Gott existiert: Eine dogmatische Studie [Reprint 2012 ed.] 3110052245, 9783110052244, 9783110833300

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Gott existiert: Eine dogmatische Studie [Reprint 2012 ed.]
 3110052245, 9783110052244, 9783110833300

Table of contents :
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII

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C. Η. R A T S C H O W

GOTT EXISTIERT

GOTT EXISTIERT EINE DOGMATISCHE

STUDIE

VON

CARL H E I N Z RATSCHOW

Zweite Auflage

VERLAG ALFRED TÖPELMANN · BERLIN 1968

THEOLOGISCHE

BIBLIOTHEK

H E R A U S G E G E B E N K.

ALAND,

K.

G.

K U H N ,

C.

H.

12.

TÖPELMANN

VON

R A T S C H O W

U N D

E.

S C H L I N K

HEFT

Den Gedanken dieser Studie lagen Gastvorlesungen zugrunde, die vor der theologischen Fakultät in Lund im Herbst 1965 gehalten wurden.

Unveränderter photomechanischer Nachdruck der 1. Auflage 1966 © 1968 by Verlag A l f r e d T ö p e l m a n n , Berlin 30 ( P r i n t e d in G e r m a n y ) Alle R e d i t c , insbesondere das der Ü b e r s e t z u n g in f r e m d e Sprachen, v o r b e h a l t e n . O h n e ausdrückliche G e n e h m i g u n g des Verlages ist es audi nicht g e s t a t t e t , dieses Budi oder Teile d a r a u s auf photomechanisdiem

Wege ( P h o t o k o p i e ,

Mikrokopie)

Archiv-Nr. 3901672

zu

vervielfältigen.

I. Eine dogmatische Studie ist eine Überlegung, die die dogmatische Aussagbarkeit des Glaubens bzw. seiner „Inhalte" bedenkt. Eine dogmatische Studie ist daher sehr voraussetzungsvoll. Der Glaube wie seine „Inhalte" sind ihre Voraussetzung. Eine dogmatische Studie hat es mit dem Glauben und seiner Aussagbarkeit speziell in ihrer Gegenwart zu tun. Aber eine dogmatische Studie begründet den Glauben nicht und hat nicht das Ziel, zum Glauben zu führen. Gegenüber einer dogmengeschichtlichen Überlegung, die den Glauben und seine Aussage im 16. oder 19. Jahrhundert untersucht und darstellt, hat die dogmatische Studie es grundsätzlich mit der Gegenwart zu tun, in der sie geschieht. Eine dogmatische Studie kann nun aber nicht so geschehen, daß sie die N o t und die Möglichkeit ihrer Gegenwart aus sich selbst bedenkt, sondern sie ist mit den Fraglichkeiten und Überzeugtheiten ihrer Gegenwart unter die Autorität des biblischen Zeugnisses Alten und Neuen Testamentes gestellt. Als eine Überlegung, die den christlichen Glauben voraussetzt, findet sie sich mit dem Glauben in der Angewiesenheit auf das verkündigte Wort vor, das Glauben hervorruft. Dies verkündigte Wort ist der Grund des Glaubens. Es hat seine Überlieferungsgestalt an den Schriften Alten und Neuen Testamentes. Darum geschieht eine dogmatische Studie unter der Autorität Alten und Neuen Testamentes als der Zeugnisgestalt des Glaubens. Sie muß die Fragen und Thesen ihrer Gegenwart im Lichte dieser Schriften erörtern. Ihre Schlußfolgerungen sind daher stets normiert durch das biblische Zeugnis und niemals eigenständig. Aber eine dogmatische Studie gibt nicht biblische Inhalte wieder, sondern bedenkt biblisches Zeugnis in Hinsicht auf die Fragen und Thesen ihrer Gegenwart. Eine dogmatische Studie ist also ebensowenig wie eine dogmengeschichtliche Erwägung Auslegung der Schrift! Sie setzt die Auslegung der Schrift voraus und ist auf Auslegung angewiesen. Die Auslegung der Schrift konvergiert auf die Grundgestalt verkündigten Wortes. An dieser Grundgestalt ist dogmatischem Denken gelegen, denn die Grundgestalt der Verkündigung, Jesu Wort, Werk und Person, ist der Grund der Möglichkeit „rechten Glaubens". Schon im neutestamentlichen Zeitalter ist der rechte Glauben immer wieder auch verfehlt wie dann in der Geschichte der Kirche und wie heute in den gegenwärtigen Fraglichkeiten kirchlichen D a seins. Exegese, Dogmengeschichte wie Dogmatik sind daher gemeinsam an der Aufgabe, zu erkennen, was angesichts der Grundgestalt der Verkündigung „rechtes Glauben" gewesen sei. Die dogmatische Überlegung 1

wird spezifisch in der Frage, was heute „rechtes Glauben" sein könnte. Sie baut darin auf die Ergebnisse von Exegese und Dogmengeschidite auf. Eine dogmatische Studie ist aber noch in ganz anderer Weise auf die Geschichte der Kirche angewiesen. Die Grundgestalt der Verkündigung, Jesu Wort, Werk und Person ist raumzeithaft gebunden. Verkündigung Gottes nach dieser Grundgestalt kann daher heute nur auf Grund von Vermittlungen geschehen, die Jesu Wort, Werk und Person mit uns verbinden. Zwar ist das Geschehen des Wortes und seiner Lebendigkeit unmittelbar von Gott als Heiliger Geist erfüllt, ubi et quando visum est deo. Aber unser Verkündigen ist angewiesen auf die „geschichtlichen Vermittlungen", das sind die großen kirchentümlichen oder konfessionellen Gesamtverständnisse Jesu. Glaube ist seit Petrus und Paulus ζ. B., die als Judenchristen und Heidenchristen die ersten konfessionellen Zusammenfassungen bilden, soweit wir sehen können, stets nur in kirchentümlichen Gesamtverständnissen, dagewesen1. Im Zusammenhang und auf dem Boden dieser konfessionellen Gesamtverständnisse geschieht Verkündigung Jesu als Aussage des Glaubens und seiner „Inhalte". Die Dogmatik aber stellt das jeweilige kirchentümliche Gesamtverständnis für ihre Gegenwart immer erneut dar, indem sie dasselbe an der Grundgestalt der Verkündigung mißt. Dogmatik ist notwendig, damit die Verkündigung des Wortes Gottes sich bei dem einzelnen Verkündigungsakt an einem einzelnen Geschehen Wort oder Text auf das kirchentümliche Gesamtverständnis ausrichten kann und die Auferbauung der Gemeinde sich in der nüchternen Ausgewogenheit der „Summa" vollziehen kann. Eine dogmatische Studie dient darin der Verkündigung in ihrer Gegenwart. Sie geht von ihrer Gegenwart, der das Wort gilt, aus und kehrt zu ihr zurück. Sie legt die Fragen des Glaubens ihrer Gegenwart an den kirchentümlichen Gesamtverständnissen und ihren Überlieferungsgestalten aus, um den Gesamtzusammenhang an der Zeugnisgestalt Alten und Neuen Testamentes zu orientieren. Eine dogmatische Studie ist daher stets auch Interpretation von Überlieferung. Die Orientierung dogmatischen Denkens an der Grundgestalt von Verkündigung, an Jesus von Nazareth also und damit am Alten und Neuen Testament, sowie seine Ausgelegtheit auf die vermittelnden kirchentümlichen Gesamtverständnisse hin geschieht im Umschluß des Denkens und der Denkmethodik der Gegenwart, in der eine dogmatische Studie vor sich geht. Es gibt daher eine aufklärerische wie eine idealistische und andere Dogmatiken. Dieser Umschluß setzt sich zunächst ganz naiv durch. Wir sehen, wie ζ. B. Melanchthon wie Luther humanistische Denkmetho1

Zu den „Kirchentümlichen Gesamtverständnissen" und der Weise ihres t r a dierenden Vermitteins vergleiche meine Arbeit „Uberlieferung und Zeugnis" in: „Der angefochtene Glaube", Gütersloh 1 9 5 7 .

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den — weithin unbewußt — übernehmen. Sie hielten manches für theologisch gewachsen, was „nur" humanistisch war, wie ζ. B. die Ablehnung der Metaphysik. Aber die naive Gegebenheit eines bestimmten Denkens für eine Gegenwart kann, bis zu einem gewissen Grade jedenfalls, kritisch bewußt gemacht und damit unter Kontrolle genommen werden. Bis zu einem gewissen Grade geht das, denn das kritische Bewußtmachen der eigenen Denkvoraussetzungen hat seine Grenze wie alle Selbsterkenntnis. Für unsere Gegenwart ist der gravierende Denkumschluß mit der im Zerfall der idealistischen Systeme gewachsenen Beachtung des „Selbst" als der an allem Verstehen und seinen Inhalten zutiefst beteiligten Größe gegeben, wie Kierkegaard das als erster in seiner „Unwissenschaftlichen Nachschrift"

fixierte,

wie es sich dann in den Einsichten des Vitalismus

und seines Zwillingsbruders des Existentialismus niederschlug.

Immer

deutlicher erhob sich auf diesem Wege die Einsicht, daß der Denkraum, aus dessen Voraussetzungen man herausdrängte, mit dem Werk Descartes' begründet sei. Es gehört zur communis opinio, daß Descartes mit seiner res cogitans gegenüber der res extensa das Verständnis von einem Subjekt gegenüber dem O b j e k t geschaffen habe, das alles spätere Denken in das Prokrustesbett seiner Entgegensetzung spannte. Es ist ohne Frage zutreffend, daß Descartes den Begriffen Subjekt und Objekt eine neue und zwar die seither geltende Bedeutung verlieh. Es ist aber ebenso deutlich, daß noch ganz andere Momente Descartes' Bedeutung ausmachen. V o r allem ist es die Sichtbarmachung eines Denkens, das bis in die letztmöglichen Voraussetzungen seiner selbst wie seiner Inhalte zurückfragt, und das weder den Denkenden und sein Dasein noch das Sein der Welt noch das Sein Gottes in seine Voraussetzung aufnimmt und als solche hinnimmt. Seither gibt es das sogen, voraussetzungslose Denken, das immer erneut, sich selbst zu setzen, anheben muß und das also unter der Voraussetzung des denkenden Ich allein weitergreifen kann. Sodann ist es die Einführung von mathematisch- naturwissenschaftlichen Kategorien in die D e n k axiomatik. Descartes war ganz wesentlich an der Struktur der mathematischen Sätze orientiert und gab damit die Begründung seiner Philosophie. Das Denken unserer Gegenwart steht auf der Schwelle, die aus diesem Denkraum, den Descartes begründete, herausstrebt. O b und wie dieser Schritt aber zu geschehen habe, und ob der Existentialismus, der als der Heidegger von „Sein und Z e i t " für die Theologie durch Rudolf Bultmann wesentliche Bedeutung gewann, diesen Schritt wirklich vollzogen habe oder vollziehen könne, wird in zunehmendem M a ß e fraglich. Audi die Versuche, den späten Heidegger theologisch dadurch anzueignen, daß man K a r l Barths „Kirchliche D o g m a t i k " als Antizipation seiner „ D e n k weise interpretiert, dürften die gestellte Fraglichkeit nicht gerade klären. Die innere Unsicherheit im Denken — in seiner Eigenart und Methodik — 3

das Nachklingen der Verdikte, die die frühe dialektische Theologie mit Ritschl gegen die Metaphysik wie gegen alles Denken als Denken schleuderte, wie die Versudie der dialektischen Theologie, alles Theologietreiben auf das geschriebene Wort festzulegen, haben das dogmatische Arbeiten in den letzten Jahrzehnten zurücktreten lassen. Die Exegese nahm in wachsendem Maße alles Interesse in Anspruch. Das zentrale Kennzeichen der Theologie am Ende dieser Periode aber ist die Unsicherheit, ob und wie von Gott und vom Glauben, von der Rechtfertigung und vom Gericht überhaupt noch gesprochen werden kann. Diese Unsicherheit hat auch ihre positive Seite. Wir sagten, daß eine dogmatische Studie stets darauf angewiesen sei, das Denken ihrer Gegenwart, in der sie geschieht, einerseits naiv hinzunehmen und andererseits kritisch zu prüfen. In der Gegenwart ist die kritische Prüfung keine besondere Tat, denn in dem Gebäude unseres Denkens wird sich kaum einer „naiv" zu Hause fühlen und einrichten. Wir sehen denn auch, daß immer erneut diese Unsicherheit im Denken und seiner Methodik bedacht wird und wie Anläufe gemacht werden, zu weiterführenden Aussagegestalten zu kommen. Die ganze große Diskussion um Gottes Existenz, die in letzter Zeit ζ. B. zwischen Helmut Gollwitzer und Herbert Braun gef ü h r t wurde, kreist ja um diese Frage: Wie kann man das heute sagen, was man mit der Existenz Gottes meint. Zu dieser Fragestellung soll in der vorliegenden Studie ein Beitrag versucht werden. Dieser Versuch hat seine Mitte in der Überlegung, daß es vielleicht von Wert sein kann, zu hören, was die vordescartes'sche lutherische Philosophie und Theologie zu der Frage der Existenz Gottes zu sagen hat. Jene Welt des deutschen Barock dachte noch unberührt von den Folgen des descartes'schen Ansatzes und kann uns vielleicht an dieser Stelle etwas weiterhelfen. Da wir ein dogmatisches — also ein unsere Gegenwart betreffendes — Ziel im Auge haben, müssen wir uns unsere Frage von der Gegenwart gegeben sein lassen. Darum setzen wir mit einer kurzen Klärung des Existenz-Begriffes in der Theologie Rudolf Bultmanns und Herbert Brauns ein, um so von der einen Seite der Diskussion auszugehen und um über die Darstellung und Interpretation des Existenzdenkens des 17. Jahrhunderts zur anderen Seite der Diskussion — nämlich, Helmut Gollwitzer — fortzuschreiten 8 . 2

Ich zitiere abgekürzt: H. Gollwitzer: D i e Existenz Gottes im Bekenntnis der Kirche, München 1964, als: Existenz Gottes; R. Bultmann: Glauben und Verstehen, Tübingen I 1933, II 1952, III 1962, als: G u V I, II, III; H . W . Bartsch: Kerygma und Mythos, Hamburg 1 1948,11 1952, als: KuM 1,11; H . Braun: D i e Problematik einer Theologie des N e u e n Testamentes, Zeitschr. f. Theol. und Kirche, Beiheft 2 1961, 1—18, als: Theologie.

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II. Eine dogmatische Studie läßt sich ihre Fragen aus ihrer Gegenwart geben. Daher gehen wir zunächst daran, uns einen der in der Gegenwart theologisch verwendeten Existenz-Begriffe zu klären. D a z u gehen wir am besten vom dem 1925 erschienenen, für diese ganze Entfaltung grundlegenden Aufsatz Rudolf Bultmanns aus, in welchem Bultmann unter der Frage, welchen Sinn es habe, von Gott zu reden, die Problematik der Frage, wie man Gott aussagen könne, entfaltet. Es geht Bultmann in diesem A u f s a t z um die Aussagbarkeit der Existenz des Gottes, der uns gegenüber ja doch der „ganz andere" ist, wie man damals zu sagen pflegte. Bultmann postuliert in diesem Aufsatze, daß man nicht „über" Gott reden könne wie „über" eine Sache, da jedes „Reden über" „einen Standpunkt . . . außerhalb dessen, worüber geredet wird, v o r a u s " setze: „Einen Standpunkt außerhalb Gottes aber kann es nicht geben" (GuV I, 26). D a s bedeutet, daß man nicht theoretisch sowie in allgemein und überhaupt gültigen Sätzen von G o t t reden kann. Man kann nur aus tiefer Betroffenheit von G o t t reden oder denn aus „der existentiellen Situation", aus der heraus man lebt. J e d e Rede von Gott hat also nur dann Sinn, wenn „ G o t t die unsere Existenz bestimmende Wirklichkeit" ( G u V 1,29) ist. Man redet also, wofern man von G o t t redet, stets in bestimmter Weise von der eigenen Existenz. Die eigene Existenz als von Gott betroffene ist der Modus, in dem allein ich von G o t t reden kann! Aber diese meine Existenz ist nun ja nicht Gott. Sie ist Gott gegenüber als Nicht-Gott, als das Zeitliche, das vom Ewigen beansprucht wird, als das Vergängliche, das vom Unvergänglichen betroffen wird, kurz als Existenz des schuldigen Menschen gegenüber seinem Gott. U n d „ s o " ist Gott der „ganz Andere". Er ist der „ g a n z Andere" nicht so, „ d a ß Gott etwas außerhalb meiner w ä r e " ( G u V I, 30). Nicht als Transzendenz ist G o t t der „ganz Andere", sondern als „ G o t t " , der den „Menschen" trifft. Aber wenn ich so mit der Frage nach der Existenz Gottes auf meine Existenz zurückgeworfen bin, so muß ich erkennen, daß „es . . . also mit unserer Existenz eine ebenso merkwürdige Sache" ist „wie mit G o t t ; über beides können wir nicht eigentlich reden, über beides verfügen wir nicht" ( G u V 1,31). J a , wir müssen von unserer Existenz wohl ein Zweifaches sagen: „1. daß wir die Sorge und Verantwortung für sie haben", und „2. daß sie absolut unsicher ist und wir sie nicht sichern können" ( G u V I, 33). Gleichwohl bleibt es dabei, daß wir nur mit unserer Exi-

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Stenz, die wir zu übernehmen haben, von Gott reden können. In der Richtung dieser Bestimmungen liegt das, was Bultmann in diesem Aufsatz „glauben" nennt. Im Glauben handelt es sich also jedenfalls, da er es mit Gott zu tun hat, „um die Erfassung unserer Existenz". Aber eben diese „Erfassung unserer Existenz" „bedeutet" „die Erfassung Gottes" (GuV I, 36). Bultmann hat diese Sätze mit dem Zitat von Wilhelm H e r r mann erläutert: „Von Gott können wir nur sagen, was er an uns tut" (GuV I, 36; vgl. KuM II, 184). Dieses Zitat erläutert Bultmann so, daß Gott „uns die Existenz gibt . . . indem er die Sünde vergibt, uns rechtfertigt". Mit dieser Wendung stellt Bultmann die reformatorische Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders in die Existenzfrage mitten hinein, oder er stellt sie als Existenzfrage dar. Er läßt unsere Existenz gegeben sein durch das von Gott gerechtfertigt Sein, und er läßt das Denken Gottes und alles Glauben gegründet sein in der Übernahme dieser unserer Existenz als des Sünders, der gerechtfertigt wird, ubi et quando visum est deo. Es geht Bultmann in diesem Ansätze also um die Bewältigung der sogenannten Objektivität Gottes. Damit ist dies gemeint, daß Gott nicht ein „Ding" ist, über das man unbeteiligt reden oder das man ungerührt „haben" könne. Von Gott beginnt man allererst zu denken und zu reden, wenn man in seiner Gewalt zu sein, inne geworden ist. Mit diesem Einsatz soll nun zugleich das Problem der Transzendenz Gottes angefaßt sein. Gottes Transzendenz ist nicht irgendeine Weltjenseitigkeit, über die man disputieren kann, sondern diese Transzendenz ereignet sich an mir, wenn Gott midi als der betrifft, vor dem zu bestehen dem Menschen nicht möglich ist. Vernichtend bricht Gottes Heiligkeit in meine Unheiligkeit ein! Das ist der Tatbestand der Transzendenz. Mit diesen Ansätzen steht Bultmann 1925 mitten in dem damals allgegenwärtigen Drängen der vitalistischen und existentialistischen Philosophen. Der Lehrer Bultmanns Wilhelm Herrmann hatte den frühen Vitalisten schon viel verdankt 3 , und es ist von Wilhelm Herrmann aus konsequent, wenn Bultmann so ansetzte. Der Angriff auf das An-SichSein der ontologisch und metaphysisch gedachten sogenannten Objektivität rollte an. Dieser Angriff mußte für die Theologie von größter Bedeutung sein, denn Gott mußte als An-sich-sein zum Untergang verurteilt sein. Die Subjekt-Objekt-Spaltung mußte zurückgenommen werden. Der glaubende Mensch wurde als der von Gott hingenommene Mensch erkannt, dem Gott gar nicht objektiv gegenüberstand: Als die Existenz des Menschen war Gott nur da. Damit bog die evangelische Theologie in die 3

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Hierzu vgl.: Th. Mahlmann: Das Axiom des Erlebnisses bei Wilhelm Herrmann, Neue Zeitsdir. f. System. Theol. IV 1962, 11—88.

breite Straße des Existenz-Denkens ein. D a ß diese Wendung von einem Exegeten vollzogen wurde, daß sie sich offenbar exegetisch verantworten ließ, war für die Theologiegeschichte seither bedeutsam. Die entscheidende Frage ist dabei natürlich die: Was ist in diesen Positionen eigentlich Existenz? Dem haben wir unsere ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Bultmann sagt: „Als Existenz bezeichnen wir nicht etwa das bloße Vorhandensein, die Tatsache, daß etwas existiert = vorhanden ist, sondern die spezifisch menschliche Weise zu sein = das Sein des Menschen, dem sein Sein überantwortet ist, dem es problematisch werden kann, der von der Erfülltheit oder Unerfülltheit seines Seins reden kann, kurz das verantwortliche personhafte Sein, das als zeitliches Sein seine eigene Geschichte h a t " (GuV III, 107; vgl. K u M II, 193). Mit diesem Satz ist die Existenz beschrieben als das Sein, insofern es verantwortliche Entscheidungen trifft und als solches „da ist". Dieses Existieren ist eine menschliche Weise des Seins. Dieser Existenz-Begriff ist also ein streng anthropologischer Begriff. Weder eine Eiche noch ein Tiger kann in dieser Weise existieren. N u r der Mensch existiert. Seine Existenz aber impliziert: Verantwortlichkeit und Personalität. Bultmann hat diesen Begriff von existieren und Existenz von der Gefahr seiner Verengung auf das „innere Leben des Menschen" sehr bewußt abgehoben. Die „existentiale Interpretation", schreibt Bultmann, „will ja die wirkliche (geschichtliche) Existenz des Menschen, der nur im Lebenszusammenhang mit dem von ihm Verschiedenen', nur in den Begegnungen existiert, in den Blick fassen und verstehen!" (GuV II, 254). Das also heißt Existenz, daß Begegnung mit anderem stattfindet. So ist die „verantwortliche personhafte" Weise der Existenz gemeint. Sie ist als Begegnung da und ist als solche geschichtlich. Das ist wichtig! Existenz impliziert „das von ihm Verschiedene". Ohne diesen Begegnungscharakter, also ohne dieses Implikat des anderen, ist Existenz, die stets und nur menschliche Existenz ist, nicht Existenz. Hierzu ist zu bedenken, wie Bultmann anderen Orts den Begriff des geschichtlichen Daseins bestimmt. Er sagt: „Wir verstehen unter der Geschichtlichkeit des menschlichen Seins dieses, daß sein Sein ein Sein-Können ist. D. h., daß das Sein des Menschen seiner Verfügung entnommen ist, jeweils in den konkreten Situationen des Lebens auf dem Spiele steht, durch Entscheidungen geht, in denen der Mensch nicht je etwas für sich wählt, sondern sich selbst als seine Möglichkeit wählt" (GuV I, 118). In diesen Sätzen ist die Existenz klar als die geschichtliche gekennzeichnet, die menschliches Existieren als die Entscheidung in konkreten Situationen zeigt. Die Unverfügbarkeit dieser Existenz und ihre Geschichtlichkeit gehören ebenso zusammen wie ihre Entscheidungspunktualität und ihr Begegnungscharakter. Diese Entscheidungen spielen ja eine große Rolle: „Existenz ist jeweils Ereignis", 7

heißt es, „in den Entscheidungen des Augenblicks. Sie ist nichts Vorhandenes, sondern je und je Geschehendes. Mein Sein als Vater oder als Sohn, als Gatte oder als Freund läuft nicht ab wie ein Naturprozeß, sondern steht ständig in Frage und kann nur in meinen Entscheidungen gewonnen oder verloren werden. Die ihm eigene Kontinuität ist keine naturhafte, sondern eine geschichtliche." Bultmann fügt hinzu: „Das bedeutet natürlich nidit, daß die Entscheidung immer eine bewußte zu sein braucht" (GuV I I I , 117). Wie immer es mit der Kontinuität dieses Seins audi stehen mag, die Existenz ist als Entscheidung des Augenblicks Ereignis, in der sie vor die Möglichkeit von Existieren gestellt ist, um sich selbst, d. h. die Verantwortung oder sich selbst als zu übernehmende Verantwortung, in der Situation oder für die konkrete Situation zu wählen. Dabei muß es nun aber deutlich bleiben, daß die Philosophie diese Existenz nicht vermitteln oder eröffnen kann. „Sie sagt ihm (sc. dem Menschen) nur: du sollst existieren! — wenn nicht das sdion zu viel gesagt ist, und es besser heißen müßte: sie zeigt ihm, was Existieren heißt. Sie zeigt ihm, daß menschliches Sein im Unterschied von allem anderen Sein eben Existieren bedeutet, ein Sein, das sich selbst überantwortet ist und sich selbst zu übernehmen hat. Sie zeigt ihm, daß die Existenz des Menschen nur im Existieren zu ihrer Eigentlichkeit kommt, sich also nur immer jeweils im konkreten Hier und Jetzt verwirklicht. Sie meint aber nicht, durch existentiale Analyse das existentielle Verständnis des Hier und Jetzt zu beschaffen; sie nimmt dieses dem Menschen nicht ab, sondern schiebt es ihm gerade zu" (KuM I I , 193). So gewiß die Philosophie dem Menschen die Weise seines Menschseins als Existenz nicht geben kann, so gewiß ist das eben die Sache Gottes bzw. seines Wortes. Dazu sagt Bultmann: „Daß mir die Bibel nicht nur, wie andere Dokumente der Geschichte, eine Möglichkeit, meine Existenz zu verstehen, zeigt, für die ich midi entscheiden oder die ich abweisen kann, sondern daß sie darüber hinaus zu dem mich persönlich anredenden Worte wird, das mir Existenz schenkt, das ist eine Möglichkeit, die ich nicht vorausnehmen und als methodisches Prinzip der Auslegung in Rechnung stellen kann" (KuM II, 191 f). Existenz wird also als gläubige geschenkt und ist als diese geschenkte oder als gläubige Existenz stets auch als neues Verständnis von Existenz beschreibbar. Der Glaube ist eine „Weise der Existenz. Und deshalb versteht auch der Glaube die Offenbarung nicht als etwas Neues, sondern versteht sie nur, indem er sich in ihr neu versteht. Das glaubende Existieren vollzieht sich in einem neuen Verstehen der Existenz" (GuV I, 297). Diese Verdeutlichung von Existenz ist sicher keine „Beschränkung" des Glaubens auf ein „sich selbst" Verstehen, wie Gollwitzer (Existenz Gottes, S. 25) meint. Es geht viel8

mehr um den Gegensatz zu der als „etwas" verstandenen Offenbarung, die nur als mit der Existenz aufzunehmendes Begegnen gekennzeichnet wird. Das geschieht unter dem wichtigen Kennwort „verstehen". Existenz ist menschliche Existenz und als solche verstehende Existenz. Daher kann der Vollzug von Existenz als „Verstehen der Existenz" gekennzeichnet werden. Das „persönlich anredende Wort" oder der Glaube als Begegnung oder Gott als der Kommende schenken Existenz, insofern sie die Unverfügbarkeit von Existieren am Begegnenden als verantwortlich übernommenes Selbst-Sein eröffnen. Damit stehen wir wieder vor der Frage, als was das Handeln Gottes oder Gott von uns erfaßt werden kann. „Von Gottes Handeln reden, heißt zugleich von meiner Existenz reden" (KuM I I , 196), sagt Bultmann. Wir sind Gottes und seines Handelns nicht anders inne als, indem wir in und mit unserer Existenz von Gott so getroffen sind, daß wir uns selbst in Verantwortung als unsere Möglichkeit ergreifen. Dieses Handeln Gottes an uns ist objektivierend nicht feststellbar, „so daß der geschlossene Zusammenhang des weltlichen Geschehens, der sich dem objektivierenden Blick darbietet, unangetastet belassen wird" (KuM I I , 196). Das Geschehen also, das mir begegnet, ist als solches nicht etwa göttliches Wirken. Göttliches Wirken ist nicht überhaupt und als solches in der Welt da, so daß es theologisch demonstriert werden könnte. Aber „der christliche Glaube glaubt, daß Gott jeweils an mir handelt, zu mir spricht" (KuM I I , 197). Der Ton liegt auf dem „jeweils"! Dieses „jeweils" meint die unverfügbare Kontingenz des Handelns Gottes, und das heißt seine augenblickhafte Jeweiligkeit, die als mein Betroffensein und in die Entscheidung Gestelltsein da ist. Ich kann des Handelns Gottes nicht anders gewahr werden als so, daß ich mich in die Entscheidung gestellt finde, mich in Verantwortlichkeit zu übernehmen, d. h. zu existieren. Indem ich Gottes so gewahr werde, werde ich meiner selbst gewahr. Und das bedeutet: Von Gottes Handeln reden heißt von meiner Existenz reden! Dabei muß noch ein Mißverständnis ausgeschlossen werden. Es könnte ja sein, daß man meint, dieses Existieren sei ein Mit-Sich-Allein-Sein des Existierenden, eine reine Selbstbezogenheit seiner als auf sich selbst Beschränktsein. Aber das ist ja insofern schon ausgeschlossen, als diese Existenz nur als Begegnung existiert und also nur geschichtlich da ist bzw. nur als „verantwortliches" Sich-Übernehmen von Bultmann gesehen ist. Das heißt also, „daß im existentiellen Selbstverständnis das Selbst mit sich zugleich das Begegnende versteht, die begegnenden Personen . . . Als geschichtlich existierendes Selbst bin ich weder isoliert gegen meine Welt noch gegen meine Vergangenheit und Z u k u n f t . . D a s heißt aber auch,

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daß mir in und aus solchen Begegnungen „ein neues Selbstverständnis geschenkt" wird, wie die Welt darin eine andere wird! „Eben das gleiche gilt für das Selbstverständnis des Glaubens" (KuM II, 201 f)! Also das Existieren oder die Existenz geschieht aus der Begegnung oder geschichtlich und ist als solches damit „personal" oder am Gegenüber erwachsen und ohne dies Begegnende nicht da! Das heißt, daß Existenz eben das Gegenteil von Selbstbezogenheit oder ähnlichem ist. J a , Existenz vor Gott ist „Preisgabe meiner selbst" (GuV III, 120), ist Uberschreiten des eigenen In-Sich-Festhängens, denn Gott begegnet mir als „der ganz Andere", der mir als dem Schuldigen gegenübertritt und daher meine Existenz als diese schuldige zu sich selbst bringt, um sie in der Anerkenntnis dieses Verhaltens zu rechtfertigen. Dies alles aber ist kein Status in dem Sinne, daß dies eines Tages dann so sein und bleiben könne. „Gott ist ,der Gast, der immer weiter geht' (Rilke); in keinem Jetzt ist er als der Bleibende faßbar, sondern als der, der immer neu meine Entscheidung fordert, steht er immer als der Kommende vor mir, und diese seine ständige Zukünftigkeit ist seine Jenseitigkeit" (GuV III, 121). Damit haben wir die verschiedenen Hinsichten von Existenz vor uns. Es ist ganz deutlich: Gott ist in keinem Jetzt von Begegnungen faßbar. Gott ist immer mehr, als sein einzelnes Hervortreten hergibt. Insofern ist er der Kommende und Jenseitige. Oder der Jenseitige, das ist Gott in seinem Gottsein, ist Gott als der, der immer neue Entscheidungen herausfordert. Der Begegnungs-Charakter also als Konstitutivum von Existenz, in dem das Neuwerden von Existenz aus Gott angelegt ist, garantiert in dem Nacheinander der Entscheidungs-Augenblicke die Jenseitigkeit Gottes und die Geschichtlichkeit von Existenz.

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III. Wenn wir das Werk Bultmanns auf die Thematik der Existenz hin ansehen, so ist die innere Einheitlichkeit der Konzeption dieser Existenz sehr deutlich. Dabei ist es erstaunlich, wie Bultmann von 1925 an diese Konzeption der Existenz die ganzen langen Jahrzehnte hindurch festzuhalten vermochte. Die Formulierungen tauchen am Anfang wie am Ende univoce auf, und der mit ihnen gemeinte Sachverhalt blieb offenbar das eine unveränderte Internum. Unter den Schülern Bultmanns haben sich demgegenüber in sehr verschiedenen Richtungen sehr weitgehende Weiterentwicklungen des Ansatzes vollzogen. Diese Weiterentwicklungen haben sich alle zumal als Veränderung im Thema der Existenz erwiesen. Zum Teil scheint dies Thema ganz verloren, zum Teil scheint es sehr verwandelt zu sein. Bultmann hat keine „Kehre" mitgemacht. Nur an einer Stelle scheint die Intention Bultmanns im Thema der Existenz als sie selbst weiterentfaltet vorzuliegen, und zwar scheint uns das bei Herbert Braun der Fall zu sein. Die Thematik der von Bultmann angeschlagenen Probleme war ja gerade in der Thematik der Existenz die Überwindung der sogenannten Subjekt-Objekt-Spaltung. Damit war audi stets das Problem nach der möglichen objektiven Bestimmbarkeit der theologischen „Inhalte" im Gespräch. Dies Gespräch hat sich nun in den letzten Jahren auf die Frage nach der Existenz Gottes zugespitzt. Den Anstoß gaben einige Aufsätze von Herbert Braun, zumal der Aufsatz über „Die Problematik einer Theologie des Neuen Testamentes", und das gegen Braun geschriebene Buch von Helmut Gollwitzer über „Die Existenz Gottes im Bekenntnis der Kirche". Gollwitzer geht dabei in der Bestreitung Brauns ganz richtig von Bultmanns Intentionen aus. In Bultmanns Denken von der Existenz liegt der Ansatz für Brauns Thesen. Aber so richtig dieser Ausgangspunkt gewählt ist, so fraglich ist seine Charakterisierung Bultmanns. Gollwitzer meint, es könne und müsse „nun aber gezeigt werden, inwiefern Bultmann hier eine unentschiedene Zwischenstellung einnimmt, die ihn hindert, entweder klar von Gott in seiner selbständigen Wirklichkeit zu sprechen oder die Rede von Gott als eine uneigentliche ganz in die Selbstauskunft des Denkens über die Möglichkeiten menschlichen Seins hineinzugeben" (Existenz Gottes, S. 22). Nach unseren Feststellungen zum Thema der Existenz bei Bultmann ist sehr leicht zu zeigen, daß diese Meinung Gollwitzers unbegründet ist. Bultmann hat gar keine unentschiedene Zwischenstellung eingenommen. Zumal ist das Entweder-Oder,

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das Gollwitzer hier Bultmann zumutet, eine unangemessene Fragestellung. Es geht gar nicht darum, von Gott entweder als von einer »selbständigen Wirklichkeit", oder als von einer bloßen „Möglichkeit menschlichen Seins" zu sprechen. Diese Fragestellung ist als solche unangemessen und der Sache, um die es geht, nicht konvenient. Bultmann postuliert allerdings: Mit der Rede von der menschlichen Existenz kann allererst die Rede von der Existenz Gottes anheben. In dieser Existenz als einer geschichtlichen ist aber „der von ihr Verschiedene" (!), das ist Gott, als der Begegnende impliziert. Diese Implikation gehört per definitionem zur Existenz! Bultmann tendiert mit der Existenz zwischen den beiden falschen Alternativen, daß Gott nämlich entweder „selbständige Wirklichkeit" d. h. objektives Gegenüber des Menschen sei, oder daß Gott im Menschen aufgehe, auf die allein mögliche Mitte. Als Existenz qua Begegnung ist Gottes sich schenkende Wirklichkeit präsent. Aber Gott geht in seiner augenblickhaften Präsenz so wenig auf, daß er nur als der Kommende glaubend beschrieben werden kann. Als der Kommende ist Gott aber „der Jenseitige", wie er als der unsere Schuld mit seiner in die Entscheidung rufenden Präsenz Enthüllende „der ganz andere" ist. Es ist also ein Mißverständnis der Grundintention Bultmanns, ihm die genannte Zwischenstellung oder Unentschiedenheit zuzumuten, weil diese scheinbare Zwischenstellung gerade die Position ist, auf die es ankommt! Die bemängelte Zwischenstellung ist der Weg zwischen dem dogmatischen Reden von „Gott an sich" — was sollen wir schon von diesem An-sich wissen können — und dem psychologistischen Schwärm von „Gott in uns" — was soll dem Menschen damit schon gegeben sein — hindurch. Diesen Weg in ihrer Sprache zu finden, das ist die Aufgabe von Theologie in jeder neuen Generation. Bultmann hat diesen Weg mit erstaunlicher Beharrlichkeit mit der Thematik der Existenz beschritten. Aber es scheint schwer zu sein, mit den Begriffsmitteln, die der frühe Heidegger in seiner Existentialen Analytik bereitstellte, das unmißverständlich auszudrücken, was ausgedrückt werden muß, daß nämlich Gott ein Wort, Name oder Begriff ist, mit dessen Nennung man nur dann etwas sagt, wenn man von diesem Gott in seiner Existenz betroffen ist, daß man nicht abstractive oder theoretice von diesem Gott sprechen kann, daß aber das sogenannte existentielle Angerührtsein von ihm nun keineswegs bloß innersubjektiv oder nur bewußtseinsimmanent sei! Daher rührt es denn wohl, daß Gollwitzer zu so tiefgreifenden Fehlansätzen, wie der genannten „unentschiedenen Zwischenstellung" Bultmanns, kommen kann. Diese Beobachtung von dem Hiatus zwischen Intentum und Begriff drängt sich noch stärker auf, wenn wir die Position Herbert Brauns in seinem Aufsatz „Die Problematik einer Theologie des Neuen Testamen12

tes" ansehen. Brauns Position ist dadurch charakterisiert, daß er den Begriff der Existenz als „Mitmenschlichkeit" konkretisiert verwendet. Braun zeigt, wie das System Bultmanns sich ausnimmt, wenn der sehr „formale" Charakter von Existenz inhaltlich aufgefüllt und ζ. B. als „Mitmenschlidikeit" gefaßt wird. Braun demonstriert dies an fünf zentralen Punkten der neutestamentlichen Botschaft: 1. An dem Bilde Jesu. 2. An der Frage nach dem Heil des Menschen. 3. An der Stellung zum Gesetz. 4. An der Frage nach dem Weltende. 5. An der Frage nach den Sakramenten. Braun kann nun ja leicht zeigen, daß die Zeugnisse des Neuen Testamentes in Bezug auf diese fünf zentralen Punkte nicht einheitlich sind, ja daß im Materialen der Antworten, die in den verschiedenen neutestamentlichen Schriften gegeben werden, tiefe Gegensätzlichkeiten sichtbar werden. Zugleich meint Braun zeigen zu können, daß diese Gegensätze sich in einer „höheren Einheit" aufgehoben finden. Aber die Gewinnung dieser „höheren Einheit" ist nicht so einfach. Sie geschieht nach Braun in einer „vertieften Problematik". Das heißt, sie geschieht darin, daß der weltbildhafte Horizont der Antworten der neutestamentlichen Schriftstellen — zumal ihre „antike religiöse Vorgabe" — als „objektivierendes Denken" erkannt und mit dieser seiner ganzen, in sich disparaten „Dinghaftigkeit" auf das Existential hin durchstoßen wird. Braun vollzieht damit einen Denkprozeß, der formal dem völlig analog ist, was Bultmann gelehrt hat. In der Frage nach Jesus und der christologischen Explikation Jesu also wird die genannte „vertiefte Problematik" in der Begegnung Jesu gefunden, die den Begegnenden mit der Liebe beschenkt, die seine Existenz auf Lieben hin erneuert. „Jesus ist also nicht einfach d a " (Theologie, S. 12), sondern sein Begegnen ereignet die Liebe. Auch die christologische Explikation der Begegnung kann nicht in „naiver Gegenständlichkeit" angemessen aufgefaßt werden, als sei Jesus vorfindlicher Maßen der Messias. Das ist ja auch ganz unbezweifelbar. Braun schließt: „Jesus geschieht je in meinem ,Ich darf' und ,Ich soll'; und zwar im Rahmen der Mitmenschlichkeit; und soldi Geschehen sprengt die Gegenständlichkeit des Gegebenen" (Theologie, S. 13). Das heißt also: Die in der Begegnung Jesu mit einem Menschen diesem geschehende Beschenktheit mit Liebe („ich darf") und das darin gegründete Freiwerden dieses Menschen zur Liebe („ich soll"), stellt das Geschehen oder Ereignis dar, in dem und durch das dieser Jesus seine eminente Gewichtigkeit „ist". Diese Gewichtigkeit — als Existential — drückt sich in den Prädikationen als Prophet, Messias, Menschensohn und Kyrios aus. Damit hat Braun die scheinbare Gegebenheit des Jesus als des Messias auf die Existenz hin, wie Bultmann sie charakterisierte, vertieft. Aber Braun hat zugleich diese Existenz inhaltlich aufgefüllt und als 13

Mitmenschlichkeit charakterisiert. Diese Mitmenschlichkeit, „in der" Jesus geschieht, ist das Stichwort, unter dem die Sprengung der „Gegenständlichkeit des Gegebenen" angesetzt wird. Ganz analog ist Brauns Vorgehen hinsichtlich der Frage nach den Bedingungen des Endheils. Auch hier konstatiert Braun die naive Gegenständlichkeit, die dies Endheil als „Lebensverlängerung oder Lebensweiterführung" sieht. Das Zerbrechen dieser naiv verdinglidienden Vorstellungen geschieht in Worten wie ζ. B. Luk. 17,7—10 von dem Knedite, der alles tat, und der zu dem Bekenntnis, er sei ein unnützer Knecht, kommt. In diesen Worten, wie auch ζ. B. der Vorstellung des Paulus, daß sein „Lohn" eben die unentgeltliche Predigt sei (1. Kor. 9,18), wird der ganze in sich sehr disparate Vorstellungsbereich „von den Höhen einer metaphysischen sogenannten Welt Gottes herabgeholt auf den profanen Boden rechter Mitmenschlichkeit" (Theologie, S. 14). Der Gedankengang Brauns ist hier ganz so gefaßt, wie es soeben an der Frage nach Jesu Bedeutung gezeigt wurde. Die Kennzeichnung der Ebene der Mitmenschlichkeit als „profaner Boden" ist von den antiken Vorgaben religiöser N a t u r aus gesagt, wohl aber nicht als Gegensatz zu dem Charakter der Mitmenschlichkeit. Der Stellenwert der rechten Mitmenschlichkeit ist also auch hier der Bultmannschen Existenz analog. Zumal das, was bestritten wird, dieser ganze Bereich von antiken religiösen Vorstellungen, die objektivierend oder verdinglichend verstanden werden — es bleibe dahingestellt, ob das so stimmt — der also identisch gesetzt wird mit naiver Verdinglichung der Welt, dieser ganze Bereich ist ganz analog zu Bultmanns Tendenzen gesehen und gewertet. Brauns Lehre von der Uberführung dieser antiken verdinglidienden Religion ins Existential umspannt also die sogenannte Entmythologisierung wie die Existentialisierung. Es wird bei Braun besonders deutlich, wie beide Seiten des Vorgehens einen Prozeß bilden. Wir brauchen den anderen Momenten wohl nicht im einzelnen zu folgen. Aber die Zusammenfassung ist noch besonders wichtig. Hier überträgt Braun die einzelnen Teilaspekte auf die „tiefer liegende Problematik" selbst. Das ist die Frage: „Gott als dinglich und gegeben und Gott als nicht-dinglich und nicht-gegeben" (Theologie, S. 17). Damit ist als die „tiefer liegende Problematik" die zentrale Fragestellung des Bultmannschen Denkens von der Existenz eingeführt. Braun meint, es finde sich im Neuen Testamente nun allerdings Vergegenständlichung Gottes. Aber das entspreche „nicht dem eigentlichen Trend des Neuen Testamentes". Die der „eigentlichen" Tendenz des Neuen Testamentes nach Braun angemessenen Erhebungen müssen so wiedergegeben werden: „Gott heißt . . . das Woher meines Umgetriebenseins. Mein Umgetriebensein aber ist bestimmt durch das ,Ich darf' und ,Ich soll'; bestimmt durch Geborgensein 14

und durch Pflicht. Geborgenheit und Pflicht aber kommt mir nicht zu aus dem Weltall, sondern vom Anderen her, vom Mitmenschen; auch das Wort der Verkündigung und die Tat der Liebe erreichen mich ja . . . vom Mitmenschen her . . . In Gott bleiben hieße dann also, im konkreten Akt der Zuwendung zum Anderen bleiben . . . Ich kann von Gott nur reden, wo ich vom Menschen rede" (Theologie, S. 18). Diese Sätze zeigen am Schluß die Formel Bultmanns, daß ich von Gott nur reden kann, wo ich vom Mensdien rede. Braun fügt hinzu „also anthropologisch". Er ergänzt diese Feststellung: „Ich kann von Gott nur reden, wo mein ,Ich soll' kontrapunktiert wird vom ,Ich darf' — also soteriologisch" (Theologie, S. 18). Dieser soteriologisdie Aspekt ist „natürlich" am Menschen erhoben und meint den Grund der Mitmenschlichkeit in der Liebe Gottes als Jesus von Nazareth, sofern diese Liebe als mein „Ich darf" an mir „geschieht", wie wir oben sahen. Dieser Sachverhalt der Mitmenschlichkeit ist gegründet „im unbedingten ,Ich darf' und ,Ich soll'", das ist seine Eigenart und Auszeichnung. Aber der Weg dieser Eigenart zum Menschen oder die Vermittlung dieser Unbedingtheit ist an Mitmenschlichkeit gebunden. Mit diesen Explikationen an der Mitmenschlichkeit ist logisch der Schluß zwingend: „der Mensch als Mensch, der Mensch in seiner Mitmenschlichkeit impliziert Gott. Vom Neuen Testament her wäre das immer neu aufzudecken. Gott wäre dann eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit" (Theologie, S. 18). Die hypothetische Form dieser konjunktivischen Sätze zeigt, daß es sich um rein logisch gefolgerte Konklusionen handelt: wenn dieses so ist — dann müßte jenes so sein. Es handelt sich nicht um Erhebungen aus dem „Geschehen" Jesus oder Gott. Diese Schlüsse sind darum wichtig, weil sie zeigen, in welche Aporie der Versuch führt, den Formalbegriff der Existenz Bultmanns inhaltlich anzureichern, als Mitmenschlichkeit zu konkretisieren und so anzuwenden: Gott eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit. Dieser Schluß ist nichts anderes als eine contradictio in adiecto, denn Gott ist als Name oder Begriff nur solange das, als was ihn das Alte und Neue Testament ebenso wie die Reformation prädizieren, solange er keinem Oberbegriff als seine species zugeordnet werden kann. Gott ist weder als Spezialfall des bonum, worüber sich das Mittelalter unterhielt, noch als bestimmte Art der Mitmenschlichkeit zu deklarieren. Alle solche Versuche sind in der logischen Deduktion vielleicht schlüssig, aber in sich „un-sinnig". Was für uns wesentlich ist, das ist folgende Beobachtung. Diese Gott und sein Handeln konkretisierende Begrifflichkeit von Mitmenschlichkeit ist ja als Existential konzipiert. Sie hat im existentiellen Gestelltsein durch die Verkündigung ihren Sitz. Sie ist als solche auch ebenso „richtig" wie unwidersprechlich. Es kann ja nicht geleugnet werden, daß von Gott 15

nicht unbeteiligt geredet werden kann, daß man Gott nicht theoretisch erörtern kann, sondern daß man nur unter Voraussetzung und im unmittelbaren Zusammenhang der Betroffenheit von diesem Gotte reden kann. Ebenso kann es nicht bestritten werden, daß alle Glaubenskennzeichnungen im Neuen Testament sich auf die A g a p e Gottes beziehen und diese A g a p e Gottes als Verbindlichkeit zur Nächsten- und Bruderliebe ansehen. D a s heißt: Der von der A g a p e Gottes beschenkte Glaube lebt als Mitmenschlichkeit. In dieser Mitmenschlichkeit als inhaltlicher Konkretisierung aber — das ist das Fatale — ist der „Begegnungscharakter von Existenz" festgelegt auf den anderen Menschen! D a m i t aber ist Gott emendiert und ausgeschlossen. Es w a r aber die A g a p e Gottes, die gemeint war. Sie ist verloren gegangen, und die Schlüsse landen in einer contradictio in adiecto. Bei Bultmann war das anders als bei Braun. Der rein formale Begriff Existenz ließ es in seinem Begegnungscharakter noch zu, an Gott als „den Verschiedenen" und „den ganz Anderen" zu denken. In der inhaltlichen Anreicherung der Existenz auf die „Mitmenschlichkeit" hin ist das offenbar nicht mehr möglich. Dieser Begriff trägt das nicht, was er tragen soll. „Mitmenschlichkeit" ist ein Relationsbegriff, dessen beide Seiten festgelegt sind, gegenüber der „Existenz", die nach Bultmann auch ein Relationsbegriff ist, denn sie impliziert als „solche" Begegnung. Aber in der „Existenz" sind nicht die beiden Seiten inhaltlich prädisponiert. Wenn Braun davon spricht, daß es in dieser sogenannten „Mitmenschlichkeit" um ein Engagiertsein im „unbedingten ,Ich d a r f ' " gehe, so zeigt er damit sehr deutlich, daß er gar nicht daran denkt, wie Gollwitzer meint, etwa atheistischen Intentionen zu huldigen, bzw. sich nicht gegen solche Unterstellungen oder Folgerungen gewehrt zu haben. Aber man kann wohl fragen, ob solche „Unbedingtheit" in der konkreten Charakterisierung der „Mitmenschlichkeit" eigentlich untergebracht werden kann? Oder ist diese „Mitmenschlichkeit" doch nur ein Transparent, das Braun vor die Transzendenz Gottes als Blickfang aufhängt, und das man „durchschauen" muß, um hinter den Sinn zu kommen? D a s ist ja wohl nicht so. D a n n aber ist der Charakter der „Unbedingtheit" mit der „Mitmenschlichkeit" nur schwer zu verbinden. Wir würden nach diesen Überlegungen daher geneigt sein zu sagen: Der Versuch Herbert Brauns, die Intention der Thematik der Existenz von Bultmann unter der inhaltlichen Konkretisierung der Mitmenschlichkeit aufrecht zu halten, scheitert an der Tragweite der gewählten Begrifflichkeit. Die Festlegung des Begegnungscharakters der Existenz auf die Mitmenschlichkeit schließt Gott eben aus oder ist gezwungen, von Gott in unangemessener Weise zu reden. 16

Wir werden durch diese Lage bei Braun auf eine Problematik aufmerksam, die offenbar schon bei Bultmann in seiner Aufnahme des Existenz-Begriffes Heideggers angelegt war. Das angeführte Mißverständnis Gollwitzers zeigt das ja sehr deutlich. Die Debatte um Bultmann hat das ja auch schon immer wieder einmal aufklingen lassen. Es ist die Frage, ob der Existenz-Begriff Heideggers es trägt, in seinem geschichtlichen oder Begegnungs-Charakter als „den Verschiedenen" Gott anzunehmen. Bultmann macht das so, daß er die unabschließbare Momentaneität der Begegnung auf Gott als den Kommenden und so als den „Jenseitigen" verweisen läßt. Aber auch in dieser Auffassung bleibt ja die Frage, ob der berechtigten Tendenz, die Aussage des Glaubens von Gott aus der Subjekt-Objekt-Spaltung herauszuholen, in der Existentialisierung der Rede von Gott wirklich so Genüge getan ist, daß nicht wesentliche Momente dieser Gottesaussage verlorengehen.

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IV. Unsere Überlegungen zu der Thematik der Existenz in der zeitgenössischen Theologie haben uns vor Fragen gebracht, die unabweisbar sind und die sich darauf richten, ob die Rezeption der Begrifflichkeit des frühen Heidegger in der Theologie in der Lage ist, den notwendigen Intentionen der Theologie so zu dienen, daß dabei das Ziel, Gott aus seinen Wirkungen heraus zur Aussage zu bringen, gesichert wird. Wir meinten sagen zu müssen, daß dies nicht der Fall zu sein sdieint. Es scheint vielmehr so zu sein, daß mit dem Versuche, die Rede von Gott aus der für sie tödlichen Objektivation mit Hilfe des Heidegger'schen Existenzbegriffes zu befreien, diese Rede von Gott in die Gefahr gerät, Gott „in seinem Gegenüber" bzw. als „den Anderen" zu verlieren. Dieser Verlust sdieint unvermeidbar, wo die Thematik der Existenz inhaltlich konkretisiert als „Mitmenschlichkeit" gebraucht wird. Wir haben in unseren Überlegungen dem zugestimmt, daß die Rede von Gott aus allen Objektivationen genommen werden muß. Wir haben uns der Einsicht bedient, daß der historisch wirksame Anstoß zu diesen Objektivationen von Descartes ausging. Wenn wir nun sehen, wie der Gegenstoß gegen den Ansatz Descartes' offenbar darin endet, daß Gott als Mitmenschlichkeit der res cogitans anheimfällt und in ihr als species in ihrem genus aufgeht, so wäre mit der Terminologie Heideggers die Sache Descartes' nicht beseitigt, sondern auf das denkende Ich hin perfektioniert! Von diesen Überlegungen aus stellt sich die Frage, wie diese Thematik der Existenz Gottes in der Theologie eigentlich aussieht, wenn man die Bereiche des vor-descartes'schen Denkens aufsucht und von dort aus dieses Problem durchdenkt. Wir gehen dabei von dem Problem der Existenz aus, wie es sich in der viel benutzten Metaphysik Christoph Scheiblers darstellt, um von da aus weiter nach der Existenz Gottes zu fragen 4 . Existenz kann, das ist zunächst deutlich zu machen, in verschiedener Weise gebraucht werden. Einmal kann Existenz ganz grundsätzlich den Unterschied von Sein oder Nichtsein anzeigen. In dieser grundsätzlichen Weise kann aber von der Existenz der Akzidentien nicht gesprochen wer4

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Ich benutze zur Darstellung: Christoph Scheibler: Metaphysik, Genf 1636, als: Met; Christoph Scheibler: Epitome Metaphysica, Gießen 1618, als: Ep. Ich zitiere in den Sigla, wie idi sie in „Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung" I. Teil, Gütersloh 1964, angab.

den. D a r u m muß man Existenz als Bezeichnung für „jede Weise" nehmen, „wie eine Sache de facto in der Welt ist" 5 . Diese Feststellung ist von großer Wichtigkeit für uns. Wenn wir nämlich mit Scheibler von der Existenz Gottes reden, so tun wir das nicht in dem grundsätzlichen Sinne der Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht. Diese Frage ist positiv beantwortet vorausgesetzt! Es geht in der Frage nach der Existenz vielmehr um die Weise, wie das de facto in der Welt-Sein Gottes beschrieben werden kann*. Wie Existenz nun näher gemeint sei, das verdeutlicht Scheibler zunächst etymologisch. Existere nämlich besagt etymologisch ein extra sistere! Dieses extra sistere aber bezieht sich darauf, daß eine Sache sistitur extra causas 7 ! Eine Sache, die also über ihre Ermöglichung hinaus in ihre Verwirklichung eintritt, existiert. Scheibler erläutert dies in seiner Epitome metaphysica so: „Existenz . . . ist ein solcher Vorgang, durch den eine Sache aus dem möglichen Sein (ex esse possibili) hervorgeholt wird. Wobei dennoch dies Hervorholen nicht effective sondern formaliter zu verstehen ist" 8 . D a s heißt: in dem Vorgang, den Existenz darstellt, ist nicht auf ihre sachliche Bewirkung sondern auf das abgehoben, „durch das sie ist, was sie ist", also die forma. Dies bedeutet also: Existenz meint einen Vorgang, und zwar meint Existenz den Vorgang, in dem oder als der eine Sache aus der Möglichkeit in ihre Verwirklichung eintritt — aber nicht nach der Wirkursache betrachtet. D a s heißt, einen Tisch nach seiner 5

Scheibler: „ E s ist zu beachten, daß Existenz in doppeltem Sinne gebraucht w i r d : Einerseits besonders zur Bezeichnung von Existenz in ganz grundsätzlicher Art, in welchem Sinne die Existenz von Nichtexistenz unterschieden wird. U n d so existieren allein eigenständige Subjekte (supposita); die Teile der Subjekte, nämlidi die Akzidentien, werden in diesem Sinne nicht als existent, sondern als nichtexistent bezeichnet. Andererseits wird Existenz allgemeiner gebraucht für jede Weise, in der irgendeine Sache de facto in der Welt ist. So kommt ,Existieren' auch den Akzidentien und Teilen zu, wie ihnen ja auch Wesen (essentia) zukommt, was unten klarer w i r d . " (Met II c X V , 3).

" Die Gottesfrage steht auch bei Scheibler von vornherein mit im Blickpunkt. Scheibler sagt zu A n f a n g : „Es ist vorweg zur Kenntnis zu nehmen: Existenz komme auch G o t t zu. Daraus folgt, daß das, was im allgemeinen über Existenz gesagt wird, auch Gott angemessen sein muß. U n d das Gegenteil: Nichts kann über Existenz im allgemeinen gesagt werden, was Gott widerstreitet." (Met II c X V , 4). 7

Scheibler: „Dieser Kennzeichnung entspricht die Etymologie bestimmter Leute, denen existieren etwas wie heraus-stehen (extra sistere) besagt, weil als Existenz (per existentiam) eine Sache über die Ursachen heraussteht (sistitur extra causas)." (Met II c X V , 2).

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E p II d X I V , 14.

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Existenz ansehen, heißt, ihn actu, also als Vorgang von Verwirklichung ansehen. Aber das soll nicht nach seiner Wirkursache (effective) angesehen sein, also nicht daraufhin, daß und wie ein Architekt, ein Werkzeichner und ein Tischler ihn gemacht haben, so daß der Tisch nun da ist. Es heißt vielmehr, den Tisch auf das hin ansehen, durch das er ist, was er ist — also formaliter. Der Tisch wird dadurch zum Tisch, daß man an ihm schreiben oder essen oder arbeiten kann. Was den Tisch also als Tisch zum Tisdi macht, das soll in seiner Verwirklichung angesehen werden — und so sehe ich eine Sache auf ihre Existenz an! Existenz ist also ein für jede Sache wie für jeden Menschen zentraler Vorgang, ja sie ist als Verwirklichung der zentrale Vorgang. Bei einem lebendigen Wesen wird die ganze Tiefe dieser Betrachtung noch viel einsichtiger. Existenz eines Menschen ist als dieser Vorgang von Verwirklichung niemals abschließbar. Existenz ist ein Begriff für das Wort „Werde, was D u von Deiner Angelegtheit her bist!" Dabei wird man betonen, daß diese Existenz als Verwirklichung als actu existere nicht das moderne „aktuell" oder „augenblickhaft" meint, sondern einen Vorgang in der Zeit. Existenz gehört mit der Frage der Ständigkeit zusammen. Die duratio ist bei vielen Philosophen der Zeit ein Teil von existentia. Existenz ist der zeitliche Vorgang, in dem ein Wesen das, wodurch es ist, was es ist, über die Möglichkeit hinaushebt in die Verwirklichung. Dieser Existenz-Begriff, mit dem Scheibler arbeitet, ist — das fällt uns sogleich auf — nicht ein anthropologischer Begriff, wie der moderne Existenzbegriff bei Bultmann. Der moderne Existenz-Begriff ist dem menschlichen Dasein abgenommen. Er erweist sich damit als Begriff, der unter der Voraussetzung Descartes' gewonnen wurde. Der Existenz-Begriff Scheiblers ist vom vorausgesetzten Sein aus gedacht, das in seine Verwirklichung tritt. Dieser Begriff ist zunächst „ f o r m a l " . In diesem Ansatz sind Gott, Welt und Mensch wie in einem Griff miteinander bedacht. Gott wie Welt und Mensch verhalten sich in diesem Vorgang, über die Möglichkeit hinaus und aus den Möglichkeiten heraus als actus dazusein und so zu ek-sistieren, analog. Mit diesem Existenz-Begriff sind Gott, Welt und Mensch vorgängig auf ein formales Analogon hin ausgelegt, das es möglich macht, daß sie miteinander ins „Gespräch" und zum „Verstehen" kommen. In allem Wirklichen läßt sich der modus der Möglichkeit in seiner Verwirklichung anschauen. Mit diesem Existenz-Begriff ist der actus von Gott, Welt und Mensch in die Mitte gerückt. Unter dieser Verwirklichung existieren Gott, Welt und Mensch analogice. Daher ist dieser Existenz-Begriff nicht anthropologisch. Er geht über das Menschliche weit hinaus. Er öffnet den Lebensraum des Menschen zu Gott und Welt, indem er den Menschen in einer großen Gott und Welt analog umfassenden Bewegung sehen läßt, die auf Realität zugeht. 20

Die ganze Reichweite des Existenz-Begriffes wird im Zusammenhang der Tatsache geklärt, daß dieser Existenz-Begriff auf Grundbestimmtheit (substantia) wie auf die einzelnen Eigenarten (accidentia) eines Wesens im Zuge ihrer Verwirklichung angewendet werden soll und kann. Nach der oben (Anm. 5) angeführten Grundüberlegung, wie der Begriff des Existierens gebraucht werden kann, war eben diese die Eigenarten umfassende Weise gewählt. Damit ist dieser Begriff als transcendens gebraucht, als ein Begriff, der Substanz und Akzidenz beide betrifft®. Mit dieser Überlegung verbindet Scheibler die Aufstellung von Realität, die allererst durch Existenz gegeben ist10. Ein nur mögliches Wesen ist in sich nichts11! Damit ist der erste wichtige Schritt daraufhin getan, Wesen und Existenz aneinander zu binden 12 . Hier werden Essenz und Existenz unter dem Begriff der Realität verbunden gezeigt. Existenz ist stets Verwirklichung eines Wesens, das existierend Realität gewinnt, und das heißt, nicht Nichts ist. Das geschieht also als der Vorgang, in dem ein Wesen sein Möglichsein übersteigt und real wird, das heißt: existiert. Wir stehen damit vor der entscheidenden Position dieses Denkens, daß nämlich essentia und existentia zwar unterschieden sind, daß sie aber nicht realiter und auch nicht modaliter sondern sola ratione unterschieden sind 13 . Die Existenz fügt dem Wesen in seiner Möglichkeit nämlich nichts über das Verwirklichen hinaus hinzu 14 . Die Existenz ist also die Essenz — aber als verwirklichte oder als über ihr Möglichsein hinausstehende. Dies ist mit der Eigenart der Existenz als transcendens gegeben: Transzendentien „implizieren das Wesen selbst" 1 5 . Das Wesen selbst also existiert • Sdieibler: „Denn transcendens w i r d genannt, w a s Substanz und Akzidenz gemeinsam betrifft (praedicatum commune)." (Met II c X V , 8). 10

Sdieibler: „Woraus deutlich erhellt, d a ß ein Seiendes (ens) alle Realität in sich hat als Existenz (per existentiam)." (Met II c X V , 8).

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Sdieibler: „weil das, was möglich ist, in sich nichts ist." (Met II c X V , 8).

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Scheibler: „ S o erscheinen also da, wenn in dem sich verwirklichenden Seienden (in Ente actuali) Wesen und Existenz einbegriffen sind, nidit zwei Sachen, weil ein Wesen alle Realität, die es hat, darin hat, daß es in Verwirklichung (actualis) d . h . existierend ist." (Met II c X V , 8; vgl. E p I d i X I V , 7).

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Scheibler: „ U n d so bleibt endlich der Sdiluß übrig: Essenz und Existenz unterscheiden sich 1. nicht realiter, und 2. nicht modaliter, sondern 3. nur logisch (sola ratione), wobei dennoch Möglichkeit und Anlaß (fundamento et occasione) aus der Sache genommen sind. Was die Möglichkeit angeht, so ist sie bei dem Verhältnis von Sein und Wesen (compositionem ex esse et essentia) zu explizieren." (Met II c X V , 39; vgl. E p II d X I V , 24).

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Scheibler: „ E x i s t e n z f ü g t dem Wesen nichts über die Verwirklichung hinaus

15

Sdieibler: Met II c X V , 9 .

(ultra actualem) hinzu." (Met II c X V , 14).

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als Ganzes, und die Existenz wird ihm nicht von außen zugebracht. D i e Eigenart, möglich zu sein, w i r d z u m de f a c t o sein 1 6 ! D a m i t ist deutlich, daß Essenz und Existenz nicht realiter verschieden sind. Existenz besagt eben nichts anderes als Verwirklichung von Essenz, b z w . essentia actualis ist eben existentia 1 7 . Aber auch eine m o d a l e Unterscheidung beider ist nicht möglich, denn wenn die Existenz den modus der Essenz nur verändert, so müßte bei fortfallender Existenz „immer noch etwas da sein". Aber das ist nicht der Fall. Wenn wir die Existenz von einer Sache nämlich wegdenken, so bleibt nichts außer der bloßen Möglichkeit, denn v o m Nicht-Sein z u m Sein f ü h r t der V o r g a n g der Verwirklichung 1 8 ! Wenn also Existenz und Essenz nicht realiter und nicht modaliter zu unterscheiden sind, so bleibt nur die Auskunft, daß dieser Unterschied sola ratione besteht! „Unser Intellekt erfaßt jene Existenz gleichsam wie ein Anhängsel zur Essenz" l e . Die Tiefe dieser Überlegungen wird nun aber erst deutlich, wenn wir diese G e d a n k e n auf ihre ausdrückliche Voraussetzung — G o t t — hin be16

Scheibler: „Was also wird als Existenz verwirklicht? Das Wesen wird verwirklicht. Das Wesen, welches möglich ist, sage ich, soll sich verwirklichen. Es wird aber verwirklicht, nicht weil ihm, das unverändert bleibt, eine Existenz aufgeprägt wird; sondern weil die Realität des Wesens, die vorher unter der Eigenart des Möglichen (sub natura possibili) da war, als ganze nachher existierend und sich verwirklichend da ist." (Met II cXV, 19). Scheibler: „Damit also ist Existenz jene Verwirklichung (ille actus), durch die eine Sache, die vorher außer als Möglichkeit der Ursachen (nisi in potestate causarum) nicht da war, in sich (intrinsece) in ihrem eigensten Sein (in esse proprio) begründet wird." (Met II cXV, 22).

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Scheibler: „Wahrer ist die Meinung, daß Existenz und Essenz in der Verwirklichung (actualis) in geschaffenen Dingen realiter nicht unterschieden sind. 1. Es kann nämlich nichts gezeigt werden, was die Existenz weder mehr noch weniger kennzeichnet als Essenz in der Verwirklichung (essentia actualis). Essenz in der Verwirklichung nämlich nennt man, was nicht nur möglich ist (quod non est potestate), sondern was einerseits seine Ursachen überschreitet (quae est extra causas) und was damit andererseits de facto in der Welt ist! Und was anderes ist Existenz oder Existieren? Daß ein Mensch oder eine Sache existieren, ist sozusagen (similiter) nichts anderes, als daß das, was existiert, seine Ursachen überschreitet und de facto in der Welt ist." (Met II cXV, 34).

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Scheibler: „Wiederum, wenn die Existenz ein Modus der Essenz ist: Also würde die Essenz, wenn der Modus wegfällt, immer noch ein wahrhaftiges Ding (vera aliqua res) sein. Aber das ist absurd. Denn, so wie die Existenz ein Ding tatsächlich zum Ding macht und es aus dem Nichts zog . . . so fällt, wenn die Existenz entfällt, das Ding ins Nichts zurück." (Met II cXV, 37; vgl. Ep II dXIV, 23).

18

Scheibler: Ep II dXIV, 24.

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denken. Alles, was hier gedacht wird, kann und soll ja, wie wir sahen, nur so gedacht sein, daß es für Gott auch gesagt sein kann. Das heißt also, daß „Existenz und Essenz in Gott nicht realiter verschieden sind" M . Das ist für Gott wie f ü r alle geschaffenen Dinge so. Aber Gottes Dasein kann ja niemals als bloß mögliches (ens potestate) angenommen werden. Gott impliziert als Gott das extra causas sistere als Heraustreten aus der Möglichkeit als Sein in Verwirklichung (ens actu). J a : Gott ist ens actuale 21 . „Das göttliche Wesen ist vor allem als Verwirklichung (actualis) da" 2 2 . Die alte Bestimmung Gottes als actus purus zielt in die Richtung dieser Erkenntnisse. Gegenüber der in Gott grundsätzlichen Einheit von Existenz — das heißt „de facto in der Welt sein" — und Essenz, die sich darin verwirklicht, ist aller spekulative Transzendentalismus Gottes ausgeschlossen! Das ist von hier aus ebenso eindeutig wie auch überraschend. Gottes Essenz ist Existenz. Gottes Existenz heißt aber wie alle Existenz: de facto in der Welt sein. Ergo ist Gottes Wesenheit in dem de facto in der Welt Sein Gottes verwirklicht! Das sind Implikationen, deren Durchführung wir dann in der Theologie sehen. Es sind Ansätze, die deutlich zeigen, wie weit dies Denken von abstrakter Hypertrophie absteht und wie es mit dem konkreten Dasein als Verwirklichung befaßt ist. Erstens ist nun an der grundsätzlichen Einheit von Essenz und Existenz in Gott nochmals der tatsächliche Unterschied beider in der Welt außer Gott zu bedenken. Die Unterschiedenheit zwischen Existenz und Essenz bedeutet ja, daß von der Essenz, die als natura possibilis wahrgenommen wird, zur Existenz hin ein Unterschied waltet, der sich auf die Verwirklichung des Wesens bezieht, denn darum geht es ja in dem Schritt vom Nidit-Sein zum Sein! Wir haben gesehen, daß dieser Unterschied nicht realis und auch nicht modalis sein soll, sondern sola ratione — eine Notwendigkeit f ü r unseren Intellekt und eine Folge seiner Eigenart. Die Kühnheit dieser Thesen ist groß. Das Postulat liegt in der untrennbaren Einheit von Wesen und Verwirklichung: An der Realität des Existierenden haben wir das Wesen in seiner Verwirklichung und zwar formaliter (!) und nicht nur effective anzusehen. Allerdings müssen wir unter den Voraussetzungen unseres geistigen Daseins — also sola ratione oder logischerweise — Essenz und Existenz unterscheiden! Wir können uns an dieser unserer Notwendigkeit auch niemals vorbeidrücken wollen. Das heißt, wir können als denkende Wesen niemals so tun, als gehe das Wesen 20 21 22

Scheibler: Met II cXV, 26. Sdieibler: Ep II dXIV, 15. Scheibler: Ep III d l l , 22. In der Th 21 betont Scheibler: „Es widerstreitet nämlich Gott, ihn als Weise einer Wesenhaftigkeit voll Möglichkeiten (per modum essentiae possibilis) zu erfassen, das ist, ihn als verborgen in der Macht irgendeiner Ursache anzunehmen, die Gott hervorbringen müßte."

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einer Sadie voll in seiner Existenz auf; bzw. wir können das „Sein" niemals meinen als reines „Dasein" erheben zu können! Solche Versuche sind nichts anderes als der Irrtum, die Eigenart und Notwendigkeit unserer Ratio umgehen zu können! Diese Folgerung ist f ü r uns darum so erregend, weil der Versuch, die Essenz und das Sein am Dasein zu erheben, heute gemacht ist. Von diesem Denken aus müßten wir dazu sagen: Damit ist etwas gesehen, was zwar realiter richtig ist. Essenz und Existenz sind eines. Aber damit ist etwas unternommen, was die Eigenart des geistigen Daseins des Menschen überspringen muß, um zu gelingen. Der logischerweise unumgängliche Unterschied verbietet es menschlichem Denken, das Sein rein am Dasein erheben zu wollen. Wo dieser Versuch gemacht wird, muß er die Grenzen menschlichen Denkens zerstören. Der Vitalismus hat das auch ganz bewußt und ehrlich so gemeint und gesagt. Der Existentialismus hat das zunächst verhüllt, und erst nach der „Kehre" wird dieser Schritt auch dort sichtbar oder zum mindesten sehr fühlbar. So gewiß also sola ratione die Unterschiedenheit von Essenz und Existenz für uns ist, so gewiß ist andererseits die tatsächliche Einheit beider, ja man kann in bestimmter Weise von ihrer Identität reden. Das denkende Umgehen mit Gott, Welt und Selbst geht von dieser Einheit aus, ist von der Gewißheit dieser Einheit getragen und kann nur mit dieser Gewißheit sinnvoll geschehen. Aber die denkerische Umsetzung dieser „existentialen" Gewißheit in die Verrechnung der Essenz als Existenz oder in die unvermittelte Wesensschau aus der Existenz heraus ist dem menschlichen Denken versagt. Das heißt, daß essentia und existentia sola ratione unterschieden sind. Weil das so ist, darum ist diesem Denken die Aussage von Existenz, d. h. Verwirklichung und Gestalt niemals genug. An der Phänomenologie des Daseins sind diese Denker nie vorübergegangen. Aber sie hielten diese Phänomenologie aus den Voraussetzungen dessen für ergänzungsbedürftig, „was" als „Möglichkeit" in der Gestalt zur Verwirklichung gekommen war. Der Vorgang der Existenz ward bewahrt auf das inhaltliche „was" der Essenz als seine Voraussetzung hin! Dieses Denken geschieht in der Gewißheit von Essenz, dem inhaltlichen „was" der Verwirklichung als seiner Gesamtpräambel. Das ist dieses Denkens Großartigkeit und seine Weltgewißheit. Man weiß auch hier vom Nichts-Sein des Wesens, an das Existenz grenzt. Aber man denkt im Modell von Verwirklichung: Vom Möglichen als Essenz zum Wirklichen als Existenz. Es ist wohl deutlich, wie wenig spekulativ dies Denken ist. Das Wesen des Begegnenden ist nicht spekulativ zu erheben: Wesen und Verwirklichung gehören untrennbar zusammen. Man denkt das Wesen nicht abgesehen von Existenz. Der Schritt von diesem Denken zu Descartes liegt daher audi nicht darin, daß hier spekulativ und bei Descartes phäno-

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menologisch gedacht wäre. Descartes hat vielmehr die Gewißheit dieses Denkens — die zu Grunde liegende Einheit von Essenz und Existenz — gestrichen. Er denkt nicht mehr im Modell der Verwirklichung, sondern er verabsolutiert die Existenz. Damit war tatsächlich die entscheidende Wende insofern geschehen, als die Anthropologisierung der Begriffe unvermeidbar wurde. Wenn der entscheidende Gedanke der Vergewisserung von der Existenz aus, und das kann ja nur die eigene Existenz sein, angesetzt wird, dann sind alle Folgebegriffe anthropologisch vororientiert. Descartes meinte sich diesen Vorgang leisten zu können und zu müssen, denn dieses sein Denken über Selbst und Gott wurde im Kontakt mit der absoluten Objektivität, der Richtigkeit der mathematischen Sätze, entworfen. Das Denken der evangelischen, speziell lutherischen Metaphysik ist also von dem vorausgesetzten „Wesen" her bestimmt. Aber dieses Wesen ist eben nicht ohne tatsächliche Identität mit der Existenz zu denken, wenn audi das menschliche Denken beide zu unterscheiden zwingt. Das bedeutet aber, daß von dem Wesen einer Sache nur auf Grund seiner Existenz gehandelt werden kann. Das heißt, daß Welt und Selbst als die wahrgenommen werden, die über ihre Möglichkeit herausstehen, bzw. sofern sie zur Verwirklichung und Gestaltung des formaliter in ihnen angelegten Wesens kommen. Diese Vorausgesetztheit des „Wesens" oder des Seins oder audi Gottes, die den Blick auf Existenz bestimmt, verhindert es, daß der denkende und verstehende Mensch zum Maßstab und Inbegriff des Seins wird. Er ist als der Denkende im Spiel, wo der notwendige Unterschied von Essenz und Existenz sich bemerkbar macht. Er bringt sich je weiter aus dem Spiel, um so enger die Einheit von Essenz und Existenz aufleuchtet. Dabei ist es wohl wichtig, sidi nochmals daran zu erinnern, daß bei diesem Gang vom Wesen zur Existenz über die Ursachen hinaus nicht so sehr effective als vielmehr formaliter aufgefaßt und gedacht sein soll. Das heißt, daß im Mittelgrunde der Aufmerksamkeit auf den Vorgang der Verwirklichung, der sich mit einer res als ihrer Existenz vollzieht, das steht, was sie „formaliter" zu dem macht, was sie ist: Existenz ist nicht bloßes „da", sondern Verwirklichung von spezifischer Möglichkeit als gefülltes „wozu da"1®. Das ist mit dem sistere extra causas gemeint. Gott wie Welt kommen daher als die zur Anschauung und in Betracht, die sie als existierende sind. Das heißt als die „Vorgänge" (actus), die als Verwirklichung von Essenz da sind. Das kann man auch so sagen, daß Existenz in diesem Denken stets wie ein accessorium quid ad essentiam (s. o. Anm. 19) erscheint, die durch das Gewicht der ihr vorausliegenden Essenz vor einer Anthropologisierung bewahrt bleibt und die " Sdieibler: „Kein Wesen kann unter fremder Existenz sein." (Met II cXV, 63).

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aus deren essentiellem „was" nicht nur als „da" erhoben wird sondern als „wozu da"! An diesem Existenz-Begriff ist nun aber zweitens das Erregende, daß die Einheit und die Unterschiedenheit von Wesen und Existenz von Gott her als ihrem Exemplar gedacht sind. Existenz verwirklicht Wesen, indem Existenz ihre Möglichkeiten auf Realität hin überschreitet. Existenz ist ein Vorgang, der dem Wesen immer erneut aufgegeben ist. Die Wesen der Welt und der Mensch mit und unter ihnen sind sich aufgegeben als mit ihrer Existenz befaßte Wesen. Dieser Vorgang macht das Geschehen von Welt als Natur und Geschichte aus. Gott aber ist der Inbegriff dieses Vorganges der Welt als Natur und Geschichte, insofern Gott die schlechthinige Einheit von Wesen und Existenz exemplarisch „ist" und als diese Einheit „geschieht". Wir sehen von hier aus, daß dieses Denken von Gott, Welt und Selbst die Existenz — als Aufgegebenheit des Geschehens — von Gott aus denkt. Gott ist in der Voraussetzung dieses Denkens, das die Welt und das Selbst auf die Einheit von Essenz und Existenz hin entwirft und damit die Voraussetzung seiner selbst nämlich Gott — oder diese Einheit — in den Fluchtpunkt des Ganzen stellt. Das heißt also, daß bei diesen Denkern Existenz ein theophorer Begriff ist. Wir müssen das auch so herum sehen und sagen: Gott ist hier nicht eine Vokabel der Dogmatik oder Kennzeichnung eines weltjenseitigen Etwas, sondern Gott ist Inbegriff und Exemplar, Ziel wie Voraussetzung des Geschehens der Welt als Natur wie als Geschichte, weil in Gott Essenz und Existenz eines sind. Gott ist hier mittten in dem Kern des mit seiner Existenz befaßten Lebens ergriffen, denn Gott „ist" und repräsentiert die schlechthinige Einheit von Essenz und Existenz. Gott wird aus dieser Mittelpunktstellung heraus erfaßt und steht als soldier dem gelebten Leben —Exemplar wie Telos — als Inbegriff gegenüber. Unter diesem Denken kann die Frage der Neuzeit, ob es mit Gott etwas auf sich habe im gelebten Leben oder ob man dies Leben nicht besser seinem säkularen Rationalismus überlasse, nicht aufkommen. Wo Leben als organisches Leben um seine Existenz ringt, da geht es um Gott als den Inbegriff von Existenz! Aber diese Einsicht ist nicht nur final bzw. eschatologisch gemeint, sondern sie ruht fest auf auf dem vorausgesetzten Grunde von Denken und Sein.

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V. Auf dem Hintergrunde dieses Denkens von Existenz müssen wir sehen, wie man in der zeitgenössischen lutherischen Theologie von der Existenz Gottes handelte". Wir haben gesehen, wie Gottes Essenz und Existenz in der Philosophie dieser Zeit als eine Einheit erfaßt wurden. Existenz aber heißt ja eben: de facto in der Welt sein! Es kann daher nicht erstaunen, diese Theologen, die von Gott als dem finis theologiae aus ihre Theologie anfingen, von Gott als dem handeln zu sehen, der allerdings der Gott ist, von dem das Alte und Neue Testament reden, dessen Existenz oder Wirksamkeit aber nicht nur aus dem Worte Gottes hervorleuchtet. Man hat in der Moderne seit bald 100 Jahren einen Vernichtungskrieg sowohl gegen die sogen. Metaphysik wie gegen die sogen. „Natürliche Theologie" zu führen versucht. Aber diese Mühen waren offenbar umsonst. Sie führten nur dazu, daß es heute undeutlicher denn je ist, wieso es auch den Menschen des 20. Jahrhunderts angehen könne, wenn von Gott die Rede ist. Es konnte den Theologen vor dem Eindringen des anthropozentrischen Denkens Descartes' kein Zweifel sein, daß Gottes Existenz und Wirksamkeit dem Menschen auch abgesehen von dem Wort des Alten und Neuen Testamentes zur Kenntnis (notitia) kommen müsse: Diese Welt wie das Selbst gehen ja nicht aus sich selbst hervor! Man ist zu dieser Zeit nicht so desperat, daß man diese Welt und sich selbst im Nichts aufgehängt fände. Diese Welt hat vielmehr einen „Grund", der sie „letztlich bedingt und angeht" als Grund ihrer Möglichkeit wie als Ziel und Grenze ihres Daseins. Damit aber ist die Existenz dessen wahrgenommen, den man Gott zu nennen pflegt. Mit dieser „selbst-verständlichen" Gründung von Welt und Selbst in ihrer Möglichkeit und Grenze ist keineswegs gesagt, daß das tiefe Geheimnis der Liebe Gottes in Christo, welche den Sünder rechtfertigt und das Wort von der Barmherzigkeit ausgehen läßt, von der Welt aus oder von der sogen, natürlichen Kenntnis Gottes aus erschließbar oder begreifbar sein sollte. Das hat im 17. Jahrhundert niemals einer der großen lutherischen Theologen behauptet. Die Erkenntnis des 24

Ich benutze zur Darstellung: Georg Calixt: Epitome theologiae, Helmstedt 1619; Abräham Calov: Systema locorum theologicorum, Wittenberg 1655; Johann Friedrich König: Theologia positiva acroamatica, Rostock 1664; Johann Andreas Quenstedt: Theologia didactico-polemica, Wittenberg 1685. Idi zitiere die Werke in der Weise, wie ich sie in „Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung", Gütersloh 1964, angab.

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dreieinigen Gottes als Gewißheit des Glaubens, der gerechtmacht und errettet, ruht auf dem Worte Gottes. Insofern ist es allen deutlich, daß die auf der „Natur" gründende Kenntnis (notitia) der Existenz Gottes nicht zum Heile führt 25 . Das ist so selbstverständlich, daß man es kaum zu erwähnen braucht. Man kann hierzu audi anmerken, daß Calixt wie sein Schüler Hornejus, die gerne überspitzte Konsequenzen zogen, der Meinung waren, daß das erlebend und denkerisch gegebene „Vorverständnis" der Existenz Gottes von der Theologie zwar vorausgesetzt werden müsse, aber nicht in die Theologie gehöre sondern in die Philosophie. Die Theologie setzt diese Einsichten voraus. Sie befaßt sich als Theologie aber nur mit Gottes dreieinigem Wesen — mit Gottes Existenz also, wie Gott sich als Vater, Sohn und Geist verwirklicht2". Man erinnert bei diesen Überlegungen stets an Thomas27, der in der theologischen Summa ja meinte, daß die Existenz Gottes kein Artikel des Glaubens sondern die Grundlage aller Glaubensartikel sei: „Der Glaube nämlich setzt die natürliche Erkenntnis so voraus wie die Gnade die Natur und wie die Vollkommenheit ein Wesen voraussetzt, das vollkommen werden kann" 28 . Zu den „Selbst-Verständlichkeiten" dieser Zeit gehört es, daß Gott aus der Wirklichkeit der Welt, als Natur wie als Geschichte, vernommen wird. Man diskutiert dieses Faktum nicht. Man gibt es wieder und erläutert es oder setzt es wie Calixt voraus. Diese sogen, „naturhafte Kenntnis Gottes" 2 ' steht nun ja allerdings nicht für sich alleine. Sie ist der sogen, „übernatürlichen Erkenntnis 25

Quenstedt: „Die naturhafte Kenntnis Gottes ist für die Besorgung des Heiles wie auch wenigstens zur Vermeidung der Verdammnis nicht zureichend (sufficiens). Keiner der Sterblichen ist allein durch sie zum Heile geführt oder konnte von ihr zum Heile geführt werden." (pl cVI sll q l l th). 26 Calixt: „Da die Theologie wahrlich die oberste aller Wissenschaften ist, deswegen setzt sie die übrigen voraus und verlangt, daß diese von dem zur Kenntnis genommen sind, der sich als Theologe zu bekennen wünscht. Da von Gott ja mit dem Lichte der Vernunft (lumine rationis) aus den geschaffenen Dingen (Rom 1,19) die Philosophie handelt und schließt, daß er sei, daß er einer sei, unbegrenzt vollkommen, gut, weise, mächtig, selbstgenügsam etc., so hält der Theologe dies für getan, oder besser gesagt, er setzt es voraus als in den unteren Wissenschaften behandelt und bewiesen. Er verfolgt das, was im übrigen dem menschlichen Begreifen unbekannt und unzugänglich sein würde, nur aus seinen besonderen und ihm eigenen Prinzipien, nämlich den göttlichen Schriften." (pH, de deo, S. 44). 27 Calov ist der Meinung, Hornejus sei in seiner Überzeugung von Thomas abhängig. Calov stellt H e b r l l , 6 dem entgegen (III e i l sl, 110). 28 Thomas: Theolog. Summa pl q l l , 2 ad I. 2 · Die Theologen unterscheiden zum Teil genau naturalis dei notitia also natur-

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Gottes", d. h. der geoffenbarten Erkenntnis Gottes distincte verbunden. Es war nur Unkenntnis, die die Meinung aufkommen ließ, man habe im 17. Jahrhundert von einer im „Natürlichen" 3 0 liegenden Gotteserkenntnis weiter geschlossen auf den Gott des biblisdien Zeugnisses. Demgegenüber müssen wir uns bewußt halten, daß die Distinktion von naturale und supernaturale, die sich ja keineswegs von selbst verstand, die Eigenart haben sollte, daß sie die damit bezeichneten Vorgänge nur als von außen unterschieden aber nicht in sich different kennzeichnete. Scheibler sagt in seiner Epitome Metaphysica: „Naturale et supernaturale sind von außen an ein Seiendes herangetragene Unterschiede (differentiae extrinsecae Entis), weil sie nämlich von der Wirkursache (causa efficiens) oder der Unterlage (subiectum) hergenommen sind. Ein Unterschied in den Wirkursachen oder in den Unterlagen variiert nicht das Wesen (essentia) der Dinge, darum audi nicht ihre Existenz oder Zeithaftigkeit (duratio)" 3 1 . Wenn wir von dieser Feststellung Scheiblers ausgehen, so sehen wir das Nebeneinander von notitia naturalis und cognitio supernaturalis schon definitorisdi nicht mehr als Gegenüber sondern bemerken, daß von einem Vorgang die Rede ist, der extrinsece als naturalis und supernaturalis gekennzeichnet wird. Die Bibel und ihr Gotteszeugnis und die Wirkungen Gottes in der Welt als Natur wie als Geschichte bilden einen großen komplexen Bereich von Gottes Wirksamkeit. Diesen Bereich darf man auch nicht teilen oder scheiden, denn das würde beide Seiten versehren. Man handelt von der notitia dei naturalis also nur solange sachgemäß, solange man die cognitio dei supernaturalis im Auge behält, so müßten wir das von hier aus zunächst sagen. Wir müssen aber audi hinzufügen, daß man nach dieser Aufstellung auch das biblische Zeugnis nur solange als das verstehen kann, was es ist, solange man den Gegenwartshorizont Gottes aus der Welt heraus präsent erhält. Die beiden Seiten des komplexen Bereiches der Gotteserkenntnis bilden also eine Einheit. Das wird bei der sogen, naturhaften Gotteskenntnis gleich daran sehr sichtbar, daß man nämlich zum Erweis ihrer Tatsächlichkeit nicht Erfahrungsgründe anführt sondern das biblische Zeugnis 32 . Dies zeigt, daß hafte Gotteskenntnis als notitia und revelata dei cognitio also geoffenbarte Gotteserkenntnis als cognitio. 30

Schon Ritsdll verstand darunter etwas Profanes oder Säkulares oder Aus-

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Chr. Scheibler: Epitome Metaphysica, Gießen 1618, p l d X V , 2 5 .

sieh· Verständliches, was es für diese Theologen ja so gar nidit gab. 32

Quenstedt: „ D a ß es eine gewisse naturhafte Kenntnis Gottes gibt, die entweder allein aus dem Lichte der N a t u r (ex solo lumine naturae) jenseits der Offenbarung oder anders woher hervorgeht und die feststellt, daß Gott ist, ergibt sich aus der Schrift." (pl c V I sl t h I I I ) . Es folgen im W o r t l a u t Exegesen von R o m 1,19 ff und R o m 2,14 f.

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man mit den Überlegungen zur notitia dei naturalis nicht meinte, in einen Bereich bibelferner Eigenständigkeit auszuwandern. Dieses Problem von dem Verhältnis des biblischen Zeugnisses von Gott zu dem Gewahrwerden Gottes aus seinem Weltwirken heraus ist nun auch als das Verhältnis von Existenz und Essenz Gottes zu erkennen. Dies gesehen und kunstvoll durchgeführt zu haben, ist das Reizvolle und Wichtige an den theologischen Gotteslehren dieser Zeit. Dies heute neu zu durchdenken, kann für eine moderne dogmatische Erörterung des Existenz-Begriffes wesentlich sein. Wenden wir uns der Darstellung der naturhaften Gotteskenntnis zu. Wir können uns gleich der Pragmatologie 33 zuwenden, die den zu erörternden Gegenstand nach seinen Ursprüngen darzustellen hat. Die Ursprünge34 geben die Schlüsselposition einer pragmatologischen Erörterung ab. Das kann in seiner Sinnhaftigkeit ja von unseren Überlegungen aus auch sehr einsichtig gemacht werden. Wenn nämlidi die Existenz einer Sache das extra causas sistere ausmacht, dann ist diese Existenz ja mit einer zureichenden Erörterung der Ursprünge erfaßt! Es wird an dieser Methode, einen Gegenstand durch die vierfache Erörterung seiner Ursprünge der Definition zuzuführen, besonders klar, daß man einen Gegenstand — als Existenz erfaßt — in seiner Konkretion ansieht. Indem man das tut und an den Ursprüngen erörtert, hat man zugleich die essentia rei beschrieben! Das ist nach dem von Scheibler Erkannten ja eindeutig. Damit ist aber die Eigenart der Definitionen, die aus der Erörterung der Ursprünge folgt, als Wesensdefinitionen einsichtig. Beginnen wir mit der Erörterung des Realgrundes (causa efficiens) der naturhaften Gotteskenntnis. Der Realgrund dieser notitia ist vor allem Gott selbst35. Diese erste Feststellung zum Realgrunde wird meist über:i:s j c c J e r Gegenstand ist onomatologisdi — nach dem Bereiche seiner Bezeichnungen und seines Erscheinens in ihnen — und pragmatologisch — nach den ihn konstituierenden Ursachen — zu behandeln. 81

Es sind stets vier Ursprünge (causae), die zur Begründung einer Definition herangezogen werden: Der Realgrund (causa efficiens), der Materialgrund (causa materialis), der Formalgrund (causa formalis) und der Finalgrund (causa

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finalis).

Qucnstedt: „Der Realgrund (causa efficiens) ist einerseits ein erster (prima) andererseits ein vermittelnder (media). Der erste Realgrund der naturhaften Kenntnis ist Gott. Gott nämlich hat ihnen offenbart, sagt Paulus R o m 1,19, nämlich τό γ ν ω σ τ ό ν τοΰ θεοΰ. Das, was mit dem natürlichen Licht des Intellektes von Gott erkannt werden kann, ist nicht auf Grund einer besonderen Offenbarung, wie sie im Worte geschehen ist, sondern durch einen naturhaften Antrieb (instinetu naturae), den er allen eingab (impressit), sowie durch die Schöpfung der Werke den Menschen von Gott erschlossen. Der vermit-

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lesen. Gott ist es, der die Kenntnis von sich hervorruft. In dieser Feststellung liegt das starke Selbstbewußtsein dieser Theologie begründet. Gerade so ein Mann wie der Jenaer Johannes Musäus zeigt in seiner Kampfschrift gegen Cherbury, wie sehr ihm an dieser Grundposition gelegen ist. Seine Schrift heißt: „Daß das Licht der Natur und die darauf sich gründende Theologie zur Erlangung der ewigen Seligkeit unzulänglich sei" 3 '. Aber diese klare Unzulänglichkeit der von Musäus so genannten „Naturhaften Theologie" ist nicht etwa ein Grund, die primäre Urheberschaft Gottes in Frage zu stellen. In der naturhaften Gotteskenntnis handelt vor allem Gott und nicht der Mensch! An den beiden Näherbestimmungen zu diesem Gotteshandeln wird die Intention dieser Bestimmung deutlich. Es geht bei diesem Hervortreten auf Seiten des Menschen um einen mit der Natur gegebenen Antrieb (instinctus naturae), der den Schöpfungswerken (operum creatio) korrespondiert. Es wird deutlich, daß das unmittelbare Reagieren des Menschen auf die Schöpfung im Sinne eines mit dem Menschen selbst gegebenen Antriebs gemeint ist. In diesen Bereichen des Vor- und Unterbewußten — würden wir heute sagen — meinte man das Handeln Gottes annehmen zu können. Aber wir dürfen diese Bestimmungen nicht für sich zu sehr pressen, denn sie stehen ja nicht allein. Neben ihnen und ihnen zugeordnet steht die causa media. Gottes Handeln ist vermittelt und zwar als die intellektuelle Seite des Menschen. Der Mensch ist ein denkendes Wesen, und als solches ist er aufgerufen, Gott wahrzunehmen. Diese Seite in der Erörterung des Realgrundes (!) wagt also Gott und den menschlichen Intellekt zusammenzunehmen in einen Vollzug. Das zeigt deutlich, wie stark diese Theologen Gottes Handeln als ein den Menschen innerlich hervorrufendes verstanden. Es kommt zum Ausdruck, daß der Mensch von Gott nicht einfach hingenommen wird, sondern daß er von Gott zu seinen rationalen Fähigkeiten gerufen ist! Audi gerade auf der Seite der naturhaften Gotteskenntnis geht es um die Klarheit des Gedankens und nicht nur um die trübe Dumpfheit eines naturhaften Antriebs anhand der Schöpfungswerke. Aber diese rationale Begabung und Fähigkeit des Menschen ist nicht hinreichend ins Auge gefaßt, solange man den Menschen nur bei sich selbst und aus sich selbst verstehen würde 37 . Zwar ist das intellektuelle Dasein

39 37

telnde Realgrund des Gott Erkennens ist eine intellektuelle Fähigkeit des Mensdien (facultas hominis intellectiva)." (pl cVI sl thIV). So ist auf dem Titelblatt selbst übersetzt. Die Schrift erschien in Jena 1667. König: „§ 7: Aber sie (sc. die intellektuelle Fähigkeit) hat die Rolle der Vermittlung einerseits allein, als (quoad) eine dem Mensdien innewohnende Kenntnis (notitia insita); andererseits in Verbindung mit einer nach außen 31

des Menschen in sich selbst und aus sich selbst audi bedeutsam. Quenstedt zeigt in seinen Erläuterungen, daß man zur Näherbestimmung dieser Bedeutung auf die Lehre von den Allgemeinen Kenntnissen (notiones communes) zurückgriff 38 . Aber man hat doch sehr deutlich empfunden, daß der Mensch gerade als denkendes Wesen nicht mit sich allein ist. Er empfängt als denkendes Wesen die vielen Anstöße aus der Welt. Darum kann diese Gotteskenntnis nur zweiseitig gesehen werden. Die Wechselwirkung von Welt und Mensch gehört zur Sache. Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß wir immer noch von dem Realgrunde (causa efficiens), und das heißt, von Gottes Handeln reden, das sich als die rationale Seite des In der Welt Seins des Menschen vermittelt. Das Weltverhältnis des Menschen ist hier also nicht als solches Grund der Möglichkeit von naturhafter Gotteskenntnis! Das hat weder König noch ein anderer gemeint. Gott vielmehr handelt auf diese Kenntnisnahme hin, und er läßt sein Handeln unter anderem auch als rationales Auffassen der Welt beziehungsweise als jene allgemeinen Grundansätze des Denkens in sich selbst vermittelt sein. Aber — und darin besteht ja der Sinn dieser ganzen Distinktionsmethode — man muß sich bei dieser intellektuellen Fähigkeit des Menschen stets gegenwärtig halten, daß mit der Eigenart (natura) des Menschen ein vor- und unterbewußter Antrieb (instinctus) gegeben ist, der den „Schöpfungswerken" korrespondiert, und der jene intellektuelle Fähigkeit als andere Seite, die ganz unvermittelt von Gott in Bewegung gesetzt ist, begrenzt und ergänzt. Das Ganze erst gibt wieder, was man sich als Realgrund dieser naturhaften Gotteskenntnis unter der Präambel Gott vorstellte. Gehen wir weiter zum Materialgrunde (causa materialis) der naturhaften Gotteskenntnis. Der Materialgrund einer Sache soll angeben, welches die Elemente sind, aus denen diese zu definierende Sache sich zusammensetzt 39 . Dieser Materialgrund kann sich nun bei einer notitia, wie gerichteten Wahrnehmung (externa contemplatione) der "Welt und von ihr hervorgerufen, als (quoad) eine erworbene Kenntnis (notitia acquisita)." 38

Quenstedt: „Im Menschen sind allgemeine Kenntnisse (κοιναί εννοιαι, notiones communes) und Urprinzipien (prima principia) der Gotteserkenntnis, von N a t u r dem Sinne des Menschen (per naturam menti eius) eingegraben und eingeprägt, durch die der Mensch Gott erkennen kann, ohne Überlegung und mühsame Schlußfolgerungen, auch ohne daß andere Vermittlungen oder Ansätze herangezogen werden müßten, und die wird innewohnende Gotteskenntnis genannt." (pl cVI sl thIV n).

39

Die causa materialis ist „die Ursache, aus der eine Sache ist", sagt Scheibler in seiner Epitome (Ii d X X , 31). Allerdings: „Die Materie ist Ursache allein des Zusammengesetzten (solum causa compositi), das heißt, in der Sache, die Materie und Form hat, ist Materie nicht als irgendein zufällig Hinzutreten-

32

hier, einerseits auf die Unterlage (subiectum), also auf das, was die notitia als notitia nach ihrem „Was" ermöglicht, beziehen (materia ex qua). Dieser Materialgrund kann sich nun aber auch auf das die Erkenntnis regierende Ziel (obiectum) 40 , also auf das, worauf die notitia sich als notitia richtet, beziehen (materia circa quam). Diese Unterscheidung ist für einen Erkenntnis-Vorgang wesentlich. Sie zeigt ja sehr deutlich, wie weit das Empfinden von dem, was Subjekt und was Objekt sei, sich verändert hat. Das Subjekt der natürlichen Gotteskenntnis oder der Materialgrund, aus dem diese Kenntnis hervorgeht, sind die dieser Kenntnis zu Grunde liegenden Prinzipien 41 , während das Objekt derselben oder der Materialgrund, um den es in dieser Kenntnis geht, Gott ist42. In dem Materialgrunde finden sich also Gott und Welt — als menschliche Natur — wiederum miteinander vor. Aber in völlig anderen Hinsichten wird hier als bei dem Realgrund gehandelt. Es geht bei dem Materialgrunde der naturhaften Gotteskenntnis zunächst um Erkenntnis-Prinzipien, also Grundsätze axiomatischer Art, die sich als Licht der Natur ereignen4*. Diese Axiome kommen also von der „ N a t u r " her, d. h. aus der Gesamtgegebenheit menschlichen Daseins. Und das Axiom, das sidi der menschlichen Natur als vorgegeben darstellt, ist also: die Existenz Gottes und die sich nahelegende Verehrung Gottes. Das sind ganz erstaunliche Sätze. Hier wird also nicht etwa von der Welt auf Gott geschlossen, wie man gemeinhin annimmt, sondern hier wird Gott als Ur-Prinzip denkender Wesen postuliert. Aus der des (aliquid accidentale) sondern als wirkliche Ursache." (II d X X , 34). Ein einfacher „ G e g e n s t a n d " wie Gott hat daher keine Materia als causa seiner. 40

V o m obiectum heißt es in Scheiblers Metaphysik, es sei sein Amt, etwas zur Verwirklichung zu bewegen (movere aliud a d actum)! Aber diese Wirksamkeit des Objektes soll nicht als causalitas verstanden werden, denn es ist ein Bestimmen der Akte (terminari actionem), das in jenen Objekten erfaßt wird, was sich vom Begründen unterscheidet. (II c X X I I I , 107 f)

41

K ö n i g : „ § 9 : D i e Materie, aus der die naturhafte Gotteskenntnis hervorgeht (materia ex qua), sind sozusagen die durch das Licht der N a t u r

(lumine

naturae) bekannten Prinzipien und die daraus gefolgerten Schlüsse." 42

K ö n i g : „ § 1 3 : Die Materie, um die es in der naturhaften Gotteskenntnis geht (materia circa quam) oder das Objekt ist G o t t und sein unsichtbares Sein: A G 17,27; R o m 1,20."

43

K ö n i g : „§ 10: D i e Prinzipien, die durch das Licht der N a t u r bekannt sind, sind einerseits theoretische andererseits praktische. § 11: D i e theoretischen bringen einerseits bei, daß Gott ist, wie folgender S a t z : Es ist ein göttlich Wesen (est numen), das alles durch seinen Befehl lenkt; andererseits zeigen sie, was G o t t ist, wie folgende S ä t z e : G o t t ist einer, ist gerecht etc. § 12: D a s praktische Prinzip ist nur eines: G o t t ist zu verehren

(deum

colito)."

33

„ N a t u r " kommt dem denkenden Menschen Gott axiomatisch entgegen. Wenn man sich besinnt, was als Axiom dem menschlichen Denken vorausliegt, so wird mit G o t t geantwortet. Gott ist die materia ex qua unserer naturhaften Gotteskenntnis. Die denkende N a t u r des Menschen hat nichts anderes in ihren Voraussetzungen als G o t t ! Mit dem Materialgrunde als Subjekt der Gotteskenntnis wird als erstes das Existenzurteil Gottes (quod deus sit) erhoben. Die Existenz Gottes ist als Wirksamkeit dieser Prinzipien aussagbar und präsent, so können wir das auch sagen. Wir müssen diese Sätze auch so verstehen, daß Gottes Existenz, und das ist ja seine Wirksamkeit, dem zu Grunde liegt, daß wir seine Kenntnis haben können. Vermittelt ist diese Kenntnis hier als menschliche N a t u r . D a s Existenzurteil Gottes wird also nicht aus der Welt überhaupt erhoben, sondern es geht durch die Vermittlung der menschlichen denkenden N a t u r (lumen naturae) aus Gott als ihrem Prinzip hervor. Dies theoretische Existenzurteil und die Verehrung Gottes, die sich unabweisbar nahelegt, gehören dabei zusammen! D a s ist einer der vielen Punkte, an denen sich diese als hypertheoretisch und abstrakt verschrieene Theologie als eine practica zeigt, die die Frömmigkeit stets dem denkenden Glauben aufs engste verbunden zeigt! Damit haben wir die „ G r u n d l a g e " (subiectum) der natürlichen Gotteskenntnis beschrieben: „ D a ß Gott ist" und „ D a ß Gott zu verehren ist". Der andere Materialgrund, das materiale Objekt bzw. das, worauf sich die natürliche Gotteskenntnis richtet und was diese notitia vom Inhalte her zur notitia dei macht, ist „ G o t t und sein unsichtbares Sein", wie König (s. o. Anm. 42) definiert und mit Verweis auf A G 17,27 und R o m . 1,20 erläutert 4 4 . In diesem Objekt, also in dem, was die notitia (ad actum movet) zur Verwirklichung bringt, womit diese notitia als notitia dei „bestimmt" (terminari) wird 4 5 , ist wiederum Gott wirksam und, wie aus 44

Q u e n s t e d t paraphrasiert den T e x t K ö n i g s : „Der Materialgrund, um den es geht (materia circa quam), bzw. das obiectum der naturhaften Kenntnis ist G o t t ; nicht nur, daß er ist, sondern audi, daß er bestimmte Attribute hat. So heißt es A G 17,27, G o t t könne gleichsam ertastet und mit H ä n d e n erfaßt werden aus dem, was er erschaffen habe. R o m 1,20 sagt der Apostel, das obiectum der naturhaften Kenntnis sei „ d a s Unsichtbare Gottes", worunter die meisten mit Thomas das unsichtbare Wesen Gottes verstehen, wie es mit seinen Attributen umgeben ist." (pl cVI sl thVI). Quenstedt erreicht durch diese Paraphrase, daß auch in dieser Überlegung das Verhältnis Essenz—Existenz betont erscheint.

43

34

Die oben Anm. 40 angezogene Stelle aus Scheiblers Metaphysik (II c X X I I I , 107) wird in § 108 erläutert: „Dies nämlich ist das A m t (officium) der Objekte im allgemeinen, daß sie den Vollzug (actionem) der Wirkungen (potentiaruni) bestimmen, die in eben diesen Objekten gefaßt sind."

R o m . 1,20 genommen wird, „das Unsichtbare seiner, das von Schöpfung der Welt an seinen Werken mit der Vernunft erschaut w i r d " . G o t t also wird als der zum Materialgrunde, um den es der naturhaften Gotteskenntnis geht, der „an seinen Werken mit der Vernunft erschaut w i r d " . U n t e r diesen Wirkungen Gottes in R o m . 1,20, die da erschaut werden, faßt Quenstedts Exegese die Attribute Gottes. Das ist bis heute meistens so 48 . Gemeint ist aber wohl bei König die Essenz Gottes. Aber wir können diese Frage wohl auf sich beruhen lassen. M i t diesem Materialgrunde als O b j e k t wird jedenfalls eindeutig, daß die naturhafte Gotteskenntnis dadurch möglich wird, daß G o t t sich in seinen Werken zu erkennen gibt. Mit der Darlegung des Realgrundes und der beiden Materialgründe erkennen wir, daß diese Theologie G o t t als den gemeinsamen Grund und die gemeinsame Voraussetzung von menschlichem Intellekt und Welt als N a t u r wie Geschichte prädiziert. G o t t heißt die Klammer, die sich um den menschlichen Geist und die N a t u r schließt. D e r Grund der Möglichkeit von Gotteskenntnis ist G o t t als der Inbegriff von Geist und N a t u r ! Dies scheint uns das Entscheidende an diesen in sich schwierigen D a r legungen zu sein, daß Gottes Wirksamkeit als wirkende Voraussetzung von Vorgängen erscheint, die scheinbar Welt und Denken zu ihrem Subjekt haben. Aber daran hängt das Großartige dieser Konzeption, daß sie es möglich macht, zugleich zu sagen: G o t t ist es, der alle auch die naturhafte Kenntnis seiner bis in die Prinzipien hinein „ist" und w i r k t ! U n d : Der Mensch ist es, der mit dem rationalen Vermögen seines Daseins vor der Aufgabe steht, die letzten Gründe seines Denkens selbst wie sein in der Welt sein —

erlebend (instinctus) wie erdenkend

(ratiocinatio),

a priorisch wie a posteriorisch — als von Gottes Wirken und Sein unterfangen zu erkennen. Keine dieser beiden Aussagen darf so schwergewichtig werden, daß sie die andere erdrückt. Wenn nur noch von Gottes W i r ken geredet wird, so ist der Mensch seiner Freiheit beraubt und seines denkenden Charakters entkleidet — er ist kein Mensch mehr. W o sein Vermögen sich aber an die Stelle von Gottes Wirken schiebt, da wird aus G o t t der Götze Feuerbachs — ein Gemächte der Menschen. Wie Realgrund und Materialgrund zeigen, liegt Gott der menschlichen N a t u r zu Grunde — bis in die Prinzipien ihres Selbstverständnisses hinein. Daher wird diese Kenntnis Gottes zunächst a priorisch gefaßt 4 7 . 46

O . Michel z . B . paraphrasiert: „seine unsichtbaren Eigenschaften

werden...

erschaut". „Der Brief an die R ö m e r " , Göttingen 1 9 5 5 z. St. 47

König kommt in der näheren Erläuterung der „innewohnenden Kenntnis" (notitia insita) d a r a u f : „Die innewohnende Kenntnis ist eine Fähigkeit der Urprinzipien Gott betreffend (habitus primorum principiorum de deo), dem Intellekt als Eigenart (per naturam) ohne Sinneswahrnehmungen (sine mentis opera) eingestiftet (impressus). Diese Fähigkeit vervollständigt den Intellekt

35

Ohne Sinneswahrnehmung ist a priori mit dem geistigen Dasein des Menschen Gott als letzte Möglichkeit wie Grenze dieses geistigen Daseins gegeben. Man kann das auch wohl so sagen, daß es zum geistigen D a sein des Menschen gehört, sich auf letzte a priorische Prinzipien dieses seines Daseins einzulassen. Die aber sind das, was man Gott als letzten Grund und Grenze des Seins zu nennen pflegt. Ungemein feinfühlig erläutert König (s. o. § 11 in Anm. 43), daß das Existenzurteil zunächst lautet: „Es gibt ein göttliches Wesen" (est numen). In diesem Vollzuge wird zunächst von einem numen gewußt, und das ist viel „sachgemäßer" als die immer schon vorinterpretierte Kennzeichnung: Gott. Aber mit dem Wissen um Gott a priori ist nicht auszukommen. J a , in diesem Wissen ruht schon der Vorgang, Gott nun actualiter, d. h. in seiner Wirksamkeit an und in der Welt und damit also a posteriori aus der Welt zu erkennen. Es geht dabei also um die „erworbene Gotteskenntnis" (notitia dei acquisita) 48 . Diese Kenntnis Gottes geht auf einen Denkprozeß zurück, der sie vermittelt und der sich an der Welt vollzieht. Dieser vermittelnde Vorgang ruht auf der anderen die Grundprinzipien darstellenden Gotteskenntnis. Das heißt: Wo der Mensch sich nicht auf den letzten Grund und Grenze seines geistigen Daseins einläßt, da hilft ihm auch alle Naturbetrachtung nicht weiter. Welturteil und Gottesurteil bedingen sich, insofern Gott der letzte Grund geistigen Daseins ist. Auf dem Boden dieser so erläuterten Vorgänge erwächst das Urteil, daß Gott ist, d. h. das Existenzurteil. Das ist in sich eindeutig, wenn wir bedenken, was diese Zeit unter Existenz verstand. Existenz ist das esse in actu, das Wirken. Die naturhafte Gotteskenntnis vollzieht sich aber sowohl an den Wirkungen Gottes wie zumal als Wirkung Gottes! Die Wahrnehmung der präsenten Macht Gottes ist in ihrer a priorischen „Selbstverständlichkeit" wie in ihrem a posteriorischen Welt-Verständnis Wahrnehmung von Gottes Sein als Wirkung und damit Existenz-Urteil, nämlich „es gibt ein göttlich Wesen". Aber diese Einsicht kann nicht anders begriffen werden als in ihrer tatsächlichen Einheit mit der Essenz. Dieses Existenzurteil impliziert ein Wesensurteil (quid deus sit) — zumal es sich um Gott handelt, dessen Wesen nur als Verwirklichung (actus) beschrieben werden kann. Darum ist dieser naturhaften Gotteskenntnis und setzt ihn instand, Gott auch in der Verwirklichung (actualiter) zu erkennen, soweit er in der N a t u r erkennbar ist." (pl § 21). 48

Quenstedt erläutert, daß diese „erworbene Gottkenntnis aus den der N a t u r innewohnenden Prinzipien (ex insitis naturae principiis) durch Überlegung und genaue Betrachtung Gottes

in der

Schöpfung

der Geschöpfe erworben bzw. aus den und jenen

Spuren

der

Gottheit

Werken

(vestigiis

illis

divinitatis), die in der ganzen N a t u r der Dinge verstreut sind, gesammelt wird." (pl c V I sl t h X I )

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eigen, auch schon Wesensurteile zu fällen, wenn dieselben auch sehr allgemein sind: „Gott ist einer, ist gerecht etc." (s. o. Anm. 43). Diese Wesensurteile besagen nicht viel. Zumal geben sie kein in sich geschlossenes Gottesbild, mit dem man es auf Leben und Sterben wagen könnte. Dazu reicht das alles nicht aus. Aber es ist eben auch kein „bloßes" Existenzurteil — nicht das bloße „Daß" Gottes. Das reicht für ein tatsächliches Existenzurteil niemals aus, denn Existenz ist Wesen in der Verwirklichung. Allerdings trägt das Existenzurteil das Gewicht, weil das Wesensurteil unsicher bleibt. Wir brauchen der weiteren Entfaltung des Gedankenganges in Formalgrund und Finalgrund nicht weiter zu folgen4®. Sie tragen zu unserer Frage nichts mehr bei. Wichtig ist aber die Definition, die Quenstedt aus dem ganzen Gedankengang schließt 50 . Die erste wie die zweite Definition verbinden die beiden Möglichkeiten, von natürlicher Gotteskenntnis zu reden — nämlich die „innewohnende" und die „erworbene" — miteinander. Die erste Definition arbeitet mit dem Licht der Natur, welches zum Existenzurteil führt, das sich zumal auf die Wahrnehmung der 49

50

König: „§14: Der Formalgrund dieser naturhaften Kenntnis, soweit er von der innewohnenden und erworbenen (sc. Kenntnis) getrennt wird, ist die Vollkommenheit unseres naturhaften Intellektes betreffs der göttlichen Dinge, die naturhaft erkennbar sind. § 15: Der Finalgrund ist einerseits einer, der als solcher gewollt ist (per se intentus), andererseits einer, der damit gegeben ist (accidentarius). § 16: Der Finalgrund, der als solcher vom Schöpfer gewollt ist, ist, daß diese Kenntnis Anregung (incentivum) gebe, darüberhinaus nach Gott zu forschen und gleichsam eine gewisse Anweisung, die den Menschen veranlaßt, zu sinnen und zu suchen nach dem Kreise (coetus), in dem der wahre Gott Israels wohnt, AG 17,27. § 17: Der Finalgrund, der damit gegeben ist, bzw. das Ergebnis, das aus dem Mißbrauch der naturhaften Kenntnisse hervorgeht, ist die Unentschuldbarkeit, Rom 1,20." Quenstedt gibt eine doppelte Definition. Die erste ist fast wörtlich von König übernommen. Beide stehen mit Berechtigung nebeneinander: „Die Definition der naturhaften Gotteserkenntnis ist diese: Die naturhafte Gotteskenntnis ist es, durch die es uns auf Grund des Lichtes der Natur (ex lumine naturae) einleuchtet, daß irgendein höchstes Wesen (aliquod supremum numen) ist, und daß eben dieses dieses gesamte Universum und alle von ihm geschaffenen Dinge mit seiner Weisheit und Macht lenke (gubernare). Oder: Die naturhafte Gotteskenntnis ist es, welche dem menschlichen Sinn (hominum mentibus) naturhaft innewohnt (naturaliter insita est), und welche aus den Werken Gottes in der Schöpfung und in jenen Spuren der Gottheit, die in der gesamten Natur der Dinge zerstreut sind, gesammelt ist." (pl cVI sl thX). 37

Wirksamkeit Gottes bezieht, die das Universum lenkt und ausrichtet. Die zweite Definition geht vom Einwohnen der Gotteskenntnis selbst aus und verbindet damit den Vorgang des „Erschließens" Gottes aus seinen Werken und Spuren. Der Unterschied liegt darin, daß die zweite Definition nur den Weg beschreibt, der zur natürlichen Gotteskenntnis führt, daß der Inhalt dieser Kenntnis aber gar nicht angegeben wird. D a s ist aber in der ersten Definition der Fall. D a r a n fällt es auf, daß die ganze Erörterung der natürlichen Gotteskenntnis hier definitorisch auf das Existenzurteil zusammengezogen wird! D a s Wesensurteil fehlt in der Definition, obwohl es in der Erörterung des Materialgrundes genannt war. Offenbar wollen K ö n i g und Quenstedt damit deutlich machen, daß das Schwergewicht bei der natürlichen Gotteskenntnis auf der Kenntnisnahme der Existenz eines „göttlichen Wesens" (numen!) liege! Wenn wir von der naturhaften Gotteskenntnis, die es also offenbar speziell mit dem Existenzurteil zu tun hat, weitergehen zu der geoffenbarten Gotteserkenntnis, so bietet sich hier in Anlage und Vorgehen ein sehr anderes Bild. Wenn im Bisherigen die notitia als diese notitia nach Grund und Folge erörtert wurde, so suchen wir hier vergebens nach einer Behandlung der cognitio als cognitio. Alles, was gesagt wird, ist dies, daß diese Gotteserkenntnis das Heil mit sich bringe und daß sie Erkenntnis des dreieinigen Gottes sei 51 . D a s ist im allgemeinen alles, was wir über diese Erkenntnis erfahren 5 2 . Es ist leicht einzusehen, warum von dieser Erkenntnis nicht gehandelt w i r d : Indem das Zeugnis des Alten und Neuen Testamentes unter der Voraussetzung, daß der Ausleger im Glauben steht, was dieser Zeit selbstverständlich ist, herangezogen und zu den einzelnen Fragen ausgelegt wird, ist alles zu dieser Erkenntnis gesagt, 51

K ö n i g : „ § 2 3 : D i e naturhafte Gotteskenntnis ist besprochen, es folgt die übernaturhafte, welche die heilschaffende (salvifica), aus dem geschriebenen Worte Gottes geschöpfte Erkenntnis des dreieinigen Gottes ist."

52

Q u e n s t e d t notiert kurz die Unterschiede zwischen der naturhaften Gotteskenntnis und der geoffenbarten Gotteserkenntnis: „Die geoffenbarte Gotteskenntnis unterscheidet sich von der naturhaften: I. Im Prinzip und F o r m : D a s Prinzip der geoffenbarten ist die Schrift, und sie bringt Glauben hervor. D a s Prinzip der naturhaften ist die N a t u r und bringt Wissen hervor. II. Im O b j e k t : Die naturhafte ist befaßt mit dem, was von N a t u r

be-

kannt ist. Die geoffenbarte ist mit dem befaßt, was mit dem natürlichen Licht nicht erkannt werden kann bzw. das menschliche Fassungsvermögen (captum humanum) überschreitet. III. In Ziel und E f f e k t : Die naturhafte reicht zum Heile überhaupt nicht zu. Die geoffenbarte ist wahrlich heilbringend, und in ihr gründet das ewige Leben (Joh 17,3). U n d in dieser Kenntnis wird auch die wahre und eine Kirche Gottes von allen anderen heidnischen Gemeinschaften und der Religion unterschieden." (pl c V I I thll)

38

sl

denn das ist der Sinn des breit angelegten Lehrstückes von der Schrift, das principium cognoscendi erörtert zu haben. Dabei müssen wir uns gegenwärtig halten, daß nicht die Schrift sondern das W o r t Gottes der Träger dieser ganzen Erörterungen war. M i t dem Worte Gottes war nämlich das Erkenntnisproblem gelöst. Das W o r t Gottes als gepredigtes W o r t wird durch den Heiligen Geist erkannt. M i t dieser Auskunft wich diese Zeit vor dem Erkenntnisproblem als Frage der Methode der Schriftauslegung oder der Hermeneutik ζ. B. nicht aus. Diese Fragen wurden auch verhandelt. Aber die Wirksamkeit des Geistes Gottes als Öffnung von Menschenherzen zum Glauben ist das zentrale Geschehen, das zur Gotteserkenntnis führt. Dies Geschehen kann auch durch keine hermeneutische Methodik, so wichtig sie an ihrem Platze ist, ersetzt werden. Was also zur Erkenntnisfrage gehört, ist in der Lehre vom verbum dei erörtert. Darum also braucht von der Erkenntnis als Erkenntnis hier nicht mehr gehandelt zu werden. D i e Erkenntnis Gottes wird als solche nicht erörtert, aber ihr Gegenstand wird sogleich mitgeteilt, daß nämlich Gottes Existenz und sein Wesen in dieser Erkenntnis Gottes hervortritt 5 3 . Also auch die Existenz soll in dieser Erkenntnis verhandelt werden. N u r ein kurzer Satz wird dieser Existenz allerdings gewidmet 5 4 . Die Allgemeinheit und

Unbe-

stimmtheit der Redeweise zeigt, daß man bei dieser Versicherung nicht sehr bei der Sache war, sich auch wohl keine ganz klaren Vorstellungen von dem Sachverhalt meinte machen zu müssen. Quenstedt zeigt in einer N o t e dazu sehr deutlich, daß das Postulat, die Existenz Gottes werde von der geoffenbarten Gotteserkenntnis gegeben, ein Systemgedanke war, der nur unter Kautelen angenommen wurde 5 5 . D e r Gedanke der Existenz 53

Quenstedt: „Zu erkennen ist hier einmal, daß Gott ist, zweitens, was Gott ist. Das heißt: Existenz wie N a t u r und Wesen (sc. Gottes) ist aus dem W o r t e Gottes dem Geschriebenen zu entnehmen und zu erweisen." (pl c V I I

sl

t h I I I ) . Quenstedt hat mit dem zweiten erklärenden Satz den ersten kurzen Satz, den er König entnahm, ergänzt. 54

K ö n i g : „ § 2 5 : Gottes Existenz (esse deum) bezeugen einzelne Stellen des Schriftwortes. Vor allem aber wird sie aus den göttlichen N a m e n , Eigenschaften und Werken bekannt." Quenstedt übernimmt den Satz fast wörtlich.

55

Quenstedt: „ D a ß Gott ist, wird in der Theologie nicht nur als naturhaft bekannt unterstellt, wie D. H o m e j u s in seiner I I I . theologischen Disputation, sectio I, These 2, will. Sondern es wird aus der Schrift selbst erwiesen: 1. Zur Widerlegung derer, die leugnen, daß Gott sei. 2. Zur Befestigung unseres Glaubens. 3. Wegen der Unvollkommenheit der naturhaften Kenntnis. So sagt der Apostel deutlich H e b r l l , 6 : ,Glauben muß, wer zu Gott kommen will, daß er sei und daß er denen, die ihn suchen, ein Vergelter sei.' Dabei beachte: I. D a ß hier v o m rechtfertigenden und heilschaffenden Glauben die Rede sei, geht aus v. 1. und v. 38. des vorhergehenden Kapitels hervor.

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Gottes wird nur unter Vorbehalten in die geoffenbarte Erkenntnis aufgenommen. Sein Sitz ist, wie wir darstellten, bei der naturhaften Kenntnis. Dies zeigt sich nochmals sehr deutlich an der Schlußdefinition Königs, die er hinter der ganzen großen Eigenschafts- und Trinitäts-Lehre bringt 5 '. In dieser Definition ist die Existenz vergessen und nur die Essenz Gottes beschrieben. Das Wesen Gottes ist der Inhalt der geoffenbarten Gotteserkenntnis! Der Versuch Quenstedts, das Verhältnis der beiden Erkenntnisweisen Gottes hinsiditlich der Existenz Gottes zu „ordnen", zeigt, wie gefährlich solch Vorgehen w a r : N u n sieht es im Schlußsatz Quenstedts fast schon so aus, als ob die naturhafte Gotteskenntnis die sachliche Voraussetzung der geoffenbarten Gotteserkenntnis wäre. Das aber war in der Gesamtkonstruktion eben gerade nicht gemeint 57 ! Das Wißbare (scibile) und das Glaubbare (credibile) bilden nicht ein Nacheinander, in dem das eine dem anderen einfach folgt. Sie gehören viel inniger zusammen und bedingen sich nicht so schematisch. Die Zusammenordnung von „naturhafter Gotteskenntnis" und „geoffenbarter Gotteserkenntnis" ist vielmehr — das geht aus den Überlegungen ja sehr deutlich hervor — gemeint als Zuordnung und Distinktion von Essenz und Existenz. Die „naturhafte Gotteskenntnis" bringt die Existenz Gottes zum Bewußtsein. Existenz betrifft aber vor allem nicht die Frage, ob Gott ist oder nicht ist, sondern die Existenz Gottes meint zunächst, daß und wie Gott „de facto in der Welt ist", wie Scheibler (s. o. Anm. 5) definierte! Daher kann diese „naturhafte Gotteskenntnis" ja so vor sich gehen, wie man das beschreibt: Diese Gotteskenntnis entsteht an den Grundprinzipien, d. h. an dem letzten Grund und Grenze II. Eine Bestimmung des Glaubens (fidei obiectum) ist Gottes Existenz, welche zu den Glaubensdingen zu rechnen ist. N ä m l i d i : Das Sein Gottes ist eine Wissensbestimmung (obiectum scibile), sofern es durch evidente Beweise v o m Ergebnis auf den Grund erwiesen ist: Aber das Sein Gottes ist auch eine Glaubensbestimmung (obiectum credibile et fidei), sofern es in der Schrift bezeugt ist. Das Sein Gottes wird gewußt durch Evidenz des Beweises, es wird geglaubt durch die göttliche Offenbarung. Gottes Existenz ist also audi unter die zu glaubenden Dinge (inter credenda) zu zählen. Allerdings kann niemand seine Glaubensgewißheit auf Gott setzen (in deo fiduciam ponere), wenn er nicht weiß, daß Gott existiert." (pl cVII sl thIII n) 56

König: „ § 1 4 1 : Aus dem Gesagten ergibt sich (emergit) die folgende Beschreibung (descriptio) des dreieinigen Gottes: Gott ist ein geistliches unbegrenztes Wesen (essentia spiritualis infinita) dreier Personen, des Vaters, des Sohnes und des Geistes."

57

Von solchen Versuchen aus entstand der Eindruck, die Orthodoxie habe den Glauben in zwei grundverschiedene Akte aufgespalten und sei daran gescheitert, wie H . Gollwitzer (Existenz Gottes, S. 166) ζ. B. meint.

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geistigen Daseins wie an dem Weltgeschehen in Natur und Geschichte nicht unter der Voraussetzung der Frage, ob Gott sei oder das Nichts, sondern sie hat Gott und seine Existenz, das ist die Kenntnisnahme seiner Verwirklichung immer schon in ihrer Voraussetzung. Weil das so gemeint ist, kann man mit diesem Existenzurteil stets ein wenn auch sehr allgemeines und vages Wesensurteil verbinden. Die grundsätzliche Frage, ob Gott überhaupt sei, wird hinter „diesem" Existenzurteil eben zu dieser Zeit von Descartes sichtbar gemacht. Descartes legt sich daher die Frage eines Gottesbeweises unabweisbar nahe, und er baut dieses Lehrstück ganz neu auf. Die meisten lutherischen Theologen dieser Zeit wie König und Quenstedt u. a. haben die Dringlichkeit von Gottesbeweisen nicht eingesehen, weil das Existenzurteil der Gotteskenntnis „das de facto in der Welt Sein Gottes" aber nicht die viel grundsätzlichere Frage nach Sein oder Nichtsein Gottes überhaupt betraf. Man kommt daher wohl gelegentlich auf die Gottesbeweise, die man aus der Tradition kannte, zu sprechen, aber viele Theologen übergehen sie zu dieser Zeit noch ganz. Die Existenz Gottes als Gottes Wirken in der Welt bildet den Inhalt der „naturhaften Gotteskenntnis", und die Essenz Gottes als sein dreieiniges Wesen wird in der „geoffenbarten Gotteserkenntnis" erfaßt. Die Existenz und die Essenz, so lehrte Scheibler, sind sola ratione unterschieden! Sie bilden de facto eine Einheit, und zwar ist die Existenz das Herausstehen über die Ursachen (sistere extra causas). Die Ursachen als Grund der Möglichkeit von Existenz aber reichen an die Essenz. Das kann gar keine Frage sein. So ist das dreieinige Wesen Gottes ganz eindeutig die Voraussetzung der Wirksamkeit Gottes in Welt und Selbst. So ist die „geoffenbarte Gotteserkenntnis" ganz eindeutig die Voraussetzung der „naturhaften Gotteskenntnis"! Aber warum verhandelt man dann die „naturhafte Gotteskenntnis" an erster Stelle? Weil die Wirkungen Gottes unser „existenzieller" Zugang zu Gott sind, und weil dieser Zugang für das Ganze entscheidend ist58, wie wir sahen. Wenn wir also das Zueinander von „naturhafter Gotteskenntnis" und „geoffenbarter Gotteserkenntnis" unter dem Gesichtspunkt ihrer Inhalte von Existenz und Essenz Gottes ansehen, und wenn wir dabei bedenken, wie man damals Existenz und Essenz einander zuordnete, dann sehen wir, wie es gemeint war, wenn von den Wirkungen Gottes in Welt und Selbst ausgegangen wurde. Die Existenz Gottes ohne die Essenz ist so undenkbar und nichtssagend, wie die „naturhafte Gotteskenntnis" ohne Offenbarung sein müßte. Die Essenz Gottes ohne die Existenz aber wäre jeder präsenten Realität so 58

D a s steht hinter dem Versuche Quenstedts, das scibile und das credibile nacheinander zu ordnen. Vgl. oben A n m . 55.

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bar, wie alles Offenbarungswissen ohne Erfahrung von Gottes Weltwirken realitätslos werden muß. Das Miteinander von „naturhafter Gotteskenntnis" und „geoffenbarter Gotteserkenntnis" ist nun allerdings an Existenz und Essenz orientiert. Aber man legt Wert darauf, das Existenzurteil durch ein Wesensurteil ergänzt zu zeigen, wie man beim Wesen Gottes die Existenz erkannt und bezeugt findet. Die Verzahnung der beiden Teile durch diese Ergänzungen gehört zur Sache, obwohl sehr deutlich ist, wie blaß solche Systemgedanken letztlich bleiben. Quenstedt macht den Versuch, bei der „geoffenbarten Gotteserkenntnis" die Bezeugung der Existenz Gottes nicht nur zu behaupten (s. o. Anm. 55), sondern auch auszuführen 59 . Aber seine Überlegungen bleiben unsicher und allgemein. Zumal sind die von Quenstedt aufgezählten Schriftzeugnisse ja das gerade nicht, worauf es in dem Widerfahrnis der Existenz Gottes im Zusammenhang der „naturhaften Gotteskenntnis" gerade ankam. Sie sind Verweise darauf, daß und wie Gott sich irgendwann existent gemacht hat. Aber das besagt wenig in Hinsicht auf das, worum es im Existenzurteil ging. Die Verzahnungen der beiden Teile bleiben also in sich matt. Sie zeigen nur, wie eng man die Verbindung von Existenz und Essenz ansah. Wir müssen zu diesen ganzen Überlegungen aber noch einen weiteren Schritt in die Gotteslehre hineintun und uns über das Verfahren Rechenschaft geben, mit dem hier — abgesehen von der Erörterung der Trinitätslehre selbst — gearbeitet wird. Es sind nämlich zwei große Teile von Gotteslehre, die unter der methodischen Kennzeichnung der „geoffenbarten Gotteserkenntnis" verhandelt werden: Einmal wird von dem Wesen Gottes gehandelt, sofern man es absolut überlegt (essentia absolute considerata) und sodann von dem Wesen Gottes, sofern man es beziehungsweise (relative) erörtert. Was damit gemeint ist, ist deutlich: Beziehungsweise heißt „in der Ordnung der drei göttlichen Personen". Die Relation, von der hier gehandelt wird, ist der trinitarische Ordo. Es wird 50

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Quenstedt: „Wie in der Natur einzelne Werke Gottes wie von Gott gegründet sind, so sind in der Schrift einzelne Worte und Sätze wie aus Gottes Inspiration geschrieben. Beides bezeugt Gott als Autor. Die Existenz Gottes bezeugen vor allem: Einmal die göttlichen Namen, die anzeigen, daß der Gott Jehova aller Dinge Herr sei; sodann die göttlichen Weissagungen, durch die Gott sich selbst ein Zeugnis liefert; sodann die verschiedenen Arten der göttlichen Offenbarungen, Theophanien und Erscheinungen; sodann andere göttliche Werke, die in der ganzen Schrift begegnenden Wunder und Gerichte etc., wie die Schöpfung der Welt, die Erhaltung, die Lenkung der Kirche, die allgemeine Sündflut, die Vernichtung Sodoms etc., durch die Gott seine Weisheit, Macht, Güte, Gerechtigkeit und Vorsorge erwiesen hat." (pl cVII sl thIV n).

klar, daß das „absolut überlegte Wesen G o t t e s " die Aussagen enthalten muß, die distinktiv zu der T r i n i t ä t aufgestellt werden können. Uns soll hier dieser Teil der Gotteslehre noch beschäftigen. Diese Überlegungen des Wesens Gottes werden nach der Einführung Königs in zwiefacher Hinsicht geführt: einmal an der mit dem biblischen Zeugnis gegebenen Grundkonzeption von Gottes Wesen selbst und andererseits an den Größen, die daraus für unser Begreifen folgen 6 0 . Diese Distinktion, die den Gegenstand bei sich selbst und hinsichtlich unserer erörtert, repräsentiert das normale Vorgehen, wie es sich modellartig in der Distinktion v o n Essenz und Existenz wiederfindet und wie es in der Eigenart menschlichen Denkens gegeben ist. Es fällt auf, wie vorsichtig hier vorgegangen wird. Von der essentia soll nach der Uberschrift gehandelt werden, und man erfaßt zunächst den „wesensmäßigen Begriff" (conceptus quidditativus) von der essentia. Dieser „wesensmäßige Begriff" wird nochmal in doppelter Weise sichtbar gemacht 8 1 . E r ist einerseits 60

61

König: „§ 33: Die Erörterung des göttlichen Wesens als solchen (absolute) wird einerseits durch eine Betrachtung des wesensmäßigen Begriffes als solchen (contemplatione conceptus quidditativi absoluti) und andererseits durch eine Betrachtung der Größen (eorum), die diesen Begriff in Richtung auf unsere Weise zu begreifen (in ordine ad nostrum concipiendi modum) folgen, geführt." Quenstedt weicht in dieser Bestimmung inhaltlich von König (§ 34 bis 36) nicht ab, paraphrasiert aber und klärt dadurch: „Das Wesen Gottes, als solches betrachtet, wird beschrieben als geistiges unbegrenztes Wesen (essentia spiritualis infinita). Dieser wesensmäßige Begriff (conceptus quidditativus), mit Hilfe dessen wir das göttliche Wesen — als solches betrachtet — erfassen, ist einerseits allgemein (communis) andererseits spezifisch (proprius). Der allgemeine Begriff ist: geistiges Wesen, denn die Bezeichnung (nomen) des Wesens ist Gott und den Kreaturen gemeinsam, obwohl sie Gott prinzipiell und eigenständig (independenter) den Kreaturen aber sekundär und als Abhängigkeit zukommt. Die Bezeichnung (nomen) Geist wird ja auch Gott wie den Engeln und in Analogie auch den Menschenseelen gegeben. Den spezifischen Begriff wahrlich drückt die Kennzeichnung des Unbegrenzten aus. In dieser Bezeichnung nämlich wird Gott — als unbegrenzter Geist nämlich — von Engeln und Menschenwesen als von begrenzten Geistern (spiritibus finitis) unterschieden. In dieser seiner Unbegrenztheit weist Gott alle Einschränkungen des Wesens (omnes essentiae terminos) ab, so daß er weder zeitlich noch räumlich noch durch einen anderen Sachverhalt eingegrenzt werden kann, sondern in seiner Natur und in seinem Wesen tatsächlich schlechthin für sich und absolut unbegrenzt ist. Aber darum, daß wir in Gott selbst einen allgemeinen und einen spezifischen Begriff denken, wird Gott nicht etwa als zusammengesetzt (compositus) wiedergegeben. Diese Distinktion ist nämlich nur eine Sache des Verständnisses (rationis tantum) und nicht real." (pl c V I I I sl t h l l ) .

43

„geistig". Diese Eigenart ist Gott, den Engeln und analog auch den Menschenseelen eigen. „Geistig" ist der Begriff f ü r Unkörperlichkeit. Gott wird ganz allgemein auch in der Philosophie als „geistige Substanz" (substantia spiritualis) bezeichnet, und das heißt die „unkörperliche Substanz" 62 . In Verbindung mit der Unbegrenztheit ist die Unkörperlichkeit aber nur Gott eigen. König u. a. erläutern das Gemeinte durch einen Verweis auf Ps 145,3. Damit ist, wie auch Quenstedt in einer N o t a betont, an dem „spezifischen wesensmäßigen Begriff" die Unzugänglichkeit des Wesens Gottes wie seine Unerforschtheit betont' 3 . Die erste Wesenserfassung Gottes im „wesensmäßigen Begriff als solchem" gibt also betont den unüberwindlichen Abstand von Gott und Mensch wie Gott und Welt wieder: Gottes Wesen ist jedenfalls unkörperlich und unbegrenzt. Wenn die Unkörperlichkeit noch ideographisch verwendet werden kann, denn der Mensch hat von der Seele und ihrer Unkörperlichkeit her eine gewisse Vorstellung von diesem Hinweis, so bedeutet die Unbegrenztheit den Verweis darauf, daß alle Versuche, Gottes Wesen verstehend und beschreibend zu erfassen, umsonst sind. Der „wesensmäßige Begriff" von Gott markiert also den Abstand theologischen Vermögens von Gott. Wir müssen dazu gegenwärtig halten, daß wir hier ja von der geoffenbarten (!) Gotteserkenntnis sprechen. In diesem Zusammenhange also muß von diesem Abstände ausgegangen werden, der auch durch das Wort Gottes nicht gelöst wird. Dieser unübersteigbare Abstand erfüllt die Überlegung des Wesens Gottes. N u r unter dieser Voraussetzung kann nach den Größen weiter gefragt werden, die auf unser Begreifen zugeschnitten sind und daher von Gottes Wesen ausgesagt werden können. Das sind die sogen. Attribute Gottes. Sie stehen unter diesem „wesensmäßigen Begriff". Das bedeutet, daß wir bei ihrer Erörterung ständig den unübersteigbaren Abstand von Gott im Auge behalten müssen. Die Einführung, die König diesen Prädikationen des Wesens Gottes gibt, entspricht dem voll und ganz. Diese Prädikationen Gottes besagen unserem Vorstellen und Begreifen etwas 84 . Aber man muß bedenken, 62 63

94

44

vgl. Sdieibler: Met III e i l , 111 ff. Quenstedt: „Unbegrenzt ist Gott nicht im Verständnis einer quantitativen Ausdehnung, weil Gott aller Quantität enthoben ist, sondern im Sinne von Wesen und Vollkommenheit. Ps 145, 3: ,Seiner Größe ist keine Grenze*. Im Hebräischen heißt ,ist keine diekaer': ist keine Erforschung (investigatio). Das heißt: Vergeblich ist alle Mühe unternommen, die auf die Umschreibung des unbegrenzten göttlichen Wesens, Weisheit, Macht etc. und darauf, jenen Attributen Begrenzungen zu ersinnen, verwendet ist." (pi cVIII si thll nil). König: „§ 37: Die Größen (ea, quae), die dem Wesen Gottes hinsichtlich der Weise unseres Begreifens (quoad nostrum concipiendi modum) folgen, sind

daß sie unangemessen sind und tatsächlich das Wesen Gottes selbst nicht sichtbar machen. Sie bezeichnen es aber „indirekt". Das kann mit dem intrinsece als Gegensatz zu ex parte rei doch wohl nur gemeint sein. Diese Prädikationen bezeichnen „indirekt", d. h. daß das Wesen Gottes selbst unerfaßbar bleibt und keineswegs in den biblischen Eigenschaftsbezeichnungen aufgeht. Unser Begreifen kann diese Prädikationen wohl fassen. Aber sie verhüllen das Wesen selbst. Quenstedt' 5 hat diesen Sachverhalt noch erläutert. A n dieser Erläuterung wird deutlich, wie weit man den Abstand von Wesen und Bezeichnung sah. Das „völlig einheitliche" W e sen und die in sich vielfältigen Begriffe können niemals

zusammen-

stimmen. Quenstedt macht in der Erläuterung der N a m e n Affektion und Attribut deutlich, daß diese Unangemessenheit daher rührt, daß diese Prädikationen Gottes Wesen nur von außen her erreichen. Das gilt, obwohl er festhalten will, daß das Bezeichnete von Gottes Wesen nur für unser Verständnis und nicht realiter unterschieden ist. Also das Attribut der Gerechtigkeit ζ. B. trifft das „völlig einheitliche" Wesen Gottes nicht, weil Gerechtigkeit in sich distinkt ist zur Ungerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit schreiben wir aus unserem Begreifen G o t t zu, und dieser Sachverhalt wird markiert, wenn wir von Gerechtigkeit als von einer Affektion oder von einem Attribut Gottes sprechen. Die Sache, um die es in jene Bezeichnungen (praedicata), die man Eigenschaften (attributa) zu nennen pflegt. § 38: Diese Eigenschaften sind dem göttlichen Wesen unangemessene Begriffe (conceptus essentiae divinae inadaequati), die tatsächlich (ex parte rei) das Wesen selbst verhüllen (involventes), dasselbe aber indirekt (intrinsece) bezeichnen. § 39: Von den Eigenschaften gibt es zwei Klassen (genera): die einen nämlich beschreiben das göttliche Wesen als solches und in sich (absolute et in sese), jenseits aller Rücksicht auf das Wirksam werden; die anderen beschreiben das Wesen wahrlich mit Rücksicht und auf Grund der Wirkung." 85

Quenstedt fügt zu König § 38, den er als These I I I übernimmt, die folgende Erläuterung: „Weil unser Intellekt begrenzt ist, darum kann er das unbegrenzte und völlig einfädle (simplicissimam) Wesen Gottes in „einem" angemessenen Begriffe (uno conceptu adaequato) angemessen nicht begreifen; deswegen ergreift er dies Wesen mit distinkten und unangemessenen Begriffen (distinetis et inadaequatis conceptibus), die das göttliche Wesen unangemessen wiedergeben. Diese unangemessenen Begriffe werden „Affektionen" oder „Attribute" Gottes genannt. „Affektionen" heißen sie, weil sie das göttliche Wesen „affizieren" und benennen. „Attribute" heißen sie, weil sie von unserem Intellekt jenem Wesen zugeschrieben werden (attribuantur), auch wenn sie von dem göttlichen Wesen nicht realiter, sondern nur unserem Verständnis nach unterschieden sind." (pl c V I I I sl thIIIn) Vgl. J . Baur: „Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium", Gütersloh 1962, 28 f. 45

der Gerechtigkeit geht, ist dabei allerdings „nur von unserem Verständnis" — also nur logisch — und nicht realiter v o n Gottes Wesen unterschieden 86 . Die Formulierung Königs, daß die Attribute das Wesen Gottes „indirekt bezeichnen" (intrinsece denominantes) zielt auf dies Verhältnis. Die Attribute verdecken das Wesen in seiner Tatsächlichkeit (ex p a r t e rei). Aber sie weisen d a r a u f „ihrer inneren Sache nach" d. h. indirekt (intrinsece) hin. Das „ I n n e r e " in dem intrinsece bezieht sich also auf das „Innere" des Attributes — nicht des Wesens. U n d diese „indirekte" Bezeichnung, die „als" Affektionen (per m o d u m affectionum)

geschieht, wie

Quenstedt sagt, geschieht je und je. Sie erfaßt „jetzt" diese und „ j e t z t " jene Seite des Wesens Gottes! Diese Kennzeichnung Quenstedts ist von größter Wichtigkeit. Indem er beschreibt, daß die Attribute Gottes keine Wesensbezeichnung „an sich" erreichen und sind, daß sie vielmehr ihren Grund in dem Affiziertsein des Menschen durch G o t t haben, erfaßt er ihre zeithafte Gültigkeit! J e t z t „ist" G o t t der Gerechte! J e t z t „ist" G o t t der Allwissende! Mit diesen Bestimmungen hat Quenstedt den Versuch gemacht, das deutlich zu erhalten, w o r u m es angesichts der F r a g e nach dem Wesen c,i

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Quenstedt hat die schwierigen Fragen dieses Verhältnisses in der polemischen Sektion des Kapitels von den Attributen in einer eigenen Quaestio erörtert. Dabei stellt er die hier besprochene Unterscheidung dar: „Es ist zu unterscheiden zwischen richtigen, streng und strikt gemeinten Eigenheiten (inter veras rigorose et stricte dictas proprietates), die von ihren Trägern (a subiectis suis) realiter unterschieden sind, und dem, was durch die Eigenheit oder Eigenschaft (per modum proprietatis aut attributi) begriffen oder ausgesagt wird. Richtige und streng gemeinte Affektionen oder Eigenheiten, die von dem göttlichen Wesen realiter unterschieden sind, haben in Gott überhaupt keinen Platz. Es ist evident, daß dennoch etwas begriffen, ausgesagt und auch in und über Gott gekennzeichnet wird durch Affektion oder Attribut. Wenn wir nämlich eigentlich und genau reden wollen, so hat Gott überhaupt keine Eigenheiten (proprietates), sondern er ist lauteres und völlig einheitliches Wesen (mera et simplicissima essentia), das keine reale Differenz und keine Zusammengesetztheit von Sachen und Weisen zuläßt. Weil wir wahrhaftig das völlig einheitliche Wesen Gottes mit „einem" angemessenen Begriffe angemessen nicht begreifen können, so erfassen wir es mit unangemessenen und distinkten Begriffen, die das göttliche Wesen unangemessen repraesentieren. Diese unangemessenen Begriffe, die von außen (a parte rei) mit dem göttlichen Wesen gleichgesetzt sind und von uns als Affektionen (per modum affectionum) erfaßt werden, nennen wir Attribute. So unterscheidet unser Intellekt, was tatsächlich (ex parte rei) nicht unterschieden ist und erfaßt das göttliche Wesen, als welches er jetzt (!) unabhängiger Geist ist und jetzt (!) allmächtig und jetzt (!) allwissend etc." (pl c V I I I s l l q l l ekth III).

Gottes geht, nämlich den konkreten, den Menschen betreffenden Charakter der sogen. Attribute. Die Kennzeichnung Königs in § 39 (s. o. Anm. 64) zeigt denn auch, daß er die Klassifizierung der Eigenschaften am Wirken Gottes als Maßstab einteilt. Das ist sehr typisch, denn es zeigt, daß der Ansatz f ü r die Erschließung des Wesens Gottes eben das Wirksamwerden Gottes ist — also die Existenz. Das kann ja nicht anders sein. Besonders deutlich wird dies, wenn wir den Grundsatz Quenstedts bedenken, daß die scheinbar abstrakten Attribute wie Güte und andere nur solange sie konkret gesehen sind, daß Gott nämlich als der Gute etc. d. h. als der so und so Wirkende prädiziert wird 61 , verstanden sind. Hier wie audi sonst ist zu bemerken, daß die sogen. Attribute Gottes, die Gottes Wesen kennzeichnen sollen, in der größten Nähe zur Existenz Gottes, d. h. zu seinem de facto in der Welt Sein gehalten werden. Damit entsprechen sie der biblischen Bezeugung. Das ist das zentrale Bemühen. Das dahinter stehende Denkpostulat besteht in der absoluten Einheit von Essenz und Existenz in Gott. Um diese Einheit, die dem Menschen logisch nicht nachvollziehbar ist, gehen die Überlegungen immer wieder herum. Das grundsätzliche und in allen Beziehungen einfache (simplicissima) Wesen Gottes bleibt unseren Prädikationen, die stets in sich distinkt sind, verschlossen. Aber das „Was" der Prädikationen kommt Gottes Wesen „wirklich" zu®8. Man landet nicht in der Skepsis. Man kann Gott aussagen! Die Einheit von Existenz und Essenz trägt die Gewißheit dieser 67

Qenstedt: „Es ist zu unterscheiden zwischen der wirkenden Konkretion (concretio physica) und den begrifflichen konkreten Praedikationen (denominativae concretivae praedicationes); in Gott gibt es kein Früher oder Später, ,νοη Natur' (natura) geht nichts vorher und folgt nichts. Gleich Null ist alle wirkende Konkretion; auch ist das Abstraktum nichts· anderes als das Konkretum; es gibt nur eine völlig ungetrübte Einheit (sed purissima identitas). Deshalb sind dennoch die begrifflichen und konkreten Prädikationen nicht zu ächten. Beide nämlich bezeugt die Sdirift: Gott ist gut und Güte, wahr und Wahrheit, weise und Weisheit etc. wegen der Einheit des Abstrakten und Konkreten. Das ist gegen Scaliger (Exercitien 365 sVI pl072) festzuhalten, der behauptet: ,Gott sei kein Seiender (ens), sondern Wesen (essentia), auch kein Guter, sondern Güte, auch kein Weiser, sondern Weisheit etc." (pl cVIII s l l q l l font II). r8 ' Quenstedt: „Obwohl die göttlichen Attribute gemäß unserer Weise zu verstehen gebildet sind, so entbehrt jene Weise des Verstehens dennoch nicht der Begründung in der Sache. Die Attribute werden auch nicht nur uneigentlich oder vermenschlichend Gott zugeschrieben, sondern sind ihm selbst wahrhaft eigentlich konvenient (sed vere proprieque ipsi conveniunt). So, wenn es Joh 5, 36 heißt: Gott habe das Leben in sich selber. Was ist gewisser, als daß Gott wahrhaft Leben hat und daher der Lebendige heißt — nidit nur nach Menschenweise, sondern wahrhaft und eigentlich?" (pl cVIII sll q l l fontV).

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Theologie, die es den Theologen erlaubt, die Brücke zum pietistischen Glaubensdenken zu schlagen und die lebendigen Impulse, die von dort kommen, aufzufangen. Der Aufbau der Gotteslehre bei König, Quenstedt und anderen Theologen des 17. Jahrhunderts zeigt sehr deutlich, wie die sogen, „naturhafte Gotteskenntnis" und die „übernaturhafte Gotteserkenntnis" an dem Problem von Existenz und Essenz Gottes unterschieden sind. Aber es ist auch sichtbar, daß die Erhebung der Existenz Gottes in der „naturhaften Gotteskenntnis" ein Wesensurteil impliziert. Allerdings bleibt dies Urteil allgemein blaß und unsicher. Aber es gehört an diese Stelle. Auf der anderen Seite ist es deutlich, daß die Wesenserhebung Gottes im Zusammenhang der „übernaturhaften Gotteserkenntnis" nun nicht etwa so vor sich geht, daß man Bibelstellen sammelt und, wie es die alte TheologenLegende will, mit solchen dicta probantia ohne weiteres Nachdenken die Sache für erledigt gehalten hätte. Man war sich über die inneren Schwierigkeiten, das Wesen Gottes zu besdireiben, nidit nur klar, sondern man ging diesen Schwierigkeiten nach und löste die Sachfrage in aller möglichen Sauberkeit, um daraufhin (!) — und dies ist entscheidend für den dogmatischen usus scripturae — die biblischen Zeugnisse erfassen zu können. Bei diesem Bemühen spielte nun, wie wir zeigten, wiederum das Problem von Existenz und Essenz die entscheidende Rolle. An der in Gott bestehenden Einheit von Existenz und Essenz wird erstens der Wesensbegriff auf sein „Was" hinterfragt — also über sich selbst und sein distinktes Gespanntsein hinaus auf seinen ideogrammatisdien Charakter verfolgt! Zweitens wird der Wesensbegriff der „Güte" ζ. B. so eng an den Existenzbegriff „gut" angeschlossen, daß der Gefahrenpunkt der abstrakten Konstruktion oder Spekulation ausgeschlossen ist, und daß also der Zugang zu dem Wesensbegriff im Existenzbegriff zu Tage liegt. Die sorgsamen Untersuchungen ebnen den Boden, um das Gebäude der Lehre von Gottes Wesen als solchem aus den biblisch bezeugten Attributen Gottes errichten zu können. Wir brauchen uns dies Verfahren im einzelnen nicht anzusehen, denn das bisher Beobachtete wird nur durchgeführt. Auf diese Ausführungen folgt dann die Behandlung der Trinitätslehre. Diese Trinitätslehre nimmt unter den dogmatischen Loci eine Sonderstellung ein. Ihr Mysterien-Charakter verbietet jeden Sdiritt, der „begreifend" in dies Geheimnis eindringen will". N u r die göttliche Offenbarung macht 69

K ö n i g : „§ 78: Der sublime Charakter ist so groß, daß es (sc. das Mysterium der Trinität) über alle Sinne, über alle Vernunft und über alles Verstehen hinausgeht. D a r u m kann und darf es von der R a t i o aus weder bestürmt noch angegriffen noch bewiesen werden. Es kann und d a r f weder a priori noch a posteriori gedacht werden."

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sie bekannt, und die Trinität muß geglaubt werden. Aber so gewiß diese Positionen durchgehalten werden, so deutlich sehen wir, wie sich unsere Fragestellung in dieser Lehre durchsetzt. Die Grundentscheidung über die Trinitätslehre fällt ja damit, ob das Hervortreten Gottes als Schöpfer, Versöhner und Erlöser oder als Vater, Sohn und Geist in diesem seinem „offenbarungsmäßigen" Nacheinander als Ausdruck der Trinität gefaßt wird, oder ob die Trinität darüber hinaus grundsätzlich in das „Wesen" Gottes verfolgt und als „Wesenstrinität" angesetzt wird. In dieser Frage steckt unser Problem von Existenz und Essenz! Die Theologien dieser Zeit zeigen denn auch, wie souverän man auf der Grundlage dieses Existenzdenkens mit diesem trinitarisdien Grundproblem umgehen kann. U m von diesen Momenten nur eines zu zeigen, werfen wir einen Blick auf den heute fast unbekannten Ordo-Gedanken der Trinitäts-Lehre. Es ist nämlich die Frage, ob und wie die drei Personen, d. h. ja die drei Relationen in Gott sich zueinander verhalten. Dabei muß man sich gegenwärtig halten, daß die drei Personen von der göttlichen Essenz nur auf Grund der unserem Denken eigenen Notwendigkeit — also logisch — unterschieden sind aber nicht realiter, daß andererseits aber die drei Personen untereinander realiter und keineswegs nur in unserem Verstehen unterschieden sind 70 . In diesem Gedanken wird ja schon etwas von unserem Problem sichtbar, denn die drei Personen verhalten sich danach zur göttlichen Essenz so wie Existenz sich distinktiv zur Essenz verhält, nämlich sola ratione! D a s Verhältnis der drei Personen zur einen Essenz, also das zentrale Problem der Homousie ist im Modell von Existenz und Essenz gedacht. Man kann von unseren Darlegungen über den ExistenzBegriff im 17. Jahrhundert aus auch sehen, wie hervorragend diese Distinktion geeignet war, um erstens das trinitarische Problem so darstellen zu können, daß die drei Personen, das sind ja die innertrinitarischen Relationen, nun nicht im innertrinitarischen Abstraktum aufgingen, sondern als Gottes Wirken in der Welt erkennbar wurden, und um zweitens diese drei Personen in ihrer real unterschiedenen Existenz zur göttlichen Essenz so offen zu halten, daß ihre essentielle Einheit nicht gefährdet wurde. D a s war mit der grundsätzlichen Feststellung, daß Existenz und Essenz nicht realiter sondern sola ratione unterschieden seien, gewährleistet. 70

K ö n i g : „§ 86: Die Person wird anders von der Essenz und anders von der anderen Person unterschieden; von der Essenz wird sie nicht real (non re), sondern im Verständnis mit einer G r u n d l a g e in der Sache (sed ratione cum fundamento in re) unterschieden; von der anderen Person wird sie in der Sache selbst (in re ipsa) unterschieden, wobei jede Tätigkeit des menschlichen Intellekts zurücktritt."

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Die drei real unterschiedenen Personen stehen nun in einem O r d o zueinander. Es ist also nicht beliebig oder dem Theologen zu überlassen, wie er die drei Personen nebeneinander sieht. Dieser Ordo wird nun aber audi wieder doppelt bestimmt, und zwar nach dem Modell von Essenz und Existenz 71 . Der Ordo in der Ständigkeit (ordo in subsistendo) und der Ordo in dem Handeln (ordo in agendo) treten nebeneinander. Der ständige Ordo tritt neben den am Wirken des dreieinigen Gottes zu erhebenden Ordo. Beide laufen einander parallel und werden nebeneinander behandelt, ohne daß die Homousie dadurch gestört würde, denn diese Distinktion ist nicht realiter 72 . Wir erkennen an diesen Bemerkungen zur Vortheorie der Trinitätslehre, wie groß die Rolle ist, die das Modell von dem Verhältnis von Existenz und Essenz hier zu spielen bestimmt war. Erstens löste man das Homousie-Problem hiermit, indem man das Verhältnis der drei Personen zu dem einen Wesen als Verhältnis von Existenz zu Essenz ansah. Zweitens gab man damit zugleich diesem trinitarischen Personbegriff den entscheidenden Ruck, denn dieser rein innertrinitarische Relationsbegriff wurde unter dem Denken als Existenz bruchlos in die schöpfungstheologische, christologische und ekklesiologische Linie überführt. Drittens konnte man die Frage nach der sogen. „Wesenstrinität" eindeutig bestimmen, ohne der inneren Berechtigung der sogen. „Offenbarungstrinität" etwas abzubrechen. Dies mag genügen, um zu zeigen, wie weit die Lösung des Exi71

König: „§ 87: Aus dem realen Unterschied der Personen geht deren O r d o einerseits in Ständigkeit (in subsistendo) andererseits im Handeln (in operando) hervor: kein Unterschied der Zeit, kein Unterschied der Würde, sondern ein Unterschied der Personen (non temporis, non dignitatis sed personalis). § 88: Der O r d o in Ständigkeit geht aus der verschiedenen Weise, eben dieselbe Essenz numerisch zu haben (ex diverso modo eandem numero essentiam habendi) hervor. Diese Essenz nämlich hat der Vater von sich selbst, gleichsam die Quelle und das Prinzip der heiligsten Trinität. Daher ist er die erste Person. Diese Essenz hat der Sohn v o m Vater durch die ewige Zeugung, und daher ist er die zweite Person. Diese Essenz hat der heilige Geist von Vater und Sohn durch die ewige Hauchung, und daher ist und wird er genannt die dritte Person der Trinität. § 89: D e n Ordo im H a n d e l n (ordinem in agendo) tut die Schrift durdi die unterscheidenden Präpositionen: aus, durch, in R o m 11, 36, dar, wie in diesem Sinne alles sein soll von oder aus dem Vater. 1. Kor 8, 6, durch den Sohn, Joh 1, 3; 1. Kor 8,6; Hebr 1, 2, im Heiligen Geiste, 2 Thess 2, 13."

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König: „§ 91: Gleichwohl, wie wahrhaftig und real die göttlichen Personen voneinander auch unterschieden sein mögen, sie sind und bleiben dennoch eines Wesens, da diese Unterscheidung (sc. des Ordo) das Wesen weder teilt noch vervielfältigt: 1 Joh 5, 7."

stenzproblems theologisch trug, von der diese Theologie vor Descartes ausging. Wir haben hier nur das Problem der Gotteslehre erörtert, da es uns heute an dieser Stelle zumal aufgegeben ist, mit dem ExistenzBegriff umzugehen.

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VI. Das Denken der lutherischen Metaphysik und D o g m a t i k vor Descartes in Deutschland zeigt uns einen Existenz-Begriff und damit eine theologische Lehre von Gottes „Sein", die von der Problemstellung unserer Gegenwart weit abliegt und unvergleichbar anders als sie zu sein scheint. Die Fragestellung, ob die Aussage „ G o t t ist" G o t t zu einem Ding mache, und ob man demgegenüber alles daransetzen müsse, G o t t nur in der E x i stentialität gläubigen Daseins und damit jenseits aller möglichen V e r gegenständlichung zu erfassen, ist für das Denken vor Descartes so nicht akut. Man kann angesichts der damals angestellten Überlegungen gar nicht so fragen. Die Gegenständlichkeit als Vorfindlichkeit, die man objektiv feststellen könnte und von der man theoretisch unbeteiligt reden könnte, ist so noch nicht „entdeckt". M a n kennt zwar Unterscheidungen, die unserem Objektiven und Subjektiven oder Konkreten und Abstrakten ζ. B. etwa entsprechen. Aber diese Unterscheidungen führen nicht zu Brüchen, weil man in Distinktionen denkt. Distinktionen aber verbinden und trennen nicht. So ist ζ. B. die moderne Fragestellung, ob man G o t t nur aus der Schrift oder auch aus der Welt erkennen könnte, für jene Welt als Entweder-Oder ganz unvorstellbar. N u r im Zugleich ist beides zutreffend und kann beides miteinander

ausgesagt werden.

Natürliche

Theologie ist ohne Offenbarungserkenntnis ganz unmöglich und unvorstellbar. Mit der Offenbarungserkenntnis ist die natürliche Theologie aber völlig unvermeidbar, denn es geht j a wirklich sehr „vernünftig" zu im Glauben, und wenn Gottesglaube nicht vernünftig wäre, könnte Vernunft nie gläubig an G o t t werden. Fragestellungen und Schlußfolgerungen sind im 17. Jahrhundert allerdings andere als heute. Das will gesehen sein, damit keine kurzschlüssigen „Vergleiche " angestellt werden. Aber wenn wir bei der Frage der sogen. Natürlichen Theologie sehen, daß unser heutiges Entweder-Oder dort noch als Einheit vorgestellt und praktiziert wurde, so scheint es auch in der Frage nach Gottes „Sein" so zu sein, daß dort Positionen als vereinbar gesehen werden, die uns zerfielen. Überlegen wir zunächst das Verhältnis dieses Existenzdenkens zu dem Versuche Bultmanns, die Gottesfrage aus dem Ansatz Heideggers heraus zu beantworten. Hierzu gehen wir wohl am besten von einer Position der damaligen Philosophie aus, die den modernen Gegensatz vergleichsweise in sich zu enthalten scheint. Wir zeigten (s. o. S. 19), daß Scheibler hinsichtlich des Aussagegehaltes des Begriffes Existenz ganz klar einen G e brauch von Existenz, in dem er das Sein gegenüber dem Nichtsein betont

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sieht, von einem anderen Gebrauch von Existenz, in dem Existenz das „ d e facto in der Welt Sein" eines Wesens bezeichnet, unterscheidet. Scheibler sagt, er verwende den Begriff nicht in der ersten grundsätzlichen Weise sondern im Sinne einer das Wirklichsein einer Essenz bezeichnenden Eigenart. In dem Gegensatz zwischen Gollwitzer und Braun sieht es manchmal so aus, als gingen die Reden darum aneinander vorbei, weil Gollwitzer seine Rede von der Existenz Gottes offenbar gegenüber einer atheistischen Möglichkeit, das Sein Gottes überhaupt zu bestreiten, versteht. Daher wittert er bei Braun atheistische Konsequenzen. Braun geht es aber gar nicht um eine Bestreitung Gottes, sondern um eine angemessene Beschreibung Gottes, wie er „de facto in der Welt ist", nämlich als Mitmenschlichkeit, wie er es nennt. So ist es wohl auch bei Bultmann. Es ist daher wohl zutreffend, wenn H . W. Bartsch dies Gespräch Gollwitzer gegenüber auf diese nicht so grundsätzliche Frage der Aussage zurückholen will7®. Scheibler wie K ö n i g u. a. sprechen mit dem Existenzurteil Gottes, wie es im Zusammenhang seiner Wirksamkeit in Selbst und Welt gewonnen wird — weiter besagt ja, wie wir sahen, die sogen, naturhafte Gotteskenntnis nichts — von dem „de facto in der Welt Sein" Gottes. Sie meinen also nicht, wie man es immer wieder fälschlich unterstellt, Gottes Sein gegenüber seinem möglichen Nichtsein erstellen oder beweisen zu können! Gottes Tatsächlichkeit wird philosophisch wie theologisch vorausgesetzt. D a r u m haben diese Philosophen und Theologen kein Interesse am Gottesbeweis. Er taucht hier und da als Traditionsstück auf. Bei den meiste^ fehlt er ganz. Descartes muß dann Gott beweisen. Er will ja auch voraus,etzungslos denken. Diese lutherischen Philosophen und Theologen wollen gar nicht voraussetzungslos denken. Sie setzen Gott voraus! Sie reden von seiner Existenz als von der Beschreibung seines in der Welt Seins und seiner Wirkungen auf den Menschen. Mit dieser Grundposition aber steht dies Denken offenbar dem nahe, w o v o n Bultmann ausging: Wir können von Gott nicht reden, ohne von unserem Betroffensein von Gott zu reden 74 . Gott ist als Realgrund (causa efficiens) solcher Rede die Voraussetzung dieser Möglichkeit. Wir dürfen nicht davon abstrahieren, daß er uns in unserer Existenz betrifft und daß das der Grund der Möglichkeit unserer Rede von Gott ist. Es kann nicht bestritten werden, daß die Theologie des 17. Jahrhunderts das Wahrheitsmoment des existentiellen Denkens, daß nämlich das Existenzurteil Gottes nur durch die Wirksamkeit Gottes an Selbst und 73

H . W. Bartsch: „ Ü b e r die Möglichkeit, von G o t t zu reden", Kirche in der Zeit 1964, 155 ff.

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D a z u gehört im Verhältnis zum biblischen Zeugnis auch das von Bultmann sogen. „ V o r v e r s t ä n d n i s " .

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Welt ausgesagt werden könne, vertreten hat. Wir konnten dies ja auch da beobachten, wo das Wesensurteil Gottes zurückgeholt wird auf das Existenzurteil und wo der trinitarische Personbegriff gegenüber der einen göttlichen Essenz als Existenz-Begriff erläutert wird. Die Beachtung dieser Tatsachen ist deswegen wohl interessant, weil man diesen Zug in der als verknöchert abstrakt verschrieenen Orthodoxie zunächst nicht erwartet. Aber man wird diese Beobachtung nicht überwerten dürfen, denn dieser Existenzbegriff steht ja in einem uns zunächst fremden ganz engen Verhältnis zum Wesensbegriff. Damit rühren wir an den ersten ganz entscheidenden Unterschied zwischen dem Existenzverständnis im 17. Jahrhundert und dem modernen Begriff. Für Scheibler und König ist Existenz stets Existieren von Essenz, die als Möglichkeit in den Ursachen angelegt ist. Existenz heißt Herausstehen aus den Ursachen, und „was" da heraussteht, das ist das in den Ursachen angelegte Wesen. Existenz sagen heißt also nachschauen: „was" existiert. Ohne dieses „was", ohne die Essenz, ist Existenz ein defekter Begriff. Darum muß man, so sahen wir, das Existenzurteil über Gott sogleich ergänzt sein lassen durch ein Wesensurteil, audi wenn dasselbe nichtssagend und allgemein und rein traditionell ausfällt! Man muß das tun, weil Existenz als solche behauptet nichts „ist". Uns ist dieses Fragen nach dem Wesen fernliegend, weil wir bei Existenz letztlich doch an ,Sein oder Nichtsein' denken, und bei dieser grundsätzlichen Fassung von Existenz wird man natürlich nicht nach der Essenz fragen. Aber mit der Existenz soll es ja nicht um ,Sein oder Nichtsein' gehen, sondern um das zur Verwirklichung Kommen, um das esse actu. D a aber fragt man, „was" oder „wer" denn in diesem Vorgang begriffen ist oder war. Existenz ist für Scheibler, König u. a. ein Vorgang, der sich an der Essenz als Möglichkeit von den Ursachen her vollzieht. Man kann daher alle Realität an ihren Ursachen beschreiben. Dies vollzieht man als „Pragmatologie", als Lehre von diesem Vorgang in die Realität hinein. Vor der Pragmatologie steht die „Onomatologie" als Lehre von der benannten realen Erscheinung selbst, von der man ja ausgehen muß. Beide Überlegungen zusammen umschreiben Existenz und Essenz! Wenn etwas dem modernen Denken fern ist, dann ist es diese Frage nach der essentia. Wir können hier nicht darlegen, was man im 17. Jahrhundert unter Essenz verstand. Aber wir können auch so sehen, daß dieses Fragen nach dem „was", nach der Essenz, gerade das ist, was das Denken des Vitalismus und Existentialismus gerade nicht will. Der Vitalismus sagt: Ja, es geht um Leben — aber nur als Erleben! Die Existenzphilosophie sagt: J a , es geht um Sein — aber nur als Dasein! Darum geht es um das Existential und nicht um die Kategorie. Darum geht es um Befindlichkeit und nicht um Relation. Mit der Frage nach dem Wesen fängt der Sündenfall der 54

Theorie an. D a s Wesen existiert nur im „ D a " , und das ist sein Ganzes, was aussagbar ist. Alles darüber hinaus ist vom Übel. Wir sehen deutlich den Gegensatz. Ich meine auch, den Gegensatz nicht übertrieben zu haben. Aus der Selbstverständlichkeit des 17. Jahrhunderts, daß Essenz existiert, daß „ w e r " oder „ w a s " existiert, geht dieser Gegensatz hervor. Aber nun müssen wir audi die Gemeinsamkeit in diesem Gegensatz sehen. So gewiß im 17. Jahrhundert von Existenz nur als von existierender Essenz geredet werden kann, so gewiß kann man beides realiter nicht unterscheiden oder auseinandernehmen! Existenz und Essenz zu unterscheiden ist dem Menschen allerdings notwendig, weil er auf Grund seiner Vernunft also logischerweise nicht anders kann. Aber — und dazu ist die Philosophie nun ja da — er hat sich sagen zu lassen, daß Existenz und Essenz realiter weder unterschieden noch unterscheidbar sind! Diese klare Feststellung Scheiblers ist von größter Wichtigkeit. Sie „intendiert" j a wohl genau das, worum es dem Vitalismus und der Existenzphilosophie geht. M a n kann Existenz und Wesen realiter nicht unterscheiden. Aber das 17. Jahrhundert tut das dennoch, weil die Notwendigkeiten des Denkens und der Logik anerkannt wurden. Man tut das aber in dem Bewußtsein, dabei nicht von einer Realität zu reden. Darin liegt die feste Schranke vor der leeren Abstraktion. Vom Wesen als Wesen redet man nicht! Scheibler sagt, das Wesen als solches sei Nichts! M a n redet vom Wesen in der Realisierung: M a n redet von Existenz! Aber — das muß klar bleiben — man redet von Existenz als von dem Existieren eines „ W e r " oder „ W a s " und nicht etwa von einer „reinen" Existenz. Diese „reine" Existenz ist jenem Denken ebenso nichtig wie das „reine" Wesen. In diesem Gegensatze, der sich auftut auf dem gemeinsamen Wissen von Realität, kommt etwas zu Tage, was als tiefste Frage gegenüber dem theologischen Existenz-Denken ja immer wieder gestellt wird. Es wird wenige geben, die die Richtigkeit und Fruchtbarkeit der Intention einer existentiellen Glaubensergreifung negieren. In den 20ger Jahren sagte man, auch wohl mit Recht, dieser Intention sei man stets, wenn audi mit anderen Begriffen, gefolgt. So neu sei das also nicht. Aber wie dem audi sei, man wird das Drängen darauf, die Abstraktionen und Theorien zumal in der Theologie zu meiden und Gott da wahrzunehmen, wo er zur Verwirklichung kommt, sich sehr wohl gesagt sein lassen. M a n wird ja audi die Erfassung des biblischen Zeugnisses als lebendiges Zeugnis nicht vertauschen wollen mit den alten Kategorien vom objektiven Bericht etc. Aber wenn Jesus das „ D a ß " des Vorrufes auf Gott ist, dann fragt man nach dem „ W a s " in diesem Existential. Oder wenn das biblische Wort als Wort Gottes nach seiner „Wortlichkeit" ergriffen werden soll, und das soll j a nadi Gogarten gegenüber aller Inhaltlichkeit verstanden werden, 55

dann fragt man, „was" diese „Wortlichkeit" als reine Funktion eigentlich soll. Und so wird ja auch im Verhältnis zur existentialen Interpretation von Gott gefragt: „Wer" ist denn der Inhalt oder besser das Wesen, das da existiert und also wirkt? So fragt man nach dem „Was" des Glaubens, wo er rein existentiell als Begründung von Selbstbewußtsein aufgefaßt wird. Genau an der Nahtstelle dieser Fragen tritt das theologische Denken des 17. Jahrhunderts auf und sagt uns: Natürlich muß man nach diesem „Wer" oder „Was" als Essenz der Existenz des Glaubens oder Gottes oder des biblischen Wortes oder Jesu fragen. Man muß das, weil diese Existentiale ja realiter die Essenz sind! U n d wenn man das nicht annimmt, dann ist der pure Skeptizismus die Folge. Man muß nach „Wer" oder „Was" in der Existenz — richtiger als diese Existenz (!) —fragen, denn es ist unser Los als denkende Wesen, daß uns Essenz und Existenz zerfallen. Aber realiter sind sie eins. D a r u m kann man und darum muß man fragen. Man kann überspitzt auch so sagen: Man kann und muß auf Grund dieser Überlegungen kühnlich behaupten: die bestimmte einzelne Existenz oder Wirksamkeit ζ. B. Gottes sei „seine Essenz". Das kann man nicht nur sondern das muß man, wenn man dem skeptischen Urteil, Gottes Essenz sei überhaupt unbestimmbar, entgehen will. Die eminente theologische Bedeutung dieser Überlegung liegt auf der H a n d . Wir müssen uns diese Überlegungen konkretisieren. Wenn wir bei der Frage nach dem Wesen Gottes bleiben, so würde dies bedeuten, daß das jeweilige Hervortreten Gottes als sein Wesen zu postulieren sei. Das ist denn aber wohl auch die Meinung der biblischen Zeugen. Der Gott Abrahams und der Gott Davids, die sind nicht so ohne weiteres zu verbinden, werden aber als der eine Gott Israels prädiziert. Der Gott am Sinai und der Gott, der Moses in der Wüstenherberge ermorden will, scheinen nicht eines Wesens zu sein, werden aber als der eine Jahve genannt. Der Gott, der eifersüchtig über die Erfüllung seiner Gebote wacht und der Gott, der das Verlorene sucht, die sind nicht so leicht zu verbinden, und sind doch der eine Gott. Wir können die Existenz Gottes als Richter und seine Existenz als Heilbringer nicht harmonisieren. Wir können diese Existenzweisen Gottes aber auch nicht einfach formalisieren als bloßen Ruf in die Entscheidung oder bloßes „Da". Wir können diese und jene Existenz nur als die, die sie ist, auf uns nehmen. Gott ist dem Abraham in Mamre als der Heilbringer im Erben und Sohn d. h. als Garant seiner Verheißung Gott gewesen, und wo uns eben dies Wort zugesagt wird, da wird uns zugemutet, Gott als den Garanten seiner Verheißung in diesem Sohn anzuerkennen. Der Gott, der David zur Verantwortung zieht f ü r seinen Ehebruch ist ein anderer. Aber ich muß eben diesen Richtergott auf mich beziehen und anerkennen. So baut sich 56

Gott in der Verkündigung der Kirche aus seinen in der Bibel bezeugten, unendlich vielfältigen, aufregend mannigfaltigen und verwirrend widersprechenden „Wirksamkeiten" auf. Diese „Existenzen" Gottes wollen ausgetragen sein — das heißt Glauben, wie er unter dem biblischen Worte geschieht. Tief inhaltlich bestimmt und farbig geprägt lebt der Glaube von der Verkündigung Gottes in seinen Wirkungen und greift in all der vielfältigen Existenz Gottes hindurch zu Gottes vielfältigem Wesen. Gottes Wesen ist kein langweiliger Schematismus von Liebe, und Gott ist nicht immer mit sich selbst identisch. Das wäre reine Abstraktion. Aber in aller Verschiedenheit und audi Widersprüchlichkeit von Gottes Wirksamwerden und Wesen — das ist das Postulat des Glaubens — hält sich das endgültige Wirksamwerden Gottes als Jesu Wort, Werk und Person durch. Das ist das N o v u m des Glaubens nach Jesu Dasein, daß sich Gottes Wesen als dieser Jesus in unübersehbarer Einheitlichkeit verfaßt dargestellt hat. Aber es ist ja audi deutlich, daß die Vielfältigkeit der Wirkungen Gottes auch in Jesu Wort nicht einfach eingeschmolzen ist in das, was man Liebe zu nennen pflegt. Das war ja doch wohl eine der großen Taten Luthers, daß er gerade auch in Gottes Handeln als Jesus von Nazareth das sub contrario Handeln Gottes erkannte. Luther konnte mit seiner theologia crucis durch alles Angefochtensein von den schrekkenden und drohenden Wirksamkeiten Gottes hindurchgreifen zur Tiefe des „Herzens Gottes" als Liebe. Wo das Kreuz Christi aus seiner Mittelpunktstellung verdrängt wird, da ist die wahre Erfassung der Tiefe Gottes bedroht. Wir brauchen die Konkretion der Existenz Gottes hier ja nicht bis ins einzelne auszuführen. Es sollte nur verdeutlicht sein, wie zwischen dem Existenzdenken des 17. und dem des 20. Jahrhunderts trotz des tiefen Unterschiedes eine starke Konvergenz waltet. Wir meinen darüber hinaus auch, daß man aus dem Gesagten sehen kann, daß bei dem ExistenzDenken des 17. Jahrhunderts gegenüber dem des 20. Jahrhunderts eine größere Nüchternheit insofern liegt, als sie sich über den Unterschied von Existenz und Essenz — als für menschliches Denken unumgänglich — klar sind und somit die Frage nach dem Wesen nicht auslassen! Ich meine, es liege auch wohl auf der H a n d , daß und wieso in diesem Unterschiede der moderne theologische Skeptizismus nach seinem Ursprung deutlich und damit auch behebbar werden kann. Aber neben diesem soeben geschilderten Unterschied haben wir noch einen, vielleicht noch tiefer greifenden Unterschied zwischen dem Existenzdenken des 17. und dem des 20. Jahrhunderts beobachtet, den wir hier auch zu erörtern haben. Wir sahen ja, daß Bultmann Existenz als rein anthropologischen Begriff kennzeichnete. Existenz ist menschliche Existenz. Man will mit Existenz auch nur die menschliche Existenz wie57

dergeben. Das ist im 17. Jahrhundert nicht der Fall. Existenz kommt allem Wirklichen zu, denn dieser Begriff beschreibt einen Vorgang, dem alles Wirkliche als Realität unterliegt. Der Existenz-Begriff ist so streng auf diesen Vorgang des Herausstehens aus den Ursachen bezogen, daß sich kein Wirkliches als nicht existierend beschreiben ließe. Damit ist dieser Existenzbegriff natürlich im innersten anders orientiert, als es bei dem anthropologischen Begriff der Moderne der Fall ist. Für das 17. Jahrhundert verbindet der Existenz-Vorgang Gott, Welt und Mensch auf Realität hin: Als Existierende sind sie real. Als Existierende sind Gott, Welt und Mensch in einer Denkbewegung zu erörtern, denn diese Realität ist ihnen gemeinsam und eröffnet ihnen einen Vorstellungsraum. Aber nun ist auch in diesem Unterschiede eine gewisse Gemeinsamkeit. Dieser Existenzbegriff ist von Gott, Welt und Mensch nämlich nicht univoce aussagbar. Die Grenze zwischen Gott einerseits und Welt und Mensch andererseits wird ja ganz klar gezogen. Gott ist als Einheit von Essenz und Existenz jenseits dessen, was dem Menschen möglich ist. Seine Gottheit wird darum wohl audi gerade an dieser Einheit gegenüber dem Menschen aussagbar! Die Grenze von Gott und Mensch läuft auf der Linie der vernunftgemäßen unumgänglichen Scheidung von Essenz und Existenz — also auf der Linie der Ratio! Jedenfalls ist der Unterschied zwischen Gott und Mensch auch in dieser Hinsicht als ebenso unübersteigbar wie das Ganze des Daseins betreffend gekennzeichnet. Wenn wir dabei bedenken, daß der Unterschied zwischen Essenz und Existenz sola ratione da ist, was gewisser Grundlagen in der Sache ja niemals entbehrt und auch in diesem Falle nach Scheibler ja nicht entbehren soll, dann ist offenbar unterstellt, daß zwischen dem Menschen einerseits und der Welt als Natur und Geschichte hinsichtlich der Existenz auch ein Unterschied ist, und der muß ja auch auf der Linie der Ratio verlaufen, und der muß auch mit der Verwirklichung der Einheit von Essenz und Existenz zu tun haben. Scheibler denkt diese Folgerungen nicht. Aber sie sind im Ganzen angelegt, und sie scheinen ebenso unumgänglich wie auch sachlich zutreffend. Jedenfalls ist wohl deutlich, daß Existenz als zur Essenz gebrochene Realität konklusiv als anthropologischer Tatbestand erörtert werden kann und wohl auch muß. Damit ist das Gespräch zwischen dem Existenzbegriff des 17. und dem des 20. Jahrhunderts auch im Zusammenhang dieses Unterschiedes sinnvoll zu führen. Diese Überlegungen können und sollen über die grundsätzliche Tiefe dieses Unterschiedes nicht hinwegtäuschen. Man kann denselben ja auch unschwer als eine Folge der descartes'schen Voraussetzung des modernen Denkens erkennen. Ein im Ansatz rein anthropologischer Existenzbegriff ist nur von Descartes aus denkbar, der das cogito sum als Grund der Möglichkeit von Sein und Denken erfaßte. Wir meinten bei der Be58

sprechung des modernen Existenzbegriffes ja schon sehen zu können, daß dieses Existenzdenken trotz seines sehr grundsätzlichen Widerspruches gegen Descartes und die Subjekt-Objekt-Spaltung diesen Ansatz nicht überwunden sondern auf die res cogitans hin perfektioniert habe! Das wird an diesem Unterschiede zum Existenzdenken des 17. Jahrhunderts besonders deutlich. Diese Unterschiede begründen nun eine Andersartigkeit im Existenzdenken des 17. und dem des 20. Jahrhunderts, die den ganzen Abstand erkennen läßt. Das moderne Existenzdenken wird angesichts des reinen Daseins von der Aktualität d. h. von der Augenblickhaftigkeit dieses Daseins geprägt. Die Augenblicke stehen als Augenblicke der Entscheidung im Mittelgrunde der Aufmerksamkeit. Da das 17. Jahrhundert die Existenz an die Essenz bindet, kann es mit der Existenz die Ständigkeit oder das Kontinuum (duratio) verbunden zeigen. Existenz ist nicht nur augenblidkhaft, weil sie Existenz von Essenz ist. Das Kontinuum liegt in dem Herausstehen über die Ursachen, und der Lebensprozeß zerfällt nicht in das letztlich immer mit sich identische Formale von Entscheidung, sondern der Lebensprozeß existiert in der Ständigkeit von Essenz! Wir haben keine Gelegenheit genommen, die Ständigkeit (duratio) in ihrer Eigenart darzustellen. Aber daß man Existenz mit der Ständigkeit verbinden kann, genügt, um uns den Unterschied zu zeigen. Die mit dem Vitalismus verbundene Quantelung aller Erlebnis„inhalte" und die mit dem Existenzdenken gegebene Quantelung aller Bewußtseins„inhalte" führen zu Überspitzungen und Verzeichnungen des Lebensvollzuges und des Glaubens, von denen das an Essenz gebundene Existenzdenken bewahrt geblieben zu sein scheint. In einem solchen Vergleich zwischen dem theologischen Denken des 17. und des 20. Jahrhunderts wird es unseres Erachtens sehr deutlich, was es für eine Theologie bedeutet hat, die wie diese auf einem systematisch geschlossenen Denkgebäude aufbauen konnte, das unter der Voraussetzung (!) des Glaubens gedacht war. Die Rezeption der aristotelischen Metaphysik geschah ja Ende des 16. Jahrhunderts aus theologischen (!) Gründen. Diese Rezeption geschah unter der Voraussetzung des reformatorisdien Denkens75, ehe Suarez, den Sdieibler dann schon viel heranzieht, in Deutschland bekannt wurde. Diese Theologen trieben in starker Denkgewißheit ihre Arbeit. Ihr Denken war überschaubar ausgewogen. Sie wußten daher, warum man dies so sagen und jenes so nicht sagen 75

Balthasar Meisners Philosophia sobria zeigt in amüsanter wie imponierender Klarheit, daß man an dieser Metaphysik sein konfessionelles Selbstbewußtsein voll meinte ausweisen zu können! Meisner stellt nämlich den Unterschied des lutherischen und calvinistisdien dogmatischen Denkens als systematische Darstellung der gesamten Philosophie — einschließlich der Physik — dar.

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könne! Mit dieser Klarheit in den Denkvoraussetzungen verbanden diese Theologen nun eine aller Abstraktion abholde Hinneigung zur praktischen Anwendbarkeit ihrer dogmatischen Einsichten, die einen Mann wie Calov ζ. B. jedem Lehrgedanken einen usus consolatorius hinzufügen ließ. Es ist einfach nicht wahr, daß die Orthodoxie gemeindefremde Theorien ersonnen habe. Diese Dogmatiken standen der gelebten Frömmigkeit ungemein nahe. Das konnten sie auch, weil die denkerischen Grundlagen gewiß und tragfähig waren. Nach dem, was wir uns von diesem Denken durchklärten, wird ja aber audi deutlich, daß uns diese Gedanken gar nicht so fernstehen, wie man zunächst denkt, und daß man ihre Setzungen offenbar fruchtbar ins gegenwärtige Gespräch einführen kann.

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VII. Der Existenz-Begriff, den wir vor Descartes im theologischen Gebrauche antreffen, ist nun aber noch als solcher zu erörtern. Hier wird ja Existenz interpretiert als das Realwerden oder Wirksamwerden, das esse in actu. In diesem Existenz-Begriff ist die heute offenbar so dringliche Frage, ob mit der Aussage, daß „Gott ist", ein Vorhandensein Gottes oder ein Gegenständlichsein Gott behauptet sei, nicht möglich. „Deus existit" kann ja nur im Sinne eines „ens actu" interpretiert werden! „Gott existiert", diese Aussage enthält die Wirksamkeit Gottes als das sie bestimmende Moment. Diese Wirksamkeit Gottes ist gegenüber dem Existieren meiner selbst wie gegenüber allem Existieren in der Welt nun aber dadurch ausgezeichnet, daß als Gottes Existieren seine Gott- Wesenheit ganz da ist bzw. daß Gottes Wesen nicht abgesehen von seinem Existieren erfahren und ausgesagt werden kann. Was mit dieser Einheit von Essenz und Existenz in Gott letztlich besagt ist, bleibt uns stets verschlossen. Zu unserem intellektuellen Auffassen gehört es, Essenz und Existenz zu unterscheiden. Aber die ganze Andersartigkeit Gottes gegenüber dem Geschöpf läßt sich in dieser Tatsache zusammenfassen, daß die unserem Verstehen unumgängliche Unterschiedenheit von Essenz und Existenz in Gott nicht angenommen werden darf. Ja, Gott „ist" als Gott die absolute Einheit von Essenz und Existenz. Wir vermögen uns nicht vorzustellen, was das heißt und wie das ist. Wir sind Wesen im Zerfall von Wesen und Verwirklichung. Wir sind mit unserer Gestaltwerdung befaßte Gestalt, wie Friedrich Karl Schumann das genannt hat. Wir bleiben ewig hinter der Verwirklichung unserer Wesentlichkeit zurück. Man kann die Tiefe menschlichen Leidens an der Welt und damit an sich selbst so beschreiben, daß der Mensch sein Wesen nicht zu realisieren vermag, daß ihm Wesen und Wirklichkeit unheilbar zerfallen, und daß er als Mensch doch weiß, daß es im letzten um die Einheit von Wesen und Wirklichkeit geht! Damit aber geht es im letzten eben um Gott, die Einheit von Essenz und Existenz. Des Menschen Bewußtsein von seinem Versagen an der Realisierung seiner Möglichkeit wird mit der These von der Einheit von Essenz und Existenz als des Menschen Bewußtsein von seinem Versagen an Gott „verständlich"! Gottes Heiligkeit gegenüber unserer Unheiligkeit, Gottes Vollkommenheit gegenüber unserem Versagen und Gottes Ewigkeit gegenüber unserer Zeitlichkeit, das sind alles Spielarten oder denn konkrete Bilder für den 61

im Grunde liegenden gravierenden Unterschied von Gott und Mensch als den Unterschied von Einheit der Essenz und Existenz und ihrem Zerfall. Existenz heißt Realisierung und Verwirklichung, und bei Gott heißt das Realisierung seines Wesens. Bei uns wird alles mögliche Allotria verwirklicht. Bei Gott aber ist die Einheit! Das bedeutet zunächst und vor allem die Bewahrung des Glaubens und der Theologie vor der Skepsis! Wer weiß etwas von Gottes Wesen? Gottes Wesen ist unzugänglich und völlig unsagbar. Gott verhüllt sein Wesen in den vordergründigen Ausdruck seiner Offenbarung. Solche und ähnliche Fraglichkeiten gehen ja stets durch Glauben und Theologie. Zumal seit man sich gewöhnte, im kantischen Modell des zwar anzunehmenden aber nicht zu befragenden „Ding an sich" zu denken, wurde Gottes unzugängliches Wesen als so ein „Ding an sich" gesehen. Die Skepsis des 19. und 20. Jahrhunderts gegenüber der Erkenntnis Gottes als Vergewisserung ist eminent. Sie ist größer als in anderen Jahrhunderten, weil unserer Welt die Säulen der denkerischen Welt-Vergewisserung geborsten sind. So fragen wir nach Gottes Wesen, und es gehört zur Reputation „moderner" Theologie, vor dieser Frage zu verstummen oder undeutbare Sigla ähnlich dem späten Heidegger auszustoßen. Gottes Existenz d. h. Gottes Wirksamwerden ist in absoluter Einheit sein Wesen! Das ist vor dem Hintergrunde der dem denkenden Menschen eigenen und unumgänglichen Skepsis ein großer Satz und eine große weitreichende Einsicht! Wir haben uns diese Grundeinsicht hinsichtlich des im Alten und Neuen Testament bezeugten Wirksamwerdens Gottes im letzten Abschnitte konkretisiert. Aber wir müssen darüber hinaus ja nun grundsätzlich fragen, wieweit denn das Wirken Gottes reicht? Wenn man dem Satz von der in Gott gegebenen Einheit von Essenz und Existenz auch heute vielleicht noch zustimmt, so hat man sich in der Frage, wo denn Gottes Wirksamkeit bemerkbar werde, von der biblischen Botschaft und von der Reformation weithin emanzipiert und sich auf die ebenso einfältige wie unzureichende Auskunft zurückgezogen, man könne und dürfe sich nur an das Wort der Schrift halten. Daran ist ja fraglos richtig, daß Gottes Wirksamkeit in Israel wie als Jesus von N a zareth in „eindeutiger" und darum exemplarischer Weise im Alten und Neuen Testamente bezeugt ist. Daran ist auch das richtig, daß dieses Zeugnis, wie es im Alten und NeuenTestamente da ist, uns heute als Verkündigung Gottes Wirksamwerden immer erneut präsent macht. Aber die Antwort reicht nicht aus, denn Gott wirkt in aller Welt. Gott existiert: „er ist de facto in der Welt". Natürlich leugnet man das im Allgemeinen nicht direkt. Wie sollte man das auch tun, denn Schöpfung und Vorsehung gehören zur theologischen Ausrüstung. Aber das besagt nicht viel. Man ignoriert Gottes Wirken in der Welt letztlich doch. 62

Diese Weise, von G o t t ausschließlich von dem biblischen W o r t e aus zu sprechen, sein Wirken in der W e l t aber zu übersehen, geht bis auf Ritschis Angriffe auf die „natürliche Theologie" zurück, die K a r l B a r t h erneuerte und verschärfte. M a n konnte bis v o r kurzer Zeit der Meinung sein, es gehöre zu Barths W e r k , daß m a n von G o t t auschließlich v o m Alten und Neuen Testamente aus reden könne, und daß abgesehen von der biblischen Wahrheit keine Wahrheit in der Welt anzutreffen sei, die angesichts der biblischen Wahrheit W a h r h e i t genannt werden könne. M a n konnte bis v o r kurzer Zeit auch der Meinung sein, es gehöre zu Barths A r t , Theologie zu treiben, d a ß die sogen. Schöpfungsoffenbarung oder die sogen. Uroffenbarung dem Begriff wie der Sache nach grundsätzlich abgelehnt würden. Aber das sieht heute, nach B d I V / 3 der Kirchlichen D o g matik, anders aus. In diesem Bande h a t B a r t h sehr anders über diese F r a g e n geurteilt. E r h a t seine Ansichten in diesen Fragen grundlegend geändert 7 8 . B a r t h erkennt in diesen Ausführungen zunächst einmal an, daß es „wahre W o r t e " e x t r a muros ecclesiae gebe. U n t e r ungewöhnlichen A b sicherungen geht er auf den Sachverhalt solcher W a h r h e i t außerhalb des Wortes Gottes z u " . Es gibt „wahre W o r t e , echte Zeichen und Bezeu78 77

Kirchliche Dogmatik IV/3, 122—188. Barth stellt erstens drei Bedingungen: Erstens müßten diese Worte, um wahr zu sein, mit dem Worte Gottes „inhaltlich aufs genaueste" zusammenstimmen. Zweitens könnte man ihre Wahrheit unmöglich ihnen zuschreiben, sondern allein dem Worte Gottes. Drittens müßte man ja fragen, wie diese Worte dazu kommen, wahr zu sein? Und man müßte postulieren, daß ihnen „die Gnade seiner Realpräsenz" erwiesen würde! (KD IV/3, 123 f.). Nach diesen Absicherungen kommt Barth dann noch auf die „natürliche Theologie". Er geht über das Phänomen des neutestamentlichen Gleichnisses darauf zu. Diese Gleichnisse „sind so etwas wie das Urbild der Ordnung, in welcher es neben dem einen Worte Gottes, durch dieses geschaffen und bestimmt ihm genau entsprechend . . . andere wahre Worte Gottes geben kann" (KD IV/3, 125). Mit natürlicher Theologie hat das Ganze nach Barth nichts zu tun, weil er nicht aus einem „Vermögen zur Erkenntnis Gottes" heraus entfalte. Er sammle ja nur Bezeugungen ( K D IV/3, 131). Barth stellt einfach diese Frage nach der Möglichkeit dieses „Verstehens" nicht, und damit meint er den Folgen einer sogen, „natürlichen Theologie" entronnen und gesichert zu sein. Jedoch die Folgen kommen auf ihn selbst zu, wo er (S. 158 f.) von der „Schöpfungsoffenbarung" oder „Uroffenbarung" doch meint reden zu sollen und dazu überlegt, das Sein, das hiermit dem Kosmos zugeschrieben werde, „nicht nur in re, sondern auch in intellectu" finden zu müssen! Wenn „wir von geschaffenen aber als solche leuchtenden . . . Lichtern . . . von ihren in jeder Reziprozität des Gespräches zwischen Geschöpf und Geschöpf gültigen Wahrheiten reden . . . " so ist „diese . . . Qualität des von Gott geschaffenen

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gungen des einen wahren Wortes" in der Profanität, von denen man annehmen kann, daß sich „Jesus Christus selbst in ihnen kundgibt" 7 8 . B a r t h legt in zwei großen Komplexen diese Wahrheiten und die Sachverhalte der „Schöpfungsoffenbarung", wie er doch meint formulieren zu müssen, dar. U n d wenn B a r t h auch immer wieder das W o r t und seine W a h r heit bemüht, um diese Wahrheiten zu relativieren und sich sogar zu der gottlosen These versteigt, daß „das Dasein des Kosmos als jenes Füreinanderdasein des Intelligiblen und Intelligenten mit dem Dasein Gottes als dem Begründer und H e r r n seines Bundes mit dem Menschen an sich nichts zu tun h a t " " , so ist die sechsfach konkretisierte „Wahrheit" im Kosmos eben doch „gültige W a h r h e i t " . W i r brauchen hier die einzelnen Momente, die wie ζ. B. die These von dem Konstanten in der Schöpfung sachlich sehr fragwürdig sind, nicht zu diskutieren. Wesentlich ist uns die Bemerkung, daß Barth seine Grundposition betr. des Wirkens Gottes in und an der Welt wie der theologischen „Wertung" desselben in ihrer Absolutheit nicht durchhalten konnte. Diese Bemerkung zu K a r l Barth ist deswegen wichtig, weil seit Ritsehl die Meinung herrscht, die man bis in die letzten J a h r e speziell von K a r l Barth repräsentiert sehen konnte, daß an dieser Stelle der sogen, „natürlichen Theologie" — besser in der theologischen Wahrnehmung des Wirkens Gottes in der Welt als N a t u r und Geschichte — der weiteste und unüberbrückbare Abstand zwischen der Theologie des 17. Jahrhunderts und uns läge. Barth hat dieser Meinung nun selbst den Boden entzogen. W i r können daher hoffen, daß über dieses Problem in Zukunft wieder so sachgemäß und ernsthaft verhandelt werden kann, wie es der Sache selbst angemessen ist. N u n war es j a wohl nicht nur der Einfluß Ritschis und seines Schülers Barth, der die Wahrnehmung des Gotteswirkens in der Welt als N a t u r und Geschichte disqualifizierte, sondern andere Momente spielten ihre gewichtige R o l l e dabei. Das merkwürdige Phänomen ist es ja doch, daß man auch in der Gegenwart am Erntedankfest vom Segen Gottes und angesichts des Todes von Gottes Richten durch der „Sünde S o l d " meint sprechen zu müssen, daß man aber Gottes Wirken in der Ernte oder im Tode dann doch nicht als solches ins Auge f a ß t , sich zu Herzen nimmt und bedenkt. Einmal ist das so, weil man die moderne Weltanschauung scheut. Wenn nun schon alle Ereignisse des Welt-Geschehens wie des MenschenSeins als esse etiam in intellectu gemeint" (S. 159).

Mehr als dies hat im

17. Jahrhundert kaum jemals ein Theologe angenommen. Man hat damals diesen Sachverhalt genauer erläutert und besser fundiert. Aber man hat nichts anderes gemeint. 78

K D I V / 3 , 137.

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K D I V / 3 , 172.

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Lebens nach Grund und Folge durchschaut und damit scheinbar gründlich säkularisiert und profanisiert sind, dann will man als Christ und Theologe nicht so dumm dastehen und Gott zitieren. Die Leute sagen, Gott sei in der Welt nach zwei Weltkriegen als „armer alter Mann" erwiesen, der nur eine Entschuldigung habe, „daß es ihn nämlich nicht gibt". Vor so aufgeklärten weltzugewandten Meinungen will man nicht mit Gott wieder ankommen. Darum zieht man sich bei der Frage nach Gott gleich von vorneherein auf die Sünde und die Vergebung zurück, läßt die Weltwirksamkeit Gottes auf sich beruhen und christologisiert so vor sich hin. N u r es ist zu befürchten, daß es einem dann so geht wie Karl Barth, der nicht mehr sagen kann, was Sünde ist. Wenn die Sünde nämlich — wie bei Barth — in den Automatismus des Nein absinkt, das an Gottes Ja entsteht, dann ist es mit der applicatio von Gesetz und Vergebung an einen „Sünder" nicht sehr gut bestellt. Zweitens aber zieht man sich von der ernsthaften Wahrnehmung des Wirkens Gottes in der Welt als N a t u r und Geschichte darum zurück, weil der Gott, dessen man in dieser Welt ansichtig wird, ein in sich weder geschlossenes noch erbauliches Bild abgibt. Die Kirche fordert ihre Glieder am Traualtare zwar auf, in dem geliebten Menschen die Frau oder den Mann „von Gott her" zu „erkennen" und also in diesem allfälligen Ereigniszusammenhang von Verlobung und Ehe Gottes Wirken anerkennend wahrzunehmen. Warum nur hier? Warum nicht im Verkehrsunfall und im Lotto-Gewinn? Geschehen diese Ereignisse ohne Gott? Kann man Gottes H a n d in einer Liebesgeschichte, die zum Traualtare führt, eher und besser wahrnehmen als in einer schweren Krankheit oder einem Konkurs? Das Gottesbild, das vor uns auftaucht, wenn wir diese Welt als die Welt ansehen, deren Großes und Kleines, deren Gutes und Böses in Gottes H a n d steht, ist vielleicht grauenerregend und vertieft diese Weltereignisse zu unerhörter Beanspruchung. Dies Gottesbild p a ß t auch nicht so ohne weiteres zu der Vorstellung, die man sich im allgemeinen vom Gott der Bibel macht. Im allgemeinen ist Gott ja der, der nur und immer vergibt, bei dem alles eitel Güte ist — was wir uns so unter Güte vorstellen. Bei diesem Gott geht im Endeffekt ja auch alles glänzend aus. Die Vorstellung vom Endgericht ist längst christologisch eingeschmolzen. Es geht alles gut aus — so sieht es im allgemeinen aus. Aber selbst das biblische Gottesbild ist ja nun doch wohl sehr andersartig. D a ist der Gott, der wie fressendes Feuer über der Erfüllung seiner Gebote wacht. Er läßt nicht mit sich spaßen, und wenn man meint, im Ehebruch leben zu können, im übrigen aber als frommer Sünder der Vergebung gewiß sein zu können, so ist das ein Irrtum. Dieser Gott der Bibel, der die Völker um und in Palästina roh zerschlägt, der den Turm von Siloah umstürzt und dabei „unschuldige" 65

Menschen erschlägt, der sein Volk plagt und Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch auf das grimmigste verfolgt, ist wahrhaftig alles andere als ein freundlicher barmherziger Helfer! Wir brauchen dies alles nur anzudeuten, denn es liegt offen zu Tage. Wir meinen nun aber, daß die Zurückdrängung der Gotteswirksamkeit in der Welt als N a t u r und Geschichte zu Gunsten der auf das biblische Gotteszeugnis gestützten Erkenntnis in dem Versuche besteht, das Gottesbild überschaubar und eindeutig zu gestalten. Es geht um die Eindeutigkeit des Wesens Gottes, wenn man das Wirken Gottes in der Welt aus der theologischen Beachtung ausklammert. D a s ist ein nicht nur verständlicher sondern auch wichtiger Vorgang. D a s lebendige Glaubensleben von Christen besteht denn ja auch in nichts anderem als darin, den deus in vita in dem Vatergott Jesu wiederzuerkennen. Diese Fluchtlinie vom deus in vita zum Vatergotte des neutestamentlichen Zeugnisses ist der dem christlichen Glauben angemessene und gewiesene Weg! Aber dabei darf der deus in vita nicht emendiert werden. Dabei darf man nicht so tun, als könnten wir im christologischen Rekurs verbleiben, als brauchten wir Gott in unserer Welt nicht mehr ins Auge zu fassen. D a s ist vielmehr die Größe des Evangeliums, daß es uns instandsetzt, in die Welt und vor das Angesicht Gottes in der Welt zurückzukehren, diesen immer wieder auch grausigen Gott ins Auge zu fassen und ihm mit dem „tarnen" des Wortes und Werkes Jesu standzuhalten. Es geht nicht an, Gott aus dem Leben zu entfernen. Unsere Gemeinde bricht daran zusammen. Sie entbehrt nämlich der täglichen Führung! Gottes Existenz ist sein Wesen! D a m i t vertieft sich die Anfechtung des Glaubens bis an den R a n d der Verzweiflung, denn Gottes allfälliges Zuschlagen in der Welt mit Unheil, Krankheit oder T o d kann nicht leichthin überglaubt werden. D a kann man nicht einfach zur Tagesordnung der Barmherzigkeit übergehen! Die Psalmen sind die große Schule, in der wir lernen können, wie das aussieht, wenn Menschen im Guten und Bösen ihres Daseins Gott apperzipieren. Die Psalmisten sind Leute, die uns das vorleben, und wir sehen sie immer wieder auch am Rande der Verzweiflung! Gottes unüberscliaubare Wirksamkeit in aller Welt ist als sein Wesen zu apperzipieren. Es liegt in der N a t u r der Sache, daß wir bei dem Gotteswirken zu demonstrieren anfingen, das uns Gott als den zeigt, der des Lebens Fülle raubt, und vor dem des Menschen H e r z sich verbirgt. Hier anzusetzen, liegt darum in der N a t u r der Sache, weil an dieser „negativen" Wirkungsseite des Welthandelns Gottes der bedrückende Gegensatz zum biblischen Zeugnis von Gott besonders quälend und sichtbar wird. N u r darum setzten wir so ein. Die andere Seite des Wirkens Gottes, sein Heilen und Segnen, sein Geben und Schenken in all der Schönheit und Güte dieser 66

Welt sticht vom biblischen Zeugnis scheinbar nicht ab, eignet sich deswegen schlecht zur Demonstration und wird deswegen an zweiter Stelle genannt. W i r müssen uns aber darüber klar sein, daß wir damit tatsächlich von hinten anfangen. G o t t ist zuerst und vor allem in seinem Weltwirken der Schöpfer, der G o t t , der aus vollen Händen schenkt und beglückt, der Leben gibt und Leben haben will, der segnet und segnet! Gottes E x i stenz ist sein Wesen. D e r Mensch bricht mit Psalm 8 in den Lobpreis des „Namens", d. h. des Weltwirkens Gottes aus. M i t diesem Wirken Gottes nehmen wir G o t t in seinem wirklich ersten Handeln wahr. Auch diese Seite ist nicht etwa sein sogen, opus proprium, wie es das W o r t Alten und Neuen Testamentes als seine Suche nach dem Verlorenen bezeugt. Aber hier in seinem Segnen steht sein wirklich erstes Handeln. An dieser Stelle setzt die Doxologie an und gerät über der Herrlichkeit der Welt und des Menschenlebens in den Lobpreis Gottes: „des Liebhabers des Lebens". M a n wird auch wohl recht daran tun, mit Schlatter zu fordern, daß diese helle Seite Gottes — also ζ. B. sein Wirken als Liebe zweier junger Menschen, die sich zur Ehe erhebt — die erste Seite und die eigentlich „richtige" Seite der Wirksamkeit Gottes sei. Der T o n , den der doxologische Hymnus von der Herrlichkeit des „Namens" Gottes anstimmt, ist der Grundton. M i t ihm gerät der Mensch in dieser doxologischen Gottesaussage in die Anerkenntnis der Existenz Gottes. Das Wirken Gottes in aller Welt als N a t u r wie als Geschichte führt uns zum Existenz-Urteil Gottes. Diese These der Theologie des 17. Jahrhunderts besagt nach dem E x i stenzbegriff j a zunächst nicht mehr, als daß das Wirken Gottes in der Welt und in uns, die wir das wahrnehmen und geistig verarbeiten, sagt, daß G o t t „de facto in der Welt ist". Das Dasein Gottes wird nicht bewiesen — es ist Voraussetzung! Aber sein „de facto in der Welt Sein" wird wahrgenommen. Jedoch, wir haben gesehen, daß diese Wahrnehmung nicht weit führt und in sich defekt ist, wenn nicht das Wesen Gottes gesucht und gewußt wird. Das Wesen Gottes aber geht aus dem Wirken Gottes hervor, das als sein opus proprium im Zeugnis Alten und Neuen Testamentes bezeugt ist. Gottes Handeln an Israel, dem er sich so tief verbindet, daß man das Bild der Ehe dafür verwenden konnte, wie Gottes Handeln als dieser Jesus von Nazareth, das ihn als den zeigt, der wie ein Vater an seinen Söhnen handelt, was Maleachi ebenso zentral bewegt wie einen der neutestamentlichen Zeugen, ist die Wirksamkeit Gottes, die sein Wesen überhaupt erst entfaltet. Wie ein V a t e r zu seinem Erstgeborenen steht, so steht Gott zu Israel und dann in der apostolischen Ausweitung zu dem Israeliten nach dem Geiste. Das Verhältnis des Vaters zu seinem Sohne ist die zentrale Verbundenheit des Menschen aus Herrentum und Liebe gemischt, bedingungslos verbindlich — für den Vater wie für den Sohn, der Bluträcher wie Erbe ist. In diesem und in analogen Bildern wird

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Gottes Wirken im Alten und Neuen Testamente bezeugt: Gottes Wesen ist eben diese väterliche Güte und Strenge. Auf diese Mitte, die sich als Jesu Wort, Werk und Person zur „letztgültigen" Gestalt verfaßt, sieht sich alles Wirken Gottes bezogen — auch noch der tiefe Gerichtsernst, der das Alte und Neue Testament durchströmt. An diesem Gerichtsernst wird nidits abgebrochen. Diese Vorstellung bleibt in ihrer ganzen Gewalt auch bei Paulus unverkürzt, trotz und im Widerspruch gegen die väterliche vergebende Barmherzigkeit. Dieses Wesen Gottes als väterliche Liebe oder als Barmherzigkeit ist nun aber in sich „göttliches"Wesen. Dies Wesen ist uns unbegreiflich, denn als Liebe ist es voll von todernster Strenge. Dieses Moment ist f ü r die Beachtung des Wesens Gottes auf Grund seines im Alten und Neuen Testamente bezeugten Wirkens von größter Wichtigkeit. Für Luther wurde darum der Christus tentatus und crucifixus zum Leitbilde seiner ganzen Theologie. Gottes Barmherzigkeit und Liebe werden ohne dieses Leitbild flach. Da bleibt nur das Lieben, das in sich Lieben ist, übrig, und die unerbittliche maiestas dei des 1. Gebotes fehlt. Diese tatsächliche Mittelpunktstellung des Kreuzes Christi ist auch nicht etwa damit zu beseitigen, daß der Glaube von Christen von der Auferweckung Jesu her kommt. Mit der Auferweckung Jesu kommt ein neuartiges Handeln oder Eingreifen Gottes an dem in sich mit der Kreuzigung abschließenden Geschehen von Jesu Wort, Werk und Person zur Wirksamkeit. Die Periodisierung des von Paulus in Phil 2 zitierten Hymnus ist sachgemäß, so gewiß es nicht zu bestreiten ist, daß die Botschaft vom Auferweckten nach 1. Kor 15 „das Evangelium" ist. Gottes Wirken steht also vor uns als sein Handeln an der Welt als N a t u r wie als Geschichte, und Gottes Wirken steht vor uns als sein spezifisches Handeln an Israel wie als Jesus von Nazareth. Das Wirken Gottes in der Welt und sein Wirken an Israel und als Jesus von N a z a reth haben wir als voneinander sehr verschieden erkannt: Das ungewisse verwirrende Bild Gottes in seinem Welthandeln und das in sich viel geschlossenere Gottesbild des biblischen Zeugnisses. Das 17. Jahrhundert hat dem, wie wir sahen, so Rechnung getragen, daß es das Existenzurteil auf das Welthandeln, das Wesensurteil aber auf das Heilshandeln Gottes, wie es das Alte und Neue Testament bezeugen, aufbaut. Strenger kann man den Unterschied wohl kaum definieren. Wir haben uns aber auch daran erinnert, daß dieser Unterschied in den letzten Jahrzehnten oft so stark betont wurde, daß das Welthandeln Gottes fast unter den Tisch fiel. Diese Wendung ausschließlich auf das biblische Gotteszeugnis zu hat sich insofern als gefährlich erwiesen, als die Kirche damit den Weltbereich als N a t u r wie als Geschichte seiner eigenständigen Vollzugsgewalt und -Ordnung überlassen muß und so dem Christen die seinem Glauben 68

notwendige Verbindung auf sein Dasein in der Welt erschwert, wenn nicht gar zerstört. Um dies zu vermeiden, müssen wir noch ein wesentliches Moment am Wirken Gottes betonen, unter dem sich die beiden Weisen Gottes zu handeln in all ihrer Unterschiedenheit am entscheidenden Momente — dem der Vermittlung nämlich — neu zusammenschließen. Wenn wir mit unserer These der Einheit von Essenz und Existenz Ernst machen, bemerken wir ja, wie Gottes Wesen sich aus der unendlichen Vielfalt seiner Erweise vor uns aufbaut. Jeder dieser Erweise ist Gottes ganzes Gottsein. Keiner dieser Erweise aber ist der ganze Gott. Wenn wir diese Tatsache bedenken, so zeigt sich am biblischen Gotteserweis ein Charakter als „wesentlich", den wir den „verheißenden Charakter" zu nennen pflegen. Das heißt: Jeder Gotteserweis weist über sich wieder hinaus und alle konvergieren auf das Telos Gottes oder die sogen, „letzten Dinge". Diese Überlegung bedeutet nun aber folgendes: Die Grundthese von der Einheit von Essenz und Existenz, d. h. das Ernstnehmen des einzelnen Erweises Gottes als seines gottheitlichen Wesens öffnet uns den Zugang zu dem sogen, eschatologischen Charakter des biblisdien Zeugnisses in unabweisbarer Form. Dieser Verweis auf das endzeitliche Hervortreten Gottes mit der Erfüllung seiner Verheißung ist der Verweis auf Gott selbst, wie er unvermittelt und unverhüllt hervortritt. Von hier aus merken wir, daß das Wirken Gottes in aller Welt als N a t u r und Geschichte und das Wirken Gottes an Israel wie als Jesus von Nazareth unter einer großen Klammer stehen: Beide Wirkungsweisen sind vermittelt und verhüllt, und erst im Vollzuge der Erfüllung von Verheißung tritt Gott hervor — unvermittelt und unverhüllt. Diese Bemerkung ist f ü r uns darum so wichtig, weil sie uns erstens davor bewahren kann, das Wirken Gottes als Jesus von Nazareth dem Wirken Gottes in der Welt so zu konfrontieren, als sei mit Jesu Wort, Werk und Person nun ja alles klar und als brauche und könne darüber hinaus nun ja nichts mehr geschehen. Es muß noch viel geschehen, denn Gottes Wesen ist auch auf Grund seines Wirkens im biblischen Zeugnis verhüllt und vermittelt als dieser Jesus von Nazareth und als seine ganze Anfechtbarkeit. Wir können von hier aus zweitens erkennen, wieso unser Wissen von Gottes Existenz und Wesen einerseits auf Grund seines Welthandelns und andererseits auf Grund seines Heilshandelns zusammengehören. Diese beiden Weisen müssen zwar unterschieden, sie dürfen aber nicht geschieden werden. Das Wirken Gottes als Jesus von Nazareth bestimmt unser Wissen von Gott und seinem Wirken in unvergleichbarer Weise. Diesen bestimmenden Charakter prädiziert das biblische Zeugnis mit Recht als den eschatologischen Charakter der Ereignisse, die mit Jesus geschehen. Aber das Jesusgeschehen ist und bleibt verkennbares und in 69

Unkenntlichkeit vermitteltes Weltgeschehen, das als solches gar nicht klar sondern so vieldeutig ist wie alles Welthandeln Gottes. Diese Einsicht ist darin „klassisch" wiedergegeben, daß die strenge Zusammengehörigkeit von Existenz- und Wesens-Urteil sich auf die Wahrnehmung dieser beiden Weisen des Handelns Gottes verteilen (!) und dadurch diese beiden in sich unterschiedlichen Wahrnehmungen in die Einheit zusammenbringen, die ihnen im logischen Unterschied realiter (!) zukommt. Gottes Existenz ist sein Wesen. D a m i t vervielfältigt sich das Gotteswesen in die unendlichen bedrängenden Aspekte seines Wirkens. Die eminente Wichtigkeit des biblischen Zeugnisses wird von hier aus deutlich: Gottes Wesen verdichtet sich als sein Wirken als Jesus von N a z a r e t h zum „gültigen" Wesen als Liebe. An diesem „gültigen" Wesen orientiert, vergewissert, tröstet und richtet sich des Christen Gottesbetroffenheit. In dem Glauben und Vertrauen auf dieses „gültige" Wesen Gottes trägt der Christ sein Leben vor Gott in all seinem bedrängend-beseligenden und auch bedrückenden — Existieren aus. D a s heißt Glauben: Die Gewißheit seines Wesens wie es als dieser Jesus von N a z a r e t h die Welt ereignet, in all den „Wandlungen Gottes" — sowohl im biblischen Zeugnis wie zumal im gelebten Leben — durchzuhalten. Jeder Glaube hat diese Geschichte als seine Geschichte, daß er es mehr und mehr oder auch mehr oder weniger schafft, Gottes Wesen, wie es als Jesus von N a z a r e t h da war, vor Gottes Angesicht in seinem Wirken in dieser Welt erfassen und festhalten und glauben zu können! Gottes Existenz ist sein Wirken und als sein Wirken die Präsenz seines Wesens! Wir haben uns den Bereich des Wirkens Gottes und die Implikationen kurz verdeutlicht, die mit dieser Sicht der Dinge gegeben sind. Wir lenken auf unseren Ausgangspunkt zurück: Die Aussage: „ G o t t ist" bedeutet, wenn wir sie als dieses „Gott existiert" verstehen, alles andere als eine Vergegenständlichung oder Verdinglichung Gottes! Gott „ i s t " kann offenbar nicht anders als so interpretiert werden, denn diese Interpretation auf das Existieren hin öffnet den Zugang zu den zentralen biblisdien und reformatorischen Einsichten von Gott. Dieser Eindruck läßt sich nun noch dahingehend vertiefen, daß mit diesem Existenz-Begriff, d. h. mit dem esse actu offenbar ein „Seins"-Verständnis gedacht und formuliert ist, das dem biblischen „Seins"-Verständnis gerecht wird. Es besteht kein Zweifel darüber, daß der alttestamentliche „Seins"-Begriff, nämlich das Verbum hajah, eine Bedeutung an sich trägt, die an Stellen auftaucht, an denen wir vom „ S e i n " reden würden 8 0 . N a c h 80

Zum Folgenden vgl. meine Untersuchung: „Werden und Wirken. Eine Untersuchung des Wortes hajah als Beitrag zur Wirklichkeitserfassung des Alten Testamentes", Berlin 1941, Β Z A W Bd. 70.

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N u m 4,7 soll das Brot auf den Tischen ,sein', und nach Jer 36,28 ,sind' Worte auf einer Buchrolle. Aber auch das ganz schlichte lokale Sein wird durch dieses Wort hajah wiedergegeben, so ,sind' Kain und Abel auf dem Felde, als der Brudermord geschieht (Gen 4,8). Aber auch temporal kann man hajah verwenden: So, wenn Jer 28,8 von den Propheten geredet wird „die vor mir und vor dir von Urzeit an ,waren' ". Die Zahl dieser ganz einfaches Vorhandensein oder Dasein bedeutenden Belege für das Wort hajah sind sehr zahlreich. Ebenso oft wird aber dieses Wort hajah für unseren Begriff „werden" verwendet. So heißt es Jos 9,12, daß Brot vom langen Herumtragen zu Krümeln .wurde'. So ,wird' nach Ex 23,29 Fruchtland zu Öde. In sehr vielen verschiedenen Schattierung kann hajah ein „Werden" kennzeichnen. So wird auch ein Wachstumsprozeß bei Trauben (Jes 18,5) oder bei Tieren (Ez 19,3) mit hajah wiedergegeben. Auch das „Entstehen" einer Hungersnot (2 Sam 21,1) oder das „Entstehen" eines neuen Morgens (Ex 10,13) kann durch dies Wort hajah bezeichnet werden. Wir brauchen hier die Belege nicht zu häufen, und wir können auch die reichen Bedeutungsnuancen nicht verfolgen, die dieses Verbum hajah zwischen Sein und Werden andeuten kann. Wenn man die Belege sich ansieht, so ist es sehr deutlich, daß dieses Wort etwas bedeuten muß, was wir weder mit unserem Begriffe „Sein" noch mit unserem Begriffe „Werden" zureichend wiedergeben können. Für uns sind Sein und Werden nicht auf einen Nenner zu bringen. Man kann vielleicht versuchen, dialektische Reize dadurch hervorzurufen, daß man beide Begriffe verbindet, wie in dem Buchtitel .„Gottes Sein ist im Werden". Aber dieser Titel-Satz zeigt ja sehr deutlich, daß wir Sein und Werden ernsthaft nicht auf einen Nenner zu bringen vermögen. Aber das Wort hajah bezeichnet nun einmal Tatbestände, die wir nur als Sein verstehen können, ebenso oft und gut wie es für Werdeprozesse verwendet werden kann. Die tatsächliche Bedeutung des Wortes hajah muß also wohl jenseits dieser am griechischen Denken erwachsenen Tendenz auf Sein oder Werden liegen. Mit diesen Beobachtungen an hajah wird es einem deutlich, daß unser SeinsBegriff dem Werden gegenübersteht und nicht mit ihm verbunden werden kann. Das ist griechische Denkstruktur. Das Semitische denkt anders. Das Semitische kann offenbar nicht nur „Sein" und „Werden" auf einen Nenner bringen, sondern es verbindet beide Aspekte an einer dritten ganz anderen „Bedeutung". H a j a h besagt offenbar im Grunde: „Wirksam werden" oder „zur Wirkung kommen". Dies geschieht sehr zentral in theologischen Zusammenhängen. Da ist ζ. B. die Bundesformel, die das errettende Wirken Gottes für sein Volk und des Volkes frommes H a n deln an Gott beiderseits eben durch hajah ausdrückt. Das ist so in der Mahnung (Jer 7,23) und in der gesetzlichen Forderung (Dt 26,17) wie in der Verheißung (Jer 31,33). Ebenso wird ζ. B. das Wirken (hajah) Gottes

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mit einer Erinnerung an die zentrale Heilstat, den Exodus, verbunden und qualifiziert (Lev 25,37). Über diese Beobachtungen an der Bundesformel hinaus und von hier aus verständlich wird die Hilfe Gottes in sehr vielen Fällen als hajah — als sein Wirken gekennzeichnet durch „Ich will mit dir ,sein'" oder ähnliche Formeln. Das „mit jemandem Sein" Gottes kennzeichnet vollgültig den göttlichen Schutz und die göttliche Hilfe. Und dieses „mit jemandem Sein" heißt ja nichts anderes als das hilfreiche Wirken. Wir brauchen auch f ü r diese Bedeutungsseite des Wortes hajah hier nicht viele Belege anzuhäufen. Das Wirksamwerden des Wortes Gottes wird bis zur formelhaften Abgeschliffenheit durch hajah ausgesagt, so wie das Wort des Gesetzes aufgeschrieben und umgebunden wird, um so „als Denkzeichen zwischen euren Augen zu ,wirken'" (Dt 6,8). Ob es die „ H a n d Gottes" ist oder der „Geist Gottes", ihr Wirken wird mit hajah wiedergegeben. Der „Schreck Gottes" aber wird an den Israeliten .wirksam' (hajah), damit sie nicht sündigen (Ex 20,20). Besonders interessant erscheint die Verbindung des Namens (shem) Gottes mit hajah. Dieser N a m e bezeichnet ja die urgewaltige Wirksamkeit Gottes in aller Welt. Dieser N a m e findet sich in älteren Texten nie mit hajah. Aber dann wird mit der deuteronomischen Reform dieser N a m e an den einen Tempel und fest an Jahve gebunden. Er wird in Jerusalem domestiziert. Seitdem verbindet man ihn mit hajah! Er leiht sich nun den wirkenden Charakter von diesem Begriffe 81 . Wir brauchen nur zu erwähnen, daß sich zeigen läßt, daß dieser Wirkbegriff hajah in den Gründen jener magischen Wirksamkeiten zu Hause ist, wo von dem Blute eines Erschlagenen festgestellt wird, daß es auf dem H a u p t e des Mörders ,rächend wirksam' (hajah) wird. Die Bedeutung des machtvoll Wirkenden in der Welt wird nun im Alten Testamente zur Kennzeichnung des Wirklichen! Die Realität eines Geschehens wie einer Sache kann mit hajah ausgedrückt werden. Die Realität eines Segens oder eines Fluches wird an ihrem unheimlichen Wirken verspürt und unwidersprechlich. Diese und ähnliche Gedankenverbindungen führten dazu, hajah als Kennzeichnung von Realität, als Ausdruck für Wirklichkeit zu verwenden. Das ist die Mitte zu den oben als „Sein" oder „Werden" gekennzeichneten Bedeutungen. So wurde dieses Wort zum allgegenwärtigen Erzählungsfaden: „Und es geschah . . ." Man kann an vielen Stellen zeigen, daß dies Wort dabei jede verbale Bedeutung verliert und dem entspricht, wie wir im Bericht ein „und tatsächlich . . . " einfügen können. 81

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Hierzu vgl. O. Grether: „Name und Wort Gottes im Alten Testament", BZAW 64, 1934, S. 52 ff.

Dieses Wort hajah, das aus den Bereichen der unheimlichen Wirksamkeit des Blutes wie des Segens, aller Heiligkeit wie eines Fluches stammt, und das sich dazu eignet, die Wirklichkeit allen Geschehens zu charakterisieren, wird nun herangezogen, um die ideographische Charakterisierung Gottes in seinem entscheidenden Hervortreten in Ex 3 zu tragen. Mit dem 'aeh e jaeh ' a saer 'aeh e jaeh in v. 14 ist nicht eine Deutung des Tetragramms versucht. Man wird wohl daran festhalten müssen, daß hinter diesen Worten eine Namensverweigerung steht. Kittel hat diesen Grund des v. 14 zutreffend gekennzeichnet. Die Absicht der Einführung dieses „emphatischen" Gebrauches von hajah in der 1. Pers. Sing, liegt auf der H a n d . „Die" Wirklichkeit in der Welt wird als Wirksamkeit dieses Subjektes ausgesagt. „Es gibt gar keine Größe auf der Welt, der ein hajah zugeschrieben werden könnte: es sei denn Jahve." In ganz bewußter Weise wird also der Existenzbegriff der Vorzeit als Wirkungsbegriff für Jahve rezipiert. Das ist mit der Existenz Gottes im Alten Testamente gemeint, daß er der Wirkende ist, der an seinen Werken erfahren wird und der in diesen Werken erkannt er selbst „ist". Die Verbindung von Gottes Erfassen im existentiellen Betroffensein und diesem Gottes-Wirken als sein Wesen ist charakteristisch. Der Wirklichkeitsbegriff des Alten Testamentes ist mit dem Worte hajah offenbar also erstaunlich analog zu dem Existenzbegriff des 17. Jahrhunderts zu kennzeichnen. Wir können das audi so sagen: Wenn das 17. Jahrhundert die Einheit von Essenz und Existenz konstatiert, dann gibt sie damit den Tatbestand sachgemäß wieder, mit dem das Alte Testament die Wirklichkeit erfaßt und aussagt. Es ist wohl richtig, in diesem Zusammenhange wenigstens einen Blick auf das Neue Testament zu werfen. Es dürfte dabei ohne weiteres einleuchten, wenn wir den semitischen Hintergrund des Denkens Jesu wie des Denkens des Paulus d a f ü r in Anspruch nehmen, im Neuen Testamente einen dem semitischen hajah verwandten Wirklichkeitsbegriff zu postulieren. Dieser Wirklichkeitsbegriff verbirgt sich aber hinter griechischen Terminis und ist in ihnen audi wohl mehr, als wir es im allgemeinen ahnen, verstellt. Aber man kann das Gemeinte nun doch immer wieder und auch noch an der Grenze der neutestamentlichen Aussagen, wie ζ. B. im 1. Johannes Briefe, deutlich wahrnehmen. Die „Seins"-Aussage, die 1. Joh 4,8 von Gott gemacht wird, daß Gott nämlich Liebe ist, sieht ja zunächst wie eine reine Seins- oder IdentitätsFeststellung aus. Die Einführung (v. 7—8a) macht diesen Eindruck aber bereits unsicher. Es geht um das einander Lieben der Jüngerschaft, das darauf ruht, „daß die Liebe aus Gott ,ist'" (v. 7a). Die Liebe geht aus Gott hervor und kommt von Gott her zur Verwirklichung, so wäre dieses ,ist' zu paraphrasieren. Diese Wirklichkeit der Agape Gottes über dem Leben des Christen begründet seine Existenz wie sein Gotterkennen, 73

sofern er liebt! (v. 7b). Die Liebe des Christen ist also das Existential, als das die Wirkung Gottes wirklich wird, und als das Gott ausgesagt werden kann. Wir bemerken, wie nahe wir hier der Intention und Formulierung Brauns kommen. Auf dem Boden dieser Aussagen schließt v. 8 weiter: „Wer nicht liebt erkennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe." Es ist ganz deutlich, daß das zweite Sätzchen keine Identitätsaussage ist, sondern das Hervorgehen der Liebe aus Gott oder Gottes Wirken als Agape meint. Sonst wäre der Vordersatz, daß der, der nicht liebt Gott nicht erkennt, sinnlos. Aber diese Erwägungen werden nun von v. 9, wie selbstverständlich, aufgenommen und präzisiert: „Darin ist die Liebe Gottes unter uns erschienen, daß Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben könnten." Was in den Versen 7 und 8 als das aus Gott Sein der Liebe oder als Liebe-„Sein" Gottes gekennzeichnet ist, das ist in dieser Erklärung als die Sendung des Sohnes charakterisiert und beinhaltet. Das heißt „Gott ist Liebe": Er hat diesen seinen Sohn gesandt. Liebe Gottes ist keine allgemeine Bestimmung sondern eine ganz konkrete Wirksamkeit Gottes in Raum und Zeit: Die Sendung des Sohnes! Insofern „ist" Gott Liebe, als diese Sendung des Sohnes uns erreicht. Insofern „erkennen"wir Gott, als wir ins Lieben geraten! Aber auch dieses unser Lieben ist nicht einfach allgemein menschliches Lieben, sondern unser Lieben ist nur „etwas" auf dem Grunde jenes Gottesliebens: Jesus von Nazareth. Wieso das so ist, sagt v. 10 mit seinem Verweis auf die alleinige Wirksamkeit Gottes in Jesus, der Sühne für unsere Sünden. Dies „Werk" Jesu ist für unser Lieben konstitutiv. Dieses „Werk" Jesu oder denn seine Existenz trennt unser Lieben daher von der Kategorie Liebe und Mitmenschlichkeit im allgemeinen bzw. von ihnen als Existentialien! Diese Liebe Gottes als Gottes Wirklichkeit in und über dem Wirken Jesu als der Grund der Möglichkeit unseres Liebens — diese ganze Ereigniskette in Raum und Zeit — steckt in dem „ist" des Sätzchens: „Gott ,ist' Liebe." Diese ganze Ereigniskette will glaubend erfahren sein, ehe man verstehen kann, was dieses „ist" besagt. Dieses „ist" der Gottesliebe geht daher nie in eine allgemeine Definition von Liebe auf, weil als die zentrale Vermittlung der ganzen Ereigniskette das raumzeitlich bestimmte Wirken Jesu steht, das sich nicht mehr in allgemeine Definitionen überführen läßt. Das Wesen Gottes als Liebe ist stets als Jesu Wirken konkretisiert und damit (!) allen Existentialen gegenüber sichergestellt als „Essential": „Gott". Darauf aber kommt es ja im „Verständnis" Gottes nach unserer Stelle an. Es geht für uns Christen um unser ganz praktisches Lieben, und das trägt die Züge an sich, die Jesu oder Gottes Liebe zeigen: Die Einseitigkeit der Liebesbewegung (v. 10)! Diese Einseitigkeit zeigt uns: Hier geht es nicht um eine Liebe, die für den Menschen ja stets 74

personal oder personhaft d. h. in der Wechselbeziehung lebt. Die Kategorie der Wechselbeziehung schließt Gottes Handeln als Jesus grundsätzlich aus! Aber die Liebe als Gottes „Sein" ist gleichwohl nur als Existential aussagbar, als welches Gottes Lieben als unser Lieben zur Verwirklichung kommt. Die „Seins"-Aussage Gottes an dieser Stelle — wie sonst im Neuen Testamente — hält sidi also im Horizonte dessen, was uns an dem Begriffe hajah deutlich wurde. Sie erweist sich aber als konkret bestimmt durch das Wirken Jesu und darin an uns vermittelt. Wir finden in diesen Überlegungen das „Modell" analog wieder, das uns in dem ExistenzDenken des 17. Jahrhunderts begegnete. Diese Überlegungen auf die biblischen Sachverhalte sind trotz ihrer leider notwendigen Kürze für uns wichtig, weil wir unser theologisches Denken in einer dogmatischen d. h. der Gegenwart zugewendeten Studie wohl an einem dogmengeschichtlichen Sachverhalte ausgelegt aber nicht begründet sein lassen können. Wir haben es in diesem Falle mit dem jeder dogmatischen Studie konstitutiven Erwägung auf das Alte und Neue Testament insofern leicht, als es sich um allgemein anerkannte Sachverhalte handelt. Wir haben es in diesem Falle audi insofern leicht, als die innere Konvergenz dieser biblischen Überlegungen mit dem Existenzdenken des 17. Jahrhunderts auf der Hand liegt.

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VIII. Wir haben in unseren Überlegungen zu dem Begriffe der Existenz Gottes bzw. zu der Frage, was es eigentlich heiße, wenn man sagt: Gott existiert, mit der führenden Seite der modernen Antworten begonnen. Für eine dogmatische Studie ist dieser Einsatz auch grundsätzlich geboten, denn sie gilt ihrer Gegenwart. Wir gingen also von Bultmanns ExistenzBegriff aus und stießen damit auf den unserer Welt unerläßlichen Widerspruch gegen ein Denken, das Gott, Welt und Selbst nach ihrer objektiv gegebenen Dinghaftigkeit meint verhandeln zu können. Wir erkannten mit diesem Einsatz den grundsätzlichen Widerspruch zu Descartes als den, der eine solche Richtungnahme des Denkens erst möglich machte. Mit Rudolf Bultmanns Existenzbegriff sahen wir einen rein anthropologisch verstandenen Begriff von Existenz vor uns, wie das von Heidegger aus ja auch nicht anders sein kann. Wir sahen, wie in diesem Begriff Gottes Dasein impliziert ist — und zwar nicht etwa nur im Sinne eines „Vorverständnisses", sondern gerade auch mit der Mitte seines rechtfertigenden Handelns. In der Erörterung dieses Existenzbegriffes — zumal in Herbert Brauns Konkretisierung als Mitmenschlichkeit — wurde uns die Frage unabweisbar, ob das Intentum, nämlich Gott, mit dieser Begrifflichkeit angemessen ausgesagt werden könne. Dies schien uns fraglich zu sein. Für Braun wird Gott zu der species eines menschlichen Verhaltens als seinem genus, wenn er sagt: „Gott wäre dann eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit" (s. o. S. 15). Die Begrifflichkeit der Existenzphilosophie scheint das Intentum, nämlich Gott, nicht angemessen und befriedigend wiedergeben und vor Verkennungen und Irrtümern nicht hinreichend absichern zu können. Die mit der Übernahme des existenzphilosophischen Ansatzes gekennzeichnete Antithese zu dem mit Descartes gegebenen Objekt-Denken scheint nun ja aber in die Richtung zu zielen, die einem lebendigen Glaubensdenken unerläßlich sein muß. Es ist dem biblischen Zeugnis ebenso eindeutig wie der Reformation, daß von Gott nur einer reden kann, der unter Gottes Wort in seinem Dasein bewegt wurde. Wir folgten diesem Hinweis und vergegenwärtigten uns das auf dem reformatorischen und zwar dem lutherischen Ansatz ruhende philosophische und theologische Existenzdenken vor Descartes 82 . In diesem Existenzdenken bot sich uns Die lutherischen Theologen sind erst mit Beginn der Aufklärung in die Linie des Denkens Descartes' eingebogen, während die reformierten Theologen zu-

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als entscheidend die Verhältnisbestimmung von Essenz und Existenz an. W i r erkannten, daß wir es in diesem Denken mit einem Existenzdenken zu tun haben, dem es möglich ist, auf Grund der Vorausgesetztheit der implizierten und sich als Existenz aktualisierenden Essenz diese Essenz als Existenz auszusagen! Dabei ist es ganz klar geworden, daß das Geheimnis dieser Möglichkeit in der Vorausgesetztheit der Essenz oder denn, was dasselbe ist, darin besteht, daß man unter dem Begriffe Existenz nicht die Frage von Sein oder Nichtsein heraufbeschwört, sondern daß man sehr bescheiden aber ebenso konkret von des Existierenden de facto in der Welt Sein redet 8 3 . Dieser Grundeinsatz verbindet dies Denken mit dem Denken Bultmanns. Gottes Dasein kann und soll also nicht bewiesen werden. Das geht gar nicht. D i e Frage von Sein oder Nichtsein Gottes ist als positiv entschieden vorauszusetzen. Alle Rede von G o t t geschieht ja nur aus einer von G o t t affizierten Existenz. Unter diesen Voraussetzungen war es dem Existenzdenken des 17. Jahrhunderts offenbar möglich, existentielles V o r gehen zu fordern (naturalis dei notitia), das Wesen Gottes aber „als solches" (supernaturalis dei cognitio) aus seiner biblisch bezeugten Verwirklichung (Attribute als Existentiale) zu erheben und der Existenz aufs engste zuzuordnen. W i r sahen, wie dies bis in die Trinitätslehre hinein wirkt. V o n diesem Denken aus haben wir die Existenz Gottes in zwei A b schnitten ( V I und V I I ) bedacht und versucht, uns die Konsequenzen zunächst im Verhältnis zu dem modernen Denken durchzuklären. Dabei schien es uns deutlich zu werden, daß die Unterschiede zwar groß, daß aber die Gemeinsamkeiten so tiefgreifend sind, daß es fruchtbar ist, das Gespräch der Gegenwart von hier aus zu erörtern. W i r haben uns danach die ganze Weite vorgestellt, in der Gottes Existenz als sein in der Welt Handeln bedacht sein will, und uns von da aus klargemacht, daß wir es mal in Holland aber auch in Deutschland Descartes sehr bald folgten. Die Lutheraner hielten sidi so zurück, weil J . Musäus in Jena erwies, daß man mit Descartes in einen haltlosen Subjektivismus geraten müsse, der es nicht ermögliche, den Inhalt des Denkens als diesen Inhalt zu bewahren. Diese Partien aus Musäus' Introductio habe ich in: „Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung" II. Teil 1966, Gütersloh, § 15 Β 7, zusammengestellt. D a die Dogmatiker bis zu F r a n z Buddeus diese Gründe Musäus' wiederholten, blieb das lutherische Denken sehr lange gegen den Einfluß Descartes' gefeit. 83

Mit dieser Grundbestimmung ist Stets audi G o t t gemeint. Dabei muß, um Mißverständnisse zu verhüten, nochmals daran erinnert werden, daß dieses „de facto in der W e l t Sein" Gottes nicht etwa nur sein schöpferisches oder providentielles Handeln in der Welt, sondern genauso Gottes Hervortreten als Gott Israels oder als Jesus von N a z a r e t h umschließt.

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bei diesem existere des 17. Jahrhunderts als dem esse actu offenbar mit einem „Seins"-Begriffe zu tun haben, der dem biblischen „Seins"-Begriffe hajah erstaunlich nahesteht. Das theologisch reflektierte und in biblischem Denken geschulte Philosophieren eines Scheibler hat es mit diesem Existenzbegriff offenbar vermocht, im Zusammenhang und auf dem Boden eines Denkmodells, das Aristoteles und also dem griechischen Denken abgenommen wurde, Kategorien zu präzisieren, die den biblischen Tendenzen angemessen zu sein scheinen. Der nur existentiell erhebbare und zugleich essentiell verweisende Sinn dieser Existenzurteile vermag das auszusagen, was mit dem biblischen Zeugnis ausgesagt sein soll: Gottes Wirken an uns als sein ewiges Gottsein! Es ist nun ja nicht so, daß etwa nur solche Gedankengänge theologisch verwendbar sind, die sich an biblischen Analogien ausweisen lassen, wie das existere im theologischen Sprachgebrauch des 17. Jahrhunderts sich an hajah ausweisen läßt. Aber es ist wohl so, daß solch Erweis die Annahme zuläßt, mit solchen Begriffen das angemessen wiedergeben zu können, wovon das biblische Zeugnis redet. Und es ist ja auch nicht so, als wenn dieser Erweis berechtige, das Denken des 17. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert zu repristinieren. Das Denken des Barode ist nicht unser Denken. Es kann unserem Jahrhundert auch nicht als Ausdruck seines Selbstverständnisses dienen. Aber wir können unser gegenwärtiges Fragen an diesem Denken ausgelegt sein lassen, so daß wir unser Fragen und Meinen richtiger verstehen lernen. Wir würden also von hier aus sehr deutlich sehen, daß die hinter der Rezeption Heideggers stehende Intention eben das ist, worum es in der Theologie audi damals ging. Damals geschah das noch ohne die schwerwiegenden Widerständigkeiten, die wir aus der Denkgeschichte der letzten 300 Jahre mit uns tragen. Damals geschah es in viel unmittelbarerer Aufnahme des reformatorischen Erbes. Darum kann uns diese Wahrnehmung etwas bedeuten. Wir sehen aber auch, daß unser Bedenken gegenüber den modernen Begriffen offenbar berechtigt ist: Es fehlt dem 20. Jahrhundert wirklich die Möglichkeit, die Essenz in ihnen so mitgesagt sein zu lassen, daß sie im Existenzial nicht nur „anwest", sondern auch Ausdruck findet, wie das im 17. Jahrhundert gegeben war! Damit wäre allererst der wirksame Schutz gegen so irreführende Konklusionen, wie wir sie in dem einen Satz Brauns fanden, gegeben! Darauf aber kommt es in der Theologie an, eine Begrifflichkeit zu wählen, die keine Mißverständnisse impliziert, und die den Glauben wie seinen Gott so zur Aussage bringt, daß die Verkündigung in der Gegenwart angemessen geschehen kann. Wie so gedacht werden kann, das kann man an dem Beispiel der Theologie des 17. Jahrhunderts zeigen. Wenn wir von diesen Überlegungen nun wieder auf die gegenwärtige Diskussion zurücklenken, so ist es wohl geboten, uns der anderen Seite, d. h. 78

Gollwitzers Position zuzuwenden und zu erwägen, ob wir an dieser Gegenthese zu Bultmann und Braun das bestätigt finden, was uns bewegt. Es sieht ganz so aus, als läge Gollwitzers Denken in dieser Sache ganz auf der Linie, in der wir gingen. Man kann also ζ. B. die These Gollwitzers, daß „die Identität zwischen der Offenbarung und dem Offenbarer, zwischen ,Gott für uns' und ,Gott für sich' als der Nerv aller Bekenntnisaussagen . . . das klare ,ist'" erfordert 84 , gemäß der Einheit von Existenz und Essenz auslegen. Zumal aber wird in dieser Feststellung die analoge Tendenz sichtbar, die uns bewegte. Wir finden diese analoge Tendenz auch in dem Orientierungs-Abschnitt: „Eigenart biblischer Rede von Gott" 8 5 . Es geht Gollwitzer nicht darum, die innere Berechtigung des Ansatzes existentieller Gottesaussage zu leugnen. Aber Gollwitzer will mit dieser Existentialität der Gottesaussage zugleich das Gottsein Gottes selbst vergewissert haben. Wenn wir recht sehen, entspringt seine Besorgnis an der gleichen Stelle wie bei uns. Nun fallen uns allerdings einige Momente auf, die es uns doch wieder fraglich erscheinen lassen, ob wir uns mit Gollwitzer auf dem gleichen Wege befinden. Erstens scheint es uns fraglich zu sein, ob der Deutungsansatz der „Existentialisierung der Rede von Gott seit I . K a n t " 0 6 sich mit dem verbinden läßt, was wir meinen. Wir würden jedenfalls geneigt sein, für die Grundtendenz, Gott heute als „nicht gegenständlich" auszusagen, nicht den kantischen Ansatz verantwortlich zu machen. So sehr wir den drei Thesen Gollwitzers in diesem Zusammenhang zustimmen 87 , so wenig können wir meinen, sie von Kant her bestimmt sein zu lassen. Von Kant aus kann man u. E. nur bei Gott als einem „Postulat" landen oder bei Gott als „Ding an sich". Beides ist aber nicht die „geistesgeschichtliche Vorgabe", von der aus die gegenwärtige „Tendenz" erklärt werden könnte 88 . Vielleicht meint Gollwitzer doch noch etwas anderes als wir? 84

Existenz Gottes, S. 157.

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ebed., S. 97—105.

M

ebed., S. 52—62.

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D i e drei Thesen S. 62 besagen: 1) „Theologisch illegitim" seien Aussagen, die G o t t als Objekt im Sinne der res extensa Descartes' behandeln. 2) „Illegitim" sind daher Aussagen, die nicht unsere Existenz mit einbeziehen. 3) „Von G o t t kann legitim niemand sprechen, ohne damit von sich selbst ein Bekenntnis abzulegen". Diese Thesen sind unbestreitbar. O b das mit dem merkwürdigen Begriffspaar „legitim" und „illegitim" gemeint ist, können wir nicht genau ersehen.

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So sagt Gollwitzer S. 61. D i e Position Gollwitzers, von K a n t aus zu argumentieren, schiene uns nur sinnvoll, wenn Gollwitzer behaupten würde, Bultmann und Braun lösten mit dem Existenzdenken die Realität Gottes grundsätzlich auf. D a s aber kann man u. E . so nicht sagen.

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Zweitens ist Gollwitzer eigentümlich ablehnend gegenüber dem, was er Metaphysik nennt. Er versteht darunter offenbar nur ganz absurde Spekulationen 88 . Es gehört wohl zu einer modernen Sprachregelung, Metaphysik zu perhorreszieren, wie zumal Ritsehl das tat. Man meint dabei mit Metaphysik das sich selbst statuierende, Gott notwendig leugnende „Denken". Die großen Zeiten der Metaphysik, das 12. und 13. Jahrhundert, das 17. Jahrhundert und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts würden diese Meinung ja wiederlegen. Aber es könnte natürlich auch sein, daß sich in dieser Redeweise von der Metaphysik ein sehr tiefgreifender Unterschied zu uns ankündigt. Drittens ist für uns, wenn wir uns auf Gollwitzers Arbeit hin bestimmen, auffallend, daß Gollwitzer ganz zentral mit dem Personbegriff arbeitet. Er grenzt dabei den Personbegriff auf den Beziehungsbegriff (!) ein 90 . Er tut das, weil es ihm dabei zentral um das „Ich-Du" geht, wobei er an M. Bubers Arbeiten aus den 20er Jahren denkt. In den 20er Jahren war das Ich-Du Denken ja allgegenwärtig. Aber kann man die Fragen, um die es in der Theologie geht, wirklich damit bewältigen? Ist nicht das ganze Ich-Du Denken im Existenz-Denken deswegen schlagartig überholt worden, weil das Existenzdenken die Tatsachen sehr viel besser und zutreffender auszusagen erlaubte, als das Arbeiten mit dem Ich-Du? Sowohl an der Entwicklung Ferdinand Ebners wie an der Friedrich Gogartens kann man das sehr deutlich zeigen. Wenn Gollwitzer meint, „die personale Redeweise" sei „für die christliche Rede von Gott nicht überbietbar" 9 1 , so muß man sich doch daran erinnern lassen, daß alle diese sogen, „reinen" Beziehungsbegriffe unter die Kategorie der Wechselbeziehung Fichtes gehören, daß diese Kategorien und ihre Derivate aber im Handeln Gottes, wie ihn das Alte und Neue Testament bezeugen, jedenfalls keine Stelle haben. Wenn man dennoch mit einem Beziehungsbegriff das Verhältnis von Gott zum Menschen ansetzt, so ist die Folge, daß man am Ende mehr Gewicht auf die „Freiheit" Gottes gegenüber der Welt legen muß, als vor dem biblischen Zeugnis vertretbar zu sein scheint. Man muß diese „Freiheit" Gottes so betonen, weil man mit dem 89 90

So ζ. B. S. 105. „Es muß deshalb streng durchgehalten werden, daß Person ein Beziehungsbegriff ist, jedenfalls theologisch nur als Beziehungsbegriff und nicht als Substanzbegriff, der die Beschaffenheit einer für sich seienden Größe aussagt, gebraucht werden d a r f . " (S. 150) D e r Gegensatz von Person und „einer für sich seienden G r ö ß e " ist klar. Aber das hat ja eigentlich mit Substanz nichts zu tun. Im Gegenteil müßte Gollwitzer eigentlich sehr daran liegen, G o t t als Person auch Substanz zu sichern, sonst wird Gott ein ganz ohnmächtiges Gespenst!

01

80

S. 151.

Beziehungsbegriff zu viel des Guten tat, und so ergibt sich ein H i n und Her, aber keine geschlossene Position. Die wichtigen Überlegungen Gollwitzers zu dem Unterschiede der Verdeutlichungen Gottes, der „wie" ein Löwe brüllt aber „als" Herr hervortritt 92 , verändern an dieser Feststellung nichts, wenn wir recht sehen. Man kann den Personbegriff theologisch sehr sinnvoll verwenden — als Beziehung der drei Personen in der Trinitätslehre und als das personbildende Zentrum der beiden Naturen in der Christologie. Aber es ist uns zweifelhaft, ob man ihn an der Stelle sinnvoll verwenden kann, wo es um das Gottesverhältnis des Menschen geht. Zumal scheint uns die Tendenz, dem berechtigten Drängen auf existentielles Reden von Gott mit dem Person-Begriff gerecht werden zu wollen, gefährlich zu sein, weil damit die „Einseitigkeit" des Verhältnisses GottMensch verdeckt wird. Viertens fällt uns nun aber von unseren Überlegungen aus an dem Ganzen des Buches von Gollwitzer eine Verwendung des Existenzbegriffes auf, die uneinheitlich und darum verwirrend ist. Es ist schon bemerkt, daß es in der Auseinandersetzung zwischen Braun und Gollwitzer um die Frage der Aussagbarkeit Gottes geht (s. o. Anm. 73). Wir haben aber auch bemerkt, daß Gollwitzer letztlich die Meinung vertritt, Braun verfechte einen „atheistischen" Standpunkt. Bartsch meint, in diesem Vorwurf liege nur ein scharfer Ausdruck auf Grund der Hitze des Gefechtes vor. Aber es scheint hierin eine Vermischung der beiden Möglichkeiten, von Existenz zu reden, zu Tage zu kommen. Der Grund dafür ist darin gegeben, daß Gollwitzer allerdings die Aussagbarkeit 93 des de facto in der Welt Seins Gottes behandelt, daß er aber immer wieder und zumal im Schlußabschnitt in die Frage nach dem Sein Gottes gegenüber der atheistischen Verneinung hineinkommt! Gollwitzer spielt die ganze Frage nach der Existenz Gottes auf das grundsätzliche Sein oder Nicht-Sein hinaus 94 . Er verbindet also die Frage, ob man Gott, dessen „Realität" in der Offenbarung vorausgesetzt ist, was bei Bultmann und Braun genauso der Fall ist wie bei Gollwitzer, mit dem Begriffe der Existenz aussagen könne, mit der anderen Frage, ob Gott existiere oder nicht95. Die These, die da92

S. 152 f. In seinen Erwägungen zur „Uneigentlichkeit des Anthropomorphismus" nimmt Gollwitzer selbst (S. 130) die Stellung ein, die wir hier vertreten.

93

Dies wird zumal in den wichtigen Überlegungen zu dem anthropomorphen Charakter unserer theologischen Begriffe klar: S. 113—136.

94

Von S. 194 an ist nur noch in diesem Sinne von Existenz die Rede.

95

An einigen Stellen verwendet Gollwitzer das Begriffspaar: „Existenz und Wirklichkeit" so auffallend, daß man denkt, er könne damit die beiden Weisen, von Existenz zu reden, meinen: so S. 162 f. Aber es wird dann leider deutlidi, daß die beiden Begriffe „nur so" nebeneinander stehen. Das ist weder durchgängig so, noch ist damit offenbar etwas Bestimmtes gemeint.

81

hinter steht, ist wohl der Verdadit, daß bei Braun die Aussage von Gott zu einer Verdrängung Gottes führe. Aber dieser Verdacht berechtigt wohl nicht dazu, unter der H a n d den Fragegegenstand zu vertauschen. Dieser Verdacht könnte sich ja auch nur gegen die Begriffsmittel richten und nicht gegen die Vorausgesetztheit Gottes bei Braun. Der emphatische Schlußsatz Gollwitzers meint das Tatsächlichsein Gottes gegenüber seinen Bestreitern und nicht die Frage, wie man Gottes „Sein" sagen könne. Diese vierte Beobachtung gibt den Grund dafür an, daß man bei den Ausführungen Gollwitzers immer wieder zwei Fragestellungen mit einander vermischt findet, die nicht vermischt werden dürfen. Die These, daß Gott existiert und nicht nicht existiert, ist keine Antwort auf die Frage, wie Gottes Wirken und Sein ausgesagt werden könne und was der Existenzbegriff dabei für eine Rolle spielen könne. Über die Notwendigkeit des existentiellen Redens von Gott sind sich ja alle sowieso einig. Diese vier Bemerkungen zeigen die Stellen, an denen es uns fraglich wird, ob wir in unseren Überlegungen zu Bultmann und Braun eigentlich mit Gollwitzer auf einem Wege sind. Wir präzisieren diese Frage, indem wir uns zu Gollwitzers Ergebnis stellen. Das Ergebnis Gollwitzers ist erstens die These: „Die Untauglichkeit von Ist-Sätzen" 9 ', und dazu gehört zweitens die These: „Die Notwendigkeit von Ist-Sätzen" 9 7 . Diese beiden Thesen geben die Stellung Gollwitzers wieder. Die beiden Thesen sind limitativ, d. h. sie kennzeichnen die Verwendbarkeit von Ist-Sätzen abgrenzend als untauglich aber notwendig. Was ist in diesen beiden Thesen gemeint? Die „Untauglichkeit von Ist-Sätzen" meint, man solle und müsse nachdenken „über die Veränderung, die dem Begriff der Existenz geschieht, wenn Gott sein Subjekt wird" 9 S . Das scheint der völlig richtige Einsatz zu sein. Daran muß ein theologisches Denken interessiert sein, denn Gott ist nicht Welt. Wenn unsere an der Welt gewonnenen Begriffe also auf Gott angewendet werden, so ist a limine damit zu rechnen, daß sie sich verändern. Es ist die theologisch entscheidende Frage: Wie das geschieht. Gollwitzer meint, der Existenz-Begriff werde sofort als symbolisch erkennbar, wenn er auf Gott angewendet werde. Dabei bezieht Gollwitzer sich auf Tillichs Symbol-Begriff. Diese Einführung liegt scheinbar auch ganz in der Richtung des von uns Erarbeiteten. Es kann damit ja nur gemeint sein, daß der Existenzbegriff auf Gott realiter und analogisch zu verweisen in der Lage ist, wenn er auch univoce nicht auf Gott zutrifft. Die zentrale „negative Sicherstellung" dabei ist aber für Gollwitzer: Gott „existiert nicht, wenn existieren hier im Sinne des uns von uns selbst und 60 97 98

82

S. 162—168. S. 169—178. S. 164.

unserer Umwelt bekannten Daseins verstanden wird". Mit dieser „negativen Sicherstellung" ist die Frage nach der Existenz Gottes erledigt! Es ist unbegreifbar, wie Gollwitzer diese „einfache" Gegensätzlichkeit noch mit Tillichs Symbolbegriff verbinden kann. Die sogen. „Ist-Sätze" verbieten sich also f ü r Gott, weil solche „Ist-Sätze" auch abgesehen von uns richtig sind. „Wenn das ,Sein' oder ,Existenz' zu nennen ist, was wir in der Welt damit bezeichnen, dann ist Gott nicht." 99 Diese These bringt die eine Seite der Position Gollwitzers auf ihren schärfsten Ausdruck. Gott „ist" nicht, wenn dieses „ist" einer unserer Begriffe ist100. Vergessen scheint aber alles zu sein, was über unsere theologischen Begriffe gesagt ist. Sie sind ja alle welthaft. Gollwitzer will offenbar als Ausgangspunkt diese überspitzte und a limine nicht haltbare Position, um mit der zweiten Position bestehen zu können. Der sogen, „unendliche qualitative Abstand" von Gott und Welt soll offenbar mit diesem Einsatz markiert sein. Der Abstand von Gott und Welt darf ja auch nicht fortfallen. Aber muß er so übersteigert werden, wo doch jeder weiß, daß man unter diesen Voraussetzungen überhaupt nicht von Gott reden kann, denn alle unsere Begriffe sind anthropomorph! Jedenfalls — Gollwitzer redet nicht, wie er doch ankündigte, von der Veränderung des Existenzbegriffes, sondern setzt einfach und hart gegeneinander. Eine Überlegung über das An-sich-Sein Gottes fügt Gollwitzer hinzu, die zu dem Gesagten allerdings nichts beiträgt. In dieser Überlegung wird f ü r das berechtigte Interesse an der Nicht-Objektivierbarkeit Gottes die an sich wesentliche Entscheidung getroffen, daß es diese Nicht-Objektivierbarkeit Gottes einerseits als Subjekt-Sein Gottes in seinem Vergeben und andererseits als Systempunkt menschlichen Denkens gibt! Diese Unterscheidung ist gewiß wesentlich. Aber enthält sie wirklich das Entweder von Theologie auf dem Boden des Wortes und das Oder von sogen. Natürlicher Theologie, die abzuwehren wäre? Gibt es nicht die Konvenienz von Gottes Wort und menschlichem Denken? Das ist die Frage, die diese Seiten aufgeben. Offenbar will Gollwitzer von dem „unendlichen qualitativen Abstände" von Gott und Welt ausgehen. Aber dieser „Abstand" ist bekanntlich eine philosophische Hypothese und kein biblischer Satz. n 100

S. 166. Dabei ist offenbar an „Ist-Sätze" gedacht, die den urteilenden Menschen ausklammern. Es ist also nur ein sehr kleiner Bereich von „Ist-Sätzen" ausgeschlossen! Aber auch diese Annahme, daß es ein Seinsurteil gibt, das den Urteilenden nicht einzubeziehen scheint, wäre ja nur Grund für den Schluß: So wird Gottes Sein falsch wiedergegeben. Aber der Schluß, daß Gott nicht „ist" unter Voraussetzung dieses „Seins" ist mindestens sehr übertrieben. An sidi stimmen dieser These Bultmann und Braun ebenso zu, wie wir es tun.

83

Es folgt die „Notwendigkeit von Ist-Sätzen". Gollwitzer geht hier von der Schöpfung aus und rezipiert dazu die skeptische Theorie Barths, daß das Sein des Seins nur geglaubt werden könne 1 0 1 . Das Sein, von dem hier ausgegangen wird, ist also das auf dem Bunde Gottes ruhende Sein. Diese Thesen, die Gollwitzer nicht ausführt, sind insofern skeptisch, als sie bestreiten, daß es eine Seinsvergewisserung abgesehen vom Glauben gebe. G o t t ist also stets so in der Voraussetzung des Seins, daß das Sein abgesehen von G o t t nicht vom Schein zu scheiden ist. Einerseits ist damit alle philosophische Ontologie für Nonsens erklärt. Andererseits wird damit der Glaube in einem M a ß e ontologisiert, wie das seit Thomas so nicht der Fall war. Dies ist der Hintergrund der Gedanken Gollwitzers, wie seine Zitation Barths ausweist. D a r a u f baut er die These „ G o t t ist". U n d das soll vor allem heißen: „Gott ist — und nicht nur Welt ist"

102

. D a m i t hat

Gollwitzer unversehens von der Frage nach der Aussagbarkeit Gottes hinüber gelenkt in die Behauptung des Seins Gottes als Sein. Demgemäß kommt er denn auch sogleich auf die Gottesbeweise zu sprechen. H i e r ist nicht mehr von der Brauchbarkeit des Existenzbegriffes die Rede, und es wird auch nicht mehr gefragt, was das heißen kann, wenn man von Gottes Existenz redet. Die reine Existenzbehauptung steht jetzt da. Aber diese Behauptung wird dann bald daraufhin erläutert, daß der Satz „Gott ist" kein einfadier „ I n d i k a t i v - S a t z " sei, sondern daß er ein Bekenntnissatz sei, der die Veränderung impliziere, die mit uns angesichts der Offenbarung geschehe. Der Satz enthält die Frage nach dem „ H e r r n " . Die „Bewegung des Glaubens" ist die Voraussetzung dieser Ist-Sätze, und das ist ja stets „Bewegung in die Zukunft". So gewiß das nun so ist, so gewiß muß man nun aber auch von „Gottes an und für sich Sein" reden. Es geht dem Glauben j a doch um Gottes „Freiheit"! Gollwitzer führt diesen Gedanken hinaus auf das „extra nos" Gottes und auf das „verbum externum" 1 0 3 . " " Diese Theorie Barths, auf die sich Gollwitzer in S. 169 f. bezieht, die er aber im ganzen als bekannt voraussetzt,

geht von der These:

„Schöpfung als

Rechtfertigung" aus. Barth geht es dabei darum, die Erkenntnis des Daseins als „unerschütterliche Erkenntnis" ( K D I I I , 1 S. 4 4 6 ) zu erweisen. U n t e r der Voraussetzung, daß die Gnade Gottes oder sein Bund oder die Rechtfertigung der einzige (!) Vergewisserungsgrund unserer Seinserkenntnis ist, geschieht dieser erstaunliche Erweis. Das alles ist ja Reden im rein logischen Horizont, darum geschehen alle diese Einsichten für B a r t h „als entscheidend und zwingend"! (S. 4 4 3 ) In diesem „zwingenden" Sinne Barths ist die von Gollwitzer angeführte „Notwendigkeit" von Ist-Sätzen wohl audi gemeint. 102

103

S. 171. haben mit diesen Sätzen die Stichworte der Seiten 1 7 2 — 1 7 7 zusammengestellt.

84

Diese zweite Überlegung von der „Notwendigkeit der Ist-Sätze" steht also auf der Behauptung, Gott existiere tatsächlich, und diese Behauptung, die aus der Schöpfung entnommen wird, wie Barth sie versteht, impliziere den Glauben. Der Glaube aber muß Gottes Freiheit als sein „An und für sich sein" prädizieren. Von dem Thema, das S. 164 angeschlagen war, daß es um die Veränderung gehe, die der Existenzbegriff erfahre, wenn Gott sein Subjekt werde, ist auch in diesem Abschnitt nicht die Rede. Hier heißt „Sein" nur „Sein Gottes", denn alles „Sein" ist nur aus dem „Sein Gottes" deduzierbar. Das „Sein Gottes" aber bedeutet Glaube etc. bis hin zum „An und für sich Sein" Gottes. In dem Abschnitt „Die Untauglichkeit von Ist-Sätzen" war das Sein das Sein von Welt, und in seinem Sinne „ist" Gott nicht. In diesem Abschnitt „Die Notwendigkeit von IstSätzen" ist das Sein das tatsächliche Vorhandensein Gottes und in diesem Sinne „ist" Gott — auch an und für sich. Wenn man sich dies vergegenwärtigt, so ist also vom Existenz-Begriff und seinen Veränderungen in beiden Überlegungen nicht die Rede. Es wird gesagt: 1. Gott kann mit keinem Existenzbegriff der Welt charakterisiert werden. 2. Gottes Sein ist sein Sein, das nur ihm zukommt und von dem her die Welt ist. Dieses Sein Gottes impliziert die Bewegung des Glaubens und nähert sich so dem Existential. Dieses Sein ist aber gleichwohl „an und für sich". Das Existential ruht auf der Gnade Gottes, das „An und für sich Sein" Gottes repräsentiert seine Freiheit 104 . Sehen wir auf unsere Überlegungen zu Gollwitzers Vorgehen zurück, so bleibt der Eindruck, daß die Richtungnahme des Vorgehens uns mit Gollwitzer verbindet. In den Ergebnissen stehen wir allerdings an einer sehr anderen Stelle als Gollwitzer. Das liegt nun aber wohl nicht an einer grundsätzlich verschiedenen Beurteilung der Sachlage, sondern an dem andersartigen begrifflichen Zugehen auf das Problem. Wir meinen auch, daß an der Aporie, vor der Gollwitzer stehen bleibt, daß er nämlich die „Ist"-Sätze abweist und doch postulieren muß, daß er der Forderung existentiellen Redens zustimmt und doch das „An und für sich Sein" Gottes 1M

In dieser Definierung der existentiell ausgesagten Sätze und der „an und für sidi" gemeinten Sätze steckt der theologische W e r t dieser Thesen. Man müßte für eine Beantwortung der Frage von S. 164, welche Veränderung der E x i stenzbegriff durdi G o t t als sein Subjekt erfährt, von hier aus sagen: E r wird einerseits von der Gnade verändert und nimmt da den C h a r a k t e r des Existentials an. E r wird andererseits von der Freiheit verändert und nimmt da den C h a r a k t e r „des A n und für sich Seins" an. Mit diesen Sätzen hätten wir gefaßt, wie wir Gollwitzer weiterdenkend verstehen und vertreten

könnten.

Aber ist dies die von Gollwitzer gemeinte Position? Jener andere ExistenzSinn von tatsächlichem Sein kommt dazwischen und verhindert eine durchschaubare Position.

85

behaupten muß, sichtbar gemacht werden kann, wie schwierig die tatsächliche Lage bezüglich der theologischen Aussage heute ist. Wenn man dem Vorgehen Bultmanns und Brauns folgt, so wird man — zumal an der Konkretisierung des Existenz-Begriffes bei Braun — zu der Frage nach dem in und hinter dem Vorgang von Mitmenschlichkeit stehenden „Sein" Gottes gedrängt. Gollwitzer geht von dieser Frage ja audi aus. Gollwitzer nimmt den berechtigten Ansatz Brauns in wesentlichen Stücken auf. Er möchte über diesen Ansatz des existentiellen Redens von Gott nun aber hinausführen. Aber die Auskunft Gollwitzers, man müsse dieses „Sein" Gottes als „An und für sich Sein" Gottes über den Umweg der These vom Tatsächlichsein Gottes eben behaupten, läßt einen unbefriedigt. Das Wesentliche an diesem Gegenüber der beiden Positionen scheint uns nun aber darin heraus zu kommen, daß überzeugende andere Auskünfte als dieses Gegenüber in den denkerischen Möglichkeiten des Vitalismus bzw. des Existentialismus nicht vorliegen. Im Gegenüber zu diesen Denkansätzen bleibt nur die Behauptung des „An sich Seins". In dieser Bemerkung liegt unsere zentrale Frage als Fraglichkeit dessen, was heute im Zusammenhang wie gegenüber dem existenzphilosophischen Denkansatz des Heidegger von „Sein und Zeit", den Bultmann rezipierte und der daher in der Theologie maßgeblich geworden ist, angelegt ist. Der seit Ritsehl die evangelische Theologie bestimmende Hang, sich antimetaphysisch zu gebärden, der unter den Nachwirkungen Kierkegaards aktualisiert wurde, brachte das evangelische theologische Denken in diese Aporie. Unser Hinweis auf das theologische Denken des 17. Jahrhunderts ist in dieser Hinsicht der Beweis, daß ein metaphysisches Denken mit den heutigen Fraglichkeiten der theologischen Aussage gut fertig wird und daß mit diesen metaphysischen Kategorien der Sachverhalt biblischen Existenzdenkens sachgemäß vertreten und ausgesagt werden kann. Offenbar ist es einem theologischen Denken gefahrbringend zu meinen, seinen Gegenstand jenseits von Metaphysik, also nur mit Logik oder Dialektik, aussagen und bewahren zu können. Genau diesen Versuch hatte Melanchthon ja auch gemacht. Die Mächtigkeit seiner Position als praeeeptor Germaniae brachte es mit sich, daß man ihm methodisch bis an das Ende des 16. Jahrhunderts im Lehrbetrieb der theologischen Fakultäten folgte. Dann allerdings stellte man eine so große Verwirrung und Verwilderung des theologischen Denkens fest, daß man sich entschloß, aus dem Geiste der Reformation „die" Metaphysik neu zu gestalten und anzueignen 105 . 105

86

Vgl. dazu: „Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung" I.Teil, Gütersloh 1964, S. 15.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß eben solche Wende unserer Situation hilfreich sein könnte. Es ist nicht wahr, daß Metaphysik eo ipso verdinglichend oder rein spekulativ oder rein abstrakt oder gar antichristlich sein müßte. Metaphysik bedeutet in der Gestalt, in der wir sie als evangelische Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts heranzogen, nichts anderes als eine strenge Begriffsfestlegung unter der Voraussetzung der theologischen Erfordernisse. Ein theologisches Denken aber muß erstens seinem Gegenstande entsprechen können. Das kann metaphysisch so geschehen, wie wir sahen, daß Scheibler in seiner Metaphysik ζ. B. den ExistenzbegrifT philosophisch (!) so entwirft, daß er nur unter der Voraussetzung dessen, was von Gott gesagt sein soll, zutrifft (s. o. Anm. 6). Ein theologisches Denken muß zweitens dem Rechenschaft geben, daß es seinen „Inhalt", d. h. „den", den es als Grund und Ziel allen Seins prädiziert, den es darum im Ursprungs- wie im Final-Verhältnis zu allem Sein ansehen muß, voraussetzt und nicht befragt. Damit ist einmal eine metaphysische Position eingenommen, und damit allein wird der Schritt über Descartes hinweg wirklich getan. Ein theologisches Denken muß drittens in der Lage sein, seine Begriffe, die Gott und die Schöpfung, Christus und die Versöhnung wie den Geist und die Erlösung aussagen sollen, in ihrem begrifflichen Verhältnis zueinander denkerisch sauber zu bestimmen. Die theologische Situation der Gegenwart ist ja doch ganz wesentlich aus dem Grunde so verworren, weil der eine unter den Begriffen der N a t u r oder der Substanz dies meint verstehen zu können, der andere aber etwas ganz anderes, und für beides ein denkerisch zureichender Grund meistens fehlt.

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THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK TÖPELMANN Herausgegeben von K. Aland, K. G. Kuhn, C. H. Ratschow und E. Schlink

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