g u m e n t e bei P r ä d i k a t e n wie ,größer als'. I n ,« g r ö ß e r als b\ u n d ,b g r ö ß e r als a' ist wie b« i ,b kleiner als « ' u n d ,« kleiner als 6' k e i n e k o n s i s t e n t e R e g e l u n g f ü r die R e i h e n f o l g e d e r A r g u m e n t e zu t r e f f e n , w e n n n i c h t a u f d e m W e g e , d a ß z w i s c h e n d e n R o l l e n d e r A r g u m e n t e in der R e l a t i o n u n t e r s c h i e d e n w i r d . E r s t w e n n dieso U n t e r s c h e i d u n g , die u n a b h ä n g i g v o n d e r R e i h e n f o l g e in d e r g r a p h i s c h e n o d e r s o n s t i g e n a n s c h a u l i c h e n • R e p r ä s e n t a t ion zu e r f o l g e n h a t , g e t r o f f e n ist, k a n n e i n e diesbezügliche K o n v e n t i o n f ü r die ' D a r s t e l l u n g g e t r o f f e n w e r d e n . W e n n also f e s t gelegt w i r d , d a ß in « ist größer als b .b' die B e z e i c h n u n g d e r BcV.ugsgröße sein soll u n d d a ß die B e z u g s g r ö ß e a n zweiter Stelle zu s t e h e n h a t , d a n n e r s t w i r d die R e p r ä s e n t a t i o n .(Größer) a, b• g e g e n ü b e r .(Größer) b, a' e i n d e u t i g . D a s h e i ß t , d a ß die s e m a n tische S t r u k t u r d e r Ä u ß e r u n g « ist größer als b eine P r o p o s i t i o n e n t h a l t e n m u ß , die b e s a g t , d a ß ,6" die Bezugsgröße d a r s t e l l t . D a n n ist die G r u n d l a g e g e g e b e n , a u f die sieh eine K o n v e n t i o n a n w e n d e n liißt, die die S t e l l u n g d e r A r g u m e n t e regelt, d . h . die •/.. B . besagt, d a ß die B e z u g s g r o ß e in d e r g r a p h i s c h e n o d e r s o n s t i g e n R e p r ä s e n t a der s e m a n t i s c h e n S t r u k t u r e n s t e t s a n zweiter Stelle s t e h e n soll. D a s s e l b e gilt s i n n -

1.2. Semantische

Komponente

gemäß für die syntaktische Realisierung semantischer Strukturen in den sprachlichen Äußerungen. Daraus ergibt sich, daß die semantische Struktur der Äußerung a ist größer als b mindestens zwei Propositionen enthalten muß.

Wenn sich zwei Äußerungen in ihren semantischen Eigenschaften unterscheiden, so müssen entweder ihre semantischen Strukturen in mindestens einer Proposition verschieden sein, oder es muß in ihren Voraussetzungen einen Unterschied in mindestens einer Proposition geben. Das heißt, daß sowohl bei Unterschieden in den absoluten wie in den relativen semantischen Eigenschaften (s. o. § 24) propositionale Unterschiede bestehen. Eine Ausnahme machen Fälle, in denen semantische Äquivalenz verschiedener Strukturen besteht (s. u. § 29, d)). Die semantische Komponente des Sprachsystems schreibt die Proposition als Strukturform vor. Zusätzliche Interpretationen zur semantischen Struktur von Äußerungen (in dem in § 25 umschriebenen engeren Sinn), die aus dem Wissens- und Überzeugungsbestand der Sprecher und Hörer stammen, müssen in propositionaler Form verfügbar sein. Die semantische Komponente des Systems enthält nicht die einzelnen Propositionen, wohl aber legt sie die Art und Weise fest, wie diese mit den semantischen Strukturen verbunden werden, die den absoluten semantischen Eigenschaften entsprechen. Derartige zusätzliche Informationen ermöglichen z. B. eine situationsgerechte volle Interpretation von negierten Äußerungen (s. o. § 24, b)) oder erlauben es, die jeweils angemessene „gemeinsame Einordnungsinstanz" aufzufinden (s. § 24, c)) usw. Semantische Prädikate (auch „Seme", „Noeme" oder — in Analogie zu den Begriffsmerkmalen der Logik — „semantische Merkmale") sind notwendige Bestandteile von Propositionen. Es gibt keine Propositionen ohne semantische Prädikate. Ob es in semantischen Strukturen Prädikate geben kann, die nicht Bestandteil von Propositionen sind, ist eine Frage, die weiter unten besonders erörtert wird (s. u. a)). Die semantischen Prädikate bilden Eigenschaften von Gegenständen oder Beziehungen zwischen Gegenständen ab. Sie haben stets entsprechende Leerstellen, in die bei der Bildung von Propositionen entsprechende'Gegenstandsabbilder eingehen. Dabei ist zu beachten, daß der Begriff des Gegenstandes relativ ist, d. h. z. B., daß eine Eigenschaft im Verhältnis zu einer ihrer Eigenschaften ein Gegenstand ist oder daß ein Sachverhalt selbst als Träger einer Beziehung zu einem anderen Sachverhalt einen Gegenstand darstellt, usw. Die Charakterisierung (die „Beschreibung") von Sachverhalten der Wirklichkeit, die in den Äußerungen stattfindet, hängt von den semantischen Prädikaten ab, die in die Struktur eingehen. Sie bestimmen einen wesentlichen Teil der semantischen Eigenschaften der Äußerungen (s. o. § 20). Die semantischen Prädikate sind elementare Einheiten der semantischen Komponente des Sprachsystems. Ihr Gesamtbestand bildet als „semantisches Lexikon" einen notwendigen Bestandteil dieser Komponente. Die Eigenschaften der semantischen Prädikate machen den Inhalt dieses Paragraphen aus. Sie lassen sich jedoch nicht darstellen ohne teilweise erhebliche Vorgriffe auf den Inhalt der folgenden Paragraphen, die die übrigen Bestandteile seman-

Semantische Strukturen

75

tischer Strukturen behandeln. Da sich in einigen Fällen durch Verweise allein nicht die notwendige Verständnisgrundlage ergibt, müssen gewisse Wiederholungen in Kauf genommen werden.

a) Die semantischen Prädikate bilden jeweils einzelne Eigenschaften oder einzelne Beziehungen von Gegenständen ab, nicht aber Kombinationen von solchen Eigenschaften oder Beziehungen. Dies unterscheidet sie von den Begriffen, die im allgemeinen solche Kombinationen Von Eigenschaften oder Beziehungen widerspiegeln. Die semantischen Prädikate entsprechen daher den einzelnen Merkmalen von Begriffen. Da nun mit den Äußerungen Abbilder von Sachverhalten der Wirklichkeit verbunden sind, Gebilde also, die Begriffe und Gegenständsabbilder vereinigen (s. o. § 19, c)), treten in der semantischen Struktur von Äußerungen zumeist mehrere semantische Prädikate und somit auch mehrere Propositionen auf. Unter bestimmten Bedingungen, von denen im folgenden einige genannt werden, können sie als Komplexe aus mehreren miteinander verbundenen semantischen Prädikaten im Rahmen einer Proposition betrachtet werden. So löst sich die semantische Struktur von Das ist ein Hund in eine Reihe von miteinander verbundenen Propositionen auf, in denen, entsprechend dem Aufbau des Begriffs „Hund" aus einzelnen Merkmalen, dem abgebildeten Gegenstand einzelne semantische Prädikate zugeschrieben werden. I m Falle von „Hund" treten Merkmale wie „zahm", „einheimisch", „Fleischfresser" zusammen mit einer ganzen Gruppe von Merkmalen auf, die den Gegenstand als „Tier" widerspiegeln. I n der semantischen Struktur von Das ist ein Hund hätten wir zu rechnen mit einer Reihe von Propositionen ,a ist ein Tier, und a ist ein Fleischfresser, und a ist einheimisch, und a ist zahm . . wobei dem Glied ,a ist ein Tier' wiederum eine ganze Kette solcher Propositionen entspricht. Die allgemeine Form einer solchen Kette zeigt (9a): (9a)

(Fja

A(F2)aA

...

A(Fja

Sie wird im folgenden vereinfacht wiedergegeben durch (9b): (9b)

(F1AF2A . . .

AFJa

oder, auf das Beispiel Das is( ein Hund bezogen, durch ,a ist ein Tier und ein Fleischfresser und einheimisch und zahm . . .'. Wenn man für die semantischen Prädikate F f , . . ., F m die Interpretation ,Tier', ,Fleischfresser' usw. annimmt, dann kann man die semantische Struktur von Wörtern wie Hund charakterisieren durch ,(F 1 AF 2 A . . . Fm) x', wobei für ,x' in den einzelnen Äußerungen jeweils bestimmte Gegenstandsabbilder eintreten. In der beschriebenen Weise können nur Propositionen zusammengefaßt werden, deren semantische Prädikate sich jeweils auf dieselben Gegenstände beziehen. Das betrifft jedoch nicht (oder jedenfalls nur bedingt) die zeitliche Einordnung, die mit manchen semantischen Prädikaten verbunden ist. Solche Prädikate können zusammen mit anderen, die zeitlich nicht gebunden sind, in einem Komplex auftreten. Die zuerst genannte Beschränkung gilt auch für Wortbedeutungen, die Komplexe von semantischen Prädikaten sind: eine Konjunktion der Prädikate (oder Prädikatskomplexe) ,ohne feste Kontur' und ,weich' ist (zum Beispiel in schwammig) möglich, aber nur wenn die verbundenen Prädikate

76

1.2. Semantische

Komponente

von demselben Gegenstand gelten. Eine Wortbedeutung, die ,(dünn) .r und (lang) y' besagt, wäre nicht möglich. Verschiedene Zeiteinordnungen von Prädikaten innerhalb derselben Wortbedeutung dürften jedoch möglich sein. Nicht zeitlich gebunden sind Prädikate, die Gegenstände als Lebewesen, als Menschen, als männlich oder weiblich usw. charakterisieren. Sie bilden zeitlich stabile Eigenschaften ab. In den Bedeutungen von Wörtern wie Schüler(in), Student(in), Vorsitzende(r) usw. sind sie jedoch mit semantischen Prädikaten verbunden, die nicht-ständige Eigenschaften betreffen. Diese können oder müssen beim Eintritt solcher Wörter in Äußerungsstrukturen zeitlich gebunden werden. Dann geht die zeitliche Bindung u. U. von den einzelnen Propositionen auf den Gesamtkomplex über. Vgl. eine frühere Schülerin dieser Schule, die künftigen Studenten dieser Hochschule, aber nicht: *ein ehemaliger Mensch. b) Innerhalb des Gesamtbestandes an semantischen Prädikaten gibt es mehrere Klassen, die sich durch die Stellenzahl der Prädikate voneinander unterscheiden: Einstellige Prädikate nehmen in den Propositionen nur ein Argument an, mehrstellige Prädikate hingegen mehrere. Einstellige Prädikate entsprechen Eigenschaften von Gegenständen. So dürften z. B. die semantischen Prädikate, die in den Bedeutungen von Wörtern wie grün, blond, husten, schlafen, Hund, Stein usw. enthalten sind, einstellig sein. Die semantischen Prädikate, die in den Bedeutungen von husten oder schlafen enthalten sind, geben zeitlich instabile Eigenschaften von Gegenständen (hier: von Lebewesen) wieder, derartige Eigenschaften kommen jedoch keineswegs nur in verbalen Wortbedeutungen vor, was z. B. Adjektiva wie ruhig zeigen (Beispiele für Substantive in a)). Umgekehrt gibt es auch Verben, die ständige Eigenschaften von Gegenständen bezeichnen oder bezeichnen können wie z. B. schillern, schielen usw. Nur syntaktisch bedingt ist die Mehrstelligkeit solcher Verben wie (das) legt (sich) / gibt (sich) = ,das vergeht", (er) räuspert (sich) usw. Mehrstellige semantische Prädikate bilden Beziehungen zwischen Gegenständen ab. In den Bedeutungen von Wörtern wie z. B. ähnlich, tragen, verkaufen, vor, Bruder usw. gibt es jeweils mindestens ein mehrstelliges semantisches Prädikat (,x ist y ähnlich in bezug auf z', .x trägt 1/. ,x verkauft y an 2', .x ist vor y', .x ist der Bruder von y'). Trotzdem können die Bedeutungen solcher Wörter auch einstellige semantische Prädikate enthalten. In der Bedeutung von Bruder z. B. ist eine Gruppe von Prädikaten enthalten, die a\ d. h. eins der Argumente, als männliches menschliches Lebewesen beschreibt, und eine, die y als (männliches oder weibliches) menschliches Lebewesen beschreibt. Die Stellenzahl der Prädikate, die in die semantische Struktur von Wörtern eingehen, bildet die Grundlage für die Valenz des entsprechenden Wortes (s. 1.5.4. u. 1.7.3.2.), sie ist aber mit ihr nicht identisch. Insbesondere kann man nicht aus der Anzahl valenznotwendiger syntaktischer Satzglieder* auf die Stellenzahl der in der Bedeutung des Verbs auftretenden semantischen Prädikate schließen. Der Wortbedeutung von geben entspricht z. B. ein Komplex semantischer Prädikate, der insgesamt etwa besagt .x macht, daß y z hat'. Das heißt, daß die Satzglieder X. Y und Z in X gibt Y Z nicht durch ein dreistelliges semantisches

Semantische

Strukturen

77

Prädikat miteinander verbunden sind, sondern durch eine besondere Verbindung mindestens zweier Propositionen mit jeweils z w e i A r g u m e n t e n : Proposition

Argument

(10a) erscheint jedoch als. Proposition

(10b)

'bewirken-

hoben'

*

y

z

wenn man die syntaktische S t r u k t u r auf die semantische projiziert, vgl. dazu 1.7.3. I n zahlreichen Fällen werden semantisch vorhandene Argumente syntaktisch nicht realisiert. So enthalten die semantischen Strukturen von sägen, feilen usw. eine Stelle f ü r einen Gegenstand, der als I n s t r u m e n t dient; analog gibt es bei einatmen oder ausatmen einen latenten Bezug auf einen Gegenstand, auf die ein- oder ausgeatmete L u f t . Die entsprechenden semantischen Argumente werden nur d a n n syntaktisch realisiert, wenn zusätzliche Beschreibungen hinzukommen ; vgl. Er sägte mit einem Fuchsschwanz an einem Brett, Sie atmeten gierig die frische Luft ein. Das Umgekehrte, die (semantisch gesehen) r e d u n d a n t e Bildung von Argumenten liegt z. B. vor bei manchen Umschreibungen einfacher Verben (schreien/ein Geschrei machen, über etwas verfügen/etwas zur Verfügung haben usw.; vgl. auch den Abschnitt über Streckformen in K a p . 2.3.2.7.). In Substantiva wie z. B. Bruder, Freund usw. oder Teil, Kopf, Dach, Ecke, Rand u. a. m. bildet eine Argumentsstelle eines zweistelligen semantischen Prädik a t s bzw. eines Komplexes solcher P r ä d i k a t e die Grundlage der W o r t b e d e u t u n g . Das zweite Argument kann als Attribut in Gruppen wie Peters Bruder, ein Teil der Maschine, der Rand des Tellers usw. a u f t r e t e n (vgl. K a p . 2.3.1.1., § 9). I n den Bedeutungen solcher Substantiva wie Schmied, Dieb usw. ist das zweite Argument l a t e n t ; es referiert nur in Sonderfällen (der Schmied dieses kunstvollen Gitters, der Dieb dieses Gemäldes). In anderen Fällen, wie z. B. Pirat, Koch usw. kann es syntaktisch nicht realisiert werden. Es erscheint grundsätzlich als zweifelhaft, ob es neben zweistelligen P r ä d i k a t e n auch semantische Prädikate mit drei oder mehr Stellen gibt. Alle entsprechenden Bedeutungen lassen sich als Gefüge von Propositionen mit maximal zwei Argumenten und entsprechenden zweistelligen Prädikaten auffassen.

1.2. Semantische

Komponente

Einige zweistellige semantische Prädikate, die für den A u f b a u der semantischen Strukturen grundlegend sind, werden in § 30 behandelt.

c) Prädikate verschiedener Stufen: Die semantischen Prädikate bilden verschiedene Klassen nach der Art ihrer Argumente. Bei den Prädikaten der einen Klasse können die Argumentsstellen nur mit Gegenstandgabbildern besetzt werden. Bei den Prädikaten einer anderen Klasse werden die Argumentsstellen durch Abbilder von Sachverhalten besetzt. Die Argumente haben selbst eine propositionale Struktur. Andere semantische Prädikate haben Argumente der einen u n d der anderen Art. In der Bedeutung von Wörtern wie glauben, wissen, sich ärgern über, behaupten, bestreiten, versprechen usw. gibt es jeweils mindestens ein semantisches Prädikat, das ein Sachverhaltsabbild als Argument verlangt: Brigitte glaubt, daß sie den Schlüssel verloren hat; Wir toissen, daß die Aufführung abgesagt ist -, Ich ärgere mich darüber, daß der Bus zu spät kommt usw. usf. Es gibt Unterschiede im kommunikativ-pragmatischen Charakter des semantischen Komplexes, der als Argument auftritt-. Bei wissen hat das Argument den Charakter einer Aussage; vgl. Brigitte weiß / hat erfahren, daß die Aufführung abgesagt ist, nicht so bei Brigitte ist überzeugt / glaubt / bestreitet, daß . . . Mindestens ein semantisch komplexes Argument haben alle Prädikate, die psychische Vorgänge abbilden. Sachverhaltsabbilder treten auch bei semantischen Prädikaten, die materielle Zusammenhänge abbilden, als Argumente auf. Sie sind z. B. enthalten in den Bedeutungen solcher Verben wie verursachen, bewirken, bedingen, hervorrufen, abhängen von usw. (s. a. § 30, c)). d) Ein kompliziertes Problem entsteht bei Prädikaten von Prädikaten. Sie bilden nicht Eigenschaften von Sachverhalten oder Beziehungen zwischen Sachverhalten ab, sondern Eigenschaften von Eigenschaften oder Beziehungen. I n der semantischen Struktur von rennen gibt es gegenüber der von gehen ein semantisches Prädikat, das die Schnelligkeit der Bewegung kennzeichnet; in der semantischen Struktur von Das Haus ist sehr hoch tritt ein semantisches Prädikat auf, das den Grad wiedergibt, in dem die Eigenschaft „hoch" auf den Gegenstand zutrifft. Nicht der Sachverhalt, daß x geht, ist schnell, sondern das Gehen von x, nicht der Sachverhalt, daß x hoch ist, trifft in hohem Grad zu, sondern die Höhe von x ist relativ groß. Eine Darstellung der Prädikate von Prädikaten als besondere Strukturen, die nicht den Charakter von Propositionen haben (etwa in der Form (10c)) (10c)

Proposition

Argument

Prädikat Prädikat

Argument

Prädikat 'sehr

'hoch'

x

Semantische Strukturen

79

ist ein Notbehelf. Sie verlangt als Erklärung eine genaue Untersuchung der Graduierung von Eigenschaften. Einen (10c) entsprechenden Ausdruck ,((sehr) hoch) x' müßte man verstehen als: ,„Sehr' gilt von ,hoch' und ,sehr hoch' gilt von x". Dies aber wäre die Abkürzung eines komplizierteren Ausdrucks, den man so umschreiben könnte: „Hochj ist eine Teilklasse von Hoch, und von dieser Teilklasse gilt ,sehr' und x gehört zu der Teilklasse Hoch t ". Bei einer solchen Betrachtung müßten die semantischen Prädikate auch als Klassen (nicht nur als Eigenschaften) interpretiert werden können. Eine andere Lösung besteht darin, die Bedeutungen von schnell, hoch, breit, lang usw. als zweistellig anzusehen. Ihre zweite Stelle wird dann grundsätzlich durch einen Wert auf einer Skala (oder durch einen Vergleich) besetzt; zu diesen Lösungen s. B I E R W I S C H (1969) bzw. (1972). Gegenseitiger Ausschluß oder gegenseitige Verträglichkeit semantischer Prädikate: Semantische Prädikate haben bestimmte gegenseitige Beziehungen. Diese regeln ihr Auftreten in den semantischen Strukturen. Zwei semantische Prädikate schließen sich gegenseitig aus, wenn sie in derselben semantischen Struktur nicht auf denselben Gegenstand bezogen werden können. So schließen sich z. B. die Prädikate gegenseitig aus, die einen Gegenstand als etwas Materielles (z. B. als Körper) bzw. als etwas Ideelles (z. B. als etwas Gedachtes oder als etwas Erlebtes) charakterisieren. Ebenso schließen sich bei Charakterisierungen von Lebewesen die Prädikate .männlich' und .weiblich' gegenseitig aus. Zwei semantische Prädikate sind miteinander verträglich, wenn sie sich in derselben semantischen Struktur auf denselben Gegenstand beziehen können. Die Verträglichkeit von Prädikaten kann in dreierlei Formen auftreten: Gegenseitige Toleranz, Voraussetzung eines Prädikats durch das andere, gegenseitige Voraussetzung. Im Fall von gegenseitiger Voraussetzung können zwei semantische Prädikate nur dann in der semantischen Struktur einer Äußerung auftreten, wenn das jeweils andere ebenfalls auftritt; so kann z. B. das semantische Prädikat, das einem Gegenstand Ausdehnung zuschreibt, nicht auftreten, wenn nicht zugleich auch das Prädikat erscheint, das dem Gegenstand Gewicht zuschreibt. Einseitige Voraussetzung besteht zwischen anderen semantischen Prädikaten: Ein Gegenstand, der durch Prädikate wie z . B . ; .organisch', ,belebt' usw. als Körper charakterisiert ist,-muß auch als materielles Objekt charakterisiert sein. Ein (abstrakter) Gegenstand, der als Handlung charakterisiert ist, muß zugleich als etwas charakterisiert sein, dessen Urheber aktiv ist. Daraus ergibt sich, daß das „semantische Lexikon" strukturiert ist und daß das Auftreten bestimmter semantischer Prädikate in den Äußerungsstrukturen bestimmten Regeln unterliegt. Die Beziehungen der gegenseitigen Verträglichkeit oder des gegenseitigen Ausschlusses liegen den Erscheinungen zugrunde, die als semantische Vereinbarkeit von Wörtern (innerhalb von Wortgruppen) bezeichnet werden und vielfach zur Valenz gerechnet werden. Die genannten Beziehungen gelten jedoch namentlich auch für den Aufbau von Wortbedeutungen. Semantische Unvereinbarkeit, die auf relativen semantischen Eigenschaften beruht, dürfte vorliegen in den Beispielen von § 22, (3c). Mit den Wörtern als Ganzem,

1.2. Semantische

Komponente

nicht mit den in ihren Bedeutungen auftretenden semantischen Prädikaten sind spezifische, mit bestimmten Arten der gesellschaftlichen Tätigkeit, mit bestimmten Wertungs- und Verhaltensweisen verbundene Ebenen der Verallgemeinerung verbunden, in denen der jeweilige Begriff eine bestimmte Rolle spielt. Solche Beziehungen gehören zur relativen semantischen Struktur der Äußerungen. Daher können Wörter unvereinbar sein, die sich ihren absoluten semantischen Eigenschaften nach durchaus nicht ausschließen. Vgl. außerdem auch Fälle wie Der Löwe ist großmütig und gelb, wo der Unterschied der Bezugsebenen (psychische Eigenschaften / physische Eigenschaften) die Konstruktion einer „gemeinsamen Einordnungsinstanz" verhindert (s. o. § 24, e)). Aber auch bei ande ren Wortgruppen ergeben sieh ähnliche Probleme; vgl. z. B. Ein schlanker Dialektiker usw. (Vgl. W I E S E (1973), S. 86.) Semantische Argumente können von unterschiedlicher Art sein. Während die Anzahl der Klassen, in die erkannte, ideell abgebildete Gegenstände eingeordnet werden, zwar flexibel aber im Prinzip begrenzt ist, ist die Anzahl der Gegenstände, die das Individuum kennenlernt, d. h. in diese Klassen einordnet, in den erarbeiteten Begriffen erfaßt, naturgemäß nach oben nicht abgeschlossen. a) Das Individuum kennt die einzelnen Gegenstände seiner Umgebung durch die Wahrnehmung. Eigenschaften, die nicht unmittelbar wahrnehmbar sind, uh4 Beziehungen zu jeweils anderen Gegenständen decken sich im manuell-praktischen Umgang mit ihnen auf. Ihre Identität prägt sich in der Wahrnehmung ein. Diese ist begrifflich analysierbar, aber nicht ausschöpfbar. Die Begriffe erfassen nur bestimmte wesentliche Eigenschaften, in die im Bewußtsein reproduzierbaren Erscheinungsbilder geht aber auch das Zufällige und Unwesentliche ein. Gegenstände, die durch sinnlichen X)der sinnlich-operativen Kontakt bekannt werden, werden begrifflich eingeordnet. Mit den Begriffen, über die das Individuum verfügt, ist auch die Gesamtheit der erinnerbaren, in sie einordenbaren Gegenstandsabbilder verbunden. In dieser Verbindung ergeben sich die Abbilder von Sachverhalten, die eine Grundschicht im Kenntnisbestand der Individuen bilden. In seiner Eigenschaft als Bestand an-Kenntnissen schließt das Bewußtsein auch ein Inventar von Gegenstandsabbildern ein. Nicht so die semantische Komponente des Sprachsystems. In den von ihr determinierten semantischen Strukturen wird jedoch u. a. auf bekannte Gegenstände Bezug genommen (s. 1.3.4.). Die semantische Komponente sieht nicht den Bestand an Gegenstandsabbildern vor, sondern die Art und Weise, in der diese in die semantischen Strukturen eingehen. Ausnahme: Die Referenten von allgemeinbekannten Gegenständen wie Sonne, Mond iisw. In die semantischen Systeme jeweils unterschiedlicher Gruppen von Sprechern mögen auch z. B. die Referenten von bestimmten Personennamen gehören. b) Neben diesen durch unmittelbaren sinnlichen Kontakt bekannten Objekten gibt es solche, die nicht weniger fest zum Bestand unserer Kenntnisse von der Wirklichkeit gehören, die wir aber nur aus der Kommunikation mit anderen kennen. Aus den Mitteilungen eines anderen Menschen, der als belebter Gegenstand usw. im Kenntnisbestand repräsentiert und begrifflich eingeordnet ist, entnimmt man z. B., daß er einen Bruder hat, daß er ein Haus in einem Vorort besitzt, etc.

Semantische

Strukturen

81

Gegenstände, die in den Mitteilungen anderer figurieren, werden sowohl auf Grund ihrer Klassenzugehörigkeit als auch auf Grund ihrer Relation zu einem anderen bekannten Gegenstand (dem Sprecher) als bekannte Gegenstände abgebildet. Ihre Identität als Gegenständ ist der anschaulichen Grundlage nach nicht erfüllt, ihre Identität ist begrifflich-rational gesichert. Wenn sich erweist, daß ein Gegenstand, auf dessen Bekanntheit sich die anderer Gegenstände stützt, nur imaginär ist, so wird auch seiner Identität die Grundlage entzogen. So ist z. B. „die Hauptstadt von Atlantis" von dem Augenblick an ein Nicht-Gegenstand, in dem das Individuum aufhört, „Atlantis" als einen existenten Gegenstand zu betrachten. Umgekehrt kann niemand an die Existenz eines Objekts „Atlantis" glauben, ohne zugleich zu glauben, daß es z. B. einen höchsten Berg, eine mittlere Jahrestemperatur usw. von Atlantis als ebenso wirkliche Gegenstände gibt.

c) Über erschlossene Gegenstände s. o. § 23, b). d) Propositionen können sich auf Klassen von Gegenständen beziehen. In Fällen wie z. B. Die Käfer gehören zu den Insekten werden Beziehungen zwischen Klassen als Teil-Ganzes-Beziehungen erfaßt. Die Klasse ist selbst als ein Gesamtgegenstand fixiert. Die Anzahl der möglichen semantischen Prädikate ist sehr begrenzt (s. § 30, b)). In anderen Fällen wird der Bezug auf beliebige einzelne Exemplare durch eine Operation verallgemeinert: Marienkäfer fressen Blattläuse = ,Fiir jeden Gegenstand, der zu der Klasse M. gehört, gilt, daß er sich unter bestimmten Bedingungen zu beliebigen Gegenständen der Klasse B . so verhält, daß er sie frißt.' Die Generalisierung hat eine Form, die in der Schreibweise der formalen Logik mit dem „Alloperator" wiedergegeben wird: \/(x)(P(.v) — Q(x)) bedeutet ,Für jeden Gegenstand x gilt, wenn die Eigenschaft P gilt, auch die Eigenschaft Q' oder: .Alle P sind Q'; eine andere Interpretation lautet: .Die Klasse P ist entweder identisch mit der Klasse Q oder eine Teilklasse von Q'. Der operationelle Sinn solcher Ausdrücke besteht darin, daß für einen gegebenen Gegenstand a mit seiner Einordnung in die Klasse P automatisch auch die Einordnung in die Klasse Q vollzogen wird. Aus P(a) folgt automatisch Q(a). Verallgemeinerte Abbilder dieser Art drücken notwendige Zusammenhänge zwischen dem Auftreten bestimmter Eigenschaften in den Gegenständen der Wirklichkeit aus. Zugleich sind sie, einmal ausgearbeitet, die Grundlage für mächtige und weitreichende Vereinfachungen und Zusammenfassungen im Wissensbestand, über den das Individuum verfügt. Die entgegengesetzte Beziehung, daß nämlich für eine bestimmte Klasse behauptet wird, daß sie nicht völlig in einer anderen Klasse enthalten bzw. mit ihr identisch ist, entspricht ein Ausdruck mit Existenzoperator und negierter Proposition: Nicht alle Fische atmen durch Kiemen = Einige Fische atmen nicht durch Kiemen. Auch in dem zuletzt genannten Ausdruck wird auf beliebige einzelne Exemplare der Klasse „Fische" Bezug genommen, der operationeile Sinn der Ausdrücke dieser Art besteht darin, Generalisierungen einzuschränken: Es soll nicht für jeden einzelnen Gegenstand, der bekannt wird oder bereits bekannt ist, aus der Zugehörigkeit zur Klasse der Fische gefolgert werden, daß auf ihn auch die Eigenschaft „durch Kiemen atmen" zutrifft. Die entsprechende (! Deutsche Gramm.

l.ü. Semantische

Komponente

komplementäre Teilklasse von „Fisch" (d. h. z. B. die Teilklasse der Fische, die durch Lungen atmen) wird offengehalten, sie wird als nichtleer reklamiert. Die gegenseitige Abhängigkeit der beiden Operatoren kommt in der Dualität der entsprechenden negierten Formen zum Ausdruck (Beispiele s. o. 1.1., § 7). Die Frage ist, ob tatsächlich beide komplementären Operatoren zur semantischen Komponente der Sprache gehören oder ob nicht vielmehr nur einer (nach einem Vorschlag von M C C A W L E Y : der Existenzoperator) und die Negation zur Sprache gehören. Die beiden Ausdrucksweisen sind zwar logisch äquivalent, sie sind aber nicht operationell gleichwertig. Die Negation ist eine Blockierungsoperation (s. o. § 23 u. 24). Die Verallgemeinerungen, die dem Alloperator entsprechen, dürften kaum auf dem Weg einer doppelten Blockierung Zustandekommen. Die Konsequenz ist, daß zur semantischen Komponente des Sprachsystems neben den beiden Operatoren auch eine Regel gehört, die die Äquivalenz der entsprechenden Strukturen festlegt. Mit dem Problem der Bezugsgegenstände der semantischen Prädikate ist das der semantischen Struktur von Substantivgruppen eng verbunden. Gruppen mit individuativem Substantiv (Stuhl, Hund, Baum u s w j beziehen sich nicht unmittelbar auf einzelne Gegenstände, sondern auf Gegenstandsmengen (im Grenzfall: auf eine Einermenge); drei Stühle besagt etwa ,eine Dreiermenge von Gegenständen, von denen jeder ein Stuhl ist' — die semantischen Prädikate der Substantivbedeutung müssen also in der semantischen Struktur jedem einzelnen der Gegenstände zugeschrieben werden. Die Bedeutungen von kontinuativen Substantiven (Mehl, Milch, Unkraut, Getier usw.) werden auf Gegenstände bezogen, die als Teile eines einheitlichen Gesamtgegenstandes „Mehl", „Milch" usw. erfaßt werden (vgl. dazu Kap. 2.3.1.1.). Im vorliegenden Abschnitt sind die Beziehungen stark vereinfacht dargestellt. Eine Reihe von semantischen Prädikaten hat einen gewissen Sonderstatus. Sie entsprechen bestimmten für die rationale Widerspiegelung der Wirklichkeit grundlegenden Begriffen (oder Begriffselementen). Ohne sie ist eine Widerspiegelung des Wesentlichen, Allgemeinen und Notwendigen in den Dingen und Erscheinungen der Wirklichkeit nicht möglich. Wir geben keine vollständige Übersicht über die semantischen Prädikate, die solchen Grundkategorien der rationalen Widerspiegelung der Realität entsprechen, sondern beschränken uns auf einige Beispiele. Dabei ist erkennbar, daß es sich vor allem um relationale Prädikate handelt, teils um solche, die Propositionen als Argument haben, teils um solche, die sich auf Gegenstände oder Klassen von Gegenständen beziehen. Ihnen ist gemeinsam, daß sie in die Bedeutung vieler Wörter als Bestandteile eingehen. a) Eine Reihe von solchen Prädikaten könnte man als „logische" bezeichnen. Sie charakterisieren Beziehungen zwischen Gegenständen und Klassen und dienen dazu, deren ideelle Widerspiegelung in Gestalt von Gegenstandsabbildern bzw. Eigenschafts- oder Relationsbegriffen in angemessener Weise aufeinander zu beziehen. Eins dieser Prädikate ist das der Identität. Es tritt auf in Äußerungen wie: Es ist Klaus, der das gesagt hat = ¡Jemand hat das gesagt. Derjenige ist Klaus'.

Semantische

Strukturen

83

Das heißt: Ein aus dem Bestehen der Relation erschlossener Gegenstand wird als ein bereits bekannter („Klaus") identifiziert: Eine logische Variable wird durch eine Konstante ersetzt. In ähnlicher Weise können auch Prädikate identifiziert werden: Das ist einfach frech, wie er sich da benommen hat; Was ich tun würde, wäre den Eltern Bescheid sagen usw. Damit nicht zu verwechseln ist die Identifizierung zweier jeweils als bekannt geltender Gegenstände: Klaus ist Peters Stiefbruder; Ankara ist die Hauptstadt der Türkei. Eine Identifizierung von Klassen findet statt in D-Züge sind Züge, die bevorzugt abgefertigt werden und die nur an bestimmten Stationen halten. In einer besonderen Verwendungsweise, wenn nämlich das eine der beiden Relate durch eine einzelne lexikalische Einheit realisiert wird, fungieren solche Äußerungen als Definitionen. Ein anderes semantisches Prädikat beschreibt die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zu einer Klasse: Dresden ist eine Großstadt, Klaus ist ein Grobian. Es> handelt sich darum, daß die Beziehung ,a£K\ ,der Gegenstand a ist ein Element der Klasse K' selbst explizit beschrieben wird; faktisch kommt dieses Verhältnis immer vor, wenn eine Zuordnung zwischen einer Eigenschaftsbezeichnung und einem Gegenstand stattfindet. Dem entsprechen Einordnungen von Teilklassen in Klassen: Tannen sind Nadelbäume, Wellen sind Maschinenelemente usw. ( , L c M l , ,Die Klasse L ist eine Teilklasse von M'). b) Eine Reihe von anderen Prädikaten bezieht sich auf die Struktur der Gegenstände und Erscheinungen und auf ihren gegenseitigen Zusammenhang. Hierher gehören Prädikate, die die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zu einer Gesamtheit und — bei höherer Form der Integration — die Beziehung von Form und Material (,z besteht aus y') usw. abbilden. Diese semantischen Prädikate realisieren sich keineswegs nur in Verben oder Präpositionen. Sie treten auch in den Bedeutungen anderer Einheiten auf (vgl. Glas = ,Gefäß, das aus Glas besteht' oder vgl. das Verhältnis von Brett und Planke: Planke bezeichnet ein Brett als Bestandteil einer Holzkonstruktion, während Brett einen Gegenstand nicht als Teil eines Ganzen charakterisiert). c) Von fundamentaler Bedeutung für die gesamte Erkenntnis ist die Widerspiegelung der Kausalbeziehungen zwischen Efeignissen. Ein entsprechendes semantisches Prädikat ist nicht nur Bestandteil der Bedeutungen von Verben wie verursachen, hervorrufen, bewirken usw. und von bestimmten Präpositionen, sondern auch Teil der Bedeutung sehr vieler anderer Wörter, (vgl. z. B. das Nebeneinander von Vorgangs- und Eigenschaftsbezeichnungen und entsprechenden Kausativa oder Faktitiva: fallen / fällen; erschrocken / erschreckt; gehangen / gehängt, ferner: bleich / bleichen; tot / töten usw. Das semantische Prädikat ist aber außerdem in allen Verben, die die Informationsweitergabe oder die Weitergabe von Gegenständen bezeichnen, enthalten (s. Kap. 2.3.1.6.). d) In einer symmetrischen Beziehung wie z. B. in ,a ist b benachbart' oder ,a ist b ähnlich (in bezug auf c)' haben die Gegenstände a und b jeweils dieselbe Stellung. In anderen Beziehungen, wie z. B. in ,a ist der Platz von b', ,a gehört zu b', ,a besteht aus b', ,a verursacht b' usw. haben die beteiligten Gegenstände verschiedene Rollen, sie sind nicht in derselben Weise an der Relation beteiligt. Es scheint, daß bei der Abbildung entsprechender Sachverhalte zugleich andere c*

84

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

Abbilder beteiligt sind, die die Rolle der Gegenstände innerhalb der Beziehung festlegen. Bei der Ortsbeziehung z. B. erscheint als der Ort entweder das Unbewegliche gegenüber dem Beweglichen oder das Größere gegenüber dem Kleineren, vgl. Der Wagen stand neben einem Busch / *Der Busch stand neben einem Wagen; Der Busch tvuchs neben einem Baum / *Der Baum ivuchs neben einem Busch. Bei der Zugehörigkeitsbeziehung und bei der Beziehung „a besteht aus 6" scheint ein Unterschied in der Orgänisiertheit, der Komplexität zwischen den beteiligten Gegenständen mit der Rollenverteilung verbunden zu sein. Bei der Beziehung von Ursache und Wirkung spielt außer dem zeitlichen Verhältnis (Wirkung nicht vor der Ursache) auch die Richtung einer eventuellen Energieübertragung eine Rolle. Wenn entsprechende semantische Prädikate in der semantischen Struktur einer Äußerung auftreten, so werden solche die Rollenverteilung in der Relation begründenden Abbilder mindestens als Hintergrund vorausgesetzt. Auf keinen Fall aber dürfen die in der semantischen Struktur auftretenden Propositionen diesen Voraussetzungen widersprechen. Besonders wichtig ist die Aufdeckung solcher Abhängigkeiten innerhalb der semantischen Struktur (oder zwischen semantischer StruktuY und in die Äußerung nicht einbezogenen Voraussetzungen) für die Analyse von semantisch-syntaktischen Rollen oder „Tiefenkasus" wie z. B. Agens, Patiens. Ursache, Träger des Geschehens, Adressat, Ziel. Instrument usw.. bei denen es sich keineswegs um elementare semantische Einheiten handelt; vgl. dazu auch 1.7.3.

1.3.

Die kommunikativ-pragmatische Komponente

1.3.0.

Z u m Charakter der kommunikativ-pragmatischen Komponente

§ 31

Die semantische Struktur bezieht die Äußerung auf die Wirklichkeit. Sie beschreibt Sachverhalte materieller oder ideeller Art. sie bezieht, sich aber weder auf die Äußerung selbst noch auf die kommunikativen Bedingungen, in denen die Äußerung erfolgt. In den Äußerungen drücken sich jedoch bestimmte (wenngleich nicht alle) Bedingungen der Kommunikationssituation aus. Das sind gleichfalls inhaltliche Eigenschaften, wenn auch nicht semantische Eigenschaften im Sinne von Kap. 1.2. Diese inhaltlichen Eigenschaften sind, wie 1.3.1.-1.3.4. zeigen, ihrer Art nach nicht einheitlich. Da sie jedoch in der syntaktischen und phonologisclien Struktur zum Ausdruck kommen und eine von der Bedeutung verschiedene Funktion haben, werden sie als eine besondere Schicht in der Struktur der Äußerung betrachtet, die von einer entsprechenden Komponente des Sprachsysteins determiniert wird (s. 1.1., § 2 und § 5—6). I m f o l g e n d e n wird ein Versuch g e m a c h t , die funktionale Grundlage der kommunik a t i v - p r a g m a t i s c h e n E i g e n s c h a f t e n darzustellen. Die Überlegungen sind diskussionsbedürftig u n d in sieh keineswegs abgeschlossen. E s zeigt sich (s. § 34—'MS), daß es keine einfache A u f g a b e ist, die k o m m u n i k a t i v - p r a g m a t i s c h e K o m p o n e n t e des S p r a c h s y s t e m s gegenüber anderen A s p e k t e n der Sprache als Ciesamterseheinung

Charakter der Komponente

85

abzugrenzen lind die Stellung der kommunikativ-pragmatischen Komponente gegenüber den anderen Komponenten innerhalb des Systems zu bestimmen. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß unsere Überlegungen vor allem von kommunikativ-pragmatischen Besonderheiten in Sätzen des Deutschen ausgehen. Eine umfassende theoretische Analyse müßte übereinzelsprachliche Eigenschaften der kommunikativ-pragmatischen Komponente aufzeigen. Die hier entwickelten Gedankengänge sollten als ein Vorschlag betrachtet werden. I n d e n sprachlichen Äußerungen ü b e r m i t t e l n die I n d i v i d u e n in d e r Darstellungen von Sachverhalten a n a n d e r e I n d i v i d u e n .

Regel

Auch wenn eine Äußerung keine Aussage, sondern eine Frage oder eine Aufforderung ist — s. u. 1.3.2. —, enthält sie als einen Teil ihres Inhalts doch die Zuordnung von Gegenstandsabbildern und Abbildern von Eigenschaften und Beziehungen. Das ist ein n o t w e n d i g e r Teilprozeß im gesellschaftlichen Z u s a m m e n l e b e n . D i e Menschen k o m m u n i z i e r e n u n t e r e i n a n d e r n i c h t s p o n t a n u n d in beliebiger Weise, sondern im R a h m e n u n d im Vollzug ihrer gegenseitigen sozialen B e z i e h u n g e n (vgl. HÄRTUNG (1974,), S. 3 f . u . HÄRTUNG (1974 2 ), S. 9 6 f . ) . Die sozialen Beziehungen u n d T ä t i g k e i t e n d e r I n d i v i d u e n b e d i n g e n sich g e g e n s e i t i g ; sie schließen die Bewußtseinsprozesse d e r I n d i v i d u e n u n d die W e i t e r g a b e i h r e r E r g e b n i s s e als eine ihrer K o m p o n e n t e n in sich ein. D a s I n d i v i d u u m m u ß sich in die T ä t i g k e i t e n , die seinen sozialen B e z i e h u n g e n e n t s p r e c h e n , eingliedern. E s m u ß sein eigenes H a n d e l n in d a s H a n d e l n a n d e r e r einbeziehen u n d d a s H a n d e l n der a n d e r e n in d e r P l a n u n g seines eigenen Verh a l t e n s berücksichtigen. Diese K o o r d i n a t i o n des H a n d e l n s (die d a s B e s t e h e n sozialer Gegensätze keineswegs ausschließt) wird d u r c h die s p r a c h l i c h e K o m m u nikation vermittelt. Unter „Handeln" wird hier das bewußt gelenkte und organisierte Verhalten des Individuums verstanden. Die soziale Tätigkeit, in der die Individuen gemäß ihren sozialen Beziehungen miteinander verbunden sind, ergibt sich aus dem koordinierten individuellen Handeln. Die F o r m der Koordination hängt aber durchaus von den bestehenden sozialen Beziehungen ab (sie ist z B. bei Beziehungen, die auf Unterdrückung und Ausbeutung beruhen, anders als bei Beziehungen, die auf sozialer Gleichheit und Übereinstimmung der Interessen beruhen). Die sprachlichen Äußerungen h a b e n d a h e r zwei eng miteinander verbundene Funktionen: Sie m a c h e n die E r g e b n i s s e d e r individuellen B e w u ß t s e i n s p r o z e s s e als I n f o r m a t i o n e n iiber S a c h v e r h a l t e d e r W i r k l i c h k e i t ' (der m a t e r i e l l e n u n d ideellen) a u c h f ü r a n d e r e I n d i v i d u e n v e r f ü g b a r , u n d sie v e r m i t t e l n , i n d e m sie d a s H a n d e l n der I n d i v i d u e n k o o r d i n i e r e n , die sozialen B e z i e h u n g e n u n d die ihnen e n t s p r e c h e n d e n F o r m e n d e r sozialen T ä t i g k e i t im u n m i t t e l b a r e n g e g e n seitigen Verhältnis d e r I n d i v i d u e n . Die Bildung und das Verstehen sprachlicher Äußerungen sind u n t e r d e n in § 31 beschriebenen B e d i n g u n g e n m e h r als die bloße A k t u a l i s i e r u n g im S p r a c h s y s t e m angelegter Möglichkeiten, ideelle A b b i l d e r d e r W i r k l i c h k e i t m i t L a u t ä u ß e r u n g e n zu v e r b i n d e n . Sie sind vielmehr ein T e i l a u s s c h n i t t a u s einer viel k o m p l e x e r e n Verhaltensweise. Diese, d a s kommunikative Verhalten, ist n i c h t n u r m i t d e m H a n d e l n v e r b u n d e n , es h a t a u c h selbst den Charakter des Handelns. D a s h e i ß t :

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

es ist bewußtes, zielgerichtetes Verhalten. Die bewußte Lenkung des kommunikativen Verhaltens im Sinne der beiden oben (s. § 31) genannten Funktionen muß sich auf ein inneres Abbild des Kommunikationsvorgangs beim Sprecher und beim Hörer stützen, so wie sich jedes Handeln auf ein inneres Abbild der Handlungssituation, der Ziele des Ablaufs sowie der Mittel und Verfahrensweisen stützen muß. Diese Abbildung erfolgt in bestimmten Kategorien, die die wesentlichen Merkmale und Bedingungen kommunikativen Handelns erfassen. Sie ergeben zusammen ein ideelles Modell des Kommunikationsvorganges, in dem das Handlungsergebnis ideell vorweggenommen werden kann und in dem geeignete, dem Ziel und den Bedingungen entsprechende Handlungsweisen ausgewählt werden können (vgl. dazu etwa H O P F E B (1974)). Das Modell ermöglicht es d e n Kommunikationsteilnehmern, die kommunikative Handlung zu kontrollieren. Die Handlung selbst vollzieht sich in Teiloperationen. Eine davon ist das Bilden bzw. das Verstehen der Äußerung in dem eingangs dieses Paragraphen beschriebenen engeren Sinn. Die Teiloperationen sind teilweise automatisiert, d. h. sie nehmen nur dann bewußten Charakter an, wenn besondere Probleme auftreten: z. B. Störungen bei der Hervorbringung oder Wahrnehmung der Äußerung, Kompliziertheit der darzustellenden Sachverhalte, Probleme in der persönlichen Beziehung von Sprecher und Hörer, Neuheit bestimmter sozialer Funktionen, zu deren Ausfüllung die Kommunikationshandlung gehört, u. a. m.

Damit sowohl der Sprecher als auch der Hörer den Kommunikationsablauf kontrollieren und nach ihren Zielen und Absichten lenken können, darf die Äußerung selbst nicht nur ein bestimmtes Abbild der Wirklichkeit übermitteln. Sie muß auch dessen Aufnahme und Verarbeitung organisieren sowie den Zweck und den sozialen Zusammenhang charakterisiereh, für die ein solches Abbild mitgeteilt wird. Sie muß also auch Informationen über bestimmte Seiten des inneren Modells des Kommunikationsvorgangs selbst übermitteln, nach dem der Sprecher handelt. Dadurch ist der Hörer in der Lage, das Mitgeteilte geordnet aufzunehmen, den sozialen Funktionen gemäß sinnvoll auszuwerten und, falls notwendig, regulierend in den Ablauf einzugreifen. Wenn man von begleitenden Äußerungsweisen (wie z. B. Mimik und Gestik bei mündlicher Sprache) absieht, die nicht immer in Funktion treten können, dann können Informationen über Voraussetzungen und Bedingungen der Äußerung nur in der Äußerung selbst vermittelt werden. Das heißt, sie müssen z. T. an der Form der Äußerung ablesbar sein. Das wiederum setzt die Existenz von Regeln voraus, die die genannten, den Kategorien des inneren Modells des Kommunikationsvorganges entsprechenden Informationen mit bestimmten Formeigenschaften der Äußerung verbinden. I n dem Maß, wie solche Informationen durch syntaktische, morphologische und phonologische Eigenschaften der Äußerung vermittelt werden, müssen auch die Regeln des Sprachsystems, die solche Formeigenschaften bestimmen^ auf Kategorien des inneren Modells der Kommunikationssituation Bezug nehmen. Für die Äußerungen heißt das, daß zu ihrem Inhalt außer der Bedeutung (den semantischen Eigenschaften) auch noch andere Eigenschaften gehören, solche nämlich, die sich auf die Bedingungen und Voraussetzungen ihres Zustandekommens beziehen.

Charakter der

Komponente

87

Kommunikativ-pragmatische Eigenschaften heißen die inhaltlichen Eigenschaften der Äußerung, die a) die Äußerung auf Voraussetzungen und Bedingungen des Kommunikationsvorgangs beziehen und zugleich b) in syntaktischen, morphologischen und phonologischen Eigenschaften der Äußerung ausgedrückt sind. Sie bilden zusammen die kommunikativ-pragmatische Struktur der Äußerung und werden von der entsprechenden Komponente des Sprachsystems determiniert. Für die Grammatik bedeutet das, daß sie die allgemeinen Eigenschaften des Aufbaus von Bedeutungen und Lautformen und deren gegenseitige Beziehungen, ihren Gegenstand also, nicht beschreiben kann, ohne auch bestimmte Kategorien des inneren Modells des Kommunikationsvorganges in die Beschreibung einzubeziehen (s. M Ö T S C H ( 1 9 7 5 ) ) . Das erste Problem einer Beschreibung der kommunikativ-pragmatischen Komponente des Sprachsystems ist das ihrer Begrenzung. Es ist zu fragen, welche Kategorien des inneren Modells des Kommunikatiopsvorganges in die genannte Komponente eingehen. Es ist offensichtlich, daß es sich nur um einen Teil dieser Kategorien handelt. Sie entsprechen einem Ausschnitt aus dem inneren Modell des Kommunikationsvorgangs, der nur einige Wesenszüge des Kommunikationsvorgangs widerspiegelt und infolgedessen auch nur einige Seiten des Vorgangs steuern kann. Wir nehmen an, daß die für das Sprachsystem relevanten Kategorien ein stark reduziertes Modell des Kommunikationsvorganges bilden, und daß es sich bei diesen Kategorien um solche von sehr elementarer Art handelt. („Elementar" bedeutet, daß diese Kategorien bzw. der ihnen entsprechende Modellausschnitt — in jedem beliebigen Kommunikationsvorgang wirksam sind, und daß sie eben darum auch nicht die Spezifik der einzelnen unterschiedlichen Klassen von Kommunikationsvorgängen ausdrücken können.) Nicht zur kommunikativ-pragmatischen Komponente gehören, wenn man dieser Annahme folgt, die Kategorien, die solche Teilhandlungen lenken, wie die differenzierte Erfassung der sozialen Bedingungen und der Persönlichkeit der Kommunikationsteilnehmer, die Bestimmung des Ziels der Kommunikationshandlung, die Auswahl der Nachricht (vgl. H O P F E R (1974), S. 54f.) und die Festlegung des Kommunikationsverfahrens (s. S C H M I D T / H A R N I S C H (1974)). Ausgeschlossen bleiben auch die Kategorien, die den Textaufbau der Nachricht festlegen. Kategorien, die diese Seiten des Koirffliunikationsvorganges betreffen, gehören nach der hier vertretenen Auffassung nicht zum Sprachsystem, sie gehören zu anderen Seiten der Sprache und sind infolgedessen auch nicht Gegenstand der Grammatik, sondern anderer Theorien.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich auch, daß die kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften vor allem zwei Momente des Kommunikationsvorgangs betreffen: a) Verknüpfung des sozialen und gegenständlichen Bezugssystems der Sachverhaltsdarstellung mit dem sozialen und gegenständlichen Bezugssystem der Kommunikationssituation, b) elementare Vorgänge der Einordnung und Verarbeitung der in den Äußerungen dargebotenen Informationen über Sachverhalte der Wirklichkeit (wobei die Einschätzung des Tatsachengehalts der Informationen eingeschlossen ist).

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

Die Frage des Umfangs der kommunikativ-pragmatischen Komponente ist eng verbunden mit der Frage nach dem Gegenstand der Grammatik und seiner Abgrenzung gegenüber dem Gegenstand anderer Theorien, die sich in unterschiedlicher Weise mit der Kommunikation mittels der Sprache befassen. Die Gesetzmäßigkeiten, denen das Sprachsystem unterliegt, lassen sich nur zum Teil aus seiner Funktion als Mittel der Kommunikation ableiten. Umgekehrt weist die Kommunikation Gesetzmäßigkeiten auf, die sich nicht aus denen des verwendeten Mittels erklären (vgl. z. B. das Verhältnis von gesellschaftlichen Beziehungen und kommunikativen Beziehungen, wie es bei HÄRTUNG (1974,), S. 17f., dargestellt ist). Die einfache Ausdehnung der Beschreibung des Sprachsystems auf alle Kategorien, die fiu' das sprachlich-kommunikative Handeln bestimmend sind, wurde der Spezifik der damit äußerlich abgedeckten Bereiche nicht gerecht werden. Die kommunikativen Beziehungen erschienen als etwas gegenüber den sozialen Beziehungen Selbständiges oder sogar Primäres. Ein kritischer Fall ist in diesem Zusammenhang die Theorie der Sprechakttypen, die (vgl. SEARLE (1969)) bestimmte Arten des kommunikativen Handelns ( z . B . : Behauptung, Frage, Aufforderung, Versprechen, Warnung, Katschlag usw.) klassifiziert und sowohl in Hinblick auf ihre soziologischen und psychologischen Voraussetzungen und Wirkungen als auch in Hinblick auf die jeweils eingesetzten sprachlichen Mittel untersucht. Ihr Einschluß in die Grammatik, der zugleich die Theorie des Sprachsystems aus einer gewissen Einseitigkeit herausführt, ist jedoch nur unter Berücksichtigung der im folgenden dargestellten Probleme möglich: Das Wesen einer sprachlichen Handlung ergibt sich aus der Beziehung zwischen dem jeweils bestehenden Sprecher-Hörer-Verhältnis und der durch die Äußerung vermittelten Sachverhaltsdarstellung (des „Inhalts der Nachricht" — H O P F E R (1974), S. 54). Das Problem spitzt sich zu in zwei Punkten: a) In bezug auf die Rolle der sogenannten performativen Verben (oder umschreibender Konstruktionen) wie z. B. behaupten, fragen, auffordern, warnen, bitten, versprechen, einen Veriveis erteilen usw. Die Bedeutung solcher Wörter und Gruppen muß in der semantischen Komponente des Sprachsystems beschrieben werden. Es handelt sich dabei um Verben, deren Bedeutungsbereich bestimmte Kategorien der sprachlichen Kommunikation sind. Außerdem haben sie, vom Sprecher selbst in bezug auf die eigene Äußerung gebraucht (ich verspreche dir, daß ich deine Beschwerde sofort überprüfe usw.), die Eigenschaft, die Geltung der Äußerung selbst festzulegen. Dieser p e r f o r m a t i v e Gebrauch bestimmter Verben oder äquivalenter sprachlicher Ausdrücke bildet die Grundlage für eine besondere Klasse sprachlicher Ausdrücke, zu denen Formeln gehören wie: Ich verspreche dir, daß + Satz, Ich befehle dir + Infinitivkonstruktion, Ich gratuliere dir zu + Substantivgruppe, Ich behaupte, daß + Satz u. a. m. Neben syntaktischen weisen Ausdrücke dieser Art auch inhaltliche Besonderheiten auf. Sie beschreiben nicht nur Sachverhalte, sondern charakterisieren auch die kommunikative Funktion der Gesamtäußerung. Der damit verbundene gedankliche Gehalt ist anderer Art als die Bedeutung in dem in Abschnitt 1.2. ausgeführten Sinne. Dabei ist zu beachten, daß die spezielle p e r f o r m a t i v e Funktion eine Eigenschaft der Ausdrücke und nicht der Verben ist. Diese können in Kontexten wie

Charakter

der

Komponente

Peter hat mir Hilfe versprochen treten.

89 usw. auch in b e s c h r e i b e n d e r Funktion auf-

b) Es gibt besondere syntaktische und J oder phonologische Mittel, um Aussagen, Fragen und Aufforderungen voneinander zu unterscheiden. Ihnen entsprechen jeweils auch bestimmte performative Verben; Komm mit\ und Ich fordere dich auf, mitzukommenl scheinen äquivalent zu sein, weil beide dem Hörer eine Handlung abverlangen. Als Beispiel sei hier der Typ „Versprechen" diskutiert. Versprechen sind zunächst einmal Aussagen. Allerdings spielen Aussagen des Sprechers über sein eigenes künftiges Verhalten in der sozialen Kooperation eine besondere Holle, weil sie es dem Partner ermöglichen, sein Verhalten entsprechend einzurichten. Unter besonderen Bedingungen, die SKABLE (1969), S. 51 f., gervauer beschrieben hat, haben solche Aussagen über eigenes künftiges Verhalten des Sprechers den Charakter eines Versprechens. Was die Aussage zu einem Versprechen macht, ist das Element gemeinsamer, den bestehenden sozialen Bedingungen entsprechender Planung des Verhaltens, das sie enthält. Daraus ergibt sich auch die Verbindlichkeit eines Versprechens (s. dazu auch § 48). Wenn man die Bedingungen, unter denen die Äußerung Ich werde Klaus sofort schreiben ein Versprechen ist, als gegeben annimmt, so wäre eine Äußerung Ich verspreche dir, daß ich Klaus sofort schreiben tverde weitschweifig. Die Verwendung einer Performativformel ist sogar in den meisten Fällen nicht notwendig. Das gilt nicht nur für Versprechen. Wird sie dennoch gewählt, so bedeutet das eine besondere Betonung des Handlungstyps, was z. B . dann wichtig sein kann, wenn die soziale Situation, in der die Äußerung getan wird, völlige Eindeutigkeit verlangt. (Der Sprecher will z. B . ausdrucklich hervorheben, daß er die mit einem Versprechen verbundene Verpflichtung sehr ernst nimmt.) Die Tatsache, daß der Handlungstyp einer Äußerung nicht ausdiiicklich in der Äußerungsstruktur in Erscheinung treten muß, ändert natürlich nichts daran, daß jede Äußerung eine Handlung eines bestimmten Typs darstellt und daß Sprecher und Hörer über entsprechende gemeinsame Kenntnisse verfügen müssen. Die Frage besteht nun darin, ob die Charakterisierung des Handlungstyps einer Äußerung als Aufgabe der Grammatik zu verstehen ist oder als Aufgabe einer selbständigen Theorie der Spreehhandlungen, die in einem noch näher zu bestimmenden Verhältnis zur Grammatiktheorie steht. Da performative Formeln möglich sind und als Bestandteile von Äußerungen auftreten, ihre inhaltlichen Eigenschaften aber nicht durch die Semantik (in dem von uns festgelegten Sinne) beschrieben werden, ist es glcichwohl nötig, die Charakterisierung des Sprechhandlungstyps einer Äußerung als Aufgabe der Grammatik zu betrachten. Die minimale Überschreidung zwischen Grammatik und Theorie der Sprechhandlungstypen ist durch die Existenz besonderer Strukturtypen von Sätzen bestimmt, die. ohne daß die Zuordnung eindeutig sein müßte, für jeweils bestimmte Sprechhandlungstypen charakteristisch sind. Im Deutschen sind es Aussage, Frage und Aufforderung (und evtJ. — s. § 40 — auch der Wunsch), denen in Gestalt besonderer syntaktischer, syntaktisch-morphologischer und phonologisc-her Eigenschaften besondere Strukturtypen zugeordnet sind.

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

Für die Verfahrensweise der »Grundzüge« ist maßgebend, daß a) die Grammatik die Funktion der betreffenden Strukturtypen zumindest grob kennzeichnen muß, obwohl eine befriedigende Erklärung nur im Gesamtzusammenhang einer/Theorie der Sprechhandlungen möglich ist (vgl. M Ö T S C H (1975), S. 33f.); b) die inhaltlichen Charakteristika einer Äußerung, die einem bestimmten Sprechakttyp entsprechen, der Äußerung auch dann zuschreibbar sein müssen, wenn sie statt des jeweils bevorzugten Strukturtyps einen anderen Strukturtyp realisiert. Eine weitere Frage, die sowohl mit der Bestimmung des Umfangs als auch mit d^r des Inhalts der kommunikativ-pragmatischen Komponente verbunden ist, ist die Frage nach ihrem Verhältnis zur semantischen Komponente des Sprachsystems. I n vielen Fällen verleihen die kommunikativ-pragmatischen Kategorien bestimmten Einheiten der semantischen Struktur der Äußerung zusätzliche Interpretationen (so ist z. B. der Referent von ich semantisch als .Lebewesen', .Person', .Mensch', .Einzelgegenstand' u. dgl. charakterisiert, kommunikativpragmatisch aber als .Sprecher dieser Äußerung'). Ganz allgemein könnte man den Inhalt der kommunikativ-pragmatischen Komponente in der folgenden Weise charakterisieren: Zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort und unter bestimmten sozialen Bedingungen will der Sprecher, daß der Hörer eine bestimmte semantische Struktur in einer bestimmten Weise verarbeitet. Dabei bewertet er Teilausschnitte der semantischen S t r u k t u r hinsichtlich ihres Tatsachengehalts. Außerdem setzt er voraus, daß dem Hörer bestimmte Teilausschnitte der semantischen Struktur in unterschiedlicher Weise bekannt sind. Es ist jedoch zu beachten: a) Der so charakterisierte Ausschnitt aus dem inneren Modell des Kommunikationsvorganges bildet insofern eine Einheit als eben die genannten Kategorien in jeweils unterschiedlichen Spezifikationen als ein nicht zur Bedeutung (im Sinne von i.2.) gehöriger Teilkomplex in den Inhalt der Äußerungen eingehen und durch syntaktische, morphologische und / oder phonologische Eigenschaften der Äußerungen ausgedrückt werden. Vom gesamten inneren Modell des Kommunikationsvorgangs aus betrachtet, erscheint ihre Einheit als fraglich. Die angeführten Kategorien dürften zu unterschiedlichen Teilkomponenten innerhalb dieses Modells und dementsprechend auch zum Gegenstand unterschiedlicher Teiltheorien gehören. Die Beschreibung der kommunikativ-pragmatischen Komponente innerhalb einer Grammatik ist daher nicht ein in die Grammatik verlegter Teil einer Theorie des inneren Modells des Kommunikationsvorgangs. b) Die hier verwendeten Ausdrücke wie „Zeitpunkt", „Ort", „soziale Bedingungen", „in bestimmter Weise verarbeiten", „Teilausschnitt aus der semantischen Struktur" usw. sind Benennungen für Kategorien, deren eigentlicher Charakter zum Teil noch ungenügend erkannt ist. Die Bezeichnungen sind deshalb nicht ohne die Kenntnis der Abschnitte 1.3.1. — 1.3.4. zu interpretieren, in denen die entsprechenden kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften von Äußerungen behandelt werden.

Bedingungen

der

Kommunikationssituation

91

1.3.1.

Orientierung auf die Bedingungen der K o m m u n i k a t i o n s s i t u a t i o n

§ 37

Der Sachverhalt^der in der semantischen Struktur der Äußerung beschrieben wird, wird auf die Kommunikationssituation bezogen. Entweder werden die Gegenstände, auf die die Äußerung referiert, mit den sachlichen und persönlichen Bedingungen der Kommunikation identifiziert, oder sie werden zu ihnen in ein bestimmtes Verhältnis gesetzt. Zur kommunikativ-pragmatischen Struktur gehört aber auch die Spezifikation bestimmter Bedingungen der Kommunikationssituation, ohne daß dabei der Gegenstandsbezug der Äußerung berührt wird. Die Einheiten, die zu diesem Teilkomplex der kommunikativ-pragmatischen Komponente gehören, spezifizieren also: — das Verhältnis von Sprecher und Hörer — deren Verhältnis zum dargestellten Sachverhalt — die Identität (oder Nichtidentität) von Bezugsgegenständen der Äußerung mit dem Sprecher und dem Hörer oder mit anderen in der Kommunikationssituation gegebenen Gegenständen — die Beziehung des Sachverhalts oder der an ihm beteiligten Gegenstände zum Ort des Sprechakts (des Sprechers) — die Beziehung des Sachverhalts zu der Zeit des Sprechakts.

§ 38

Sprecher und Hörer und ihr Verhältnis zu dem Sachverhalt, auf den sich die Äußerung bezieht: a) der Sprecher ist in der Kommunikationssituation dem Hörer sozial übergeordnet, gleichgestellt oder untergeordnet; Sprecher und Hörer haben bestimmte soziale Rollen inne; b) der Sprecher und der Hörer sind miteinander vertraut oder einander fremd; c) der Sachverhalt, auf den sich die Äußerung bezieht, ist für beide wichtig, für beide unwichtig oder für jeweils einen von ihnen wichtig. Die Unterscheidungen a) — c) stehen für eine Vielzahl weiterer Differenzierungen. Auf ihrer Grundlage ergeben sich (unter anderem) die folgenden Möglichkeiten für konkrete Sprechsituationen: — Der Sprecher ist sozial untergeordnet, ist aber mit dem Hörer vertraut. Auch wenn der Sachverhalt nur f ü r den Hörer wichtig ist, ermöglicht es die Vertrautheit, daß der Sprecher eine umgangssprachnahe Form der Äußerung wählt. — Sprecher und Hörer sind gleichgestellt und miteinander vertraut. In diesem Fall ist bei einem Sachverhalt beliebiger Wichtigkeit Du die normale Anrede. Wenn der Sprecher zur Äie-Form greift, müssen besondere Bedingungen vorliegen — z. B. Verstimmung oder Mißbilligung des Verhaltens des Hörers, oder aber der Wechsel ist mit einem Wechsel im Rollenverhältnis (z. B. Übergang zu einem betont dienstlichen) verbunden. — Wenn der Sprecher gegenüber einem ihm fremden Hörer in einer für

1.3. Kommunikativ-pragmatische.

Komponente

diesen wichtigen Angelegenheit s t a t t der „höflichen Frage" die neutrale anwendet (vgl. K a p . 6.3.4.), k a n n das als ein Anspruch auf soziale Ü b e r o r d n u n g verstanden werden. Spezielle Bedingungen ergeben sich im Z u s a m m e n h a n g mit der Festlegung der Verwendungsweise der semantischen S t r u k t u r (s. u. § 40ff.), insbesondere wenn eine Aufforderung vorliegt. d) Die Äußerung k a n n sich auf einen Sachverhalt beziehen, a n d e m der Sprecher und j oder Hörer selbst beteiligt ist. D a n n werden die entsprechenden Argumente der semantischen S t r u k t u r als 1. Person bzw. 2. Person gekennzeichnet. Alle übrigen A r g u m e n t e gehören demgegenüber zur 3. Person. Zur Kategorie der 1. Person gehören auch Personengruppen, zu denen der Sprecher gehört. Die 1. Person k a n n in diesem Fall auch den Angesprochenen einschließen („inklusives H'«r"). Bei Nichtvertrautheit u n d sozialem Unterschied muß die 2. Person normalerweise mit »Sie bezeichnet werden. Eine Aufforderung (s. u. § 42) setzt voraus, daß der Angesprochene a m beschriebenen Sachverhalt beteiligt ist. In der Sachverhaltsbeschreibung k ö n n e n Argumente a u f t r e t e n , die zur Kategorie der 3. Person gehören, sich aber auf Gegenstände beziehen, die in der K o m m u n i k a t i o n s s i t u a t i o n unmittelbar anwesend sind. Sie können als für den Hörer bekannt behandelt werden, obwohl sie weder e t w a s allgemein B e k a n n t e s sind n o c h in einer vorangehenden Äußerung bereits erwähnt wurden. Sie g e l t e n als durch die Situation b e k a n n t (vgl. Gehört das/dieses Geld Ihnen?-, Das / Den Zettel / Diesen Zettel zeigen Sie bitte beim Pförtner vor u s w . ; vgl. 1.3.4., § 51 f ).

a) Eine Orientierung auf den Ort des Kommunikationsakts findet a u t o m a t i s c h s t a t t , wenn sich die Äußerung auf einen einzelnen Sachverhalt bezieht, der nicht ausdrücklich einem anderen Ort zugewiesen w ird. Findet eine lokale Z u o r d n u n g zu einem Gegenstand (u. U. zu einem räumlichen Bereich) s t a t t , der „durch die Situation b e k a n n t " ist (s. o. § 38. d)), so können als Bezeichnungen die Adverbien dort, da, ¿¡er a u f t r e t e n ; dabei ist hier auf den Ort des Sprechers fixiert, während dort den Ort des Sprechers ausschließt. Eine räumliche Orientierung auf die Kommunikationssituation zeigen auch die Richtungsadverbien her u n d hin an. b) Der Sachverhalt, auf den sich die Äußerung bezieht, -wird zur Zeit des Kommunikationsakts in Beziehung gesetzt. Der Sachverhalt wird als gleichzeitig mit d e m K o m m u n i k a t i o n s a k t , als ihm zeitlich vorhergehend oder folgend eingeordnet. Der Bezeichnung f ü r diese Zeitverhältnisse dient außer den T e m p o r a des Verbs eine Anzahl von Adverbien wie z. B. jetzt. W e n n beim Bezug auf einen einzelnen Sachverhalt keine Zeit festgelegt ist, gilt a u t o m a t i s c h als Zeit die des K o m m u n i k a t i o n s a k t s : Es regnet draußen = .Es regnet jetzt d r a u ß e n ' . E s gelten jedoch zahlreiche Sonderbedingungen, auf die hier n u r verwiesen werden k a n n . W e n n die Äußerung auf Klassen referiert oder w e n n ein einzelner Sachverhalt gem e i n t ist, der zu allen Zeitpunkten zutrifft ( z . B . „ 2 - 2 = 4 " ) , so gilt Neutralität gegenüber der Zeit des Sprechakts.

Intention

der

Äußerung

93

Bei der Beschreibung komplexer Sachverhalte kann für untergeordnete Propositionen die Zeitorientierung durch die übergeordneten vermittelt sein. Zur zeitlichen Einordnung von Sachverhalten s. u. Kap. 2.3.2. und K a p . 3.1. (Verbtempus).

1.3.2.

§40

Intention der Ä u ß e r u n g : D i e Festlegung der V e r w e n d u n g s w e i s e der m i t der Ä u ß e r u n g verbundenen Sachverhaltsbeschreibung Die

kommunikativ-pragmatischen

Kategorien

Aussage

(Behauptung),

Auf-

forderung und Frage legen jeweils spezifische Verwendungsweisen der mit einer Äußerung verbundenen Sachverhaltsbeschreibung fest. W e n n man von Anrufen (He!; Hallo, Sie da!; Sie, junger Mann! usw.) absieht, die S i g n a l c h a r a k t e r haben und lediglich die Aufmerksamkeit des Angerufenen wecken sollen, gehören im Prinzip alle sprachlichen Äußerungen zu einer der drei genannten G a t t u n g e n . J e d e Äußerung ist daher in ihrer k o m m u n i k a t i v - p r a g m a t i s c h e n S t r u k t u r n a c h ihrer Zugehörigkeit zu einer dieser G a t t u n g e n spezifiziert. E s ist nicht ausgeschlossen, daß es neben Aussage, Frage und Aufforderung als eine besondere vierte Kategorie die kommunikative Intention „Wunsch" gibt. Sie ist mit Äußerungen verbunden, die einen Sachverhalt darstellen, dessen Verwirklichung der Sprecher als etwas für sich Günstiges, Positives bewertet. Bedingungen solcher Äußerungen sind sowohl die Irrealität des dargestellten Sachverhaltes (vgl. § 46) als auch seine positive Bewertung. Negatives Gegenstück des Wunsches dürfte die Befürchtung sein (vgl. Äußerungen wie Werdet mir bloß nicht krank!). Es scheint charakteristisch für Wunsch-Äußerungen zu sein, (laß sie sich eher auf Sachverhalte lichten, die Bedingungen für den yom Sprecher angestrebten Zustand der Befriedigung darstellen, als auf diesen Zustand selbst. Äußerungen wie z . B . 'Wäre ich doch glücklich / zufrieden !; • Wenn ich doch ¡roh wäre! o. ä. müssen jedenfalls mindestens als zweifelhaft gelten. Daraus ergibt es sich, daß die Wunschsätze den irrealen Bedingungssätzen nahestehen (s. § 46, vgl. aber auch Kap. 5.2., § 13). Andererseits bestehen auch Be• Ziehungen zwischen Wünschen und Aufforderungen (s. § 42). Man konnte Aufforderungen als eine spezielle Unterart der Wünsche betrachten und den Aufforderungen die Wünsche im engeren Sinne gegenüberstellen, als Wünsche nämlich, die im Gegensatz zu den Aufforderungen nicht unmittelbar an die Aktivität des Hörers appellieren. Es gibt jedoch auch Äußerungen, die, wie z. B . Bleib mir gesund!, Werde glücklich! u. dergl. eine Zw ischenstcllung einzunehmen scheinen (s. dazu auch Kap. 2.3.1 , § 31, O) Es sind diese und andere Unklarheiten, die eine endgültige Entscheidung als verfrüht erscheinen lassen. Zu dem kommunikativ spezialisiert» n syntaktischen Satztvp „Wunschsatz" s. Kap 5 2 , § 13. §41

Die Spezifikation einer Äußerung als Aussage entspricht der Operation, ein gegebenes Abbild der Wirklichkeit „zur Kenntnis zu nehmen", d. h. als r e l a t i v bestätigtes, relativ verläßliches, der Wirklichkeit entsprechendes Wissen aufzubewahren. W e n n eine Aussage vorliegt, will der Sprecher, d a ß der Hörer den dargestellten Sachverhalt glaubt (s. HOPFER (1974), S . 62). I m allgemeinen sind mit Aussagen selbstverständlich weiterreichende Ziele verbunden; letztlich zielen Aussagen a u f Beeinflussung des V e r h a l t e n s des Hörers a b . wobei die Aussage

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

ihm als eine Grundlage für die Ableitung weiteren Wissens, für die Entwicklung von Einstellungen und Bewertungen oder für die Entwicklung von Handlungsplänen dient. (Vgl. dazu auch A. A. LEONTJEW (1975 2 ).) E s hängt v o n den Beziehungen zwischen Sprecher u n d Hörer, v o m eigenen Kenntnisbestand des Hörers usw. ab, ob und in welchem Grad sich der Hörer auf das Ausgesagte verläßt. Tatsächlich s t a m m t ein erheblicher Teil des Wissens, über das Individuen verfügen, aus den Aussagen anderer (vgl. auch § 47).

Auf dem Hintergrund, daß Aussagen zu übernehmendes Wissen sind und daß sie damit als Grundlage für die Planung des Verhaltens des Hörers dienen können und sollen, erhalten Aussagen über eigenes künftiges Verhalten des Sprechers besondere Funktionen. Je nach den sozialen Beziehungen von Sprecher und Hörer, je nach der Bedeutung, die der angekündigte Sachverhalt für den Hörer besitzt usw., können solche Aussagen zum Beispiel die Funktion von Versprechungen oder von Drohungen erhalten; s. dazu § 35. Eine ähnliche Wirkung haben Aussagen über das künftige Verhalten des Hörers, besonders dann, wenn der Hörer als Handelnder beschrieben wird. Wenn solche Äußerungen nicht z. B. als Befürchtungen oder Warnungen zu verstehen sind (Du fällst noch hin!), nehmen sie die Funktion von Aufforderungen an (Sie kommen nachher zu mir!): Der Sprecher ist seiner Autorität so gewiß, daß er die Möglichkeit, daß der Hörer anders entscheidet, gar nicht einkalkuliert. Zu einer speziellen emotionalen Variante s. Kap. 5.2., § 12 (Ausrufesätze).

Wenn eine Äußerung als Aufforderung spezifiziert ist, so entspricht dies der Operation, ein Sachverhaltsabbild als Plan oder als allgemeine Maxime für die Lenkung des Handelns in Kraft zu setzen. Ein solches Abbild muß auf den Handelnden referieren, und es muß ihm eine Handlungsweise vorschreiben, die in seinem Vermögen steht. Bei der internen Handlungsplanung muß sich das Individuum selbst als Handelnden abbilden. Mit einer Aufforderung muß ein Sachverhaltsabbild verbunden sein, das eine künftige Handlung des Hörers zum Inhalt hat. Sie setzt voraus, daß die Handlung subjektiv und objektiv möglich ist. Sozial entspricht ihr die Kompetenz des Sprechers, in die Handlungsplanung des Hörers einzugreifen. Die Bitte oder der Vorschlag gibt das Handlungsschema vor, überläßt aber, mindestens formell, die Inkraftsetzung dem Hörer. Der Befehl schreibt außer dem Handlungsschema auch die Entscheidung vor. Es gibt Aufforderungen, in denen die Person des Aufgeforderten generalisiert ist; vgl. Man beachte die Anmerkungen! usw. (s. Kap. 3.1., § 70). Aufforderungen, deren Erfüllung nicht in der Macht der Aufgeforderten liegt, können den Charakter (zum Teil irrealer) Bedingungen annehmen; vgl. Kommt mal in mein Alter, dann wundert euch das nicht mehr!; Gebt mir einen Fixpunkt im Weltall, und ich hebe die Welt aus ihren Angeln! Negierte Aufforderungen können den Charakter von Verboten haben: Reiß die Blumen nicht ab! Die Spezifikation einer Äußerung als Frage entspricht der Operation, den Kenntnisbestand nach überprüften Abbildern abzusuchen, die das vorliegende Sachverhaltsabbild entweder bestätigen oder widerlegen oder das vorliegende

Intention der

95

Äußerung

Abbild zu komplettieren erlauben. I n Gestalt der Frage wird diese Operation dem Hörer übertragen. Die Antwort ist lediglich der Abschluß der Operation. Fragen, deren Antwort bereits feststeht, nehmen den Charakter besonders nachdrücklicher Behauptungen a n : Rhetorische Ja-Nein-Fragen machen aus der Bestätigung der Behauptung durch den Hörer einen besonderen Akt, sie heben ihre Anerkennung besonders hervor. Analog verhält es sich mit rhetorischen Ergänzungsfragen. Eine Konstante, ein bereits identifizierter bekannter Gegenstand, muß in einer besonderen Operation für eine scheinbare Variable eingesetzt werden (Und wev hat euch das vorausgesagt? — Ich, dem ihr nicht glauben wolltet!). Damit wird unterstrichen, daß die Aussage auf diesen Gegenstand tatsächlich zutrifft. Als Aufforderungen können Fragen fungieren, wenn sie sich auf ein mögliches künftiges Verhalten des Hörers beziehen; vgl. z. B. (IIa)

Wer von euch hilft den Schreibtisch

hinübertragen?

Die Frage unterstellt bereits, daß jemand von den Angeredeten helfen wird. Sie enthält bereits die Aufforderung in latenter F o r m : Jemand von euch wird helfen. . . Derjenige unter den Anwesenden, der die offene Variable dadurch ersetzt, d a ß er die Bezeichnung seiner Person dafür einsetzt Ich (werde helfen . . .), m a c h t sich diese latente Aufforderung zu eigen. Seine Antwort auf die Ergänzungsfrage ist zugleich eine Aussage über eigenes künftiges Handeln; damit übernimmt er eine Verpflichtung. (IIb)

Besuchen Sie uns einmal?

Die Frage betrifft die Pläne des Angesprochenen. Es wird fingiert, er könne die Handlung bereits geplant haben, die ihm in Wirklichkeit erst vorgeschlagen wird. Die Antwort Ja! ist nicht nur eine Antwort auf die Frage (,Es trifft zu, daß ich geplant habe, Sie zu besuchen'); als eine Aussage über eigenes zukünftiges Verhalten hat sie die Funktion eines Versprechens. Ja! steht für positive Antworten auf Entscheidungsfragen, für Zustimmung zu Aussagen oder zu Aufforderungen. Dip Zustimmung zu einer Aufforderung wäre eine Aussage in der Form Ich tue (¡Wir tun) das!, d . h . eine Aussage über eigenes künftiges Verhalten.. Nein! steht entsprechend für negative Antworten auf Entscheidungsfragen, für die Zurückweisung von Aussagen und die Ablehnung von Aufforderungen. Ja und Nein begleiten entsprechende Äußerungen oder vertreten sie. Ja! als Zustimmung zu einer Aussage kommt einer Wiederholung dieser Aussage durch den Hörer gleich („Er sagt es selbst auch"). Ja und Nein treten aber auch mit „Frageintonation" auf. Dann beziehen sie sich auf Äußerungen (und zwar auf Aussagen) des Sprechers: Sie entsprechen der Wiederholung dieser Äußerungen mit einer fragenden Intonation. Der Sinn dieser Äußerungen besteht darin, dem Sprecher seine eigenen Äußerungen noch einmal zur ausdrücklichen Bestätigung oder Präzisierung vorzulegen. Indem der Hörer die Äußerung des Sprechers mit Ja! / Ja? / Nein! / Nein? unterbricht, wirkt er steuernd auf den weiteren Ablauf der Äußerung ein.

96

1.3. Kommunikalh'-pragmattsche

1.3.3.

Bewertung der Geltung der Äußerung

§ 45

Das Individuum unterscheidet zwischen Abbildern, die bereits auf die eine oder andere Weise bestätigt sind, und solchen, die nur möglicherweise richtig sind. E s unterscheidet zwischen Tatsachen und Vermutungen. Dabei ist nicht nur entscheidend, ob die betreffenden Abbilder aus eigener Wahrnehmung stammen oder nicht, ob sie zwingend abgeleitet sind oder nicht, u. dgl. In die Unterscheidung gehen auch mancherlei subjektive Momente ein. So wird beispielsweise die Neigung, einem Abbild Tatsachengeltung zuzuschreiben, abnehmen, wenn es durch eine vielstufige schwer überschaubare Operation gewonnen ist. Abbilder, die mit bereits vorhandenen ubereinstimmen, werden meist höher bewertet als andere, die vom Gewohnten abweichen oder ihm widersprechen; usw. Die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Vermutungen, zwischen Gewissem und (relativ) Ungewissem hängt also von sehr verschiedenartigen Faktoren ab. Vgl. dazu auch § 48.

§46

Ein prinzipiell abgrenzbarer Faktor in der Einschätzung der Gewißheit eines Abbildes ist die Bewertung seiner Wahrscheinlichkeit. (Dabei handelt es sich hier natürlich um die „subjektive Wahrscheinlichkeit"; vgl. »Phil. Wb.« (1974), Bd. 2, S. 1277.) Überhaupt ist zu beachten, daß die objektive Möglichkeit eines Sachverhalts sich ideell in verschiedener Weise widerspiegeln kann. In der einen Form wird das abgeleitete Abbild als gewiß, als relativ gewiß oder als ungewiß eingeschätzt, weil seine Richtigkeit (nicht) bestätigt ist. Die Bewertung betrifft- die Verläßlichkeit des Abbilds. In der anderen Form wird der abgebildete Sachverhalt — nicht sein Abbild — selbst auf seine Existenzbedingungen bezogen, d. h. als ein Glied mehr oder weniger umfassender und allgemeiner Zusammenhänge betrachtet. E r wird danach in einem komplexen Sachverhaltsalfbild als objektiv möglich oder unmöglich charakterisiert. Beide Formen schließen sich jedoch nicht aus: Die Konstatierung der objektiven Möglichkeit eines Sachverhalts stutzt die Bewertung eines entsprechenden Sachverhaltsabbildes. In einer Äußerung wie Der Zug kann Verspätung haben trifft beides zusammen. Auf Grund der Kenntnis der Bedingungen wird die Verspätung des Zuges als etwas objektiv Mögliches charakterisiert. Das A b b i l d (.Der Zug hat Verspätung ) kann deshalb als etwas eingeschätzt werden, das weder ganz gew iß noch völlig ungewiß ist. Auch die Abbildung der objektiven Möglichkeit selbst kann wieder als etwas Gewisses oder als etwas Ungewisses bewertet werden1: vgl .Der Zug kann vielleicht (auch) Verspätung haben; die Äußerung zielt darauf ab. die objektive Möglichkeit, daß der Zug Verspätung hat (und nicht etwa verunglückt ist), bei der Beurteilung der Situation nicht auszuschließen. Wichtig ist, daß Ungewißheit nicht mit l mnöglichkeit zusammenfällt: Der Zug kann keine Verspätung haben besagt, daß es objektiv unmöglich ist. daß der Zug Verspätung hat. darüber besteht Gewißheit; Der Zug kann wohl gar keine Verspätung haben besagt zwar ebenfalls objektive Unmöglichkeit, druckt aber Ungewißheit darüber aus.

Komponente

Geltung der

97

Äußerung

Weiter ist zu unterscheiden zwischen der Realität und der Irrealität abgebildeter Sachverhalte. Irreal ist (in dem in der Sprachwissenschaft seit langem üblichen Sinn des Terminus) sowohl das Unmögliche als auch das Mögliche, das nicht verwirklicht ist. Dabei muß man berücksichtigen, daß Möglichkeit immer an bestimmte Bedingungen gebunden ist. Es scheint, daß die Unterscheidung von Realem und Irrealem gerade immer dann getroffen wird, wenn diese Art der Bedingtheit (oder ihr Fehlen) herausgearbeitet werden soll. Daher sind zu den folgenden Äußerungen auch jeweils Fortsetzungen mit weil und wenn denkbar, wobei die erfüllten, die Möglichkeit begründenden Bedingungen in der tm7-Fortsetzung, die nicht erfüllten, fehlenden, irrealen Bedingungen in der wenn-Fortsetzung benannt werden; vgl. (12)

Die Novemberrevolution von 1918 hätte zum Sturz des führen können . . . Der Zug könnte 'pünktlich eintreffen . . . Peter könnte ein guter Schüler sein, . . Die Rohstoffimporte könnten gesenkt werden . . .

Kapitalismus

Gewißheit ergibt sich in solchen Fällen, wenn der Zusammenhang zwischen den Bedingungen und dem als möglich charakterisierten irrealen Sachverhalt einleuchtend ist und wenn die Bedingungen selbst als eindeutig real oder eindeutig irreal erfaßt werden können. Das zeigt sich besonders bei solchen als objektiv möglich zu betrachtenden Sachverhalten, die irreal ( = nicht verwirklicht) sind, weil sie in der Zukunft liegen. Als relativ gewiß mag erscheinen: (13a)

Der Ast bricht bald ab / wird bald abbrechen. (Er ist schon morsch) Der Grundwasserspiegel wird steigen. (Es hat extrem viel geregnet) Wo sich aber die Bedingungen nicht abschätzen lassen, unter denen die objektive Möglichkeit realisiert werden kann, sinkt die Gewißheit: (13b)

Im nächsten Jahrhundert durch gelenkte Kernfusion

wird die decken

Menschheit *ihren

Energiebedarf

Ein entsprechendes Sachverhaltsabbild ist eindeutig eine Vermutung. Wünsche und Aufforderungen setzen Irrealität des Gewünschten oder des andern Aufgetragenen voraus. Sie nehmen dabei aber die Stelle einer Bedingung ein, von der die Verwirklichung eines anderen Sachverhaltes abhängt; s. (14a), (14b), s. jedoch auch Kap. 5.2., § 13. (14a)

Wenn doch nur ein Taxi käme (dann wäre ich bald zu Hause)! Wenn ihn doch der Teufel holte (dann hätten wir Ruhe)! Bring bitte den Brief zur Post (dann kommt er schneller an)! Räumen Sie bitte die Kreuzung (dann ist der Weg für die anderen zeuge frei)'!

Fahr-

Daraus erklärt sich z. B. der Übergang zwischen Bedingungssätzen un^L Aufforderungen : (14b)

Wenn ihr mir helft, habe ich nachher Zeit für euch Helft mir, dann habe ich Zeit für euch!

usw. 7

Deutscht; Gramm

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

F ü r die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Vermutungen ist noch ein weiterer F a k t o r maßgebend, der bisher n u r in § 41 erwähnt wurde. Das Wissen, die Überzeugungen u n d die Bewertungsweisen, über die das Individuum verfügt, sind sozial vermittelt. Sie sind zu einem erheblichen Teil von anderen Menschen übernommen. Aber auch der Teil des Wissens, der a u s der unmittelbaren Wirklichkeitserfahrung s t a m m t , wird durch seine Verarbeitung u n d seine Eingliederung in das Gesamtsystem diesem qualitativ angeglichen. Die Ü b e r n a h m e u n d die Weitergabe solcher Bewußtseinsinhalte geht zwischen den Individuen im R a h m e n der sozialen Beziehungen vor sich, die zwischen ihnen bestehen. Das Individuum bestimmt den R a n g des Übernommenen nach der Bedeutsamkeit der Beziehung f ü r sich selbst, f ü r seine soziale Gruppe und f ü r die Gesellschaft. E s bewertet das Übernommene auch nach dem Charakter der Beziehung selbst, je nachdem, ob sie auf Interessengemeinschaft oder -gegensatz, auf Gleichberechtigung oder Unter- bzw. Überordnung usw. beruht. Hinzu kommen, teilweise in Abhängigkeit von den bereits genannten, Bedingungen wie V e r t r a u t heit oder Fremdheit, Sympathie oder Antipathie, Respekt oder Verachtung usw. zwischen den Individuen. Diese Bedingungen bestimmen weitgehend, ob d a s Individuum übernommene» Wissen als tatsächlich gültig oder als bedingt gültig, ob es übernommene Normen als unbedingt oder als n u r teilweise verbindlich ansieht. Wir sind z. B. geneigt, Abbilder der Wirklichkeit als Tatsachen zu übernehmen, wenn sie uns von Personen vermittelt werden, die wir persönlich respektieren, an' deren Sachkenntnis wir glauben und deren Interessen den unseren nicht widersprechen. Andernfalls sinkt die Geltung einer Sachverhaltsdarstellung. Soziale Überordnung des Sprechers kann die Geltung der Mitteilung erhöhen, wenn die Mitteilung den Kompetenzbereich des Sprechers betrifft und das betreffende soziale Verhältnis mit unseren klassen- und gruppenbedingten Interessen in Einklang steht.

Damit ergibt sich eine gewisse, bisher aber n u r schwer zu fixierende Abhängigkeit zwischen der Bewertung der Tatsachengeltung der Äußerung und den in § 38 skizzierten sozialen Bedingungen. Das Verhältnis zwischen Einschätzung der Quelle u n d Bewertung der übernommenen Sachverhaltsabbilder hinsichtlich ihrer Gewißheit oder Ungewißheit ist Sprechern u n d Hörern mehr oder weniger bewußt. Die Individuen sind sich auch bewußt, d a ß sie mit den Aussagen, in denen sie im R a h m e n ihrer sozialen Beziehungen Sachverhaltsabbildungen a n andere Individuen weitergeben, deren Verhalten beeinflussen. Damit wird die mindestens im Prinzip in nichtantagonistischen sozialen Beziehungen gegebene gegenseitige Verantwortlichkeit der Beteiligten auch auf die Kommunikation übertragen. J e größer die Bereitschaft eines Individuums ist, den Aussagen eines Partners auf Grund bestehenden persönlichen Vertrauens und / oder bestehender Rollenbeziehungen von vornherein Tatsachengeltung beizumessen, desto größer ist die Verantwortlichkeit des Partners für die Gültigkeit der Mitteilung. (Der in § 35 diskutierte Fall des Versprechens ist hierbei n u r ein Sonderfall.) U m g e k e h r t ist dem Sprecher auch bewußt, d a ß sein Ansehen bei den Hörern und in der Folge auch

Geltung der Äußerung

99

ihre Bereitschaft zur Kooperation u. a. d a v o n abhängen, in welchem Grad seine Mitteilungen wirklichkeitsgerecht u n d f ü r die Part/ier nützlich sind. E s ist daher f ü r den Ablauf der Kommunikation wichtig, d a ß die Teilnehmer nicht n u r Beschreibungen von Sachverhalten u n d die darauf bezogenen I n t e n tionen (s. o. Abschnitt 1.3.2.) untereinander austauschen, sondern a u c h i h r e Einschätzung der Abbilder bzw. der abgebildeten Sachverhalte. Daher ist es u. U. wichtig, Sachverhaltsabbilder als Vermutungen oder T a t sachen, als ungewiß oder als gewiß, abgebildete Sachverhalte als irreal oder als real zu signalisieren. Für die Signalisierung solcher Unterscheidungen stehen unterschiedliche Ausdrucksweisen zur Verfügung. Neben modalen Adverbialien u n d entsprechenden Adverbien gibt es das Modussystem des Verbs u n d bestimmte K o n j u n k t i o nen f ü r komplexe Sätze (über andere Arten der Signalisierung s. d e n folgenden Paragraphen). Neben der Notwendigkeit, fehlende Gewißheit, geringe Wahrscheinlichkeit, Irrealität u. dgl. zu signalisieren, kann auch ein Bedürfnis bestehen, die Gewißheit, die hohe Wahrscheinlichkeit oder die Realität des Mitgeteilten hervorzuheben (Er war bestimmt hier; Ich habe das wirklich nicht gewußt usw.). Solche Beteuerungen haben besondere Bedeutung, wenn die subjektiven Momente, auf die sich die Bewertung der Geltung eines mitgeteilten Sachverhalts stützt, gegenüber den objektiven Momenten (Augenschein, bisherige Kenntnis usw.) durchgesetzt werden sollen. Der Sprecher k a n n seine Verantwortlichkeit f ü r Ergebnisse u n d Folgen des Kommunikationsakts dadurch beeinflussen, d a ß er in der Äußerung signalisiert, wie er den beschriebenen Sachverhalt einschätzt. D a s k a n n durch eine Bekräftigung der Tatsachengeltung geschehen, es k a n n aber auch — u n d d a s ist der durcfi besondere Signalisierungsmittel markierte Fall — d a d u r c h geschehen, d a ß er die Tatsachengeltung abschwächt. Er k a n n seine Verantwortung aber auch noch in anderer Weise vermindern." Das Mittel besteht darin, d a ß er zwischen sich als d e m Sprecher u n d der eigentlichen Quelle der Mitteilung unterscheidet. E r selbst kennzeichnet sich d a m i t als bloßen Vermittler. Wenn sich der Sprecher auf eine Quelle beruft, die beim Hörer besonderes Ansehen genießt, so verstärkt er damit die Geltung des Mitteilungsinhalts. Wenn er sich auf indifferente oder wenig angesehene Quellen beruft, so kann die Geltung abgeschwächt werden. Hier trifft zu, was in § 47 über die Einschätzung von Gewißheit oder Ungewißheit von Aussagen auf Grund der Quelle gesagt wurde. Übermittelte "Aufforderungen können hinsichtlich ihrer Dringlichkeit variiert werden. Jedenfalls wird bei der Unterscheidung von Informationsquelle u n d Vermittler die Verantwortung ganz oder zum Teil auf die Quelle übertragen. Der Mechanismus, der dabei verwendet wird, entspricht dem zur Beschreibung von Handlungen. Wenn der Initiator der H a n d l u n g (der, der sie p l a n t u n d veranlaßt) mit dem Ausführenden nicht identisch ist, so werden beide a n g e g e b e n : (15a)

Brigitte will, daß Klaus das Zimmer Zimmer aufräumen

aufräumt

/ Brigitte läßt Klaus

das

100

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

Wenn der Initiator nicht genannt werden kann oder soll, tritt das Modalverb soll ein: (15b)

Klaus soll das Zimmer

aufräumen

Soll wird auch verwendet, wenn der Sprecher Aufforderungen weitergibt ohne daß er sich mit der Aufforderungsintention identifiziert; vgl. (15c)

Du sollst das Zimmer aufräumen! / Räum das Zimmer Du sollst Klaus anrufen! / Ruf Klaus an!

auf!

Auf dieselbe Weise können Aussagen weitergegeben werden. Der Sprecher reduziert seine Rolle auf die des Vermittlers, er identifiziert sich nicht mit der Aussage-Intention (s. o. § 41: Der Hörer soll den Sachverhalt zur Kenntnis nehmen). Ist die Quelle nicht genannt, erscheint soll: (16a)

Es soll Streit gegeben haben Klaus soll den Unfall gesehen haben Der Motorradfahrer soll zu schnell gefahren sein

Wenn die Quelle genannt wird, kann statt soll will eintreten: (16b)

Klaus will den Unfall beobachtet haben Der Motorradfahrer will scharf gebremst haben

Das geht nur, wenn Träger der Handlung, von der berichtet wird, und Quelle des Berichts übereinstimmen: (16c)

Klaus sagt, daß er ( = Klaus) das Zimmer aufgeräumt hat Klaus will das Zimmer aufgeräumt haben

Andernfalls muß der Vorgang der Äußerung selbst beschrieben werden: (16d)

Klaus sagt, daß der Motorradfahrer zu schnell gefahren ist

Hier kann soll nicht auftreten, weil die Quelle genannt ist. Die Äußerung Klaus sagt, daß der Motorradfahrer zu schnell gefahren sein soll ist entweder ein Bericht von Klaus über einen Bericht aus unbekannter Quelle, oder sie ist falsch gebildet.

Hingegen kann es heißen: (16e)

Klaus sagt, er habe den Unfall beobachtet Klaus behauptet, der Motorradfahrer sei zu schnell gefahren

Nicht möglich ist jedoch: *Es sei dort sehr kalt statt Es soll dort sehr kalt sein; der Konjunktiv kann nur eintreten, wenn die Quelle genannt ist und der Vorgang der Äußerung selbst beschrieben ist durch sagen, behaupten o. dgl.: Das Gemeinsame von soll und von sagen, behaupten usw. + Konjunktiv I besteht in der Distanzierung von der Intention, die mit der weitervermittelten Sachverhaltsdarstellung verbunden ist. Zum Konjunktiv I, dessen Verwendungsbereich hiermit nicht erschöpft ist, vergleiche Kap. 3.1.

Bewertung und Gliederung der

Information

101

1.3.4.

Bewertung und Gliederung der in der Ä u ß e r u n g enthaltenen Information nach ihrer Bekanntheit

§ 50

Die Äußerungen beschreiben Sachverhalte oder Komplexe von Sachverhalten. Damit vermitteln sie dem Hörer Informationen über die betreffenden Bereiche der materiellen oder ideellen Wirklichkeit, die dieser auswertet. Dabei unterliegt er Bedingungen von zweierlei Art: Die einen betreffen die Aufnahme und Eingliederung neuer Kenntnisse überhaupt. Dazu gehört u. a., daß sich derartige Vorgänge immer im Rahmen des aktuellen Bewußtseins von der jeweils bestehenden Situation vollziehen. Eine andere Art von Bedingungen betrifft die sprachliche Vermittlung. Hier sind vor allem drei Faktoren zu nennen: a) Die sprachlichen Äußerungen können bestimmte einzelne Gegenstände, auf die sie sich beziehen, immer nur durch Angabe der Eigenschaften und Beziehungen dieser Gegenstände charakterisieren. Der Hörer muß die Gegenstände ermitteln, auf die die Äußerung referiert; b) aus Gründen, die mindestens teilweise mit der Herstellung der Referenz zusammenhängen, enthalten die sprachlichen Äußerungen redundante Beschreibungen, Informationen, über die der Hörer bereits verfügt. E r muß sie von den tatsächlich relevanten, neuen Informationen trennen; c) die Abbilder von Sachverhalten und Komplexen von Sachverhalten, die in den Äußerungen beschrieben werden, sind nicht linear organisiert. Mit der sprachlichen Fixierung unterliegen sie aber einer linearen, an die Zeitfolge gebundenen Organisation. Der Hörer muß den inneren Zusammenhang der verschiedenen Glieder eines Abbildkomplexes aus der linearen Form der Äußerung wieder entwickeln. Dabei muß er Teile der Information in einem „Zwischengedächtnis" aufbewahren, bis die Äußerung beendet ist. Den genannten Bedingungen entsprechen bestimmte Verfahrensweisen des Hörers. Dieser stützt sich dabei auf seinen Kenntnisbestand, insbesondere aber auf seine Analyse der aktuellen Situation, und orientiert sich an bestimmten lexikalischen, syntaktischen und phonologischen Eigenschaften der Äußerung. Der Sprecher muß der Äußerung diese Form geben. Dabei muß er von Mutmaßungen über den Kenntnisbestand des Hörers und über dessen Abbild der Situation ausgehen. Die Kategorien, in denen das geschieht, drücken sich in einer besonderen Teilstruktur der kommunikativ-pragmatischen Struktur der Äußerung aus. Einiges über diese Teilstruktur und die Kategorien, die sie bestimmen, kann man aus den Bedingungen erschließen, unter denen Äußerungen mit bestimmten lexikalischen, syntaktischen und phonologischen Eigenschaften verwendet werden. Von diesen Eigenschaften und den Bedingungen ihres Auftretens geht die folgende Darstellung aus.

§ 51

Die syntaktischen und phonologischen Fakten, die den Ausgangspunkt bilden, lassen sich in drei Gruppen einteilen; sie betreffen: a) Das Auftreten oder Fehlen des Artikels oder eines artikelartigen Pronomens in Substantivgruppen bzw. die analogen Unterschiede zwischen substantivi-

102

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

sehen. Pronomina, die die Substantivgruppe realisieren; s. dazu K a p . 2.3.1.1. u. 2.3.1.2. (17)

Ich erwarte eine Nachricht / . / . . . das (¡es) Man hat im ganzen Haus, (¡diesem) Kollegen gesucht; gesucht / . . . nach dir gesucht Um 4.58 Uhr geht die Sonne diese Sonne auf

. . die (¡diese) Nachricht; Ich erwarte etwas nach einem Kollegen gesucht / . . . dem Man hat im ganzen Haus nach jemand auf / *.. . geht eine Sonne auf / * . . . geht

b) Die Reihenfolge der Satzglieder hält eine bestimmte Normalstellung ein oder sie weicht von ihr a b ; vgl. dazu K a p . 4 ; (18)

Die Tür befand sich an der Längsseite ¡An der Längsseite befand sich eine Tür Man hat den Zeugen Photographien vorgelegt / Man hat die Photographien Zeugen vorgelegt

usw. c) Die Reihenfolge der Satzglieder u n d die Form des Artikels sind in komplizierter Weise mit der intonatorischen Gliederung des Satzes u n d mit der Lage der Hauptbetonnng des Satzes verbunden. So k a n n z. B. das erste Satzglied als das T h e m a des Satzes entweder mit dem darauffolgenden Teil des Satzes eine intonatorische Einheit bilden, oder es k a n n Träger einer selbständigen Tongruppe sein; vgl. dazu K a p . 6; (19a)

¡¡Die Fassade ist in zwei Geschosse in zwei Geschosse gegliedert!/

gegliedert// — ¡¡Die

FassadeHist

Ebenso k a n n die H a u p t b e t o n u n g innerhalb.des Satzes verschiedene Stellungen einnehmen: (19b)

§ 52

Das Telegramm angekommen

ist heute angekommen

/ Das Telegramm

ist heute

Substantivgruppen enthalten den Artikel oder ein artikelartiges Pronomen, wenn sie sich a u l etwas beziehen, das dem Hörer nach Auffassung des Sprechers bekannt ist. Als „bekannt" kann gelten, was in der Kenntnis des Sprechers bzw. des Hörers als eine in sich abgeschlossene Einheit gegenüber anderen Einheiten identifizierbar ist.

Bekannt können zunächst die Klassen von Gegenständen sein, die in der K e n n t n i s unterschieden werden, d a n n nämlich, wenn sie als abgeschlossene Gesamtheiten betrachtet werden; vgl. Der '.Mensch hat Werkzeuge.geschaffen / Die Menschen haben Werkzeuge geschaffen. D a s Problem der Abgeschlossenheit stellt sich nicht bei solchen Klassen, bei denen die Anzahl der Exemplare, d. h. der zu ihnen gehörigen Einzelgegenstände, festliegt; vgl.: Die Sonne, der Mond, der Himmel, die Planeten, die Pole. Einzelne Gegenstände sind bekannt und voneinander unterscheidbar auf Grund ihrer Eigenschaften und ihrer Beziehungen zu anderen Gegenständen. Das gilt

Bewertung und Gliederung der Information

103

besonders für materielle Gegenstände, die auf Grund ihrer sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften im Bewußtsein als besondere Einheiten abgebildet werden. Wenn sie begrifflich eingeordnet, d. h. als Exemplare bestimmter Klassen abgebildet werden, sichert das vorhandene, sinnliche Abbild ihre Identität gegenüber anderen Gegenständen, die als Exemplare derselben Klassen abgebildet sind. Daher können alle direkt in der KommunikationBSituation gegebenen, von den Kommunikationsteilnehmern wahrnehmbaren Gegenstände als bekannt gelten; vgl. Qib das doch bitte mal her! / Gib mir doch bitte mal den Kasten mit den Schrauben! Selbstverständlich gilt das auch für Pronomina und für Adverbien, die den Bezug auf die Kommunikationssituation herstellen, wie z. B . ich, du, hier, dort usw. (s. o.

1.3.1.).

In Substantivgruppen, die sich auf Gegenstände beziehen, die durch die Situation bekannt sind, kann anstelle des Artikels auch ein Demonstrativpronomen auftreten: Hast du diesen Brief (¡den Brief) schon gelesen?; Jedoch nicht: * Dieser Mond geht heute um 6 Uhr unter.

Die Bekanntheit von Gegenständen kann auch auf andere Weise als durch sinnliche Wahrnehmung der Gegenstände begründet sein. Von den verschiedenen Möglichkeiten hierzu soll im folgenden jedoch nur eine betrachtet werden. Die Bekanntheit von einzelnen Gegenständen kann durch sprachliche Mitteilungen begründet sein, die sich auf diese Gegenstände beziehen. Auf- Grund der Erwähnung eines solchen Gegenstandes durch den Sprecher „glaubt" der Hörer, daß es diesen Gegenstand gibt (s. u.). Substantivgruppen, die derartige Informationen vermitteln, enthalten weder den Artikel noch ein artikelartiges Pronomen. Aus der Substantivgruppe eine Statue in Bei dieser Ausgrabung wurde eine Statue gefunden ergibt sich die Information, daß an dem Sachverhalt, den der Satz beschreibt, ein bestimmter einzelner Gegenstand beteiligt war, der als Statue charakterisiert ist. Durch die Beteiligung an diesem Sachverhalt ist er innerhalb der Klasse „Statue" als bestimmtes einzelnes Exemplar identifiziert. Ein Satz Die Statue wurde um das Jahr 170 aus Bronze gegossen wäre für sich allein genommen nur interpretierbar, wenn ein als Statue charakterisierbarer Gegenstand in der Situation anwesend wäre. Nimmt man jedoch an, daß die beiden Sätze in einer Äußerung aufeinanderfolgen ( . . . Bei dieser Ausgrabung wurde eine Statue gefunden. Die Statue wurde um das Jahr 170 aus Bronze gegossen . ..), dann ist der mit die Statue charakterisierte Gegenstand durch eine Staiue im vorangehenden Satz eingeführt. Die Bekanntheit ergibt sich aus der (relativ) eindeutigen Identifizierung desselben Gegenstandes im vorangehenden Satz. Bekanntheit eines Gegenstandes kann sich mithin aus dessen vorangehender Einführung im Kontext ergeben. Der Kontext spielt in diesem Fall die Rolle, die im Fall von situativer Bekanntheit die materielTe Umgebung spielt. Gemeinsam ist beiden Fällen auch die Anwendbarkeit von dies- anstelle des Artikels. Bei der Bezeichnung situativ bekannter Gegenstände ermöglicht das Substantiv dem Hörer, den gemeinten Gegenstand unter anderen in der Situation anwesenden

104

1.3. Kommunikativ-pragmatische

Komponente

Gegenständen herauszufinden. In Substantivgruppen, die sich auf vorher erwähnte Gegenstände beziehen, sichert das Substantiv lediglich das Weiterbestehen des Gagenstandsbezuges : Sowohl der Gegenstand, auf den sich die Gruppe bezieht, als auch seine Klassifizierung sind durch die vorangehende artikellose Substantivgruppe bestimmt. In diesen Fällen tritt statt der Substantivgruppe auch der / die / das / die oder das Personalpronomen der 3. Person auf. Die anaphorische (zurückverweisende) Beziehung solcher Substantivgruppen zu der Substantivgruppe, die den Bezugsgegenstand in den Äußerungsverlauf einführt, w i l d vielfach auch T e x t r e f e r e n z genannt.

§ 53

Das zuletzt in § 52 angeführte Beispiel weist auf einen anderen Faktenkomplex hin : Die Kontrolle des Gegenstandsbezugs der Äußerung während ihres ganzen Ablaufs und bei der Verarbeitung der in ihr enthaltenen Information. Die Äußerungen beschreiben Sachverhaltskomplexe, bei denen einzelne Gegenstände in ganz unterschiedliche Teilsachverhalte einbezogen sein können. Der oben (§ 50) erwähnte Gegensatz von linearer Organisation der Äußerung und nichtlinearer Organisation des durch sie vermittelten Abbildkomplexes führt dazu, daß zusammengehörige Informationen in ganz verschiedenen zeitlichen Abschnitten der Äußerung vermittelt werden. Daher kann der Vergleich zwischen der Information, die die Äußerung enthält, mit der Kenntnis, über die der Hörer bereits veifiigt, und die eventuelle Aufnahme der Information in den Kenntnisbestand nicht sukzessiv, Abschnitt für Abschnitt, Teilsachverhalt für Teilsachverhalt, vor sich gehen. Der Hörer versucht vielmehr zunächst, die in der Äußerung enthaltene Information, wenn nicht als Ganzes, so doch in mehr oder weniger großen Teilkomplexen zu verarbeiten; diese erst werden auf den Kenntnisbestand bezogen. Zu diesem „Gesamtverständnis" der Äußerung gehört auch die simultane Übersicht über die in den Teilsachverhalten figurierenden Gegenstände samt ihren im Äußerungsverlauf nach und nach auftretenden Charakteristika (vgl. dazu »Aspekte« (1971), S. 145). Diese zeitweilige „Zwischenspeicherurg" mindestens einiger Aspekte des Informationsgehalts der Äußeiung hat ihr Korrelat in der Planung der Äußerung beim Sprecher. Der Aufbau eines solchen Komplexes wird durch eine kommunikativ-pragmatische Unterscheidung erleichtert, die sich mit der Unterscheidung von Bekanntheit und Xichtbekanntheit des Bezugsgegenstandes teilweise überschneidet. Es wird zwischen solchen Bezugsgegenständen unterschieden, die neu in der Äußerung sind, und solchen, die nicht neu sind. Beim ersten Auft r e t e n in der syntaktisch vermittelten linearen Organisation der Äußerung ist jeder Gegenstand, auf den sich eine Substantivgruppe bezieht, in diesem Sinne neu. Bei jedem weiteren Auftreten ist er nicht neu. Diese Charakterisierung geht auf die Substantivgruppe über und beeinflußt die syntaktische und die phonologische Stiuktur des Satzes. Das Verhältnis von Xeuheit und Bekanntheit läßt sich wie folgt darstellen : a) BekaniVtheit durch Vorerwähnung und Xeuheit schließen sich aus. Ebenso schließen sich Xichtbekanntheit (artikellose Substantivgruppen) und Nichtneulieit aus. b) Bekanntheit durch die Situation oder durch Bezug auf eine begrenzte

Darstellung

in der

Grammatik

105

oder nicht begrenzte Klasse ist sowohl mit Neuheit als a u c h m i t Nichtneuheit vereinbar. c) Eine Ausnahme machen die S u b s t a n t i v g r u p p e n , die sich auf d e n Sprecher oder Hörer selbst beziehen. Sie gelten immer als nicht neu, d a sie zu den Voraussetzungen der Äußerung selbst gehören. § 54

Innerhalb des Satzes bilden sich auf der Grundlage dieser Unterscheidungen zwei Bereiche, die sich überschneiden. Der erste Bereich ist der thematische Bereich (Themabereich). Zu i h m gehören alle Satzglieder, die sich auf eine Einheit beziehen (auf eine Klasse oder einen Gegenstand), die bekannt ist. Dabei spielt die Neuheit /oder N i c h t n e u h e i t keine llolle. Z u m zweiten Teilbereich, dem Thematischen Bereich, gehören alle Glieder, die sich auf etwas in der Äußerung Xeues beziehen. E s spielt dabei keine Holle, o b es sich um etwas B e k a n n t e s oder u m etwas N i c h t b e k a n n t e s h a n d e l t . Der Themabereich u m f a ß t alle die Glieder, die als Thema in Frage k o m m e n , der Rhemabereich diejenigen, die als Rhema erscheinen können. T h e m a bzw. R h e m a eines Satzes werden nach bestimmten Regeln ausgewählt. Vgl. d a z u die a u s f ü h r lichen Darstellungen in K a p . 4.2.4. u n d K a p . 6.

1.3.5.

Zur grammatischen Darstellung der kommunikativpragmatischen Struktur

§ 55

I n den »Grundzügen« wird weder die semantische noch die k o m m u n i k a t i v - p r a g matische K o m p o n e n t e des Systems der deutschen Sprache vollständig u n d in sich z u s a m m e n h ä n g e n d beschrieben. Das K a p . 1.2. ergibt den H i n t e r g r u n d , auf dem die semantischen K o m m e n t a r e u n d Einzelangaben zur s y n t a k t i s c h e n u n d morphologischen Beschreibung der verschiedenen Faktenbereiche zu verstehen sind. Eine analoge Funktion hat das vorliegende Kap. 1.3. E s soll die Yerständnisgrundlagc für Ausführungen über die kommunikativ-pragmatischen Fakten und Zusammenhänge herstellen, die in die syntaktische, morphologische und phonologische Beschreibung eingegliedert sind. Der Unterschied, zwischen dem Verfahren, d a s hinsichtlich der Beschreibung semantischer u n d dem. das zur Beschreibung k o m m u n i k a t i v - p r a g m a t i s c h e r Eigenschaften angewendet w ird, ergibt sich z u m Teil daraus, d a ß die theoretische E r k e n n t n i s der semantischen S t r u k t u r e n weiter fortgeschritten ist als die der kommunikativ-pragmatischen. Hauptsächlich ergibt er sich a u s einem sachlichen G r u n d : Die semantischen Eigenschaften der Äußerungen sind mit der syntaktischen Struktur (der W o r t g r u p p e n u n d der W o r t s t r u k t u r ) in einer zusammenhängenden Weise verbunden. Die syntaktischen G r u n d s t r u k t u r e n (s. u. 1.5.7.) sind zwar keine direkte „Übersetzung" der semantischen S t i u k t u r , in de)- je eine syntaktische oder morphologische Kigenschafi einer s e m a n t i s c h e n entspräche. Die Satzbasis (s. u. J.ö.6. und Kap. 2.2.1.) ist aber als Ganzes a u f die Wiedergabe der semantischen S t r u k t u r Inn angelegt. Die kommunikativ-

106

1.3. Kommunikativ-pragmatische Komponente pragmatischen Eigenschaften manifestieren sich hingegen in höchst unterschiedlichen Teilstrukturen, sowohl syntaktischen als auch phonologischen, und in ganz unterschiedlicher Weise. Die kommunikativ-pragmatische Struktur hat keinen ähnlich geschlossenen Ausdruck in der Form der Äußerung, wie die semantische. Dies ist einer der Gründe, weshalb die sogenannte Satzintention als ein syntaktischer Repräsentant der kommunikativ-pragmatischen Struktur eingeführt wird. Diese formale Lösung erlaubt es, nicht nur bestimmte Unterschiede in komplexen syntaktischen Strukturen (in denen mehrere Satzbasen auftreten) zu erklären, sie ergibt auch einen ständigen formalen Bezugspunkt für die kommunikativ-pragmatische Beschreibung innerhalb der syntaktischen, morphologischen und phonologischen Beschreibung. In einem Vorgriff auf die Beschreibung der syntaktischen Struktur (s. u. Kap. 2) stellen wir im folgenden den Aufbau der Satzintention dar.

§56

Die syntaktisehe Form, in der die kommunikativ-pragmatische Struktur repräsentiert ist, ist die sogenannte Satzintention. Die Satzintention ist eine direkte Konstituente des Satzes. Diese Konstituente kann in unterschiedlicher Weise besetzt sein, je nach der kommunikativ-pragmatischen Struktur, dje der Satz hat. Von der Besetzung der Satzintention hängen das- Auftreten bestimmter Konstituenten (z. B. bestimmter Modaladverbialien) und bestimmter morphologischer Kategorien (z. B. Tempus und Modus) sowie der Eintritt bestimmter syntaktischer Abwandlungen (vgl. z. B. Kap. 4.2.) ab. Außerdem beeinflußt sie die intonatorischen Merkmale des Satzes. Die Unterschiede in der Besetzung dieser Konstituente ergeben sich aber daraus, daß für eine bestimmte Anzahl von Kategorien, die für jeden Satz gelten, jeweils unterschiedliche Werte eintreten. Deshalb hat die Satzintention die allgemeine Form einer Matrix, in der den einzelnen Kategorien jeweils eine Zeile oder eine Folge von Zeilen entspricht. Den Werten, die eingesetzt werden können, entsprechen entweder Kategorien der kommunikativ-pragmatischen Komponente (wie z. B. „Frage") oder Hinweise auf die syntaktischen Repräsentanten von Elementen der semantischen Struktur des Satzes. Die Besetzung der einzelnen Kategorien kann von der Besetzung anderer abhängig sein. Die Matrix hält zunächst die persönlichen und gegenständlichen Bedingungen der Kommunikationssituation fest. Sie hält lest, ob der Sprecher und / oder der Hörer mit einem der Referenten in der semantischen Struktur des Satzes identisch ist. Dabei gilt die Bedingung, daß die semantische Struktur aussagt, daß es sich um Personen handelt. In die entsprechenden Plätze der Matrix gehen also die Bezeichnungen derjenigen Satzglieder ein, die den entsprechenden Referenten syntaktisch vertreten.

Unabhängig davon, ob Sprecher und Hörer selbst in der semantischen Struktur als etwas Beschriebenes erscheinen, wird ihre gegenseitige soziale Beziehung festgelegt (näheres dazu in 1.3.1.). Sodann ist die zeitliche nnd räumliche Beziehung zwischen dem in der seman-

Inhalt von Äußerungen

und

Zeicheninhalt

107

tischen Struktur beschriebenen Sachverhalt und der Kommunikationssituation anzugeben. f ü r die zeitliche Einordnung ist das Verhältnis zur Zeit des Sprechakts maßgebend (Gleichzeitigkeit, Vorzeitigkeit, Nachzeitigkeit oder Neutralität). Falls im Satz mehrere zeitabhängige Strukturen vereinigt sind, muß jede von ihnen in dieser Weise bewertet werden. Analoges gilt für die räumliche Einordnung. Vgl. hierzu 1.3.1.

Ein weiterer Teilkomplex der Satzintention hängt mit der Art der Verarbeitung der Satzbedeutung zusammen, die der Sprecher intendiert („kommunikative Intention''). Der Satz kann in allen Fällen als Aussage spezifiziert sein. Er kann ferner als Frage spezifiziert sein und zwar als Entscheidungsfrage oder, als Ergänzungafrage. Die Spezifikation als Ergänzungsfrage ist aber nur möglich, wenn entweder ein semantisches Argument unspezifiziert geblieben ist (werf, was?, welcher?, wo?, wie?, wannf usw.) oder ein semantisches Prädikat variabel ist (was für ein?). Die Kategorie „Ergänzungsfrage" kann also nicht einfach positiv entschieden werden. Sie muß, falls sie nicht verneint ist, durch die Angabe des Elements des Satzes besetzt werden, das zu ergänzen ist. Eine weitere Bedingung, die für Frage und Aufforderung gilt, besteht darin, daß in dem Satz keine neuen spezifischen Referenten eingeführt werden können (vgl. dazu Kap. 2.3.1.1., § 11).

Für den im Satz dargestellten Sachverhalt jnuß angegeben sein, ob ihn der Sprecher für tatsächlich gegeben hält, oder ob er ihn nur vermutet. Bei den Vermutungen kann größere oder geringere Gewißheit markiert sein. Es ist außerdem anzugeben, ob der Sprecher den Sachverhalt für real oder für irreal hält. Zur Stellungnahme gegenüber dem dargestellten Sachverhalt gehört noch die Identifizierung mit der Aussage oder die Distanzierung von ihr (s. o. 1.3.3.). In einem weiteren Komplex von Festlegungen müssen die in der Satzbedeutung auftretenden Referenten nach ihrer (mutmaßlichen) Bekanntheit oder Nichtbekanntheit für den Hörer, sowie nach ihrer Neuheit oder Nicht-Neuheit in der Äußerung spezifiziert werden. Entsprechend den dabei gegebenen Bedingungen werden der Themabereich und der ßhemabereich des Satzes festgelegt (s. o. 1.3.4.). Z u m Begriff des Inhalts und zum Zeichenverhäitnis bei morphologischen Kategorien Die semantischen Eigenschaften (die Bedeutung) der Äußerung und die kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften, die sie aufweist, bilden zusammen den Inhalt der Äußerung. Bei diesen Eigenschaften handelt es sich um Eigenschaften des Bewußtseinsinhalts, der mit der Äußerung verbunden ist. Er geht mit einem Teil seiner Eigenschaften in die Äußerung ein (s. dazu 1.2., § 1), so daß der Inhalt der Äußerung eine Verbindung darstellt aus a) einem rationalen, nach Aufbau und Bestandteilen gesellschaftlich normierten Abbild eines Sachverhalts (oder Komplexes von Sachverhalten) der Wirklichkeit und b) einer gleichfalls nor-

108

1.4. Inhalt

der Äußerung

und

Zeicheninhalt

mierten und auf bestimmte Kategorien eingeschränkten Widerspiegelung von Voraussetzungen und Bedingungen des Kommunikationsvorganges. Die inhaltlichen Eigenschaften der Äußerungen und die Strukturschichten der Äußerung, auf denen sie jeweils beruhen, sind durch die semantische bzw. die kommunikativpragmatische Komponente des Sprachsystems determiniert. Diese Komponenten geben die Regeln und Einheiten vor, aus denen sich die entsprechenden Schichten in der Struktur der Äußerung ergeben. Die Besonderheiten der kommunikativ-pragmatischen Struktur gegenüber der semantischen bestehen in folgendem: a) Die kommunikativ-pragmatische Struktur setzt die Existenz der semantischen voraus. b) Während die semantischen Strukturen über eine sehr große Vielfalt an Charakterisierungsmöglichkeiten verfügen und daher von Äußerungstyp zu Äußerungstyp völlig verschieden sein können, sind die Möglichkeiten der kommunikativ-pragmatischen Charakterisierung auf relativ wenige Rollen und Beziehungen eingeschränkt, die die Bezugsgegenstände im Rahmen eines vorgegebenen Ausschnitts aus dem inneren Modell des Kommunikationsvorgangs innehaben können. c) Während die Prädikate der semantischen Struktur — entsprechend dem Zweck, die Realität widerzuspiegeln — relativ frei anwendbar und kombinierbar sind (zu Einschränkungen s. 1.2., §28), müssen die Kategorien der kommunikativpragmatischen Komponente obligatorisch angewendet werden und können nur in ihrer Spezifikation variieren. Sie bilden strikt begrenzte Paradigmen — vgl. §60.

d) Die Kategorien, die in den kommunikativ-pragmatischen Strukturen auftreten, beziehen sich auf die Äußerung selbst oder auf ihre semantische Struktur. Die semantische Struktur bezieht sich hingegen auf die Wirklichkeit außerhalb der Äußerung. § 58

Der Inhalt der Äußerungen ergibt sich daraus, daß die Argumente oder bestimmte Teilstrukturen oder die semantische Struktur insgesamt mit den Kategorien verbunden werden, die in der kommunikativ-pragmatischen Struktur realisiert sind. Das kann dadurch geschehen, daß die kommunikativ-pragmatischen Kategorien direkt in bestimmte Teilstrukturen der semantischen Komponente eingehen: Für jede» Argument innerhalb der semantischen Struktur wird die Redeperson festgelegt. Wenn der betreffende Referent mit einer Person identisch ist, auf die die Kategorien ,Sprecher' bzw. ,Angesprochener' der kommunikativ-pragmatischen Struktur referieren, dann erhält das betreffende Argument zusätzlich zu seinen semantischen Prädikaten das Prädikat .Sprecher der Äußerung' bzw. ,Angesprochener'. Alle übrigen Argumente erhalten das Prädikat .besprochen'.

Zeichenverhältnis in der Äußerungaatruktur

109

Trotzdem gehört a u c h in Fällen, wo kein einziges der Argumente der semantischen S t r u k t u r als Sprecher oder Angesprochener] ausgezeichnet wird, die Spezifikation des Sprechers und des Angesprochenen sowie ihrer gegenseitigen Beziehungen zum Inhalt der Äußerung. Ähnlich verhält es sich im Fall der Zeiteinordnung. Als zeitlicher Bezugspunkt t eines in einer Proposition dargestellten Sachverhalts dient ein anderes Greignis (ein anderer Sachverhalt) oder ein Zeitabschnitt einer normierten Zeitskala. Als ein solches Ereignis kann auch die Äußerung U selbst figurieren. Das ist der Fall, wenn für eine Proposition oder einen Komplex von Propositionen t nicht spezifiziert ist. Wenn t spezifiziert ist, ergeben sich jeweils zusätzliche Zeitbeziehungen gegenüber U: t liegt vor oder nach U oder fällt mit U zusammen.

Mindestens Teilstrukturen (in manchen Fällen auch die gesamte semantische Struktur) werden zum Argument kommunikativ-pragmatischer Kategorien, die die Glaubhaftigkeit oder die Gewißheit von Sachverhalten bewerten. Dasselbe gilt f ü r die Auszeichnung durch kommunikativ-pragmatische I n t e n t i o n e n wie ,Aussage', .Frage' oder .Aufforderung'. Sie h a t als Argument die gesamte semantische S t r u k t u r (Es regnet / Regnet es?) oder zumindest Teilkomplexe von ihr. Die semantische S t r u k t u r k a n n als der I n h a l t der Nachricht, als Ganzes bezüglich ihrer Funktion in den Beziehungen zwischen Sprecher u n d Angesprochenem bewertet werden. Eine Aussage z. B. k a n n als vertrauliche Mitteilung oder als offizielle Bekanntgabe ausgezeichnet sein. Eine Aufforderung k a n n in den kollegialen Beziehungen zwischen Sprecher und Angesprochenem begründet sein (Rück doch mal ein Stück zur Seite!), oder sie k a n n auf der E b e n e der dienstlich-offiziellen Beziehungen (als Anweisung oder als Anordnung) fungieren. Eine solche mit der gesamten semantischen S t r u k t u r verbundene Auszeichnung h a t in vielen Fällen Auswirkungen auf die lexikalischen, s y n t a k tischen u n d phonologischen Eigenschaften der Äußerungen. Sie gehört zum Inhalt der Äußerung. Die Regeln des Sprachsystems bestimmen auch, wie die beiden z u m Bereich des Inhalts gehörigen Schichten der Äußerungsstruktur mit der syntaktischen und der phonologischen Struktur verbunden sind. Die inhaltlichen S t r u k t u r e n fallen keineswegs mit der lautlichen und syntaktischen Gliederung der Äußerungen zusammen, u n d zwischen den Unterschieden in den syntaktischen u n d phonologischen Strukturen der Äußerungen einerseits u n d den inhaltlichen U n t e r schieden, die zwischen den Äußerungen bestehen, gibt es keinen eindeutigen Zu«ammenhang. Trotzdem bilden die syntaktische u n d die phonologische S t r u k t u r zusammen gegenüber dem I n h a l t so etwas wie einen komplexen, auf sehr vielfältige Weise organisierten Zeichenkörper, u n d es ist ihre F u n k t i o n , den I n h a l t fixierbar und f ü r andere verfügbar zu machen. Die semantischen und die kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften bilden einen sehr fest verbundenen Komplex z. B. in der Determination des S u b s t a n t i v s bzw. der Substantivgruppe (vgl. K a p . 2.3.1.1.), wo die verschiedenen semantischen Klassen von Referenten und die kommunikativ-pragmatische K a t e gorisierung nach Bekanntheit und / oder Neuheit a n denselben A p p a r a t von Bezeichnungsmitteln (Artikel, andere artikelartige Pronomina, Z a h l a d j e k t i v e

110

1.4. Inhalt der Äußerung und

Zeicheninhalt

und -pronomina u. dgl.) gebunden sind. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Schichten der Struktur der Äußerungen zeigt sich — wenn auch in einfacherer Weise und keineswegs in allen Aspekten — in den zum Lexikon der Sprache gehörigen Einheiten, den Wörtern und Morphemen. Das ist offenkundig bei solchen Einheiten wie du, ich, Sie, hier, dort, jetzt usw., und z. B. auch bei den Konjunktivmorphemen des Verbs. Bei diesen Einheiten sind jeweils semantische und kommunikativ-pragmatische Charakteristik mit einer syntaktischmorphologischen und einer phonologischen verbunden. Es gilt aber auch, wenn auch in weniger offenkundiger Weise, bei Wörtern wie z. B. Schreiben (gegenüber Brief), Gattin (gegenüber (Ehe-)Frau), weilen (gegenüber sich aufhalten), die außer den semantischen auch besondere kommunikativ-pragmatische Eigenschaften haben. Der Begriff des Inhalts ermöglicht es, verschiedenartige, m i t der Verbindung von Sprache und Bewußtsein zusammenhängende Eigenschaften von Äußerungen und bestimmten Teilen von Äußerungen zusammenzufassen, zugleich aber die notwendige Unterscheidung von semantischen und kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften aufrechtzuerhalten. §60

a) I m Tempus-Modus-System des Verbs, im Numerus und (z. T. auch) im Genus der Substantiva und der substantivischen Pronomina, in den Personen der Personalpronomina und in anderen Fällen treten Flexionsmorpheme oder Wortformen auf, die jeweils untereinander Paradigmen bilden. Paradigmen sind Klassen von Einheiten, die alternativ an jeweils einem bestimmten Platz der Struktur auftreten. Es gibt inhaltliche, syntaktische, morphologische und phonologische Paradigmen.

I n den genannten Fällen stehen sich Morpheme, Zeicheneinheiten also, gegenüber. Zu den komplizierten Verhältnissen, in denen sich die Glieder der verschiedenen Paradigmen von Flexionsmorphemen auf die Wortformen und ihre Flexionsendungen verteilen, vgl. die entsprechenden Abschnitte von Kap. 3.

Die Koppelungen der unterschiedlichen Einheiten der verschiedenen Paradigmen mit den Basismorphemen ergeben die unterschiedlichen Wortformen (vgl. z. B. den Nominativ singularis von Haus, den Dativ pluralis des Personalpronomens der 1. Person (uns), den Konjunktiv I des Perfekts von gehen (sei gegangen) usw. usf.). Die Morpheme (bzw. die mit ihnen gebildeten Wortformen) sind mit inhaltlichen Einheiten verbunden, die ihrerseits Paradigmen bilden (die semantischen Unterschiede zwischen Singular und Plural, die kommunikativpragmatischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Redepersonen usw.). b) Die Morpheme (bzw. die Wortformen) der jeweiligen Paradigmen stehen zueinander in Opposition, d. h. sie teilen die Einheiten des mit ihnen verbundenen inhaltlichen Paradigmas in spezifischer Weise unter sich auf. Ein wichtiger Sonderfall ist der der privativen Opposition. Sie besteht z. B. zwischen den Einheiten des Numerus-Paradigmas, zwischen Konjunktiv und Indikativ des Verbs, zwischen Präteritum und Präsens und in vielen anderen Fällen. In einer privativen Opposition ist eins der Glieder merkmalhaft, das heißt auf eine be-

Zeichenverhältnis bei morphologischen Kategorien

111

stimmte Einheit des inhaltlichen Paradigmas fixiert: Substantiva im Plural bezeichnen (in einer Variante) etwas Vielzahliges; Verben im Konjunktiv I I besagen, daß es sich bei dem im Satz beschriebenen Sachverhalt um etwas Gedachtes, nur bedingt Wirkliches handelt; Verben im Präteritum besagen, daß der beschriebene Sachverhalt in die Zeit vor dem Kommunikationsvorgang fallt, usw. Das merkmallose Glied eines solchen privativ-oppositiven Paradigmas ist demgegenüber nicht spezialisiert. Der Singular des Substantivs bezeichnet etwas einzahlig o d e r etwas vielzahlig Vorhandenes, der Indikativ des Verbs bezieht sich auf uneingeschränkt Wirkliches o d e r auf Gedachtes, nur bedingt Wirkliches, das Präsens bezeichnet Nicht-Vergangenes o d e r Vergangenes. (20a)

(Singular für Vielzahl:) Ein solcher Fall / Jeder solche Fall gehört vor die ( = Solche Fälle gehören ...)

(20b)

Konfliktkommission

(Indikativ für Gedachtes, nur bedingt Wirkliches:) Er hat das Examen bestanden, aber zuletzt hat er beinahe (= zuletzt hätte er beinahe aufgegeben)

(20c)

aufgegeben

(Präsens für Vergangenes:) Im Frühjahr 1525 erheben sich im ganzen mittleren und oberen Deutschland die Bauern (= ... erhoben sich . . . die Bauern)

c) Diese und viele ähnliche Beziehungen in Paradigmen werden oft als „Bedeutungsoppositionen" bezeichnet. Bereits die wenigen hier angeführten Beispiele zeigen jedoch, daß sich das Oppositionsverhältnis keineswegs nur auf semantische, sondern auch auf kommunikativ-pragmatische inhaltliche Einheiten bezieht, so daß der Ausdruck „Bedeutungsoppositionen" als allgemeiner Terminus nicht berechtigt ist. Es zeigt sich jedoch, daß auch der Ausdruck „inhaltliche Oppositionen" noch zu eng ist, um alle oppositiven Zeichenverhältnisse zu erfassen. Im Kasusparadigma des^Deutschen bestehen z. B. Oppositionsverhältnisse zwischen Einheiten, die weder Eigenschaften von Gegenständen und Erscheinungen der Wirklichkeit beschreiben nach derartige Beschreibungen mit Kategorien des inneren Modells des Kommunikationsvorgangs in Beziehung setzen. Die Kasus teilen im Rahmen eines mehrstüfigen Oppositionsverhältnisses die Identifizierung der syntaktischen Funktionen von Substantivgruppen unter sich auf (s. dazu Kap. 3.2.). Die Zeichenbeziehung, die hier vorliegt, gehört zu denjenigen, die im Rahmen des Gesamtmechanismus der für die natürlichen Sprachen charakteristischen Zeichenbeziehung eine untergeordnete, „technische" Funktion haben (s. dazu 1.1., § 4). Die einander oppositiv gegenüberstehenden Einheiten des Kasusparadigmas haben also keine Bedeutung und keinen Inhalt in dem in den Abschnitten 1.2. — 1.4. entwickelten Siiine. Ähnlich wie mit dem Ausdruck „Bedeutungsopposition" verhält es sich m i t Ausdrücken wie „grammatische Bedeutungen", „Bedeutung grammatischer Einheiten" usw. Sie setzen gleichfalls einen erheblich weiteren, alle m ö g l i c h e n

112

1.5. Syntaktische

Komponente

A b s t u f u n g e n des sprachlichen Zeichenverhältnisses einschließenden deutungsbegriff voraus.

Be-

d) Das Faktum, daß sich in den Paradigmen (besonders der morphologischen Einheiten der Wortstruktur) jeweils im Anwendungsbereich spezialisierte und im Anwendungsbereich nicht-spezialisierte Formen gegenüberstehen, ist nicht zu leugnen. Es gibt jedoch z. T. sehr unterschiedliche Deutungen der Fakten und dementsprechend verschiedene Auffassungen des Oppositionsverhältnisses. Näheres dazu ist dem Kap. 3.0. zu entnehmen.

1.5.

Die syntaktische Komponente

1.5.0.

Die syntaktische Komponente im Sprachsystem und in der Grammatik

§ 61

Als Bestandteil des «Sprachsystcms betrachtet, umfaßt die syntaktische Komponente die Gesamtheit der Regelmäßigkeiten, die die Zuordnung von Lautstrukturen und Bedeutungsstrukturen innerhalb des Satzes bestimmen. (Über „Satz" / „Text" vgl. 1.5.6.) Auf der Ebene der Grammatik, d. h. auf der Ebene der wissenschaftlichen Beschreibung des Sprachsystems, werden diese Regelmäßigkeiten in der syntaktischen Komponente der Grammatik sowie durch die Beziehungen dieser Komponente zu anderen Komponenten der Grammatik dargestellt.'Die Beschreibung syntaktischer Eigenschaften von Äußerungen ist unterschiedlich je nach den vorausgesetzten Grundannahmen über Form und Aufgaben der Grammatik und je nach Kenntnisstand der Autoren. Die im folgenden vorgeschlagene Auffassung über den Aufbau und die Funktionsweise der syntaktischen Komponente ist somit eine unter mehreren möglichen Varianten.

§ 62

Welche Angaben muß eine Beschreibung der syntaktischen Struktur von Äußerungen enthalten? Die Antwort auf diese Frage muß die in 1.1. allgemein formulierte Feststellung, die Struktur der einzelnen Äußerung werde bestimm lurch die Gesamtheit der Einteilungs-, Verknüpfungs- und Zuordnungsweisen, die das Sprachsystem ausmachen, präzisieren. Diese Aussage wird nun in Hinblick auf die Syntax in eine Reihe spezieller Aussagen zerlegt. Eine vollständige Beschreibung der syntaktischen Struktur einer Äußerung besteht dann aus einer Menge von Aussagen, die die syntaktischen Eigenschaften der Äußerung in die sie bestimmenden Systemzusammenhänge einordnet. Wenn wir die Einheiten „Wort" und „Satz" zunächst als gegeben betrachten (in 1.5.6. folgen einige Präzisierungen und Modifizierungen dieser Begriffe), dann kann man die syntaktische Komponente in erster Näherung charakterisieren als die Gesamtheit der Regeln, die festlegen, wie die Wörter innerhalb der Sätze verknüpft sind, so daß der Aufbau von Satzbedeutungen aus verknüpften Wortbedeutungen auf der syntaktischen Seite eine Entsprechung hat. Die einzelnen Gesichtspunkte, nach denen ein Satz syntaktisch charakterisiert werden muß, sollen anhand von Beispielen verdeutlicht werden. Iii vielen

Syntaktische Komponente im System und in der Grammatik

113

Grammatiken werden zwei grundsätzlich verschiedene Klassen von Begriffen f ü r die Beschreibung der S y n t a x b e n u t z t : Wortarten: Satzglieder:

Substantiv, Verb, A d j e k t i v , . . . Subjekt, Objekt, P r ä d i k a t i v , . . .

D u r c h diese beiden Klassen von Begriffen werden syntaktische Aspekte erfaßt, auf die keine Beschreibung verzichten k a n n . Wir werden die Unterscheidung von W o r t a r t (oder Wortklasse) u n d Satzglied ebenfalls b e n u t z e n ; die U n t e r gliederung der beiden Klassen syntaktischer Begriffe wird in K a p . 2 u n d 3 beschrieben. W a s aber in vielen Grammatiken fehlt, ist der f ü r die S y n t a x zentrale Aspekt des Z u s a m m e n h a n g s zwischen W o r t a r t u n d Satzglied in der Gliederung des Satzes. Die Kennzeichnung von W o r t a r t u n d Satzglied ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend f ü r eine Beschreibung der Regeln, n a c h denen die Wörter in den Sätzen kombiniert sind. Die Begriffe „ W o r t a r t " u n d „Satzglied" sind zu ergänzen durch einen weiteren Begriff: Syntaktische Konstituenten Eine Beschreibung, die innerhalb eines Satzes die Wörter in verschiedene syntaktische Kategorien (Wortklassen) einordnet, b e s t i m m t e G r u p p e n von Wörtern aber nach ihrer syntaktischen F u n k t i o n als Satzglieder bestimmt, wird den Tatsachen in zweierlei Hinsicht nicht gerecht": „Wortklasse" u n d „Satzglied" sind Begriffe unterschiedlichen Typs, u n d zwischen einem Element einer bestimmten Wortklasse und einem Satzglied besteht keine einfache u n d direkte Zuordnung. Der Zusammenhang zwischen ihnen ist ein mittelbarer, er wird hergestellt über die Charakteristik von Satzabschnitten als syntaktische Konstituenten. I m einzelnen wird das in 1.5.5. u n d in K a p . 2.1. begründet. I m folgenden wird der Begriff „syntaktische K o n s t i t u e n t e " erläuternd eingef ü h r t . Von Anfang a n ist zu beachten, d a ß Konstituenz kein einfaches Merkmal eines Satzabschnittes ist, sondern d a ß der Begriff „Konstituente" melirere, im Sinne der Kombinationsprinzipien grundlegende Eigenschaften, wie Reihenfolge und Hierarchie u m f a ß t . Wir nehmen vorläufig an, d a ß Wörter Grundelemente der syntaktischen Komponente sind, Elemente, die in unterschiedlicher Weise kombiniert werden können. Es sei auch vorgegeben, d a ß die syntaktischen Elemente linear geordnet sind. Wir bringen einige f ü r unsere Zwecke zusammengestellte Wörter in verschiedene Anordnungen u n d wählen u n t e r ihnen die syntaktisch korrekten aus. „Synt&ktisch k o r r e k t " sind diejenigen Sätze, die keine Abweichungen von den gültigen syntaktischen Regeln des Deutschen aufweisen. Da diese Regeln nicht einfach vorausgesetzt werden können, sondern zum Teil erst zu ermitteln sind, ist es notwendig, a n die Sprachfähigkeit d e u t scher Sprecher zu appellieren, die das E r k e n n e n von Abweichungen einschließt. Systematische Veränderungen von W o r t k e t t e n , wie Umstellungen, Ersetzungen, Weglassungen u. a. m., sind geeignet, syntaktische Regelmäßigkeiten zu erschließen. W e n n die Materialgrundlage hinlänglich erweitert wird, gelangt m a n zu Annahmen über das System der syntaktischen Regeln einer Sprache.

8

Deutsche Gramm.

114

1.5. Syntaktische Komponente

1.5.1.

Reihenfolgebeziehungen

§ 63

Gegeben sei folgende Liste von W ö r t e r n : (21)

auf, dem, die, gern, Katze, schläft,

Sofa

Wir nehmen unsere Kenntnis als Sprecher des Deutschen in Anspruch, wenn wir sagen, d a ß in (22)

Die Katze schläft gern auf dem Sofa

die Wörter in einer syntaktisch zulässigen Weise geordnet sind und einen syntaktisch korrekten Satz ergeben. Andere Anordnungen der gleichen Wörter h a b e n unterschiedliche Wirkungen, das können wir a n den folgenden Umstellproben beobachten: (23a) (23b)

Auf dem Sofa schläft die Katze gern Gern schläft auf dem Sofa die Katze

Die Umstellungen in (23) ergeben wieder korrekte Sätze, die Bedeutung von Satz (22) wird nicht verändert. Die Sätze in (23) sind mithin synonym m i t (22), d. h. sie sind Paraphrasen von (22). (24)

Die Katze auf dem Sofa schläft gern

Auch diese Abfolge von Wörtern ist zulässig, ergibt aber einen Satz mit einer von (22) verschiedenen Bedeutung. (25)

Gern schläft die Katze auf dem Sofa

Die gleichermaßen zulässige Wortfolge in (25) ist' mehrdeutig, sie ist in einer Bedeutung synonym mit (22) und in einer zweiten mit (24). E s können weiterhin Abfolgen entstehen v die bedingt zulässig sind, wenn sie in spezifischer Weise interpretiert werden können, z. B. als Fragesatz oder als Nebensatz: (26a) (26b) (27a) (27b) (27c)

Schläft die Katze gern auf dem Sofa (?) (Wenn) die Katze gern auf dem Sofa schläft (behalten wir es) -Schläft gern die Katze auf dem Sofa? **Sofa gern Katze dem schläft auf die **Schläft auf die Katze gern dem Sofa?

Die Abfolgen in (27) sind unzulässig und ergeben (in unterschiedlichem Grade) abweichende Sätze. E s zeigt sich, d a ß es Teilfolgen von Wörtern gibt, die unter keinen U m s t ä n d e n auseinandergenommen oder umgeordnet werden dürfen (in unserem Beispielsatz sind das die Katze und auf dem Sofa). J e d e Veränderung ergibt hier unsinnige Wortreihen, wie in (27b) und (27c) (mit ** gekennzeichnet). Wir können festhalten: — Nicht jede beliebige Reihenfolge von Wörtern ergibt einen korrekten Satz (vgl. (27)). — Ein u n d dieselbe Bedeutung kann durch verschiedene Wortfolgen aüsgedrückt werden (vgl. (22) und (23)). — E i n und dieselbe Wortfolge k a n n verschiedene Bedeutungen ausdrücken (vgl. (25)).

}{eI lien[olyebezieli it ni/en

115

— Das Verb schläft hat eine Sonderstellung inne: Jede erlaubte Umstellung dieses Wortes verändert die Satzart (vgl. (22) und (26)). — Einige Teilfolgen dürfen unter keinen Umständen in ihrer Anordnung verändert werden. Die Bestandteile solcher Teilfolgen gehören offenbar enger zusammen als die Teilfolgen untereinander. — Die Wörter müssen also unterschiedliche Eigenschaften haben. Auf Grund dieser Eigenschaften, die syntaktischer, semantischer und morphologischer Xatur sein können, sind sie in verschiedene Wortklassen einzuordnen. Fiir den vorliegenden Zweck müssen wir von den fünf vorkommenden Wortklassen die Klassen Substantiv, Verb, Adverb und Präposition nicht rechtfertigen — das geschieht in Kap. 3 — und bezüglich der Einordnung der Wörter der Liste (21) in diese Klassen herrscht allgemeine Übereinstimmung. Anders steht es um die Lexeme die und dem. Bis zu einer ausführlichen Argumentation in Kap. 2 und 3. weshalb sie in die Klasse der Pronomina einzuordnen sind, gebrauchen wir die übliche Bezeichnung „Artikel". § 64

Ma" kann nun annehmen, daß z. B. die syntaktisch korrekten Aussagesätze in den Beispielen hinreichend durch ein Schema beschrieben werden können, das die engere Zusammengehörigkeit durch Klamnierung kennzeichnet und statt der Wörter nur deren entsprechende Wortklas&enkennzeichnung enthält. Fiir die Woitklassennamen benutzen wir folgende Symbole: Substantiv: Sb Verb: V Adverb: Adv

Artikel: Präposition:

Art Präp

Das Schema hat die foilgende I1 orm : Für (22): Die (a) (Art Für (24): Die (b) (Art

Abb. 1

Fiir (25): Gern (c) Adv

Katze Sb)

schläft V

gern Adv

Katze Sb)

auf (Präp

dem Art

schlläft V

die (Art

Katze Sb)

auf (Präp Sofa Sb)

dem Art

Sofa Sb)

schläft V auf (Präp

gern Adv dem Art

Sofa Sb)

Die Abb. 1 stellt einen ersten wichtigen Verallgemeinerungsschritt d a r : Die Symbole stehen nicht nur für die Wörter der Liste (21), sondern für jedes Element der durch die Symbole bezeichneten Wortklassen. Auf diese Weise sind auch andere passende Elemente aus jeder Wortklasse der Abb. 1 einsetzbar, für (a) etwa: (28)

Die Mäuse piepsten in der Nacht

Abb. 1 repräsentiert somit nicht nur die Sätze (22), (24) und (25), sondern eine Klasse von Sätzen mit den gleichen Eigenschaften. Abb. 1 trägt durch die Klam8*

116

1.5. Syntaktische

Komponente

merung außerdem ansatzweise der Tatsache Rechnung, daß es neben der linearen Abfolge von Wörtern ( = Reihenfolgebeziehungen) auch Beziehungen gibt, durch die Wörter zu Gruppen und diese wiederum zu komplexeren Gruppen zusammengefaßt werden ( = hierarchische Beziehungen).

1.5.2.

Hierarchische Beziehungen

§ 65

Abb. 1 ist aber eine aus mehreren Gründen ungenügende Darstellung der syntaktischen Struktur von Sätzen. Sie kann wichtige, schon bei den Umstellproben gewonnene Erkenntnisse über syntaktische Eigenschaften nicht erfassen. So ist aus Abb. 1 nicht erkennbar, daß eine Wortfolge unterschiedliche Bedeutungen hat, die sich in der unterschiedlichen syntaktischen Gruppierung der Teilfolgen zeigen. Dem kann durch eine weitere Klammerung abgeholfen werden, so daß (25) zwei Beschreibungen und (24) eine um eine Klammerung bereicherte Beschreibung bekommt: Für (24): Die ((Art (b'j Für (25) (c) (O

Gern Adv Adv

Katze Sb) schläft V V

auf (Präp die (Art ((Art

dem

Sofa

schläft

Art

Sb))

V

Katze Sb) Sb)

auf (Präp (Präp

dem Art Art

gern Adv Sofa Sb) Sb))

Die Berechtigung dieser zusätzlichen Klammer kann wieder durch einige Proben nachgewiesen werden. Ersatzprobe: Eine durch Klammerung zusammengefügte Teilfolge kann als Ganzes durch ein einziges Wort (ein Pronomen oder Pro-Adverb) ersetzt werden. Unter bestimmten Kontextbedingungen ist der Satz (29)

Sie schläft gern

synonym mit (24), die Teilfolge die Katze auf dem Sofa in (24) ist somit als zusammengehörig verstanden. Ebenso kann im Hinblick auf die zwei Bedeutungen von (25) die Folge Gern schläft- sie nur auf die Satzbedeutung gemäß der Beschreibung (c'), nicht aber der Beschreibung (c) in Abb. 2 bezogen werden. Die Weglaßprobe bestätigt die Zusammengehörigkeit. Vgl. die Sätze: (22) (24) (30)

Die Katze schläft gern auf dem Sofa Die Katze auf dem Sofa schläft gern Die Katze schläft gern

Wenn (30) Reduktionsresultat von (24) ist, dann kann (30) auch wie (24) verstanden werden, da (30) aus (24) logisch folgt (vgl. dazu 1.2.). Ist (30) hingegen Reduktionsresultat von (22), dann bestehen keinerlei Bedeutungsabhängigkeiten zwischen (22) und (30), (30) kann also (22) nicht ersetzen. Daraus folgt, daß die Katze und auf dem Sofa in (24) enger zusammengehören als in (22). Sie bilden zusammen eine Konstituente.

Hierarchische Beziehungen

117

Zuletzt wollen wir ein Beispiel anführen, das zeigt, wie der Hauptschnitt in einem Satz begründet werden kann, wie die schon gewonnenen Konstituenten durch Klammerung zu noch komplexeren Konstituenten zusammengefaßt werden bis hin zu „Satz". Es geht speziell darum, mit welcher Konstituente das Yerb zusammengefaßt werden soll. Am Seispiel (31)

Die Katze entdeckt die Maus

soll ermittelt werden, welche der beiden möglichen Klammerungen die Struktur des Satzes angemessen beschreibt: (a) (b)

(Art Sb) ((Art Sb)

(V V)

(Art (Art

Sb)) Sb)

Es gibt theoretisch eine weitere Möglichkeit der Klammerung, nämlich (Art Sb) (V) (Art Sb). Sie ist aber insofern von geringem Interesse als sie einfach die lineare Anordnung der gewonnenen Konstituenten wiedergibt, nicht aber eine Strukturierung, auf die das Verhalten der Konstituenten bei verschiedenen Proben doch hinweist.

Bei (a) der Abb. 3"ergibt die Probe auf Ersatz (Substitution) der das Verb enthaltenden Klammer (die andere bleibt konstant) durch größere oder kleinere Wortfolgen korrekte Sätze, z. B.: (32)

(Die (" (" (" ("

Katze) " ) " ) " ) " )

(entdeckt die Maus) die ()a9l Maus) (schläft gern auf dem Sofa) (kommt geschlichen) (gähnt)

Anders bei (b) von Abb. 3: (33)

(Die Katze ( Sie *(Die Katze *(Die Katze *( Sie

entdeckt) jagO schläft) (gern auf dem Sofa) kommt) (geschlichen) gähnt)

(die (die (die (die (die

Maus) Maus) Maus) Maus) Maus)

Es zeigt sich, daß die Wahl'der dem Verb folgenden Konstituenten von der Subklasse des Verbs abhängt und entsprechend variiert, während für die Wahl der dem Verb vorangegangenen nur ein Konstituententyp in Frage kommt (die Katze lindste gehören in diesem Sinne demselben Typ an). Die Klammerung (b) gibt nicht die dafür angemessene Beschreibung, (a) hingegen gibt den Tatbestand wieder, daß die dem Verb folgenden Konstituenten enger mit ihm verbunden sind und von ihm abhängen (vgl. auch 1.5.4.). Für eine engere Verbindung von Verb und den folgenden Konstituenten sprechen auch die folgenden Sätze, wo in entspechender Umgebung und unter einigen Veränderungen Verb und Folgekonstituenten allein vorkommen können: (34)

(Peter befahl der Katze), (Peter sah die Katze) (Die Katze sprang aufs Sofa),

die Maus zu jagen angeschlichen kommen um dort zu schlafen

118 § 67

l.'t. Syntaktische

Kompanente

Konstituenten sind, verallgemeinernd gesagt, solche Satzabschnitte, die auf Grund von Verfahren wie Weglaß-. Krsatz-, Umstellproben u. dgl. als jeweils relative Ganzheiten ermittelt werden. Die ermittelten Zusammenfassungen v o n Konstituenten zu immer komplexeren reichen bis zur Einheit „ S a t z " . Entsprechend systematisch angewandt liefern solche Verfahren dann umgekehrt eine Klassifikation begründeter Zerlegungsmöglichkeiten eines Satzes. W i r werden fortan den Satz in Konstituenten zerlegen und diese mit Kategoriennamen versehen. W e i t e r zerlegbare Konstituenten nennen wir Wortgriippen. Die K l a m m e r , die beispielsweise die Konstituente die Katze in (22) umschließt, wird durch SbG (Abkürzung für Substantivgruppe) am A n f a n g und am E n d e indiziert, die K l a m m e r , die auf dem Sofa umschließt, wird durch P r a p G ( A b kürzung für Präpositionalgruppe) indiziert. Das ergibt für die T e i l f o l g e die Katze auf dem Sofa nach allem die Repräsentation

Abb. 4

sh«U«(Art

Sb)sh(;

l>nlpG

(Präp A r t S b ) M p ü ) s l l 0

Damit ist gesagt, daß der Ausdruck in A b b . 4 den gleichen

Kategorienstatus

wie die Repräsentation der einfachen SbG die Katze hat, nur eine andere interne Struktur. Diese Darstellungsform, die wir nur an einem Teilabschnitt eines Satzes demonstriert haben, heißt indizierte

Klainmerung.

Eine der indizierten Klainmcrung äquivalente Form der Darstellung ist die des Baumdiaßramms (oder Stammbaums). Eine andere, in Kap. 4 benutzte, ebenfalls äquivalente Darstcllungsform ist die eines sog. Kastendiatrramms. Ein Klammerausdruck wird im Baumdiagramm gleichsam teleskopisch gestreckt, wobei eine zweidimensionale Darstellung entsteht, in der Klammerhaufungen auf Verzweigungen im Baum abgebildet werden. Für Satz (22) sieht ein Baumdiagramm folgendermaßen aus:

A u f die drei Ebenen ( A ) . ( B ) und ((.') im Baumdiagramm k o m m e n wir in den folgenden Ausführungen zurück. Die S y m b o l e der Ebene ( B ) haben wir schon

Grundbegriffe der

Konstituentenstruktur

119

erläutert, die der Ebene (A) nur zum Teil; zusammengefaßt stehen diese f ü r folgende Wortgruppen: S SbG PG PräpG

bezeichnet bezeichnet bezeichnet bezeichnet

den gesamten zu analysierenden Satz die Kategorie Substantivgruppe die Kategorie Prädikatsgruppe die Kategorie Präpositionalgruppe

§ 68

Das Verhältnis von Hierarchie und Reihenfolge: Die Abb. 5 verdeutlicht, daß mit einer bestimmten syntaktischen Struktur eines Satzes auch eine bestimmte Reihenfolge seiner Konstituenten gegeben ist. Die abstraktere semantische Struktur eines Satzes kann demgegenüber von der linearen Anordnung der Einheiten absehen, denn erst über die syntaktische Struktur ist sie auf linear geordnete Einheiten der Lautstruktur bezogen. Die syntaktische Struktur spiegelt die syntaktische Zusammengehörigkeit von Konstituenten wider. Aber die Zusammengehörigkeit kann die Konstituentenabfolge mit Hilfe der Konstituentenstruktur nicht vollständig determinieren. Sie kann z. B. die lineare Anordnung von Nachbarkonstituenten nicht vorbestimmen. Daß die Anordnungen der Mann, im Hause, gute Gründe im Deutschen korrekt sind gegenüber Mann der, Hause im, Gründe gute, ist nicht syntaktisch motiviert. Das gleiche gilt für die Folge Der Mann ist im Hause gegenüber Ist im Hause der Mann. Die Regelungen über solche Konstituentenabfolgen sind weitgehend einzelsprachlich, sie müssen aber in irgendeiner Form irr der syntaktischen Struktur zum Ausdruck kommen.. Etwas anderes ist es, wenn die Konstituentenabfolge gemäß der syntaktischen Hierarchie in Widerspruch steht zur Anordnung gemäß der realisierten-lautlichen Abfolge. Das kann ein Indiz dafür sein, daß letztere erst durch Umordnung einiger Konstituenten, also sekundär zustande gekommen ist. In 1.5.7. werden unter dem Begriffspaar „Grundstruktur / abgewandelte Struktur" die Bedingungen für die Übereinstimmung von Konstituentenhierarchie und -abfolge dargelegt.

1.5.3.

Grundbegriffe der Konstituentenstrukt,ur

§ 69

Wir haben den Begriff „Konstituente" am Beispiel einiger Abschnitte des Satzes Die Katze schläft gern auf dem Sofa erläuternd eingeführt. Die übrigen Konstituenten des Baumdiagramms in Abb. 5 — und sämtliche für eine vollständige syntaktische Beschreibung deutscher Sätze nötigen Konstituenten — sind durch ähnliche Verfahren zu ermitteln. Die Konstituenten und ihre Plazierung im Baumdiagramni werden im einzelnen in Kap. 2 begründet. Die Darstellung von Abb. 5 wird dabei einige Veränderungen erfahren. Grundlage aller weiteren Erörterungen sind jetzt Baumdiagramme, verstanden als standardisierte Darstellungsform. Deshalb sollen anhand des Diagramms in Abb. 5 einige Grundbegriffe in ihrem Gebrauch festgelegt werden. Wir beschränken uns zunächst auf die beiden Ebenen (A) und (B); zwischen den Ebenen (B) und (C) bestehen

120

1.5. Syntaktische

Komponente

besondere, duroh die gestrichelten Linien gekennzeichnete Beziehungen, auf die wir in Abschnitt 1.5.6. zurückkommen. Beginnend mit dem obersten Knoten S (für „Satz") enthält der Baum in der Ebene (A) sich verzweigende Knoten, die in nicht-verzweigende Knoten der Ebene (B) münden. Die Knotenbenennungen symbolisieren Konstituenten, die Zweige (die Verbindungen zwischen den Knoten), die hierarchischen Beziehungen zwischen ihnen. Am Teilbaum PräpG aus Abb. 5 sei nun gezeigt, welche für die Beschreibung wichtigen Konstituentenbeziehungen aus einem Baumdiagramm ablesbar sind. Diese Beziehungen werden auf der Grundlage bestimmter Konfigurationen aus Knoten und Zweigen fixiert und mit eigenen Namen versehen. So etwa gilt für die Konstituente PräpG: a)

Art Sb SbG Präp

ist ist ist ist

direkte direkte direkte direkte

Konstituente von Konstituente von Konstituente von Konstituente von

SbG SbG PräpG PräpG

Hingegen: Art- ist indirekte Konstituente von PräpG Sb ist indirekte Konstituente von PräpG Also sind Präp, SbG, Art und Sb Konstituenten von PräpG Es gilt aber nicht: Adv ist Konstituente von PräpG Wir sagen: Die Folge Präp + SbG repräsentiert PräpG Die Folge Art + Sb repräsentiert SbG In der Blickrichtung unterer Knoten / oberer Knoten gibt jeder Zweig zwischen zwei Knoten die Beziehung „ . . . ist direkte Konstituente von . . . " wieder. Die Beziehung ist von Stufe zu Stufe übertragbar, bis hin zum obersten Knoten S. Der Einschluß von mindestens einem Zwischenknoten ergibt die Beziehung „ . . . ist (indirekte) Konstituente von . . . " . Daraus folgt, daß alle übrigen Kategorien zu S in der Beziehung „ . . . ist Konstituente von S" stehen. b) In der umgekehrten Blickrichtung gilt: PräpG dominiert direkt Präp, dominiert indirekt Art Sb PräpG dominiert direkt SbG SbG dominiert direkt Art SbG dominiert direkt Sb Zusammengefaßt: PräpG dominiert Präp, SbG, Art und Sb Die gleiche Beziehung „ . . . d o m i n i e r t . . . " geben die ebenfalls verwendeten Varianten „ . . . wird zerlegt in . . . " und „ . . . besteht aus . . . " wieder.

Grundbegriffe der

Konstituentenstruktur

121

c) Es gilt außerdem die Beziehung: Art ist Nachbarkonstituente von Sb und umgekehrt Präp ist Nachbarkonstituente von SbG und umgekehrt Aber nicht: Präp ist Nachbarkonstituente von Art Werden zwei oder mehr Konstituenten von ein und demselben Knoten direkt dominiert, so sind sie Nachbarkonstituenten voneinander. Auf dieser Basis können auch Reihenfolgebeziehungen erfaßt werden, sie sind notwendiger Bestandteil der gesamten Konstituentenstruktur. d) Verallgemeinert gilt: Die Gesamtheit der unter a) bis c) exemplifizierten Beziehungen zwischen den Konstituenten eines Satzes macht seine Konstituentenstruktur aus. Auf dieser Basis können weitere nützliche Charakterisierungen verabredet werden. So etwa die folgende Unterteilung: e) Komplexe / elementare syntaktische Einheiten: Kategorien, denen im Baum verzweigende Knoten zugeordnet sind, sind komplexe syntaktische Einheiten oder Wortgruppen. Es sind dies z. B. in Abb. 5: S, SbG, PG, PräpG. Kategorien, denen im Baum nicht-verzweigende Knoten zugeordnet sind, sind elementare syntaktische Einheiten oder Wörter. Es sind in Abb. 5 : Art, Sb, V, Adv, Präp. Die Ebene (A) umfaßt somit die komplexen, die Ebene (B) die elementaren Einheiten. So wie die Symbole nicht für einzelne Satzabschnitte, sondern für Klassen von Satzabschnitten, für syntaktische Kategorien, stehen, so repräsentiert auch das ganze Diagramm in Abb. 5 nicht einen einzelnen Satz, sondern eine Klasse strnktnrgleiclier Sätze, für die (22) ein Beispiel ist. Andere Beispiele sind: (35)

Peter achlief nie am Tage Der Junge spielt oft im Oarten Der Hund rannte versehentlich gegen den Baum

Dagegen liefert (36) Beispiele für Sätze, die in ihrer Struktur zwar denen von (35) und (22) ähneln, aber nicht durch das Diagramm in Abb. 5 beschrieben werden: (36a) (36b)

Die Katze jagt die Maus Die Katze gähnt

In Analogie zu Abb. 5 können diese Sätze durch je ein Baumdiagramm wie in den folgenden Abbildungen beschrieben werden: *

122

1.5. Syntaktische

Komponente

F ü r (36a):

Abb. 6

Ein Vergleich der Diagramme in Abb. 5 bis 7 zeigt, daß sie in einigen Teilbäumen übereinstimmen, daß die interne Struktur der Konstituente PG jedoch in allen drei Fällen variiert. Die Prädikatsgruppe (PG) wird jedesmal in andere Konstituenten zerlegt: (37)

PG wird zerlegt in V + Adv + P r ä p G : P G wird zerlegt in V + SbG : PG wird zerlegt in V :

im Diagramm von Abb. 5 im Diagramm von Abb. 6 im Diqgrajnm von Abb. 7

(37) ist eine Aussage über die Zerlegungsmöglichkeifen der Konstituente PG. Derartige Aussagen ließen sich mit anderen Beispielen auch für weitere Konstituenten machen. § 70

Aussagen wie (37) können, in einen systematischen Zusammenhang mit Aussagen gleicher Art gebracht, verstanden werden als ein bestimmter T y p von Hegeln, Regeln, die in ihrer 'Gesamtheit alle Zerlegungsmöglichkeiten von Baumdiagrammen erfassen und so die Strukturbeschreibung sämtlicher syntaktisch korrekter Sätze ergeben sollen. An unserem Beispiel illustriert: Die möglichen Konstituentenzerlegungen der Diagramme in Abb. 5, 6 und 7 werden durch den folgenden Regelblock zusammengefaßt. Wir benutzen dabei die standardisierte Darstellungsform, in der „ " die Beziehung „ . . . wird zerlegt i n . . . " symbolisiert, „ + " die lineare Verkettung der Konstituenten und „{}" die alternativen Zerlegungsmöglichkeiten von Konstituenten kennzeichnet . (38)

S PG

-

SbG + PG rv + Adv + PräpG | Iv + SbG

PräpG SbG

-

Präp + SbG Art + Sb

lv

J

drundbegrijje der

Konsliliienlenxtruktiir

Damit ist eine weitere Verallgemeinerungsstufe der syntaktischen Beschreibung erreicht : Die Beschreibung f ü h r t — von der Zerlegung eines einzelnen Satzes (Schritt 1) — über die Repräsentation einer Klasse zulässiger Sätze in B a u m d i a g r a m m e n (Schritt 2) — bis zur Aufzählung einer Klasse zulässiger B a u m d i a g r a m m c d u r c h ' Regeln (Schritt 3). I n den »Grundzügen« werden viele Aussagen g e m a c h t , die zwar nicht als Regeln dieser Form formuliert sind, aber doch in solche ü b e r f ü h r t werden k ö n n e n . Die neu hinzugekommenen Diagramme in Abb. 6 und 7 machen deutlich, d a ß einige der bisherigen Festlegungen a) bis e) in § 69 modifiziert w e r d e n ' u n d neue hinzukommen müssen: P G ist laut Festlegung in e) eine komplexe Einheit, verzweigt a b e r in Abb. 7 nicht. Das ist ein zu berücksichtigender Grenzfall. W e n n wir von einzelnen B a u m d i a g r a m m e n zu zulässigen Diagrammen übergehen, so heißt jetzt e) verändert.: e') Kategorien, die in mindestens einer ihrer zulässigen Zerlegungen in einem B a u m durch verzweigende Knoten erscheinen, sind komplexe s y n t a k t i s c h e Einheiten. Neu hinzu k o m m t : f) Verb ist eine obligatorische Konstituente von PG, d e n n es k o m m t bei jeder zulässigen Zerlegung von PG vor. P r ä p G . Adv und SbG sind fakultative Konstituenten von PG. d e n n es gibt zulässige Zerlegungen von PG, in denen Adv, PräpG und / oder SbG nicht vorkommen. Wenn V einzige K o n s t i t u e n t e von P G ist, so repräsentiert V allein die ganze P G . Die oberste Kategorie S hat als minimale Zerlegungsmöglichkeit die in SbG und PG. PG wiederum kann allein d u r c h V repräsentiert werden. Das zeigen die folgenden Weglaßproben: (39)

Die Katze schläft gern Die Katze schläft *Die Katze 0 gern schläft gerv * 0

SbG und PG sind also die beiden obligatorischen u n m i t t e l b a r e n K o n s t i t u e n t e n von S. Ein einschränkender Zusatz ist erforderlich, u m solche Sätze wie Komm,'. oder Peter nicht, als Gegenbeispiele auszuschließen: Die B e h a u p t u n g bezieht sich auf G r u n d s t r u k t u r e n von Sätzen, die scheinbaren Gegenbeispiele sind Realisierungen abgewandelter S t r u k t u r e n . Zu diesem Begriffspaar k o m m e n \tfir in 1.5.7. I n K a p . 2.3. werden auch die sog. subjektlosen Sätze auf eine G r u n d s t r u k t u r mit Subjekts-SbG zurückgeführt. SbG hat genauso wie PG mehrere Zerlegungsmöglichkeiten. Im Grenzfall repräsentiert auch hier eine elementare Einheit die ganze S b G : S u b s t a n t i v (z. B. Peter) oder Pronomen (sie s t a t t die Katze). Somit sind Nb / P i o j l + V,

124

1.5. Syntaktische

Komponente

dominiert von SbG + PG, die nicht zu unterschreitende Minimalausstattung eines Satzes. Das ist n i c h t gleichbedeutend mit der Behauptung, jeder Satz könne auf Sb / Pron + V reduziert werden. Die folgende Gegenüberstellung zeigt, daß die schematische Reduktion von PG auf V zu ungrammatischen Sätzen führen kann: (40)

Die Katze ist / befindet sich *Die Katze ist / befindet sich Die Katze entdeckt die Maus *Die Katze entdeckt

gerade auf dem Sofa

Die aus (37) als fakultativ abzulesenden Konstituenten PräpG und SbG können in Sätzen wie z. B. (40) notwendig sein. Die Bedingungen dafür, wann diese fakultativen Konstituenten notwendig sind und wann nicht, beruhen offensichtlich auf bestimmten Eigenschaften des Verbs: sich befinden / sein entdecken schlafen

fordert eine Ergänzung durch eine PräpG in der Funktion eines Lokaladverbials; fordert eine Ergänzung durch eine SbG in der Funktion eines Objekts; dagegen fordert keine Ergänzung.

Der Begriff „Funktion" wird in Abschnitt 1.5.5. auf der Basis der bisher festgesetzten Begriffe eingeführt. Die verallgemeinerten Aussagen darüber, welche Konstituenten mit welchen anderen Konstituenten zusammen jeweils komplexere Einheiten bilden müssen, nicht können oder können, werden durch Begriffe aus der Talenz-Theorie formuliert, die dem von uns verwendeten Grundmodell angepaßt werden. 1.5.4.

Valenzbeziehungen

§72

Die Einschränkungen, denen die Kombination syntaktischer Einheiten unterliegt, müssen in jeder Grammatik in möglichst genauer Form dargestellt werden. In der generativen Grammatik geschieht dies durch strikte Subkategorisierung und Selektion (vgl. CHOMSKY (1965) und zu speziellen Problemen der Subkategorisierung HEIDOLPH (1967) und STEINITZ (1967)). Wir wollen die entsprechenden Tatsachen mit Begriffen der Valenztheorie behandeln, wie sie z. B. in HELBIG / SCHENKEL (1975 3 ) begründet wird. In Abschnitt 1.7. werden einige Veränderungen dieser Konzeption erläutert und der letztlich auf semantischen Beziehungen fußende Begriff „Valenz" im Hinblick auf syntaktische und andere Auswirkungen dargestellt. Für den Aufbau der syntaktischen Komponente sind an dieser Stelle folgende Feststellungen von Wichtigkeit: Syntaktische Valenz ist eine Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Verb eines Satzes — dem Yalenz-Träger — und anderen Konstituenten, die „Valenz-Partner", „Mitspieler" oder „Aktanten", bei Adverbialbestimmungen auch „Um-

Valenzbeziehungen

125

stände" genannt werden. In Kopulasätzen übernimmt das Prädikativ die Funktion des Valenz-Trägers, während die Kopula lediglich die morphologischen Verbkategorien (Tempus, Modus, Person, Numerus) bezeichnet (vgl. Peter ähnelt dem Vater : Peter ist dem Vater ähnlich). Die durch die Valenz zum Ausdruck gebrachte Abhängigkeit betrifft aber zweierlei: 1. Das Verb eröffnet Leerstellen für hinsichtlich seiner Valenz notwendige Konstituenten. Es bestimmt dabei die notwendige Anzahl der Valenzpartner und die syntaktische Funktion, die diese Valenzpartner zu erfüllen haben. Es wird also nicht der Wortgruppen- sondern der Satzglied-Typ der Partner vom Verb festgelegt (vgl. den folgenden Abschnitt). Dieser Teil der Valenz hat seine Entsprechung in der Strikten Subkategorisierung der generativen Grammatik. Im Unterschied zur generativen Grammatik gehört aber in der Valenz-Theorie Subjekt zu den Valenz-Partnern des Verbs und ist nicht nur obligatorische Konstituente jedes Satzes in der Grundstruktur. Eine Wortgruppe in bestimmter Satzgliedfunktion ist bezüglich eines Verbs valenznotwendig, wenn sie als Verbkontext insofern gefordert wird, als das Verb eine Leerstelle hat, die in die semantische Interpretation des Satzes eingeht und die in der Regel auch syntaktisch realisiert wird, vgl. aber § 74. (Die Wortgruppe gehört in den Bereich der Strikten Subkategorisierung.) Beispiele: (41)

Peter wohnt in Anna besuchte Sie wartet auf Die Katze frißt

Berlin ihn jemanden etwas

Entsprechend ist eine Wortgruppe valenzunmöglich, wenn sie als Verbkontext ausgeschlossen ist, wie z. B. eine Subsrtantivgruppe in Objektfunktion im Kontext von gähnen, z. B. *Die Katze gähnt die Maus. Nicht-valenznotwendig ist eine Wortgruppe, wenn sie als Verbkontext weder ausgeschlossen noch gefordert wird. (Die Wortgruppe gehört nicht in den Bereich der Strikten Subkategorisierung des Verbs.) Das gilt für die eingeklammerten Ausdrücke in den folgenden Beispielen: (42)

Die Katze spielt (in der Ecke) Anna strickt (mir) einen Pullover Ich arbeite (lieber abends) Er öffnete das Glas (mit dem Büchsenöffner)

2. Das Verb bestimmt aber nicht nur, wie viele und welche Wortgruppen mit bestimmter Satzgliedfunktion in seinem Kontext vorkommen müssen. Es legt auch fest, welcher Subklasse eine valenznotwendige Wortgruppe bzw. deren Wortklassenrepräsentant angehört. Das Verb besuchen z. B. eröffnet nicht nur Leerstellen für Subjekt und Objekt, es wählt auch die Subklassen der Subjekts-

126

/.•J. Syntaktische Komponente und Objektssubstantive aus, es selektiert z. B. für ersteres die Subklasse, die Menschliches bezeichnet. Wohnen selektiert als adverbiale Subklasse ei » L o k a l adverbial. Vgl.: (43)

Anna besuchte Peter '.Die Katze besuchte Peter * Da s Auto besuchte Peter Peter wohnt in Berlin * Peter wohnt am Abend, * Peter wohnt nach Berlin

Diese Art von Valenzbeziehungen wird selektive Valcnzbeziehung genannt, Valenz-Träger und -Partner werden auch als semantisch vereinbar bezeichnet. Die selektive Valenzbeziehung steht der semantischen Valenz nahe, sie ist aber mit dieser nicht gleichzusetzen. Semantische Valenz beruht nicht auf Wortbedeutungen, sondern auf Teilen von Wortbedeutungen, auf semantischen Merkmalen oder semantischen Prädikaten vgl. 1.7.). Selektive Valenzbeziehungen bestehen in der Syntax, wo semantische Prädikate, in verschiedener Weise gebündelt, als Wörter bzw. Morpheme erscheinen. (In der generativen Grammatik entsprechen dieser zweiten Art von Valenzbeziehungen die Selektionsbeziehungen zwischen den Konstituenten.) Die selektiven Valenzbeziehungen greifen auf den Bereich der nicht-valenznotwendigen Konstituenten des Satzes über und schränken die Wahlmöglichkeiten bestimmter Subklassen auch dort ein. Spielen hat außer dem Subjekt keine Valenzpartner, es läßt aber z. B. Lokal- oder Temporaladverbiale im Kontext zu. im Kontext von icissen dagegen ist nur die Wahl eines Temporaladverbials möglich, nicht die eines Lokaladverbials. vgl.: (44)

Peter spielte (in der Ecke) Peter spielte (den ganzen Tag) Peter weiß das (jetzt) * Peter weiß das (zu Hause)

Nicht-valenznotwendige Konstituenten, die für beliebige Verben als Kontext zulässig sind, werden auch valenzunabhängige genannt. Unter den Adverbialen sind das z. B. Temporal- und Kausaladverbiale. Demgegenüber werden Konstituenten rilit größeren selektiven Beschränkungen valenzmöglich genannt. Ein Beispiel dafür sind die Lokaladverbiale. Im einzelnen verweisen wir auf die Darlegungen in 2.3.2.2. Modifizierungen, werden bei den freien Dativobjekten nötig, vgl. 2.3.1. Auch innerhalb der valenznotwendigen Satzglieder ist eine Differenzierung nötig. Es gibt Verben, die zwar für einen Valenzpartner eine Leerstelle eröffnet haben, der in der semantischen Struktur und auch in der Gru-ndstruktur eines Satzes berücksichtigt wird, bei der Abwandlung aber fehlen kann, ohne daß der Satz unkorrekt würde. Einen solchen Partner nennen wir tilgbar (HELBIG : fakultativer Mitspieler). In anderen Fällen bewirkt das Fehlen eines valenznotwendigen Partners, daß der Satz grammatisch unkorrekt wird, dieser

Valenzbeziehungen

127

Partner ist nicht-tilgbar (HELBIG : obligatorischer Mitspieler). (45a) enthält tilgbare, (45b) enthält nicht-tilgbare valenznotwendige Wortgruppen: (45a)

(45b)

Anna wartet auf jemanden Anna wartet Die Katze frißt etwas Die Katze frißt Peter wohnt in Berlin * Peter wohnt Anna besuchte ihn * Anna besuchte

In Abschnitt 1.5.7. gehen wir auf diesen Typ der Tilgung und seine Voraussetzungen etwas näher ein, verweisen im übrigen auf die Kap. 2. und 5. Wenn die zusätzlichen Differenzierungen berücksichtigt werden, unterscheiden wir folgende Arten von Konstituenten bezüglich der Valenz: 1. Valenznotwendige Konstituenten (Valenz-Partner) a) nicht-tilgbare Valenz-Partner b) tilgbare Valenz-Partner 2. Nicht-valenznotwendige Konstituenten a) valenzmögliche Konstituenten b) valenzunabhängige Konstituenten Der Unterschied zwischen Konstituenten vom Typ lb) und solchen vom Typ 2., der beim Vergleich der jeweiligen Seispielsätze einleuchtend erscheint, kann erst beschrieben werden, wenn die Begriffe „Grundstruktur" und „Abwandlung" in 1.5.7. eingeführt sind. Das Fehlen einer nicht-valenznotwendigen Konstituente in einem Satz bedeutet dann: Sie ist in der.Grundstruktur dieses Satzes nicht vorhanden. Das Fehlen einer tilgbaren valenznotwendigen Konstituente eines Satzes bedeutet dagegen: Sie ist in seiner Grundstruktur vorhanden und erst in einer möglichen Abwandlung davon getilgt. Rektion. Eine mittelbar auf der Valenz beruhende Abhängigkeitsbeziehung ist die Rektion. Sie ist eine syntaktische Erscheinung mit morphologischem Effekt. Vorkommen und Ausmaß variieren einzelsprachlicfy. Dies im Unterschied zu den oben beschriebenen Valenzbeziehungen, die auf semantischen Gegebenheiten aufbauen und daher allgemeinerer Natur sind. Die Rektion besteht darin, daß in bestimmten Fällen der Valenz-Träger die morphologische Form des Valenz-Partners bestimmt, d. h. sie regiert. Im Deutschen betrifft die Rektion vor allem Festlegungen der einzelnen Präpositionen (z. B. bei Präpositionalobjekten) und Kasusformen. Wenn beispielsweise das Verb glauben valenznotwendig ein Objekt als Ergänzung hat, dann kommen folgende Rektionsangaben hinzu: glauben regiert den „reinen" Kaans Dativ beim Objekts-Substantiv, vgl.: (46)

Peter glaubte seinem Freund

128

1.5. Syntaktische

Komponente

oder: , glauben regiert die Präposition des Präpositionalobjekts: an, und die Präposition an ihrerseits regiert den Kasus des zugehörigen Substantivs, in diesem Kontext: Akkusativ. Vgl.: (47)

Peter glaubte an seinen Freund

Da Rektionsangaben einzelsprachlich sind, gehören sie zur Charakterisierung der lexikalischen Einheiten im Lexikon (vgl. 1.5.6.). § 77

Zum Abschnitt „Valenzbeziehungen" sei abschließend gesagt, daß sie sich auf die beiden Ebenen (A) und (B) im Baumdiagramm von Abb. 5 § 67 verteilen. 1. In (A) erfolgt die strukturelle Beschreibung durch Zerlegung einer Kategorie in Konstituenten (hier werden auch die valenznotwendigen Konstituenten eingeführt); in (B) erfolgt sie durch Subklassifizierung innerhalb einer Kategorie nach semantischen, aber syntaktisch relevanten Gesichtspunkten (das ist auch die Domäne der selektiven Valenzbeziehungen). So treten etwa in den gegebenen Beispielen für die Kategorie Sb Subklassen auf, die Bezeichnungen sind für: — — — —

Konkretes Belebtes Menschliches Abstraktes

(Auto, Sofa, Berlin, Katze, Peter, (Katze, Peter, Anna) (Peter, Anna) (Abend)

Anna)

2. Die unterschiedlichen Eigenschaften der Konstituenten der Ebenen (A) und (B), die an mehreren Stellen der Ausführungen zutage treten, rechtfertigen eine sie unterscheidende Benennung: — Für die Konstituenten der Ebene (Bj haben wir schon einen Sammelnamen benutzt: Wortklasse. Die einzelnen vorkommenden Wortklassen, wie Substantiv (Sb), Verb (V), Artikel (Art), Präposition (Präp) entsprechen der traditionellen Einteilung. Abweichungen im Detail werden in Kap. 2 und 3 begründet (vgl. besonders die Artikelformen, die unter den Pronomen abgehandelt werden). — Die Konstituenten der Ebene (A), die die Vermittlung zwischen den Wortklassen und den — in der Darlegung noch ausstehenden — Satzgliedern übernehmen, sind die Wortgruppen. Es kamen bis jetzt die Wortgruppen-Typen Substantivgruppe (SbG), Prädikatsgruppe (PG) und Präpositionalgruppe (PräpG) vor. Weitere Wortgruppen-Typen werden in Kapitel 2 eingeführt. Damit sind die wichtigsten Eigenschaften der Konstituenten der Ebenen (A) und (B) aus dem Baumdiagramm in Abb. 5 abgehandelt. Bei der Beschreibung der Ebene (C) und der besonderen, durch gestrichelte Linien gekennzeichneten Beziehungen der Konstituenten der Ebene (B) zu den Ausdrücken der Ebene (G) sind einige Ergänzungen nötig (vgl. Abschnitt 1.5.6.).

Wortgruppen

und syntaktische

Funktionen

129

Wortgruppen und syntaktische Funktionen Die in 1.5.1. ff. eingeführte und erläuterte Konstituentenstruktur bietet die Möglichkeit, die Zuordnung von Wortklasse und Satzglied nunmehr in einsichtiger und eindeutiger Weise vorzunehmen. Die durch die Konstituentenstruktur gegebene Charakteristik eines Satzes vermittelt zwischen Wortklasse und Satzglied. Die Wortklasseneinordnung der Wörter eines Satzes (Wortebene (B) im Baumdiagramm von Abb. 5 oben) geht ein in die Konstituentenstruktur des ganzen Satzes (Wortgruppenebene (A)). Jede im Satz vertretene Wortklasse ist damit auch Teil (oder auch alleiniger Repräsentant) einer komplexen Konstituente. Diese wiederum hat im Rahmen der gesamten Konstituentenstruktur eine syntaktische Funktion, durch die gegebenenfalls der Satzgliedstatus der Konstituente bestimmt ist. Diese Bestimmung stellt sich im einzelnen so dar: Jede Wortgruppe unterliegt Strukturbedingungen: Bed. 1: Sie ist regulär gegliedert. Es ist festgelegt, wie ihre interne Struktur beschaffen sein kann, d. h. welche Zerlegungsmöglichkeiten von Konstituenten es gibt. Bed. 2.: Sie ist in systematischer Weise auf andere Wortgruppen bezogen. Es ist festgelegt, welche Wortgruppe die sie unmittelbar dominierende Konstituente sein kann und welche Nachbar-Konstituenten sie haben kann. Jede Wortgruppe hat also einen festen Platz in der Konstituentenstruktur.

Auf Grund ihres so fixierten Platzes in der Konstituenten»^ uktur hat jede Konstituente in bezug auf andere Konstituenten eine syntaktische Funktion. Innerhalb der Gesamtheit der auf diese Weise definierten syntaktischen Funktionen von Konstituenten gibt es eine Teilmenge, die die Bestimmung der Satzglieder mit Begriffen der Konstituentenstruktur gestattet. Daß beispielsweise in dem Satz Die Katze jagt die Maus die SbG die Katze Subjekt des Satzes und die SbG die Maus Objekt ist, manifestiert sich darin, daß in der Konstituentenstruktur die SbG, realisiert durch die Katze, unmittelbar von S dominiert ist, die zweite SbG, realisiert durch die Maus, dagegen von der Prädikatsgruppe (PG); vgl. Abb. 6, § 69. Anders gesagt, in der Beziehung SbG : S bzw. SbG : PG ist SbG Träger der Funktion „Subjekt" bzw. „Objekt". Damit wird zugleich der relationale Charakter der Satzglieder wie Subjekt oder* Objekt verdeutlicht. Auf die gleiche Weise können die übrigen Satzglieder reformuliert werden. Hervorzuheben ist, daß hierdurch nur ein, wenngleich wesentliches, Bestimmungsstück des Satzgliedbegriffs erfaßt wird. Eine Charakterisierung wie „Subjekt" enthält darüber hinaus eine Reihe semantischer und kommunikativpragmatischer Momente, die sich in verschiedenen Hinsichten auswirken (z. B. Subjekt als Agens-Träger; die syntaktischen Funktionen der Wortgruppen stehen in regulären Beziehungen zu Begriffen wie Agens, Patiens, fallen 9

Deutsche Gramm.

130

1.5. Syntaktische

Komponente

mit diesen aber nicht zusammen, vgl. dazu auch 1.7. Oder Subjekt als unmarkierter Thema-Träger, vgl. Kap. 4 und 6). Die Aufstellung und Begründung der verwendeten Satzglieder wird in Kap. 2 vorgenommen. Im Prinzip werden die Satzgliedarten auf der Basis von Grundstrukturen definiert. Abgeleitete Satzgliedarten wie prädikatives Attribut gehören abgewandelten Strukturen an, können aberauf Satzglieder der Grundstruktur bezogen werden (was sich z. T. schon in der Benennung ausdrückt). Zur Notation: Bei Bedarf wird der Satzglied-Status einer Konstituente, der in der soeben erläuterten Weise durch ihre Konstituentenbeziehungen definiert ist, in ein Baumdiagramm zusätzlich zur Konstituenten-Bezeichnung eingetragen. Der Satzgliedname wird in beabsichtigtem Kontrast zum Wortgruppennamen in Klammern gesetzt. Satzgliednamen wie „Subjekt" (Subj), „Objekt" (Obj), „Adverbialbestimmung" (Advb) sind somit Symbole für bestimmte syntaktische Funktionen. Dies im Unterschied zu den bisher gebrauchten Symbolen wie SbG, PräpG, AdvG, Sb, Art, die syntaktische Kategorien (Wortgruppen, Wortklassen) bezeichnen. Diese Differenz darf nicht übersehen werden. Die Aufnahme von Satzgliedern in die Konstituentenstruktur von Sätzen verwischt in einer Hinsicht diese Differenz, weil Satzglieder dadurch den Anschein eines kategoriellen Status bekommen. (Auf der Nichtbeachtung dieses Unterschieds beruhen gerade einige Unschärfen und Fehler der traditionellen Grammatik, so z. B. bei der Beschreibung von Adverbien und ihrer Abgrenzung von Adjektiven.) Nun hängt aber die Beschreibung einer Reihe von Stellungsund Betonungsregelmäßigkeiten von Konstituenten gerade von der Kennzeichnung ihres Satzglied-Status ab. Daher ist eine praktische Handhabbarkeit des Satzgliedbegriffs für unsere Zwecke wichtig genug, daß wir uns für diese Notation entscheiden. Wir verweisen auf detailliertere Ausführungen in Kap. 2.1.

1.5.6.

Zwei-Teilung der syntaktischen Komponente

§79

Bis jetzt haben wir mit den klassischen Analyseeinheiten „Satz" und „Wort" als "den Grenzbegriffen oberste (größte) und unterste (elementare) Einheit operiert. Wir werden auch weiterhin innerhalb der Beschreibungsdomäne „Satz" bleiben und nur gelegentlich auf Erscheinungen, die über die Satzgrenzen hinausgehen (so etwa bei den Pro-Formen), verweisen. Das ist keine rein technische oder behelfsmäßige Entscheidung, denn auch in einer theoretisch genauen Darstellung des Begriffs „Text" wird „nach wie vor der Einheit ,Satz' eine zentrale Stellung zukommen. . . . Der ,Satz' stellt die Domäne für die Distributionsund Kombinationsregeln der Einheiten des Sprachsystems dar. Der Satz hat seine Entsprechung im kognitiven Elementarvorgang des Prädizierens, dessen Manifestation eben sprachlich als (minimaler) ,Satz' erscheint, Die Logik hat davon die Grundeinheit ,Proposition' abstrahiert. Und in klarer Übereinstimmung damit, daß der ,Satz' diejenige Einheit ist, mit Hilfe derer sich die Kon-

Zwei-Teilung

der syntaktischen

Komponente

131

stitution und Verbalisierung von Sachverhalten zuträgt (Prädikation!), spielt die Struktureinheit ,Satz' im Prozeß der Spracherlernung die primäre Rolle." (LANG (1973), S. 286). Aus anderen Komponenten der Grammatik kommen nur bestätigende Faktoren hinzu; so etwa aus der kommunikativ-pragmatischen der Tatbestand, daß innerhalb des Satzes in der Regel kein Sprecher Wechsel stattfindet, oder aus der phonologischen Komponente, daß sowohl Intonationsmuster wie Verteilung des Hauptakzentes sich auf die Domäne „Satz" beziehen. Damit ist die syntaktische Abgrenzung nach o b e n durch S genügend abgesichert. Unter Verweis auf die kommunikativ-pragmatische Komponente, die in 1.3. beschrieben wird, müssen wir eine Korrektur der verwendeten Symbole anbringen: S wird fortan als Dach-Terminus verwendet, der die Satz-Intention (SI) des Satzes mit der Satzbasis (SB) verbindet, die jetzt statt S die größte Wortgruppe ist. Über die Beziehungen zwischen SI und SB vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2. Die Abgrenzung nach u n t e n wirft Probleme anderer Art auf. Sie betrifft den Status der Einheit „Wort" und damit den Charakter der bisher nicht behandelten Beziehung zwischen den Ebenen (B) und (G) im Baumdiagramm von Abb. 5, § 67. Wir werden in die syntaktische Komponente einen Komplex von Erscheinungen aufnehmen, der in der traditionellen Grammatik von der Syntax völlig getrennt ist: es handelt sich um einen großen Teil der grammatischen Fakten, die in „Formenlehre" und „Wortbildung" beschrieben werden und die interne Struktur des Wortes zum Gegenstand haben. Die Begründung für die Aufnahme in die syntaktische Komponente ist folgende: — Das Wort ist n i c h t die elementarste Einheit bei der Vermittlung von Laut- und Bedeutungsstruktur; — grundlegende Beziehungen, wie die hierarchischen und die Reihenfolgebeziehungen, sind nicht nur in Einheiten, die mehrere Wörter umfassen, also innerhalb von Wortgruppen wirksam, sondern auch innerhalb der Wörter selbst; d . h . , auch Wörter haben eine interne Struktur; — Abwandlungen, auf die wir als spezielle Art Von Beziehungen noch zu sprechen kommen, greifen nicht nur in die Struktur von Wortgruppen ein, sondern auch in die der Wörter. Daß wir dem „Wort" trotzdem eine gewisse Autonomie einräumen, geschieht zum einen aus der Erwägung, daß „Wort" wie „Satz" zu den Grundbegriffen im Sprachunterricht gehören und auch bei jeder nicht-wissenschaftlichen Beschäftigung mit Sprache vorkommen: Wörter sind die zentralen Einheiten bei der Spracherlernung und im Sprachgebrauch. Schon deshalb muß „Wort" genauso wie „Satz" einen zentralen Platz in der Grammatik einnehmen. Zum anderen knüpft ein gewichtiger Teil der morphologischen Analyse an diese Einheit „Wort" an. 9«

132

l.-1) Syntaktische

Komponente

Eine Lösung, die beiden Aspekten gerecht zu werden versucht, kann folgendermaßen erreicht werden: Die syntaktische Komponente wird in z w e i Teil-Komponenten zerlegt, die jedoch übergreifende Beziehungen zueinander haben: a) Wortgruppen-Komponente (Gegenstand Wortgruppen"). b) Wort-Komponente Wort stru kt uren ").

(Gegenstand

von

von Kap. 2: „Struktur der

Kap.

3:

„Wortklassen

und

Die allgemeine Annahmt, daß Komponenten durch spezifische Einheiten und Kombinationsprinzipien bestimmt sind, gilt auch fiir diese beiden Teil-Komponenten. Jedoch gibt es bezüglich der Einheit Wort einen Überschneidungsbereich. Zum einen erscheint das Wort in Gestalt von Wortklassensymbolen als elementare Konstituente der Wortgruppen-Komponente, elementar insofern, als die Wortklassensymbole die untersten syntaktischen Konstituenten angeben. Diese sind innerhalb dieser Komponente nicht weiter zerlegbar. Zum anderen erscheint das Wort in Gestalt von Wortklassensymbolen als komplexe Einheit der Wort-Komponente, komplex insofern, als die Wortklassensymbole hier die Domäne morphologischer Kennzeichnungen angeben. Die weitere Zerlegung der Einheit Wort in morphologische Einheiten. Morpheme, ist eins der Spezifika dieser Teil-Komponente. § 81

Grundeinheiten der Wort-Komponente Die elementaren Einheiten der Wortstruktur sind die Morpheme. Dabei ist von Bedeutung, daß an der internen Struktur eines Wortes Morpheme unterschiedlichen T y p s beteiligt sind: Basismorphem Dieses Morphem bezeichnet den konzeptuellen Gehalt, die lexikalische Bedeutung des Wortes: es ist Träger des lexikalisch-begrifflichen Kerns des Wortes (Kap. 3). Wortbildung»- und Flexionsmorpheme Diese Morpheme tragen sowohl zur Charakterisierung der syntaktisch-semantische« Zusammenhänge zwischen Konstituenten eines Satzes bei (z. B. die grammatischen Kategorien Numerus. Genus. Kasus mit ihren KongruenzBedingungen), wie zur Charakteristik von Wortklassen (z. B. -keit. -uvg. -schaft sind substantivische Wortbildungsmorpheme gegenüber den adjektivischen -ig, -isch, -bar). Das Basismorphem bildet allein oder zusammen mit Wortbilduiigsmorphemen den Wortstamm. Beispiele: Basismorphem = Wortstamm: bald. gern, freund, k'tnd, arbeit. . . . Basismorphem + Wortbildungsmorphem = Wortstamm: bald-ig. freund-lich, Freundschaft, Arbeit-er. . . .

Zwei-Teilung

der syntaktischen

Komponente

133

Der Wortstamm bildet allein oder zusammen mit Flexionsmorphemen das Wort. Beispiele: Wortstamm = Wort: bald, gern, (der) Freund, (das) Kind, baldig, freundlich, (die) Freundschaft, Arbeiter,... Wortstamm + Flexionsmorphem = W o r t : Freund-e, Kind-er, baldig-e, freundlich-e, Freundschaft-en,... (Plural-Morphem aus der grammatischen Kategorie des Numerus) Die Morphologie ist in der hier verfolgten Konzeption weder eine besondere Komponente neben der syntaktischen, noch eine ihrer Teilkomponenten. Sie ist vielmehr eine komplexe Betrachtungsweise bestimmter syntaktischer Teilsysteme innerhalb der Wort-Komponente, die syntaktische, logisch-semantische, kommunikativ-pragmatische und phonologische Gegebenheiten einbezieht und deren Zusammenwirken zu erfassen sucht. Die Morphologie ist Ausgangspunkt spezieller Begriffsbildungen wie Paradigma, Opposition, Flexions- und Wortbildungsmuster usw. Diese werden innerhalb des Kap. 3 „Wortklassen und Wortstrukturen" eingeführt und abgehandelt. 1 )ie Wortkomponente ist jedoch nicht einfach die direkte Fortsetzung der Wortgruppen-Komponente „nach unten". Der Zusammenhang beider Komponenten kann am günstigsten so. verdeutlicht werden, daß man sich vorstellt, d a ß beide ihre jeweils spezifischen Strukturbeschreibungen auf die lexikalische Realisierung der Wortklassen projizieren. Dieser Zusammenhang kann durch ein Schema veranschaulicht werden, s. u., Abb. 8. Die lexikalische Realisierung selber ist eine Operation besonderer Art, eine Operation, die die kategorialen Symbole der Wortgruppen-Struktur auf der Ebene (B), die elementaren Konstituenten also, mit lexikalischen Einheiten belegt, gemäß den Bedingungen, die durch Wortklassensymbol, Satzgliedangabe und Valeiizcharakteristik gegeben werden (Ebene (A) und (B)) und gemäß der analysierten Wortstruktur der Ebene (B'). Im Vollzug dieser Operation weiden die lexikalischen Einheiten einem Inventar entnommen, m dem der lexikalische Bestand der Sprache in geeigneter, abrufbarer Form gespeichert ist. Dieses Inventar, das Lexikon, ist keinesfalls als bloße Listensammlung zu verstehen, sondern als ein System eigener Art, in dem sich komplizierte wortschatzinterne Zusammenhänge manifestieren. Dazu gehören einerseits Gesetzmäßigkeiten der Struktur des Wortschatzes sowie seiner Entwicklung und Schichtung, zum anderen die weit verzweigten Bedingungsgefiige. denen die Einsetzung einer lexikalischen Einheit in syntaktische Strukturen unterworfen ist (Realisierungsbedingungerl). Die Eintragung einer lexikalischen Einheit in diesem Lexikon enthält Angaben über ihre syntaktischen, lexikalisch-semantischen, morphologischen und phonologischen Eigenschaften. In der vorliegenden Grammatik t r i t t das Lexikon nicht eigenständig in Erscheinung. Auch die gerade erwähnte Operation der lexikalischen Realisierung syntaktischer Strukturen wird nicht dargestellt. Daher bleibt eine Lücke zwischen Wortgruppen- und Wort-Komponente. Ein großer Teil derjenigen Angaben, . Syntaktische

Komponente

werden, wie das folgende Baumdiagramm zeigt; gleichzeitig ist diese Abfolge in kommunikativ-pragmatischer Hinsicht neutral im oben genannten Sinne. (58)

SbG

fSubj) ! i

Ad vG (Advb_) ¡ a i

SbC fObj) i i

PrapG (Adv bj)

ii

Peter

vorhin

c/en Ball

ms Tor

Peter

vor hm

c/en Ba/t

ms Vor

Yfln

i

geworfen

hat warf

Wir unterscheiden jetzt die Konstituentenabfolge in der Grundstruktur, bei der das finite Verb am Satzende steht, von der topologischen (¿rundposition, in der das finite Verb die Zweitstellung einnimmt. Diese Grundposition beruht aber auf einer Abwandlung, einer Permutation des finiten Verbs. Nur im Spezialfall, bei subordinierten Sätzen, kann die Verb-Endstellung der G r u n d s t r u k t u r bestehen bleiben. Die Konsequenz einer solchen syntaktischen Beschreibung von Sätzen wie (55) ist die. d a ß ihre G r u n d s t r u k t u r als nicht direkt realisiert bet r a c h t e t wird. Das heißt, die G r u n d s t r u k t u r ist demnach abstrakter als zuerst angenommen wurde. 3. Strukturelle Synonymie § 87

Von struktureller Synonymie spricht man dann, wenn die Unterschiede zw ischen bedeutungsgleichen Sätzen weder durch synonyme Wörter (z. B. anfangen : beginnen) noch durch veränderte Konstituentenabfolgen (wie im vorangegangenen Abschnitt behandelt) Zustandekommen, sondern wenn Unterschied«» in der Konstituentenstruktur von Sätzen vorliegen. Strukturelle Synonymie besteht beispielsweise zwischen einem Aktivsatz und seinem- passivischen Pendant oder zwischen Satzgefügen und ihnen entsprechenden Kondensationsformen. Die Möglichkeit systematischer Paraphrasebeziehungen zwischen Sätzen ist eines der entscheidenden Argumente f ü r die Unterscheidung von G r u n d s t r u k t u r und abgewandelter S t r u k t u r . Zwei Beispielgruppen mögen die Existenz von Abwandlungsbeziehungen zwischen einem Satzgefiige und einem einfachen Satz, der als dessen .,Kondensationsform" gelten kann, illustrieren: a) Zwischen einem Satz, der einen Relativsatz (Attributsatz) enthält, und einem Satz mit einfachem Attribut besteht eine Abwandlungsbeziehung, vgl.: (59)

Elefanten, tlie weiß sind, -sind teuer Weiße Elefanten, lind teuer

Grundstruktur

und abgewandelte

Struktur

141

Wenn die Grammatik die Bedeutungsgleichheit durch Zuordnung beider Sätze zu einer gemeinsamen Grundstruktur syntaktisch wiedergibt, vereinfacht sie die Darstellung und stellt gleichzeitig eine wichtige syntaktische Eigenschaft des Sprachsystems dar, nämlich die Beziehungen zwischen Attribut und Relativsatz. b) Zwischen Sätzen, die einen Adverbial-Satz oder eine adverbiale Präpositionalgruppe (evtl. Substantivgruppe) oder ein Adverb enthalten, bestehen Abwandlungsbeziehungen, vgl.: (60a) ((iOb) (60c)

Peter mußte, weil er krank war. die Premiere versäumen Peter mußte wegen seiner Krankheit die Premiere versäumen Peter mußte de Steegen die Premiere versäumen

Ungeachtet der syntaktisch unterschiedlichen internen S t r u k t u r der gekennzeichneten Ausdrücke in (60) haben diese ein und dieselbe syntaktische Funkt i o n : kausale Adverbialbestimmung. Unter speziellen Kontextbedingungen, nämlich der Vorerwähnung des Grundes etwa durch den vorangehenden Satz Peter war krank, ist der* Satz (60c) mit den beiden übrigen bedeutungsgleich, kommunikativ-pragmatisch ist er wie alle Sätze mit Pro-Formen,durch die eben genannte Bedingung spezieller, weniger neutral. Die systematischen Beziehungen zwischen den drei Sätzen äußern sich in den Beziehungen von Satz : Substantivierung des Satzes : Pro-Form und in der Entsprechung von K o n j u n k t i o n und Präposition. In der Grammatik werden sie so beschrieben, d a ß sie unterschiedliche Realisierungen einer G r u n d s t r u k t u r sind. Dadurch erübrigt sich unter andeiem die in traditionellen Grammatiken durchaus übliche Wiederholung adverbialer Subklassifizierung bei reinen Adverbien, bei adverbialen Präpositionalgruppen und womöglich auch noch bei den adverbialen Nebensätzen, wegen ihrer äußerlichen Verschiedenheit werden sie üblicherweise a n ganz unterschiedlichen Stellen behandelt. Bei der Entscheidung, welche der Varianten in (59) und (60) der G r u n d s t r u k t u r am nächsten kommen, müssen, da andere Tatsachen als bei der Konstituentenabfolge vorliegen, auch andere Argumente angeführt werden. Diese werden in Kap. 2.3.2. und Kap. 5 ausführlicher formuliert; hier können wir n u r das folgende Kriterium als eine Art Faustregel artgeben: — Gibt es zwischen einem Satzgefüge und einem einfachen Satz eine Paraphraserelation, d. h. haben sie dieselbe Bedeutung, d a n n steht •das Satzgefüge der Grundstruktur näher, der einfache Satz realisiert eine davon abgewandelte S t r u k t u r . Dem Nebensatz des Satzgefüges entspricht im einfachen Satz eine einfache Konstituente ohne Satzwert, die syntaktische Funktion aber (Satzglied oder Satzgliedteil) bleibt erhalten. Die Entsprechung Satz : Satzkonstituente k a n n auf verschiedene Weise Zustandekommen, e t w a : — durch Substantivierung des Satzes (weil er krank war -.wegen seiner Krankheit), — durch Tilgung bzw. Umformung einzelner Funktionswörter (Elefanten, die weiß sind : weiße Elefanten; die Katze, die auf dem Sofa liegt : die Katze auf dem Sofa),

1.5. Syntaktische Komponente

— durch Ersetzung des Satzes durch eine Pro-Form (weil er krank war :' deswegen). Wir werden im Prinzip davon ausgehen, daß zusammengesetzte Sätze — also auch Satzgefüge — als Verknüpfungen von Grundstrukturen und damit als Abwandlungen zu beschreiben sind. Zu diesem Prinzip gibt es aber motivierte Ausnahmen, zu denen auch unsere Beispiele zählen. Wenn spezielle Nebensätze, wie es die Adverbialsätze sind, erst als Resultat einer Verknüpfung von Grundstrukturen zustande kämen, müßten wichtige syntaktische Eigenschaften unberücksichtigt bleiben, wie z. B . die Tatsache, daß Adverbialsätze durch einen festen Platz in der Konstituentenstruktur in ihrer Satzgliedfunktion bestimmt werden, gerade so wie es für Präpositionalgruppen geschieht. Dieser Platz muß also „gehalten" werden, falls eine Konstituente mit Satzstatus die Funktion ausfüllt. Um dies berücksichtigen zu können, werden in der Grundstruktur alle Einheiten mit der Funktion Adverbialbestimmung durch den Wortgruppentyp PräpG (Präpositionalgruppe) repräsentiert. PräpG, die an sich die kategoriale Form einer Wortgruppe bezeichnet, markiert hier die Stelle, die eine syntaktische Struktur anderen kategorialen Typs aber mit gleicher Funktion im gegebenen Satz alternativ einnehmen kann. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang tatsächlich die Funktion und nicht die Kategorie. Da Grundstrukturen aber mit kategorialen Begriffen definiert werden und Funktionen erst auf dieser Basis bestimmt werden können, wollen wir für unsere Zwecke annehmen, daß PräpG auch ein Platzhalter für einen Satz, einen substantivierten Satz oder ein Prono.minaladverb sein kann. Im Baumdiagramm (61) wird dies durch das Zeichen „ A " ausgedrückt. Für A kann dann stehen: weil er krank war wegen seiner Krankheit deshalb

4. Tilgung von Konstituenten Abwandlungsbeziehungen bestehen zwischen zwei Sätzen A und B auch dann, wenn über den gemeinsamen Morphembestand hinaus A bestimmte Hauptwortklassen enthält, die in B fehlen, ohne daß sich daraus ein semantischer Unterschied, ergibt. Der Zusammenhang zwischen A und B läßt sich dadurch

Grundatruktur und abgewandelte Struktur

143

am besten wiedergeben, daß die im Vergleich zu A in B fehlenden Konstituenten als getilgt gelten, womit zugleich die Rekonstruierbarkeit dieser Konstituenten gesichert ist. Durch die Tilgung wird der Satz B zwar syntaktisch unvollständig, er behält aber seinen Satzstatus virtuell bei im Unterschied zu der oben behandelten „Kondensation" eines Satzes zu einer einfachen Satzkonstituente. Wir unterscheiden drei Typen von Tilgung: a) Elliptische Tilgung b) Tilgung undeterminierter Satzglied-Konstituenten (Eliminierung) c) Tilgung bei identischen Konstituenten (Reduktion) Wir illustrieren diese drei Typen lediglich mit Beispielen (die tilgbaren Ausdrücke werden jeweils in Klammern gesetzt): a) Elliptische Tilgung Verkürzte Ausdrücke, denen solche mit vollspezifizierter Konstituentenstruktur entsprechen, werden traditionsgemäß Ellipsen genannt, z. B.: (62)

(Da kommt) ein Flugzeug! (Gib) den Meißel (her)! (Das ist) schade!

Für Ellipsen dieser Art ist kennzeichnend, daß immer dasjenige Satzglied erhalten bleibt, das im vollständigen Satz Rhema ist. Die Berechtigung, Ellipsen auf vollständige Sätze zu beziehen und beide Sätze als bedeutungsgleich anzusehen, ergibt sich daraus, daß Ellipsen unter entsprechenden Situations- oder Kontextbedingungen denselben Inhalt vermitteln wie vollständige Sätze. Andere Typen von Ellipsen liegen vor in: (63)

Der Fisch riecht zwar (schlecht), aber er schmeckt (gut) Benimm dich (anständig) ! Er benimmt sich mal wieder (ganz unmöglich)!

(64)

Es ist schon spät. Wir gehen jetzt (weg). Ihr könnt ja (hier) bleiben. Komm doch (her)!

Die Kontextabhängigkeit der Rekonstruktion getilgter Konstituenten kann verschieden stark sein. Ellipsen wie die in (62) sind weitgehend kontextabhängig, die in (63) und (64) nur in geringem Maße. Gründe dafür können z. B. sein, daß die Ausdrücke idiomatisiert sind, wie in (63), oder daß die Bedeutung getilgter Konstituenten aus der Bedeutung der übrigen voll erschließbar ist, wie in (64). b) Tilgung undeterminierter Satzgliedkonstituenten (Eliminierang) (65)

Peter ißt (etwas) Ramona ist glücklich, denn sie liebt (jemanden) Klaus hat (jemandem etwas) gestohlen Die Soldaten zielten (auf etwas)

Tilgungen dieser Art betreffen valenznotwendige Konstituenten, die semantisch nicht voll spezifiziert sind und daher als Indefinitpronomen realisiert werden können. Da einerseits jedes der Verben zusätzlich zum Subjekt einen oder zwei

144

1.5. Syntaktische Komponente Valenz-Partner fordert und da andererseits die Leerstelle für diesen ValenzPartner semantisch nicht aufgefüllt ist, ist garantiert, daß der vollständige und der unvollständige Satz bedeutungsgleich sind (vgl. auch die Beispiele (45) in § 74). Andere Arten von Eliminierung werden in Kap. 2 abgehandelt,

§ 91

c) Tilgung bei identischen Konstituenten (Reduktion) Diese Art der Tilgung kommt bei Satzreihen und Satzgefügen vor. Wenn in zwei verknüpften Sätzen identische Teilausdrücke auftreten, so kann einer dieser Teilausdrücke getilgt werden. Die Bedingungen für die Tilgung sind in den folgenden Beispielen unterschiedlich, aber für jede Gruppe ganz regulär: Konjunktionsreduktion: (66)

Peter Peter Peter Peter Peter

fand fand fand fand fand

eine (eine eine eine eine

Mark und (er) gab sie gleich aus Mark) und (er) verlor eine Mark Mark und (er) verlor eine (Mark) Mark und (er fand) einen Knopf Mark und Paul (fand) zwei (Mark)

Reduktion bei Komparation: (67)

Peter ißt lieber Gulasch als (er) Pilze (ißt) Peter hat weniger Geld als Günther (Geld hat)

Tilgung bei referenzidentischen (68) x

Substantivgruppen:

„ . Peter

, , (daß er Anna yqesehen hat behauptet, . r , , , [Anna gesehen zu haben ,. „ Idaß sie sich untersuchen läßt Peter bittet Anna, { . , , , [sich untersuchen zu lassen „ , . , , (daß er sich untersuchen läßt Peter verspricht Anna, { . , . , , . (sicA untersuchen zu lassen

Reduktion bei Antworten auf Ergänzungsfragen: (69)

Wer hat angerufen? Klaus (hat angerufen) Wo warst du? (Ich war) in Potsdam

Eine Reduktion ist auch mit der Abwandlung verbunden, die in § 87 als „Kondensation" behandelt wurde, also bei Relativsatzreduktionen und Substantivierungen. Hier werden für die Bedeutung des Satzes unwichtige Konstituenten wie z. B. kopulaähnliche Verben getilgt. Unter der gegebenen Voraussetzung, daß die semantische Struktur direkt mit der syntaktischen Grundstruktur verbunden ist, ergibt sich in allen beschriebenen Fällen das Kriterium zur Bestimmung der Grundstruktur ganz von selbst: — Derjenige Satz, der die semantische Struktur syntaktisch expliziter wiedergibt, steht der Grundstruktur näher, Strukturen mit getilgten Konstituenten sind abgewandelt.

Phonologie:

System und

Darstellung

145

5. Strukturelle Homonymie § 92

Strukturelle Homonymie liegt vor, wenn die Mehrdeutigkeit eines Satzes nicht durch die Mehrdeutigkeit einzelner Wörter entsteht, wie in (70)

Wir sahen uns die Abbildungen von Kiefern an

sondern durch unterschiedliche syntaktische Strukturen, die diesem Satz zugeordnet werden können. In den folgenden Beispielen wird die Doppeldeutigkeit jedes Satzes (a) mit Hilfe zweier eindeutiger Sätze (b) und (c) aufgezeigt, die jeweils eine der Bedeutungen von (a) paraphrasieren: (71a) (71b) (71c)

Er hat den Springer gezogen und verloren Er hat den Springer gezogen und ihn verloren Er hat den Springer gezogen und das Spiel verloren

(72a) (72b) (72c)

Die Kinder wurden von den Erwachsenen getrennt Die Erwachsenen trennten die Kinder voneinander Man trennte die Kinder von den Erwachsenen

(73a) (73b) (73c)

Karls Entdeckung überraschte alle Was Karl entdeckte, überraschte alle Daß man Karl entdeckte, überraschte alle

Die Beispiele zeigen, daß Mehrdeutigkeit oft dann entsteht, wenn in Struktur und Morphembestand unterschiedliche Sätze sich durch Kondensation oder andere syntaktische Umformungen angeglichen haben. Als neues Kriterium können wir für diesen Fall anführen: — Steht ¿in Satzpaar — bestehend aus einem ein- und einem mehrdeutigen Satz — im Abwandlungsverhältnis, dann steht der eindeutige Satz der Grundstruktur näher als der mehrdeutige. Auf die Beispiele bezogen heißt das.: Jeder Satz (a) bildet mit (b) und (c) jeweils ein Paar; (b) und (c) realisieren die jeweilige Grundstruktur direkter, (a) realisiert eine Abwandlung davon, deren Wirkung die Mehrdeutigkeit von (a) ist. Zusammenfassend kann festgestellt werdefi, daß die syntaktische Charakteristik eines Satzes zwei Schichten umfassen kann: Grundstruktur und abgewandelte Struktur. Wird die Struktur eines Satzes als abgewandelt charakterisiert, so kann die dazugehörige Grundstruktur nicht direkt identifiziert werden, sondern sie kann ihm nur mit Hilfe festgelegter genereller Abwandlungsbeziehungen zugeordnet werden.

1.6.

Die phonologische Komponente

1.6.0.

Die phonologische Komponente i m Sprachsystem u n d in d e r G r a m m a t i k

§ 93

Analog zu den anderen Komponenten sind auch die phonologische Komponente des objektiv existierenden Sprachsystems und die phonologische Komponente 10 Deutsche Gramm.

146

1.6. Phonologische

Komponente

seiner wissenschaftlichen Widerspiegelung, der Grammatik, voneinander zu unterscheiden. Die phonologische Komponente des Sprachsystems beinhaltet die Gesamtheit aller Regularitäten, die — erstens die gegenseitige Zuordnimg von syntaktischen Wortgruppenund Wortstrukturen einerseits und Lautstrukturen andererseits und — zweitens den inneren Aufbau der Lautstrukturen, soweit dieser für den Inhalt der sprachlichen Äußerungen relevant ist, innerhalb des Satzes bestimmen. Sie umfaßt also die Regelmäßigkeiten der Seite der Sprache, die in der sprachlichen Kommunikation unmittelbar lautlichmateriell in Erscheinung tritt. Auf der Ebene der Grammatik werden die objektiv gegebenen Eigenschaften und Regularitäten der phonologischen Komponente des Sprachsystems zum Zwecke ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis dargestellt. Eine solche Darstellung geschieht niemals voraussetzungslos, sondern stets auf der Basis bestimmter theoretischer Grundannahmen über die Form und die Funktion der Grammatik im allgemeinen und der Phonologie im besonderen. Sie ist weiterhin in starkem Maße abhängig davon, welchen praktischen und theoretischen Aufgaben die Grammatik dienen soll. Daraus ergibt sich, daß die phonologisöhe Komponente des Sprachsystems einer Sprache auf sehr unterschiedliche Weise beschrieben werden kann. Das bedeutet aber nicht, daß alle möglichen phonologischen Beschreibungen gleichwertig seien und die Wahl zwischen ihnen eine willkürliche Entscheidung sei. Der Wert einer wissenschaftlichen Beschreibung (und damit der ihr zugrunde gelegten theoretischen Grundannahmen) ist in allererster Linie dadurch bestimmt, in welchem Maße sie die wesentlichen Eigenschaften ihres Gegenstandes erfassen kann. So muß auch die phonologische Komponente einer Grammatik beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung der Grammatiktheorie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wenn sie die phonologische Komponente des Sprachsystems in hinlänglich angemessener Weise widerspiegeln soll. Hieraus ergibt sich die Frage, was nun die wesentlichen und spezifischen Eigenschaften der phonologischen Komponente des Sprachsystems sind, die auf der Ebene der grammatischen Beschreibung entsprechend berücksichtigt werden, müssen. Diese Frage soll im folgenden kurz beantwortet werden.

1.6.1.

Phonologische und phonetische Ebene

§ 94

Die phonologische Struktur sprachlicher Äußerungen, ihre Lautstruktur, zeichnet sich dadurch aus, daß sie auf zweifache Weise determiniert ist: Sie wird einerseits durch den Charakter des Sprachsystems als eines Zeichensystems (s. § 4) und andererseits durch die Beschaffenheit des menschlichen Artikulations- und Perzeptionsapparates, der Sprachorgane im weitesten Sinne, bestimmt. Diese doppelte Determinierurig bedingt die Spezifik der phonologischen Struktur, die im Vorhandensein zweier unterschiedlicher Schichten von Struktureigenschaften besteht, von denen eine stärker mit der Sprache als Zeichen-

I'honologische und phonetische Ebene

147

system, die andere mit den Sprachorganen verbunden ist. Wir können somit feststellen, daß die Lautstruktur über zwei verschiedene Ebenen verfügt, auf denen die beiden Schichten phonologischer Struktureigenschaften, die sich zumindest partiell widersprüchlich zueinander verhalten, zum Ausdruck kommen, nämlich: 1. eine Ebene, auf der die lautlich-formalen Korrelate der Einheiten der Wortstruktur, also Basis-, Flexions- und Wortbildungsformative in jeweils einheitlicher Form (Grundform), d. h. als einheitliche Zeichen, repräsentiert sind, unabhängig davon, welche lautlich bedingten Modifizierungen (Anpassungen im weitesten Sinne) sie im konkreten Wortbzw. Satzzusammenhang erfahren; 2. eine Ebene, auf der die lautlich-formalen' Korrelate der Einheiten der Wortstruktur nicht mehr in jeweils einheitlicher Form repräsentiert sind, sondern in der Form erscheinen, die sie im konkreten Wort- u n d Satzzusammenhang annehmen; d. h. die Formative sind ihrer Lautumgebung und damit zugleich den Bedingungen des menschlichen Artikulations- und Perzeptionsapparates angepaßt. Wir wollen die erstgenannte Ebene als Ebene der phonologischen Repräsentation (phonologische Ebene), die zweitgenannte als Ebene der phonetischen Repräsentation (phonetische Ebene) bezjeichnen. Auf der phonologischen Ebene erscheinen die Formative im Vergleich mit ihrer in der Kommunikation auftretenden Lautform in einer relativ abstrakten Form. So sind hier beispielsweise die Basisformative von Wörtern wie Bund und reisen innerhalb der Äußerungen einheitlich als /bund/ und ,/raez/ repräsentiert, obwohl ihr jeweils letzter Konsonant abhängig von seiner Lautumgebung einmal stimmhaft und einmal stimmlos ausgesprochen wird, vgl. Bunde mit [d] und Bund mit [t] bzw. reisen mit [z] und er reist mit [s], denn es handelt sich dabei um das jeweils gleiche sprachliche Zeichen. Andererseits erscheinen auf dieser Ebene die Basisformative von Bund und Sunt, von er reist und er reißt unterschiedlich als /bund/, aber /bont/ bzw. als /raez/, aber /raes/, wenn die erwähnten Formen auch völlig gleich ausgesprochen werden, denn sie enthalten unterschiedliche Basisformative. Die kleinsten segmentalen, d. h. linear aufeinanderfolgenden Einheiten der phonologischen Ebene, aus denen sich die Formative zusammensetzen, sind die Phoneme. So enthält z. B. das Basisformativ /bun^/ die vier Phoneme /b/, /u/, /n/ und /d/ in der gegebenen Reihenfolge. Die Aussage, daß auf der phonologischen Ebene die Formative in jeweils einheitlicher Form repräsentiert sind, bezieht sich darauf, daß auf dieser Ebene die durch die Lautumgebung bedingten (also phonologischen) Modifizierungen (wie etwa die „AuslautVerhärtung" in der Form Bund [bont]) noch nicht berücksichtigt sind. Demgegenüber gibt es im Deutschen wie auch in anderen Sprachen Formative, die über verschiedene morphologisch bedingte Varianten verfügen. Solche Varianten erscheinen im Deutschen beispielsweise in Fällen wie Vater — Väter, Bock — Böeke, geben — gaben usw., wo Umlaut und Ablaut in den Formativen grammatische Kategorien wie Plural und Präteritum bezeichnen. Morphologisch bedingte Varianten von Formativen sind bereits auf der phonologischen Ebene spezifiziert, vgl. /fa:ter/ 10*

148

7.6'. Phonologisclie Komponente ~ /fe:ter/, /bok/ ~ /boek +e/, /ge:b t-en/ ~ /ga:b - en/ usw. (s. auch Kap. 3.1., 3.2. und 7).

§ 95

Auf der phonetischen Ebene sind die Äußerungen in einer Form repräsentiert. in der alle grammatisch-kommunikativ bedeutsamen Lauteigenschaften der Äußerungen und nur diese in Erscheinung treten. Auch diese Ebene stellt damit keine vollständige Beschreibung der Lauteigenschaften der Äußerungen dar. Sie vernachlässigt alle diejenigen lautlichen Charakteristika, die jenseits der Grenze freier Variation liegen. Auf der phonetischen Ebene sind alle die Laute unterschieden, die die Sprecher einer Sprache bei der Lautproduktion und -perzeption voneinander unterscheiden können. Sic entspricht etwa der phonetischen Transkription der A. P. I. (Association Phonetique Internationale), wie sie /.. B. auch im »Wörterbuch der deutschen Aussprache« ( = W . D. A.) Verwendung findet. Em Verzeichnis der verwendeten Lautsymbole befindet sich am Ende des Kap. 7.

Die oben erwähnten acht Formen sind auf dieser Ebene folgendermaßen repräsentiert : (74)

Bund bunt er reist er reißt

: [bunt ] : [bont j :[raest|, : [raest |

- Bunde - hu nie — reisen — reißen

: [hondo | : [bunto| : [raezon] : [raeson]

Die kleinsten segmentalen Einheiten der phonetischen Ebene wollen wir Laute nennen. Die Lantforni [bont | (ganz gleich, ob sie fiir Bund oder bunt steht) besteht aus den Lauten [bj, [oj, [n] und [tj.

1.6,2.

Phonologische Einheiten

g 9£

I m vorangehenden Abschnitt wurden die Phoneme als die kleinsten aufeinanderfolgenden Einheiten der phonologischen Ebene und die Laute als die kleinsten aufeinanderfolgenden Einheiten der phonetischen Ebene charakterisiert. Phoneme und Laute wollen wir zusammenfassend als Segmente bezeichnen. Doch nicht die Segmente-bilden die kleinsten Einheiten der phonologischen Komponente, denn sie sind ihrerseits aus kleineren Einheiten zusammengesetzt. Das wird u. a. dann sichtbar eun in den Formen eines Wortes verschiedene Segmente miteinander wechseln. Vgl. z. B. (75)

Diebe Bunde Berge brave Kreise

[b] [d| [g| [v] [z|

— —

Dieb [p| Bund [t| Berg [k| brar [f | Kreis [s|

Aus diesem Beispiel ist zweierlei zu ersehen: Erstens erfaßt der Wechsel nicht, beliebige Segmente, sondern genau diejenigen, die die Eigenschaften haben. Obstruent (Geräuschlaut) und stimmhaft zu sein. Zweitens wechselt nicht eigent-

Phonologische

Einheiten

149

lieh das gesamte Segment, sondern n u r eine Eigenschaft des S e g m e n t s : Aus s t i m m h a f t e n Obstruenten werden u n t e r b e s t i m m t e n Bedingungen stimmlose. Die betreffenden Segmente bleiben konsonantisch, nichtsilbisch, nichtnasal usw. Die wirklich kleinsten Einheiten der phonologischen K o m p o n e n t e sind also sprachlich relevante Lauteigenschaften wie .obstruent', . s t i m m h a f t ' usw., die phonologische Merkmale g e n a n n t werden. Die Segmente sind K o m b i n a t i o n e n von artikulatorisch und auditiv (d. h. in der Sprachproduktion u n d -perzeption) im Prinzip gleichzeitig gebildeten oder aufgenommenen phonologischen Merkmalen, Merkmalbündel. Auf der phonologischen E b e n e wird durch die Merkmale das Vorhandensein bzw. das Nichtvorhandensein von L a u t e i g e n s c h a f t e n u n d d a m i t die I d e n t i t ä t oder Verschiedenheit von sprachlichen Zeichen signalisiert. Hier sind die Merkmale demzufolge generell zweiwertig. Auf der phonetischen Ebene charakterisieren sie dagegen die materiellen Korrelate der n a t ü r lichen Sprache. Deshalb sind auf dieser E b e n e graduelle Realisierungen von Merkmalen möglich, sie können also auch verschiedene Zahlenwerte a n n e h m e n . Beispielsweise sind die Vokale phonetisch gesehen nicht einfach , + r u n d ' bzw. .— rund", sondern verfügen über verschiedene R u n d u n g s g r a d e . F ü r Zwecke der praktischen Beschreibung der phonologischen K o m p o n e n t e eines S p r a c h s y s t e m s k o m m t m a n jedoch (abgesehen von den Akzentverhältnissen) im wesentlichen mit einer zweiwertigen Spezifizierung der phonologischen Merkmale aus. „Plus" bzw. „Minus"' bezeichnen das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein der d u r c h das Merkmal bezeichneten Lauteigenschaft auf der jeweiligen Ebene. Beispielsweise ist das P h o n e m / u / in Bund, bunt usw. durch die folgenden phonologischen Merkmale charakterisiert: (76)

+ + + -

konsonantisch silbisch vorn hoch niedrig rund lang

Dieses Phonem ist also ein nichtkonsonantisches, silbisches, nichtvorderes, hohes, nichtniedriges, rundes u n d nichtlanges Segment. Wenn wir es als / o / wiedergeben, so benutzen wir lediglich eine abgekürzte Schreibweise f ü r das Merkmalbündel in (76). ohne d a ß sich d a d u r c h substantiell etwas ä n d e r t . Als Einheiten der phonologischen K o m p o n e n t e fungieien jedoch nicht nur die Segmente und Merkmale. Für die lautliche Realisierung der Wörter u n d W o r t gruppen ist g a n z entscheidend, wie eng die Formative einer Äußerung miteinander v e r k n ü p f t sind. Die F o r m a t i v e sind untereinander d u r c h verschiedenartige phonologische (jrenzen verbunden. Hierbei sind zunächst Formativgrenzen, Wortgrenzen u n d Satzgrenzen zu unterscheiden. Die Formativgrenzen t r e n n e n die F o r m a t i v e innerhalb eines Wortes, die Woitgrenzen signalisieren den W o r t a n f a n g u n d d a s Wort ende, und die Satzgrenzen schließen die Satze ein. Die Grenzen dieses T y p s

150

1.6. Phonologische

Komponente

ergeben sich aus den syntaktisch-morphologischen Charakteristika der Wortund Wortgruppenstruktur. Satz- und Wortgrenzen können fakultativ durch Sprechpausen realisiert werden, Formativgrenzen innerhalb der Wörter dagegen nicht. § 98

Einen besonderen Typ phonologischer Grenzen stellen die Silbengrenzen dar, durch die die Lautäußerungen in Silben gegliedert werden. Die Silbengrenzen sind strikt phonologisch in dem Sinne, daß ihre Plazierung unabhängig von der syntaktisch-morphologischen Struktur des Wortes ist. Die Silbe hat keine Entsprechung in den anderen Komponenten des Sprachsystems (vgl. K a p . 7.2.). Silben sind nach lautlichen Prinzipien zusammengefaßte Segmentfolgen. Anders als die übrigen Grenzen sind die Silbengrenzen nicht in der phonologischen Repräsentation enthalten, sondern ergeben sich auf Grund genereller Regeln. Man muß nicht bei jedem Wort der Sprache die Silbenstruktur im einzelnen erlernen. Die Aufbauprinzipien der Silben, d. h. die Silbenregeln, unterscheiden sich oftmals von Sprache zu Sprache. I m allgemeinen hat jede Silbe einen Vokal als Silbenkern, wie es z. B. auch alle betonten Silben des Deutschen zeigen. Seltener sind silbische Konsonanten als Silbenkerne, wie sie im Deutschen in bestimmten unbetonten Silben auftreten können, vgl. ['rae — san] und ['rae — sp], ['ga: — bol] und ['ga: — bj] usw. Die Silbe bildet eine wichtige phonologische Einheit, da die Silben die eigentlichen Träger derjenigen phonologisehen Merkmale darstellen, die von den einzelnen Segmenten weitgehend unabhängig sind wie beispielsweise Betonung (Akzent) und Tonhöhe. Solche Merkmale suprasegmentaler Art werden in phonologischen Beschreibungen der Übersichtlichkeit halber oft als Merkmale des Silbenkerns (in der Regel also des Vokals) klassifiziert. Daß sie jedoch nicht nur diesen betreffen, ergibt sich u. a. bereits daraus, daß in betonten Silben nicht nur die Vokale länger sind als in unbetonten, sondern betonte Silben im aligemeinen in allen ihren Segmenten länger sind als unbetonte. Aus diesem Grunde tendieren unbetonte Silben stärker zur Reduktion als betonte. Trotz der wichtigen Rolle der Silbe in der Lautstruktur der Sprache (s. besonders Käp. 6) und obwohl jeder normale Sprecher die Silben in einer Lautäußerung ohne Schwierigkeiten ausmachen kann, gibt es in der Sprachwissenschaft noch keine nur annähernd einheitlich akzeptierte Silbendefinition. Ein guter Überblick über die Silbenproblematik und die wichtigsten Silbendefinitionen findet sich in VON ESSEN (1966), S. 126-136.

1.6.3.

Phonologische Regularitäten

§ 99

Wie die anderen Komponenten des Sprachsystems, so verfügt auch die phonologische Komponente nicht nur über spezifische Einheiten, sondern auch über spezifische Regularitäten. Bei den phonologischen Regularitäten sind zwei grundsätzlich verschiedene Typen zu unterscheiden, nämlich 1. 2.

Alternationsregeln (phonologische Regeln im engeren Sinne), Strukturregeln (Strukturbedingungen).

Phonologische

Regularitäten

151

Die Alternationsregeln verbinden die Repräsentationen der phonologischen u n d der phonetischen Ebene miteinander. Sie passen die Formative an die Umgebung an, indem sie die Werte von Merkmalen in bestimmten Umgebungen entsprechend verändern. So gibt es im Deutschen eine Alternationsregel (die sogenannte „Auslautverhärtung"), die stimmhafte Obstruenten (Geräuschlaute) stimmlos macht, wenn sie (a) vor einer Silbengrenze oder (b) vor einem stimjnlosen Konsonanten stehen. Diese Regel ist verantwortlich f ü r die bereits mehrfach zitiert e t Alternationen wie [bonda] ~[bunt], [raezan] ~[raest] usw. Die Regel läßt sich folgendermaßen darstellen: (77)

[ + obstruent] - [ - stimmhaft] / i

Die Regel ist zu lesen: Ein obstruentes Segment wird stimmlos, wenn ihm eine Silbengrenze oder ein weiteres stimmloses Segment folgt (das faktisch nur ein weiterer Obstruent sein kann). Es ist leicht zu sehen, daß diese Regel Assimilationscharakter hat, denn in stimmloser Umgebung und vor Silbengrenzen sind stimmlose Obstruenten leichter zu realisieren als stimmhafte. Damit wird auch die Funktion solcher phonologischer Regularitäten deutlich. Sie besteht in der Lösung des erwähnten Widerspruchs zwischen den beiden E b e n e n : Die phonologischen Alternationsregeln gewährleisten die dialektische Einheit von semiotisch-konzeptueller Identität und lautlicher Variabilität sprachlicher Zeichen. Sie verändern die phonetische Form der Formative, ohne daß diese dadurch zu anderen Zeichen werden. Phonologische Alternationsregeln bertreffen nicht nur segmentale Eigenschaften, sondern können auch die suprasegmentale Struktur der Äußerung, also Merkmale wie Betonung und Tonhöhe, umgebungsabhängig, d. h. im Satzzusammenhang festlegen und modifizieren. Phonologische Alternationsregeln stellen damit Beziehungen her, die in bestimmter Hinsicht den syntaktischen Abwandlungsbeziehungen (s. 1.5.) vergleichbar sind. Der Anwendungsbereich der phonologischen Alternationsregeln, die die segmentale Struktur modifizieren, ist im allgemeinen das Wort. Sie beziehen sich also auf Segmentfolgen, die wohl Formativgrenzen, aber keine Wortgrenzen enthalten können. Eine solche Regel ist z. B. die „Auslautverhärtung" (77). Es gibt auch einzelne segmentale Regeln, deren Anwendung auf den Bereich des Formativs eingeschränkt ist (vgl. Regel (52) in 7.4.3.2.), und andere, die auf Wortgruppen oder ganze Sätze angewandt werden. Komplizierter stellt sich die Problematik des Anwendungsbereichs der suprasegmentalen Regeln dar. Die Akzentregeln beispielsweise werden beim Wort beginnend auf immer größere syntaktische Einheiten bis hin zum Satz angewandt. Zu den Regeln f ü r die Intonation s. Kap. 6. §100

Einen anderen Charakter haben die Strukturregeln. Sie bewirken keine Alternationen zwischen den Formen der Wörter. Phonologische Strukturregeln stellen vielmehr die Prinzipien dar, nach denen die Segmente, Formative u n d Wörter einer Sprache aus zweiwertig spezifizierten phonologischen Merkmalen aufgebaut sind. Aus diesem Grunde werden sie zur Unterscheidung von den Alternationsregeln oft auch als Strukturbedingungen bezeichnet. Es gibt drei Arten von Strukturbedingungen: Segmentstrukturbedingungen, Formativ-

152

1.7. Beziehungen zwischen den Schichten der

Äußerungsstruktur

strukturbedingungen und Wortstrukturbedingnngen. Es ist z. B. eine bekannte Tatsache, daß es im Deutschen keine nasalen Vokale gibt. Es existiert alsd eine Segmentstrukturbedingung, die wie folgt dargestellt werden k a n n : (78)

[" — konsonantisch] [ + silbisch J I [ — nasal]

Ein nichtkonsonantisches silbisches Segment (also ein Vokal) ist zugleich immer auch nichtnasal. (Streng genommen ist (78) nur ein Ausschnitt einer umfassenderen Strukturbedingung; vgl. Kap. 7.5.2.1.) Weiterhin gibt es etwa eine Strukturbedingung für Basisformative, die festlegt, daß ein anlautender Spirant (Reibelaut) vor /p/ und /t/ immer ein /// ist, vgl. (79)

+|"+

konsonantisch] i p j [ + dauernd J \t / I

s Die Merkmale , + konsonantisch, + dauernd' charakterisieren einen Spiranten, „ + " steht für die Formativgrenze. Es ist leicht zu sehen, daß solche Strukturbedingungen nicht nur linguistische Beschreibungsmittel sind. Sie treten nämlich immer dann in Erscheinung, wenn Wörter aus anderen Sprachen mit abweichender phonologischer Struktur entlehnt werden: Wörter aus dem Französischen wie Balkon oder Bassin, die in ihrer Ursprungssprache [bal'kö] und [ba'se] ausgesprochen werden, erscheinen deutsch als [bal'kor)] und [ba'seq], d. h. mit nichtnasalen Vokalen. Ähnlich werden Wörter wie Stereo, Sputnik und Status im Deutschen normalerweise (d. h. von Sprechern ohne entsprechende Fremdsprachenkenntnis) mit anlautendem [J] gesprochen, obwohl sie in ihren Herkunftssprachen mit [s] anlauten, vgl. russisch ['sputnik]. Auch die Strukturbedingungen sind also Gegebenheiten der phonologischen Komponente des objektiv existierenden Sprachsystems, denen eine phonologische Beschreibung Rechnung tragen muß. Damit wollen wir die kurze Skizzierung der Ebenen, Regularitäten und der wichtigsten Einheiten der phonologischen Komponente abschließen. Sie konnte sich nur auf die wirklich grundlegenden phonologischen Eigenschaften beziehen, die die Stellung der phonologischen Komponente im Gesamtsprachsystem bestimmen. Von ihnen abgeleitete Charakteristika werden in den Kap. 6. und 7. direkt eingeführt.

1.7.

D i e Beziehungen zwischen den Schichten der Ä u ß e r u n g s s t r u k t u r

1.7.0.

Einleitung

§101

Die verschiedenen Strukturschichten der Äußerung hängen miteinander zusammen. Sowohl ihr Aufbau als auch ihr gegenseitiger Zusammenhang sind durch das Sprachsystem bedingt. Die Beschreibung des Zusammenhangs der verschie-

Einleitung

153

denen Schichten der Äußerungsstruktur ist eine Aufgabe der Grammatik. Sie ist nicht zu verwechseln mit der psycholinguistischen Aufgabe, die aktuelle Bildung und das aktuelle Verständnis von Äußerungen zu beschreiben. I n der aktuellen Bildung von Äußerungen werden die verschiedenen Strukturschichten nicht eine nach der anderen aufgebaut. E s wird nicht zuerst eine abstrakte, unanschauliche semantische bzw. inhaltliche Struktur entwickelt, die dann in die syntaktische Struktur „übersetzt" wird. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß bestimmte Grundprozesse auf semantischer, syntaktischer und phonologischer Ebene zugleich ablaufen. Die Grammatik stellt nicht diesen Vorgang dar. Sie beschreibt aber, indem sie die regulären, vom Sprachsystem bestimmten Beziehungen zwischen den Schichten der Äußerungsstruktur beschreibt, einen Teil der Voraussetzungen solcher Prozesse. §102

Ihrer semantischen Struktur nach ist die Äußerung ein Komplex von Propositionen, die jeweils einzelne Seiten, Teilsachverhalte eines komplexen Sachverhalts der Wirklichkeit ideell abbilden. Die Propositionen sind auf vielfältige Weise untereinander integriert; s. dazu 1.2.4. Die kommunikativ-pragmatische Struktur der Äußerung bildet einen Komplex von Propositionen, dessen Prädikate bestimmten Kategorien des inneren Modells des Kommuhikationsvorganges entsprechen, dessen Argumente auf der einen Seite die persönlichen Voraussetzungen und gegenständlichen Bedingungen des Kommunikationsvorganges, auf der anderen Seite aber die Äußerung selbst, ihre semantische Struktur insgesamt oder bestimmte Teilkomplexe der semantischen Struktur bilden (1.3.). Der Komplex von Propositionen, der aus der kommunikativ-pragmatischen und der semantischen Struktur besteht, ist der Inhalt der Äußerung (1.4.). Ihrer syntaktischen Struktur nach ist die Äußerung ein Satz oder eine Folge von Sätzen. Jeder Satz ist — im Gegensatz zum Inhalt — nicht nur hierarchisch, sondern auch linear organisiert. Die aufeinanderfolgenden Sätze sind syntaktisch miteinander durch Kongruenz, durch anaphorische Pronomina usw. verbunden. Bestimmte Abwandlungen der Satzgliedstellung integrieren den einzelnen Satz in die Folge. In die Struktur der Sätze sind Einheiten einer anderen Art eingeschachtelt, die Wörter (1.5.). Sie haben teilweise eine eigene interne S t r u k t u r und eigene Beziehungen zum Inhalt und zur Lautform der Äußerungen. Phonologisch ist die Äußerung auf zwei Ebenen strukturiert: als die Folge der phonemischen Segmente, aus denen sich die Formative, die Lautkörper der Wörter und Morpheme, aufbauen, und als eine Folge von Tongruppen, d. h. von intonatorischen Einheiten und deren Untereinheiten. Die beiden Ebenen sind durch die Silbengliederung der Äußerung miteinander verbunden. Sowohl der Aufbau als auch die gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen Schichten sind durch das Sprachsystem determiniert (1.1., § 5 u. § 8). Zum Verhältnis von semantischer und kommunikativ-pragmatischer Struktur vgl. 1.4. Das Verhältnis zwischen semantischer und phonologischer Struktur ist durch die syntaktische Struktur vermittelt. Zwischen kommunikativ-pragmatischer Struktur und phonologischer Struktur gibt es enge Beziehungen. Sie erscheinen jedoch, wenn man — vgl. 1.3.5. — einen

154

1.7. Beziehungen zwischen den Schichten der

Äußerungsstruktur

syntaktischen Repräsentanten der kommunikativ-pragmatischen Struktur in Gestalt der Satzintention annimmt, gleichfalls als syntaktisch-phonologische Beziehungen. Damit nimmt die syntaktische Struktur mit ihren Grundeinheiten Satz und Wort einen zentralen Platz in der Gesamtstruktur der Äußerung ein. Das entspricht dem Charakter der syntaktischen Struktur als eines Vermittlers zwischen dem Inhalt der Äußerung und ihrer Lautform, als eines notwendigen Zwischengliedes in der Laut-Bedeutungs-Zuordnung (1.1., § 1). Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen stehen dabei die Beziehungen zwischen den inhaltlichen Strukturschichten und der syntaktischen Struktur.

1.7.1.

Der Satz als zentrale Einheit in der Struktur der Äußerungen

§103

Der Satz ist die syntaktische Einheit, in deren Rahmen auf die Kommunikationssituation bezogene Abbilder von Sachverhalten der Wirklichkeit mit aussprechbaren und wahrnehmbaren Lautformen verbunden sind. Der Satz ist sowohl hierarchisch als auch linear ^organisiert. Seine untersten Einheiten, die Wörter (bzw. die Morpheme, die die Wortstruktur ausmachen), verbinden Teilcharakteristika von Sachverhalten mit Formativen, d. h. mit Folgen von phonemischen Segmenten. Daraus ergibt sich die Verbindung eines auf Gegenstände beziehbaren Abbildtyps auf der einen und dessen Repräsentation durch eine Kette von phonemischen Segmenten auf der anderen Seite. Der aktuelle Bezug der Sachverhaltsbeschreibung auf Gegenstände der Wirklichkeit (s. 1.2.3.) erfolgt im Satz als Ganzem, ebenso der Bezug des Sachverhaltsabbildes auf die Voraussetzungen und Bedingungen der Kommunikationssituation. Die intonatorische Gliederung, der die Lautfolge unterliegt, orientiert sich sowohl an der Wortgruppenstruktur des Satzes als auch an seinen (syntaktisch vermittelten) kommunikativ-pragmatischen Charakteristika.

§104

Der Satz als oberste syntaktische Einheit hat keine direkten Entsprechungen in den Einheiten der anderen Schichten der Äußerungsstruktur. Die verschiedenartigen Komplexe von Propositionen, die die semantischen Strukturen von Äußerungen bilden, können über den Rahmen der Bedeutungen einzelner Sätze weit hinausgehen. Die Tongruppenfolge, in der sich die Lautform der Äußerung organisiert, ist kein direktes Korrelat ihrer syntaktischen Gliederung in aufeinanderfolgende Sätze. Trotzdem fallen die Grenzen der Einheit „Satz" stets mit relevanten Grenzen innerhalb der anderen Strukturschichten zusammen. a) In einer Äußerung, die aus mehreren Sätzen besteht, entspricht "die Bedeutung eines jeden Satzes einem relativ in sich abgeschlossenen Teilkomplex der gesamten semantischen Struktur der Äußerung (vgl. dazu 1.7.2.). b) Innerhalb einer Folge von Tongruppen fallen die Grenzen von aufeinanderfolgenden Sätzen stets mit Grenzen zwischen Tongruppen zusammen, so daß semantische Struktur und phonologische Struktur immer da in ihrer Gliederung übereinstimmen, wo dies durch Satzgrenzen in der syntaktischen Struktur

Satz als zentrale

Einheit

155

vermittelt ist. An diesen Stellen (in der letzten Tongruppe eines Satzes) werden dementsprehend auch die Tonhöhenverläufe anders interpretiert als in nichtletzten Tongruppen. Die Grenzen der Tongruppen innerhalb einer dem Satz entsprechenden Folge stimmen nicht in jedem Fall mit den syntaktischen Grenzen überein. Ihre Beziehung zur Wortgruppenstruktur des Satzes ist aber keineswegs willkürlich und zufällig. Die Tongruppen zeigen charakteristische Tonhöhen-Verläufe. Ihre Form ist kommunikativ-pragmatisch bestimmt. Die Stelle jedoch, an der das charakteristische Tonmuster erscheint, ist syntaktisch determiniert. Das gilt insbesondere auch für das Rhema, d. h. für die Stelle, an der das für die kommunikativ-pragmatische Funktion des Satzes charakteristische Tonmuster erscheint. Die Selektion des Rhemas hängt weitgehend von internen syntaktischen Bedingungen des jeweiligen Satzes ab, die Interpretation des Tonmusters ist u. U. je nach der syntaktischen Form des Satzes unterschiedlich. c) Der Satz ist auch die Einheit, in deren Rahmen sich kommunikativ-pragmatische Bedingungen auswirken (s. 1.3.5.). Sie wirken sich in verschiedenartiger Weise auch auf die Grundstruktur des Satzes aus (Auftreten von Pronomina der ersten oder zweiten Person, Determination anderer Substantivgruppen,. Wahl des Verbmodus, Auftreten bestimmter modaler Adverbien). In vielen Fällen sind kommunikativ-pragmatische Bedingungen mit Abwandlungen der syntaktischen Grundstruktur verbunden (Satzgliedstellung, Verbstellung in Fragesätzen u. a. m.). §105

Die in § 104 genannten und in 1.3.5. ausführlicher angegebenen Beziehungen zwischen der kommunikativ-pragmatischen und der syntaktischen Struktur werden in den »Grundzügen« als innersyntaktische Beziehungen zwischen den beiden Hauptkonstituenten des Satzes, der Satzintention (SI) und der Satzbasis (SB) beschrieben. Satzbasis und Satzintention bilden zusammen den Satz (s. 1.5.7. sowie Kap. 2.2.1.). Erscheint SI als der syntaktische Repräsentant der kommunikativ-pragmatischen Struktur, so ist SB, das zugleich die oberste Einheit in der Hierarchie der Wortgruppen ist, der syntaktische Repräsentant der semantischen Struktur. Das ist nicht so zu verstehen, daß SB nur und ausschließlich durch semantische Faktoren bestimmt ist. SB drückt auch bestimmte durch SI vermittelte kommunikativ-pragmatische Charakteristika des Satzes aus. Das gilt sowohl für die syntaktische Grundstruktur als auch für bestimmte Arten von abgewandelten Strukturen. SB ist aber auch keine direkte Reproduktion der semantischen Struktur. Die in 1.5. beschriebenen syntaktischen Einheiten und Beziehungen sind nicht mit den Einheiten und Beziehungen identisch, die in der semantischen Struktur gelten (s. dazu § 104). Das gilt naturgemäß noch stärker für die Sätze mit abgewandelter Struktur als für solche, die die Grundstruktur mehr oder weniger direkt realisieren. Die SB ist vielmehr insofern als syntaktischer Repräsentant der semantischen Struktur zu betrachten, als sie derjenige Teil des Satzes ist, der den in § 104 beschriebenen partiellen Zusammenfall von Einheiten des Inhalts und der

156

1.7. Beziehungen

zwischen

den Schichten

der

Äußerungsstruktur

L a u t f o r m t r ä g t . Die folgenden Abschnitte zeigen verschiedene Einschränkungen dieser Koinzidenz und skizzieren, wie sie sich in deren R a h m e n im einzelnen realisiert.

1.7.2.

S ä t z e und Satzfolgen und ihre Beziehungen z u m Ä u ß e r u n g s i n h a l t

§ 106

Indem die Grammatik a) die allgemeinen Formen und Bedingungen für den Aufhau semantischer Strukturen beschreibt und indem sie b) die Äußerungen als Gebilde aus einem Satz oder als syntaktisch verbundene Folgen von mehreren Sätzen charakterisiert, gibt sie faktisch zugleich bestimmte notwendige Bedingungen d a f ü r an, d a ß Satzfolgen als Texte verschiedener Art fungieren können; oder daß Inhalte irgendwelcher Art Inhalte von Texten sein können. Sie sagt jedoch nichts über die Spezifik von Texten. Diese ist Gegenstand einer linguistischen Texttheorie. Die linguistische Texttheorie setzt die von der Grammatik beschriebenen notwendigen Bedingungen des Aufbaus von Äußerungen voraus. Bezüglich ihrer Eigenschaften als T e x t e sind die Äußerungen nicht von den Komponenten des Sprachsystems, wie sie in 1.2. — 1.6. dargestellt wurden, determiniert. Satzfolgen wie (80) sind semantisch, k o m m u n i k a t i v - p r a g m a t i s c h u n d s y n t a k t i s c h zulässig. Sie k ö n n e n aber nicht selbständig, sondern allenfalls als Teile von Äußerungen v o r k o m m e n : (80)

Am Zaun steht ein Fahrrad. Das Fahrrad gehört unserm Nachbarn. Unser Nachbar arbeitet in einer Gärtnerei. Die Gärtnerei baut, Gemüse an. Das Gemüse . . .

Derartige S a t z f o l g e n k o m m e n , i n d e m sie das R h e m a des vorangehenden z u m T h e m a tles jeweils folgenden Satzes machen, v o m H u n d e r t s t e n ins Tausendste. Sie entsprechen zwar den k o m m u n i k a t i v - p r a g m a t i s c h e n B e d i n g u n g e n für den A u f b a u solcher Folgen, verletzen aber vermutlich b e s t i m m t e R e g e l n der T e x t k o m p o s i t i o n ; diese scheinen zu verlangen, daß m i n d e s t e n s einer der R e f e r e n t e n i m Verlauf der Äußerung weitergeführt wird.

Die Grammatik m u ß also nicht nur fiir die einzelnen Strukturschiehten der Äußerungen, sondern auch fiir deren wechselseitige Beziehungen vieles als alternativ möglich beschreiben, was vom S t a n d p u n k t anderer Theorien (und namentlich von dem der Texttheorie) aus. strikt determiniert ist. § 107

Über die grammatischen Bedingungen, unter denen eine gegebene semantische S t i u k t u r syntaktisch entweder durch eine Folge von Sätzen oder durch einen einzelnen Satz realisiert wird, ist wenig bekannt. Das gilt auch fiir die Kegeln, die die Reihenfolge der Glieder in Satzfolgen bestimmen. Zunächst ist an die Fälle zu denken, in denen einer Folge von einfach struktulieiten Sätzen ein syntaktisch komplexer Satz entspricht. Zum Teil handelt es sich um Attributionen (vgl. Kap. 2.3.1.3.): (81a)

Man hat uns eine Wohnung angeboten. Die Wohnung / Sie liegt im ersten Stock = Man hat an* eine Wohnung im ersten Stock angeboten

,Salze. Satzjolgen

und

157

Äußerungsinhalt

Zum Teil entspricht einer der .Sätze einem Satzglied des anderen Satzes (vgl. Kap. 5). (81b)

Die Wohnung ist schoti vergeben. Das war uns nicht bekannt = Daß die Wohnung schon vergeben ist, war uns nicht bekannt

Sowohl die Attribution als auch die Besetzung von Satzgliedstellen beruht auf Abwandlung der syntaktischen Grundstrukturen. Die komplexen Sätze konzentrieren die Beschreibui g von Eigenschaften und Beziehungen der Gegenstände auf wenige syntaktische Einheiten. Sie heben die Thema-Rhema-Gliederung der jeweils untergeordneten syntaktischen Einheiten auf oder ordnen sie der des Gesamtsatzes unter. Das läßt darauf schließen, daß die Alternative zwischen Ketten von einfachen Sätzen auf der einen und einzelnen kondensierten, komplexen Sätzen auf der anderen Seite etwas mit der Einteilung der in der Äußerung vermittelten Information in jeweils auf eirmal zu verarbeitende Teilkomplexe zu tun h a t ; es ist jedoch nicht bekannt, welcher Art die Regeln einer solchen Aufteilung sind und unter welchen Bedingungen sie wirksam werden. Deutlich \\ ird der Unterschied zwischen Em- undMehrsatzäußerungen in den Fällen, wo einer Satzfolge mit impliziter kausaler Verknüpfimg om komplexer Satz mit lexikalisch expliziter Bezeichnung der Kausalrelation gegenübersteht. Vgl. (82a) und (82b) und vgl. die Schlußbemerkung zu § 108. (82a) (82b)

Es hat lange geregnet. Die Temperaturen sinken ab Der lange Regen hat ein Absinken der Temperaturen Absinken der Temperaturen

zur Folge / bewirkt

ein

Was die Reihenfolge von Sätzen in Mehrsatz-Äußerungen betrifft, so gibt es dafür einige grammatische Bedingungen. Die eine besagt, daß von zwei Sätzen, die nicht bekannte Gegenstände einfuhren, derjenige am Anfang steht, der eine räumliche oder sonstige situative Einordnurg gibt (d. h., daß die Reihenfolge kommunikativ-pragmatisch und semantisch bedingt ist). Vgl.: (83a)

Auf einem Vorortbahnhof stand ein Zug. Er ivar mit Gleisbanmaterialien beladen (83b) ''•Ein Zug war mit Gleisbaumaterialien beladen. Er stand auf einem Vorortbahnhof (83c) * Mit Gleisbaumaterialifn war ein Zug beladen. Er stand auf einem Vorortbahnhof Eine andere Bedingung besagt. daß Sätze, die ein adjektivisches Prädikativ haben, nicht am .Tnfang \ o n Satzfolgen stehen. Das hängt sieher damit zusammen, daß zwar Sätze wie (84a)

Der Zug war leer

zulassig sind, nicht aber Satze wie (841>)

*Ein Zug war leer

wenn ein Zug partikular und nicht-partitiv gemeint ist (s. Kap. 2.3.1.1.). Derartige Satze können keine nicht bekannten Referenten einführen. Deshalb ist möglich (85a)

Auf einem Vorortbahnhof stand ein Zug. Der Zug war leer

158

1.7. Beziehungen zwischen den Schichten der

Äußerungsstruktur

nicht aber (85b)

*Ein Zug war leer. Er stand auf einem Vorortbahnhof

Vgl. ferner auch Kap. 2.2.1.5., §40, d). § 108

Die Glieder von Satzfolgen enthalten u. V. Bestandteile, die gegenüber der semantischen Struktur der Gesamtäußerung redundant sind (vgl. § 112, d)). Das ist z. B. der Fall, wenn derselbe Referent in mehreren aufeinanderfolgenden Sätzen auftritt: (86a) (86b)

Am Zaun steht ein Fahrrad. Es / Das Fahrrad gehört unserm barn Das Boot ist abgetrieben. Es / Das Boot war schlecht befestigt

Nach-

Zwar ist nach 1.3.4., § 52 anzunehmen, daß Substantivgruppen, die einen in vorangehenden Sätzen eingeführten, im jeweils gegebenen Satz aber unverändert weitergeführten Referenten bezeichnen, nicht mehr semantisch interpretiert werden, sondern lediglich die Aufrechterhaltung der Referenz signalisieren, trotzdem aber enthalten die jeweiligen Nachfolgersätze die Referenzstelle. Die Bedeutungen der Zweitsätze in (86a) und (86b) enthalten je einen Referenten, der auch zum semantischen Bestand der Erstsätze gehört. Es ist nicht anzunehmen, daß dies die genaue Reproduktion der Verhältnisse in einem wesentlich nicht-linear organisierten Gebilde wie der semantischen Struktur der Äußerung ist. Für (86a) läßt sich der hier angenommene Unterschied — in sehr vergröberter Weise — im Vergleich von (87a) und (87b) veranschaulichen; (87a) zeigt das Nebeneinander der Satzbedeutungen, (87b) zeigt die für die Gesamtstruktur angenommene Integration. Die Buchstaben a, b, c bezeichnen die als Argumente figurierenden Referenten, die Wörter stehen an, Zaun usw. bezeichnen Komplexe von semantischen Prädikaten. Jede Strichverbindung zwischen Argumenten und Prädikaten entspricht der prädikativen Beziehung in einer mehr oder weniger komplexen Proposition (s. dazu 1.2.4.): 'stehen an'

'Zaun'

'Fahrrad'

'gehören'

('Fahrrad')

'Nachbar'

(87a) 'stehen an'

'gehören'

'Zaun'

'Fahrrad'

•Nachbar"

1) 2. Die Zahl der Elemente der gekennzeichneten Teilmenge X aus M ist gleich 1, d. h. k = 1

4. Der Sprecher kann die Elemente der Teilmenge X identifizieren, d. h., dem Sprecher ist bekannt, welche Elemente aus M zu X gehören. Wir bezeichnen dies mit dem Merkmal .identifizierbar' 5. Der Sprecher nimmt an, daß der Hörer im Ergebnis der Mitteilung die Elemente der Teilmenge X identifizieren kann, d. h., daß ihm die Zusammensetzung von X bekannt wird. Wir bezeichnen dies mit dem Merkmal 12 .kognoszierbar'

3. Die Teilmenge X ist in M nicht fixiert* d. h., das Pronomen läßt die Elemente, auf die es verweist, unbestimmt. Wir bezeichnen dies mit dem Merkmal »nichtfixiert' 4. Der Sprecher kann die Elemente der Teilmenge X nicht identifizieren, d. h., dem Sprecher ist nicht bekannt, welche Elemente aus M zu X gehören. Wir bezeichnen dies mit dem Merkmal ,nicht identifizierbar' 5. Der Sprecher nimmt an, daß der Hörer im Ergebnis der Mitteilung die Elemente der Teilmenge X nicht identifizieren kann, d. h., daß ihm die Zusammensetzimg von X unbekannt bleibt. Wir bezeichnen dies mit dem Merkmal .nicht kognoszierbar'

Nicht bei allen indefiniten Distributivpronomen ist = d. h., es gibt auch im Unterschied zu jeder - indefinite Distributivpronomen, bei denen die gekennzeichnete Teilmenge X mehr als ein Element enthält (s. § 46). Die in § 42 f. charakterisierten Kollektivpronomen alle, sämtliche unterscheiden sich von den definiten Distributivpronomen jeder, jeglicher vor allem dadurch, daß sie die zu kennzeichnende Teilmenge X als Gesamtheit bestimmen, während die definiten Distributivpronomen sie nach den einzelnen Elementen charakterisieren, aus denen sie zusammengesetzt ist. Wir können dies mit dem Merkmal .Gesamtheit' bezeichnen: Kollektivpronomen .Gesamtheit' 43

Deutsche Gramm.

Definite Distributivpronomen .Nicht-Gesamtheit'

666

3.4.

Pronomen

Ferner besteht zwischen alle und jeder ein Unterschied in bezug auf die Art der Generalisierung in generellen Sätzen: jeder kann nur in distributiven Generalisierungen auftreten (vgl. Kap. 2.3.1.1., § 11). Für sämtliche bestehen'im Vergleich zu alle größere Beschränkungen, sowohl in semantischer als auch in syntaktischer Hinsicht. So wird sämtliche z. B. normalerweise nicht in generellen Sätzen verwendet: (49a)

Alle Menschen sind sterblich

aber nicht: (49b)

* Sämtliche Menschen sind sterblich

Syntaktisch ist für sämtliche die Kombinierbarkeit stärker eingeschränkt als für alle (vgl.alle diese Bücher, aber nicht: *sämtliche diese Bücher), oder die Wortstellung ist eine andere (vgl. alle meine Bücher und meine sämtlichen Bücher, aber nicht: *sämtliche meine Bücher). Jeglicher unterscheidet sich von jeder durch größere Beschränkungen semantischer und stilistischer Natur. In den meisten Fällen ist der Ersatz vt>n jeder durch jeglicher nur in archaisierendem Stil möglich. In der deutschen Sprache der Gegenwart gibt es nur noch wenige Fälle, in denen die Verwendung von jeglicher nicht archaisch wirkt. Dies betrifft vor allem solche Fälle, in denen jeglicher mit bestimmten abstrakten Substantiven wie Versuch, Möglichkeit,Anhaltspunkt, Grundlage, Halt, Art, Hinweis usw. verbunden wird, die in negativen Ausdrücken auftreten: (50a)

Jeglicher Versuch ist zwecklos

aber nicht: (50b)

*Du mußt jeglichen Versuch unternehmen, um dein Ziel zu erreichen

Zu den negativen Ausdrücken, in denen jeglicher verwendet wird, gehören solche wie zwecklos sein, unmöglich machen, ausgeschlossen sein, versagen, entziehen, ' fehlen, entbehren usw.: (50c) (50d)

Das entbehrt jeglicher Grundlage Damit ist jegliche Möglichkeit, ihn wiederzusehen, ausgeschlossen

Das definite Distributivpronomen jedweder wird heute nur noch in hochstilisierten literarischen Texten verwendet. § 46

Die indefiniten Distributivpronomen bilden eine relativ große Gruppe von Pronomen, deren semantische Analyse vor allem dadurch erschwert wird, daß die meisten dieser Pronomen mehrdeutig sind, d. h., daß sie verschiedenen semantischen Subklassen angehören. Außerdem gibt es für diese Pronomen eine beträchtliche Anzahl von stilistischen Varianten, die nicht einfach nach Morphemen klassifizierbar sind, sondern jeweils von Fall zu Fall gesondert charakterisiert werden müssen. Wir können im folgenden nur auf eine kleine Auswahl solcher Fälle hinweisen.

Kollektiv-

u.

667

Diatributivpronomen

Die mit irgend- zusammengesetzten Pronomen gehören sowohl zu den indefiniten Distributivpronomen als auch zu den Indefinitpronomen: (51a) (51b)

Irgendein Dichter hat einmal gesagt, daß er seine Gedichte stets mehrmals überarbeitet Hier liegen 15 Streichhölzer und 25 Kugeln. Welchen dieser 40 Gegenstände möchtest du haben ? — Gib mir irgendein Streichholz

Indefinitpronomen und indefinite Distributivpronomen unterscheiden sich hauptsächlich dadurch, daß im Pronomen eine Information über die Größe n enthalten ist oder nicht. Bei den indefiniten Distributivpronomen (Beispiel irgendein Streichholz in (51b) ist eine solche Information enthalten, und zwar besagt sie, daß n = m ist, d. h., die Anzahl a l l e r Elemente aus der vorgegebenen Menge M, die die Eigenschaft P haben, ist gleich der Zahl der Elemente von M. Für unser Beispiel irgendein Streichholz in (51b) ist die vorgegebene Menge M von Objekten die Menge der 15 Streichhölzer. Auf alle diese Objekte trifft die Eigenschaft P zu, d. h., für alle x der Menge M von Streichhölzern gilt: ,gib mir x'. Die gekennzeichnete Teilmenge X enthält nur ein Element, d. h., = 1 (der Sprecher möchte nur ein Element der Menge der Streichhölzer haben). Das vom Sprecher gewünschte Streichholz - d. h. die gekennzeichnete Teilmenge X aus M - ist kein bestimmtes Streichholz, d. h., die gekennzeichnete Teilmenge X ist nicht in M fixiert, und weder der Sprecher .noch der Hörer kann das Streichholz (d. h. die Elemente der Teilmenge X) identifizieren (das Pronomen enthält also die Merkmale ,nicht identifizierbar' und ,nicht kognoszierbar', vgl. § 43). I m Unterschied zu irgendein Streichholz ist irgendein in Satz (51a) ein Indefinitpronomen, für das - wie für alle Indefinitpronomen - charakteristisch ist, daß es keine Information über die Größe n enthält. Der Ausdruck irgendein Dichter in (51a) enthält keine Information über die Anzahl a l l e r Elemente einer bestimmten Menge M von Dichtern (d. h., es wird nichts ausgesagt über eine bestimmte Menge von Dichtern, die einmal gesagt haben, daß sie ihre Gedichte stets mehrmals überarbeiten). Vielmehr wird hier lediglich etwas ausgesagt über ,ein solches x, das ein Dichter ist'. Andererseits besitzt auch, das Indefinitpronomen die Merkmale ,nicht identifizierbar' und,nicht kognoszierbar' und stimmt darin mit dem indefiniten Distributivpronomen überein. I n folgenden Kontexten zeigt sich deutlich, daß die Indefinitpronomen jemand und etwas im Unterschied zu irgendjemand und irgendetwas keine indefiniten Distributivpronomen sein können: (52a)

Wen soll ich einladen? r-

Irgendjemand

aber nicht: (52b)

Wen soll ich einladen? — * Jemand Was soll ich nehmen? — Irgendetwas

aber nicht: Was soll ich nehmen? — * Etwas Die Fragen in (52a) und (52b) beziehen sich jeweils auf eine bestimmte Menge M von in Frage kommenden Gegenständen, die in der Kommunikationssitua43»

668

3.4. Pronomen tion vorausgesetzt wird und mehr oder weniger festgelegt ist. Die Antwort besagt jeweils, daß die durch den Sprecher der Antwort gekennzeichnete Teilmenge X ein beliebiges Element aus der vorausgesetzten Menge M enthält, wobei dieses Element j e d e s Element der Menge M sein kann. Alle Bedingungen für . ndefinite Distributivpronomen sind erfüllt. Das artikelartige Pronomen irgendwelche fungiert als Plural von irgendein, wobei die gekennzeichnete Teilmenge X mehr als ein Element enthält (d.h., k = - l ) : (53a)

Welche von diesen Streichhölzern möchtest du haben? r- Gib mir welche

irgend-

Einige kann im Unterschied zu irgendwelche kein indefinites Distributivpronomen sein: (53b) § 47

Welche von diesen Streichhölzern möchtest du haben? — *Gib mir

einige

Welches indefinite Distributivpronomen im einzelnen Fall verwendet wird, ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Hierzu gehören insbesondere: -

der die die der

Charakter der vorgegebenen Menge M, syntaktische Struktur des Satzes, Modalität, Texttyp und stilistische Faktoren verschiedener Art.

Hinsichtlich des Charakters der vorgegebenen Menge M verhalten sich die indefiniten Distributivpronomen analog zu den Negationspronomen (vgl. § 39ff.): was auch immer irgendetwas•

wer auch immer irgendjemand

welcher + Subst. + auch immer irgendein + Subst.

M = Menge von Objekten beliebiger Natur

M = Menge von Menschen

M = Menge gleichartiger Objekte Die Bedeutung des Substantivs bestimmt den Charakter der Menge M

Tabelle 13

Die mit dem Element auch immer gebildeten Pronomen sind die einzigen, die keiner anderen semantischen Subklasse angehören können, sondern ausschließlich indefinite Distributivpronomen sind. Sie erscheinen nur in komplexen Sätzen und haben normalerweise eine korreferente SbG im zweiten Teilsatz: (54a)

Wen auch immer

du fragst, er wird dir dasselbe sagen wie ich

Während in (54a) wen auch immer und er auf denselben Gegenstand referieren, also korreferent sind (wobei der Satz mit wen auch immer dem Satz mit er voraufgeht), sind in (54b) wen auch immer und jeder korreferent, wobei der Satz mit jeder an erster Stelle steht: (54b)

Jeder wird dir dasselbe sagen, wen auch immer

du fragst

Daß die Modalität des Satzes eine entscheidende Rolle für die Wahl des indefiniten Distributivpronomens spielt, zeigt ein Vergleich zwischen (54b) und (54c): (54c)

irgendjemand

wird dir dasselbe sagen, wen auch immer

du fragst

Definitpronomen:

Artikel

669

Im Unterschied zu Sätzen wie (54b), in denen irgendjemand nicht verwendet werden kann, kann in einem Imperativsatz als indefinites Distributivpronomen nicht das Pronomen jeder auftreten: (54d) (54e)

Frage irgendjemanden nach der Humboldt-Universität, du vrirst sofort hingeführt * Frage jeden nach der Humboldt- Universität, du wirst sofort hingeführt

Wird die Modalität des Satzes durch einen Ausdruck der Möglichkeit (Possibilität) bestimmt, so ist jeder das übliche indefinite Distributivpronomen: (54f)

Du kannst jeden hingeführt

nach der Humboldt- Universität fragen, du urirst sofort

Die mit auch immer gebildeten Pronomen treten in mehreren syntaktisch-stilistischen Varianten auf (vgl. wen auch immer du fragst, wen du auch immer fragst, wen du auch fragst). Ferner gibt es bei gleicher syntaktischer Struktur und gleicher Modalität stilistische Unterschiede zwischen Wissenschaftssprache, Normalsprache, familiärer Umgangssprache usw., die die Wahl des betreffenden indefiniten Dist;ributivpronomeps determinieren. Solche Unterschiede bestehen z. B zwischen ein beliebiges, irgendein und ein x-beliebiges in Fällen wie: (55a) (55b) (55c)

3.4.3.6. §48

Nehmen Sie ein beliebiges Symbol! (Wissenschaftssprache) Nimm irgendein Streichholz! (Normalsprache) Nimm ein x-beliebiges Streichholz! (familiäre Umgangssprache)

Definitpronomen Das Hauptmerkmal, das für alle Definitpronomen charakteristisch ist, besteht darin, daß sie eine Teilmenge X aus einer vorgegebenen Menge M kennzeichnen, die in M eindeutig bestimmt ist. Mit anderen Worten, diese Pronomen drücken aus, daß es in der vorgegebenen Menge M genau eine Teilmenge X gibt, die eine bestimmte Eigenschaft P besitzt. Hierbei sind für die Definitpronomen zwei Fälle zu unterscheiden, die den Charakter des erforderlichen logischen Operators betreffen. Sie können sowohl als partikuläre wie auch als generelle Definitpronomen auftreten. Als partikuläre Definitpronomen ist ihre Bedeutung mit Hilfe des Iota-Operators, des Operators der definiten Deskription, ausdrückbar, der in Ausdrücken folgender Form erscheint: (ja;) [P(a;)] - „dasjenige x, das die Eigenschaft P besitzt" oder „dasjenige x, für das gilt: ,x hat die Eigenschaft P'". Als generelle Definitpronomen bezeichnen die betreffenden Pronomen jeweils eine Klasse von Elementen. In diesen Fällen ist für die Bedeutung des Definitpronomens der Lambda-Operator charakteristisch, der in folgender Form auftritt: (foc) [P(a;)] - „diejenigen x, die die Eigenschaft P besitzen" oder „die Klasse aller derjenigen x, für die gilt: ,x hat die Eigenschaft P"'. Die einzelnen Definitpronomen unterscheiden sich untereinander vor allem hinsichtlich der Größe k, d. h. in bezug auf die Anzahl der Elemente der gekeimzeichneten Teilmenge X, sowie hinsichtlich der Art und Weise, in der der Charak-

670

3.4.

Pronomen

ter der vorgegebenen Menge M bestimmt wird. In bezug auf diese Charakteristiken ergeben sich folgende Subklassen von Definitpronomen: -

Artikel: der, die, das Demonstrativpronomen: dieser, jener, der, derjenige, solche Identitätspronomen: derselbe Dualpronomen: beide Possessivpronomen: mein, dein, sein .. .

Die Unterschiede zwischen diesen fünf Subklassen von Definitpronomen werden in den folgenden Paragraphen im einzelnen beschrieben. Die Possessivpronomen haben gegenüber den übrigen Subklassen die zusätzliche Eigenschaft, daß sie zugleich entweder deiktische Personalpronomen oder Stellvertreterpronomen sind {s. Tabelle 2, § 19). § 49

Artikel (Paradigma s. 3.2., § 84) Für die Pronomen der, die, das sind zwei Fälle zu unterscheiden, in denen sie sich in semantischer Hinsicht unterschiedlich verhalten. Hat das Pronomen einen stärkeren Akzent als das folgende Substantiv (z. B. der Mann), so verhält es sich semantisch wie die Demonstrativpronomen (z. B. derjenige Mann, dieser Mann). Wenn dagegen das folgende Substantiv stärker betont ist als das Pronomen (z. B. der Mann), dann besitzen die Pronomen der, die, das semantische Eigenschaften, die typischerweise nur dem Artikel zukommen. Diese Eigenschaften sollen im folgenden behandelt werden. (Zu den Pronomen der, die, das als Demonstrativpronomen vgl. § 51.) Ein typisches Beispiel für den Gebrauch des Artikels ist der Ausdruck der Tisch in folgendem Ztoei-Satz-Text: (56)

Ich habe die Füße des Eßtisches in unserem Wohnzimmer um zehn Zentimeter verkürzt. Auf diese Weise zurechtgestutzt, verleiht der Tisch unserem Zimmer einen wohnlicheren Charakter

Das Beispiel des Pronomens der in der Tisch zeigt, daß der Artikel aus einer vorgegebenen Menge M von Tischen diejenige Teilmenge X kennzeichnet, über die im Satz etwas ausgesagt wird, wobei die Teilmenge X nur ein Element enthält und die für alle Definitpronomen charakteristische Voraussetzung gilt, daß die vorgegebene Menge M genau eine Teilmenge X enthält, die die Eigenschaft P besitzt. Mit anderen Worten, die Teilmenge X ist in M e i n d e u t i g bestimmt. Für die soeben beschriebene Situation ist der Artikel partikulär, so daß der Iota-Operator zur Anwendung kommt: (? x) [P(x)] - d. h. „dasjenige x, das die Eigenschaft P besitzt". Wird der Artikel als partikuläres Definitpronomen verwendet, so ist die Anzahl der Elemente der gekennzeichneten Teilmenge X gleich eins (d. h. äl=1), falls das folgenden Substantiv im Singular steht, während k =-1 gilt, wenn das folgende Substantiv im Plural auftritt. Ist der Artikel generell, so bezeichnet er eine Klasse von Objekten, unabhängig davon, ob der Singular oder der Plural auftritt: (57a) (57b)

Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen Die Menschen haben viele Werkzeuge geschaffen

Definitpronomen: Demonstrativa

671

In diesen Fällen gilt der Lambda-Operator, der für alle generellen Definitpronomen typisch ist: (hc) [P(x)] - „die Klasse aller derjenigen x, für die gilt: ,x hat die Eigenschaft P"\ Sowohl Satz (57a) als auch Satz (57b) machen eine Aussage über die Klasse aller Menschen. § 50

Unter Verwendung der Merkmale ,fixiert', ,identifizierbar' und ,kognoszierbar' (s. §43) lassen sich die Gemeinsamkeiten zwischen partikulärem und generellem Artikel wie folgt zusammenfassen: - Die gekennzeichnete Teilmenge X ist in der vorgegebenen Menge M eindeutig bestimmt, - die Teilmenge X ist in M fixiert, - die Zusammensetzung von X ist im Resultat der Mitteilung für den Hörer kognoszierbar. Die Unterschiede sind folgende:

Tabelle 14

partikulärer Artikel

genereller Artikel

1. Es gilt der Iota-Operator 2. n = fc 3. k = 1, falls Singular k > 1, falls Plural

1. Es gilt der Lambda-Operator 2. n = m 3. k = m

wobei: n = Zahl aller Elemente aus M, die die Eigenschaft P haben, m = Zahl aller Elemente von M,k = Zahl der Elemente der gekennzeichneten Teilmenge X. (Zur Syntax des Artikels vgl. Kap. 2.3.1., 3.2., § 63ff.) § 51

Demonstrativpronomen Kasus Formen

Singular Mask.

Fem.

Neutr.

Plural

Nom. Akk. Dat. Gen.

dieser diesen diesem dieses

diese diese dieser dieser

dieses dieses diesem dieses

diese diese diesen dieser

Im Unterschied zu den in § 49 behandelten Artikeln wird bei den Demonstrativpronomen eine zusätzliche Eigenschaft Q bestimmt. Während der Mann durch den Ausdruck „dasjenige x, für das gilt: ,x ist ein Mann"' charakterisierbar ist, besagt dieser Mann soviel wie „dasjenige x, das ein Mann ist und für das gilt: ,x befindet sich in der Nähe des Sprechers' oder ,die Erwähnung von x durch den Sprecher erfolgt in zeitlicher Nähe zur vorausgehenden Erwähnung des Antezedenten von x'". (Zum Begriff „Antezedent" vgl. 3.4, § 21) Mit anderen Worten, das Demonstrativpronomen dieser in dieser Mann kennzeichnet eine Teilmenge X aus einer Menge M von Männern in der Weise, daß eine zusätzliche Eigen-

672

3.4. Pronomen

Schaft Q ausgedrückt wird, wobei Q eine der möglichen Versionen von ,in der Nähe sein' beinhaltet. Während allen Demonstrativpronomen gemeinsam ist, daß sie eine Teilmenge X aus einer Menge M in der Weise kennzeichnen, daß eine zusätzliche Eigenschaft Q ausgedrückt wird, zeigen sie untereinander in bezug auf Inhalt und Art der Bestimmung der Eigenschaft Q wesentliche Unterschiede: dieser + Sb

jener + Sb

Q beinhaltet: Q beinhaltet: 1. .räumliche 1. .räumliche Nähe' Ferne' oder oder 2. zeitliche 2. .zeitliche Ferne' Nähe' wobei .Nähe' und .Ferne' zu sehen sind a) vom Standort des Sprechers zur Zeit des Sprechakts aus in bezug auf Lage des gekennzeichneten Objekts oder b) vom Zeitpunkt des Sprechakts aus in bezug auf vergangene Zeiträume oder bzgl. vorausgehender SprechTabelle 16 akte im selben Text

derjenige + Sb + S

7 j, +, Sb au +, {f««« +SbGl} solche Attribut

Q wird im restriktiven Relativsatz S beschrieben

1. Q besagt, daß die gekennzeichnete Teilmenge X mindestens eine Eigenschaft It besitzt, die auch einem Vergleichsobjekt u zukommt. 2. Das Objekt u wird in SbG beschrieben oder Q wird im Attribut (Relativsatz oder Präp. + SbG) beschrieben

Der Unterschied zwischen generellem und partikulärem Gebrauch des Demonstrativpronomens läßt sich wie folgt charakterisieren: partikulär

Tabelle 17

generell

1. Es gilt der Iota-Operator

1. Es gilt der Lambda-Operator

2. n = k

2. n = k

3. k = 1, falls Singular k > 1, falls Plural

3. k < m (wobei k =- 1)

wobei: n = Zahl aller Elemente aus M, die die Eigenschaft P haben, k — Zahl der Elemente der gekennzeichneten Teilmenge X, m = Zahl der Elemente der vorgegebenen Menge M. Hier zeigt sich noch ein weiterer Unterschied zu dem bereits in § 49 behandelten Gebrauch des Artikels. Während für den generellen Artikel n = m sowie k = m gilt (d.h., alle Elemente aus M haben die Eigenschaft P und die gekennzeichnete Teilmenge X umfaßt genau diese Elemente), ist für generelle Demonstrativpronomen n — 1c und charakteristisch, d. h., sie kennzeichnen eine echte Teilmenge X aus M, wobei nicht alle Elemente von M die Eigenschaft P haben. Mit einem Ausdruck wie diese Einzeller wird eine Teilklasse von Einzellern be-

Definitpronomen: Demonstrativa

673

zeichnet, falls diese generell ist, wobei die vorgegebene Menge M von Einzellern auch Einzeller enthält, die nicht zur gekennzeichneten Teilmenge X gehören. Wie bei allen artikelartigen Pronomen so ist auch bei den Demonstrativpronomen die Eliminiernng des folgenden Substantivs (einschließlich des Relativsatzes oder Attributs) möglich: (58a) (58b)

Du mußt demjenigen Kollegen, der dir geholfen hat, nun auch deinen Dank aussprechen Da dir ein Kollege geholfen hat, mußt du nun demjenigen auch deinen Dank aussprechen

In (58b) ist demjenigen eine Reduktion aus demjenigen Kollegen, der dir geholfen hat, wobei sich dieser Ausdruck von dem entsprechenden Ausdruck in (58a) semantisch nur dadurch unterscheidet, daß die im Substantiv mit seinem Relativsatz enthaltene Information für einen Satz wie (58b) nicht neu ist. (Zu den Begriffen „neu" und „nicht neu" vgl. Kap. 1.3.4.) Bei dem Pronomen derjenige kann der Relativsatz nur dann wegfallen, wenn die Information des Relativsatzes im Text nicht neu ist, während bei solche der Ausdruck wie + SbG bzw. das Attribut auch dann weggelassen werden kann, wenn sie neue Information enthalten, die durch die Kommunikationssituation ohne Vorerwähnung bekannt ist. Ein Ausdruck wie solche Taschen kann auch im Sinne von solche Taschen wie diese Tasche verwendet werden, wobei die SbG diese Tasche ein Vergleichsobjekt u charakterisiert, das in der Kommunikationssituation anwesend ist. Für solcher, solche ist charakteristisch, daß es in der modernen Sprache der Gegenwart nicht als partikuläres Definitpronomen verwendet wird. Erscheint es dennoch in diesem Sinne, so liegt archaisierender Stil vor: (59)

Als sie die Wohnung betraten, fanden sie solche in einem unmöglichen Zustand vor (solche = solche Wohnung im Sinne von diese Wohnung)

Für solche als generelles Definitpronomen sind die Fälle mit Vergleichsobjekt u von denen mit Attribut zu unterscheiden: (60a) (60b)

Bei solchen Autos wie das, welches Peter gekauft hat, muß man die Bereifung nicht so oft erneuern Peter hat ein Auto mit Radialreifen gekauft. Bei solchen Autos muß man die Bereifung nicht so oft erneuern

Der Ausdruck solchen Autos in (60b) ist zu verstehen im Sinne von solchen Autos wie das, welches Peter gekauft hat, wobei im Unterschied zu (60b) die in wie + SbG enthaltene Information nicht neu ist. In beiden Fällen gibt es ein Vergleichsobjekt u, wobei die gemeinsame Eigenschaft B als ,Radialreifen besitzen' zu spezifizieren ist. (Vergleiche die oben behandelte semantische Charakterisierung von solche + Sb + SbG.) Anders verhalten sich die Fälle mit Attribut: (60c)

Bei solchen Autos, die Radialreifen nicht so oft erneuern

haben, muß man die Bereifung

674

3.4.

(60d)

Pronomen

Am günstigsten ist der Kauf von Autos mit Radialreifen. Bei Autos muß man die Bereifung nicht so oft erneuern

solchen

Ein Vergleich von (60b) und (60d) zeigt deutlich den Unterschied zwischen den beiden Bedeutungen von solche, denn solchen Autos hat in (60d) im Unterschied zu (60b) kein Vergleichsobjekt u. Vielmehr ist der Relativsatz eliminiert, der im Unterschied zu (60c) in (60d) keine neue Information liefert. Anders als in (60b) ist im Falle von (60d) die gesamte Teilklasse, auf die solchen Autos referiert, im Text vorerwähnt. Die Artikel der, die, das können auch als Demonstrativpronomen verwendet werden. Hierbei kann dieses dem Pronomen derjenige (vgl. die Häuser, die vor 1945 gebaut umrden = diejenigen Häuser, die vor 1945 gebaut wurden) oder den Pronomen dieser bzw. jener entsprechen (vgl. das Haus mit ähnlichem Inhalt bezüglich der Eigenschaft Q wie bei dieses Haus oder jenes Haus im Hinblick auf räumliche oder zeitliche Nähe bzw. Ferne). § 53

Identitätspronomen Kasusformen

Singular Mask.

Fem.

Neutr.

Nom. Akk. Dat. Gen.

derselbe denselben demselben desselben

dieselbe dieselbe derselben derselben

dasselbe dctsselbe demselben desselben

Plural dieselben dieselben denselben derselben

Die Identitätspronomen derselbe, dieselbe, dasselbe, dieselben kennzeichnen aus einer vorgegebenen Menge M eine Teilmenge X, die die Eigenschaft P besitzt, in der Weise, daß ausgesagt wird, daß Individuen oder Klassen von Individuen miteinander identisch sind. Mit anderen Worten, die zusätzliche Eigenschaft Q beinhaltet ein Prädikat der Identität: (61a) (61b)

Peter bewohnt dasselbe Zimmer wie sein Bruder Zu den Lambda-Pronomen gehören dieselben Wörter wie zu den IotaPronomen

In (61a) ist das Identitätspronomen partikulär, d. h., es werden bestimmte Individuen miteinander identifiziert (,das Zimmer, das Peter bewohnt, ist identisch mit dem Zimmer, das sein Bruder bewohnt'). Andererseits werden durch das generelle Identitätspronomen in (61b) Klassen von Individuen miteinander identifiziert (,die Klasse aller Wörter, die zu den Lambda-Pronomen gehören, ist identisch mit der Klasse aller Wörter, die zu den Iota-Pronomen gehören'). Der Charakter der vorgegebenen Menge M, aus der das Pronomen eine Teilmenge X kennzeichnet, wird durch das dem Pronomen folgende Substantiv bestimmt. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel des Ausdrucks dasselbe Zimmer, der im partikulären Sinne bedeutet: .dasjenige % aus der Menge M von Zimmern, das die Eigenschaft Q besitzt', wobei Q ein Prädikat der Identität enthält.

Definitpronomen:

Identität»- und

675

Dualpronomen

Analog hierzu gilt für dieselben Wörter im generellen Sinne: ,die Klasse aller x aus der Menge M von Wörtern, die die Eigenschaft Q haben', wobei Q ein Prädikat der Identität enthält. Hinsichtlich der Größen k, n, m und der übrigen semantischen Merkmale verhält sich das Identitätspronomen wie die Demonstrativpronomen (s. §51) mit Ausnahme des für das Identitätspronomen typischen Inhalts der Eigenschaft Q. § 54

Dualpronomen Das Dualpronomen beide unterscheidet sich von allen übrigen kennzeichnenden Pronomen dadurch, daß die Größe k den Wert ,zwei4 besitzt, d. h. k = 2. Mit anderen Worten, die gekennzeichnete Teilmenge X aus M enthält genau zwei Elemente. Dies gilt allerdings nicht, wenn das Dualpronomen generell ist, da es in diesem Falle alle Elemente zweier distinkter Klassen kennzeichnet: (62a) (62b)

Vor Peters Haus stehen ein Apfelbaum und ein Kirschbaum Beide Bäume gehören seinem Onkel Man unterscheidet den Nadelbaum und den Laubbaum Beide Bäume gehören zu den Nutzhölzern

Sowohl in (62a) als auch in (62b) wird mit dem Ausdruck beide Bäume aus einer vorgegebenen Menge M von Bäumen eine Teilmenge X gekennzeichnet, wobei in (62a) die gekennzeichnete Teilmenge X zwei Individuen enthält, die Bäume sind; dagegen enthält sie im Falle von (62b) zwei Klassen von Individuen, nämlich die Klasse aller Nadelbäume und die Klasse aller Laubbäume. Derselbe Bedeutungsunterschied besteht, wenn das dem artikelartigen Pronomen beide folgende Substantiv in (62a) und (62b) eliminiert wird. Wir können diesen Unterschied beschreiben, wenn wir annehmen, daß das Dualpronomen eine Zweiheit bezeichnet, die auf spezifische Weise auf Teilmengen aus M bezogen ist, wobei wir das Symbol y als Variable für nichtleere Teilmengen benutzen:

Tabelle 19

partikulär

generell

1. (iy) lQ(y)]

1- ßy) [a g>

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Anordnung nichtfiniter Stellungaglieder (Prädikatsgruppe)

709

links mit [1], [2], [3], . . . fortlaufend durchnumerieren und erhält damit einen Parameter, den wir als Grad der syntaktischen Bindung einer PG-Konstituente an das Finitum [0] bezeichnen.

Fini- Advbii tum

[0]

Lokale

Modale/ Instrumentale

[11]

[10]

indir dir Obj Obj

abs. objRb bez. Lokale

rel. Rb

Prä- Vz dikativ

Vollverb temp. (Infini- Hilfsverb, tum) Modalverb (Infinitum)

[9]

[7]

[5]

[4]

[2] [1] [2b] [2a] [ l b ] [ l a ]

[8]

[6]

Abb. 10

[3]

Wird diese Numerierung der PG-Konstituenten für jedes entsprechende Stellungsglied in jedem beliebigen Satz beibehalten, so kann man aus det Nummer jedes Stellungsgliedes in Relation zu den übrigen Nummern der Stellungsglieder eines Satzes ersehen, wie eng die Bindung an das Finitum ist. Das dem Finitum [0] in der Zahlenfolge am nächsten stehende Stellungsglied ist hierarchisch am engsten an das Finitum gebunden, es schließt bei Anfangs- und Zweitstellung des finiten Verbs den Satz. Beispiele siehe Abb. 9. Die Tatsache, daß das dem Finitum hierarchisch am nächsten stehende Stellungsglied im Deutschen am weitesten von ihm entfernt steht, wird im allgemeinen als Bildung eines Rahmens oder als Klammerbildung bezeichnet. Sie tritt am deutlichsten bei den stellungsfesteren ePG-Konstituenten [1—6] in Erscheinung, da deren Position durch Vorerwähntheit nicht beeinflußbar ist. Sie läßt sich jedoch auch bei allen übrigen PG-Konstituenten [7—11] feststellen, sofern diese neu eingeführt, also, nicht vorerwähnt sind (vgl. 4.2.4.). Folgt dem auf diese Weise abgeschlossenen Satz eine weitere Einheit, was nur in abgewandelten Strukturen möglich ist, so haben wir es mit einem Nachtrag zu tun (vgl. 4.2.6.). Für die Anordnung aller PG-Stellungaglieder in der Grundreihenfolge eines jeden Satzes gilt also: Je enger die syntaktische Bindung eines PG- Stellungsgliedes an das finite Yerb ist, desto näher rückt das entsprechende Stellungsglied dem Satzende, desto weiter steht es also in Grund- und Spitzenstellung vom finiten Yerb entfernt. Da dies bei der Darstellung der Konstituentenstruktur berücksichtigt wird, sind Grundreihenfolge und Konstituentenstruktur in der Anordnung der nichtfiniten Einheiten identisch. Wie dieses Prinzip im einzelnen wirkt, soll im folgenden beschrieben werden. § 8

Das Prädikat (Verb, Prädikativum) [1-4] Die infiniten Verbformen stehen in der Grundreihenfolge wegen ihrer engen Bindung an das Finitum stets am Satzende. Dabei stehen Vollverbeil [2] vor modalen

710

4.1. Grundreihenfolge

und temporalen Hilfsverben [1], da die letzteren syntaktisch dem Finitum am nächsten stehen (vgl. aber: 4.2.2.). Sind mehrere Yollverben vorhanden, so entscheidet wiederum die syntaktische Bindung ans Finitum über die Position [2b] vor [2a]. Die Verbzusätze [3] stehen als Konstituenten des Verbs unmittelbar vor den infiniten Vollverben [2] (Zusammenschreibung!) bzw. am Satzende: Vorfeld

Hauptfeld

Fin

[0]

Vz

Infinita

[3]

[2b]

Die Jungen

haben

Peter

hat

Viele Kinder

haben

den Film

Alle

haben

Gojko MitiC

an-

Gojko

ritt

seinen Freunden

voran

einen

Indianerfilm

[2a]

[1]

sehen

wollen

gestanden

lange an der Kasse

kennen- lernen

wollen

gestaunt

Abb. 11 Das Prädikativum [4] Die zum Prädikat gehörenden Adjektiv-, Substantiv- und Präpositionalgruppen stehen in der Grundreihenfolge unmittelbar vor dem Verbkomplex [3,2, 1] bzw. am Satzende: Vorfeld

Fin

Hauptfeld

[0]

Prädikativum

Verb

M

[2]

[1]

I/udwig Renn

hat

seinen Helden

Trini

genannt

Trini

wird

zu Beginn des Buches

ein fünfjähriger Junge

gewesen sein

Nachrichten

waren

für das Bauernheer

von großer Bedeutung

Die mexikanischen Bauernkinder

waren

während des Freiheitskampfes

sehr tapfer

Trinis

Abb. 12 § 9

Das Adverbiale [5-6] Eine zur ePG gehörende Präpositional- oder Substantivgruppe ( + Adverb) mit der Funktion einer ßichtmigsbestimmung ( = Adverbialej) steht in der Grundreihenfolge unmittelbar vor dem Prädikat oder am Satzende.

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712

4.1.

Grundreihenfolge

Dabei erscheint das Adverb, das als relative Richtungsbestimmung [5] die Bewegungsrichtung hinsichtlich einer gedachten Achse (z. B. Standpunkt des Subjektsgegenstandes oder des Sprechers) angibt, unmittelbar vor dem Prädikat (Zusammenschreibung mit dem 1. Infinitum möglich!), während die Grundposition der absoluten Richtungsbestimmung [6] unmittelbar davor ist. Sind in einem Satz mehrere Punkte des Weges durch je eine Richtungsbestimmung benannt, so halten diese die Reihenfolge Ausgangspunkt [6c] Medium [6b] - Ziel [6a] ein. Der Weg zwischen Ausgangspunkt und Ziel kann detailliert, d. h. in Einzelschritte [6bc] [6bb] [6ba] zerlegt werden. Beispiele : vgl. Abb. 13 auf S. 711. § 10

Das direkte Objekt [8] steht vor allen infiniten ePG-Konstitutenten [6-1] bzw. am Satzende. Es kann sowohl eine Präpositionalgruppe (Präp-obj) als auch eine Substantivgruppe im Akkusativ (Akk-obj), Dativ (Dat-obj) oder Genitiv (Gen-obj) sein. Nur das direkte Akkusativobjekt kann in der Grundreihenfolge durch ein lokales Adverbiale n , das sich auf dieses Objekt bezieht [7], von dem 1. ePGStellungsglied getrennt werden (vgl. Abb. 14). Das indirekte Objekt [9] erscheint in der Grundreihenfolge unmittelbar vor dem direkten Objekt [8]. Indirekte Objekte können in Abhängigkeit von der Valenz des Verbs das Präp-obj, das Dat-obj und das Akk-obj sein. Sie stehen in der Grundreihenfolge niemals am Satzende. Die Adverbialia n [11, 10] in der Funktion von Lokalen, Modalen, Instrumentalen haben ihre Grundposition vor den Objekten [9, 8] bzw. vor der ePG [6-1] oder am Satzende. Neben den Lokalenjj, die vor den Modalen / Instrumentalen und den Objekten stehen, gibt es eine Gruppe von lokalen Adverbialia n [7],. die ihre Grundposition unmittelbar vor den ePG-Stellungsgliedern haben. Dabei handelt es sich in der Regel um Körperteile oder Besitzstücke der Subjektsperson bzw. um Teile eines Gegenstandes, an denen sich der durch das Objekt bezeichnete Gegenstand befindet:

Abb. 14

[0]

t8]

[7]

[2]

Er Sie

hat hat

eine Mütze einen Ring

auf dem Kopf am Finger

gehabt

Er Er

hat müßte

einen einen

am Mantel, an einem Hut

hat hat

ein Loch einen Farbfehler

Das Das

Auto Kleid

Fleck Blutfleck

( = .einem seiner Hüte') am am

haben

Kotflügel Oberteil

Diesen Konstruktionen ist gemeinsam, daß das L o k a l e ^ zwangsläufig dadurch determiniert ist, daß der durch das Subjekt bezeiclinete Gegenstand, zu dem es gehört, vorher erwähnt wird.

Anordnung nichtfiniter Stellungsglieder (Satzbasis)

713

Die dadurch zu erklärende Betonung des Akkusativobjektes weist darauf hin, daß diese Lokaliajj stellungsfest vor den ePG-Stellungsgliedern angeordnet werden. Eine weitere Besonderheit besteht darin, daß es jeweils einen parallelen Satz gibt, in dem die durch das Akkusativobjekt bezeichnete Einheit als Subjekt erscheint: (14)

Der Ring ist am Finger Der Fleck ist am Mantel

Es ist zu vermuten, daß hier eine noch nicht geklärte Abwandlungsbeziehung besteht.

§11

Wenn man von den objektbezogenen Lokalia absieht, so läßt sich zusammenfassend feststellen, daß die Stellungsglieder der Prädikatsgrnppe, entsprechend ihrer syntaktischen Bindung an die ePG, folgende Grandpositionen vor der ePG einnehmen.

Vorfeld Fin.

Hauptfeld Prädikatsgruppe nicht zur ePG gehörende PG-Stellungsglieder

[0]

ePG

[11]

[10]

[9]

Adverbialbestimmungjj

Adverbialbestimmungn

rAkk-obj 1 < Dat-obj > ll-Präp-objJ

Präp-obj

(Lokalbestimmung)

(Modalbestimmung / Instrumentalbestimmung)

JDat-obj \ \Akk-objJ

Akk-obj

jAkk-obj) \Dat*obj J

Gen-obj

Abb. 15

[8]

[6-1]

In Sätzen, die weniger als vier PG-Konstituenten enthalten, erscheint das jeweils letzte realisierte Stellungsglied als das am engsten an die ePG gebundene unmittelbar vor der ePG bzw. am Satzende. Einige Beispiele sollen das illustrieren (vgl. Abb. 16). 4.1.2.2.

Die Grundposition der Stellungsglieder der Satzbasis (Adverbialbestimmung m und Subjekt)

§12

Das Subjekt und die Adverbialbestimmung ni sind als Konstituenten der Satzbasis in ihrer Grundposition nicht durch die syntaktische Bindung an die engere Prädikatsgruppe festgelegt. Während man als Grundposition des Subjekts seine Anordnung im Vorfeld vor dem Finitum ansehen kann, ist die Grundposition der Adverbialbestimmung UI die nach dem Finitum und - gegebenenfalls - vor dem Komplex der Prädi46 Deutsche Gramm.

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sonst

Freund

( > bezeichnet in diesem Falle das Ende des Satzfeldes.) Unter welchen Bedingungen solche und andere Nachträge vorkommen, soll im folgenden an einigen Beispielen erläutert werden, wobei wir keine vollständige Übersicht über alle Möglichkeiten anstreben. Nachtrag als Ergebnis einer Umordnung von Stellungsgliedern eines Satzes Im Deutschen können im Prinzip alle nichtfiniten Stellungsglieder eines Satzes im Vorfeld oder im Hauptfeld stehen, jedoch wirken solche Sätze häufig steif, gekünstelt, überladen. Daher wird oft eines der Stellungsglieder dem Satzfeld nachgestellt. Solche Nachträge unterliegen jedoch bestimmten syntaktisch-strukturellen und kommunikativ-pragmatischen Bedingungen. So hängt es z. B. u. a. von den Vorerwähntheitsbedingungen ab, ob ein Stellungsglied im Nachtrag stehen kann oder nicht, ob es an dieser Stelle betont wird oder unbetont bleibt. Die syntaktisch-hierarchischen Beziehungen sind z. B. entscheidend dafür, ob ein Stellungsglied ohne stellvertretendes Pro-Element im Hauptfeld nachgestellt werden kann oder nicht und ob ein solches Pro-Element obligatorisch oder fakultativ ist. a) Stehen nicht neue Präpositionalgruppen im Nachtrag, so bleiben sie unabhängig von ihrer Satzgliedfunktion und ihrer Valenzgebundenheit auf Grund ihres nicht-rhematischen Charakters unbetont. Rhema wird in Sätzen dieser Art das Stellungsglied, das nach den angeführten Rhematisierungsregeln dafür 49 Deutsche Gramm.

762

4.2.6. Die Extraposition in Frage kommt. Es wird durch die Nachstellung des unbetonten nicht neuen Stellungsgliedes besonders hervorgehoben: (208)

(Du hast mir aber eine schwere Aufgabe gegeben.) Ich hab zu knabbern =• an dieser Nuß (Egon wird diesen Werkstoff nicht wieder verwenden.) Er hat schlechte Erfahrungen gemacht mit diesem Material (Am Ende einer Diskussion über ein von Helga zu bearbeitendes Problem:) Wollen wir das aufschreiben>für Helga?

Eine Vorankündigung des Nachtrags durch ein Proelement innerhalb des Satzes ist bei diesen nicht neuen präpositionalen Nachträgen nicht nötig, oft auch nicht möglich: (208a)

*Ich hab an ihr zu knabbern,

an dieser

Nuß

b) Soll dagegen ein nicht neues Kasusobjekt oder Subjekt unbetont nachgestellt werden, so muß es innerhalb des Satzes durch ein stellvertretendes Pronomen angekündigt werden: (209)

Ich muß sie knacken, diese Nuß Das wollen wir ihr sagen, der Helga Gestern ist er zurückgekommen, ?-der Onkel

c) Ist der Nachtrag eine syntaktisch notwendige neue Einheit, ist der Satz also ohne den Nachtrag syntaktisch und semantisch defekt, so bildet die nachgetragene Einheit einen eigenen Informationsschwerpunkt. Gleichzeitig wird jedoch auch innerhalb des Satzfeldes eine Einheit als Schwerpunkt hervorgehoben, die bei gleichen Vorerwähntheitsbedingungen sonst nicht Rhema sein könnte: (210)

(Die absonderliche Begebenheit ... bestätigte ihm einmal mehr,) daß im Leben des Menschen der Zufqll identisch werden kann >• mit Schicksal In derselben Sekunde schlug der Angsttraum um =» in den Traum seines Lebens

schönsten

Eine Sondergruppe bilden dabei die Sätze mit nachgetragenen Aufzählungen, die innerhalb des Satzfeldes nicht immer einen zweiten Informationsschwerpunkt haben: (211)

An dem Essen im Amtssitz des Staatsrates nahmen u. a. teil: =- Alfred Neumann, Joachim Hertmann und Margarete Müller

In den Beispielen (210), (211) würde eine Vorankündigung des Nachtrags durch ein Indefinitum zur syntaktischen, aber nicht semantischen Vervollständigung des Satzes führen, was zur Folge hätte, daß der semantisch notwendige Nachtrag als ein auf das Rhema reduzierter weiterer Satz angesehen werden müßte (vgl. § 56). Es entsteht der Eindruck, daß der Sprecher Zeit zum überlegen brauchte: (210a)

. . . daß im Leben des Menschen der Zufall mit etwas identisch werden kann, > nämlich mit Schicksal

Nachträge (211a)

An dem Essen nahmen mehrere teil, > nämlich Alfred Joachim Herrmann und Margarete Müller

763 Neumann,

Nachtrag als Ergebnis der Abwandlang einer Satzfolge. Sind die nicht neuen Einheiten eines Satzes innerhalb einer Satzfolge identisch mit Einheiten des unmittelbar vorausgehenden Satzes bzw. mit dem gesamten vorausgehenden Satz, so können diese nicht neuen Einheiten im zweiten Satz getilgt werden. Die zurückbleibenden rhematischen Einheiten können als Nachtrag dem vorausgehenden Satz angeschlossen werden, d. h., sie werden formal syntaktisch mit diesem ersten Satz in einer Satzstruktur vereinigt» Dabei bleibt die ThemaRhema-Gliederung des ersten Satzes unangetastet, da der Nachtrag einen eigenen Informationsschwerpunkt bildet. Er wird also nur strukturell-syntaktisch in den vorangehenden Satz integriert, bleibt jedoch in bezug auf seine rhematischen Eigenschaften kommunikativ-pragmatisch eigenständig. Zur Illustration bringen wir einige Beispiele. a) Spezifizierende Nachträge: (212) (213)

(Holt lag auf seinem Bett... Wolzow las.) Vetter spielte Skat, > mit Kirsch und Zemtzki ... und zwar spielte er mit Kirsch und Zemtzki Skat Der ist schon wieder befördert worden zum kommandierenden General . . . und zwar ist er (diesmal) zum kommandierenden General befördert worden

b) Koordinierte Nachträge: (214) (215) (216)

Eine innere Leere würde entstehen =- und damit eine Arbeitspause, deren Dauer nicht abzusehen war (Michael,... hatte .. .in Berlin gelebt,) das sein Arbeitsplatz gewesen war > seine gefühlsgeladene Werkstatt, sein Leben Die Arbeit muß der Schriftsteller tun, =» nicht der Leser

Zu den koordinierten Nachträgen gehören auch Wortgruppen, die ein finites Verb enthalten. Bedingung dafür ist, daß mindestens ein Satzglied im 1. und im reduzierten Folgesatz identisch ist, nämlich das Subjekt: (217)

Er (ein Igel) wurde entflöht, =- erhielt einen Namen und sogar auf ihn,...

reagierte

Werden koordinierte Wortgruppen mit infiniten Verben (nicht Infinitivgruppen mit zu) nach dem Satzfeld des vorausgehenden Satzes angeordnet, so müssen mindestens die finiten Verben identisch sein: (218) (219) 49»

. . ., überall vmrde gebaut, gesägt und gehämmert Er hatte mit Holt zusammen in den Bergen gehaust und sich ein Schweineschwänzchen .. .an die Mütze gesteckt

einst

764

4.2.6. Die

Extraposition

Unter denselben Bedingungen können auch rhematische Elemente der Prädikatsgruppe zusammen mit dem jeweiligen rhematischen Subjekt eines weiteren Satzes / weiterer Sätze als Nachträge erscheinen. (220) (221)

(222)

In den Baracken waren ,die Scheiben zerklirrt, =- die Dächer beschädigt, .. . (Ich weiß alles.) Kommunisten werden hingerichtet, =- Juden mit Giftgas erstickt, Kriegsgefangene geschlagen und zu Tode gehungert, ... Sein großes Glück war dm Leben mit Lisa sein schwerstes Leid ihr Tod

c) Appositive Nachträge: Häufig erscheinen als Nachträge auch appositive Elemente zu einer Einheit des vorausgehenden Satzes. Solche Appositionen sind meist Reduktionen eines Kopulasatzes (im weitesten Sinne) / mehrerer Kopulasätze, deren Subjekt mit der Einheit identisch ist, der es als Nachtrag appositiv zugeordnet ist. Diese zusätzlichen Prädikationen sind in der Regel durch Zeichensetzung und Intonation eindeutig vom ersten Satz getrennt und als Rhemata weiterer Sätze der gedachten Satzfolge gekennzeichnet. (223)

(224) (225)

Die Reste der Abteilung marschierten weiter, kaum bewaffnet, noch fünfzig Mann Sie waren kaum bewaffnet Es waren noch fünfzig Mann „Achtern fressen sie Schinken und Eier, =- die Speckschneider." Sie sind Speckschneider. Und ich drehte mich noch um, ich Dussel Ich bin ein Dussel

5.

Zur Systematisierung der Abwandlungen

5.1.

Allgemeines

§ 1

Aufgabe des vorliegenden Kapitels ist es, einen Überblick über einen größeren Bereich von Abwandlungen syntaktischer Grandstrukturen zuVermitteln. Abwandlungen werden an vielen Stellen der »Grundzüge« behandelt bzw. erwähnt. So in Kap. 1.5. und 2., wo z. B. bei der Herleitung der Konstituentenstruktur deutscher Sätze sowie im Zusammenhang mit der Charakterisierung grammatischer Funktionen von Konstituenten eingebettete Sätze herange'zogen werden oder wo bei der Analyse von Präpositional- bzw. Substantivgruppen Substantivierungen diskutiert werden. Ähnliches gilt auch für Kap. 3. Das vierte Kapitel ist gänzlich einem Typ von Abwandlungen gewidmet; es behandelt die möglichen Reihenfolgebeziehungen der Konstituenten in Abhängigkeit von syntaktischen und kommunikativ-pragmatischen Bedingungen. In diesem Kapitel werden Abwandlungen , die z. T. in verschiedenen anderen Zusammenhängen näher behandelt wurden, systematisiert. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden gelegentlich nur Plätze in der Systematik markiert. Vollständigkeit wird nicht angestrebt. Der Überblick erstreckt sich auf die hauptsächlichen Arten von Abwandlungen, die bei einfachen und zusammengesetzten Sätzen zu finden sind. Die Möglichkeit, Äußerungen unterschiedlicher syntaktischer Struktur in regulärer Weise nach einheitlichen Gesichtspunkten aufeinander zu beziehen, ist in Kap. 1.5.7. mit der Differenzierung von syntaktischer Grundstruktur und Abwandlungen der Grundstruktur innerhalb der syntaktischen Struktur einer Äußerung ausführlicher begründet worden. Wir verzichten hier auf eine Wiederholung der dort dargelegten Grundsätze, setzen aber die Lektüre dieses Abschnitts voraus. Die Beziehungen zwischen einer Grundstruktur und ihren Abwandlungen können ausführlich in einer formalen Sprache angegeben werden. Man benötigt dafür ein entsprechend ausgearbeitetes formales System, das geeignet ist, die den Äußerungen zugrundeliegenden Abwandlungsbeziehungen abzubilden und damit durchschaubar zu machen. In der vorliegenden Darstellung werden wir uns jedoch weitgehend auf veranschaulichende Beispiele stützen und mit minimalen theoretischen Mitteln begnügen.

§ 2

Unsere Systematisierung geht zunächst von der Unterscheidung einfacher und komplexer Sätze aus. Innerhalb dieser Klassen werden Unterscheidungen vorgenommen, die auf inhaltlichen Gesichtspunkten beruhen. Den inhaltlich zu

766

5.2. Abwandlungen in einfachen Sätzen

unterscheidenden Klassen entspricht jeweils mindestens eine Äußerungsklasse, die durch bestimmte syntaktische Eigenschaften charakterisiert ist. Es werden Strukturen zusammenhängend behandelt, die hinsichtlich ihrer Bildungsprinzipien sehr verschieden sein können. Das hat den Vorteil, daß man einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten bekommt, ein bestimmtes Sachverhaltsabbild sprachlich auszudrücken. Dem steht aber der Nachteil gegenüber, daß Abwandlungen, denen die gleichen syntaktischen Prinzipien gugrundeliegen, an unterschiedlichen Stellen der Systematisierung erscheinen. Das betrifft u. a. Substantivierungen, Tilgungen von Konstituenten, Bildung von Infinitiv- bzw. Partizipialgruppen. Wenn solche- Möglichkeiten für eine ganze Klasse innerhalb unserer Systematisierung gegeben sind, werden sie an der entsprechenden zentralen Stelle erwähnt. Das Kapitel ist also wie folgt aufgebaut: Zuerst werden syntaktische Strukturen behandelt, die als Abwandlungen eines einfachen Satzes - als Umordnung, Entwicklung oder Kürzung einer Grundstruktur - zu erklären sind. Danach erfolgt die Darstellung abgewandelter Strukturen, die auf der Grundlage einer Verknüpfung mehrerer Sätze zu erklären sind. Solche komplexen Satzstrukturen werden nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet, d. h. nach dter Art des Verhältnisses zwischen den miteinander in Bezug gesetzten Sachverhalten. Innerhalb dieser inhaltlich bestimmten Klassen werden Unterscheidungen syntaktischer Art vorgenommen. So wird zwischen quasikoordinativer, koordinativer und subordinativer Verknüpfung von Sätzen unterschieden. Koordinativ verknüpften Strukturen können Strukturen mit bestimmten Tilgtingen entsprechen, subordinativ verknüpften Strukturen solche mit Infinitiv- oder P a r t j . zipialgruppen, mit Substantivierungen oder anderen Formen der Reduktion. 5.2.

Abwandlungen in einfachen Sätzen

5.2.1.

Allgemeines

§3

In Kap. 1.5. und 2. sind die für das Deutsche anzunehmenden syntaktischen Grundstrukturen mit einer bestimmten linearen Anordnung ihrer Konstituenten eingeführt worden. Dort wird gezeigt, daß sich bei Endstellung der finiten Verbform eine günstige Ausgangsposition für die Darstellung der hierarchischen Beziehungen zwischen den Konstituenten eines Satzes ergibt. Eine erste große Klasse von Abwandlungen betrifft die Veränderungen der Position der finiten Verbform. Sie wird in Kap. 4 ausführlich behandelt. Der Grundstruktur mit Endstellung der finiten Verbform stehen abgewandelte Strukturen mit Zweitstellung, der topologischen Grundposition (Grundstellung), und mit Spitzenstellung gegenüber. Die Anordnung der übrigen Konstituenten der Grundstruktur kann bei einer solchen Positionsveränderung der finiten Verbform unberührt bleiben. Die Endstellung ist charakteristisch für die syntaktische Struktur von Sätzen, die als Konstituenten in die Struktur anderer Sätze eingebettet werden. Solchen eingebetteten Sätzen mit Endstellung wird eine subordinierende Konjunktion vorangestellt (Konjunktionalsatz), oder innerhalb ihrer ersten Konstituente

Allgemeines

767

treten obligatorisch bestimmte Pro-Elemente (Relativpronomina und -adverbien, tc-Wörter) auf (Relativsatz, abhängiger Fragesatz u. a.). Träte der Endstellungstyp nur in eingebetteten Sätzen auf, brauchte er hier nicht behandelt zu werden. Er wird aber auch durch selbständige, hinsichtlich der Satzintention spezifizierte Sätze realisiert, die die gleichen Strukturbesonderheiten bezüglich ihrer Einleitungselemente bzw. ihrer ersten Konstituente aufweisen wie eingebettete Sätze mit Endstellung. Die charakteristische syntaktische Struktur des im Hinblick auf die Satzintention vielseitigsten selbständigen Satzes ist der Grundstellungssatz. Die ihm entsprechende Zweitstellung der finiten Verbform wird deshalb Grundstellung genannt. Mit Grundstellung treten selbständige Aussagesätze, aber auch — mit spezieller Realisierung der einleitenden Konstituente - selbständige Sätze mit anderer Satzintention auf. Auch eingebettete Sätze können diese Grundposition des Verbs aufweisen. Die Spitzenstellung begegnet uns in intentional spezialisierten selbständigen Sätzen ebenso wie in eingebetteten. Das vorliegende Kapitel behandelt nur syntaktische Strukturen selbständiger Sätze, deren Grundstruktur einen einzigen Satz umfaßt. Aus den Unterschieden in der kommunikativen Intention der Äußerungen (vgl. Kap. 1.3.2.) ergeben sich verschiedene kommunikative Typen von Sätzen. Das sind zunächst Aussage-, Frage-, Wunsch- und Aufforderungssätze (zur Annahme einer besonderen Intention „Wunsch" s. Kap. 1.3., §40). Einen fünften Typ bilden die Ausrufesätze, die einer speziellen Variante der Aussage-, evtl. auch der Frage-Jntention entsprechen. I n ihrer spezifischen syntaktischen Ausprägung verbinden sich diese Typen mit den in § 3 genannten Stellungstypen. Syntaktische Strukturen, die sich aus Umordnungen nichtverbaler Konstituenten der Grundstruktur ergeben, bilden eine weitere Gruppe von Abwandlungen.

768

5.2. Abwandlungen

in einfachen

Sätzen

Solche Umordnungen sind innerhalb jedes Stellungstyps möglich. Abwandlungen dieser Art können durch die Thema-Rhema-Gliederung des Satzes sowie durch andere kommunikativ-pragmatische Faktoren bedingt sein (vgl. Kap. 4., §§ 23-67). Keine einfache Umordnung, sondern eine spezifische Entwicklung einer syntaktischen Struktur ist mit Passivsätzen verbunden. Die in der Grundstruktur vorausgesetzte Aktiv-Verbform erscheint in ihrer konversen Passiv-Form, und dadurch wird ein konverser, markiert nicht-agensbezogener Aufbau des Sachverhaltsabbilds möglich. In Subjektposition wird der Sachverhaltsbestandteil hervorgehoben, der im Aktiv-Satz im Akkusativobjekt abgebildet ist. Schließlich bilden auch syntaktische Strukturen, die gegenüber ihrer Grundstruktur um bestimmte Konstituenten reduziert sind, eine Gruppe von abgewandelten Strukturen: unvollständige Sätze. Das Schema auf Seite 767 faßt Typen von Sätzen zusammen, in denen Abwandlungen von Grundstrukturen einfacher Sätze vorliegen. E s gibt zugleich einen Überblick über den Aufbau des Kapitels.

5.2.2.

Aussagesätze

§ 4

Ist mit der Abbildung eines Sachverhalts die Intention verbunden, diesen Sachverhalt als tatsächlich, künftig oder hypothetisch existent zu behaupten, so führt das zur Formulierung eines Aussagesatzes (s. Kap. 1.3.). Der selbständige Aussagesatz realisiert die Grundstellung, d. h. es liegt eine topologische Abwandlung gegenüber der Grundstruktur vor: die finite Verbform steht in Zweitstellung statt in Endstellung. Die reine Grundstruktur mit Endstellung der finiten Verbform wird durch abhängige Aussagesätze realisiert. Vgl. (1): (1)

. . . (daß) die 'portugiesische siegen wird Die portugiesische Revolution

Revolution

die faschistische

wird die faschistische

Reaktion

Reaktion

be-

besiegen

5.2.3.

Fragesätze

§ 5

Wir unterscheiden drei Typen von Fragesätzen, die in diesem Abschnitt genauer behandelt werden: Entscheidungsfragesätze, Vergewisserungsfragesätze und Ergänzungsfragesätze.

§6

Entscheidlingsfragesätze. Der Entscheidungsfrage liegt ein vollständiges Sachverhaltsabbild zugrunde. Dieses wird jedoch nicht behauptet, sondern sein Wirklichkeitsbezug ist unsicher. Sie ist eine Aufforderung an den Gefragten, aus dem mit der Frage abgesteckten Bereich möglicher Sachverhalte einen auszuwählen und eine entsprechende Antwort zu formulieren. Die auf die Entscheidungsfragen zulässigen Antworten bewegen sich zwischen voller Bestätigung des Sachverhalts, der der Frage zugrunde liegt, - die Antwort enthält dann ja und Negation dieses Sachverhalts - mit einem nein in der Antwort.

Fragesätze

769

Im selbständigen Entscheidungsfragesatz gibt die finite Verbform ihre Endstellung auf und nimmt einen festen Platz an der Satzspitze ein (Spitzenstellungstyp). Der Satz wird in der Regel mit normaler steigender Intonation versehen. Vgl. (2a), s. a. Kap. 6., §42f.: (2a)

Kommt Hans heute? Sind die Beeren von deiner Mutter? Warst du in Rostock?

Der abhängige Enfcseheidungsfragesatz realisiert die Grundstruktur unmittelbar. Er unterscheidet sich vom abhängigen Aussagesatz nur durch die Konjunktion ob: (2b)

. . . (ob) Hans heute zu Besuch kommt . . . (ob) wir Theaterkarten bekommen werden

Disjunktiv verknüpfte Entscheidungsfragesätze als sprachliche Ausdrücke f ü r sogenannte Alternatlvlragen geben die Aussagen bereits explizit vor, aus denen eine als Antwort erwartet wird: Kommt Hans heute, oder kommt er nicht ? Mit Hilfe von Alternativfragen läßt sich auch der Bereich einschränken, aus dem die Einsetzungen für einzelne erfragte Bestandteile des der Frage zugrunde liegenden Sachverhalts in der Antwort zu wählen sind. Vgl. (3): (3)

Kommt Hans heute, oder kommt Peter? Kommt Hans heute, oder kommt er morgen?

I n der Systematik syntaktischer Strukturen sind die Alternativfragesätze als Realisierungen abgewandelter Strukturen einzuordnen, die aus der koordinativen Verknüpfung mehrerer Satzbasen hervorgehen.

Verge wisserungsfragesätze. Die Vergewisserungsfrage fragt, ob das mit ihr verbundene Sachverhaltsabbild endgültig ist bzw. ob es richtig verstanden wurde« Aus der Möglichkeit einer bejahenden oder verneinenden Antwort (Bestätigung oder Negation des Sachverhalts in der Wirklichkeit, auf den sich das der Frage zugrunde liegende Sachverhaltsabbild bezieht) ergibt sich, daß es sich hier um einen Spezialfall der Entscheidungsfrage handelt. Dieser Spezialfall weist allerdings erhebliche Besonderheiten auf. So lassen sich für ihn keine Alternativfragen formulieren. Auf Grund des geringeren Unsicherheitsgrades bleibt die Form des selbständigen Aussagesatzes, von dem die Vergewisserungsfrage ausgeht, mit Zweitstellung der finiten Verbform im Vergewisserungsfragesatz unverändert. Der Satz wird jedoch obligatorisch mit steigender Intonation versehen (s. Kap. 6, § 7). Vgl. (4): (4)

Hans kommt heute ? Du warst in Rostock? Die Beeren sind von deiner Mutter?

Ergänzungsfragesätze. Die Ergänzungsfrage geht - wie die in § 7 genannte Variante der Alternativfrage - davon aus, daß nur Teile des ihr zugrunde liegenden Sachverhalts bekannt sind, während mindestens ein Bestandteil nicht spezifiziert ist. -Bekannt ist also etwa die Tatsache, daß jemand kommt, aber nicht, wer kommt; oder die Tatsache, daß Hans irgendwann kommt, aber nicht,

770

5.2. Abwandlungen in einfachen Sätzen

zu welchem Zeitpunkt er kommt. In der Antwort wird eine Spezifizierung des unbekannten Bestandteils erwartet, ohne daß die möglichen Spezifizierungen bereits wie in der Alternativfrage explizit vorgegeben werden. Der selbständige Ergänzungsfragesatz ist ein Grundstellungssatz. Die unspezifizierte Konstituente in der Sachverhaltsbeschreibung rückt unter dem Einfluß der Frageintention platzfest in Spitzenstellung - wird erstes Satzglied oder Bestandteil des ersten Satzglieds - und wird durch ein w-Wort als Interrogativum (Fragepronomen oder Frageadverb) realisiert. Der Satz wird im Normalfall mit fallender Intonation, verbunden mit besonderen kommunikativen Wirkungen, aber auch mit steigender Intonation versehen (s. Kap. ß., §42). (5)

Wo warst du? Wann kommt Hans? Wer kommt heute? Von wem sind die Beeren?

Antwort auf eine Ergänzungsfrage ist eine Aussage mit Spezifizierung der erfragten Konstituente. Der abhängige Ergänzungsfragesatz hat ebenfalls interrogative w-Wörter im ersten Satzglied, realisiert aber unmittelbar die Anordnung der Grundstruktur (Endstellungstyp). Vgl. (6): (6)

§10

. . . , wann Hans kommt ..., von wem die Beeren sind ..., wo du gestern gewesen bist

Den Ergänzungsfragen liegen Sachverhaltsabbilder mit indefiniten Elementen zugrunde, die wie folgt sprachlich ausgedrückt werden könnten: (7)

Jemand kommt heute Irgendwann kommt Hans

Jedes von ihnen vertritt eine ganze Klasse einzelner Sachverhalte, wobei das Indefinitum für beliebige Elemente aus dem Bereich steht (Personen, Termine), aus dem , die durch die Ergänzungsfrage erfragte Spezifizierung zu wählen ist: (8)

Wer kommt heute? Wann kommt Hans? N

Die Antwort nennt im ersten Fall eine Person, z. B. Hans (kommt heute), im zweit' Fall einen Zeitpunkt, z. B. (Hans kommt) heute. Unspezifiziert kann auch der Verbalinhalt selbst sein. Für unser Beispiel heißt das: Es ist bekannt, daß Hans irgendetwas tut, aber nicht, was er tut. Die Spezifizierung des Prädikats kann beispielsweise durch was und ein allgemeines, den Bereich vieler konkreter Tätigkeiten oder Vorgänge umfassendes Verb erfragt werden. Vgl. (9): (9)

Was macht Hans heute f Was ist dort passiert i Was tust du dort?

Ein Ergänzungsfragesatz kann schließlich auch von einem Aussagesatz ausgehen, der ein attributives Indefinitum enthält: (10)

Du lmst irgendein Buch gelesen Irgendein Tisch steht im Nebenzimmer

Ausrufesätze

771

Entsprechend tritt dann auch das Interrogativum, das die Spezifizierung der unbekannten Eigenschaft erfragt, innerhalb, des Ergänzungsfragesatzes als Attribut zur substantivischen Konstituente: (11) §11

Welches Buch hast du gelesen f Was für ein Tisch steht im Nebenzimmer?

Wenn auch im allgemeinen Ergänzungsfragesätze nur nach der Spezifizierung e i n e s Sachverhaltsbestandteils fragen, so ist es doch möglich, mehrere Spezifizierungen zugleich durch einen einzigen Satz zu erfragen, der dann natürlich mehrere auf verschiedene Komponenten zielende Interrogativa enthält. Ein solcher Satz baut auf Aussagesätzen mit mehreren Indefinita auf, z . B . : (12)

Irgendwer hat irgendwann den „Don Carlos" geschrieben Irgendwer hat irgendwen irgendwann gesehen

Der Fragesatz, der alle Spezifizierungen zugleich erfragt, weist Grundstellungsform mit Erststellung eines Interrogativums auf, während sich die anderen Interrogativa analog zu den Indefinita hinter der finiten Verbform einordnen: (13)

Wer hat wann den „Don Carlos" geschrieben f Wer hat,wen wann gesehen f

Voraussetzung für solche Ergänzungsfragen ist, daß die Bereiche für die Auswahl jeweiligen der Spezifizierungen durch die übrigen konkreten Sachverhaltsbestandteile oder doch durch Vorkenntnisse, die Fragesitüation usw. stark eingeschränkt sind.

5.2.4.

Ausrufesätze

§12

Ihrer kommunikativen Intention nach wollen Ausrufesätze nicht einfach - wie die gewöhnlichen Aussagesätze - über einen Sachverhalt informieren. Sie drücken außerdem eine starke emotionale Bewegung - vor allem Bewunderung öder Erstaunen - des Sprechers über den mitgeteilten Sachverhalt oder über eine seiner Komponenten aus. Syntaktisch haben Ausrufesätze, die sich emotional auf den ganzen Sachverhalt beziehen, oft die Form der selbständigen Entscheidungsfragesätze; vgl.: (14a)

Hast du das aber schön gemacht! / Das hast du aber schön gemacht! Bist du aber in diesem Jahr gewachsen! / Du bist aber in diesem Jahr gewachsen! Läuft doch das Kind plötzlich auf die Fahrbahn! / Das Kind läuft doch plötzlich auf die Fahrbahn!

Ausrufesätze, in denen ein Teilsachverhalt emotional hervorgehoben wird, haben die syntaktische Form selbständiger oder unselbständiger Ergänzungsfragesätze; vgl.: (14b)

Wie schön war es doch heute! / Wie schön es doch heute war! Was Irene doch alles weiß!

Die Unterschiede gegenüber den jeweils syntaktisch gleichen Fragesätzen liegen in der Intonation, im Auftreten solcher Wörter wie aber, doch usw. und, beim zweiten Typ, im Charakter der w-Wörter.

772

5.2. Abwandlungen in einfachen Sätzen Tatsächlich Fragecharakter haben Ausrufesätze wie (15)

Wo der Junge nur wieder steckt! Was ist bloß in dich gefahren!

Der emotionale Nachdruck scheint aber der Frageintention selbst, nicht der Sachverhaltsbeschreibung zu gelten.

5.2.5.

Wunschsätze

§ 13

Wunschsätze drücken ihrer kommunikativen Intention nach aus, daß der (nicht reale) Sachverhalt, den sie beschreiben, etwas vom Sprecher Gewünschtes, Erstrebtes ist. Sie verbinden aber damit nicht die Aufforderung an den Hörer, den erwünschten Sachverhalt herbeizuführen (vgl. dazu Kap. 1.3., §40). Das finite Verb der Wunschsätze steht im Konjunktiv I I . In einer ihrer Varianten realisieren Wunschsätze unmittelbar die syntaktische Grundstruktur (Endstellungstyp) mit der Besonderheit, daß ihnen die Konjunktion wenn vorangestellt ist und im Satzinnern für Wunschsätze charakteristische Wörter eingefügt sind (wie: doch, nur, . . . ) . Vgl. (16): (16)

Wenn Peter doch anriefe! Wenn ich nur jünger wäre! Wenn Lutz doch aufgepaßt hätte!

In ihrer zweiten Variante realisieren Wunschsätze den Spitzenstellungstyp. Hier fehlt die einleitende Konjunktion wenn: (17)

Riefe Peter doch an! Wäre ich nur jünger! Hätte Lutz doch besser

aufgepaßt!

Eine derartige Entsprechung zwischen durch wenn eingeleiteten Sätzen mit Endstellung und Sätzen mit Spitzenstellung gibt es auch bei abhängigen Sätzen (vgl. Konditionalverhältnisse). Die für selbständige Wunschsätze charakteristischen Wörter (insbesondere doch) weisen aber darauf hin, daß man solche Sätze nicht aus einfacher Tilgung der übergeordneten Sätze innerhalb von Satzverknüpfungen erklären kann. Im folgenden Beispiel ist (a) nicht als reduzierte Form von (b) zu erklären. (c) ist kein korrekter Satz: (18) (a) Wenn Peter doch anriefe! (b) Wenn Peter-anriefe, so wäre ich glücklich! (c) *Wenn Peter doch anriefe, so wäre ich glücklich

5.2.6. § 14

Aufforderungssätze Aufforderungssätzen entspricht die Intention, einen künftigen Sachverhalt durch den Kommunikationspartner realisieren zu lassen. Die charakteristische Form ist der Spitzenstellungstyp, wobei die finite Verbform im Imperativ steht (daher auch die spezielle Bezeichnung Imperativsatz). Mit der Verwendung

773

Aufforderungssätze

des Imperativs ist in der Regel die Eliminierung des (stets den Kommunikationspartner bezeichnenden) Subjekts verbunden: (19)

Bring mir das Buch! Ordnet eure Sachen!

Daß trotzdem der Spitzenstellungstyp als Ausgangsform zu wählen ist, erweist sich in Sätzen, in denen das Subjekt nicht eliminiert ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn aus einer größeren Gruppe potentiell Aufforderbarer der oder die Aufgeforderten hervorgehoben werden: (20)

Bring du mir das Oeht ihr zuerst!

Buch!

Das Subjekt bleibt stets erhalten, wenn sich der Aufforderungssatz an einen in der Höflichkeitsform Sie angesprochenen Partner wendet: (21)

Bringen Sie mir das Buch! Seien Sie bitte vorsichtig!

oder wenn die Aufforderung an eine Gruppe von Personen gerichtet ist, in die sich der Sprecher einbezieht: (22)

Gehen wir hinüber! Seien wir vorsichtig!

Da spezielle Imperativformen nur für die 2. Person existieren, sind die in den letztgenannten Sätzen verwendeten Verbformen identisch mit dem Konjunktiv I . Eine andere Variante des. selbständigen Aufforderungssatzes realisiert den Grundstellungstyp. In ihrer syntaktischen Struktur gleicht diese Variante dem Aussagesatz. Steht die finite Form im Indikativ, so wird der zu realisierende Sachverhalt in fallender Intonation als Tatsache dargestellt. Auf diese Weise kommt zum Ausdruck, daß ein Widerspruch nicht geduldet wird: (23)

Du bringst mir das Buch! Du wirst mir das Buch bringen!

Die Aufforderungsintention kann auch durch ein spezielles aufforderndes Modalverb gekennzeichnet werden: (24)

Du sollst mir das Buch bringen! Du sollst endlich ruhig sein!

Die finite Verbform kann ferner im Konjunktiv I stehen und mit einem Indefinitpronomen als Subjekt verbunden sein. Das Indefinitpronomen ist in einem solchen Satz Pro-Element für eine unbestimmte Gruppe von Aufgeforderten: (25)

Man beachte die Mitteilungen der SeewetterdienststeUel Man lasse den Tee fünf Minuten ziehen! Niemand rühre sieh von der Stelle!

Schließlich ist darauf zu verweisen, daß eine weitere Variante des Aufforderungssatzes die syntaktische Grundstruktur mit Endstellung unmittelbar realisiert. I n diesem Falle wird der Satz durch daß eingeleitet, und es treten für diese Variante

774

5.2. Abwandlungen

in einfachen

Sätzen

charakteristische Elemente auf (wie betontes ja, Personalpronomen im ethischen Dativ): (26)

Daß du ja sofort nach Hause Daß ihr mir gut aufpaßt!

kommst/

5.2.7.

Kontextbedingte Umordnungen der Grundreihenfolge

§16

Die bisher dargestellten Umordnungen betrafen insbesondere Positionsveränderungen der finiten Verbform. Eine Systematik der Abwandlungen muß aber auch die vielfaltigen Umordnungen der anderen (nicht mit der finiten Verbform identischen) Konstituenten des Satzes gegenüber der in der syntaktischen Grundstruktur gegebenen Grundreihenfolge der Konstituenten berücksichtigen. Solche Umordnungen von Konstituenten können unter dem Einfluß der Bekanntheit oder Vorerwähntheit einer Konstituente im Prozeß der Kommunikation, zum Zwecke kontrastiver Hervorhebungen oder auf Grund des emotionalen Gewichts erfolgen, das einer Konstituente in der Kommunikation zugeordnet wird. Eine detailliertere Beschreibung der hierher gehörigen Abwandlungen gibt Kapitel 4., §§ 23-62/

5.2.8.

Passivsätze

617

Eine Handlung wird im Normalfall agensbezogen abgebildet. Dabei wird das Agens durch das Subjekt des Satzes ausgedrückt, ein möglicherweise vorhandenes Patiens findet seinen Ausdruck durch das Objekt. Das Ergebnis dieser Ausdrucksweise ist der Aktivsatz, wie er für Grundstrukturen charakteristisch ist. Aktivsätze sind jedoch nicht notwendig agensbezogen, d. h. nicht notwendig dient das Subjekt als Agens-Ausdruck. Beispiele nichtagensbezogener Aktivsätze sind: (27)

Die Suppe kocht Das Boot treibt den Fluß hinab Das Urteil kommt zur Verlesung

Das Aktiv ist folglich gegenüber dem Agensbezug unmarkiert. Der gleiche Sachverhalt kann aber auch ausdrücklich und markiert als nichtagensbezogen beschrieben werden: Das Agens erscheint dann entweder überhaupt nicht im Satz oder als fakultative Präpositionalgruppe; ein möglicherweise vorhandenes Patiens kann unter bestimmten Bedingungen zum Subjekt werden. Das Ergebnis dieser Ausdrücksweise ist der Passivsatz. Durch ihn wird ein anderer Ansatzpunkt für die Sachverhaltsbeschreibung gewählt. Es handelt sich also um eine Änderung der Sehweise, die einen morphologischen und einen syntaktischen Niederschlag findet. Entscheidend ist dabei, daß die Beschreibung des Sachverhalts markiert nicht-agensbezogen ist. Das Subjekt des Passivsatzes ist niemals Agens-Ausdruck.

Passivsätze

775

Der Unterschied zwischen Aktiv- und Passivsati ist » i t einem Unterschied in den verbalmorphologischen Merkmalen (Hinzutreten von werden + Partizip II) und einem Unterschied in der Leerstellenbesetzung des Verbs verbunden. Syntaktisch kann die Beziehung zwischen einem Aktivsatz und einem Passivsatz wie folgt beschrieben werden: Dem persönlichen Subjekt (Agens-Ausdruck) entspricht im Passivsatz fakultativ eine durch von oder durch eingeleitete PräpoBitionalgruppe, dem Akkusativobjekt (Patiens-Ausdruck) das Subjekt des Passivsatzes: (28)

Hans hat den Brief geschrieben Der Brief ist (von Hans) geschrieben worden

Während dem persönlichen Subjekt (Agens-Ausdruck) eine Präpositionalgruppe entspricht, sind das Dativ-, Genitiv- oder Präpositionalobjekt in Form und Funktion identisch: (20)

Hans hat ihm geholfen Ihm ist von Hans geholfen worden Hans hat ihn der Fahrerflucht bezichtigt Er ist von Hans der Fahrerflucht bezichtigt worden Manche Leute polemisieren gegen diesen Vorschlag Von manchen Leuten wird gegen diesen Vorschlag polemisiert

Für alle Sätze, die kein aktives Subjekt enthalten, gibt es Beschränkungen bei der Passivierung, die zumindest zu einem selteneren Gebrauch der entsprechenden Passivsätze gegenüber anderen Passivsätzen führen. Sätze mit statischen Verben können auf diese Weise in der Regel überhaupt nicht passiviert werden. Grundsätzlich möglich sind Passivsätze zu Sätzen, deren Subjekt unbestimmtpersönlich (man) ist. Allerdings ist auch diese Möglichkeit durch reflexive Verben eingeschränkt. (30)

Man raucht hier ¡Zigarren Hier werden Zigarren geraucht

Aber: Man langweilt sich hier *Hier wird sich gelangweilt Das unbestimmt-persönliche Subjekt (man) hat grundsätzlich keine Entsprechung in Passiväätzen: (31)

Man diskutiert viel über die Friedensinitiative der sozialistischen Länder Über die Friedensinitiative der sozialistischen Länder wird viel diskutiert

Die Passivsätze ohne Subjekt werden als unpersönliche PassivsStze bezeichnet. Sie enthalten grundsätzlich intransitive oder intransitiv gebrauchte Verben. Im Falle der unpersönlichen Passivsätze mit absoluten Verben muß es eintreten,

776

5.2. Abwandlungen

in einfachen

Sätzen

sofern die Stelle vor der finiten Verbform nicht durch ein anderes Satzglied besetzt ist (sonst tritt es nach den üblichen Regeln ein): (32)

§20

Es wird gearbeitet Heute wird gearbeitet Es wird heute gearbeitet

Das Znstandspassiv wird als morphologische Variante mit entsprechenden Bedeutungsunterschieden behandelt. Nicht alle passivfähigen Verben können ein Zustandspassiv bilden. (33)

Das Das Der Der

Kind Kind Plan Plan

ist gereitet worden ist gerettet ist erfüllt worden ist erfüllt

Aber: Karl ist gesehen worden *Karl ist gesehen Der Autor ist kritisiert worden *Der Autor ist kritisiert Es ist anzunehmen, daß auch die Bildung des Zustandspassivs komplizierten Regelmäßigkeiten unterliegt. Diese sind jedoch noch wenig erforscht (s. auch Kap. 3.). § 21

Die Passivsätze haben verschiedene funktionale Äquivalente. Um echte Äquivalente handelt es sich nur dann, wenn zu ihnen tatsächlich ein entsprechender Passivsatz existiert. Wir unterscheiden zwei Arten von Passiväquivalenten: 1. Valenzvarlanten (Typen unterschiedlicher Leerstellenbesetzung). Von einer Passivierung kann hier insofern gesprochen werden, als eine substantivische Konstituente einmal Objektfunktion, das andere Mal Subjektfunktion hat. Dieser Unterschied wird als Unterschied in der Valenzstruktur des Verbs beschrieben, z. B.: (34)

Jemand zerbricht die Tasse (agensbezogen) Die Tasse wird von jemandem zerbrochen Die Tasse zerbricht (agensunabhängig)

2. Abwandlungen von Passivsätzen. Passivsätzen mit einer spezifischen Struktur entsprechen andersstrukturierte Sätze, die sich ajs Abwandlungen von Passivsätzen beschreiben lassen, z. B. (35): (35)

Das kann (muß, soll) geändert werden Das ist zu ändern

Eine ausführliche Darlegung der mit der Passivierung verbundenen Probleme erfolgt in Kap. 3.1.2.1.6. Zur Thema-Rhema-Struktur von Passivsätzen vgl. Kap. 4., §48.

Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

777

Unvollständige Sätze Eine besondere Gruppe von abgewandelten Strukturen ergibt sich durch die Möglichkeit, Konstituenten von Grundstrukturen zu tilgen. Eine Systematik der unvollständigen Sätze muß zumindest drei Arten der Umformung der zugrunde liegenden vollständigen Sätze unterscheiden: a) Elliptische Tilgung b) Eliminierung c) Reduktion Eine kurze Übersicht über diese Arten der Tilgung von Konstituenten wird in Kap.1.5.7. gegeben.

A b w a n d l u n g e n in zusammengesetzten Sätzen Allgemeines Da Sachverhalte in Sätzen beschrieben werden, lassen sich Beziehungen zwischen verschiedenen Sachverhalten In speziellen Verknüpfungen der sie beschreibenden Sätze ausdrücken. Innerhalb unseres Modells sind solche Satzverknüpfungen darstellbar als Verknüpfungen einzelner Sätze zu e i n e r Struktur, mit der sich eine einheitliche Intention verbindet. Bei allen unterschiedlichen Möglichkeiten der sprachlichen Darstellung von Sachverhaltsbeziehungen ist doch immer von einer Verknüpfung von Satzstrukturen (syntaktischen Strukturen, die vollständigen Sätzen zugrunde liegen) auszugehen. Diese Verknüpfungen haben sowohl eine unterschiedliche semantische Funktion - sie sagen Unterschiedliches über die Art der Beziehungen zwischen Sachverhalten aus - als auch eine unterschiedliche syntaktische Struktur. Beide Unterscheidungen überschneiden sich. Nach der semantischen Struktur unterscheiden wir vier Hauptarten von Verknüpfungen: 1. Die Verknüpfung von Sätzen bezeichnet das (allgemeinste) Nebeneinander von Sachverhalten. Es wird etwas über das bloße Nebeneinander oder NichtNebeneinander von Sachverhalten ausgesagt, ohne daß auf besondere Relationen zwischen den Sachverhalten ausdrücklich Bezug genommen wird. Dieser Verknüpfungsart entsprechen die logischen Verknüpfungsoperationen der Konjunktion und der Disjunktion .(Alternative) von Aussagen. Sprachlich wird diese Verknüpfung in der Regel koordinativ durch koordinierende sprachliche Verknüpfungszeichen (Konjunktionen als sprachliche Zeichen) realisiert. Die Koordination ist für die zusammengesetzten Sätze im Deutschen wesentlich dadurch bestimmt, daß keiner der Sätze eine syntaktische Funktion im anderen Satz hat und auch nicht als weiterführender Nebensatz dem anderen Satze unmittelbar angeschlossen wird. Die koordinierenden konjunktiven und disjunktiven Verknüpfungszeichen und und oder beanspruchen selbst keine SatzgHedstelle. 2. Die Verknüpfung von Sätzen bezeichnet eine aasgezeichnete Relation zwi50 Deutsche Gramm.

778

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

sehen zwei Sachverhalten. Spezielleren Relationen zwischen Sachverhalten, die über das einfache Nebeneinander der verbundenen Sachverhalte hinausgehen, entspricht logisch ein Prädikat (eine Relation) mit zwei Aussagen als Argumenten, symbolisierbar durch R(p,q). Solche Relationen lassfen sich sprachlich generell in einem verbalen Ausdruck (durch ein Verb oder eine Prädikatsgruppe) realisieren, der die spezielle Beziehung zwischen den Sachverhalten expliziert und die Sätze, welche die Sachverhalte beschreiben, miteinander verbindet. Die allgemeine Formel solcher Ausdrücke ist etwa: ,,p' hat die Eigenschaft F in bezug auf q'"; „daß p', hat die Wirkung, daß q'" usw. Es gibt jedoch eine beschränkte Zahl ausgezeichneter Relationen zwischen Sachverhalten (so Temporalität, Konditionalität und auf ihr aufbauende speziellere Relationen, Modalität), für deren sprachlichen Ausdruck darüber hinaus besondere, nicht-verbale Bezeichnungsweisen existieren. Die sprachliche Realisierung erfolgt entweder quasi-koordinativ, wobei die Relation semantisch durch besondere Pronominaladverbien (Pro-Adverbien) hervorgehoben wird, oder durch subordinierende Verknüpfungszeichen (subordinierende Konjunktionen), die den einen Satz in den anderen einbetten - ihn diesem subordinieren - und ihm die Funktion eines Satzgliedes in diesem Satz zuweisen (Adverbialsätze). Die Pronominaladverbien unterscheiden sich von den koordinierenden Konjunktionen dadurch, daß sie immer eine besondere Satzgliedstelle beanspruchen und selbst keine syntaktisch koordinierende Funktion haben. Deshalb sprechen wir von quasi-koordinativer Verknüpfung oder auch nur von Satzfolgen. Koordinative Verknüpfung hegt nur dann vor, wenn koordinierende Konjunktionen verwendet werden. Die zu behandelnden ausgezeichneten Relationen sind nicht mit den Adverbialrelationen der Grundstrukturen identisch, haben aber eine enge Beziehung zu ihnen. Die nicht-verbalen Realisierungen von Relationen dieser Art haben (mit gewissen Ausnahmen) die syntaktischen Eigenschaften von Adverbialen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit der Erweiterung der Adverbialrelationen. So erscheint es zweckmäßig, zu differenzieren zwischen primären Adverbialrelationen (räumliche Einordnung, zeitliche Einordnung, bestimmte Arten der Modalität), für die die Sprache eigene Adverbien entwickelt hat, die jedoch zum Teil auch durch quasi-koordinativ verknüpfte Sätze m i t Pronominaladverbien oder durch eingebettete Adverbialsätze realisiert werden können, und sekundären Relationen, die nicht durch Adverbien realisiert werden können (Konditionalität, Kausalität u. a.).

3. Die Verknüpfung von Sätzen bezeichnet einen Sachverhalt, zu dessen unmittelbaren Bestandteilen Sachverhalte gehören. In diese Gruppe gehen beliebige spezielle Relationen zwischen Sachverhalten ein, aber auch Zuordnungen von Eigenschaften zu einzelnen Sachverhalten. Logisch entspricht dem eine Aussage aus einem ein- oder mehrstelligen Prädikat mit zumindest einer Aussage als Argument. Nach unserem (sehr weiten) Sachverhaltsbegriff steht auch eine derartige Aussage für einen Sachverhalt. Sprachlich wird diese Beziehung ausgedrückt, indem Sätze (in Subjekt- oder Objektfynktion) als Ergänzungen zu bestimmten Prädikatsausdrücken gewählt werden. Im Unterschied zu 2. wird die Relation immer durch ein Verb oder eine Prädikatsgruppe realisiert. Die Satzverknüpfung erfolgt entweder quasi-koordinativ mit Hilfe von Pronomen, die auf einen ganzen Sachverhalt verweisen (daa-Anknüpfung), oder

779

Allgemeines

subordinativ mit Hilfe von subordinierenden Verknüpfungszeichen (daß, ob), die eine oder mehrere Sachverhaltsbeschreibungen in einen Satz einbetten (Subjektund Objektsätze). 4. Die Verknüpfung von Sätzen bezeichnet die Kennzeichnung von Individuen durch einen Sachverhalt. Individuen (Nicht-Sachverhalte), die als unmittelbare Bestandteile eines Sachverhalts auftreten, werden durch einen anderen Sachverhalt - genauer durch ihre Identifizierung mit einem Bestandteil dieses Sachverhalts - näher charakterisiert. Aussagen, die diese charakterisierenden Sachverhalte betreffen, sind nicht unmittelbar Argumente eines übergeordneten (logischen) Prädikats, sondern determinieren einzelne Individuen, die ihrerseits Argumente eines übergeordneten Prädikats sind. Sprachlich wird diese Verknüpfung durch die verschiedenen Arten von Attributen realisiert. Die folgende Darstellung von Satzverknüpfungen geht von den in § 23 aufgezählten vier Hauptarten der Verknüpfung aus, d. h. von einer semantischen Einteilungsgrundlage. Jeder der vier Typen zerfällt in Untertypen. Abb. 2 gibt einen Überblick: 1)

Konjunktion Allgemeinste -Beziehungen

Disjunktion Temporal

2) Ausgezeichnete Relationen Exponierung Typen von Sachverhaltsverknüpfungen Prädi katsausdrücke mit Subjektssätzen

3) Sachverhalte als Bestandteile von Sachverhalten

Prädikatsausdrücke mit Objektssätzen Prädikatsausdrücke mit Subjekts-und Objektssätzen

Kennzeichnung von Individuen durch einen Sachverhalt 50»

Determination

Konditional

780

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

Jede der hier angeführten Klassen kann syntaktisch unterschiedlich realisiert werden. Typisch für 1) ist die Koordination, während für 2) bis 4) die Subordination charakteristisch, jedoch nicht notwendig ist. Unter 2) werden die sogenannten Adverbialsätze behandelt, unter 3) u. a. Subjekt- und Objektsätze und unter 4) Attributsätze. Die semantische Klassifizierung deckt sich jedoch nicht völlig mit der syntaktischen. Um die syntaktischen Varianten von Grundstrukturen darstellen zu können, müssen ferner die mit jeder vollständigeren Realisierung der Grundstruktur korrespondierenden abgewandelten Strukturen aufgeführt werden (Substantivierung, Infinitivgruppe, Partizipialgruppe, sonstige Reduktionen).

5.3.2.

Darstellung allgemeinster Beziehungen von Sachverhalten

§ 25

Konjunktionsrelation. Sie ist eine Relation zwischen Sachverhalten, die das allgemeinste, nicht weiter spezifizierte Nebeneinanderbestehen von Sachverhalten bzw. die gleichzeitige Gültigkeit von Aussagen über solche Sachverhalte betrifft. Alle im folgenden zu behandelnden spezielleren Relationen zwischen Sachverhalten p und q, die ja immer von der Existenz der verbundenen Sachverhalte ausgehen müssen, setzen mithin die Konjunktionsrelation - symbolisierbar durch Conj(p, q) - als elementare Relation zwischen diesen Sachverhalten voraus. Die Relation der Konjunktion, wie sie für die semantische Fundierung grammatischer Erscheinungen wesentlich ist, stimmt nicht in allem mit der Konjunktion als Relation der Aussagenlogik überein. Auf nebeneinanderbestehende Sachverhalte kann sich etwa auch eine Frage beziehen, die jedoch wegen ihrer Nichtbewertbarkeit in bezug auf Wahrheit oder Falschheit außerhalb der aussagenlogischen Betrachtung liegt.

Es entspricht dem allgemeinen Charakter der Konjunktionsrelation, daß sie beliebigen Satzverknüpfungen, die eine nicht-disjunktive Verbindung von Sachverhalten ausdrücken, zugrunde liegt. Einzige Bedingung für die Konjunktion von Sachverhalten und die konjunktive Verknüpfung von Sätzen ist ein gemeinsamer Bezugspunkt - und sei er noch so allgemein unter dem die Sachverhalte betrachtet werden können („gemeinsame Einordnungsinstanz" bei E. LANG ( 1 9 7 6 ) ) . Darin besteht das semantische Motiv für die Konjunktion ( s . a . K a p . 1.2.4., §24).

Wie bereits für speziellere Arten von Relationen zwischen Sachverhalten hervorgehoben, ist auch das Nebeneinanderbestehen von Sachverhalten sprachlich durch •JZefrben bzw. Prädikatsgruppon ausdrückbar, etwa in der Form: „daß p' und daß q', gilt zugleich". Uns interessieren jedoch diejenigen Verbalisierungsformen f ü r konjunktive Verknüpfungen, die nicht den Charakter von (syntaktischen) Prädikaten haben.

§ 26

Die Konjunktionsrelation wird - abgesehen von spezifischen Fällen - immer durch >koordinative oder quasi-koordinative Verknüpfung von Sätzen ausge-

Allgemeinste

Beziehungen

zwischen

Sachverhalten

781

drückt. Die einfachste Form der konjunktiven Verknüpfung ist die unverbundene (asyndetische) Aufeinanderfolge von Sätzen: (36)

Der Tag begann mit leichtem Regen. Die Straße schimmerte grau. Ein Mann trat vor die Tür

Für die unverbundene Aufeinanderfolge gelten bestimmte Regeln: Die beschriebenen Sachverhalte und ihre Beziehungen untereinander verlangen eine bestimmte Ordnung der verbundenen Sätze. Hinzu kommen Intonations-, Stellungs- und Pronominalisierungsregeln, die auf den jeweiligen Kontext Bezug nehmen. Da auch Sätze, welche Sachverhalte in einer spezielleren Be ziehung als der konjunktiven beschreiben, asyndetisch verknüpft sein können, bleiben die eigentlichen Relationen zwischen den Sachverhalten bei der unverbundenen Aufeinanderfolge unausgedrückt und sind nur auf Grund der Kenntnis über die beschriebenen Sachverhalte erschließbar. Asyndetische Verknüpfungen lassen sich nicht nur konjunktiv, sondern - spezieller - etwa auch temporal, konditional, kausal interpretieren, (vgl. Kap. 1.2.4., §24). Die spezifische sprachliche Form für die Beziehung des konjunktiven Nebeneinander von Sachverhalten ist die Verknüpfung von Sätzen durch koordinierende Verknüpfungszeichen. Der gemeinsame Bezugspunkt ist hier verbindlicher als bei der asyndetischen Verknüpfung. Auch die durch konjunktive Verknüpfungszeichen - insbesondere durch und - verbundenen Sätze können jedoch Sachverhalte in einer über die Konjunktion hinausgehenden spezielleren Relation zueinander ausdrücken. Es handelt sich allerdings nicht um markierte Verknüpfungsformen zum Ausdruck dieser Relationen. In Satz (37) liegt z. B. eine temporale Relation vor: (37)

Die Hunde hetzten das Wild, und das Wild blieb auf der Strecke

Für alle koordinierenden konjunktiven Verknüpfungszeichen, die Sätze verbinden, gilt zugleich, daß sie auch Konstituenten innerhalb eines Satzes verbinden, aber nicht umgekehrt (sowohl - als auch kann nicht die Verknüpfung zweier Sätze in der Grundstellung bezeichnen). Da koordinierte Sätze mit identischen Konstituenten durch Reduktion zu einem Satz mit Wort- oder Wortgruppen-Konjunktion abgewandelt werden können, ist es oft möglich, Sätze mit Wort- oder Wortgruppen-Konjunktion auf konjunktive Satzverknüpfungen als ihre explizite Formulierung zu-beziehen. Vgl. (38) und (39): (38) (39)

Peter ißt, und Hans ißt Peter und Hans essen

Diese Tatsache unterstreicht, daß Konjunktion von einem gemeinsamen Bezugspunkt ausgeht, der sich syntaktisch in teil weiser Übereinstimmung der verknüpften Sätze in ihren Konstituenten äußern kann. Es gibt jedoch auch Wortgruppen-Konjunktionen, die nicht als Reduktionen von Satz-Konjunktionen erklärbar sind: (40)

Peter und Hans treffen sich Werner und seine Freunde umzingeln das Haus Klara und Klaus sind meine Geschwister

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

Konjunktive Verknüpfungszeichen: Universellstes konjunktives Verknüpfungszeichen ist und. Es bezeichnet am wenigstens spezifiziert die gemeinsame Existenz der Sachverhalte p und q, deren Beschreibungen^ die durch und verknüpften Sätze p' und q' sind. Das mehrteilige Verknüpfungszeichen nickt nur — sondern auch ist demgegenüber spezieller. In einer Satzverknüpfung des Typs „nicht nur p', sondern auch q'" wird signalisiert, daß das Gegebensein des Sachverhalts p bereits eine gewisse Erwartung erfüllt, daß diese Erwartung aber durch das gleichzeitige Gegebensein des Sachverhalts q noch übertroffen wird, p und q stellen gegenüber bloßem p eine Steigerung hinsichtlich der Erfüllung einer vorausgesetzten Erwartung dar. Das Nebeneinander zweier Sachverhalte, denen negative Aussagen - Neg(p) und Neg(q) - zugeordnet sind, die also jeweils durch Sätze mit Negationselementen beschrieben werden, bezeichnet das mehrteilige Verknüpfungszeichen weder — noch: Satzverknüpfungen des Typs „nicht p', und nicht q"' stehen in einem Entsprechungsverhältnis zu Satzverknüpfungen des Typs „weder p', noch q'". Vgl. (41) und (42): (41) (42)

Peter war nicht am Fluß, und er hat dort nicht geangelt Weder war Peter am Fluß, noch hat er dort geangelt

Die hier neben und als konjunktive Verknüpfungszeichen genannten Elemente' weisen eine Reihe von Stellungsbesonderheiten auf, die sie mit Satzgliedern teilen. Wahrend und ausschließlich zwischen den verknüpften Sätzen (ohne Satzgliedanspruch) vorkommt, steht nicht nur normalerweise hinter der finiten Verbform. Grundsätzlich haben die konjunktiven Verknüpfungszeichen keine adverbiale öder adverbialähnliche Funktion, dennoch kann weder die sonst nur Satzgliedern zuerkannte erste Stelle vor der finiten Verbform in Sätzen mit Grundstellung einnehmen, was für noch sogar verbindlich ist. Es läßt sich zeigen, daß sich abweichende Stellungen aus der Verbindimg der Verknüpfungszeichen mit der Negation ergeben, die hier mit ins Spiel kommt. Aus der Verbindung mit der Negation können auch solche Anordnungen erklärt werden wie in (43), die aus Reduktionen verknüpfter Sätze hervorgehen: (43)

Weder Peter hat das getan noch Hans Weder Peter noch Hans hat (haben) das getan

Die Beispiele entsprechen der Satzverknüpfung (44) Weder Peter hat das getan, noch Hans hat das getan

Eine erste, wenn auch immer noch sehr allgemeine Spezifizierung der Konjunktionsrelation ist die adversative Beziehung zwischen zwei Sachverhalten. Sie betrifft das Nebeneinanderbestehen zweier Sachverhalte p und q, die in einem gewissen Gegensatz zueinander stehen oder gesehen^ werden - häufig daraus ersichtlich, daß auf einen der Sachverhalte durch eine negative Aussage Bezug genommen wird. (Man beachte die Nähe zur Konzessivrelation.) Verbalisiert wird diese spezielle Art der Konjunktion durch die adversative Verknüpfung der p und q beschreibenden Sätze p' und q'. Wichtigstes koordinierendes Verknüpfungszeichen ist aber - ein Verknüpfungszeichen, das in Sätzen mit Grundstellung zwar nie allein die erste Position vor der finiten Verbform einnehmen kann (im Gegensatz etwa zu und oder oder), aber nicht an die Stellung

Allgemeinste

Beziehungen zwischen

Sachverhalten

783

zwischen den verknüpften Sätzen gebunden ist, sondern sich innerhalb des zweiten verknüpften Satzes q' bewegen kann: (45)

Peter hat geangelt, aber er hatte keinen Erfolg Peter hat geangelt, er hatte aber keinen Erfolg

Der Hervorhebung des Gegensatzes zwischen den verbundenen Sachverhalten dient das Element zwar innerhalb des ersten verknüpften Satzes: (45a)

Pcier hat zwar geangeU, aber er hatte keinen Erfolg

Das koordinierende Verknüpfungszeichen aber nimmt im Gegensatz zu und stets auf eine Erwartung Bezug. Satzverknüpfungen des Typs „nicht p', aber q'" beinhalten, daß die an die Existenz des Sachverhalts p geknüpfte Erwartung nicht erfüllt ist, dafür aber ein Sachverhalt q als Ersatz für die nicht erfüllte Erwartung angeboten wird. Satzverknüpfungen des Typs ,,p', aber nicht q'" beinhalten, daß die Erwartung nur zum Teil erfüllt wurde. Verknüpfungen des Typs „nicht p', aber auch nicht q'" beinhalten, daß für eine nicht erfüllte Erwartung auch kein Ersatz angeboten wird. Verknüpfungen des Typs ,,p', aber q'" beinhalten schließlich, daß a) mit dem Gegebensein des einen Sachverhalts ein anderer nicht erwarteter Sachverhalt in Kauf genommen werden muß oder b) das unerwartete Gegebensein des einen Sachverhalts durch einen anderen Sachverhalt annehmbarer wird oder c) ein Sachverhalt q notwendig wird, damit die an die Existenz von p geknüpfte Erwartung erfüllt werden kann. Einen einfachen Gegensatz zweier zugleich existierender Sachverhalte p und q unterstreicht auch die snbordinative Verknüpfung von p' und q', bei der p' den Endstellungstyp realisiert und mittels des einleitenden subordinierenden Verknüpfungszeichens während in q' eingebettet wird: (46)

Peter ist der bessere Taktiker, und (aber) Paul ist der bessere Stratege Während Peter der bessere Taktiker ist, ist Paul der bessere Stratege

Wird ein Gegensatz zwischen einem durch die Aussage Neg(p) charakterisierten Sachverhalt und einem Sachverhalt q unterstrichen, wobei p gleichzeitig als eigentlich erwartet (erwünscht) hervorgehoben wird, so ist die entsprechende Konjunktion durch Einbettung des p beschreibenden Endstellungssatzes p' mit anstatt daß als subordinierendem Verknüpfungszeichen in den Satz q' ausdrückbar: (47)

Peter besucht seine Tante nicht, aber er geht angeln Anstatt daß Peter seine Tante besucht, geht er angeln

Bei Identität der Subjekte kann der Endstellungssatz mit einer Infinitivgruppe korrespondieren: (47a)

Anstatt seine Tante zu besuchen, geht Peter angeln

Die Möglichkeit, den durch anstatt daß eingeleiteten Satz p' auch regulär auf einen. Satz wie obwohl Peter seine Tante besuchen soll zu beziehen, verweist auf den engen. Zusammenhang zwischen adversativer und konzessiver Verknüpfimg. Die tradi-

784

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen tionelle Einordnung der anstatt-Verknüpfung als Ausdruck eines Modalverhältnisses scheint uns hingegen nicht berechtigt zu sein.

§ 31

Disjonktiongrelation. Die Disjunktion ist eine Relation zwischen Sachverhalten - symbolisierbar Disj(p, q) - , die das Nicht-Nebeneinanderbestehen, den wechselseitigen Ausschluß von Sachverhalten betrifft. Von zwei oder mehr Beschreibungen disjunktiv verbundener Sachverhalte ist jeweils nur eine gültig. Disjunktion in diesem durch die sprachlichen Verhältnisse motivierten Verständnis ist — im Unterschied zur logischen Disjunktion — also in der Regel ausschließend, entspricht also eher der Relation, die in der Logik als Kontravalenz oder Antivalenz bezeichnet wird.

Aus dem wechselseitigen Ausschluß von Sachverhalten oder ihren Beschreibungen, die in disjunktiver Beziehung stehen, ergibt sich, daß sich auf der Disjunktion nicht in ähnlicher Weise wié auf der Konjunktion eine Vielzahl speziellerer Relationen zwischen Sachverhalten aufbaut. Genau wie die Konjunktion ist auch das disjunktive Verhältnis von Sachverhalten an die Bedingung eines gemeinsamen Bezugspunktes der Sachverhalte geknüpft. Sprachlich kann sich dies in der Identität von Konstituenten der Sätze äußern, die disjunktiv verbundene Sachverhalte beschreiben. Die Disjunktion von Sachverhalten p und q wird immer durch koordinative Verknüpfung der Sätze p' und q' ausgedrückt. Disjunktives Verknüpfungszeichen ist oder, das wie und ausschließlich zwischen den verknüpften Sätzen vorkommt und keine Satzgliedstelle beansprucht. Das ausschließende Verhältnis von p und q wird (in Aussage- und Aufforderungssätzen) durch entweder innerhalb des ersten verknüpften Saties unterstrichen: (48)

Karl ist entweder nach Rostock gefahren, oder er ist nach Oreifswald gefahren Fahrt entweder nach Rostock oder nach Oreifswald!

Entweder weist wie einige konjunktive Verknüpfungszeichen Stellungsbesonderheiten auf, die es mit Satzgliedern teilt (Möglichkeit der Erststellung vor der finiten Verbform in Sätzen mit Grundstellung und der Bewegung innerhalb seines Satzes). Wenn zwei koordinierte Sätze, die die Konjunktion oder Disjunktion von Sachverhalten, aber auch speziellere, auf dem einfachen Nebeneinander von Sachverhalten aufbauende Relationen zwischen Sachverhalten beschreiben, identische Konstituenten enthalten, so können die verknüpften Sätze derart reduziert werden, daß es keine Wiederholungen von Konstituenten mehr gibt. Die Reduktion betrifft meist nur den zweiten der Sätze; ebenso lassen sich aber auch Konstituenten des ersten Satzes eliminieren. (Als wiederholte Konstituenten gelten auch Pro-Elemente im zweiten Satz im Verhältnis zu den Substantiv- oder Präpositionalgruppen im ersten Satz, die sie vertreten.) Unter (49) werden Beispiele für die Reduktion von konjunktiv verknüpften Sätzen, unter (50) von disjunktiv verknüpften gegeben: (49)

Karl ist gestern nach Rostock gefahren, und Karl / er ist heute nach Greifswald gefahren

Ausgezeichnete

Relationen zwischen

Sachverhalten

785

Karl ist gestern nach Rostock gefahren und heute nach, Greifswald Karl ist gestern nach, Rostock und heute nach Greifswald gefahren Sie war reich, und sie war deshalb von besonderem, Mißtrauen Sie war reich und deshalb von besonderem Mißtrauen Ich habe Karin gesucht, aber ich habe Karin / sie nicht gefunden Ich habe Karin gesucht, aber nicht gefunden (50)

Er kommt heute, oder vielleicht kommt er auch erst morgen Er kommt heute oder vielleicht auch erst morgen Bleibst du heute abend hier, oder bleibst du heute abend nicht hier ? Bleibst du heute abend hier oder nicht?

Vor allem bei Reduktionen innerhalb von Verbgruppen gibt es viele Besonderheiten. So haben die beiden es in Beispiel (51) einen unterschiedlichen Status. Das erste es bezieht sich auf einen außerhalb des Satzes beschriebenen Sachverhalt, das zweite es steht für das reduzierte glauben. Die der Reduktion zugrundeliegende Satzverknüpfung erscheint vollständig in (52). Eine andere Reduktion ist (53); sie ist allerdings nur möglich, wehn das auch in (52) fehlt. (51) (52) (53)

Peter wollte es nicht glauben, und konnte es auch nicht Peter wollte es nicht glauben, und Peter konnte es (auch) nicht glauben Peter wollte und konnte es nicht glauben

Koordinierte Sätze können auch- dann reduziert werden, wenn sie gemeinsam eingebettet sind; die Regeln gelten also unabhängig davon, ob die.Satzverknüpfung selbständig oder als Glied- bzw. Gliedteilsatz auftritt. Wie bereits hervorgehoben, können nicht alle koordinativen Satzgliedverknüpfungen als Reduktionen koordinierter Sätze erklärt werden (s. § 27 Beispiel (40)).

5.3.3.

Darstellung einer ausgezeichneten Relation zwischen Sachverhalten

5.3.3.1.

Allgemeines

§ 32

Für alle in dieser Gruppe vereinigten Arten von zusammengesetzten Sätzen gilt, daß sie ein auf der Konjunktion aufbauendes spezifisches Verhältnis zwischen Sachverhalten ausdrücken. Zwischen Sachverhalten können sehr verschiedenartige Relationen bestehen, die sich immer durch spezielle Verben oder Prädikatsgruppen bezeichnen lassen. Beispiele solcher Explikationen sind verursachen, bewirken, bedingen, bestehen in, zum Ausdruck kommen in usw. Einige der hierher gehörenden Relationen sind so wichtig für die Kommunikation, daß sich neben der durch Verben und andere Prädikatsausdrücke möglichen Bezeichnungsweise eine besondere Verknüpfungsform der Sätze entwickelt hat. Zu diesen ausgezeichneten Relationen gehören die temporalen, konditionalen, kausalen und modalen Relationen.

786

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

In der Mehrzahl der Fälle kann die nicht-verbale Bezeichnungsweise durch zwei einander entsprechende Verknüpfungsformen realisiert werden: 1. Es wird eine (meist pronominale/proadverbiale, kurz „Pro-Form" genannte) Form gewählt, die sich auf einen vorausgehenden Satz bezieht und zum Ausdruck bringt, daß der Satz, in dem die Pro-Form eine Satzgliedstelle einnimmt, in einem ganz bestimmten Verhältnis zum vorausgehenden Satz steht. Wir bezeichnen diese Verknüpfungsart als quasi-koordinative Verknüpfung, weil keiner der Sätze eine syntaktische Funktion im anderen Satz hat und weil beide Sätze durch Zweitstellung des finiten Verbs gekennzeichent sind. Von der eigentlichen koordinativen Verknüpfung unterscheidet sich die quasi-koordinative durch das Fehlen eines koordinierenden Verknüpfungszeichens. Die „ProFormen" weisen zwar in Satzfolgen auf den Partnersatz hin, stellen mithin eine bestimmte Beziehung her, unterscheiden sich von den Konjunktionen aber in ihrer syntaktischen Funktion. 2. Es wird ein subordinierendes Verknüpfungszeichen gewählt, das den einen Satz einleitet und ihn in den anderen einbettet, ihn diesem subordiniert. „Einbetten" bedeutet, daß der eine Satz zu einer Konstituente des anderen Satzes wird. Bei dieser Satz-Einbettung behält der eingebettete (subordinierte) Satz immer seine Satzstruktur. Wir bezeichnen Sätze, in die andere eingebettet werden, als übergeordnet im Verhältnis zum eingebetteten Satz (auch als Matrixsätze). Sätze, die selbst nicht eingebettet sind und als Aussage- und Ergänzungsfragesätze Zweit- (oder Grundstellung, als Entscheidungsfragesätze und Imperativsätze Spitzenstellung des Verbs aufweisen, heißen Hauptsätze. Die Verknüpfungsart, in der Regel an Aussage-Hauptsatz und subordiniertem Satz dargestellt, bezeichnen wir als subordinative Verknüpfung. Erfüllen die eingebetteten Sätze in ihrem übergeordneten Satz eine Satzgliedfunktion, so bezeichnen wir sie als Gliedsätze. Auf diese Weise wird auch zum Ausdruck gebracht, daß die eingebettete Sachverhaltsbeschreibung in einem ganz bestimmten Verhältnis zur übergeordneten Sachverhaltsbeschreibung steht. Die im vorliegenden Teilkapitel zu behandelnden subordinierten Sätze sind in der Regel Gliedsätze. Gliedteilsätze, welche lediglich die Funktion eines Satzgliedteils (Attributs) erfüllen, behandeln wir hier nur zur Abgrenzung von den Gliedsätzen. § 33

Wenn wir die subordinative Verknüpfung der quasi-koordinativen gegenüberstellen, dann entspricht dem eingebetteten Satz der vorausgehende, also nicht durch eine Pro-Form gekennzeichnete Satz. Der eingebettete Satz wird in der Regel durch ein subordinierendes Verknüpfungszeichen eingeleitet. I n einigen Fällen erscheinen auch subordinierte Gliedsätze ohne spezifische Einleitung; sie sind jedoch stets durch eine besondere Satzgliedfunktion gekennzeichnet. Das subordinierende Verknüpfungszeichen bewirkt im allgemeinen Endstellung der finiten Verbform. Subordinierte Sätze kommen aber auch mit anderer Stellung der finiten Verbform vor. Wesentlich ist dabei immer ihre Satzgliedfunktion. Die Satzgliedfunktion wird dann am deutlichsten, wenn der subordinierte Satz vorangestellt ist (Vordersatz-Position). Ihm folgt dann die finite Verbform, sofern nicht ein einleitendes Stützwort vorangeht. Im Unterschied zu den Satzgliedern stehen Gliedsätze häufig jedoch auch am Satzende (als Nachträge)

Auagezeichnete Relationen zwischen Sachverhalten

787

hinter den infiniten Verbformen (Nachsatz-Position). Außerdem sind verschiedene - meist als parenthetisch gedeutete * - Einschübe des Gliedsatzes möglich (Zwischensatz-Position). Die normalen Stellungen von Gliedsätzen sind die vor der finiten Verbform am Satzanfang oder am Satzende hinter den infiniten Verbformen. I n diesem Zusammenhang sei auch auf einige andere wesentliche Begriffe eingegangen: Der Begriff „Nebensatz" ist Oberbegriff für alle Sätze, die weder Hauptsätze noch isolierte oder koordinierte selbständige Sätze sind. E r u m f a ß t neben den Gliedsätzen auch die Gliedteilsätze und die weiterführenden Nebensätze. Weiterführende Nebensätze sind Abwandlungen quasi-koordinativer Verknüpfungen. I n einigen Fällen entsprechen den pronominalen Formen subordinierende Formen,dio einen Satz platzfest einleiten und Endstellung der finiten Verbform bewirken. Dadurch wird die Quaal-Koordination aufgegeben: der weiterführende Nebensatz h a t jedoch keine syntaktische Funktion in dem Satz, auf den er sich bezieht. Außerdem hat der weiterführende Nebensatz, sofern er nicht parenthetisch eingeschoben wird, immer Endstellung: (54)

Hans Hans Hans Hans

ist gekommen. ist gekommen, ist gekommen. ist gekommen,

Darüber habe ich mich gefreut worüber ich mich gefreut habe Das hat mich gefreut was mich gefreut hat

Isolierte Nebensätze sind Sätze mit Endstellung, die in bestimmten kommunikativen Situationen ohne entsprechenden Hauptsatz geäußert werden können, weil das, was im Hauptsatz mitgeteilt werden könnte, durch die jeweilige Situation hinreichend determiniert ist. (55)

Daß du auch nichts lernst! Wie er das wieder gemacht hat!

Für die im folgenden Teilkapitel interessierenden Pro-Formen und Einbettungen gilt, daß sie - an vorangestellten Einbettungen deutlich sichtbar — eine eigene Satzgliedstelle im Satz beanspruchen. Sie können jedoch weder Subjekt noch Objekt sein. Deshalb werden die Pro-Formen als Unterart der Adverbiale (Pronominaladverbien) klassifiziert und die eingebetteten Sätze als Adverbialsätze bezeichnet. Ein weiteres Argument für die Beziehung der hier zu untersuchenden Einbettungen zu den Adverbialen besteht in folgendem: Adverbiale dienen vornehmlich dazu, Sachverhalte zeitlich, räumlich oder modal einzuordnen. Neben besonderen Zeichen für diese Einordnung - und verschiedenen anderen Einordnungsformen - können auch Sachverhalte, die bereits eingeordnet sind, zu einer entsprechenden Einordnung anderer Sachverhalte dienen. Unter dem Gesichtspunkt der Einordnimg eines Sachverhalts durch einen andern lassen sich aber nicht alle Satztypen behandeln, die die traditionelle Grammatik als Adverbialsätze ansieht. Wir werden eine Reihe v o n ihnen zwar hier in unsere Betrachtungen mit einbeziehen, aber doch darauf aufmerksam machen, daß ihr P l a t z in unserer Systematik ein anderer ist. Dies gilt immer, wenn nicht ein Sachverhalt einen anderen Sachverhalt in bestimmter Hinsicht einordnet, sondern nur ein bestimmter Bestandteil des einen Sachverhalts den entsprechenden Bestandteil des anderen Sachverhalts determiniert. Subordinierte Sätze, die eine Determination

788

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

eines Satzglieds des übergeordneten Satzes bewirken, sind hinsichtlich ihrer Funktion als Gliedteilsätze (Attributsätze) zu erklären. Das trifft generell für Lokalsätze zu. Sie drücken niemals ein räumliches Verhältnis zwischen Sachverhalten aus, sondern vermitteln immer nur die nähere Kennzeichnung eines Ortes, an den ein Sachverhalt oder einzelne Komponenten eines Sachverhalts fixiert sind. Der (als gegeben vorausgesetzte) Ort des Lokalsatz-Sachverhalts determiniert den Ort des Sachverhalts des übergeordneten Satzes. E s sei aber unterstrichen, daß die Erklärung für die Einbettung von Lokalsätzen aus ihrem Gliedteilsatz-Charakter nicht ausschließt, sie dann, wenn kein Bezugselement innerhalb des übergeordneten Satzes expliziert ist und sie alleinige Zeichen für die räumliche Einordnung des Sachverhalts des übergeordneten Satzes sind, d o c h „ L o k a l s a t z " zu nennen (z. B . Wo der Rauch

aufsteigt,

liegt die Fabrik).

Im

Gegensatz dazu bleibt die Bezeichnung Attributsatz auf diejenigen Sätze beschränkt, deren Bezugselement im übergeordneten Satz expliziert ist (z. B . Dort, wo der Rauch aufsteigt, liegt die Fabrik). Eine analoge Regelung empfehlen wir auch für andere Relativsätze, die hinsichtlich der Möglichkeit ihrer Einbettung und ihrer Funktion als Attributsätze zu erklären sind.

5.3.3.2.

Temporalverhältnisse

§35

Sachverhalte weisen eine temporale Dimension auf, die in sprachlichen Äußerungen durch eine Reihe von grammatischen Mitteln ausgedrückt werden kann. Die Variationsbreite dieser Mittel ist in Kapitel 2.3.2.4. anhand der adverbialen Temporalbestimmung exemplifiziert worden. Im vorliegenden Kapitel werden die temporalen Verhältnisse zwischen zwei Sachverhalten näher betrachtet, die in verknüpften Sätzen ausgedrückt werden. Sehweise und Verarbeitung des Untersuchungsobjektes - der sprachlichen Realisierung temporaler Relationen - unterscheiden sich in einigem in den Kapiteln 2.3.2.4. und 5.3.3.2., es wird jeweils eine spezifische Seite der Problematik beleuchtet. Wir betrachten hier zwei temporale Grundrelationen, die der Gleichzeitigkeit und die der zeitlichen Aufeinanderfolge von Sachverhalten. Zu beiden Relationen existiert, auch wenn wir auf der Ebene von S ä t z e n bleiben, eine große Anzahl von Varianten.

5.3.3.2.1. Gleichzeitigkeit von Sachverhalten § 36

Die Gleichzeitigkeit zweier Sachverhalte kann durch einfache koordinative Verknüpfung (d. h. durch koordinative Verknüpfung ohne Zuhilfenahme temporaler Adverbien oder unterschiedlicher Tempusformen der Verben) der die Sachverhalte beschreibenden Sätze ausgedrückt werden, besser: einfache koordinative Verknüpfung schließt die Gleichzeitigkeitsrelation zwischen den verknüpften Sachverhalten nicht aus. Vgl. (56): (56)

Klaus

sorgt für den Plattenspieler,

und Elke beschafft

neue

Platten

Diese Präzisierung ist nötig, da — wie unten noch auszuführen ist — die einfache

Temporalverhältnisse

789

koordinative Verknüpfung zweier Sätze p' und q' in dieser Reihenfolge lediglich die Nachzeitigkeit von p gegenüber q ausschließt. Ob aber Gleichzeitigkeit oder Vorzeitigkeit zwischen den Sachverhalten besteht, welche in einfach koordinierten Sätzen beschrieben werden, geht aus der Verknüpfung selbst nicht hervor, ist nur auf Grund unseres Wissens über die jeweiligen Sachverhalte angebbar.

Eindeutig wird der Ausdruck eines bestimmten Temporalverhältnisses zwischen den Sachverhalten in Satzfolgen durch den Einsatz zusätzlicher Mittel: die Anwendung unterschiedlicher Tempusformen der Verben und / oder (im Falle der Gleichzeitigkeit ausschließlich) die Hinzunahme von temporalen Adverbien (bzw. temporalen Präpositionalgruppen aus temporaler Präposition und mit Demonstrativum verbundenem Zeitsubstantiv). Letztere erscheinen im zweiten der verknüpften Sätze und geben das temporale Verhältnis des zweiten Sachverhalts zum ersten an. Dabei können sie - insbesondere bei Vorzeitigkeit - durch korrespondierende Adverbien im ersten Satz unterstützt werden. Mit Hilfe von Temporaladverbien wird auch der Ausdruck der Nachzeitigkeitsrelation zwischen Sachverhalten in koordinativ und quasi-koordinativ verknüpften Sätzen möglich. Als Temporaladverbien für den Ausdruck der Gleichzeitigkeit dienen vor allem währenddessen, gleichzeitig, zugleich, aber auch seither, da, dann, jetzt, damals, jedesmal u. a. Die ausgedrückte Gleichzeitigkeit kann sich auf die Identität der Zeitpunkte zweier Ereignisse beziehen, sie kann aber auch nur ein partielles zeitliches Zusammenfallen zweier Sachverhalte betreffen (in den Zeitraum eines Sachverhalts kann etwa der kürzere Zeitraum oder der Zeitpunkt des andern — u. U. mehrfach wiederholt — fallen usw.). Zu unterscheiden ist auch der Fall, daß der erste Satz keine näheren Angaben über die vom Sachverhalt beanspruchte Zeiteinheit, ihren Beginn und / oder ihr Ende enthält, von dem Fall, daß solche Angaben expliziert sind. Währenddessen wird bevorzugt bei der quasi-koordinativen Verknüpfung von Sätzen mit unterschiedlichen Subjekten benutzt (Karl kümmerte sich um das Essen; währenddessen werteten die anderen Expeditionsteilnehmer ihre Funde aus); gleichzeitig und zugleich unterstützen den Ausdruck der Gleichzeitigkeit in Sätzen mit identischen Subjekten (Karl kümmerte sich um das Essen; gleichzeitig überwachte er den Aufbau der Zelte).

Die zweite Möglichkeit für den sprachlichen Ausdruck temporaler Verhältnisse zwischen Sachverhalten - in unserem Falle ihrer Gleichzeitigkfeit — ist die subordinative Verknüpfung der sie beschreibenden Sätze. Eine solche Verknüpfung liegt vor, wenn ein mit einer subordinierenden Konjunktion (die Gleichzeitigkeit ausdrückt) versehener Satz mit Endstellung die Funktion eines temporalen Satzgliedes ausübt. Wir sprechen dann von einem Temporalsatz der Gleichzeitigkeit. Der Gliedsatz ist nicht an seine Stellung als Vordersatz gebunden, sondern kann auch die Position eines Zwischen- oder eines Nachsatzes einnehmen. Bereits aus dieser Erweiterung der Stellüngsmöglichkeiten erhellt die größere stilistische Variabilität, die sich durch die Benutzung der subordinativen Verknüpfung ergibt.

Im folgenden seien einige subordinierende Konjunktionen als Gliedsatzein-leitungen (bei subordinativer Verknüpfung) den Temporaladverbien (bzw. temporalen Präpositionalgruppen) im zweiten Satz (bei koordinativer und

790

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

quasi-koordinativer Verknüpfung) gegenübergestellt, mit welchen sie korrespondieren: wahrend - währenddessen, während dieser Zeit gleichzeitig, zugleich solange - so lange seit, seitdem (mit durativen - seither, seitdem Sachverhalten in Vergangenheit und Gegenwart) als, wie (mit Sachverhalten - damals, da, jetzt in Vergangenheit und Gegenwart) wenn, sobald - dann sooft - jedesmal, immer Beispiele für das Entsprechungsverhältnis zwischen quasi-koordinativen und subordinativen Verknüpfungen sind: (57) Karl besorgte das Essen; währenddessen werteten die anderen Expeditionsteilnehmer ihre Funde aus Während Karl das Essen besorgte, werteten die anderen Expeditionsteilnehmer ihre Funde aus Peter arbeitet seit Jahren in unserem Betrieb. So lange sind wir schon Freunde Solange Peter in unserem Betrieb arbeitet, sind wir schon Freunde Die Freunde saßen beim Essen, da klopfte es Als die Freunde beim Essen saßen, klopfte es Jens und Vera trafen sich an den Abenden im Stadtwald. Jedesmal sprachen sie von ihrer Reise Sooft sich Jens und Vera an den Abenden im Stadtwald trafen, sprachen sie von ihrer Reise Für den Ausdruck der Gleichzeitigkeit zweier Sachverhalte in verknüpften Sätzen ist es erforderlich, daß die in beiden Sätzen verwendeten Verb-Tempusformen ein und dieselbe Zeit im Verhältnis zur Sprecher-Zeit beschreiben. I n der Regel werden sie also gleich sein, müssen es aber nicht. Vgl. etwa die Möglichkeit von Präs. und Futur I, Künftiges auszudrücken: (58) Wenn du kommst, werden wir uns freuen i 38

Mit Strukturen des oben beschriebenen Typs korrespondieren einige andere Strukturen. So besteht eine Abwandlungsbeziehung zwischen Temporalsätzen mit den Konjunktionen wenn und sobald einerseits und Sätzen ohne Konjunktion sowie mit Spitzenstellung der finiten Verbform andererseits. (59) Wenn der Vater nach Harne kam, wurde er freudig begrüßt Kam der Vater nach Hause, wurde er freudig begrüßt Bei Identität der Subjekte in beiden verknüpften Sätzen existieren entsprechende Sätze mit einer Partizipialgruppe (Part. Präs.) anstelle des Temporalsatzes : (60) Nach Hause kommend, wurde der Vater freudig begrüßt

791

Temporalverhältniaae

Schließlich gibt es auch Sätze, in denen eine mit einem Temporalsatz korrespondierende Substantivgruppe steht, die sich mit während oder bei zu einer Gleichzeitigkeit ausdrückenden Präpositionalgruppe verbindet: (61)

Bei der Heimkehr wurde der Vater freudig begrüßt

5.3.3.2.2. Zeitliche Aufeinanderfolge von Sachverhalten §39

Bei der zeitlichen Aufeinanderfolge kann unterschieden werden: der Ausdruck der Vorzeitigkeit eines Sachverhalts p gegenüber einem Sachverhalt q und der Ausdruck der Nachzeitigkeit von p. Die einfachste Möglichkeit, die Vorzeitigkeit eines Sachverhalts p gegenüber einem Sachverhalt q sprachlich auszudrücken, ist die koordinative Verknüpfung der p und q beschreibenden Sätze p' und q' wobei p' vor q' steht: (62)

Wir verluden die Waren, und Karls Brigade transportierte

sie ab

Bei dieser Verknüpfung entspricht die Anordnung der verknüpften Sätze direkt der zeitlichen Aufeinanderfolge der ausgedrückten Sachverhalte. Unter Berücksichtigung der Möglichkeit, auch Sätze, die gleichzeitige Sachverhalte ausdrücken, einfach k'oordinativ zu verbinden (vgl. § 36), gilt: Die koordinative Verknüpfung zweier Sätze p' und q' in dieser Reihenfolge schließt die Vorzeitigkeit des Sachverhalts q vor p aus. Die Relation der Vorzeitigkeit erfahrt bei der koordinativen bzw. quasi-koordinativen Verknüpfung der Sätze p' und q' in dieser Reihenfolge einen eindeutigen Ausdruck durch die Verwendung von Pronominaladverbien der Nachzeitigkeit innerhalb von q': danach, dann, alsdann, (63)

nachher, darauf, daraufhin

usw.:

Wir verluden die Waren, und danach transportierte sie Karls Brigade ab

Beispiele für Präpositionalgruppen, die dem Ausdruck der Nachzeitigkeit von

q' dienen, sind nach diesem Ereignis,

nach diesen Vorgängen usw. D u r c h zusätz-

liche Angaben zu einzelnen Adverbien (danach, nachher, darauf, spater, ...,) und Präpositionalgruppen der Nachzeitigkeit läßt sich die Aufeinanderfolgerelation präzisieren: drei Tage danach, zwei Jahre nach diesen Ereignissen

usw.

Im Spezialfall nimmt der Sachverhalt q seinen zeitlichen Anfang zum Zeitpunkt des Sachverhalts p. Dieser Fall wird mittels der Pronominaladverbien seitdem, seither innerhalb von q' ausgedrückt: (64)

§ 40

Karin schenkte uns einen Hund; seither haben wir keine ruhige mehr

Minute

Ebenso wie subordinierte Temporalsätze der Gleichzeitigkeit sind subordinierte Temporalsätze der Vorzeitigkeit zu analysieren. Der Gliedsatz kann Vorder-, Zwischen- oder Nachsatz seines übergeordneten Satzes sein. Subordinierende Verknüpfungszeichen, die die Vorzeitigkeit des Gliedsatz-Sachverhalts p gegenüber dem Sachverhalt q des übergeordneten

Satzes anzeigen, sind nachdem, als, wenn, sobald, sowie, kaum daß u n d - für den

Spezialfall, daß q seinen zeitlichen Anfang zum Zeitpunkt von p nimmt - seit,

5.3.

Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

seitdem. Zusätzliche Angaben, die den zeitlichen Abstand zwischen zwei Sachverhalten in der Vorzeitigkeitsrelation präzisieren, lassen sich nur mit nachdem verbinden: (65) Drei Tage nachdem sie sich kennengelernt hatten, beschlossen sie zu heiraten Für den Tempusgebrauch beim subordinativen Ausdruck von Vorzeitigkeit gelten im allgemeinen die folgenden Regeln: Steht der übergeordnete Satz im Präsens oder im Futur I, so wird die Vorzeitigkeit im Gliedsatz durch das Perfekt ausgedrückt. Steht der übergeordnete Satz im Präteritum, so steht der Temporalsatz der Vorzeitigkeit im Plusquamperfekt. Dies basiert auf der generellen Regel, die auch für die koordinative Verknüpfung zum Ausdruck von Vorzeitigkeit wie für den subordinativen Ausdruck von Nachzeitigkeit bedeutsam ist: Das Perfekt drückt gegenüber dem Präsens und dem Futur I, das Plusquamperfekt gegenüber dem Präteritum Vorzeitigkeit aus. Auch das Futur I I dient gegenüber dem Futur I zjim Ausdruck von Vorzeitigkeit, doch benutzt man, gilt es die Vorzeitigkeitsrelation zwischen zwei künftigen Sachverhalten zii beschreiben, im allgemeinen das Perfekt statt des Futur I I (vgl. Kap. 3.1.2.1.4., § 51).

Wird die Vorzeitigkeitsrelation zwischen sich wiederholenden Sachverhalten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder zwischen Sachverhalten in Gegenwart und Zukunft beschrieben, dann kann in Abwandlung des Konjunktionalsatzes ein konjunktionsloser Satz stehen. Das Verb nimmt dabei statt der Endstellung die Spitzenstellung ein: (66)

(Immer) wenn Karl eine Arbeit abgeschlossen hatte, stürzte er sich mit Eifer in eine neue Hatte Karl eine Arbeit abgeschlossen, stürzte er sich mit Eifer in eine neue Nachdem der Onkel eingetroffen ist, werden wir ihm zuerst die Stadt zeigen Ist der Onkel eingetroffen, werden wir ihm zuerst die Stadt zeigen

Bei Identität der Subjekte in den verknüpften Sätzen existiert eine Abwandlungsbeziehung zwischen dem Vorzeitigkeitssatz und einer Partizipialgruppe mit Part. Perf., wenn er ein Passivsatz ist oder seine analytische Verbform mit sein bildet. Das Subjekt wird dann nur noch im übergeordneten Satz expliziert, in den sich die Partizipialgruppe als Satzglied einfügt. Der Vorzeitigkeitssatz reduziert sich um das Subjekt, die subordinierende Konjunktion und die Teile der analytischen Verbform außer dem Part. Perf. Da die Partizipialgruppe mehr Elemente als nur das Partizip umfaßt, müssen die Erweiterungen zum Partizip bereits im Vorzeitigkeitssatz, welcher der Abwandlung unterworfen wird, enthalten sein. Elemente wie kaum, gerade, soeben usw. betonen nach dem Wegfall der Konjunktion die Vorzeitigkeitsrelation in der Partizipialgruppe. Deshalb eignen sich Sätze mit solchen Elementen besonders für die Abwandlung zu Partizipialgruppen der Vorzeitigkeit. (67)

Als der hohe Oast mit allen Ehren empfangen worden war, verlas er seine Grußbotschaft Mit allen Ehren empfangen, verlas der hohe Gast seine Grußbotschaft Nachdem das Buch gerade erschienen war, fand es begeisterte Rezensenten Gerade erschienen, fand das Buch begeisterte Rezensenten

Temporalverhältnisse

793

Schließlich kann der eingebettete Satz auch mit einer Substantivgruppe in Abwandlungsbeziehung stehen. Die Vorzeitigkeit des Substantivgruppen-Sachverhalts gegenüber dem Sachverhalt, den der nicht abgewandelte Satz q' wiedergibt, wird mittels der Präpositionen nach, seit, von . . . an ausgedrückt: (68)

Nach dem ehrenvollen Empfang verlas der hohe Gast seine Grußbotschaft

Bisher haben wir uns mit den Möglichkeiten beschäftigt, p' in der Vorzeitigkeitsrelation zu q' zu einem Nebensatz bzw. zu einer Präpositionalgruppe mit der Funktion des Vorzeitigkeitsausdrucks gegenüber dem übergeordneten Satz q' abzuwandeln. Nunmehr untersuchen wir die Umformungen von q' zu Nebensätzen, die gegenüber unverändertem p' Nachzeitigkeit ausdrücken. Ein Spezialfall ist die Verwendung von q' als subordinierter weiterführender Nebensatz. Ein solcher Nebensatz übernimmt im Gegensatz zu den Temporalsätzen im Satz, dem er sich anschließt, nicht die Rolle eines (temporalen) Satzgliedes. Von den Temporalsätzen unterscheidet ihn u. a., daß er nur in der Nachsatzposition auftreten kann. Dem ersten Typ weiterführender Nebensätze mit der angegebenen Funktion entsprechen Verknüpfungen zweier Sätze mit Grundstellung des finiten Verbs, deren erster ein Wort aus der Klasse gerade, kaum, eben enthält, deren zweiter mit da beginnt (und oft auch schon enthält) oder durch und schon eingeleitet wird. An die Stelle des einleitenden Satzes tritt im zweiten Satz als, während die finite Verbform aus der Zweitstellung in die Endstellung wechselt: (69)

Wir waren gerade eingetreten, da begann (auch schon) ein heftiges Gewitter Wir waren gerade eingetreten, als (auch schon) ein heftiges Gewitter begann

Weiterführende Sätze dieser Konstruktion sind zu unterscheiden von Temporalsätzen, die durch als eingeleitet werden: Vgl. Als das Gewitter begann, waren wir gerade eingetreten.

Bei der Herleitung eines zweiten Typs weiterführender Nebensätze ist von einem Hauptsatz q' mit einer Einleitung aus einer kleinen Gruppe von Pronominaladverbien - darauf (hin), danach - auszugehen, die über eine subordinierende w-Entsprechung - worauf (hin), wonach - verfügen. Diese tc-Eqtsprechung ersetzt das Einleitungselement, und die finite Verbform tritt ans Ende: (70)

Der Direktor hielt eine kurze Begrüßungsansprache; darauf begann die Vorstellung Der Direktor hielt eine kurze Begrüßungsansprache, worauf die Vorstellung begann

Zu weiterführenden Nebensätzen mit Nachzeitigkeitsausdruck stehen Infinitivgruppen in einem Entsprechungsverhältnis, die durch um zu eingeleitet werden, temporale Angaben enthalten und nur als Nachsätze stehen können. Sie werden 51 Deutsche Gramm.

794

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

aus entsprechenden koordinierten Sätzen mit identischen Subjekten bzw. aus zusammengezogenen Sätzen mit gemeinsamem Subjekt abgewandelt: (71)

§ 44

Die koordinative bzw. quasi-koordinative Verknüpfung zweier Aussage-Hauptsätze p' und q' in dieser Reihenfolge ist bei Nachzeitigkeit des Sachverhalts p gegenüber q nur möglich, wenn die Verb-Tempusformen in q' Vorzeitigkeit im Vergleich zu denen von p' ausdrücken und (in der Regel) wenn q' mit Temporaladverbien oder temporalen Präpositionalgruppen der Vorzeitigkeit ausgestattet ist. Adverbien, welche auf die Vorzeitigkeit des Sachverhalts im zweiten koordinierten Satze gegenüber dem Sachverhalt des vorangehenden Satzes hinweisen, sind davor, vorher, zuvor (bei Bedarf durch zusätzliche Angaben - drei Tage vorher - spezifizierbar), vordem, im Spezialfälle der zeitlichen Ausdehnung des Sachverhalts q bis zum Zeitpunkt des Sachverhalts p bis dahin-. (72)

§45

Der Vorsitzende sprach zunächst über die Weltlage und wandte sich dann den speziellen Problemen der Genossenschaft zu Der Vorsitzende sprach zunächst über die Weltlage, um sich dann den speziellen Problemen der Genossenschaft zuzuwenden

Gerhard übernahm den Kran. Davor hatte er sich gründlich auf die neue Aufgabe vorbereitet

Dem subordinativen Anschluß von Temporalsätzen der Nachzeitigkeit dienen die Konjunktionen bevor, ehe und (für den Spezialfall der zeitlichen Ausdehnung von q bis zum Zeitpunkt von p) bis. (73)

Bevor Gerhard den Kran übernahm, hatte er sich gründlich auf die neue Aufgabe vorbereitet

Der Gliedsatz der Nachzeitigkeit kann Vorder-, Zwischen- oder Nachsatz seines übergeordneten Satzes sein. Der eingebettete Satz kann mit einer Substantivgruppe in Abwandlungsbeziehung stehen, die in Verbindung mit den Präpositionen vor und - für den Spezialfall - bis als temporales Satzglied Nachzeitigkeit gegenüber dem Sachverhalt q ausdrückt: (74)

5.3.3.3.

Vor der Übernahme des Krans hatte sich Gerhard gründlich auf die neue Aufgabe vorbereitet

Sachverhaltsrelationen auf der Grundlage von Konditionalverhältnissen

5.3.3.3.1. Konditionalverhältnisse § 46

Die konditionale Relation (Bedingung-Bedingtes-Relation) und ihre Spezifikationen sind natürlicherweise nur zwischen Sachverhalten denkbar. Der sprachliche Ausdruck dafür ist das Verknüpfen von Sätzen oder von Reduktionsformen von Sätzen. Deshalb gibt es innerhalb des Bereichs der Konditionalverhältnisse und der auf ihnen aufbauenden Verhältnisse keine primären Adverbien. Die Verbalisierung konditionaler Verhältnisse hat sich aus der Verbalisierung tem-

Konditionalverhältniase

795

poraler entwickelt. Tatsächlich sind temporale Verhältnisse zwischen Sachverhalten, die in einer Konditionalrelation stehen, sehr wesentlich, wie auoh etwa die zeitliche Aufeinanderfolge zweier Sachverhalte als sehr allgemeiner Fall eines Bedingung-Bedingtes-Verhältnisses interpretiert worden ist. (Vgl. HÄUTUNG (1964j)). Ein Sachverhalt p bedingt einen Sachverhalt q, wenn die Existenz von p Voraussetzung für die Existenz von q ist, ohne daß p den Sachverhalt q notwendig hervorbringt oder anders begründet, p ist innerhalb einer solchen Beziehung die Bedingung, q das Bedingte. In dieser allgemeinen Abgrenzung u m f a ß t die Konditionalrelation die verschiedenen Spezialfälle der Grund-Folge-Relation, insbesondere auch die Ursache-Wirkung-Relation, als Sonderfalle. Jede Ursache-Wirkung-Relation ist also eine Konditionalrelation, während das U m gekehrte nicht gilt. Sprachliche Äußerungen, die ein Konditionalverhältnis zwischen Sachverhalten hervorheben, lassen sich nach den über die Konditionalrelation hinausgehenden Informationen in Gruppen einteilen. Von linguistischem Interesse sind hierbei - wie bei allen in diesem Kapitel speziell behandelten Relationen zwischen Sachverhalten - diejenigen Gruppen, deren sprachliche Ausdrucksmittel insbesondere spezialisierte subordinative Satzverknüpfungen darstellen. Unter ihnen unterscheiden wir zwei Hauptgruppen (von unterschiedlicher B e deutung) : Gruppe 1: Die Existenz eines einzelnen aktuellen bedingenden Sachverhalts (und damit auch eines einzelnen bedingten Sachverhalts) wird nipht behauptet. a) Angabe einer allgemeingültigen (gesetzmäßigen) Konditionalbeziehung. Die Bedingung ist hypothetisch, d. h. der bedingende Sachverhalt ist als nur angenommen und nicht aktualisiert ausgewiesen. b) Angabe einer allgemeinen Konditionalbeziehung für Sachverhalte, die zwar als realisiert ausgewiesen werden, für die aber daä Moment wiederholten Auftretens im betrachteten Zeitraum betont ist, ohne d a ß ein einzelner bedingender Sachverhalt herausgehoben wird. Die Bedingung ist real, jedoch nicht aktualisiert. c) Die Angabe der Konditionalrelation bezieht sich zwar auf einen einzelnen bedingenden Sachverhalt, der jedoch entweder als zukünftig gegenüber der Zeit der Angabe der Konditionalbeziehung hervorgehoben und damit als noch nicht realisiert gekennzeichnet ist oder - soweit v o n Vergangenem die Rede ist - hinreichend als potentiell charakterisiert ist. Über seine Realisierung wird nichts ausgesagt. d) Angabe einer Konditionalrelation zwischen zwei Sachverhalten mit der gleichzeitigen Information, daß der bedingende Sachverhalt nicht existiert, d_. h. daß das Gegenteil real ist. Die Bedingung wird als irreal gekennzeichnet. Der ersten Hauptgruppe von Angaben über eine Konditionalbeziehung (künftig kurz: Konditionalangaben), in der jeweils von nicht aktualisierten bedingenden Sachverhalten ausgegangen wird, galt in der Kegel das alleinige Interesse der Gramma51*

796

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen tiken. Daneben ist jedoch eine zweite Hauptgruppe zu beachten, deren Bedeutung in der deutschen Gegenwartssprache wächst (vgl. H Ä R T U N G (1964 t )). Gruppe 2: Expliziert wird ein nicht spezifiziertes Konditionalverhältnis zwischen zwei einzelnen Sachverhalten, die gleichzeitig als bereits realisiert dargestellt werden. Die wesentlichen Merkmale, nach denen sich die Haupt- und Untergruppen von Konditionalangaben unterscheiden, sind also: - Bezugsbereich der Konditionalangabe: (generell, für in einem bestimmten Zeitraum wiederholt auftretende Sachverhalte bzw. für einzelne Sachverhalte gültig) - Zeitbezug: (im Verhältnis zur Angabe-Zsit: vergangen, gegenwärtig oder künftig) - Realisiertheit des bedingenden Sachverhalts: (aktuell nicht realisiert oder realisiert) - Realisierbarkeit des nicht realisierten bsdingenden Sachverhalts: (möglich, aber offen, oder unmöglich) Für den Ausdruck von Konditionalverhältnissen gibt es zunächst die Möglichkeit, p' als Satz, der den bedingenden Sachverhalt p angibt, und q" als Satz, der den bedingten Sachverhalt q ausdrückt, durch ein Verb zu verbinden, das die Konditionalrelation beschreibt: bedingen, implizieren, zur Folge haben, bzw. — mit TJmkehrung der syntaktischen Funktionen von p' und q' — bedingt sein / werden (durch), folgen (aus) usw.; p' und q' können etwa durch daß eingeleitete Sätze mit Verbendstellung sein: (75)

Daß Wasser auf 100°C erhitzt wird, hat zur Folge, daß es verdampft Daß Peter gelogen hat, folgt daraus, daß er zur angegebenen Zeit gar nicht in Berlin war

Die Möglichkeit, ausgezeichnete Relationen zwischen zwei Sachverhalten mit Hilfe von Relationsverben auszudrücken, vernachlässigen wir im folgenden, da sie nur ein Sonderfall der allgemeinen Möglichkeit ist, Relationen zwischen Sachverhalten mit Hilfe von Relationsverben sprachlich darzustellen. Auch auf die Möglichkeit, ein Konditionalverhältnis durch quasi-koordinative Verknüpfung zweier Sätze auszudrücken, sei hier nur am Rande eingegangen. Ist ein konditionales Verhältnis zwischen zwei realen Sachverhalten zu explizieren, so ist dies etwa durch die Quasi-Koordination zweier Sätze p' und q' in diöser Reihenfolge mit den Adverbien folglich, also, somit, mithin, demzufolge, daraufhin usw. in q' möglich. Die genannten Elemente dienen als spezielle Ausdrucksmittel der Konditionalrelation (bzw. speziellerer Relationen im Gefüge der Konditionalbeziehungen, vgl. Kausalverhältnisse): (76)

§ 48

Sie erklären heute, am Dienstag in Berlin gewesen zu sein. Demzufolge haben Sie gestern gelogen

Die charakteristische Form des Ausdrucks einer Konditionalrelation mit den in §47 dargestellten Besonderheiten ist die subordinative Verknüpfung zweier Sätze p' und q'. Der subordinierte Satz, der den bedingenden Sachverhalt ausdrückt, wird Konditionalsatz genannt. Er wird durch die subordinierenden Verknüpfungszeichen wenn, falls, sofern, insofern, auch bevor . . . nicht, ehe . . .

Konditionalverhältnisse

797

nicht in den übergeordneten Satz eingefügt und hat die Form eines Endstellungssatzes. Der Konditionalsatz übernimmt in seinem übergeordneten Satz die Rolle eines Satzgliedes, der Konditionalbestimmung. Betrachten wir Angaben aus der Gruppe la) in § 47: Die Funktion, die bei quasi-koordinativer Verknüpfung in p' der Konjunktiv I bzw. die explizite Qualifizierung innehat, übernimmt im Konditionalsatz (im Indikativ) die subordinierende Konjunktion (verbunden mit der an sie gebundenen Endstellung). Vergleiche den Konditionalsatz (77) mit den Satzfolgen in (77a) und (77b): (77) (77a) (77b)

Wenn M eine beliebige Menge und P(M) ihre Potenzmenge isi, (dann) ist die mengentheoretische Inklusion in P(M) eine Halbordnungsrelation in P(M) M sei eine beliebige Menge und P(M) ihre Potenzmenge. Dann ist... Wir setzen voraus, daß M eine beliebige Menge und P(M) ihre Potenzmenge ist. Dann ist . . .

Der konjunktionale Konditionalsatz kann sich als Vorder-, Zwischen- und Nachsatz an den übergeordneten Satz anschließen. Als fakultative Bezugselemente für den wenn-Satz erscheinen im übergeordneten Satz dann und so (letzteres nur, wenn p' Vordersatz ist). Weitere Elemente, die sich im übergeordneten Satz mit dem Korrelat dann verbinden, heben den speziellen Charakter der angegebenen Konditionalrelatiop hervor: nur (dann) verweist darauf, daß die Bedingung notwendig ist; genau dann und dann und nur dann stehen, wenn die Bedingung zugleich notwendig und hinreichend ist (von Bedeutung vor allem in der wissenschaftlichen Fachsprache). Selbst dann verweist auf eine unzureichende Bedingung (vgl. Konzessivsätze). Solche Fügungen mit dann stehen in der Regel vor dem wenn-Satz. Ist der wenn-Satz Vordersatz, so treten nur und selbst unmittelbar vor das wenn: (78)

Die Behauptung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie unserer Prüfung standhält Nur wenn die Behauptung unserer Prüfung standhält, ist sie gerechtfertigt

Während wenn als häufigste und am vielseitigsten verwendbare Konditionalkonjunktion auch andere, nicht-konditionale Relationen bezeichnet (vgl. Temporalverhältnisse), sind faUs und sofern auf die Konditionalrelation spezialisiert. Bei der Analyse von wenn-Sätzen in bezug auf die ausgedrückte Relation wird daher die Ersetzbarkeit von wenn durch faUs und sofern geprüft.

Subordinative Konjunktionalgefüge können ihre verschiedenartigen in § 47 angegebenen Funktionen nicht allein mittels der Konjunktionen erfüllen. Es bedarf zusätzlicher Ausdrucksmittel, von denen der gezielte Einsatz der Modi am wesentlichsten ist (vgl. Kap. 3.1.). Für die Funktionen la) bis lc) ist der Einsatz des Indikativs in p' und q' charakteristisch. Nur die auf Künftiges bezogenen Konditionalgefüge der Gruppe lc) können auch im Konj. I I stehen. Beispiele für la), lb) und lc) sind (79), (80) und (81): (79) (80) (81)

Wenn „A" eine wahre Aussage ist, so ist „Neg(A)" eine falsche Aussage Wenn uns der Einlaß verwehrt wurde, schlenderten wir zur Stadtmauer Falls es morgen regnet, bleiben wir zu Hause Falls du kommen könntest, wären wir sehr froh

798

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten

Sätzen

Die Irrealität einer Bedingung in Vergangenheit und Gegenwart (Gruppe ld)) wird durch Einsatz des Konj. I I in beiden verknüpften Sätzen ausgedrückt: (82)

Wenn ich dich eher getroffen hätte, wäre ich nie nach Qreifswald gefahren Wenn Klaus noch lebte, stände er in unseren Reihen

Die hierher gehörigen Satzverknüpfungen weisen eine Variante mit ungewöhnlicher Gliedfolge auf: Steht der Konditionalsatz als Vordersatz in der Position des ersten Satzgliedes, so kann sich im übergeordneten Satz zwischen Vordersatz und finiter Verbform noch ein weiteres Satzglied befinden. Bei Voranstellung eines irrealen Konditionalsatzes muß sich also die Folge der übrigen Satzglieder im übergeordneten Grundstellungssatz nicht ändern: (83)

Wenn ich dich eher getroffen hätte,'ich wäre nie nach Greifswald gefahren

Die mit einem konditionalen wenn-Satz als Vordersatz verbundenen Stellungs- und Eingliederungsbesonderheiten gehen auch aus der Möglichkeit hervor, ihn einfach vor eine toamm-Frage zu stellen: (84)

Wenn du ihn so sehr liebst, warum läßt du ihn dann immer noch warten?

Die Frage basiert auf einer konzessiven Relation: Warum läßt du ihn immer noch warten, obwohl du ihn so sehr liebst?

i 50

Wenn in Verbindung mit dem Indikativ kennzeichnet auch jene Konditionalsätze, die sich auf eine bereits realisierte Bedingung beziehen (Hauptgruppe 2 in § 47). Es gibt aber keine formalen Mittel, welche die Realisiertheit der Bedingung eindeutig ausdrücken und andere Interpretationen ausschließen. (85)

Wenn Sie heute erklären, am Dienstag in Berlin gewesen zu sein, so haben Sie gestern gelogen Wenn der Dichter Anklage gegen die herrschenden Zustände erhebt, so wird er damit zum Sprachrohr der unterdrückten Massen Alle Sätze, die der Funktion 2 gerecht werden, beziehen sich auf bekannte konkrete bzw. z. Z. des Sprechakts unmittelbar gegenwärtige Situationen, an deren Realität kein Zweifel besteht, auf definite Personen (ein direktes Gegenüber, einen ganz bestimmten Dichter o. dgl.), deren Handlungen bekannt sind. Löst man sich von diesen Voraussetzungen, so erhalten die hierher gehörigen Sätze sogleich Interpretationen im Sinne der Hauptgruppe 1. Um die Konditionalverhältnisse auf Fälle der Hauptgruppe 1 zu beschränken, ist auf die Nähe der genannten Konstruktionen etwa zu Kausalgefügen verwiesen worden, z. B. Sie haben gestern gelogen, da Sie heute erklären, ... § 51

Wie bestimmte Temporalsätze weissn auch Konditionalsätze eine besondere Realisierungsvariante auf. Statt des konjunktional eingeleiteten Endstellungssatzes kann ein Spitzenstellungssatz ohne Konjunktion stehen (der formal und historisch - aber nicht funktional - dem Fragesatz der Entscheidungsfrage entspricht): (86) Wenn ein Schwätzer einen Tag lang keinen Hörer hat, wird er heiser Hat ein Schwätzer einen Tag lang keinen Hörer, wird er heiser Obwohl der Vordersatz für diese Variante am geläufigsten ist, sind auch andere Positionen möglich.

Kausalverhältnisse

799

§ 52

Konditionalsätzen können Substantivgruppen entsprechen, die sich - in Verbindung mit konditionalen Präpositionen - als Konditionalbestimmung in den übergeordneten Satz einfügen. Bedingende Präpositionen sind u. a. bei, unter, im Falle (von). Beispiele: (87) Wenn man den Personenwagen als Lastwagen verwendete, .. . Bei Verwendung des Personenwagens als Lastwagen ... Wenn man alle Möglichkeiten berücksichtigt, ... Unter Berücksichtigung aller Möglichkeiten ... Falls du immatrikuliert wirst, ... Im Falle deiner Immatrikulation ...

5.3.3.3.2.

Kausalverhältnisse

§ 53

Innerhalb des Komplexes von Relationen zwischen bedingendem und bedingtem Sachverhalt bilden die Grand-Folge-Beziehungen eine besonders wichtige Unterart. Wenn wir die Grund-Folge-Beziehung zwischen zwei Sachverhalten p und q gemäß der grammatischen Tradition auch Kausalbeziehung nennen, so ist zu beachten, daß sich der Geltungsbereich dieser Relation weiter erstreckt als nur auf das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung, auf das „Kausalbeziehung" in der Regel in der philosophischen Terminologie beschränkt ist. Eine Kausalbeziehung im grammatischen Sinne besteht nicht nur zwischen Sachverhalten, von denen einer den andern verursacht, sondern darüber hinaus zwischen allen Sachverhalten, von denen einer eine hinreichende Begründung des andern ist. Eine solche Begründung kann auch aus dem gesetzmäßigen Zusammenhang verschiedener gleichzeitig existierender Eigenschaften von Objekten - beispielsweise der Gleichseitigkeit und Gleichwinkligkeit von Dreiecken resultieren („Seinsgrund"), sie kann auf logischen Schlußverfahren basieren („Erkenntnisgrund"), sie kann aber auch in einer Zielstellung als „Beweggrund" für bewußtes Handeln bestehen.

§ 54

Über den bisher umrissenen Begriff der Grund-Folge-Relation als Unterart innerhalb der Bedingung-Bedingtes-Relation hinaus ist darauf zu verweisen, daß die sprachliche Angabe einer Kausalrelation (Kausalangabe), soweit sie sich spezialisierter Mittel (insbesondere der subordinativen Verknüpfung) bedient, durchgängig einen realisierten (bzw. - bei Zukunftsaussagen - einen als unbedingt realisierbar charakterisierten) Sachverhalt als Grund voraussetzt. Dieses Merkmal unterscheidet die Kausalangabe wesentlich von der Angabe eines Kondifcionalverhältnisses mit Mitteln des subordinativen Ausdrucks. Während die Gültigkeit einer Konditionalangabe nicht von der Realisierung der Bedingung abhängt, ist die Gültigkeit einer Kausalangabe an die Verwirklichung des Grundes gebunden. Die (spezialisierte) Angabe einer Kausalrelation zwischen zwei Sachverhalten p und q schließt also ein, daß p real bzw. realisierbar ist und zwischen p und q eine (allgemein oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums gültige) Bedingung-Bedingtes-Relation besteht, derart, daß p als zureichender Grund, als Begründung, Erklärung für die Existenz von q gilt.

800 § 55

Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

5.3.

Eine Kausalrelation ist grundsätzlich durch Quasi-Koordination und durch Subordination von Sätzen ausdrückbar. Hierbei ist es wesentlich, ob in der sprachlichen Äußerung einem gegebenen Sachverhalt ein zweiter Sachverhalt als Begründung zugeordnet wird (Grund-Zuordnung) oder ob ein gegebener Sachverhalt sekundär als Begründung eines zweiten - seiner Folge - charakterisiert wird (Folge-Zuordnung). Der erste Fall ist in der Kommunikationspraxis der bedeutsamere. Bei der Verknüpfung strukturgleicher Sätze wirkt sich die genannte Differenzierung in der Anordnung der verknüpften Sätze aus. Im Falle der Grand-Zuordnung geht der Folge-Satz q' dem begründenden Satz p' voraus (Folge-GrundAnordnung). Die Funktion des zweiten Satzes, eine Begründung für den im vorangehenden Satz beschriebenen Sachverhalt auszudrücken, wird in der Regel durch bestimmte Verknüpfungselemente explizit hervorgehoben: Hier ist insbesondere die Konjunktion denn zu nennen, welche an der Nahtstelle der verknüpften Sätze steht und immer einen Grundstellungssatz einleitet, in dem sie - wie alle echten Konjunktionen - keine Satzgliedstelle beansprucht: (88)

Wir waren begeistert, denn niemals vorher hatten wir eine solche Stimme gehört Außer denn können bestimmte Konstituenten im Innern des begründenden Satzes - insbesondere nämlich - die Funktion der Begründung bzw. Erklärung des vorher genannten Sachverhalts unterstreichen: (89)

Die Biologiestunde ist heute ausgefallen; unser Lehrer ist nämlich krank

Schließlich ist es möglich, daß ein begründender Satz einem vorangehenden Folge-Satz asyndetisch angeschlossen wird. Die Kausalrelation ergibt sich dann aus der Analyse der in beiden Sätzen ausgedrückten Sachverhalte (s. Kap. 1., §24): (90) §56

Sie konnten zueinander nicht kommen, das Wasser war viel zu tief

Subordinativ ist die Satzverknüpfung als Ausdruck einer Grund-Zuordnung, wenn das Verb im begründenden Satz p' (Kausalsatz) nicht an zweiter Stelle steht. Die wichtigsten subordinierenden Konjunktionen, die einen begründenden Satz mit Endstellung der finiten Verbform einleiten und als kausales Satzglied des Folge-Satzes q' charakterisieren, sind weil und da. Sätze mit diesen Konjunktionen können nicht nur - wie die,de«ra-Sätze - nach den Folge-Sätzen stehen, sondern auch als Vorder- oder Zwischensätze in sie eingebettet sein. Sie bieten damit reichere Möglichkeiten, den Ausdruck einer Grund-Zuordnung hinsichtlich unterschiedlicher Thema-Rhema-Gliederungen zu variieren: (91) (92)

Wir brachen die Versuchsserie ab, da uns die ersten Ergebnisse enttäuschten Da uns die ersten Ergebnisse enttäuschten, brachen wir die Versuchsserie ab

Auf die systematischen Differenzen zwischen weil und da können wir hier nicht eingehen. Alp Beispiel sei nur genannt: Auf Fragen nach einem Grunde können unter den Konjunktionalsätzen nur weil-Sätze als Antworten auftreten. Auf die Nachsatz-Position beschränkt, bezeichnen Endstellungssätze mit der

Kausalverhältnisse

801

einleitenden Konjunktion zumal eine Begründung für den Sachverhalt des Folge-Satzes, die mehr als hinreichend ist, über einen zureichenden Grund hinausgeht: (93) Er erhielt die Stellung, zumal er der einzige Spezialist unter den Bewerbern war Das gleiche gilt für Endstellungssätze als Nachsätze mit einleitendem wo oder da, wenn mit diesen Elementen doch eine Verknüpfungseinheit bildet. Die zuletzt genannte kausale Verknüpfung wird relativ selten genutzt. Wesentlicher ist die Möglichkeit, einer gegebenen Sachverhaltsbeschreibung eine mehr als zureichende Begründung zuzuordnen, die sich als Abwandlung aus Endstellungssätzen mit wo .. . doch bzw. da . . . doch erklären läßt. Unter Eliminierung des einleitenden wo bzw. da tritt im begründenden Nachsatz die finite Verbform aus der End- in die Spitzenposition, und der so formierte Spitzenstellungssatz mit obligatorischem doch im Satzinnern erfüllt die gleiche Funktion wie etwa ein Endstellungssatz mit einleitendem zumal: (94)

Er erhielt die Stellung, war er doch der einzige Spezialist unter den Bewerbern

In den bisher genannten Ausdrucksmöglichkeiten für Grund-Zuordnungen wird der Kausalzusammenhang allein durch Verknüpfungselemente innerhalb des begründenden Satzes p' bzw. durch dessen Strukturbesonderheiten hervorgehoben. Es ist aber auch möglich, daß innerhalb des übergeordneten FolgeSatzes q' kausale Pronominaladverbien (deshalb, daher, darum, deswegen) auftreten, die mit dem kausalen weiZ-Satz in Korrelation stehen, mit ihm gemeinsam das kausale Satzglied bilden. (95) Weil unser Lehrer krank ist, deshalb ist die Biologiestunde ausgefallen Die Biologiestunde ist deshalb ausgefallen, weil unser Lehrer krank ist Im ersten Falle (Voranstellung des Kausalsatzes) handelt es sich bei der deshalbEinfügung um eine einfache Wiederaufnahme des Kausalgb'eds, die dem angegebenen Kausalzusammenhang Nachdruck verleiht. Im zweiten Falle (Nachstellung des Kausalsatzes) wird jedoch durch das vorweggenommene in den FolgeSatz eingegliederte Kausaladverb der zuerst genannte Satz q' bereits als FolgeSatz, der von ihm dargestellte Sachverhalt q bereits als zu begründender Sachverhalt ausgewiesen, ehe die eigentliche Begründung erfolgt. Dies unterscheidet eine solche Kausalfügung wesentlich von (96): (96)

Die Biologiestunde ist ausgefallen; denn unser Lehrer ist krank

Die gleiche Möglichkeit existiert auch in anderen Fällen. Vgl. dadurch . . . daß, aus dem Gründe . . . daß, deshalb . . . weil. Der Unterschied zwischen Satzverknüpfungen m i t zusätzlichen Pronominaladverbien (oder ihnen gleichwertigen Ausdrücken) und einfachen Verknüpfungen wirkt sich syntaktisch aus: Das Pronominaladverb und der subordinierte Satz bilden gemeinsam ein Satzglied des Folge-Satzes: die Kausalbestimmung. Intern tritt der subordinierte Satz als determinierender Gliedteil zum Pronominaladverb, ist also ein Attributsatz zu dieser Einheit. Dies gilt auch für andere adverbiale Bestimmungen.

802

5.3. Abwandlungen

§ 58

Insbesondere weil (aber auch da) kann reduzierte Strukturen in der FolgeGrund-Anordnung verknüpfen, in denen Sätze eines Kausalgefüges mit identischen Subjekten zu Partizipialkonstruktionen, sogenannten freien Fügungen oder einfachen Adjektiven und Partizipien reduziert sind: (97)

in Zusammengesetzten

Sätzen

Mein Nachbar, der voller Unternehmungsgeist steckte, weil er endlich dem häuslichen Durcheinander entronnen war, schlug eine Bergwanderung vor Mein Nachbar - voller Unternehmungsgeist, weil endlich dem häuslichen Durcheinander entronnen - schlug eine Bergwanderung vor Ein Kämpfer, der strahlte, weil er siegreich gewesen war, stieg winkend aus dem Ring Ein strahlender, weil siegreicher, Kämpfer stieg winkend aus dem Ring

§ 59

Abwandlungsbeziehungen bestehen zwischen begründenden Sätzen und Präpositionalgruppen. Primär kausale Präpositionen sind wegen, auf Grund, infolge, kausal verwendbar sind aus, vor, durch, von usw. Sie gliedern sich zusammen mit der Substantivgruppe als kausales Satzglied in den Folge-Satz ein. Die Substantivgruppen können aus Substantivierungen des Verbs oder aus VerbEliminierungen resultieren. In jedem Falle sind sie sprachliche Repräsentanten ganzer Sachverhalte: (98) Weil unser Lehrer erkrankt ist, ist die Biologiestunde ausgefallen Aufgrund einer Erkrankung unseres Lehrers ist die Biologiestunde ausgefallen Ich komme, weil ich das Buch holen (ausleihen, lesen, begutachten, übersetzen usw.) will Ich komme wegen des Buches

§ 60

Wir wenden uns nunmehr sprachlichen Ausdrücken für Kausalverhältnisse zu, in denen einem gegebenen Sachverhalt sekundär ein zweiter Sachverhalt nicht als Grund, sondern als Folge zugeordnet wird (Folge-Zuordnung). Das bedeutet für die quasi-koordinative Verknüpfung, daß der begründete Satz p' dem Folge-Satz q' vorangeht (Grund-Folge-Anordnung). Die Hervorhebung des Kausalverhältnisses erfolgt bei Quasi-Koordination in der Regel durch ein Pronominaladverb innerhalb (zumeist an der Spitze) von q', das sich auf den vorangehenden Satz als Ganzes bezieht und den darin ausgedrückten Sachverhalt als Begründung für den in q' ausgedrückten Sachverhalt markiert. Pronominaladverbien mit dieser Leistung sind etwa deshalb, deswegen, darum, daher. Ebenso können andere Adverbien, die wir bereits bei Behandlung des quasikoordinativen Ausdrucks von Konditionalverhältnissen nannten, eine Kausalbeziehung hervorheben: folglich, also, somit, mithin u. a. Sie fungieren innerhalb q' als kausales Satzglied. Durch eine solche einfache Form der Verknüpfung wird ein gegebener Sachverhalt erst im nachhinein als Begründung eines andern (später genannten) Sachverhalts hervorgehoben: (99)

Unser Lehrer ist erkrankt, deswegen fällt heute der Biologieunterricht aus

Die Konsekutivrelation kann als die inverse Relation der speziellen Kausalrelation betrachtet werden.

Kausalverhaltnisse

803

Als Konsekutivsatz wird in der Grammatik-Tradition e i » solcher Folge-Satz q' bezeichnet, der sich einem begründenden Satz p' subordinativ anschließt. Das Subordinationsverhältnis ist im Falle der Konsekutivsätze hinreichend durch die Endstellung der finiten Verbform gekennzeichnet. Das bedeutet, daß sich konsekutive Relativsätze und Konjunktionalsätze hinsichtlich der Übernahme oder Nicht-Übernahme einer Satzgliedfunktion in p' nicht unterscheiden.

Für die Einbettung eines substantivierten Konsekutivsatzes in den übergeordneten Satz existieren nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Die einzige konsekutiv verwendbare Präposition ist zu (zu allgemeiner Verwunderung). Ferner kann eine dem Konsekutivsatz entsprechende Substantivgruppe als Attribut in eine Präpositionalgruppe eingebettet werden, deren Substantiv die Folge-Relation ausdrückt, z. B. mit der Folge des Todes, mit dem Ergebnis hoher Erträge. Am einfachsten läßt sich der Zusammenhang zwischen der quasi-koordinativen und der subordinativen Folge-Zuordnung an den konsekutiven Relativsätzen zeigen: Zu einigen Pronominaladverbien, die eine Folge-Zuordnung hervorheben (deshalb, deswegen,) existieren «^-Entsprechungen mit gleicher Funktion (weshalb, weswegen). Sie treten nur an der Spitze des nachgestellten FolgeSatzes q' auf und bewirken Endstellung der finiten Verbform, heben also das quasi-koordinative Verhältnis von p' und q' auf und schließen den von ihnen eingeleiteten Endstellungssatz als konsekutiven Relativsatz a n p' an. Innerhalb des Konsekutivsatzes sind sie kausale Satzglieder. (100)

Die ersten Ergebnisse enttäuschten uns. Deshalb brachen wir die Versuchsserie ab Die ersten Ergebnisse enttäuschten uns, weshalb wir die Versuchsserie abbrachen

Der Konsekutivsatz kann nicht nur durch Relativadverbien, sondern auch konjunktional a n den begründenden Satz angeschlossen werden. Als Verknüpfungszeichen dient die subordinierende Konjunktion so daß. (101)

Karl ist an diesem Wochenende verhindert, so daß wir einen finden müssen

Ersatzmann

Wie der konsekutive Relativsatz ist auch der Konsekutivsatz mit konjunktionaler Einleitung auf die Nachsatz-Position beschränkt. I m allgemeinen werden auch Endstellungssätze mit day8-Einleitung, die sich auf eine Adjektiv- / Adverb-Gruppe mit so bzw. auf eine Substantivgruppe mit attributivem solcher, solch ein oder so ein beziehen, als Konsekutivsätze behandelt: (102)

Die Jungen lachten so laut, daß sich die anderen Passagiere umdrehten Die Jungen brachen in solch ein Gelächter aus, daß sich die anderen Passagiere umdrehten

Wenn in diesen Fällen die untergeordneten Sätze auch einen Sachverhalt ausdrücken, der aus dem Sachverhalt des übergeordneten Satzes folgt, so wird doch deutlich, daß die Angabe der Folge nur der graduellen Einstufung des Sachverhalts

804

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen im übergeordneten Satz (Gradangabe) dient und daß die untergeordneten Sätze sich als Gliedteile (Attributsätze) in die Nominalgruppen mit so bzw. solcher eingliedern. Mit so / solch . . . daß korrespondiert zu .. . als daß: (103)

Der Schrank war zu breit, als daß er durch die Tür gepaßt hätte

5.3.3.3.3. Die Finalrelation § 64

E i n spezieller Fall innerhalb des Verhältnisses zwischen Folge u n d Grund - u n d d a m i t auch zwischen Bedingtem und Bedingung - ist die Finalrelation. Der begründende Sachverhalt p schließt in dieser Relation den Zweck („Beweggrund") einer Handlung ein, der Folge-Sachverhalt q ebendie Handlung, die zur Erreichung des in p gegebenen Zwecks notwendig ist bzw. ausgeführt wird, die als Mittel zur Erreichung des Zwecks dient. K a n n ein Ziel unabhängig von der Auswahl u n d der Ausführung bestimmter Handlungen zu seiner Realisierung bestimmt werden, so wird es zum Zweck (im eigentlichen Sinne), sobald seine Realisierung in bewußter Absicht u n d durch Ausführung bestimmter Handlungen angestrebt wird. U n t e r „ H a n d l u n g " sei auch der Einsatz zweckorientierter Mittel subsumiert, der in der philosophischen Literatur o f t gesondert hervorgehoben wird. D a ß eine Handlung einem angestrebten Zweck angemessen, „zweckmäßig" ist, d. h. tatsächlich die Verwirklichung des Zieles erreicht, bedeutet, d a ß zwischen der Handlung und dem Ziel eine Ursache-Wirkung-Relation besteht, die vom Menschen bei der Auswahl seiner zweckorientierten Handlung berücksichtigt wird. Der Zweck, d. h. d e r Grund, die Bedingung innerhalb der Finalrelation, ist also die Realfolge im Verhältnis zur zweckmäßigen Handlung (dem Realgrund), die innerhalb der Finalrelation Folge, Bedingtes ist.

§ 65

Sprachliche Äußerungen über Finalzusammenhänge betreffen zwei Grundsituationen, lassen sich mithin in zwei Gruppen unterteilen: 1. I n der Angabe einer allgemeingültigen (gesetzmäßigen) Finalrelation wird von einem hypothetischen, n u r vorausgesetzten Zweck ausgegangen u n d die Handlung genannt, die zur Erreichung dieses Zwecks notwendig, wesentlich ist. Angaben dieser Art bilden eine U n t e r g r u p p e der Gruppe l a ) von Angaben über Konditionalverhältnisse (vgl. §47). 2. E s erfolgt die Angabe einer Finalrelation zwischen einem tatsächlich gegebenen Zweck u n d einer realen (bei Zukunftsaussagen als realisierbar vorausgesetzten) Handlung, die dem Erreichen des angestrebten Ziels dient und durch den gegebenen Zweck begründet wird. Angaben dieser Art gehören zu den Angaben über Kausalverhältnisse (vgl. § 53). Entsprechend ist der Ausdruck einer Finalrelation mit den sprachlichen Mitteln möglich, die zum quasi-koordinativen oder subordinativen Ausdruck eines Konditional- oder Kausalverhältnisses dienen. Über die bisher behaüdelten Verknüpfungsmittei hinaus ist dazu als Pronominaladverb zu nennen, das als

Finalrelation

805

Element eines Handlungs-Satzes die Beziehung zum vorausgehenden quasikoordinierten Satz mit Zweckangabe expliziert. Der den Zweck nennende Satz unterscheidet sich innerhalb dieser Verknüpfungen von anderen Bedingungs- oder begründenden Sätzen dadurch, daß der Sachverhalt, der Ziel der Handlung ist, explizit als erwünscht, erstrebt, gewollt hervorgehoben wird. (104) und (105) sind Beispiele für die Finalrelation als Konditionalrelation bzw. als Kausalrelation. (104) (105)

Ein Student muß fleißig lernen, wenn er sein Studium, meistern urill Peter lernt fleißig, weil er sein Medizinstudium meistern will

Der subordinierte Zwecksatz trägt den Namen Finalsatz. Subordinierende Verknüpfungszeichen sind vor allem damit und - wo der Finalzusammenhang eindeutig ist, d. h. andere durch das gleiche Verknüpfungselement herstellbare Relationen ausgeschlossen sind - daß. Mit diesen konjunktionalen Elementen, die stets an der Satzspitze stehen, verbindet sich der Finalsatz als Endstellungssatz. Im Verhältnis zum übergeordneten Satz können damit-Sätze alle Positionen, finale daß-Sätze nur die Nachsatz-Position einnehmen. Die Bedeutung von damit als eindeutig finaler Konjunktion, die überdies die andern subordinierenden Konjunktionen mit finaler Funktion in der Regel ersetzen kann, wächst ständig, daß spielt als Finalkönjunktion nur eine marginale Rolle. Steht das finite Verb des übergeordneten Handlungs-Satzes im Indikativ, so kann das finite Verb des Finalsatzes im Indikativ oder ^Konjunktiv stehen. Der Konjunktiv unterstreicht den Sollsatz-Charakter (die Heische-Funktion) des Finalsatzes. (Vgl. FLÄMIG. (1964), S. 19f.). (106)

Ein Student muß lernen, damit er das Studium meistert Die Freunde unterstützen Klaus, damit er sein Studium erfolgreich beende

Unter den Reduktionsformen von Finalsätzen ist die finale Infinitivgruppe - in der Regel mit um zu, aber auch mit bloßem zu gebildet - von besonderer Bedeutung. Sie entsteht dadurch, daß das finite Verb des Finalsatzes durch den Inf. Präs. mit zu ersetzt, das Finalsatz-Subjekt getilgt und statt der einleitenden Finalkonjunktion im Regelfall um eingesetzt wird. Das bedeutet, daß sich das Subjekt der finalen Infinitivgruppe auf Grund der gesamten Satzverknüpfung leicht rekonstruieren lassen muß. Solche Infinitivgruppen werden deshalb nur in bestimmten Fällen gebildet: a) Das nicht realisierte Finalsatz-Subjekt ist mit dem Subjekt des übergeordneten Satzes identisch: (107)

Ein Student muß lernen, damit er sein Studium meistert Ein Student muß lernen, um sein Studium zu meistern

b) Das Finalsatz-Subjekt ist identisch mit einem Satzglied des übergeordneten Satzes, das durch Abwandlung aus einem Subjekt zu erklären ist. In folgenden Beispielen ist (a) jeweils als Abwandlung von (b) zu erklären: (108a) (108b)

Der Bock wurde vom Förster erlegt, um den Wildbestand zu reduzieren Der Förster erlegte den Bock, um den Wildbestand zu reduzieren

806

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

(109a) (109b)

Wir schicken Peter ins nächste Dorf, um Mehl zu kaufen Wir veranlassen, daß Peter ins nächste Dorf geht, um Mehl zu kaufen

c) Dem Finalsatz-Subjekt (Agens) entspricht kein Satzglied des übergeordneten Satzes. Der übergeordnete Satz erklärt sich dann als Abwandlung (Tilgung des undeterminierten Subjekts bei der Passivbildung). Das getilgte undeterminierte Subjekt ist auch als Finalsatz-Subjekt vorauszusetzen: (110a) (110b)

Der Bock wurde erlegt, um den Wildbestand zu reduzieren Man erlegte den Bock, um den Wildbestand zu reduzieren

Schließlich ist auf die Möglichkeit zu verweisen, Finalsätze durch Substantivierung zu Substantivgruppen abzuwandeln und mittels der Präpositionen zwecks, zu, für in den Handlungs-Satz einzugliedern: (111)

Der Bock wurde zwecks Reduzierung des Wildbestandes erlegt

5.3.3.3.4. Die Konzessivrelation § 68

Eine weitere Relation, die auf den Konditional- bzw. Kausalverhältnissen aufbaut und zu deren sprachlichem Ausdruck spezielle Mittel der subordinativen Verknüpfung existieren, ist die Konzessivrelation. In dieser Relation stehen zwei Sachverhalte p iftid q, von denen p im „Normalfall" - auf Grund bisheriger Erfahrung, nach Ansicht des Sprechers usw. - einen Sachverhalt Neg(q) bedingt oder begründet, der den Sachverhalt q ausschließt, die aber beide als real vorausgesetzt (Bedingung-Nichtbedingtes) oder bereits realisiert sind bzw. - im Falle von Zukunftsaussagen - vor ihrer Realisierung stehen (GrundNichtfolge). Wenn neben p, das nach der Erwartung Neg(q) bedingt, q gegeben ist, so stehen p und q in der Konzessivrelation. Von anderen Beziehungen, die schwer vereinbare Sachverhalte verbinden, unterscheidet sich die Konzessivrelation dadurch, daß die Verletzung eines erwarteten Konditional- bzw. Kausalzusammenhangs hervorgehoben wird:

§69

Die Verknüpfung zweier Sätze p' und q', die Sachverhalte in der Konzessivrelation beschreiben, kann quasi-koordinativ und subordinativ erfolgen. Bei quasi-koordinativer Verknüpfung erscheinen innerhalb von q' - in der Regel an der Spitze - unter anderem die Elemente selbst dann, sogar dann, auch dann (bei der Verknüpfung von Bedingung und Nichtbedingtem), trotzdem (das charakteristische Pronominaladverb beim quasi-koordinativen Ausdruck eines Konzessivverhältnisses), desungeachtet, dennoch, gleichwohl, nichtsdestoweniger, (und) doch, jedoch und nicht zuletzt aber. Insbesondere die zuletzt genannten Elemente weisen darauf hin, daß der koordinative Ausdruck eines Konzessivverhältnisses ein spezieller Fall der adversativen Verknüpfung innerhalb der Konjunktion ist. Aber unterscheidet sich von den anderen Elementen dadurch, daß es im Aussagehauptsatz nicht allein vor der finiten Verbform steht, also keine Satzglied-

Konzeaaivrelation

807

stelle beansprucht ; für doch und jedoch gilt, daß sie sowohl allein als auch mit einem anderen Satzglied vor der finiten Verbform stehen können. Beispiele : (112) Der Nachbar hatte viel Arbeit; trotzdem half er uns Durch die Fenster drang Licht. Jedoch niemand öffnete uns Durch die Fenster drang Licht. Jedoch öffnete uns niemand Die genannten Elemente können durch zwar innerhalb p', des ersten Satzes der quasi-koordinativen Verknüpfung, unterstützt werden. Zwar tritt nur im Zusammenwirken mit einem dieser Elemente auf. Charakterisieren die genannten Elemente in q' den in p' ausgedrückten Sachverhalt erst im nachhinein als Grund, dessen erwartete Folge ausbleibt, so weist zwar bereits innerhalb p' auf diese Rolle des Sachverhalts p hin : (113)

Der Nachbar hatte zwar viel Arbeity aber er half uns

Der subordinative Ausdruck eines Konzessivverhältnisses ist auf vielfache Weise möglich. Wir betrachten zunächst folgenden Fall: Enthält der Satz q' eine Negation, so läßt sich die von ihm beschriebene erwartete, aber nicht eingetretene Folge durch einen subordinierten Satz mit einleitendem ohne daß ausdrücken. Daher wird q' (unter Wegfall des koordinierenden Verknüpfungszeichens bzw. des konzessiven Pronominaladverbs) durch sein affirmatives Komplement mit Endstellung der finiten Verbform ersetzt; p' bleibt unverändert, und q' übernimmt in ihm die Funktion eines Satzgliedes. Da der so gebildete Gliedsatz auf eine nicht eingetretene Folge verweist, wird er ebenso wie der Endstellungssatz mit so-efajS-Einleitung, der eine tatsächliche Folge angibt, von den Grammatiken im allgemeinen als Konsekutivsatz beschrieben. Das besondere Verhältnis, das er gemeinsam mit seinem übergeordneten Satz ausdrückt, macht es aber notwendig, ihn innerhalb einer Systematik sprachlich relevanter Sachverhaltsrelationen unter den Ausdrucksmöglichkeiten für die Konzessivrelation zu behandeln. Beispiel : (114) Wir überprüften nochmals alle Geräte. Trotzdem erbrachte der Versuch nicht die erwarteten Ergebnisse Wir überprüften nochmals alle Geräte, ohne daß der Versuch die erwarteten Ergebnisse erbrachte Bei Subjektsidentität in beiden verknüpften Sätzen ist die Abwandlung des ohne-daß-S&tzes zu einer Infinitivgruppe mit ohne zu möglich: (115)

Wir überprüften nochmals alle Geräte. Trotzdem erzielten wir keinen Erfolg Wir überprüften nochmals alle Geräte, ohne einen Erfolg zu erzielen

Es ist darauf zu verweisen, daß Gliedsätze mit ohne daß und ihre Abwandlungen, - ebenso wie koordinierte Sätze mit aber, jedoch usw. - auch andere Funktionen als den Ausdruck einer nicht eingetretenen Folge haben können (vgl. Modalverhältnisse). Ihre Einordnung als Sachverhaltsbeschreibung innerhalb einer Konzessivrelation ergibt sich aus der semantischen Analyse der verknüpften Sätze.

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

Die in § 70 behandelte Möglichkeit, ein Konzessivverhältnis subordinativ darzustellen, ist der Spezialfall einer Ummarkierung gegenüber der üblichen subordinativen Beschreibung einer Konzessivrelation. Von einer Ummarkierung sprechen wir, wenn zu einer subordinativen Verknüpfung von übergeordnetem q' und untergeordnetem p' zum Ausdruck einer Relation R(p, q) eine entsprechende subordinative Verknüpfung von übergeordnetem p' und untergeordnetem q' zum Ausdruck derselben Relation gebildet wird (oder umgekehrt). Als Konzessivsatz wird der subordinierte Satz bezeichnet, der die Bedingung bzw. den Grund angibt, deren zu .erwartendes Bedingtes bzw. dessen zu erwartende Folge nicht realisiert wird. Der Konzessivsatz resultiert also aus einer Abwandlung von p' innerhalb der koordinativen Bedingung-Nichtbedingtesbzw. Grund-Nichtfolge-Verknüpfung von p' und q', von der wir. ausgehen. Er übernimmt innerhalb des Satzes q', der als Aussage-Hauptsatz mit Zweitstellung der finiten Verbform erhalten bleibt, die Funktion eines Satzgliedes, der Konzessivbestimmung, wird also zum Gliedsatz von q'. Unter den mannigfaltigen Formen, die der Konzessivsatz haben kann, betrachten wir zunächst die übliche Gliedsatzbildung mit Endstellung und Einleitung durch eine subordinierende Konjunktion. Charakteristische subordinierende Verknüpfungszeichen für Konzessivsätze, die eine unzureichende Bedingung ausdrücken, sind selbst wenn, sogar wenn, auch wenn, wenn . . . auch: (116)

Angenommen die Temperatur wird erhöht; selbst dann bleibt die Leistung konstant Selbst wenn die Temperatur erhöht wird, bleibt die Leistung konstant Wenn die Temperatur auch erhöht wird, bleibt die Leistung konstant

An Verknüpfungen, die ein Bedingung-Nichtbedingtes-Verhältnis beschreiben, zeigt sich eine Besonderheit von Satzgefügen mit Konzessivsätzen, die wir auch an Gefügen mit irrealen Konditionalsätzen beobachteten: Der nachgestellte übergeordnete Satz q' braucht nicht SQ. umstrukturiert zu werden, daß außer dem Gliedsatz kein weiteres Satzglied vor dem finiten Verb steht. Er kann sich dem Konzessiv-Vordersatz mit normaler Grundstellung anschließen: (117)

Wenn die Temperatur auch erhöht wird, die Leistung bleibt konstant

Subordinierende Konjunktionen, die konzessive Sätze mit Endstellung des finiten Verbs innerhalb einer Grund-Nichtfolge-Verknüpfung einleiten, sind u. a. obwohl, obgleich, obschon, obzwar, wiewohl, wenngleich, trotzdem (im Unterschied zum Pronominaladverb trotzdem bei der Quasi-Koordination mit Betonung der zweiten Silbe): (118) Die Temperatur wurde erhöht. Trotzdem blieb die Leistung konstant Obwohl die Temperatur erhöht wurde, blieb die Leistung konstant Konzessivsätze können in beliebigen Positionen in bezug auf den übergeordneten Satz stehen. Als Konzessivsätze werden auch Endstellungssätze behandelt, die nicht durch eine spezialisierte subordinierende Konjunktion, sondern durch ein Relativum eingeleitet werden und darüber hinaus in der Regel durch die Elemente auch

Konzessivrelation

809

und / oder immer im Satzinnern charakterisiert sind: z. B. Was du auch einwenden magst steht z. B. im Entsprechungsverhältnis zu Du magst einwenden, was du willst, d. h. alle möglichen Einwände werden einkalkuliert, und trotzdem ist die fingenommene Bedingung nicht in der Lage, den mit ihr in Beziehung gesetzten Sachverhalt zu beeinflussen. Für die syntaktische Charakterisierung der genannten Sätze ist ausschlaggebend, auf welche Weise sie mit dem übergeordneten Satz verknüpft werden, welche Satzgliedrolle sie im übergeordneten Satz übernehmen. Unser Beispielsatz kann etwa wie folgt in den übergeordneten Satz eingebettet werden: (119a) (119b) (119c)

Was du auch einwenden magst, es wird uns nicht beeinflussen Was du auch einwenden magst, wir können es nicht mehr berücksichtigen Was du auch einwenden magst, unser Programm steht fest

Inden Beispielen (119a) und (119b) wird der eingebettete Satz nicht als Konzessivsatz analysiert. Hier ist aW das parallele Verhältnis anderer verallgemeinernder Relativsätze zu Konditionalsätzen zu verweisen. (Vgl. Wenn jemand rastet, rostet er. - Wer rastet, (der) rostet.) Nur in Beispiel (119c), in dem der Relativsatz kein anderes als das konzessive Satzglied vertritt, haben wir es mit einem Konzessivsatz zu tun. Entsprechend sind alle anderen verallgemeinernden Relativsätze mit, auch und/oder immer differenziert einzuordnen. Eine besondere Hervorhebung erfordern Sätze, die durch so oder wie plus Adjektiv bzw. Adverb (im Positiv) eingeleitet werden und in der Regel das Element auch im Satzinnern aufweisen, z. B. so klug er auch war. Diese Sätze sind vergleichbar mit Sätzen wie Er mochte so klug sein, wie er wollte bzw. Er mochte noch so klug sein und bringen jeweils zum Ausdruck, daß die im Adjektiv oder Adverb beschriebene graduierbare Eigenschaft als extrem, in höchstem Grade vorhanden bzw. möglich angesetzt wird, aber bestimmte damit verbundene Erwartungen nicht erfüllt werden. Als Konzessivsätze sind sie deshalb immer durch wenn .. . auch-Sätze des Typs wenn er auch sehr klug war ersetzbar: (120)

So klug er auch war, dieses Rätsel konnte er nicht lösen So mitteilsam er war, so bereitwillig er auch über sich Auskunft es gab finstere Zeiten, die er nie ganz aufhellen wollte

erteilte,

Hingegen bilden sie eine bestimmte Art von attributiven Vergleichssätzen in Gefügen wie So kitig er auch war, so unbeholfen war er in vielem. Die Grundstellungssätze, denen die konzessiven Relativsätze entsprechen, etwa Er mochte noch so klug sein, verbinden sich nicht-koordinativ mit anderen Grundstellungssätzen zu Konzessivgefügen: Er mochte noch so klug sein, dieses Rätsel konnte er nicht lösen. Sie bilden Beispiele für die Möglichkeit, daß auch Grundstellungssätze subordiniert werden können, d. h. innerhalb anderer Grundstellungssätze Satzgliedfunktion übernehmen können. Wie alle durch wenn eingeleiteten Endstellungssätze (vgl. Temporalverhältnisse, Konditionalverhältnisse) lassen sich auch die konzessiven werara-Sätze durch Eliminierung von wenn und Voranstellung der finiten Verbform zu subordinier52

Deutsche Gramm.

810

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

ten Spitzenstellungssätzen abwandeln. Im Satzinnern ist dann auch als Explikation der Konzessivsatz-Funktion obligatorisch: (121)

§ 74

Wenn er auch noch so klug war, dieses Rätsel konnte er nicht lösen War er auch noch so klug, dieses Rätsel konnte er nicht lösen

Bei Subjektsidentität in über- und untergeordnetem Satz existieren zu konzessiven Konjunktionalsätzen Abwandlungen mit Partizipialgruppen und freien Fügungen. Die konzessive Funktion der Abwandlungen wird durch die konzessiven subordinierenden Konjunktionen markiert, welche sie einleiten: (122)

Obgleich der Professor mitten in Reisevorbereitungen steckte, fand er Zeit für uns Obgleich mitten in Reisevorbereitungen steckend, fand der Professor Zeit für uns Obgleich mitten in Reisevorbereitungen, fand der Professor Zeit für uns Aber er konnte nicht mehr fröhlich sein, wenngleich auch dankbar für jede lustige Geschichte, die ihn von seiner Orundstimmung weglenlcte

Bei paralleler Konstituentenstruktur der verknüpften Sätze und Identität weiterer Konstituenten kann der nachgestellte Konzessivsatz bis auf ein Glied (in der Regel durch Partizip, Adjektiv oder Adverb repräsentiert) - und zwar das, welches sich vom parallelen Glied des übergeordneten Satzes unterscheidet - und das Verknüpfungszeichen reduziert werden. Die konzessive Konjunktion steht in der reduzierten Struktur zwischen den sich unterscheidenden Gliedern: (123)

Dyr Abend Der Abend Es war ein Es war ein

war schön, obgleich er kühl war war schön, obgleich kühl Abend, der schön war, obgleich er kühl war schöner, obgleich kühler Abend

Als letzte Variation zu Konzessivsätzen seien Substantivgruppen genannt, die sich in Verbindung mit einer Präposition - insbesondere trotz - als konzessives Satzglied in den übergeordneten Satz eingliedern: (124)

5.3.3.4. § 75

Er konnte dieses Rätsel trotz seiner Klugheit nicht lösen

Modalverhältnisse Unter den Modalverhältnissen werden traditionell alle jene Relationen zwischen zwei Sachverhalten p und q zusammengefaßt, in denen sich eine nähere Charakterisierung (Erläuterung, Spezifizierung) des einen Sachverhalts, bestimmter Modalitäten oder des Geltungsgrades dieses Sachverhaltes aus dem anderen Sachverhalt ergibt. Entsprechend lassen sich drei Untergruppen von Modalverhältnissen hervorheben, für die sich auch spezifische sprachliche Ausdrucksmittel - insbesondere für den subordinativen Ausdruck - entwickelt haben:

Modalverhältniaae

811

5.3.3.4.1. Nähere Charakterisierung des Sachverhalts p durch den Sachverhalt q (Modalverhältnisse im engeren Sinne): § 76

Von zwei gleichzeitig geltenden Sachverhalten wird p als Ganzes durch q als Ganzes erläutert bzw. spezifiziert, d. h. q ist Teilsachverhalt von p. Wenn p und q durch zwei Grundstellungssätze p' und q' (in dieser Anordnung) beschrieben werden, so hebt bei ihrer quasi-koordinativen Verknüpfung und zwar (mit unmittelbar anschließendem finiten Verb) die Charakterisierungsfunktion von q' gegenüber p' Jiervor: (125)

Werner verriet große TJnruhe, und zwar trat er ungeduldig von einem Bein aufs andere

Bei Übereinstimmung von Gliedern in beiden verknüpften Sätzen wird der und-zwar-Satz auf die Elemente reduziert, die die nähere Charakterisierung gegenüber dem erläuterten Satz ausmachen: (126)

§ 77

Die Jungen widerlegten die oberflächliche Argumentation, und zwar widerlegten sie sie restlos Die Jungen widerlegten die oberflächliche Argumentation, und zwar restlos

Bei der subordinativen Verknüpfung von p' und q' mit gleicher Funktion hat q' Endstellungsform und ein subordinierendes Verküüpfungszeichen an der Satzspitze (das an der Stelle von und zwar steht), q' übernimmt die Funktion eines (modalen) Satzgliedes von p' (Modalsatz im engeren Sinne, Erläuterungsoder Spezifizierungssatz). Wichtigste subordinierende modale Konjunktion ist indem. (127)

Werner verriet große Unruhe, indem er ungeduldig von einem Bein aufs andere trat

Die Aufgabe von indem kann auch ein Gefüge aus dem Pronominaladverb dadurch im übergeordneten Satz und ergänzendem daß übernehmen. Der dalS-Satz ist dann Attribut zu dadurch.

§ 78

Ein Spezialfall der näheren Charakterisierung ist die Spezifizierung eines erstrebten oder bereits erreichten Zwecks durch die Handlung, welche als Mittel zur Erreichung des Zwecks dient. Für den subordinierten Handlungssatz innerhalb eines Zweck-Handlung-Ausdrucks ist auch der Terminus Instromentalsatz gebräuchlich. Beschreibt der übergeordnete Satz einen erstrebten, noch nicht erreichten Zweck, so verkörpert das Satzgefüge aus p' und q' die Ummarkierung eines Finalgefüges: (128)

§ 79

Der junge Künstler wollte seine materielle Lage verbessern, indem er sich am Wettbewerb beteiligte Der jung* Künstler beteiligte sich am Wettbewerb, um seine materielle Lage zu verbessern

In einem anderen Sinne werden Sachverhalte auch dadurch näher charakterisiert, daß entweder Sachverhalte angegeben werden, die mit ihnen 52*

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

koexistieren, oder aber solche, die nicht neben oder mit ihnen bestehen. Deshalb gehören zur ersten Gruppe der Angaben von Modalverhältnissen (Modalangaben) auch Angaben über einen begleitenden oder einen fehlenden Sachverhalt. Der fehlende Sachverhalt ist - wenn er nicht in Kontrast zu einem Teil- oder Begleitsachverhalt genannt wird - üblicherweise mit dem charakterisierten Sachverhalt als Teil- oder begleitender Sachverhalt verbunden. Die Hervorhebung seines Fehlens spezifiziert den charakterisierten Sachverhalt im Verhältnis zu einem „normalen" Vertreter seiner Klasse von Sachverhalten. Wenn von zwei Sätzen p' und q' (in dieser Reihenfolge) p' den charakterisierten Sachverhalt p und q' den begleitenden bzw. fehlenden Sachverhalt q beschreiben, so verweist bei ihrer quasi-koordinativen Verknüpfung vor allem das Pronominaladverb dabei (in der Regel an der Spitze von q') auf die besondere Modalrelation zwischen den ausgedrückten Sachverhalten. Der fehlende Sachverhalt wird zusätzlich durch ein Negationselement angezeigt. (129)

Peter ging allein an den dunklen See; dabei zitterte er vor Angst Karin ging allein an den dunklen See; dabei fürchtete sie sich nicht

Dem Pronominaladverb kann eine w-Form - wobei - entsprechen, die vor dem in Endstellung auftretenden Satz q' steht. Das Relativadverb wobei, das den - immer nachgestellten - Satz q' als weiterführenden Nebensatz an p' anschließt, ist - wie alle Relativa - Satzglied innerhalb seines Satzes: (130)

Peter ging allein an den dunklen See, wobei er vor Angst zitterte

Der Satz für den fehlenden Sachverhalt wird nicht nur durch das Relativum, sondern weit häufiger konjunktional mit p' subordinativ verknüpft. Subordinierende Konjunktion ist ohne daß: (131)

Karin ging allein an den dunklen See, wobei sie sich nicht fürchtete Karin ging allein an den dunklen See, ohne daß sie sich fürchtete

Der durch ohne daß eingeleitete Safe kann Vorder-, Zwischen- oder Nachsatz im Verhältnis zum übergeordneten Satz sein, woraus sich allein schon seine vielseitigere Anwendbarkeit gegenüber einem negierten wo&ei-Satz ergibt. Die subordinative Verknüpfung, in der der Sachverhalt des übergeordneten Satzes durch einen Modalsatz-Sachverhalt des beschriebenen Typs näher charakterisiert wird, verkörpert gegenüber einer subordinativen Verknüpfung mit Temporalsatz der Gleichzeitigkeit eine Ummarkierung. Vgl. (132): (132) Während farin allein an den dunklen See ging, fürchtete sie sich nicht Karin ging allein an den dunklen See, wobei sie sich nicht fürchtete

Sind die notwendigen Bedingungen - insbesondere Identität des Subjektsbezugs in p' und q' - erfüllt, so existieren zu Modalsätzen mit einleitendem indem, wobei und ohne daß Abwandlungen: Partizipialgruppen im Part. Präs., die in der Regel vor oder unmittelbar hinter der finiten Verbform von p' stehen: Ungeduldig von einem, Bein aufs andere tretend, verriet Werner große Unruhe Peter ging, vor Angst zitternd, allein an den dunklen See

Modalverhältnis8e

813

Bei entsprechend redundanten Partizipien können die Partizipialgruppen durch Wegfall des Partizips in freie Fügungen abgewandelt sein: (134)

Den Hut im Schoß haltend, trug der Großvater seine Bitte vor Den Hut im Schoß, trug der Großvater seine Bitte vor

Durch ohne daß eingeleitete Sätze lassen sich in Infinitivgruppen mit ohne . . .zu abwandeln: (135)

Karin ging allein an den dunklen See, ohne sich zu fürchten

Die ohne z«-Gruppen können wie die ohne daß-Sätze vor, hinter oder innerhalb des übergeordneten Satzes stehen. Weitere Abwandlungen ergeben sich aus der Möglichkeit von Substantivierungen, wobei die betrachteten Modalsätze durch Substantivierung des Verbs oder Eliminierung des Verbs auf einen nominalen Kern reduziert werden, der in Verbindung mit einer modal verwendbaren Präposition (mit, mittels, bei, ohne usw.) als modales Satzglied innerhalb p' eingegliedert wird: (136)

Ohne Furcht ging Karin allein an den dunklen See Peter ging voller Angst allein in den dunklen Wald

5.3.3.4.2. Determination einer Modalität des Sachverhalts p durch eine Modalität des Sachverhalts q (Vergleichsrelation): § 81

Unter den Modalverhältnissen werden traditionell auch diejenigen Relationen zwischen Sachverhalten behandelt, in denen eine bestimmte Modalität eines Sachverhalts p dadurch näher charakterisiert wird, daß sie zu einer als bekannt vorausgesetzten Modalität eines Sachverhalts q in Beziehung gesetzt, mit ihr verglichen wird. Wenn p' und q' die Sätze sind, in denen die Sachverhalte p und q beschrieben werden, so kann die quasi-koordinative Verknüpfung von p' und q' verschieden sein, ohne daß es jedoch für die unterschiedlichen Verknüpfungstypen spezielle grammatische Anzeiger gibt. Sie darf daher in der Systematik der sprachlichen Ausdrucksmittel für die genannten Modalverhältnisse vernachlässigt werden. Der Satz q' mit der Grundlage für den Vergleich geht dem Satz p' voraus (z. B. für den Fall der Gleichheit der Modalitäten: Man hatte mir Frau T. als sehr gesprächig beschrieben. Genauso gesprächig war sie.) Unsere Übersicht über die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten für die zweite Gruppe von Modalverhältnissen beginnt mit der subordinativen Verknüfpung von p' und q', in der q' als vorausgesetzte Vergleichsgrundlage die Form eines Endstellungssatzes hat und in p' eingebettet ist. Die Möglichkeit der subordinativen Verknüpfung und die Spezifika der subordinierten Sätze - zusammenfaßbar als Vergleichssätze - sind die sprachliche Grundlage für die Hervorhebung dieser Gruppe von Modalverhältnissen.

§ 82

Die verglichenen Modalitäten der Sachverhalte p und q können von der gleichen Art sein (etwa die Geschwindigkeit zweier Vorgänge, eine bestimmte Eigenschaft

814

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

bei verschiedenen Individuen usw.), sie können aber auch voneinander verschieden sein und nur in einer bestimmten (assoziativen) Beziehung zueinander stehen. Das in der Modalrelation zum Ausdruck kommende Vergleichsresultat kann Gle ichheit im Grad der verglichenen Modalitäten, entsprechend Ungleichheit (ausgedrückt in der Abweichung der Modalität von p gegenüber der zugrunde gelegten Modalität von q) oder eine Proportionalität im Grad der verglichenen Modalitäten sein. Entsprechend sind drei Untergruppen der hier betrachteten Gruppe von Modalverhältnissen und ihre sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu unterscheiden. §83

Gleicht der Grad der Modalitat des Sachverhalts im übergeordneten Satz p' dem der Modalität im untergeordneten Spannsatz q', so dient vorrangig wie als subordinierendes Verknupfungszeichen das immer in der Einleitung von q' steht: (137)

Frau T. erwies sich als ebenso gesprächig, wie sie rundlich war

Das Relativum wie vertritt dabei den vorausgesetzten Grad der Modalität von q', die bei Identität mit der verglichenen Modalität von p' nicht nochmals genannt wird: (138)

Frau T. erwies sich als so gesprächig, wie man sie mir beschrieben hatte

Wird die Modalität eines als bekannt vorausgesetzten, in der gegebenen Situation nicht realen Sachverhalts zum Vergleich benutzt, so treten wie wenn und (für den irrealen Fall) als wenn oder als ob als subordinierende Verknüpfungszeichen an die Spitze von q'. Sie leiten Sätze ein, die als Reduktionen zu komplexen Vergleichssätzen mit wie (und subordiniertem Konditionalsatz) erklärbar sind. Am Beispiel eines Satzes mit wie wenn sei ihre Herleitung und Funktion erläutert: (139)

Auf dem Bild sieht er so aus, wie er aussieht, wenn er lacht Auf dem Bild sieht er so aus, wie wenn er lacht

Die irrealen Vergleichssachverhalte werden in der Regel mit dem Konjunktiv I I ausgedrückt: (140)

Frau T. redete auf mich ein, als ob sie dafür bezahlt würde

Dazu existiert die abgewandelte Form: (141)

Frau T. redete auf mich ein, als würde sie dafür bezahlt

(Vgl. die parallele Beziehung zwischen Endstellungssätzen mit einleitendem wenn und Spitzenstellungssätzen.) Zu dem hier behandelten Typ existieren auch Ausdrucksweisen mit Substantivgruppen, die im Falle der Gleichheit der verglichenen Modalitätsgrade mit wie verbunden sind: (142)

Frau T. redete auf mich ein, wie eine Marktfrau auf jemanden einredet, wenn sie ihre Waren anpreist Frau T. redete auf mich ein wie eine Marktfrau

Modalverhältniase

815

Eine Abweichung des Grades der Modalität in p gegenüber der in der Modalität von q vorgegebenen „Bezugsnorm" wird durch subordinative Satzverknüpfungen ausgedrückt, in denen sich an eine Komparativform in p' ein Vergleichssatz q' in Endstellungsform mit einleitendem Verknüpfungselement als anschließt. Im Gegensatz zu den Modalgefügen, die Gleichheit im Modalitätsgrad ausdrücken und in denen die Position der Modalsätze im Verhältnis zu den übergeordneten Sätzen wechseln kann, stehen die hier betrachteten Endstellungssätze immer hinter der Komparativform, die sie ergänzen: (143)

Frau T. war gesprächiger, als sie freigiebig war

Bei Identität der verglichenen Modalität in beiden Sachverhalten wird die Modalität in q' nicht wiederholt: (144)

Frau T. zeigte sich noch gesprächiger, als man sie mir beschrieben hatte Frau T. war heute gesprächiger, als sie es gestern gewesen war

Die Beschreibung eines nicht realen Vergleichssachverhalts wird durch als wenn. (mit finiter Verbform im Indikativ) an die Komparativform angeschlossen: (145)

Frau T. redete intensiver auf mich ein, als wenn eine Marktfrau Waren anpreist

ihre

Dieser Satz steht in Abwandlungsbeziehung zu: (146)

Frau T. redete intensiver auf mich ein, als eins Marktfrau auf jemanden einredet, wenn sie ihre Waren anpreist

Vergleichssätze mit als stehen in Abwandlungsbeziehung zu reduzierten Formen wie: (147)

Frau T. redete intensiver auf mich ein als eine Marktfrau Frau T. war heute gesprächiger als gestern

Besteht zwischen der Entwicklung der Modalität eineB Sachverhalts p und der Entwicklung der Modalität eines Sachverhalts q ein Entsprechungsverhältnis, so sprechen wir von der Proportionalität beider Modalitäten. Ihre Beschreibung erfolgt in subordinativ verknüpften Sätzen, von denen der übergeordnete Satz p' eine Komparativform (als Modalitätsausdruck) vor allem mit attributivem um so oder desto bzw. je enthält und der untergeordnete Spannsatz q' (Proportionalsatz) durch eine modale Komparativform mit vorangestelltem attributivem je eingeleitet wird. Der subordinierte Satz kann - in der Regel in Abhängigkeit von der Thema-Rhema-Gliederung der Satzverknüpfung hinter oder vor der Komparativ-Gruppe von p' stehen: (148)

Frau T. wurde um so gesprächiger, je öfter ich ihr aus dem vertrackten Fläschchen nachschenkte Je hoher der Druck stieg, desto gespannter blickten wir auf die Skala

Proportionalsätze stehen in Abwandlungsbeziehung zu Substantivgruppen, die meist ein Attribut aufweisen, das die Entwicklungsrichtung der Modalität beschreibt. Mit geeigneten Präpositionen (insbesondere mit) verbinden sie sich zu Präpositionalgruppen, die als modale Satzglieder im übergeordneten Satz

816

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten Sätzen

p' erscheinen. Häufig tritt immer auf, oder die Entwicklung der Modalität des Sachverhalts p wird durch eine Wortgruppe aus zwei durch und verbundenen gleichlautenden Komparativformen (vom Typ höher und höher) ausgedrückt. Die Komparativwiederholung und immer als Attribut zur Komparativform sind für den Modalitätsausdruck in p' auch bei Satzverknüpfung möglich, wenn der subordinierte Satz q' auf p' folgt: (149)

Mit steigendem Druck blickten wir immer gespannter auf die Skala Mit zunehmendem Alter wurde der Lehrer weiser und weiser

Wenngleich wir - der Grammatik-Tradition folgend - die sprachlichen Ausdrucksmittel für die Determination der Modalität eines Sachverhalts durch die Modalität eines andern im Rahmen der Beschreibung von Modalverhältnissen darstellen, so ist doch auf einen wesentlichen Umstand zu verweisen: Alle hier behandelten Typen von untergeordneten Sätzen gliedern sich nicht als selbständige Satzglieder in den übergeordneten Satz ein, sondern beziehen sich als Gliedteile (Attribute) auf das Modalglied des übergeordneten Satzes, sind also Attributsätze. So sind sie auch in solchen Konstruktionen zu erklären, wo durch Abwandlung innerhalb des übergeordneten Satzes das Modalglied eliminiert worden ist: Vgl. Karl ging, wie er gekommen war kann Reduktion von Karl ging so (so arm, so schnell, so geräuschlos, ...), wie er gekommen war sein. Vergleichssätze fallen also unter die allgemeine Annahme, daß subordinierte Sätze dann Gliedteilsätze sind, wenn sie einen Sachverhalt beschreiben, dessen einer Bestandteil einen entsprechenden Bestandteil des Sachverhalts determiniert, der im übergeordneten Satz ausgedrückt wird.

5.3.3.4.3.

Charakterisierung eines Sachverhaltes in seiner Gesamtheit

§ 87

Die Modifizierungen, um die es uns hier geht, betreffen den Geltungsgrad eines beschriebenen Sachverhalts, seine Einschätzung durch den Sprecher, die Zuordnung des beschriebenen Sachverhalts zu einer bestimmten Informationsquelle (aus der wiederum Schlüsse auf den Geltungsgrad zu ziehen sind) usw., kurz: sie betreffen (logische) Prädikate zum beschriebenen Sachverhalt (als Argument), die innerhalb unseres Modells im Rahmen der kommunikativpragmatischen Ebene dargestellt werden und deren komprimierteste sprachliche Ausdrucksmittel die sogenannten Modalwörter (oder Satzadverbiale) sind. Von Bedeutung sind für uns nur die subordinativen Verknüpfungen von Sätzen, die diese Modifizierungsrelation ausdrücken. Dabei wird q' in Endstellungsform dem p' subordiniert (vorrangig als Vorder-, aber auch als Zwischen- und Nachsatz). Ist der Satz q' eine Beschreibung der Informationsquelle für den Sachverhalt p, so wird er durch wie als subordinierendes Verknüpfungszeichen mit p' verbunden; wie übernimmt gleichzeitig die Funktion, p' als Bestandteil von q' zu vertreten: Wie mir Frau M. erzählte, ist Peter krank (eine subordinative Verknüpfung, die der Grundstellungssatzverknüpfung Peter ist krank, so erzählte mir Frau M. entspricht). Ist q' eine Beschreibung des Geltungsgrades von p', so wird sie vor allem durch

Extraponierung

817

das einleitende Element soweit mit p' verbunden. Das Verknüpfungselement vertritt dabei die - als bekannt vorausgesetzte - Angabe über den Sicherheits-, Geltungsgrad, die in q' enthalten - und, solange q' Grundstellungssatz ist, auch expliziert - ist. Weil die hierher gehörenden untergeordneten Sätze den Sachverhalt des übergeordneten Satzes in der Regel hinsichtlich seiner Geltung einschränken, werden sie auch Restriktivsätze genannt. (150)

Soweit ich es beurteilen kann, ist das Experiment mißlungen Soweit ich (darüber) in Kenntnis gesetzt wurde, ist Peter krank

§ 88

Durch Reduktionen lassen sich bestimmte Modalsätze der dritten Gruppe zu Wortgruppen mit einem Partizip (wie bereits gesagt, . ..; soweit bekannt geworden, . . . ) oder einem Adjektiv als zentralem Element (wie allgemein bekannt, . ..; soweit feststellbar,...) abwandeln. Schließlich ergeben sich aus weiteren Abwandlungen einzelne Wörter (die Modalwörter) oder Substantivbzw. Präpositionalgruppen, die als Satzadverbiale innerhalb des Satzes p' erscheinen: bekanntlich, nach meiner Kenntnis, meines Wissens usw.

5.3.3.5.

Hervorhebung des T h e m a s eines Satzes durch einen Satz (Extraponierung)

§ 89

Zur Hervorhebung des Themas eines Satzes existieren mehrere sprachliche Mittel, so Mittel der Intonation, der Wortstellung, bestimmte Adverbien oder Ausgliederung des thematisierten Satzgliedes. Beispiele für die beiden letzten Möglichkeiten sind: (151)

Der Großvater aber hat lange geschwiegen Der Großvater, der hat lange geschwiégen

Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, das Thema durch eine explizite Sachverhaltsbeschreibung einzuführen bzw. besonders hervorzuheben. D a s gilt für bestimmte übergeordnete Sätze in Satzgefügen, in denen eingebettete «faß-Sätze (oder entsprechende Abwandlungen) als Subjektsätze oder als Objektsätze das eigentliche Rhema des ganzen Gefüges enthalten. Vgl. (152) bzw. (153): (152) (153)

Vom Großvater ist zu sagen, daß er lange geschwiegen hat Vom Großvater wissen wir, daß er lange geschwiegen hat

In unserem Rahmen interessieren aber solche Satzverknüpfungen, in denen der übergeordnete Satz das für die gesamte Verknüpfung Neue enthält und ein besonderer Satz - der untergeordnete - die Hervorhebung des Themas übernimmt, d. h. Satzverknüpfungen, die zu den genannten Gefügen mit Subjektbzw. Objektsatz im Verhältnis der Ummarkierung stehen. Der Satz p', der das Thema des Satzes q' hervorhebt, steht vor q'. Ein Beispiel für nicht-subordinative Verbindung ist die Verwendung von Ergänzungsfragen in Satzfolgen wie: (154)

Und (was.tat) der Großvater? Der hat lange geschwiegen

Als subordinierter Satz wird p' durch was eingeleitet, mit dem sich ein Prädikat

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

wie betrifft, angeht, anbelangt, ... und das Thema von q' als Akkusativobjekt verbindet: (155)

Was den Großvater betrifft, so hat er lange geschwiegen

Auch eine spezielle Infinitivgruppe dient der Thema-Hervorhebung. Sie ist einem selbständigen Satz des Typs Ich will (nochmals) vom Großvater reden äquivalent und beeinflußt die Gliedfolge des folgenden Grundstellungssatzes q' nicht. Ihr Subjekt schließt den Sprecher ein (ist also ich oder wir): (156)

Um (nochmals) vom Großvater zu reden: er hat lange geschwiegen.

Darstellung von Sachverhalten als Bestandteile von Sachverhalten Allgemeines Die bisher behandelten Typen von zusammengesetzten Sätzen bzw. Satzfolgen sind dadurch gekennzeichnet, daß die Relation, die den semantischen Gehalt der Verknüpfung charakterisiert, durch besondere Verknüpfungszeichen (Konjunktionen) oder Pronominaladverbien sprachlich zum Ausdruck gebracht wird. Die Bezeichnung der Relation bleibt - unabhängig von der konkreten syntaktischen Form der Verknüpfung (koordinativ, Satzfolge, subordinativ) - erhalten. Die grundsätzliche Struktur dieser Typen kann durch Abb. 3 veranschaulicht werden: Relation

Satz p'

[ Konjunktion / Pronominaladverb]

Satz

q'

Bei subordinativer Verknüpfung nimmt q' zusammen mit einer Konjunktion eine syntaktische Position in p' ein, die in der Grundstruktur angelegt und mit einer bestimmten adverbialen Funktion verbunden ist. Viele Sprachen verfügen nun auch über die Möglichkeit, Sachverhaltsbeschreibungen, d. h. Sätze, als Konstitutenten anderen Typs zu verwenden, insbesondere als Subjekt und Objekt. Diese Möglichkeit erweitert die Ausdrucksfahigkeit einer Sprache beträchtlich, da sie es z. B. gestattet, nicht nur Gegenständen, sondern auch Sachverhalten Eigenschaften zuzuschreiben. Die Verwendung von Sätzen als Konstituenten eines Satzes ist nur ein Spezialfall der Einbeziehung von Sachverhaltsbeschreibungen in sprachliche Ausdrücke. Auch Abstrakta können Sachverhalte bezeichnen. Sie sind im Vergleich zu Sätzen in der hier zu besprechenden Funktion nur semantisch kondensierter und syntaktisch spezialisiert (als Substantive). Der Zusammenhang zwischen Abstrakta, die Sachverhalte beschreiben, und Gliedsätzen wird durch die Möglichkeit der Substantivierung deutlich. Je nach der Funktion, die ein Satz in einem übergeordneten Satz ausübt,

Sachverhalte als Bestandteile von Sachverhalten

819

unterscheidet man zwischen Subjekt- und Objektsätzen. Ob einer dieser Typen oder beide zugleich auftreten können, hängt von semantisch-syntaktischen Eigenschaften der Verben oder anderen das Prädikat vertretenden Einheiten ab. Wir nehmen folgende Einteilung vor: - Prädikate, die nur Subjektsätze zulassen bzw. verlangen - Prädikate, die nur Objektsätze zulassen bzw. verlangen - Prädikate, die beide Typen von Sätzen zulassen bzw. verlangen Den hier zu behandelnden Typen von subordinierten Sätzen entsprechen bestimmte Typen von Satzfolgen. Wenn p' der in q' eingebettete Satz ist, so existiert auch eine Satzfolge p', q', wobei die Stelle, die p' in q' einnimmt, im q' der Satzfolge durch ein Pro-Element besetzt ist. Das Pro-Element hat die Funktion eines Subjekts oder Objekts und bezieht sich auf den vorausgehenden Satz. Es wird durch das oder durch Pronominaladverbien (wenn das Verb ein Präpositionalobjekt verlangt) realisiert. (157)

Hans ist gekommen. Das ist gut Hans ist gekommen. Das habe ich geahnt Hans ist gekommen. Darüber habe ich mich gewundert

Zu den meisten Formen dieser Art existieren subordinierende Verknüpfungszeichen (Relativa), die den zweiten Satz als weiterführenden Nebensatz anschließen. (158)

Hans ist gekommen, was gut ist Hans ist gekommen, was ich geahnt habe Hans ist gekommen, worüber ich mich gewundert habe

Die Gliedsätze werden bei der subordinativen Verknüpfung in der Regel durch daß oder ob (als interrogative subordinierende Konjunktion) bzw. durch ein w-Wort in interrogativer Funktion eingeleitet. Die Einleitungen sind platzfest und verbinden sich nur mit Sätzen in Endstellungs-Form. Zu vielen nachgestellten da¡ß-Sätzen in Objektfunktion existieren subordinierte Ableitungen ohne einleitendes Verknüpfungszeichen und mit Zweitstellung der finiten Verbform: (159)

Ich weiß, daß Hans gekommen ist Ich weiß, Hans ist gekommen

Als Mischformen der beiden Verknüpfungsarten erklären sich Satzverknüpfungen, in denen das Fro-Element fakultativ erhalten bleibt: (160)

Daß Hans gekommen ist, das ist gut Daß Hans gekommen ist, das habe ich geahnt

Wenn das Verb ein Präpositionalobjekt verlangt und ein Pronominaladverb (darauf, daran, darüber . . .) zum Anschluß des eingebetteten Satzes notwendig ist, entsteht eine besondere Situation: der eingebettete Satz ist kein selbständiges Satzglied, sondern eine Ergänzung zum Pro-Element. Formal betrachtet, muß man in diesem Falle von einem Attributsatz sprechen. Tatsächlich liegt hier aber keine Spezifizierimg oder Explikation wie bei normalen Attributen vor, sondern das Pro-Element tritt gewissermaßen als Träger der Präposition auf.

820

5.3. Abwandlungen

5.3.4.2.

Prädikatsausdrücke mit Subjektsätzen

§ 92

Sachverhalte beschreibende Sätze können in bestimmten Fällen als Subjekt eines anderen Satzes auftreten und damit ein Gegenstand sein, über den etwas prädiziert wird. Das Prädikat wird durch eine Verbindung von prädikativem Adjektiv und Kopula (meist finiter sewi-Form), prädikativem Substantiv und Kopula, durch ein Verb oder eine verbale Gruppe sprachlich realisiert. Alle diese Prädikatsausdrücke haben eine Valenzstelle, die durch eine sprachliche Sachverhaltsbeschreibung -.ein Abstraktum, einen Satz, eine Satz-Reduktion (Infinitivgruppe oder Substantivierung) - oder ein Pro-Element besetzt sein kann, das sich auf einen Satz bezieht. Beispiele für zu verschiedenen Klassen gehörende Adjektive, die mit einer Kopula als Prädikatsausdruck dienen, sind: abscheulich, ausreichend, beachtlich, bemerkenswert, falsch, fraglich, gewiß, gut, interessant, lächerlich, merkwürdig, möglich, richtig, schlecht, schön, seltsam, verständlich, vorteilhaft, wahr, wichtig, zweifelhaft u. a. m. (161)

in zusammengesetzten

Sätzen

Daß uns Peter besucht, ist bemerkenswert Daß sich Sven nicht meldet, ist seltsam Es ist falsch, daß du mir das nicht gesagt hast

Beispiele für Substantive, die mit einer Kopula als Prädikatsausdruck dienen, sind: Behauptung, Irrtum, Rätsel, Tatsache, Vorteil (mit unbestimmtem Artikel); Frage, Hauptsache (mit bestimmtem Artikel) u. a. m. (192)

Es ist eine Tatsache, daß Hans in Berlin war Daß Peter mit uns zusammenarbeitet, ist die Hauptsache

Beispiele für Verben und verbale Gruppen (Streckformen von Verben) als Prädikatsausdruck sind: gehen, genügen, geschehen, passieren, sich verstehen, 'vorkommen usw.; ins Gewicht fallen, keiner Diskussion bedürfen u. a. m. (163)

§ 93

Es kommt vor, daß jemand einen Fehler macht Daß du deinen Fehler eingestehst, genügt Es bedarf keiner Diskussion, daß ich dir helfe

Die hierher gehörigen durch ob oder (interrogative) w- Wörter eingeleiteten Nebensätze werden als indirekte oder abhängige Fragesätze bezeichnet. Die Bezeichnung verweist auf die enge Beziehung zwischen diesen Sätzen und den selbständigen Fragesätzen. Tatsächlich werden diese Endstellungssätze überall verwendet, wo es gilt, einen Fragesatz als syntaktisch abhängigen Satz in einen übergeordneten Satz einzubetten. Dabei drückt der oft-Satz eine Entscheidungsfrage, der durch ein w-Wovt eingeleitete Nebensatz eine Ergänzungsfrage aus, die nach derselben Sachverhaltskomponente fragt wie der durch dasselbe w-Wort eingeleitete selbständige Ergänzungsfrage-Satz. Es entsprechen sich also Wird Karl heute kommen? und . . . ob Karl heute kommen wird (z. B. in Es ist fraglich, ob Karl heute kommen wird) oder Wer wird heute kommen? und . . . wer heute kommen wird (z. B. in Ich frage euch, wer heute kommen wird).

821

Sachverhalte als Bestandteile von Sachverhalten

Allerdings ist mit der E i n b e t t u n g solcher Sätze — in der R e g e l — nicht die Intention verbunden, eine A n t w o r t hinsichtlich der E x i s t e n z oder Nichtexistenz des beschriebenen Sachverhalts b z w . hinsichtlich der Spezifizierung der durch das w - W o r t vertretenen K o m p o n e n t e

des beschriebenen Sachverhalts zu erhalten. I n dieser B e -

ziehung ist der Terminus „ F r a g e s a t z " irreführend. Die genannten abhängigen Sätze drücken vielmehr die Aussagen aus, die als Voraussetzungen in F r a g e n enthalten sind, und lassen unspezifiziert, was F r a g e n zu spezifizieren fordern. Insofern g e h t auch die Einsetzbarkeit der ob- und w- W o r t - S ä t z e weit über den K o n t e x t v o n F r a g e n hinaus. E s ist aber wichtig, insbesondere die w-Wort-Sätze v o n gleichlautenden relativen w-Wort-Sätzen

(Attributsätzen) zu unterscheiden. (Vgl. Wer heute kommt,

ist unbekannt: Es ist unbekannt, wer heute kommt und Wer heute kommt, ist unbekannte Derjenige/jeder,

der heute kommt, ist unbekannt.)

Deshalb behalten wir auch

die

differenzierende Bezeichnung „indirekter F r a g e s a t z " bei.

Subjektsätze können auch in Sätzen mit Prädikatsausdrücken stehen, die zusätzlich andere Ergänzungen gestatten. Beispiele für Adjektive, die mit einer Kopula als Prädikatsausdruck dienen, sind angenehm, aussichtslos, bekannt, erfreulich, gefährlich, gleichgültig, möglich u. a. (164)

Es ist ihr bekannt, daß Karl heute kommen wird Es ist für ihn aussichtslos, daß er sich bewirbt

Beispiele für Substantive, die mit einer Kopula als Relationsausdruck dienen, sind: Bedürfnis, Erfolg, Genugtuung, Greuel usw., auch viele Substantive, die Ausdrücke für einstellige Prädikate sein können (Hauptsache, Rätsel usw.). (165)

Es ist ihm eine Genugtuung, daß er den Auftrag erhielt Für Paul ist die Hauptsache, daß der Versuch gelingt

Beispiele für Verben als Relationsausdrücke sind: ehren, empören, erheitern, freuen, gefallen, schmeicheln, verdrießen usw. (166)

Es ehrt Peter, daß er seinen Fehler eingesteht Daß unser Haus renoviert wird, freut uns

Auch „indirekte Fragesätze" sind in diesem Zusammenhang zu nennen: (167)

Es ist ihm nicht bekannt, ob die Veranstaltung stattfindet Es ist für uns wichtig, wer den Vortrag hält

E s besteht die Möglichkeit, die Sachverhaltsbeschreibung in Form einer Infinitivgruppe einzubetten. Das gilt jedoch nicht für alle Prädikatsausdrücke, die Subjektsätze fordern oder zulassen. Ausgeschlossen ist eine Abwandlungsbeziehung dieser Art z. B. bei folgenden Adjektiven: wahr, gewiß, fraglich. In, anderen Fällen scheint die Infinitvgruppe obligatorisch zu sein, wie das folgende Beispiel zeigt: (168)

!Es

ist ihm möglich, daß er unseren Auftrag erledigt Es ist ihm möglich, unseren Auftrag zu erledigen

Der daß-Satz ist unüblich.

822

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

Die Abwandlungsbeziehung zu Infinitivgruppen besteht nur, wenn das Subjekt des eingebetteten Satzes mit dem Objekt im übergeordneten Satz identisch ist. Vgl. dazu folgende Beispiele: (169)

Es Es Es 'Es

ist ist ist ist

Peter angenehm, daß er (Peter) die Gäste begrüßen darf = Peter angenehm, die Qäsie begrüßen zu dürfen Peter angenehm, daß Klaus die Oäste begrüßen will=t= Peter angenehm, die Gäste begrüßen zu wollen

5.3.4.3.

Prädikatsausdrücke mit Objektsätzen

§96

Zu bestimmten Prädikatsausdrücken, die Bewußtseinszustände bezeichnen, sind Sachverhaltsbeschreibungen in der Funktion des Objekts möglich. Ein eingebetteter Satz als Sachverhaltsbeschreibung ist mithin ein Objektsatz. Normalerweise erscheint die Sachverhaltsbeschreibung als Akkusativobjekt, gelegentlich als Präpositionalobjekt, selten als Genitivobjekt. Am häufigsten sind die hierher gehörenden Prädikatsausdrücke Verben, gelegentlich auch prädikative Adjektive. Zu den meisten Verben existieren Umschreibungen aus einem Substantiv und einem Funktionsverb. Beispiele für Verben sind: sagen, behaupten, fragen, feststellen, verstehen, wissen, begreifen, verheimlichen, fühlen, fürchten, hoffen, jemandem etwas ansehen (als Beispiel für eine dreistellige Relation), sich rühmen (mit Genitiv), fragen nach, sich freuen über, sich ärgern über usw. Beispiele für Adjektive sind: sicher sein (mit Genitiv), froh sein über, ärgerlich sein über usw. Grundsätzlich kann der untergeordnete Satz sowohl nach als auch vor dem übergeordneten Grundstellungssatz stehen. Füllt er die Funktion eines Objekts aus, das nicht Akkusativobjekt ist, so muß bei Voranstellung das Pro-Element im übergeordneten Satz erhalten bleiben: (170)

§ 97

Daß das Experiment gelungen ist, dessen bin ich sicher Daß die Ferien zu Ende sind, darüber freut sich Klaus

Für Verben des Sagens, Fragens und Denkens existiert die besondere Möglichkeit, den Sachverhalt, der Gegenstand des Sagens, Fragens oder Denkens ist, nicht - wie üblich - durch einen Satz aus der Sprecherperspektive (durch die „indirekte Rede") zu beschreiben, sondern als Zitat, d. h. in „direkter Rede" (vgl. Kap. 3.1.). Wird die direkte Rede angegeben, so folgt die Sachverhaltsbeschreibung allen Regularitäten syntaktisch selbständiger Äußerungen: Aussagen und Ergänzungsfragen werden durch Grundstellungssätze, Entscheidungsfragen durch Spitzenstellungssätze realisiert, Ergänzungsfragesätze durch w-Wörter eingeleitet usw. Die direkte Rede ist immer potentiell isolierbar. Dennoch behält sie auf Grund ihrer speziellen Rolle in der Beschreibung eines übergeordneten' Sachverhalts die syntaktische Funktion eines Objektsatzes innerhalb des Satzes, dessen Prädikat ein Verb des Sagens, Fragens, Denkens ist, bleibt also ein

Sachverhalte als Bestandteile von Sachverhalten

Gliedsatz. Das zeigt sich auch formal am Verhalten des Verbs bei Voranstellung der direkten Bede: (171)

Elke sagte'. „Ich kann heute nicht kommen " „Ich kann heute nicht kommen", sagte Elke

Bei indirekter Rede wird die (vom Sprecher formulierte) Sachverhaltsbeschreibung nach Verben des Sagens und Denkens durch daß eingeleitet (indirekte Aussage), das" mit Endstellung der finiten Verbform verbunden ist (anders eingeleitete Sätze nach Verben des Sagens und Denkens sind nicht aus der direkten Rede ableitbar). Nach Verben des Fragens erfolgt die Einleitung durch ob (indirekte Entscheidungsfrage) oder durch w-Wörter (indirekte Ergänzungsfrage). Mit dem Aufgeben des Zitat-Charakters der direkten Rede ist eine Veränderung der auf Sprecher und Angesprochenen bezogenen Pronomina verbunden: Person und Numerus der Personalpronomina und Possessivpronomina innerhalb der in indirekter Rede ausgedrückten Sachverhaltsbeschreibung werden nicht aus der Perspektive der Person, die etwas sagt, fragt, denkt, sondern aus der des Sprechers gewählt: (172)

Elke sagte, daß sie heute nicht kommen kann / könne Peter fragte, ob sie heute kommen kann / könne Jürgen fragte, wann sie kommen kann/ könne

Eine spezifische Form der indirekten Rede nach Verben des Sagens und Denkens ist die uneingeleitete Einbettung eines ßrundstellungssatzes, die in einem Entsprechungsverhältnis zu einem daß-Satz steht: Elke sagte, sie kann / könne heute nicht kommen. Da bei der indirekten Rede die direkte nur referiert wird, kann durch Verwendung von Konjunktivformen die Distanz des Sprechers zur referierten Sachverhaltsbeschreibung berücksichtigt werden. Was den Terminus „indirekter Fragesatz" anbetrifft, so gelten auch hier die Anmerkungen in § 93 über seine Funktion, jedoch mit entsprechenden Modifikationen. Ob „indirekte Fragen" anzunehmen sind oder nicht, hängt von der Art der Äußerung des Individuums ab (Sagen oder Fragen). Einem Satz Peter sagt, wie er das Problem gelöst hat entspricht kein Satz mit direkter Frage; vielmehr beschreibt der abhängige Satz die Aussage über einen Sachverhalt unter Hervorhebung seiner (nichtspezifizierten) modalen Komponente. Dagegen liegt einem Satz Peter fragt, wie sie das Problem gelöst hat ein Satz mit direkter Frage zugrunde: Peter fragt: „Wie hast du das Problem gelöst?" Die Beispiele für Gefüge mit indirekter Äußerung sind intentional als Aussagen, Gefüge mit direkter Äußerung als Ganzes ebenfalls als Aussage, deren abhängige Sachverhaltsbesehreibungen jedoch als zitierte Fragen (mit entsprechender potentieller Intention) zu erklären. Entsprechend müssen auch die Leistungen der einleitenden Fügewörter der Sachverhaltsbeschreibungen interpretiert werden. 10-Wörter sind nicht generell „Fragewörter", sondern unspezifizierte, aber kategorial geprägte Leerstellenumrisse (wer = Person, was = Sache, wo = Ort, . . .), die verschiedene (kontextuell festgelegte) Interpretationen haben. Sie zerfallen auf jeden Fall in zwei große Gruppen — traditionell als Interrogativa und Relativa bezeichnet. Da Satzverknüpfungen

824

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

wie Ich weiß nicht, wen ich begrüßen soll und Ich weiß, wen ich begrüßen soll gemeinsam von Sätzen wie Ich begrüße, wen ich begrüßen will (mit vintergeordnetem Relativsatz) syntaktisch streng zu scheiden sind, erhalten ihre abhängigen Sätze gemeinsam die unbefriedigende Bezeichnung „indirekter Fragesatz", ihre Einleitungselemente gemeinsam die Bezeichnung „Interrogativum". Entsprechend ihren funktionalen Leistungen sind die Sätze und Fügewörter der ersten Gruppe aber weiter zu differenzieren. Auch die subordinierende Konjunktion ob ist nicht Fragekonjunktion schlechthin, sondern weist nur auf die Offenheit der Entscheidung über Existenz oder Nichtexistenz eines Sachverhalts hin; insofern können von ihr eingeleitete Sätze in einem breiteren Kontext als Fragen stehen: (173)

§ 99

Hans fragt, ob Inge kommt Hans weiß nicht, ob Inge kommt Hans weiß, ob Inge kommt

Falls das Subjekt des eingebetteten Satzes dasselbe Individuum beschreibt wie Subjekt oder - bei der Beschreibung mehr als zweistelliger Relationen - Objekt des übergeordneten Satzes, steht der daß-Satz in einer Abwandlungsbeziehung zu einer Infinitivgruppe. Identität der Subjekte in über- und untergeordnetem Satz: (174)

Ich Ich Ich Ich

hoffe, daß ich dich bald wiedersehe hoffe, dich bald wiederzusehen verspreche dir, daß ich dich besuche verspreche dir, dich zu besuchen

Identität des Akkusativobjekts des übergeordneten mit dem Subjekt des untergeordneten Satzes: (175)

Ich bitte dich, daß du mir hilfst Ich bitte dich, mir zu helfen

Identität des Dativobjekts des übergeordneten mit dem Subjekt des untergeordneten Satzes: (176)

Ich empfehle dir, daß du das Buch häufst Ich empfehle dir., das Buch zu kaufen

Weitere Abwandlungsbeziehungen bestehen zwischen daß- bzw. ob- Sätzen und Substantivgruppen, die - oft mit einer Präposition {nach, über u. a.) als Präpositionalgruppe - als Objekt auftreten: (177)

Peter fragte nach der Lösung des Problems Dieter berichtet über den Aufstieg des Ballons Inge verkündet den Anbruch des neuen Jahres

5.3.4.4.

Prädikatsausdrücke m i t Subjekt- und Objektsätzen

§100

Hier ist innerhalb unserer Systematik der Platz für alle Fälle, in denen zwei Sachverhaltsbeschreibungen durch ein verbales Prädikat miteinander verknüpft

Sachverhalte als Bestandteile von

825

Sachverhalten

werden. Im Verb als Prädikat wird eine Relation zwischen den beschriebenen Sachverhalten explizit sprachlich realisiert. Unter anderem gehören hierher also auch die expliziten (verbalen) Realisierungen einer ausgezeichneten Relation zwischen Sachverhalten (vgl. 5.3.3.). Die beiden Sachverhaltsbeschreibungen - bzw. auf sie verweisende Pro-Elemente - erscheinen als Subjekt und Objekt (als Subjektsatz und Objektsatz, wenn sie subordinierte Sätze sind) innerhalb des Satzes mit dem die Relation bezeichnenden Prädikat. Yerben, die eine derartige Relation ausdrücken, sind: bewirken, verursachen, bedingen, bedeuten, ausdrücken, beweisen, begünstigen, folgen aus usw. §101

Eine quasi-koordinative Verknüpfung von Sätzen p' und q' als Sachverhaltsbeschreibungen unter Einbeziehung des neuen Prädikats verlangt hier Sonderformen: Das neue Prädikat steht - mit Besetzung seiner Valenzstellen durch Pro-Elemente - in einem eigenen Satz zwischen p' und q', dem Satz hinter dem Prädikat; verweisende Pro-Elemente müssen als folgendes realisiert werden. Die Relation Bedeuten (p, q) läßt sich also in folgender Form koordinativ beschreiben: ,,p'. Das bedeutet folgendes: q'". (Diese Sonderform ist auch sonst möglich, wird hier aber notwendig.) (178)

Werner ist erkrankt. Das bedeutet folgendes-. Wir müssen einen neuen Außenstürmer einsetzen Möglich ist auch, daß eine der Sachverhaltsbeschreibungen nichtsubordinativ, die andere subordinativ mit dem Satz, der den verbalen Relationsausdruck enthält, verknüpft wird: (179)

Werner ist erkrankt. Das bedeutet, daß wir einen neuen Außenstürmer einsetzen müssen Daß Werner erkrankt ist, bedeutet folgendes: Wir müssen einen neuen Außenstürmer einsetzen

ßei der subordinativen Verknüpfung sind beide Sachverhaltsbeschreibungen eingebettet: (180)

Daß Werner erkrankt ist, bedeutet, daß wir einen neuen einsetzen müssen

Außenstürmer

Der dem Relationsverb folgende Satz q' kann nicht nur ein durch tlaß eingeleiteter Endstellungssatz sein, sondern auch uneingeleitet als Grundstellungssatz eingebettet werden: (181)

Daß Werner erkrankt ist, bedeutet, wir müssen einen neuen Außenstürmer einsetzen

In bestimmten Fällen bestehen Abwandlungsbeziehungen zu Infinitivgruppen bzw. zu Substantivgruppen: (182)

Auf Heinz zu verzichten, bedeutet, die Mannschaft neu zu formieren Der Verzicht auf Heinz bedeutet die Neuformierung der Mannschaft

53 Deutsche Gramm.

826

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

5.3.5.

Kennzeichnung von Individuen durch einen Sachverhalt

5.3.5.1.

Allgemeines

§ 102

Bisher wurden im Rahmen unserer Systematik zusammengesetzter Sätze entweder solche Satzverknüpfungen behandelt, in denen keiner der verknüpften Sätze eine syntaktische Funktion in dem jeweils anderen ausfüllt, oder solche, in denen der eine Satz in den anderen Satz eingebettet ist und in diesem als Satzglied fungiert. Im ersten Fall wird die Verknüpfung durch koordinierende Verknüpfungszeichen oder mit Hilfe von Pronominaladverbien hergestellt. Bei subordinativer Verknüpfung ergeben sich sogenannte weiterführende Nebensätze. Im zweiten Fall enthalten die entsprechenden Verknüpfungen Angaben über das Verhältnis zwischen Sachverhalten, über Eigenschaften von Sachverhalten oder-über das Verhältnis zwischen Sachverhalt und Individuum bzw. Individuen. Im Zusammenhang mit diesen Klassen von Satzverknüpfungen wurden - zum Teil im Gegensatz zu traditionellen Auffassungen - auch Satzverknüpfungen berührt, die Verhältnisse anderer Art darstellen und dementsprechend einen besonderen Platz innerhalb unserer Systematik einnehmen. Sie sind im folgenden abzuhandeln. Bei dieser Art der Satzverknüpfung wird nicht ein Sachverhalt selbst zum Gegenstand von Aussagen gemacht - es geht also nicht mehr um Relationen, deren Argumente logische Ausdrücke für Sachverhalte sind. Es geht vielmehr darum, daß Aassagen über Sachverhalte dazu dienen, einzelne Bestandteile anderer Sachverhalte näher zu charakterisieren. Dies setzt voraus, daß die zu charakterisierende Komponente des einen Sachverhalts zugleich auch Bestandteil des Sachverhaltes ist, dessen Beschreibung zu ihrer Charakterisierung herangezogen wird (vgl. dazu auch Kap. 1.7.2., § 108 und Kap. 2.3.1.3., § 20). Beim sprachlichen Ausdruck beziehen sich die entsprechenden Sachverhaltsbeschreibungen auf einzelne substantivische (oder adverbiale) Konstituenten einer anderen Sachverhaltsbeschreibung, indem sie über das, was diese Konstituenten bezeichnen, zusätzlich etwas aussagen.

§103

Bei dieser Verknüpfungsart werden Sätze in andere Sätze eingebettet und ihnen subordiniert (untergeordnet). Sie nehmen in den übergeordneten Sätzen jedoch nicht die syntaktischen Stellen von Satzgliedern ein, sondern fungieren vielmehr als Konstituenten von Satzgliedern. Sie haben folglich die Funktion von Gliedteilen und werden Gliedtefls&tze genannt. Ihrer Form nach sind die Gliedteilsätze entweder Relativsätze oder Konjunktionalsätze; sie werden durch Relativpronomina bzw. durch subordinierende Konjunktionen eingeleitet. Es gibt jedoch auch nicht eingeleitete Gliedteilsätze mit Zweitstellung des finiten Verbs. Da die Gliedteilsätze bestimmten Konstituenten (oder vielmehr: den durch die Konstituenten bezeichneten Sachverhaltsbestandteilen, Individuen) Eigenschaften oder Beziehungen zuschreiben, werden sie auch Attribntssätze genannt. Die Begriffe „Gliedteilsatz" und „Attributssatz" sind dem Umfang nach identisch.

Kennzeichnung von Individuen durch einen Sachverhalt

827

Dem Inhalt nach bezieht sich „Gliedteilsatz" mehr auf die syntaktische, „Attributsatz" mehr auf die semantische Funktionsweise. Relativsätze sind, wenn man von weiterführenden Nebensätzen wie (Er hat in der Diskussion geschwiegen,) toas sich später als Felder erwies absieht, stets Gliedteilsätze; vgl. auch § 110.

In den Attributssätzen wird der zur Charakterisierung eines Sächverhaltsbestandteils (eines Individuums) herangezogene Sachverhalt explizit verbalisiert. Dieser expliziten Verbalisierung in Attributssätzen entsprechen in zahlreichen Fällen weniger explizite Formen. Diese können dann als reduzierte Formen von Attributssätzen betrachtet werden (s. dazu auch Kap. 2.3.1.0., § 6). Derartige Attribute können damit funktional charakterisiert werden als Sachverhaltsbeschreibungen, die sich auf substantivische (und in bestimmten Fällen auch auf adverbiale) Konstituenten beziehen. In der syntaktischen Struktur eines Satzes kann eine solche Sachverhaltsbeschreibung durch eine Satzstruktur in ihrer vollen oder in einer mehr oder weniger reduzierten Form auftreten. Damit ist jedoch der traditionelle Begriff des Attributs als einer Konstituente, die den substantivischen (bzw. adverbialen) Kern einer Wortgruppe erweitert, nicht ausgeschöpft. Als Attribute haben vielmehr auch Konstituenten zu gelten, die sich bei der Substantivierung eines Verbs oder eines Adjektivs diesem anschließen und denen in dem jeweiligen Grundstruktur-Satz das Subjekt, ein Objekt oder eine Adverbialbestimmung entsprechen (vgl. dazu auch Kap. 2.3.1.3., § 20, e) und Kap. 2.3.1.3., § 28; vgl. ferner § 113 dieses Kapitels). Wegen ihres Gliedteil-Charakters werden Attributssätze mehr oder weniger eng an das dominierende Satzglied angeschlossen. Ihre Stellungsmffglichkeiten sind infolgedessen begrenzt. §104

Zu vielen Attributssätzen existieren Entsprechungen in Gestalt vorangehende« oder nachfolgender Sätze. Ihr Wesen besteht darin, daß eine bestimmte Konstituente einer Sachverhaltsbeschreibung im nachfolgenden Satz wieder aufgenommen und zum Gegenstand einer neuen Aussage gemacht wird. Die nähere Kennzeichnung einer Konstituente kann also entweder so vorgenommen werden, daß sie unmittelbar innerhalb einer Sachverhaltsbesqhreibung erfolgt, oder aber so, daß sie den weiteren Aufbau eines Textes bestimmt. Mittel der Wiederaufnahme sind Artikel- oder Pronominalformen, die die Vorerwähntheit signalisieren; spezifisches Mittel ist u. a. die Verwendung von dieser und solcher. Das Verhältnis unterschiedlicher Arten von Attributssatzen_zu vorangehenden oder folgenden Grundstruktursätzen ist in Kap. 2.3.1.3. (s. bes- § 22f.) behandelt!

§105

Nach dem Inhalt unterscheiden wir zwischen determinierender und explizierender Attribution. Bei der determinierenden Attribution wird eine Konstituente durch eine Sachverhaltsbeschreibung charakterisiert, die ihr zusätzliche Merkmale zuordnet. Diese zusätzlichen Merkmale können in einer direkten Einschränkung oder Erläuterung oder in einem Vergleich vermittelt werden. Der Terminus „determinierend" bedeutet in dieser Übersicht etwas anderes als in Kap. 2.3.1., wo unter „Determination" eine der Kategorien der Substantivgruppe verstanden wird (vgl. Kap. 2.3.1.0., § 3 und Kap. 2.3.1.1., § 11).

Bei der explizierenden Attribution wird einer Konstituente, die selbst eine Eigenschaft oder eine Beziehung bezeichnet, eine Sachverhaltsbeschreibung 53*

828

S.S. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

zugeordnet, die denselben Zustand, dasselbe Verhältnis oder denselben Vorgang der Wirklichkeit unter einem anderen Gesichtspunkt erfaßt und auf diese Weise den Inhalt der attribuierten Konstituente erschließt. Die determinierende Attribution wird in Abschnitt 5.3.5.2., die explizierende in 5.3.5.3. beschrieben. Abschnitt 5,3.5.4. gibt eine Übersicht über reduzierte Formen v o n Attributen.

5.3.5.2.

Determinierende Attribution

5.3.5.2.1.

Allgemeines

§106

Substantive bezeichnen in der Regel nicht einzelne Gegenstände, sondern ganze Klassen von Gegenständen (Individuen). Eine Ausnahme machen lediglich Eigennamen und limitative Substantive (vgl. Kap. 2.3.1., § 9, a)). In den Äußerungen aber beziehen sich die Substantive meist auf bestimmte einzelne Gegenstände, die an dem im jeweiligen Satz beschriebenen Sachverhalt beteiligt sind. Der Hörer muß auf Grund der Bezeichnung der ganzen Klasse und mit Hilfe sonstiger Bedingungen der jeweiligen Kommunikationssituation (vgl. dazu Kap. 1.3.4., § 52f.) das jeweils gemeinte konkrete Individuum ermitteln können. Der Sprecher wählt daher substantivische Bezeichnungen, die den Referenzbereich von vornherein in geeigneter Weise einschränken. Determinierende Attribute werden vor allem dann verwendet, wenn es kein Substantiv gibt, dessen Bedeutung allein schon speziell genug ist, um das betreffende Individuum in der gegebenen Situation ausreichend zu charakterisieren. Das determinierende Attribut spezialisiert dann die im Substantiv selbst bezeichnete Klasse: (183a)

Schuhe, die rot sind Schuhe, die aus Wildleder waren Schuhe, die hohe Absätze haben

oder es beschreibt eine Beziehung des gemeinten Gegenstandes zu bestimmten anderen Gegenständen: (183b)

die Schuhe, die Karin heute anhat die Schuhe,'die im Schaufenster ganz links stehen die Schuhe, die ich heute zum Schuster gebracht habe

Wir sprechen in diesem Falle von einschränkender Determination oder Restriktion durch Attribute. Subordinierte Sätze, die Sachverhalte mit dieser Funktion beschreiben, sind restriktive Relativsätze oder (s. u. § 111) einschränkende Konjunktionalsätze. Einschränkende Determination kann auch auftreten, wenn ein bestimmter einzelner Gegenstand aus einer in der Äußerung oder in der Situation bereits vorgegebenen Menge von gleichartigen Gegenständen auszuwählen ist: (183c)

(Im Wohnzimmer hängen drei Bilder) Dasjenige von den Bildern / das von den Bildern / dasjenige Bild / das Bild, das Schiffe vor einem Hafen darstellt, ist alter Familienbesitz

(Die Hervorhebung zeigt die Betonung an.)

Determinierende

§107

Attribution

829

Wenn sich das Substantiv auf einen Gegenstand bezieht, der bereits identifiziert ist, so können dennoch Eigenschaften oder Relationen genannt werden, die nur dem gemeinten Objekt zukommen oder es in eine speziellere Klasse einordnen. Die entsprechenden Attribute haben aber nicht die Funktion, den gemeinten Gegenstand von anderen Gegenständen derselben Klasse unterscheidbar zu machen. Sie enthalten vielmehr zusätzliche Informationen. Sie haben daher auch nicht restriktiven (einschränkenden), sondern erläuternden Charakter; vgl.: (184)

(Vor unser m Haus steht eine Laterne) Die Laterne, die wieder einmal nicht brennt, wird repariert

Wir sprechen in diesem Fall von erläuternder Determination durch Attribute. Subordinierte Sätze, die derartige zusätzliche Erläuterungen enthalten, haben häufig Appositionen als Entsprechungen (vgl. Kap. 2.3.1.3., § 21). Attributssätze, die diese Funktion erfüllen, sind meist appositive Relativsätze. Es gibt jedoch auch - vgl. § 111 - appositive Konjunktionalsätze. § 108

Einschränkende und erläuternde Determination sagt immer etwas über das tatsächlich gemeinte Objekt aus. Von der einschränkenden und der erläuternden Determination ist eine Art der determinierenden Attribution zu unterscheiden, die nicht ausschließlich etwas über das gemeinte Objekt aussagt, sondern zugleich auch über andere Objekte derselben Klasse. Dabei sind zwei Fälle möglich : a) Es wird eine Aussage über ein Element einer Klasse oder über alle Elemente einer Klasse gemacht. Dem Substantiv, das diese Klasse bezeichnet, wird eine Aussage über ein bestimmtes Element (bzw. über mehrere bestimmte Elemente) dieser Klasse zugeordnet, das ein Spezialfall dieser Klasse ist, aber mit dem gemeinten Element nicht identisch ist, vgl. : (185a) (185b)

Anne hat ein (solches) Kleid, wie Marie eins hat Solche Kleider, wie Marié eins hat, werden heute von vielen jungen chen getragen

Mäd-

Während das attribuierte Substantiv (ein solches) Kleid in (185a) spezifisch referiert, referiert es in (185c) nicht spezifisch (vgl. dazu Kap. 2.3.1.1., § 11, d)): (185c)

Anne möchte ein (solches) Kleid haben, wie Marie eins trägt

b) Es wird eine Aussage über ein einzelnes Element einer Klasse gemacht. Dem Substantiv, das die Klasse bezeichnet, wird ein Attribut zugeordnet, das eine Aussage über alle Elemente der Klasse enthält, von der das gemeinte Element ein Spezialfall ist : (186)

Marie trägt ein (solches) Kleid, wie es heute viele junge Mädchen tragen Marie wünscht sich ein (solches) Kleid, wie es heute viele junge Mädchen tragen

In beiden Fällen dient die Kennzeichnung der besseren Identifizierung des Gemeinten. Wesentlich ist, daß sich beide Elementmengen in jedem Fall zueinander wie Allgemeines und Spezielles verhalten. Das Gemeinte wird durch den Vergleich mit dem identifiziert, was im Attribut bezeichnet wird. Wir be-

830

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

zeichnen diese Art der Attribution als vergleichende Determination (vgl. dazu auch Kap. 2.3.1.3., § 21, c); zu solch vgl. Kap. 3.4., § 36f.). §109

Dem Unterschied zwischen einschränkender und vergleichender Determination durch Attribute entspricht in Satzfolgen annähernd der Unterschied zwischen dies- und solch-: dies- stellt einen Bezug her zu den gegebenen Individuen. Es entspricht der einschränkenden Attribution. Solch- stellt hingegen einen Bezug her zu der Klasse, der gegebene Individuen angehören, oder zu einem gegebenen Individuum, das ein spezielles Element einer Klasse ist; es entspricht somit der vergleichenden Attribution. Ein analoger Unterschied zeigt sich in den beiden Fragemöglichkeiten mittels welch und was für ein: welch fragt nach der Spezifizierung von Eigenschaften, die eine Individuenmenge einschränken, was für ein fragt nach der Spezifizierung von Eigenschaften, die Individuen in eine Klasse einordnen (s. dazu Kap. 3.4., § 51f.).

5.3.5.2.2. Einschränkende oder erläuternde Determination durch Attribution

§110

Einschränkung oder Erläuterung durch intensional nicht-markierte Verknüpfung: Die determinierende Sachverhaltsbeschreibung wird auf eine Art angeschlossen, die nicht ausdrücklich auf ein intensionales Verhältnis zwischen Sachverhalt und determinierter Konstituente Bezug nimmt. Die attribuierte Konstituente wird lediglich eingeschränkt oder erläutert. In parallelen entsprechenden Satzfolgen hat die der attributiven Determination unterliegende Konstituente ein Gegenstück in dem Satz, der die zur Determination herangezogene Sachverhaltsbeschreibung enthält. Dort erscheint in beliebiger, nicht notwendig identischer, syntaktischer Funktion eine gleichartige substantivische Konstituente (vgl. dazu Kap. 1.7.2., § 108 und Kap. 2.3.1.3., § 20, b)). Dieser Konstituente entspricht im Attributssatz ein Relativpronomen. Es steht an der Spitze des Attributssatzes. Sein Auftreten ist gekoppelt mit der Endstellung des finiten Verbs. Das Relativpronomen hat dieselbe syntaktische Funktion wie die substantivische Konstituente, der es entspricht, und erscheint in deren Kasus. Ist das dem Relativpronomen entsprechende Substantiv Bestandteil einer Präpositionalgruppe, so ist auch das Relativpronomen mit dieser Präposition verbunden. Es kann somit auch durch die intensional nicht-markierte Verknüpfung ein intensionales Verhältnis ausgedrückt werden; vgl.: (187)

Der K o f f e r , der in der Ecke steht, gehört mir Der K o f f e r , den du dort in der Ecke siehst, gehört mir Der K o f f e r , auf dem du sitzt, gehört mir

Auf diese Weise können sich determinierende Attribute sowohl an Substantiva als auch an substantivische Pronomina anschließen. Determinierende Attribute zu Eigennamen, zu limitativen Substantiven (wie z. B. der Mond usw.) und zu Personalpronomina sind immer erläuternd. Wenn

Determinierende

831

Attribution

das Relativpronomen an der Stelle eines Personalpronomens der 1. oder der 2. Person steht, wird dieses wiederholt: (188a)

Ich, der ich hier geboren bin, liebe unsere Stadt

Das geschieht aber nur, wenn das Relativpronomen als Subjekt des Satzes fungiert: (188b) *Ich, dem ich unsere Stadt ans Herz gewachsen ist, werde sie nie verlassen Ich, dem unsere Stadt ans Herz gewachsen ist, werde sie nie verlassen Einschränkende Attribute kommen vor allem bei substantivischen Konstituenten vor, die etwas noch nicht Bekanntes (vgl. Kap. 1.3.4., §52f.) bezeichnen; vgl.: (189a)

Ich kenne einen Uhrmacher, der solche Uhren repariert Ich kenne jemand, der solche Uhren repariert

Einschränkenden Charakter haben jedoch auch Attribute wie in (189b), falls sie einem vorangehenden Satz entsprechen und falls das attribuierte Substantiv etwas.vorher nicht Genanntes bezeichnet (vgl. dazu Kap. 2.3.1.3., § 23): (189b)

(... eine Uhr . . . ) Der Uhrmacher, auf solche Arbeiten spezialisiert

der sie mir repariert hat, hat sich

Der Attributssatz in. (189b) hätte erläuternden Charakter, wenn außer Uhr auch Uhrmacher einen vorher genannten Gegenstand bezeichnete; vgl. z. B.: (189c)

(Ich habe eine Uhr zum Uhrmacher gebracht.) Der Uhrmacher, der sie mir repariert hat, hat sich auf solche Arbeiten spezialisiert

In (189c) ist der Relativsatz durch Pausen abtrennbar, also appositiv. Vgl. dazu auch Kap. 2.3.1.3., § 24.

Restriktiv in dem hier behandelten Sinne sind auch die Attributssätze zu substantivisch verwendetem derjenige bzw. der: (189d)

Derjenige, der am weitesten springt, erhält den Preis

Vgl. dazu auch Kap. 2.3.1.2., § 19, d). Bei Attributen zu das (wie auch zu alles, vieles, nichts usw. und in der Regel zu substantivierten Superlativen) erscheint das Relativpronomen als was: (190)

Das, was Marx hier hervorhebt, gilt auch heute noch Das Schlimmste, was jetzt kommen könnte, wäre Tauwetter

Sogenannte verallgemeinernde Relativsätze sind eigentlich restriktive Relativsätze zu generellem, substantivisch verwendetem derjenige oder jeder. (Über generelle Substantive vgl. Kap. 2.3.1.1., § 11, c)). In Sätzen wie z. B. Jeder, der arbeitet, hat ein Recht auf angemessene Bezahlung trifft die im übergeordneten Satz ausgesagte Beziehung (,ein Recht auf angemessene ^Bezahlung haben') auf genau die Teilklasse von Individuen zu, auf die die im Relativsatz gegebene Sachverhaltsbeschreibung zutrifft. Unter bestimmten Bedingungen kann das Pronomen eliminiert werden. Als Relativsatzeinleitung erscheint dann eine w-Form (wer, was) als verallgemeinerndes Relativpronomen (statt derjenige,

832

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

der oder jeder, dar steht wer, statt das, was steht was). Ein verallgemeinernder Relativsatz ohne Bezugselement füllt zwar allein die Position eines Satzgliedes (z. B. des Subjekts) aus, ist aber nur als Attributssatz erklärbar. Dies ist immer zu beachten, wenn man etwa den Relativsatz in Wer wagt, gewinnt als Subjektsatz klassifiziert. §111

Einschränkung oder Erläuterung durch intensional markierte Verknüpfung: Die determinierende Sachverhaltsbeschreibung wird auf eine Art angeschlossen, die ausdrücklich auf ein intensionales Verhältnis zwischen dem im attribuierten Substantiv bezeichneten Gegenstand und dem im Attributssatz beschriebenen Sachverhalt Bezug nimmt. Das intensionale Verhältnis ist entweder lokaler, temporaler, kansaler oder modaler Natur. Das heißt, das einschränkende oder erläuternde Attribut beschreibt einen Sachverhalt, der zu dem im attribuierten Substantiv bezeichneten Gegenstand in einer lokalen, temporalen usw. Relation steht. Der beschriebene Sachverhalt existiert am Ort des gemeinten Gegenstandes ; oder der Gegenstand ist Ausgangspunkt oder Ziel einer im Attributssatz beschriebenen Bewegung; oder der Sachverhalt ereignet sich zu einer Zeit, die die determinierte Konstituente bezeichnet; usw. Die attribuierte Konstituente muß nicht selbst eine Adverbialbestimmung sein. Sie muß aber semantisch so beschaffen sein, daß sie als substantivischer Bestandteil eines entsprechenden adverbialen Satzgliedes fungieren könnte. Lokale oder direktive einschränkende oder erläuternde Attributssätze werden durch (relatives) wo, woher oder wohin eingeleitet; eine Variante zu woher ist von wo: (191)

Die Stadt, wo ich geboren bin, liegt weit Dort, woher (von wo) du kommst, war ich noch nie Schlaraffia ist ein Land, wohin Icein Weg führt

Die Konstituente, der die Einschränkung oder Erläuterung zugeordnet ist, kann ein Substantiv sein. Es kann sich jedoch auch um ein Pro-Adverb (dort, hier) oder um ein Lokaladverb (oben, unten, vorn, hinten u. a.) handeln. Das ergibt sich daraus, daß solche Einheiten in ihrer semantischen Struktur einen Platz für Gegenstandsreferenz enthalten. Syntaktisch stehen sie, wie das folgende Beispiel zeigt, auf dem Platz von Präpositionalgruppen, von Einheiten also, die eine Substantivgruppe enthalten, vgl.: (192)

Hinten, wo früher der Schuppen stand, bauen wir ein Gewächshaus

Im einzelnen ergeben sich verschiedene Beschränkungen für Orts- und Richtungsbeziehungen. Wenn ein Pro-Adverb beschränkt wird, bestehen analoge Verhältnisse wie bei den Pronomen (vgl. § 110: Möglichkeit des Wegfalls des Pro-Adverbs, verallgemeinernde Relativsätze als Determinationen z. B. zu überall: Wo man singt, fühle ich mich wohl). Die skizzierte Art der Anknüpfung entspricht der Verknüpfung mittels Relativpronomen als Bestandteil einer Präpositionplgruppe: Die Stadt, in der ich geboren bin, liegt weit; Schlaraffia ist ein Land, in das kein Weg führt. Da sich die intensional nicht-markierte Verknüpfung nicht auf Adverbien oder Pro-Adverbien beziehen kann, gibt es nicht in allen Fällen Entsprechungen.

Explikation

833

Temporal einschränkende oder erläuternde Sachverhaltsbeschreibungen werden durch verschiedene subordinierende Temporalkonjunktionen oder durch wo eingeleitet. Die attribuierte Konstituente kann ein Substantiv mit temporaler Bedeutung (Sekunde, Minute, Stunde, Tag usw.), ein temporales Pro-Adverb {damals, dann u. a.) oder Temporaladverb sein {heute, gestern, morgen usw.): (193)

In dem Jahr, als (in dem) wir uns kennenlernten, hatten wir einen langen Winter Damals, als die Bauarbeiten begannen, war noch mancher skeptisch Morgen, wenn ich dich besuchen komme, unternehmen wir einen Einkaufsbummel

Bei der Grund, weshalb ich dich aufsuche, . . .; die Art, wie er den Bogen führt, . . . handelt es sich nicht um Explikationen (vgl. unten § 113), sondern um kausale oder modale Einschränkung oder Erläuterung. Es wird nicht angegeben, worin der Grund oder worin die Art besteht. Vielmehr beschreibt der weshalb-S&tz einen Sachverhalt, der zu Grund in einem bewirkten Verhältnis steht, der angibt, worauf sich Grund bezieht. Da es hier keine Adverbien oder Pro-Adverbien gibt, kommen als Bezugskonstituenten naturgemäß nur die wenigen Substantive mit kausalen oder modalen semantischen Merkmalen in Frage. §112

Vergleichende Determination durch Attribution: Die vergleichende Determination erfolgt subordinativ durch Endstellungssätze mit einleitendem wie. Wie bei der intensional nichtmarkierten einschränkenden oder erläuternden Verknüpfung ist ein zweites Vorkommen der determinierten Konstituente Voraussetzung. Sie wird im Attributssatz in Form eines Pronomens realisiert: (194)

In einer Nacht, wie man sie selten erlebt, klopfte es plötzlich am Tor Ich wünsche mir eine Mütze, wie Hans sie gestern trug

5.3.5.3.

Explikation

§113

Substantive wie z. B. Eigenschaft, Fehler, Vorzug usw., aber auch solche wie Frage, Problem, Vermutung, Wunsch, Hoffnung u. a. m. beziehen sich nicht auf Dinge oder Personen sondern auf Sachverhalte. Sie ordnen diese Sachverhalte in ein System allgemeiner Kategorien ein (,x ist eine Eigenschaft (von y)'), oder setzen sie zu Dingen oder Personen in Beziehung (,x ist ein Problem (für y)', wobei ,x' jeweils eine Leerstelle für eine Sachverhaltsbeschreibung ist). Substantive dieser Art sagen also etwas aus über die Einordnung der jeweils gemeinten Sachverhalte oder über ihre Beziehungen zu Dingen oder Personen, sie sagen aber nichts darüber aus, worin der gemeinte Sachverhalt eigentlich besteht. Ganz analog verhalten sich auch viele relative Substantive, die sich auf Dinge oder Personen beziehen. Freund z. B. sagt zwar etwas über die Beziehungen-der gemeinten Person zu anderen. Personen aus, enthält aber keine eigentliche Beschreibung der gemeinten Person.

834

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen

Attribute zu solchen Substantiven, die den Sachverhalt, auf den das Substantiv referiert, ausdrücklich nnd direkt beschreiben, heißen explizierende Attribute. Das Substantiv selbst wird durch das Attribut expliziert. Als explizierte Konstituenten kommen außer Substantiven auch substantivische Fronomina oder (s. (195b)) Pro-Adverbien in Frage. Die normale Form des Anschlusses von explizierenden Attributssätzen ist die Konjunktion daß. Bei einigen Substantiven wie z. B. Problem, Hypothese usw. kommt jedoch auch ob oder ein Fragewort als Einleitung des Attributssatzes in Betracht (s. (195c)). (195a) (195b) (195c)

Das Gerät hat den Vorzug, daß es leicht zu bedienen ist Das Problem, daß so viele Kollegen krank sind, macht uns zu schaffen Wir habeil ihn zu dem Zweck gerufen, daß er uns hilft Wir haben ihn nicht dazu gerufen, daß er unnütz herumsteht Wir diskutieren über das Problem, ob die neue Ventilation ausreichen wird Wir stehen vor dem Problem, woher wir die zusätzlich benötigten Kräfte bekommen

In einigen Fällen treten Infinitivgruppen als Explikation auf: (196)

die Methocle, sofort die -Hauptfragen aufzuwerfen der Fehler, alle einwirkenden Faktoren für gleichwertig zu halten der Vorzug, leicht bedienbar zu sein

Schließlich können die explizierenden Sachverhaltsbeschreibungen auch in der Form von Genitivattributen erscheinen (vgl. auch Kap. 2.3.1.3., § 26, Beispiele (82a) -£82d)): (197)

das Problem des hohen Krankenstandes der Fehler des überhasteten Vorgehens der Vorzug der leichten Bedienbarkeü

Sowohl attributive - Infinitivgruppen als auch Genitivattribute können doppeldeutig sein. So kann z. B. das Mittel, die Kollegen zu benachrichtigen bedeuten a) ,das Mittel, mit dessen Hilfe man die Kollegen benachrichtigt', b) ,das Mittel, das darin besteht, die Kollegen zu benachrichtigen; das Ziel der Intensivierung der Arbeit besagt a) daß die Intensivierung der Arbeit ein Ziel hat, b) daß sie selbst das Ziel ist. In beiden Fällen ist das Attribut nur dann explizierend, wenn es die Bedeutung b) hat.

Bei den Substantiven kann es sich auch um Substantivierungen ton Adjektiven oder Verben handeln, die Relationen bezeichnen, die, einen Sachverhalt als Argument haben. Bei der Substantivierung erscheint das Subjekt oder das Objekt des entsprechenden Adjektivs oder Verbs als Attribut (vgl. dazu Kap. 2.3.1.3., § 28). Das explizierende Attribut beschreibt den Sachverhalt der vom substantivierten Adjektiv oder Verb in seiner kategorialen Einordnung oder in seinen Beziehungen zu anderen Gegenständen usw. charakterisiert wird.

Reduktion

von

835

Attributssätzen

Das Attribut hat Satzform: (198)

Wir haben die Möglichkeit erwogen, daß die Ventilation nicht ( . . . daß es möglich ist, daß . ..) Pauls Entdeckung, daß der Weg durch den Wald wesentlich erwies sich als nützlich ( . . . daß Paul entdeckt hatte, daß .. .)

ausreicht kürzer

ist,

Als Einleitung kann ob oder ein Fragewort auftreten: (199)

Unser Zweifel, ob die Ventilation ausreichen würde, war berechtigt Irenes Aufzählung, wer alles an der Veranstaltung teilgenommen war überflüssig

hat,

Falls das zugrunde liegende Verb Infinitivgruppen zuläßt, kann auch das Attribut die Form einer Infinitivgruppe haben: (200)

Meine Empfehlung, Pauls Befürchtung,

warme Kleidung mitzunehmen, wurde nicht beachtet die Richtung zu verlieren, erwies sich als berechtigt

Schließlich können auch Genitivgruppen als Attribute auftreten: (201)

Irenes Aufzählung

der

Teilnehmer

5.3.5.4.

Reduktionsformen von Attributen

§114

In vielen Fällen stehen neben den Attributssätzen, die vom Substantiv bezeichnete Gegenstände charakterisieren, auch noch andexe Formen von Attributen. Umgekehrt gibt es neben fast allen sonstigen Attributen ein gleichwertiges Attribut in der Form eines Satzes (ausgenommen ist hier lediglich ein Teil der Attribute bei Substantiven, die aus Verben oder prädikativen Adjektiven von Grundstruktur-Sätzen gebildet sind). Derartige Parallelen gibt es insbesondere neben restriktiven oder appositiven Attributssätzen. In solchen Fällen lassen sich die syntaktisch einfacheren Formen des Attributs als Abwandlungen der Attributssätze auffassen. Die Verwendung eines vollständigen Satzes in der Funktion eines Attributs erscheint nur als eine besonders explizite Form, der eine Reihe von anderen abgewandelten Formen zugeordnet ist. Ein wichtiges Argument für eine solche Analyse besteht in der Tatsache, daß sich der Unterschied zwischen restriktiver und appositiver Attribution auch bei den Attributen zeigt, die nicht die Form von Sätzen haben. Die Bedeutung dieser Tatsache wird auch nicht dadurch eingeschränkt, daß es bei der Erklärung insbesondere der appositiven Attribute zahlreiche ungeklärte Probleme gibt. Das betrifft vor allem das Verhältnis von Parenthesen, appositiven Relativsätzen und anderen Attributsformen; vgl. Kap. 2.3.1.3., § 21. Im folgenden beschränken wir uns auf die Aufzählung der hauptsächlichen Entsprechungsbeziehungen zwischen Attributssätzen und reduzierten Formen, wobei vor allem die Entsprechungen zu Relativsätzen betrachtet werden.

§115

Attributive Adjektive. Relativsätzen mit einem prädikativen Adjektiv entsprechen attributive Adjektive. Das gleiche gilt für adjektivische Partizipien.

836

5.3. Abwandlungen

in zusammengesetzten

Sätzen

(202)

Der Schüler, der sehr klug ist Der sehr kluge Schüler Kleidung, die zweckmäßig ist Zweckmäßige Kleidung Das Mädchen, das reizend ist Das reizende Mädchen Die Adjektive bzw. Partizipien können durch Adverbien ergänzt sein, die nicht als Modifikation des Adjektivs bzw. Partizips zu erklären sind, sondern alsRelikte eines zugrunde liegenden Satzes aufzufassen sind: (203)

Die Rose, die merkwürdigerweise blau war, wurde von allen bestaunt Die merkwürdigerweise blaue Rose (vourde von allen bestaunt)

Die Regel, die Relativsätze mit prädikativen Adjektiven bzw. Partizipien zu attributiven Adjektiven bzw. Partizipien in Bezug setzt, unterliegt einer Reihe von Beschränkungen. So gibt es Adjektive, die auf prädikativen Gebrauch beschränkt sind: gleich, einerlei, egal + Dativobjekt; barfuß, entzwei, schuld an u. a. m. Ist das Substantiv, auf das sich ein (restriktiver) Relativsatz bezieht, durch derjenige determiniert, so entspricht dem Attributsatz kein attributives Adjektiv. Ist das Adjektiv des Relativsatzes durch Gradangaben wie Komparativ + als . . ., ebenso + Adj + wie . . . ergänzt, so entspricht der Konstruktion keine attributive Verbindung. Die folgenden Substantivgruppen sind nicht korrekt: (204)

*Das schnellere als ein Auto Motorrad *Das ebenso schnelle wie ein Auto Motorrad

E s ist zu beachten, daß nicht alle attributiv verwendbaren Adjektive auf Relativsätze mit prädikativem Adjektiv zurückfährbar sein müssen. Vgl. folgende Beispiele: (105)

Ein Der Das Die

alter Freund ( = langjährig) arme Kerl ( — bedauernswert) ~ väterliche Erbe Hegeische Dialektik

Einige dieser Konstruktionen sind als Abwandlungen von Sätzen anderer Art zu erklären. § 116

Nachgestellte Adjektive. Bei appositiver Funktion können Adjektive bzw. Partizipien, denen prädikative Adjektive bzw. Partizipien 1 in Relativsätzen entsprechen, hinter dem Substantiv stehen, auf das sich das Attribut bezieht. Das Adjektiv bzw. Partizip kann durch weitere Konstituenten ergänzt sein, denen Konstituenten des Relativsatzes entsprechen: (206)

Der neue Schüler, der außergewöhnlich klug war, löste die Aufgabe sofort Der neue Schüler, außergewöhnlich klug, löste die Aufgabe sofort Der Hut, der an der Krempe durchlöchert war, machte einen erbärmlichen Eindruck Der Hut, an der Krempe durchlöchert, machte einen erbärmlichen Eindruck

Als veraltete Form ist das nachgestellte Adjektiv in Böslein rot und ähnlichen Fällen zu betrachten. Die restriktive Verwendung nachgestellter Adjektive in Konstruktionen wie Karpfen blau, Beefsteak rosa u. a. m. bildet einen Sonderfall Die Verwendimg dieser Konstruktion ist auf einen engen kommunikativen Bereich eingeschränkt.

Reduktion von AUributstuten § 117

Ebenso wie appositive Adjektive und Partizipien sind appositive Substantivgruppen zu erklären; sie sind zuerst Abwandlungen von Attributssätzen, in denen die Substantivgruppe als Prädikativ auftritt, vgl. dazu jedoch auch K a p . 2.1.3.3., § 2 1 : (207)

§118

837

Der neue Schüler, der eine mathematische Begabung war, löste die Aufgabe sofort Der neue Schuler, eine mathematische Begabung, löste die Aufgabe sofort

Adverbiale Attribute. Attributiv verwendete Adverbien oder Präpositionalgruppen können als Adverbialbestimmungen oder Präpositionalobjekte entsprechender Attributssätze erklärt werden. In einigen Fällen entsprechen ihnen Relativsätze mit Verben bzw. Fügungen wie stehen, sitzen, liegen, sich befinden, herstammen, stattfinden, hergestellt sein aus u. a. m . : (208)

Der Der Der Der Der Der Das Das Ein Ein

Baum, der vor meinem Haus steht Baum vor meinem Haus Mann, der dort geht Mann dort Wein, der aus Bulgarien stammt Wein aus Bulgarien Konzert, das heute abend stattfindet Konzert heute abend Ring, der aus purem Gold hergestellt ist Ring aus purem Gold

Präpositionalgruppen des T y p s mit + Substantivgruppe bzw. ohne + Substantivgruppe sind Abwandlungen von Relativsätzen, deren Prädikat aus haben 4Substantivgruppe besteht: (209)

§ 119

Die Die Der Der Der Der

Dame, die das Hündchen hat Dame mit dem Hündchen Mann, der den zerbeulten Hut hat Mann mit dem zerbeulten Hut Mann, der keine Eigenschaften hat Mann ohne Eigenschaften

Eine weitere Möglichkeit der Abwandlung von Attributssätzen besteht darin, daß das Verb des Attributssatzes zu einem Präsens-Partizip umgewandelt wird. Das Partizip kann dann, wie ursprünglich prädikative Adjektive, nach dem Substantiv (bei appositiver Verwendung) oder attributiv stehen (appositiv und restriktiv): (210)

Ein Kind, das bitterlich weinte Ein bitterlich weinendes Kind Ein Kind, bitterlich weinend Eine Blume, die selten blüht Eine selten blühende Blume Eine Bhime, selten blühend

838

5.3. Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen Perfektpartizipien können in der Regel nur dann attributiv verwendet werden, wenn sie auf Verben, die das Perfekt mit sein bilden, bzw. auf Zustandspaasive zurückgehen. Gehen sie auf Verben zurück, die das Perfekt mit haben bilden, so ist (von werligen Ausnahmen abgesehen) attributive Verwendung nicht möglich: (211)

Der Vulkan, der erloschen ist Der erloschene Vulkan Das Gewehr, das geladen ist Das geladene Gewehr Aber: *Der gebeUte Hund *Die geblühte Blume *Die gesungene Sängerin

§120

Possessive Genitive können als Abwandlungen von Relativsätzen mit Verben wie haben, besitzen u. ä. erklärt werden. Der im Genitiv stehenden Substantivgruppe entspricht das Subjekt eines Relativsatzes mit solchen Verben (vgl. Kap. 2.3.1.3., §27): (212) Der Hund, den mein Nachbar besitzt Der Hund meines Nachbarn Das Auto, das die Firma hat Das Auto der Firma

§121

Schließlich ist auf die vielfaltigen Entsprechungen hinzuweisen, die zwischen Substantivgruppen mit Attributssätzen und Komposita oder Substantivgruppen mit derivierten Adjektiven bestehen. Wir begnügen uns hier mit einem Beispiel, das mehrere Formen des Attributs als Varianten veranschaulicht: (213)

Ein Ein Ein Ein

Haus, das aus Holz hergestellt ist Haus aus Holz hölzernes Haus Holzhaus

Vgl. dazu auch Kap. 2.3.1.3., § 20, d).

Phonologie : Intonation

Eine Beschreibung der Intonation ermöglicht es, Zusammenhänge zwischen der phonetischen und den anderen Schichten der Äußerung aufzudecken. Die sprachlichen Mittel der phonologischen Ebene, die als „Intonation" zusammengefaßt werden, gehören zur Gestaltung des gesprochenen Satzes als informations- bzw. intentionstragender kommunikativer Einheit. Die Intonationsforschung ist - relativ zu vielen anderen Zweigen der Sprachwissenschaft - ein neues und sehr umstrittenes Gebiet. Es gibt bisher wenige Versuche, die Ergebnisse der Intonationsanalyse in die Grammatik und in die Sprachtheorie einzuordnen. Deshalb sind der Verwendung solcher Ergebnisse im Rahmen einer Grammatik der vorliegenden Art objektive Grenzen gesetzt. Unsere Ausführungen werden ein Versuch sein, empirisch gesicherte Erkenntnisse systematisch und widerspruchsfrei, vor allem in ihrem syntaktischen Zusammenhang, aber auch in ihrer kommunikativ-pragmatischen Funktion zu zeigen. Eins der wichtigsten und grundlegenden Probleme dabei ist die Frage, inwiefern und in welcher Form Merkmale der Intonation überhaupt in die linguistische Beschreibung einbezogen werden sollen und können. Zu dieser komplexen Frage sind besonders in den letzten zehn Jahren in der phonetisch-phonologischen und sprachtheoretischen Arbeit an der deutschen Intonation eine Reihe von Vorschlägen gemacht worden. Dabei war vor allem von den Ergebnissen OTTO VON E S S E N S auf der phonetischen Ebene die Rede und zugleich von der Notwendigkeit, diese Ergebnisse weiterzuentwickeln und linguistisch zu erklären. Da die vorliegende Beschreibung keine direkte Verbindung vorsieht zwischen der kommunikativ-pragmatischen und der phonologischen Komponente, sondern nur eine indirekte über die syntaktische Komponente, kann die sprachliche Funktion der Intonation nicht ohne Bezug auf die Syntax beschrieben werden. Weil es sich aber andererseits um eine endliche Zahl von phonetisch realisierbaren Unterscheidungen handelt, die je nach dem syntaktischen bzw. situativen Zusammenhang ganz verschiedene sprachliohe Unterscheidungsmöglichkeiten darstellen (eine fallende Intonation trägt beispielsweise eine ganz andere Bedeutung in einer Aussage als in einer Frage, wobei es sich in beiden Fällen um denselben Tonhöhenverlauf handelt), wird die Intonation hier als eine relativ autonome Komponente dargestellt, die aber im engen Zusammenhang mit anderen Komponenten zu betrachten ist. Im vorliegenden Kapitel werden 1. die Merkmale der Rede auditiv charakterisiert, die für die Intonation eine Rolle spielen und die distinktiven intonatorischen Merkmale im Deutschen beschrieben, 2. die Beziehung dieser Merkmale

840

6.1. Phonetisch-phonologische

Grundlagen der

Intonation

zur syntaktischen Komponente gezeigt und 3. eine Auswahl der durch intonatorische Mittel getragenen Unterscheidungen innerhalb der Syntax behandelt. 6.1.

Phonetisch-phonologische Grundlagen

6.1.0.

Allgemeines

§ 2

Bei der lautlichen Gestaltung der Äußerung sind - neben den Merkmalen der Phoneme (s. dazu Kap. 7.0. u. 7.1.) - hauptsächlich vier artikulatorische Aktivitäten wirksam. In der Phonetik lassen sich diese Aktivitäten, weil sie gleichzeitig und teilweise mit denselben physiologischen Mitteln vollzogen werden (dies betrifft insbesondere 3 und 4 unmittelbar unten), kaum voneinander abgrenzen. Ihre unterschiedlichen sprachlichen Funktionen verlangen jedoch eine gesonderte Behandlung. Die vier Aktivitäten sind: 1. die Hebung und Senkung der Stimme (Tonhöhe) 2. die Gliederung der Äußerung in wahrnehmbare, nicht-syntaktische Abschnitte (die Bildung von Tongruppen) 3. der Rhythmus (die Bildung von Akzentgilben) 4. die Hervorhebung besonderer Elemente („Satzakzent", „Satzbetonung"). Eine der Schwierigkeiten bei der phonetischen und phonologischen Beschreibung dieser Mittel besteht darin, daß sie gleichzeitig artikuliert werden und gleichzeitig wirksam sind. Andererseits hat jedes der genannten Mittel spezifische Funktionen. Es hat sich deshalb in der Erforschung und in der Beschreibung der Intonation als praktisch und zugleich als theoretisch begründet erwiesen, 1. die genannten intonatorischen Mittel zur gesonderten Beschreibung einzeln aus dem Gesamtzusammenhang herauszuheben, sie aber 2. in der Phonologie wieder zu einem Komplex zu integrieren. Eine solche Integration ist in zweifacher Hinsicht theoretisch wesentlich: 1. reflektiert sie die gleichzeitige und integrierte Wirksamkeit der intonatorischen Mittel in der Äußerung, 2. erlaubt sie, die Intonation als abstrakte Teilkomponente zu erfassen und damit auf einer parallelen Abstraktionsebene auf die syntaktische Komponente zu beziehen. Dadurch wird der theoretische Fehler vermieden, die Intonation im Einzelfall als augenblickliches (etwa stimmungsbedingtes) Zusatzmerkmal der jeweiligen Einzeläußerung aufzufassen: Sie wird als regulärer, mit den anderen Strukturschichten in Beziehung stehender und damit linguistisch erklärbarer Bestandteil der Äußerungsstruktur in die Gesamtbeschreibung der Laut-Bedeutungs-Zuordnung einbezogen.

§ 3

Betrachten wir als Beispiel für die Gleichzeitigkeit und die Komplexität der Wirkungsweise der genannten intonatorischen Mittel den Satz (1) Der Mensch denkt Normalerweise wird bei diesem Satz die Stimme, besser: die Tonhöhenbewegung fallen. Sie kann aber auch steigen (s. Beispiele (la) und (lb) unten und Kommentar).

Allgemeines

841

Unser Beispielsatz wird normalerweise keine Pause enthalten, er wird also als eine Ganzheit gesprochen, es sei denn, er wird durch eine zufällige Verzögerung oder „Verlegenheitspause" unterbrochen. Eine solche zufallige Pause wird die semantische und kommunikativ-pragmatische Verarbeitung durch den Hörer kaum beeinflussen. Wenn keine besonderen kommunikativ-pragmatischen Gründe dafür vorliegen, von dem normalen Wortakzent (der unten (6.1.3.) phonetisch als Rhythmus interpretiert wird) abzuweichen, werden Mensch und denkt, aber nicht der einen Akzent tragen. Das Wort der k a n n einen Akzent erhalten. Dann ändert sich aber die rhythmische Struktur des Ganzen. Die stärkste Betonung trägt normalerweise das Wort denkt. Hier fallt oder steigt die Tonhöhe besonders auffällig. Aber auch das Wort Mensch oder sogar der könnte diese Betonung tragen. Dann würde aber die genannte auffällige - für die gesamte Äußerung charakteristische - fallende oder steigende Tonhöhenbewegung bei Mensch bzw. bei der anfangen, und nicht erst bei denkt. So hängen alle vier intonatorischen Mittel eng miteinander zusammen: Wenn die Äußerung ohne Pause als einheitliches Ganzes gesprochen wird, danD hat sie eine bestimmte rhythmische Struktur, die die Akzentuierung der Wörter bestimmt. Eins dieser Wörter wird - je nach seiner kommunikativen Gewichtigkeit - besonders stark betont. Die Tonhöhenbewegung, die an diesem Wort anfängt, bestimmt die Interpretation der Äußerung als Ganzes. Im folgenden werden diese Erscheinungen näher behandelt. Ihr Zusammenhang liegt dem später darzustellenden phonologischen Intonationsmodell zugrunde. Die folgende Darstellung ist so angelegt, daß jedes der intonatorischen Mittel erst phonetisch und dann phonologisch beschrieben wird. Die phonologische Beschreibung erfolgt damit zwangsläufig zum Teil ohne Bezug auf das Gesamtsystem. Die dabei bestehenden Lücken werden nach und nach gefüllt, so daß der systematische Zusammenhang erst nach der Beschreibung gezeigt werden kann. Die meisten Beschreibungen der Intonation, die zu linguistischen Aussagen führen, beruhen - im Unterschied zur Beschreibung der Lautsegmente (Phoneme) - nicht auf der Artikulation selbst, sondern auf einer mehr oder weniger „impressionistischen" Beschreibung der entsprechenden Merkmale auf der auditiven Ebene, erstens weil sich die getroffenen Aussagen auf dieser Ebene am leichtesten nachvollziehen lassen, und zweitens, weil gerade diese Art von Beschreibung den Übergang zur linguistischen Interpretation erleichtert. Dieser didaktisch orientierten aber auch linguistisch gut motivierten Konvention der Intonationsbeschreibung schließt sich auch die vorliegende Darstellung an. Daß dies nicht die einzige Möglichkeit der Interpretation ist, zeigen die Arbeiten von ISAÖENKO und SCHÄDLICH, die von den drei traditionellen Intonationsklassen „fallend", „steigend" und „weiterweisend" ausgehen, jedoch nachweisen, daß die Erkennung der einzelnen Klasse nicht unbedingt von der Wahrnehmung der absoluten Tonhöhenbewegung abhängt. Vielmehr sind es die sehr differenziert feetlegbaren Stellen, wo ein W e c h s e l im Tonhöhenverlauf (der „Tonbruch") stattfindet, die anzeigen, welche Klasse gewählt wird. Die Autoren machen deutlich, daß bei einer genauen Festlegung des Tonbruchs die Intonationsklassen auch dann unterschieden werden können, wenn die absoluten Tonhöhenunterschiede minimal sind (s. bes. ISAÖENKO / SCHÄDLICH ( 1 9 6 6 ) . 54

Deutsche Gramm.

842

6.1. Phonetisch-phonologische Grundlagen der

Intonation

Im Rahmen der »Grandzüge«kann die phonetische Beschreibung der Intonation nicht so ausführlich und differenziert erfojgen, daß sie als Mittel zur Erlernung bestimmter Muster benutzt werden könnte. Sie kann nur skizziert werden, um zu zeigen, welche intonatorischen Merkmale distinktiv wirksam-sind und deshalb in das phonologische System eingeordnet werden müssen. Wir verweisen deshalb auf drei besonders geeignete sprachpädagogisch orientierte Darlegungen: 0 . VON E S S E N ( 1 9 6 4 ) , STOCK / ZACHARIAS ( 1 9 7 1 ) , STÖTZEB ( 1 9 7 1 ) .

6.1.1.

Hebung und Senkung der Stimme

6.1.1.1.

Phonetisches: Die Tonhöhenbewegung

§4

Die Stimme bewegt sich beim Sprechen ständig zwischen zwei abstrakten Punkten, die wir als „hoch" und „tief" bezeichnen: Sie wird höher und tiefer, und zwar - bei fast ständiger Abwechslung - über die gesamte Äußerung, mit der möglichen Ausnahme sehr kurzer Äußerungen. Beispiel (1) läßt zwei intonatorische Hauptvarianten zu, die sich nur in der Tonhöhenbewegung unterscheiden : (la)

/ •

der

~

mensch

(lb) •

denkt

der

~

mensch

^

denkt

I n diesen und allen prosodisch transkribierten Beispielen beruht die Transkription auf dem von O. VON ESSBN angewandten System (z. B. O. VON ESSEN (1964)). Sie ist nicht phonologisch, weil sie noch keine Aussage zur linguistischen Funktion enthält, sondern sie ist eine „breite" (undifferenzierte) phonetische Transkription, d. h. sie entspricht lediglich den bereits eingeführten auditiven Begriffen der steigenden und fallenden Tonhöhe. I n dem vorliegenden Kapitel wird f ü r die phonologischen Segmente keine phonetische Umschrift verwendet, weil diese zur Darstellung intonatorischer Verhältnisse nicht notwendig ist. Andererseits wird aber auch auf gewisse orthographische Konventionen (z. B. die Großschreibung und die Interpunktion) verzichtet, die für die Repräsentation auf phonologischer und phonetischer Ebene überflüssig und sogar unangemessen wären.

Die Tonhöhenbewegung in (la) ist fallend. Hier könnte es sich um eine Aussage oder eine Antwort handeln. Beispiel (lb) dagegen ist eine Frage, weil eine steigende Tonhöhenbewegung, die sich über einen ganzen - auch einen elliptischen Satz verteilt, immer eine Frage andeutet. Unser einfaches Beispiel zeigt, wie wichtig ein intonatorisches Merkmal f ü r die syntaktische und zugleich f ü r die kommunikativ-pragmatische Komponente sein kann. Daß kontextuelle Merkmale dabei auch eine Bolle spielen, ist f ü r unsere Behauptimg unwichtig, denn entweder verlangt der Kontext einen bestimmten Satzt y p , so daß die Tonhöhenbewegung richtig oder falsch sein kann, oder aber er l ä ß t alternative Satztypen (und damit alternative Tonhöhenbewegungen) zu, so d a ß eine Äußerung je nach Tonhöhenbewegung richtig oder falsch v e r s t a n d e n werden kann.

Hebung und Senkung der Stimme — Das Tonmuster

843

Wenn die Tonhöhe weder fallt noch steigt, sondern gleich bleibt, dann gilt die Äußerung gewöhnlich als unvollständig: Der Hörer erwartet, daß die Tonhöhe am Ende der Äußerung entweder fällt oder steigt. So wird das vollständige Sprichwort der Mensch denkt Qott lenkt gewöhnlich mit einer gleichbleibenden und einer fallenden Tonhöhenbewegung gesprochen: (2) — '

der

/



mensch

denkt

gott

lenkt

Aus diesem Grund wird die gleichbleibende Tonhöhenbewegung häufig als „Veiterweisend" bezeichnet (s. z. B. 0 . V O N E S S E N (1964)). Wir vermeiden jedoch diesen Terminus, weil wir streng zwischen der phonetischen Realisierung charakteristischer Tonhöhenbew^gungen einerseits und deren Funktionen in der Syntax andererseits unterscheiden wollen.

6.1.1.2.

Phonologisches: Das Tonmuster

§5

Gerade weil bestimmte Tonhöhenbewegungen syntaktische Funktionen tragen können, ist es notwendig, sie in der Phonologie zu systematisieren. Wenn eine Tonhöhenbewegung phonologisch distinktiv ist, bezeichnen wir sie als Tonmustor. Ein fallendes Tonmuster stellt eine Abstraktion - eine Zusammenfassung aller distinktiv fallenden Tonhöhenbewegungen - dar u n d steht in phonologischer Opposition zu einem steigenden Tonmuster, das ebenfalls eine abstrakte Zusammenfassung aller distinktiv steigenden Tonhöhenbewegungen ist. Dies ist eine zentrale generalisierende und zugleich systematisierende Funktion der Phonologie der Intonation. Eine solche phonologische Opposition besteht dann, wenn an irgendeiner Stelle in der Syntax deutlich wird, daß ein gegebener Unterschied in der Tonhöhenbewegung systematische Unterscheidungen trägt. Im folgenden werden die distinktiven phonologischen Tonhöhenbewegungen die Tonmuster - kurz beschrieben. I m phonologischen System des Deutschen existieren drei Tonmuster, die in einem systematischen Oppositionsverhältnis zueinander stehen. Sie können folgendermaßen dargestellt werden: Tonmuster

54*

(phonologisch)

TonhOhenverlauf

1

fallend

2

steigend

3

gleichbleibend

(phonetisch)

Symbol

\ /

844

6.1. Phonetisch-phonologische

Grundlagen der

Intonation

Das Kriterium für die Unterscheidung zwischen den Tonmustern und damit für ihre Klassifikation ist die distinktive Art der Tonhöhenbewegung, während der Grad dieser Bewegung (z. B. „stark-fallend", „schwach-fallend") als eine Möglichkeit der Varianz innerhalb eines postulierten Tonmusters betrachtet wird (s. die Bemerkungen in 6.1.1.3.).

6.1.1.3.

Nähere Beschreibung der Tonmuster

§6

Tonmuster 1 (fallend: \) Wenn Tonmuster 1 innerhalb einer einzigen Silbe realisiert wird, dann fällt die Tonhöhe innerhalb dieser Silbe von einer höheren zu einer tieferen Ebene. Beispiele: (4)

(3) ja

(5)

/

geh

/

A doch

Tonmuster 1 kann jedoch über mehrere Silben realisiert werden. Dabei kann die Tonhöhe innerhalb der ersten Silbe oder erst nach dieser Silbe fallen: (6)

/

keine

.

(?)

keine

Im natürlichen, fließenden Redestrom ist dieser Unterschied nicht immer klar und nicht immer relevant. Er wird aber z. B. dann deutlich, wenn besondere kommunikative Absichten mit der Realisierung verbunden sind und eine besonders starke Hervorhebung vorliegt. Vgl. folgende Beispiele: (8a)

/ (nein, er hat)

keine

(er hat) k e

i

ahnung

(8b) n e

ahnung

Beispiel (8a) könnte als neutrale Mitteilung des Sachverhalts aufgefaßt werden, etwa zur Beantwortung der Frage hat er eine Ahnung davon? I m Beispiel (8b) dagegen soll emphatisch ausgedrückt werden, wie wenig Ahnung er hat (man sollte annehmen, daß er wenigstens ein bißchen Ahnung hat, aber . ..) Da aber, wie oben bereits festgelegt wurde, die undifferenzierte Analyse im Tonmuster alle Vorkommnisse mit jeweils einem bestimmten Tonhöhenverlauf verallgemeinern soll, so daß beispielsweise Tonmuster 1 alle distinktiv fallenden

Hebung und Senkung der Stimme — Das

Tonmuster

845

Tonhöhenverläufe umfaßt, sind solche Unterschiede wie in den Beispielen (8a) und (8b) für die vorliegende Darstellung irrelevant. Alle anderen Tonmuster sind in analoger Weise aufzufassen und werden in dieser Hinsicht nicht weiter kommentiert. Es ist ebenfalls möglich, zwischen einer schwachen und einer starken Tonhöhenbewegung zu unterscheiden, und zwar bei allen drei Tonmustern. Hier spielen mindestens zwei Parameter die Hauptrolle. Die Tonhöhenlage (genauer die Tonhöhencharakteristik der für das Tonmuster ausschlaggebenden Silbe, der sog. Tonsilbe — s. unten 6.1.4.2.) ist im Verhältnis zum phonetischen Kontext bei einer starken Tonhöhenbewegung stärker ausgeprägt als bei einer schwachen. Das heißt: Der Tonhöhenunterschied zwischen dem höchsten und dem tiefsten Punkt ist bei „stark" größer als bei „schwach". Dies gilt natürlich nur bei Tonmuster 1 und 2, wo eine Tonhöhenbewegung vorhanden ist. Bei Tonmuster3 — gleichbleibend — wird „stark" durch eine höhere Tonlage realisiert als „schwach". Zur Erzeugung der stärkeren Tonhöhenbewegung ist eine größere Artikulationsenergie notwendig, die sich zuglaich in einer höheren Schallintensität äußern kann. So wird die stärkere Variante vom Hörer oft als lauter empfunden. Die Unterscheidung zwischen „stark" und „schwach" würde eine weitere Differenzierung ergeben, die für das Gesamtsystem der Tonmuster zu gelten scheint: Tonmuster

stark

schwach

\ / 3

Es hat sich in der Forschung als fruchtbar und aufschlußreich erwiesen, solche Unterscheidungen nicht automatisch einer ad hoc aufgestellten „emotionalen" oder „expressiven" Ebene zuzuschreiben, sondern in einer theoretisch sicheren Weise vorzugehen. Man geht von den einfachsten Unterscheidungsmöglichkeiten aus, deren syntaktische Funktionen am sichtbarsten sind. Weitere Differenzierungen in der Phonologie können dann differenziertere syntaktische Funktionen besitzen. Es könnte sich ergeben, daß gewisse Differenzierungen Funktionen tragen, die über die syntaktischen Funktionen hinausgehen. Nach Ansicht der »Grundzüge« jedoch würde empirisch viel für die syntaktische Analyse wichtige Information verloren gehen, wenn man die Grenze zur nichtsyntaktischen, expressiven Ebene a p r i o r i festzulegen versuchte. Ein Beispiel für die Funktion zwischen einer stark fallenden und einer schwach fallenden Tonhöhenbewegung stellt die in Kap. 2. besprochene Opposition zwischen der Prädikativellipse (schwach fallend) und der Subjektellipse (stark fallend) dar; b. Kap. 2.2., § 9, Beispiele (10) bzw. (12) und Kommentar. Schon diese — allerdings sehr einfachen — Beispiele lassen sich ohne weiteres in den spraehtheoretischen Rahmen der »Grundzüge« gut einordnen. Die genannten Unter„cheidungen lassen sich im Einzelfall einfach erklären, eine umfassende

6.1. Phonetisch-phonologiache Grundlagen der Intonation Einordnung in eine Theorie der Sprachfunktion steht noch aus. Im Böhmen der vorliegenden phonologischen Darstellung gehen wir, wie in 6.1.1.2. bemerkt wurde, nicht auf Unterschiede im Grad, sondern auf solche in der Art der Tonhöhenbewegung

ein. Zur expressiven F u n k t i o n der Intonation s. HEIKE (1969), ULDALL

(1964).

Tonmuster 2 (steigend: /) Wenn Tonmuster 2 innerhalb einer einzigen Silbe realisiert wird, dann steigt die Tonhöhenbewegung innerhalb dieser Silbe von einer tieferen auf eine höhere Ebene. Beispiele: (9)

J

/

(10)

ja'

J

/

(11)

wann

Jj

,

hier

Tonmuster 2 kann auch über mehrere Silben realisiert werden. Dann ist die Tonhöhenbewegung analog zu der bei Tonmuster 1: Der Tonhöhenanstieg kann entweder in der zweiten Silbe stattfinden, oder er kann als Stufe zwischen der ersten und der zweiten Silbe auftreten. Beispiele: (12a)

,

.

(12b)

gestern

,

J

gestern

Wenn mehrere Silben beteiligt sind, dann sind verschiedene phonetische Varianten des steigenden Tonhöhenverlaufs möglich. Dabei gibt es zwei Hauptvarianten: Entweder die Tonhöhe bleibt bis zur letzten Silbe tief, wo sie dann ansteigt, oder sie steigt langsam von der ersten bis zur letzten Silbe. Beispiele: (13a)

(13b) — kommt

.



J

er

morgen

j '

.

Kommt

(14a)



er

morgen

(14b) weiß

er

daß

du

kommst

^giß

&

¿aß

du

kommst

Wichtig ist, daß die Realisierung dieses Tonmusters insgesamt steigt. Tonmuster 3 (gleichbleibend: —) Bei Tonmuster 3 bleibt die Tonhöhe in einer normalen kurzen Äußerung gleich.

Hebung und Senkung der Stimme — Das Tonmuster

847

Beispiele: (15)

/

(16)

/

heute

(17)

andererseits

gestern

I n einer Äußerung kann die Tonhöhe leicht absinken, allerdings ohne distinktive Funktion. Es handelt sich in diesem Fall um phonetische Varianten eines einzigen phonologischen Tonmusters. Beispiele: (18)

,

(19) •

/veno

die

.

/ «

anderen

kommen

o

V

wenn

c/as so

ist

Der Parameter, der die Klassifikation der Tonhöhenbewegungen im Tonmuster bestimmt, nämlich die Richtung dieser Tonhöhenbewegungen - fallend, steigend und gleichbleibend - liefert ein Kriterium für eine weitere Differenzierung innerhalb der Tonmuster. Eine genaue Beobachtung der mündlichen Sprache auf verschiedenen Stilebenen ergibt, daß die Tonhöhe nicht nur fallen, sondern erst ansteigen und dann fallen kann. Wenn wir Tonmuster 1 als „insgesamt fallend" bezeichnen, dann ergeben sich zwei Varianten: „kontinuierlich fallend", l a , und „steigend fallend", l b . Dabei ist also der Endpunkt der Tonhöhenbewegung ausschlaggebend. Das „steigend-fallende" Tonmuster stellt eine relativ seltene, aber geläufige Variante von Tonmuster 1 dar. Bei dieser Variante fängt die Tonhöhe tief an, steigt rasch an und sinkt wieder bis zur normalen Tonhöhenlage, wo sie bis zum Schluß bleibt: (20)

^yy

(21)

f

(22)

sicher

gern

J^



ureiß

ich

_ auch

Sonst h a t das steigend-fallende Tonmuster alle wesentlichen Merkmale des oben beschriebenen Tonmusters 1. Die linguistische Funktion der Opposition zwischen Tonmuster l a Und Tonmuster l b auf der syntaktischen und der kommunikativ-pragmatischen Ebene ist sehr differenzierter Art. Auf diese Funktion wird in Abschn. 6.3. eingegangen. Für die Phonologie gilt vorläufig die Unterscheidung : Ton mus ter 1: insgesamt fallend

Tonmuster 1a: kontinuierlich fallend: \

Tonmuster 1 b: steigend fallend : A

Analogerweise kann Tonmuster 2 als „insgesamt steigend" aufgefaßt werden« wobei wir zwischen 2a „kontinuierlich steigend" und 2b „fallend-steigend" unterscheiden. 0 . V O N - E S S E N ( 1 9 6 4 ) identifiziert beide als phonetische Varianten

848

6.1. Phonetisch-phonologische Grundlagen der Intonation

eines Tonmusters, unterscheidet sie' in der Phonologie aber nicht. Sie sind für ihn beide „interrogativ". TBIMS Analyse dagegen enthält im Prinzip alle hier getroffenen Unterscheidungen (TBIM (1964)). Sie werden aber dort wie bei PHEBY (1974) nebeneinander geordnet und nicht nach dem hier geltenden Kriterium auf Grund der distinktiven „Tonhöhenbewegung insgesamt" einander zugeordnet. Bei Tonmuster 2b fallt die Tonhöhe zunächst entweder innerhalb der ersten Silbe oder zwischen der ersten und der zweiten Silbe, bevor sie wieder ansteigt. In den folgenden Beispielen werden die Varianten a und b des Tonmusters 2 gezeigt. (23a)

Tonmuster 2a ( /

(23b)

)

Tonmuster 2b

( V )

/ J

Kommst

(24a)

kommst

du

• c/orfsf

J

(24b)

J du

du

/

J



das

darfst

du

das

Die Unterscheidung zwischen den Varianten a und b des Tonmusters 2 ist phonologisch, wie die Unterscheidung zwischen den Tonmustern la und lb, d. h., es handelt sich nicht um freie phonetische Varianten desselben Tonmusters. Dies wird aber erst in Abschn. 6.3. an den Stellen klar, an denen von den Funktionen von Tonmuster 2b die Rede ist. Eine differenziertere Betrachtung von Tonmuster 2 ergibt auf der phonologischen Ebene: Tonmuster 2: insgesamt steigend

Tonmuster 2a kontinuierlich steigend • /

Tonmuster 2b: fallend -

steigend • V

6.1.2.

Gliederung

6.1.2.1.

Phonetisches: Die artikulatorische Gliederung der Äußerung

§10

Eins der Mittel zur intonatorischen Beeinflussung der kommunikativen Wirkung einer Äußerung oder einer der in der Äußerung enthaltenen syntaktischen Einheiten besteht darin, daß der Redestrom - abgesehen von den daraus zu abstrahierenden bzw. darin zu realisierenden syntaktischen Einheiten - rein

Gliederung — Die

849

Tongruppe

artikulatorisch gegliedert werden kann. Dadurch entstehen neben den syntaktischen Einheiten, wie z. B. dem Satz, der Wortgruppe usw., auch artikulatorisch erzeugte Einheiten. Auf solche phonologischen Einheiten gehen wir im nächsten Abschnitt näher ein. An dieser Stelle soll zunächst nur die Möglichkeit der artikulatorischen Gliederung festgestellt und illustriert werden. Zu den Mitteln, die eine artikulatorische Gliederung der Äußerung bewirken, gehört die Möglichkeit einer sog. linguistischen Pause, d. h. einer Pause, die weder zufällig noch als Wirkung einer Verzögerung, Verlegenheit oder einer Unterbrechung entsteht, sondern eine ganz bestimmte sprachliche Funktion trägt. Als Symbol für eine solche linguistische Pause verwenden wir das Zeichen „//", wobei dieses Zeichen weiter unten eine erweiterte formale Funktion bekommt. Betrachten wir unser Beispiel (2): (2)

der mensch denkt gott lenkt

Wir können (2) durch linguistische Pausen etwa folgendermaßen gliedern: (2a)

Uder mensch denkt // gott lenkt/1

D. h., bei dem mittleren Zeichen „//" kann eine kurze Pause gemacht werden. Diese Pause in (2a) und damit das Komma in (2a') wird als koordinativ interpretiert. Nach dieser Interpretation besagt der Satz: (2a')

Der Mensch denkt, Gott lenkt bzw. Der Mensch denkt, und Gott lenkt

Wir können den gleichen Satz aber anders gliedern. Im folgenden Beispiel wird keine Pause gemacht: (2b) Uder mensch denkt gott lenkt// Dann ist (2) zu verstehen wie (2b'): (2b')

Der Mensch denkt, daß Gott lenkt.

Dies entspricht genau der Interpretation, die - mit entsprechender Interpunktion - schrieb: Der Mensch denkt: Gott lenkt. Keine Red davon!

BEECHT

beabsichtigte, als er

6.1.2.2.

Phonologisches: Die Tongruppe

§11

Unsere wenigen Beispiele zeigen, daß die intonatorische Gliederung unter bestimmten syntaktischen Bedingungen für die Interpretation von Äußerungen wesentlich sein kann. Die Einheiten, die dabei entstehen, sind deshalb als phonologisch aufzufassen. Wir sprechen in der Phonologie der Intonation von Tongruppen. Charakteristisch ist, daß in jeder Tongruppe eins und nur eins der oben beschriebenen Tonmuster vorkommen kann. Das bedeutet u. a., daß die Gliederung in (2a) eine Voraussetzung für das Vorhandensein von zwei Tonmustern in (2) ist. Dieaist keine vollständige Definition der Tongruppe, weil die dazu notwendigen Faktoren, die unten eingeführt werden, nicht berücksichtigt wurden. Es

850

6.1. Phonetiach-phonologische

Grundlagen der Intonation

ist aber ein wichtiger Teil einer Definition und zugleich eine wichtige empirische Feststellung. Wir besprachen oben die linguistische Pause als eine Möglichkeit der intonatorischen Gliederung einer Äußerung. Diese Gliederung ist allerdings nur eine Möglichkeit und keine notwendige Bedingung. Beim fließenden, ungezwungenen Sprechen kommen solche Pausen selten innerhalb eines Satzes vor. In jeder Tongruppe muß aber ein Tonmuster selektiert werden, so daß die Gliederung durch die Tonhöhenbewegung angezeigt werden kann. Wir verwenden J/" fortan als Symbol für Tongrnppengrenze, nicht für linguistische Pause, und legen fest, daß dieses Symbol, das phonologisch eine Tongruppengrenze anzeigt, eine linguistische Pause zuläßt. Der Status einer linguistischen Pause ist damit ein phonetischer: Die linguistische Pause ist eins der möglichen phonetischen Korrelate einer Tongruppengrenze. Ein anderes solches Korrelat ist der oben erwähnte Übergang zwischen einem Tonmuster und dem nächsten. In dem folgenden Beispiel steht über der Transkriptionslinie die relevante phonetische Information, und unter ihr steht die phonologische Repräsentation der bisher erörterten intonatorischen Merkmale der Äußerung. Das am Anfang der Tongruppe stehende Zeichen bezieht sich auf das jeweilige Tonmuster (s. oben 6.1.1.3.): „ - " steht für Tonmuster 3, „\" für la. (2') phonetisch

M-äer

mensch

denkt*

\

gott

lenkt II

phonologisch

Der Sprecher kann nicht an beliebigen Stellen in der Äußerung linguistische Pausen setzen. Wenn er linguistische Pausen korrekt einsetzt, so richtet er sich dabei nach der syntaktischen Struktur, weil diese die Stellung der Tongruppengrenzen bestimmt. Auf den Zusammenhang zwischen der syntaktischen Struktur und der phonologischen Einheit „Tongruppe" gehen wir unten im Abschn. 6.2.2. ein. Die Tongruppe ist die zentrale Einheit im System der Intonation. Sie wird im Abschn. 6.1.5. auf phonologischer Ebene näher beschrieben.

6.1.3.

Rhythmus

6.1.3.1.

Phonetisches: Die rhythmische Struktur der Äußerung

§12

Ein weiterer wichtiger Aspekt der intonatorischen Gestaltung der Äußerung ist die rhythmische Struktur, die eng mit der Silbe verbunden ist. Die Silbenfolge selbst stellt einen ständigen Wechsel zwischen starken und schwachen Silben dar. Starke Silben sind solche, die mit mehr Artikulationsenergie gesprochen werden und sich in der Reihenfolge auditiv von den schwachen abheben: „stark" und „schwach" entsprechen damit dem gängigen Unterschied zwischen „betont" und „unbetont". Die Perzeption der spezifischen Merkmale der starken gegenüber den schwachen Silben, d. h. der Akzentuierung (des „stress" usw.), gehört zu den umstrittensten Problemen in der phonetischen

851

Rhythmus

Fachliteratur. Das Problem entsteht durch die Unzuverlässigkeit der einzelnen Parameter als Kriterien, zumal wieder alle Parameter gleichzeitig beteiligt sind. Mit Recht bemerkt 0 . VON E S S E N ( 1 9 6 6 ) , daß die physiologischen Kriterien dabei am zuverlässigsten sind. I m folgenden Beispiel werden alle starken Silben {sog. Akzentsilben) hervorgehoben: (25)

Ilich habe mit dem Kollegen gesprochen

der gestern da warll

Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Wahrnehmung starker Silben besteht darin, daß der Wechsel zwischen starken und schwachen Silben rhythmisch geordnet ist: I m fließenden Redestrom erfolgt die Artikulation von starken Silben in zeitlichen Abständen, die so regelmäßig sind, daß sie phonologisch als gleich gelten, und zwar unabhängig von der Zahl (meist 0 bis 4) der dazwischen liegenden schwachen Silben. Ein 1969 durchgeführtes Experiment ergab in einem von drei verschiedenen Sprechern vorgetragenen Text die folgenden Werte f ü r das Verhältnis zwischen der Zahl der Silben (einschließlich der starken Silbe) u n d der Dauer der Takte. Dabei steht „Z" für die Silbenzahl innerhalb des Taktes, u n d „V" f ü r das Verhältnis zwischen den durchschnittlichen Meßwerten für die Dauer der Takte (nicht f ü r die Meßwerte selbst). Z V

1 1

2 1,2

3 1,3.

4 1,8

Die durchschnittlichen Werte ergeben, daß die Silbenzahl nur einen sehr geringen Einfluß auf die Taktdauer ha't. Ein zweisilbiger T a k t zum Beispiel h a t nicht die zweifache, sondern nur die 1,2-fache Zeitdauer eines durchschnittlichen einsilbigen Taktes. Einen ausführlichen Bericht über das Experiment sowie eine Diskussion solcher Fragen wie der statistischen Streuung der Meßwerte u n d der z. T. erhebl i c h e n A b w e i c h u n g v o m D u r c h s c h n i t t e n t h ä l t PHEBY / EBAS (1969).

Daß die rhythmische Struktur eine integrierte Eigenschaft der gesprochenen Sprache ist, wird natürlich an der Versmetrik besonders klar. Dabei ist die Versmetrik keine künstliche Eigenschaft einer besonderen sprachlichen Kunstform. Sie besteht vielmehr — wie auch der Beim — in der künstlerischen Anwendimg eines regulären sprachlichen Mittels. Die Linguistik unterscheidet zwischen „silbenzählenden" u n d „ a k z e n t z ä h l e n d e n " S p r a c h e n ( b e i ABEBCBOMBIE ( 1 9 6 4 ) „ s y l l a b l e - t i m e d "

und

„stress-timed"). Das Deutsche wie auch das Englische gehört zur ersten Gruppe, während die zweite Gruppe die romanischen Sprachen (aber z. B. auch das Ungarische) umfaßt, in denen sich der R h y t h m u s nicht in der Folge der starken Silben, sondern der Silben schlechthin ausdrückt. ABEBCBOMBIE (1964) gibt eine überzeugende physiologische und linguistische Erklärung des R h y t h m u s im Englischen, während

HALLIDAY

(1963,

1967)

das

Konzept

der

(akzentzählenden)

rhyth-

mischen Struktur seiner detaillierten Analyse der englischen Intonation zugrunde legt. Auf die rhythmischen Eigenschaften des Deutschen im hier verstandenen Sinn h a t t e bereits H . PAUL hingewiesen, zog daraus jedoch keine Konsequenzen für die phonologische Struktur der Äußerung (s. H . PAUL (1966 6 ), I, S. 151 ff.). Die Forscher sind keineswegs einig über den Status der rhythmischen S t r u k t u r im D e u t s c h e n . O . VON E S S E N ( 1 9 6 6 ) d e f i n i e r t s i e v ö l l i g a n d e r s . T B I M ( 1 9 6 4 ) a k z e p t i e r t

die hier vertretene Auffassung zwar Deutsche (s. dagegen APPEL (1962)). I m rhythmischen Struktur phonologische schnitten in das phonologische System

für das Englische, jedoch nicht f ü r das folgenden Abschnitt wird versucht, aus der Einheiten abzuleiten u n d in weiteren Abeinzuordnen.

852

6.1. Phonetisch-phonologische

6.1.3.2.

Phonologisches: D e r T a k t

§13

Das phonologische Korrelat der zeitlichen Folge der starken Silben ist der T a k t . Der Takt ist eine phonologische Einheit, die aus Silben zusammengesetzt ist, und zwar so, daß auf eine starke Silbe 0 bis n (meist bis 4) schwache Silben folgen. Damit weist der Takt nicht alle Merkmale einer linguistischen - speziell einer phonologischen - Einheit auf. Er hat zwar eine bestimmte, rhythmisch definierte Struktur, läßt sich aber in kein Klassifikationssystem einordnen (vgl. die Silbe („stark" oder „schwach"); das Phonem („vokalisch" oder „konsonantisch", „stimmlos" oder „stimmhaft")), d. h. es besteht kein paradigmatisches System, innerhalb dessen Takte auf Grund von distinktiven Klassifikationsmerkmalen in Opposition zueinander stünden. Weil der Takt aber als Bestandteil der gesamten phonologischen Hierarchie wesentlich ist (s. 6.1.5.), wird er hier in der Abstraktion als Einheit aufgefaßt. I m folgenden Beispiel wird das Zeichen „/" als Symbol f ü r die Taktgrenze verwendet, und unter jedem T a k t die Zahl der schwachen Silben angegeben. Die am meisten hervorgehobene Silbe in der ganzen Tongruppe ist gekennzeichnet: (26)

Grundlagen der

Intonation

// manche ko / liegen / wissen das aber / nicht // 2

1

4

0

Die Zahl der schwachen Silben, die auf die jeweilige starke Silbe folgen, ist unbestimmt. I n Beispiel (26) liegt sie zwischen 0 und 4, und trotzdem bleibt die Folge der starken Silben in dem gesamten Satz rhythmisch. Demnach spielt nicht jede einzelne schwache Silbe, sondern die gesamte Folge der schwachen Silben zwischen den starken Silben eine phonologische Rolle im Takt. Während die unterschiedliche Zahl der schwachen Silben Unterschiede in der absoluten Taktdauer bewirkt, spielt diese unterschiedliche Silbenzahl keine phonologische Rolle. Die starken Silben zeigen einen hörbar regelmäßigen zeitlichen Abstand. Durch den zeitlich regelmäßigen Abstand zwischen den starken Silben wird die Zahl der dazwischen liegenden schwachen Silben und die Dauer der einzelnen schwachen Silben irrelevant. Deshalb können alle schwachen Silben in einem Takt als eine Konstituente der Struktur dieses Taktes zusammengefaßt werden. Demnach h a t der Takt zwei Konstituenten, nämlich einen obligatorischen Iktus „I", der durch nicht mehr als eine starke Silbe realisiert wird, und einen fakultativen Nicht-Iktus „N", der durch alle folgenden schwachen Silben realisiert wird. Der Takt hat somit die Struktur: I(N). § 14

Der Iktus ist zwar obligatorisch, muß aber nicht unbedingt durch eine starke Silbe realisiert werden. An bestimmten Stellen, insbesondere an Tongruppengrenzen, wo der Anfang einer Tongruppe deutlich von dem Ende der vorangehenden Tongruppe getrennt ist oder zugleich der Anfang einer selbständigen Äußerung ist, und wo ferber der Anfang dieser Tongruppe nicht durch eine starke Silbe realisiert wird, tritt eine rhythmische Pause ein. Die rhythmische Pause hat im Unterschied zu einer arhythmischen Pause (z. B. einer Pause des in Abschn. 6.1.0., §3 besprochenen Typs) die Funktion, eine starke Silbe zu ver-

853

Rhythmus — Der Takt

treten, falls diese nicht realisiert wird, d. h. die phonologische Dauer des Iktus zu realisieren, falls dies nicht durch eine starke Silbe geschehen kann. Beispiele: (26a)

¡¡X aber / manche ko / liegen / wissen

das / nichtll

Hier steht das Zeichen „X" für eine rhythmische Pause. In dem Takt / X aber / wird der Iktus durch die rhythmische Pause X und der Nicht-Iktus durch die schwachen Silben a + ber realisiert. Die Taktgrenzen sind unabhängig von den Grenzen syntaktischer Einheiten (z. B. des Worts). Die Zuordnung der gesprochenen Silben zum Iktus oder zum Nicht-Iktus ist zwar meist innerhalb der Wortgrenzen am relevantesten, wie die folgenden Beispiele zeigen: (27a) (28a)

/ X über / setzen / X ent / Stellung

(27b) / übersetzen (28b) / endstellung

b z w . (27b') / über / setzen b z w . (28b') / end / Stellung

Es gibt aber Fälle, in denen die Zuordnung der Silben zum Iktus und zum Nicht-Iktus auch oberhalb der Wortgrenze relevant ist. Vgl.: {29a) (29b)

/ X in seinem / alter = ,wenn er alt wird' / X in / seinem alter = ,in seinem jetzigen alter*

Vgl. weiter folgende Beispiele: {30a) (31a)

/ / X das / kind / rief wie ein / mann // . . . (IX wie ein / mann = wie / ein mann / ruft) / / X das / jmblikum / rief wie / ein / mann //

...

(/ wie / ein / mann =,genau gleichzeitig'j Die richtige rhythmische Zuordnung schließt solche falschen Sätze aus wie: {30b) {31b)

*// X das / kind / rief wie / ein / mann // . . . *// X das / publikum / rief wie ein / mann // . . .

Solche Minimalpaare wie in den Beispielen (29)-(31) sind relativ selten, so daß eine falsche rhythmische Zuordnung nicht oft zu einer Verwechslung zweier Bedeutungen führen würde. Wichtig für die Gestaltung mehrsilbiger Einheiten ist, daß es richtige und falsche Zuordnungen gibt. Dabei gelten folgende allgemeine Bedingungen: 1. Im Prinzip kann jede Silbe, außer solchen, die silbische Konsonanten enthalten, den Iktus tragen. D. h.: Eine starke Silbe kann jeden Vokal enthalten. 2. Die Silben innerhalb .einer gegebenen lexikalischen- Einheit, die normalerweise den Iktus tragen können, sind als phonologisches Merkmal dieser Einheit nach bestimmten, allgemeinen Regeln festgelegt. So weisen im Normalfall die Wörter / arbeiten, / X ver / unglückt, / uribe/ irrbar die hier angezeigte rhythmische Zuordnung auf, falls die phonetischen und kommunikativ-pragmatischen Bedingungen der Realisierung keine andere Zuordnung verlangen.

854

6.1. Phonetisch-phonologi8che Grundlagen der Intonation

3. Eine Silbe, die normalerweise dem Iktus zugeordnet wird, kann auch dem Nicht-Iktus zugeordnet werden, und zwar in Abhängigkeit von dem Sprechtempo oder dem Verhältnis zu anderen Silben in der unmittelbaren phonetischen Umgebung. Es ist z. B. möglich, daß alle Silben in arbeiten als schwach realisiert werden, wenn eine besonders stark hervorgehobene Silbe vorangeht. (32)

//wir arbeiten!I 4. Eine Silbe, die normalerweise dem Nicht-Iktus zugeordnet wird, z. B. eine, die das 9 enthält, kann auch dem Iktus zugeordnet werden, wenn eine besondere Emphase vorliegt:

(33)

/ tausen / de // nicht / tau send //

6.1.4.

Betonung

6.1.4.1.

Phonetisches: Prominenz

§15

Die vierte Möglichkeit der Verwendung intonatorischer Mittel zu kommunikativen Zwecken besteht in der Betonung eines oder mehrerer Elemente in der Äußerung, die ein besonderes kommunikatives Gewicht gegenüber den anderen, nicht betonten Elementen erhalten sollen. Diese Erscheinung wird in der Phonetik als „Prominenz", „Hervorhebung" oder „Akzentuierung" bezeichnet. Wir wollen weder auf die artikulatorische Erzeugung noch auf die entsprechenden akustischen Parameter der Prominenzmerkmale eingehen, was in eine in der Fachliteratur umstrittene Problematik führen würde,-sondern wir wollen, wie bei der Erörterung der anderen intonatorischen Mittel, zunächst die Möglichkeit der linguistischen Verwendung solcher Merkmale andeuten, um sie dann in die phonologische Beschreibung einzubeziehen (s. 0 . VON E S S E N (1966) und L I N D N E B (1969), S. 209ff.). Wenn ein Satz mit einem einzigen gliedernden intonatorischen Abschnitt der in 6.1.2.2. eingeführten Art, d. h. mit einer Tongruppe, zusammenfällt, dann kann jedes Satzglied durch Betonung den anderen gegenüber hervorgehoben werden. Beispiele (Varianten von Beispiel (2b) in 6.1.2.1.): (2c) (2d) (2e) (2f)

Uder mensch denkt gott lenkt// Uder mensch denkt gott lenkt// ¡¡der mensch denkt gott lenkt// ¡/der mensch denkt gott lenkt//

Auch innerhalb einer als Satzglied fungierenden Wortgruppe kann ein Wort gegenüber anderen Wörtern hervorgehoben werden, z. B. der gegenüber mensch. (2g)

//der mensch denkt gott lenkt//

Wir werden uns aber in den folgenden Abschnitten auf intonatorische Beziehungen zwischen Satzgliedern innerhalb der Tongruppe konzentrieren.

Betonung — Dir

855

Tonsilbe

Während die allgemeine Interpretation der verschiedenen Betonungsmöglichkeiten im Prinzip relativ klar ist und hier kaum ausgeführt werden muß, wird in den Abschn. 6.2. und 6.3. auf speziellere Interpretationen eingegangen, nachdem in 6.1.1.2 und 6.1.5. die Betonung in den Rahmen des phonologistshen Modells für die Beschreibung der Intonation eingeordnet worden ist. 6.1.4.2.

Phonologisches: Die Tonsilbe

§ 16

Bezogen auf die phonologische Einheit „Tongruppe" ergibt sich für die Betonung folgendes: Jede Tongruppe enthält genau eine betonte Silbe des oben besprochenen Typs. Sie ist die prominenteste starke Silbe. Diese Tonsilbe besitzt innerhalb der Tongruppe eine spezifische Funktion: Sie ist die Silbe in der Tongruppe, in der die Realisierung des selektierten Tonmusters anfangt. Die meisten der oben zur Darstellung der Tonmuster angeführten Beispiele enthalten einfachheitshalber nur solche Tongruppen, in denen die Tonsilbe am Anfang steht, so daß der distinktive Tonhöhenverlauf, der die jeweiligen Tonmuster realisiert, über die ganze Tongruppe verteilt ist. Jetzt können Beispiele gegeben werden, die zeigen, daß die Tonsilbe an jeder beliebigen Stelle, genauer: in jedem beliebigen Takt der Tongruppe auftreten kann. D. h., jeder Takt kann als Tontakt fungieren. Die Tonsilbe und der Tontakt sind wesentliche Faktoren für die Struktur der Tongruppe, die unten in 6.2.4. dargestellt wird. Beispiele: (34a)

/ —

H anna

'

/ d_ore

^

!



hat/

keine/

'



°

I



'

p i t z e

g e f u n d e n U

pi/ze

ge

(34b) // anna/

dore/hat

keine/

f u

nden//

/

(34c)





//anna/





dore







hat / keine/

*.





p/ f ze



ge/funden//

/

(34d)

I

//

.

anna/

M M

.

.

dore

hat/

I



Ae/ ne/

.

p¿¿ze



ge/

I

*

fc/n

den//

/

(34e)

^

// anna/



^

dore

.



hat/



Ae i ne

.



/ pitze

«



ge/



f u n

den//

(Dabei wird die normale Stellung der Tonsilbe innerhalb des Wortes beibehalten, in dem sie jeweils enthalten ist.)

856

6.1. Phonetisch-phonologische

6.1.5,

Nähere Charakterisierung der Tongruppe: D a s phonologische System der Intonation

§17

Auf Grund der bisherigen Ausführungen über die Zusammenhänge der intonatorischen Mittel können die strukturellen und die funktionstragenden Aspekte der phonologischen Einheit „Tongruppe" näher charakterisiert werden. Diese bildet zugleich einen geeigneten Rahmen, um die bisherigen Ausführungen systematisch zusammenzufassen. Die bisher besprochenen phonologischen Einheiten können als eine Hierarchie aufgefaßt werden, in der sich die Tongruppe aus Takten zusammensetzt, der Takt aus Silben und - um die Hierarchie zu vervollständigen - die Silbe aus Phonemen. Die Gesamthierarchie kann wie folgt illustriert werden, wobei das Zeichen „|" für die Grenzen der jeweiligen Einheit steht. Tongruppe:

a nn adore

Grundlagen der

hat

k ei

Intonation

n e p i l z e g e f u n

den

Takte: Silben: Phoneme: a n

a d o r a h a t

k

ai n 9 P i 1 tS 9 g 9 f u n d o n

Die Tongruppe ist die Domäne für das Operieren des Tonmusters. Es wird in jeder Tongruppe nur ein Tonmuster selektiert, und dieses wird über dem Abschnitt realisiert, der mit der Tonsilbe anfangt und an der Tongruppengrenze endet (vgl. Beispiele (34a) bis (34e)). Daß das Tonmuster entweder mit der Tonsilbe anfängt, oder mit dieser zusammenfällt (d. h. in-dem Fall, wo keine weiteren Silben folgen), impliziert, daß wir diesen Teil der Tongruppe vom vorangehenden Teil trennen können, als den Teil, in dem die wesentlichsten funktionstragenden Merkmale der Tonhöhenbewegung realisiert werden. Es ergibt sich für die Tongruppe die Struktur (V)T ((Vorlauf) Tonstelle): (Vorlauf)

(Tonstelle)

'

Tonsilbe Tontakt

Die obligatorische Tonstelle ist der Teil der Tongruppe, in dem das distinktive Tonmuster realisiert wird. Sie enthält 1 bis n Takte, wobei der erste Takt (der Tontakt) die Tonsilbe enthält und obligatorisch ist. Während der Tontakt obligatorisch ist, sind alle folgenden Takte fakultativ, weil ein Takt genügt, um das Tonmuster zu realisieren.

857

Beziehung der Intonation zur Syntax

Der fakultative Vorlauf enthält alle Takte, die dem Tontakt vorangehen. Die Taktstruktur wurde oben in Abschn. 6.2.3. beschrieben. Es ergibt sich für die Tongruppe folgende Hierarchie: Töngruppe

Takt

I

Tonfakt

(N)

i

Takt

(N)

A

I

iN) . . .

Es ist angesichts des relativ geschlossenen hierarchischen Zusammenhangs zwischen den phonologischen Einheiten nicht notwendig, die Tongruppe anhand solcher Erscheinungen wie der linguistischen Pause zu definieren, die ohnehin nicht immer vorhanden ist. Wenn sie vorhanden ist, dient sie lediglich der Identifikation des entsprechenden Abschnitts im Bedestrom. Die lineare Hierarchie der phonologischen Einheiten - Tongruppe, Takt, Silbe, Segment - ist der syntaktischen Hierarchie - Satz, Wortgruppe, Wort, Morphem - ähnlich. Man darf aber natürlich keine eineindeutige Zuordnung annehmen. Entsprechend seiner Aufgabenstellung behandelt das vorliegende Kapitel im nächsten Abschnitt vor allem die Beziehungen der Tongruppe (und damit auch der Tonsilbe und der Tonmusterselektion) zum Satz und zur Satzstruktur, also zum Teil auch zur Wortgruppe. 6.2.

Die Beziehung der Intonation zur Syntax

6.2.0.

Allgemeines

§ 18

Im Abschn. 6.1. wurde an einigen Beispielen gezeigt, daß gewisse intonatorische oder übersegmentale Mittel der lautlichen Gestaltung der Äußerung kommunikative Funktionen besitzen. Aus den Mitteln der Artikulation A wurden die phonologischen Kategorien Ph entwickelt: A 1 Tonhöhenbewegung 2 Gliederung 3 Rhythmus 4 Hervorhebung

Ph Tonmuster Tongruppe Takt Tonsilbe

Deren Zusammenhang bildet den Kern des phonologischen Systems der Intonation. Es'wurde in 6.1 angedeutet, daß erst die phonologische Abstraktion es ermöglicht, die Beziehung zwischen der Intonation und der ebenso abstrakt aufge55 Deutsche Gramm.

858

6.2. Beziehung der Intonation zur Syntax

faßten syntaktischen Struktur herzustellen. Der theoretische Grund für die Herstellung der Beziehung zwischen beiden Ebenen gerade auf dieser abstrakten Stufe liegt auf der Hand: Es ist weder möglich, alle Sätze im Deutschen aufzuzählen, noch die phonetische Realisierung eines jeden möglichen Satzes anzugeben. Vielmehr gilt es, allgemeine Bedingungen für die Zuordnung zwischen den syntaktischen Einheiten und deren Eigenschaften einerseits und den phonologischen Einheiten und deren Eigenschaften andererseits aufzudecken. Wenn das Verhältnis zwischen der Intonation und der Syntax nicht als flexibles Zuordnungsverhältnis erkannt wird, wobei die Syntax immer die ausschlaggebende Bolle spielt, dann f ü h r t die Beschreibung zu einem verfälschten Büd von den wirklichen Verhältnissen. E s wird z. B. häufig von einer „Aussageintonation" (fallendem Tonhöhenverlauf in satzfinaler Position) und einer „Frageintonation" (steigendem Tonhöhenverlauf in satzfinaler Position) gesprochen, als ob diese Tonhöhenverläüfe nur in bestimmten syntaktisch spezifizierten Positionen vorkämen. Daraus wird abgeleitet, daß ein steigender Tonhöhenverlauf in dieser Position eine interrogative und ein fallender Tonhöhenverlauf eine nicht-interrogative Funktion h a t . Nun güt das zwar für alle Aussagesätze, wie unsere Beispiele (la) und (lb) zeigen: Bei einem steigenden Tonhöhenverlauf, also bei der Selektion von Tonmuster 2, werden solche Sätze automatisch zu Fragesätzen. Aber das Umgekehrte gUt nicht: Eine Frage wird nicht zu einer Aussage durch die Selektion von Tonmuster 1 (fallend). Die Selektion von Tonmuster 1 ist bei der Ergänzungsfrage sogar immarkiert, also die normale, merkmallose Variante. Beispiele: (In diesen und allen folgenden Beispielen steht das Tonmustersymbol hinter der ersten Tongruppengrenze für das selektierte Tonmuster. Die Tonsilbe wird hervorgehoben.) (36a) (35b) (36a) (36b) (36c) (36d)

// II II II II II

\ X er / hat das gelsagt H 1 X er 1 hat das gelsagt!1 \ wer hat das gelsagt II / wer hat das gelsagt II \ hat er das ge/sagtll / hat er das ge/sagtll

— Aussage — Frage — Frage — Frage — Frage — Frage

Diese einfachen Beispiele deuten zwei wichtige miteinander verbundene theoretische Erwägungen an, die eine praktische Auswirkung auf die Beschreibimg des Verhältnisses zwischen der Syntax und der Tonmusterselektion haben: Erstens sind die S e l e k t i o n s m ö g l i c h k e i t e n der intonatorischen Merkmale durch den jeweiligen syntaktischen Zusammenhang bestimmt. Bei einem Aussagesatz wird z. B. n u r eine fallende (\) (bzw. steigend-fallende (A)) distinktive Tonhöhenbewegung gewählt, während bei einer Ergänzungsfrage sowohl eine fallende als auch eine steigende (bzw. fallend-steigende (V)) selektiert werden kann. Zweitens hängt die F u n k t i o n eines bestimmten Tonmusters offensichtlich von dem jeweiligen syntaktischen Zusammenhang ab. Tonmuster l a zum Beispiel wird in einem Aussagesatz und in einem Fragesatz völlig verschiedene Funktionen haben. Auf diese Funktionen wird in Abschn. 6.3. eingegangen. Vorläufig genügt für unsere These die Feststellüng, daß Tonmuster l a in einem Fragesatz keine nicht-interrogative Funktion h a t . Ferner gilt, daß ein Tonmuster immer dieselbe phonologische Klasse repräsentiert, wo es auch gewählt wird. Tonmuster l a (\) zum Beispiel gehört zur selben phonologischen Klasse, ganz gleich, ob es in einem Aussagesatz oder in einem Fragesatz gewählt wird. Die einzige konsequente Alternative zu dieser Betrachtungsweise

Funktionen der Tongruppe:

Kongruenz

859

wäre die Aufstellung eines selbständigen phonologischen Systems der Intonation für jeden einzelnen Satztyp, was zu einer offensichtlich absurden Lösung führen würde, weil z. B. Tonmuster l a (\) unabhängig von der syntaktischen Stellung immer dieselbe phonetische Repräsentation hat. Außerdem operiert die Tonmusterselektion nicht nur in Sätzen, sondern auch in kleineren Abschnitten innerhalb des Satzes. Aus diesen Gründen werden bei der vorliegenden Darstellung die Intonation und die Syntax zunächst getrennt beschrieben und dann erst aufeinander bezogen werden, damit die spezifisch syntaktischen Funktionen der Intonation gezeigt werden können.

Aus der bisherigen Beschreibung und den Ausführungen zur Funktion der Intonation ergibt sich ein allgemeiner Zusammenhang zwischen den intonatorischen Merkmalen, an dem die Tongruppe, das Tonmuster und die Tonsilbe beteiligt sind. Dieser Zusammenhang ist deshalb kompliziert, weil in der Äußerung als Ganzem alle Merkmale gleichzeitig wirksam sind, wie in 6.1. gezeigt wurde - jeder der intonatorischen Begriffe ist sowohl hinsichtlich seiner phonologischen als auch seiner syntaktischen Funktion von den anderen abhängig. In der phonologischen Beschreibung wurde diese gegenseitige Abhängigkeit bereits gezeigt: Jede der drei eingeführten Hauptkategorien - Tongruppe, Tonmuster und Tonsilbe - kann nur in bezug auf die anderen zwei definiert werden. Daß sich dieselbe gegenseitige Abhängigkeit in der Funktion auch auf die syntaktische Ebene überträgt, wird im Laufe der folgenden Ahschnitte klar. Um die dazu notwendigen Ausgangspunkte zu schaffen, wird aber zunächst jede einzelne zentrale Kategorie der Intonation für sich auf die Syntax bezogen und ihre spezifische Funktion illustriert. Dies ist durch folgende Schritte zu erreichen. Zuerst wird die Tongruppe als phonologische Einheit mit den relevanten syntaktischen Einheiten in Zusammenhang gebracht. Es wird gezeigt, nach welchen Kriterien und unter welchen Bedingungen syntaktische Einheiten in Tongruppen gegliedert werden, und welche allgemeinen Funktionen diese Gliederung hat. Erst nach der Herstellung der Beziehung zwischen der Tongruppe und den syntaktischen Einheiten können die Funktionen der Tonsilbe und der Tonmusterselektion in der Syntax gezeigt werden, weil diese Funktionen nur in der phonologischen Einheit»,,Tongruppe" und dainit nur in der syntaktischen Einheit, die jeweils mit der Tongruppe zusammenfallt, realisiert werden können.

6.2.1.

Funktionen der Tongruppe: Kongruenz

§19

Die Tatsache, daß die Äußerung in verschiedenen Schichten strukturiert ist (s. Kap.1.1.), und die sich aus dieser Annahme ergebende getrennte Beschreibung der intonatorischen und der syntaktischen Systeme ergeben u. a. Hierarchien von einerseits phonologischen und andererseits syntaktischen Einheiten, die sich nicht eineindeutig entsprechen: Die Tongruppe fallt beispielsweise nicht immer mit dem Satz zusammen, und die Silbe fallt nicht immer mit dem Morphem zusammen. Im Falle der Tongruppe - der phonologischen Einheit, die uns im Rahmen der Intonation besonders interessiert - ergibt diese 55»

860

6.2. Beziehung der Intonation

zur

Syntax

Tatsache eine weitgehende Flexibilität in der gleichzeitigen Verwendung dieser Einheit mit verschiedenen syntaktischen Einheiten. Gerade eine solche Flexibilität wird zu ganz bestimmten, regulären kommunikativen Funktionen genutzt. §20

Als normaler Funktionsbereich der intonatorischen Merkmale in der Syntax gilt sowohl für die Intuition der meisten Normalsprecher als auch für die Grammatiktheorie der Satz. In der Fachliteratur wird diese Tatsache durch den Terminus „Satzintonation" reflektiert. Die vorliegende Darstellung geht zwar vom Satz aus, der Begriff der Satzintonation wird aber deshalb vermieden, weil er die oben erwähnte Flexibilität in der Zuordnung zwischen der Tongruppe und verschiedenen syntaktischen Einheiten nicht zum Ausdruck bringt. Betrachten wir folgende Sätze: (37) (38)

Wir wollen mit dem Zug fahren, der weniger voll ist Die anderen müssen gar nicht fahren

Beide Sätze können unterschiedlich in Tongruppen gegliedert werden: (37a) (38a) (37b) (38b)

// // // //

\ wir wollen mit dem zug fahren // \ der weniger voll ist // \ die anderen müssen gar nicht fahren // \ wir wollen mit dem zug fahren der weniger voll ist // r- die anderen // \ müssen gar nicht fahren //

In den Beispielen (37a) und (38a) fällt jeder Satz mit einer Tongruppe zusammen. Bei den b-Varianten hingegen fallt keiner der Einzelsätze im zusammengesetzten Satz eindeutig mit einer Tongruppe zusammen: In Beispiel (37b) fällt jeder Einzelsatz mit weniger als einer Tongruppe zusammen, und in Beispiel (38b) fällt der Satz mit mehr als einer Tongruppe zusammen. Es handelt sich hier also um verschiedene Möglichkeiten der Zuordnung zwischen der syntaktischen Einheit „Satz« und der phonologischen Einheit „Tongruppe". Das Zuordnungsverhältnis zwischen den Einheiten beider Komponenten fassen wir als die Kongruenz der syntaktischen Einheit „ Satz« auf und legen fest: Ein einfacher Satz, der mit einer Tongruppe zusammenfällt, ist kongruent, und ein einfacher Satz, der entweder mit „mehr" oder mit „weniger" als einer Tongruppe zusammenfällt, ist inkongruent. Im ersten Fall ist die Kongruenz unmarkiert und im'zweiten Fall ist die Kongruenz markiert. Beispiele für die unmarkierte Kongruenz sind demnach Beispiele (37a) und (38a), während (37b) und (3&b) als Beispiele für die markierte Kongruenz gelten. Die syntaktische Selektion der Kongruenzverhältnisse ist mit bestimmten kommunikativen Funktionen verbunden, die in bezug auf die Beispiele (37) und (38) etwa folgendermaßen zu interpretieren sind: (37a') (37b')

wir wollen mit dem zug fahren der zug ist weniger voll (als der bus) wir wollen mit dem weniger vollen zug fahren und nicht mit dem vollen

I n Beispiel (38a) sind die anderen möglicherweise vorerwähnt, z. B. in der Frage: (38a')

und was ist mit den anderen, fahren die mit?

Funktionen

der Tongruppe:

Kongruenz

861

In Beispiel (38b) körinen die anderen vorerwähnt oder nicht vorerwähnt sein. Auf jeden Fall drückt dieses Element einen Kontrast zu anderen Personen aus, etwa zu wir in dem vorangehenden Satz: (38b')

wir müssen entweder mit dem bus oder mit dem zug fahren, aber die anderen, die müssen gar nicht fahren

Auf Grund unserer wenigen Beispiele ist es klar, daß ein- und dasselbe Mittel (die Möglichkeit der Bildung von Tongruppen) verschiedene Gliederungsmöglichkeiten (Kongruenzverhältnisse) auf der syntaktischen Ebene ergeben kann. Zur Interpretation: Im Falle von (37a) und (37b) handelt es sich syntaktisch um eine Differenzierung des Relativsatztyps in appositiv (37a) und restriktiv (37b). Die auf diese Weise realisierte Unterscheidung der Determinationsarten - erläuternd (37a) gegenüber einschränkend (37b) - hängt mit einem weiteren kommunikativ-pragmatischen Merkmal zusammen, das als eine Einordnung der Sachverhalte hinsichtlich ihrer relativen Wichtigkeit aufzufassen ist. Bei den Beispielen liegen die Sachverhalte „wir wollen mit dem Zug fahren" und „der Zug ist weniger voll" zugrunde. In (37a) wird die Tatsache, daß der Zug weniger voll ist, neu hinzugefügt und enthält deshalb mehr Information als in (37b), in dem dieselbe Tatsache als bekannt (als bekanntes Merkmal des Zuges) vorausgesetzt wird. Dies kann zwar nicht als eine generelle Funktion der Tongruppe betrachtet werden, aber die Satzkongruenz spielt bei anderen Satztypen eine analoge Rolle (s. unten 6.3.3.). Auf der syntaktischen Ebene zeigen die Beispiele (38a) und (38b) eine wichtige Rolle der Kongruenz bei der Hervorhebung des Vorfeldes, die u. a. die kommunikativ-pragmatische Funktion der Thematisierung ausübt (s. Kap. 4.). Die Funktionen der Tongruppe in der Syntax sollen hier keineswegs ausführlich behandelt werden, sondern es ging vor allem darum, verschiedene syntaktischphonologische Zuordnungsmöglichkeiten und verschiedene Funktionen der Tongruppe im syntaktischen Zusammenhang zu zeigen. Weitere syntaktische Funktionen der Tongruppe werden unten (6.3.) näher besprochen, wobei dann von der Syntax selbst ausgegangen wird.

6.2.2.

Bestimmung der Kongruenz

§ 21

Die Funktion der Kongruenz ist sowohl in paradigmatischer als auch in syntagmatischer Hinsicht zu betrachten: Für jede syntaktische Einheit, die hinsichtlich ihrer intonatorischen Merkmale - insbesondere ihrer Kongruenz charakterisiert werden muß, besteht einerseits die Unterscheidung „kongruent / inkongruent", auf der andere paradigmatische Oppositionen beruhen (z. B. die Opposition „appositiv / restriktiv" bei den Relativsätzen). Andererseits bestehen hinsichtlich der Kongruenz auch syntagmatische Beziehungen z w i s c h e n syntaktischen Einheiten, z. B. zwischen den Satzgliedern in einem Satz oder zwischen Einzelsätzen in einem zusammengesetzten Satz. Bei einer gegebenen Einheit auf der syntaktischen Ebene handelt es sich nicht einfach um eine Reihe hierarchisch untergeordneter Einheiten, von denen jede

862

6.2. Beziehung der Intonation zur Syntax

entweder kongruent oder inkongruent ist, sondern um komplexere kongruenztragende Merkmale innerhalb der jeweils übergeordneten Einheit. Wenn zum Beispiel ein Element im Vorfeld des Satzes durch Zuordnung zu einer Tongruppe hervorgehoben wird, bo ist dies nur im Rahmen des gesamten Satzes relevant. Die intonatorisch getragenen paradigmatischen und syntagmatischen Verhältnisse setzen eine spezifische Beziehung der betreffenden syntaktischen Einheiten zur phonologischen Ebene voraus. Diese Beziehung, insbesondere zur Einheit Tongruppe, ist deshalb näher zu bestimmen.

6.2.2.1.

Bestimmung der Satzgliedkongruenz

§22

Die Kongruenz innerhalb eines einfachen Satzes sieht zwei Möglichkeiten vor. Die Kongruenz ist entweder unmarkiert (der Satz fällt mit einer Tongruppe zusammen) oder markiert (der Satz fällt mit mehreren Tongruppen zusammen). Wenn ein Satz mit weniger als einer Tongruppe zusammenfallt, dann ist dies im Rahmen des zusammengesetzten Satzes zu erklären (s. Beispiel (37b)). I m markierten Fall sind die Kongruenzverhältnisse in bezug auf die phonologischen Zuordnungsmöglichkeiten der einzelnen Satzglieder festzulegen. I m Unterschied zum Satz (s. unten 6.2.2.2.) besteht - abgesehen von Fällen der Diskontinuität - nicht bei jedem Satzglied und nicht bei jeder beliebigen Folge von Satzgliedern die Möglichkeit einer Kongruenzselektion; vgl.: (39a) (39b)

*// er // hat // noch nichts // davon // gehört // *// er hat noch // nichts davon // gehört //

gegenüber etwa: (39c) (39d)

// er // hat noch nichts davon gehört // // er hat noch nichts davon gehört //

Es ist nun festzulegen, welche Satzglieder bzw. Satzgliedfolgen für die Kongruenzselektion in Frage kommen. Dabei beschränken sich die folgenden Bemerkungen auf die wichtigsten Fälle, die für die Gesamtdarstellung im Rahmen der vorliegenden Grammatik am relevantesten sind. Sie stützen sich vor allem auf die Ergebnisse von Bierwisch (1966), der mit dem Begriff der Phrase arbeitet. (Die Phrase entspricht innerhalb des Satzes dem, was wir als Tongruppe bezeichnet haben.) Die wichtigsten Regeln sind folgende: 1. Jedes Satzglied, das a) zugleich eine lexikalische Einheit ist oder b) eine lexikalische Einheit enthält, k a n n kongruent sein. 2. Ein Satzglied, das ein Pro-Element ist, kann normalerweise nicht kongruent sein. Beispiele für diese ersten zwei Regeln sind: (40a) (40b)

// die kinder // überreichten // ¿km lehrer // das geschenk // *// die kinder // überreichten // es // ihm //

Funktionen

der Tongruppe:

Kongruenz

863

(Dabei ist zu bemerken, daß eine Kongruenz a l l e r Satzglieder wie in (40a) ungewöhnlich ist, besonders im normalen, fließenden Gespräch. Das Beispiel soll Möglichkeiten der Kongruenz zeigen.) Die zweite Regel muß durch eine dritte Regel modifiziert werden, und zwar unter Hinzuziehung eines wichtigen topologischen Kriteriums: 3. Jedes Vorfeld kann kongruent sein, unabhängig davon, ob es durch eine lexikalische Einheit oder ein Pro-Element? besetzt ist. Beispiel: (41)

// sie II überreichten es//

Daß das Vorfeld in dieser Hinsicht eine Ausnahme zur generellen Regel 2 ist, ist ein wichtiges strukturelles und topologisches Merkmal des deutschen Satzes, und zwar u. a. in seiner Beziehung zum Kontext und zur Situation. In bezug auf das Vorfeld und das Hauptfeld - insbesondere auf die Beziehung zwischen dem finiten Verb und dem Vorfeld einerseits und zwischen dem finiten Verb und dem Hauptfeld andererseits - sind folgende weitere Einschränkungen notwendig: 4. Ein Pro-Element, das dem finiten Verb unmittelbar folgt, matisch in die Kongruenz des finiten Verbs einbezogen.

wird auto-

Beispiele: (42a) (42b) (42c) (42d)

// sie // uberreichten es // dem lehter // H sie überreichten es // dem lehrer // *// sie überreichten // es dem lehrer // *// sie überreichten // es // dem lehrer //

5. Das Pro-Element im Vorfeld kann in die Kongruenz des finiten Verbs einbezogen werden. Beispiele: (43a) (43b) (43b')

// sie // haben es dem lehrer überreicht // // sie haben es // dem lehrer überreicht // // sie haben es // dem lehrer /[ überreicht //

Von allen Kongruenzmöglichkeiten im einfachen Satz ist die Kongruenzselektion im Vorfeld am wichtigsten. Deshalb wurde sie in Kap. 4., §§ 57—62 im Zusammenhang mit der Topologie ausführlich behandelt.

6.2.2.2.

Bestimmung der Satzkongruenz

§23

Die Beziehungen zwischen der Tongruppe und dem Satz and etwas einfacher als die zwischen der Tongruppe und den Satzgliedern. Die Grenzen eines selbständigen Satzes (d. h. eines allein geäußerten einfachen oder zusammengesetzten Satzes) fallen immer mit Tongruppengrenzen zusammen. Sonst gilt der Satz als unvollständig. Innerhalb des zusammengesetzten Satzes kann jeder einzelne Satz kongruent sein (s. Beispiele (37a), (37b)).

864

6.2. Beziehung der Intonation zur Syntax Vgl. dagegen: (44) *sie haben // es überreicht als der // lehrer kam . . . Die genannten Kongruenzmöglichkeiten im zusammengesetzten Satz erlauben es uns, die Kongraenzbeziehungen z w i s c h e n den einzelnen Sätzen unabhängig von den Verhältnissen i n n e r h a l b der einzelnen Sätze zu betrachten. So stehen die ersten Sätze in (45a) und (45b) beide in dem gleichen Verhältnis zum zweiten Satz hinsichtlich der Kongruenz: (45a) (45b)

// sie // haben es überreicht // als der lehrer kam // // sie haben es überreicht // als der lehrer kam //

Beide Beispiele stehen hinsichtlich der Kongruenz in Opposition zu (45c): (45c)

// sie haben es uberreicht als der lehrer kam //

und zwar (45a) auf Grund zweier Merkmale und (45b) auf Grund eines Merkmals. Die beiden in Frage kommenden Merkmale von (45a) sind aber unabhängig voneinander. Das eine - die Satzkongruenz - operiert in (45b) allein, während das andere - die Satzgliedkongruenz (// sie II) ebenfalls allein operieren kann: (45d)

// sie // haben es überreicht als der lehrer kam //

Dies bedeutet, daß die Kongruenz im zusammengesetzten Satz in zweifacher Hinsicht markiert sein kann. Erstens ist der Satz als der lehrer kam in (45d) nicht kongruent, weil er mit „weniger" als einer Tongruppe zusammenfällt, und zweitens ist der Satz sie haben es überreicht nicht kongruent, weil er mit „mehr" als einer Tongruppe zusammenfällt. Damit werden zwei Einheiten hervorgehoben, sie und als der lehrer kam; (45d) steht dann in Kontrast etwa zu einem Satz wie (45e), wo wir und später hervorgehoben sind: (£5e)

// tcir // haben es aber später überreicht II

Der Satz in (45a) dagegen würde bedeuten: (45a')

sie jedenfalls haben es überreicht, und zwar dann, als der lehrer kam

und steht in Kontrast etwa zu: (45f)

// ihr dagegen // habt es gar nicht überreicht II

Von den Möglichkeiten der Kongruenz, d. h. der Gliederung der Äußerung durch Zuordnung syntaktischer Einheiten zu Tongruppen, haben wir insbesondere solche Fälle behandelt, die für die Grammatik am wichtigsten sind, nämlich die Kongruenz des Vorfelds im einfachen Satz und die Kongruenz der einzelnen Sätze im zusammengesetzten Satz. Diese beiden Mittel werden im Rahmen der syntaktischeil Darstellung in Abschn. 6.3. und in Kap. 4. ausführlicher behandelt. Dabei geht es darum, die kommunikativ-pragmatische Bedeutung je nach dem syntaktischen Operationsbereich dieser Mittel zu spezifizieren. 6.2.2.3.

Die Funktion der Kongruenz: Informationsverteilung

§ 24

Bisher wurden Tongruppen und Sätze bzw. Satzglieder als Einheiten innerhalb

Funktionen der Tongruppe: Kongruenz

865

verschiedener Komponenten, der syntaktischen und phonologischen, behandelt, wobei die Einheiten der einen Komponente eigene Regelmäßigkeiten und eigene Merkmale aufweisen, die unabhängig von den Regelmäßigkeiten und Merkmalen der Einheiten der anderen Komponente sind, und die Einheiten der verschiedenen Komponenten deswegen unabhängig voneinander definiert werden. Um aber die Funktion der phonologisch getragenen Merkmale der syntaktischen Einheiten zu erklären, ist es notwendig, Einheiten zu behandeln, die sowohl die relevante syntaktische als auch die relevante phonologische Information enthalten. Diese Funktion hat die Informationseinheit. Eine Informationseinheit ist der sprachliche Abschnitt, der jeweils syntaktisch definierbar ist und mit der Tongruppe zusammenfallt. Sie ist weder syntaktisch eindeutig, weil verschiedene syntaktische Einheiten in Frage kommen, noch phonologisch definiert, weil sie mit der phonologisch definierten Einheit „Tongruppe" nicht identisch ist, sondern mit dieser auf der syntaktischen Ebene korreliert. Beispiele für die Informationseinheit sind das kongruente Vorfeld oder der kongruente Satz. Der in § 23 genannte zusammengesetzte Satz (45a)

// sie // haben es überreicht // als der lehrer kam //

enthält drei Informationseinheiten, und zwar: 1. sie 2. haben es überreicht 3. ah der lehrer kam, Die Einteilung in Informationseinheiten ergibt eine segmentale Informationsverteilung über eine gegebene syntaktische Einheit. Die Bildung einer Informationseinheit bringt die Selektion eines Tonmusters mit sich, so daß Informationseinheiten - die gleiche syntagmatische Umgebung vorausgesetzt, d. h. auf der paradigmatischen Achse - hinsichtlich der Tonmusterselektion in Opposition zueinander stehen. Andererseits stehen Informationseinheiten innerhalb einer gegebenen syntaktischen Einheit in syntagmatischer Beziehung zu-, einander. Für die Informationsverteilung in dem Satz (46) sie haben es überreicht ist die Beziehung zum Kontext wesentlich, wobei die Möglichkeit der Bildung einer Informationseinheit im Vorfeld die wichtigste Distinktionsmöglichkeit darstellt: (46')

// sie // haben es überreicht //

Während in der letzten Informationseinheit in einem Aussagesatz nur Tonmuster la selektiert werden kann (Tonmuster l b kommt nur in Aussagesätzen vor, die eine einzige Informationseinheit bilden), bestehen in der ersten Informationseinheit verschiedene Möglichkeiten, die - gemäß der Rolle der Tonmusterselektion - distinktiv sind. Deshalb wird in Abschn. 6.2.4.3. bei der Erörterung der Tonmusterselektion auch auf die Informationsverteilung näher eingegangen.

866

6.2. Beziehung der Intonation

6.2.3.

Die Funktion der Tonsilbe: Die Stellung der Informationsschwerpunkte

§ 25

Die Funktion der Tonsilbe hängt im allgemeinen von der Informationsverteilung ab, weil die Informationseinheit durch Kongruenz mit der Tongruppe definiert ist, die per definitionem eine Tonsilbe enthält. Die Bildung einer Informationseinheit bringt also automatisch die Anwesenheit einer Tonsilbe mit sich. Da aber die Informationseinheit keine phonologische Einheit ist, kann die Tonsilbe keine direkte Funktion innerhalb der Informationseinheit haben. Die Funktion der Tonsilbe innerhalb der Syntax wird durch einen theoretischen Schritt erfaßt, der demjenigen zwischen der Tongruppe und den syntaktischen Einheiten (also der Bildung von Informationseinheiten) entspricht. Das syntaktische Korrelat der Tonsilbe ist der Informationsschwerpunkt, kurz: der Schwerpunkt. Jede Informationseinheit enthält genau einen Schwerpunkt. Welche syntaktische Einheit innerhalb der Informationseinheit der Schwerpunkt ist, hängt davon ab, welche syntaktische Einheit die Informationseinheit bildet. In einem einfachen Satz, der eine Informationseinheit bildet, ist der Schwerpunkt ein Satzglied: (47a) // er hat den lehrer gesehen //

zur

Syntax

In (47a) ist den lehrer der Schwerpunkt. Dies gilt natürlich auch dann, wenn innerhalb des Schwerpunkts die Tonsilbe verschoben wird. In (47b) ist den lehrer immer noch der Schwerpunkt: (47b) // er hat den lehrer gesehen /'/ Der durch Verschiebung des Schwerpunkts getragene Kontrast ist innerhalb des Satzgliedes den lehrer zu erklären, obwohl dieser auch eine Funktion innerhalb des Satzes ¡st. Vgl.: (48a) H er hat den lehrer gesehen als er ins andere Klassenzimmer gehen wollte // (48b) H er hat den lehrer gesehen als er ins andere Klassenzimmer gehen wollte // Offensichtlich hat die Schwerpunktstellung in (48b) insgesamt drei Funktionen: 1. wird der Hauptsatz gegenüber dem Nebensatz hervorgehoben; 2. wird das Objekt den lehrer gegenüber allen anderen Satzgliedern im Hauptsatz hervorgehoben; 3. wird innerhalb der Substantivgruppe den lehrer der Artikel den gegenüber lehrer (d. h. in Kontrast zu allen anderen Lehrern) hervorgehoben. 6.2.3.1.

Die unmarkierte Schwerpunktstellung

§ 26

Bei der Festlegung der Stellung des Schwerpunkts gehen wir von dem Fall aus, wo der einfache Satz eine Informationseinheit bildet und wo eine normale, unmarkierte Stellung vorliegt. Es handelt sich dabei um eine Schwerpunktstellung, die nicht von besonderen kontextuellen, situativen oder anderen Bedingungen beeinflußt wird, welche den Sprecher veranlassen würden, eins der Satzglieder besonders hervorzuheben.

Funktion der Tonsilbe: Informationsachwerpunkte

867

Durch die Zuordnung zwischen der Tongruppe und dem Satz ergeben sich Merkmale des Satzes auf Grund der Merkmale der zugeordneten Tongruppe. So besitzt der Satz sowohl syntaktisch getragene Merkmale als auch phonologisch getragene Merkmale. In Abschn. 6.2.1. wurde die Zuordnung zwischen den Einheiten der syntaktischen und der phonologischen Ebene gezeigt. Bei der Bestimmung der Schwerpunktstellung geht es darum, ein besonderes Merkmal der phonologischen Einheit „Tongruppe" der syntaktischen Einheit „Satz" zuzuordnen. Dazu sind mindestens zwei Betrachtungsweisen notwendig, die sich ergänzen, nämlich eine lineare, die die Reihe der syntaktischen Elemente im Satz in Betracht zieht, und eine hierarchische, die den Konstituenten-Status dieser Elemente berücksichtigt. Diese doppelte Betrachtungsweise ist deshalb notwendig, weil bei unmarkierter Kongruenz der Satz und die Tongruppe sich zwar linear entsprechen, aber in ihrem hierarchischen Aufbau verschieden sind. Während die phonologischen merkmaltragenden Elemente der Tongruppenhierarchie linear fixiert sind (s. oben 6.1.5.), sind Konstituenten in der Satzstruktur innerhalb eines fixierten Rahmens unter mehr oder weniger spezifizierbaren Bedingungen linear variabel. Linear gesehen sind bis auf wenige Ausnahmen die Kriterien für die unmarkierte Schwerpunktstellung spezifizierbar. I m unmarkierten Fall bildet meistens das letzte Satzglied den Schweirpunkt, das eine lexikalische Einheit ist. Dieses Kriterium trifft aber beispielsweise für die ePG nicht zu. Beispiele: {49) (50) (51)

er hat gestern einen brief erhalten er hat gestern einen brief abgeschickt er hat mir gestern einen brief ins postfach gelegt

Verschiedene Besetzungen der topologischen Grundposition stellen verschiedene Bedingungen für die Schwerpunktstellung dar, so daß eine Berücksichtigung solcher Unterschiede einen gewissen Verlust an Generalität mit sich bringt. Zur Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten werden die verschiedenen Besetzungen angeführt und die Stellen mit dem Akzent-Zeichen „'"' gekennzeichnet, an denen das zuletzt auftretende Satzglied mit einer lexikalischen Besetzung den Schwerpunkt bildet. 1. Vorfeld Finitum H&uptfeld (52)

// er

hatte

Infinitum

seit vier Jahren bei der post gearbeitet //

2. Vorfeld Finitum Hauptfeld (53)

// er

arbeitet

seit vier jähren bei der post //

3. Vorfeld Finitum Hauptfeld (54)

H er

arbeitet

dort // (nur mit Pro-Element besetzt)

4. Vorfeld Finitum (55)

// er 5. Vörfeld

(56)

// mein

arbeitet // Finitum onkel kommt //

6.2. Beziehung der Intonation zur Syntax

Unsere bisherigen Ausführungen zur unmarkierten Schwerpunktstellung ergeben zunächst einen Zusammenhang zwisehen folgenden Faktoren: a) Reihenfolge der Satzglieder b) lexikalische Besetzung c) Schwerpunktstellung Dabei kommt eine bekannte Tendenz zum Ausdruck, nämlich, daß - abgesehen von gewissen mehr oder weniger abgrenzbaren Ausnahmen - der unmarkierte Schwerpunkt entweder am Satzende oder unmittelbar vor dem Satzende vorkommt, und zwar in einem dort auftretenden lexikalisch besetzten Satzglied. Eine genauere Bestimmung der unmarkierten Schwerpunktstellüng ergibt sich aber erst dann, wenn nicht nur die lineare sondern auch die h i e r a r c h i s c h e Stellung der Satzglieder in Betracht gezogen wird. Um dies zu zeigen, beziehen wir uns im folgenden auf die nachstehende unvollständige, aber den Ausführungen in den Kap.2. und 4. entsprechende Hierarchie: Safzbasis

Unter den einzelnen Konstituenten innerhalb dieser Hierarchie bestehen gewisse Prioritäten hinsichtlich der Fähigkeit, den unmarkierten Schwerpunkt zu bilden. Um diese Prioritäten auszudrücken, verwenden wir den Begriff der Stärke. Die Schreibung „a =»b" bedeutet: „a ist stärker als b", d. h., wenn die Konstituenten a und b in demselben Satz auftreten und beide lexikalisch besetzt sind, dann bildet die Konstituente a den Schwerpunkt. Damit gilt natürlich auch, „b- Subj Dies steht in Übereinstimmung mit dem, was zur Reihenfolge gesagt wurde: Die letzte Konstituente trägt den Schwerpunkt. Vgl.: Subj - Dat-Obj - Akk-Obj (Reihenfolge) Subj < Dat-Obj «= Akk-Obj (StärkeVerhältnis)

Funktion der Tonsilbe:

869

Informationaschwerpunkte

(57a)

das kind hat einem mann eine zeitung gegeben Subj Dat-Obj Akk-Obj Wenn die sonst stärkste Konstituente fehlt oder nur pronominal besetzt ist, dann wird der unmarkierte Schwerpunkt auf die näohstschwächere Konstituente - also auf die stärkste noch vorhandene Konstituente - verlagert, vgl.: (57b) das kind hat sie einem mann gegeben Subj Dat-Obj Im Unterschied zum Dativobjekt ist das Präpositionalobjekt stärker als das Akkusativobjekt: Präp-Obj Akk-Obj Subj Dies entspricht aber wiederum der Grundreihenfolge: Subj - Akk-Obj - Präp-Obj (Reihenfolge) Subj < Akk-Obj «= Präp-Obj (StärkeVerhältnis) Beispiele: (58a) (58b)

das kind hat einen brief an einen freund geschrieben Subj Akk-Obj < Präp-Obj das kind hat einen brief geschrieben Subj < Akk-Obj

Unsere Ausführungen zum Stärkeverhältnis zwischen dem Subjekt und den Objekten sollten die Stärkeverhältnisse zwischen den Satzkonstituenten im allgemeinen illustrieren. Weil die Verhältnisse unter den verschiedenen Objekten dabei gezeigt wurden, verzichten wir im folgenden - wie in der oben dargestellten Hierarchie - auf eine Unterscheidung zwischen den Objekten. Die Stärkeverhältnisse innerhalb der Gesamthierarchie sind wesentlich komplizierter als etwa zwischen den Konstituenten Subjekt, Akkusativobjekt und Dativ- bzw. Präpositionalobjekt, weil es hinsichtlich der Schwerpunktstellung keine eineindeutige Beziehung gibt zwischen hierarchischer und linearer Stellung der Satzkonstituenten. Das Objekt ist zum Beispiel schwächer als das rechts von ihm stehende Prädikativ und zugleich stärker als Advb x (Richtungsbestimmung), das ebenfalls rechts steht. Obj < Präd(ikativ) Obj > Advbj (Beispiele werden an den entsprechenden Stellen unten angeführt.) Um die unmarkierte Schwerpunktstellung innerhalb der Gesamthierarchie zu bestimmen, werden die Konstituenten in vier Komplexe eingeteilt. Diese werden in der nachstehenden Reihe numeriert. Innerhalb der Komplexe werden die einzelnen Konstituenten mit dem Symbol A oder B versehen, so daß jede Konstituente die Zahl 1, 2, 3 oder 4 und das Symbol A oder B erhält: Subj A d v b m 3A 3B 3

I Advb n | 2B

Obj 2A

2

Für jeden Komplex gilt: A

B.

Advbj Präd 1B 1A

V-Zusatz 4A

Verb 4B

870

6.2. Beziehung der Intonation zur Syntax

Für alle Komplexe gilt: 1 2 =»- 3 4, aber nur bei vollständiger lexikalischer Besetzung der Komplexe. Dies wird im Laufe der folgenden Darstellung klar. Die stärkste Konstituente ist das Prädikativ (1A), die zweitstärkste Konstituente ist das Objekt (2A): 1A s- 2A : Präd > Obj Beispiele: (59a) (59b)

die gruppe hat einen neuen kollegen zum Vertrauensmann gewählt Subj Obj (A2) < Präd (1A) die gruppe hat einen neuen Vertrauensmann gewählt Subj Obj (2 A)

Obwohl die A-Konstituente in 1 stärker ist als die A-Konstituente in 2, ist diese wiederum stärker als die B-Konstituente in 1, also: 1A =» 2A : Präd > Obj, aber 2A =- 1B: Obj

Advbj

Deshalb hängt die Stärke des Gesamtkomplexes (in diesem und in anderen Fällen) von seiner vollständigen lexikalischen Besetzung ab. Beispiel: (60)

das kind hat einen freund ins haus gebracht Obj (2A) > Advbj (1B)

Die Richtungsbestimmung, Advbj (1B), ist zwar schwächer als das Objekt (2A), sie ist aber stärker als die Instrumentalbestimmung, Advb n (2B). Beispiel: (61)

sie ist mit dem bus ins Stadtzentrum gefahren Advb H (2B)-= Advbj (1B)

Zu den bisherigen Aussagen über die relative Stärke der einzelnen Satzkonstituenten hinsichtlich der Bildung des unmarkierten Schwerpunkts gibt es weitere Ausnahmen. In Kap. 2.3.2.7. wird eine Liste von syntaktischen Streckformen angeführt. Bei einer Streckform werden die semantischen Merkmale eines Vollverbs, z. B. abschließen, auf ein Funktionsverb und ein weiteres Element verteilt: zum Abschluß bringen (PräpG + Funktionsverb). Dieses weitere Element - hier die PräpG - hat dann die Funktion eines Prädikativs. Dies ergibt die Analyse: Objekt: SbGAkk etwas

Prädikativ: PräpG zum Abschluß

Funktionsverb: bringen

Hinsichtlich der Schwerpunktstellung fungiert das PräpG-Prädikativ einer Streckform - aber n u r dieses - nicht wie die übrigen Prädikative und auch nicht wie PräpG-Objekte, sondern wie Advbj und Advbjj, d. h., es ist s c h w ä c h e r als das Objekt: (62)

er hat eine wichtige arbeit zum abschluß gebracht Obj > Präd

Funktion der Tonsilbe:

871

Informationsschwerpunkte

Da das Advb u bisher die schwächste Konstituente ist, ergibt sich das Stärkeverhältnis: 1A 2A 1B > 2B (Präd Obj =»• Advbj > Advb n ). Die Komplexe 1 nnd 2 zeigen damit als Paar ein abgeschlossenes Stärkeverhältnis. Die Komplexe 2 und 3 bilden ein ähnliches Paar. Innerhalb dieser beiden Komplexe ist das Subjekt die stärkste Konstituente. Das Subjekt ist zunächst schwächer als das Advb n : 2B

SA

Beispiele: (63a) (63b)

die Mittler haben im heiler gespielt Subj (3A)< Advb (2B) die kinder spielen Subj (3A)

Das Subjekt ist stärker als der Verbzusatz: 3A =- 4A : Subj =- V-Zusatz Beispiele: (64) die kinder kommen herüber Subj (3A)=V-Zusatz (4A) Der Verbzusatz ist stärker als das Verb: 4A

4B : V-Zusatz =- Verb

Beispiele: (65a) sie bauen auf Verb (4B)< V-Zusatz (4A)

(65b)

sie bauen Verb (4B)

Das Verb ist wiederum stärker als das A d v b m : 4B

3B : Verb =- Advb r a

Beispiel: (66) sie haben vor einigen tagen gebaut Advb m (3 B) «= Verb (4 B) Damit ergeben sich für den Satz folgende Stärkeverhältnisse: 1A > 2A > 1B > 2B > 3A =- 4A 4B >• 3B (Präd Obj Advbj Advb n Subj V-Zus Verb Advb r a ) Unsere Ausführungen sollten einen Überblick über die wichtigsten Stärkeverhältnisse geben, die die unmarkierte Schwerpunktstellung determinieren. Es wurden dabei nicht alle möglichen Kombinationen von Satzgliedern erörtert, sondern es wurde versucht, möglichst generelleBedingungen anzugeben (vgl. dazu auch Kap. 4.2.4.4.). Es wäre leicht, Sätze zu konstruieren, die diesen Bedingungen widersprechen und doch völlig normal erscheinen. Ein besonders auffalliges Beispiel dafür ist das Verhältnis Subj > Verb (das dureh Subj =» Verbzusatz =- Verb impliziert wird). Dieses Verhältnis trifft nämlich für Beispiel (67) nicht zu: (67)

eisen rostet (Verb > Subj)

872

6.2. Beziehung der 'Intonation zur Syntax

Die Schwerpunktstellung bei solchen Sätzen läßt sich aber durch die Beziehung zum Kontext erklären. Beispiel (67) ist eine Aussage über das Eisen im allgemeinen. Der Satz wäre ohne Kontext, etwa als erster Satz in einem Gespräch, zwar unplausibel aber denkbar. Durch Anfangsstellung und Unbetontheit wird eisen zum Thema (s.Kap.4., § 26). Der Satz kann demnach zur Erläuterung etwa wie folgt paraphrasiert werden: (67')

eisen hat eine besondere eigenschaft, nämlich: es rostet

Im Beispiel (68) hingegen, das derselben Regel genau entspricht, ist eisen nicht thematisch: (68)

das eisen rostet

Es besteht also kein Grund zur Abweichung von der normalen unmarkierten Schwerpunktstellung: Nicht eisen oder rostet ist unerwähnt, sondern der ganze Sachverhalt. Der Satz wäre anders zu paraphrasieren als (67): (68')

ich muß dir etwas sagen, nämlich: das eisen rostet

-Offensichtlich gibt es neben der syntaktischen Grundstruktur auch andere Faktoren, die die unmarkierte Schwerpunktstellung beeinflussen. Zu den wichtigsten Faktoren gehört die Determination bei den Substantivgruppen. Betrachten wir noch einmal die Beispiele (63a) und (63b): (63a) (63b)

die kinder haben im heller gespielt die kinder spielen

Eine Substantivgruppe ohne Artikel ist stärker als eine mit Artikel: (63c) (63d)

kinder haben im keller gespielt ein kind hat im keller gespielt

Es handelt sich jedoch nicht nur um den Gebrauch des Artikels, sondern auch um die damit verbundenen kontextuellen Merkmale. Während Kinder irgendwelche Kinder bedeutet, sind bei die Kinder ganz bestimmte, identifizierte Kinder gemeint, z. B. meine Kinder, unsere Kinder, die Kinder unserer Schulklasse oder Schule oder auch die Kinder von denen wir gerade sprechen. Andererseits sind Situationen denkbar, in denen die hinder in (63a) wie leinder in (63c) den Schwerpunkt bildet und trotzdem normal oder unmarkiert erscheint, also: (63e)

die kinder haben im keller gespielt

Zum Beispiel, zwei Nachbarn, A und B, unterhalten sich: (63e')

A: // / haben sie gestern den furchtbaren lärm im haus gehört 1/ B: // \ja H\die kinder haben im keller gespielt H (ll\ sicher waren sie das! / )

Vgl. auch: (63e")

A: // / wissen sie wer die Wasserleitung kaputt gemacht hat // B: // \ nein // \ aber die kinder haben im keller gespielt // (II die haben es vielleicht gemacht II)

Möglicherweise impliziert die Schwerpunktstellung eine sog. „Situationskulisse", die auch explizit als Thema ausgedrückt werden kann, so daß die Schwerpunkt-

Funktion der Tonsilbe: Informationsschtoerpunkte

873

Stellung hier eine normale Erscheinung der Thema-Rhema-Beziehung wäre, z. B. bei (63e') und (63e") etwa: bei (63e'): // — wer den lärm gemacht hat II \ das waren bestimmt die kinder // (II \ die ja im keller gespielt haben / / ) bei (63e") : II — wer die Wasserleitung kaputt gemacht hat II \ das waren vielleicht die kinder H II \ die haben ja im heller gespielt II Normal ist diese Schwerpunktstellung auch bei Unika, die determiniert sind. Der Satz: (63f)

// \ die polizei ist ins haus gekommen //

würde bedeuten, daß es sich um ein völlig neues, vielleicht überraschendes Ereignis handelt, während der Satz: (63g)

1/ \ die polizei ist ins haus gekommen //

impliziert, daß die Polizei bekanntlich Ermittlungen in der Nachbarschaft anstellt, und jetzt sogar ins Haus gekommen ist. Angesichts dieser wenigen Beispiele ist es kaum möglich, die Gemeinsamkeiten von ein Kind, Kinder, die Kinder wie in (63e), und die Polizei (Unikat) auf rein syntaktischer Basis so zu erklären, daß sie in Beispielen wie (63b)-(63f) automatisch den Schwerpunkt bilden. Die Schwierigkeit bei der Festlegung der normalen, unmarkierten Schwerpunktstellung scheint ein sprachliches und zugleich linguistisches Paradox aufzudecken: Jeder Satz enthält im Normalfall einen Schwerpunkt, und dieser trägt nicht nur innerhalb des Satzes, sondern auch in der Beziehung zu anderen Sätzen im Kontext und zur Sprechsituation wichtige Funktionen. Deshalb erscheint es zunächst als selbstverständlich, daß die Analyse des Satzes als syntaktische und kommunikativ-pragmatische Einheit einfache Kriterien für die Schwerpunktstellung liefern müßte. Wir haben bereits gesehen, daß syntaktische Kriterien allein unzureichend sind. Wir sind zwar von der Syntax als zentraler Komponente der Beschreibung ausgegangen, haben jedoch festgestellt, daß nicht nur syntaktische (sequentielle und hierarchische), sondern auch kommunikativ-pragmatische (kontextuelle) und semantische Faktoren eine Bolle spielen, und zwar gerade deshalb, weil die Schwerpunktstellung in allen Bereichen der sprachlichen Aktivität und damit in allen Komponenten der Beschreibung eine Bolle spielt. Wir haben (z. T. modifizierte) allgemeine Kriterien anzugeben versucht. Eine umfassende Analyse der unmarkierten Schwerpunktstellung im Satz bleibt eine wichtige, noch zu bewältigende Aufgabe der Grammatikforschung.

6.2.3.2.

Die markierte Schwerpunktstellung

§ 30

Eine Stellung des Schwerpunkts, die von den oben spezifizierten Stellungen abweicht, ist markiert. Der Sprecher kann jedes beliebige Satzglied durch -eine Verschiebung des Schwerpunktes hervorheben oder „betonen", aber wenn dies 56 Deutsche Gramm.

874

6.2. Beziehung der Intonation zur Syntax geschieht, dann liegen besondere kommunikative Gründe vor, und der Satz wird vom Hörer entsprechend interpretiert. Beispiele für diese relativ klare Tatsache wären etwa: (69) (70) (71) (72) (73) (74) usw.

// das kind hat ihn einem hund gegeben // // das kind hat es ihm gegeben // // sie haben ihn vor einiger zeit in die familie aufgenommen // // der zug kommt // // er arbeitet dort // // er arbeitet //

Mögliche Interpretationen solcher markierten Schwerpunktstellungen bei verschiedenen Satzarten werden in Kap. 4.2.5. angegeben.

6J2A.

Funktionen der Tonmusterselektion.: Differenzierung

§ 31

Es wurde oben festgestellt, daß die Funktion der Tonsilbe nicht ohne Berücksichtigung der Informationsverteilung betrachtet werden kann, weil die Selektion einer Tonsilbe per definitionem von dem Vorhandensein einer Tongruppe und damit auch einer Informationseinheit - abhängt. Dies gilt natürlich auch für die Tonmusterselektion, die ebenfalls vom -Vorhandensein einer Tongruppe abhängt und unmittelbar mit der Tonsilbe verbunden ist (s. oben 6.1.4.2.).

6.2.4.1.

Unterscheidung zwischen Satzarten

§ 32

Als wichtiges Beispiel für die Unterscheidungsfunktion des Tonmusters in der Syntax gilt die Unterscheidung zwisehen Aussage und Frage (s. oben 6.1.1.). Ein Satz, der mit Tonmuster la (\) oder l b (A) als Aussagesatz interpretiert wird, trägt die Intention einer Entscheidungsfrage und erhält die kommunikative Funktion einer Frage, wenn er mit einer — für die Entscheidungsfrage normalen — steigenden Intonation (Tonmuster 2a (/)) gesprochen wird. Wegen der völlig verschiedenen Funktionen der Frage und der Aussage hinsichtlich der Sprechferintention und der damit verbundenen kommunikativen Bolle in der Sprechsituation, ist diese intonatorisch getragene Unterscheidung wesentlich. Sie ist jedoch die einzige Unterscheidung zwischen den Typen einzelner Sätze, die mit intonatorischen Mitteln getroffen werden kann. Vielfältiger dagegen ist die Funktion der Intonation — und besonders der Tonmusterselektion — bei distinktiven Unterscheidungen i n n e r h a l b der Satzarten.

6.2.4.2.

Unterscheidungen innerhalb der Satzarten

§33

Die Mittel der Intonation erlauben dem Sprecher, einen Satz mit einer bestimmten Struktur so zu gestalten, daß dieser unterschiedlich verstanden und

Funktionen der Tonmuster Selektion: Differenzierung

875

interpretiert wird, ohne daß die Satzart als solche geändert wird. Dies gilt insbesondere für den Fragesatz, und zwar sowohl für die Entscheidungsfrage als auch für die Ergänzungsfrage. Ohne hier auf alle Möglichkeiten eingehen zu können, geben wir einige einfache Beispiele: (75a) (75b)

// \ wie heißen sie // // / wie heißen sie //

Für die Ergänzungsfrage ist Tonmuster l a (gerade fallend) normal — es ist das Tonmuster, das gewählt wird, wenn für den Sprecher kein besonderer Grund dafür besteht, seine Frage mit besonderen intonatorischen Merkmalen zu versehen, Tonmuster 2a (gerade steigend) dagegen hat — in diesem syntaktischen Zusammenhang — eine besondere Implikation. Es drückt nämlich aus, daß das Interesse des Fragenden an der Antwort größer ist als bei Tonmuster la. Dieses intonatorische Merkmal ist das einzige, was die beiden Sätze unterscheidet. Dementsprechend können wir in der Grammatik zwischen zwei Arten der Ergänzungsfragen unterscheiden: eine, die auf der kommunikativ-pragmatischen Ebene das Interesse des Fragenden und damit eine gewisse Höflichkeit gegenüber dem Gesprächspartner ausdrückt, (75b), und eine, die hinsichtlich der Höflichkeit neutral ist, (75a). Die Bedeutung dieser Unterscheidung kann durch solche Beispiele deutlicher gemacht werden, die die eine oder die andere Variante ausschließen. Die genannte Unterscheidung läßt sich z. B. nicht auf die Sätze (76a) und (76b) übertragen, weil sie der Konvention, der die Formulierung unterworfen ist, widerspricht. Dadurch wirkt (76a) unkorrekt: (76a) (76b)

*// \ wie ist ihr werter name // // / wie ist ihr werter name //

Für die Beispiele (77a) und (77b) gilt das Umgekehrte: (77a) (77b)

// \ was fällt ihnen ein // *// / was fällt ihnen ein II

(als Vorwurf gemeint)

In der Entscheidungsfrage ist Tonmuster 2a (/) unmarkiert und Tonmuster la (\) markiert. Dabei drückt Tonmuster l a (\) wie Tonmuster 2a (/) bei der Ergänzungsfrage mehr Interesse an der Antwort aus, hat aber die Funktion einer Emphase und zugleich eines Kontrastes. Beispiele: (78a) (78b)

// / kommt der Klempner heute // H \ kommt der klempner heute //

Beispiel (78a) stellt eine sachliche Forderung nach Information über den Sachverhalt dar: Der Sprecher will einfach wissen, ob der Klempner heute kommt. In Beispiel (78b) dagegen steht der klempner möglicherweise in Kontrast zu anderen Personen, die in Frage kommen. Dieser Kontrast könnte etwa durch die folgende Äußerung präziser ausgedrückt werden: (78b') 50*

l/\ ja II \ ich weiß daß der elektriker kommt II \ und der fensterpvizer hat sich auch angemeldet II \ aber sag mal // \ kommt der klempner heute //

876

6.2. Beziehung der Intonation zur Syntax

Es kann aber der gesamte Sachverhalt in Kontrast zu einem anderen Sachverhalt stehen. (78b")

// \ ich habe alles andere organisiert //—und der elektroherd wird repariert

// — die fenster werden heute geputzt // \ aber kommt der klempner heute //

Nach beiden Interpretationen könnte der Sprecher noch einmal die Intention explizit ausdrücken, wenn er sagt: gerade das ist wichtig oder gerade das wollte ich wissen. Diese wenigen Beispiele sollen allgemeine Merkmale der Funktion der Tonmuster in der Syntax illustrieren. Sie genügen, um zu zeigen, daß die phonologische Opposition zwischen den Tonmustern (hier l a und 2a) nicht an die Einzelfunktion gebunden ist. Eine Funktion in der Syntax, z. B. die Distinktion zwischen „interrogativ" und „nicht-interrogativ", würde zwar genügen, um die Annahme einer phonologischen Opposition zu rechtfertigen und sogar als notwendig zu erweisen, aber es entspricht dem Charakter phonologischer Oppositionen — denen ein geschlossenes und meist kleines Inventar zugrundeliegt (vgl. die drei Tonmuster mit zwei differenzierteren Varianten) —, daß sie verschiedene Funktionen in der Syntax besitzen. Die Beispiele zeigen ferner, daß die kommunikativ-pragmatische Funktion dieser phonologischen Oppositionen sehr stark von syntaktischen Bedingungen abhängt. Der relativ undifferenzierte Unterschied zwischen der Ergänzungsfrage und der Entscheidungsfrage stellt gleichsam sehr differenzierte Anforderungen an das Inventar der Tonmuster: Es entstehen nicht nur umgekehrte Markierungsverhältnisse bei der Opposition Tonmuster l a (\) vs. Tonmuster 2a (/), sondern die kommunikativpragmatische Funktion dieser Opposition, insbesondere der markierten Variante, ist — entsprechend der unterschiedlichen Fragetypen — völlig verschieden. In Abschnitt 6.3. setzt die Beschreibung der Rolle der Intonation, die hauptsächlich nach syntaktischen Gesichtspunkten geordnet ist, diese Faktoren voraus.

6.2.4.3.

Tonmusterselektion und Informationsverteilung

§34

Weil die Einteilung einer syntaktischen Einheit in Informationseinheiten direkt mit einer bestimmten Zahl von Tongruppen zusammenhängt, hängt das Operieren der Tonmusterselektion von der InformationsVerteilung ab. Eine solche Abhängigkeit besteht auch dann, wenn mehrere Sätze in einem zusammengesetzten Satz mit je einer Tongruppe zusammenfallen, d. h. wenn jeder der Sätze eine Informationseinheit bildet. Dies wollen wir am Beispiel der Konjunktion zeigen und zugleich eine etwas differenziertere Darstellung der Informationsverteilung einführen. In dem zusammengesetzten Aufforderungssatz (79)

geh ins zimmer und schließ das fenster

bestehen u. a. folgende Möglichkeiten der Informationsverteilung: (79a) (79b)

// geh ins zimmer und schließ das fernster // // geh ins zimmer // und schließ das fenster //

Funktionen

der Tonmusterselektion:

Differenzierung

877

Durch die Informationsverteilung in (79a) werden zwei Sätze zu einer Informationseinheit zusammengefaßt, so daß die zwei Sachverhalte als eine erwünschte Handlung aufgefaßt werden können. Das Schließen des Fensters wird unmittelbar mit dem Betreten des Zimmers verbunden. In (79b) dagegen wird explizit zu zwei Handlungen aufgefordert. Es könnte sogar von zwei völlig verschiedenen Sachverhalten die Rede sein: (79b')

geh ins zimmer (wenn du im zimmer bist) schließ das fenster

Relevant ist dabei die Tonmusterselektion in der jeweiligen Informationseinheit. In der letzten Informationseinheit ist das abschließende Tonmuster l a (\) die einzige Möglichkeit — das normale Tonmuster bei Aufforderungssätzen (und Aussagesätzen). Wenn eine Informationseinheit innerhalb eines Satzes das für diesen Satz normale abschließende Tonmuster trägt, dann ist sie eine primäre Informationseinheit (PI), weil sie als einzige Informationseinheit in dem Satz vorkommen könnte. Nicht-finale Informationseinheiten dagegen können andere Tonmusterselektionen haben, also auch solche, die nicht für den ganzen Satz selektiert werden können und nicht als einziges Tonmuster im Satz vorkommen können. Solche unselbständigen Informationseinheiten sind sekand&re Informationseinheiten (SI). Beispiele: (79c)

// \ geh ins zimmer // \ und schließ das fenster // PI PI

Die Selbständigkeit der ersten Informationseinheit in (79c) ist klar - die zweite könnte nach einer längeren Pause als selbständiger Satz völlig getrennt von der ersten gesprochen werden oder sie könnte sogar ganz fehlen. (79d)

// / geh ins «immer // \ und schließ das fenster // SI PI

In (79d) kann die erste Informationseinheit nicht selbständig fungieren. Sie ist der zweiten Informationseinheit, also dem zweiten Satz, insofern intonatorisch untergeordnet. Gerade dadurch aber sind beide Informationseinheiten zusammengefügt, so daß beide Sätze eine einzige Aufforderung darstellen. Die letzten zwei Beispiele können demnach etwa folgendermaßen umschrieben werden: (79c') (79d')

du sollst ins zimmer gehen du sollst das fenster schließen du sollst ins zimmer gehen, und wenn du dort bist, sollst du das fenster schließen

6.2.4A.

Reihenfolge der Informationseinheiten

§ 35

Was in Abschnitt 6.2.4.3. zur Reihenfolge der Informationseinheiten gesagt wurde, kann verallgemeinert auf andere syntaktische Zusammenhänge bezogen werden.

878

6.2. Beziehung der Intonation zur Syntax

Für jede Satzart gilt: Die Informationseinheit, deren selektiertes Tonmuster allein im Satz vorkommen kann, ist primär. Bei Aussagesätzen und Aufforderungssätzen wird also in einer primären Informationseinheit Tonmuster 1 (\), (A) selektiert, während bei Fragesätzen Tonmuster 1 (\), (A) oder 2 (/), (V) selektiert werden kann. Kommen mehrere Informationseinheiten in einem Satz vor, so können alle - bis auf die letzte - primär oder sekundär sein, und zwar nur in der Reihenfolge SI-PI oder PI-PI, also jg^j-PI. Vgl.: (80a)

// / hast du ina gesehen // / oder katja //

PI PI

(Diese Frage ist elliptisch für zwei Fragen: hast du ina gesehen und hast du katja gesehen. Das oder drückt aus, daß es dem Fragenden unwichtig ist, welche der beiden gesehen wurde. (80b)

// \ hast du ina gesehen // \ oder katja //

PI PI

(Hier sind beide Teile der Frage analog zum Beispiel (78b) in Abschnitt 6.2.4.2. zu interpretieren.) Wenn in einer Frage sowohl ein fallendes als auch ein nichtfallendes Tonmuster vorkommt, dann gilt das fallende als eine PI und das nicht-fallende als eine SI, weil das fallende dann immer satzfinal ist. Vgl.: (80c)

// / hast du ina gesehen // \ oder katja //

PI PI

In Beispiel (80c) trägt die erste Informationseinheit Tonmuster 2a (/) wie in Beispiel (80a) (PI) und die zweite Tonmuster la (\) wie in Beispiel (80b) (auch PI). Die Sachverhalte sind ebenfalls gleichwertig, weil sie ohne Bedeutungsunterschied getauscht werden könnten: (80c')

// / hast du katja gesehen II \ oder ina II

Jedoch haben beide Informationseinheiten verschiedenen Wert, weil (80c) keine einfache Ellipse für die beiden Fragen hast du ina gesehen und hast du katja gesehen ist wie Beispiel (80a), wo nach beiden Personen zugleich gefragt wird, sondern eine Alternative darstellt. Es wird angenommen, daß der Befragte entweder Katja oder Ina gesehen hat. Die beiden Informationseinheiten sind hinsichtlich ihrer relativen Selbständigkeit nicht gleichwertig: die erste ist als Informationseinheit der zweiten untergeordnet, denn der Status des darin enthaltenen Sachverhalts als Alternative hängt von dem Tonmuster la (\) in der folgenden Informationseinheit ab. Eine scheinbare Ausnahme zu den regelmäßigen Reihenfolgen der Informationseinheiten (und übrigens zu der Regel, daß Tonmuster 3 ( - ) nicht in satzfinaler Position vorkommen darf) stellt folgende Frage dar: (80d)

// — hast du ina gesehen II — oder katja/1

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880

6.3. Syntaktische

Funktionen

der

Intonation

gesicherter Zusammenhänge ergibt sich aus der unterschiedlichen Beschaffenheit der Syntax und der Intonation selbst. Das Problem, das theoretischen Charakter hat, soll an einem einfachen Beispiel demonstriert werden. Nehmen wir an, daß eine bestimmte Teilkomponente der theoretischen kommunikativ-pragmatischen Komponente so angelegt ist, daß z. B . die „Höflichkeit" einer Äußerung gegenüber dem Kommunikationspartner innerhalb dieser Komponente spezifizierbar und in die Gesamtbeschreibung integrierbar ist. Dann wäre das Merkmal .höflich' den Satzarten .Aussage', .Aufforderung' und .Frage' züzuordnen (wohingegen ein solches Merkmal wie „überzeugend" zwar dem Aussagesatz aber kaum dem Aufforderungssatz oder dem Fragesatz zugeordnet werden könnte). Zugleich müßte spezifiziert werden, wie sich die Höflichkeit bei allen Satzarten manifestiert, d. h. wie sie in der konkreten Äußerung zum Ausdruck kommt. Gewisse Beispiele in § 33 zeigen, daß bei einem festlegbaren Grad der syntaktischen und phonologischen Differenzierung bestimmt werden kann, daß eine Ergänzungsfrage „höflich" oder „neutral hinsichtlich der Höflichkeit" ist: (75a) (75b)

// \ wie heißen sie // // / wie heißen sie //

(.neutral') (.höflich')

Die kommunikativ-pragmatische Charakterisierung „höflich/neutral hinsichtlich der Höflichkeit" die auch als „markiert/unmarkiert hinsichtlich der Höflichkeit" formuliert werden kann, erhält damit den Charakter eines grammatischen Merkmals, das intonatorisch, nämlich durch Tonmuster 2a (/) (.höflich') vs. Tonmuster l a (\) (,neutral'), realisiert wird. Damit ist außerdem die theoretische Motivierungdafür gegeben, zur Herstellung der Beziehimg zwischen der phonologischen und der semantischen Komponente schon in der Syntax von einer „höflichen" und einer „neutralen" Ergänzungsfrage zu sprechen. Die Schwierigkeit bei der Systematisierung der Beziehung zwischen der Intonation und der kommunikativ-pragmatischen Ebene besteht darin, daß eine kommunikativ-pragmatische Funktion in einem bestimmten syntaktischen Zusammenhang durch eine bestimmte intonatorische Opposition getragen wird, während sie in einem anderen syntaktischen Zusammenhang durch eine andere intonatorische Opposition oder sogar überhaupt nicht durch intonatorische Mittel getragen wird. Anstelle des neutralen Aufforderungssatzes (83)

// \ mach das fenster zu U

könnte u. a. eine der folgenden höflicheren Varianten gewählt werden: (83') (83")

// \ bitte mach mal das fenster zu // // / würdest du bitte das fenster zumachen //

Hier spielt die Intonation eine minimale Bolle: Bei der besonderen Abwandlung in (83") (Entscheidungsfrage) ist Tonmuster 2 a (/) ohnehin die neutrale Variante. E s geht aber darum, daß die Realisierung der Höflichkeit bei einer Frage und bei einer Aufforderung verschiedene — und nicht nur intonatorische — Mittel bzw. Kombinationen von Mitteln verlangt. Beim Aussagesatz sind unzählige Varianten möglich, die als „höflich" zu interpretieren wären, die aber keine besonderen intonatorischen Merkmale besitzen müssen. Die theoretischen Grundlagen der bisherigen Beschreibung einerseits und die kurzen Bemerkungen im vorliegenden Abschnitt andererseits genügen, um die generelle Feststellung zu bestätigen: Die Intonationsmerkmale können je nach der syntaktischen Umgebimg unterschiedliche kommunikativ-pragmatische Funktionen haben, und kommunikativ-pragmatische Funktionen werden in verschiedenen syntaktischen Zusammenhängen unterschiedlich realisiert. Daß die komplexe Zu-

Intonation im Aussagesatz

881

Ordnung Intonation — Syntax — kommunikativ-pragmatische Funktion auf keiner Stufe eineindeutig ist, bedeutet, daß eine Systematisierung der phonologischen Merkmale der Intonation keineswegs automatisch zu einer Systematisierung der Punktion dieser Merkmale führt.

Da noch keine Forschungsergebnisse vorliegen, die eine durchgehende Systematisierung der komplexen Zuordnung von lautlichen, syntaktischen und Bedeutungsstrukturen hinsichtlich der Funktionen der Intonation gestatten, kann diese Zuordnung auch hier nicht in einem eigenen geschlossenen Kähmen dargestellt werden. Eine gewisse Systematisierung ergibt sich allerdings daraus, daß von einer bestimmten Komponente - nämlich der syntaktischen - ausgegangen wird, deren Begriffssystem explizit vorausgesetzt ist. Demnach gelten die Aussagen in den folgenden Abschnitten als syntaktisch. Es wird auf die phonologische Komponente Bezug genommen, um zu zeigen, wie die syntaktischen Oppositionen realisiert werden, und auf die kommunikativ-pragmatische Ebene, um die syntaktischen Oppositionen zu interpretieren. Die Ausführungen im vorliegenden Abschnitt betreffen vor allem das Operieren intonatorischer Oppositionen über Sätze. Die dabei beschriebenen Verhältnisse sind somit als eine Ergänzung der Beschreibung der Abwandlungen in Kap. 5. zu verstehen. Es soll damit exemplarisch gezeigt werden, welche differenzierteren, funktionstragenden Merkmale innerhalb von bereits beschriebenen abgewandelten Strukturen wirksam sind. Die Funktionen der Intonation im Zusammenhang mit der Satztopologie, insbesondere mit der Thematisierung und der Rhematisierung, wurden bereits in Kap. 4. beschrieben und werden hier deshalb nur angedeutet.

6.3.1.

Die Intonotion im Aussagesatz

6.3.1.1.

Die Intonation im kongruenten Aussagesatz

§ 37

Tonmusterselektion Weil der Wahl eines steigenden Tonmusters bei einer normalen Grundstruktur eine andere Intention zugrunde liegt als die eines Aussagesatzes, und weil ferner Tonmuster 3 (—) nicht satzfinal gewählt werden kann, ist die Wahl des Tonmusters bei einem kongruenten Aussagesatz auf das Tonmuster beschränkt, das bei allen Kongruenzverhältnissen für den Satz als Ganzes charakteristisch ist, nämlich auf Tonmuster 1 (\), (A). Innerhalb von Tonmuster 1 kann aber differenziert werden zwischen Tonmuster la (fallend) (\) und Tonmuster l b (steigend-fallend) (A), die unterschiedliche kommunikativ-pragmatische Funktionen tragen, die über die Mitteilung des Sachverhalts hinausgehen. Tonmuster l b (A) drückt nämlich einen höheren Grad der Verbindlichkeit aus, während Tonmuster la (\) neutral hinsichtlich der Verbindlichkeit ist. Vgl.:

(84a) (84b)

// \ kann er auch // // A kann er auch //

882

6.3. Syntaktische Funktionen der Intonation

In dem kontextuellen Zusammenhang (85)

// \ vielleicht klettert er aus seinem kinderbett wenn ihr nicht aufpaßt //

hätten Beispiele (84a) und (84b) etwa folgende Bedeutungen: (84a') (84b')

// \ kann er auch // \ er ist ganz lebendig // \ und ziemlich geschickt für sein alter // // A kann er auch / / A es ist mir doch egalll bzw.: \ es ist mir doch egal //

Vgl.: (86a) (86b) § 38

// \ sicher // (II — wenn du es sagst // \ dann glaube ich dir schon / / ) // A sicher // (U A natürlich hast du recht H) bzw. // \ natürlich hast du recht //

Schwerpunktstellung Der Schwerpunkt einer Informationseinheit (die hier identisch ist mit dem Satz) ist das syntaktische Element, das die Tonsilbe enthält oder mit dieser zusammenfallt. Die Bedingungen für die unmarkierte Stellung des Schweipunkte wurden in Abschnitt 6.2.3.1. angegeben. Ein Beispiel für die unmarkierte Schwerpunktstellung wäre: (87)

// sie haben immer nur gelacht //

Wenn der Satz eine einzige Informationseinheit bildet, dann ist der Schwerpunkt identisch mit dem Rhema (Kap. 4.). Beispiel (87) zeigt die normale Stellung des Schwerpunkts, wenn keine kontextuellen oder sonstigen kommunikativ-pragmatischen Gründe dafür sprechen, den Schwerpunkt zu verschieben. Dies bedeutet nicht, daß diese Stellung keine besondere kommunikativ-pragmatische Bedeutung (etwa Emphase oder Kontrast) tragen kann, sondern nur, daß dies nicht der Fall sein muß. Die unmarkierte Schwerpunktstellung erfolgt unter den in Abschnitt 6.2.3.1'. beschriebenen Bedingungen. Bei der markierten Schwerpunktstellung dagegen liegt immer eine besondere Bedeutung vor. In Beispiel (87) also kann beispielsweise eine besondere Hervorhebung vorliegen, etwa gegenüber geweint, sich unterhalten, gearbeitet usw. Vgl. aber: (88a) (88b) 88c)

// sie haben immer nur gelackt // (// und nicht wir / / ) // sie haben immer nur gelacht // (H falls du denkst sie hätten nicht immer nur gelacht II) II sie haben immer nur gelacht II (II nicht nur jetzt U)

Der Schwerpunkt im Satz entspricht genau dem Begriff Rhema. Einen überblick über differenzierte Funktionen des Rhemas gibt Kap. 4. Die hier und im Abschnitt 6.2 eingeführten Begriffe werden dort vorausgesetzt.

Intonation im Aussagesatz

883

6.3.1.2.

Die Intonation im inkongruenten Aussagesatz

§ 39

Für die Verhältnisse innerhalb des Aussagesatzes ist es wichtig, daß zwei Informationseinheiten und damit auch zwei Schwerpunkte innerhalb des Satzes entstehen, wenn das Vorfeld eine eigene Informationseinheit bildet. Die Stellung des letzten Schwerpunkts ist denselben Regeta: unterworfen wie die Stellung des einzigen Schwerpunkts in einem kongruenten Satz, außer natürlich, daß das Vorfeld informationell (durch den ersten Schwerpunkt) belegt ist, z. B.: (89)

// isolde // hat eine große wohnung //

In Beispiel (89) ist zwar die Informationsverteilung markiert, aber innerhalb der zweiten Informationseinheit ist die Schwerpunktstellung unmarkiert - sie entspricht den Regeln, die die Schwerpunktstellung bei unmarkierter Informationsverteilung bestimmen. In Beispiel (89) kann Isolde vorerwähnt sein (wobei // isolde // bedeutet: ,Da wir gerade von Isolde sprechen'). Der Satz kann sich aber auch auf den Kontext beziehen: (89')

dieter hat zwar ein auto, aber . . .

Dann sind zwei Gegenüberstellungen vorhanden. Im Vorfeld werden Isolde und Dieter einander gegenübergestellt, und in dem Rest des Satzes, d. h. in der zweiten Informationseinheit eine große Wohnung und ein Auto. § 40

Das Vorfeld ist hervorgehoben, wenn es eine Informationseinheit für sich bildet, was zwangsläufig mit der Bildung eines Schwerpunkts verknüpft ist. Die Funktion der Schwerpunktstellung im Vorfeld ist nicht identisch mit der Emphase, sondern sie besteht entweder in der einfachen Wiederaufnahme von etwas schon Erwähntem oder in einer Gegenüberstellung der diskutierten Art. Eine solche Gegenüberstellung bezieht sich aber nicht unbedingt auf Erwähntes oder in der Situation Existierendes, so daß sie auch nicht voll identisch mit der kontrastiven Art der Emphase ist. Was durch die Schwerpunktstellung im Vorfeld bewirkt wird, ist die Bi l d u n g eines Kontrastes. Durch die Schwerpunktstellung in Beispiel (90) wird Isolde mit einer anderen Person (in (90') mit Dieter, der nicht vorerwähnt sein muß) in Kontrast gebracht. Wir unterscheiden deshalb zwischen K o n t r a s t als einer möglichen Funktion der Emphase und Kontrastbildung als einer Funktion des Schwerpunkts im Vorfeld. Bei einer markierten Verschiebung des Schwerpunkts innerhalb der zweiten Informationseinheit muß eine kontrastive Emphase vorliegen: (90a) (90b)

// isolde // hat eine große wohnung // II isolde 11 hat eine große wohnung //

Hier liegt immer ein doppelter Kontrast vor, z. B. gegenüber: (90a') (90b')

// dieter hat eine kleine wohnung, aber . . . // dieter müßte eine größere wohnung erst beantragen, aber . . .

884

6.3. Syntaktische Funktionen der Intonation

In (90a) und (90a') liegt also ein Kontrast zwischen groß und klein vor, in (90b) und (90b') zwischen haben und beantragen und in beiden Sätzen zwischen Isolde und Dieter. Die Informationsverteilung innerhalb des Aussagesatzes stellt somit ein besonderes Verhältnis zwischen Vorfeld und Satzfeld dar. Dieses Verhältnis, das ein charakteristisches Merkmal des deutschen Aussagesatzes ist, erschöpft sich aber nicht in der Bildung einer oder zweier Informationseinheiten. Die dadurch entstehende Gegenüberstellung von zwei Teilen des Sachverhalts bringt sie in einen besonderen Zusammenhang mit dem Kontext, wie die bisherigen Beispiele zeigen. Nun kann die Art der Kontrastbildung weiter differenziert werden und zwar durch die Selektion des Tonmusters innerhalb der ersten Informationseinheit, des Vorfelds, und vor allem durch die von der Tonmusterselektion realisierten differenzierten Informaltionsverteilung in P I und SI. Die verschiedenen Bedeutungen, die dabei ausgedrückt werden können, wollen wir an dem Beispielsatz (91) zeigen: (91)

// in berlin // kannst du das machen //

In Übereinstimmung mit den bisherigen Ausführungen wird in Beispiel (91) berlin möglicherweise in Kontrast zu einer anderen Größe außerhalb des Satzes gebracht, wahrscheinlich zu einer anderen Stadt, oder sogar zu mehreren Städten und Orten (etwa: aber nicht in leipzig oder: aber nicht hier oder: sonst nirgends). Wenn im Vorfeld Tonmuster 1 (la) selektiert wird, d. h. wenn das Vorfeld eine primäre Informationseinheit bildet, dann handelt es sich um eine primSre Kontrastbildung: (91a)

// / in berlin // / kannst du das machen / // (II in leipzig // aber nicht II)

Die Trennung des Vorfelds von dem Rest des Satzes erfolgt in solchen Fällen häufig sogar zugleich mit syntaktischen Mitteln und zwar durch ein interrogatives Element (Satz oder Satzäquivalent): (91b) (91c)

// in berlin II ja // da kannst du das machen II // in berlin // weißt du // da kannst du das machen II

Dadurch wird die relative Selbständigkeit der primären Informationseinheit // in berlin II noch stärker ausgedrückt. Bei einem Vorfeld mit jedem anderen Tonmuster, d. h. wenn das Vorfeld eine SI bildet, handelt es sich um eine sekundäre Kontrastbildung, eine Gegenüberstellung, die schwächer ist als bei Tonmuster la. Auch die sekundäre Kontrastbildung kann weiter differenziert werden und zwar wieder auf Grund der Tonmusterselektion. Am häufigsten handelt es sich um eine einfache Kontrastbildung, die durch die Selektion von Tonmuster 3 gebildet wird: (91d)

// — in berlin // \ kannst du das machen //

Hier handelt es sich um eine Gegenüberstellung der oben beschriebenen Art, außer daß diese Gegenüberstellung nicht so stark betont wird wie in Beispiel (91a).

Intonation im Fragesatz

885

Tonmuster 2a (/) drückt eine assoziative Kontrastbildung aus, d. h. berlin, das bereits erwähnt worden ist, wird vom Sprecher wiederaufgenommen und hervorgehoben : (91e)

// / in berlin // \ kannst du das machen //

Dieser Satz hätte in der Sprechsituation etwa folgende Implikation: (91e')

II II // U

I na wenn du berlin nimmst II \ natürlich kannst du das dort machen // \ berlin ist ja schließlich die Hauptstadt II \ aber ich glaube nicht daß es in irgendeiner anderen Stadt möglich ist II

Bei Tonmuster (2b (V) handelt es sich um eine dissoziative Kontrastbildung. Der Sprecher dissoziiert das im Vorfeld Bezeichnete von allen anderen erwähnten Möglichkeiten und setzt das Vorfeld damit in Konstrat zu diesen: (91f)

// V in berlin II \ kannst du das machen //

Bei diesem Satz ist es denkbar, daß lange von Leipzig oder von anderen Städten die Rede war, und jetzt wird zum ersten Mal von Berlin gesprochen. Das Vorfeld hätte heißen können:

(91'f)

// V in berlin hingegen II

Tonmuster 2b kommt tatsächlich sehr häufig bei solchen Klischees vor wie zum Beispiel: (92)

// V auf der anderen Seite // . . .

Die Informationsverteilung im Aussagesatz ist natürlich vielfältiger als sie hier dargestellt werden kann. Unsere Bemerkungen beschränkten sich auf die Möglichkeit der Hervorhebung des Vorfelds, weil diese der wichtigste und zugleich einer der einfachsten Zusammenhänge zwischen Intonation und dem Aussagesatz ist. Die kommunikativ-pragmatischen Funktionen der Hervorhebung des Vorfelds ließen sich auf Grund der neueren Intonationsforschung ohne Berufung auf solche linguistisch undefinierbaren Begriffe wie „Verlegenheitspause", „Sinneinheit", „Gedanke" usw. in die systematische Beschreibung der Syntax einordnen.

6.3.2.

Die Intonation im Fragesatz

6.3.2.1.

Die Intonation im kongruenten Fragesatz

§ 41

Sehwerpanktstellang Die allgemeinen Bedingungen für die unmarkierte Schwerpunktstellung in kongruenten Sätzen gelten auch für den Fragesatz, und zwar ganz gleich, ob es sich um eine Entscheidungsfrage oder eine Ergänzungsfrage handelt. Die F u n k t i o n der Schwerpunktstellung ist zum Teil mit der Funktion bei anderen Satzarten identisch, zum Teil aber auch dureh die Intention bedingt. Im allgemeinen trägt eine Frage die Intention, daß der Sachverhalt von dem Befragten

886

6.3. Syntaktische Funktionen der Intonation

entweder bejaht bzw. verneint oder ergänzt wird. Diese Intentionen werden durch eine Entscheidungsfrage bzw. durch eine Ergänzungsfrage realisiert. Während der gesamte Sachverhalt Gegenstand der Frage ist, besteht die Möglichkeit, mittels der Schwerpunktstellung den Teil des Sachverhalts zu spezifizieren, der den Fragenden besonders interessiert. Hier herrschen Markierungsverhältnisse, die denjenigen der Aussagesätze zwar analog sind, ihnen aber auf Grund der unterschiedlichen Intentionen kommunikativ-pragmatisch nicht völlig entsprechen. Eine Frage mit markierter Schwerpunktstellung ist eine spezifische Frage, z. B.: (93a) (94a)

// hast du mein buch gesehen // (spezifische Entscheidungsfrage) // wo hast du mein buch gesehen // (spezifische Ergänzungsfrage)

Beispiel (93a) könnte die Bedeutung haben: (93a') (93a")

// jemand hat mein buch gesehen // // warst du es // // ich habe die anderen alle schon gefragt H aber dich noch nicht II sag mal II hast du mein buch gesehen //

und Beispiel (94a): (94a') H du sagst du hättest mein buch gesehen II ich finde es aber nicht II wo hast du mein buch gesehen // Eine Frage mit unmarkierter Schwerpunktstellung kann spezifisch oder nichtspezifisch sein, vgl.: (93b) (94b)

// hast du mein buch gesehen H (spezifisch oder nichtspezifisch) H wo hast du mein buch gesehen II (spezifisch oder nichtspezifisch)

Entweder setzen (93b) und (94b) keine Kontexte voraus oder (93b) etwft den Kontext: (93b')

// meine federtasche habe ich zwar gefunden // aber . ..

und (94b) den Kontext: (94b')

§ 42

// meine federtasche habe ich zwar gefunden H sie war im schrank II wie du sagtest II aber . . .

Tonmasterselektion Wie bereits festgestellt wurde, können sowohl bei Ergänzungsfragen als auch bei Entscheidungsfragen Tonmuster la (\) und Tonmuster 2a (/) gewählt werden. Beide Fragetypen weisen umgekehrte Markierungsverhältnisse auf: Bei Ergänzung'sfragen ist Tonmuster la (\) unmarkiert und Tonmuster 2a (/) markiert, und bei Entscheidungsfragen ist Tonmuster 2a (/) unmarkiert und Tonmuster la (\) markiert.

Intonation im Fragesatz

887

Auf diese Verhältnisse wurde mit Beispielen und Interpretationen bereits in § 33 hingewiesen. Sie werden hier noch einmalzur syntaktischen Einordnung und zur Verallgemeinerung ihrer kommunikativ-pragmatischen Interpretationen erwähnt (s. dazu § 33, Beispiele (75) bis (78), sowie die Bemerkungen in § 36). Die Opposition zwischen einer „höflichen" und einer „neutralen" Ergänzungsfrage, z. B.: (76a) (75b)

II \ wie heißen sie // („neutral") II / wie heißen sie // („höflich")

ergibt zwei differenziertere Varianten der syntaktischen Kategorie ,Ergänzungsfrage und weil der Bezug auf die Kategorie ,Ergänzungsfrage' eindeutig ist, dürfte die syntaktische Einordnung beider Beispiele als gesichert gelten. Ebenso gilt die Opposition zwischen Entscheidungsfragen mit Tonmuster 2a (/) und solchen mit Tonmuster la (\) als eine syntaktische: (78a) (78b)

II / kommt der klempner heule // II \ kommt der klempner heute //

Bei dem Beispiel (75b) ist die „Höflichkeit" eine mögliche Interpretation oder ein Aspekt einer möglichen allgemeineren Interpretation. Um die Gesamtheit der differenzierten Haltungen des Sprechers, die er gegenüber dem Gesprächspartner ausdrückt (etwa seine „Verbindlichkeit", „Beteiligung", sein „Interesse" usw.) zu erfassen, könnten solche Beispiele als „interpersonell markiert" bezeichnet werden; oder besser, da es sich um eine Reihe von positiven Haltungen handelt, als „interpersonell positiv markiert". Damit wäre die Möglichkeit des Anschlusses auf der kommunikativ-pragmatischen Ebene an eventuell negative Haltungen wie „Unhöflichkeit", „Zorn" usw. gegeben, deren intonatorische Parameter oder sonstige Realisierungsmöglichkeiten zwar noch nicht erforscht sind, die wir aber als „interpersonell negativ markiert" zusammenfassen können. Die durch die Selektion von Tonmuster la (\) markierte Entscheidungsfrage müßte ebenfalls eine kommunikativ-pragmatische Interpretation erhalten, die über die in § 33 angenommenen einzelnen Kontexte und Situationen hinausgeht. Die verschiedenen kontextuellen Zusammenhänge, die im Kommentar zu den Beispielen (78a) und (78b) vorgeschlagen wurden, können zusammengefaßt als ja, aber . . . ausgedrückt werden, und eine mögliche umfassende kommunikativ-pragmatische Interpretation für etwa gerade das ist wichtig oder gerade das wollte ich wissen wäre: „informatorisch markiert". Dies würde die Kategorien ergeben: .informatorisch markierte' bzw. ,informatorisch unmarkierte Entscheidungsfrage', vgl. § 33. (78a) (78b)

// / kommt der klempner heute // (informatorisch unmarkiert) II \ kommt der klempner heute // (informatorisch markiert)

888

6.3. Syntaktische Funktionen der Intonation

6.3.2.2.

Die Intonation im inkongruenten Fragesatz

§ 43

Informationsverteilung und Tonmusterselektion Die Informationsverteilung innerhalb der Entscheidungsfrage ergibt im Zusammenhang mit der syntaktischen Struktur und der Selektion von verschiedenen Tonmustern gewisse Typen, die auf Grund des eindeutigen Bezugs auf die syntaktische Kategorie .Entscheidungsfrage' ebenfalls als syntaktische Kategorien aufzufassen sind. Die wichtigsten Möglichkeiten involvieren eine Disjunktion (. . . oder . . . ) . Hier sind mindestens drei verschiedene Typen zu unterscheiden, und zwar: 1. einlache Entscheidungsfrage mit Disjunktion. Bei diesem Typ ist der Satz kongruent. Es operieren dieselben Markierungsverhältnisse wie bei allen Entscheidungsfragen, so daß im Normalfall Tonmuster 2a (/) selektiert wird. z. B.: (95)

// / hast du ina oder katja gesehen //

Aus Beispiel (95) geht hervor, daß es dem Fragenden unwichtig ist, ob der Hörer Ina gesehen hat oder Katja. Wichtig ist, ob er eine von den beiden gesehen hat. Eine Antwort mit ja oder nein wäre deshalb richtig. Bei einer einfachen Frage mit Konjunktion dagegen wird explizit nach beiden gefragt: (95')

// / hast du ina und katja gesehen //

Hier könnte die Antwort ebenfalls ja oder nein lauten. 2. Alternativfrage. Die Alternativfrage ist immer inkongruent, wobei die Informationsverteilung der Disjunktionsgliederung entspricht: (95a)

// hast du ina // oder katja gesehen //

Hier wird vorausgesetzt, daß der Gefragte eine der beiden gesehen hat, und es wird gefragt, welche. Die Alternativfrage kann entweder geschlossen oder offen sein. Die Opposition offen / geschlossen wird durch die differenzierte Informationsverteilung realisiert. Die geschlossene Altemativfrage hat die Informationsverteilung SI — P I (die Tonmusterfolge 3 — la (—,\) oder 2a — l a (/,\): (95b)

// — hast du ina // \ oder katja gesehen //

Die Frage ist keineswegs auf zwei Alternativen beschränkt: Es können beliebig viele Disjunktionen - und Informationseinheiten - auftreten. Wichtig ist die Reihenfolge der SI und PI, d. h. das Vorhandensein der satzfinalen P I (hier Tonmuster la (\)): (95c)

// — hast du ina // — oder katja // \ oder gisa gesehen //

Die offene Alternativfrage unterscheidet sich dadurch von der geschlossenen, daß in der letzten Informationseinheit nicht das satzfinale Tonmuster l a (\), sondern weiterhin Tonmuster 2a (/) oder sogar das nicht satzfinale (hier tatsächlich „weiterweisende") Tonmuster 3 (—) gewählt wird: (95d)

II — hast du ina II — oder katja gesehen //

I n diesem Fall ist die Zahl der Informationseinheiten ebenfalls unbestimmt: (95e)

// — hast du ina // — oder katja II — oder gisa gesehen //

Intonation bei koordincttiver

Verknüpfung

889

Die offene Alternativfrage impliziert im Unterschied zur geschlossenen Alternativfrage, daß die Aufzählung der besonders interessierenden Elemente des Sachverhalts (realisiert durch die Schwerpunkte) nicht abgeschlossen ist, und daß der Fragende mit einer Antwort fechnet, die entweder a) einen oder einige der in der Frage genannten Namen enthält (die Antwort auf die Frage im Beispiel) könnte etwa lauten: Gisa oder nur Ina und Katja oder alle.), b) einen in der Frage noch nicht genannten Namen enthält (etwa: Keine von den Dreien aber Dieter) oder c) negativ ist (nein). Der Fall c) ist zwar unwahrscheinlich, aber denkbar. Bei der geschlossenen Alternativfrage kann nach der Erwartung des Fragenden nur eine der von ihm genannten Alternativen in der Antwort enthalten sein, also Ina oder Katja oder Qisa. Die Antwort könnte weder ja noch nein lauten, sondern höchstens Keine von den Dreien oder niemand usw. Im Unterschied zu beiden Typen erwartet der Fragende bei einer einfachen Entscheidungsfrage - entsprechend der kommunikativen Rolle der Entscheidungsfrage im allgemeinen - entweder die Antwort ja oder nein. Ein weiteres Merkmal, das die Alternativfrage von der einfachen Entscheidungsfrage unterscheidet, liegt auf der Hand: Während bei der einfachen Entscheidungsfrage die Endstellung des Infinitums obligatorisch ist, ist sie bei der Alternativfrage - und zwar bei beiden differenzierten Typen, der offenen und der geschlossenen - fakultativ. Vgl.: (96a) *U / hast du ina gesehen oder katja // (96b) // — hast du ina gesehen // — oder katja // {"} oder gisa II Es liegt ebenfalls nahe, solche Sätze als Reduktionen aus zusammengesetzten Sätzen zu betrachten, in denen jeder disjunktiv verknüpfte Satz eine Informationseinheit bildet. Beispiele: (97a) // — hast du ina gesehen // — hast du katja gesehen // \ oder hast du gisa gesehen // (geschlossene Alternativfrage) (97b) // — hast du ina gesehen // — hast du katja gesehen II — oder hast du gisa gesehen II (offene Alternativfrage) Voraussetzung für die Reduktion ist natürlich nicht nur, daß die Informationsverteilung und die Schwerpunktstellung in beiden Varianten des jeweiligen Alternativtyps (also in beiden offenen und beiden geschlossenen Varianten) übereinstimmen, sondern auch, daß die Sachverhalte in der je weiligen zusammengesetzten Variante bis auf die Schwerpunkte identisch sind: (97') hast du ina gesehen hast du katja gesehen hast du gisa gesehen 6.3.3.

Die Intonation bei koordinativer Verknüpfung

§ 44

Der wichtigste Aspekt der intonatorischen Beziehung zwischen Strukturen in zusammengesetzten Sätzen ist die Informationsverteilung. Auch hier muß 57 Deutsche Gramm.

890

6.3. Syntaktische Funktionen der Intonation

unterschieden werden zwischen primären Informationseinheiten (FI) und sekundären Informationseinheiten (SI). Wir wollen aber wieder festlegen, daß die Tonmuster in den jeweiligen Informationseinheiten nur in Verbindung miteinander innerhalb des Satzes primären oder sekundären Status besitzen. Während also Tonmuster la (\) oder l b (A) im Aussagesatz und im Aufforderungssatz immer primär ist, kann im Fragesatz auch Tonmuster 2a (/) primär sein, wenn die entsprechende Informationseinheit satzfinal ist. Tritt am Ende des Fragesatzes jedoch eine Informationseinheit mit Tonmuster la (\) auf, dann ist eine vorangehende-Jnformationseinheit mit Tonmuster 2a (/) im Verhältnis dazu sekundär (s. dazu 6.2.4.3.). 6.3.3.1.

Konjunktive Verknüpfung (und)

§ 45

Zwei (oder mehrere) Sachverhalte können so eng miteinander verbunden sein, daß sie in einer Informationseinheit zusammengefaßt werden: (98a)

// \ er ging nach hause und legte sieh ins bett // (PI)

Hier könnte impliziert sein, daß er nach Hause ging, nur um sich ins Bett zu legen. Mehrere Sachverhalte, die (syntaktisch/intensional) miteinander verbunden sind, werden als diskrete, aber zusammenhängende Sachverhalte dargestellt: (98b)

// 7- er ging nach hause // \ und legte sich ins bett // (SI - PI)

Hier könnte es heißen: (98b')

er ging nach hause, und als er dort war, legte er sich ins bett

Bei zwei primären Informationseinheiten ist der Zusammenhang zwischen beiden Sachverhalten noch lockerer: (98c)

// \ er ging nach hause // \ und legte sich ins bett //

Hier sind die beiden Informationseinheiten nur durch die (hier funktionsarme) Ellipse und durch einen möglichen Zusammenhang zwischen den beiden Sachverhalten miteinander verbunden Eine mögliche Interpretation wäre: (98c')

(weil er krank war) ging er nach hause außerdem hat er sich noch ins bett gelegt

Fragesätze §46

&) Ergänzungsfragen Die zusammengesetzte Entscheidungsfrage unterliegt derselben Opposition .interpersonell positiv markiert / interpersonell neutral' wie die einfache Entscheidungsfrage (S. § 42), aber nur dann, wenn die Folge der Informationseinheiten eine Übereinstimmung aufweist, d. h. bei der Folge P I - P I (Tonmuster la (\), bwz. Tonmuster 2a (/)). Die Folge SI - P I ist nicht die Summe beider Fragetypen. Die Folge P I - SI ist natürlich ausgeschlossen.

Intonation bei koordinativer

Verknüpfung

891

Beispiele: (99a) (99b)

// \ was denkt deine frau dazu // \ und was wird sie tun // (interpersonell neutral) // / was denkt deine frau dazu // / und was wird sie tun // (interpersonell positiv markiert)

Bei der »Folge SI - P I gibt es diese Opposition nicht, denn SI - P I ist naturgemäß auf e i n e n Satz bezogen. Die Glieder können nicht auf zwei (oder mehr) Sätze verteilt sein. Ein Satz wie (99c)

// / was denkt deine frau dazu II \ und was wird sie tun // ( S I - P I )

hat eher den Charakter einer Liste von Fragen: (99c')

§47

ich habe zwei fragen an dich, und zwar erstens: was denkt deine frau dazu und zweitens: was wird sie tun.

b) Entscheidlingsfragen Bei der zusammengesetzten Entscheidungsfrage ist nur die Informationsverteilung PI - P I möglich, und zwar mit Tonmuster la (\) oder Tonmuster 2a (/), d. h., die Opposition ,informatorisch markiert / informatorisch neutral' (s. 6.2.4.2., Beispiele (76a) und (75b) und Kommentar) wird beibehalten: (100a) (100b)

// / hast du mit ihm gesprochen II / und hat er zugesagt II (informatorisch neutral) // \ hast du mit ihm gesprochen // \ und hat er zugesagt II (informatorisch markiert)

Die Selektion des Tonmusters wird nur einmal für den ganzen Satz vorgenommen, und das gewählte Tonmuster kommt dann in beiden Informationseinheiten vor. Aufforderangssätze. S. Abschnitt 6.2.4.3. § 34, insbesondere Beispiele (79), (79a), (79b) und Kommentar. 6.3.3.2.

Adversative Verknüpfung (aber)

§ 48

Aussagesätze Bei zusammengesetzten Aussagesätzen ist die Informationsverteilung SI • P I oder P I - P I möglich. Beispiele: (101a) (101b)

II r- ich wöüte mit ihm sprechen // \ aber er war nicht da II II \ ich wollte mit ihm sprechen II \ aber er war nicht da lf

Die Informationsverteilung P I - P I in Beispiel (101b) verleiht der ersten Informationseinheit mehr Gewicht gegenüber der zweiten, als dies in (101a) der Fall ist. Der erste Satz in (101b) kann allein stehen, während das bei (101a) nicht möglioh wäre. 57*

892

6.3. Syntaktische Funktionen der Intonation

Es entspricht dem logischen Verhältnis zwischen den beiden Sätzen, daß sie nicht von einer einzigen Informationseinheit umfaßt werden können. Dies gilt für alle adversativen und disjunktiven Verknüpfungen. Zusammengesetzte Fragesätze mit aber sind nicht möglich. Auch bei zusammengesetzten Aufforderungssätzen sind die Möglichkeiten beschränkt. § 49

Aufforderungssätze Diese können mit der Informationsverteilung P I - P I (und bei zwei Informationseinheiten n u r mit dieser) gesprochen werden, die Beziehung zwischen den beiden Sätzen erhält aber damit eine konzessive oder eine konditionale Konnotation, z. B.: (102)

// \ setz dich // \ aber wasch dir erst die bände //

Dieser Satz würde bedeuten: (102')

// \ du kannst dich zwar setzen // \ aber du mußt dir erst die Hände waschen //

6.3.3.3.

Disjunktive Verknüpfung

§ 50

Bei zusammengesetzten Fragesätzen (aber nur bei Entscheidungsfragen) ist im Zusammenhang mit der Informationsverteilung bei Disjunktion mit oder die Selektion des Tonmusters besonders wichtig, da ganz bestimmte Fragetypen mit verschiedenen kommunikativ-pragmatischen Bedeutungen dadurch unterschieden werden. I n dieser Hinsicht verhält sich die zusammengesetzte Entscheidungsfrage ganz parallel zu den in Abschnitt 6.2.4.4. (§ 35, Beispiele (80a) bis (80d)) und zu den in 6.3.2.2. dargestellten Typen der einfachen Entscheidungsfragesätze. Nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich wäre (103a) gegenüber (103c): (103a) (103b) (103c)

(oder)

// / hast du ina gesehen III oder hast du hat ja gesehen // (offene Alternativfrage, informatorisch neutral) H \ hast du ina gesehen // \ oder hast du katja gesehen II (geschlossene Alternativfrage, informatorisch markiert) // / hast du ina gesehen // \ oder hast du katja gesehen // (geschlossene Alternativfrage, informatorisch neutral)

Eine Reduktionsmöglichkeit ohne Veränderung der Bedeutung des Fragesatzes ist gegeben, wenn die beiden Teilfragen bis auf den Schwerpunkt identisch sind. Es gibt mehrere Möglichkeiten der Eliminierung einzelner Satzabschnitte, z. B.: (103d)

// / hast du ina gesehen // \ oder katja // III hast du ina // \ oder katja gesehen //

Die Selektion des Tonmusters entscheidet in den folgenden zusammengesetzten Fragesätzen, ob es sich um eine geschlossene oder eine offene Alternativfrage handelt: (104a)

III seid ihr spazieren gegangen // \ oder habt ihr karten gespielt // (geschlossene Alternativfrage)

Intonation bei subordinativer

(104b)

Verknüpfung

893

// / seid ihr spazieren gegangen // / oder habt ihr karten gespielt // (offene Alternativfrage)

Bei der geschlossenen Alternativfrage (104a) ist unterstellt, aber semantisch nicht notwendig, daß mit den beiden Teilfragen das Feld der möglichen alternativen Tätigkeiten ausgeschöpft ist, bei der offenen Frage in (104b) dagegen nicht. Wenn in einer zusammengesetzten Frage das Feld der Alternativen semantisch zwingend ausgeschöpft ist, dann ist nur die geschlossene Version möglich, vgl.: (105a) // / geht ihr weg // \ oder bleibt ihr noch //' (105b) *// / geht ihr weg // / oder bleibt ihr noch // Die Diskussion zur Funktion der Intonation bei koordinativer Verknüpfung beschränkte sich auf die wichtigsten, relativ undifferenzierten Erscheinungen. Sie zeigt einerseits, daß koordinativ verknüpfte Sätze unabhängig von der Art der koordinativen Verknüpfung und zum Teil unabhängig von dem jeweiligen Satztyp wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Dies betrifft insbesondere die InformationsVerteilung, aber an einigen Stellen auch die Tonmusterselektion. Andererseits bestätigt sich die allgemeine, im vorliegenden Kapitel mehrmals getroffene Feststellung, daß die kommunikativ-pragmatische Funktion intonatorischer Mittel von dem syntaktischen Zusammenhang abhängt, in dem sie operieren. 6.3.4.

Die Intonation bei subordinativer Verknüpfung

§ 51

Die wichtigste allgemeine Funktion der Intonation bei subordinativer Verknüpfung ist wiederum die Informationsverteilung, und zwar im Aussagesatz. Hier kann deir zusammengesetzte Satz, wie bei koordinativer Verknüpfung, eine oder mehr Informationseinheiten bilden. Hinsichtlich der Beziehung zwischen den Sätzen sind die Fälle von Interesse, in denen entweder die Folge der Einheiten im Satz oder zwei (oder alle) Sätze jeweils eine Informationseinheit bilden. Hier werden solche Fälle ausgeklammert, in denen ein Satz mehrere Informationseinheiten bildet. Gemeint sind erstens solche Sätze, in denen die markierte Informationsverteilung funktionstragend ist, z. B. zur Hervorhebung des Vorfelds (s. 6.3.1.2.), und zweitens solche Sätze, die durch einen untergeordneten kongruenten Satz unterbrochen werden und deshalb nicht kongruent sind, sondern zwei Informationseinheiten - eine vor und eine nach der Unterbrechung - bilden, z. B.: (106)

// das leind // das ich vorhin gesehen habe // muß inzwischen schon zu hause sein // Es fragt sich sogar, ob // das kind // in Beispiel (106) als echte Informationseinheit gelten kann, weil der Satz nur deshalb durch eine Tongruppengrenze unterbrochen wird, damit der untergeordnete Satz eine eindeutige Informationseinheit bilden kann. Der übergeordnete Satz in Beispiel (106) ist auf keinen Fall identisch mit (107)

// das kind // muß inzwischen schon zu hause sein //

894

6.3. Syntaktische Funktionen der Intonation

Solche Folgen werden deshalb so behandelt, als ob die einzelnen Sätze echt kongruent wären: (106')

// das kind muß inzwischen schon zu hause sein H das ich vorhin gesehen habe II

Bei den folgenden Überlegungen werden verschiedene Arten der subordinativen Verknüpfung weitgehend zusammengefaßt behandelt, denn obwohl sie hinsiohtlich der Möglichkeit des Vorkommens gewisser intonatorischer Merkmale Unterschiede aufweisen, erlauben die Ähnlichkeiten in dieser Hinsicht wichtige verallgemeinerte Aussagen. Die Aussagen betreffen dann nur die Arten der subordinierenden Verknüpfung, die die entsprechenden intonatorischen Merkmale zulassen. Im Prinzip sind die einzelnen Sätze, die im Verhältnis der subordinativen Verknüpfung zueinander stehen, kongruenzfahig, d. h., jeder Satz kann eine Informationseinheit bilden. Jedoch hängt die pragmatische Funktion der Selektion der SI und P I weitgehend von der R e i h e n f o l g e der Sätze ab. (Zur Verallgemeinerung wird entsprechend der Darstellung im Kap. 5. der Gliedsatz mit p und der Hauptsatz mit q bezeichnet.) Abgesehen von den oben erwähnten Ausnahmen lassen sich im zusammengesetzten Satz die Reihenfolgen p - q und q - p mit den sonst zulässigen Informationsverteilungen kombinieren: //{|*j//PI// Bei zusammengesetzten Sätzen sind - im Unterschied zu kongruenten einfachen Sätzen - hinsichtlich der Markierung zwei Aspekte der Informationsverteilung gleichzeitig zu berücksichtigen: die Kongruenz und die Tonmusterselektion. § 52

Die MarkierungsverhSltnisse sind wie folgt: 1. // SI // P I // ist aus zwei Gründen unmarkiert: Erstens bildet jeder Satz eine Informationseinheit, und zweitens steht die P I in satzfinaler Position. Beispiele: (108a) (108b)

// i- er ist gekommenll \ weil er mit ihr sprechen wollte // // 7- weil er mit ihr sprechen wollte/1 \ ist er gekommen //

2. // P I // P I // ist markiert, denn obwohl die für das Satzende normale P I vorhanden ist, bildet der Gliedsatz trotz syntaktischer Abhängigkeit, genau wie der Hauptsatz eine PI. Beispiele: (109a) (109b)

// \ er ist gekommen // \ weil er mit ihr sprechen wollte // // \ weil er mit ihr sprechen wollte // \ ist er gekommen //

3. // P I // ist markiert, denn, obwohl die satzfinale P I vorhanden ist, bildet die Folge von Sätzen eine einzige Informationseinheit. Beispiel: (110)

H \ er ist gekommen weil er mit ihr sprechen wollte //

Innerhalb von Beispiel (110) kann die Sehwerpunktstellung markiert oder unmarkiert sein.

Intonation bei svbordinativer

Verknüpfung

895

Beispiele: (110a) (110b) (lila) (111b)

// \ er ist gekommen weil er mit ihr sprechen wollte // (unmarkiert — der Schwerpunkt liegt im letzten Satz) // \ er ist gekommen weil er mit ihr sprechen wollte // (markiert — der Schwerpunkt liegt im nicht-letzten Satz) // \ weil er mit ihr sprechen wollte ist er gekommen // (unmarkiert) // \ weil er mit ihr sprechen wollte ist er gekommen // (markiert)

Bei sämtlichen Möglichkeiten von 1. — 3. ist aber die Reihenfolge relevant, so daß beide Merkmale - die Kongruenz (und bei 3. auch die Schwerpunktstellung) und die Reihenfolge - relativ zueinander betrachtet werden müssen, denn nur so kann ihr Zusammenwirken bei der Informationsverteilung auch auf der kommunikativ-pragmatischen Ebene verstanden werden. Bei unseren Überlegungen gehen wir davon aus, daß die Reihenfolge q - p unmarkiert und die Reihenfolge p - q markiert ist. Die unmarkierte Reihenfolge impliziert normalerweise keine besonderen Merkmale des Kontextes oder der Sprechsituation. Dies wird bei den unmittelbar folgenden Ausführungen illustriert. Die Markierungsverhältnisse bei den verschiedenen Reihenfolgeverhältnissen und unmarkierter Kongruenz sind wie folgt: Reihenfolge

Kongruenz

Informationsverteilung

Beispiel

1.

a) unmarkiert b) markiert

unmarkiert unmarkiert

unmarkiert markiert

(108a) (108b)

2.

a) unmarkiert b) markiert

unmarkiert unmarkiert

unmarkiert markiert

(109a) (109b)

Zu 1. und 2.: Wenn nicht nur die Reihenfolge der Sätze, sondern auch ihre Kongruenz unmarkiert ist, dann enthalten sie keine besonderen Implikationen hinsichtlich des Kontexte. Daß in Beispiel (108a) der Hauptsatz eine sekundäre Informationseinheit bildet, bedeutet, daß der Sachverhalt gegeben sein kann, etwa in der vorangehenden Frage (108a') // \ warum ist er gekommen II Dies m u ß aber nicht der Fall sein. Wichtiger ist, daß der folgende Gliedsatz neu ist, und in dieser Hinsicht seine normale, satzfinale Position einnimmt. In Beispiel (109a) dagegen sind beide Sätze neu, der ganze Satz wäre z. B. äquivalent für: (109a') II \ er ist gekommen,!11 weißt du II \j und zwar deshalb II \ weil er mit ihr sprechen wollte // Die Sachverhaltsbeschreibungen der kausal zusammengesetzten Sätze (dieselbe Informationsverteilung wäre übrigens auch bei temporalen, konditionalen und konzessiven Relationen möglich) erhalten durch die Zuordnung zu

896

6.3. Syntaktische Funktionen der Intonation primären Informationseinheiten eine relative syntaktische Unabhängigkeit voneinander gegenüber anderen Möglichkeiten der Informationsverteilung allerdings nur bei der Reihenfolge q — p. Es ist zum Beispiel denkbar, daß beide Sätze von verschiedenen Gesprächspartnern gesprochen werden könnten: (109a") Sprecher A: // \ er ist gekommen // Sprecher B: // \ weil er mit ihr sprechen wollte // etwa mit der Implikation: (109a"') Sprecher A : / / \ er ist gekommen // Sprecher B: // \ ja ich weiß // \ aber nur weil er mit ihr sprechen wollte // Diese Verteilung der Sprecherrollen ist nur deshalb möglich, weil in p und q zwei verschiedene Sachverhalte beschrieben sind. Dies erklärt zugleich, daß die Informationsverteilung // PI // PI // in Sätzen, deren Gegenstand eine Sachverhaltsbeschreibung ist (etwa mit Verben des Sagens), normalerweise nicht vorkommen kann, vgl.: (112a) *// \ er hat gesagt//

\ daß er kommt

//

Diese Interpretationen gelten aber nicht für die Reihenfolge p - q , die die beiden Sätze syntaktisch untrennbar macht: (109b') *Sprecher A: // \ weil er mit ihr sprechen wollte // Sprecher B: // \ ist er gekommen // Vgl. aber: (112b)

// \ daß er kommt II \ hat er gesagt // (d. h. // \ das wissen wir schon // \ weil er es gesagt hat / / )

Die markierte Reihenfolge p - q hat besondere kontextuelle Implikationen. Hier ist der Hauptsatz kontextuell -neu. Bei der Informationsverteilung // SI // PI // kann der Gliedsatz neu oder gegeben sein, bei der Informationsverteilung // PI // PI// ist er immer neu. Demnach läßt Beispiel (108b) im Grunde genommen zwei Interpretationen zu. Erstens könnte es heißen: (108b') / / \ erwolltemitihrsprechen.il II — und weil er mit ihr sprechen wollte // II \ ist er gekommen // Zweitens könnte der Satz so interpretiert werden: (108b") // \ er wollte eigentlich zu hause bleiben II II 7- aber weil er mit ihr sprechen wollte II \ ist er gekommen // Beispiel (109b) dagegen läßt nur die zweite Interpretation (108b") zu, weil der im Gliedsatz beschriebene Sachverhalt neu sein muß. Daß der Gliedsatz eine primäre Informationseinheit bildet, drückt aus, daß „der Grund für sein Kommen" viel stärker ist als bei einer sekundären Informationseinheit (Beispiel

Intonation

bei subordinativer

Verknüpfung

897

(108b)). Die Analogie mit dem „primären Kontrast" bei inkongruenten Aussagesätzen liegt auf der Hand, denn die Implikation wäre: (109b') // // II II

\ \ \ \

er wollte aus verschiedenen gründen nicht kommen aber weil er mit ihr sprechen wollte ist er gekommen dieser grund // \ hat genügt/1

Zu 3.: Gegenüber (108), (109) und (112) ist die Kongruenz in allen Beispielen von (110) und (111) markiert, weil eine Folge von Sätzen eine einzige Informationseinheit bildet. Die Markierungsverhältnisse ergeben sich aus der Stellung des Schwerpunkts im Zusammenhang mit der Reihenfolge der Sätze. I n (110a) und (111b) bildet der Gliedsatz den Schwerpunkt. (110a) ist aber aus zwei Gründen unmarkiert (Reihenfolge und Schwerpunktstellung), während (111b) hinsichtlich derselben Merkmale markiert ist. Beide Sätze drücken einen Kontrast aus (er ist aus diesem und keinem anderen Orund gekommen). In (111b) aber wird der Gliedsatz weil er mit ihr sprechen wollte emphatischer hervorgehoben. (110b) und (111b) sind jeweils hinsichtlich eines Merkmals markiert, und zwar (110b) hinsichtlich der Schwerpunktstellung und ( l i l a ) hinsichtlich der Reihenfolge, wobei in diesen Beispielen auch derselbe Satz - der Hauptsatz - den Schwerpunkt bildet. In beiden Fällen ist der Gliedsatz gegeben, und der Hauptsatz ist kontrastiv hervorgehoben. Dabei ist Beispiel (110b) ungewöhnlich, und die Beziehung zwischen Haupt- und Gliedsatz wird am besten am Beispiel des Objektsatzes illustriert: (112c) (112d)

// \ er hat ja gesagt ¿laß er kommt // Vgl.: // \ daß er kommt hat er ja gesagt // (entspricht Beispiel ( l i l a ) )

Im vorliegenden Abschnitt konnte nur ein kurzer Überblick über die wichtigsten und allgemeinsten Funktionen der Intonation bei subordinativer Verknüpfung gegeben werden. Dieses Gebiet gehört - sowohl hinsichtlich der Beschreibung als auch der Interpretation - zu den wichtigsten unerschlossenen Problemkreisen der Intonationsforschung. Die allgemeinen Zusammenhänge, die hier beschrieben wurden, geben einen Einblick in die Komplexität dieser Problematik.

7.

Phonologie: Segmentale Struktur

7.0.

Allgemeines

§ 1

Wie im Abschnitt 1.6. festgestellt, beschreibt die phonologische Komponente der Grammatik die Gesamtheit der Regularitäten des Sprachsystems, die die gegenseitige Zuordnung von syntaktischen Wortgruppen- und Wortstrukturen einerseits und Lautstrukturen andrerseits sowie den inneren Aufbau der Lautstrukturen, soweit dieser für den Inhalt der sprachlichen Äußerungen relevant ist, innerhalb des Satzes bestimmen. Im Rahmen der Gesamtgrammatik spiegelt sie damit die phonologische Komponente des Sprachsystems, die Lautstruktur der jeweiligen natürlichen Sprache, wieder. Sie nimmt dabei Bezug auf zwei unterschiedliche Ebenen der Repräsentation von phonologischen Struktureigenschaften, die phonologische und die phonetische Ebene (s. Abschn. 1.6.1.), auf die verschiedenen Typen von phonologischen Einheiten (s. 1.6.2.) und auf die phonologischen Alternations- und Strukturregularitäten der zu beschreibenden Sprache (s. 1.6.3.). Die angemessenste Darstellung der wesentlichen Eigenschaften und Zusammenhänge der Lautstruktur ergibt sich, wenn die phonologische Komponente der Grammatik als ein der syntaktischen Komponente nachgeordneter EingabeAusgabe-Mechanismus verstanden wird, dessen Eingabe die phonologischen Repräsentationen und dessen Ausgabe die phonetischen Repräsentationen der Sätze sind. Die phonologischen Repräsentationen bestehen aus Ketten von Formativen in deren Grundform, die entsprechend den behandelten Regularitäten der Syntax hierarchisch kategorisiert sind, angefangen von der höchsten Kategorie ,Satz' bis hin zur Kennzeichnung der einzelnen Formative als Basis-, Wortbildung»- und Flexionsformative. Die Ketten enthalten zugleich Satz-, Wortund Formativgrenzen. Die Formative selbst sind nicht (wie sie der Einfachheit halber meist wiedergegeben werden) als Folgen von Segmenten (Phonemen), sondern als Folgen von Bündeln phonologischer Merkmale, d. h. als phonologische Matrizen, repräsentiert. So erscheint z. B. das dem Wort Kuh zugrunde liegende Basisformativ nicht als Phonemfolge /ku:/, sondern in Form der Merkmalmatrize (1) (zur Erklärung der Merkmale s. weiter unten). Die phonologischen Repräsentationen werden durch die Alternationsregeln in die phonetischen Repräsentationen überführt. Die Alternationsregeln modifizieren die phonologische Grundform der Formative in Abhängigkeit von ihrer Umgebung, indem sie phonologische Merkmale oder Segmente in ihrem Wert verändern (Wechselregeln), einführen (Einführungsregeln) oder tilgen (Til-

Phonologische

Merkmale

+ konsonantisch — silbisch — anterior — koronal — dauernd — stimmhaft — nasal

899 — konsonantisch + silbisch + hoch — vorn + rund 4- lang

gungsregeln). Hierzu gehören auch die Kegeln, die den Akzent (die Betonung) und die Intonation (den Tonhöhenverlauf) innerhalb des Satzes festlegen, denn auch sie beziehen sich auf Alternationen, z. B. zwischen betonten und nicht- bzw. schwachbetonten Vorkommen der Formative, vgl. die Frdu ~ die Frau. Im vorliegenden Kapitel wird nur ein Teil der skizzierten Gesamtproblematik behandelt, nämlich die segmentale Phonologie des Deutschen, d. h. der Bereich der Phonologie, der den segmentaleii Aufbau der Wörter und Wortformen betrifft. Da jedoch segmentale und suprasegmentale (prosodische) Gegebenheiten der Phonologie nicht unabhängig voneinander sind, muß dabei zumindest am Bande mitunter auch auf Regularitäten des suprasegmentalen Bereichs, genauer: des Wortakzents, eingegangen werden. Für Regularitäten der Intonation vgl. Kap. 6. Phonologische Merkmale

Wir haben die Segmente - die Phoneme der phonologischen Ebene und die Laute der phonetischen Ebene - als Bündel phonologischer Merkmale bestimmt und an einem Beispiel gezeigt, wie sich Segmente aus Merkmalen zusammensetzen. Doch was für einen Charakter haben diese phonologischen Merkmale, aufgrund welcher Kriterien sind sie zu ermitteln? Lautsegmente können prinzipiell unter drei verschiedenen Gesichtspunkten analysiert und klassifiziert werden: 1. artikulatorisch, d. h. nach ihrer Bildungsweise, 2. akustisch, d. h. nach ihren physikalischen Eigenschaften, 3. auditiv, d. h. nach ihrem Gehöreindruök. Jeder dieser Gesichtspunkte beruht auf spezifischen Voraussetzungen. Die artikulatorische Analyse geht aus von der Rolle der Artikulationsorgane bei der Erzeugung der Laute. Die akustische Analyse basiert auf der Ermittlung der physikalischen Eigenschaften, die sich als Luftschwingungen oder Schallwellen realisieren. Die auditive Analyse schließlich beruht auf der Bestimmung von Gleichheiten, Ähnlichkeiten und Unterschieden der Laute durch das Gehör bei der Perzeption (Aufnahme) von Lauten. Es leuchtet ein, daß unter diesen

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7. Phonologie: Segmentale Struktur

Voraussetzungen die Kriterien der Analyse und Klassifizierung je nach dem zugrunde gelegten Gesichtspunkt recht unterschiedlich sind. Ein Laut besteht artikulatorisch gesehen aus anderen Elementen als akustisch gesehen und akustisch gesehen wiederum aus anderen Elementen als auditiv gesehen. Entsprechend verschieden sind die sich bei der Untersuchung des Lautinventars ergebenden Systeme von phonologischen Merkmalen. Diese Merkmalsysteme (relativ gut ausgearbeitet liegen akustische und artikulatorische Systeme vor, vgl. J A K O B S O N / H A L L E ( I 9 6 0 ) einerseits und C H O M S K Y / H A L L E ( 1 9 6 8 ) andrerseits) zeigen zwar bestimmte Gemeinsamkeiten, unterscheiden sich aber auch in wesentlichen Punkten. Ihre Merkmale sind nicht nur unterschiedlich benannt, sondern zwischen diesen Merkmalen bestehen in vielen Fällen auch keine eindeutigen Entsprechungen. Beim Funktionieren der Sprache in der Kommunikation wirken artikulatorische, auditive und - vermittelt durch diese - auch akustische Faktoren eng zusammen. Eine vollständige Erfassung der relevanten Eigenschaften der Lautsegmente würde also die Berücksichtigung aller drei Seiten erfordern, und ein „optimales" Merkmalsystem müßte demzufolge auf artikulatorischen, auditiven und akustischen Gegebenheiten zugleich basieren. Ein solches integriertes Merkmalsystem gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt trotz bestimmter beachtenswerter Ansätze (vgl. L I E B E R M A N (1970)) noch nicht. Es hat sich jedoch gezeigt, daß auf der Grundlage eines im wesentlichen artikulatorisch gefaßten Merkmalsystems, wie es in C H O M S K Y / H A L L E (1968) vorgeschlagen und in W U R Z E L (1970a) modifiziert auf das Deutsche angewandt wurde, eine recht angemessene Beschreibung der deutschen Lautsegmente sowie ihrer Alternationen und ihrer Verteilung möglich ist. Wir wollen deshalb der Darstellung der segmentalen Phonologie des Deutschen in diesem Kapitel ein solches Merkmalsystem zugrunde legen. Wie' auch immer ein Merkmalsystem im einzelnen konzipiert wird, es muß so beschaffen sein, daß auf seiner Grundlage alle bildbaren und unterscheidbaren Lautsegmente charakterisiert werden können. Der Zweck der Aufstellung eines Merkmalsystems erschöpft sich nicht in der möglichst angemessenen Beschreibung der Lautstruktur einer Einzelsprache, sondern besteht darüber hinaus darin, die allen Menschen gemeinsamen Möglichkeiten der Artikulation und der Perzeption zu erfassen. Das angenommene, für alle Sprachen gemeinsame Gesamtinventar von phonologischen Merkmalen stellt damit eine an neuen empirischen Fakten leicht überprüfbare Hypothese über den Aufbau der Lautstruktur natürlicher Sprachen dar. Diese Hypothese charakterisiert neben den wirklichen, also existierenden Lautstrukturen zugleich auch die möglichen Lautstrukturen, d. h. den Spielraum phonologischer Entwicklungen (Veränderungen). Die einzelnen Sprachen unterscheiden sich phonologisch in erster Linie darin, wie sie, bedingt durch ihre konkrete historische Entwicklung, von den universellen phonologischen Merkmalen Gebrauch machen (s. Abschn. 7.5.). Es sei nochmals daran erinnert, daß die phonologischen Merkmale die für die Sprache relevanten Lauteigenschaften darstellen, aus denen die Lautsegmente, d. h. Phoneme und Laute, zusammengesetzt sind. Sie haben auf den beiden Repräsentationsebenen der phonologischen Komponente eine unterschiedliche

Hauptklassen von Segmenten

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Funktion: Auf der phonologischen Ebene charakterisieren sie die Identität bzw. die Verschiedenheit von sprachlichen Zeichen, von Formativen, auf der phonetischen Ebene dagegen die materiellen Korrelate der natürlichen Sprache. Durch die phonologischen Merkmale werden die einzelnen Segmente nicht nur in ihren substantiellen Eigenschaften bestimmt, sondern zugleich auch in ihren Relationen zu den anderen Segmenten erfaßt und damit in das Phonem- bzw. Lautsystem der Sprache eingeordnet. Die Gesamtheit der Merkmalcharakterisierungesn der Phoneme einer Sprache konstituiert auf diese Weise das Phonemsystem, die Gesamtheit der Merkmalcharakterisierungen der Laute einer Sprache das Lautsystem.

Hauptklassen von Segmenten Es ist bekannt, daß man im allgemeinen die Lautsegmente in Vokale und Konsonanten einteilt. Die Vokale werden dabei meist als Laute „ohne Berührungsfläche in der Mittellinie des Gaumens", als „öffnungslaute" bestimmt, bei deren Bildung der Phonationsstrom (Luftstrom) den Rachen-Mund-Nasen-Raum ungehindert passieren kann (v. E S S E N (1966), S. 85). Die Konsonanten werden als Laute charakterisiert, bei deren Bildung der Phonationsstrom in bestimmter Weise behindert wird (v. E S S E N (1966), S. 97). Mit einer solchen Klassifizierung sind die Vokale und die Konsonanten als disjunkte (einander ausschließende) Klassen von Lautsegmenten gefaßt, die zusammen die Klasse aller Lautsegmente ausmachen. Jedes Segment ist entweder ein Vokal oder aber ein Konsonant, und kein Segment kann beides zugleich sein. Diese binäre Einteilung gestattet zwar, Vokale und Konsonanten aufgrund eines recht eindeutigen Kriteriums voneinander abzugrenzen, doch sie berücksichtigt nicht, daß es auch Lautsegmente gibt, die in gewisser Hinsicht über vokalische und konsonantische Eigenschaften zugleich verfügen. Diese Segmente lassen sich wohl entweder als Vokale oder als Konsonanten im Sinne der obigen Bestimmung einordnen, doch ist damit ihrer charakteristischen Stellung zwischen „echten Vokalen" und „echten Konsonanten" gerade nicht Rechnung getragen. Es sind zwei Klassen solcher Lautsegmente zu unterscheiden. Die erste dieser Klassen bilden die Gleitlaute, die im Deutschen als zweite Bestandteile von Diphthongen vorkommen, vgl. die Diphthonge [ae], [ao] und [D0], Z. B. in Wörtern wie Eiche, auch und euch. Entsprechend der binären Klassifizierung der Segmente in Vokale und Konsonanten sind die Gleitlaute als öffnungslaute, d. h. als Vokale, einzuordnen, doch sie unterscheiden sich von den eigentlichen Vokalen dadurch, daß sie unsilbisch sind. Sie funktionieren in den Phonem- und Lautfolgen in bestimmter Hinsicht wie Konsonanten. Die zweite Klasse bilden die silbischen Konsonanten, genauer: die silbischen Liquiden und Nasale. Diese Segmente sind nach der obigen Bestimmung Konsonanten, doch sie funktionieren in den Lautfolgen (silbische Konsonantenp h o n e m e gibt es im Deutschen nicht, s. § 23 und 72) wie Vokale, vgl. z. B. die verbreitete Aussprache von Wörtern des Typs Gabel und raten als [ga :&}], [ra usw.

7. Phonologie: Segmentale Struktur D a m i t ergeben sich anstelle der beiden obengenannten n u n vier Hauptklassen von L a u t s e g m e n t e n : Vokale, Gleitlaute, unsilbische u n d silbische Konsonanten. E s ist offensichtlich, d a ß bei ihrer Einteilung neben

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