Gestaltungsrechte, Rechtsgeschäfte, Ansprüche: Zur Stellung der Privatautonomie im Rechtssystem [1 ed.] 9783428417599, 9783428017591

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Gestaltungsrechte, Rechtsgeschäfte, Ansprüche: Zur Stellung der Privatautonomie im Rechtssystem [1 ed.]
 9783428417599, 9783428017591

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KLAUS ADOMEIT

Gestaltungsrechte, Rechtsgeschäfte, Ansprüche

Schriften zur Rechtstheorie Heft 13

Gestaltungsrechte, Rechtsgeschäfte, Ansprüche Zur Stellung der Privatautonomie im Bechtssystem

Von Dr. K l a u e A d o m e i t

D Ü N C K E R

& H UM B L O T

/

B E R L I N

Alle Redite vorbehalten © 1969 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1969 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed In Germany

Inhaltsverzeichnis

Einführung

7

Α. Der theoretische Ertrag der Kategorie „Gestaltungsrecht"

8

B. Erweiterung I : tungen

Aufnahme

mehrseitiger

(schuldrechtlicher)

Gestal-

1. Die allgemeine Vertragsfreiheit als Gestaitungsrecfot

10 10

2. Der Umfang des erweiterten Gestaltungsrechtsbegriffs blick I: M e h r - u n d einseitige Gestaltungen)

(Über-

C. Der erweiterte Begriff der Gestaltung i n normlogischer Interpretation

13

17

1. Die Lehre v o n der Reditsardnung als Stufenbau

17

2. A n w e n d u n g des Kampetenzbegriffs

19

D. Erweiterung I I : Aufnahme mehrseitiger Verfügungen

22

1. Die Notwendigkeit der Erweiterung

22

2. Neuverständnis des Rechtsgeschäfts I : Das Rechtsgeschäft als A u s übungsform v o n Gestaltungsrechten (Überblick I I : Rechtsgeschäfte)

22 23

E. Interpretation der Herrschaftsrechte

26

1. Neuverständnis des Gegensatzes Herrschaftsrecht — Gestaltungsrecht; Ausschließungsfunktion u n d Erlaubnisfunktion absoluter Rechte

26

2. K r i t i k der Theorie v o m Herrschaftsrecht als Normsetzungsmacht

29

3. Funktionen des komponente

31

Anspruchs:

Machtkomponente

und

Freiheits-

F. Neuverständnis des Rechtsgeschäfts I I : Das Rechtsgeschäft als B e gründungsakt v o n Gestaltungsrechten (Ermächtigungsgeschäfte) 35

Inhaltsverzeichnis

6

1. Die Position des Gestaltungsrechtsgegners 2. Hechtsgeschäfte u n d Ermächtigungsgeschäfte a) Unterwerfungen b) Zustimmungen c) Überblick 3. Erweiterung

35 36 36 37

III:

Ermächtigungsgeschäfte

39

III:

Gestaltungsrechte höherer Ordnung

40

Einführung Die begriffliche Verselbständigung des Gestaltungsrechts — eine Leistung Seckeis\ die auf Vorarbeiten von Zitelmann, Crome und Hellwig 2 beruht — ist in unsere Grundvorstellungen vom Privatrechtssystem eingegangen. Ohne dieses gedankliche Hilfsmittel wäre es schwerer zu verstehen, daß das Recht des Gläubigers aus einem Schuldvertrag, vom Schuldner eine Leistung zu verlangen, von grundlegend anderer Art ist als dessen Recht zur Anfechtung des Vertrages (der vertraglichen Willenserklärung). Das 60-Jahres-Jubiläum dieser „juristischen Entdeckung" hat Bötticher 3 zum Anlaß genommen, ihre Berechtigung und fortdauernde Fruchtbarkeit eindrucksvoll zu belegen. Jedoch hat bei einer Reihe moderner dogmatischer Fragen, insbesondere aus dem Arbeitsrecht, die Heranziehung des Gestaltungsrechtsbegriffs keineswegs zu befriedigenden Lösungen geführt, sondern zu bloßen Problemverschiebungen und zum Teil auch Systemwidersprüchen, was auf eine Unstimmigkeit in der Theorie hindeutet. I m folgenden Beitrag wird versucht, den kritischen Ansatz Seckeis auch gegen ihn selbst fortzuführen, das auf ihm beruhende System mit neuen Sichtweisen in der Lehre vom Rechtsgeschäft und vom subjektiven Recht zu konfrontieren und mögliche Verbesserungen vorzuschlagen.

1 Emdl Seckel, Die Gestaltungsrechte des Bürgerlichen Rechts, Festgabe f ü r Richard Koch, B e r l i n 1903, S. 205 ft. 2 Ernst Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. I I , 1. Halbbd., Leipzig 1898, S. 32 ft. („Rechte des rechtlichen Könnens"); Carl Crome , System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. I, Tübingen/Leipzig 1900, S. 176 ff. („Gegenrechte"); K o n r a d Hellwig, Anspruch u n d Klagrecht, Leipzig 1910, S. 2 f. 3 Gestaltungsrecht u n d Unterwerfung i m Privatrecht, B e r l i n 1964 (dazu Werner Lorenz, RabelsZ 1966 S. 521; A l f r e d Söllner, AcP Bd. 164 (1964) S. 378; Theo Mayer-Maly, Z u r arbeitsrechtlichen Bedeutung der Lehre v o m Gestaltungsrecht, R d A 1965 S. 361; Rudolf Bruns, Z Z P Bd. 78 (1965) S.264; W i l h e l m Herschel, A u R 1965 S. 53); schon vorher Bötticher, Besinnung auf das Gestaltungsrecht u n d das Gestaltungsklagerecht, Festschrift f. Hans Dölle, Bd. I, Tübingen 1963, S. 41 ff.; zum berechtigten Ehrentitel einer juristischen Entdeckung vgl. Hans Dölle, Verh. d. 42. dt. Juristentages (1958) Bd. I I , T e i l B, S.11.

Α. Der theoretische Ertrag der Kategorie „Gestaltungsrecht" Der von Seckel beklagte Mangel einer „festen Theorie" für die Gruppe der Gestaltungsrechte, den er der Dogmatik seiner Zeit zum Vorwurf machte, wurde weder von ihm noch von Späteren wirklich behoben. Die zu dieser Gruppe gezählten Einzeltypen sind so zahlreich, daß einmal ihre Abgrenzung von Nicht-Gestaltungsrechten kontrovers geblieben ist, zum anderen kaum ein einziger für alle Gestaltungsrechte in gleicher Weise geltender allgemeiner Satz gefunden werden konnte, zum dritten nur eine sehr lose Beziehung zu der durch den Allgemeinbegriff des subjektiven Rechts parallel gesetzten Gruppe der Herrschaftsrechte besteht. Nipperdey

sagt (im Anschluß an L. Enneccerus):

„Die rechtliche Behandlung der Rechtsänderungs- oder Gestaltungsrechte ist außerordentlich verschieden. Manche sind vererblich, manche unvererblich, manche selbständig, manche m i t anderen Rechten verknüpft, die meisten auch durch Vertreter, einige n u r i n Person ausübbar. Eine nähere Darlegung, insbesondere auch der Frage u n d der A r t ihrer Übertragbarkeit k a n n n u r bei den einzelnen Rechtsverhältnissen gegeben werden 4 ."

Da die Funktion wissenschaftlicher Begriffsbildung gerade darin besteht, gemeinsame Aussagen über eine durch den Begriff zur Einheit zusammengefaßte Vielzahl von Phänomenen zu ermöglichen 5, legt die geringe Zahl möglicher allgemeiner Aussagen über alle Gestaltungsrechte den Versuch nahe, die Grenzen dieses Begriffs neu abzustecken. I n überkommener Extension ist er zu generell, um sachhaltige Aussagen über seine Elemente zuzulassen, und wiederum nicht generell genug, um eindringende Differenzierungen zu erlauben. Unter der Alternative, den Gestaltungsrechtsbegriff einzuengen oder auszudehnen, wird im folgenden der Weg der Ausdehnung mit nachfolgender Binnendifferenzierung eingeschlagen. Die damit erhofften Einsichten 4 Enneccerus-Nipper dey, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, Tübingen 1959, S. 443. 5 Vgl. zur Pragmatik der Begriffsbildung Werner Leinfellner, S t r u k t u r und A u f b a u wissenschaftlicher Theorien, Wien/Würzburg 1965, S. 28 ff., 189 ff.; Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, 3. Aufl., Stuttgart 1965, S. 375 (über die Definitionslehre des Wiener Kreises) ; K a r l R. Popper, Die offene Gesellschaft u n d ihre Feinide, Bd. I I : Falsche Propheten — Hegel, M a r x u n d die Folgen, Bern 1958 (Sammlung Dalp), S. 14 ff.

Α. Der theoretische Ertrag der Kategorie „Gestaltungsrecht"

9

sind zunächst weniger dogmatischer als systematischer Art; sie wollen nicht materialen Anforderungen genügen, sondern dem formalen Postulat nach einem widerspruchsfreien, vollständigen und mit einem Minimum von Elementen operierenden Begriffsnetz. Vor allem wird angestrebt, die Beziehung zwischen Gestaltungsrechten und Rechtsgeschäften genauer und vollständig zu erfassen. Die Untersuchung wird sich auf das deutsche (BRD) Zivilrecht beschränken, sie möchte jedoch auch Ansätze zur Weiterentwicklung der Allgemeinen Rechtslehre liefern.

Β. Erweiterung Is Aufnahme mehrseitiger (schuldrechtlicher) Gestaltungen 1. Die allgemeine Vertragsfreiheit als Gestaltungsrecht

Auszugehen ist von der Definition. Diese lautet in der Prägung Seckeis: „Das private Gestaltungsrecht ist zu definieren als das subjektive (konkrete) Privatrecht, dessen I n h a l t ist die Macht zur Gestaltung konkreter Rechtsbeziehung durch einseitiges Rechtsgeschäft."

I n dieser Definition ist das Element „Gestaltung konkreter Rechtsbeziehung" offenbar notwendig, weil rein analytisch. Dagegen ist die Festlegung auf das einseitige Rechtsgeschäft als Gestaltungsmittel durchaus nicht zwingend, und auch ihre Zweckmäßigkeit nicht ohne weiteres einsehbar. Bereits das Element „Rechtsgeschäft" führt zu einer Eingrenzung möglicher Gestaltungen, auf der einen Seite gegenüber tatsächlichen Vorgängen, die den Tatbestand einer Rechtsnorm erfüllen und dadurch Rechtsfolgen auszulösen (z.B. Delikte), auf der anderen Seite gegenüber Rechtsetzungsakten. Gibt es überhaupt Rechtsgestaltung durch Rechtsgeschäft, so muß dies die allgemeinere und übergeordnete Kategorie, die Gestaltung durch einseitiges Rechtsgeschäft ein Spezialfall sein. Dafür spricht auch, daß die Teilgruppe der rechtsbegründenden Gestaltungsgeschäfte bisher nur Elemente von peripherer Bedeutung zugeordnet erhalten hat, während die zentrale rechtsgeschäftliche Begründung eines Schuldverhältnisses, der Abschluß eines Schuldvertrages, trotz seiner Artverwandtschaft 6 mit anderen Begründungsakten, ausgeschlossen werden mußte. Der Versuch, wenigstens die Position des Empfängers einer Vertragsofferte für die Gestaltungsrechte zu gewinnen, konnte nicht zum Erfolg führen, weil liier zu offensichtlich ein unselbständiger Mitwirkungsakt an einem einheitlichen Rechtsgeschäft isoliert wurde 7 . Die Beziehung des Systems der Gestaltungsrechte zu der Lehre von den Rechtsgeschäften blieb daher unklar. Bisher ist nicht einmal eine sichere Auskunft zu erhalten, ob der Begriff der Gestaltungsrechte und der Begriff der 6 Vgl. ausdrücklich darüber, daß der Effekt eines einseitigen Rechtsgeschäfts auch durch Vertrag erzielt werden kann, v. Tuhr, Der Allgemeine T e i l des Deutschen Bürgerlichen Rechts, I I 1, S. 206. 7 Übereinstimmend Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 13; Flume, Allgemeiner Teil, Bd. I I : Das Rechtsgeschäft (1965), S. 138; abweichend v.Tuhr I, S. 162.

Die Vertragsfreiheit als Gestaltungsrecht

11

einseitigen Rechtsgeschäfte — vermindert um die singulär schuldbegründende Auslobung — umfangsgleich sind8. Daß es an sich nahelag, auch die mehrseitige Gestaltung aufzunehmen, ist Seckel nicht entgangen, denn sonst hätte er sich nicht genötigt gesehen, dagegen zu argumentieren. Nach seiner oft wiederholten Einlassung „sind keine Gestaltungsrechte das ,Recht', Offerten zu machen, Stiftungen zu gründen, Verfügungen v o n Todes wegen zu errichten, durch Vertrag einem D r i t t e n unmittelbar ein Forderungsrecht zu verschaffen usw. Denn was jeder kann, ist nicht konkrete Macht; jedes subjektive Recht ist ein Vor-Recht, ein miehreres gegenüber dem, was alle oder viele können, eine Macht, die anderen nicht zusteht" 9 .

Dieser Argumentation liegt die irrige Annahme zugrunde, die allgemeine Vertragsfreiheit stünde jedem Menschen sozusagen von Natur aus zu 1 0 und beruhte nicht erst auf einer Ermächtigung durch die Rechtsordnung. Wäre dem so, dann könnte nicht eine Rechtsordnung diese Macht den ihr Unterworfenen vorenthalten, wie noch das Römische Recht den Sklaven. Sicher liegt es in der natürlichen Handlungsfreiheit, Tauschhandlungen oder Handkäufe vorzunehmen und sogar Kaufversprechen abzugeben, jedoch als rein tatsächliche Vorgänge ohne juristische Relevanz, solange nicht die Ermächtigung hinzugetreten ist, sich in einer für die staatlichen Gerichte relevanten Weise zu verpflichten 1I. Die politische Einsicht, daß es ungemein zweckmäßig ist, wenn ein Staat seinen Bürgern Privatautonomie zuerkennt, darf nicht zu der pseudotheoretischen Annahme führen, ein gegenteiliges Verfahren sei rechtslogisch ausgeschlossen. Ebenso verfehlt, zumindest aber unzweckmäßig wäre es, Rechtspositionen von hohem Allgemeinheitsgrad („... was jeder kann...") die Qualität des subjektiven Rechts abzusprechen. Es ist schon zweifelhaft, ob Seckeis Privilegien-Theorie des subjektiven Rechts noch den Vor8

Hugo Kreß, Schuldrecht, 1929, S. 15: „Der Kreis (der Gestaltungsrechte dürfte sich m i t dem der einseitigen Rechtsgeschäfte i m wesentlichen decken." * Seckel, a.a.O. S. 211; vgl. ähnlich Zitelmann, S. 43, jedoch S. 59 u. 77; Crome, S. 177; v.Tuhrl, S. 161; Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 4; k r i t . Lorenz, RabelsZ 1966 S. 522; aus der L i t e r a t u r vor Seckel f ü r ein weites Verständnis der von i h m so genannten Befugnisse August Thon, Rechtsnorm u. subjektives Recht, W e i m a r 1878, S. 336. 10 Vgl. zuletzt noch Larenz, Allgemeiner Teil, 1967, S. 80: „Der Mensch hat als Person die Fähigkeit, sich durch sein ,Wort' einer anderen Person gegenüber binden zu können." Kritischer Bydlinski, Privatautonomie u n d objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, Wien/New Y o r k 1967, S. 69. 11 Übereinstimmend A l f Ross, Directives and Norms, London 1968, S. 56 ( that the promise is not a natural act b u t one constituted by legal rules"), der den Vertragsschluß als ein nach Regeln verlaufendes Spiel („promising game") interpretiert.

12

Β. Aufnahme mehrseitiger Gestaltungen

Stellungen seiner Zeit entsprochen hat 1 2 , jedenfalls kann sie der gegenwärtigen Rechtsordnung nicht gerecht werden. Nach ihr könnte es etwa keine Grundrechte geben, jedenfalls nicht im Sinne subjektiver (öffentlicher) Rechte eines jeden einzelnen gegenüber dem Staat 13 . Nach ihr wäre vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht kein subjektives Recht. Die Allgemeinheit der gewährenden Norm (Art. 2 Abs. 1 GG zuzüglich einer zur Fortbildung des Privatrechts führenden Transpositionsklausel) schlösse eine solche Annahme aus, und zwar ohne Rücksicht darauf, daß die in ihr gewährte Position doch konkret jedem Begünstigten zusteht und sich in ihrer Auswirkung nicht von der eines anerkannten subjektiven Rechts unterscheidet. Genau umgekehrt ist es aber ratsam, die privatrechtlichen Parallelphänomene zu den konstitutionellen Menschenrechten wegen ihrer fundamentalen Bedeutung in das System der subjektiven Rechte einzubeziehen. Erst die Abkehr von Seckeis eingeschränktem Gestaltungsrechtsbegriff ermöglicht es, den Zentralbegriff des Privatrechts, die allgemeine Vertragsfreiheit („Privatautonomie") nunmehr nicht als ein bloßes objektives Prinzip, sondern funktionskonform als subjektives Recht zu begreifen. Die Vertragsfreiheit erhält erst dadurch, daß man sie zum Gestaltungsrecht qualifiziert, einen bestimmbaren Ort im Gefüge privatrechtlicher Grundbegriffe 14 . Wollte man beim bisherigen Verständnis stehenbleiben, so müßte man neben den subjektiven Rechten stehende Freiheiten (wie die Vertragsfreiheit, die Testierfreiheit, die Verfügungsmacht, die Vertretungsmacht) zulassen, zugleich aber die Notwendigkeit einer solchen Zweiteilung belegen und die Gegensätze zwischen Rechten und Freiheiten herausarbeiten. 12

Vgl. Georg Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts, Berl i n 1866, §50 („Von den Privilegien"). 13 Vgl. aber über die Bedeutung der Grundrechte f ü r das Privatrecht Enneccerus-Nipperdey, § 15 I I 4 = S. 91 ff. 14 Vgl. die angelsächsische Jurisprudenz, i n der, worauf Lorenz , RabelsZ 1966 S. 522 hingewiesen hat, der Begriff „power" (Hohfeld) i m weiteren Sinne als unser Gestaltungsrecht verstanden w i r d . „ A power may be defined as a b i l i t y conferred upon a person b y the l a w to alter, b y his o w n w i l l directed to t h a t end, the rights, duties, liabilities or other legal relations, either of himself or of other persons." (Salmond on Jurisprudence, 12. Aufl., bearb. v. Fitzgerald , London 1966, S. 229.) Weiterführend die Kategorie der „power-conferring rules" bei H. L . Α. Hart (unten Fn. 25) : „Legal rules def i n i n g the ways i n w h i c h v a l i d contracts or w i l l s or marriages are made do not require persons to act i n certain ways whether they w i s h to or not. Such laws do not impose duties or obligations. Instead, they provide i n d i v i duals w i t h facilities , for realizing their wishes, b y conferring legal powers upon them to create, b y certain specified procedures and subject to certain conditions, structures of rights and duties w i t h i n the coercive framework of the l a w " (Concept of L a w S. 27). Vgl. noch zuletzt A l f Ross, Directives and Norms, w i e Fn. 11, S. 96, 130.

Überblick I

13

Die genannten Phänomene der „Freiheiten" und „Mächte" sind jedoch den Gestaltungsrechten strukturverwandt. Der Abschluß eines Vertrages nach § 145 BGB kann geradezu als allgemeinste Form einer Reditsgestaltung gelten, die alle Elemente anderer Gestaltungen in sich birgt. Die Befugnis, einen Vertrag abzuschließen, steht zu der Befugnis, einen Vertrag anzufechten, in nächster Beziehung, nämlich der der Negation. Daher ist es zweckmäßig, diese Befugnis in den Gestaltungsbegriff aufzunehmen. Diese hier vorgeschlagene Begriffserweiterung soll keineswegs verhindern, die dogmatischen Besonderheiten einseitiger Gestaltungen — die dann zu einer Untergruppe des allgemeinen Begriffs werden — zu erkennen, sondern gerade ermöglichen, sie auf dem kontrastierenden Hintergrund allgemeiner Vertragsfreiheit genauer abzubilden. Ein erster konkreter Vorteil liegt darin, eine Ubereinstimmung mit dem prozeßrechtlichen System der Gestaltungsklagen und -urteile zu erreichen, das auch die Herbeiführung von — sonst vertraglich begründeten — Schuldverhältnissen kennt 15 . Nur so wird ein Auseinanderfallen des materiell-zivilrechtlichen und des prozessualen Gestaltungsbegriffs vermieden. 2. Der Umfang des erweiterten Gestaltungsrechtsbegriffs

Erweitert man den Begriff der Gestaltungsrechte, indem man zu ihrer Ausübung nicht mehr einschränkend nur einseitige Rechtsgeschäfte, sondern jedes Rechtsgeschäft zuläßt 18 , so ergibt sich folgender erster Überblick: Überblick

I: Mehr- und einseitige

(1.) Rechtsbegründende

Gestaltungen

Gestaltung

(a) durch mehrseitiges Rechtsgeschäft Die Begründung eines Schuldverhältnisses erfolgt grundsätzlich durch Vertrag, § 305 BGB. Das Gesetz hat jeder beliebigen Gruppe von (mindestens und in der Regel: zwei) geschäftsfähigen Personen 15 Peter Schlosser, Gestaltungsklagen u n d Gestaltungsurteile, Bielefeld 1966, S. 54 („Die Erteilung einer Zwangslizenz ist der Sache nach ein durch Gestaltungsurteü den Parteien aufoktroyierter Vertrag"). 16 Vgl. die Definition von Kreß, Schuldrecht S. 5, die allgemeiner formuliert ist, freilich auch von i h m einschränkend i m Sinne einseitiger Gestalt u n g verstanden w u r d e : „ U n t e r Gestaltungsrecht ist die Macht zur Schaffung (Gestaltung) u n d Umgestaltung v o n Rechten u n d Schuldverhältnissen zu verstehen; sie werden i n Begründungsrechte, Aufhebungs- u n d Änderungsrechte eingeteilt, also i n Rechte, durch Willensäußerung Rechte (Ansprüche, absolute Rechte) u n d Schuldverhältnisse zu begründen, aufzuheben, zu ändern"; Zitelmann, w i e Fn. 2, S. 45, spricht allgemein unid treffend von der „Macht über eine künftige Rechtswirkung".

14

Β. Aufnahme mehrseitiger Gestaltungen

das Gestaltungsrecht zugeteilt, ein Schuldverhältnis mit ein- oder gegenseitigen Pflichten zu begründen. Ein Spezialfall der Schuldverhältnisse sind verbandsrechtliche Zusammenschlüsse (Gesellschaften, Vereine) 17 . Die Gestaltung ist meist eigennützig, indem nämlich niemand anders als ein an der Ausübung des Gestaltungsrechts Beteiligter berechtigt wird, kann jedoch auch fremdnützig sein, so beim Vertrag zugunsten Dritter 1 8 . Die Gestaltung ist meist autonom, indem nämlich niemand anders als ein an der Ausübung des Gestaltungsrechts Beteiligter verpflichtet wird, kann jedoch auch heteronom sein, so bei Akten im Rahmen gesetzlicher Vertretung 19 . (b) durch einseitiges Rechtsgeschäft Die Befugnis, außerhalb einer bestehenden Sonderverbindung fremde Verpflichtungen durch einseitige Anordnung zu schaffen, ist in einer modernen Zivilrechtsordnung kaum vorstellbar; dies wäre die Institutionalisierung von Willkür. Der Vertragsgedanke ist im geltenden Zivilrecht so stark ausgeprägt, daß nicht einmal das einseitige Schuldversprechen zugelassen ist 20 . Ausnahmsweise kann mit der Auslobung ein Schuldverhältnis durch einseitiges Rechtsgeschäft begründet werden, jedoch nur zu Lasten des Handelnden. Das Gesetz hat weiter zugelassen, daß durch Vertrag das Recht zur einseitigen Begründung eines Schuldverhältnisses begründet wird: so beim Vorkaufsrecht, beim Wiederkaufsrecht. (Über Zustimmungsgeschäfte vgl. unten, F 2 b; zum Vermächtnis Überblick II, 12 b.) (2.) Inhaltsändernde

Gestaltung

(a) durch mehrseitiges

Rechtsgeschäft

Die Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses erfolgt ebenfalls primär durch Vertrag (im Verbandsrecht: Beschluß), gleichgül17

Sofern damit ein neues rechtsfähiges Subjekt geschaffen w i r d , hat die Gestaltung zugleich die Bedeutung eines Organisationsaktes; diese Bedeut u n g k o m m t der Gründung einer Stiftung ausschließlich zu. Vgl. über die Zweckmäßigkeit einer rechtstheoretischen Dreiteilung i n Verhaltensnormen, Ermächtigungsnormen u n d Organisationsnormen Adomeit, RdA1967 S. 301 Fn. 26 b. 18 Vgl. zur komplexen S t r u k t u r v o n Treuhandbeziehungen Wolfgang Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, M a r b u r g 1933, bes. S. 99 ff. 10 Vgl. über den Begriff dier formalen Autonomie (Identität v o n N o r m urheber u n d Normadressat oder Zurückführbarkeit der Kompetenz des Normurhebers auf den W i l l e n des Normadressaten) u n d die relativierenden Begriffe der realen u n d der ideellen Autonomie Adomeit t R d A 1967 S. 304, Fn. 37. 20 Vgl. dazu Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. I I I , 1917, § 185 = S. 310 f.; vgl. auch über die frühere Kreationstheorie zur Entstehung einer Wertpapierverpflichtung Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Besonderer Teil, § 60 I I (8. Aufl. 1967, S. 341 ff.).

Überblick I

15

tig, ob dieses Verhältnis durch Vertrag, einseitige Willenserklärung oder Gesetz entstanden ist, § 305. Für jedes Schuldverhältnis gilt also, daß die an ihm Beteiligten das gemeinsame und durch Vertrag ausübbare Gestaltungsrecht haben, dieses Verhältnis inhaltlich zu ändern. (b) durch einseitiges Rechtsgeschäft Durch Vertrag kann ein einzelner Beteiligter (der Gläubiger oder der Schuldner einer Leistung) oder ein Dritter ermächtigt werden, die vertragliche Leistung inhaltlich zu bestimmen (§315 BGB). Ist auf diese Weise bei einem Dauerschuldverhältnis dem Gläubiger die Befugnis eingeräumt, den Inhalt der Leistungspflicht fortlaufend zu gestalten, so erlangt er eine besonders starke, quasi autokratische Stellung (der Arbeitgeber 21 ; ähnlich der patriarchalische Ehemann nach § 1354 BGB a. F.). Weitere Fälle sind § 375 HGB (Spezifikationskauf) und § 332 BGB (Vertrag zugunsten Dritter). Schließlich läßt sich das Recht, die richterliche Herabsetzung einer Vertragsstrafe zu beantragen, als rechtsänderndes einseitiges Gestaltungsrecht interpretieren 22 . (3.) Aufhebende Gestaltung (a) durch mehrseitiges Rechtsgeschäft Auch für die Aufhebung eines Schuldverhältnisses ist an erster Stelle der Auf hebungsvertrag zu nennen. Bei den durch Vertrag entstandenen Schuldverhältnissen spricht man von einem actus contrarius; wenn das Schuldverhältnis nur eine einseitige Forderung umfaßte: Erlaß. (b) durch einseitiges Rechtsgeschäft Tatsächlich liegt hier jedoch der Schwerpunkt bei einseitiger Gestaltung durch auflösende Erklärung. Seit der Überwindung archaischer Bindungsstrenge pflegen Rechtsordnungen dem durch ein Schuldverhältnis Gebundenen das Recht zu geben, sich einseitig von dieser Bindung zu befreien, wenn der Vertragsschluß ursprünglich 21 Das Direktionsrecht des Arbeitgebers widerspricht dem Satz, daß Gestaltungsrechte „ n u r einer einmaligen Ausübung fähig sind u n d m i t dieser untergehen" (Hellwig, S. 3) ; vgl. deswegen Böttichers Annahme eines Muttergestaltungsrechts, Gestaltungsrecht S. 6 u n d A l f r e d Söllner, Einseitige L e i stungsbestimmung i m Arbeitsverhältnis, Wiesbaden 1966, S. 29. 22 Dem von Bötticher sehr genau analysierten Unterschied von Gestaltungsrechten u n d Gestaltungsklagerechten soll hier nicht nachgegangen w e r den, vgl. Dölle-Festschrift, bes. S. 5411 u n d Rudolf Bruns, „Funktionaler" u n d „instrumentaler" Gehalt der Gestaltungsrechte u. Gestaltungsklagerechte, Z Z P Bd. 78 (1965) S. 164; Schlosser, Gestaltungsklagen u. Gestaltungsurteile, w i e Fn. 15.

16

Β. Aufnahme mehrseitiger Gestaltungen Mängel aufwies oder die Verhältnisse sich später geändert haben („clausula rebus sie stantibus"). Hier stehen also namentlich Widerruf, Rücktritt, Anfechtung, Ausschließung, Aufhebung. Durch die Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung wird bei einem Dauerschuldverhältnis die im Vertrage fehlende Fristbestimmung funktionell ersetzt (Molitor). Eine besondere Untergruppe bilden die Zurückweisungen (§§ 333, 111, 174 BGB), bei denen kraft gesetzlicher Fiktion eine Rechtswirkung als nicht eingetreten gilt.

C. Der erweiterte Begriff der „Gestaltung" in normlogischer Interpretation 1. Die Lehre von der Rechtsordnung als Stufenbau

Dieser Überblick läßt bereits eine generelle Aussage über die Grundlage von Gestaltungsrechten zu: sie setzen eine gesetzliche Ermächtigung 23 voraus, entweder unmittelbar oder mittelbar auf dem Wege über den Vertrag. Ob durch ein- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft überhaupt Rechtswirkungen hervorgebracht werden können und welche Rechtswirkungen erreichbar sind, richtet sich nach der Gesetzesordnung. Allgemein läßt sich sagen: durch die Ausübung von Gestaltungsrechten werden Verhaltenspflichten begründet, geändert oder aufgehoben. Diese beiden Merkmale (Notwendigkeit der Ermächtigung; Einwirkung auf Verhaltenspflichten) korrespondieren einem elementaren Gegensatzpaar der Allgemeinen Rechtslehre, den am deutlichsten die normlogische Rechtstheorie herausgearbeitet hat: dem Gegensatzpaar Verhaltensnorm — Ermächtigungsnorm. Die gleiche Unterscheidung findet sich, nur nicht streng durchgeführt, im klassischen System des Zivilrechts: „Das Recht regelt das menschliche Zusammenleben durch Gebote (einschließlich der Verbote) u n d Gewährungen 2 4 ."

Nach dem normlogischen Ansatz 25 ist jedes Element einer Rechtsordnung zurückführbar auf den allgemeinen Begriff der Norm, definiert 23 Flume , S. 137, m i t der Einschränkung auf einseitige Gestaltungen: V o r aussetzung sei eine Rechtslage, die den Handelnden zu der Regelung berechtige. „Soweit die Rechtslage verselbständigt gedacht w i r d als die Berechtigung zu der Vornahme der . . . Regelung, sprechen w i r . . . v o n einem Gestaltungsrecht." 24 Enneccerus -Nipperdey , § 301 = S. 196; vgl. damit Modestinus, libro primo Regularum, Dig. 1, 3, 7: „Legis virtus haec est: imperare, vetare, permittere, punire"; weiter Heinrich Thöl, Einl. i. d. dt. Privatrecht, Göttigen 1851, S. 101 ff.; Richard Ryck, Der I r t u m bei Rechtsgeschäften, Festg. f ü r Beseler, 1885 S. 119 ff.; Erich Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, 1897; das Verdienst der Wiener rechitstheoretischen Schule (Merkl, Kelsen) ist es, die Allgemeingültigkeit des Ermächtigungsgedankens belegt zu haben (Lehre v o n der Rechtsordnung als Stufenbau). 25 Vgl. zur normlogischen Theorie zuletzt Eugen Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, Tübingen 1965, S. 41 ff.; H. L . A . Hart, The Concept of L a w , Oxford 1961/65, S. 77 ff.; zu den Anfängen vgl. die Hinweise auf B i e r l i n g u n d Thon, unten Fn. 31 u. 34; ausführliche L i t e r a t u r angaben, auch über die Entwicklungsgeschichte bei Wolfgang Zöllner, Die

2 Adomelt

18

C. „Gestaltung" in normlogischer Interpretation

als für Menschen verbindliche Regel 26 . Die Gesamtheit der Normen einer Rechtsordnung ist in verschiedene Normgruppen gegliedert, zwischen denen definierbare Abhängigkeitsrelationen bestehen. Auf unterster Stufe stehen die für die Staatsbürger primär bedeutsamen Verhaltensnormen, deren Rechtsfolge darin besteht, ihren Adressaten ein Handeln oder Unterlassen vorzuschreiben. Diese Normen können genereller oder individueller Art sein; deshalb dürfen auch die in einem Schuldvertrag enthaltenen Vorschriften als Normen gesehen werden Verhaltensnormen sind nur verbindlich, wenn und soweit ihre Setzung durch Ermächtigungsnormen (Delegationsnormen, Erzeugungsregeln) vorgesehen war. Deren Rechtsfolge besteht darin, eine Befugnis (Kompetenz) zum Erlaß von Verhaltensnormen (oder weiteren Ermächtigungsnormen) zu gewähren 28 . Die Gesamtheit der Ermächtigungsnormen, die eine Setzung von Verhaltensnormen zulassen, bildet die zweite Normstufe. Da die Setzung dieser Normen durch weitere Ermächtigungsnormen geregelt zu sein pflegt, ergibt sich eine mehrfach (horizontal) gestufte Ordnung von Normgruppen, deren oberste die Verfassung ist. Die Gültigkeit einer jeden Verhaltensnorm setzt voraus, daß für sie eine (vertikale) Ermächtigungskette bis hin zur obersten Normstufe besteht. Ein einfaches Modell ist die Kette Verfassung — Gesetz (§ 305 BGB) — Vertrag 29 . Neben Verhaltensnormen und Ermächtigungsnormen sind als dritte Normkategorie die Organisationsnormen zu stellen, deren Funktion darin besteht, die zur Normsetzung zu ermächtigenden Subjekte zuRechtsnatur der Tarifnormen nach deutschem Recht, Wien 1966, S. 26, Fn. 76/79, dem der Verf. wesentliche Anregungen verdankt; vgl. weiter Adomeit, Rechtsquellenfragen i m Arbeitsrecht, K ö l n e r Habilitationsschrift 1968, bes. Teil 1 III. 26 Vgl. dazu genauer Rupert Schreiber, Die Geltung v o n Rechtsnormen, 1966, S. 3 ff.; Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S.3, 106 u n d Nipperdey-Festschrift 1965, Bd. I S. 57 ff.; A l f Ross, Directives and Nonns. 27 Ebensogut wäre es möglich, von Regeln u n d Regelung zu sprechen, was der allgemeinen Terminologie näher käme, z.B. Flume , durchgehend. Vgl. aber Larenz, Allgemeiner Teil, S. 89: „Dasjenige, w o r a n sich die Parteien durch ihre einander inhaltlich entsprechenden Willenserklärungen (besser: Geltungserklärungen) gebunden haben, ist f ü r sie beide nunmehr ein Gesolltes, eine Norm." 28 A l f Ros:s, Directives and Norms, S. 130 formuliert allgemein: „Competence is the legally established ability to create legal norms (or legal effects) through and i n accordance w i t h enuntiations t o this effect." 29 Anklänge an dieses Modell auch i n dem deutschrechtlichen Satz: „ W i l l k ü r (sc. Privatautonomie) bricht Stadtrecht, Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemjeines Recht." Jedoch geht es hier nicht u m die Delegations·, sondern u m die Derogationsbeziehung; vgl. über d i e beiden Stufenordnungen „nach der rechtlichen Bedingtheit" u n d „nach der derogatorischen K r a f t " Robert Walter, Der A u f b a u der Rechtsordnung — Eine rechtstheoretische Untersuchung auf Grundlage der Reinen Rechtslehre, Graz 1964, bes. S. 53 ff.

27

.

A n w e n d u n g des Kompetenzbegriffs

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nächst zu bestimmen oder zu schaffen: so gehen die Regeln des Allgemeinen Teils über Personen denen über Rechtsgeschäfte v o r 3 0 . 2. Anwendung des Kompetenzbegriffs V o n diesem begrifflichen Schema her gesehen ist ein Gestaltungsrecht allgemein die Kompetenz zur Setzung von Verhaltensnormen, die der Adressat einer Ermächtigungsnorm erhalten hat. Ausübungsform dieser Kompetenz ist das Rechtsgeschäft 31 . So w e r d e n durch den Abschluß eines Schuldvertrages die i n i h m enthaltenen Verhaltensregeln — evtl. modifiziert durch Bedingung, Befristung — i n K r a f t gesetzt 3 2 . Diese Kompetenz ist organisatorisch getrennt v o n der K o m p e tenz der Gesetzgebungsorgane und gehört z u einer anderen, subordinierten Normstufe. I n ihrer Totalität füllt sie den R a h m e n der Privatautonomie aus. Privatautonomie besagt, daß i m Bereich des Zivilrechts die M e h r z a h l der geltenden Verhaltensnormen nicht durch staatliche, 30 Abweichend ordnet A l f Ross, Directives and Norms, S. 130, auch die Organisatiansregeln den Kompetenznormen unter u n d unterscheidet drei Gruppen v o n Kompetenznormen: „1. those w h i c h prescribe w h a t person (or persons) is qualified to perform the act w h i c h creates the n o r m (personal competence); 2. those w h i c h prescribe the procedure to be followed (procedural competence); a n d 3. conditions w h i c h prescribe the possible scope of the created n o r m w i t h regard -to its subject, situation, and theme (substantial competence)" 31 Dean hier vertretenen Standpunkt schon sehr nahe August Thon, Rechtsn o r m u n d subjektives Recht, 1878, S. 325 ff. („Befugniß u n d Rechtsgeschäft"), bes. S. 350: „Ausübung einer Befugniß ist das, was w i r Rechtsgeschäft nennen. Letzterem k o m m t . . . lediglich die Function zu, eine Vorbedingung f ü r den E i n t r i t t oder die Aufhebung einzelner Imperative zu sein." Gegenüber dem v o n Thon erreichten Abstraktionsgrad muß Seckeis Konzeption i n gewisser Weise als wissenschaftlicher Rückschritt gewertet werden. Der Vorläufer Thons ist Brinz, Lehrbuch d. Pandekten, Bd. I, 2. Aufl. Erlangen 1873, §§ 64ff. („Die Rechte überhaupt"), vgl. z.B. S.211: „ . . . das rechtliche Können oder die rechtliche Macht (ist) etwas, was n u r zu Rechtsgeschäften, i m weitesten Sinne des Wortes also n u r zu solchen Handlungen vorkommt, welche v o m Recht zur Erzielung seiner unsichtbaren, rechtlichen W i r k u n g e n aufgestellt oder recipiert sind." 32 I n dieser Sichtweise des Normsetzungsaktes liegt eine Absage an die noch herrschende Tatbestandstheorie, die i n dem Rechtsgeschäft n u r einen juristischen Tatbestand unter anderen sieht, an den das Gesetz Rechtsfolgen k n ü p f t ; vgl. repräsentativ Windscheid-Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl., Bd. I (1906), S. 310 ff. Diese Absage ist angebracht u n d f ü h r t zu einer Theorie v o n höherem Informationsgehalt, w e i l die das Rechtsgeschäft Setzenden ebenso w i e der Verfassungsgeber oder der Gesetzgeber die rechtliche Möglichkeit haben, i m Rahmen der ihnen erteilten Ermächtigung die Rechtslage nach freiem W i l l e n zu gestalten, anders: w e i l die eintretende Rechtsänderung i h r e m geäußerten W i l l e n korrespondiert. Problematisch w i r d dies freilich, w e n n die Dogmatik an objektive Merkmale (Erk l ä r u n g oder Verhalten statt Willen) a n k n ü p f t : vgl. Peter Hanau, O b j e k tive Elemente i m Tatbestand der Willenserklärung, AcP Bd. 165 (1965) S. 220; Heinz Hübner, Zurechnung statt F i k t i o n einer Willenserklärung, NipperdeyFestschrift 1965, Bd. I S. 373 ff.; weiterführend Hugo Seiter, Die Betriebsübung, Düsseldorf 1967, S. 87 ff.



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C. „Gestaltung" i n normlogischer Interpretation

sondern durch private A k t e i n K r a f t gesetzt w i r d 3 3 . D i e darauf bezogenen Vorschriften des B G B über Rechtsgeschäfte sind keine Verhaltensnormen, sondern Ermächtigungsregeln. W e n n das Gestaltungsrecht soeben als Kompetenz zur „Setzung von Verhaltensnormen" bezeichnet wurde, so w i l l dies i m w e i t e n Sinne verstanden sein, u m auch, gemäß der Aufgabenstellung, die Änderung und Aufhebung geltender Verhaltensnormen zu erfassen. Dies ist keineswegs eine retuschierende ad-hoc-Festsetzung, sondern entspricht einem allgemeinen Satz der Rechtsquellenlehre: die Kompetenz zur Normsetzung umfaßt auch die Kompetenz zur Ä n d e r u n g oder A u f hebung der gesetzten Normen, sofern nicht die Ermächtigungsnorm ( z . B . für Verfassungsänderungen oder auch für die Auslobung, § 6 5 8 B G B ) Abweichendes b e s t i m m t 3 4 ' 3 5 . A l l g e m e i n gilt (nämlich für jede Rechtsetzung, auch für die rechtsgeschäftliche): „ L e x aut rogatur, i d est fertur, aut abrogatur, i d est p r i o r l e x t o l l i t u r , aut derogatur, i d est pars primae legis tollitur, aut subrogatur, i d est adicitur a l i q u i d primae legi, aut obrogatur, i d est m u t a t u r a l i q u i d ex p r i m a lege 3 6 ." So ist die Ermächtigung zur vertraglichen Modifizierung eines V e r trages und z u m Aufhebungsvertrag i n der Ermächtigung z u m A b schluß eines Vertrages m i t enthalten. (Die Nichterwähnung der A u f hebung i n § 305 B G B ist unschädlich!) 33 Nicht verfolgt werden soll hier, w i e sich das Rechtsgeschäft i n eine allgemeine Ordnung v o n Rechtsakten einfügt. Sicher scheint m i r , daß übergeordnete dogmatische Gemeinsamkeiten verschiedener Normsetzungsakte — w i e Vertrag, Vereinsbeschluß, Betriebsvereinbarung, Gesetz — bisher infolge der Ressorteinteilung Privatrecht / öffentliches Recht von der Rechtswissenschaft vernachlässigt w u r d e n u n d diaß hier eine Weiterführung der Allgemeinen Rechtslehre wesentliche Aufschlüsse v e r m i t t e l n w i r d . 34 I m Ansatz übereinstimmend Ernst Zitelmann, A c P Bd. 99 (1906) S. 55: „Jede ,Rechtswirkung' besteht darin, daß Normen (Befehls- oder Erlaubnissätze) »wachgerufen werden' oder für diesen F a l l außer K r a f t treten, jedes Rechtsgeschäft geht also schließlich der Sache nach auf ein solches Wachrufen oder Außerkrafttreten v o n Normen" (dazu Zitelmanns Hinweis auf Thon, S. 358, vgl. hier Fn. 31); ebenso auch Ernst Rud. Bierling, Z u r K r i t i k der juristischen Grundbegriffe, Bd. I I , 1883, S. 26 ff. 35 A u f die logisch i n t r i k a t e Problematik des A r t . 79 Abs. 3 G G („Liegt es i n der Kompetenz des Verfassungsgebers, Verfassungsänderungen auszuschließen?") k a n n hier nicht eingegangen werden. 36 Ulpian, libro singulari Regularum I, 3; die quellenkritische Diskussion ist noch offen, vgl. Leopold Wenger, Die Quellen des Römischen Rechts, W i e n 1953; S. 526; Ernst Schönbauer, i n : Studi i n Onore d i Pietro Francisci, M a i l a n d 1956, Bd. I I I S. 303; die maßgebende Edition von Fritz Schulz, Bonn 1926, dort bes. S. 18 u n d i m Anschluß an Schulz Franz Wieacker, A t t i del Congresso I n t . d i D i r i t t o Romano e d i Storia del D i r i t t o (Verona 1948), M a i l a n d 1953, S. 59, 72; f ü r die Echtheit neuestens L o t h a r Müller, Analyse der T i t u l i ex corpore U l p i a n i — Unter Benutzung quantitativer Methoden u n d elektronischer Datenverarbeitungsmaschinen, K ö l n e r Hab.-Schrift 1969.

Anwendung des Kompetenzbegriffs

21

Dagegen kann die Kompetenz zur einseitigen Inhaltsänderung (Minderung, § 465 BGB) oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses (Anfechtung, Kündigung) 37 nur durch Annahme einer Sonderermächtigung erklärt werden 38 . Seckel hat dies in seiner Lehre vom (einseitigen) Gestaltungsrecht mit erreichbarer Deutlichkeit hervorgehoben und nur versäumt, hierin die spezielle Anwendung eines allgemeinen Satzes zu sehen39. Nicht zulässig wäre es, aus einem Recht zu einseitiger Aufhebung umgekehrt auf ein Recht zu einseitiger Begründung oder Inhaltsänderung zu schließen. Die für aufhebende Gestaltungen beobachteten Merkmale der Unwiederholbarkeit und der Unwiderruflichkeit dürften damit bereits theoretisch erklärt sein 40 . In dem hiermit begründeten Verständnis geht also der Begriff der Privatautonomie über den der Vertragsfreiheit hinaus (die Vertragsfreiheit ist ihr wichtigster Unterfall). Privatautonomie bedeutet eine Kompetenzsummierung, sie umfaßt alle Ermächtigungen zu privatwillkürlicher Einwirkung auf Rechtslagen. Anders ausgedrückt: Privatautonomie ist identisch mit der Gesamtheit bestehender Gestaltungsrechte.

37 Andeutungsweise spricht Rudolf Bruns, Recht u n d Pflicht als K o r r e spondenzbegriffe des Privatrechts, Nipperdey-Festschrift 1965, Bd. I S. 6 bei Rücktritt u n d K ü n d i g u n g von rechtsgeschäftlicher Normsetzung; vgl. auch A l f r e d Manigk, das rechtswirksame Verhalten, B e r l i n 1939, S. 138 u n d 183. 38 Dem Satz „Was nicht verboten ist, ist erlaubt!" als dem logischen Grundprinzip der Rechtsordnung auf der Ebene der Verhaltensnormen entspricht auf der Ebene der Ermächtigungsnormen der Satz „Was ohne E r mächtigung angeordnet ist, ist wirkungslos!". Beide Sätze lassen sich auf das „ i n dubio pro libertate" zurückführen, freilich nicht logisch-zwingend, sondern n u r wertend-relativ (pragmatisch). 39 Vgl. dagegen schon Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., Einsiedeln/Zürich/Köln 1948, S. 161, zu den aufhebenden Gestaltungsrechten: „Diese Fähigkeit steht auf der gleichen L i n i e w i e jene, ein subjektives Recht zu begründen oder auf einen anderen zu übertragen." 40 Vgl. Bötticher, Gestaltungsrecht S. 6; Zitelmann, w i e Fn. 2 S. 45.

D. Erweiterung I I : Aufnahme mehrseitiger Verfügungen 1. Die Notwendigkeit der Erweiterung

Nicht die Rede gewesen ist bisher von Einwirkungen auf dingliche Rechtslagen. I n allen Darstellungen der Gestaltungsrechte finden sich aus dieser Kategorie wichtige Fälle wie Aneignungsrechte, das Recht auf Dereliktion. Auch hier führt die anfängliche Festlegung auf einseitige Gestaltungen zu einer Abtrennung und Ausscheidung der wichtigsten rechtsgeschäftlichen Handlungen, mit denen auf sachenrechtliche Rechtslagen eingewirkt wird: der im Vertragswege getroffenen (dinglichen) Verfügungen, wie der Eigentumsübertragung oder der Begründung beschränkter dinglicher Rechte. Ebenso gehören hierhin die Verfügungen über relative Rechte, vor allem die Abtretung. 2. Neuverständnis des Rechtsgeschäfts I : Das Rechtsgeschäft als Ausübungsform von Gestaltungsrechten

Werden in den Bereich rechtsgeschäftlicher Gestaltungen auch die Verfügungen einbezogen, so ist die Gesamtheit der privatwillkürlichen Einwirkungen auf Herrschaftsrechtsverhältnisse durch Rechtsgeschäft vom Begriff des Gestaltungsrechts umfaßt. Begründung, Inhaltsänderung und Aufhebung eines Herrschaftsrechts oder eines Herrschaftsrechtsverhältnisses vollziehen sich, sofern sie nicht ausschließlich ex lege eintreten, durch Rechtsgeschäft in Ausübung eines Gestaltungsrechts (ζ. T. bedingt durch weitere Tatbestandsmerkmale nichtrechtsgeschäftlicher Art). Die „Übertragung" eines Herrschaftsrechts läßt sich als Spezialfall der Inhaltsänderung verstehen, bei der es um die Änderung des Rechtssubjektes geht. Die Verfügungsmacht ist ein Ausschnitt aus der Gesamtheit der Gestaltungsmacht (Privatautonomie), die sich nur auf die Inhaltsänderung (einschließlich der Subjektsänderung: Übertragung) oder Aufhebung von Herrschaftsrechten bezieht, die Rechtsbegründung also ausklammert. Der Verfügungsbegriff ist logisch nicht zwingend, jedoch praktisch unentbehrlich, weil er generelle Aussagen über Fälle ermöglicht, in denen auf ein bereits bestehendes Recht eingewirkt wird 4 1 . Die Verfügungsmacht ist nicht wie die Vertragsfreiheit ein allgemein gewährtes Gestaltungsrecht, sondern 41 Vgl. §185 B G B : n u r bei Verfügungen k a n n es einen geben.

Nichtberechtigten

Überblick I I

23

steht nur als sekundäre Befugnis den Inhabern einiger Herrschaftsrechte zu. Da somit die Begriffe des Gestaltungsrechts und des Rechtsgeschäfts ihrem Umfang nach zur Deckung gebracht sind — abgesehen von der Gruppe der Ermächtigungsgeschäfte, unten F 2 — ist es nunmehr möglich, den einen Begriff durch den anderen zu definieren. Das Rechtsgeschäft ist die Ausübungsform eines (privaten) Gestaltungsrechts, oder: das Gestaltungsrecht ist die Kompetenz zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts 42. Daß diese Umfangsgleichheit besteht, kann an einem zweiten vervollständigten Überblick gezeigt werden, der auch die absoluten Herrschaftsrechte mitumfaßt. Unter den Herrschaftsrechten unterscheiden sich die absoluten von den relativen Rechten wie folgt: absolute Rechte richten sich potentiell an alle Rechtssubjekte außer dem Berechtigten selbst, ihnen steht also ein unbestimmt großer Kreis von Verpflichteten gegenüber; relative Rechte richten sich an einen Einzelnen oder mehrere bestimmte Einzelne 43 . (Genaueres sogleich unter E.) Als letzte Differenzierung bleibt der Unterschied zwischen mehrseitiger und einseitiger Gestaltung. Überblick

II: Rechtsgeschäfte

Gestaltungsrechte werden ausgeübt: (I.) zur Begründung von Herrschaftsrechten (1.) von absoluten Rechten (a) mehrseitig 44: Bestellung beschränkter dinglicher Rechte (vgl. § 876, § 1205 BGB); evtl. der Schuldvertrag, sofern 42 Schon die Definiton der Motive („Rechtsgeschäft i m Sinne des E n t wurfs ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, w e i l er gewollt ist". Mot. I, 126; Mugdan I, S. 421) ist zirkelhaft: Der Rechtserfolg t r i t t ein, w e i l er gewollt ist u n d er ist gewollt, w e i l er eintreten kann. Flume durchbricht den Z i r k e l m i t der Bestimmung, Rechtsgeschäfte seien Akte, die „final auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechtsverhältnissen durch Setzen einer Regelung gerichtet sind", oder die „nach der Rechtsordnung den Sinn haben, daß die einzelnen durch sie nach ihrem W i l l e n Rechtsverhältnisse schöpferisch gestalten" (S. 24). Einfacher: Es handelt sich u m die Ausübung einer Ermächtigung zur Setzung (Abänderung, Aufhebung) v o n Verhaltensnormen durch Privatpersonen. 43 Vgl. v.Tuhr I, S. 203 ff.; Lehmann-Hübner, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. 1966, § 12 I = S. 86 fï. Diese Unterscheidung ist keine spezielle der Rechtswissenschaft, sondern n u r ein Anwendungsfall der E i n teilung logischer Urteile i n individuelle, partikuläre u n d universelle; vgl. Kants Urteilstafel, K r i t i k der reinen Vernunft, Elementarlehre, §9; v.Freytag gen. Löringhoff, Logik, 3. Aufl., Stuttgart 1961, S. 65; Ulrich Klug, J u ristische Logik, 3. Aufl., Heidelberg/Berlin/New Y o r k 1966, S. 51 (über den Alloperator u n d den Existenzopera tor als Quantiflkatoren). 44 „mehrseitig" : d. h. hier u n d i m folgenden unter Teilnahme mehrerer

24

. Aufnahme mehrseitiger

eungen

man die Forderung als nach außen hin absolut geschützt ansieht (Larenz). (b) einseitig: Aneignung 45 , Bestellung einer Eigentümergrundschuld. (2.) von relativen Rechten (a) mehrseitig:

der Schuldvertrag.

(b) einseitig: Auslobung, Vorkaufserklärung, Wiederkaufserklärung, Vermächtnis. (II.) zur Änderung von Herrschaftsrechten (A.) zur Änderung des Inhalts (1.) von absoluten Rechten (a) mehrseitig: Belastung (vgl. 11 a). (b) einseitig:

Einwilligung in die Rechtsverletzung.

(2.) von relativen Rechten (a) mehrseitig: Änderungsvertrag. (b) einseitig: Fristsetzung, Minderung, Antrag auf Herabsetzung einer Vertragsstrafe, Ausübung des Wahlrechts, § 315, § 332 BGB. (B.) zur Änderung des Subjektes (des Verpflichteten oder des Berechtigten) (1.) bei absoluten Rechten (a) mehrseitig: Übertragung (z. B. § 873, § 929 BGB) 4 0 . (b) einseitig: Testament. (2.) bei relativen Rechten (a) mehrseitig: Abtretung, Schuldübernahme. (b) einseitig: Testament (über Forderungsrechte). (III.) zur Aufhebung von Herrschaftsrechten (1.) von absoluten Rechten (a) mehrseitig: Erbverzichtsvertrag (zweifelhaft). auf verschiedener Parteiseite stehender Personen. Zutr. sagt Flume, S. 137, daß die gemeinsame K ü n d i g u n g durch mehrere Mieter ein einseitiges Rechtsgeschäft ist. 45 Dies gilt auch f ü r das allgemeine Recht zur Aneignung herrenlosen Gutes; vgl. über die Zulässigkeit, hier v o n einem subjektiven Recht zu sprechen, oben Β 1. 46 Unerheblich ist f ü r den systematischen Zusammenhang die Differenzierung, daß zwar die Veräußerung, nicht aber der Erwerb eine Verfügung darstellt: vgl. v. Tuhr I I 1, S. 238.

Überblick I I

25

(b) einseitig: Verzicht (§ 928, § 959, § 875), Dereliktion, Ausschlagung. (2.) von relativen

Rechten

(a) mehrseitig: Erlaßvertrag, Aufhebungsvertrag. (b) einseitig: Rücktritt, Ausschlagung eines Vermächtnisses, Anfechtung, Kündigung, Aufrechnung usw. Ί

Dieser Überblick läßt die unvollständig komplementäre Position von Verpflichtungsgeschäften (12) und Verfügungen (II, I I I ) hervortreten 47 . Der Kreis der Rechtsgeschäfte ist erst ausgefüllt, wenn man an die Stelle der überkommenen Zweiteilung eine Dreiteilung setzt und nunmehr Begründungsgeschäfte (11), Verpflichtungsgeschäfte und Verfügungen unterscheidet. Dabei können Begründungsgeschäfte zugleich Verfügungen sein, wenn nämlich das neue Recht auf Kosten eines bereits bestehenden geschaffen wird. Die Gesamtheit der in diesem Überblick jeweils in der b)-Rubrik beispielhaft aufgeführten Rechte deckt sich mit dem Gestaltungsrechtsbegriff in bisheriger Extension 48 .

47

Vgl. dazu Flume, S. 134. Eine Probe hat ergeben, daß sämtliche i n der zitierten L i t e r a t u r genannten Einzeltypen — es handelt sich nach der Zählung des Verf. u m 76 — i n dem Überblick Platz finden. 48

E. Interpretation der Herrschaftsrechte 1. Neuverständnis des Gegensatzes Herrschaftsrecht — Gestaltungsrecht; Ausschließungsfunktion und Erlaubnisfunktion absoluter Rechte

Das Rechtsgeschäft vermittelt zwischen Gestaltungsrecht und Herrschaftsrecht: es ist die Ausübungsform eines Gestaltungsrechts und der Begründungs-(Aufhebungs-, Änderungs-)akt eines Herrschaftsrechts. Das Gestaltungsrecht ist die Kompetenz zur willentlichen Einwirkung auf die Rechtslage, das Rechtsgeschäft ist der Einwirkungsakt, und das entstehende Herrschaftsrecht (seine Änderung, Aufhebung) ist der Ausdruck der geänderten Rechtslage. Die Beziehungsreihe Gastaltungsrecht — Rechtsgeschäft — Herrschaftsrecht schöpft freilich den Kreis der Herrschaftsrechte nicht aus; sowohl relative Rechte (etwa Deliktsansprüche) wie absolute Rechte (etwa das Persönlichkeitsrecht) können unmittelbar durch Gesetz entstanden sein, d. h. sie sind dann allein auf die Kompetenz des Gesetzgebers — wenn man so will: ein hoheitsrechtliches Gestaltungsrecht — bezogen. Das Herrschajtsrecht ist nicht eine Kompetenz, sondern die Position des durch eine Verhaltensnorm Begünstigten, von einem anderen durch Geltendmachung dieser Norm ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können (§ 194 BGB). Dabei richten sich relative Rechte meist auf ein Tun (§ 241 BGB), absolute Rechte dagegen auf ein Unterlassen (§ 903 BGB: „andere von jeder Einwirkung ausschließen")40. Die Ausschließungsfunktion eines absoluten Rechts realisiert sich dadurch, daß der Berechtigte im Falle einer (drohenden) Störung gegen den (präsumtiven) Verletzer hegatorische Ansprüche auf Unterlassung oder sekundär auf Herausgabe oder Schadensersatz erheben kann. Kern des absoluten Rechts in seiner Negativfunktion ist also der Anspruch, eine relative (!) Beziehung zu einer konkreten Person (u. U. zu mehreren), die der Rechtsinhaber von Fall zu Fall geltend machen kann. Das Gesetz hat sich aber mit dieser sozusagen privatautonomen Befugnis nicht begnügt, sondern den absoluten Rechten eine umfassende Verbotswirkung zugeordnet: Verletzungen absoluter Rechte sind unerlaubte Handlungen, § 823 Abs. 1 BGB. Diese Verbotswirkung kann 49 Vgl. schon Bierling t w i e Fn. 34, Bd. I I S. 49 ff. u n d Bucher, S. 53 u. 142. Soweit beschränkte dingliche Rechte gegenüber dem Eigentümer Leistung sansprüche gewähren, sind sie nicht absolut, sondern r e l a t i v ; darüber Bucher, S. 142 u. 170.

Herrschaftsrecht und Gestaltungsrecht

27

wiederum bei den meisten absoluten Rechten durch spezielle, von dem Berechtigten zu erlassende Erlaubnisnormen partiell aufgehoben werden (Einwilligung zur Rechtsverletzung als Rechtfertigungsgrund) 50. Die darin liegende Kompetenz, auf Verhaltenspflichten negativ einzuwirken, könnte — wie die Verfügungsmacht — als sekundäres Gestaltungsrecht interpretiert werden. Die den Rechtsinhaber wohl in erster Linie interessierende positive Funktion der absoluten Rechte, die Zuordnung eines Bereichs, innerhalb dessen „nach Belieben verfahren" werden kann, wird rechtstheoretisch vielfach als irrelevant angesehen, weil bereits in der allgemeinen Freiheitsvermutung („was nicht verboten ist, ist erlaubt!") enthalten. Auch etwa in der Dogmatik der Persönlichkeitsrechte ist die Vorstellung wenig geläufig, daß derjenige, der — wie auch immer — seine Persönlichkeit entfaltet, damit ein absolutes Privatrecht an der eigenen Person positiv nutzt. Es ist jedoch eine echte Rechtsfolge, daß der auf dem ihm zugewiesenen Bereich agierende Rechtsinhaber rechtmäßig handelt, selbst wenn er dabei die Interessen eines Außenstehenden verletzt. I m Verhältnis zu diesem verletzten Interesse hat das Herrschaftsrecht die Bedeutung einer Eingriffsbefugnis, eines Titels für die Rechtmäßigkeit des Handelns. Jedes absolute Recht kann also, wenn nicht ein in seinen Interessen Verletzter, sondern ein fremde Interessen Verletzender sich darauf beruft, als Rechtfertigungsgrund fungieren 51. Diese Wirkung kann man durch eine mit dem absoluten Recht verbundene Erlaubnisnorm erklären, als spezielle Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot des „neminem laedere". I m Konfliktfall äußert sich die Erlaubnisfunktion des absoluten Rechts als eine zugunsten des Rechtsinhabers streitende Vermutung für die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens bzw. für die Rechtswidrigkeit des gegnerischen Verhaltens („Indikation der Rechtswidrigkeit"). Kann sich jedoch auch der Gegner auf ein absolutes Recht berufen, so heben sich die Vermutungen auf, und der Interessenkonflikt wird durch die ausgeformten Kollisionsregeln des Deliktsrechts, subsidiär durch richterliche Interessenabwägung gelöst. Daraus erklärt sich, weshalb die Erweiterung bestehender oder die Anerkennung neuer ab50

So schon Zitelmann t w i e Fn. 34, S. 47 ff. Vgl. demgegenüber die zu stark subjektivierende, jedoch rechts theoretisch konsequente Auffassung Buchers, S. 118: der W i l l e des Berechtigten sei das eigentliche Schutzobjekt der absoluten Rechte. Ebenso bedeutet es einen unnötigen Verzicht auf formale Genauigkeit, w e n n m a n i n der E i n w i l l i g u n g des Verletzten n u r ein Moment der Interessenabwägung neben anderen sieht — so aber Wolfgang Münzberg, Verhalten u n d Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit u n d Haftung, 1966, S. 310 ff. 51 Vgl. über die aus Herrschaftsrechten folgenden Eingriffsbefugnisse genauer unten Fn. 65.

28

E. Interpretation der Herrschaftsrechte

soluter Rechte (am Gewerbebetrieb, an der Persönlichkeitsentfaltung) zu einer proportionalen Einbuße an Sicherheit im Deliktsrecht geführt hat 5 2 . Eine als Grenzfall gedachte Rechtsordnung, die jedes mögliche Interesse durch ein absolutes Recht schützt und keine eindeutigen Präferenzregeln kennt, hat denselben Regelungseffekt — nämlich keinen — wie eine Rechtsordnung, die niemandem den Schutz absoluter Rechte gewährt. — Somit geht das Gegensatzpaar Gestaltungsrechte — Herrschaftsrechte ohne Rest in dem allgemeinen rechtstheoretischen Unterschied zwischen Ermächtigungsnormen und Verhaltensnormen auf. Das Gestaltungsrecht ist die Position des durch eine Ermächtigungsnorm Begünstigten; die Ermächtigung besteht darin, Verhaltensnormen zu setzen, zu ändern oder aufzuheben. Das Herrschaftsrecht ist die Position des durch eine Verhaltensnorm Begünstigten δ3. Dieses Herrschaftsrecht kann unmittelbar auf Gesetz beruhen oder rechtsgeschäftlich in Ausübung eines Gestaltungsrechts geschaffen worden sein. Dies läßt gleichzeitig eine bisher versäumte Präzisierung zu: bei den ex lege entstandenen oder jedenfalls gesetzlich ausgeformten absoluten Rechten bedeutet eine abändernde oder aufhebende rechtsgeschäftliche Gestaltung (anders bei relativen vertragsentstammenden Rechten) keine Abänderung bzw. Aufhebung der zugrunde liegenden Verhaltensnorm, da diese allgemeiner Art ist (ζ. B. § 903), sondern nur eine Einschränkung ihres Anwendungsbereichs durch Setzung einer speziellen Gegen-Norm. I n der Sprache des Ulpiantexies (oben, C2): es liegt nur eine Derogation, keine Abrogation vor. Wie schon früher gesehen, korrespondiert nur dem Herrschaftsrecht, nicht aber dem Gestaltungsrecht ein Pflichtbereich, jedenfalls nicht unmittelbar 54 . Die verschieden nahe Beziehung der Herrschaftsrechte und der Gestaltungsrechte zu den Ansprüchen war also nicht erst neu 52 Vgl. Nipperdey, Tatbestandsaufbau u n d Systematik der deliktischen Grundtatbestände, N J W 1967 S. 1985 ff., insbesondere zum „Nebeneinander von rechtstypisch k l a r umrissenen absoluten Rechten u n d generalklauselartigen Rahmenrechten", S. 1987. 53 Dem entspricht, daß w o h l das Herrschaftsrecht verletzt werden k a n n u n d daher durch sekundäre Befugnisse (Schadensersatz) geschützt sein muß, nicht aber das Gestaltungsrecht; dieses k a n n n u r von seinem Inhaber durch Kompetenzüberschreitung mißachtet werden, woraus die rechtliche U n w i r k samkeit dieses Aktes folgt („lex perfecta"); vgl. darüber schon v.Tuhr I, S. 170 u n d Ulpian t Reg. 1, 1, 2. Umgekehrt können n u r aus Herrschaftsrechten unmittelbar Ansprüche erwachsen, nicht aus Gestaltungsrechten. 54 v.Tuhr I, S.244: „Ansprüche können n u r aus dem Rechtsverhältnis entstehen, welches durch die Ausübung des Gestaltungsrechts hergestellt w i r d . " Übereinstimmend Rudolf Sohm, Die subjektiven Rechte i m deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, Iherings Jahrb. Bd. 73 (1923) S. 268 ff., der die „Bestimmungsrechte" als „Rechte ohne Anspruch" qualifizierte (S. 281, 284).

Theorie v o m subj. Recht als Normsetzungsmacht

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zu entdecken. Der Mangel bisheriger Einteilung lag nur darin, daß man Gestaltungsrechte und Herrschaftsrechte nebeneinander auf eine Stufe stellte, während ihre verschiedenartige Funktion besser verdeutlicht wird,' wenn sie im Stufenbau der Rechtsordnung verschiedene Stufen zugewiesen erhalten 55 . 2. Kritik der Theorie vom Herrschaftsrecht als Normsetzungsmacht

Die soeben verwandte Formulierung „Das Herrschaftsrecht ist die Position des durch eine Verhaltensnorm Begünstigten" wäre bis vor kurzem unproblematisch richtig gewesen, seit Buchers Schrift 5f i ist sie zweifelhaft. Nach seiner allen bisherigen Erklärungsversuchen kontrastierenden Vorstellung ist mit dem Herrschaftsrecht noch nicht die Stufe der Verhaltensnorm erreicht, sondern die einer untergeordneten weiteren Ermächtigungsnorm. Erst mit der Anspruchserhebung in Ausübung des Herrschaftsrechts soll die Verhaltensnorm geschaffen werden, die in der konkreten Anweisung an den (potentiell) Verpflichteten besteht: der Eigentümer stellt ein Schild „Betreten verboten!" auf, der Käufer fordert die Ware zur bestimmten Stunde an. „Das Recht im subjektiven Sinn ist eine dem Berechtigten von der Rechtsordnung verliehene Normsetzungsbefugnis 57." An dieser Konzeption ist wichtig und bemerkenswert, daß sie überhaupt möglich ist und logisch widerspruchsfrei durchgeführt werden kann. Bucher hat sichtbar werden lassen, wie groß der Willensspielraum des berechtigten Subjekts ist, wie stark es den Vorgang der Rechtsverwirklichung willkürlich beeinflussen kann, und hat damit der bildhaft-unpräzisen Willensmacht-Formel Windscheids 58 Kontur ge55 M i t diesem gedanklichen H i l f s m i t t e l läßt sich z.B. die von Bötticher m i t der Speerspitzen-Metapher erklärte Verbindung von Rechtsgeschäft u n d Gestaltungsrecht genauer beschreiben; ebenso auch, daß Rechtsgeschäfte einm a l zur Ausübung v o n Gestaltungsrechten (Speerspitze), ein andermal zu ihrer Begründung (Widerlager) dienen. 56 Nachweis oben Fn. 25. Der Verf. erkennt dankbar an, daß er erst durch diese Schrift angeregt u n d befähigt wurde, die vorliegende Theorie der Gestaltungsrechte zu entwickeln. 57 So programmatisch a.a.O. S. 55. 58 Vgl. Bernhard Windscheid, Die A c t i o des römischen Civilrechts, v o m Standpunkte des heutigen Rechts, Düsseldorf 1856, ß. 3: „Das Recht (sc. das subjektive Recht) weist jedem I n d i v i d u u m den Herrschaftskreis zu, i n w e l chem sein W i l l e Gesetz f ü r die anderen I n d i v i d u e n ist." Ähnlich v.Tuhr (I S. 133): „ E i n subjektives Recht liegt vor, w e n n der W i l l e eines Menschen f ü r eine rechtliche W i r k u n g maßgebend ist." Z u r K r i t i k Windscheids* vgl. A l b e r t Vonlanthen, Z u m rechtsphilosophischen Streit über das Wesen des subjektiven Rechts, Zürich 1964, S. 28 ff. u n d Franz Kasper, Das subjekt i v e Recht — Begriffsbildung u n d Bedeutungsmehrheit, Karlsruhe 1967, S. 69 ff.; beide zuletzt genannten Autoren sind stark naturrechtlich beeinflußt u n d ziehen eine philosophische Wesensbestimmimg einer formal-begrifflichen Deutung vor.

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E. Interpretation der Herrschaftsrechte

geben. Er hat jedoch versäumt, die Schwäche dieser Formel aufzudecken, ihre mangelnde Differenzierung zwischen Herrschaftsrechten und Gestaltungsrechten, bei denen die Willensmacht des berechtigten Subjekts sich in höchst verschiedenartiger Weise auswirkt. Für den Bereich der Herrschaftsrechte sollte man daher das bisherige Verständnis beibehalten, das schon die Gesetzesnorm oder Vertragsnorm als Verhaltensnorm ansieht und dem Berechtigten nur die Entscheidung zugesteht, ob er durch Geltendmachung und evtl. Klageerhebung den maximalen Anspruchswert realisieren will oder nicht. Anders formuliert: die Verhaltensnorm gilt unabhängig davon, ob sie geltend gemacht wird. Dies erscheint für die relativen (schuldrechtlichen) Herrschaftsrechte nach deutschem Zivilrecht unausweichlich (§§ 241, 305 BGB), und auch bei den absoluten Rechten behält eine Interpretation, die dem Inhaber nur sekundäre Gestaltungen negativer Art (Einwilligung zur Rechtsverletzung) zugesteht, den größeren Erklärungswert. § 305 BGB läßt den Vertrag abschließend über den Inhalt eines (vertraglichen) Schuldverhältnisses entscheiden, und § 315 BGB stellt klar, daß die Inhaltsbestimmung durch einen der Partner eine Ausnahme ist, die einer besonderen Ermächtigung bedarf. Der Idee nach ist der Inhalt eines Vertrages durch die Vertragsregeln und ergänzenden Gesetzesnormen stets abschließend determiniert, sind Zweifelsfragen durch Auslegung des Vertrages (§ 157) oder des Gesetzes (§ 242) beantwortbar, und der fordernde Gläubiger handelt auf das Risiko hin, vom Richter belehrt zu werden, zuviel beansprucht zu haben. Auch praktisch wird in der Mehrzahl der Fälle der Vertrag die Verpflichtungen des Schuldners so eindeutig fixieren, daß für eine konstitutive Beanspruchung durch den Gläubiger kein Platz ist. Bucher muß einräumen, daß im Regelfall der Vertrag die Rechtslage abschließend klärt, und es ist unzweckmäßig, dies als „Vermutung einer bestimmten Anspruchserhebung" zu interpretieren (S. 68). Der Umstand, daß mancher Gläubiger nur ein schwaches Leistungsinteresse hat oder trotz Iherings Ermahnungen zu nachlässig ist, die Durchsetzung seines Anspruchs in die Hand zu nehmen, wodurch dann eine Pflichtversäumnis des Schuldners ohne Sanktion bleibt, läßt sich als ein überall mögliches Auseinanderklaffen zwischen Rechtslage und Rechtswirklichkeit (die „Dunkelziffern" im Strafrecht!) begreifen, und es ist rechtspolitisch unklug, diese Lücke durch eine Konstruktion auf Kosten der Rechtslage zu schließen59. 69 Anders legitimerweise die soziologische Betrachtung, vgl. Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, Ausg. Neuwied 1964, S. 71 u. 228 f t über die Ineffektivitätsquote einer Norm. Diese Quote (i) ist gleich der Differenz aus der Gesamtheit der dem Normtatbestand entspre-

Funktion des Anspruchs Daher lautet meine Gegenthese: nicht das Herrschaftsrecht, aber das Gestaltungsrecht ist eine Normsetzungsbefugnis.

31 wohl

3. Funktionen des Anspruchs: Machtkomponente und Freiheitskomponente

Eine Interpretation der Herrschaftsrechte bleibt unvollständig, wenn sie nicht auch den Anspruch einbezieht. Jeder Versuch, diesen Begriff im Rahmen des deutschen Zivilrechts zu definieren, steht vor zwei Anforderungen: einmal die Übereinstimmung mit § 194 Abs. 1 BGB zu erzielen (denn es wäre mehr als ein Schönheitsfehler, von einer so fundamentalen Legaldefinition abzuweichen), zum anderen den Nachweis zu führen, daß der Anspruchsbegriff eine selbständige Funktion hat, nicht schon vollständig im Begriff des Herrschaftsrechts enthalten ist, nicht nur eine unnötige Begriffsverdoppelung darstellt. Ist nämlich das Herrschaftsrecht die Position des durch eine Verhaltensnorm Begünstigten (oben zu 1.), so ist damit scheinbar bereits alles gesagt: das Bestehen einer Verhaltenspflicht (zum Handeln oder zum Unterlassen) eines einzelnen oder einer Vielzahl von Adressaten im Interesse einer bestimmten Person, d. i. des Rechtsinhabers. Deshalb spricht Kelsen dem Anspruch eine selbständige Bedeutung ab und hält sogar den Begriff des subjektiven Rechts für überflüssig: „Der i n Frage stehende Sachverhalt ist erschöpfend m i t der Rechtspflicht des Individuums (oder der Individuen) beschrieben, sich einem anderen I n d i v i d u u m gegenüber i n bestimmter Weise zu verhalten. (...) Bezeichnet m a n die Beziehung eines Individuums, dem gegenüber ein anderes I n d i v i d u u m zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet ist, zu diesem anderen I n d i v i d u u m als ,Recht', ist dieses Recht n u r ein Reflex dieser Pflicht 6 0 ."

Deshalb folgerichtig: „ E i n i n einem Rechtsakt zu erhebender »Anspruch 4 besteht n u r dann, w e n n die Nichterfüllung der Pflicht durch Klage geltend gemacht werden kann. (...) N u r w e n n die Rechtsordnimg eine solche Rechtsmacht verleiht, liegt ein v o n der Rechtspflicht verschiedenes Recht i m subjektiven Sinne v o r 6 1 . " chenden Sachverhalte (s) u n d der Summe des normgemäßen Verhaltens und des normwidrigen, jedoch m i t gesetzlicher Sanktion beantworteten V e r haltens. Die Verbindlichkeit einer N o r m ν ist der Quotient aus s minus i u n d s, k a n n also zwischen 0 u n d 1 liegen oder einen dieser Extremwerte annehmen. 60 Reine Rechtslehre, w i e Fn. 26, S. 1321; vgl. schon früher Bierling, w i e Fn. 34, Bd. I I S. 69: „Rechtsanspruch ist niemals etwas anderes, als eine Rechtsnorm in subjektiver Fassung." Von einem normlogischen Ausgangsp u n k t her stellt sich dieses Problem i n besonderer Schärfe, denn: „ A u c h der Anspruch kann, formell betrachtet, einzig u n d allein i n dem Lebendigwerden neuer oder i n dem Wegfall bisheriger Normen bestehen" (Thon, w i e Fn. 31, S. 224). Daraus erklärt sich Buchers K r i t i k an Kelsen, a.a.O. S. 64, die an sich begründet ist, n u r erscheint seine Konsequenz verfehlt, das Anspruchsproblem auf Kosten des subjektiven Rechts zu lösen. 61 Kelsen, a.a.O. S. 134 u. 139.

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E. Interpretation der Herrschaftsrechte

Damit bliebe also nur ein rein prozessuales Verständnis des Anspruchsbegriffs, gewissermaßen ein Regreß auf die römische Vorstellung von der actio* 2. Die Klagbefugnis des Rechtsinhabers wäre der einzig mögliche Anspruchsinhalt, weil das alleinige Element, das nicht bereits im Begriff der Rechtspflicht enthalten ist. Diese Auffassung ist jedoch zu eng. Der ihr zugrunde liegenden Analyse ist entgangen, daß die Person des Berechtigten nicht erst mit der Klagerhebung hervortritt. Seine Befugnis, vom Verpflichteten das normgemäße Verhalten zu verlangen, umfaßt eine Vielzahl von Aktivitäten, die auf die Verwirklichung der Rechtslage gerichtet sind. Nach Heinrich Lehmann „faßt der Anspruch alle i m subjektiven Recht gelegenen Möglichkeiten, es nach dem Willen des Berechtigten geltend zu machen, unter einem Generalnenner zusammen. (...) E i n solches Verlangen braucht nicht notwendig i m Klagewege zu erfolgen, es k a n n a u d i geschehen durch Mahnung, Zusendung einer Rechnung, i m Wege der Verteidigung, gegebenenfalls durch Aufrechnung (387) unter Umständen auch i m Wege der Selbsthilfe (229)" 63 .

Die schlichte Befugnis, ein Herrschaftsrecht geltend zu machen, eine Leistung zu beanspruchen, hat zwar primär eine tatsächliche Funktion, nämlich den Verpflichteten auf die Rechtslage hinzuweisen, ihm die Entschlossenheit des Rechtsinhabers zur Rechtsverfolgung vor Augen zu führen und notfalls den Ubergang ins Prozeßstadium vorzubereiten (vgl. § 93 ZPO). Die juristische Funktion des § 194 BGB liegt aber darin, dieses Vorgehen, das dem Verpflichteten höchst unwillkommen sein mag, zu rechtfertigen und Zweifel an seiner Zulässigkeit (vgl. § 240 StGB) auszuschließen. Gäbe es nur unvermittelt die Rechtspflicht auf der einen und die Klagbefugnis auf der anderen Seite, so könnte sich der Verpflichtete die Zustellung von Mahnschreiben als 62 A m Anfang v o n Windscheids Buch über die actio (1856) steht das CelsusZ i t a t : „ N i h i l a l i u d est actio q u a m ius quod sibi debeatur iudicio persequendi." Gegen Windscheid u n d die Übernahme des Anspruchsbegriffs i n das B G B Otto v. Gierke , Der E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuches u n d das deutsche Recht, Leipzig 1889, S. 40 f.: „Der Anspruchsbegriff des Entwurfs aber ist eingestandenermaßen nichts als die ein w e n i g modernisierte römische actio. (...) Unser deutsches Rechtsbewußtsein weiß etwas von »Rechten4 u n d v o n »Klagen 4 : was aber sich als »Anspruch* dazwischen schieben soll, w i r d uns stets ein fremdhaftes u n d nebelhaftes Gebilde bleiben." Vgl. auch Horst Kaufmann, Z u r Geschichte des aktionenrechtlichen Denkens, J Z 1964 S. 482 ff u n d Wieacker, A c P Bd. 168 (1968) S. 527. 63 Allgemeiner T e i l des Bürgerl. Gesetzbuches, 13. Aufl., 1962, § 13 I 1 = S. 84; aufrechterhalten durch Heinz Hübner, 15. Aufl., 1966, S. 95; vgl. auch Enneccerus-Nipperdey, § 222 I I = S. 1363 ff. Unzutreffend deshalb das passivistiische iAnspruchsverständnis Zitelmanns A c P Bd. 99 (1906) S. 43: das Forderungsrecht habe, abgesehen von der dem Gläubiger zukommenden Zwangsmacht, seine Substanz i n dem Sollen des Schuldners, Ausübung des Forderungsrechts heiße n u r : sich leisten lassen. — Wie hier dagegen Eberhard Wieser, Die Forderung als Anrecht u n d Zuständigkeit, Jur. Rundschau 1967 S. 321 m i t durchaus verwandten Ansätzen.

F u n k t i o n des Anspruchs

33

fremde Einmischung i n seine Angelegenheiten v e r b i t t e n 6 4 . I n der Begriffskette Verhaltensnorm — Rechtspflicht — Herrschaftsrecht — A n s p r u c h — Klagbefugnis hat der Anspruch die unverwechselbare F u n k tion, die vor- u n d außerprozessuale Geltendmachung durch den G l ä u biger z u legitimieren. Danach hat das „Recht, von einem anderen ein T u n oder Unterlassen zu verlangen" (§ 194 B G B ) den C h a r a k t e r einer Eingriffsbefugnis, eines Rechtfertigungsgrundes, einer Erlaubnisnorm. Besonders deutlich t r i t t dies hervor, w e n n sich der Anspruch unter den Voraussetzungen des § 229 B G B zu einem Selbsthilferecht steigert; ähnlich: w e n n der negatorische Anspruch aus einem absoluten Recht unter d e n Voraussetzungen des § 227 als Notwehrrecht auftritt. Es ist also auf überraschende Weise systemrichtig, w e n n das B G B die Rechtfertigungsgründe d e m Abschnitt „Ausübung der Rechte" zugeordnet hat. Jedes Herrschaftsrecht, auch das relative, besitzt neben seinem Obligationsgehalt eine deliktsrechtliche Bedeutung: seinem Inhaber den Eingriff i n die Interessensphäre des Verpflichteten durch A n spruchserhebung, u . U . Selbsthilfe oder — bei absoluten Rechten — Selbstverteidigung zu e r l a u b e n 6 5 . 64 So schon Thon, w i e Fn. 31, S. 225: „ D e m Berechtigten w i r d ein V o r gehen gegen den Pflichtigen gestattet, welches i h m verboten sein würde, w ä r e i h m der Gegner nicht obligiert." Dort auch der Hinweis, daß i n der Anspruchsbefugnis ein Restbestand des alten Fehderechts gesehen werden könnte. Über die Abgrenzung v o n Anspruch u n d Klagerecht a.a.O. S. 257: „Das Klagerecht ist das vornehmste i n dem Kreis der Rechtsmittel, deren jedes jedoch den Namen Anspruch verdient." 65 Vgl. darüber, daß m a n die deliktsrechtlichen Rechtfertigungsgründe als zulässige Ausübungshandlungen absoluter oder relativer Rechte sehen kann, w o h l zuerst Ernst Zitelmann, A c P Bd. 99 (1906) S. 1 ff. Diese seinerzeit anfechtbare Theorie ist heute zutreffend geworden, w e i l durch die Aufnahme generalklauselartiger Deliktstatbestände (Gewerbebetrieb, Persönlichkeit) u n d die korrelative Aufnahme generalklauselartiger Rechtfertigungsgründe (Wahrnehmung berechtigter Interessen, Sozialadäquanz) beide Bereiche einander näher gerückt u n d schließlich zur Deckung gelangt sind. So läßt sich jeder Notwehrakt als Ausübung des angegriffenen Rechts interpretieren, jede „Wahrnehmung berechtigter Interessen" als Ausübung des Rechts an der Persönlichkeit oder an einem Gewerbe usf. Die Gesamtheit der Rechtfertigungsgründe t e i l t sich danach auf i n Erlaubnisnormen, die v o n dem Inhaber des verletzten Rechts gesetzt sind (Einwilligung, vermutete E i n w i l l i g u n g bei der Geschäftsführung ohne Auftrag), u n d i n Erlaubnisnormen, die aus einem dem Verletzenden zustehenden Herrschaftsrecht folgen. Die Gesamtheit der jeweils bestehenden Herrschaftsrechte befindet sich i n einem Zustand gegenseitiger Ausschließung, Verdrängung, Einschränkung und Überschneidung, deren Auflösung n u r entwurfsweise abstrakt-begrifflich, endgültig dagegen n u r konkret-pragmatisch durch Einigung der Rechtsinhaber oder richterliche Interessenabwägung geschehen k a n n ; vgl. Nipperdey, N J W 1967 S. 1985, 1993. Die Gesamtheit der v o r Eingriffen geschützten Rechte u n d die Gesamtheit der zu Eingriffen berechtigenden Rechte („Rechtfertigungsgründe") sind identisch, u n d es hängt bei Kollisionsfällen n u r von der Betrachtungsweise ab, welches der kollidierenden Rechte m a n als das (möglicherweise) verletzte u n d welches m a n als das (möglicherweise) die Verletzung legitimierende ansieht. A u f dieser Relativität beruht die gegenwärtige Not unserer Deliktsrechtsdogmatik.

3 Adomeit

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E. Interpretation der Herrschaftsrechte

Dieses Moment aller Herrschaftsrechte, das durch den Anspruchsbegriff isoliert und hervorgehoben wird, steht systematisch neben der speziellen Funktion der absoluten Rechte, ihrem Inhaber ein Verhalten „nach Belieben", auch unter Verletzung von Fremdinteressen zu erlauben. Herrschaftsrechte haben, dies ist in der bisherigen Theorie übersehen worden, eine zusammengesetzte Natur, sie gewähren Macht über fremdes Verhalten und Freiheit zu eigenem Verhalten. Nur in bezug auf die Machtkomponente ist Pflicht der Korrespondenzbegriff des Herrschaftsrechts, in bezug auf die Freiheits-(Aktions-, Erlaubnis-) komponente ist der Korrespondenzbegriff das tatbestandsmäßig verletzte, jedoch zurücktretende Gegenrecht Rechtstheoretisch ist es ungenau, diesen Vorgang des Zurücktretens als Duldungs „pflicht" des Gegenrechtsinhabers zu kennzeichnen; dieser ist nicht dadurch benachteiligt, daß er zu etwas verpflichtet, sondern dadurch, daß er zu nichts mehr berechtigt ist.

F. Neuverständnie dee Rechtsgeschäfts I I : Das Rechtsgeschäft als Begründungsakt von Gestaltungsrechten (Ermächtigungsgeschäfte) 1. Die Position des Gestaltungsrechtsgegners

Dem Gestaltungsrecht entspricht kein Pflichtbereich, sondern nur die nachteilige Position des möglichen Rechtsgeschäftsadressaten, die Inkraftsetzung einer ihn verpflichtenden Verhaltensnorm hinnehmen zu müssen. Diese Position 86 tritt bei der vertraglichen Gestaltung weniger ins Bewußtsein, weil hier der Adressat der verpflichtenden Norm an ihrem Erlaß mitbeteiligt 67 , weil er Mitinhaber des Gestaltungsrechts ist. Bei einem gegenseitigen Schuldvertrag sind die Parteien nicht nur zugleich Gläubiger und Schuldner, sondern auch zugleich Normurheber und Normadressat. Sobald jedoch eine Partei das wirtschaftliche oder intellektuelle Übergewicht hat, zeigt es sich, daß Privatautonomie Macht bedeutet 68 . Einseitige Gestaltungen sind dagegen durch das Auseinanderfallen beider Positionen, der des Normurhebers und der des Adressaten, gekennzeichnet. Sie lassen sich deshalb, wie jede heteronome Normsetzung, mit Hilfe des alten Bildes räumlicher Über- und Unterordnung begreifen. Am stärksten wird diese Rechtsmacht sichtbar bei der einseitigen Leistungsbestimmung durch den Gläubiger, § 315, namentlich beim Arbeitsverhältnis. Der zuletzt von Bötticher herausgestellte „Zustand des Abhängigseins, ja des Unterworfenseins", in dem sich der Arbeitnehmer befindet, ist also, wie er zutreffend sagt, nicht (nur) eine soziologische Kennzeichnung, sondern eine juristische. Für die besonders starke Machtstellung des Rechtsinhabers ist der exzeptionell starke Schutz des § 315 Abs. 3 BGB, die Billigkeitskontrolle durch den Richter, das vom Gesetz bereitgestellte — allerdings wenig genutzte — Korrektiv. Trotzdem ist es theoretisch nicht angebracht, von einer speziellen „Gehorsamspflicht" des Arbeitnehmers zu reden, wie es sich im Arbeitsrecht eingebürgert hat, und damit doch noch einen Pflichtbereich ββ A l f Ross, Directives and Norms, stellt dem Begriff „competence" den Begriff „subjection" gegenüber, S. 130 ff. 67 Böttichers Formel v o m „Nichtangewiesensein auf die M i t w i r k u n g des Gestaltungsrechtsgegners", Dölle-Festschrift I S.43, ist danach nicht allgemeingültig, w e i l n u r auf einseitige Gestaltungen zugeschnitten. 68 Vgl. auch Bydlinski, w i e Fn. 10, S. 66 ff., der darauf hinweist, daß die Vertragsbindung nicht allein aus dem Selbstbestimmungsprinzip erklärt werden kann.



36

F Ermächtigungsgeschäfte

auszuformulieren. Denn die Annahme einer Pflicht, einer gesetzten Verhaltensnorm zu folgen, ist rein tautologisch und daher vermeidbar; sonst müßte man folgerichtig auch von einer Gehorsamspflicht der Vertragspartner in bezug auf die Regeln ihres Vertrages sprechen 09. 2. Rechtsgeschäfte und Ermächtigungsgeschäfte

a) Unterwerfungen Unentbehrlich ist der von Bötticher ins Licht gestellte Begriff der Unterwerfung. Er trifft alle Fälle, in denen ein Gestaltungsrecht nicht auf einer gesetzlichen Ermächtigungsnorm, sondern auf einer Einigung zwischen dem künftigen Gestaltungsrechtsinhaber und dem potentiellen Adressaten der rechtsgeschäftlich zu setzenden Verhaltensnorm beruht: so beim Vorkaufsrecht, bei der Leistungsbestimmung nach § 315 BGB, beim vertraglichen Rücktrittsrecht. Ebenso wie die Dogmatik unseres Zivilrechts grundsätzlich kein einseitiges Leistungsversprechen kennt, so läßt es auch keine einseitige Unterwerfungserklärung zu, fordert vielmehr einen Vertrag. Eine solche Unterwerfungsabrede 70 unterscheidet sich von anderen vertraglichen Einigungen dadurch, daß sie nicht Verhaltensnormen schafft (verändert, aufhebt), sondern eine Ermächtigung erteilt, Verhaltensnormen zu schaffen (zu ändern, aufzuheben). Die Delegationskette wird hier um ein Zwischenglied ergänzt: Das Gesetz ermächtigt dazu, eine Unterwerfungsabrede zu treffen (z. B. § 315 BGB); die Unterwerfungsabrede ermächtigt dazu, den Vertragsinhalt zu gestalten; die Willenserklärung (Weisung) setzt eine Verhaltensnorm. Ob unser Zivilrecht allgemein zu Unterwerfungsabreden ermächtigt oder nur zu den speziellen, ausdrücklich genannten Abreden, kann mit rechtstheoretischen Mitteln nicht abschließend geklärt werden; es handelt sich vielmehr um eine Interpretationsfrage 71 . Da die Unterwer69 Vgl. schon v. Tuhr I, S. 170: „Die W i r k u n g e n dieser Handlungen . . . treffen den Β gewissermaßen a u t o m a t i s c h . . . " 70 Z u unterscheiden ist diese zu Gestaltungen ermächtigende U n t e r w e r fung v o n der bloßen Inhaltsunterwerfung, die dann vorliegt, w e n n sich beim Abschluß eines Schuldvertrages der eine Partner v o m anderen die Bedingungen diktieren läßt, z.B. durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Die Inhaltsunterwerfung k a n n keine systematische Bedeutung beanspruchen, u m so mehr w i r f t sie die praktisch-rechtspolitische Frage nach einer wirksamen K o n t r o l l e auf. Ebenso Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 8 Fn. 10, gegen i h n Herschel, A u R 1965 S. 54. Ablehnend gegenüber der Zulässigkeit einer Unterwerfung unter Allgemeine Geschäftsbedingungen Rupert Schreiber, N J W 1967 S. 1441 zu V 3, jedoch unter Ignorierung einschlägiger Gesetzesvorschriften, ζ. B. des § 315 BGB. 71 Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigimg w i r d häufig durch die numerus-clausus-Formulierung ausgedrückt: Flume , S. 137. § 305 läßt sich aber so verstehen, daß auch die Begründung (Aufhebung, Änderung)

Zustimmungen

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fungsabrede auf einer anderen Stufe steht als die im Überblick II aufgeführten Rechtsgeschäfte, da sie nicht eine Anspruchsbeziehung begründet, sondern die Regelungsgewalt des einen Partners gegenüber dem anderen, ist es zweckmäßiger, sie nicht als Rechtsgeschäft, sondern als Ermächtigungsgeschäft zu bezeichnen72. Damit wird nicht in Frage gestellt, daß die Dogmatik der „Rechtsgeschäfte" nach dem BGB weitgehend allgemeingültig ist und jede willentliche Hervorbringung von Rechtswirkungen umfaßt. Die oben (D 2) gekennzeichnete Beziehung von Rechtsgeschäften und Herrschaftsrechten trifft jedenfalls nur auf Rechtsgeschäfte im engeren Sinne zu. Wie Rechtsgeschäfte auf Herrschaftsrechte bezogen sind, so Ermächtigungsgeschäfte auf Gestaltungsrechte. Der Kreis der Rechtsgeschäfte im bisherigen Verständnis läßt sich ohne Rest aufteilen in solche, durch die Gestaltungsrechte ausgeübt, und solche, durch die Gestaltungsrechte begründet werden. Zu den Ermächtigungsgeschäften wären auch hier wieder, wie bei den Rechtsgeschäften i. e. S., die inhaltsändernden und aufhebenden Geschäfte zu zählen, ζ. B. die Anfechtung einer Unterwerfungsabrede oder der Verzicht auf ein Gestaltungsrecht 73. b) Zustimmungen Die zweite Gruppe unter den Ermächtigungsgeschäften neben den Unterwerfungen bilden die Zustimmungsgeschäfte. Hier entsteht ein Gestaltungsrecht nicht durch das Einverständnis des künftigen Rechtsgeschäftsgegners (Unterwerfung), sondern durch das Einverständnis einer vom künftigen Rechtsgeschäftsgegner verschiedenen Person. In vielen Fällen ist die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts — anders formuliert: das Bestehen eines Gestaltungsrechts — bedingt durch die zustimmende Erklärung eines nicht handelnden Beteiligten. Der Inhaber des Gestaltungsrechts übt es nicht gegenüber demjenigen aus, der es ihm durch sein Einverständnis verschafft hat, sondern „nach außen hin" 7 4 . Anders als bei Unterwerfungen fordert das Gesetz hier keinen v o n Ermächtigungen zur Begründung (Aufhebung, Änderung) von Schuldverhältnissen durch Vertrag allgemein zugelassen ist. Vgl. auch Kreß, A l l g . Schuldrecht, S. 17. 72 Ausdruck v o n Ernst I m m a n u e l Bekker t System des Pandektenrechts, Bd. I I , Weimiar 1889. S. 210 ff. 73 Ungeklärt ist, worauf Bötticher richtig hinweist (Gestaltungsrecht S. 10), ob ein gesetzliches Gestaltungsrecht durch Vertrag m i t einem D r i t t e n — ein sozusagen negatives Ermächtigungsgeschäft — einschränkbar ist. Dieses rechtspolitische Problem gewinnt hier infolge der Aufnahme mehrseitiger Gestaltungen einen größeren Bedeutungsumfang, es gehören hierzu die Grenzfragen beim Kartell, bei obligatorischen Abreden des Tarifvertrages (Differenzierungsklauseln). F ü r den Teilbereich der Verfügungsmacht besteht die positive Regelung des § 137 BGB. 74 Dieses M e r k m a l hält Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 11, f ü r einen H i n derungsgrund, i n der Vertretungsmacht ein Gestaltungsrecht zu sehen.

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F. Ermächtigungsgeschäfte

Vertrag. Zustimmungen sind einseitige Ermächtigungsgeschäfte. Dank der gleichartigen formalen Struktur aller Zustimmungen und der eingehenden Gesetzesregelung (§§ 182 ff. BGB) ist ihre Dogmatik stärker ausgebildet als die der Unterwerfungen. Eine Ordnung der Einzeltypen ist am besten an Hand einer Dreiteilung möglich, für die hier die Bezeichnungen der „übertragenden", „gestattenden" und „verzichtenden" Zustimmung vorgeschlagen werden 75 . aa) Die übertragende Zustimmung wird von dem ursprünglichen Inhaber des Gestaltungsrechts (allgemein: der Privatautonomie) erklärt und läßt diese Macht auf den Zustimmungsadressaten7® übergehen. Solche Übergänge sind wohl zumeist kumulativ, jedoch ließe sich eine verdrängende übertragende Zustimmung, gäbe es sie 77 , leicht einordnen. Hauptfälle: §§ 167, 177, 185 BGB 7 8 . Wie auf der Stufe der Herrschaftsrechte die Rechtsübertragung sich als Inhaltsänderung (Subjektwechsel) der bestehenden Verhaltensnorm verstehen ließ, so kann auf der Stufe der Gestaltungsrechte die übertragende Zustimmung als Inhaltsänderung der bestehenden Ermächtigungsnorm gedacht werden. Ein Akt nach § 167 BGB derogiert § 305 BGB, indem nämlich der Kreis der potentiell „Beteiligten" erweitert wird. Daraus, daß nur ein Wechsel des Rechtssubjektes, nicht aber eine sonstige Inhaltsänderung eintritt, folgt schon, daß zwar die Ausübung des übertragenen Gestaltungsrechts beim Ermächtigten liegt, jedoch die Rechtswirkungen immer noch den Zedenten treffen. Mit dieser Interpretation der Bevollmächtigung und der Ermächtigung nach § 185 BGB muß die herkömmlich gelehrte These, Gestaltungsrechte seien grundsätzlich unübertragbar 79 , aufgegeben werden. Selbstverständlich bleibt, daß Rechte zur einseitigen Aufhebung eines Rechtsverhältnisses nicht in dem Sinne übertragen werden können, daß der Ermächtigte nicht in das Rechtsverhältnis eintritt, trotzdem aber die Aufhebung im eigenen Namen erklärt. 75 Übereinstimmend der Sache nach Thiele, Zustimmungen S. 143 ff.; er unterscheidet Zustimmung k r a f t mittelbarer Rechts- oder Interessenbeteiligung (verzichtend), Zustimmung bei der Vornahme v o n Rechtsgeschäften i n Arbeitsteilung (übertragend) u n d Zustimmung k r a f t Aufsichts- oder V e r waltungsrechit (gestattend). 76 M i t „Zustimmungsadressat" ist nicht der Adressat des A k t s gemeint — dies k a n n nach §1821 auch ein D r i t t e r sein — sondern der Adressat der i n der Zustimmung enthaltenen Ermächtigungsnorm. 77 Vgl. zur verdrängenden Vollmacht W o l f r a m Müller-Freienfels, Die V e r tretung beim Rechtsgeschäft, Tübingen 1955, S. 124. 78 Überzeugend legt Thiele, Zustimmungen S. 146 f. dar, daß zwischen Bevollmächtigung u n d Ermächtigung k e i n grundlegender systematischer Unterschied besteht. 70 Vgl. Josef Esser, Schuldrecht, 2. Aufl., 1960, S. 75.

Überblick I I I

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bb) Die gestattende Zustimmung trifft Fälle, in denen dem an sich zum rechtsgeschäftlichen Handeln Berufenen im eigenen oder fremden Interesse die Ermächtigung total oder partiell entzogen worden ist (z.B. §107 BGB), gleichzeitig aber ein Dritter befugt wird, diese Beschränkung durch vorherige oder nachträgliche Gestattung 80 generell oder im Einzelfall aufzuheben: §§ 107, 112 f., 1812 81 . cc) Von einer verzichtenden Zustimmung läßt sich schließlich sprechen, wenn einem Gestaltungsrecht das Recht oder die Anwartschaft eines Dritten entgegensteht, dieser jedoch die in seinem Interesse bestehende Gestaltungsbeschränkung zu Lasten seines Rechts aufheben kann: §§ 161, 876, 2113 BGB. — Von allen Zustimmungen läßt sich sagen, daß durch sie nicht eine neue Ermächtigungsnorm geschaffen, sondern nur eine bestehende personell oder sachlich erstreckt wird. Aus der Sicht der Zustimmungsadressaten wird durch sie jedoch eine vorher nicht oder nicht unbedingt bestehende Gestaltungsbefugnis geschaffen. Daher fallen Zustimmungen unter die gestaltungsrechtsbegründenden, nicht -ändernden Ermächtigungsgeschäfte. Zu den Zustimmungsgeschäften sind audi hier, wie im Überblick II, Gegenakte zu zählen, z.B. die Anfechtung einer Zustimmung. c) Überblick

III:

Ermächtigungsgeschäfte Gestaltungsrechte werden durch Privatakte (I.) begründet (a) mehrseitig: Unterwerfungsabrede, Abrede nach § 315 BGB 8 2 , Vorkaufsabrede, Rücktrittsabrede. (b) einseitig: Zustimmungen. 80 Diese Gestattung unterscheidet sich von der Einwilligung i n Rechtsverletzungen (vgl. oben E l ) dadurch, daß sie nicht durch Aufhebung eines Verbots die natürliche Handlungsfreiheit (partiell) wiederherstellt, sondern durch Aufhebung einer Ermächtigungseinschränkung die ursprüngliche E r mächtigung; beide A k t e w i r k e n also nach dem Prinzip der doppelten Negation, jedoch die E i n w i l l i g u n g gegenüber einer negativen Verhaltensnorm, die Gestattung gegenüber einer negativen Ermächtigungsnorm. — Vgl. zu gleichartigen Strukturen i m Verwaltungsrecht: Reinhard Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, Heidelberg 1965. 81 Sind mehrere Zustimmungen erforderlich, so können sie nebeneinander stehen, jedoch auch aufeinander bezogen sein (Zustimmungsketten), vgl. Germer i n Soergel-Siebert, 9. Aufl., § 1828 A n m . 14. 82 Anders U. Kornblum, A c P B d 168 (1968) S. 450. 463 ff., der die L e i stungsbestimmung nicht als Gestaltung anerkennt, w e i l das Ermessen an die B i l l i g k e i t gebunden sei, w e i l „ i m jeweiligen F a l l n u r eine einzige Bestimm u n g . . . w i r k l i c h b i l l i g sein kann".

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F. Ermächtigungsgeschäfte (II.) geändert (a) mehrseitig: Änderung von Abreden nach I a ; Vorverträge (Kontrahierungszwang !). (b) einseitig:

nein (?).

(III.) aufgehoben (a) mehrseitig:

Aufhebung von Abreden nach I a.

(b) einseitig: Verzicht (z.B. §533 BGB), Widerruf der Vollmacht (§ 168 BGB, vgl. § 127 HGB), Bestätigung (§ 144 BGB), Anfechtung einer Unterwerfungsabrede oder Zustimmung. Nicht mehr hierhin zu zählen ist die Verzeihung, §§ 2337, 2343 BGB, § 49 EheG. 3. Erweiterung

III:

Gestaltungsrechte höherer Ordnung

Vom Gesetz eingeräumte Kompetenzen, die nicht zur Setzung von Verhaltensnormen, sondern zur Setzung von Ermächtigungsnormen durch Abschluß von Ermächtigungsgeschäften berechtigen, können Gestaltungsrechte höherer Ordnung genannt werden; dies gilt also für alle Gestaltungsrechte, die den im Überblick III beispielhaft aufgeführten Ermächtigungsgeschäften zugrunde liegen. Wie Gestaltungsrechte erster Ordnung auf Rechtsgeschäfte bezogen sind, so Gestaltungsrechte höherer Ordnung auf Ermächtigungsgeschäfte. Allgemeine, der Aufhebung von getroffenen Regelungen dienende Figuren wie Anfechtung und Verzicht sind dieser Gruppe insoweit zuzuordnen, als sie nicht Rechtsgeschäfte i. e. S., sondern Ermächtigungsgeschäfte betreffen. Die Reihe ist theoretisch „nach oben" beliebig erweiterbar, wenn man z.B. an die Bevollmächtigung zum Abschluß eines Ermächtigungsgeschäftes denkt. Die Aufgaben der praktischen Jurisprudenz dürften dagegen mit einem höchstfalls vierstufigen Modell lösbar sein.

Namenregister Schlichte Zahlen verweisen auf Textseiten, i n K l a m m e r n gesetzte Zahlen auf Fußnoten Adomeit, K . (17), (19), (25) Bekker, E . J . (72) Beseler, G. (12) B i e r l i n g (25), (34), (49), (60) Bötticher, E. 7, 35, 36; (3), (7), (9), (21), (22), (40), (55), (67), (70), (73), (74) Brinz (31) Bruns, R. (3), (22), (37) Bucher, E. 29, 30; (25), (49), (50), (60) B y d l i n s k i (10), (68) Celsus (62) Crome 7; (2), (9) Danz, E. (24) Dölle, H. (3) Enneccerus, L . 8; (4), (13), (24), (63) Esser, J. (79) Fitzgerald (14) Flume, W. (7), (23), (27), (42), (44), (47), (71) v. Freytag-Löringhoff (43) Geiger, Th. (59) Germer (81) v. Gierke, Ο. (20), (62) Hanau, P. (32) Hart, H. L . Α. (14), (25) Hellwig, Κ . 7; (2), (21) Herschel, W. (3), (70) Hohfeld (14) Hübner, H. (32), (43), (63) I h e r i n g 30 K a n t (43) Kaufmann, H. (62) Kasper, F. (58) Kelsen, H. 31; (24), (26), (60), (61) K i p p , Th. (32) K l u g , U. (43) K o r n b l u m , U. (82) Kreß, H. (8), (16), (71)

Larenz, Κ . 24; (10), (20), (27) Lehmann, Η . 32; (43), (63) Leinfellner, W. (5) Lorenz, W. (3), (9), (14) Manigk, Α. (37) M a y e r - M a l y , Th. (3) M e r k l , Α. (24) Modestinus (24) Molitor, E. 16 Müller, L o t h a r (36) Müller-Freienfels, W. (77) Münzberg, W. (50) Mußgnug, R. (80) Nawiasky, H. (39) Nipperdey, H. C. 8; (4), (13), (24), (52), (63), (65) Popper, K a r l R. (5) Ross, A l f

(66)

(11), (14), (26), (28), (30),

S almond (14) Schlosser, P. (15), (22) Schönbauer, E. (36) Schreiber, R. (26), (70) Schulz, F. (36) Seckel, E. 7, 8, 10, 11, 12, 21; (1), (9), (31) Seiter, H. (32) Siebert, W. (18), (81) Sohm, R. (54) Solln er, A . (3), (21) Stegmüller, W. (5) Thiele, W. (75), (78) Thöl, H. (24) Thon, Aug. (9), (25), (31), (34), (60), (64) V. T h ü r (6), (7), (9), (43), (46), (53), (54), (58), (69) U l p i a n 28; (36), (53)

42

Namenregister

Vonlanthen, Α . (58)

Wieser, Eb. (63) Windscheid 29; (32), (58), (62)

Walter, Rob. (29) Wenger, L . (36) Wieacker, F. (36), (62)

Zitelmann 7; (2), (9), (16), (34), (40), (50), (63), (65) Zöllner, W. (25)