Goethes Gedankenform [Reprint 2018 ed.] 9783110830330, 9783110051841

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Goethes Gedankenform [Reprint 2018 ed.]
 9783110830330, 9783110051841

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Polarität und Steigerung
II. Schauen und Denken
III. Typus und Metamorphose
IV. Natur und Kunst
V. Stoff und Form
VI. Vergangenheit und Gegenwart
VII. Symbolik
Register
1. Namen
2. Begriffe und Sachen
3. Werke Goethes

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Franz Koch • Goethes Gedankenform

Franz Koch

Goethes Gedankenform

Walter de Gruyter & Co. vormals G . J . Göschen'scheVerlagshandlung• J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.

Berlin 1967

A r d i i v - N r . 36 77 671

© 1967 by Walter de G r u y t e r & C o . , vormals G . J . Gösdien'sche Verlagshandlung • J. G a t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • K a r l J . Trübner • Veit & C o m p . , Berlin 30 P r i n t e d in G e r m a n y O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: H . Heenemann K G • Berlin 31

Vorwort Wenn der Verfasser nach langer Pause seinen beiden 1926 und 1932 erschienenen Büchern über Goethe („Goethe und Plotin" und „Goethes Stellung zu Tod und Unsterblichkeit") nunmehr ein drittes nachschickt, mag ein Wort dazu vonnöten sein. Klingt doch manches aus den ersten beiden, natürlicherweise, echohaft im dritten nach, wie umgekehrt jene doch auch, wenn der Verfasser zurückblickt, Stufen waren zu dem dritten. Vergleicht man Goethes gesamtes Werk mit einer Landschaft von unverkennbarem Charakter, die dennoch ständig von neuen Lichtern und Farben überhellt und durchleuchtet wird, so hat ein über ein halbes Jahrhundert dauerndes Wandern in ihr dem Wanderer den Blick geschärft für die großen, sie beherrschenden und strukturierenden Linien, für das Spiel von Dauer im Wechsel und Wechsel im Dauernden in ihr. Davon soll hier die Rede sein. Gern ergreift der Verfasser die Gelegenheit, sich der Goethe-Forschung dieses Halbjahrhunderts dankbar verpflichtet zu bekennen, die mit ihrem Besten bereits zum Teile schon anonymer ideeller Allgemeinbesitz geworden ist. So soll jeder Rückblick auf die eigenen Arbeiten zugleich Dank an die dort genannten Hilfen bedeuten, so daß nur mehr die Literatur, die diesem Buche im besonderen, das ja vor allem aus der ersten Quelle, dem Goetheschen Worte selber, schöpft, zugute kam, genannt wurde. Tübingen, im Sommer 1966.

Der Verfasser

Inhalt

I II III IV V VI VII

Vorwort Polarität und Steigerung Schauen und Denken Typus und Metamorphose Natur und Kunst Stoff und Form Vergangenheit und Gegenwart Symbolik

V 1 49 74 110 166 219 253

Register 1. Namen 2. Begriffe und Sachen 3. Werke Goethes

286 290 295

Goethe wird, soweit nichts anderes bemerkt ist, nach der „Weimarer Ausgabe" zitiert, die Orthographie bis auf wenige Fälle, die sich selbst erklären, modernisiert. Im übrigen werden folgende Abkürzungen gebraucht: W

= Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1887 bis 1918.

A

Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hrsg. von E. Beutler. Zürich, Artemis Verlag.

SN

Goethe. Die Schriften zur Naturwissenschaft. Vollständige, mit Erläuterungen versehene Ausgabe hrsg. im Auftrage der deutschen Akademie der Naturforscher (Leopoldina) zu Halle von B. Matthaei, G. Schmidt, W. Troll und L. Wolf. Weimar.

DjGN.A.

= Der junge Goethe. Neubearbeitete Ausgabe. Hrsg. von H. Fischer-Lamberg. Berlin 1963 ff.

H

= Maximen und Reflexionen. Nach den Handschriften des Goethe- und Schiller-Archivs hrsg. von M. Hekker. Weimar 1907 (Schriften der Goethe-GesellschaftBd. 21).

G

= Goethes Gespräche. Begründet von W. Frh. von Biedermann. 2. Aufl. 1 9 0 9 - 1 9 1 1 .

I

Polarität und Steigerung In seinem Briefe vom 24. Mai 1828 an den Kanzler von Müller nennt Goethe im Rückblick auf das unter der Mitarbeit Johann Christoph Toblers 1782 entstandene Fragment über die Natur Polarität und Steigerung die zwei großen Triebräder aller Natur, „jene der Materie, insofern wir sie materiell, diese ihr dagegen, insofern wir sie geistig denken, angehörig; jene ist in immerwährendem Anziehen und Abstoßen, diese in immerstrebendem Aufsteigen. Weil aber die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann, so vermag auch die Materie sich zu steigern, so wie sidi's der Geist nicht nehmen läßt, anzuziehen und abzustoßen; wie derjenige nur allein zu denken vermag, der genugsam getrennt hat, um zu verbinden, genugsam verbunden hat, um wieder trennen zu mögen 1 ." Die Sätze enthalten den Kern von Goethes Weltanschauung und die Form seines Denkens, seine „Gedankenform", wie er das nennt, so daß sich alle Sprossungen und Verästelungen daraus ableiten lassen. Das klingt für den Augenblick fast zu einfach und ist doch das „urständig Produktive", an das man glauben muß, „wenn man den rechten Weg gewinnen will" 2 . Aber gerade darum ist es auch „nicht jedem gegeben". Werden wir doch „in einem künstlichen Zustande geboren und es ist durchaus leichter, diesen immer mehr zu bekünsteln als zu dem Einfachen zurückzukehren". Goethe befolgte diese Methode, die ihm zu einem „angenehmen Geschäfte" wird, polarisierend zu verfahren, will sagen, „die Natur zugleich und sich selbst zu erforschen, weder ihr noch seinem Geiste Gewalt anzutun, sondern beide durch gelinden Wechseleinfluß mit einander in's Gleichgewicht zu setzen"3, „sinnig zwischen beiden Welten sich zu wiegen". So sieht er „zwei reine ursprüngliche Gegensätze" als „das Fundament des Ganzen, es zeigt sich sodann eine Steigerung, wodurch sie sich beide einem Dritten nähern; dadurch entsteht auf jeder Seite ein Tiefstes und Edelstes"4. Das gilt gleichermaßen für die Durchforschung der 1 W II, 11, 10 f.

2 an Zelter 29. III. 1827. I

äußeren wie der inneren eigenen Natur, für ihre ..Gewandtheit, wodurch sie, obgleich auf wenige Grundmaximen eingeschränkt, das Mannigfaltigste hervorzubringen weiß" 5 . Dieses Mannigfaltige zeigt sich uns Heutigen freilich nicht mehr so ausgeglichen harmonisch, wie es frühere, minder bewegte Zeiten gesehen haben. Unserer dissonanzenreichen, ja dissonanzenfrohen Gegenwart erschließt sich der Blick auch für die Schatten in Goethes Weltbild, das sich ja auch in einem von Kriegen durchtobten, von sozialen Erschütterungen durchbebten Europa erbildet hat. Eben dadurch aber tritt Goethe unserem Empfinden auch wieder näher, und so mag sich der Versuch rechtfertigen, dieses Spiel von Licht und Schatten, von einander widerstrebenden, eben dadurch aber auch einander steigernden Kräften und Wirkungen im einzelnen zu verfolgen. Eine so knappe und schlanke, einen weltweiten Gehalt und die gedankliche Arbeit eines ganzen Lebens prägnant umfassende Formel wie „Polarität und Steigerung" ist nicht am Beginn eines Lebens, sondern an seinem Ende, im höchsten Alter, möglich. Sie umgreift, was, jahrzehntelang immer wieder durchdacht und immer wieder formuliert, die Frucht eines langen Wachstums ist. In einem anderen Augenblick der Besinnung, ungefähr mittenwegs, als Goethe 1792 die Ereignisse auf den Schlachtfeldern dem Pempelforter Freundeskreis in die Arme treiben, er sich dort aber unverstanden sieht mit seinem „Hylozoismus", sich isoliert fühlt, sucht er in der „Zwischenrede" der „Kampagne in Frankreich" Deckung bei der Autorität Kants. Er habe sich, heißt es da, in seiner Naturwissenschaft nicht entgehen lassen, „daß Anziehungs-undZurückstoßungskraft zum Wesen der Materie gehören und keine von der andern im Begriff der Materie getrennt werden könne". Darum sei ihm die „Urpolarität aller Wesen, welche die unendliche Mannigfalt der Erscheinungen durchdringt und belebt" 6 , aufgegangen. Der Text der Kampagne entstand vom November 1821 bis April 1822. Sieben Jahre vorher hatte Goethe schon dieselbe Karte ausgespielt: „Seit unser vortrefflicher Kant mit dürren Worten sagt: es lasse sich keine Materie ohne Anziehen und Abstoßen denken (das heißt doch wohl, nicht ohne Polarität), bin ich sehr beruhigt, unter dieser Autorität meine Weltanschauung fortsetzen zu können, nach meinen frühesten Überzeugungen, an denen ich niemals irre geworden bin 7 ." 3HII4O. 5 W H , I I , 16$. 7

2

S.XXXV. 6w

1,33,196.

an S. C h r . Schweigger 25. I V . 1814.

Mit Recht spricht Goethe von „UrÜberzeugungen". Als Urpolarität des Lebens begegnet eine solche schon in dem „Fragment eines Romans" - er wird sie noch im „West-östlichen Divan" als zweierlei Gnaden des Atemholens feiern - aus dem Jahre 1 7 7 1 . „Es ist", heißt es da, „mit der Liebe wie mit dem Leben, wie mit dem Atemholen." „Freylieh ziehe ich die Lufft in mich, willst du das auch Eigennutz nennen? Aber ich hauche sie wieder aus, und sage mir, wenn du in der Frühlingssonne sitzest, und für Wonne dein Busen stärcker athmet, ist das Hauchen nicht eine größere Wonne als das Athemholen. Den das ist Mühe, iens ist Ruhe, und wenn uns die Entzückung manchmal aus voller Brust die Frühlingslufft einziehen macht, so ist es doch nur um sie von ganzen Herzen wieder ausgeben zu dürffen. Und ebenso ists mit der Liebe, und ihr meynt leben und nicht leben wäre eins. O meine Freundinn, was nicht lebt hat keine anziehende Krafft, es fließt keine Atmosphäre von ihm aus8." Leben also, dessen Geheimnisse er sein ganzes Leben lang forschend und sinnend umkreisen wird, offenbart sich hier schon als ein in religiöser Bewegung erfaßtes, pulsierendes, nehmendes und gebendes, eine förmliche Aura - „Alles Lebendige bildet eine Atmosphäre um sich her" 8a , so liest mans noch 1825 in den „Heften zur Naturwissenschaft" - sich schaffendes Wesen. Der geistige Raum der Herkunft solcher Elemente ist jene religiös ergriffene Epoche, in der Pietismus, Magie und Alchemie sich durchdringen und Goethe zum „Flügelmann der Reihe Paracelsus, Böhme, Dippel und Oetinger" wird 9 . Damit verbindet sich eine andere Tradition, die von Heraklit und vom Neuplatonismus über Nikolaus von Kues, Giordano Bruno zu Hamann und Herder führt, in der das ursprünglich religiöse Problem der coincidentia oppositorum sich säkularisiert und innerhalb deren Hamann schreibt: „Jordani Bruni Principium coincidentiae oppositorum ist in meinen Augen mehr wert als alle Kantsche Kritik" 1 0 , wobei hier schon bemerkt sei, daß Goethe den Akzent ebensosehr auf die polare Bewegung legt wie auf deren Resultat. „Dualer Gegensatz der Natur", mit dieser sozusagen stenographischen Chiffre hält Goethes Tagebuch vom 8. Mai 1 8 1 2 auf der Fahrt nach Karlsbad den Gegenstand eines 8a s D j G N . A . II, 23. H 435. V g l . den aufschlußreichen A u f s a t z B. Wachsmuths, Goethe und die Magie: Goethe, 8, 1 9 4 3 , S. 2 1 6 ff., bes. 2 3 1 . 10 18. I V . 1 7 8 2 . V g l . W . Dobbek, Die coincidentia oppositorum als Prinzip der Weltdeutung bei J . G . Herder wie in seiner Zeit: Herder Studien. Hrsg. v . W i o r a . W ü r z b u r g i960, S. 1 6 - 4 7 . 9

3

Gesprächs mit Riemer fest, das sich offenbar um diese Grundmaxime von Goethes Denken drehte. Goethe nennt solche „universellen Bezeichnungen" eine „Natursprache", die er für seine Zwecke in eine Unzahl von Formen faßt, die allein schon den durchgehenden Polarismus seiner Weltdeutung belegen, wie: Anziehung-Abstoßung, Atomismus-Dynamismus, Bewegung-Widerstand, Notwendigkeit-Willkür, Materie-Geist, Vergeistigung des Körperlichen - Verkörpern des Geistigen, Geistkörper-Körpergeist 11 , Licht-Finsternis, Wärme-Kälte, FeuchteTrockenheit, Solideszenz-Liqueszenz, das Sauersame-das Wassersame (im Galvanismus), Neptunismus-Vulkanismus, EvolutionRevolution, Präformation-Epigenese, Granit-Basalt, Dur-Moll, Licht-Auge, Ton-Ohr, Konsequenz-Versatilität. Systole-Diastole - möglicherweise hat Goethe den Ausdruck von Fr. Christoph Oetinger, der ihn bereits gebraucht 12 -, EinatmenAusatmen, Zusammendrängung-Anastomose, Kristallisation-Vegetation, Oxydation-Desoxydation, Identität-Wandelbarkeit, Determination-Versatilität, vis centrifuga-vis centripeta, AssimilationEntwicklung, Gemination-Prolifikation, Antizipation-Aneignung, Angeborenes-Erworbenes, Daimon-Tyche, Typus-Individuum, Innen-Außen, Gestalt-Gestaltung, Tod-Leben, Geburt-Grab, N a tur in Gott-Gott in Natur, Gott-Welt, Individuum-Entelechie. Synkrisis-Diakrisis, Synthese-Analyse, Verknüpfen-Trennen, Bejahung-Verneinung, Allgemeines-Besonderes, Eins-Alles, Entstehen-Vergehen, Verwandlung-Beharren. Erfahrung-Idee, Gesetz-Erscheinung, Sinnlichkeit-Vernunft, Spekulation-Intuition, Verstand-Phantasie, Wahrheit-Wirklichkeit, Dichtung-Wahrheit, Entdecken-Erfinden, „erfahren, schauen, beobachten, betrachten, verknüpfen, entdecken, erfinden" - „bemerken, sondern, zählen, messen, wägen" 1 3 , Denken-Tun, IronieAberglaube!14, Autorität-Kritik, Lust am Geheimnis-freier Forschungsdrang 15 , Wahrheitsgefühl-Machttrieb, Ausdruck-Gedanke, Irrtum-Wahrheit, Symbol-Allegorie, Thales-Anaxagoras, PlatoAristoteles. Vergangenheit-Gegenwart, Erinnerung-Gegenwart, Augenblick-Ewigkeit, Verwandlung-Beharren, Geschichte-Mythos, Gesellschaft-Staat, Herrschaft-Anarchie, Wechsel-Dauer, simultan-sukzessiv. ii W II, 6, 221. 13 W II, 11,65. MW II, J , I I . 7

4

12 Vgl. B. Wachsmuth a. a. O., S. 216. " W i l l , 4, 122.

Sinnlichkeit-Sittlichkeit, Gesetz-Freiheit, Antrieb-Wollen, Können-Sollen, Sehnsucht-Befriedigung, Entselbstung-Verselbstung, Leidenschaft-Gewissen, Sinn-Tat. Natur-Kunst, Element-Gestalt 16 , Gegenstand-Form, StoffGeist, Quantität-Qualität, Klassik-Romantik, real-ideal, gesundkrank, antik-modern - Sprache der Natur, zugleich aber auch Sprache Goethes, mit der er seine Schau der Welt und des Lebens aufbaut, so daß, hat man sie einmal als solche erfaßt, sich ein scheinbar verwickeltes und widerspruchsvolles Gefüge von Äußerungen auf einige wenige, sein Schauen und Denken willig erschließende Linien zurückführen läßt. Goethe operiert mit solchen und ähnlichen Begriffspaaren, „Analysatoren, den letzten allgemeinen physiognomischen Charakterisierungen der Phänomene, denen sich sein morphologisches, ideelles, anschauendes Denken zuwendet" 17 , deren Vollzug, die andere Seite der Gleichung, das Ergebnis des Ineinanderwirkens solcher Polaritäten darstellt. Als schauend Erkennender, der nicht „des Doppelblicks ermangelt", liebt er dafür besonders das Bild von Zettel und Einschlag, die miteinander das Gewebe wirken. Schon im Urfaust webt der Erdgeist am sausenden Webstuhl der Zeit der Gottheit lebendiges Kleid. Mephisto bedient sich des Bildes von der Gedankenfabrik als einem „Webermeisterstück". Der „ewigen Weberin Meisterstück" begegnet wieder in dem Gedichte „Epirrhema" und wird wiederholt als „altes Liedchen" in dem Aufsatze-„Gedanke und Ergebung". Bekannt sind Montans Worte in „Wilhelm Meisters Lehrjahre" vom Gewebe der Welt aus „Notwendigkeit und Zufall" 1 8 . Selbst wenig und viel bedeutende Menschen erscheinen Goethe wie Zettel und Einschlag: „Jene gäben eigentlich die Breite des Gewebes an, diese dessen Halt, Festigkeit, vielleicht auch mit Zutat irgendeines Gebildes 181 . In „Wilhelm Tischbeins Idyllen" wird die vierzehnte von den Versen begleitet: Wirket Stunden leichten Webens, Lieblich lieblichen begegnend, Zettel, Einschlag längsten Lebens, Scheidend, kommend, grüßend, segnend19. 16

an A . v. Humboldt 18. V I . 1795. F. Weinhandl, Die gestaltanalytische Philosophie in ihrem Verhältnis zu Goethe und Kant: Kant-Studien. N . F. 42, 1942/43, S. 1 1 4 . 18 W 1 , 2 1 , 108. " a H 230. 19 W I, 49/1, 327. 17

Bild und Gedanke begleiten ihn bis zum Ende seines Lebens, bis in den letzten Brief, den er geschrieben: „Bewußtsein und Bewußtlosigkeit werden sich verhalten wie Zettel und Einschlag, ein Gleichnis, das ich so gern brauche20." Es hängt mit der polaren Struktur von Goethes Gedankenform zusammen, daß er mit Vorliebe doppelwertige, ambivalente Fügungen, Oxymora, gebraucht und bildet. So spricht er von „wahrem Schein", „verliebtem Haß", „ernstem Spiel", „sanftem Zwang", „stolzer Demut", „rastloser Stille", „buntgrauem Erdenleben", „stillem Widerspruch", „beweglicher Ordnung", „unglückselgem Glück", „demütiger Selbstgefälligkeit", „ernsten Späßen", „unschuldiger Schuld", „zarter Heftigkeit", „liebevoller Schärfe", „bescheidener Kühnheit", „lebelosem Leben" und immer wieder vom „offenbaren Geheimnis". Dazu treten Fügungen wie „umfangend umfangen", „alldurchdringend alldurchdrungen", „immer verändert, immer beständig". Helena erscheint im dritten Akt von Faust II „so fern und doch so nah", „verlebt und doch so neu". Einem Felsen will er einhauen lassen, daß er „leugnend gestehe und offenbarend verberge" 21 . Bis ins hohe Alter reizt es ihn, solchem „innern Zusammenhang mancher sich im Individuum kreuzenden und, trotz eines gewissen Widerspruchs, sich umschlingenden und vereinigenden Eigenschaften ernstlich nachzudenken" 22 . Einen „ethisch-ästhetischen Mathematiker" nennt er sich Sulpiz Boisseree gegenüber23, „in der Ferne als gegenwärtig" gegenüber Zelter. Das von diesem komponierte Lieddien „Das Sträußchen" hat er erst „mit den Augen gehört" 24 , ein „erklingend Farbenspiel" entwikkelt die Morgenröte, „identisch und verändert" erscheint ihm „Hermann und Dorothea" in lateinischer Ubersetzung25, „westöstlich" die Frucht seiner Begegnung mit dem Orient. „Bübisch mädchenhaft" nennt Mephisto, der sich in der klassischen Walpurgisnacht als Hermaphrodit gefühlt hat, das „Geklimper" der Engel bei Fausts Tod. Mignon, in der „Theatralischen Sendung" der Mignon, wird noch in den Lehrjahren bei den Exequien als der Erstling gefeiert. Audi in der Natur kennt Goethe hermaphroditische Bildungen - Magnet und Turmalin sind Hermaphroditen 26 - , der Hermaphroditismus, das Androgyne, noch ein Erbe auch der alchemistischen Studien, spielt in Goethes Denkwelt eine beachtliche 20 an W. v. Humboldt 19. III. 1832. 22 an W. v. Humboldt 19. X . 1830. 24 18. I. 1823. 26 W I I , I i , 1 7 1 .

6

21 an Ch. v. Stein 23. VI. 1784. 23 3. X I . 1826. 25 an L. Fr. Schultz 8. V I I . 1823.

Rolle. Besonders aber ist die Kunst das Gebiet freundlicher Begegnung und Vereinigung von für den ersten Blick Widersprüchlichem. „Höhe und Tiefe, Freimut und Beschränktheit, Edelsinn und Kleinheit, Ehrfurcht und Frechheit und was nicht alles sprechen sich augenblicklich laut und deutlich zu uns aus und machen uns unwiderstehlich zu ihren Zeitgenossen 27 ." Schon „innere Form", Außen und Innen vereinigend, oder Metamorphose, dies Ineinander von Gestalt und Gestaltung, sind eigentlich Oxymora. Beispielsweise die Flucht der Pharisäer auf dem Bilde Giulio Romanos „Die Ehebrecherin" bezeichnet Goethe als „kunstgemäß tumultuarisch", „symmetrisch verworren" 28 . „Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit" birgt verhüllend-enthüllend eine Fülle antinomischpolarer Fügungen offenbarer Geheimnisse wie der „Mütter", bei denen Faust im Nichts das All zu finden hofft, die „ewig einsam" und „doch gesellig" wohnen, umschwebt von „des Lebens Bildern", „regsam ohne Lebens", vor allem jedoch im dichterischen Symbol, von dem noch die Rede sein soll. Für das Schweben und Schwanken zwischen zwei Polen gibt „Dichtung und Wahrheit" ein treffendes Beispiel: „Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leidenschaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte noch ganz verklungen ist. So sieht man bei untergehender Sonne gern auf der entgegengesetzten Seite den Mond aufgehn und erfreut sich an dem Doppeiglanze der beiden Himmelslichter" 29 - eine Erfahrung, die ihm sein Liebesleben ja immer wieder bestätigte. Hier bezieht sie sich auf seine Liebe zu Charlotte Buff, die er eben in Wetzlar verlassen hatte, als ihn in Ehrenbreitstein Maxe von La Roche zu fesseln begann, wie denn auch die blauäugige Lotte der Wirklichkeit im Werther-Roman die schwarzen Augen Maxes hat. Schon dieser keineswegs vollständige Uberblick, der aber alle Interessenbezirke Goethes zu berühren sucht, macht deutlich, daß es sich bei dem Polaritätsbegriff mit allen seinen Varianten um einen Fundamentalbegriff, einen Fixpunkt in Goethes Gedankenwelt handelt, von dem aus man sie zu allseitiger Betrachtung aus den Angeln heben kann. „So mannigfaltig, so verwickelt und unverständlich uns oft diese Sprache scheinen mag, so bleiben doch ihre Elemente immer dieselbigen" 30 , denn es ist immer dieselbe, immer die ganze Natur, die durch jedes Organ zu uns spricht, „so daß ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein 27 an den Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen 14. V I I I . 1827. 28 an K . Fr. v. Reinhard 26. X I I . 1825. W I, 28, 184. 30 W II, i, X .

7

unendlich Lebendiges fassen kann". Die gesamte Natur ist dualistisch, ist polar strukturiert. Schon den „idealen Urkörper" muß man „in seinem Innern entzweit denken, denn ohne vorher gedachte Entzweiung des Einen läßt sich kein drittes Entstehendes denken". Dieser ideale Urkörper trägt schon „eine gewisse Bestimmbarkeit zur Zweiheit bei sich"31. „Erscheinen und Entzweien sind synonym 32 ." So sieht Goethe denn auch den Geist des Menschen von Natur aus polar angelegt. Er ist „ungeduldig und anmaßlich und zugleich unsicher und zaghaft. Er strebt nach Erfahrung und in ihr nach einer erweiterten innern Tätigkeit und dann bebt er wieder zurück und zwar nicht mit Unrecht. Wie er vorschreitet, fühlt er immer mehr, wie er bedingt sei, daß er verlieren müsse, indem er gewinnt: denn ans Wahre wie ans Falsche sind notwendige Bedingungen des Daseins gebunden." Das gleiche gelte für die wissenschaftliche und sittliche Welt 33 . Auch sind Gegenstellungen „überall dergestalt unvermeidlich, daß, wenn man den Menschen selbst ganz genau in zwei Hälften spaltete, die rechte Seite sogleich mit der linken in einen unversöhnlichen Streit geraten würde" 34 und er sich zuweilen auch selber fragen möchte: Ist es ein lebendig Wesen, Das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen, Daß man sie als Eines kennt35? So soll ihn auch nichts irre führen, „wahr zu sein und gut und böse wie die Natur" 3 6 . Was er im Vorwort zur Farbenlehre über die Natur sagt, klingt, als spräche er von seiner eigenen: „Mit leisem Gewicht und Gegengewicht wägt sich die Natur hin und her und so entsteht ein Hüben und Drüben, ein Oben und Unten, ein Zuvor und Hernach, wodurch alle Erscheinungen bedingt werden, die uns im Raum und in der Zeit entgegentreten." Umgekehrt ist nicht zu verkennen, „daß eigentlich die innigsten Verbindungen nur aus dem Entgegengesetzten folgen", eine Erkenntnis, die Goethe bei der Begegnung mit dem Werke Spinozas aufgeht, in dem „die alles ausgleichende Ruhe" des Spinoza mit seinem eigenen „alles aufregenden Streben", seiner „poetischen Sinnes- und Darstellungsweise" sich durchdringen, „Geist und Herz, Verstand und Sinn" sich „mit notwendiger Wahlverwandtschaft" suchen37. 31WII, 6,306. 33 W II, 3, 212. 35 W I, 6, 152. 37 WI, 28, 289. 8

32 W 34

II, 5/2,421. an C. E. Schubarth 10. V. 1829. 36 an Lavater 22. II. 1776.

Wie alle Ideen Goethes wurzelt auch diese seine Uberzeugung vom Dualismus der Natur zunächst in eigenen Erlebnissen, gehen Erfahrung und Idee Hand in Hand. Eine A r t Vorspiel begegnet schon in einem Echo auf die Leipziger Erfahrungen und Erlebnisse in noch nicht dynamisierter, noch rationaler Form, als Antithese, wie am Beginn des Briefes vom i . November 1768 an Kätchen Schönkopf: „Noch immer so munter, noch immer so boßhaft. So geschickt, das gute von einer falschen Seite zu zeigen, so unbarmherzig einen Leidenden auszulachen, einen Klagenden zu verspotten, all diese liebenswürdigen Grausamkeiten, enthält Ihr Brief; und könnte die Landsmännin der Minna anders schreiben." Hier ist alles noch berechnet, wohl ausgewogene Antithese, noch nicht dynamisch. „Liebenswürdige Grausamkeit" ist zwar schon ein O x y moron, aber mehr noch ein Erzeugnis des „Witzes" als ein zur Einheit Durchlebtes 38 . Das mag auch noch f ü r jenes seltsame Jugendwerk, „Die Mitschuldigen", gelten, in dem sich ein frühreif-scharfer Blick für die andere Seite der besten aller Welten mit selbstgefälliger Freude an der Antithese verbindet, oder für die Verse in das Stammbuch Moors': Dieses ist das Bild der Welt, Die man für die beste hält: Fast wie eine Mördergrube, Fast wie eines Burschen Stube, Fast so wie ein Opernhaus, Fast wie ein Magisterschmaus, Fast wie K ö p f e von Poeten, Fast wie schöne Raritäten, Fast wie abgehatztes Geld Sieht sie aus die beste Welt 3 '. Anders schon verhält es sich mit jener Kosmogonie im achten Buche von „Dichtung und Wahrheit", deren Entstehen Goethe ans Ende des Frankfurter Aufenthaltes vor seiner Abreise nach Leipzig verlegt, wo sich ja der Umschlag in Goethes Seelenleben vorbereitet. Die Schöpfung Luzifers besitzt da „alles, was durch Konzentration gewonnen wird", doch fehlt ihr „alles, was durch Expansion allein bewirkt werden kann". D a geben die Elohim „dem unendlichen Sein die Fähigkeit, sich auszudehnen, sich gegen sie zu bewegen; der eigentliche Puls des Lebens war wieder hergestellt", die eigentliche 38

Vgl. E. Beutler In der Artemis Ausgabe von Goethes Werken, Bd. 18, S. 966 f.

3» W I, 4l 1792

Koch, Gedankenform

9

Schöpfung kann beginnen. Hier wirkt bereits das Polaritätsgesetz, ja Systole und Diastole manifestieren sich auch schon im Sittlichen, da wir, wie Luzifer unbedingt und zugleich beschränkt, die Absichten der Gottheit dadurch erfüllen, „daß wir, indem wir von einer Seite uns zu verselbsten genötiget sind, von der anderen in regelmäßigen Pulsen uns zu entselbstigen nicht versäumen" 40 . Natürlich ist die sprachliche Durchformung dieses kosmogonischen Mythus das Werk des Sechzigjährigen. Aber der pulsierende Rhythmus als Grundlage des Seins ist da schon, geweckt durch neuplatonische Vorstellungen, die ihm bei seinen alchemistischen Versuchen und im Studium von Werken wie die „Aurea catena Homeri" oder Wellings „Opus Mago-Cabbalisticum", Werken, die „ihren Stammbaum in gerader Linie bis zur neuplatonischen Schule verfolgen konnten" 4 1 auf Schritt und Tritt begegneten. Dieses Schöpfungswunder deutet schon auf die große Diastole, „die glühend herzauf quillet", die erste jener Metamorphosen, jener Häutungen, die Goethes Wesen und Leben, rhythmisch gliedernd, immer von neuem durchformen. Der Neuplatonismus, seine alchemistischen Studien vermitteln ihm vor allem das Auseinandertreten der Einheit in die Zweiheit, die Anschauung der Polarität, was Aristoteles noch nicht gekannt habe 4 1 \ Wie in ihm selbst zwei Seelen, zwei K r ä f t e in- und gegeneinander wirken, so auch in der Natur, im Leben. In der „Geschichte meines botanischen Studiums" ( 1 8 1 7 ) verlegt Goethe den Drang, „das ungeheure Geheimnis, das sich in stetigem Erschaffen und Zerstören an den Tag gibt, zu erkennen" 42 , noch in die Zeit seiner ersten poetischen Versuche. Im Beileidsbrief an die Großmutter nach dem Tode des Großvaters Textor im Februar 1 7 7 1 tröstet er sie über den Verlust mit dem Hinweis, „daß die Reihe von Glück und Unglück im Leben in einander gekettet ist wie Schlafen und Wachen, keins ohne das andre und eins um des andern willen". A n einer Stelle, w o man sie kaum vermuten würde, in der Rezension von Sulzers „Schönen Künsten" in den „Frankfurter « W I , 2 7 , 2 1 9 , f. 41 W I, 27, 2 1 7 . Vgl. F. Koch, Goethe und Plotin, Leipzig 1925, sowie R. D. Gray, Goethe the alchemist, Cambridge 1952, R. Federmann, Die königliche Kunst, Wien 1964. H . M. Rotermund führt die Kosmogonie des achten Buches auf zehn symbolische Figuren der Clavis operis von Wellings Opus magocabbalisticum et theosophicum zurück, wo freilich gerade der Gedanke der Ausdehnung und Zusammenziehung nicht zu finden ist: Zur Kosmogonie des jungen Goethe: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschidite 28, 1954, S. 4 7 1 - 8 6 . W II, 3, 1 1 5 . « W 11,6,99.

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gelehrten Anzeigen" (1772), begegnet dann auch schon, in scharfer Opposition gegen Sulzers Ansicht, die ganze Schöpfung wolle uns durch angenehme Eindrücke rühren, uns zu Sanftmut und Empfindsamkeit bilden, die Frage: „Gehört denn, was unangenehme Eindrücke auf uns macht, nicht so gut in den Plan der N a t u r als ihr Lieblichstes? Sind die wütenden Stürme, Wasserfluten, Feuerregen, unterirdische Glut - das Erdbeben von Lissabon hatte sdion den optimistischen Glauben des Knaben erschüttert - und T o d in allen Elementen n i A t ebenso wahre Zeugen ihres ewigen Lebens als die herrlich aufgehende Sonne über volle Weinberge und duftende Orangenhaine? . . . Was wir von Natur sehen, ist K r a f t , die K r a f t verschlingt; nichts gegenwärtig, alles vorübergehend, tausend Keime zertreten, jeden Augenblick tausend geboren, groß und bedeutend, mannigfaltig ins Unendliche; schön und häßlich, gut und böse, alles mit gleichem Rechte neben einander existierend 43 ." Gleichermaßen hat im Werther die N a t u r zwei einander widersprechende Gesichter, so daß sich der Schauplatz unendlichen Lebens verwandelt in den Abgrund ewig offenen Grabes wie in Werthers Brief vom 18. August. Ihm „untergräbt das Herz die verzehrende K r a f t . . . , die nichts gebildet hat, das nicht seinen Nachbar, nicht sich selbst zerstörte . . . ich sehe nichts, als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer" 44 . Die logische Antithese wird polar dynamisiert, weil Goethe selbst in dieser Zeit die pulsierenden Gegensätzlichkeiten des eigenen Wesens drangvoll zu erleben beginnt. „ D u m p f e " Erlebnisse erschüttern ihn und setzen sich zunächst in Bilder und Gestalten um, erst später in Reflexionen. Schon der Monolog des Erdgeistes im Urfaust ist das sprechendste Zeugnis f ü r die Dynamik des neuen Weltbildes, von ihrem neuen, mächtigen Atem belebt. Im Hin und Her, im Auf und A b webt der Erdgeist, der schrecklich, widerlich, unerträglich und dann wieder, in der Szene „Wald und Höhle", erhaben, unendlich, groß und herrlich ist, der Gottheit lebendiges Kleid, und auch das Fragment über die Natur gefällt sich in paradoxen Polaritäten wie: „Auch das Unnatürlichste ist N a t u r " oder „Der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben", ein Gedanke, der von unabsehbarer Bedeutung werden sollte. „Systole und Diastole des Weltgeistes" wird er das später nennen: Aus jener geht die Spezifikation, aus dieser das Fortgehen ins Unendliche. Nicht anders verhält es sich mit der Seele des Menschen, „himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt", vergleichbar dem Wasser: « W I , 3 7 , 2 0 8 ff.

« W I ,

19,76.

11

Vom Himmel kommt es, Zum Himmel steigt es, Und wieder nieder Zur Erde muß es, Ewig wechselnd. Als Christus im Fragment vom ewigen Juden „in vollem Himmelsflug der ird'schen Atmosphäre Zug" verspürt, da fühlt er, „wie das reinste Glück der Welt schon eine Ahnung von Weh enthält", da begrüßt er diese Welt: O Welt voll wunderbarer Wirrung, Voll Geist der Ordnung, träger Irrung, Du Kettenring von Wonn' und Wehe, Du Mutter, die mich selbst zum Grab gebar! Wie weit sind diese Ergießungen des von „wonnevollen Zähren" überströmten Herzens von jenen Belustigungen des Verstandes und Witzes entfernt, erregt von Mitleid mit der hilflosen Erde, der Dumpfheit ihres Sinns, der „schlangenknotigen Begier", in der du bebtest, von ihr dich zu befreien strebtest und dann, befreit, dich wieder neu umschlangst. Dem erschreckenden Blick tut sich die Welt als freud- und schmerzvolle Zweiheit in der Einheit auf, als „Kettenring von Wonn' und Wehe" im Erlebnis der Polarität alles Seins. Und wie weit steht die Kosmogonie in der archaisch-vitalen Dichtung „Satyros" ab von der doch noch rational bedingten in „Dichtung und Wahrheit": „Wie im Unding das Urding erquoll, Lichtsmacht durch die Nacht scholl, Durchdrang die Tiefen der Wesen all, Das aufkeimte Begehrungsschwall Und die Elemente sich erschlossen, Mit Hunger in einander ergossen, Alldurchdringend, alldurchdrungen . . . Wie sich Haß und Lieb' gebar Und das All nun ein Ganzes war, Und das Ganze klang In lebend wirkendem Ebengesang, Sich täte K r a f t in K r a f t verzehren, Sich täte K r a f t in K r a f t vermehren, 12

Und auf und ab sich rollend ging Das all und ein' und ewig' Ding, Immer verändert, immer beständig45." In dem Gedicht „Der Wanderer" wirken „über Gräbern heiliger Vergangenheit" Kunst und ewig schöpferische Natur ineinander, ein Vorklang der Polarität Kunst-Natur. Sehnsucht in die Weite und idyllische Ruhe, titanisches Selbstbewußtsein und ganymedische Hingabe, eine Urpolarität Goetheschen Empfindens bekennen sich in diesen Jahren, ohne reflektiert zu werden im dichterischen Wort und Bild. Noch brodelt alles ungeschieden wie im Tiegel des Alchemisten. Und welch ein Abstand wiederum dieser Dichtung von „Wiederfinden" im „Westöstlichen Divan", der großartigsten dichterischen Gestaltung des kosmogonischen Themas, der Einsicht in „Freud und Qual" der irdischen Existenz, des Universums, des ungemessenen Lebens, eine nachreflektorische Wiedereinschmelzung ins Gefühl „erhabener Schöpfungslust", vergeistigt und dennoch durchbebt von der Leidenschaft eines alle Weisheit überstürmenden Herzens. In den siebziger Jahren wird Goethe nun auch die Polarität der zwei Seelen in der einen Brust schmerzlich bewußt. In dem großen Beichtbrief an Herder vom Juli 1772 erscheint das Thema, das dann in immer neuen Variationen begegnet: „Noch immer auf der Woge mit meinem kleinen Kahn, und wenn die Sterne sich verstecken, schweb' ich so in der Hand des Schicksals hin, und Mut und Hoffnung und Furcht und Ruh wechseln in meiner Brust." Dieses Gefühl der Bedrängnis durch die eigene zwieschürige Wesenheit steigert sich in den nächsten Jahren und bekennt sich nirgends so offen, dumpf und hell zugleich, wie einer Beichtigerin gegenüber, der Gräfin Gustchen von Stolberg, die Goethe nie persönlich gesehen hat, die aber, während er Lili Schönemann umschwärmt, was sich in ihm gegen diese Liebe wehrt, zu hören bekommt. Da schildert er sich selbst in doppelter Gestalt, als „im galonierten Rock, sonst von Kopf zu Fuß auch in leidlich konsistenter Galanterie... den gegenwärtigen Faßnachts-Goethe" und dann als „den im grauen Biberfrack mit dem braunseidnen Halstuch und Stiefeln, der in der streichenden Februarlufft schon den Frühling ahndet", der „arbeitend immer gleich eine Stufe höher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, sondern seine Gefühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend entwickeln lassen will" 46 , ein selbstgewisses J a « W 1,16,93 f.

« 1 3 . II. 177$. 13

zu allem innern Streit, was dann sublimierter und auch resignierter im Zweiseelen-Bekenntnis Fausts echohaft wiederkehren wird. Herder nannte das den „Knoten des Widerspruchs" im Menschen47. Weniger selbstgewiß klingt es, wenn er Gustchen gegenüber sein „unseliges Schicksal", das ihm „keinen Mittelzustand erlauben will" beklagt: „Entweder auf einem Punckt, fassend, festklammernd oder schweifen gegen alle vier Winde 48 !" „So in dem ewigen Wechsel, immer derselbe" nennt er sich ein andermal49. Die Formeln „Dauer im Wechsel" oder „Wechseldauer" stellen sich erst später ein. „Wird mein Herz, fragt er, endlich einmal in ergreifendem wahren Genuß und Leiden, die Seeligkeit, die Menschen gegönnt ward, empfinden und nicht immer auf den Wogen der Einbildungskraft und überspannten Sinnlichkeit, Himmel auf und Höllen ab getrieben werden 50 ?" Rückblickend auf die „zerstreutesten, verworrensten, ganzesten, vollsten, leersten, kräfftigsten und läppischten drei Vierteljahre", bekennt er Bürger, mit dem er sonst gar nicht so vertraut ist, ein Beweis seiner Bedrängnis: „Was die menschliche Natur nur von Wiedersprüchen sammeln kann, hat mir die Fee Hold oder Unhold, wie soll ich sie nennen? zum Neujahrsgeschenck von 75 gereicht, zwar war die treffliche Anlage schon mit dem Pathengeschenck gemacht, und so geh alles seinen Gang" 5 1 . Urgegeben also ist die polare Spaltung seines Wesens. „Bin ich denn nur in der Welt mich in ewiger unschuldiger Schuld zu winden?" fragt er sich plötzlich im Tagebuch der Schweizer Reise52. Und wie ein Echo des Fragmentes vom ewigen Juden mutet dort die Bemerkung an, „daß es der Erde so sauwohl und so weh ist zugleich". Fünf Jahre später erfährt Sophie von La Roche: „Ich bin wie immer der nachdenkliche Leichtsinn und die warme Kälte 53 ." Für eine Weile wird dann Lavater zum Beichtiger Goethes. Gern gesteht er ihm „Gott und Satan, Holl und H i m m e l . . . in mir Einem oder vielmehr, mein lieber, mögt ich das Element, woraus des Menschen Seele gebildet ist, und worinn sie lebt, ein Feegfeuer nennen, worin alle höllisch und himmlischen Kräffte durcheinander gehn und würcken"53*. Damit korrespondiert ® Werke, Suphan, 9, $ 3 6 . « 3. V I I I . 1 7 7 5 . 3 6 , 193. 172

23 25

Ebd. 94. W I, 34/1, 177.

»WI,

40,313-

großen herzerhebenden Gegenständen und behaupten schon dadurch einen unzerstörbaren Wert, denn der innere Wert des bearbeiteten Gegenstandes ist der Anfang und das Ende der Kunst", ein Urteil, das Gegenstand und Gehalt deutlich gegeneinander abgrenzt 28 . In seinem Aufsatz über die Gegenstände hatte Goethe den bildenden Künstler davor gewarnt, mit dem Dichter zu rivalisieren. „Der bildende Künstler soll dichten, aber nicht poetisieren, das heißt nicht wie der Dichter, der bei seinen Arbeiten eigentlich die Einbildungskraft rege machen muß, bei sinnlicher Darstellung auch für die Einbildungskraft arbeiten" 29 . In merkwürdigem Gegensatz steht dazu die Empfehlung des Thisbe-Motivs nach Ovids Metamorphosen (IV, 65) als „zu malender Gegenstand": „Wer den Gesichtsausdruck und das Behaben eines blühenden, in Liebe befangenen Mädchens, dem O r t und Stelle einer Zusammenkunft ins O h r geraunt wird, vollkommen darzustellen wüßte, sollte gepriesen werden" 30 , obwohl das Motiv zweifellos poetisierend behandelt werden muß und den Maler überfordert, da nicht nur die Kenntnis des Stoffes vorausgesetzt, sondern auch die Einbildungskraft des Beschauers in Anspruch genommen wird. Wer käme sonst auf den Gedanken, daß hier gerade eine Zusammenkunft vereinbart wird? Mehr noch erhellen sich Goethes Ansichten von der negativen Seite aus. Auf der Reise in die Schweiz besichtigt er Bilder des Hofmalers F. Ph. Hetsch, worunter ihm eines unangenehm auffällt, das einen Vorgang aus Klopstocks Messiade darstellt - ein Gegenbeispiel zur Empfehlung des Thisbe-Motivs. Es handelt sich um die Szene, „da Maria sich mit Portia, der Frau des Pilatus, von der Glückseligkeit des ewigen Lebens unterhält und sie davon überzeugt. „Was sagen Sie", fragt er Schiller, „zu dieser W a h l überhaupt? Und was kann ein schönes Gesicht ausdrücken, das die Entzückung des Himmels vorausfühlen soll? . . . Es hat mich so ein erzdeutscher Einfall ganz verdrießlich gemacht. D a ß doch der gute bildende Künstler mit dem Poeten wetteifern will, da er doch eigentlich durch das, was er allein machen kann und zu machen hätte, den Dichter zur Verzweiflung bringen könnte 31 ." Auch Dannecker, dessen Studio er gleichfalls besucht, leide, „woran wir Modernen alle leiden: an der Wahl des Gegenstandes". Das Gedicht des englischen Dichters Thomson über die Freiheit sei ein schlechtes Gedicht, nicht „aus Mangel an Poesie im Poeten, sondern aus 1,27,105. 30 w I, 49/1, 433.

29 W 1, 47. 9531 an Schiller 30. VIII. 1797. 173

Mangel an Poesie im Gegenstande" 32 . Die Politik sei für den Dichter überhaupt kein passender Gegenstand, ein rein poetischer Stoff stehe einem politischen sosehr fern „als die reine ewige Naturwahrheit der Parteiansicht" 33 . Besonders scharf wendet sich Goethe gegen gewisse religiöse Gegenstände. „Ein .Mannaregen', vielleicht dreißig Fuß lang und zwanzig hoch" bewegt ihn in Verona zu der Frage „Was ist daran zu malen?", zu dem Bedauern: „Die unglücksel'gen Künstler, was mußten sie malen!" In Bologna geht das weiter. D a erregt sein Gemüt der Widerspruch zwischen dem „himmlischen Sinn" Guido Renis, dem „Pinsel, der nur das Vollkommenste, was geschaut werden kann, hätte malen sollen", und den Gegenständen, die er wählte. Zwei nackte Figuren, „ein Johannes in der Wüste, ein Sebastian, wie köstlich gemalt! Und was sagen sie! Der eine sperrt das Maul auf, und der andere krümmt sich." „Der Maler, dem das Wasser an der Kehle saß, suchte sich zu helfen, wie er konnte, er mühte sich ab, nur um zu zeigen, daß nicht er der Barbar sei. Man ist immer auf der Anatomie, am Rabensteine, dem Schindanger, immer Leiden des Helden, niemals Handlung, nie ein gegenwärtiges Interesse, immer etwas phantastisch von außen Erwartetes. Entweder Missetäter oder Verzückte, Verbrecher oder Narren, wo denn der Maler, um sich zu retten, einen nackten Kerl, eine hübsche Zuschauerin herbeischleppt, allenfalls seine geistlichen Helden als Gliedermänner traktiert und ihnen recht schöne Faltenmäntel überwirft. D a ist nichts, was einen menschlichen Bezug gäbe! Unter zehn Sujets nicht eins, das man hätte malen sollen, und das eine hat der Künstler nicht von der rechten Seite nehmen dürfen 3 4 ." Sind die späten FaustVerse: Das Schändlichste, was wir erfunden, Ist ihrer Andacht eben recht (V. 1 1 6 9 1 f.) noch eine Spiegelung solcher Eindrücke? Auch während des zweiten Aufenthaltes in Italien urteilt Goethe noch nicht viel anders. Da ist in den Aufzeichnungen „Ältere Gemälde" noch immer die Rede von den Henkersknechten, die die Hauptpersonen spielen, wobei sich aber wenigstens etwas Nacktes anbringen lasse. „Doch ist ihr Beginnen immer Abscheu erregend, und wenn reizende Zuschauerinnen mit frischen Kindern nicht doch gewissermaßen das Gleichgewicht hielten, so würde man übel erbaut 32

zu Eckermann, Anfang März 1832. W I , 30, 164.

174

33

zu Eckermann 4. V. 1827.

von Kunst und Religion hinweggehen35." Doch taucht da im Tagebuch auch schon die erkenntnisträchtige Bemerkung auf, daß der Begriff von Religion und Kunst „amalgamiert" sei36, ein Erkenntniskeim, der in dem Aufsatz „Kunst und Altertum am Rhein, Main und Neckar" im Abschnitte „Heidelberg" in den Betrachtungen über die christliche Kunst die schönsten Blüten treibt. Da hat Goethe sich zu der Erkenntnis durchgerungen, daß wir der christlichen Kunst, „und wär' es auch nur als Funke unter der Asche", die Erhaltung der Kunst überhaupt schuldig seien, da lesen wir, daß die Mutter Christi als die reinste der Frauen verehrt werden konnte, „denn schon im heidnischen Altertum war Jungfräulichkeit und Mutterschaft verbunden denkbar" 37 ; daß - auch hier wieder Polarität - , während die hellenische Kunst beim Allgemeinen begann und sich spät ins Besondere verlor, die christliche Religion den Vorteil hatte, „von einer Unzahl Individualitäten ausgehen zu können, um sich nach und nach ins Allgemeine zu erheben". Goethes abschätzige Urteile in der „Italienischen Reise" erregten schon bei den Zeitgenossen, so bei Niebuhr, Widerspruch. Audi Richard Wagner empfand da anders. Aus der Tristan-Stimmung heraus gibt er an Mathilde Wesendonck den Eindruck wieder, den ein heiliger Antonius und ein heiliger Stephanus in der Brera auf ihn machten: „Ich begreife nicht, wie nicht von je diese Sujets, bei dieser wundervollen Ausführung, als der erhabenste Gipfel der Kunst von allen anerkannt worden sind, während viele, und selbst Göthe, sie als der Malerei widerstrebend auffassen. Es ist gewiß die höchste Glorie der neuen Kunst, daß sie, was die Philosophie nur verneinend, als Weltentsagung auffassen kann, in so positiver und ergreifender Wahrheit und zugleich so schön geben konnte, daß ich alle lebensfreudigen Gestalten und alle Venuse armselig und dürftig finde, gegen diese heilige Todeswonne der Märtyrer, wie van Dyck, Crespi, Raphael und so weiter sie darstellen. Ich finde nichts Höheres, tiefer Befriedigendes und schöner Wirkendes 38 ." Es ist, wenn zwei dasselbe tun, übrigens auch für Goethe nicht dasselbe, wenn beispielsweise der geliebte Raffael in der Beschämung und Bestrafung des Ananias eine gräßliche Szene darstellt: „Hier ist ein großer Begriff, eine in ihrer Eigentümlichkeit höchst wichtige Handlung in ihrer vollkommensten Mannigfaltigkeit auf das klarste dargestellt39." Bezeichnenderweise sind es gehaltreiche Motive, die Goe35 W I , 47, 216. 37 W I, 34/1, 160 f. 3» W I, 32, 24.

36 April 1790. W i l l , 2, II. 38 Mailand 25. III. 1859.

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thes Urteil bestimmen, im besonderen ein episches Motiv, die Gestalt einer jungen, hübschen Weibsperson, die aus der rechten Hand Geld in die linke zählt, was sogleich an das Wort erinnere: „Die Rechte soll nicht wissen, was die Linke gibt", eine recht gezwungene Deutung des Vorgangs. Ein anderes Sujet, das Goethes Widerspruch besonders herausforderte, ist die Darstellung der „tierischen Handlung des Säugens"40, ein Gegenstand, mit dem sich die neuere Kunst so gern beschäftigt! Eine Frau mit einem Säugling, wenn auch nicht säugend, ist ein unanständiges Motiv für die höhere Kunst. Nur die neuere Zeit, die so gern da unserer Sinnlichkeit schmeichelt und sie herniederzieht statt sie zu erheben, konnte, bei einem gänzlichen Verfall des Kunstsinns, einem solchen Gegenstand hohen Adel verleihen: denn was heißt es weiter als die Freuden der Begattung und die Schmerzen der Geburt zur Schau tragen. Wem es Behagen macht, der ergetze sich daran, aber wenn denn doch der Riß zwischen Altem und Neuem immer unheilbarer werden soll, so versäume man keine Gelegenheit, entschieden auszusprechen, worin der eigentliche Charakter der alten Kunst bestehe41." Goethe hatte seinen Aufsatz über Myrons Kuh, dem diese, später nicht gedruckten Sätze entstammen, an Wilhelm von Humboldt gesandt, der bemerkt, er liebe die Stelle gegen die Modernen sehr, „da midi alles Heidnische anspricht" 42 . Doch gibt er zu bedenken, daß der Kreis der modernen Kunst weiter sei und, ob er nicht sogar säugende Madonnen zulasse. Goethe war der Antike gegenüber nicht so empfindlich, und Humboldt hatte ganz richtig erspürt, daß es „das Heidnische" war, Goethes H a ß gegen den „Aberglauben", was da in ihm rebellierte, so daß er selbst so rabulistische Deutungen wie die folgende nicht verschmähte. Er beschreibt da „ein berühmtes Bild von Guido, die säugende Maria vorstellend, über Lebensgröße, der Kopf, als wenn ihn ein Gott gemalt hätte; unbeschreiblich ist der Ausdruck, mit welchem sie auf den säugenden Knaben heruntersieht. Mir scheint es eine stille, tiefe Duldung, nicht als wenn sie ein Kind der Liebe und Freude, sondern ein untergeschobenes himmlisches Wechselkind nur so an sich zehren ließe, weil es nun einmal nicht anders ist und sie in tiefster Demut gar nicht begreift, wie sie dazu kommt 43 ." Hat er vergessen, wie er in dem Aufsatz „Nach Falconet und über Falconet" über das Motiv geurteilt hatte? War dort „Mutterliebe in ihren Abschattungen nicht eine ergiebige Quelle für Dichter und Maler in « WI, 49/2, 10 f. « an Goethe 31. X. 1813. X76

« Ebd. WI, 49/2,322. « W I, 30, 165 f.

allen Zeiten" 44 ? Hatte er die Anfangsverse seines Gedichtes „Der Wandrer" vergessen: „Gott segne dich junge Frau und den säugenden Knaben an deiner Brust!" Oder „Künstlers Abendlied", wo er die Geliebte als „Madonna" wünscht, „ein Erstlingskind, Ein heiligs an der Brust" ? H . Meyer, dessen Urteile Goethe hochschätzte, war da toleranter. „ J e vollständiger sich eine Handlung durch den Sinn des Gesichts", schreibt er an Goethe, „begreifen, fassen läßt, je besser paßt sie f ü r die bildenden Künste. Daher sind die Madonnen, Heiligen Familien usw. so angenehme Gegenstände, weil die Kunst die stummen Gefühle der Zärtlichkeit zwischen Mutter und Kind rein und vollständig ausdrücken kann 4 5 ." Auch Herder bewies hier ein tieferes Einfühlungsvermögen als Goethe. „Man humanisierte", heißt es im 63. Humanitätsbrief, „vor allen andern die gebenedeiete Jungfrau, die Mutter des Weltheilandes in ihrer eignen Idee hervor, zu der ihr die griechischen Musen nicht halfen. Der Gruß des Engels half ihr dazu, der sie die Holdselige, die Gottesgeliebte-, ihre eigne Demut half ihr dazu, in der sie sich die Magd des Herrn nannte; . . . jetzt trat die Kunst hinzu, sie auch sichtbar zu machen, sie und das Kind in ihren Armen, die selige Mutter und die heilige Jungfrau. Keuschheit also und mütterliche Liebe, Unschuld des Herzens und jene Demut, die in der größesten Hoheit sich selbst nicht kennet, die in tiefer Armut die seligste ihres Geschlechts ist; diese neue Form der Schönheit ward vom Himmel gerufen; ein Marien-Charakter, sein unterscheidender Zug ist, wenn ich so sagen darf, jene christliche Unbefangenheit, in der die Mutter von ihr selbdt, von ihrer Herrlichkeit, kaum von ihrem Kinde zu wissen scheint, das sie doch, das dennoch sie liebreich umfängt und den Menschen hold ist 46 ." Hier zeigt sich die Grenze von Goethes Verständnis der Kunst der Antike, die nur das Allgemein-Menschliche in ihr sah, nicht ihren auch religiösen Hintergrund, wenigstens in der klassischen Epoche, eine der Ursachen, weshalb denn auch die von ihm gestellten Preisaufgaben der „Weimarer Kunstfreunde", die er dem antiken Mythus entnahm, zu keinem künstlerisch ernst zu nehmenden Ergebnis führten. Eine kleine Wendung mehr zum Weltlichen hin genügte übrigens, daß auch das Madonnen-Motiv Goethes Gefallen fand. Correggios „Madonna del latte", die Goethe in Neapel sah, hatte 44 45

46

WI, 37,319-

ohne Datum: Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer hrsgg. von M. Hecker, Bd. 1, S. 369: Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 32, 1917. Werke, Suphan, Bd. 17, 369 f.

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diese Wirkung 47 . Das Bild stellt die Entwöhnung des Christuskindes dar, „da es zwischen der Mutter Brust und einigen Birnen, die ihm ein Engelchen darreicht, zweifelhaft ist". Die Idee erscheint ihm da „äußerst zart, die Komposition bewegt, natürlich und glücklich, höchst reizend ausgeführt". Noch nach fast vierzig Jahren lobt er das „Bildchen": „Da ist Geist, Naivität, Sinnlichkeit, alles beieinander und der heilige Gegenstand ist allgemein menschlich geworden und gilt als Symbol für eine Lebensstufe, die wir alle durchmachen. Ein solches Bild ist ewig, weil es in die frühesten Zeiten der Menschheit zurück und in die künftigsten vorwärts greift 48 ." Die reinste christliche Religion scheint sich dennoch mit der wahren bildenden Kunst immer zweispältig zu befinden, „weil jene sich von der Sinnlichkeit zu entfernen strebt, diese nun aber das sinnliche Element als ihren eigentlichen Wirkungskreis anerkennt und darin beharren muß" 49 . So sieht Goethe das Problem in Münster, nach der Kampagne in Frankreich, im Kreise der Fürstin von Gallitzin, wo das Gedicht „Der neue Amor" entsteht, das seine Synthese der beiden Pole vorwegnimmt, denn dieser neue Amor ist der Sohn der Venus Urania und Amors. Der tiefere Grund für die in Italien gefällten, so scharf aberkennenden Urteile liegt auch da in einer Polarität, der von Ursprung und Entfremdung, die Humboldt schon in jenem Briefe durchschaute, von heidnisch und christlich, im weiteren Sinne antik und modern, gesund und krankhaft. In Italien steht Goethe auf dem heidnischen Pol. Das christliche Rom existiert für ihn nicht, die „Venetianischen Epigramme" enthalten die schärfsten Invektiven gegen das Christentum. Die Lösung des Problems, des hier offenbar werdenden Geheimnisses, hängt ab von der Antwort auf die Frage, ob denn dem Gegenstande jene zentrale Rolle, die ihm bisher in der Diskussion zwischen Goethe und Schiller, zu der wir nunmehr wieder zurückkehren, zugesprochen wurde, wirklich und unveränderlich gebührt. Da zeigt sich denn eine entscheidende Verschiebung. Aus Zürich berichtet Goethe an Schiller, daß ihm bei der Ausarbeitung seines Schemas über die zu behandelnden Gegenstände eine ganz besondere Erfahrung in die Quere gekommen sei, nämlich die Fabel von „der Zudringlichkeit Vulkans gegen Minerva, wodurch Erichthonius produziert wurde", ein Gegenstand, dem das Epitheton „würdig" kaum zugesprochen werden konnte, den gleichwohl Raffael „zu einer der angenehmsten Kompositionen genom*7 W I, 31, 69. « WI, 33, 236 f. 178

« zu Eckermann 11. XII. 1826.

men habe". „Was soll denn nun dem glücklichen Genie geraten oder geboten sein50?" Zu dem Briefe existiert ein Konzept von Schreiberhand, das näher auf die Sache eingeht und sie so weiterführt: „Wir können einen jeden Gegenstand der Erfahrung als einen Stoff ansehen, dessen sich die Kunst bemächtigen kann und da es bei derselben hauptsächlich auf die Behandlung ankommt, so können wir die Stoffe beinahe als gleichgültig ansehen. Nun ist aber bei näherer Betrachtung nicht zu leugnen, daß die einen sich der Behandlung bequemer darbieten als die andern und daß, wenn gewisse Gegenstände durch die Kunst leicht zu überwinden sind, andere dagegen unüberwindlich scheinen. Ob es für das Genie einen wirklich unüberwindlichen Stoff gebe, kann man nicht entscheiden; aber die Erfahrung lehrt uns, daß in solchen Fällen die größten Meister wohl angenehme und lobenwürdige Bilder gemacht, die aber keineswegs in dem Sinne vollkommen sind als die, bei welchen der Stoff sie begünstigte, denn es muß sich die Kunst ja fast schon erschöpfen, um einem ungünstigen Gegenstande dasjenige zu geben, was ein günstiger schon mit sich b r i n g t . . . ich glaube daher, es wäre schon viel für die Kunst getan, wenn man den Begriff der Gegenstände, die sich selbst darbieten und andere, die der Darstellung widerstreben, recht anschaulich und allgemein machen könnte 51 ." Dem Gegenstand tritt als Gegenpol nun die „Kunst", das heißt die „Behandlung" entgegen. Das Ergebnis der Begegnung ist die Form des Kunstwerkes. Man kann den gedanklichen Prozeß Schritt für Schritt beobachten und verfolgen, wie Goethe da der transzendentale Idealismus zum Helfer wird. Denn bei der ganzen Sache ist ihm merkwürdig, „daß auch hier alles auf die Erörterung der Frage ankäme, welche die Philosophen so sehr beschäftigt: in wie fern wir nämlich einen Gegenstand, der uns durch die Erfahrung gegeben wird, als einen Gegenstand an sich ansehen dürfen, oder ihn als unser Werk und Eigentum ansehen müssen. Denn wenn man der Sache recht genau nachgeht, so sieht man, daß nicht allein die Gegenstände der Kunst, sondern schon die Gegenstände zur Kunst eine gewisse Idealität an sich haben, denn indem sie bezüglich auf Kunst betrachtet werden, so werden sie durch den menschlichen Geist schon auf der Stelle verändert. Wenn ich nicht irre, so behauptet der kritische Idealismus so etwas von aller Empirie und es wird nur die Frage sein, wie wir in unserm Falle, in welchem wir, 5° 25. X . 1 7 9 7 . Das Bild hängt im Retiro Giulios II. im 3. Stock des Vatikans, doch ist die Autorschaft Raffaels unsicher. si W I V , 1 2 , 4 4 9 f. l

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wo nicht eine Erschaffung, doch eine Metamorphose der Gegenstände annehmen, uns so deutlich ausdrücken, daß wir allgemein verständlich sein können und daß wir auf eine geschickte Weise den Unterschied zwischen Gegenstand und Behandlung, welche beide so sehr zusammenfließen, schicklich bezeichnen können." Die Frage nach dem Was, dem Gegenstande, tritt damit zurück vor der nach dem Wie, der Behandlung. Das Gegenstandsproblem wird zum Formproblem. Entscheidend ist dafür der Umstand, daß die selbstgewählten Gegenstände in Meisterhänden zu den vollkommensten Kunstwerken werden. Das heißt weiter, daß die Behandlung schon im Augenblick der spontanen Wahl des Gegenstandes einsetzt. Ein Stoff sozusagen „an sich" existiert f ü r den Künstler nicht, die Metamorphose setzt ein in dem Augenblick, in dem ihn der Künstler ergreift 52 . Zwischen dem Künstler und seinem Gegenstande besteht von vornherein eine Wahlverwandtschaft, eine wechselseitige Beziehung. Goethe selbst beschreibt das in der „Konfession des Verfassers" in der Farbenlehre. Er hatte, berichtet er da, gegenüber der Dichtkunst „ein eignes wunderbares Verhältnis, das bloß praktisch war, indem ich einen Gegenstand, der mich ergriff, ein Muster, das mich aufregte, einen Vorgänger, der mich anzog, so lange in meinem innern Sinn trug und hegte, bis daraus etwas entstanden war, das als mein angesehen werden mochte, und das ich, nachdem ich es Jahre lang im Stillen ausgebildet, endlich auf einmal, gleichsam aus dem Stegreife und gewissermaßen instinktartig, auf das Papier fixierte" 53 . Schließt doch „jeder neue Gegenstand, wohl b e s c h a u t . . . ein neues Organ in uns auf" 54 . Es ist eben auch dies ein Suchen des Gefundenen, in dem sich Intention und Meditation aufs innigste zu jenem „unendlichen Kontinuum der Reflexion" verbinden, worin f ü r Friedrich Schlegel das künstlerische Schaffen besteht. Von da aus gesehen, verliert auch die Bemerkung, nicht er mache die Gedichte, sondern sie machten ihn 55 , ihre scheinbare Paradoxie. So ging es ihm ja auch mit der „Novelle", die er dreißig Jahre in sich herumtrug, bis er sie endlich „los" wurde. Schiller und H u m boldt hatten ihm abgeraten, „ohne zu wissen, was in der Sache lag und, weil nur der Dichter allein weiß, welche Reize er seinem Gegenstande zu geben fähig ist" 56 , nur eben er die geheime Wechsel52

V g l . K . Toggenburger, Die Werkstatt der deutschen Klassik. Zürich 1 9 4 8 : Zürcher Beiträge zur deutschen Literatur- und Geistesgeschidite hrsgg. von E . Staiger. N r . 1, S. 45. 54 s s w i l , 4, 2 8 5 . W II, 1 1 , $9. ss 56 W I, 3 3 , 3 1 . zu Eckermann 18. I. 1 8 2 7 .

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beziehung spürt. Was in jenem Aufsatze „Über die Gegenstände der bildenden Kunst" von den idealen Gegenständen gesagt wird, daß man den Gegenstand nicht ergreift, wie er in der Natur erscheint, sondern „auf der Höhe, wo er von allem Gemeinen und Individuellen entkleidet", „der Bearbeitung schon als ein vollkommen gebildeter Gegenstand entgegen geht", was der „Geist des Menschen in der innigsten Verbindung mit der Natur" erzeuge57, entpuppt sich nunmehr genauer als Verwirklichung einer polaren Beziehung zwischen dem Künstler und seinem Gegenstande. „Wenn man in Venedig vor den Werken von Tizian oder Paul Veronese steht", erzählt Goethe Eckermann58, „so empfindet man den gewaltigen Geist dieser Männer, in ihrem ersten Aperçu von dem Gegenstande, wie in der letzten Ausführung. Ihr großes energisches Empfinden hat die Glieder des großen Bildes durchdrungen und diese höhere Gewalt der künstlerischen Persönlichkeit dehnet unser eigenes Wesen aus und erhebt uns über uns selbst, wenn wir solche Werke betrachten." Immer schon ist das Subjekt irgendwie daran beteiligt, steht der mit dem „Wechselblick" begabte Dichter schon nicht nur im Erlebnis, sondern immer auch schon darüber. Auf dem Höhepunkte seiner Sesenheimer Liebe schreibt er an Salzmann: „Ich bin zusehr wachend, als daß ich nicht fühlen sollte, daß ich nach Schatten greife" 59 , oder an Charlotte von Stein: „Ich versuche alles, was wir zuletzt über Betragen, Lebensart, Anstand und Vornehmigkeit abgehandelt haben, lasse midi gehen und bin mir bewußt" 60 . Wenn Goethe den Stoff des „Teil", den er dann an Schiller abtrat, als Epos behandeln wollte, während Schiller - natürlich, möchte man sagen - ein Drama daraus machte, so hat jeder der beiden den „Gegenstand" offenbar schon „im ersten Aperçu" anders gesehen und sich zugerichtet. Daß diese Wesensform schon vor der Begegnung mit dem ihr gemäßen Stoff da sein kann, ließ sich an Goethes Werther erweisen als wesensmäßige Anlage Goethes, sich einen Gesprächspartner zu denken, mit dem dialogisierend - der Briefroman ist ja ein Dialog - er abhandelt, was ihn bewegt61. Es kommt demnach weniger auf den „richtigen" Gegenstand an als vielmehr darauf, wie er auf die naturgegebenen und -bedingten Anlagen des Künstlers oder Dichters, der ihn behandelt, wirkt. „Richtig" wird der an sich neutrale Gegenstand erst in der Begegnung mit dem Künstler, einer echten Begegnung, die sich als ein polares Verhältnis W I , 4 7 , 9 1 f. so 1 3 . II. 1 8 3 1 . 59 1 7 . V. 1 7 7 1 . 60 I I . III. 1 7 8 2 . 61 Vgl. Jolies a. a. O. S. 182. 57

181

auswirkt, in dem der Gegenstand, der Stoff, die künstlerischen Anlagen zu aktivieren beginnt, die nun ihrerseits den sozusagen noch amorphen Gegenstand ergreifen. Das geschieht an jenem Punkte, „wo der menschliche Geist sich den Gegenständen in ihrer Allgemeinheit am meisten nähern, sie zu sich heranbringen, sich mit i h n e n . . . gleichsam amalgamieren kann" 62 . Zwar wird das vom wissenschaftlichen Geiste gesagt, doch gilt es ebenso vom künstlerischen. Auch nach dem polaren Begriffspaar Antizipation und Aneignung mag man sich dieses Wechselspiel verdeutlichen. Warum ist „Hermann und Dorothea" ein so vortreffliches Sujet? Weil der Gegenstand, der Kern der Geschichte, die sich bei der Vertreibung der Salzburger Protestanten abspielte, auf in Goethe bereitliegende Energien traf, das ungeheure, ihn so erregende Phänomen der Revolution in seiner Art, also dichterisch, abzureagieren, weil es sich einer epischen Behandlung, die ihm lag, nicht widersetzte und in einem Milieu, dem bürgerlichen einer Kleinstadt, spielte, dem Goethe sich durch sein Herkommen und Leben tiefinnerlichst verbunden fühlte. Schiller hätte, wenn ihn der Stoff so ergriffen hätte, wahrscheinlich ein Drama daraus gemacht, lagen doch, wie die Debatte klarlegte, auch dramatische Elemente im Stoffe. Das: „So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehn" gilt auch im schöpferischen Bezirk. Sehr aufschlußreich für diese sofort einsetzende Verwandlung eines den Dichter ergreifenden Gegenstandes ist auch, was Goethe auf seiner dritten Reise in die Schweiz in Frankfurt erlebt, worüber er Schiller ausführlich berichtete63: „Es sind eminente Fälle, die, in einer charakteristischen Mannigfaltigkeit als Repräsentanten von vielen andern dastehen, eine gewisse Totalität - Ganzheit ist ja ein Wesensmerkmal des Kunstwerkes - in sich schließen, eine gewisse Reihe fordern, Ähnliches und Fremdes in meinem Geiste aufregen und so von außen wie von innen an eine gewisse Einheit und Allheit - wiederum ein Merkmal des Kunstwerkes: Einheit in der Mannigfaltigkeit - Anspruch machen." Es lag wiederum von vornherein in Goethes die Pole verbindenem Sehen, seiner symbolisierenden Betrachtungsweise, daß er überhaupt solche Fälle, Aperçus eines schauenden Erkennens, zu „sehen" vermochte und man muß mit Goethes Augen sehen lernen, um die Bedeutung dieser Schauensund Erkenntnisweise als Vorbedingung seines Gestaltens zu erkennen. In diesem Zusammenhange ist sie als Signal dafür von Bedeu« W II, Ii, 39. 182

"

i6./I7.

VIII. 1797.

tung, daß Goethes angeborene Gedankenform sich in der Debatte Bahn zu brechen beginnt und auf ihre Weise in der Fülle der Probleme Ordnung schafft, sie um die Pole Stoff und Form zu ordnen beginnt. Der Weg dorthin führt über den Begriff „Behandlung" jener Operation des Geistes, durch welche die Form entsteht. Wenden sich Goethes Gedanken der Frage der Behandlung zu, so steht auch hier am Anfang die nach dem Stoff: „Alles, was wir um uns her gewahr werden, ist nur roher Stoff 64 ." Die Jugend, ja der größte Teil des Publikums wird mehr durch den Stoff als durch Behandlung angeregt. Es erging dem Straßburger Studenten selbst nicht anders bei der Lektüre von Goldsmiths „Landprediger von Wakefield", wo erst Herders Tadel den Blick auf die Form der Dichtung lenkte. Noch Wilhelm Meister bekennt: „Der Gegenstand ist es, der midi an einem Gemälde reizt, nicht die Kunst 65 ." Der Künstler im besondern „soll Gehalt und Form aus der Tiefe seines eigenen Wesens hervorrufen, sich gegen den Stoff beherrschend verhalten und sich der äußern Einflüsse nur zu seiner Ausbildung bedienen"66. Der Dilettant, der Gegenpol des echten Künstlers, dagegen „gibt sich durchaus dem Stoffe dahin, anstatt ihn zu beherrschen"67. Allerdings erfordert es die Kräfte eines „poetischen Riesen", „seinen Stoff gehörig beherrschen und sich vom Leibe zu halten und sich nur auf das durchaus Notwendige zu konzentrieren", und „ist schwerer, als man denkt" 68 . Schon in Italien ist sich Goethe darüber klar: „Es kommt nicht aufs Denken, es kommt aufs Machen an; das ist ein verwünschtes Ding, die Gegenstände hinzusetzen, daß sie nun einmal so und nicht anders dastehen"69, ein Stoßseufzer, der sich ihm bei der Arbeit am Egmont entringt. Wieviel Geist und Talent ist erforderlich, um selbst ein einfaches Sujet wie den Philoktet „durch eine meisterhafte Behandlung zu etwas zu machen"70. Wenn Aischylos, Sophokles und Euripides den Stoff behandeln, so zeigen sie sich darin groß, „daß sie weniger auf historische Treue eines historischen Faktums gingen als darauf, wie es der Dichter behandelte". Überhaupt setzen die immer wiederholten alten Mythen und Legenden in den Stand, Stoff und Behandlung in der Kunst zu vergleichen71, für Goethe der fruchtbarste Gesichtspunkt bei ästhetischen Überlegungen, weil sich in der Verschieden« « W I , 47, 12. « 5 W I , 2 i , 106. « « W II, 1 , 3 7 3 . ® W I , 4 / , 326. 68 69 zu Eckermann 17. III. 1830. W I, 32, 29. 70 zu Eckermann 31. X I . 1827. 71 an Diez I J . X I . 1 8 1 5 . Ähnlich zu Riemer August 1809, G. II, 48. 183

heit der Behandlung des gleichen Stoffes durch solche Meister auch die Verschiedenheit der Begegnungen verschiedener Subjekte mit dem gleichen Objekt leicht erkennen läßt. Daher empfiehlt Goethe einmal, drei „sehr liebenswürdige, aber nicht lesbare Werke", H . von Schweinichens „Begebenheiten", Fontevilles de Toulouse „Mémoires historiques" und L. Galls „Auswanderung nach den Vereinigten Staaten", „alle drei von gehaltreichem Stoff, ganz ohne Form", zu „geschicktester Behandlung" geeignet als Gelegenheit, „von dem Werte des Stoffs, dem Verdienste des Gehalts, der Genialität der Behandlung, der Gediegenheit der Form hinlängliche Rechenschaft zu geben" 72 . In Leipzig hatte Goethe „das Bedeutende des Stoffs und das Konzise der Behandlung schätzen" gelernt, ohne sich jedoch „klar machen zu können, wo jenes zu suchen und wo dieses zu erreichen sei"73. Im höchsten Alter, „wo der Stoff eines Kunstwerks, welcher sonst den Anteil meistens bestimmt, f ü r die Betrachtung fast Null wird, und man der Behandlung allein, aber in desto höherem Grade, Ehre zu geben sich befähigt fühlt" 7 4 , hört Eckermann das Gegenteil dessen, was in der klassischen Zeit als Evangelium galt: „Unsere deutschen Ästhetiker reden zwar viel von poetischen und unpoetischen Gegenständen, und sie mögen auch in gewisser Hinsicht nicht unrecht haben; allein im Grunde bleibt kein realer Gegenstand unpoetisch, sobald der Dichter ihn gehörig zu gebrauchen weiß 75 ", das heißt, wenn der Gegenstand ihn wirklich anspricht und die „Behandlung" aktiviert. So der Dichter, dem sich im „West-östlichen Divan" ganz neue Formen dichterischen Ausdrucks erschlossen hatten, und der eben daran ging, den gewaltigsten Stoff durch Behandlung völlig zu bewältigen, seinen „Faust" abzuschließen, in souveräner Beherrschung aller nur denkbaren Formen. „Den Stoff sieht jederman vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazu zu tun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten 76 ." Der dichterischen Verwirklichung seiner Pläne k r a f t seines Genies von Jugend auf sicher, ringt Goethe sein Leben lang um die geistige Durchdringung dieser Trinität von Stoff, Form und Gehalt. Uberblickt man seine Äußerungen zu dem Thema, so kann nach allem die Erkenntnis kaum überraschen, daß man Versuchen, den Dreiklang, die Art und Weise seiner Einstimmung zu durchleuchten, kaum begegnet. Sein polares Denken drängt ihn nur dem 72 W I , 41/2, 294, 297. 74 an A. L. de Chézy 9. X. 1830. 76 H 289. 184

73 w I, 27, 109. 5. VIL 1827.

einen „Geheimnis" zu, dem Gegensatz von Stoff und Form bzw. ihrer Ineinsbildung. Die Ästhetik der deutschen Klassik ist zweidimensional, auch die Schillers, nur ist diese antithetisch, während Goethes ästhetisches Denken polarisiert. Der Durchschnittsleser oder -betrachter begegnet dem Kunstwerk, der Dichtung, durchaus naiv. Es wirkt wohl auf ihn, tritt ihm aber nicht in seiner Zwienatur entgegen. Diese Zwienatur aber offenbart sich in der klassischen Ästhetik noch auf eine andere Weise. Ihr Kunstgefühl ist ethisch nicht zu verwechseln mit moralisch-getönt. Schiller hat auch wieder dieses Ineinander von sittlichen Elementen und hoher Künstlerschaft in Goethes Dichtung klar erkannt und es, neidlos bewundernd, hocherhoben: „"Während wir andern sammeln und überprüfen müssen, um etwas Leidliches zustandezubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber einerntet. Wie bedeutend und sicher jetzt alle Schritte sind, wie ihn die Wahrheit über sich selbst und über die Gegenstände vor jedem eitlen Streben und Herumtappen bewahrt 77 ." Formung bedeutet ja Begrenzung, wie sie Goethe in Weimar und Italien abgefordert wurde, wo dann auch die Reflexion über Fragen der Form und Schönheit beginnt. Dazu kommt bei Goethe noch das Pendeln zwischen Kunst und Natur. Auch Ästhetik und Poetik des reifen, des klassischen Goethe sind daher wesentlich mitbestimmt von Einsichten, die ihm seine naturwissenschaftlichen Arbeiten erschlossen hatten, von der Schau ins Werden und Wachsen der Organismen. Wir kennen die Forderung an den Künstler, „nicht bloß etwas leicht und oberflächlich Wirkendes, sondern, wetteifernd mit der Natur, etwas Geistig-Organisches hervorzubringen und seinem Kunstwerk einen solchen Gehalt, eine solche Form zu geben, wodurch es natürlich zugleich und übernatürlich erscheint"78. Als Goethe am Ende seines Aufenthaltes in Italien mit dem „guten Meyer" die französische Akademie besucht, wo die Abgüsse der besten Statuen des Altertums beisammen stehen, da ist er von diesem Anblick „wie vernichtet", obwohl er „Proportion, Anatomie, Regelmäßigkeit der Bewegung", sich einigermaßen zu verdeutlichen gesucht. Denn hier fällt ihm „zu sehr auf, daß die Form zuletzt alles einschließe, der Glieder Zweckmäßigkeit, Verhältnis, Charakter und Schönheit"79. Hier sind alle Faktoren, alle an H. Meyer 21. VII. 1797. » W I , 32,317. 13

Koch, Gedankenform

« W I, 47, 12.

Forderungen, die der würdige Gegenstand an den Dichter stellt, beisammen, ästhetische, naturwissenschaftliche und ethische. Aus der Perspektive des „West-östlichen D i v a n " gesehen, lautet das dann so: „Die Besonnenheit des Dichters bezieht sich eigentlich auf die Form, den Stoff gibt ihm die "Welt nur allzu freigebig, der Gehalt entspringt freiwillig aus der Fülle seines Innern; bewußtlos begegnen beide einander, und zuletzt weiß man nicht, wem eigentlich der Reichtum angehöre. Aber die Form, ob sie schon vorzüglich im Genie liegt, will erkannt, will bedacht sein und hier wird Besonnenheit gefordert, daß Form, Stoff und Gehalt sich zu einander schicken, sich in einander fügen, sich einander durchdringen 80 ." Als „Vis superba formae" - mit diesen Worten schließt der achte der „Basia" des Johannes Secundus - tritt sie Goethe 1 8 2 1 in Mutter oder Tochter von Levetzow entgegen, als „einzige, furchtbar entschiedne G e w a l t " feiert er sie in der „Pandora" 8 1 . Durch die Form, die Arbeit eines echten Künstlers erhält die Materie „einen innerlichen, ewig bleibenden Wert" 8 2 . Diese Formgebung, die „Behandlung" geschieht nun durch Regeln, die der Künstler, wie wir schon wissen, zuletzt sich selber gibt, „nach Kunstgesetzen, die eben so wahr in der Natur des bildenden Genies liegen, als die große, allgemeine N a t u r die organischen Gesetze ewig tätig bewahrt" 8 3 . So handelt der berufene Künstler im Ineinanderwirken des Reichtums der Natur und seines eigenen Gemüts zugleich nach Regeln und Gesetzen, die der Natur nicht widersprechen. Im jungen Goethe wirkt diese Formkraft noch ohne vorher bedacht zu sein. Bald wird sie intuitiv erkannt. Es ist hier die Rede von dem, was Goethe in den Blättern „Aus Goethes Brieftasche" „innere F o r m " genannt hat. Sie bilden statt versprochener Anmerkungen zu Heinrich Leopold Wagners Übersetzung von L. S. Merciers gegen die tragédie classique gerichtete Kampfschrift: „Du théâtre ou nouvel essai sur l'art dramatique" die Einleitung, zufrieden, daß man endlich aufgehört habe, über die Form dramatischer Stücke zu reden, da Mercier „ziemlich stracks" auf den Inhalt losgehe. Zugleich aber distanziert Goethe sich auch schon von völliger Regel- und Formlosigkeit, denn „deswegen gibt's doch eine Form, die sich von jener unterscheidet wie der innere Sinn vom äußern, die nicht mit Händen gegriffen, die gefühlt sein will. Unser Kopf muß übersehen, was ein andrer K o p f fassen kann; unser 80 W 1,7,100. W I, 47, 56.

82

186

81V 462. 83WI>45>

25 8.

Herz muß empfinden, was ein andres füllen mag. Das Zusammenwerfen der Regeln gibt keine Ungebundenheit und, wenn ja das Beispiel gefährlich sein sollte, so ist's doch im Grunde besser, ein verworrnes Stück machen als ein kaltes. Freilich, wenn mehrere das Gefühl dieser innern Form hätten, die alle Formen in sich begreift, würden wir weniger verschobne Geburten des Geistes anekeln 84 ." Wiederum also der für Goethes Denken in Polaritäten so charakteristische Wechselbezug von innen und außen, innerem und äußerem Sinn, unserem Kopf und Herzen und dem eines andern. Aber all das wird noch dem Gefühl anheimgestellt, nicht abgezogenen Regeln. Dennoch hat „jede Form, auch die gefühlteste, etwas Unwahres, allein sie ist ein für allemal das Glas, wodurch wir die heiligen Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz der Menschen zum Feuerblick sammeln. Aber das Glas! Wem's nicht gegeben wird, wird's nicht erjagen; es ist wie der geheimnisvolle Stein der Alchimisten, Gefäß und Materie, Feuer und Kühlbad!" - Was geht in diesen Sätzen alles in- und durcheinander! Biologisierter Neuplatonismus85 und die ebenfalls noch von dorther lebendige Resignation, daß sich die künstlerische Vision nie völlig im Kunstwerk verwirklichen läßt - sie klingt noch in den Versen nach: Worte sind der Seele Bild Nicht ein Bild! Sie sind ein Schatten!86 zugleich aber doch auch schon das Neue, die zuversichtliche Gewißheit: „Aber das Glas!", das Brennglas, ein Geschenk der Gnade, das die Strahlen, das Bild der Natur, im Brennpunkt konzentriert und zu übernatürlicher Leuchtkraft steigert; das Aufsteigen von Erinnerungen an die eigenen alchimistischen Studien und Versuche, die so vielfach in ihm nachwirken, endlich die Synthese der Polaritäten: Gefäß und Materie, Feuer und Kühlbad als produktive steigernde Begegnung und Ineinanderwirken von „innerer Schöpfungskraft" und kühlender Formkraft mit dem Ergebnis einer „Bildung voller Saft". All das ist aber auch Ausdruck einer religiösen Ergriffenheit, in ihr wird rege, „was auch Schöpfungskraft in ihr ist", „Anbetung" ist, was sie schafft, „unauslöschliches Gefühl des, das da ist und da war und da sein wird" 87 . Zwar deutet der Ausdruck „innere Form", der ja nicht erst von »4 W I, 37, 313 f. MW 1,4, 71.

ss Vgl. F. Kodi, Goethe und Plotin, S. 128-183. 87 W 1,37,323. 187

G o e t h e geschaffen w u r d e 8 8 , auf einen G e g e n s a t z z u r

„äußeren",

aber gerade das, w a s bis dahin in getrennter P o l a r i t ä t existierte, w i l l G o e t h e j a in seiner F o r m v o r s t e l l u n g , die die S p a n n u n g s w e i t e beider P o l e , Ä u ß e r e s u n d Inneres, die vis c e n t r i f u g a u n d centripeta u m f a ß t , überwinden® 9 . Andererseits ist das Bestreben Goethes u n v e r k e n n b a r , v o r e r s t den A k z e n t a u f

das M o m e n t

des Inneren

zu

legen. D a m i t w i r d die K u n s t im G e g e n s a t z z u r n o r m a t i v e n Ä s t h e t i k z u r O f f e n b a r u n g einer seelischen U r k r a f t . S i e erhält einen d y n a m i schen C h a r a k t e r , das schaffende Ich des K ü n s t l e r s tritt in den M i t t e l p u n k t . „ M a n v e r l e g t das G e w i c h t v o n der M a n n i g f a l t i g k e i t des G e w o r d e n e n a u f die E i n h e i t des W e r d e n s 9 0 . " Nicht

zufällig

verbinden

sich im

Zusammenhang

mit

dem

Begriff der „inneren F o r m " in den J a h r e n zwischen S t r a ß b u r g u n d Weimar

auch B e g r i f f e w i e

„innerer S i n n " ,

„innere

Wahrheit",

„inneres L e b e n " . Sie sind G o e t h e s B e i t r a g zu dem das Ich des M e n schen in den M i t t e l p u n k t stellenden D e n k e n s der 88

89

Goethe-Zeit91.

Als forma interna begegnet der Ausdrude auch in der protestantischen Dogmatik: „Forma scripturae alia interna est, alia externa. Forma interna est sensus scripturae fteojrvEuoTÖg": J . A. Quenstadt, Theologia didactico-polemica. Wittebergae 1696, I, 5 6. Aus solchen Quellen hat wohl auch Herder, der in der Säkularisierung des Begriffes eine entscheidende Rolle spielt, den Ausdruck „forma interna", der sich, nadi Mitteilung Dr. H . D. Irmschers in Herders Nachlaß findet. Nach Buffons „Histoire naturelle", 1749, II, 472, gibt die Natur ihren Schöpfungen nicht nur die äußere, sondern auch die innere Form. Noch im hohen Alter beruft sich Goethe auf Buffons „dessin primitif et general". Auf Buffon wurde Goethe spätestens in Leipzig am Mittagstisch bei H o f r a t Ludwig aufmerksam gemacht. Kant kommt auf Buffons innere Form zu sprechen in „Der einzig mögliche Beweggrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" (1762): Akademie-Ausgabe Abtlg. I, Bd. 2, S. 1 1 5 . Audi daher konnte Herder angeregt sein. Der Einfluß Shaftesburys und dessen „inward form" wurde wohl überschätzt. - Auch das Bild „Feuerblick" hat seine Geschichte. Es begegnet im § 94 von Baumgartens „Metaphysik": „Si plura simul sumta unius (realitatis) rationem suffucientem constituunt, consentiunt. Consensus ipse est perfectio (Vollkommenheit), et unum, in quod consentitur, ratio perfectionis determinans (focus perfectionis)." Hamburg 1743. Nach dem Exemplar der Universitätsbibliothek Tübingen mit handschriftlichen Ergänzungen. K . Ph. Moritz nimmt, wohl unter dem Einfluß Goethes, das Bild auf in seiner Schrift „Ober die bildende Nachahmung des Schönen": Das Genie müsse die Verhältnisse des großen Ganzen und in ihnen das höchste Schöne wie „in einen Brennpunkt" fassen. Hrsgg. v. B. Seuffert 1888, S. 18.

Vgl. auch R . Schwinger, Innere Form und dichterische Phantasie. Hsgg. von J . Obenauer. München 1935, S. 52. 90 H . v. Einem in der Hamburger Goethe-Ausgabe. Bd. 12, S. 500. ' l Wie stark das von der romanischen Seite her empfunden wird, zeigt das Budi von Mario Pensa „Ii pensiero tedesco".

188

Schon nach der Rückkehr aus Straßburg ins Vaterhaus setzt sich bei Goethes Bibelstudien, die ihn da beschäftigten, und unter dem Einfluß J. G. Hamanns die Grundmeinung fest: „Bei allem, was uns überliefert, besonders aber schriftlich überliefert werde, komme es auf den Grund, auf das Innere, den Sinn, die Richtung des Werks an; hier liege das Ursprüngliche, Göttliche, Wirksame, Unantastbare, Unverwüstliche, und keine Zeit, keine äußere Einwirkung noch Bedingung könne diesem innern Urwesen etwas anhaben, wenigstens nicht mehr als die Krankheit des Körpers einer wohlgebildeten Seele". Der Vergleich mit dem Verhältnis von Leib und Seele, hier inneres Urwesen, später Daimon genannt, leitet über zum Begriff der inneren Form, in der zunächst auch noch das innere Urwesen das formende Element, der Körper das Geformte ist. „Diese aus Glauben und Schauen gewonnene Überzeugung", so schließt Goethe die Stelle in „Dichtung und Wahrheit" ab, „welche in allen Fällen, die wir für die wichtigsten erkennen, anwendbar und stärkend ist, liegt zum Grunde meinem sittlichen sowohl als literarischen Lebensbau und ist als ein wohlangelegtes und reichlich wucherndes Kapital anzusehn, ob wir gleich in einzelnen Fällen zu fehlerhafter Anwendung verleitet werden können 92 ." Diesem „innern Urwesen" als formendem Widerspiel alles Äußern ist Goethe allzeit und auf allen Wegen auf der Spur. Als ihm und seinem Gefährten Passavant auf seiner ersten Reise in die Schweiz bei Einsiedeln Wallfahrer begegnen, reflektiert er über Gebräuche der katholischen Kirche und macht sie sich so verständlich, „indem er nur das Erste, Innere, wodurch sie hervorgerufen, das Menschliche, wodurch sie sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen, und also auf den Kern dringend, anerkennt, ohne sich gerade in dem Augenblick mit der Schale, der Fruchthülle, ja dem Baume selbst, seinen Zweigen, Blättern, seiner Rinde und seinen Wurzeln zu befassen" 93 . Noch deutlicher spricht sich die Hochschätzung des inneren Sinnes am Beginne des Aufsatzes „Shakespeare und kein Ende" aus. Nennten wir Shakespeare einen der größten Dichter, „so gestehen wir zugleich, daß nicht leicht jemand die Welt so gewahrte wie er, daß nicht leicht jemand, der sein inneres Anschauen aussprach, den Leser in höherem Grade mit in das Bewußtsein der Welt versetzt". Es scheine, als arbeite er dabei für unsere Augen. Aber „Shakespeares Werke sind nicht für die Augen des Leibes": „Das Auge mag wohl der klarste Sinn genannt werden, durch den «WI.28, ioif.

35 6.

nicht den Verzicht auf die äußere bedeuten kann und darf, beweist die Rezension der anspruchslosen Dichtung „ D e r Geburtstag". Z w a r habe sich der Verfasser, urteilt Goethe, „manches von der inneren Form eines solchen Kunstwerkes zugeeignet, aber an die Vollendung der letzten äußeren Form weder gedacht noch mit irgendeinem Wissenden sich darüber besprochen, „die Verse sind ganz abscheulich"98. Bei aller Milde und Toleranz, die Goethe zuweilen soldien und ähnlichen unzulänglichen Erscheinungen an den Tag legt, ist doch sein Urteil durchaus verneinend zu verstehen, da es f ü r ihn in dieser Zeit kein stärkeres Versagen gegenüber den Forderungen, die der Künstler zu erfüllen hat, gibt, als wenn er innere und äußere Form nicht in eins zu verschmelzen vermag, die oberste Forderung nach organischer Ganzheit nicht erfüllt. Wie sehr aber dieses Gefühl f ü r innere Form auch f ü r den klassischen Goethe Erlebnis und nicht etwa nur Überlegung ist, läßt eine von ihm in Venedig gemachte Beobachtung besonders deutlich werden. Am 8. Oktober 1786 besucht er die scuola di San Rocco, deren Hauptsaal Tintoretto ausgemalt hat. Die Gemälde würden, bemerkt er im Tagebuch — in der Italienischen Reise fehlt der Passus - alle mehr Reiz haben, wenn sie kleiner wären. Die Gestalten seien Tintoretto sozusagen in einem kleineren Formate erschienen und er habe sie „nur nach dem Maßstabe" vergrößert, „ohne ihre innere Natur vergrößern zu können". „Sie haben nicht inneren Gehalt genug, um einen so großen Raum einzunehmen, um uns mit ihrer Gegenwart zu imponieren." Eine Figur müsse aber nicht durch ihr Maß, sondern durch ihre Existenz imponieren. Es fehlt also diesen Kunstwerken an der notwendigen Übereinstimmung von innerer und äußerer Form, die Gestalten haben zu wenig inneres Leben, am Körper dieses Lebens gemessen. Der Gegenstand stellte hier Forderungen an den Künstler, denen seine Existenz nicht gewachsen war, die Begegnung zwischen dem Künstler und seinem Gegenstande wurde nicht zu einer echten Begegnung. Die Überzeugung Goethes aus dem Jahre 1 7 7 5 , „daß Schöpfungskraft im Künstler sei aufschwellendes Gefühl der Verhältnisse, Maße und des Gehörigen und daß nur durch diese ein selbständig Werk, wie andere Geschöpfe durch ihre individuelle Keimkraft hervorgetrieben werden" 99 , hat sich an den Kunstschätzen Italiens, wo er „von innen heraus" 100 wächst, erprobt und seinen Blick geschärft, so daß ihm

98 ebd. 328. 32,

100 v i ,

4.

* > W I , 37, 325.

191

nun auch jene Stellen nicht entgehen, wo die geeinte Zwienatur von Stoff und Form, von Form und Gehalt wieder in ihre Pole auseinandertritt. „Das Äußere soll der Künstler darstellen!", so disputiert Goethe mit dem Schatten Diderots. „Aber was ist das Äußere einer organischen Natur anders als die ewig veränderte Erscheinung des Innern? Dieses Äußere, diese Oberfläche ist einem mannigfaltigen, verwickelten, zarten, innern Bau so genau angepaßt, daß sie dadurch selbst ein Inneres wird, indem beide Bestimmungen, die äußere und die innere, im ruhigsten Dasein, so wie in der stärksten Bewegung stets im unmittelbarsten Verhältnis stehen101." "Was ist hier geschehen? Zur gleichen Zeit, in der für Goethe das Problem der Form des Kunstwerkes in die gegensätzlichen Pole der äußeren und inneren Form auseinandertritt, in der sich in der Farbenlehre der Polaritätsbegriff so fruchtbar erweist, führt ihn die Theorie wieder auf den Punkt zurück, den seine dichterische Praxis unbewußt schon in der Jugend erreicht hatte. Dabei kommt ihm nun der Naturwissenschafter zu Hilfe. Es ist dargelegt worden, welche entscheidende Rolle der Wechselbezug von innen und außen im Gebiete von Goethes naturwissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen spielt. Er wird für seine Ästhetik und Poetik ebenso fruchtbar. Auch hier entsteht dabei nicht etwas völlig Neues. Man braucht sich nur dessen, was Goethe in Lavaters „Physiognomischen Fragmenten", beispielsweise über den Kopf des Brutus, zum besten gibt, zu erinnern, wie er ihn mit einem sich nicht genugtun könnenden Aufwand von dynamischen Vokabeln als „unerschütterliche Gewalt" eines „zusammengeknoteten Drangs" deutet. Seine morphologischen Studien haben ihn gelehrt, sich „einmal als ein Wesen (zu betrachten), das in die Sinne fällt, ein andermal als ein anderes, das nur durch den innern Sinn erkannt oder durch seine Wirkungen bemerkt werden kann" 102 , wieder also in jenem so charakteristischen Sich-hin-und-her-Bewegen zwischen innen und außen. Wie der Naturforscher mit den Augen des Geistes entdeckt und so den Sinnen darbringt, „was vorher die Einbildungskraft zu bezeichnen und festzuhalten kaum imstande war" 103 , so erfaßt der Künstler schon in dem Augenblick, in dem der Gegenstand in sein Blickfeld dringt, ihn mit innerer Schöpfungskraft, um die Naturwirklichkeit in Kunstwahrheit umzuschaffen. Was in der Jugend Gefühl war für Harmonie und im Künstler „nach und nach sich zum verstan101 WI, 45, 170. 103 W II, 8, 131. 192

102 W II,6,297.

densten Ausdrucke drängt, ohne durch die Erkenntniskraft durchgegangen zu sein"104, das stellt sich nun dieser Erkenntniskraft. Der im Aperçu der inneren Form latente Dualismus von innen und außen wird in der klassischen Epoche sozusagen rezent, so daß der Gefühlsbesessenheit des Subjektes nun dessen Bewußtsein kontrollierend entgegen und zur Seite tritt. Innere „Form" als Gestaltbegriff hatte ja streng genommen nur in der bildenden Kunst ein Daseinsrecht, nicht aber im Wortkunstwerk, das sich in der Zeit entfaltet und darstellt. Dieser GestaltbegrifF wird nun in einem weiteren Sinne als Ineinsbildung von Subjekt und Objekt, von schaffendem Künstlertum und gewähltem Gegenstand verstanden und entwickelt105. Die „Besonnenheit" des Künstlers, die sich ja recht eigentlich auf die Form bezieht, wird rege, Form will „bedacht" und „so gut verdauet sein als der Stoff, ja sie verdaut sich viel schwerer"106. „Die Würde der Form" erscheint daher am „eminentesten", „wo ihr kein Stoff entgegensteht, wie in der Musik, die ganz Form ist und Gehalt" 107 . Daß Verstand und Vernunft als „formelles Vermögen" männlich seien, während das Herz Gehalt und Stoff liefert108, diese Erkenntnis ist wohl eine der Früchte des Verkehrs mit Schiller, der sich seinerseits mit dem Freunde Körner über den Begriff der Form auseinandersetzt. Eine andere Welt spricht da, wenn Körner „die innere poetische Form das Produkt der geistigen Schöpfung aus dem gegebenen Stoffe im Kopfe des Dichters" nennt109. Daß Körner da auch im Sinne Schillers sprach, bestätigt Goethes Bemerkung zu Eckermann: Schiller „griff in einen großen Gegenstand kühn hinein und betrachtete und wendete ihn hin und her und sah ihn so an und so und handhabte ihn so und so. Er sah seinen Gegenstand gleichsam nur von außen an, eine stille Entwicklung aus dem Innern war nicht seine Sache110." Schiller erfindet die Form, Goethe findet sie111. Riemer gegenüber unterscheidet Goethe die beiden Arten des Schaffens polar so: „In dem, was der Mensch techniziert, nicht bloß in den medianischen, auch in den plastischen Kunstproduktionen, ist die Form nicht wesentlich mit dem Inhalt verbunden, die Form ist dem Stoff nur auf- und abgedrungen. Die Produktionen der Natur erleiden zwar auch äußere Bedingungen, aber mit Gegenwirkung von innen, wo104 w I, 37, 317 f. 10« H 1 0 8 3 . los zu Riemer G. II, 64. 110 13. I. 1825.

10s Vgl. r . Schwinger a. a. O. S. 58. 107 H 480. 109 a n Schiller 19. IX. 1794. m Vgl. jolies a. a. O. S. 200.

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durch der Stoff die Form erhält 112 ." Über diese wesensmäßig bedingte K l u f t hinweg nähern sich nun in der Zeit des lebhaften Gedankenaustausches die beiden „Antipoden" einander, Schiller dem naiven Pol im Begriff der „lebendigen Gestalt" 113 - „Das innere Prinzip der Existenz an einem Ding, zugleich als der Grund seiner Form betrachtet" nennt er „die innere Notwendigkeit der Form" 114 Goethe dem sentimentalischen in der Besinnung auf das bewußt technizierende Vermögen. Die Folge ist eine gewisse dogmatische Verhärtung dessen, was einst von glühendem Leben durchpulste innere Form gewesen war. Schon in Italien drängte sich das Formelement, und zwar mehr das Sein der Form als ihr Werden, der statische Gestaltcharakter, so energisch vor, daß es zunächst sogar den schon in der Jugend verehrten Rembrandt überschattete. In Rom fühlt Goethe, „wie interessanter denn doch die Reinheit der Form und ihre Bestimmtheit vor jener markigen Rohheit und schwebenden Geistigkeit - gemeint ist Rembrandt - ist und bleibt" 115 . A m Ende des Aufenthaltes in Italien hört man es freilich schon wieder anders. „In Rom wurde kein Stein mehr angesehen, wenn er nicht gestaltet war. Die Form hatte allen Anteil an der Materie verdrängt. Jetzt ist eine Kristallisation schon wieder wichtig, und ein unförmlicher Stein zu etwas. So hilft sich die Natur, wenn nicht zu helfen ist 116 ." Innere Form ist um die Jahrhundertwende nicht mehr das Adelsprädikat für Dichtungen hohen Ranges. Jetzt gebührt höchstes Lob der „reinen", der „schönen" Form, die „hilft und trägt, da eine unreine überall hindert und zerrt" 117 . Welcher Anspruch an diese reine Form gestellt wird, erhellt daraus, daß selbst „Wilhelm Meisters Lehrjahre" ihn nicht erfüllen. Die Form habe da „etwas Unreines" 118 . Wenn Goethe am Ende seines Italienaufenthaltes feststellt, „daß die Form zuletzt alles einschließe, der Glieder Zweckmäßigkeit, Verhältnis, Charakter und Schönheit" 119 , so nähert sich diese Begriffsbestimmung wieder dem, was er unter innerer Form verstanden hatte. Dennoch ist es nicht mehr dasselbe, Naturwissenschaftliches, Mor28. III. 1807. G . I, 482 £. Säkular Ausgabe Bd. 12, S. 55. Vgl. F. Koch, Schillers philosophische Schriften und Plotin. Leipzig 1926, S. 60. an Chr. G. Körner 23. II. 1793. u s an K a r l August 7-/8. X I I . 1787. 116 an Knebel 24. V . 1788. " 7 an Schiller 30. X . 1797. 1 1 8 an I. Fr. Rochlitz 29. III. 1801. Ähnlich an K . A . Böttiger 28.1. 1797 u. an H . Meyer 20. III. 1801. " 9 W I, 32, 317. 113

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phologisches spielt da mit. Für „Form" begegnet nun auch gelegentlich das Wort „Gestalt", das Goethe im allgemeinen seinen morphologischen Arbeiten vorbehält. In der Kernfrage rücken Kunst und Natur ganz nahe aneinander in der Uberzeugung, „daß die höchste und einzige Operation der Natur und Kunst die Gestaltung sei und in der Gestaltung die Spezifikation, damit jedes ein Besonderes sei und bleibe"120. Der Gestaltbegriff wird zur Brücke, auf der Natur und Kunst miteinander verkehren, im „Geistig-Organischen" finden sie sich. Im ästhetischen Sinn hat der Deutsche „für den Komplex des Daseins eines wirklichen Wesens das Wort Gestalt. Er abstrahiert in diesem Ausdruck von dem Beweglichen, er nimmt an, daß ein Zusammengehöriges festgestellt, abgeschlossen und in seinem Charakter fixiert sei." Die Morphologie verbinde mit dem Worte eine andere Vorstellung, nämlich, „daß nirgend ein Bestehendes, nirgend ein Ruhendes, ein Abgeschlossenes vorkommt, sondern daß vielmehr alles in einer stetigen Bewegung schwanke. Daher unsere Sprache das Wort Bildung sowohl von dem Hervorgebrachten als von dem Hervorgebrachtwerdenden gehörig genug zu gebrauchen pflegt121." Goethe gebraucht das Wort Gestalt in dieser deutlich polarisierenden Begriffsbestimmung also im statischen wie im dynamischen Sinne, das letztere überwiegt. „Gestalt bezieht sich auf ein Gesetz"122. Sie „steht in Bezug auf die ganze Organisation, wozu der Teil gehört, und somit auch auf die Außenwelt, von welcher das vollständig organisierte Wesen als ein Teil betrachtet werden muß" 123 . Nun zeigen uns die höchsten Kunstwerke „lebendige, hochorganisierte Naturen" 124 , und damit ist der Gestaltbegriff auch für Goethes Kunstanschauung legitimiert, wie umgekehrt lebendige Organismen, wie etwa das Eichhörnchen, in dem reizvollen Aufsatz über „Die Skelette der Nagetiere" mit künstlerischer Einfühlung dargestellt wird. Da nun aber in der Natur das Gebildete sogleich wieder umgebildet wird, haben wir uns, „wenn wir einigermaßen zum lebendigen Anschauen der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich und bildsam zu halten, nach dem Beispiele, mit dem sie uns vorgeht" 123 . Dasselbe Prinzip wendet Goethe in seinem Laokoon-Aufsatze an, wenn er ihn dem Betrachter zugleich ruhig und in Bewegung als einen fixierten Blitz erscheinen läßt. Von Seiten der Natur sah Goethe die Form, die Gestalt, von innen her bedingt 120 a n Zelter 30. X . 1808. 122 W I I , 3, 1 1 3 .

121 W I I , 6, 9. 123 w I I , 7, 196 f.

124 W I , 47, 102.

125 W I I , 6, 10.

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durch die Kraft des eingeborenen Lebens, von außen durch die Umwelt, Faktoren, die in der lebendigen Gestalt in harmonischem Gleichgewicht jene „Mitte" halten, in der „beide Bestimmungen, die äußere und die innere, im ruhigsten Dasein so wie in der stärksten Bewegung stets im unmittelbaren Verhältnis stehen"126. Da ist „die entschiedene Gestalt gleichsam der innere Kern, welcher durch die Determination des äußern Elementes sich verschieden bildet" 127 . Das Erste und Ursprüngliche ist auch da noch die innere Schöpfungskraft. Man spürt, wie Goethe in dieser Diskussion sich allmählich wiederfindet in der Besinnung auf das, was die Natur ihn gelehrt hat. Wie der Naturforscher auch mit den Augen des Geistes sieht, so wird „der Künstler, der sich ums Innere bekümmert, freilich auch das sehen, was er weiß, er wird, wenn man will, sein Wissen auf die Oberfläche übertragen; und hier ist auch das geringe Mehr oder Weniger, welches entscheidet, ob er wohl oder übel tut" 128 . Auf höherer Ebene, von der geistigen Besinnung her, kehrt Goethe zu dem zurück, was ihm in der Jugend von Gnaden des Genius im Gefühl gegeben war, zu jener, wie er sich Jacobi gegenüber erschlossen hatte, „Reproduktion der Welt um mich durch die innere Welt". Nichts anderes meint er, wenn er Zelter sagt, „daß die Kunst, wie sie sich im höchsten Künstler darstellt, eine so gewaltsam lebendige Form erschafft, daß sie jeden Stoff veredelt und verwandelt" 129 . In dieser Reproduktion, diesem polaren Ineinanderwirken der determinierenden Welt und der inneren Schöpfungskraft vollzieht sich die Metamorphose des „Gegenstandes", der Welt, zum geformten, künstlerischen Bilde der Welt. Einen Höhepunkt dieses künstlerischen Ineinanderwebens von innen und außen hat Goethe in der klassischen Walpurgisnacht erreicht, wo äußeres, mythisches Geschehen restlos zum Symbol innerer Sinnbezüge geworden ist130. Das Formproblem brennt der Zeit auf den Nägeln, Romantikern wie Klassikern und unverkennbar sind es Goethesche Gedankenpfade, die immer wieder beschritten werden. Auch hier wird das Ineinander von außen und innen immer wieder zum Schlüssel des Verständnisses. Friedrich Schlegel sagt im 116. Athenäum-Fragment von der romantischen, für ihn der denkbar höchsten Poesie, sie bilde „nicht bloß von innen heraus, sondern auch von außen hin12« W I, 4 J , 270. 127 W I I , 7, 211 f. 12« W I , 4$, 271. 129 15. IV. 1813. 130 Vgl. D. Lohmeyer a. a. O. und E. Trunz, Goethes Faust. Einmalige Sonderausgabe. Hamburg 1963, S. $ 2 j .

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ein". Für Novalis ist das „Geheimnis der schönen Entfaltung" „ein vereintes Hinein- und Herauswirken, wodurch in einem N u der Gegenstand und sein Begriff fertig wird" 1 3 1 . Grillparzer sieht die Aufgabe der Kunst darin, „ein Inneres durch ein Äußeres darzustellen" 132 . Für Adolf Hildebrand, den Theoretiker des Problems der Form, offenbart sie sich als das Ineinander von Imitation der Natur und Architektur, worunter der „Bau eines Formganzen", eines „organischen Ganzen" zu verstehen ist 133 . Noch Paul Klee spricht von „äußerem Sehen und innerem Schauen", vom schöpferischen Prozeß als dem Schritt „vom Vorbildlichen zum Urbildlichen" 134 . Weinheber endlich faßt das klassische Bekenntnis zur polarisierenden Form nachfühlend ins Bild: Zwei Läufer laufen so Von Anbeginn und Ende nach einer Mitte, wo die N o t sich magisch wende! Nun stehn die Läufer still, sich sinnlich zu besinnen. Er, der von außen will, und er, der träumt von innen. Sie reichen sich die Hand und tauschen Klag und Fragen. Mich hält es festgebannt, die Eintracht auszusagen 135 . Form im typischen Sinn steht dort zur Erörterung, wo es sich um Gattungsformen der Dichtung handelt. Es ist wiederum kennzeichnend für Goethes Denken, daß ihn dabei nur das Epos und die Tragödie interessieren, die Lyrik aber eigentlich außer Betracht bleibt. Ebenso charakteristischerweise stellt er in einem handschriftlichen Schema über Poesie, wo er die Lyrik nicht ausschalten kann, Epos und Drama, moderner Dichtungstheorie sich nähernd 136 , der Lyrik gegenüber. Dabei liegt auf seiten des Dramas der Pol „Form Organisation", auf Seiten der Lyrik „Element, Stoff" 1 3 7 . Sie ist also dem IM an A . W. Schlegel 12. I. 1798. " 2 Werke, Sauer, Bd. 15, S. 65. 1 3 3 Vorwort zur 3. Auflage des „Problems der Form": Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 325. Baden-Baden 1961, S. 5. 134 Über die moderne Kunst. Bern-Pümplitz. 1945, S. 47. 135 Hier ist das Wort. Salzburg 1947, S. 22. 136 Vgl. K . Hamburger, Logik der Dichtung. Stuttgart 1957, bes. S. 1 1 4 f. 137 Vgl. D . Kuhn, Zu Goethes Theorie der Künste: Goethe, Bd. 23, 1 9 6 1 , S. 31 bis 48.

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Ursprung, dem Walten der Elemente am nächsten, während das Drama auf der Höhe der Organisation den elementaren Stoff offenbar schon einem höheren Sinne zu formen hat. Epos und Ode liegen in diesem Schema dazwischen, und zwar so, daß sich das Epos, auf die Mitte hin gesehen, noch auf der Seite des Dramas, die Ode auf der Seite der Lyrik befindet, beide aber der Mitte sich nähern. Zwischen Epos und Drama sich hin und her bewegend, betrachtet Goethe in dem Aufsatze „Über epische und dramatische Dichtung. Von Goethe und Schiller", dem Resultate gemeinsamer brieflicher Bemühungen, die einander polar gegenüberstehenden Wesenszüge der beiden Gattungen. Den Anlaß, „die Gesetze der Epopee und des Dramas wieder durchzudenken" 138 , gab August Wilhelm Schlegels Besprechung von Goethes „Hermann und Dorothea" - Novalis rühmt ihren „hohen Geist" 139 - in der „Allgemeinen Literatur Zeitung" 140 . Schlegel hatte seiner Besprechung eine Abhandlung über das Homerische Epos als Maßstab „ f ü r den Gesichtspunkt und die Gesetze der Beurteilung" 141 eingefügt. Manches von dem, was Goethe über das Epos sagt, geht darauf zurück. Darnach stellt der Epiker die Begebenheiten „als vollkommen vergangen", der D r a matiker „als vollkommen gegenwärtig", jener „den außer sich wirkenden Menschen", dieser „den nach innen Geführten" dar. In bezug auf Motive gehören „vorwärtsschreitende" dem Drama, „rückwärtsschreitende" dem Epos, „retardierende", „zurückgreifende" und „vorgreifende" aber beiden Gattungen an; von den Welten, die zur Anschauung gebracht werden, die „physische" dem Epos, „die sittliche" dem Drama und „die Welt der Phantasien, Ahnungen, Erscheinungen, Zufälle und Schicksale" wiederum beiden Gattungen. Die Behandlung geschieht im Epos durch den Rhapsoden, „der in ruhiger Besonnenheit das Geschehen übersieht", wobei er, wie es ihm beliebt, nach rückwärts oder vorwärts greift, es nur mit der Einbildungskraft zu tun hat; im Drama durch den Mimen, der gerade im entgegengesetzten Falle ist. Obwohl es sich Goethe darum handelt, Kriterien f ü r eine möglichst saubere Trennung der Gattungen zu gewinnen, verbindet sich ein deutlich polares dynamisches Denken wie immer auch hier mit Steigerung, mit dem Drang nach Synthese in einem höheren Dritten, wie es dann im symbolisierenden Stil tatsächlich zustande kam. In diesem Zusammenhange fällt ja auch die bekannte Äußerung Goethes, die in 138 an Schiller 20. X I I . 1 7 9 7 .

« » Briefe, Raich, 1 2 . I. 1 7 9 8 , S. $ 2 .

" 0 1 1 . - 1 3 . X I I . 1 7 9 7 . W e r k e Bd. n , S. 1 8 3 - 2 2 1 . 141 Friedrich Schlegel an seinen Bruder. Briefe, Walzel, S. 3 3 9 .

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seinem Wesen ihre Wurzel hat, daß er sich selbst nicht genug kenne, um zu wissen, ob er eine wahre Tragödie schreiben könne. „Ich erschrecke aber bloß vor dem Unternehmen und bin beinahe überzeugt, daß ich mich durch den bloßen Versuch zerstören könnte 142 ." Vielleicht aber ist diese Äußerung doch auch durch Schillers kritische Bemerkungen über den Meister-Roman hervorgerufen, in dem Schiller zuviel von der Tragödie, „das Ahnungsvolle, das Unbegreifliche, das Subjektiv-Wunderbare" gefunden zu haben glaubt; über die „Iphigenie", die ins epische Feld hinüberschlage, „zusehr genetisch poetisch" nicht aber tragisch sei, während er von Tasso überhaupt nicht reden wolle143. Widerstrebt Goethes Natur an sich der Unversöhnlichkeit des Tragischen, dem „Unmaß in der Beschränkung", „des düstern Wollens trauriger Gefahr", das einen Agamemnon, einen Achill „auch ohne Zeus und Fatum" zugrunde gehen läßt 144 , so fühlte Schiller das wohl, wenn er auf jenes Bekenntnis erwidert, daß, sollte Goethe wirklich keine Tragödie schreiben können, „der Grund in den nicht poetischen Erfordernissen liegen"145 müßte. Wo Goethe polarisierend die Synthese sucht, dringt der Antithetiker Schiller auf scharfe Analyse. Er trifft den Kern der Sache, wenn er ein zweites Hilfsmittel zur Anschaulichmachung des Unterschiedes von Epos und Drama in Vorschlag bringt: „Die dramatische Handlung bewegt sich vor mir, um die epische bewege ich mich selbst und sie scheint gleichsam stille zu stehn"146, woraus sich zwanglos die verschiedenen Behandlungsweisen ergeben. Das Streben nach Synthese aber deutet er als gewandter Dialektiker formallogisch aus „dem reizenden Widerstreit der Dichtung als Genus mit der Spezies desselben . . . Die Dichtkunst als solche macht alles Gegenwärtige vergangen und entfernt alles Nahe (durch Idealität), und so nötigt sie den Dramatiker, die individuell auf uns eindringende Wirklichkeit von uns entfernt zu halten und dem Gemüt eine poetische Freiheit gegen den Stoff zu verschaffen. Die Tragödie in ihrem höchsten Begriffe wird also immer zu dem epischen Charakter hinaufstreben und wird nur dadurch zur Dichtung. Das epische Gedicht wird ebenso zu dem Drama herunterstreben und wird nur dadurch den poetischen Gattungsbegriff ganz erfüllen; just das, was beide zu poetischen Werken macht, bringt beide einander nahe . . . Jede wird also der andern den Dienst erweisen, daß sie die Gattung gegen die

142 an Schiller 9. X I I . 1797. i « f l , 13/1, 117. 146 an Goethe 26. X I I . 1797.

143

an Goethe 26. X I I . 1797. 1 « 12. X I I . 1797.

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Art in Schutz nimmt" — eine Deutung, die wieder einmal den Unterschied der beiden Naturen, das am Gegenstande sich orientierende Denken Goethes und das abstrahierende, theoretische Schillers deutlich werden läßt. In den „Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Divan" geht Goethe noch einmal auf die Frage der Dichtarten ein. Da zählt er achtzehn verschiedene in alphabetischer Reihenfolge auf mit der Bemerkung, „daß sie bald nach äußeren Kennzeichen, bald nach dem Inhalt, weniger aber einer wesentlichen Form nach benamst" seien. Im Abschnitt „Naturformen der Dichtung" versucht er eine „rationellere Anordnung" auf eine, wie schon der Titel andeutet, genetische Weise. Da anerkennt er nur drei echte Naturformen der Poesie, „die klar erzählende, die enthusiastisch aufgeregte und die persönlich handelnde: Epos, Lyrik und Drama" 147 , die sowohl zusammen wie abgesondert wirken könnten. Verbunden sehe man sie in den Balladen aller Völker, im alten griechischen Trauerspiel, „solange der Chor die Hauptperson spielt". Im französischen Trauerspiel sei die Exposition episch, die Mitte dramatisch, den fünften Akt, „der leidenschaftlich und enthusiastisch ausläuft", könne man lyrisch nennen. Für eine übersichtliche Ordnung empfiehlt er das schon in der Farbenlehre erprobte Mittel, die drei Hauptelemente von polarer Trennung wie in jenem Schema ist nicht mehr die Rede „in einem Kreis gegen einander über" zu stellen und Beispiele, die nach der einen oder andern Seite hinneigen, zu interpolieren, „bis endlich die Vereinigung von allen dreien erscheint und somit der ganze Kreis in sich geschlossen ist". Auf diese Weise ließe sich vielleicht - er selber hat den Versuch nicht unternommen - das Schema einer faßlichen Ordnung gewinnen. Schon der Ausdruck „Naturformen" deutet darauf hin, daß Goethe hier auch in naturwissenschaftlichen Kategorien denkt. So spielt denn auch der in der Organisation so wichtige Wechselbezug von innen und außen seine Rolle, wenn abschließend bemerkt wird, jener Versuch werde freilich „immer so schwierig sein als in der Naturkunde das Bestreben, den Bezug aufzufinden der äußeren Kennzeichen von Mineralien und Pflanzen zu ihren inneren Bestandteilen, um eine naturgemäße Ordnung im Geiste darzustellen" 148 . „Schwarz auf weiß", will sagen das stille Lesen, sollte durchaus verbannt sein im Hinblick auf die Gattungen: „Das Epische sollte rezitiert, das Lyrische gesungen und getanzt und das Dramatische persönlich mimisch vorgetragen M7WI, 7 , i i 7 f . 200

148

Ebd. 120.

werden", wie er es selbst 1 7 9 1 in der Freitagsgesellschaft geübt hatte, als er die Vossische Homer-Übersetzung mit großem Erfolg vorlas 149 . Im Grunde beruhen die drei Naturgattungen für Goethe nicht mehr so sehr auf ästhetischen Kategorien als vielmehr auf Anlagen, Temperamenten, Erlebnis- und Verhaltensweisen, also auf biologisch-charakterologischen und psychologischen Gegebenheiten. Eine Anmerkung zu „Rameau's N e f f e " schließt mit einer höchst merkwürdigen Wendung, die in Goethes Anschauungen geradezu Epoche macht: „Wohl findet sich bei den Griechen, so wie bei manchen Römern eine sehr geschmackvolle Sonderung und Läuterung der verschiedenen Dichtarten, aber uns Nordländer kann man auf jene Muster nicht ausschließlich hinweisen. W i r haben uns andrer Voreltern zu rühmen und haben manch anderes Vorbild im Auge. Wäre nicht durch die romantische Wendung ungebildeter Jahrhunderte das Ungeheure mit dem Abgeschmackten in Berührung gekommen, woher hätten wir einen Hamlet, einen Lear, eine Anbetung des Kreuzes, einen standhaften Prinzen 1 5 0 ?" Eben hatte Goethe die Kunstanschauung der Klassik im Winckelmann-Aufsatz an einem großartigen Beispiel dargeboten. Hier nun öffnet sich, vorerst f ü r einen Augenblick, die klassische Haltung. Neue Formen und Erlebniswelten treten ins Gesichtsfeld, auf dem Shakespeare ja von je eine bedeutende Stelle eingeräumt war. Die Polarität antik-modern, klassisch-romantisch, beginnt, wirksam zu werden. Das entscheidende Moment, das die Pole trennt, ist in den von Goethe angeführten Beispielen der Gehalt. Es ist zugleich dasjenige, dessen Wesenheit in der Diskussion über Stoff und Form durch theoretische Besinnung am wenigsten erhellt wird. „Der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstandes" ist dabei trotzdem „der A n f a n g und das Ende der Kunst" 1 5 1 . „Die N o t wendigkeit eines entschiedenen Gehaltes, man nenne ihn Idee oder Begriff, wird allgemein anerkannt" 1 5 2 . Das wird auch nicht dadurch widerlegt, daß Goethe sich, wie erinnerlich, dagegen verwahrt, im Tasso oder im „Faust" eine „Idee" zur Anschauung gebracht zu haben 153 . Er hat auch eine viel konkretere Bestimmung bereit, denn Tasso sei Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch, Faust aber die Darstellung „eines reichen, bunten und höchst mannigfal149 W 2. 15° W 152 W 14

I ) 42/2, 455 f. Vgl. dazu die Briefe Goethes an Schiller vom 27. X I . und X I I . 1794 sowie Schillers Brief vom 29. X I . 1794. I, 4$, 176. 1=1 W I , 27, 105. I, 42/2, 442. 153 z u Eckermann 6. V. 1827.

Koch, Gedankenform

201

tigen Lebens". Als er der Einladung der bayerischen Regierung, für die Deutschen ein Buch historischen Inhalts zusammenzustellen, Folge leistet und ein Schema dafür aufstellt, da beschäftigt ihn zunächst und vor allem die Frage nach dem Inhalt. Denn „was auf die Menge wirken soll, muß einen tüchtigen Gehalt haben. Alle ungebildeten Menschen werden durch den Stoff, nicht durch die Behandlung interessiert. Daher muß der Stoff eines solchen "Werkes bedeutend sein. Man müßte ihn durchaus schon Gehalt nennen können. Er müßte einen selbständigen Wert, eine Anlage zur Form haben, ja schon geformt sein, seine Form mit sich bringen, und eine höchst naive Behandlung müßte ihm genügen154." Hier fallen Stoff, Gehalt und Form gleichsam von vornherein zusammen, so daß der „Behandlung" kaum etwas zu tun übrigbleibt. Goethe denkt dabei an einen „begebenheitlichen (historischen, faktischen) Stoff". „Die Tiefen der menschlichen Natur und Schicksale" müßten in einem solchen Werke in Beispielen dargestellt werden. Freilich, „einen glücklichen Gehalt wie der homerische", der für Goethe offenbar die Forderung einer apriorischen Einheit von Stoff, Form und Gehalt erfüllt, „kann keine Nation mehr hoffen". Aber auch die Bibel, die Goethe als ein Volksbuch ansieht, biete „die höchste Form einer solchen Sammlung", könne als Vorbild dienen, da ein Gehalt, der mit dem biblischen wetteifern könne, vor den Deutschen liege. Es gelte nur, ihn aufzunehmen, doch dabei immer auf den Charakter des Volkes zu wirken, während die Bibel „die Form als Symbol" gebe. Was weiter an Notizen zu dem Thema vorhanden ist, gibt in Schlagworten einen Überblick über die Geschichte der Juden, des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert, wobei vermutlich auch Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte" vorgeschwebt haben dürften. Doch war das Unternehmen zu breit und umfassend angelegt, als daß Goethe hätte daran denken können, es zu vollenden, und so blieb das geplante „Volksbuch" leider liegen. Aus allem aber wird auch deutlich, daß mit dem Worte Gehalt sich kein fest umrissener Begriff verbindet, er nicht gegen Stoff und Inhalt richtig abgegrenzt wird, wobei an Historisches, also durch Geschichte und als Geschichte Vorgeformtes gedacht ist. Als ein Mittel, den Gehalt einer Dichtung sozusagen herauszudestillieren, empfiehlt Goethe, die Versform in Prosa zu übertragen. „Ich ehre", sagt er in „Dichtung und Wahrheit", als er auf Wielands Shakespeare-Übersetzung zu sprechen kommt, „den 15-» WI, 42/2, 418. 202

Rhythmus wie den Reim, wodurch Poesie erst zur Poesie wird, aber das eigentlich tief und gründlich Wirksame, das wahrhaft Ausbildende und Fördernde ist dasjenige, was vom Dichter übrigbleibt, wenn er in Prosa übersetzt wird. Dann bleibt der reine vollkommene Gehalt, den uns ein blendendes Äußere oft, wenn er fehlt, vorzuspiegeln weiß, und wenn er gegenwärtig ist, verdeckt"155. Denn, „um Prosa zu schreiben, muß man etwas zu sagen haben; wer aber nichts zu sagen hat, der kann doch Verse und Reime machen, wo denn ein Wort das andere gibt und zuletzt etwas herauskommt, was zwar nichts ist, aber doch aussieht, als wäre es etwas"156. Dieser Anschauung, die zugleich eine entschiedene Absage an jede Art von Ästhetizismus beinhaltet, entspricht, daß in der bildenden Kunst am Ende doch Nachahmung der Natur die Basis bildet. „Jedes bedeutende Dichtwerk, besonders auch das epische", verlangt Goethe, müsse „einmal in Prosa übersetzt werden". Vor allem das Nibelungenlied, „so daß der Gehalt in ganzer Kraft und Macht vor die Seele träte, und dem Geiste von einer neuen Seite zur Erscheinung käme" 157 . Hier wird deutlich, was Goethe unter Gehalt eigentlich versteht, nämlich die auf Gemüt und Seele, auf den Charakter wirkende Kraft einer Dichtung. Deutlich unterscheidet er subjektiven und objektiven Gehalt, den Gehalt, der in der Persönlichkeit des Dichters liegt und den der Gegenstand mit sich bringt. Wie aber Stoff, Form und Gehalt sich ineinander schicken, darüber bleiben wir unbelehrt, das bleibt ein Geheimnis selbst für den, der es besitzt. „Aber das ist ja eben das Künstlergenie, das ist das Künstlertalent, daß es anzuschauen, festzuhalten, zu verallgemeinen, zu symbolisieren, zu charakterisieren weiß, und zwar in jedem Teile der Kunst, . . . daß es eine Methode besitzt, nach welcher es die Gegenstände behandelt, eine sowohl geistige als praktisch mechanische Methode, wodurch es den beweglichsten Gegenstand festzuhalten, zu determinieren und ihm eine Einheit und Wahrheit der künstlichen Existenz zu geben weiß158." Goethe sieht das Kunstgeschehen genauso antinomisch wie das Naturgeschehen. Das Geheimnis „dreifacher Strahlen, die aus einem Punkte dringen"159, aber erschließt sich ihm nicht. „Ich glaubte an Gott und die Natur", gesteht er Eckermann160, „und an den Sieg des Edlen über das Schlechte. Aber das war den frommen Seelen iss w i> 2g) 73. WI, 42/2, 474. i » W I , 16, 174.

156 z u Eikermann 29. I. 1827. iss w i , 45, 299 f. IM 4. I.1824. 203,

nicht genug. Ich sollte auch glauben, daß drei Eins sei und Eins drei, das aber widerstrebte dem Wahrheitsgefühl meiner Seele; - er hätte auch sagen können seiner Gedankenform - auch sah ich nicht ein, daß mir damit auch nur im mindesten wäre geholfen gewesen". „In der Kunst und Poesie ist die Persönlichkeit alles161." Junge Dichter belehrt er darüber, „wie der Mensch von innen heraus leben, der Künstler von innen heraus wirken müsse, indem er, gebärde er sich, wie er will, immer nur sein Individuum zutage fördern wird" 162 . Darum rät er: „Man halte sich ans fortschreitende Leben und prüfe sich bei Gelegenheiten; denn da beweist sich's im Augenblick, ob wir lebendig sind, und bei späterer Betrachtung, ob wir lebendig waren", denn im Leben entfaltet und erweist sich der Gehalt eines Menschen. In diesem Sinne ist gehaltvolle Dichtung immer auch Selbstenthüllung, Konfession: „Die Gabe der Dichtkunst hat das Eigne besonders darin, daß sie den Besitzer nötigt, sich selbst zu enthüllen. Dichterische Äußerungen sind unwillkürliche Bekenntnisse, in welchen unser Innres sich aufschließt und zugleich unsre Verhältnisse nach außen sich ergeben163. Es ist die große Persönlichkeit, „das große Talent, das einem reichen Stoffe den menschlichen Gehalt abzugewinnen, die gehörigsten Einzelheiten durchzuarbeiten und jede Situation bis aufs höchste zu steigern vermag" 164 . Aber um den einem Stoffe einwohnenden Gehalt auszuschöpfen, muß der Künstler erst selbst „etwas sein", muß er subjektiven Gehalt haben. Was „bei schon im allgemeinen bekannten Dingen" dem Leser noch im besonderen als etwas neues Erfreuliches aufgeht, gehört dann „eigentlich" dem Dichter an, „geht es doch mit allem so, was irgend einen Gehalt darbietet oder hinter sich hat" 165 . Mit fortschreitendem Alter Goethes gewinnt der Gehalt wachsende Bedeutung. Bei seiner in der Jugend verfaßten Joseph-Dichtung habe er, erzählt er in „Dichtung und Wahrheit", nicht bedacht, daß hierzu ein Gehalt nötig sei, und daß dieser uns nur durch das Gewahrwerden der Erfahrung selbst entspringen könne" 166 . „Bei einer gewissen Fazilität des rhythmischen Ausdrucks" sollen junge Dichter sich selbst beobachten, auf daß sie „auch immer an Gehalt mehr gewinnen", „poetischer Gehalt aber ist Gehalt des eigenen Lebens"167. Darum findet nur der ihn, „der etwas dazuzutun hat". 161

162 zu Eckermann 13. II. 1 8 3 1 . W I, 42/2, 106. an König Ludwig I. von Bayern 14. I V . 1829. an Ottilie von Goethe 18. V I I I . 1828. 165 a i l C . L. J . Iken 27. I X . 1827. W I, 2 6 , 223. 167 W I, 42/2, 107. 163

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Als „eine tiefschürfende, energische Natur befriedigt der Dichter die unerläßliche Forderung an inneren Gehalt durch treues Anschauen, liebevolles Beharren, durch Absonderung der Zustände, durch Behandlung eines jeden Zustandes in sich als eines Ganzen168. Hier fällt für einen Augenblick etwas Licht auf das Wie der dichterischen Ineinsbildung. Dagegen führt Gehalt ohne Methode „zur Schwärmerei, Methode ohne Gehalt zum leeren Klügeln, Stoff ohne Form zum beschwerlichen Wissen, Form ohne Stoff zu einem hohlen Wähnen" 169 . Der Aufsatz „Epoche der forcierten Talente" geht den in dieser Maxime angedeuteten Gefahren näher nach. Die beiden Enden der Dichtkunst sind gegeben: „entschiedener Gehalt dem Verstände, Technik dem Geschmack". Gemeint ist damit „die äußere und letzte Ausführung", die durch die von Voss verbesserte Rhythmik sehr erleichtert worden sei. Trotzdem bleibe zwischen dem gewählten Gegenstand und der letzten technischen Ausführung eine große Kluft, die nur unzulänglich von diesen forcierten Talenten ausgefüllt werde, da „nun jedermann glaubte, diesen Zwischenraum ausfüllen und also Poet sein zu können" 170 . Mangel an persönlichem Gehalt einer Dichtung muß daher auf einen Mangel im Wesen des Dichters zurückgehen. Goethe demonstriert das an Platens Schauspielen. Sie seien geistreich und in gewisser Hinsicht sogar vollendet, doch „fehlt ihnen ein spezifisches Gewicht, eine gewisse Schwere des Gehalts. Sie sind nicht derart, um im Gemüt des Lesers ein tiefes und nachwirkendes Interesse zu erregen, vielmehr berühren sie die Seiten des Innern nur leicht und vorübereilend. Sie gleichen dem Kork, der, auf dem Wasser schwimmend, keinen Eindruck macht, sondern von der Oberfläche sehr leicht getragen wird 171 ." Wie so oft gibt Goethe auch hier, scheinbar nur nebenbei, entscheidende Aufschlüsse; denn er definiert, was er unter Gehalt verstanden wissen will, wenn er fortfährt: „Der Deutsche verlangt einen gewissen Ernst, eine gewisse Größe der Gesinnung, eine gewisse Fülle des Innern, weshalb denn auch Schiller von allen so hoch gehalten wird." Goethe zweifelt nicht an Platens dichterischer Substanz, er entwickelte „eine reiche Bildung, Geist, treffenden Witz und sehr viele künstlerische Vollendung, allein damit ist es, besonders bei uns Deutschen, nicht getan". In einem späteren Gespräch legt er den Finger auf die Wunde: Platen fehlt „die Liebe. — Er liebt so wenig seine Leser und seine Mitpoeten als sich selber, und so kommt man in den Fall, auch

w s w I ) 4 o , 277. 170 W I, 42/2, 442 f.

171

w II, 3, 137. Eckermann 30. III. 1824.

zu

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auf ihn den Spruch des Apostels anzuwenden: Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle 172 ." Da Goethe der Überzeugung ist, daß das Herz den Gehalt liefert, konnte er zu keinem anderen Urteil gelangen. So billigt er umgekehrt Beranger den „Gehalt einer bedeutenden Persönlichkeit" zu, da dieser „immer nur aus dem Kern seiner eigenen Natur heraus" gewirkt habe, dessen „eigenes Innere mit dem des Volkes in Harmonie stand" 173 . „Es hat ihn nie verleitet, etwas anderes auszusprechen, als was bereits in seinem eigenen Herzen lebte." Der objektive Gehalt haftet dem Gegenstande, dem Stoffe an. Was Goethe darunter versteht, erläutert sein Urteil überLessings „Minna von Barnhelm", der er nachrühmt, es sei das erste Stück von „temporärem", also historischem Gehalt. Er hat sich näher darüber im siebten Budie von „Dichtung und "Wahrheit" ausgesprochen: „Der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Taten des siebenjährigen Krieges in die deutsche Dichtung. Jede Nationaldichtung muß schal sein und schal werden, die nicht auf dem Menschlich-Ersten ruht, auf den Ereignissen der Völker und ihrer Hirten, wenn beide für einen Mann stehen." „Der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstandes ist der Anfang und das Ende der Kunst." Man werde zwar nicht leugnen, daß das Genie, das ausgebildete Kunsttalent, durch Behandlung aus allem alles machen und den widerspenstigsten Stoff bezwingen könne. „Genau besehen entsteht aber alsdann immer mehr ein Kunststück als ein Kunstwerk, welches auf einem würdigen Gegenstande ruhen soll, damit uns zuletzt die Behandlung durch Geschick, Mühe und Fleiß die Würde des Stoffes nur desto glücklicher und herrlicher entgegenbringe 174 ." Der Kreis schließt sich, der Gehalt nähert sich hier wieder dem Stoff, dem Gegenstand, von dem die Diskussion der Weimarer Kunstfreunde ausgegangen war. Der Satz aus dem ersten Faust-Paralipomeneon: „Gehalt bringt die Form mit, Form ist nie ohne Gehalt" und die Verse aus der „Pandora": Und einzig veredelt die Form den Gehalt, Verleiht ihm, verleiht sich die höchste Gewalt 175 172

173

zu Eikermann 2j. X I I . 1825. Stefan George bemerkt zu diesem Urteil Goethes: „Platen wäre weniger lieblos als dünn": E. Landmann, Gesprädie mit Stefan George. Düsseldorf 1963, S. 124. zu Eckermann 14. III. 1830. ™ W I , 27, 10$. v 676 f.

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stellen Form und Gehalt einander genauso polar gegenüber, wie das mit Stoff und Form geschah. Die Ursache dafür liegt in der polaren Denkform Goethes. Die Dreiheit Stoff, Form, Gehalt zerfällt im Laufe der methodischen Betrachtung in die zwei Polaritäten Stoff und Form, sowie Gehalt und Form. Einen gewissen Ersatz für eine systematische Durchdringung des Problems bietet die Kunstnovelle „Der Sammler und die Seinigen", die am Ende ja in ein vom „Philosophen" verfaßtes Schema ausläuft, das die bildenden Künstler nach ihrer Art des „Behandeins" in sechs Klassen einteilt und zwar so, daß am Ende je zwei und zwei einander polar gegenüberstehen. Die erste Klasse bildet gleichsam die Base aller Kunst, es sind dies die Nachahmer. Ihnen fehlt die Kunstwahrheit als schöner Schein. Den Gegenpol besetzen die Imaginanten, auch, weil sie mit dem Dichter wetteifern, Poetisierer, Scheinmänner, Phantasmisten, Nebulisten, Schwebler und Nebler genannt. Sie streben dem Scheine nach, ohne sich darum zu kümmern, inwiefern dem Anschauen genug getan wird, „ihnen fehlt Kunstwahrheit als schöne Wirklichkeit" 176 . Zur zweiten Klasse gehören die Charakteristiker oder Rigoristen, Skelettisten, Winkler, Steife, denen Goethe wie den Nachahmern nicht ohne Sympathie begegnet, weil ihre Reduktion auf Begriffe immer etwas begründe, zu etwas führe, freilich auf Kosten der „schönen Leichtigkeit", ohne welche kein Kunstwerk zu denken sei. Die Undulisten oder Schlängler, ihr Gegensatz, lieben „das Weichere und Gefällige ohne Charakter und Bedeutung", „wodurch denn zuletzt höchstens eine gleichgültige Anmut entsteht" 177 . An ihnen vermißt man Bedeutung und Kraft. Der fünften Klasse, den Kleinkünstlern, Miniaturisten, Pünktlern und Punktierern, mangelt es ganz und gar an Geist, an Gefühl für Ganzheit und Einheit. Ihr polares Gegenüber, die Skizzisten oder Entwerfer, sind umgekehrt nur Geist. „Hier ist nicht mehr von Zeichnung, von Proportion, von Formen, Charakter, Ausdruck, Zusammenstellung, Übereinstimmung, Ausführung die Rede, sondern ein Schein von allem tritt an die Stelle. Der Geist spricht zum Geiste, und das Mittel, wodurch es geschehen sollte, wird zu nichte178." Als man so weit ist, fängt man an, die Klassen miteinander zu verbinden und durcheinanderzumischen. Es fehlt nur noch der Vorschlag, sie wie die Farben oder die Dichtungsgattungen einem Kreise einzuordnen und die Übergänge zu interw I , 47, 196. 178 E b d . 203.

177 E b d . 200.

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polieren, um die möglichen Mischungen recht anschaulich zu machen. Auf diesem empirischen Seitenwege gelingt es Goethe in seiner polarisierenden Weise, die Möglichkeit der Vereinigung der drei Haupterfordernisse eines Kunstwerkes, Kunstwahrheit, Schönheit und Vollendung, wenigstens zu illustrieren und sie dem Ganzen seiner Welt- und Kunstanschauung, der lebendigen Unmittelbarkeit seiner Gegenwart einzubauen. Gleichsam spielend ist damit aber auch eine Art Regelkodex gewonnen, um den ja Goethe schon seit seiner Entdeckung der inneren Form, die ja auch ein Regelndes ist, als um den festen Boden der neuen, den alten Bindungen entwachsenen Künste ringt, das neue „Fundament" 179 , auf dem sich Objekt und Subjekt der neuen Kunst zusammenfinden. Erhalten bleibt dabei auch in der Kunsttheorie des greisen Goethe das polare Walten der künstlerischen Kräfte: Der Gedanke, das Entwerfen, Die Gestalten, ihr Bezug, Eines wird das andre schärfen Und am Ende sei's genug! Wohl erfunden, klug ersonnen, Schön gebildet, zart vollbracht, So von jeher hat gewonnen Künstler kunstreich seine Macht180. Eine ergänzende Beleuchtung erhält das Bild des Künstlers vom Dilettantismus her, denn auch zwischen Künstlern und Dilettanten besteht eine grundsätzliche Polarität, die Goethe in einem umfangreichen Schema über den Dilettantismus unter der Mitarbeit Schillers nach allen Seiten hin durchdacht hat. Es sollte wie die Einleitung zu den Propyläen eine programmatische Kundgebung der klassischen Ästhetik und Poetik werden, blieb jedoch, als die Propyläen ihr Erscheinen einstellen mußten, in der schematischen Form tabellarischer Behandlung Stedten. Im ganzen darf das Schema wohl als ein Werk Goethes betrachtet werden, als eine Quelle auch seiner ästhetischen Anschauungen, da ja alle Mängel, die dem Dilettanten angelastet werden, umgekehrt positive Aussagen über den Künstler darstellen" 1 . Gestaltet hat er das Problem, das ihm ja als bildendem Künstler auch selbst auf den Nägeln brannte, im MeisterRoman. Dessen Anfänge entsprangen ja „aus einem dunklen Vor179 w I, 30, 237. 18

W I , 3, 1 1 5 .

i Vgl. G . Baumann, Goethe. Uber den Dilettantismus: Euphorion, Bd. 46, Jgg- I 9 J 2 . S. 246-69.

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gefühl der großen "Wahrheit, daß der Mensch oft etwas versuchen möchte, wozu ihm Anlage von der Natur versagt ist, unternehmen und ausüben möchte, wozu ihm Fertigkeit nicht werden kann; ein inneres Gefühl warnt ihn abzustehen, er kann aber mit sich nicht ins klare kommen und wird auf falschem Wege zu falschem Zwecke getrieben, ohne daß er weiß, wie es zugeht. Hiezu kann alles gerechnet werden, was man falsche Tendenz, Dilettantismus usw. genannt hat. Geht ihm hierüber von Zeit zu Zeit ein halbes Licht auf, so entsteht ein Gefühl, das an Verzweiflung grenzt und doch läßt er sich wieder gelegentlich von der "Welle, nur halb widerstrebend, fortreißen. Gar viele vergeuden hiedurch den schönsten Teil ihres Lebens und verfallen zuletzt in einen wundersamen Trübsinn. Und doch ist es möglich, daß alle die falschen Schritte zu einem unschätzbaren Guten hinführen 132 ." Auch in dem genannten Schema versucht Goethe eine Art von Synthese, wenn er auch dem Nutzen des Dilettierens gerecht zu werden sucht. Je älter er aber wird, um so strenger werden auch seine Urteile über den Dilettantismus, der für ihn Subjektivismus ist, gegen den er die Rechte des Objekts, des „Gegenstandes", immer energischer verteidigt. Die Methode, mit der er die einzelnen Künste, wie Poesie, Musik, Tanz, Zeichnung, Malerei, Skulptur, Architektur, Gartenkunst und Theater, behandelt, ist durchaus polarisierend, wenn jeweils Nutzen und Schaden untersucht werden, und hier wiederum „fürs Subjekt" und „fürs Ganze", sodann für die „alte", dann für die „neue" Kunst, endlich in „Deutschland" bzw. im „Ausland". Besonderes Gewicht erhalten diese Überlegungen und Aufzeichnungen durch die Besorgnis, mit der Goethe in die Zukunft blickt. Er sieht in der subjektivistischen und individualistischen Dichtung etwas Pathologisches. „Dauer" verbürgt ihm nur die Gesetzlichkeit der Form, und gerade dagegen sündigt der Dilettant. Ihm liegt nicht an der Kunst als solcher, sondern an ihren Zwecken und Absichten. Daß der Dilettant immer mehr von der „Wahrheit der Gegenstände" abkommt, ist der schwerste Vorwurf, den der gegenständliche Dichter gegen eine Dichtung erheben konnte, die sich nicht „im Sein beglückt" erhielt. Gesetzlichkeit der Form wird zum Spiel mit Formen, Kunst wird Artistik, wird Virtuosentum, die Ganzheit von Gestalt und Gehalt geht verloren. Man nimmt vorlieb mit dem Gefälligen, Reizenden, mit Kunst-Ersatz. Gerade das, was die höchsten ästhetischen Ansprüche zu stellen scheint, entpuppt sich "2 w i ,

35( 8 .

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als bloß artistisch, spielerisch, unkünstlerisch, eine Polarität, die dem Gegensatz klassisch-romantisch, antik-modern, wie Goethe ihn mit steigendem Alter immer strenger versteht, zum Grunde liegt. Hat er aber nicht selbst zuweilen dem Dilettantismus das Wort geredet? Vielleicht wird nirgends die polare Struktur seines Wesens so auffällig wie dort, wo er sich als Kritiker der Dichtungen von Zeitgenossen betätigt. Den ersten Blick wird immer die scheinbar unüberbrückbare Kluft bestürzen zwischen der Beurteilung eines Hölderlin, Kleist, Hoffmann, der Romantiker auf der einen Seite und der sogenannten „Naturdichter", eines A. Fürnstein, G. Hiller, J . K . Grübel, auf der anderen; von Erzeugnissen wie „Der deutsche Gil Blas" von J . Chr. Sachse, von Hägens „Olfried und Lisena", Namen und Werken, die sich nur durch Goethes Besprechungen wie die Mücke im Bernstein erhielten. Mit welch einfühlender Liebe und Sorgfalt geht er auf die Gedichte Vossens, Hebels, auf Arnolds „Pfingstmontag" ein! Wie hart, ja ungerecht wird Kleist zurückgestoßen, „Der zerbrochene Krug" fallen gelassen. Die letzte Ursache dafür liegt nicht etwa im Gegensatz von Natur und Unnatur, obwohl das auch mit im Spiel ist, wenn „das frische unbedingte Leben" 133 , das „Augenblickliche" gelobt, wenn hervorgehoben wird, daß von öffentlichen Dingen so erst „wahrhaft historisch, und anschaulich zugleich" gesprochen werde, wenn „Gegenwart der offenen Natur, Behagen sich beschränkender Geselligkeit" 1 ® 4 gerühmt werden. Die letzte Ursache dafür liegt tief im Wesen Goethes selber, seiner wachsenden Sorge um die Zukunft, die ja seit Beginn der Revolution in ihm rege ist. Am aufschlußreichsten für diese Art von Kritik ist vielleicht sein Urteil über Johann Christoph Sachses Selbstbiographie „Der deutsche Gil Blas", die er im Manuskript kennenlernte, zum Druck empfahl und dann noch mit einem Vorwort einleitete. Eine „Bibel der Bedienten und Handwerksburschen"" 5 nennt er das Werk. „Zu allgemeinen frommen Betrachtungen aufgefordert", fange Sachses Erzählkunst dabei zu sprudeln an und fänden eigene Erlebnisse, „obgleich nicht ganz am Ort, ein Räumchen". Ein menschlich liebenswerter Zug im Wesen Goethes wird da sichtbar, sein herzlich sich einfühlendes Verständnis für die „unteren Stände", für den kleinen Mann, den armen Teufel, der „seine rechtlich-bürgerlichen Anlagen nicht verleugnen kann" und so „jederzeit seinen Zustand, wenn er streng sittlich und pflichtiM W I , 4 2 / 1 , 107. i»s w 1 , 4 1 / 1 , 257.

210

im w i , 4 1 / 2 , 50.

gemäß handeln will", verdirbt. „Der gute ruhige Vortrag von immer menschlich bedeutenden, wenn auch nicht wichtigen Ereignissen", entscheidet, „denn man glaubt doch zuletzt eine moralische Weltordnung zu erblicken, welche Mittel und Wege kennt, einen im Grunde guten, fähigen, rührigen, ja unruhigen Menschen auf diesen Erdenräumen zu beschäftigen, zu prüfen, zu ernähren, zu erhalten, ihn zuletzt durch Ausbildung zu beschwichtigen und mit einer geringen Ruhestelle für seine Leiden zu entschädigen". Von solchen Werken verlangt Goethe nicht „die innere Konsequenz" einer kunstgemäßen Dichtung, jene Ganzheit, die das Leben des Menschen nun einmal nicht hat. Trotzdem dürfe man ein Menschenleben nicht verächtlich behandeln, „weil es offenbar im Leben aufs Leben und nicht auf ein Resultat desselben ankommt und wir den Geringsten mit Achtung anzusehen haben, wenn wir in seiner einfachen Geschichte bemerken, daß eine höhere Hand sich vorbehalten hat, unsichtbar einzugreifen und dem Verdüsterten, Trübseligen, im Augenblick Hilflosen über einige Schritte hinweg auf eine glatte Bahn zu helfen" 186 . Auch dieses herzliche Verständnis für den kleinen Mann ist ja kein neuer Zug in Goethes Wesen. Als in der Frankfurter Judengasse Feuer ausbricht, eilt er zu Hilfe und lernt bei dieser Gelegenheit „das gemeine Volk" näher kennen und ist „aber und abermal vergewissert worden, daß das doch die besten Menschen sind" 187 . Aus Goslar schreibt er nach der Besteigung des Brocken an die Freundin: „Wie sehr ich wieder auf diesem dunklen Zug, Liebe zu der Classe von Menschen gekriegt habe, die man die niedre nennt!, die aber gewiß für Gott die höchste ist 188 ." Es sind also gar nicht ästhetische Kriterien, die Goethes literarisches Urteil in solchen und ähnlichen Fällen bestimmen. Das absolut Reale, Gegenständliche, in seiner Plastizität der Antike verwandt, das Greiflich-Tüchtighafte, Gesunde der Volksdichtung ist es, was ihn an dieser Art Literatur Gefallen finden ließ. Sie ist der Gegensatz dessen, was er in seiner Gegenwart zu finden glaubte. Wenn er das sittliche Moment im Gehalte eigens hervorhebt, so ist auch dies in keiner Weise als Tendenz gemeint. Wie das große, echte Kunstwerk für Goethe, ohne dem sittlichen Gebote zu unterstehen, doch niemals der Sittlichkeit widersprechen wird, ist das Moralische hier mit dem Gesunden, Tüchtigen, das Leben Meisternden, im Kerne verbunden. Was Goethe in dem geplanten Volksbuche zur 18« W I , 42/1, 91 f. it>7 a n G. F. E. Schönborn 1. VI.-4. VII. 1774. 188 4. X I I . 1777. Ähnlich an H. v. Einsiedel 29. XII. 1779.

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Geltung bringen will, den unzerstörbaren, lebendigen Kern des Volkes, das findet und schätzt er an solchen, vom Leben des Volkes kündenden und gesättigten Darstellungen. Wo Stoff, Form und Gehalt sich zur Dreieinheit durchdringen, erreicht die Kunst ihren höchsten Grad. Sie hat dann „Stil". „Gelangt die Kunst durch Nachahmung der Natur, durch Bemühung, sich eine allgemeine Sprache zu machen, durch genaues und tiefes Studium der Gegenstände selbst endlich dahin, daß sie die Eigenschaften der Dinge und die Art, wie sie bestehen, genau und immer genauer kennen lernt, daß sie die Reihe der Gestalten übersieht und die verschiedenen charakteristischen Formen neben einander zu stellen und nachzuahmen weiß, dann wird der Stil der höchste Grad, wohin sie gelangen kann; der Grad, wo sie sich den höchsten menschlichen Bemühungen gleichstellen darf 18 '." Der Stil ruht „auf den Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen". Auch diese Erkenntnis ist das Ergebnis gemeinschaftlicher Denkarbeit, deren Genosse diesmal Karl Philipp Moritz ist. Bei dieser Begegnung wird die Summe vorweggenommen, die dann in der Diskussion mit Schiller auf ihre einzelnen Posten, wie Gegenstand, Form und Gehalt, nachgeprüft wurde. Der Stil unterscheidet sich von der einfachen Nachahmung, die „auf dem ruhigen Dasein einer liebevollen Gegenwart beruht", und von der Manier, die „eine Erscheinung mit einem leichten, fähigen Gemüt ergreift". Mantegna rühmt Goethe, wie erinnerlich, nach, daß er nach Stil, „nach einer allgemeinen Norm der Gestalten" 190 strebe, also nach dem, was Goethe in der Naturwissenschaft Typus nannte, womit der individuelle und zugleich überindividuelle Charakter des Stils bezeichnet ist. Stil ist das Resultat einer echten Methode. Er „erhebt das Individuum zum höchsten Punkt, den die Gattung zu erreichen fähig ist; deswegen nähern sich alle großen Künstler einander in ihren besten Werken . . . Die Manier hingegen individualisiert, wenn man so sagen darf, noch das Individuum. Der Mensch, der seinen Trieben und Neigungen unaufhaltsam nachhängt, entfernt sich immer mehr von der Einheit des Ganzen1®1." Auch der Stil beruht auf Polarität, dem Wechselbezug zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen, der jeweiligen Gegenwart und der ihr zugehörigen Vergangenheit, wodurch das Kunstwerk, das Stil hat,

« 9 W I, 47. 79 fw i W I , 45. 3 i c f-

212

wo W 1 , 4 9 / x , 2 j 5 .

zugleich zum Repräsentanten einer Epoche, eines Volkes wird, eine „Ubereinstimmung" ausdrückt, „wodurch die Individualitäten im Rechten und Guten immer näher aneinander gerückt und eben dadurch mehr herausgehoben, mehr begünstigt werden, als wenn sie sich durch seltsame Eigentümlichkeiten karikaturmäßig von einander zu entfernen streben" 192 . Stil erhebt sich aus dem Zusammen- und Ineinanderwirken von individueller Leistung und überindividueller Überlieferung, ob das nun bewußt oder unbewußt, „offenbar und gewissenhaft" oder „heimlich und gewissenlos" geschieht. In diesem Zusammenhang gehört die von Riemer überlieferte Äußerung Goethes über sich selber bei Gelegenheit des Wilhelm Meister, „daß nur die Jugend die Varietät und Spezifikation, das Alter aber die genera und familias habe". An sich und Tizian, der zuletzt den Sammt nur symbolisch gemalt, habe er das gezeigt. In der Natürlichen Tochter und der Pandora sei er „ins Generische" gegangen, im Meister sei noch die Varietät. „Das N a t u r gemäße daran! Die N a t u r sei streng in generibus und familiis und nur in der species erlaube sie sich Varietäten. D a ß es gelben und weißen Krokus gebe, das sei eben ihr Spaß. Oben und höher hinaus müsse sie's wohl bleiben lassen. Dies ist dasselbe, was er anderswo so ausdrückte, daß die höheren Organisationen weniger Freiheit hätten, sondern viel bedingter und eingeschränkter wären, die Vern u n f t lasse die wenigste Freiheit zu und sei despotisch 193 ." Das ist ganz biologisch und morphologisch gedacht: Stil als typisierender Formwille, und das verbindet Goethes ästhetische Gedanken wiederum aufs engste mit seinen naturwissenschaftlichen Überzeugungen. Als normierende K r a f t , als vis centripeta, verwirklicht sich der Stil jeweils so, daß mit steigendem Alter sich der Abstand vom Urbild verkleinert, während der Bildungstrieb der Jugend, die vis centrifuga, sich dem andern Pole der Varietät und Spezifikation, dem Charakteristischen nähert. In der Jugend, im Hymnus auf das Straßburger Münster war die charakteristische Kunst „die einzig wahre", „ganz und lebendig", wirkend „aus inniger, einziger, eigner, selbständiger Empfindung" 194 , eine Anschauung, die im Bekenntnis zur inneren Form gipfelte. Charakteristische Kunst und innere Form gehören zusammen. Dem steht das klassische Dogma der „Weimarer Kunstfreunde" von der „schönen" Kunst polar

192

W II, 3, 123. W I , 37, 149.

i « 4 . IV. 1814.

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gegenüber. Der Gegensatz wird offenbar im Streite über Laokoon 195 . Der Archäologe Alois Hirt, den Goethe in Italien kennengelernt hatte, seit 1795 Professor an der Akademie der Künste in Berlin, hatte 1797 in Schillers „Hören" einen Aufsatz über Laokoon veröffentlicht, worin er die Forderung erhoben hatte, die Kunst müsse charakteristisch sein, was er an der Laokoon-Gruppe zu erweisen suchte, womit auch Winckelmanns Anschauung von der hohen Einfalt und stillen Größe der griechischen Kunst getroffen war. Goethe nimmt in seinem Aufsatze eine vermittelnde Stellung ein, lehnt aber Hirts Gleichsetzung von Wahrheit und Schönheit in dessen Begriff der charakteristischen Kunst ab und kommt zu dem Ergebnis, daß im Laokoon in der Darstellung des prägnantesten Momentes ein höchstes Maß von geistig-sinnlicher Ganzheit geschaffen sei. Die Auseinandersetzung geht in der Kunstnovelle „Der Sammler und die Seinigen" weiter, wo „der Gast" Hirts Thesen, der Oheim diejenigen Goethes vermittelt. Hirts Charakteristisches wird da so weit anerkannt, daß jedes treffliche Kunstwerk auch Charaktere darstelle. Das Charakteristische liege dem Schönen allenfalls zugrunde, sei aber nicht mit ihm identisch. Der Charakter verhalte sich zum Schönen „wie ein Skelett zum lebendigen Menschen". „Niemand wird leugnen, daß der Knochenbau zum Grunde aller hochorganisierten Gestalten liege, er begründet, er bestimmt die Gestalt, er ist aber nicht die Gestalt selbst und noch weniger bewirkt er die letzte Erscheinung, die wir, als Inbegriff und Hülle eines organischen Ganzen, Schönheit nennen196." Goethe spricht hier als „der würdigste Kenner, dem die Götter die Natur samt der Kunst zum Königreich gegeben", wie ihn Schelling rühmt in seiner Rede „Über die bildende Kunst und Natur", wo er das Skelett-Gleichnis aufnimmt. Nach der Farbenlehre entsteht das Charakteristische dadurch, „daß es als ein Teil aus einem Ganzen heraustritt, mit welchem es ein Verhältnis hat, ohne sich darin aufzulösen" 197 . In dieser Möglichkeit der Verabsolutierung des Teiles auf Kosten des Ganzen sah Goethe eine Gefahr. Denn „man kann mit Verstand 195 Vgl. F. Denk, Das Kunstschöne und das Charakteristische von Winckelmann bis Friedrich Schlegel. Diss. München 191 j. - H . v. Einem in Bd. 12 der H a m burger Goethe-Ausgabe. - B. v. Hagen, Goethes Beitrag zur Deutung des Laokoon: Goethe 14./1 y. Bd. 1952/53, S. 3 0 2 - 0 7 . - Sechs Briefe von Hirt und vier Briefe Goethes an H i r t mit Kommentar von L. Geiger: G. Jb. 15, 1894, S. 68 ff. - H . Keller, Goethe und das Laokoon-Problem. Frauenfeld 1935: Wege zur Dichtung Bd. 21. 196

W I, 47, 159.

214

197 W II, i, 326.

und Vorsatz", wie eine Anmerkung zu „Diderots Versuch über die Malerei" lautet, „von der Harmonie abweichen und dann bringt man das Charakteristische hervor; geht man weiter, übertreibt man diese Abweichung, oder wagt man sie ohne richtiges Gefühl und bedächtige Überlegung, so entsteht die Karikatur, die endlich Fratze und völlige Disharmonie wird und wofür sich jeder Künstler sorgfältig hüten sollte" 198 . Ist doch alle Karikatur „der Triumpf des Formlosen über die Form" 199 . Der Charakteristiker vermöge nicht die ganze Kunst zu vertreten. Er befinde sich in einem doppelten Gegensatz, einmal gegenüber den Undulisten, zum andern gegenüber dem Kunstschönen. Hier ist wieder an den „wackeren" Künstler der „Novelle" zu erinnern, der erst das Charakteristische der Ruine und ihrer Umgebung umrissen hat, die Zeichnung aber dann mit aller Bequemlichkeit „ausführen" soll. Denn „die Kunst muß erst vollenden, wenn sie sich vor der Natur nicht schämen soll"200. Das Charakteristische ist da nicht mehr der Gegenpol des Kunstschönen, wohl aber seine Voraussetzung. Auch hier ist es der Naturwissenschafter Goethe, der schließlich diktiert. Wie sich in der Naturwissenschaft Typus und Individuum zueinander verhalten, so verhält sich im Gebiete der Kunst das Kunstschöne zum Charakteristischen. Das Charakteristische macht, um es mit Herders Worten zu sagen, „nicht nur Gedanken, sondern Gedankenformen, ewige Charaktere sichtbar". Es gründet "anschaubare Kategorien,, 201 . Das Gewicht hat sich in der klassischen Zeit auf Subjekt und Objekt verteilt. Darum kommt nun auch in der Kunst das in der Naturwissenschaft so entscheidende Moment Kompensation zu seinem Rechte: „Jeder Künstler, wie jeder Mensch, ist nur ein einzelnes Wesen und wird nur immer auf eine Seite hängen. Deswegen hat der Mensch auch das, was seiner Natur entgegengesetzt ist, theoretisch und praktisch, insofern es ihm möglich wird, in sich aufzunehmen202." In der Zeit, in der sich die geschlossene Form des Kunstschönen der Klassik wieder zu öffnen beginnt, nähert sich Goethe auch wieder dem anderen Pole, dem Charakteristischen, das nun neue gesteigerte Aspekte gewinnt. Darüber unterrichten die gehaltvollen, schlagwortartigen Aufzeichnungen Riemers vom 28. August 1808 „Über das antike Tragische und Romantische"203. Das Gespräch geht aus vom Gegensatz des Romantischen zum Antiken, dem, wie 198 W I, 4 5 , 3 1 2 .

199 W I , 36, 229.

200 W I, 1 8 , 3 2 2 . 202 W I , 4 7 , 30.

Mi Werke, Suphan, 1 7 , 3 4 4 . 203 G l , 584 f.

215

immer für Goethe, Ursprünglichen und Natürlichen. Das Romantische ist in allem das Gegenteil des Antiken. Es ist „ein Gemachtes, ein Gesuchtes, Gesteigertes, Übertriebenes, Bizarres, bis ins Fratzenhafte und Karikaturartige", „ein Redoutenwesen, eine Maskerade, grelle Lichterbeleuchtung", „absurd" und „phantastisch", das Antike dagegen „noch bedingt (wahrscheinlich, menschlich), das Moderne willkürlich, unmöglich". Die Polarität antik-romantisch hat sich erweitert zur Polarität antik-modern, wobei die Ausdrücke modern und romantisch noch miteinander wechseln, doch treten die Pole immer schärfer auseinander. Ist das Antike „nüchtern, modest, gemäßigt", „ein idealisiertes Reales, ein mit Großheit (Stil) und Geschmack behandeltes Reales", „plastisch, wahr und reell", so das Moderne „zügellos, betrunken", „ein Unwirkliches, Unmögliches, dem durch die Phantasie nur ein Schein des Wirklichen gegeben wird", „täuschend wie die Bilder einer Zauberlaterne, wie ein prismatisches Farbenbild, wie die atmosphärischen Farben. Nämlich eine ganz gemeine Unterlage erhält durch die romantische Behandlung einen seltsamen, wunderbaren Anstrich, wo der Anstrich eben alles ist und die Unterlage nichts". Wohl kann das Romantische, „wenn es an die Großheit der Antike grenzt wie in den Nibelungen", die Goethe ja den homerischen Epen an die Seite stellt, auch Stil haben, aber es hat keinen Geschmack. Nun nimmt das Gespräch eine unerwartete Wendung, wenn Goethe sich, ja alle Poesie überhaupt mit dem Romantischen identifiziert, wenn es so weitergeht: „Alle irdische Poesie ist immer noch zu charakteristisch, rein objektiv zu sein, d. h. noch zu individuell, nicht generell genug. Ja, was uns als reines Objekt vorkommt, ist selbst noch Individuum . . . Alle empirische Poesie, selbst die uns am meisten objektiv erscheint, die griechische oder antike, ist doch nur charakteristisch und individuell und imponiert uns nur dadurch, durch ihr streng Charakteristisches. Es ist ein erhöhtes Griechentum, was uns entgegenkommt. Alles, was uns imponieren soll, muß Charakter haben. Die Poesie an sich, ohne Charakter, ist nicht empirisch darzustellen. Das Eigne einer jeden Landes- und Volkspoesie, besonders im Dramatischen, besteht darin, daß sie auf einem Gegensatz beruht, auf einen Gegensatz hinarbeitet, gleichsam vis a vis eines Gegenstandes sich in Bezug auf ihn heraushebt." Das Ende des Gesprächs scheint seinem Anfang zu widersprechen, hat sich doch im Sprechen ein sehr bedeutender gedanklicher Prozeß vollzogen. Die Polarität antik-modern, generell-individuell ist aber nur scheinbar verschwunden. Sie hat sich in die Dichtung überhaupt zurückgezogen, ist ihr immanent geworden. 216

Allgemeines und Besonderes, allgemein und individuell Menschliches vereinigen sich in ihr zu einer polaren Spannung, ohne die sie nicht denkbar ist. Der Standpunkt, daß es keine patriotische Kunst geben könne, ist damit überholt. Es hängt mit dem Goetheschen, N a t u r und Leben wesensmäßig strukturierenden „Dualism" zusammen, daß Formulierungen, die schon im Kapitel „Kunst und N a t u r " eine Rolle spielten, unter dem Aspekte der Ästhetik und Poetik neue Bedeutung gewinnen. So handelt es sich auch hier um Polaritäten, um den Wechselbezug von, ganz allgemein gefaßt, Gehalt und Gestalt. Gestalt hatte der N a t u r forscher Goethe als das „Determinierte und Determinierende" definiert 204 , als das Ergebnis einer Wechselwirkung innerer und äußerer Faktoren. Z w a r bewegen wir uns im Räume der Kunst, einer zweiten höheren Natur. Die Gesetze der Gestaltbildung sind jedoch hier wie dort dieselben. Das Bildungsvermögen des Künstlers, des Dichters erfaßt den ihm gemäßen Stoff von innen her, der wiederum sein individuelles Sosein zur Geltung bringt. Ein Beispiel dafür bietet der Bericht Goethes aus Vicenza 205 über die Bauten des Palladio, der da als „ein recht innerlich, und von innen heraus großer Mensch" erscheint. „Die höchste Schwierigkeit, mit der dieser Mann wie alle neuern Architekten zu kämpfen hatte, ist die schickliche Anwendung der Säulenordnungen in der bürgerlichen Baukunst: denn Säulen und Mauern zu verbinden, bleibt doch immer ein Widerspruch. Aber wie er das untereinander gearbeitet hat, wie er durch die Gegenwart seiner Werke imponiert und vergessen macht, daß er überredet! Es ist wirklich etwas Göttliches in seinen Anlagen, völlig wie die Force des großen Dichters, der aus Wahrheit und Lüge ein Drittes bildet, dessen erborgtes Dasein uns bezaubert." Im Paralipomenon VI zum „Versuch einer allgemeinen Knochenlehre" stellt Goethe die Veränderlichkeit der Teile im Typus, als „Base der Mannigfaltigkeit", der Beständigkeit der Teile, der „Base der Übereinstimmung", gegenüber. „In der Balance dieser beiden Bestimmungen liegt der Grund des ganzen Mechanismus der Organisation 206 ." Solche Aufzeichnungen von Goethes Gedanken in statu nascendi geben Einblick in die genial einfache Struktur seiner Denkform. Dieser Bezug einander widerstrebender und ineinander wirkender, eben dadurch steigernder Kräfte, dieses Phänomen der Polarität wird f ü r Goethe immer wieder zum Schlüssel zu den 204 W I I , 7 , 222. 206 w

15

I I , 8, 3 4 9 .

Koch, G e d a n k e n f o r m

205 W I , 3 0 ,

7 7

.

offenbaren Geheimnissen der Natur sowie der Kunst. Das Naturgesetz, „daß in einem organischen Ganzen alle Teile auf einen Teil hinwirken und jeder auf alle wieder seinen Einfluß ausübe", gilt gleichermaßen für die Kunst. Im Gefühl wundersamer Verwandtschaft mit der Natur, eingedenk „der leichten Erregbarkeit aller Wesen, wie der mindeste Wechsel einer Bedingung, jeder Hauch gleich in den Körpern Polarität manifestiert, die eigentlich in ihnen allen schlummert"207, weiß er sich auch als Dichter aufgenommen in den polaren Rhythmus, das pulsierende Leben des Alls, seiner Wechseldauer, dankbar, daß die Gunst der Musen Unvergängliches verheißt, Den Gehalt in deinem Busen Und die Form in deinem Geist.

H 1254. 218

VI Vergangenheit und Gegenwart Im vierzehnten Buche von „Dichtung und Wahrheit" erzählt Goethe von seiner ersten Begegnung mit den Brüdern Jacobi in Köln, die trotz vorausgegangener Mißhelligkeiten „sogleich offen und zutraulich" sein konnte 1 . Sein Innerstes bricht „mit Gewalt" hervor. „Der tiefste Grund meiner Anlagen und dichterischen Fähigkeiten ward durch unendliche Herzensbewegung aufgedeckt, und alles Gute und Liebevolle, was in meinem Gemüte lag, mochte sich aufschließen und hervorbrechen". Man spürt an dem starken Gefühlsakzent der Stelle, daß es sich hier um symbolhaft Entscheidendes handelt in Goethes Gefühls- und Gedankenwelt. Es präzisiert sich denn auch als ein Gefühl, das bei ihm gewaltig überhand genommen habe und sich nicht wundersam genug äußern konnte: „die Empfindung der Vergangenheit und Gegenwart in Eins, eine Anschauung, die etwas Gespenstermäßiges in die Gegenwart brachte". Sie sei in vielen seiner kleineren und größeren Arbeiten ausgedrückt und wirke im Gedicht immer wohltätig, „ob sie gleich im Augenblick, wo sie sich unmittelbar am Leben und im Leben selbst ausdrückte, jedermann seltsam, unerklärlich, vielleicht unerfreulich scheinen mußte" 2 . Goethe verdeutlicht dieses Gefühl in der Schilderung der Wohnung des Kunstsammlers und ehemaligen Kölner Ratsherrn Everard Jabach, in der man alles noch „mit ihren früheren Tagen übereinstimmend" gefunden habe. „In dem ganzen Raum nichts Neues, nichts heutig als wir selber! Was nun aber die hiedurch wundersam aufgeregten Empfindungen überschwenglich vermehrte und vollendete, war ein großes Familiengemälde" — es stammt von Charles Lebrun - „unter dem Kamin. Der ehemalige reiche Inhaber dieser Wohnung saß mit seiner Frau, 1 W I , 28, 283. 2 Ebd. 284. Vgl. F. Koch, Goethes Stellung zu T o d und Unsterblichkeit. 1932, S. 145-187. Ferner: Vergangenheit und Gegenwart in eins. Halle 1939: Freies deutsches Hochstift Frankfurt a. M . Reihe der Vorträge und Schriften hrsgg. v. E. Beutler, Bd. 1.

219

von Kindern umgeben, abgebildet: alle gegenwartig, frisch und lebendig wie von gestern, ja von heute, und doch waren sie schon alle vorübergegangen. Auch diese frischen rundbäckigen Kinder hatten gealtert, und ohne diese kunstreiche Abbildung wäre kein Gedächtnis von ihnen übrig geblieben". Das eigene Erlebnis wiederholt sich in ähnlicher Weise an Wilhelm Meister in den Wanderjahren in der Galerie des Oheims angesichts der „köstlichen Bilder bedeutender Männer des sechzehnten Jahrhunderts in vollständiger Gegenwart, wie sie für sich leibten und lebten, ohne sich etwa im Spiegel oder im Zuschauer zu beschauen, sich selbst gelassen und genügend durch und durch ihr Dasein wirkend, nicht durch irgend ein Wollen oder Vornehmen" 3 . Den Worten „Gegenwart", „Dasein" wohnt eine Bedeutungsgeladenheit inne, in der Vergangenheit und Gegenwart sich durchdringen, wie dem Worte „Augenblick", der Ewigkeit werden kann und von dem es im „Buch des Paradieses" heißt: Wenn jeder Augenblick mich durchschauert, Was soll ich fragen, wie lang er gedauert? „Vergangenheit und Gegenwart in eins" oder „im Gegenwärtigen Vergangenes" wie im „West-östlichen Divan", gleichbedeutend mit „Wechseldauer" oder „Dauer im Wechsel", lautet im organischen Bezirk: „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt." Man steht hier wiederum an einem der Punkte, von dem aus sich eine aufschlußreiche Sicht auf Goethes polarisierendes Welt- und Lebensverständnis öffnet. Diese und ähnliche Formeln sind ja nicht Zufallsbildungen Goethescher Denkkraft, sondern Ausdruck eines denkerischen Urerlebnisses, einer Grundüberzeugung und Grunderfahrung. D a ß er dieses Gefühl, „den innigen Sinn eines wundersamen, hingeschwundenen und wieder neubelebten Zustandes" schon in früher Jugend, „ohne den sinnlichen Eindruck erfahren zu haben" im „Wanderer" ausgesprochen habe, darauf beruft er sich selbst4, und noch an seinem letzten Geburtstage zieht er sich mit den beiden Enkeln nach Ilmenau zurück, „um die Geister der Vergangenheit durch die Gegenwart der Herankommenden auf eine gesetzte und gefaßte Weise zu begrüßen" 5 . Zwei Wochen später freut er sich bei einer Spazierfahrt auf neuerrichteten Chauseen, „das Vergangene ans Gegenwärtige knüpfend", an den Linden3 W I , 24. " 7 « W 1,49/1,309. an K . v. Reinhard 7. I X . 1 8 3 1 .

s

220

alleen, bei deren Pflanzung er vor fünfzig Jahren zugegen war*. Dieses Gefühl, Glied einer lückenlosen Kette und einem Leben fortzeugenden Ganzen eingebettet zu sein, macht den Greis zum Mystiker und gibt seinen letzten Lebensjahren jene Transparenz, die ihn Wilhelm von Humboldt bekennen läßt: „Ob etwas in der vergangenen Zeit, in fernen Reichen oder mir ganz nah räumlich im Augenblicke vorgeht, ist ganz eins, ja ich scheine mir selbst mehr und mehr geschichtlich7." Oder, wie es der Dichter formuliert: Was ich besitze, seh' ich wie im Weiten Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten. Goethe sieht und erlebt also „Gegenwart" in einem doppelten, polaren Aspekt. Einmal vermittelt sie ihm ein dichtes durchdringendes Gefühl des Daseins, das alles Erlebte in sich bewahrt und schon in Zukunft auszustrahlen beginnt; zum andern wird dieses Gefühl gekreuzt und relativiert durch ein intensives Vergangenheitsbewußtsein, das „etwas Gespenstermäßiges" in die Gegenwart bringt. In einem späten Briefe an Zelter macht er sich das bewußt: „Die Gegenwart hat", meditiert er da, „wirklich etwas Absurdes, man meint, das wär's nun, man sehe, man fühle sich, darauf ruht man, was aber aus solchen Augenblicken zu gewinnen sei, darüber kommt man nicht zur Besinnung 8 ." Wie andre polare Gedankenformen Goethes ist also auch diese ihm schon von Jugend an geläufig. Zeit und Raum werden aufgesogen von dem lebhaften und reinen Gefühl lebendigen Daseins, in dem er „in der sonderbarsten Gegenwart zwischen Gegenwart und Zukunft" steht, „wie in einem Orangenwalde, wo in einem kleinen Bezirke Blüten und Früchte stufenweise nebeneinander leben" 9 . In diesem Vergleiche, den Goethe immer wieder verwendet, vereinigen sich bildhaft die Vorstellungen von Polarität und Steigerung. Das Bild wird zum Symbol seiner Einsicht in die überindividuelle Gebundenheit des Einzellebens, in ihm säkularisiert sich der Begriff einer immanenten Ewigkeit, die hier in unserm Leben schon da ist für den, der sich jeden Augenblick durchschauert fühlt vom Bewußtsein allseitiger Verbundenheit mit dem Ganzen. Darum „statuiert" Goethe auch keine Erinnerung, darum gibt es für ihn „kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muß stets produktiv sein, ein neues Besseres er« an J. und M. v. Willemer 22. IX. 1831. » 19. X. 1829.

•> 1. XII. 1831. » I I , 28, 83; vgl. 24, 3J 7 . 221

schaffen"10. Dem entspricht praktisch das Bewußtsein sinnerfüllten Daseins, die Erkenntnis: „Was fruchtbar ist, allein ist wahr". Goethe sieht in der Vergangenheit die Offenheit der Zukunft und entdeckt „Totes, das von Ewigkeit singt" 11 . Von hier aus fällt auch Licht auf Goethes Bekenntnis, er habe „in der Welt nichts zu suchen, als das Gefundene" 12 und es errege ihm eine angenehme Empfindung, „aus dem bekannt Gewordenen das unbekannte Werden wieder aufzubauen" 13 , womit er zugleich die Grundmaxime seiner Naturforschung ausspricht. So schlägt er die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, von „Ahndung" geleitet. Denn nur auf dem Boden eines solchen Zeitgefühls konnte der Simultanes und Suzessives, Dasein und Sosein, Ontologie und Genese vereinigende Gedanke der Metamorphose Wurzel schlagen. Und was besagt die Überzeugung: „Rückwärts und vorwärts ist die Pflanze immer nur Blatt, mit dem künftigen Keime so unzertrennlich vereint, daß man sich eins ohne das andre nicht denken darf" 14 anderes als „Vergangenheit und Gegenwart in eins"? Ja, liegt nicht hier auch schon der Keim modernen, mehrdimensionalen Zeitempfindens bis hin zu Joyces „eternel Now", Sartres „ewiger Gegenwart"? In Versen auch, „älter und neuer", wie: Mein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe, Anfang und Ende immerfort dasselbe, Und was die Mitte bringt ist offenbar Das, was zu Ende bleibt und Anfangs war 15 . Vergangenheit ist der Keim, aus dem sich die Gegenwart entwickelt und der in die Zukunft weiterwächst, sie ist ein produktives Element. Anschaulich wird ihm das Aperçu „Vergangenheit und Gegenwart in eins" in seinen Sammlungen und in der Kunst. Autographien vorzüglicher Menschen sind ihm „Dokumente ihres Daseins" und ihm ebenso lieb wie ein Porträt oder wenigstens als dessen Surrogat. Ihren Wert wisse derjenige zu schätzen, „dessen Denkart im Alter eine historische Wendung nimmt" 16 , ein Bekenntnis, auf das noch Bezug zu nehmen sein wird. Seine Autographensammlung wird ihm daher auch immer interessanter, denn „man wird in ein vergangenes Leben als in ein gegenwärtiges ver1° zu F. v. Müller 4. X I . 1823. 1 1 R. Hagelstange, Das Lied der Muschel. München 1959, S. 9. 1 2 A n Charlotte von Stein 6. I. 1787. 1 4 W II, 13, 48. " W II, 3 , 1 2 2 . is W I, 6, 39. 16 an F. Jacobi 10. V . 1812. 222

setzt und wird verleitet, das gegenwärtige als ein vergangenes anzusehn" 17 . Diesem schwebenden Zeitgefühl, seiner Ambivalenz lag der Gedanke an Seelenwanderung zum Greifen nahe. So kann er sich die Bedeutsamkeit, die Macht, die Frau von Stein auf ihn hat, „anders nicht erklären als durch Seelenwanderung - ja, wir waren einst Mann und Weib! - nun wissen wir uns doch - verhüllt in Geisterduft - ich habe keine Namen für uns - die Vergangenheit die Zukunft - das All" 18 , was dann in den an die Geliebte gerichteten Versen „Sag, was will das Schicksal uns bereiten" noch einmal widerklingt: „Ach du warst in abgelebten Zeiten meine Schwester oder meine Frau." Der Gedanke wird festgehalten: „Die schönste Metempsychose ist die, wenn wir uns im andern wieder auftreten sehen"19, scherzhaft gewendet, wenn er Boisserée versichert, „er habe gewiß schon einmal unter Hadrian gelebt. Alles Römische ziehe ihn unwillkürlich an 20 ." Zugrunde liegt der innige Glaube an die Unendlichkeit des Lebens und - eine tief in ihm verborgene Angst vor der Endlichkeit des individuellen Daseins, die Sehnsucht nach Dauer. In ihr wurzelt auch sein Sammeltrieb, das Bedürfnis, Zeugnisse abgelebten Lebens, ja auch Kunstwerke greiflich sichtbar in der Hand, vor Augen zu haben als Widerhalt gegen das „Es ist so gut, als war' es nicht gewesen". Das ist auch die Art der Poesie des Oheims in den Wanderjähren, der kaum glauben kann, „daß etwas gewesen sei, was nicht noch da ist"21. In der Kunst hat für Goethe die Menschheit das Mittel gefunden, dem Augenblick Dauer zu verleihen22. In Werken der Kunst findet er die Bestätigung seines polarisierenden und die Pole wieder vereinigenden Gefühls der coincidentia oppositorum von Vergangenheit und Gegenwart, wie sie ihm in dem Familiengemälde Lebruns entgegentrat. Das Kunstwerk „erhebt, indem es die menschliche Gestalt beseelt, den Menschen über sich selbst, schließt seinen Lebens- und Tatenkreis ab und vergöttert ihn für die Gegenwart, in der das Vergangene und Künftige begriffen ist" 23 . Die Grabmäler in Verona geben Vergangenes als „unmittelbare Gegenwart" 24 . An Gemälden interessiert Goethe daher auch besonders die 17 an Knebel 19. III. 1 8 1 7 . «H403.

" an Wieland, April 1776. 20 „ . V I I I . 1 8 1 $ . G II, 325.

21 W I , 24, 1 1 8 . Noch Cézanne sieht die Aufgabe der Kunst, einer „Harmonie parallel zur N a t u r " , darin, ihr „das Erhabene der Dauer" zu geben (Uber die Kunst. Gespräche mit Gasquet und Briefe hrsgg. v. Walter Hau. 1957, S. 9). 23 W I, 46, 29. 24 w I, 30, 63.

22

223

Zeit-Darstellung, ganz im Gegenteil zu Lessings „Laokoon", der das Nacheinander ja dem Dichter, das Nebeneinander dem Künstler zugewiesen hatte. So geht Goethes Betrachtung von Leonardos Abendmahl von der Darstellung des prägnanten Augenblicks aus, der nichts anderes sein kann als die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart mit Einbeziehung einer Ahnung der daraus sich entwickelnden Zukunft. Diesen Augenblick sieht Goethe gegeben durch das W o r t des Meisters: „Einer ist unter euch, der mich verrät! . . . Ja, es ist nicht anders! Einer ist unter euch, der mich verrät 25 ." Handelt es sich hier um ein dem dargestellten Gegenstande immerhin noch immanentes Motiv, so wird ihm Ruysdael in dreien seiner Landschaften zum Dichter, zum willkommenen Dolmetsch für alle die, „welche sich mit ihm in die Betrachtung der Vergangenheit und Gegenwart, die sich so lieblich durcheinanderwebt, gern vertiefen mögen" 26 . Bauwerke, die in der N a t u r verfallen, werden so zu dankbaren Motiven f ü r den Maler wie in dem Bilde „Das Kloster" von Ruysdael, in dem sich die Absicht verwirkliche, „im Gegenwärtigen das Vergangene darzustellen", „das Abgestorbene mit dem Lebendigen in die anschaulichste Verbindung" zu bringen, ein Kunsturteil, das, indem es das eigentlich Malerische übergeht und vom Epischen her interpretiert, um so entschiedener bezeugt, wieviel Goethe an diesem Gedanken liegt. Die erste von Tischbeins Idyllen, die ein ähnliches Motiv behandelt und überall „Lebendiges zu dem Abgeschiedenen" paart, wird deswegen gelobt 27 . In Übereinstimmung damit fordert er von einem Autor, den man klassisch nenne, daß er, „selbst vom Nationalgeiste durchdrungen", durch ein einwohnendes Genie sich fähig fühlt, mit dem Vergangenen wie mit dem Gegenwärtigen zu sympathisieren" 28 . An der antiken Darstellung einer Tänzerin bewundert er „die schöne Beweglichkeit der Ubergänge". Sie sind „hier f ü r einen Moment fixiert, so daß wir das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige zugleich erblicken und schon dadurch in einen überirdischen Zustand versetzt werden" 29 . Das neugriechische, von ihm übersetzte Lied „Charon", das „das Allerflüchtigste, in höchster Wildheit vorübereilend" vor den Augen festhält, erinnert ihn daran, „daß von jeher die bildende Kunst auch eins ihrer schönsten Vorrechte, im gegenwärtigen Momente den vergangenen und künftigen und also ganz eigentlich die Bewegung auszudrücken, niemals aufgegeben habe" 30 . Es sind das 25 WI, 49/1, 208. 27 WI, 49/1, 308. 29 WI, 48, 144. 224

2« W 1,48,1 gg. » W I , 40,198. 30 WI, 49/1, 361.

für Goethe „angenehme und fruchtbare" Gedanken, die sich ihm auch bei der Betrachtung des Denkmals von Igel auf dem Rückzug aus Frankreich aufdrängen: „Soll man den allgemeinsten Eindruck aussprechen, so ist hier Leben dem Tod, Gegenwart der Z u k u n f t entgegengestellt und beide unter einander im ästhetischen Sinne aufgehoben" 31 . Wie an Lebruns Gemälde sieht er an dem Denkmal „die Lust und Liebe, seine persönliche Gegenwart mit aller Umgebung und den Zeugnissen von Tätigkeit sinnlich auf die Nachwelt zu bringen". Man hat den Eindruck, daß Goethe aus seelischem Bedürfnis nach „Dauer" mehr eine Bestätigung dafür in dem Denkmal sucht als sie von vornherein darin findet, „Denn wo Tag für Tag das Bedeutendste vor unsern Augen vorgeht, wenn wir mit so viel tausenden leiden und fürchten und nur furchtsam hoffen, dann hat die Gegenwart ihren entschiedenen "Wert und, Schritt vor Schritt vorgetragen, erneuert sie das Vergangene, indem sie auf die Z u k u n f t hindeutet" 32 . Als er durch Frau von Stael erfährt, der französische General J. V. Moreau sei verhaftet und angeklagt worden, da r u f t er sich „im stillen das Vergangene zurück", um nach seiner A r t „daran das Gegenwärtige zu prüfen und das K ü n f tige daraus zu schließen oder doch wenigstens zu ahnen" 33 . Das „Herkommen" der Geschehnisse, den großen Zug des Schicksals will er darin erkennen. In der Dichtung Goethes begegnet dieses Ineinanderrinnen von Vergangenheit und Gegenwart an entscheidenden Stellen. Als in den „Wahlverwandtschaften" Ottilie die vom Architekten und ihr ausgemalte Kapelle beschaut und ihr da die bekannten Teile als ein „unbekanntes Ganze" entgegentreten, da scheint es ihr, „als wenn sie wäre und nicht wäre" 34 . Auch Wilhelm Meister kennt solche Momente. Auch er kommt sich manchmal wie ein Geist vor und, „selbst wenn er die Dinge außer sich befühlte und betastete, sich kaum des Zweifels erwehren konnte, ob er denn auch wirklich lebe und da sei" 35 . Gestalten gegenüber wie Mignon und Ottilie, die der Dichter mit besonderer Liebe darstellt, wendet die Kunst, „wenn sie schon den scheidenden Geist nicht zu halten vermochte", „alle ihre Mittel an, den Körper zu halten und ihn der Vergänglichkeit zu entziehen" 36 . „Sankt Josef der Zweite" begegnet Wilhelm in den „Wanderjahren" auf der „Flucht nach Ägypten" unter U m W 1,33,151. 33 W 1,35,172. 3SW 1,23,247.

32 Ebd. 185. « W I , 20,211. 36WI, 23, 256. 22$

ständen, die auf ihn so wirken, daß er sich zweitausend Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt fühlt. Den dichterisch großartigsten und eindrucksvollsten Gebrauch aber dieses Motivs „Vergangenheit und Gegenwart in eins" macht Goethe im dritten Akt von Faust II, zum Teile auch schon in der klassischen Walpurgisnacht, wo Manto das Dauernde, Chiron das Wechselnde, die Zeit, verkörpert, großartigen Symbolzusammenhängen für das Wiedererwachen der Antike, das Modernwerden Helenas und das Antikwerden Fausts 37 , wobei in Wiederholung des Motivs, Helena sich selber als Idol erscheint. Ein zwischen Wirklichkeit und Traum, Gegenwart und Vergangenheit schwebendes Gefühl überkommt sie: Ist's wohl Gedächtnis? W a r es Wahn, der midi ergreift? W a r ich das alles? Bin ich's? Werd' ich es künftig sein? Das Traum- und Scheinbild jener Städteverwüstenden 38 ? Und nun entfaltet sich jener wunderbare Dialog, in dem MephistoPhorkias die Stichworte bringt, die Helenas Vergangenheit ans Licht heben, bis sie mit den Worten „Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol" dem Chor in die Arme fällt, um noch einmal zu einem kurzen, antike und moderne Schönheit versöhnenden Glück zwischen Traum und Wirklichkeit zu erwachen. Den von jeher „abgöttisch" verehrten „Agamemnon" des Aischylos nennt Goethe einen „Urteppich" — die das Ursprüngliche betonende Vorsilbe bedeutet jeweils höchsten Wert —, indem „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" so glücklich in eins geschlungen sind, „daß man selbst zum Seher, das heißt gottähnlich wird und das ist doch am Ende der Triumph aller Poesie im Größten und im Kleinsten" 39 . Allgemein gilt, daß wir das, was uns umgibt, Dinge, die uns lieb und wert geworden sind, „in geistiger, liebevoller, genetischer Verknüpfung" sehen, und „durch das Vergegenwärtigen vergangener Zustände wird das augenblickliche Dasein erhöht und bereichert" 40 . Der Oheim in den Wanderjahren lebt mit solchen Dingen „zum Gegengewicht dessen, was in der Welt so schnell wechselt und sich verändert" 41 . „Seine Uhren hatten schon manche Geburts- und Sterbestunde geschlagen, und was umherstand, erinnerte, daß Vergangenheit auch in die Gegenwart übergehen könne." Die Dinge werden zu Kondensatoren, in denen sich „ein Schatz der Erinnerun37 Vgl. D. Lohmeyer a. a. O. und W. Emrich, Symbolik in Faust II. 38 V 8838-40. 39 an W. v. Humboldt 1. I X . 1816. 40 W I , 27, 319. « W 1,24, " 2 .

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gen" anhäuft. Ein Lebensgefühl meldet sich an, das in der Dingmystik Stifters und Rilkes einen Höhepunkt erreicht42. Auch der Ausdruck „genetische Verknüpfung" verbindet das Aperçu „Vergangenheit und Gegenwart in eins" wieder mit Goethes naturwissenschaftlichem Denken. Von dieser Heraklitischen Formel, diesem synchronistischen Sehen führt aber auch der Weg Goethes in die Geschichte. Auch die Geschichte wird f ü r Goethe zu einer „der Arten und Weisen", die man „alle zusammen einem einzigen Begriffe, dem Begriff vom Leben im weitesten Sinne, unterzuordnen hat" 4 3 . Daß Goethe, der genetische Denker, der „Historiker der N a t u r " , wie Spengler ihn nennt44, kein Organ f ü r die Geschichte gehabt habe, ist eines der seltsamsten Mißverständnisse der Goethe-Literatur, das sich lang zu behaupten vermochte 45 . Damit soll seine immer wieder laut werdende Skepsis gegenüber geschichtlichen Methoden und Ergebnissen weder geleugnet noch verharmlost werden. Sie sind bekannt genug und ihre ergiebigsten Quellen die Gespräche Goethes mit Heinrich Luden, dem Nachfolger Schillers an der Universität Jena, besonders das Gespräch vom 19. August 1806, und die Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller. D a diese kritischen und zum Teile völlig negativen Urteile Goethes in Zeiten fallen, in denen er längst ein positives Verhältnis zur Geschichte gewonnen hatte, beweisen sie, daß auch dieses Verhältnis ein Hin- und Herwägen ist, wie man es in unserm Zusammenhang immer wieder beobachtet. Schon der A n f a n g des Gespräches mit Luden, wie übrigens auch des Gespräches vom 1 3 . Dezember 1 8 1 3 über die Zukunft des deutschen Volkes, macht es unwahrscheinlich, daß wir überall Goethes allereigenste Stimme vernehmen. Der Inhalt jedoch der ihm in den Mund gelegten Äußerungen, bei denen es sich um geschichtliche Wahrheit dreht, deren Objektivität Goethe bestreitet, nur als der Herren eignen Geist gelten lassen will, stimmt durchaus zu anderen ähnlichen. Luden ist, wenigstens in dieser Wiedergabe des Gespräches, nie um eine Antwort verlegen und reizt Goethe zu 42

V g l . F. Koch, Dichtung des Plunders: Archiv f. d. Studium d. neueren S p r a chen, B d . 186, 1 9 4 9 , S. 1 - 2 4 . « W I I , 13,428. 44

D e r Untergang des Abendlandes. B d . 1, 1 9 2 3 , S. 2 0 7 .

45

V g l . F . Meinecke, Geschichte des Historismus. 2. A u f l . 1946. - K . Ziegler, Z u Goethes Deutung der Geschichte: Deutsche Vierteljahresschrift, B d . 30, 1 9 5 6 , S. 2 3 2 - 2 6 4 . - Besonders J . Gauss, Die methodische Grundlage v o n Goethes Geschichtsforschung: Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts, 1 9 3 2 / 3 3 , S. 1 6 3 - 2 8 3 .

227

immer neuen "Widersprüchen und Paradoxien. Danach lehre die Geschichte nichts anderes als, „ d a ß es zu allen Zeiten, in allen Ländern miserabel gewesen sei. V o m wirklichen Leben eines V o l kes, und hier liegt das Interesse Goethes, enthalte auch die ausführlichste Geschichte nur wenig und auch davon sei nur wenig wahr. Der Historiker sei z w a r kein Lügner, aber Verbreiter der Lüge, „nicht der Dieb, aber der H e h l e r " . Schließlich falle die Lüge auf die Sache selbst zurück, daher sei es besser, sich um die Vergangenheit überhaupt nicht zu bemühen 46 . Sicherlich spielt dabei auch die allgemeine Zeitlage eine Rolle, wohl auch der Umstand, daß Luden der jungen Generation angehörte, die, von H a ß gegen Napoleon erfüllt, eine nationale Politik forderte, w a s Goethe, den Verehrer Napoleons, der er damals noch war, zum Widerspruche reizen mußte, so daß, wie in dem Gespräche aus dem Jahre 1813, manches wohl auch schärfer herauskam, als es gemeint war, am Ende ja auch v o n Goethe selbst wieder abgeschwächt wurde. Ähnlich skeptisch und sarkastisch urteilt er über Geschichte dem Kanzler von Müller gegenüber. D a ist ihm alle Geschichte „mißlich und schwankend" 4 7 , „ungewiß" 4 8 . Sie lehre nichts anderes als, „ d a ß nichts Neues unter der Sonne geschieht" 49 . N i e m a n d könne aus ihr etwas lernen, da sie nur eine Masse von Torheiten und Schlechtigkeiten enthalte 50 . Schließlich versichert er, er sei nicht so alt geworden, um sich „um die Weltgeschichte zu bekümmern, die das Absurdeste ist, was es gibt; ob dieser oder jener stirbt, dieses oder jenes V o l k untergeht, ist mir einerlei; ich wäre ein Tor, mich darum zu bekümmern" 5 1 . Es fehlt auch sonst nicht an oppositionellen Urteilen Goethes. D a nennt er Jacobi gegenüber Geschichte „das undankbarste und gefährlichste Fach" 52 , während er da doch schon seine Geschichte der Farbenlehre bedenkt. Er vermißt an der Geschichte Zusammenhang, weil sie „uns nur ein zufälliges H i n - und Widerschwanken in einem notwendig geschlossenen Kreise zu überliefern scheint" 53 . Die Beschäftigung mit der Farbenlehre bringt ihn auf den Gedanken: „ M a n mag sich die Bildung und W i r k u n g der Menschen unter welchen Bedingungen man will, denken, so schwanken beide durch Zeiten und Länder, durch Einzelnheiten und Massen, die proportionierlich und unproportionierlich auf einander wirken, und hier " G I, 433 ff« 15. V . 1822, ebd. 571. so 17. X I I . 1824, G III, 149. 7 . VII. i 7 9 3 . 228

47 « si 53

15. IV. 1819. G II, 435. 8. X I . 1824, G III, 138. 6. III. 1828. G III, 489. W I, 27, 98 f.

liegt das Inkalkulable, das Inkommensurable der Weltgeschichte. Gesetz und Zufall greifen ineinander, der betrachtende Mensch aber kommt o f t in den Fall, beide miteinander zu verwechseln, wie sich besonders an parteiischen Historikern bemerken läßt, die zwar meistens unbewußt, aber doch künstlich genug, sich eben dieser Unsicherheit zu ihrem Vorteil bedienen 54 ." Angesichts des sechzehnten Jahrhunderts und einer Gestalt wie Baco von Verulam wird ihm klar, daß die Weltgeschichte von Zeit zu Zeit umgeschrieben werden müsse. „Eine solche Notwendigkeit entsteht aber nicht etwa daher, weil viel Geschehenes nachentdeckt worden, sondern weil neue Ansichten gegeben werden, weil der Genosse einer fortschreitenden Zeit auf Standpunkte geführt wird, von welchen sich das Vergangene auf eine neue Weise überschauen und beurteilen läßt 55 ." „Geschichte schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Halse zu schaffen" 55 * und immer wieder zitiert man ja als Hauptbeweis für Goethes Abneigung gegen die Geschichte aus dem geplanten Vorwort für den dritten Teil von „Dichtung und Wahrheit" den Satz: „Die Geschichte, selbst die beste, hat immer etwas Leichenhaftes, den Geruch der Totengruft", obwohl dieses Werk selbst das Vorwort glänzend widerlegt. Doch ist „Dichtung und Wahrheit" ja eine Biographie, von der aber wie von allen Biographien und Reisebeschreibungen gilt, daß man nicht müde wird, sie zu lesen, „denn man lebt mit Lebendigen" 56 . Biographien, Briefe, Tagebücher, Memoiren „bringen das vergangene Leben wieder hervor". Daher die Betrachtung „im Sinne der Wanderer": „Über Geschichte kann niemand urteilen, als wer an sich selbst Geschichte erlebt hat 57 ." Sie muß ergänzt werden durch die andere: „Es ist ein angenehmes Geschäft, die N a t u r zugleich und sich selbst zu erforschen, weder ihr noch seinem Geiste Gewalt anzutun, sondern beide durch gelinden Wechseleinfluß mit einander in's Gleichgewicht zu setzen" 58 , ein sprechendes Zeugnis für Goethes naturverbundene Geschichtsbetrachtung. Gerade dies eigentliche Leben aber vermißt er an geschichtlichen Darstellungen seiner Zeit. So richtet sich seine Skepsis vor allem gegen eine Geschichtsdarstellung, die nichts anderes bietet als eine leblose H ä u f u n g von Tatsachen. Darum gibt er auch Luden, in dem er einen jungen Mann kennengelernt habe, „der klar sehen will, der sich nicht durch hohle W o r t e verwirren und nicht durch Blendwerke irre führen läßt", die ermunternden 5" W II, 3, 134. 55a H IO$. 5 ' H j i 7.

55 w n, 3, 239. Ähnlich an Sratorius 4. II. 1811. 56-^1,28,385. 58 H l 140. 229

Worte mit, er sei in seinem „wissenschaftlichen Treiben . . . auf gutem, auf dem rechten Wege". Längst hat ja Goethe selbst auch die Geschichte der Ganzheit seines Weltbildes einbezogen, „denn wer versteht irgend eine Erscheinung, wenn er sich von dem Gang des Herankommens (nicht) penetriert?" 59 . Daß Goethe geschichtswissenschaftliche Leistungen, wenn auch kritisch, doch auch zu würdigen wußte, mag sein Urteil über Johannes von Müllers „Allgemeine Geschichte" (1809) belegen: „Es ist ein höchst dankenswertes Buch. Schon das ist f ü r uns wichtig, mit einem Zeitgenossen, den wir kannten, die Weltgeschichte nach seiner Art zu durchlaufen. Freilich verbirgt sich ein jedes Individuum schwer hinter der Maske des von ihm hervorgebrachten Buches; vielmehr erkennt man den Autor aus der Schrift vielleicht deutlicher als aus dem Leben: denn es schneidet sich doch jeder die Welt ziemlich nach seiner Taille. So ist es auch hier; und ich liebe dies Werk besonders, weil es die Tugenden und die Mängel des Verfassers so deutlich ausspricht. Das große Studium, das zum Grunde liegt, ist respektabel und diejenigen Teile, w o das Metall recht durchgeschmolzen, gereinigt und flüssig in eine wohlausgesonnene Form lief, sind vortrefflich zu nennen. Für die größere Masse von Menschen ist das Buch gewiß auch wohltätig. Mir, auf meiner einzelnen Warte, ist abermals aufgefallen, daß man aus dem moralischen Standpunkt keine Weltgeschichte schreiben kann. W o der sittliche Maßstab paßt, wird man nicht befriedigt, wo er nicht mehr hinreicht, bleibt das Werk unzulänglich und man weiß nicht, was der Verfasser will 6 0 ." Wenn Goethe von den Forschern verlangt, sie „sollten als gleichgültige und gleichsam göttliche Wesen suchen und untersuchen, was ist, und nicht was behagt", daß sie „dem Maßstabe des Gefallens und Mißfallens, des Anziehens und Abstoßens, des Nutzens und Schadens" entsagen sollen 61 , so entspringen seine Urteile sehr o f t einer „fortdauernden Gegenwirkung", dem Streben, „der eindringenden Welt zu widerstehen" 62 , einer schwebenden Polarität zwischen Subjekt und Objekt der Betrachtung. Historische Kenntnisse allein vermögen ihn nicht zu fördern: „Die Dinge standen nur eine Handbreit von mir ab, aber durch eine undurchdringliche Mauer geschieden 63 ." Diese Mauer wird in Italien, w o er Geschichte „mit Augen" sehen lernt, durchbrochen.

S' an Zelter 3. VI. 1830. « W I I , 11, 22. « W I , 30, 151. 230

an K. F. v. Reinhard iz. VII. 1810. « W II, 11, 47.

Auf „klassischem Boden", dem „entscheidendsten Schauplatz, der die größten Taten bedingt", „schließt sich denn auf eine wunderbare Weise die Geschichte lebendig an" 64 . Alles, was er „schon lange weiß", wird ihm hier „erst eigen" 65 . Antizipation wird Aneignung. Das Erlebnis läßt sich Schritt f ü r Schritt verfolgen. In Bologna beginnt es. „Hundertfältig steigen", berichtet das Tagebuch, „die Geister der Geschichte aus dem Grabe und zeigen mir ihre wahre Gestalt 66 ." An einzelnen Gegenständen belebt sich sein geschichtliches Verständnis. So möchte er die Geschichte einer Granitsäule erzählen, „die, erst in Egypten zu einem Memphitischen Tempel zugehauen, dann nach Alexandrien geschleppt wurde, ferner die Reise nach Rom machte, dort umgestürzt ward und nach Jahrhunderten wieder aufgerichtet und einem andern Gott zu Ehren zurecht gestellt wurde" 6 7 . Die Römer sind ja „auch nur Barbaren, die das Schöne raubten, wie man ein schönes Weib raubt. Sie plünderten die Welt und brauchten doch griechische Schneider, um sich die Lappen auf den Leib zu passen." Gleichfalls in Bologna wird das historische Interesse „besonders rege, wenn man die Werke der älteren Meister betrachtet". An Raffaels Cäcilia geht ihm auf, daß auch der größte Meister nicht „wie Melchisedek ohne Vater und Mutter erschienen" ist, daß man, um die Größe seiner Leistung würdigen zu können, seine „Meister" ansehen muß, daß auch diese „Pyramide stufenweis in die Höhe gebaut wurde" 6 8 . Im Anblick Roms kommt ihm wieder die Empfindung Vergangenheit und Gegenwart in eins. „Wenn man so eine Existenz ansieht, die zweitausend Jahre und darüber alt ist, durch den Wechsel der Zeiten so mannigfaltig und vom Grund aus verändert, und doch noch derselbe Boden, derselbe Berg, ja oft dieselbe Säule und Mauer, und im Volke noch die Spuren des alten Charakters, so wird man ein Mitgenosse der großen Ratschlüsse des Schicksals, und so wird es dem Betrachter von Anfang schwer zu entwickeln, wie Rom auf Rom folgt, und nicht allein das neue auf das alte, sondern die verschiedenen Epochen des alten und neuen selbst auf einander 69 ." Auch die römischen Altertümer beginnen ihn nun zu interessieren. „Geschichte, Inschriften, Münzen, von denen ich sonst nichts wissen mochte, alles drängt sich heran. Wie mir's in der Naturgeschichte erging, geht es auch hier; denn an diesen O r t k n ü p f t sich die ganze Geschichte der Welt an und ich zähle einen zweiten Geburtstag, Ebd. 191. 66 Will, 310. 68 WI, 30, 160.

« w 1,31, 56. 67 Will, I, 308. 69 WI, 30,206. 231

eine wahre Wiedergeburt, von dem Tage, da ich Rom betrat 70 ." Dauer im Wechsel, Wechseldauer, Metamorphose - das Geschichtserlebnis ist begriffen als eine Form des Lebens der Natur, überantwortet dem Triebwerk ihrer Räder, Polarität und Steigerung. Von Rom aus liest sich Geschichte ganz anders „als an jedem Orte der Welt. Anderwärts liest man von außen hinein, hier glaubt man von innen hinaus zu lesen: es lagert sich alles um uns her und geht wieder aus von uns. Und das gilt nicht allein von der römischen Geschichte, sondern von der ganzen Weltgeschichte. Kann ich doch von hier aus die Eroberer bis an die Weser und bis an den Euphrat begleiten oder, wenn ich ein Maulaife sein will, die zurückkehrenden Triumphatoren in der heiligen Straß erwarten; indessen habe ich mich von Korn- und Geldspenden genährt und nehme behaglich teil an aller dieser Herrlichkeit 7 1 ." Wie er von innen her eine Neugeburt in Italien erlebt, so geht es ihm in Rom in wiederum jenem Wechselverhältnis von innen und außen, das in seiner Naturbetrachtung eine so entscheidende Rolle spielt. Im „Wechselblick" erschließt sich ihm nun auch die geschichtliche Welt. Die Erfahrung: „Mein Prinzip paßt überall und schließt mir alles auf" 7 2 , gilt nun auch f ü r die Geschichte. Gegen das Ende seines Aufenthaltes, im Dezember 1787, stehen auf klassischem Boden, angesichts der Peterskirche, „Kunst- und Menschengeschichte synchronistisch" vor seinen Augen, sind ihm über zweitausend Jahre hin Vergangenheit und Gegenwart eins geworden 73 . Wenn Goethe so mit geschichtlichem Leben Fühlung gewinnt, so bedeutet das nicht, daß er sich nicht schon längst geschichtliche Kenntnisse angeeignet hätte 74 . Schon auf den Knaben wirkt ja die geschichtsträchtige Vergangenheit seiner Vaterstadt. „Alles deutete auf eine längst vergangene, f ü r Stadt und Gegend sehr unruhige Zeit" und „eine gewisse Neigung zum Altertümlichen" ist ihm von früh an eigen 75 . Der Siebenjährige Krieg führte in der Familie zu leidenschaftlicher Parteiung, für die Krönung Josefs II. und deren geschichtliche Hintergründe wird er durch den Vater vorbereitet. In Leipzig verweist ihn Oeser auf Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Altertums", in Frankfurt dann und Straßburg vertieft er sich in Gottfried Arnolds „Unparteiische Kirchen- und Ketzer7° Ebd. 232 f. Ebd. 243. 72 W 1 , 3 2 , 73. 73Wii32)I77. 74 Vgl. W . Lehmann, Goethes Geschichtsauffassung und ihre Grundlagen. Langensalza 1930: Pädagogisches Magazin. H f t . 1272. 75 W I, 26, 24.

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historie". In der „emergierenden" Deutschheit Straßburgs erschließt sich ihm auch die geschichtliche Vergangenheit des eigenen, des deutschen Volkes. J. D. Schöpflins Vorlesungen wirken auf ihn, ohne daß es zu einer persönlichen Berührung kommt. An ihm rühmt er, was dann für sein tieferes Verständnis der Geschichte so entscheidend wird, daß er zu den „glücklichen Menschen" gehöre, „welche Vergangenheit und Gegenwart zu vereinigen geneigt sind, die dem Lebensinteresse das historische Wissen anzuknüpfen verstehn" 76 . Der Verkehr mit J. J. Oberlin vertieft die Einsicht in die Geschichte des Elsaß, so daß er es sich als römischen Besitz und manchen Traum der Vorzeit ausmalen kann. Vor allem aber ist da Justus Moser zu nennen, der auf Goethes Geschichtsbild in dieser Zeit am stärksten formend eingewirkt hat. Ein Abschnitt aus der Vorrede von Mosers „Osnabrückischer Geschichte" war gemeinsam mit Herders Shakespeare-Aufsatz und demjenigen Goethes „Von deutscher Baukunst" in den von Herder herausgegebenen Blättern „Von deutscher Art und Kunst" erschienen. Moser, „der tüchtige Menschenverstand selbst", war für die junge Generation der Mann, der das Geschichtsbild der Aufklärung überwand und sich herunterließ, „den Mann in seiner Familie, den Bauern auf seinem Hof, die Mutter unter ihren Kindern, den Handwerksmann in seiner Werkstatt, den ehrlichen Bürger bei seiner Kanne Wein und den Gelehrten und Kaufmann in seinem Kränzchen oder seinem Kaffeehaus zu sehen". Zwar stammen diese Sätze aus einer Rezension der „Charakteristik der vornehmsten europäischen Nationen" in den „Frankfurter gelehrten Anzeigen" 77 , von der fraglich ist, ob sie von Goethe herrührt, jedenfalls aber spiegeln sie das Wunschbild eines Geschichtsschreibers, wie die Stürmer und Dränger ihn sich dachten. „Wir sehen", rühmt Goethe in „Dichtung und Wahrheit" von Mosers Schriften, „eine Verfassung auf der Vergangenheit ruhn und noch als lebendig bestehn" 78 . „Innigste Kenntnis des bürgerlichen Lebens" besitze er, einen „himmlischen Geist", dessen Äußerungen „gleich Goldkörnern und Goldstaub denselben Wert haben wie reine Goldbarren, und noch einen höheren als das ausgemünzte selbst" 79 . Was Goethe und seinen Jugendgenossen an Moser so sehr „imponiert" und wodurch sie sich ihm nah verbunden fühlen, ist Mosers Nähe zum Volk, die Gabe des „Volksredners", Vergangenheit und Gegenwart in eins zu sehen. Goethe hat für diese

w W 1,28,45. 78 w i ,

16

28, 238.

Koch, G e d a n k e n f o r m

77-^1,37,276. 79 w i ,

4 I

/2)

J 2

.

233

Art des Sehens und Darstellens ein sehr bezeichnendes Wort: „historisches Menschengefühl", worunter er ein dergestalt gebildetes versteht, „daß es bei Schätzung gleichzeitiger Verdienste und Verdienstlichkeiten auch die Vergangenheit mit in Anschlag bringt" 50 . Das alles wird aber f ü r Goethe noch nicht theoretisch von Bedeutung, sondern geht gleichsam unmittelbar ins Blut über. Es ergeht ihm wie Tasso: "Was die Geschichte reicht, das Leben gibt, Sein Busen nimmt es gleich und willig auf: Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt Und sein Gefühl belebt das Unbelebte". Im „Götz von Berlichingen" und im „Egmont" wird das dramatisch fruchtbar. Mit Recht wurde gesagt, Goethe fordere „eine Geschichte von unten"® 2 . Dem Götz liegt ein solches Geschichtsbild zugrunde. Das Drama ist zugleich Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch83. Die „Frankfurter Gelehrten Anzeigen" rühmten, in ihm sei so viel von alten deutschen Sitten und deutscher Denkungsart lebendig, „als aus manchem deutschen Geschichtsbuche in folio mit aller Scharfsinnigkeit nicht herauszukommentieren" sei84. U m die Richtigkeit des historischen Details, daß beispielsweise Götz erst 1562 stirbt, also lang nach dem Bauernkriege, darum kümmert sich der Dichter nicht. Ihm geht es darum, die geschichtlichen K r ä f t e gegeneinanderzuführen, und zwar die der Vergangenheit - so wirken hier die Pole Vergangenheit-Gegenwart - gegen die der Gegenwart. „Das Herz des Volkes ist in den K o t getreten und keiner edlen Begierde mehr fähig", Worte aus Hallers Staatsroman „Usong", flattern als Banner über diesem Manifest des Sturm und Drang. Audi im „Egmont" steht Goethe noch auf der Seite einer Geschichte von unten, eines vielgestaltigen, sich selbst regulierenden Lebens, das, von oben her durch Maximen und Dogmen bedrängt, an seiner Entfaltung gehindert wird. Auch hier fühlte er sich nicht an die Geschichte gebunden, konnte er den Helden nicht so gebrauchen, „wie ihn die Geschichte meldet". Wozu wären auch die Poeten da, „wenn sie bloß die Geschichte eines Historikers wiederholen wollten! Der Dichter muß weiter gehen 81 so H 494. V 161-64. 82 J . Menke-Glückert, Goethe als Geschichtsphilosoph. Leipzig 1907, S. 53. 84 "3 zu Eckermann 16. II. 1826. 20. V I I I . 1 7 7 3 .

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und uns womöglich etwas Höheres und Besseres geben"85. Doch ist auch hier „was Anonymes dabei", ein Unberechenbares, der „Eigensinn des Schicksals", die Erkenntnis: „Wie in einen Lostopf greifst du in die dunkle Zukunft: Was du fassest, ist noch zugerollt, dir unbewußt, sei's Treffer oder Fehler!" 86 . In dem Maße, in dem sich Goethes Einsichten in die Ganzheit des Lebens entwickeln, in demselben Maße wächst seine Uberzeugung, daß dieses Natur, Kunst und Geschichte umfassende Ganze demselben Gesetze polarer Wirkung und Gegenwirkung untersteht. Was in Italien zum Durchbruch kommt, wurde vorbereitet in der Zeit der engsten Verbindung mit Herder, in der dieser an den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" arbeitet, in der Botanik und Weltgeschichte in ihren Köpfen „rasen". So kann Goethe, als er das Manuskript des zweiten Teils der „Ideen" erhält, dem Freunde bekennen: „Zu dem ganzen Inhalte sage ich ja und Amen und es läßt sich nichts bessers über den Text: Also hat Gott die Welt geliebt! sagen®7." Und doch ist es nicht dasselbe. Goethe ist den „Gegenständen", den Dingen, dem tastbaren Leben näher als Herder und bezeichnet selbst genau den Unterschied, wenn er an Herder schreibt: „Was du durch die Gewalt des Geistes aus der Überlieferung zusammengreiffst, das muß ich aus jeder Himmelsgegend, von Bergen, Hügeln und Flüssen zusammenschleppen88." Darum vermißt er aber auch, als er in Rom den zweiten Teil der Ideen erhält, an der Darstellung des römischen Zeitalters „etwas Körperlichkeit"89. In Italien entwickelt sich nun ein wirkliches historisches Bewußtsein aus dem Vermögen, an Kunstwerken zunächst und vor allem Vergangenheit und Gegenwart in eins zu sehen. In Venedig steigt die Baukunst „wie ein alter Geist aus dem Grabe, sie heist mich ihre Lehren wie die Regeln einer ausgestorbnen Sprache studiren nicht um sie zu üben oder mich in ihr lebendig zu freuen, sondern nur um die ehrwürdige und ewig abgeschiedne Existenz der vergangnen Zeitalter in einem stillen Gemüth zu verehren... Wie glücklich bin ich, daß ich mich der römischen Geschichte, den alten Schriftstellern wieder nähern darf! und mit welcher Andacht les ich den Vitruv! 90 ." „Ich freue mich" - wir zitieren das Tagebuch, das die ersten Eindrücke unmittelbarer wiedergibt als die ja später entstandene „Italienische Reise" — „nun auf so manches zu lesen 85 87 89

zu Eckermann JI. I. 1827. 20. II. 1785. W I, 32, 116.

W I, 8, 261. 25. I. 1787. 90 Will, 1, 289 f.

86

88

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und zu überdencken, das mir in Ermanglung eines sinnlichen Begriffs unerträglich war 9 1 ." In Terni w i r d ihm die römische Geschichte, als ob er dabeigewesen sei. D e r Eindruck einer ewig abgeschiedenen Existenz ist also überwunden. M a n fühlt sich an Goethes naturwissenschaftliche Erkenntnis erinnert, wenn ihm da angesichts der von den Römern erbauten Wasserleitung der Gedanke aufgeht: „ W a s nicht eine wahre innre Existenz hat, hat kein Leben und kann nicht lebendig gemacht werden, und kann nocht gros seyn und nicht gros werden 9 2 ." H i e ß es schon im Fragment über die N a t u r : „Alles ist immer da in ihr, Vergangenheit und Z u k u n f t kennt sie nicht. Gegenwart ist ihr Ewigkeit" 9 3 , in R o m w i r d ihm das lebendige Anschauung, wird die Strukturgesetzlichkeit der N a t u r zugleich die der Geschichte. „ D i e Fähigkeit, ähnliche Verhältnisse zu entdecken", schreibt er aus R o m an Herder 9 4 , „wenn sie auch noch soweit auseinander liegen, und die Genesen der Dinge aufzuspüren, hilft mir auch hier außerordentlich, und wenn ich Zeit hätte, alle Kunstwerke mir recht zu vergegenwärtigen und sie alsdann miteinander zu vergleichen, wollte ich ohne große Gelehrsamkeit der Geschichte der Kunst manchen Vorteil bringen". Er will R o m sehen, das „bestehende, nicht das mit jedem Jahrzehend vergehende", das heißt das gewachsene R o m . „ M a n müßte Jahre hier bleiben, um den Begriff recht lebendig zu haben, ich fühle nur die verborgnen und halbsichtbaren Punckte." Wie er die Pflanze von Knoten zu Knoten, v o m Blatt zum Kelch, v o m Kelch zur Blüte, von der Blüte zu den Fortpflanzungsorganen beobachtet, so studiert er jetzt das Phänomen R o m . „ A l l e s deutete auf Leben und Bewegung, Kunst und Menschengeschichte standen synchronistisch vor unsern A u g e n " , so f a ß t er Ende 1787 seine Erfahrungen und Einsichten zusammen 95 . Beide aber sind wiederum synchronistisch mit der N a t u r , wie umgekehrt diese geschichtlich gesehen wird. Geschichte w i r d ihm zu einem biologischen Phänomen. „ A u f gesetzmäßiger Fortpflanzung des Menschengeschlechts ruht größtenteils die Geschichte. Die bedeutendsten Weltbegebenheiten ist man bis in die Geheimnisse der Familie zu verfolgen genötigt 9 6 ", Überlegungen, denen der Aphorismus entstammen mag: „ D i e Menschen sind als Organe ihres Jahrhunderts anzusehen, die sich meist unbewußt bewegen 9 7 ." Wie „natürlich", 91 Ebd. 310. « W II, 11,9. 95 w i , 32, 176 f . 97 H 957. 236

92 94

Ebd. 327. 29. u. 30. XII. 1786.

96 w I,

2 I 0

f.

im wörtlichsten Sinne, wird Geschichte gesehen in den Sätzen der Farbenlehre: „Es gibt bedeutende Zeiten, von denen wir wenig wissen, Zustände, deren Wichtigkeit uns nur durch ihre Folgen deutlich wird. Diejenige Zeit, welche der Same unter der Erde zubringt, gehört vorzüglich mit zum Pflanzenleben 93 ." Vergangenheit ist die Wurzel, aus der die Gegenwart ihre Nahrung saugt, das Ganze aber, die lebendige Pflanze ist eins. „Man kann das Gegenwärtige nicht ohne das Vergangene erkennen", das wird ihm in Rom zur Gewißheit". Und schon setzt sich das um in ein lebendiges Bild von der Enstehung Roms, das es nicht an „Körperlichkeit" fehlen läßt: „Schon die Lage dieser Hauptstadt der Welt führt uns auf ihre Erbauung zurück. Wir sehen bald, hier hat sich kein wanderndes, großes, wohlgeführtes Volk niedergelassen und den Mittelpunkt eines Reichs weislich festgesetzt; hier hat kein mächtiger Fürst einen schicklichen Ort zum Wohnsitz einer Kolonie bestimmt. Nein, Hirten und Gesindel haben sich hier zuerst eine Stätte bereitet; ein paar rüstige Jünglinge haben auf dem Hügel den Grund zu Palästen der Herrn der Welt gelegt, an dessen Fuß sie die Willkür des Ausrichters zwischen Morast und Schilf einst hinlegte . . . Schon jetzt nehm' ich den herzlichsten Anteil an dem Jammergeschrei und den Schmerzen der Weiber von Alba, die ihre Stadt zerstören sehn und den schönen, von einem klugen Anführer gewählten Platz verlassen müssen, um an den Nebeln der Tiber teilzunehmen, den elenden Hügel Coelius zu bewohnen und von da nach ihrem verlassenen Paradiese zurückzusehn... und da die Römer endlich alles verschlungen hatten, mußten sie wieder mit ihren Landhäusern hinaus und an die Plätze der zerstörten Städte rücken, um zu leben und das Leben zu genießen100." Gerade dieses Beispiel bietet eine aufschlußreiche Sicht auf Goethes Gedankenform. Sein Geist nähert sich dem Objekte, indem er sich einfühlt in den Prozeß seines Werdens und damit vom gegenwärtigen Erscheinungsbild hindrängt zu den es begründenden und formenden Kräften. Subjekt und Objekt stehen einander nicht wie bei Kant als ganz andere gegenüber, sondern sind und bleiben funktionell durch polare, Erkenntnis zeugende und fördernde Spannung innig auf einander bezogen. Der Betrachter wird zum „schaffenden Spiegel" der Geschichte in einem Akte, der Fühlen, Sehen und Erkennen in einem, zugleich Entdeckung und Erkenntnis ist. »8 W II, 3,131. 100 Ebd.

W 1,30,261.

237

Trotz aller gelegentlichen Skepsis gegenüber der Geschichte vermochte Goethe der Konsequenz seiner Anlagen und Fähigkeiten, die Dinge „herankommen" zu sehen, nicht zu widerstehen, ja sie drängten ihn der Geschichte förmlich entgegen, ob er wollte oder nicht, schließlich zu eigenen geschichtlichen Leistungen. So „liebt" er sich die Geschichte, die Kunst wird zum Katalysator, der Goethes geschichtliches Interesse und Denken immer wieder in Tätigkeit setzt 101 . „ F ü r den Künstler wie für den Menschen ist eine geschichtliche Ansicht verwandter Zustände zu schnellerer Bildung höchst vorteilhaft", denn die Geschichte liefert „den Körper zu den Ideen", aus welchen die Kunst entspringt, wie die Vorrede zum Winckelmann-Aufsatz verkündet 102 . Im gleichen Jahre 1805 bewegen ihn die Denkmäler im Magdeburger Dom, vor allem das „unschätzbare Denkmal" des Erzbischofs Ernst von Magdeburg von Peter Vischer zu dem Bekenntnis: „Wer einmal auf die Zunahme der Kunst, auf deren Abnahme, Ausweichen zur Seite, Rückkehr in den rechten Weg, Herrschaft einer Hauptepoche, Einwirkung der Individualitäten gerichtet, Aug' und Sinn darnach gebildet hat, der findet kein Zwiegespräch belehrender und unterhaltender als das schweigsame in einer Folge von solchen Monumenten 103 ." Beim Wiederaufleben seines Interesses f ü r die altdeutsche Kunst wird ihm „das Geschichtliche dieser ganzen Angelegenheit das Wichtigste". Er weiß den Brüdern Boisseree und Möller Dank f ü r ihre Bemühungen um die Rekonstruktion des Kölner Doms, weil sie ihn instand setzen, „Wert und Würde im rechten Sinne, das heißt historisch zu fühlen und zu erkennen" 104 . Das Verhältnis hat sich umgekehrt. Nicht von der Kunst aus gelangt er hier zur Geschichte, sondern sie, die Geschichte, hilft ihm, „die Apprehension" gegen die Gotik zu überwinden, den Dom nun auch als Kunstwerk, wenn auch mit Vorbehalten, würdigen und in ihm den „höchsten Gipfel, zu dem sich diese Bauweise erhoben", sehen zu können, so daß er sich nun auch erneut zu seinem Jugendaufsatz „Von deutscher Baukunst" bekennen mochte, wenn er auch „etwas Amphigurisches in seinem Stil bemerken lasse". J a , er vermag nun sogar, ein hoch zu wertendes Zugeständnis, wie ein im Zusamenhang mit dem Streite mit Schadow entstandener Aphorismus aus dem Nachlaß erkennen läßt, die altdeutsche Kunst von 101 V g l . auch W . Schadewaldt Antike. S. 1 0 3 8 ff. 102 W I, 46, 1 0 f. 104 W I , 4 9 / 2 , 1 6 2 f.

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im N a c h w o r t

103 W I , 3 5 , 207.

zu E . Grumach, Goethe und die

der italienischen aus zu rechtfertigen: „Das Trocken-Naive, das Steif-Wackere, das Ängstlich-Rechtliche, und womit man ältere deutsche Kunst charakterisieren mag, gehört zu jeder früheren, einfacheren Kunstweise. Die alten Venetianer, Florentiner usw. haben das alles auch 105 ." Schon am Ende des Jahrhunderts überkommen ihn angesichts des geringen Echos auf das erste Preisausschreiben der „Weimarer Kunstfreunde" fühlbare Zweifel, und schon sucht er nach anderen Mitteln, die nach seiner Meinung aus den Fugen geratene Zeit wieder einzurichten. „Bei der beinah fast ganz falschen Richtung unserer Zeit", schreibt er an Knebel 106 , „sind vielleicht historische Darstellungen, in welchen man den Geist und die Triebe der Nationen in den verschiedenen Epochen übersieht, das Nützlichste. Es hält freilich schwer, nicht einseitig zu sein und wer möchte gern gestehen, daß das, was er vermag, das Unrechte sei, besonders wenn es noch sogar vor der Welt gilt." Aus der geschichtlichen Betrachtung der Kunst der Vergangenheit erwartet er also fördernden Einfluß auf die der Gegenwart. In dem Aufsatze „Kunst und Altertum am Main, Rhein und Neckar" erkennt er angesichts der Boisseréeschen Sammlung altdeutscher Gemälde die Unmöglichkeit, ihre Darstellungen mit Worten auszudrücken, und „daß auf historischem Wege hier das Reinste und Nützlichste zu wirken ist", indem „er nicht sowohl von den Bildern selbst als von ihrem Bezug untereinander Rechenschaft zu geben trachtet" 107 . Er selbst wird sich in hohen Jahren mehr und mehr geschichtlich, wofür er den Beweis längst in „Dichtung und Wahrheit" erbracht hatte. Der Enthusiasmus aber, „das Beste, was wir von der Geschichte haben" 108 , wird laut in der Geschichte der Farbenlehre als Echo des Lobgesanges, „dem die Gottheit so gerne zuhören mag", und der niemals verstummt. „Wir selbst fühlen ein göttliches Glück, wenn wir die durch alle Zeiten und Gegenden verteilten harmonischen Ausströmungen bald in einzelnen Stimmen, in einzelnen Chören, bald fugenweise, bald in einem herrlichen Vollgesang vernehmen. Freilich müßte man mit reinem frischen Ohre hinlauschen und jedem Vorurteil selbstsüchtiger Parteilichkeit, mehr vielleicht als dem Menschen möglich ist, entsagen 109 ." Aus demselben Geiste stammt „das einzig schöne Aperçu, was uns die Geschichte noch ganz allein erfreulich machen kann" und auf das Kepler so fleißig hindeute, „daß die echten Menschen aller Zeiten einander voraus verkünden, auf WS H I086. w i , 34/1, 157. 109 W II, 3, 132 f.

M6 i 7 . IX. 1799. 108H 4 9 5 .

239

einander hinweisen, einander vorarbeiten" 110 , weil sie „historisches Menschengefühl" haben. „Die Geschichte ist ein Märchen am Anfang, auf ihm schwimmt ein Faktum wie auf dem Wasser, bis das Wasser verschwindet", wie Riemer überliefert 111 . Demnach wäre es Aufgabe des Geschichtsschreibers, das Wasser verrinnen zu lassen, das Faktum zu isolieren und ihm so eine tragfähige Unterlage zu schaffen. Dabei unterscheidet Goethe zweierlei Arten, Geschichte zu schreiben, eine für Wissende, die andre für Nichtwissende. „Bei der ersten setzt man voraus, daß dem Leser das Einzelne bis zum Überdruß bekannt sei. Man denkt nur darauf, ihn auf eine geistreiche Weise, durch Zusammenstellungen und Andeutungen an das zu erinnern, was er weiß, und ihm für das zerstreut Bekannte eine große Einheit der Ansicht zu überliefern oder einzuprägen. Die andere Art ist die, wo wir, selbst bei der Absicht, eine große Einheit darzustellen, auch das Einzelne unnachläßlich zu überliefern verpflichtet sind112", eine antinomische Gegenüberstellung, analog derjenigen von analytischer und synthetischer Naturwissenschaft. Vor allem ist es „Pflicht des Historikers, das Wahre vom Falschen, das Gewisse vom Ungewissen, das Zweifelhafte vom Verwerflichen zu unterscheiden"113. Er hat ferner, wenn er von vergangenen Dingen eine rechte Vorstellung machen will, „die Zeit zu bedenken, in welcher etwas geschehen, und nicht etwa die unsrige, in der wir die Sache erfahren, an jene Stelle zu setzen . . . deswegen ist ein gerechtes historisches Urteil über einzelnes persönliches Verdienst und Unverdienst so selten. Uber Resultate ganzer Massenbewegungen läßt sich eher sprechen114." Besonders dagegen aber scheinen ihm die Geschichtsschreiber zu verstoßen, und das ist einer der Hauptgründe für Goethes Mißtrauen gegen die Geschichte. Gerade das aber, was sich in der Uberlieferung so leicht verliert, das selbständgie Leben, darauf kam es Goethe an. Und doch wirkt das Abwesende auf uns nur durch Überlieferung, und so ist der Historiker wie der Naturforscher genötigt, „aus dem bekannten Gewordenen das unbekannte Werden aufzubauen." 115 . Das heißt: Die „Gedankenform" des Historikers ist keine andere als die polarisierende des Naturforschers, seines schauenden Denkens, das überall darauf aus ist, im Anschluß an Hippokrates „aus dem Offenbaren das Verborgene, aus dem Gegenwärtigen das Zukünftige, aus dem Toten das «o Ebd. 250. 112 WI, 40, 361. im W II, 4, 45 f. 240

111 1811 G II, 130. 1" H 295. 11s W II, 3, 132.

Lebendige und den Sinn des Sinnlosen" 116 , wir dürfen ergänzen, aus der Gegenwart die Vergangenheit und umgekehrt zu erkennen. Schreibt doch eine Chronik auch nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist117. Damit aber ist f ü r Goethe auch Geschichte Metamorphose, Gestaltung, Umgestaltung, bei der nicht nach Ursachen, sondern nach Bedingungen gefragt wird, Fragen, die sich am besten vom Individuum, vom einzelnen her beantworten lassen, der zugleich immer auch ein Kollektivwesen ist. Die Geschichte der "Wissenschaften, Geschichte überhaupt ist eben „innigst verbunden" „mit der Geschichte des Lebens und des Charakters der Individuen, sowie der Völker" 118 , wie umgekehrt der Charakter des Menschen seine Geschichte ist119 und die Geschichte des Menschen den Menschen darstellt 120 . In Italien ist ihm polarisierende Betrachtung zur Gewinnung historischer Erkenntnisse bereits selbstverständlich geworden, und zwar nicht nur f ü r die N a t u r und Kunst, sondern auch für die Sitten der Völker. „An ihnen zu lernen, wie aus dem Zusammentreffen von Notwendigkeit und Willkür, von Antrieb und Wollen, von Bewegung und Widerstand ein Drittes hervorgeht, was weder Kunst noch Natur, sondern beides zugleich ist, notwendig und zufällig, absichtlich und blind. Ich verstehe die Gesellschaft 121 ." Das ist nicht historischer Materialismus, sondern dem Walten der N a t u r bei der Bildung von Organismen, dem des Künstlers beim Schaffen des Kunstwerkes abgesehen. Das organische Moment ist in diesem Schauen das Entscheidende. Eines der aufschlußreichsten Zeugnisse für die polare Struktur von Goethes geschichtlichem Denken ist ein im Nachlaß erhaltenes Schema122. Es gliedert die geschichtliche Entwicklung der Wissenschaften in vier Epochen, die sich so verteilen, daß auf drei konzentrierten Kreisen je zwei, die Epoche charakterisierende Begriffe einander polar gegenüberstehen, zugleich aber auf den drei Kreislinien so angeordnet sind, daß die dadurch angedeutete Entwicklungslinie, nach links fortschreitend zu ihrem Ausgangspunkte zurück kehrt und so einen Stromkreis schließt, der, von dem einen Pole ausgehend, vom Gegenpol wieder angezogen wird. So stehen einander gegenüber: Sinnlichkeit und Vernunft, Verstand und Phantasie, kindlich und didaktisch, empirisch und ideell, poetisch i« "8 120 122

H 627. « 7 H 296. W II, 3, 108. i w W I , 23, 40. W II, 1, X V . 121 W II, 6, 1 3 2 . figürlidi dargestellt in W II, 13, 446 f. Vgl. dazu auch H. Leisegang, Goethes Denken. Leipzig 1932, S. 83 ff.

24 r

und dogmatisch, neugierig und methodisch, forschend und mystisch, pedantisch und abergläubisch. Die Entwicklung endlich geht, die vier Epochen markierend, von der Sinnlichkeit über Verstand, Vernunft, Phantasie wieder zurück zur Sinnlichkeit; von kindlich über empirisch, didaktisch, ideell wieder zurück zu kindlich; von poetisch über neugierig, forschend, pedantisch, dogmatisch, methodisch, mystisch, abergläubisch zurück zu poetisch 123 . Polares und biologisches Denken vereinigen sich hier in einer Kombination der Begriffe Polarität, Steigerung und Kreislauf. Nicht anders liest mans in der Einleitung zur Geschichte der Farbenlehre: „Der Kreis, den die Menschheit auszulaufen hat, ist bestimmt genug, ungeachtet des großen Stillstandes, den die Barbarei machte, hat sie ihre Laufbahn schon mehr als einmal zurückgelegt. Will man ihr auch eine Spiralbewegung zuschreiben, so kehrt sie doch immer wieder in jene Gegend, wo sie schon einmal durchgegangen. Auf diesem Wege wiederholen sich alle wahren Ansichten und alle Irrtümer 1 2 4 ." Bei der Durchsicht von Rezensionen, die f ü r die Jenaer Literaturzeitung bestimmt sind, nach Goethes Meinung Produktionen eines hohlen Tageswahns, tröstet er sich mit der Erkenntnis: „Wer die Geschichte recht erkannt hat, dem wird aus tausend Beispielen klar sein, daß das Vergeistigen des Körperlichen wie das Verkörpern des Geistigen nicht einen Augenblick geruht, sondern immer unter Propheten, Religiösen, Dichtern, Rednern, Künstlern und Kunstgenossen hin und her pulsiert hat, vor- und nachzeitig immer, gleichzeitig oft 125 ." Im Aufsatz über Winckelmann beruft sich Goethe auf Vellejus Paterculus, der bereits das Steigen und Fallen aller Künste beobachtet habe: „Ihn als Weltmann beschäftigt besonders die Betrachtung, daß sie sich nur kurze Zeit auf dem höchsten Punkte, den sie erreichen können, zu erhalten wissen. Auf seinem Standorte war es ihm nicht gegeben, die ganze Kunst als ein Lebendiges (Iwov) anzusehen, das einen unmerklichen Ursprung, ein langsames Wachstum, einen glänzenden Augenblick seiner Vollendung, eine stufenfällige Abnahme, wie jedes andre organische Wesen, nur in mehreren Individuen, notwendig darstellen muß 126 ", eine Aussage, die den Akzent auf das Biologische, den Kreislauf legt, der aber die pulsierende Systole und Diastole voraussetzt. Dieselbe Anschauung vertritt Goethe noch im höchsten Alter: „Wollte man uns übel nehmen, wenn wir sagen: i " H 1158, W II, 13, 446 f. 12s a n Eichstädt 10. III. 1815. 242

W II, 3, VIII. i » f l , 46, 41.

die Nationen steigen aus der Kindheit in großer Anstrengung über die mittleren Jahre hinüber und sehnen sich zuletzt nach der Bequemlichkeit ihrer ersten Tage. Da nun die Nationen unsterblich sind, so hängt es von ihnen ab, immer wieder von vorn anzufangen 127 ." Von solchen eigentlich organisch-biologischen Voraussetzungen aus gelangt Goethe bei der Arbeit an seiner Farbenlehre sogar zu der Vorstellung einer „Geschichte a priori", „denn es entwickelt sich wirklich alles aus den vor- und rückschreitenden Eigenschaften des menschlichen Geistes, aus der strebenden und sich selbst wieder retardierenden Natur" 1 2 8 . Das bedeutet doch wohl, die als diastolisch und systolisch erkannte Bewegung der Geschichte, auch der des Geistes, läßt von vornherein wie die pulsierende Bewegung der N a t u r dasselbe Resultat erwarten, ein Beweis f ü r die völlige Analogie von Goethes N a t u r - und Geschichtsbetrachtung. Seine eigenen Bemühungen und Erfahrungen drängten ihm jedoch immer wieder das Polaritätsprinzip als das eigentlich die Entwicklung Fordernde auf. Als Historiker der Farbenlehre gewinnte er Einblick in den Konflikt zwischen der unmittelbaren Erfahrung und der mittelbaren Uberlieferung, das ständige Schwanken, das Hin und H e r zwischen Anerkennung und Ablehnung. Er wird zum Musterfall von Goethes Durchdringung geistesgeschichtlicher Bewegung überhaupt. Von Anfang an schichten sie sich um zwei Pole, um Plato und Aristoteles, genötigt, den einen oder den andern als Führer anzuerkennen 129 . Denn „nichts ist stillstehend. Bei allen scheinbaren Rückschritten müssen Menschheit und Wissenschaft immer vorschreiten" 130 . Epochen „des Werdens, der freien Ausbildung des Einzelnen" wechseln dabei mit solchen des Rückschritts, Anerkennung der Autorität mit Nichtachtung, Verehrung des Uberlieferten mit „schriftstürmender Wut" 1 3 1 , kritiklose Hinnahme mit Sonderungsvermögen; Aberglaube, Erstaunen mit Unglauben und Ablehnung des Erhabenen 132 , Zweifelsucht mit entschiedenem Absprechen 133 , höheres Streben mit Zunahme bloß technischer Fertigkeiten 134 , Lust am Geheimnis mit freiem Forschungsdrang 135 . „Der Kampf des Alten, Bestehenden, Beharrenden mit Entwicklung, Aus- und Umbildung ist immer derselbe . . . Es ist immer derselbe Konflikt, der zuletzt wieder einen neuen er49./1, 182 f. i*> W I I , 3, 142 ff. 131 Ebd. 146 f. " 3 Ebd. 240. 135 Ebd. 167.

128

an Schiller 24. I. 1798. 130 Ebd. VII. 132 Ebd. 164. 134 Ebd. 287.

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zeugt134." Die chromatischen Studien machen ihm die Geschichte der Naturwissenschaften immer „wichtiger und liebwerter". Auch diese entfaltet sich in polarer Bewegung. Erfahrung und Wissenschaft schreiten fort, das Denken aber vermag damit nicht immer Schritt zu halten. Das Erkennen der vorliegenden Weltgegenstände, „vom Fixstern bis zum kleinsten lebendigen Lebepunkt", wird immer deutlicher und ausführlicher, „die wahre Einsicht in die Natur dieser Dinge" aber ist „in sich selbst gehindert" und dieses „in dem Grade, daß nicht allein die Individuen, sondern ganze Jahrhunderte vom Irrtum zur Wahrheit, von der Wahrheit zum Irrtum sich in einem stetigen Kreise bewegen"137. Die Geschichte der Physik hat ihn gelehrt: „Ganz allein durch Aufklärung der Vergangenheit läßt sich die Gegenwart begreifen. Eine Wissenschaft ist, wie jede menschliche Anstalt und Einrichtung, eine ungeheure Kontignation von Wahrem und Falschem, von Freiwilligem und Notwendigem, von Gesundem und Krankhaften 138 ." Dem menschlichen Geiste wird das aufgehäufte Vergangene höchst lästig zu einer Zeit, „wo das Neue, das Gegenwärtige gleichfalls gewaltsam einzudringen anfängt; wie er die alten Reichtümer aus Verlegenheit, Instinkt, ja aus Maxime wegwirft; wie er wähnt, man könne das Neuzuerfahrende durch bloße Erfahrung in seine Gewalt bekomen: wie man aber bald wieder genötigt wird, Räsonnement und Methode, Hypothese und Theorie zu Hilfe zu rufen, wie man dadurch abermals in Verwirrung, Kontroverse, Meinungswechsel, und, früher oder später, aus der eingebildeten Freiheit wieder unter den ehernen Szepter einer aufgedrungenen Autorität fällt" 139 . Die Menschheit schwankt im ganzen. Was gestern galt, wird heute verdammt. „Es täte not, man vertilgte bis auf die letzte Spur das, was bisher so großen Wertes geachtet wurde. Kein ehemals ausgesprochenes Wort soll gelten, alles, was weise war, soll als närrisch erkannt werden, was heilsam war, als schädlich, was sich lange Zeit als förderlich zeigte, nunmehr als eigentliches Hindernis". Es liegt dies im Wesen des menschlichen Geistes. „Er ist ungeduldig und anmaßlich und zugleich unsicher und zaghaft. Er strebt nach Erfahrung und in ihr nach einer erweiterten, reinem Tätigkeit, und dann bebt er wieder davor zurück und zwar nicht mit Unrecht. Wie er vorschreitet, fühlt er immer mehr, wie er bedingt sei, daß er verlieren müsse, indem er ge134 H 346. W8 Ebd. 36, 67.

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"7 w i , 35, 179 f. 139 W II, 3, 147.

winnt: denn ans Wahre wie ans Falsche sind notwendige Bedingungen des Daseins gebunden . . . Das Schießpulver ist kaum erfunden, so verliert sich die persönliche Tapferkeit aus der Welt oder nimmt wenigstens eine andre Richtung. Das tüchtige Vertrauen auf seine Faust und Gott löst sich auf in die blindeste Ergebenheit unter ein unausweichlich bestimmendes, unwiderruflich gebietendes Schicksal. Kaum wird durch Buchdruckerei Kultur allgemeiner verbreitet, so macht sich schon die Zensur nötig, um dasjenige einzuengen, was bisher in einem natürlich beschränkten Kreise frei gewesen 140 ." So hat sich auch die Naturwissenschaft keineswegs „in einem stetigen Gange" erweitert, „auch nicht einmal stufenweise, sondern durch A u f - und Absteigen, durch Vor- und Rückwärtswandeln in grader Linie oder in der Spirale" 141 . Da Wörter wie „Stufe", „stufenweis", „Spirale" für Goethe das immer wieder verwendete Mittel sind, eine Steigerung auszudrücken, manifestieren sich auch hier Polarität und Steigerung als gekoppelt. Auch das Bemühen, geschichtliches Geschehen epochenweise zu gliedern, wird in Italien belebt. Durch Winckelmann fühlt er sich in Rom „dringend aufgeregt, die Epochen zu sondern, den verschiedenen Stil zu erkennen, dessen sich die Völker bedienten, den sie, in Folge der Zeiten, nach und nach ausgebildet und zuletzt verbildet" 142 . „Ein sorgfältiges Auge wende ich", berichtet er an H e r der 143 , „immer fort auf die verschiednen Stile der Völker und die Epochen dieser Stile in sich." Die Betrachtung der Farbenlehre hat gezeigt, daß ihn dabei seine „Gedankenform" zu polarisierender Rhythmisierung drängte. Wenn er in den Aufsätzen „Geistesepochen nach H e r m a n n " und „Epochen geselliger Bildung" anders gliedert, ist unverkennbar, daß er da entweder fremde Gedanken wiedergibt, wie die Hermanns oder Creuzers, oder sich geschichtsphilosophischen Gedanken, wie sie die Zeit ihm anbot, anzunähern sucht. In den „Noten und Abhandlungen zum west-östlichen Divan" jedoch führt er im Abschnitt „Israel in der Wüste" alles weltgeschichtliche Geschehen auf ein letztes polarisierendes Prinzip zurück: „Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar f ü r Mitwelt und Nachwelt. 140 W II, 3, 212 f. i « W1,30, 264.

141

W II, 3, 148. 1« 25. I. 1787.

Alle Epochen dagegen, in welchen der Unglaube, in welcher Form es sei, einen kümmerlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Scheinglanze prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit Erkenntnis des Unfruchtbaren abquälen mag 1 4 4 ." Als der Graf Zenobio Goethen fünfzig Karolin als Preis f ü r die „beste Auflösung einer, die verschiedenen Stufen der Kultur betreifenden, Frage" aussetzt, wobei „die dabei fördernden Ursachen auf allgemeine Ideen zurückgeführt werden" 1 4 5 1 4 6 , denkt Goethe an „eine gedrängte, lichtvolle Darstellung des Bestehenden im Menschen, mit Entwicklung der Phänomene der Kultur aus demselben. Man betrachte sie nun als ein Ganzes der Gegenwart oder der Sukzession oder als beides zugleich 147 ." „Genuß und Streben" sollen dabei die beiden Pole bilden. Geschichte ist f ü r Goethe demnach ein Ergebnis polarer Mächte, ein Ineinanderwirken geistig-seelischer Faktoren in kreisender Wiederkehr auf jeweils höherer Ebene. So löst er das Problem des Historismus, Relativität des jeweils Erscheinenden mit dem Glauben an dauernde Werte, Belehrung mit Belebung zu verbinden, da dasselbe polarisierende Prinzip ja das Grundwesen der lebendigen Monas konstituiert, so daß sich Nietzsches Vorwort zur zweiten seiner „Unzeitgemäßen Betrachtungen" nicht ganz zu Recht auf ein Ceterum censeo Goethes beruft. So nimmt Goethe am Ende denn auch dankbar an, was ihm die Geschichtsforschung seiner Zeit zu bieten hatte. Die Ausleihlisten der Weimarer Bibliothek 148 zeigen, was Goethe alles an historischem Schrifttum eingesehen hat zur Vorbereitung eigener Werke, etwa der Anmerkungen zu seiner Ubersetzung der Selbstbiographie Benvenuto Cellinis oder von Diderots Dialog „Rameaus N e f f e " . Das schon 1795 in dem Aufsatze „Literarischer Sanskulotismus" angekündigte Wagnis, „die Geschichte der Ausbildung unserer vorzüglichsten Schriftsteller" 149 wurde im siebten Buche von „Dichtung und Wahrheit" verwirklicht, einer Geistes- und Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts, die auch da das Wechselspiel zwischen dem Ganzen und den Einzelerscheinungen im Auge hat. V o r allem so, daß die Wirkung auf ihn selber der Hauptgesichtspunkt bleibt, die Rolle, die diese Dichtung in der Geschichte seines eigenen Werdens im W I, 7, 1 5 7 . 145 an Unbekannt 1. V . 1 8 0 1 W I V , 1 5 , 2 2 7 f. " 6 W I, 3 5 , 1 8 6 f. 147 an Schiller 1 1 . I I I . 1 8 0 1 . 14 8 V g l . E . v . Keudell, Goethe als Benützer der Weimarer Bibliothek. W e i m a r 1931. 149 W I , 40, 2 0 1 .

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spielt, das Wichtigste ist150, wobei Zeitstil, von dem Goethe ausgeht, und Nationalcharakter zueinander in polarer Spannung stehen, desgleichen Talent und Zeitlage, was in der Charakteristik Klopstocks und Herders besonders deutlich wird 151 . Goethes literar- und kunstgeschichtliche Kenntnisse sind bedeutend152. Sein Ziel ist die Schaffung einer umfassenden Literatur-, Kunst- und Musikgeschichte, welch letztere Zelter schreiben sollte. In Rezensionen und Aufsätzen hat er selbst zahlreiche Beiträge dazu geliefert. Als Beispiel sei nur seine Rezension der Lyrischen Gedichte Vossens genannt, die auch in Art und Methode etwas völlig Neues darstellt, wenn sie sich, auch hier polarisierend, bemüht, „den Dichter aus dem Gedicht, das Gedicht aus dem Dichter zu entwickeln" 153 . Welche Mühe läßt er sichs kosten, sich ins Nibelungenlied derart einzuarbeiten, daß er „Zeile für Zeile eine verständliche Übersetzung vorlesen", ins Ganze des Werkes eindringen und sich auch über das Einzelne Rechenschaft geben konnte154. „Da wir denn doch", verkündet er 1825 in „Kunst und Alterum", „zu dieser allgemeinen Weltberatung als Assessoren, obgleich sine voto berufen sind, und wir uns von den Zeitungsschreibern tagtäglich referieren lassen, so ist es ein Glück, auch aus der Vorzeit tüchtig Referierende zu finden. Für mich sind von Raumer und Wachler in den neuesten Tagen dergleichen geworden." Gemeint ist Raumers „Geschichte der Hohenstaufen" und Wachlers „Handbuch der Geschichte der Literatur", bei dessen Lesung es ihm scheint, „man lebe zum zweitenmale, freilich um vieles bequemer" 155 . Auch Niebuhrs „Römische Geschichte" wird hochgeschätzt, wobei ihn allerdings mehr die Methode der Darstellung als das Dargestellte fesselt: „So eines Mannes tiefer Sinn und emsige Weise ist eigentlich das, was uns auferbaut. Die sämtlichen Ackergesetze gehen mich eigentlich gar nichts an, aber die Art, wie er sie aufklärt, wie er mir die komplizierten Verhältnisse deutlich macht, das ist's, was mich fördert, was mir die Pflicht auferlegt, in denen Geschäften, die ich übernehme, auf gleiche gewissenhafte Weise zu handeln 156 ." Ist es doch Goethes wo Vgl. C. Hammer, Goethes Dichtung und Wahrheit, 7. Buch. Literaturgeschichte oder Bildungserlebnis?: University of Illinois. Studies in Language and Literatur. X X X . 1. Urbana 1945. 151 zu Eckermann 9. XI. 1824. 152 Ygl_ ¿ig stoffreiche Diss. von E. Haase, Goethes Verhältnis zur Literaturwissenschaft. Kiel i960. W I, 40, 280. Mí W I , 36, 29. iss W I , 41/2, 158 f. 156 an Zelter 17.1. 1831.

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Anliegen überhaupt, „einen Autor als Menschen zu betrachten" 157 . Audi bei der Lektüre von Scotts „Leben des Napoleon" interessiert ihn, „ob er Fakta anzuführen versäumt, ob er sie entstellt, ob er sie parteiisch ansieht, einseitig beurteilt oder ob man ihm Recht lassen muß. Voraus aber sage ich mir: Man wird dabei die Menschen näher kennen lernen als den Gegenstand und im ganzen wird man es doch endlich bewenden lassen; denn wenn man sich bei einer Geschichte nicht beruhigt wie bei einer Legende, so löst sich zuletzt alles in Zweifel auf 158 ." Und, „wenn man behauptet hat: schon der Stil eines Schriftstellers sei der ganze Mann, wie vielmehr sollte nicht der ganze Mensch den ganzen Schriftsteller enthalten" 159 . Herder und Eichhorn stattet Goethe in den Noten zum Divan seinen D a n k ab: „Was solche Männer uns verliehen und hinterlassen haben, darf nur angedeutet werden, und man verzeiht uns die Eilfertigkeit, mit welcher wir an diesen Schätzen vorübergehen 160 ." In der Kunstgeschichte wird ihm Heinrich Meyer zum unentbehrlichen Helfer, dessen kunstgeschichtliches Wissen ihm in manchen Fällen erst das Verständnis von Kunstwerken erschlossen hat. In der „Italienichen Reise" wird mancher Künstler mehr auf Grund seiner historischen Bedeutsamkeit als aus künstlerischer Einfühlung gewürdigt 161 . In Goethes eigenen kunsttheoretischen Arbeiten gewinnt vom Aufsatz „Alte Gemälde" an das Historische mehr und mehr an Bedeutung. Den „Noten und Abhandlungen" zum Divan liegen gründliche historische Studien zugrunde. Im Abschnitt „Regiment" fragt er als „Geschichtsfreund", wie es wohl mit solchen menschlichen Verhältnissen - gemeint sind Natur-, Völker- und Staatsrecht - von jeher gestanden habe und gibt die Antwort darauf in einem Abriß der persischen Geschichte. Großartig entwickelt er in dem Abschnitt Mahmud von Gasra die Bedingungen für die Eigentümlichkeiten der persischen Dichtung. Klar und prägnant charakterisierend, führt er das „Siebengestirn" der persischen Dichter in der „Ubersicht" vorüber. Zelter erklärt er in einem Briefe 162 die „genetische Entwicklung" des Chors in der antiken Tragödie, wie sie sich aus dem Lyrischen löst, was er am Beispiel der katholischen Liturgie in der Karwoche erläutert. Immer sind es in der Gegenwart ihm begegnende Phänomene, die ihn bestimmen, ihrer 157 w II, 3, X I I . « 9 W II, 3, X I I . 161

158 160

an Zelter 4. X I I . 1827. W I, 7, 7.

Vgl. H. Prang, Goethe und die Kunst der italienischen Renaissance. Berlin 1938: Germanische Studien, H f t . 190. 1 « 4. V I I I . 1808.

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Vergangenheit, ihrer Genese nachzugehen. Das gilt nicht zuletzt für seine bedeutendste geschichtliche Leistung, die „Materialien zur Geschichte der Farbenlehre". Anläßlich von Knebels Lukrez-Übersetzung bemerkt er: „Den echten Dichter wird niemand kennen, als wer dessen Zeit kennt 1 6 3 ." Das ist genau die Forderung, die er an sich selbst stellt, als er darangeht, sein eigenes Wachsen und Werden zu gestalten. Er selbst steht j a in „Dichtung und Wahrheit" keineswegs immer als Protagonist an der Rampe, sondern tritt immer wieder für längere oder kürzere Zeit zurück, um dem Verfasser Gelegenheit zu geben, ihm den Boden zu bereiten, die Zeit zu schildern, mit der, gegen die und an der er heranwächst und reift. Weiß er sich doch als kollektives Wesen, an dem das Beste „die Kraft und Neigung ist, die Mittel der äußern Welt an uns heranzuziehen und unseren höheren Zwecken dienstbar zu machen", „die Fähigkeit und Neigung, zu sehen und zu hören, zu unterscheiden und zu wählen, und das Gesehene und Gehörte mit einigem Geist zu beleben und mit einiger Geschicklichkeit wiederzugeben" 164 . Das ist nichts weniger als falsche Bescheidenheit, sondern Goethes ureigenste und immer wieder bewährte Uberzeugung, die jener anderen parallel geht, die ihn die Natur gelehrt hatte, auch die Natur des Menschen sei an die Wachstums- und Bildungsgesetze des natürlichen Lebens gebunden. Das wird deutlich ausgesprochen in dem geplanten Vorwort zum dritten Teil von Dichtung und Wahrheit, mit dem er ursprünglich seine Selbstdarstellung schließen wollte. Hier äußert er sich über das Prinzip der Darstellung, wonach er die drei Teile nach jenen Gesetzen gebildet habe, „wovon uns die Metamorphose der Pflanzen belehrt. In dem ersten sollte das Kind nach allen Seiten zarte Wurzeln treiben und nur wenig Keimblätter entwicklen. Im zweiten der Knabe mit lebhafterem Grün stufenweis mannigfaltiger gebildete Zweige treiben und dieser belebte Stengel sollte nun im dritten Beete ähren- und rispenweise zur Blüte hineilen und den hoffnungsvollen Jüngling darstellen . . . in der nächsten Epoche, zu der ich schreiten müßte, fallen die Blüten ab, nicht alle Kronen setzen Frucht an und diese selbst, wo sie sich findet, ist unscheinbar, schwillt langsam und die Reife zaudert 163 " - ein polares Ineinanderwirken der jeweiligen Zeitlage und eigener Wachstumskraft, von Daimon und Tyche, „geprägte Form, die lebend sich entwickelt". Denn die Natur ist i " W I, 41/1, 361. w i , 28, 356 f. 17

Koch, Gedankenform

zu Edkermann 17. II. 1832.

249

„die ewige Quelle, aus der auch der Vollendetste nie aufhören darf, fortdauernd zu schöpfen. Denn sie ist unerschöpflich und nur auf diesem Wege das wahrhaft Lebendige zu ergreifen und wiederzugeben" 166 . So zeigt „Dichtung und Wahrheit" das Lebewesen Goethe, das „mehr aus Trieb und Schicksal, denn aus Wahl und Vorsatz" 167 zu dem wurde, was es war und „das in einer glücklichen Entfaltung so wie in der notgedrungensten Beschränkung sich gleidbt zu bleiben und, wo nicht immer die Würde, doch wenigstens die Hartnäckigkeit des menschlichen Wesens durchzuführen trachtete" 168 . Goethe ist ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts, weshalb die geistigen Kräfte und Strömungen dieses Jahrhunderts, immer im Hinblick darauf, was das Kind, der Jüngling, der Mann davon für den Aufbau des eigenen Daseins benötigte, zur Darstellung gelangen mußten. Das so beliebte Bild von Zettel und Einschlag gilt auch für das Darstellungsprinzip von Dichtung und Wahrheit, sowohl für die Schilderung der Zeitumstände wie des eigenen Lebens. Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts, die Epoche, in der Goethe die entscheidenden Impulse aus dem geistigen Raum, der ihn umgibt, empfängt, enwickelt sich im Widerspruch gegen die vorausgehende, was bis zur Höhe der Diastole geführt wird. Die Systole schildert die „Italienische Reise", die Krise und den Ausblick auf eine neue Diastole die „Kampagne in Frankreich". Scherzhaft kleidet der Dichter den pulsierenden Rhythmus des eigenen Lebens in die Verse: Gern war' ich Uberliefrung los Und ganz original; Doch ist das Unternehmen groß Und führt in manche Qual. Als Autochthone rechnet' ich Es mir zur höchsten Ehre, Wenn ich nicht gar zu wunderlich Selbst Uberliefrung wäre 169 . In ethischer Wendung: Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen. Das bedeutet den Imperativ, ganz das zu werden, was man ist, Antizipation in Aneignung zu verwandeln, denn — auch so offen1«6 zu F r . L a u n 3. I V . 1804. G I , 3 6 1 . "8 W I , 49/1, I J I .

250

W I, 36, 19$. 3, 367.

bart sich Systole und Diastole des Lebens - „nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß". Durch alle autobiographischen Werke Goethes aber geht zugleich auch der Atem der Geschichte. Wenn dabei das achtzehnte Jahrhundert die breiteste Behandlung erfährt, so hatte sich Goethe in der Geschichte der Farbenlehre genugsam dafür vorbereitet, wenn er es da das „selbstkluge" nennt, „indem es sich auf eine gewisse klare Verständlichkeit sehr viel einbildete und alles nach einem einmal gegebenen Maßstabe abzumessen sich gewöhnte. Zweifelsucht und entscheidendes Absprechen wechselten miteinander ab, um eine und dieselbe Wirkung hervorzubringen: eine dünkelhafte Selbstgenügsamkeit und ein Ablehnen alles dessen, was sich nicht sogleich erreichen noch überschauen ließ 1 7 0 ." In „Dichtung und Wahrheit" ist Polarität schon im Wesen des Helden als elterliches Erbe angelegt. Dem Träger polarer Eigenschaften mußte als Historiker des eigenen Lebens polarisierende Darstellung daher selbstverständlich werden, wenn die sich ständig steigernde Entwicklung des Helden unter Einwirkung von Polaritäten wie etwa Leipzig und Straßburg vollzieht oder sich wechselseitig der Charakter der Zeit und der des Helden in einander spiegeln. Wenn Goethe Biographien, Briefe, Memoiren, Tagebücher allen anderen geschichtlichen Darstellungen vorzieht, obwohl auch da eine einschränkende Bemerkung nicht fehlt - „Alle pragmatische, biographische Charakteristik muß sich vor dem naiven Detail eines bedeutenden Lebens verkriechen" 171 - , so gibt er in seiner Selbstbiographie dafür das überzeugendste Beispiel. Denn „wie sehr wir uns auch von vergangenen Dingen zu unterrichten bestrebt sind und uns mit Geschichte von Jugend auf im allgemeinsten und allgemeinen beschäftigen, so finden wir doch zuletzt, daß das Einzelne, Besondere, Individuelle uns über Menschen und Begebenheiten den besten Aufschluß gibt" 1 7 2 . Ihm gelingt, das Leben darzustellen, „wie es an und für sich und um sein selbst willen da ist", weil in seinen selbstbiographischen Werken Subjekt und Objekt zusammenfallen, der Darsteller an und in sich jenen Wechselbezug von Vergangenheit und Gegenwart erlebt. Dem gegenüber bleibt die Leistung des Historikers, aus „Quellen" gleichsam ein Mosaik der Vergangenheit herzustellen, ein Verfahren, dem Goethe mit Reserve gegen"o W II, 3, 259 f. WI, 42/1, 10$.

AN

H. Meyer 8. II. 1796.

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übersteht. „Soll aber und muß Geschichte sein, so kann der Biograph sich um sie ein großes Verdienst erwerben, daß er ihr das Lebendige, das sich ihren Augen entzieht, aufbewahren und mitteilen mag173." So kann er sich zuletzt in stolzer Bescheidenheit, wie sie nur dem Genie eigen ist, als Vollzugsorgan einer Lebensganzheit, eines Wechselbezuges, nehmend und gebend, fühlen. „Was habe ich denn getan?" hört Soret ihn fragen. „Ich sammelte alles . . . was Natur und was Menschen schufen, alles habe ich verarbeitet; alles, was ich schrieb, wurde mir durch unzählige Wesen und Dinge vermittelt; Weise und Toren, Dummköpfe und geistreiche Leute, Kinder und Erwachsene brachten mir, und meist ohne es zu ahnen, ihre Gedanken, ihr Können, ihre eigenen Erfahrungen; oft säten sie, was ich erntete; mein Lebenswerk ist das einer Vielheit von Wesen aus der ganzen Natur; es trägt den Namen Goethe174."

w i , 28, 3 $ 8 . 1 ^ 1 7 . 1 1 . 1 8 3 2 . F. Soret, Zehn J a h r e bei Goethe. A u s Sorets Nachlaß, seinen Tagebüchern und seinem Briefwechsel zum erstenmal zusammengestellt und erläutert von H . H . Houben. Leipzig 1 9 2 9 , S . 6 3 3 .

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VII Symbolik In jenem so aufschlußreichen Briefe vom 16. August 1797, den Goethe auf dem Wege in die Schweiz von Frankfurt aus an Schiller schrieb und den wir noch einmal aufnehmen, weil er in unserem Zusammenhange von einem anderen Gesichtspunkte aus noch von Bedeutung ist, berichtet er, wie erinnerlich, von einer neuen Weise des Beobachtens und Sehens, die mit einer Art Sentimentalität verbunden sei. Er beobachtet sie Gegenständen gegenüber, die nicht ganz poetisch seien, wodurch ein Mittelzustand hervorgebracht werde, den er als poetische Stimmung empfindet, ohne daß er diesen Gegenständen eine poetische Form zu geben vermöchte. Zu seiner Verwunderung bemerkt er, „daß sie eigentlich symbolisch sind, das heißt, wie ich kaum zu sagen brauche: es sind eminente Fälle, die, in einer charakteristischen Mannigfaltigkeit, als Repräsentanten von vielen andern dastehen, eine gewisse Totalität in sich schließen, eine gewisse Reihe fordern, Ähnliches und Fremdes in meinem Geiste aufregen und so von außen wie von innen an eine gewisse Einheit und Allheit Anspruch machen. Sie sind also, was ein glückliches Sujet dem Dichter ist, glückliche Gegenstände für den Menschen, und weil man, indem man sie mit sich selbst rekapituliert, ihnen keine poetische Form geben kann, so muß man ihnen doch eine ideale geben, eine menschliche im höheren Sinn, das man auch mit einem so sehr mißbrauchten Ausdruck sentimental nannte". Hier ist jedes Wort von Bedeutung. Zunächst steht ja Goethe dem Erlebnis, denn um ein solches handelt es sich, da es die Poetisierung auszuschließen scheint, sichtlich etwas unsicher gegenüber und bittet Schiller, den Kenner des Sentimentalischen, es ihm zu deuten. Doch zeigt Schillers Antwort, daß er diesmal die tiefe Bedeutung dieses Erlebnisses für Goethe, der sich da im Kern- und Mittelpunkt seines Schauens, Erkennens und Gestaltens berührt fühlt, nicht erkannte. In jenem Aufsatz „Uber die Gegenstände der bildenden Kunst", der ja im Zusammenhang mit solchen Erfahrungen und Erlebnissen entstanden war, haben sich Goethes Gedanken schon weiter entwickelt und

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geklärt. D a wird betont, daß bei Gegenständen, um die es sich da dreht, „mehr die Behandlung und der Geist des Behandelnden in Betracht gezogen" werde, und daß sie „durch tiefes Gefühl bestimmt würden, „das, wenn es rein und natürlich ist, mit den besten und höchsten Gegenständen koinzidieren und sie allenfalls symbolisch machen wird. Die auf diese "Weise dargestellten Gegenstände scheinen bloß für sich zu stehen und sind doch wieder im tiefsten bedeutend, und das wegen des Idealen, das immer eine Allgemeinheit mit sich führt. Wenn das Symbolische außer der D a r stellung noch etwas bezeugt, so wird es immer auf indirekte Weise geschehen" 1 . Das entscheidende Wort in diesen Gedanken und Bekenntnissen ist das W o r t symbolisch. Es macht Epoche in Goethes Gedankenwelt, denn das Symbol wird sich als die Klammer erweisen, die die Polaritäten seiner Natur-, Kunst- und Geschichtsbetrachtung zusammenhält, als der letztmögliche und höchstgesteigerte Wechselbezug von Gegenstand und Bedeutung, Zweck und Sinn, Organik und Metaphysik, Biologie und Ontologie, als Säkularisierung auch dessen, was H a m a n n und Herder als Chiffernsprache Gottes gedeutet hatten, als coincidentia oppositorum, „so paradox, als wenn Jacob Böhme bei Erblickung einer zinnernen Schüssel durch Einstrahlung Jovis über das Universum erleuchtet wurde" 2 . Coincidentia oppositorum ist, wie Karl Jaspers sie definiert, „eine Form des Nichtwissens. Sie brüskiert den Verstand, den sie, als f ü r ihn absurd, verwirft. Sie fordert ein anderes Denken, das zwar in jedem Schritt sich des Verstandes als Mittel(s) bedient, das aber der Verstand als solcher nicht mehr versteht. Sie setzt den Entschluß voraus, aus einer ursprünglich anderen Erfahrung als es die sinnliche und rationale ist, diese neue Erfahrung in logisch-alogischer, in sich disziplinierter, methodischer Weise zur Klarheit zu bringen, und damit sie selber, im Denken sie erzeugend, immer reicher zu entfalten" 3 . So ungefähr sagt das ja Goethe auch, „nur mit ein wenig andern Worten". In der Farbenlehre beobachtet er das Phänomen an der grünen Farbe. „Wenn nun zwei aus derselben Quelle entspringende entgegengesetzte Phänomene, indem man sie zusammenbringt, sich nicht aufgeben, sondern sich zu einem dritten, angenehm Bemerkbaren verbinden, so ist dies schon ein Phänomen, das auf

i W 1 , 4 7 . 94* W 1,30,135. 3 Nikolaus Kusanus, München 1964, S. 16. Vgl. W. Dobbeks Artikel „Coincidentia oppositorum" im „Goethe-Handbuch", 2. Aufl., Bd. 1. Sp. 1 6 6 5 - 1 6 7 0 .

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Übereinstimmung deutet, das Vollkommnere ist noch zurück 4 ." Dieses Vollkommnere entsteht wie der Purpur, wenn man die gesteigerten Enden eines Gegensatzes verbindet. Er hat symbolische, Majestät offenbarende Bedeutung. Die Worte Symbol und symbolisch gehören von da an zum unentbehrlichen Bestand von Goethes Wortschatz, namentlich in der klassischen Zeit, doch auch weit darüber hinaus. Sie sind die Zauberformel, die Springwurzel, mit der sich der innerste Kern seiner Gedankenwelt erschließt. Z w a r schreibt er schon auf der Harz-Reise im Winter 1 7 7 7 an Charlotte von Stein: „Sie wissen wie simbolisch mein Daseyn ist", weil Gott mit ihm verfahre wie mit seinen alten Heiligen 5 . Doch geht das vorüber wie eine blitzhafte Erhellung in dunkler Nacht, ist einer der Ausbrüche, eine der Erschütterungen, die ihn auf dieser Fahrt erfassen, noch unreflektiert, das Wort hat noch nicht jene Tiefendimension, die es jetzt, am Ende des Jahrhunderts gewinnt. Denn jetzt handelt es sich darum, daß Idee und Gegenstand sich wechselseitig durchdringen, „jene, die nur bedeutend sein und sich nur mit dem Bedeutenden beschäftigen kann, und dieser, der recht wacker, brav und gut sein kann, ohne bedeutend zu sein" 6 , einem solchen Gegenstande Bedeutung zu geben. Nach seiner schauend erkennenden, das Aperçu erraffenden A r t sucht Goethe sich durch beispielhaft anschauliche Gegenstände verständlich zu machen. Solche aber habe er, wie er schreibt, nur zwei gefunden, die „in einem jeden Moment" symbolisch, also bedeutend sind: den Platz, auf dem er in Frankfurt wohnt, „in Absicht seiner Lage und alles dessen, was darauf vorgeht", und den Raum seines „großväterlichen Hauses und Gartens, der aus dem beschränktesten, patriarchalischen Zustande, in welchem ein alter Schultheiss von Frankfurt lebte, durch klug unternehmende Menschen zum nützlichsten Waren- und Marktplatz verändert wurde". „Insoferne sich nun denken läßt, daß das Ganze wieder von einem neuen Unternehmer gekauft und hergestellt werde, so sehen Sie leicht, daß es, in mehr als einem Sinne, als Symbol für tausend andere Fälle, in dieser gewerbereichen Stadt, besonders vor meinem Anschauen, dastehen muß". Die Sache ist ihm wichtig, begreiflicherweise, steht er doch hier an der Pforte einer entscheidenden Erkenntnis, in der sich der Widerspruch zwischen seiner Natur, die allüberall das Gesetz, die Einheit sucht, und

4 6

W II, 1, 2 7 8 . 5 10. und I I . X I I . 1 7 7 7 . an Schiller 16. V I I I . 1 7 9 7 .

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der „millionenfachen H y d r a der Erfahrung" zu lösen beginnt, indem man „ohne die Erfahrung in die Breite verfolgen zu wollen", in die Tiefe geht. Das Besondere, der Platz, w o Goethe wohnt, mit all dem, was sich dort vor seinen Augen abspielt, das Haus des Großvaters, dessen sich der Geist des Kaufmanns bemächtigt hat, vemittelt dem sinnenden Beschauer ein Bild des ganzen blühenden Lebens und Treibens einer bedeutenden Stadt. Audi hier fehlt es nicht an einer Gelegenheit, auf ein Symbolschaffen Goethes zurückzugreifen, das vordeutend, jedoch ohne schon als symbolisch erkannt zu sein, um so deutlicher die antinomische, polare Struktur des Symbols aufweist, auf den Aufsatz „Uber den Granit" (1784). Ohne daß das Wort Symbol fällt, wird der Granit doch als solches, zugleich als naher Verwandter des Urphänomens vom Leser empfunden, denn dieses Urgestein ist „das Höchste und Tiefste" zugleich7, es ist „die Grundveste unserer Erde", Repräsentant eines Beginnes, eines Ursprungs, der unableitbar ist und als solcher höchsten Wert bedeutet. Teil und Ganzes stehen in einem organisch-symbolischen Zusammenhang: „Die Lage und das Verhältnis seiner Teile, seine Dauer, seine Farbe ändert sich mit jedem Gebirge, und die Massen eines jeden Gebirges sind o f t von Schritt zu Schritt wieder in sich unterschieden und im ganzen doch immer wieder einander gleich." Ein Geist des Widerspruchs, eine Diastole, hat den Dichter „von der Betrachtung und Schilderung des menschlichen Herzens, des jüngsten, mannigfaltigsten, beweglichsten, veränderlichsten, erschütterlichsten Teiles der Schöpfung zur Beobachtung des ältesten, festesten, tiefsten, unerschütterlichsten Sohnes der N a t u r " , von innen nach außen geführt. In derselben symbolischen Funktion des Uralten, Unerschütterlichen begegnet der Granit wieder in der klassischen Walpurgisnacht, verkörpert in den Sphinxen, die schon vor Seismos da waren und sahen, wie sichs unter seinem Schütteln und Rütteln „aus dem Boden würgte", längst gewohnt, in tausend Jahren zu thronen, unberührt von Überschwemmung, Krieg und Frieden und ohne das Gesicht zu verziehen, Vertreter des Daseins an sich, eines Grundwertes in Goethes Weltbild. Zu den „Abwechselungen der menschlichen Gesinnungen", ihrer „schnellen Bewegung" steht, wie es im Granit-Aufsatz weiter heißt, „die erhabene Ruhe, die jene einsame, stumme N ä h e der großen, leise sprechenden Natur gewährt", in wohltätigem Gegensatz. Hier ruht der Beschauer „unmittelbar auf 7 W I I , 9, 1 7 2 .

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einem Grunde, der bis zu den tiefsten Orten der Erde hinreicht", auf „dem festen Boden der Urwelt", „vor allem Leben und über alles Leben". Auf die Diastole folgt eine neue Systole, denn wieder wendet sich der Beschauer nach innen, ein Gleichnis wird in ihm rege: „So einsam sage ich zu mir selber, indem ich diesen ganz nackten Gipfel hinabsehe und kaum in der Ferne am Fuße ein geringwachsendes Moos erblicke, so einsam sage ich, wird es dem Menschen zu Mute, der nur den ältesten, ersten, tiefsten Gefühlen der Wahrheit seine Seele eröffnen will." Die Urschicht der Erde und das tiefste Wahrheitsgefühl der menschlichen Seele begegnen einander, spiegeln sich ineinander, antworten einander. Und nun wieder die Wendung nach außen: Durst und Hunger rufen die menschlichen Bedürfnisse zurück. Jetzt beneidet er „die Bewohner jener fruchtbaren, quellreichen Ebnen, die sein Blick erreicht und die" —Vergangenheit und Gegenwart in eins - „auf dem Schutte und Trümmern von Irrtümern und Meinungen ihre glücklichen Wohnungen aufgeschlagen haben, den Staub ihrer Voreltern aufkratzen und das geringe Bedürfnis ihrer Tage in einem engen Kreise ruhig befriedigen. Vorbereitet durch diese Gedanken, dringt die Seele in die vergangenen Jahrhunderte hinauf, sie vergegenwärtigt sich alle Erfahrungen sorgfältiger Beobachter, alle Vermutungen feuriger Geister." Und wiederum wendet sich der Gedanke zurück im polaren Aufbau des Ganzen in Urzeiten, wo diese Klippe „schroffer, zackiger, höher in die Wolken, da dieser Gipfel noch als eine meerumflossene Insel in den alten Wassern dastand; um sie sauste der Geist, der über den Wolken brütete", aus deren weitem Schöße sich eine Lebewelt zu erzeugen beginnt. Und noch einmal setzt sich solchen Empfindungen ein anderer Pol entgegen, eine neue Szene der Zerstörung - wir kennen das Doppelgesicht von Welt und Leben - , in der doch die „Grundveste", das Symbol des Dauernden im Wechsel, der Granit, unerschütterlich bleibt. Das Ganze - wiederum eine Antizipation, deren Aneignung die folgenden Jahre erbringen Modell einer Symbolik, an der alle Grundelemente von Goethes Welt sich manifestieren: die Urpolarität von Systole und Diastole, der Wechselbezug von innen und außen, außen und innen, die leise sprechende Natur, die weder Kern noch Schale, die alles mit einemmale ist. Der wechselseitigen Spiegelung und Analogie von Mikround Makrokosmos, den Polaritäten antwortet der Wechsel von Aufbau und Zerstörung, von Leben und Tod, von Stirb und Werde im Ganzen der Natur, die Fortdauer des Vergangenen im Gegenwärtigen. Schon hier, auf dem Gipfel des Brocken, denn an ihn ist M7

bei dem Aufsatze wohl zu denken, ahnt Goethe, was Faust bei den Müttern erblickt: „Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinnes ev/ige Unterhaltung": W a s einmal war in allem Glanz und Schein, Es regt sich dort, denn es will ewig sein. Noch fehlt der „Lakonismus", das „ins Enge" Gezogene der späteren Symbolik Goethes, um so fühlbarer ist die Bewegung des Gemüts, das „tiefe Gefühl" in dieser visionären Schau von Ursprung und Entwicklung, die, wie ersichtlich auch Verfremdung sein kann, von N a t u r und Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart, Organik und Metaphysik, in dieser allumfassenden Metamorphose eines Unzerstörbaren. Der Blick vom Brocken also offenbart schon einen jener eminenten Fälle, die Goethe, einmal darauf aufmerksam geworden, immer wieder beobachtet und in der Dichtung verwertet. An die symbolische Funktion des Wohnplatzes in F r a n k f u r t erinnert die Schilderung des Marktplatzes in der „Novelle": „Es ist, als wären die Bedürfnisse und Beschäftigungen sämtlicher Familien des Landes umher, nach außen gekehrt, in diesem Mittelpunkt versammelt, an das Tageslicht gebracht worden; denn hier sieht der aufmerksame Beobachter alles, was der Mensch leistet und bedarf; man bildet sich einen Augenblick ein, es sei kein Geld nötig, jedes Geschäft könne hier durch Tausch abgetan werden; und so ist es auch im Grunde 8 ." Es ist das gleiche Symbol, ein Ursprüngliches, und der gleiche Gebrauch, eine Sammellinse, in deren Brennpunkt sich Vergangenheit und Gegenwart, die U r f o r m des Handels und dessen Gegenwartsform, die dasselbe noch ist und zugleich doch nicht mehr, in der Phantasie des Beschauers zusammenfinden. Aber hier verengt sich auch die Dimension des Raumes auf einen Punkt, „wo Gebirge und flaches Land an einander grenzen, beide so deutlich aussprechen, was sie brauchen und was sie wünschen", Symbol des Lebens, eines Durch- und Miteinanders, eines Ganzen. Desselben Mittels, der Symbolkraft und Prägnanz des Ortes, bedient sich Goethe noch im höchsten Alter bei der Schilderung des Lebens, das sich am Brunnen auf dem Platze vor seinem Hause auf dem Frauenplan entfaltet. Da steht „ein großes, anständiges Wasserbecken, welches von einer stark fließenden Röhre hinreichend genährt wird. Dahin kommen, besonders morgens und abends, Frauen, Töchter, Mägde, Gesellen, Kinder, das notwendige Ingrediens ihres Daseins abzuholen. Hier » WI,

258

18,

322.

ist das Geschäft einfach und doch mannigfaltig: aus dem Becken wird geschöpft, in Butten gegossen, zum Reinigkeitsgebrauche auf dem Rücken fortgetragen. Zum Trinken werden Krüge unter die Röhre gestellt, zu Koch- und feinerem Bedürfnis Eimer untergeschoben. Dabei ist nun die H a l t u n g der Handelnden und Abwartenden nie dieselbe; die Mannigfaltigkeit der Geberden ist unendlich, die Stellung derjenigen sowohl, die im Besitz des Empfangens ist, als der andern, die auf den Augenblick paßt, bis die Reihe an sie kommen soll, zeigt keine Spur von Ungeduld, alles geht im Takt, und doch ist ein feiner Unterschied zwischen einer und der andern zu bemerken. Salat an O r t und Stelle zu waschen, ist jetzt streng polizeilich verboten. Schade! Das gab recht artige häusliche Stellungen, und doch bleibt noch genug übrig, von der früh Ankommenden, Einsamen, bis zum Gedränge der höhern Tagesstunden, bis zuletzt die ganze Anstalt wieder verlassen dasteht und doch endlich noch ein Knabe auf den Rand des Beckens bis zu dem Pfeiler hinaufsteigt, um sich, über die Röhre gebückt, unmittelbar aus derselben zu erquicken. Hier wäre nun Gelegenheit, wo der bildende Künstler beweisen könnte, was er zu sehen, zu fassen, zu wählen und nachzubilden imstande sei. Eine notwendige, unerläßliche Handlung der Menschheit in allen ihren Momenten zu studieren, wo jeder bedeutend ist, aber auch manchmal ganz pertinent, schön, graziös und vom besten Sinn und Stil sein kann. Und so hätten wir einen Fall f ü r tausend, woraus evident ist, daß ohne unmittelbare Vereinigung von Objekt und Subjekt kein lebendiges Kunstwerk Zustandekommen kann. Ich danke der kritischen und idealistischen Philosophie, daß sie midi auf mich selbst aufmerksam gemacht hat, das ist ein ungeheurer Gewinn; sie kommt aber nie zum Objekt, dieses müssen wir so gut wie der gemeine Menschenverstand zugeben, um am unwandelbaren Verhältnis zu ihm die Freude des Lebens zu genießen 9 ." Man kann das "Wesen und die künstlerische Funktion des Symbols, des Falles, der f ü r tausend gilt, nicht anschaulicher klarmachen, als es hier geschieht, in einer Haltung, die längst auch, dank der idealistischen Philosophie, wie sie ihm Schiller nahegebracht hatte, die Einsicht ins Wesen des Symbols gewonnen hatte, mit der f ü r Goethe so charakteristischen Zurückhaltung gegenüber dem Totalanspruch des Idealismus, da das Symbol ja, wenn auch nicht die Sache, das Objekt, so paradoxer Weise zugleich doch auch die Sache ist. » an Chr. L. Fr. Schultz 18. I X . 1 8 3 1 .

±59

Ganz instinktiv, ohne analysierende Überlegung hatte Goethe ja schon im Urfaust, in der Szene „ A m Brunnen" sich diesesSymbols bemächtigt, dieses symbolhaft-prägnanten Ortes, und dann wieder im Werther. D a kommen die Mädchen und holen "Wasser, „das harmloseste Geschäft und das nötigste, das ehemals die Töchter der Könige selbst verrichteten. Wenn ich da sitze, so lebt die patriarchalische Idee so lebhaft um mich, wie sie, alle, die Altväter, am Brunnen Bekanntschaft machen und freien, und um die Brunnen und Quellen wohltätige Geister schweben" 10 . Der Hinweis auf die „patriarchalische Idee", auf die „Altväter", auf das Freien am Brunnen, erschließt noch ein andres für Goethe bedeutsames Symbol, die Bibel, deren Form ja für ihn das Muster eines Volksbuches ist, also an sich schon Symbolwert hat 1 1 . Wie Werther an das Brunnensymbol gebannt ist „wie Melusine mit ihren Schwestern", so auch Goethe selbst. Denn im zweiten Gesang von „Hermann und Dorothea" entscheidet sich ja auch Hermanns Schicksal am Brunnen, und schon vor jenem Briefe an den Staatsrat Schultz hatte Goethe diesmal in humoristischer Wendung, am Brunnen vor seinem Fenster ein Symbol dafür gesehen, daß Jugend immer wieder von vorn anfange und „als Individuum die Epoche der Weltkultur durchmachen muß", analog zur Phylogenese, wie man hinzufügen möchte. „Ich brauche nur zum Fenster hinauszusehen, sagt er zu Eckermann 12 , um in straßenkehrenden Besen und herumlaufenden Kindern die Symbole der sich ewig abnutzenden und immer sich verjüngenden Welt beständig vor Augen zu haben. Kinderspiele und Jugendvergnügungen erhalten sich daher und pflanzen sich von Jahrhundert zu Jahrhundert fort; denn so absurd sie auch einem reiferen Alter erscheinen mögen, Kinder bleiben doch immer Kinder und sie sind sich zu allen Zeiten ähnlich." - „Dauer im Wechsel, Vergangenheit und Gegenwart in eins", diesmal in den heiteren Versen: Johannisfeuer sei unverwehrt, Die Freude unverloren! Besen werden immer stumpf gekehrt Und Jungens immer geboren 13 . Prägnanz des Ortes und der Zeit vereinigen sich im geschichtlichen Symbol. Im Juni und Juli 1801 hält Goethe sich in Pyrmont auf. Schon die Gegend weist ihn immer wieder auf Urgeschichten w»W 1,19,9. «17.1.1827. 260

11

WI, 42/2, 42 I. " \ V I , 3, 324.

hin, auf Reste römischer Befestigungen, auf Hügel und Täler, wo sich hätten Schlachten ereignen können. Gebirgs- und Ortsnamen scheinen Winke zu geben. Audi auf herkömmliche Gebräuche hat er acht, die „auf die fernsten, roh feiernden Zeiten" deuten. „Man mag sich wehren und wenden, wie man will, man mag noch so viel Abneigung beweisen vor solchen aus dem Ungewissen ins Ungewissere verleitenden Bemühungen, man findet sich wie in einem magischen Kreise befangen, man identifiziert das Vergangene mit der Gegenwart, man beschränkt die allgemeinste Räumlichkeit auf die jedesmal nächste" - zieht sie also „ins Enge" - und fühlt sich zuletzt in dem behaglichsten Zustande, weil man f ü r einen Augenblick wähnt, man habe sich das Unfaßlichste zur unmittelbaren Anschauung gebracht" 14 . Ein Büchlein fällt ihm in die Hand, das f ü r das J a h r 1582 von einem wunderbaren Zuge erzählt, der die Quelle mit unzählbaren Gästen aus allen Weltgegenden heimsucht, die sich bei mangelnden Einrichtungen auf die kümmerlichste und wunderlichste Art behelfen müssen. Das reizt ihn, den prägnanten Moment zu ergreifen und „auf einen solchen Zeitpunkt, einen solchen unvorbereiteten Zustand vorwärts und rückwärts ein Märchen" zu erbauen, „das zur Absicht hatte, wie die Amusemens des eaux de Spaa, sowohl in der Ferne als der Gegenwart eine unterhaltende Belehrung zu gewähren". Das Märchen blieb im Entwürfe stecken 15 , der wiederum das charakteristische Schema erkennen läßt: Ein bis dahin ruhiger Flecken, auf dem sich plötzlich lebhaftes Leben mit allen seinen Bedürfnissen und Gegenwirkungen entfaltet, mit allem, was dazu gehört, über weitere Zeiträume sich entwickelnd, „als unmittelbar angeschaut... täglich niedergeschrieben" 16 , charakteristisch auch wiederum f ü r Goethes Auffassung der Geschichte als tatvollen Lebens. Z u einer wiederum anderen A r t des eminenten Falles werden f ü r Goethe die Dornburger Schlösser, wohin er sich nach dem Tode K a r l Augusts zurückzieht. Diese Schlösser mit ihrer engeren und weiteren Umgebung erscheinen ihm da 1 7 als „vieles, was dem Bedürfnis des Menschen entsprechend, weit und breit in allen Landen sich wiederholt". In den Wirkungen landesväterlicher Fürsorge, wie Goethe sie hier beobachtet, lebe der Großherzog fort. Hier „spreche der Gegenstand selbst das alles aus, was ein bekümmertes Gemüt so gern vernehmen mag: die vernünftige Welt sei von Geschlecht zu M W I , 35,104. 16 W I, 36, 17

" E b d . 105.

260.

Konzept eines Briefes an F. A. v. Beulwitz 18. V I I . 1828.

261

Geschlecht auf ein folgenreiches Tun entschieden angewiesen". Das Ganze sieht er als eine Spiegelung des „Eigensten und Innersten", einer „gleichmäßigen Folge der Gesinnungen" und einer „unwandelbaren Anhänglichkeit". „So war es vor, so wird es nach sein, damit das hohe W o r t des alten Weisen erfüllt werde, welcher sagt: ,Die vernünftige Welt ist als ein großes, unsterbliches Individuum zu betrachten, welches unaufhaltsam das Notwendige bewirkt und dadurch sich sogar über das Zufällige zum Herrn erhebt."' Wiederum sind es die Pole Vergangenheit und Gegenwart, die einander zugebogen werden aus der Tiefe eines Gemütes, einer „liebevollen Erinnerung", wobei die Begriffe „Folge" und „Dauer" als verbindende Glieder mit im Spiele sind. Das Erlebnis Vergangenheit und Gegenwart in eins, Überzeitlichkeit in der Zeitlichkeit kehrt immer wieder, in den mannigfachsten Formen und doch schematisch, strukturell gleich wie etwa auch in der Ballade „Erste Walpurgisnacht". Rückblickend nennt Goethe sie „im eigentlichen Sinne hochsymbolisch intentioniert. Denn es muß sich in der Weltgeschichte immerfort wiederholen, daß ein Altes, Gegründetes, Geprüftes, Beruhigendes, durch auftauchende Neuerungen gedrängt, geschoben, verrückt und, wo nicht vertilgt, doch in den engsten Raum eingepfercht werde. Die Mittelzeit, wo der H a ß " - gemeint ist der H a ß des alten Glaubens gegen das Christentum - „noch gegenwirken kann und mag, ist hier prägnant genug dargestellt, und ein freudiger, unzerstörbarer Enthusiasmus lodert noch einmal in Glanz und Klarheit hinauf 1 8 ." Dieselbe Funktion eines eminenten Falles erfüllt, diesmal in wieder anderer und neuer Weise, das Bild, das Goethe dem Freunde Zelter auf seiner Zinne über dem Brückenbogen in Jena beschreibt: „Die tüchtigen Holzflöße, Stamm an Stamm, in zwei Gelenken, fahren mit Besonnenheit durch und glücklich hinab . . . Die Scheite Brennholz dilettantisieren hinterdrein, einige kommen auch hinab, wo Gott will, andere werden in Wirbel umgetrieben, andere interimistisch auf Kies und Sandbank aufgeschoben. Morgen wächst vielleicht das Wasser, hebt sie alle und führt sie Meilen weit zu ihrer Bestimmung, zum Feuerherd. Du siehst, daß ich nicht nötig habe, mich mit den Tagesblättern abzugeben, da die vollkommensten Symbole vor meinen eigenen Augen sich eräugnen 19 ." Hier ist der Bezug auf das Schicksal einlinig, direkt, das Tertium comparationis mit Händen zu greifen. Für den die Breite der Phänomene zusammenraffenden 18 an F.Mendelssohn 9. IX. 1831. 262

" 19. III. 1818.

Blick erschließt sich das Bedeutende als Bild der von höheren Gewalten umgetriebenen Schicksale, die sich selbst wieder nach ihrer Bedeutung stufenweise gliedern. Aus der unerschöpflichen Fülle von Beispielen f ü r das Symbol in Goethes Dichtung sei nur noch eines herausgegriffen, weil in ihm der verbindende Bogen vom Besondersten ganz unerwartet zum Allgemeinsten geschlagen wird. Gemeint ist jenes Gespräch zwischen Wilhelm, Friedrich undLenardo im dritten Kapitel des dritten Buches von „Wilhelm Meisters Wanderjahren", in welchem sich Wilhelm so sehr für die Nachbildungen der plastischen Anatomie ereifert, die das Zergliedern der menschlichen Körper überflüssig mache. „Sie werden fehlen, seltener und teurer werden und ein wahrhafter Konflikt zwischen Lebendigen und Toten wird entstehen." Und nun ganz unvermittelt die Verallgemeinerung dieses besonderen Geschehens: „In der alten Welt ist alles Schlendrian, wo man das Neue immer auf die alte, das Wachsende nach starrer Weise behandeln will. Dieser Konflikt, den ich ankündige zwischen Toten und Lebendigen, er wird auf Leben und Tod gehen, man wird erschrecken, man wird untersuchen, Gesetze geben und nichts ausrichten. Vorsicht und Verbot helfen in solchen Fällen nichts; man muß von vorn anfangen 2 0 ." Das isolierte Geschehen, der Mangel an Leichen, der dadurch behoben werden kann, daß die Kunst wieder in der plastischen Anatomie zum H a n d w e r k wird, wird plötzlich symptomatisch für den Wandel der Zeiten überhaupt und eröffnet geschichtsphilosophische Perspektiven. Urplötzlich dringt da etwas von dem geschichtlichen Hintergrund, auf dem sich Goethes Leben abspielt, ins dichterische Bild. Aber der Dichter wird nicht zum Grampropheten, ein Weltgesetz wird sichtbar: „Was im besondern geschieht, muß im allgemeinen möglich werden, und nichts kann sich verbreiten als was anerkannt ist." Die plastische Anatomie wird zum Symbol der Uberwindung geschichtlicher Krisen. Dem zufällig einzelnen Lokal entspricht der günstige Augenblick, die glückliche Stunde im Zeitlichen, so die klassische Walpurgisnacht, „das Beste, was begegnen könnte", und hier wieder der Augenblick, in dem Manto und Chiron, Dauer und Wechsel, einander begegnen, derjenige, in dem Galathea den Vater erblickt, und endlich der, in dem Homunkulus am Muschelwagen Galatheas zerschellt. Eine der aufschlußreichsten Eröffnungen Goethes über das Wesen » W I , 25/1, 97. 263

des Symbols ist der Aufsatz „Wiederholte Spiegelungen". Sie sind ihm ein Mittel, Erfahrungen, die sich nicht rund aussprechen und mitteilen lassen, „durch einander gegenüber gestellte und sich gleichsam in einander abspiegelnde Gebilde den geheimeren Sinn dem Aufmerkenden zu offenbaren" 2 1 . Jener Aufsatz, der die Probe aufs Exempel macht, bezieht sich auf A . E . N ä k e s Schilderung seiner „Wallfahrt nach Seisenheim", worin er, auf den Spuren Goethes, dessen Sesenheimer Erlebnissen nachgegangen war und mit dem sich Goethe im Februar 1823 beschäftigt hatte. Indem er sich eines der Entoptik entnommenen Symbols bedient: Spiegel hüben, Spiegel drüben, Doppelstellung auserlesen; Und dazwischen ruht im Trüben Als Kristall das Erdenwesen 22 , verfolgt er den Weg des Erlebnisses seiner Liebe zu Friederike bis zu der Wirkung, die der Bericht Näkes auf ihn machte, so daß es „sich auch wieder in der Seele des alten Liebhabers nochmals abspiegeln und demselben eine holde, werte, bleibende Gegnwart lieblich erneuen" kann 23 . Durch neun Stufen, das heißt Spiegelungen, geht die Bewegung, in der sich nun auch wieder alle jene Polaritäten zusammenfinden, deren Koinzidenz das Symbol konstituiert. Vom Erlebnis der ersten Spiegelung eines „jugendlich seligen Wahnlebens" in ihm selber, dem Jüngling, geht die Darstellung aus. Dieses viele Jahre im Innern immer „lieblich und freundlich" hin- und herwogende Bild wird endlich in „Dichtung und Wahrheit" „nach außen ausgesprochen und abermals abgespiegelt". Die Ausstrahlungen dieses „Nachbildes" treffen auf das schöne und edle Gemüt Näkes, das dadurch einen tiefen Eindruck empfängt, und erregt in ihm den Trieb, „alles, was von Vergangenheit noch heranzuzaubern wäre, zu verwirklichen", die Vergangenheit, dürfen wir ergänzen, ein zweites Mal mit der Gegenwart zu verbinden, was nur an Ort und Stelle, in Sesenheim selbst, geschehen kann. Zufällig findet sich dort ein Mann, „in welchem das Bild sich gleichfalls eingedrückt hat", das er an N ä k e weitergibt. Hier entsteht nun „in der gewissermaßen verödeten Lokalität" die Möglichkeit, „ein Wahrhaftes wiederherzustellen, aus Trümmern von Dasein und Überlieferung sich eine zweite Gegenwart zu verschaffen und Friederiken von 21 an C. J. L. Iken 27. IX. 1827. 23 W I, 42/2, 57. 264

22 w I, 3, 101.

ehmals in ihrer ganzen Liebenswürdigkeit zu lieben". Die Wirkung dieser Spiegelungen ist eine Erhöhung und Verallgemeinerung des Liebeserlebnisses ins Bedeutende, „musterhaft in Freud und Qual", wie sich das im Divan spiegelt, als Symbol dessen, „was in der Geschichte der Künste und Wissenschaften, der Kirche, auch wohl der politischen Welt sich mehrmals wiederholt hat und noch täglich wiederholt" 24 . Scheinbar unbedeutende Dinge symbolisch zu sehen, ist schon früh Goethes Gewohnheit. Im siebten Buch von „Dichtung und Wahrheit" berichtet er, wie er auf den Rat Ewald von Kleists in der Umgebung Leipzigs auf Bilderjagd geht, aufmerksam auf das Kleinleben der Natur, diese an und für sich wenig vorstellenden, zierlichen Begebenheiten, in denen er aber eine Bedeutung zu sehen sich bemüht. So schneidet er seinen Namen in die Rinde eins Lindenbaumes, darüber den Namen Annettens. Als im Frühling der hervorquellende Saft „mit unschuldigen Pflanzentränen die schon hart gewordenen Züge" seines Namens benetzt, bestürzt ihn das sehr, da er ja oft durch Unarten Thränen hervorgerufen habe25. Dem Vorgang wird eine Bedeutung unterschoben, er wird dadurch zum Symbol, zum Fall, der für andere gilt. Als er von einem jungen Bildhauer ein Modell von Myrons Kuh mit dem säugenden Kalbe, das Goethe ja dem Kunstwerk zuschreibt, erhält, sieht er darin einen Gegenstand der höchsten Art: „Das die Welt erhaltende, durch die ganze Natur gehende, ernährende Prinzip ist uns hier in einem schönen Gleichnis vor Augen; dieses und ähnliche Bilder nenne ich die wahren Symbole der Allgegenwart Gottes 26 ." Auch die Argumente, mit denen Goethe seine These, daß zu der Kuh ein Kalb gehört habe, begründet, sind polar geordnet. So lobt er „die technische Weisheit" der - so von ihm ergänzten - Gruppe, „das Gleichgewicht im Ungleichen, den Gegensatz des Ähnlichen, die Harmonie des Unähnlichen"27. In der griechischen Kunst sei „ein Theomorphism, kein Anthropomorphism! Ferner soll nicht das Tierische am Menschen geadelt werden" - man erinnert sich der Kritik an den Madonnen am Beginn seiner Italienreise - , „sondern das Menschliche des Tiers werde hervorgehoben"28. Da er sich nach seiner „Art zu forschen, zu wissen und zu genießen . . . nur an Symbole halten darf", gehören sogar die Lepaden, die Entenmuscheln, zu den 2* W I, 4 2 / 2 , 5 7 . 26

zu Eckermann

25 1 , 2 7 , 29. V . 1 8 3 1 .

28 E b d . 1 2 .

18

Koch, Gedankenform

27

WI,

102. 4 9 , 2 , 8.

„Heiligtümern", ja Goethe denkt sogar an eine „symbolischeNaturwissenschaft". So regt er an, ein Pflanzensystem nach dem Typus der Metamorphose, eine Geschichte des Pflanzenlebens nach dem Typus des Systems zu versuchen. „Beide dienten einander zu symbolischer Beziehung dessen, was der Verstand in die Natur nicht hineintragen, was die Natur dem Verstände nicht enthüllen kann." Als Schema einer solchen symbolischen Naturwissenschaft biete sich die Ellipse an. „Die Metamorphose des Lebens und die Herrlichkeit der Arten", also das Besondere dort, das Allgemeine hier, „wären die Brennpunkte 29 ." „Als Bahn einer geregelten Bewegung gedacht, möchte sie das Leben der Urpflanze bezeichnen, den Umfang, der alle wirklichen und möglichen Radien einschließt. In einem Falle wäre dieses, im andern jenes Zentrum das ursprünglich Bestimmende, welchem aber, damit sich der Kreis zur Ellipse erweitere, das gegenüberstehende symbolisch vermittelnde Zentrum niemals fehlen dürfte." Eine symbolische Behandlung solcher Art vermittle „allein das Widerstrebende ohne eins im andern zu vernichten oder alles in charakterlose Allgemeinheit zu verflößen". So versucht Goethe den "Widerspruch, der im Ausdruck „natürliches System" liegt - „die Natur hat kein System, sie hat, sie ist Leben und Folge aus einem unbekannten Zentrum zu einer nicht erkennbaren Grenze 30 " - zu überwinden. Mit dem Schema „Ellipse" aber hat er zugleich ein Bild, ein Symbol gefunden, das seinem polarisierenden Denken mehr entspricht als der Kreis. Nicht anders, nämlich symbolisierend, verhält er sich geschichtlichem Geschehen gegenüber. „Ein Tag im Hauptquartier zu Hans und ein Tag in dem wieder eroberten Mainz" sind ihm „Symbole der gleichzeitigen Weltgeschichte, wie sie es noch jetzt demjenigen bleiben, der sich synchronistisch jener Tage wieder zu erinnern sucht"31. Synchronistisch bezeichnet auch hier wieder das rationalirrationale Ineinanderschieben von Vergangenheit und Gegenwart, von Simultanem und Sukzessivem, wie es am Typus, an der Metamorphose, zu beobachten war. Daher manifestiert sich in den Wirbelknochen „die große Konsequenz, die Standhaftigkeit und Mobilität der organischen Natur dergestalt, daß sie uns zwar immer ein Geheimnis bleibt, aber wir doch so nah an die Schwelle gelockt werden, wo wir in den Glanz der Gottheit hineinblicken dürfen, ohne zu erblinden" 32 , denn W II, 7, 86 f. WI, 35, 23 f. 2 66

30a. a. O. S. 75. 32 w II, 8, 333 f.

So im Kleinen ewig wie im Großen Wirkt N a t u r , wirkt Menschengeist und beide Sind ein Abglanz jenes Urlichts droben, Das unsichtbar alle Welt erleuchtet 33 . Anläßlich des Neudrucks seiner Metamorphose der Pflanzen fordert er Zelter auf, sie „nur symbolisch" zu nehmen und dabei immer an ein anderes Lebendiges zudenken, „was sich aus sich selber fortschreitend entwickelt" 34 , wie er selbst Linnes Botanik „auch nur symbolisch" benützt und diese Methode und „Besonderungsart" auf andere Gegenstände übertragen habe. Er deutet damit selbst auf seine Denkform, in jedem einzelnen Lebensphänomen immer auch das Ganze mitzudenken, es als „Gestaltung, Umgestaltung" zu sehen, als Koinzidenz polarer Bewegungen und Kräfte, die alle unter dem Gesetz der Metamorphose stehen. Auch f ü r „Hermann und Dorothea" nimmt er in Anspruch, darin „die großen Bewegungen und Veränderungen des Welttheaters aus einem kleinen Spiegel" zurückgeworfen, und so auch „das große Weltschicksal" Goethe meint natürlich die Französische Revolution mit ihren Folgen - teils wirklich, teils durch Personen symbolisch eingeflochten zu haben" 35 . „Götz von Berlichingen" wird als Abspiegelung „einer bedeutenden Weltepoche" symbolisch in diese Perspektive gerückt35*. Es ist eben, genau genommen, „nichts theatralisch, als was f ü r die Augen zugleich symbolisch ist: eine wichtige Handlung, die auf eine noch wichtigere deutet" 36 , was er Shakespeare abgesehen hat. Uberhaupt betrachtet er das Theater als „eine Lehranstalt zur Kunst mit Heiterkeit, ja als ein Symbol des Welt- und Geschäftslebens, wo es auch nicht immer sanft hergeht" 37 . In „Des Epimenides Erwachen" wollte er, „was sich die Deutschen so o f t in dürrer Prosa vorgesagt, symbolisch wiederholen, daß sie nämlich viele Jahre das Unerträgliche geduldet, sich sodann aber auf eine herrliche Weise von diesem befreit" 3 8 . Vom Zuschauer wird dabei allerdings verlangt, „daß er jeden Augenblick schaue, merke und deute" 39 . Das Straßburger Münster wird zum Symbol der dort „emergierenden" Deutschheit, seiner „patriotischen Gesinnungen", wie H a n s Sachs auch ein Symbol d a f ü r ist, während beispielsweise Bodmers „Noachide" ihm als

W I , 13/1, an Schiller 36 W I, 4 1 / 1 , 3 » an Knebel 35

30. 23. X I I . 1797. 66 ff. 5. IV. 1 8 1 5 .

3

« 14. X . 1816. 5a W I, 29, 161. 37 W I , 35, 30. 39 an Zelter 15. IV. 1 8 1 5 . 3

267

Symbol „der um den deutschen Parnaß angeschwollenen Wasserflut, die sich nur langsam verlief" 4 0 gelegen kommt. Religiöse Gegenstände, deren Verständnis sich Goethe, wie seine ersten Reaktionen in Italien erkennen ließen, nur langsam erschloß, lassen sich, wie man später erfährt, darstellen, wenn sie allgemein menschlich, das heißt symbolisch sind. Das vollkommenste Symbol christlichen Glaubens, das er als solches wieder gemalt sehen möchte, ist f ü r ihn Christus, wie er „leicht über das Meer wandelnd, dem sinkenden Petrus zu H i l f e tritt. Die göttliche und menschliche Natur des Erlösers ist nie den Sinnen und so identisch darzustellen, ja der ganze Sinn der christlichen Religion nicht besser mit wenigem auszudrücken. Das Übernatürliche, das dem Natürlichen auf eine übernatürlich-natürliche Weise zu H i l f e kommt, und deshalb das augenblickliche Anerkennen der Schiffer und Fischer, daß der Sohn Gottes bei ihnen gegenwärtig sei, hervorruft, ist selten gemalt worden 4 1 ." Begegnung des Göttlichen und des Menschlichen, des Übernatürlichen und des Natürlichen auf eine übernatürlich-natürliche Weise — Koinzidenz zweier Pole in einer gleichermaßen ambivalenten „Behandlung". Die katholischen Sakramente deutet Goethe, von protestantischer Seite deswegen o f t angefochten wegen der im siebten Buche von „Dichtung und Wahrheit" dem Katholizismus so entgegenkommenden Darstellung, als „das sinnliche Symbol einer außerordentlichen göttlichen Gunst und Gnade" 4 2 und als „Vermächtnis altpersischen Glaubens" vermittelt er das Versprechen: Werdet ihr in jeder Lampe Brennen Fromm den Abglanz höhern Lichts erkennen, Soll euch nie ein Mißgeschick verwehren, Gottes Thron am Morgen zu verehren 43 . Die hier aufgewiesenen, von Goethe aus dem Leben des Tages gegriffenen Bilder zeigen alle Merkmale des echten Symbols, die Sache und zugleich doch auch wieder nicht die Sache, Wesen und Schein zugleich, konkret und abstrakt in einem, geheimnisvoll offenbar. Prägnanz des Ortes und der Zeit, ein das Ganze ins Enge ziehender Lakonismus machen das Symbol zum Sinn und Bedeutung ausstrahlenden Darstellungsmittel des Dichters, zur Möglichkeit, Stoff und Geist, Körper und Seele in eins zu bilden. Aus der Hand der Wahrheit empfängt der Dichter den Schleier der Dichtung, nicht, um damit die Wahrheit zu verhüllen, sondern um sie durch40 W 1,27,93. « W 1,27,119. 268

« W 1,49/1, 433 f. « W 1,6,241.

scheinen zu lassen, nicht nackt zu geben in der Welt der Kunst, die ja eine zweite höhere Natur sein und geben soll. So will es wenigstens der klassische Goethe, die klassische Ästhetik. Darüber hinaus aber ist das Symbol Darstellungsmittel so gut für den jungen und späten Goethe wie f ü r den klassischen. N u r ist das Verhältnis zwischen Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit der Darstellung jeweils ein anderes, und zwar so, daß sich mit fortschreitendem Alter auch die Mittelbarkeit der Darstellung steigert, so daß sich das Symbol der Allegorie zu nähern beginnt, wozu sich dann allmählich noch ein neues, gegenstimmiges Element gesellt, eine souveräne Ironie. Schon im Urfaust gibt der Dichter den Widerschein, die Spiegelung statt der Sache selbst, das Zeichen statt des Bezeichneten, des Makrokosmus und des Erdgeistes. Erst aus der Wirkung dieser Zeichen, dieser Symbole, auf Faust erfahren wir etwas von ihrem Wesen. Sein „Faust" bleibt ja auch, vor allem der zweite Teil, den Goethe selbst als „poetisch-symbolisch" vom ersten Teil abhebt, ähnlich wie das „Märchen", diejenige Dichtung Goethes, w o die symbolische Gestaltung, vor allem in der klassischen Walpurgisnacht und im Helena-Akt, ihre höchsten Triumphe feiert, von w o aus sich auch erst der Gehalt der Dichtung in seiner ganzen Fülle erschließt, eine Erkenntnis, die sich in der Faust-Forschung erst spät Bahn gebrochen hat 44 . Nicht nur einer Anzahl von Grundsymbolen wie „ G o l d " , das auf schöpferische geistige und organische Wachstumskräfte deutet, bedient sich Goethe in Faust I I , vor allem in der Mummenschanz, sondern das Geschehen selbst im zweiten und dritten Akte und seine Fortschritte sind symbolisch, das heißt polar stukturierte Verschränkungen von Gesellschaft und Kunst, Natur und Geschichte, Schönheit und Häßlichkeit, antik und modern. Das Dauernde im Wechsel der Gestalten und Vorgänge in der klassischen Walpurgisnacht erweist sich als unerschütterliche Ursprungskraft, als „urälteste Gegenwart", wiederum also als Vergangenheit und Gegenwart in eins, als „Fülle der Zeiten", da das Stück „denn jetzt seine vollen dreitausend Jahre spielt, von Trojas Untergang bis zur Einnahme von Missolunghi" 45 . Ursprung und Entwicklung, Natur 44

Vgl. dazu vor allem W. Emrich, Die Symbolik von Faust II. 2. durdigeseh. Aufl. Bonn 1 9 5 7 als aufschlußreichsten Versuch, die Dichtung „genetisch" aus dem gesamten dichterischen Vorstellungs und Gefühlsbereich des alten Goethe zu begreifen und von ihrer Entstehungsgeschichte her zu deuten. Vgl. auch R. Mülher. Der Lebensquell. Bildsymbole in Goethes Faust: Deutsche Vierteljahressdirift 32, 1957, S. 38-69.

45

an W . v . H u m b o l d t 22. X . 1826: ähnlich an Boisserie.

26 9

und Geschichte fallen zusammen in der klassischen Walpurgisnacht, den „Antezedentien" Helenas, in der Zusammenballung von Ort und Zeit am Jahrestag der Schlacht bei „Pharsalus alt und neu" zwischen Caesareanern und Pompejanern. In einem bunten, überlegen durchkomponierten Gewirr von wechselseitig sich spiegelnden und deutenden Bildern, Vorgängen und Gestalten wie Thaies und Anaxagoras entwickelt sich die Genesis des Schönen in der Koinzidenz von Feuer und Wasser, ja aller vier Elemente, in einem Hymnus auf Eros, der selbst wieder Symbol ist der ewig schöpferischen Natur. So wird dieser zweite Akt mit seiner die ganze Breite geschichtlichen, naturwissenschaftlichen und künstlerischen Erkennens gestaltenden Kontrapunktik zum Musterbilde einer „wahren Symbolik, wo das Besondere das Allgemeinere repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen"46. Übertroffen wird diese Symbolisierung umfassendsten Geschehens an dichterischer Vollkommenheit nur noch vom Schluß des fünften Aktes von Faust II, diesem großartigen Symbol für die Verwandlung der Entelechie Fausts, ihre Reinigung von allen „Flocken", allem Erdenstoff unter der Einwirkung polar wirkender Kräfte, des aufwärts strebenden Bemühens und der sich herabneigenden und helfenden Liebe von oben, die allein die geeinte Zwienatur des Menschen Faust aufzuschmelzen und zu neuer Umartung zu befreien vermag. Der Vorgang wird begleitet von der Symbolik der Landschaft, den aufstrebenden Bergschluchten, wie Arkadien im dritten Akt die symbolische Landschaft für die Begegnung der Pole Antik-Modern gewesen war. Die Situation des Faust-Schlusses erinnert an die von Raffael, Goethes Liebling, in der „herrlichen" Transfiguration, der „Verklärung", wie Luther übersetzte, dargestellte, deren Einheit der Konzeption Goethe in der „Italienischen Reise" gegen Kritiker verteidigt. „Wie will man nun, fragt er, das Obere und Untere trennen? Beides ist eins: Unten das Leidende, Bedürftige, oben das Wirksame, Hilfreiche, beides aufeinander sich beziehend, in einander einwirkend. Läßt sich denn, um den Sinn auf eine andere Weise auszusprechen, ein ideeller Bezug aufs Wirkliche von diesem lostrennen?47" Sein Blick erfaßt das Dargestellte, das andere als Doppelhandlung bemängelten, sogleich als ein polarisierendes Wechselspiel von Bezügen, als ein spannungsträchtiges Ganzes. Er «H314. 270

« WI, 32, 173.

mochte sich des Bildes bei der Arbeit am Schlüsse des fünften Aktes erinnert haben. Damit wird dem Symbol metaphysische, ja numinose Würde zugebilligt, und es empfiehlt sich, seiner Genese im Geiste Goethes nachzugehen, es „herankommen" zu sehen. Im SymbolbegrifF Goethes begegnen sich platonisches, neuplatonisches und pansophisches Gedankengut, aber auch Erkenntnisse seiner naturwissenschaftlichen Bemühungen, je mehr sich im biologisierenden Neuplatonismus die biologische Komponente verstärkt 4 *. Dazu kommen Einwirkungen Hamanns und Herders, der schon in seinen „Fragmenten über die neuere deutsche Literatur" im Verhältnis von Gedanke und Ausdruck das Symbol wirksam sieht als ein Mit- und Ineinander von Körper und Seele. Im vierten Kapitel des dritten Teiles seiner „Kalligone" setzt er sich ausführlich und polemisch mit dem Symbolbegriff Kants im § 59 der „Kritik der Urteilskraft" auseinander. Es genügt in diesem Zusammenhange der folgende Satz, die Urelemente des Symbolbegriffes in die H a n d zu bekommen: „In allen lebendigen Organisationen erscheint u n s . . . im Äußeren das Innere, die Seele des Gegenstandes. Das stumpfe Auge, das im Äußern verweilt, nennt und unterscheidet bloß Gestalten; das scharfe, das ergreifende schauet an Geist in der Gestalt, Seele im Körper! 4 9 " - ein längst bekanntes Urelement, das hier wieder an entscheidender Stelle begegnet, der Wechselbezug von innen und außen, der zentripetalen und zentrifugalen K r ä f t e . Zugleich aber repräsentiert Herders Formel auch das Inund Miteinander spiritueller und materieller sowie organischer Elemente, wie sie schon in Goethes Beiträgen zu Lavaters „Physiognomischen Fragmenten" zu beobachten waren. Wenn nun Goethe auf seiner Reise 1797 den metaphysischen Gehalt des Symbolbegriffs entdeckt und damit dessen ein ganzheitlich strukturiertes Phänomen der Sinnenwelt transzendierende Bedeutung erkennt, sodann auf seine Weise weiterentwickelt, so ist er auch darauf von Herder vorbereitet. Schon in der ersten Zeit ihrer Beziehung bekennt er ja: „Nichts (ist) wie eine Göttererscheinung über mich herabgestiegen, hat mein H e r z und Sinn mit warmer heiliger Gegenwart durch und durch belebt, als das wie Gedanck und Empfindung den Ausdrude bildet. So Innig hab' ich das genossen 50 ." Was er als Dichter schon unbewußt besaß und be48

49

V g l . C . Müller, Die geschichtlichen Voraussetzungen des Symbolbegriffs in Goethes Kunstanschauung. Leipzig 1 9 3 3 : Palaestra B d . 2 1 1 . 50 Werke, Suphan, 22, 3 2 3 . 10. V I I . 1 7 7 2 .

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herrschte, das „Dreingreifen" und „Packen", das haben ihm Herders Fragmente bewußt gemacht. Und hier schon, sozusagen am Geburtsort des Symbols - denn Sprache ist ja symbolisch, Wert und Mangel zugleich, ein Gedanke, dem Goethe immer wieder nachgegangen ist - , hier schon ist auch das Herz, das Gemüt, eine A r t von Sentimentalität, daran beteiligt. Im zwölften Buch von „Dichtung und Wahrheit", im Zusammenhange mit der Entstehungsgeschichte seines Werther, hat Goethe in später Rückschau einen tiefen Blick in die psychologischen Vorgänge bei symbolischem Sehen getan. „Ich suchte midi", heißt es da, „innerlich von allem Fremden zu entbinden, das Äußere liebevoll zu betrachten, und alle Wesen, vom menschlichen an, so tief hinab, als sie nur faßlich sein möchten, jedes in seiner A r t auf midi wirken zu lassen." Es ist die Art, in der Goethe das Haus des Großvaters, den Brunnen vor seinem Fenster usw. betrachtet. „Dadurch entstand eine wundersame Verwandtschaft mit den einzelnen Gegenständen der Natur, und ein inniges Anklingen, ein Mitstimmen ins Ganze, so daß ein jeder Wechsel, es sei der Ortschaften und Gegenden, oder der Tags- und Jahreszeiten, oder was sonst sich ereignen konnte, mich aufs innigste berührte 31 ." Was dem Dichter gegeben war und was er „genießen" konnte, das wurde dem Naturforscher und Experimentator zum Problem, denn „man bedenkt niemals genug, daß eine Sprache eigentlich nur symbolisch, nur bildlich sei und die Gegenstände niemals unmittelbar, sondern nur im Widerscheine ausdrücke" 52 . Der Satz steht in der Farbenlehre (§ 7 5 1 ) , aber die darin ausgesprochene Erkenntnis hat sich Goethe schon bei seinen morphologischen Arbeiten aufgedrängt. Der Naturforscher, der es mit Gestalten, von innen her organisierten Ganzheiten zu tun hatte, stand vor den „Abbreviaturen" der Natur, die zu lesen und zu enträtseln er erst lernen mußte, vor Erscheinungen, deren dem Organismus immanentes Wesen sich ihm zunächst verbarg. Dabei sieht er sich angewiesen auf sein anschauendes Nachdenken der Erfahrung, die man immer nur „identisch" ausspreche, denn, „was man erfährt, das ist ja eben die Erfahrung und weiter nichts dahinter" 53 . Damit ist die Paradoxie gegeben, ein Erfahrungsphänomen ergründen zu wollen, das zwar nicht unter und über der Erfahrung steht, in ihr selber liegt, zugleich aber sie doch auch transzendiert, ein Allgemeines si W I, 28, 1 4 9 f. V g l . uuch F . Weinhandl, Das aufschließende Symbol. Berlin 1 9 2 9 , S. 87 f. « W H ,

272

i , 302.

53 zu Riemer 1. V I I I . 1 8 1 1 . G II, 1 3 6

bedeutet, dessen besondere Manifestation die jeweilige Erfahrung ist - ein Rätsel, das als Gesetz „durch die ganze N a t u r geht und worauf alles Leben und alle Freude des Lebens beruhet" und sich als „Gesetz des geforderten Wechsels" enthüllt 54 . So kann ihm der auch am Menschen entdeckte Zwischenkieferknochen zum Zeichen, zum Symbol werden jener Mensch und Tier umfassenden H a r monie. Er ist nicht nur auch da, sondern er deutet auf ein Allgemeines, be-deutet auch ein Tier und Mensch umfassendes Gesetz dynamischer Gestaltung. Es gibt nicht nur symbolische Farben, die etwas bedeuten, wie der Purpur, die Farbe selbst ist schon Symbol eines Gesetzes, das Ineinanderwirken eines positiven und negativen Pols im trüben Mittel, noch allgemeiner, eines Wechselspiels von aktiver Diastole und passiver Systole, eines „Schaukelsystems", wo „der Mensch dasjenige voraussetzt, was er gefunden hat, und dasjenige findet, was er voraussetzt" 55 , denn Wenn wir unterschieden haben, Dann müssen wir lebendige Gaben Dem Abgesonderten wieder verleihn Und uns eines Folge-Lebens erfreun 56 . Folge-Leben aber ist Metamorphose. Im zweiten Teile der „Italienischen Reise" hat Goethe kurz vor dem Abschied von Rom einige Blätter aus der Schrift von Karl Philipp Moritz „Über die bildende Nachahmung des Schönen" eingefügt, Sie war aus gemeinsamen Unterhaltungen entstanden, „welche Moritz nach seiner Art benutzt und ausgebildet" 57 . Man darf Goethes Anteil wohl darin vermuten, daß auch hier alles sich auf der polaren Organisation des Künstlers aufbaut, auf seiner Bildungs- und Empfindungskraft, jene „hervorbringend", diese „der Hervorbringung sich entgegen neigend". Beide, in dem feinern Gewebe der Organisation gegründet, „verhalten sich zu einander wie Mann und Weib" 5 8 . „Bildungskraft kann nicht ohne Empfindung und tätige Kraft, die bloß tätige K r a f t hingegen, kann ohne eigentliche Bildungs- und Empfindungskraft, wovon sie nur die Grundlage ist, f ü r sich allein stattfinden" - fast greifbar Goethes „Gedankenform"! Im Zusammenwirken beider entsteht „ein Abdruck der Verhältnisse des großen Ganzen", das wir „dunkel in 54 zu Eckermann i. II. 1827. s«W 1,3,102. 58 Ebd. 3 1 2 f.

««WH, 6,3$!. S 7 W I , } 3 , 303.

2

73

uns fühlen, ohne es doch selbst zu sein". Ziel dieses Zusammenwirkens ist ein „getreues Bild des höchsten Schönen . . . das die vollkommensten Verhältnisse des großen Ganzen der Natur, eben so wahr und richtig wie sie selbst, in seinem kleinen Umfang faßt 5 9 ". Da aber höchste Schönheit für Goethe ein Ebenbild, ein Symbol des Göttlichen, der Wahrheit ist, sind er und Moritz hier schon einer gedanklichen Durchdringung des Symbolbegriffes nahe. Das Beispiel vom großväterlichen Hause, das Lebrunsche Bild der Familie Jabach erhalten ihren Symbolcharakter aus dem Zusammenfall von Vergangenheit und Gegenwart. Diese Polarität muß auch in jenen Unterhaltungen zwischen Goethe und Moritz eine Rolle gespielt haben. Denn kurz vor dieser Schrift über die bildende Nachahmung entstand der Aufsatz von Moritz „Gegenwart und Vergangenheit" 60 . Er behagt sich da ganz in den Gedanken, die der Schilderung jenes Kölners Erlebnisses zugrunde liegen, wenn etwa die Frage aufgeworfen wird: „Wie kann die Bewegung ohne Widerspruch als etwas nebeneinander Stehendes und nicht auf einander Folgendes gedacht werden?" Oder: „Wie, wenn wir uns hier, einige Augenblicke dasjenige, was nur aufeinander zu folgen scheint, wirklich als nebeneinander vorgestellt und gleichsam im kleinen einmal das Gegenwärtige, Vergangene und Zukünftige mit einem Blick umfaßt hätten? . . . Bei Gott ist das Vergangene noch ebenso wirklich als das Gegenwärtige. Bei uns bleibt, beim Anschauen des Gegenwärtigen, doch ein Bild vom Vergangenen noch zurück. Das macht uns ihm ähnlich. . . . Welch ein unbegreifliches Gemälde, Kindheit, Jugend, Alter, Tod, Verwesung, Wiederhervorgehen aus dem Grabe, das alles, wie Licht und Schatten, nebeneinander gestellt, mit einem Blick zu umfassen, welch ein wunderbar tröstender Gedanke!" Goethe dachte so schon im Fragment über die N a t u r , mag Tobler auch die Formulierung angehören. Nicht Priorität dieses oder jenes Gedankens ist das Entscheidende hier, sondern das Sichtbarwerden der Geschlossenheit der Polaritäten und wie sie sich im Symbolbegriff zusammenfinden. Im einzelnen dürfte sich ja auch kaum nachweisen lassen, wer jeweils der Gebende, wer der Nehmende ist. Gewiß ist nur, daß Goethe in 59 E b d . 3 1 4 . 60

2

K . Ph. Moritz. Schriften zur Ästhetik und Poetik. Hrsgg. v. H . J . Schrimpf. Tübingen 1 9 6 2 , S. $ 7 - 6 3 . : Neudrucke deutscher Literaturwerke. H r s g g . v. R . A l e w y n u. R . Gruenter. N e u e Folge 7.

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Moritz auf ein hochempfindliches Medium f ü r seine Gedanken traf, das sie rückstrahlend in ihm wieder fruchtbar werden ließ. Die Verse Eugeniens, der natürlichen Tochter: Der Schein, was ist er, dem das Wesen fehlt? Das Wesen, war' es, wenn es nicht erschiene?601 sind die lakonischste Formel f ü r die Problematik des Symbols und dessen Lösung. Denn in diesem Wechselspiel von Wesen und Erscheinung ist das Symbol die adäquate „Abbreviatur" f ü r eine polar strukturierte N a t u r - und Kunstauffassung. Es kann daher seine Funktion nur erfüllen, wenn es selbst polar strukturiert, Bild und Gedanke in einem ist. „Man suche nur nichts hinter den Phänomenen", verlangt Goethe, „sie selbst sind die Lehre 61 ", das heißt, jedes Phänomen ist selbst schon Symbol der es bewirkenden und bedingenden Kräfte. So offenbart für Goethe schon die Bläue des Himmels das Grundgesetz der Chromatik, und insofern wäre es das Höchste, zu begreifen, „daß alles Faktische schon Theorie ist" 62 . Die Phänomene tragen Sinn und Wesen an und in sich, sie sind esoterischer N a t u r , Sache des anschauenden Denkens, der „tiefsten, geheimsten Anschauung, wo sich N a t u r und Geist im Verborgenen begegnen" 63 , ist es, sie zu beschreiben und zu deuten. Was von den Phänomenen schlechthin gilt, trifft im besonderen Maße für die Urphänomene zu. Man braucht ein Urphänomen wie den Magneten nur auszusprechen, „um es erklärt zu haben; dadurch wird es denn auch ein Symbol f ü r alles Übrige, w o f ü r wir keine Worte noch Namen zu suchen brauchen" 64 . Wie die Bläue des Himmels die Polarität von Licht und Nicht-Licht offenbart, so der Magnet das „Triebrad" alles Geschehens, die Polarität als solche, ihr Wesen und ihre Wirkung. „Licht, wie es mit der Finsternis die Farbe wirkt", selbst schon ein Symbol der Polarität, ist zugleich „ein schönes Symbol der Seele, welche mit der Materie den Körper bildend belebt" 65 . Symbole sind Sinnbilder, Deutungsaufgaben für ein gemütbewegtes, schauendes Denken. Der Sinn solcher Symbole, das „offenbare Geheimnis" aber ist immer das Höhere, das Allgemeine, das sich im Einzelnen offenbart. In diesem Sinne hätte Goethe auch „die Wirtschaft der Seeschnecken, Patellen und Taschenkrebse" am Lido Symbole nennen können, wie er die Lepaden „Heiligtümer" nannte. Am Lido aber reflektiert er nicht,

62 64

W 1066 f. H 575. H 34.

H 575. « W I , 28, 109. «5 zu Riemer 3. XII. 1808. G II, 8 61

275

sondern reagiert emotional: „Was ist doch ein Lebendiges für ein köstliches herrliches Ding! wie abgemessen zu seinem Zustande, wie wahr, wie seiend 66 !" Ist doch jedes einzelne dieser Wesen die Daseinsverkörperung eines allgemeinen organisierenden Prinzips im Bilde einer ihrem Zwecke angepaßten Gestalt. Der repräsentative Charakter, den Goethe dem Symbol zuschreibt und der sich hier offenbart, den billigt Goethe auch dem Bauer in Schillers „Wallensteins Lager" zu, „denn er stellt eine ganze Klasse vor" 67 . Dies „ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeine repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendige augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen" 68 , die knappste und prägnanteste Formel f ü r die Koinzidenz von scharfen Gegensätzen wie Traum und Wirklichkeit, Licht und Finsternis, Offenbarung und Unerforschlichkeit, Gestaltung einer unmittelbaren, intuitiven, gefühlsbewegten Anschaung, die gleichwohl ein bewußtes Schaffen voraussetzt. Dem Dichter mußte sich die Frage aufdrängen, mit welchen sprachlichen Mitteln sich die Lösung einer so widerspruchsvollen Aufgabe ermöglichen läßt, angesichts der Unangemessenheit von Ausdruck und Bedeutung, die ja das Phänomen transzendiert. Der Weg, den Johann Georg H a m a n n in seinen „sibyllinischen" Schriften gewählt hatte, konnte bei aller Verehrung f ü r den Magus nicht derjenige Goethes sein, da Hamanns Symbolik auf Kosten der Verständlichkeit ging. Die Geschichte der Farbenlehre hatte Goethe gelehrt, daß jede Wortüberlieferung bedenklich ist. Man solle sich daher „nicht an das Wort, sondern an den Geist halten. Gewöhnlich aber vernichtet der Geist das Wort, oder verwandelt es doch dergestalt, daß ihm von seiner frühern Art und Bedeutung wenig übrig bleibt 69 ." Es bleibt dem dichterischen Genie anheimgestellt, Irdisches und Überirdisches, Bild und Gedanke, Notwendiges und Zufälliges, in einer zweiten, einer „Sprachwelt" ineinanderzuschmelzen 70 . Dem jungen Goethe stand die sprachlich geschlossene, zugleich mythisch offene Form, sinnliche und geistige Fülle ohne Besinnung zu Gebote. Die symbolische Dichtung des Klassikers ist bewußtes Schaffen, bewußtes Verschweißen gegensätzlicher Pole. Der Vers des klassischen Dramas, der Iphigenie, des Tasso, der Natürlichen Tochter, ist gebändigte Spannung widerstreitender Pole, gedanklich bewußte Aneignung jugendlicher « W I, 30, 1 4 2 . « z u Riemer 24. V I I . 1809. G II, 46. 68 H 314. « W I I , 3, 1 3 6 . 70 V g l . H . R . Schweizer, Goethe und das Problem der Sprache. Diss. Basel 1959.

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Antizipationen, ein Wechselbezug, der H a n d in H a n d geht mit Goethes naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, dem Gesetze des geforderten Wechsels. Unter den vier Arten von Symbolen, die Goethe unterscheidet 71 , kommen zwei für sein dichterisches Schaffen in Betracht: Symbole, „die mit dem Gegenstande ästhetischideal identisch sind. Hierher gehören alle guten Gleichnisse, wobei man sich nur vor dem Witz zu hüten hat, welcher nicht das Verwandte aufsucht, sondern das Unverwandte scheinbar annähert". Und solche Symbole, „die einen Bezug ausdrücken, der nicht ganz notwendig, vielmehr einiger Willkür unterworfen ist; aber doch auf eine innere Verwandtschaft der Erscheinungen hindeutet". D a bei gilt der Satz: „Verba valent sicut numi." Aber es ist ein Unterschied unter dem Gelde. Es gibt goldne, silberne, kupferne Münzen und auch Papiergeld. „In den erstem ist mehr oder weniger Realität, in den letzten nur Konvention." Die Poesie ist dabei allen andern Sprechweisen gegenüber im Vorteil. „Denn sie kann sich eines jeden Bildes, eines jeden Verhältnisses nach ihrer Art und Bequemlichkeit bedienen. Sie vergleicht Geistiges mit Körperlichem und umgekehrt, den Gedanken mit dem Blitz, den Blitz mit dem Gedanken, und dadurch wird das Wechselleben und der Weltgegenstand am besten ausgedrückt 72 ." Zwar kann auch die Philosophie auf ihren höchsten Punkten der Symbole nicht entbehren, doch gebrauche sie, findet Goethe, „nach Art und Weise ihrer Stifter und Hauptlehrer" meist nur einseitige Symbole, um das Ganze auszudrücken und zu beherrschen, also entweder nur körperliche Symbole, um Geistiges auszudrücken, oder umgekehrt. Symbole sind Ausdrucksformen des „reinen" Anschauens, „vorzüglich durch Mathematik, in Zahlen und Formeln, durch Rede, uranfänglich tropisch, als Poesie des Genies, als Sprichwörtlichkeit des Menschenverstandes" 73 . Sie sind, da reines Anschauen für Goethe das Denken mitbeinhaltet, der bildliche Ausdruck eines polaren Wechsellebens, denn „das ist ja eben das Künstlergenie, das ist das Künstlertalent, daß es anzuschauen, festzuhalten, zu verallgemeinen, zu symbolisieren, zu charakterisieren weiß, und zwar in jedem Teile der Kunst, in Form sowohl als Farbe" 74 . Vom Dichter aus gesehen, zeigt sich die Ambivalenz, die Doppelnatur des Symbols demnach von einer neuen Seite. Als Gestaltungsweise eröffnet es seinem Können höchste Möglichkeiten, beschränkt sie jedoch gleichzeitig, da die Gegenstände niemals unmittelbar, sondern nur im Widerschein auszu" W II,

73

II,

^33/34.

167.

72

W II, 3, 269.

MWI, 45. »99277

drücken sind, die "Wahrheit nur „in der Dichtung Schleier", nur andeutend gestaltbar ist. Doch ist eine „vollkommene Symbolik" das Höchste, was der Dichter erreichen kann. Dem scheinbar paradoxen Sachverhalt entspricht die paradoxe Definition des Symbols. Darnach ist es „die Sache, ohne die Sache zu sein, und doch die Sache; ein im geistigen Spiegel zusammengezogenes Bild und doch mit dem Gegenstand identisch" 75 . Zu diesem Schlüsse kommt Goethe anläßlich eines Stiches der Diana Ghisi 76 nach einem Gemälde von Giulio Romano, das nach Bartsch „Aspasia bei Tische mit Sokrates und einem andern Philosophen Rede wechselnd" darstellen soll 77 . Goethe aber legt das Bild ganz anders aus. Nach seiner Überzeugung ist die weibliche Gestalt „die Magd des Hohenpriesters, die dem Petrus jenen bedenklichen Vorvurf macht: er sei auch ein Anhänger des soeben gefangen genommenen Aufrührers". Dennoch liefen beide Bedeutungen „ganz auf eins hinaus": „Eine von ihrer Meinung durchdrungene Frauensperson überzeugt zwei Männer, den einen zu freundlicher Beistimmung, den andern bis zum Schrecken." Für Goethe ist das Objekt eine Gelegenheit, den höheren Sinn der echten Symbolik anschaulich zu machen, „ein Musterbild, wie man das tiefste Leben, die gründlichste Bedeutung eines Ereignisses vorstellen kann, ohne daß daran etwas gelegen ist, ob der heilige Petrus oder Sokrates gemeint sei". Das echte Symbol ist, heißt das, vieldeutig. Erinnert man sich der „eminenten", der symbolischen Fälle, die Goethe beschreibt, des Wohnplatzes in Frankfurt, des großväterlichen Hauses, der Dornburger Schlösser, der Brunnenszenen, der schwimmenden Hölzer, so wird jeder die tiefere Bedeutung dieser Bilder anerkennen, ohne daß ihnen jedermann dieselbe Bedeutung unterlegen müßte. Wichtig ist in dem besonderen Falle dieses Stiches, daß nach Goethe ein unbedeutendes Flämmchen auf dem Bilde den „frisch-flackernden Holzstoß (Lucae 22,55) g a r lakonisch", symbolisch, „in's Enge gezogen zu künstlerischem Zweck", vorstellen soll. Prägnanz des Ortes und der Zeit, wie sie an den genannten Beispielen immer wieder zu beobachten war, ist das Ergebnis dieses ins Enge Ziehens. Auch Tischbeins Idyllen bestätigen Goethe die an Giulio Romanos Bild gewonnene Uberzeugung, daß dies die schönsten Symbole sind, „die eine vielfache Bedeutung zulassen, indes das dargestellte Bildliche immer das75 77

W I , 49/1, 142. ebd. 140 f.

278

76

richtig Scultori vgl. Thieme-Becker, Bd. 30, 4 1 2 f.

selbe bleibt" 78 . Von hier aus kommt auch Hamanns Symbolik zu ihrem Rechte, da man jedesmal, wenn man seine Schriften überschlägt, etwas Neues zu finden glaube, „weil der einer jeden Stelle inwohnende Sinn uns auf eine vielfache Weise berührt und aufregt" 79 . Je mehr die Breite, die H y d r a der Erfahrung in die Tiefe der anschauenden Durchdringung ihrer Bedeutung gesogen, je lakonischer die Erscheinung zu Gunsten des Wesens gestaltet wird, je mehr das Symbol synchronisiert, je stärker die Spannung der Pole Erscheinung und Wesen fühlbar wird, desto reiner verwandelt sich „die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe" 80 . „Fühlt' ich nicht solchen Anteil an den natürlichen Dingen", liest man in der „Italienischen Reise" 81 , „und säh' ich nicht, daß in der scheinbaren Verwirrung hundert Beobachtungen sich vergleichen und ordnen lassen, wie der Feldmesser mit einer durchgezogenen Linie viele einzelne Messungen probiert, ich hielte mich o f t selbst für toll." Diese durchgezogene Linie sind f ü r Goethe die wenigen Grundbegriffe, auf die sich sein Weltbild zurückführen läßt, worunter der Zeit und Raum raffende Begriff des Symbols, der Koinzidenz polarer Gegensätze, einer der wichtigsten ist, zumindest für den Dichter und Künstler. Im Symbol offenbart sich ja auch Goethes Forschungsmethode, seine Überzeugung, „daß bei aller Betrachtung der Gegenstände, die höchste Pflicht sei, jede Bedingung, unter welcher ein Phänomen erscheint, genau aufzusuchen und nach möglichster Vollständigkeit der Phänomene zu trachten; weil sie doch zuletzt sich aneinander zu reihen oder vielmehr übereinander zu greifen genötigt werden und vor dem Anschauen des Forschers auch eine Art Organisation bilden, ihr inneres Gesamtleben manifestieren müssen 82 ." „Der Gegenstand tritt unter das Gesetz der Metamorphose 83 ", wird durch eine durchgezogene Linie „probiert". Wesen und Erscheinung, Allgemeines und Besonderes verhalten sich im Symbol wie Typus und Individuum in der Metamorphose, und gleich dieser wirkt das Symbol auf zweierlei Weise. Wie in der Metamorphose der Typus jeweils nur in der besonderen Form einer bestimmten, individuellen Pflanze als Dauer im Wech-

82 83

79 W I , 49/1, 327. W I, 28, I 10. H 1113. 8i W I , 3 1 , 58 f. W I I , I I , 48. E. Cassirer, Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs. Darmstadt 1956, S. 97.

279

sei erscheint, Typus und Individuum sich ideell vereinigen, in wechselseitiger Spiegelung von großer und kleiner Harmonie, von Makro- und Mikrokosmos, genau so fallen im Symbol Allgemeines und Besonderes, Idee und Erscheinung zusammen, wobei die Spannung zwischen den Polen erhalten bleibt als innere, Außen und Innen verbindende Form. Vom Symbol her wird sichtbar, wie auch alle anderen symbolisierenden und synchronisierenden Grundbegriffe von Goethes Weltbild immer wieder ein und dieselbe Überzeugung verkünden, wechselseitig sich spiegelnd und ergänzend auf die Wesensmitte dieses Bildes deuten, auf „Systole und Diastole des Weltgeistes", auf „Spezifikation und Unendlichkeit 84 . N u n steht aber das Symbol als künstlerisches Darstellungsmittel selbst wieder in einem polaren Bezug einem anderen, der Allegorie, so gegenüber, daß auch diese beiden Darstellungsformen sich wechselseitig erhellen. So symbolisiert der Purpur die Majestät. Nennt man aber Grün die Farbe der Hoffnung, so kann von einem symbolischen Gebrauch der Farbe nicht mehr die Rede sein, denn die Bedeutung „Hoffnung" ist der Farbe Grün nicht immanent wie die majestätische Wirkung dem Purpur. Im Falle Grün handelt es sich um eine Allegorie. Beim allegorischen Gebrauch „ist mehr Zufälliges und Willkürliches, ja man kann sagen etwas Konventionelles, indem uns erst der Sinn des Zeichens überliefert werden muß, ehe wir wissen, was es bedeuten soll" 35 . Die Allegorie verwandelt nicht wie das Symbol die Erscheinung in eine Idee, sondern „in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und vollständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei"86. Indem Goethe diese Definition derjenigen des Symbols unmittelbar gegenüberstellt, hat er beide aufs entschiedenste gegeneinander abgegrenzt. Der Begriff wendet sich an den Verstand, die Idee, zu der das Symbol hinführt, an die Vernunft und an das Gemüt. „Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besonderen das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die N a t u r der Poesie, sie spricht ein Besonderes aus, ohne an's Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst 8* zu Riemer 17. V. 1808, G i, 531. 8« H 1112. 280

85 W II, 1, 357 f.

spät 87 ." Das Symbol entsteht in unbewußtem Schaffen, die Allegorie im bewußten. Jenes ist „offenbares Geheimnis", diese ein Überliefertes. „Das Allegorische unterscheidet sich vom Symbolischen, daß dieses indirekt, jenes direkt bezeichnet88." In der Allegorie legt der Dichter ein Rätsel, Künstlich mit Worten verschränkt, oft der Versammlung [ins Ohr: Jeden freuet die seltne, der zierlichen Bilder Verknüpfung, Aber noch fehlet das "Wort, das die Bedeutung verwahrt; Ist es endlich entdeckt, dann heitert sich jedes Gemüt auf Und er erblickt im Gedicht doppelt erfreulichen Sinn89. Derlei „psychisch-sittlich-ästhetische Rätsel" hat Goethe in seinen Werken „mit freigebigen Händen ausgestreut"90, umgekehrt aber auch auf seine ja viel häufiger symbolträchtige Dichtung hingewiesen wie in dem Bekenntnis: Ich scheine mir an keinem Ort, Audi Zeit ist keine Zeit, Ein geistreich aufgeschlossenes Wort Wirkt auf die Ewigkeit 91 . Das Symbol ist polar strukturiert, die Allegorie antithetischdialektisch. Das Symbol wird vom Dichter geschaffen und „bleibt selbst ein konkretes Phänomen, aber es ist letztlich nicht mehr das Phänomen, verweist auf ein Anderes, Ursprüngliches, auf ein Urphänomen, d a s . . . niemals rund in der Erscheinung aufgeht" 92 . Reines, natürliches und tiefes Gefühl ist die Voraussetzung für symbolisches Schaffen, für die Entstehung von Kunstwerken, die bloß für sich zu stehen scheinen, doch wieder im tiefsten bedeutend sind „und das wegen des Idealen, das immer eine Allgemeinheit mit sich führt" 93 . Das Geheimnis, das die symbolische Dichtung birgt, öffnet sich dem Geduldigen, immer Denkenden. So bedeutet der Satz aus den „Noten und Abhandlungen zum Westöstlichen Divan" Aufmunterung und Warnung zugleich: „Der geistreiche Mensch, nicht zufrieden mit dem, was man ihm darstellt, betrachtet 87 H 279.

88 w I, 47. 95-

89 W I, I, 166. 90 an Zelter 4. X I I . 1827. « W I , 3, 162. 92 W. Emrich, Symbolinterpretation und Mythenforschung: 1 9 5 3 , S. 60.

Euphorion,

47,

93 W I, 47, 94-

19

Koch, Gedankenform

281

alles, was sich den Sinnen darbietet, als eine Vermummung, wohinter ein höheres geistiges Leben sich schalkhaft-eigensinnig versteckt, um uns anzuziehen und in edlere Regionen aufzulocken94." Die Symbolvorstellung Goethes nähert sich im Alter mit der immer stärkeren Betonung ihres numinosen Charakters auch immer mehr der des Urphänomens. Sie verliert dabei ihre klassische Geschlossenheit und wird offener: „Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, läßt sich niemals von uns direkt erkennen: wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen 95 ." Doch ziemt, mahnt er, vor allem „was sich aufs Ewige bezieht und uns im Erdenleben als Bild und Gleichnis des Unvergänglichen vorschwebt", Bescheidung, und man sollte nicht darüber streiten. Denn dadurch werde „ein Inneres zum Äußerlichen" und „so sind wir auf einmal vom Geistlichen ins Weltliche, vom Himmlischen ins Irdische und vom ewigen Unwandelbaren ins zeitlich Wechselhafte zurückgezogen"96. Die Grenzen verschwimmen, das Symbol weitet sich ins Kosmische, „alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis". Alles Äußerliche fällt ab, wird gleichgültig oder ironisch relativiert. „Ob wir eine einzelne Tätigkeit, die sich mit der Welt mißt, unter der Form eines Ulyss, eines Robinson Crusoe auffassen oder etwas Ähnliches an unsern Zeitgenossen, im Laufe sittlicher, bürgerlicher, ästhetischer, literarischer Ereignisse wahrnehmen, ist ganz gleich. Alles, was geschieht, ist Symbol, und, indem es vollkommen sich selbst darstellt, deutet es auf das Übrige. In dieser Betrachtung scheint mir die höchste Anmaßung und die höchste Bescheidenheit zu liegen. Diese Forderung haben wir mit dem Obersten und dem Geringsten gemein97." Anmaßung - weil schon der scheinbar gleichgültigsten Handlung symbolische Bedeutung beigelegt wird; Bescheidenheit - weil auch der auffälligsten Leistung kein höherer Wert gebührt. Umgekehrt folgt daraus die Vieldeutigkeit des Symbols, die jeweils mehrere Lösungen ermöglicht. In alldem aber charakterisiert sich das Symbol gleichzeitig als ein polar konstituiertes und polar wirksames Phänomen, dessen Polarität übergreift auf das Sittliche und Soziale als Forderung einer Haltung, in der sich Anmaßung, das Gefühl am Höchsten 94 WI, 7, 137 f. 9« W II, 12, 235. 282

95

W II, 12, 74. a „ c. E. Sdiubarth 2. IV 1818.

teilzuhaben, und Bescheidenheit im Wissen, doch immer nur Teil zu sein, durchdringen. So stellt Goethe sich auch selber dar, ungeachtet aller diesseitigen Lebendigkeit, in seiner Selbstbiographie, in der „einige Symbole des Menschenlebens" stecken. Er nenne es „Wahrheit und Dichtung", „weil es sich durch höhere Tendenzen aus der Region einer niedern Realität erhebt"98. „Die erzählten einzelnen Fakta dienen bloß, um eine allgemeine Beobachtung, eine höhere Wahrheit zu bestätigen", sind also „eminente", symbolische Fälle. Denn „ein Faktum unseres Lebens gilt nicht, insofern es wahr ist, sondern insofern es etwas zu bedeuten hatte". Hat er schon 1777 sein Dasein dumpf als symbolisch empfunden, so kann er in ruhiger Überschau, sein gesamtes Leben deutend, Eckermann versichern: „Ich habe all mein Wirken und Leisten immer nur symbolisch angesehen und es ist mir im Grunde ziemlich gleichgültig gewesen, ob ich Töpfe machte oder Schüsseln99." Für Werther ist das noch eine offene Frage: „Ist's im Grund nicht einerlei, ob ich Erbsen zähle oder Linsen? 100 " „Das Urphänomen, das reinste, widerspricht sich nie in seiner ewigen Einfalt 1 0 1 ." Es ist die höchste Form des Symbols, dessen „unerforschliche Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht anzuschauen uns vergönnt ist" 102 . In der Welt der Erscheinungen zeigt es sich als „das in seiner Einfalt Unbegreifliche in tausend und abertausend mannigfaltigen Erscheinungen bei aller Veränderlichkeit unveränderlich". Vor den Urphänomenen fühlen wir, wenn sie sich unsern Sinnen enthüllen „eine Art von Scheu bis zur Angst. Die sinnlichen Menschen retten sich ins Erstaunen; geschwind aber kommt der tätige Kuppler Verstand und will auf seine Weise das Edelste mit dem Gemeinsten vermitteln 103 ." Polarität in sublimierter Form: Zeit und Ewigkeit, Einheit und Vielheit, ja Allheit, Ursprung und Entwicklung, Dauer und Wechsel - Goethe steht mit solchen Erkenntnissen an den Grenzen der Menschheit, wo er sich fromm bescheidet. Grenzen in jedem Sinne. Denn angesichts der Urphänomene fühlen wir auch unsre Unzulänglichkeit, „nur durch das ewige Spiel der Empirie belebt, erfreuen sie uns". Ein solches Gefühl der Angst, ein „Schauer" überkommt ihn beim Abschied von Rom, als er im Wechselspiel von klarem Mondlicht und tiefen Schatten, im Zustande einer Vorahnung „von einer andern, einfachem, größern 98 zu Eckermann 30. III. 1 8 3 1 . 100 W I, 19, 56. 102 w II, 9, 195.

« 2 . V . 1824. w i W II, 12, 84. ms W II, 6, 2 2 1 . Vgl. 1 1 , 148.

283

Welt", durch das Gitter in das verschlossene Innere der „erhabenen Reste des Coliseo" schaut104. Auch der naive Leser, der nicht weiß, daß dieser Schluß ein Werk sehr viel späterer Zeit ist, fühlt sich in eine andere Welt als die bis dahin geschilderte versetzt, vor ein anderes Bild der Antike gestellt, vor eine unerwartete „Summa summarum", in die Sicht „eines spät alles Leben noch einmal webenden Dichters"105, die hier auf Ursymbole seines biologisch-metaphysischen Weltverständnisses zurückgreift. Es ist die Stimmung des Faust-Schlusses, in der auch die Verse der Chorus mysticus geboren wurden, des Triumphes der Entelechie in ihrer sich steigernden Metamorphose, ihrer Verklärung. Für das tägliche Leben jedoch weist Goethe ab, „was man so gern als Fügung eines höhern Intellektes bei sich gelten läßt, wie jene Speisung des Propheten in der Löwengrube durch ein für die Schnitter bestimmtes Mus. Das solle man, will er, symbolisch nehmen als ein „sittliches" Gleichnis und „Erweckung des guten Sinnes". „Denn es möchte doch immer gleich schädlich sein, sich von dem Unerforschlichen ganz abzusondern oder mit demselben eine allzu enge Verbindung sich anzumaßen106." Ein Fühlender werde „dasjenige durchdringen, was gemütlich hie und da verdeckt liegt". Das schreibt Goethe im Hinblick auf seine Helena, bei deren Ausarbeitung er sich ganz habe gehen lassen, „überzeugt, daß, wer das Ganze leicht ergreift und faßt, mit liebevoller Geduld sich auch nach und nach das Einzelne zueignen werde". Helena aber gehört zu den echten Symbolen, von denen das Zitat aus Senecas „Naturales quaestiones" gelte: „Eleusis servat quod ostendat revisentibus107." Sind Polarität und Steigerung die Triebräder der Natur, so darf man in Goethes Symbolen allgemeine „Formeln" erkennen, die, „ewig wiederkehrend, ewig unter tausend Verbrämungen dieselben", „die geheimnisvolle Mitgabe einer höheren Macht ins Leben" sind, aus denen sich der Forscher „eine Art Alphabet des Weltgeistes" zusammensetzt. Das sind Worte aus jenem doppelt, vom Kanzler von Müller und der Gräfin von Egloffstein überlieferten Gespräch vom 29. April 18 r 8 auf Schloß Dornburg, das sich auf höchster Ebene über „die heiligsten und wichtigsten Anliegen der Menschheit" verbreitet: „Es war, als ob vor Goethes innerem Auge die großen Umrisse der Weltgeschichte vorübergingen, die sein gewaltiger Geist in ihre einfachsten Elemente aufzulösen bemüht 104 W I, 32, 336 f. W6 W I, 4 1 / 1 , 264.

284

MS W. Emridi, Die Symbolwelt in Faust II, S. 60. 107 an C. J. L. Iken 27. IX. 1827.

war," Wir gehen nicht irre, wenn wir in dem, was der Berichterstatter überliefert, die Urelemente der Denkform Goethes, wie sie hier umrissen wurde, wiedererkennen. Mit diesen Formeln, diesem Alphabet des Weltgeistes korrespondieren die „Urelemente", die Goethe bei den Pflanzen und Steinen sucht und findet, zu denen er, das Gespräch beendend, hinabsteigt, um sich mit ihnen wieder zu befreunden. Er ist nicht nur sich selber historisch und symbolisch geworden, sondern auch den andern, wenn er, „der alte Merlin", wie der Kanzler berichtet, „feierlich ins Tal hinabstieg, bald bei diesem, bald bei jenem Gestein oder auch bei einzelnen Pflanzen verweilend und die erstem mit seinem mineralogischen Hammer prüfend. Schon fielen längere Schatten von den Bergen, in denen er uns wie eine geisterhafte Erscheinung allmählich verschwand." Goethes Denkwelt ist von Anfang an von innen durch Urelemente konstituiert, von außen modifiziert, von innen her wachsend, ein geschlossenes Ganzes, dem sich die Physik der Gegenwart, neue Erkenntniswege suchend, wieder zu nähern scheint108; von ihr gilt, was er zu Eckermann beim Anblick eines Sonnenunterganges sagt mit Versen, die er dem griechischen Dichter Nonnos von Panopolis nachgedichtet hat: Nidht am Morgen allein, noch am Mittag einzig beglückt sie, Untergehend sogar ist's immer dieselbe Sonne109.

108

10

E . Heimendahl, Dialog des Abendlandes. Physik und Philosophie. München 1966.

9 W I, 4, 1 2 5 . zu F . v. Müller 2 7 . I I I . 1 8 2 4 , zu Eckermann 2. V . 1 8 2 4 .

2S S

Register i. Namen Achilles 199 Agamemnon 199 Aischylos 183, 226 A l e w y n , R . 274 Anaxagoras 270 Aristoteles 10, 92, 243 Arnold, G . D . 210 Arnold, G . 232 Aspasia 278 Aufresne, J. R. 128 Badi, J. S. 15 j Baco, R . 153 Baco v. Verulam, F. 60, 69, 229 Bartsch, A . v. 278 Batteux, C h . z 12 Baumann, G . 208 Baumgarten, A . G . 95, 188 Beckmann, H . 127 Béranger, P. J. de 206 Beulwitz, Fr. A . v. 261 Beutler, E. 9, 116, 136, 219 Bodmer, J. J. 267 Böhme, J. 3, 45, 254 Böttiger, K . A . 194 Boisserée, S. 6, 48, 149, 154, 223, 238, 239, 269 Braemer, E. 42 Bräuning-Oktavio, H . 75, 76 Brion, Fr. 264 Broussonet, A . M . 75 Brun, Fr. 15 Bruno, G . 3, 33 Buchner, A . 20 Büchner, G . 116 Bürger, G . A . 14 Bufi, C h . 7 Buffon, G . L. L. 90, 188 Burger, O . 109 Busch, E. 162

286

Buttel, Chr. D . v. 64, 77 Byron 160 Calderon 172 Cardinal, C . H . 41 Cassirer, E. 162 Cellini, B. 246 Cézanne, P. 223 C h é z y , A . L. de 184 Collin, H . J. v. 172 Correggio, A . 154, 177 Crespi, G. B. 17$ Creuzer, G . Fr. 24$ Cuvier, G . 70, 106 D a m e t z , H . 81 Dannecker, J. H . 173 Dassdorf, K . W . 1 1 1 7 Deichgräber, K . 5 6 Denk, P. 214 Diderot, D . 142, 145, 192, 215, 216 Diener, G . 41 Diez, H . F. v. 185 Dippel, J. H . 3 Dobbek, W . 3, 23, 254 Dürer, A . 149 D y c k , A . v. 175 Eikermann, J . P . 31, 32, 33, 41, 44, 45, 63, 101, 107, 131, 134, 144, 147, i j 3 , 156, 158, 159, 160, 162, 163, 170, I I 7 > 174. i 7 8 . l 8 °> 183, 184, 193, 201, 203, 204, 205, 206, 234, 235, 2 47i 249> l 6 ° , 265. 273, 283 Egloffstein, J. G f n . v. 284 Egloffstein, K. G f n . v. 15 Eichhorn, J. G . 248 Eichstädt, H . K . A . 116, 242 Einem, H . v. 188, 214 Einsiedel, H . v. 211

Empedokles j 6 Emrich, W. 226, 269, 281, 284 Engels, Fr. 81 Erichthonius 178 Ernst II., Hzg. v. Gotha Erwin von Steinbadi 112 Euripides 183 Falconet, M. 115, 168, 176 Falk, J. D. 153 Federmann, R. 10 Feuerbach, L. 15 Fichte, J. G. 69 Fischer, H. 91 Fontenelle de Toulouse 184 Friedländer, J. 148 Friedrich II, Kg. v. Pr. 206 Friedrich Wilhelm III. 146 Friedrich Wilhelm v. Pr. 4, 7 Fürnstein, A. 210 Galilei, G. 19 Gall, L. 184 Gallitzin, A. Fürstin 178 Gauss, J. 227 Gebhardt, M. 33 Geiger, L. 214 Geoffroy de Saint-Hilaire, E. 76, ic6 George, St. 206 Ghisi, D. 278 Girnus, W. 72 Giulio, Romano 7, 158, 278 Glockner, H. 71 Goethe, O . v. 204 Goldsmith, O. 183 Grabowski, A. 164 Gray, E. D. 10 Grillparzer, F. 197 Grübel, J. K. 210 Gruenter, R. 274 Grumach, E. 67, 238 Guerlcke, O. v. 24 Haase, E. 247 Hadrian 223 Hagelstange, R. jo, 222 Hagen, E. A. 210 Hagen, B. v. 214 Haller, A. v. 204 Haman, J. G. 3, 23, 189, 254, 271, 276

Hamburger, K. 197 Hammer, O. 247 Hau, W. 223 Hausenstein, H. 106 Hebel, J. P. 210 Heckel, A. 23, 210 Hedcer, M. 177 Hegel, G. W. Fr. 71, 72 Heimendahl, E. 285 Heinroth, Chr. A. 26 Heisenberg, W . 33 Hemsterhuys, F. 134 Heraklit 227 Herder, J. G. 3, 13, 14-17, 22 f., 44, 58, 60, 74, 77, 80, 85, 86, 93, 97, 99, 107, 112, 116 f., 152, 163, 177, 183, 21J» 233> 2 35 f-, 245> 2 4 8 . 2 7 i Herder, K. 15 Hermann, G. 245 Herschel, W. 33 Hetsch, J. Ph. 173 Hetzler, G. A. 131 Heyne, Chr. G. 7$ Hildebrand, A. 197 Hiller, G. 210 Hippokrates 3, $6, 57, 240 Hirt, A. 145 Hölderlin, Fr. 210 Hoffmann, E. T . A. 210 Hoffmann, J. L. 34 Holbadi, P. H. v. 80 Holl, K. 167 Homer, 81, 153, 154, 161, 198, 201 Hormayr, J. Frh. v. 52 Horst, K . A. 162 Houben, H. H. 252 Howard, L. 80 Humboldt, A. v. 5, 80 Humboldt, W. v. 6, 45, 53, 78, 120, 138, 176, 178, 180, 221, 226, 269 Iken, C. J. L. 41, 204, 284 Irmsdier, H. D. 41, 204, 284 Jabach, E. 119, 219, 274 Jacobi, C. W. M. 136 Jacobi, Fr. 17, 21, 41, 49, 51, 54, 68, 71. 93. n S ) 1*3, 196, 222, 229

287

J a c o b i , K . 138 Jaspers, K . 254 Jockers, E. 109 J o h a n n e s , Secundus 186 Joisten, C h r . 61 Jolies, M . 139, 181, 193 Josef I I . 282 J o y c e , J . 222 K a n t , I. 2, 3, 5, 62, 63, 65, 66, 71, 133»

M4.

156.

160,

188,

125,

237

166,

K a r l , August 19, 22, 124, 191 K a y s e r , W . 121 Keller, H . 214 K e p l e r , J . 239 K e u d e l l , E. v. 246 Kirchweger, J . 81 Klee, P . 197 Kleist, E . v. 2 Kleist, H . v. 210 Klopstock, F r . 61, 171, 173, 247 Kluckhon, P . 103 Knebel, K . L. v. 15, 41, $2, 75, 76, 8l, 223,

I06, 239,

122,

12$,

Koch, F. 10, I J 7 . I94> Körner, Chr. Korff, H . A.

138,

IJ4,

78,

l66,

194,

17, Si, 91, 99, 133, 9, 227 G . 59, 68, 142, 193, 139

146,

249,

267

L a n d m a n n , E. 206 L a n g e r , E. T h . 114 L a Roche, M . y. 7 L a Roche, S. v. 14, 112 L a u n , Fr. 250 L a v a t e r , J . K . 8, 14, 17, 74, 104,

194

147,

192

L e b r u n , C h . 219, 223, 274 L e h m a n n , W . 282 Leibniz, G . W . 81, 93 Leisegang, H . 72 L e o n a r d o d a V i n c i 58, 157, 160, Lessing, G . E . 14, 93, 206, 224 Linné, K . v. 107 Lipps, H . 33 Lobstein, J. Fr. 74 L o d e r , J . C h r . 74 L u d e n , H . 227 ff. Luise, H z g n . v. W e i m a r 118 L u k r e z $2, 249 288

M a n t e g n a , A. 185 M a r x , K . 81 M a t t h a e i , R . 22, 33 M a y e r , H . 72 Meinecke, Fr. 227 Mendelssohn, F. 262 Mendelssohn, M. 93 M e n k e - G l ü c k e r t , J . 234 Mercier, L. S. 186 Merck, J . H . 74, 112, 116 M e y e r , H . 51, S3. I 2 9 f-> ' 3 4 . I 4 I > iS9. 168,

177,

i8j

Michelangelo 160 Möller, G. 238 Moors, Fr. M . 9 M o r e a u , J . V. 225 M o r i t z , K . P h . 129, 156, 188, 274 M o r t i e r , R . 142 Moses 45, 160, 169 M ü l h e r , R . 269 M ü l l e r , C . 139, 271 M ü l l e r , F r . (Maler) 169, 170, 171 M ü l l e r , Fr. v . ( K a n z l e r ) i , 17, 42, 92,

227,

228,

204,

284

M ü l l e r , G. 60, 109 M ü l l e r , J . 77 M ü l l e r , J . v. 230 Muschg, W . 42 M y r o n , $2, 176 N a d l e r , J . 23 N ä k e , A. E . 264 N a p o l e o n , 45, 228, 248 N e w t o n I. 22, 32, 33, 34, 39, 63, N i b e l u n g e n 134 N i e b u h r , B. G . 175, 247 Nietzsche, Fr. 246 N i k o l a u s v . K u e s 3, 254 N o n n o s v. P a n o p o l i s 285 N o v a l i s 103, 197, 198

224 O b e n a u e r , J . 188 O b e r l i n , J . J . 233 Oeser, A. Fr. 163, 232 Oeser, Fr. i n O e t i n g e r , Fr. C h r . 3, 4 O r t e g a y Gasset, J . 162 O s t a d e , A. v. 112 O v i d 173

106

50,

Palladio 2 1 7 Paolo Veronese 181 Paracelsus 3, i n , 1 1 2 Passavant, J . L. 189 Pensa, M. 188 Pfuel, E. v. 16 Planck, M. 35 Platen, A. v. 205 Plato 30, 40, 92, 160, 243, 271 Plinius 20 Plotin 10, 30, J5, 7 1 , 130, 146, 195 Portmann, A. 32, 93, 94 Poulet, G. J 7 Prang, H . 248 Prometheus, Proteus 86, 92 Quenstadt, J . A. 188 Radi, E. 79 R a f f a e l 1 1 3 , 1 1 6 , 148, 175, 178, 179, 190, 2 3 1 , 270 Raidi, J . M. 198 Ramler, K . W. 172 Raumer, Fr. v. 247 Reichardt, J . F. 123 Reinhard, K . v. 7, 220, 280 Rembrandt 1 1 6 , 149, 190, 194 Reni, G. 174, 176 Richter, M. 33 Riemer, W. 68, 83, 99, 148, 183, 193, 2 1 3 , 2 1 $ , 240, 272, 27$, 276, 280 Rilke, R . M. 227 Robinson 282 Rochlitz, I. F. 194 Rodenwaldt, G. j o Roos, J . H . Rotermund, H . M. 10 Rousseau, J . J . 1 1 3 Rubens 148, 1 j8, 190 Ruysdael, S. v. 61 Sachs, H . 267 Sachse, J . Chr. 2 1 0 Salzmann, J . D. 1 8 1 Sartorius v. Wolfershausen, G. 35, 209 Sartre, J . P. 222 Sauer, A. 197 Schadewaldt, W. 67, 134 Schadow, J . G. 146-149, 238

Schaginjan, M. 72 Schalken, G. v. 1 1 2 Sdiardt, S. v. 25 Scheidig, H . 129 Schelling, Fr. W. J . 37 Schiller, Fr. 17, 24, 49, 5 1 , 53, 58, 59,, 60, 62, 63, 64, 66, 67, 70, 7 1 , 73, 78,. 1 1 0 , 130, 1 3 1 , 132, 1 3 3 , 137, 139, i6 145. l 5 2 > "53. 157» 7 . i 6 9> 172, 178, 1 8 1 , 182, 185, 193, 194, 198, 201, 205, 208, 2 1 2 , 227, 243,, 246. 2 $3> 2S5> M9> 267, 276 Schlegel, A. W. 136, 197, 198 Schlegel, Fr. 180, 196, 198, 214 Schlosser, Chr. 36, 37 Schlosser, J . G. 62, 63 Sühmid, K . G. 63 Schönborn, G. F. E. 2 1 1 Schönemann, L. 130 Schönkopf, K . 9 Schöpflin, J . D. 233 Scholz, H . 93 Schopenhauer, Ad. 15 Schopenhauer, Arth. 30 Schramm, E. 1 1 4 Schrimpf, H . J . 1 1 8 , 1 2 1 , 164, 274 Schröter, C . 128 Schubarth, C. E. 8, 45, 282 Schütz, St. 1 $ Schulthess, B. 186 Schultz, Chr. Fr. L. 6, 156, 163, 260 Schulz, G. 1 3 1 Schweigger, S. Chr. 2 Sdiweinichen, H . v. 184 Schweizer, H . R . 276 Schwinger, R . 188, 193 Scott, W. 52, 248 Scultori 278 Seidel, Ph. Fr. 18 Seidler, L. 15 8 Seneca 284 Seuffert, B. 188 Shaftesbury, A. A. G f . 188 Shakespeare, W. 1 1 3 , 153, 157, 160, 189, 196, 201, 233, 267 Sömmering, S. Th. 66, 68 Sokrates 48, 1 6 1 , 278 Sophokles 183 Soret, Fr. 252

289

Spengler, O . 2 2 7 Spinoza 8, 4 5 , 9 3 , 1 2 1 Stael, A . L . G . de 2 2 5 Staiger, E . 5 1 , 1 8 0

Vitruv 235 V o i g t , F . S. 86, 1 0 9 Voigts, J . v. 1 2 0 Voss, J . H . 61, 2 0 1 , 2 0 5 , 2 1 0 , 2 4 7

Stein, C h . v. 6, 1 5 , 5 3 , 7 6 , 7 8 , 84, 1 1 6 , 120, 169, 1 8 1 , 222, 223 Stifter A . 227 Stolberg, A . G f n . 1 3 Stolberg, Fr. L . G f . 1 6 0 Storz, G . 1 6 7 Sudhoff, K . 5 6 , i n Sulzer, J . G . 1 0 , 1 1 4 Suphan, B. 2 3 , 7 5 , 1 5 2 , 1 6 6 , 2 1 5 , 2 7 1 Textor, J. W . 10 Thaies 7 3 , 2 3 0 Thieme-Becker 2 7 S Thomson, J . 1 7 3 Tieck, L . 1 5 7 Tintoretto 1 9 1 Tischbein, W . 6 1 , 278 Tizian 181 Tobler, J . C h r . i, 274 Toggenburger, K . 5 1 , 1 8 0 Troll, W . 92 Trunz, E. 196 T y s o n , E . 75

Wachler, J . Fr. L . 2 4 7 Wachsmuth, A . B. 3 , 4 , 3 3 , 8 1 , 82 Wagner, H . L. 186 Wagner, R. 175 Wahl, H . 22 Walther, J . 29 Walzel, O. 198 Weinhandl, F . 5, 2 7 2 Weinheber, J . 1 9 7 Welling, G . v . 1 0 Wesendonck, M . 1 7 $ Wessely, K . 2 9 , 33 Wieland, M . 1 1 8 , 1 2 0 , 2 0 1 , 223 Willemer, M . 4 8 , 1 4 9 , 2 2 1 Winckelmann, J . J . 1 9 , 1 1 8 , 1 2 3 , 1 4 1 , 1 5 1 , 163, 201, 2 1 4 , 232, 238, 242, H5 Windischmann, K . J . 1 4 1 Wiora, H . 3 W o l f , L . 92 Wood, R. 1 1 3 Zelter, K . Fr. 3 5 , 3 6 , 1 2 9 , 1 5 1 , 1 5 5 , 158, 164, 195, 196, 2 2 1 , 2 4 7 , 248, 2 6 2 , 2 6 7 , 2 8 1 Zenobio conte di 246 Ziegler, K . 2 2 7 Ziethen, H . J . v . 1 4 6

Ulyss 282 Vellejus Paterculus 2 4 2 Vicq d'Azur 75 Vischer, P . 2 8 7

153, 230,

2. Begriffe und Sachen Ableiten 50, 5 1 Ästhetik 9 $ , 1 0 1 , 1 1 4 , 1 2 2 , 1 5 8 , 1 6 2 , 1 6 3 , 1 6 j , 1 8 5 , 1 8 6 , 1 8 8 , 1 9 2 , 208, 2 1 1 , 2 1 3 , 2 1 7 , 269, 297 Alchemie 3 , 6, 1 3 , 4 2 , 4 j , 7 4 , 8 1 , 99, 187 Allegorie 2 8 , 1 4 6 , 1 7 2 , 269, 2 8 0 Altdeutsche Kunst 48, 1 4 9 , 1 5 0 ,

238,

*39 Analogie 2 4 , 9 2 , 99, 1 2 2 , 1 3 9 , 1 6 2 , 243 Anatomie 4 7 , 7 4 , 7 5 , 76, 8 3 , 9 5 , 99, 1 0 2 , 108, 1 2 3 , 148, 174, 1 8 5 , 263

290

androgyn 6, 87 Anmut 1 4 1 , 207 Aneignung 1 8 2 , 2 0 7 , 2 3 1 , 2 5 0 , 2 5 7 Anschauen 49, 50, 5 1 , 52, 5 3 , 54, 5 6 , 59, 60, 61, 62, 6 3 , 66, 67, 69, 1 0 3 , 1 1 0 , 1 2 1 , 123, 129, 144, 162, 167, 190, 205, 207, 2 7 J , 276, 277, 279 Anthropomorphism 265 Antike 6 7 , 1 1 3 , 1 1 7 , 1 1 8 , 1 2 0 , 1 2 1 , I2 3 > 133« M S , 149. 1 5 1 . I J 3 . 1 5 5 . 158, 1 6 1 , 164, 197, 2 1 1 , 2 1 6 , 224, 2 2 6 , 2 3 8 , 284

antik-modern 1 1 8 , 1 4 8 , 1 4 9 , 1 7 8 ,

201,

Dur-Moll 36, 37

209, 2 1 6 , 269, 270 antik-romantisch 2 1 6 Antizipation 1 3 0 , 1 8 2 , 2 3 1 , 250, 2 5 7 , 2

77 Aperçu 1 9 , i i , 2 2 , 34, 57, 76, 83, 9 1 , 1 8 1 , 192, 222, 227, 239 A priori j j , 65, 68, 70, 7 1 , 202, 1 4 3 Artistik 1 6 7 , 209, 2 1 0 Auge 28, 30, 3 1 , 36, 49, 53, 54, 55, 56, 58, 59, 60, 7 1 , 8 1 , 85, 9 1 , 96, 99, 1 0 9 , 189, 190, 196, 271 Augenblick 1 2 3 , 1 4 1 , 2 2 0 , 2 2 3 , 2 6 1 , 267 Autonomie 84, 88, 1 1 5 , 1 3 3 Barods 1 1 8 Baukunst 1 1 7 Bedeutung 1 4 0 , 1 4 3 , 1 5 0 , 1 5 2 , 207, 2 2 5 , 2 j j , 2 5 8 , 265, 268, 2 7 1 Begriff 52, 55, 56, 59, 60, 6 3 , 64, 65, 67, 68, 69, 76, 83, 86, 95, 1 1 4 , 1 1 9 , 1 2 2 , 129, 148, 155, 1 5 7 , 162, 2 0 1 , 2 °7> 279. 2 8 0 Behandlung 53, 6 1 , 1 4 0 , 1 7 1 , 1 7 9 , 1 8 0 , 1 8 3 , 1 8 4 , 1 9 8 , 202, 205, 206, 2 1 6 , 2 5 4 , 268 Bibel 2 0 2 , 2 1 0 , 260 Bildhauerei 1 1 7 Biologie 47, 79, 87, 89, 1 3 3 , 1 8 7 , 2 1 3 , 2 3 6 , 2 4 2 , 2 5 4 , 2 7 1 , 284 Blatt 68, 84, 86, 9 1 , 98 Botanik 7 5 , 83, 1 3 8 , 2 3 $ , 267

Charakteristisch 82, 1 4 0 , 1 4 6 , 1 4 9 , 1 5 2 , i i3» 190» r 94> " 7 . 2 I 4 > 2 1 5 . 2 1 6 Christentum 1 1 8 , 1 7 5 , 1 7 8 , 262, 268 coincidentia oppositorum s.: Koinzidenz Dasein 1 3 1 , 140, 2 1 2 , 2 1 7 , 220, 2 2 2 , 2 2 6 , 2 5 6 , 264 Dauer 1 1 4 , 1 5 0 , 209, 2 2 2 , 2 2 5 , 2 6 1 , 2 6 2 , 279, 283 Determination 88, 1 2 5 , 1 9 6 Dialektik 7 2 Dichtungsarten 200 Dilettantismus 1 2 3 , 208, 209, 2 1 0 Disposition 16 Drama 1 3 2

221, 257,

Dualismus 3, 8, 1 6 , 2 5 , 28, 29, 40, 1 0 1 , 108, 163, 193, 2 1 7

Ellipse 266 eminenter Fall 1 8 2 , 2 6 1 , 2 6 2 , 2 7 8 , 283 Endursachen 7 7 , 89 Entelechie 85, 92, 2 7 0 , 284 Epigenese 65, 88 90 Epochen 2 4 5 , 260, 267 Epos 1 9 7 , 1 9 8 , 1 9 9 , 2 2 4 Ethik 5 3 , 6 1 , 1 0 7 , 1 8 5 , 1 8 6 , 284 Farbenkreis 28 Farbenlehre 1 9 , 2 1 , 2 5 , 28, 29, 3 1 , 3 3 , 3 5 . 55. 57. 58, 60, 68, 69, 74, 93, 99, 1 0 6 , 1 4 0 , 1 6 7 , 1 8 0 , 1 9 2 , 200, 2 1 4 , 2 2 8 , 2 3 7 , 2 3 9 , 2 4 3 , 245, 2 J I , 254, 272, 276 Fiktionen i $ 8 , 1 6 0 , 1 6 1 Folge 99, 1 0 3 , 1 1 4 , 2 6 1 , 266, 2 7 3 Form 30, 7 7 , 84, 1 1 3 , 1 3 6 , 1 3 9 , 1 4 4 , 157. l é 2 > '67. '79. 183. lS4> 185, 186, 192, 193, 194, 1 9 $ , 196, 197, 2 0 1 , 2 0 2 , 2 0 3 , 205, 206, 2 0 7 , 209, 2 1 2 , 230, 276, 277 Freiheit 74, 83, 1 2 1 , 1 2 6 , 1 3 2 , 1 3 6 , 1 4 4 . 1 4 5 . i 5 2 > i5 6 > 1 6 1 , 1 9 9 , 2 1 3 fruchtbarer Moment 50 Gattungsformen 1 9 7 Gegenstand J 3 , 54, 58, 104, i i j , 122, 130, 1 5 7 . l 6 6 > i67, I 2 7 9 Gegenwart 1 1 4 , 1 1 9 , 2 0 1 , 202, 2 0 3 , 204, 2 1 2 , 2 1 7 , 2 1 9 , 220, 2 5 1 , 2 5 7 , 260, 2 6 2 , 2 7 4

67, 68, 7 1 , 137, 141, 169, 170, 1 8 1 , 182, 203, 205, 2 5 4 , 2 55> 123, 20$, 221, 264,

102, 147, 171, 184, 209, 2ß 7.

1 9 1 , 192, 206, 209, 2 2 2 , 244, 266, 269,

Gegenwirkung-Forderung 36 Gehalt 1 2 3 , 1 3 9 , 1 7 3 , 1 7 5 , 1 8 4 , 1 8 5 , 1 8 6 , 269 Geistesgesdiichte 39 f., i j j , 243 geistig-organisch 1 3 8 , 18 j Genese 2 2 2 , 2 7 1 Geschichte 40, 2 2 8 f f . , 2 3 $ , 2 $ i f . 258, 2 6 3 , 266, 269, 2 7 0

291

Gesetz 39, 53, 63, 6J, 66, 68, 69, 74, 7 7 , 84, 8 J , 86, 9 2 , 9 4 , 9 7 , 1 0 2 ,

117,

119,

126,

I20, 122,

123,

124,

125,

131, 134, 135. 136» 143. 144. 152, 158,

164,

168,

186, 209, 2 1 7 ,

229,

249, 263, 273, 275

Gestalt 17, 18, J J , 58, 64, 68, 79, 80, 8 1 , 82, 86, 8 7 , 9 2 , 9 4 , 1 0 5 , I I O , 1 1 4 , 119,

120,

123,

124,

144, i 5 6 . !57» 167.

125,

134,

20

2i

9>

140,

4J

229, 249, 263, 273, 2 7 5 , 2 7 7

Glaube-Unglaube 245 f. Gotik 238 G o t t 32, 41 f., 44, 62, 68, 69, 70, 109, IL8, 1 2 1 ,

141,

163, 202, 203,

211,

2 3 5 , 2 4 J , 262, 265, 266, 274

H a n d w e r k 1 1 7 , 1 1 8 , 1 1 9 , 263 H a r m o n i e 2 1 , 24, 36, 44, 78, 81, 82, 1 1 6 , 1 3 7 , 144, IJO, 1 5 4 , 164, I9 2 > 1 9 5 . 2 1 5 , 223, 236, 265, 273, 280

165, 239,

H e r m a p h r o d i t 6, 24 f. H e t e r o n o m i e 84, 88 Historismus 246 historisches Menschengefühl 134, 240 Homologie 93 Hylozoismus 2 Idealismus 62, 65, 67, 70, 7 1 , 72, 91, I0

3>

MO,

141,

156.

162,

171,

179, 2 i 6 > 254> Idee 26, 50, J J , 60, 62, 63, 64, 6 j , 66, 6 7 , 6 8 , 69, 7 1 , 7 6 , 8 3 , 8 $ , 90, 9 J , 102, 103, 106, 107, 1 4 J , 147, 1 J 3 , 2 0 1 , 2 J J , 280

Individualismus 164, 209, 2 1 6 Individualität 126, I J 2 , 204, 2 1 2 , 238, 2 6 1 , 279, 280

innen-außen 2, 7, 2 1 , 37, 38, j3, J6, 58, 6 4 , 6 6 , 6 7 , 7 1 , 8 3 , 8 7 , 9 7 , ioo, 101, IJ7,

102, 168, r

104, 169,

107, 170,

193. 9S> 196. 197.

109, 120, 187, 189, 2

°°>

2 2

147, 192, 2

3 > 53>

2 J 6 , 2J7» 2 7 1 , 280, 2 8 J

innere Form 132, 140, 163, 188, 189, 190, 1 9 1 , 192, 207, 2 1 3

292

K a r i k a t u r 21 J Klassik J I , 61, 9J, 109, 123, 124, 126,. I 3 1 . J34> i 3 6 , r 3 8 . J4X> 15°. 1S3» 159> 1 6 3 ,

164,

191» 193» l96>

166, 177, 201

»

2I

3>

184, 2I

5>

I8J, 2

5S,

269

klassisch-romantisch 118, 201, 210, 276 kleine T e r z 39 f. Koexistenz 100 Koinzidenz 3, 23, 28, 223, 2J4, 264,

G r a n i t 80, 256, 257 g r u n d w a h r 164, 1 7 1

92>

innere N a t u r 191 innere N o t w e n d i g k e i t 194 innere W a h r h e i t 188 innerer Gehalt 191 innerer Sinn 186, 188, 189, 190, 192 inneres Leben 188, 191 inneres Urwesen 189 Ironie 61, 62, 66, 269, 280

267, 268, 276, 279

Kollektivismus 164, 241, 249 Kolorit 22 Kompensation 21 J Konfession 204 Konsequenz 94, 1 1 7 , 210, 2 1 1 , 266 Konstanz 92, 93 Kosmogonie 9, 10, 12 Kreisdenken 28, 72, 200, 207, 242, 266 Kritik 210 Künstler 1 1 7 , 1 1 8 , 1 1 9 , 122, 137, 1 3 8 , 139, 140, 143, 144, 148, 1 J 3 , 157, 158, 1 J 9 , 160, 162, 163, 170, 1 7 1 , 1 8 1 , 186, 188, 1 9 1 , 207, 2 1 J , 224, 2 J J , 2 J 9 , 278

IJ4, 169, 192,

Kunsttheorie 95, 1 1 0 , 1 1 4 , 1 2 1 , 126, 127, 13J, 138, 149, i j i > l 6 4 , 2 8 7 Kunstwahrheit 139 K u n s t w e r k - N a t u r w e r k 129 Lakonismus 137, 190, 258, 268, 275,. 2 8 2 7 . 79 Laokoon J8, 140, 214, 224 Leben 1 1 7 , 122, 134, 147, 169, 188,

1 9 4 , 1 9 6 , 2 0 2 , 2 0 4 , 2IO, 2 1 1 , 227, 228, 229, 240, 2 J 7 , 2 J 8 , 266, 276, 280, 283

Lebenskraft 87 Lepaden 64, IOJ, 26J Lyrik 197, 198

22J,. 263,.

Madonnen I i 6 , 1 7 6 , 1 7 7 M a g n e t 1 9 , 2 5 , 26, 99, 1 0 7 , 2 7 5 Malerei 1 1 0 , 1 1 7 , 1 7 0 , 1 7 3 , 1 7 4 , 2 2 4 Manier 1 2 6 , 2 1 2 Materialismus 7 2 , 2 4 1 Mathematik 6, 3 1 , 3 2 , 3 6 , 1 2 3 , 2 7 7 Metamorphose 7 , 1 0 , 2 2 , 40, 48, 6 5 , 68, 7 0 , 7 2 , 7 4 , 7 8 , 8 2 , 83, 86, 87, 9 1 , 96, 98, I O I , 1 0 2 , I 0 8 , 1 1 9 , 1 2 1 , 1 2 5 , 1 2 7 , 129, 1 3 8 , IJO, I Í 7 , 180, 1 9 6 , 2 2 2 , 2 2 3 , 2 3 2 , 2 4 I , 249, 2 5 8 , 266, 267, 273, 279, 284 Metaphysik 2 5 4 , 2 5 8 , 2 7 1 , 284 mikromegisch 1 7 , 8 1 , 1 9 0 Mineralogie 1 1 7 Moral 230 Morphologie 3 9 , 7 0 , 7 7 , 7 9 , 8 3 , 86, 8 7 , 9 2 . 93» 9 5 . 98, 99. 2 1 3 , 272 Mystik 1 7 2 , 2 2 1

I0

9> " o . i ? 2 . 1 9 $ ,

Nachahmung 1 1 1 , 1 1 3 , 1 2 6 , 1 2 9 , 1 4 1 , 1 4 3 . 1 4 4 , 1 4 5 . I 4 7 . M S . 203, 2 0 7 , 212 nalv-sentimentalisch 1 5 1 Nationalcharakter 2 4 7 Nationaldichtung 2 0 6 Nationalgeist 2 2 4 natürlich-übernatürlich 18 y natürliches System 2 6 6 Naturalismus 1 2 6 , 1 4 6 , 1 5 8 Naturdichter 2 1 0 Naturformen 1 0 5 , 200 Natursprache 1 4 9 Naturwahrheit 1 5 6 Naturwissenschaft 3 7 , 9 5 , 109, 1 1 0 , 1 1 7 , 1 1 9 , 120, 126, 127, 133, 137, 140, I J 7 , I 8 J , 186, 192, 194, 2 1 3 , 2 1 5 , 2 3 1 , 236, 244, 2 / 7

104, 123, ijo, 200, 24J,

106, 125, xsj, 212, 272,

Neuplatonismus 2 , 1 0 , 4 5 , 1 3 3 , 1 6 3 , 187, 2 1 1 Nibelungenlied 1 5 4 , 2 0 3 , 2 1 6 , 2 4 7 N o t w e n d i g k e i t J , 4 3 , 69, 86, 9 2 , 1 2 2 , i 2 5 . 1 3 0 . 1 3 3 . 1 3 5 . 1 4 5 . 1 5 6 , 158» 164, 183, 194, 2 0 1 , 2 4 1 , 262, 276 Ökologie 7 2

Ökonomie 93 O h r 3 6 , SS, 2 3 9 Ontologie 1 2 3 , 2 2 2 , 2 8 4 Ordnung 1 5 0 Organisation $6, 84, 9 6 , I O J , ! 3 2 > r 34> 1 5 6 . I 5 7 » ^ 2 , 1 9 5 , 198, 200, 2 1 3 , 2 7 1 , 273 Organismus 1 1 2 , 1 1 4 , 1 6 2 , 1 6 3 ,

130, 197, I8J,

241, *54, 2 7 2 . 2 7 6 . 279 Osteologie 7 4 , 1 4 3 , 2 1 7 O x y m o r a 6 f.

Parthenon 1 5 9 Patriotismus 1 4 6 , 1 4 7 , 1 4 9 , 2 1 7 , 2 6 7 Phantasie 50, 87, 1 2 3 , 1 4 4 , 1 5 7 Phigalia 1 5 4 , 1 6 0 Phylogenese 260 Physik 2 4 , 26, 3 2 , 3 3 , 34, 3 5 , 7 2 , 99, 1 5 8 , 242, 285 Physiologie 30, 36, 7 9 , 90, 9 5 , 99, 1 0 1 , 103, 148, 149, 153 Pietismus 3 , 1 1 3 Poetik 1 5 s , 1 8 5 , 1 9 2 , 2 0 8 , 2 1 7 Polarität 1, 2, 7 , 1 0 , 1 1 , 1 2 , 1 4 , 1 7 , 1 8 , 20, 2 1 , 2 2 , 2 4 , 2 7 , 28, 3 1 , 34, 3 8 , 39. 40. 4 3 . 4 4 . 4 5 . 4^, 4 7 . 4«. 5 1 . 53. 55. 57. 66, 6 7 , 68, 69, 7 0 , 7 1 , 7 2 , 7 4 , 7 7 , 8 1 , 8 3 , 84, 87, 88, 89, 9 1 , 94, 9 5 , 96, 98, 99, 1 0 0 , 1 0 1 , 1 0 2 , 1 0 4 , 1 0 7 , 108, 109, 1 1 0 , 1 2 1 , 125, 150, 152, 165, 168, 169, 178, 1 8 1 , 182, 184, 185, 187, 192, 193, 195, 196, 197, ! 9 9 . 2 ° I . 2 ° 7 . 208, 209, 2 1 0 , 2 1 2 , 2 1 3 , 216, 2 1 7 , 2 1 8 , 220, 2 2 1 , 2 3°> 2 3 2 . 235> 237> 2 4 ° . 2 4 i . 2 4 2 . 2 43> 2 4 4 . 2 45> 24. 2 4 7 . 2 $ i , 2 5 6 . 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 2 73> 2 7 4 . 275> 2 7 6 , 2 7 7 , 279, 280, 2 8 3 , 284 Präformation 6 J , 88, 9 0 P r ä g n a n z 1 9 , 50, J I , 2 1 4 , 2 5 8 , 2 5 9 , 2 6 0 , 2 6 2 , 2 6 8 , 278 Proportion 1 3 3 , 1 4 0 , 1 4 3 , 1 4 4 , 1 5 9 , I 8 J , 207, 228

Quantität-Qualität 3 2 real-ideal 1 0 6

293

Realismus 60, 67, 70, 7 1 , 75, 96, 103, 130, 1 4 1 , 144, 14$, 162, 2 1 1 , 2 1 6 R e g e l $8, 84, 85, 1 1 6 , 1 1 8 , 122, 133, 135, 138, 140, 144, 167, 185, 186, 187, 267

T y p u s J4, 67, 74, 7 5 , 76, 7 7 , 78, 7 9 , 83, 86, 87, 90, 9 1 , 92, 93, 94, 95,

R e l i g i o n 1 1 3 , 1 2 1 , 150, 172, 174, 17$, 187 R e v o l u t i o n 135, 136, 143, 182, 267 romantisch 196, 201, 2 i j , 2 1 6

Urbild 77 U r f o r m 7 4 , 258 U r k ö r p e r 8, 91 U r k r a f t 88 U r p f e r d 159

S ä k u l a r i s a t i o n 118, 150, 221, 284 Schauspieler 127 Schein 207, 26S schöne F o r m 194

U r p f l a n z e 76, 85, 86, 87, 92, 96, 1 2 1 , 127, 266 U r p h ä n o m e n 26, 27, 31, 7 7 , 9 1 , 103, I 2 7 f . , 1 3 1 , 256, 275, 280, 281, 283 U r p o l a r i t ä t j i , 257 U r t i e r 76 U r v ä t e r 148 U r w e l t 257 U r w e s e n 189

Schönheit 101, 1 1 2 , 123, 1 3 1 , 132, 133, 134, 1 4 1 . 143. ' 4 $ . 163, : 7 7 > 185, 194, 207, 214, 226, 274 S e n t i m e n t a l i t ä t 164, 194, 272 s i m u l t a n - s u k z e s s i v 51, 66, 69, 74, 9 1 , 96, 103, 222, 166 sinnlich-sittlich 10, 38 s o n d e r n - v e r k n ü p f e n 72, 107 S p e z i f i k a t i o n n , 102, 195, 1 1 3 ,

257,

245, 246, 247 S t o f f 140, 144, 172, 1 7 3 , 179, 1 8 1 , 183, 184, 1 9 1 , 192, 193, 194, 197, 198, 199, 201, 202, 203, 204, 20J, 206, 2 1 2 , 255 S y m b o l 7, 26, 28, 51, 79, 105, 1 2 1 , 127, 128, 146, 152. 190, 202, 2 1 3 , 221, 226, 2J4, 2 5 7 f r . , 262, 267, 269, 270, 277, 278, 280 symbolische N a t u r w i s s e n s c h a f t 266 synchronistisch 227, 232, 236, 266, 279, 280

294

2 I I > 2I3>

2I7>

V a r i e t ä t 80, 213

262, 264, 267, 269, 270, 278, 280 S p i e g e l u n g 4 1 , 55, 98, 146, 1 5 7 , 190 Sprache 26, 49, 272, 276 S t e i g e r u n g i , 17, 27, 28, 40, 48, 67, 7 1 , 80, 87, 99, 124, 134, 1 3 7 , 198, 2 2 1 , 242, 245, 284 Stil 49, 126, 167, 198, 2 1 2 , 2 1 3 , 2 l 6 ,

T h e o m o r p h i s m 265 T h e a t e r 267 T o n l e h r e 34 ff. Tradition 118, 119 T r a g ö d i e 197, 199 T r a n s z e n d e n z 1 5 1 , 2 7 1 , 272, 276

97. 9 8 . I 0 2 > " o . ' 4 7 . 266, 279, 280

V e r g a n g e n h e i t 2 1 9 , 2 5 1 , 257, 260, 2 6 1 , 262, 264, 266, 269, 274 V e r g e i s t i g u n g 242 V e r s a t i l i t ä t 83, 92, 93, 94, 97, 105, 1 1 J v i s c e n t r i f u g a - v i s c e n t r i p e t a 18, 29, 125, 134, 153, 188, 213, 271 V o l k s d i c h t u n g 211, 216 V o l l e n d u n g 54, 140, 207 V o l l k o m m e n h e i t 95, 97, 122, 123, 1 3 1 , 132, 140, 143, 150, 1 $7, 158, 270 V u l k a n i s m u s 72 W a h l 150 W a h r h e i t 68, 86, 1 1 5 , 1 1 7 , 128, 134, 136, 144, 1 5 1 , 1 6 1 , 164, 185, 192, 203, 207, 209, 2 1 4 , 227, 245, 268, 2 74> 2 78> 282, 283 W a h r h e i t s g e f ü h l 57, 204, 257 Wahrscheinlichkeit 1 5 1 , 160 W e c h s e l w i r k u n g 1, 15, 57, 72, 8 i , 96, 104, 106, 146, 1 8 1 , 190, 192, 229, 247, 252, 254 wesentliche F o r m 84 W i l l k ü r 125, 132, 2 4 1 , 280 W i r b e l k n o c h e n 82, 92, 266 W i r k l i c h k e i t 86, 1 1 2 , 137, 139, 1 4 1 , 15°. 151. 1 S 3 > 154. 1 5 8 . 1 S 9 > W i t t e r u n g s l e h r e 38

207

Zweckmäßigkeit 123, 133, 144, 185, 194 Z wienatur 270 Zwischenkieferknochen 75, 76, 81, 83, 92, 122, 273

Würde 141 Zettel-Einschlag 5, 39, 43, 45, 250 Zoologie 117 Z u f a l l 5, 15, 39, 42, 75, 102, 229, 262, 272, 280

j. Werke Goethes C l a v i g o 114 Dichtung und Wahrheit 9 f., 149 183,281 Egmont 161, 214 Epimenides Erwachen 267 Faust 6, 11, 21, 41, 63, 68, 107, 134, 146, 161, 196, 2 o i , 226, 260, 269, 270 G ö t z v o n Berlichingen 234, 267 Hermann und Dorothea 6, 136, 182, 260, 267

f.,

128, 256,

166,

Iphigenie 120, 199 Natürliche Tochter 164 N o v e l l e 180, 182 Pandora 186, 218 Tasso 124, 199, 201 Wahlverwandtschaften 7, 46 f., 22 j , 260 Werther 7, 260 Westöstlicher D i v a n 13 Wilhelm Meister 119, 199, 208 f., 213, 22jf.

29S

Goethe und die Antike Eine Sammlung V o n ERNST GRUMACH

Mit einem Nachwort von W O L F G A N G SCHADEWALDT 2 Bände. Groß-Oktav. Mit 17 Tafeln (davon eine farbig) XV, 1092 Seiten. 1949. Ganzleinen 4 0 - D M

Goethe Grundzüge seines Lebens und Werkes V o n H A N S BÖHM

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Goethe Der mythische Urgrund seiner Weltschau V o n WERNER DANCKERT

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Friedrich Maximilian Klinger Der Weltmann als Dichter V o n CHRISTOPH HERING

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WALTER D E GRUYTER & CO • BERLIN 30