Gesellschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin: Erziehungswissenschaft, Psychologie, Hochschuldidaktik, Politikwissenschaft, Forschungsverbund SED-Staat, Kommunikationswissenschaften, Soziologie und Tourismus 9783737001410, 9783847101413, 1949198011

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Gesellschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin: Erziehungswissenschaft, Psychologie, Hochschuldidaktik, Politikwissenschaft, Forschungsverbund SED-Staat, Kommunikationswissenschaften, Soziologie und Tourismus
 9783737001410, 9783847101413, 1949198011

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Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin Band 6 Herausgegeben von Karol Kubicki und Siegward Lönnendonker

Schriften des Universitätsarchivs der Freien Universität Berlin Herausgegeben von Karol Kubicki und Siegward Lönnendonker

Karol Kubicki / Siegward Lönnendonker (Hg.)

Gesellschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin Erziehungswissenschaft, Psychologie, Hochschuldidaktik, Politikwissenschaft, Forschungsverbund SED-Staat, Kommunikationswissenschaften, Soziologie und Tourismus

V&R unipress

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8471-0141-3

© 2013, V&R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt VORWORT DER HERAUSGEBER DER BEITRÄGE ................................................. 7 HARALD SCHOLTZ (†): GESCHICHTE DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN. TEIL I 1949 – 1980 ............................ 11 MICHAEL-SÖREN SCHUPPAN: GESCHICHTE DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN. TEIL 2 1980–2004 .......................................................................................... 29 WOLFGANG SCHÖNPFLUG / HORST-PETER BRAUNS: FÜNFZIG JAHRE PSYCHOLOGIE AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN ..................................... 37 BRIGITTE BERENDT: HOCHSCHULDIDAKTIK AN DER FREIEN UNIVERSITÄT VON DEN ANFÄNGEN 1965 BIS 2012......................................... 53 GERHARD GÖHLER / HUBERTUS BUCHSTEIN: DEUTSCHE HOCHSCHULE FÜR POLITIK / OTTO-SUHR-INSTITUT / FACHBEREICH POLITISCHE WISSENSCHAFT. DIE ERSTEN FÜNFZEHN JAHRE ........................ 101 GERHARD GÖHLER: POLITIKWISSENSCHAFT AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN: SCHRITTE ZUR PROFESSIONALISIERUNG ................... 115 TILMAN FICHTER / SIEGWARD LÖNNENDONKER: HISTORISCHEMPIRISCHE POLITIKFORSCHUNG IN BERLIN. ZUR FRÜHGESCHICHTE DES INSTITUTS FÜR POLITISCHE WISSENSCHAFT DER FREIEN UNIVERSITÄT ............................................................................................... 129 SIEGWARD LÖNNENDONKER: DAS INSTITUT FÜR POLITISCHE WISSENSCHAFT / ZENTRALINSTITUT FÜR SOZIALWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNG .................................................... 189 KLAUS SCHROEDER: DER FORSCHUNGSVERBUND SED-STAAT AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN ............................................................... 217 GERNOT WERSIG (†) / ULRICH NEVELING: PUBLIZISTIK- UND KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT ............................................................... 239 HEINER GANßMANN: EIN UMGEDREHTES U – SOZIOLOGIE AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN ...................................................................... 265 GÜNTHER HAEDRICH / KRISTIANE KLEMM: WILLY SCHARNOWINSTITUT FÜR TOURISMUS DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN ..................... 279 PERSONENREGISTER ..................................................................................... 287 5

Vorwort der Herausgeber der Beiträge

Dies ist der sechste Band unserer »Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin«, der vorletzte. Die Beiträge dieses Bandes stellen – wie die der vorigen Bände – keine »Wissenschaftsgeschichte der FU« sondern mehr eine Dokumentation dar, die Wissenschaftsgeschichte ist noch zu schreiben. Unsere Bände mögen dafür – so hoffen wir – wertvolle Quellen sein, die zu sichern wir als vornehmste Aufgabe ansehen. Die Erscheinungstermine der Bände richten sich nach dem jeweils zuletzt fertiggestellten Beitrag. Und bei diesem Band gab es leider wieder Verzögerungen zu Lasten derer, die ihre Beiträge längst abgegeben hatten. Für die Frühzeit des OSI haben wir – nach zahlreichen Absagen – schließlich einen Artikel von Gerhard Göhler und Hubertus Buchstein über die ersten fünfzehn Jahre des Otto-Suhr-Instituts in der 1989 erschienenen Broschüre »Das OSI« 1 entdeckt und übernommen. Das schon geplante – auch von einigen »Ehemaligen« des OSI empfohlene – Vorhaben, die Zeit der Revolte bis zum Beginn von Gerhard Göhlers Bericht über die Professionalisierung der Politischen Wissenschaft mit Auszügen aus der Zeittafel der FUDokumentation zu überbrücken, haben wir fallengelassen, hauptsächlich aus Platzgründen. Wir verweisen statt dessen auf die FU-Dokumentation 2 (oft zitiert, aber selten mit Angabe der Quelle). 1 Diese im übrigen sehr verdienstvolle Veröffentlichung zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: In dem ganzen Band sucht man vergeblich nach dem »Institut für politische Wissenschaft«. Nur in Jürgen Fijalkowskis Beitrag »Versuch, Politikwissenschaft zu verorten« ist von der » … Gründung eines Forschungsinstituts« die Rede. Ansonsten scheint ein Erwähnungsverbot geherrscht zu haben. 2 Siegward Lönnendonker / Tilman Fichter unter Mitarbeit von Claus Rietzschel, Freie Universität Berlin 1948–1973 – Hochschule im Umbruch Teil I 1945–1949 »Gegengründung wozu?«, Berlin 1973 Teil II 1949–1957 »Konsolidierung um jeden Preis«, Berlin 1974 Teil III 1958–1964 »Auf dem Weg in den Dissens«, Berlin 1974 Teil IV 1964–1967 »Die Krise«, Berlin 1975 zusammen mit Jochen Staadt, Teil V 1967–1969 »Gewalt und Gegengewalt«, Berlin 1983 Peter Jahn / Annemarie Kleinert / Jochen Staadt, Teil VI 1969–1973 »Die ungeliebte Reform« Berlin 1990. Die gesamte FU-Dokumentation ist im Dokumentenserver der FU unter http://edocs.fu-berlin.de/docs/receive/FUDOCS_document_000000014133 abrufbar. Allerdings funltioniert das Aufrufen der Dokumente durch die vorhandenen

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Karol Kubicki / Siegward Lönnendonker Leider hat der ursprünglch für den Beitrag über das Institut für politische Wissenschaft/Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung vorgesehene Autor schließlich doch abgesagt. Wir haben daher einen zuerst 1975 erschienenen Beitrag von Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker über die Frühgeschichte des »Instituts für politische Wissenschaft« aufgenommen. Wir halten diese insgesamt großzügige Dokumentation der Politischen Wissenschaft für angemessen, da die Einführung dieser Disziplin an der Freien Universität und in der Bundesrepublik einen wesentlichen – heute fast vergessenen – Faktor der amerikanischen Initiative zur Demokratisierung Deutschlands darstellt. Für die Geschichte des IfpW/ZI 6 wollten wir die Suche nach einem neuen Autor nicht wieder starten; eine nochmalige Wartezeit von Monaten, vielleicht Jahren wäre weder uns noch den Autoren zumutbar gewesen – ganz abgesehen von der Möglichkeit eines abermaligen Scheiterns. Siegward Lönnendonker hat für die spätere Zeit des IfpW/ZI 6 im Eilverfahren den vorliegenden Bericht geschrieben. Der Beitrag über den Forschungsverbund SED-Staat zeigt, welche unmittelbaren Folgen die Wiedervereinigung auf eine einzelne Fachrichtung nach Beendigung des Kalten Krieges hatte. Die Wissenschaftler der bis dahin vorherrschenden DDR-Forschung waren mit ihrem »immanent-kritischen« Ansatz nicht auf ein Ende der DDR eingestellt und zeigten sich nach der Wende nicht bereit, bis dahin nicht behandelte Probleme der sowjetische Deutschland- und DDR-Politik, des Aufbaus und der Entwicklung der totalitären Staatspartei SED sowie die innerdeutschen Bezüge und Wechselwirkungen der zweiten deutschen Diktatur im letzten Jahrhundert zu untersuchen. Trotz Unterstützung durch den Präsidenten und den zuständigen Dekan war es uns bisher nicht möglich, einen Autor für die Philosophie zu finden. Damit müssen wir vorerst weiterleben müssen. Wir haben uns dem Zwang der genauen Geschlechter-Bezeichnung, die von »Professoren / Professorinnen« über »wurden vom verantwortlichen Professor / von der verantwortlichen Professorin der jeweiligen Massenveranstaltung durchgeführt« bis hin zu »Studierendenschaft« reicht, nicht gebeugt. Wir sind auch der Meinung, daß ein Unterschied zwischen »Student« und »Studierender« besteht und sind nicht bereit, den unterzupflügen. (Im übrigen bleiben wir bei der alten Rechtschreibung.) Der für diesen Band vorgesehene Beitrag von Gisela Simmat über den Fachbereich Wirtschaftswissenschaft wird zusammen mit einem von Prof. Links nicht. Dazu muß man in die einzelnen Dateien einsteigen. Die weniger komplizierte Möglichkeit, die FU-Dok zu benutzen: die CD ist für 10 € zu beziehen vom APO-Archiv der Freien Universität Berlin, Malteserstr. 74–100, Haus L, 12249 Berlin; Tel: (030) 838-705 05/-703 26 (Frau Groß); e-mail: [email protected].

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Vorwort

Heinz Rieter über die Frühgeschichte dieses Fachs an der FU im letzten Band erscheinen. Prof. Gudrun Krämer mußte für den zweiten Teil der Islamwissenschaft wegen Überbelastung durch andere Verpflichtungen leider absagen. Ihren Ratschlag, diesen »von einer anderen Person« schreiben zu lassen, können wir nur an künftige Generationen weitergeben. Wir hoffen, noch in diesem Sommer unsere Reihe der »Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin« abschließen zu können. Berlin, im März 2013 Karol Kubicki Siegward Lönnendonker

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Harald Scholtz (†) Geschichte der Erziehungswissenschaft an der Freien Universität Berlin 1 Teil I 1949 – 1980

A. Die Ära Kroh

Als Prof. Oswald Kroh 1949 die Einrichtung eines »Erziehungswissenschaftlichen Instituts« an der FU forderte, war dies ein kühner Vorgriff auf künftige Entwicklungen. In jener Zeit richteten andere Universitäten, sofern sie überhaupt über einen Lehrstuhl für Pädagogik verfügten, »Pädagogische Seminare« vornehmlich für Studenten ein, die ein Lehramt an Gymnasien anstrebten. Erst im Mai 1954 erließ die KMK »Grundsätze zur Pädagogischen Prüfung« für diese »Lehramtsanwärter«. Kroh war zunächst am »Psychologischen Institut« »mit der Leitung beauftragt«, denn es gab Bedenken wegen seiner Karriere bis 1945. Er forderte die Einrichtung eines »EWI« mit 5 Abteilungen: Allgemeine Pädagogik Geschichte des Erziehungswesens Vergleichende Erziehungswissenschaft Pädagogische Psychologie und Soziologie dazu »In Vorbereitung« Abteilungen für Sozialpädagogik, Erwachsenenpädagogik und Heilpädagogik Außerdem behaupteten die Vorlesungsverzeichnisse, daß ein »Institut für praktische Pädagogik im Aufbau« begriffen sei, das blieb auch bei seinem Nachfolger Borinski so. Zunächst war auch hier Kroh »mit der Leitung beauftragt«. Man könnte diese Planungen als Phantasmagorie übergehen, zumal sich der gesamte Lehrbetrieb der Philosophischen Fakultät in der Enge der Boltzmannstraße 3 abspielte, wenn sie nicht auf gesellschaftliche Erfordernisse verwiesen hätten, die der Erziehungswissenschaft gestellt waren. Schon 1930 hatte der Blick auf Vorbedingungen für eine »Demokratisierung der Bildung« unter August Riekel in Braunschweig einen solchen utopischen Plan eines »Forschungsinstituts für Erziehungswissenschaften« hervorgebracht. Doch die Turbulenzen der Endphase der Weimarer Republik begruben alle hochfliegenden Pläne.(Vgl. Helmut Hirsch, Lehrer machen Geschichte. 1971, S.33 ff.) Eine gewisse Berechtigung kann diesen Planungen im Hinblick auf 1 Harald Scholtz verstarb am 4. Januar 2007 in Berlin.

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Harald Scholtz

die folgenden 20 Jahre, in denen sich das Erziehungswissenschaftliche Institut, meist »EWI« genannt, zum »Fachbereich« entwickelte, nicht abgesprochen werden. Oswald Kroh (1887 – 1955), der 1941 als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie an der Einführung der Diplom-Prüfungsordnung für Psychologen maßgeblich beteiligt war und seit 1942 den Lehrstuhl für Psychologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin innegehabt hatte, suchte 1952 durch sein Buch »Revision der Erziehung« der Pädagogik (nach ihrer Mißachtung durch den Nationalsozialismus) eine Zukunft als gesellschaftlich relevante Wissenschaft zurückzugewinnen. In dem Nachruf für Kroh in der Berliner »Lehrerzeitung« hat Rudolf Bergius, damals sein Assistent und selbst 2004 verstorben, »die Bedeutung erfahrungswissenschaftlicher Forschung für das Erziehungsdenken der Gegenwart« als Vermächtnis Krohs herausgestellt – in Vorwegnahme der »realistischen Wende« in der Erziehungswissenschaft. 1969 hat Hein Retter in seiner Dissertation »Die Pädagogik Oswald Krohs« gewürdigt. Als Nazi-Anhänger längere Zeit geächtet, mußte Kroh um die Ernennung zum »ordentlichen Professor« ringen, obwohl er seit 1923 die venia legendi für Psychologie und Pädagogik besaß. Seinen Auftrag, Direktor nicht nur des Psychologischen , sondern auch des Erziehungswissenschaftlichen Instituts zu sein, gab er 1951 zurück, dafür wurde er auch Direktor eines neu eingerichteten »Instituts für psychologische Forschung«. Als Honorarprofessor war neben Kroh Ernst Otto (geb. 1877) tätig, früher Leiter des Pädagogischen Seminars an der Deutschen Universität in Prag. Er wurde 1955 entpflichtet, zwei Jahre später, zum 80. Geburtstag, erschien für ihn die Festschrift : »Beiträge zur Einheit von Sprache und Bildung im geistigen Sein«. Die Geschichte der Pädagogik vertrat Prof. Max Luckow (1892–1966), der seit seiner Berufung an die kurzlebige Pädagogische Akademie in Erfurt an einer überlieferungskritischen Darstellung des Pädagogen Wolfgang Ratichius (Ratke) arbeitete, die durch die Wirren der Zeit (Vita bei A. Hesse S. 483 f) aber nicht abgeschlossen werden konnte. Sie hat erst 1999 durch Uwe Cordes: »Wolfgang Ratke (1571–1635)« eine Würdigung erfahren. Ein weiterer Lehrbeauftragter , der vornehmlich die Interessen der Studenten ansprach, die das Lehramt an Gymnasien anstrebten, war seit 1952 der von Petersen in Jena beeinflußte, aber zuvor an der Humboldt-Universität habilitierte Prof. Georg Müller (1904–1987). Als wissenschaftlicher Rat hat er sich um die Verbindung zur schul- und sozialpädagogischen Praxis (auch des Auslands) bis zu seiner Pensionierung 1966 besondere Verdienste erworben. Am Institut habilitierten sich Hans Märtin (für Psychologie u. Pädagogik) und Fritz Kanning (zu Vita s. Schuppan S. 296), welcher jedoch dem Institut als wissenschaftlicher Assistent und Privatdozent nur bis 1958 erhalten blieb.

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Promoviert wurde 1955 Gerhard Kiel über seine Dissertation: »Die Bedeutung der konkreten Situation in der deutschen Pädagogik der Gegenwart«. Angeregt durch Fritz Kannings »Strukturwissenschaftliche Pädagogik« von 1953, unterstreicht diese Themenstellung noch einmal das Interesse der Berliner, sich von der in Westdeutschland vorherrschenden »geisteswissenschaftlichen Pädagogik« abzugrenzen. Als Gastprofessor kam im Sommer 1952 Robert Ulich von der Harvard Universität an das Institut. Er hatte 1934 Dresden als Ministerialrat und Honorarprofessor verlassen müssen, doch hat er an seine damaligen Ansätze zu einer Bildungssoziologie nicht wieder angeknüpft. In den USA hatte er sich mit einer universal-geistesgeschichtlich orientierten Pädagogik großes Ansehen erworben. Er ist nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt (Vgl. Waterkamp S. 311–28). Amerikanischen Anregungen folgend ist 1951 im vom Senat der FU eingesetzten Ausschuß für »Bildungsfragen« der Vorschlag zu einer Abend-Universität entwickelt worden. Daraus resultierte 1954 ein Plan für ein Studienangebot für bereits berufstätige Sozialarbeiter und Schulpsychologen. Entsprechend teilte sich der Senatsausschuß für Bildungsfragen in einen für »Abendveranstaltungen« und in einen Schulausschuß auf. In beiden übernahm Borinski für lange Zeit den Vorsitz. Für die im Abendstudium ausgebildeten Sozialarbeiter wurde 1956 der Abschluß »Magister Artium« (M.A.) eingeführt. Beide Entwicklungen, zur extra-muralen Arbeit der Universität und zur akademischen Ausbildung von Sozialarbeitern, die Kroh noch kurz vor seinem Tod begründete, blieben auch später für die Arbeit des Instituts bestimmend.

B. Die Ära Borinski

Ein Jahr nach dem Tode Krohs am 11.9.1955 hatte sich die Philosophische Fakultät auf einen Nachfolger geeinigt, der von seiner Herkunft und seinem Führungsstil her eine Alternative zur Tradition des »Ordinarius« im Stil der »Mandarine« (Ringer) abgab: Dr. jur. Fritz Borinski (1903–1988). Durch seine Emigration nach England im Jahr 1934 hatten sich seine Pläne, in Leipzig eine Habilitation in Geschichte und Soziologie anzustreben, zerschlagen. Von der Jugendbewegung geprägt, hatte er zusammen mit dem Germanisten Werner Milch für das »German Educational Reconstruction Committee« den Rückblick »Jugendbewegung, the Story of German Youth, 1896–1933« verfaßt und 1945 in London drucken lassen mit dem Ziel, auf demokratische Traditionen im Jugendleben Deutschlands hinzuweisen. Gegenüber einer bevormundenden »Re-education« wollte er auf eine Neubelebung der am Anfang der dreißiger Jahre abgebrochenen Ansätze insbesondere in der »Erwachsenenbildung« zur Förderung »aktiver Minderheiten« für eine demokratische Entwicklung hinaus. Bereits 1947 hatte er die Leitung einer HeimVolkshochschule in der Göhrde (Niedersachsen) übernommen. Seit 1948 gehörte er dem kulturpolitischen Ausschuß der Bundes-SPD an. Er wurde in

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den 1953 gegründeten »Deutschen Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen« berufen, in dessen Gutachten er viel Zeit und Kraft investierte. Zur Diskussion um »politische Bildung« hatte er 1954 einen konzeptionellen Beitrag mit dem Buch »Der Weg zum Mitbürger« geliefert. In diesem Jahr war er von der Göhrde in die Leitung der VHS Bremen übergewechselt. Nach einer Vertretung durch den Philosophen May in Krohs Funktionen übernahm Borinski das Direktorat im EWI zum Wintersemester 1956/57 wie das Amt des Senatsbeauftragten für Abdendveranstaltungen. Er führte die bereits von Kroh sporadisch eingerichteten »Pädagogische Colloquien« aller Lehrkräfte des Instituts fort. Zu ihnen gesellte sich auch Leonhard Froese, der als Gast aus Hamburg am Osteuropa-Institut (OEI) der FU über Sowjetpädagogik las. Sein Erbe übernahm für längere Zeit Helmut Grothe als Lehrbeauftragter der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen (WI-SO) Fakultät, weil sein Spezialgebiet der Arbeitsunterricht war, eigentlich gehörte er aber dem Lehrkörper der PH Berlin an. Ab 1960 verstärkte Siegfried Baske dieses Angebot von Seminaren zur Pädagogik im Ostblock und bot bald auch allgemein-pädagogische Themen im EWI an. Zudem übernahm er das Amt eines Sekretärs des »Senatsbeauftragten für politische Bildungsarbeit«, unter der Ägide von Borinski. Über die Gründe zur Einrichtung diese Amtes im Februar 1961 und über dessen Probleme hat Detlef Oppermann (in »Fritz Borinski«, 2000, S. 134 ff.) berichtet. Beispielhaft zeigt sich hieran, daß Borinski bestrebt war, vorhandene Ansätze weiter zu entwickeln und zu einem Netzwerk auszugestalten, das die politischen und gesellschaftlichen Funktionen von Erziehung zur Geltung bringen sollte. Die Kontakte zur Wirtschaftspädagogik wie zur Ostpädagogik-Forschung im OEI wurden ebenso gepflegt wie zur Pädagogischen Hochschule und zum Otto-Suhr-Institut (OSI), in dem er viele Jahre selbst Lehrveranstaltungen zur politischen Erwachsenenbildung abhielt. Als das von der Ford-Foundation seit 1951 geförderte »Abendstudium für Berufstätige« aufgegeben werden mußte, hat Borinski 1959 die Abendveranstaltungen der FU, die teilweise in den West-Berliner Bezirken stattgefunden hatten, zu »Abendvorträgen« umgestaltet. Jährlich wurden im Winter bis 1970 solche Vorlesungsreihen im Sinne von Fortbildungsveranstaltungen angeboten (s. Gerd Doerry in: Universitäre Erwachsenenbildung in Berlin, 1971, S.37ff.) Die Reihe »Jugend in unserer Zeit« vom Winter 1960 veröffentlichte Borinski im Juventa-Verlag 1961. Gleichzeitig wurden für die Studenten »Universitätstage« im Sinne eines »Studium generale« durchgeführt. Aus der seit 1960 im Verlag Walter de Gruyter erschienenen Dokumentation der »Universitätstage« sind 2 Hefte hervorzuheben: 1961 das über Marxismus –Leninismus mit einem Beitrag von Borinski und 1966 über das damals noch wenig bearbeitete Thema: »Nationalsozialismus und die deutsche Universität«. Für die aber weiterhin beabsichtigte »extra-murale« Arbeit mußte er einen Stamm von Kollegen zu gewinnen suchen, die sich auf die Arbeit

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mit akademischen Laien einzulassen vermochten. Mit ihnen führte er »Universitätskurse« ein, wie sie in Göttingen unter dem Begriff »Seminarkurse« bereits seit 1956 erprobt worden waren. Im Winter 1959/60 sind die ersten solcher Kurse an der VHS Neukölln in Zusammenarbeit mit Helene Jung, später in fast allen Bezirks-VHS, auch in Universitätsinstituten und in Großbetrieben (Siemens) durchgeführt worden. Im Berliner Universitätsgesetz von 1969 wurde dann der gesellschaftliche Bildungsauftrag der Universität fest geschrieben. Schon seit 1964 wurden die Aufgaben des »Senatsbeauftragten für Abendveranstaltungen« von einem »Sekretariat für Erwachsenenbildung« wahrgenommen. Nicht nur die Professoren wollte Borinski zu extra-muraler Arbeit anregen, hieß doch 1960 das Motto des Studententages in Berlin: »Abschied vom Elfenbeinturm«. So sollten auch die Studenten an das Zusammenwirken von Wissensvermittlung und praktischer Übung gewöhnt werden. So regte Borinski zur Teilnahme an Jugendgemeinschaftsdiensten an, veranstaltete Tagungen mit skandinavischen Studenten im Hamburger »Jugend-Europahaus«, führte Exkursionen durch. Seine Assistenten forderte er zur Mitarbeit im 1959 eröffneten »Studentendorf der FU« in Schlachtensee auf. In den ersten Jahren seines Bestehens bezogen dort Assistenten Wohnungen, die zusammen mit einem studentischen »Bürgermeister« zu einem reichen kulturellen Leben anregten. (vgl. Ralf Zünder, Studentendorf Schlachtensee 1959–1989, Berlin 1989). Als Ersatz für die »internationalen Hochschulwochen« der FU erreichte Borinski die Einrichtung von »Internationalen Ferienkursen für Erwachsenenbildung«, die ab 1964 jährlich zuerst im Studentendorf, dann an der Europäischen Akademie Berlin stattfanden (vgl. Ortfried Schäffter in: Universitäre Erwachsenenbildung in Berlin, 1971 S.52–68) Analog sollten »Schulpraktische Übungen« die vom Berliner Lehrerbildungsgesetz 1958 geforderten »Schulpraktika« begleiten. Dazu bedurfte es freilich einer Verstärkung des Lehrkörpers durch Assistenten mit schulpraktischen Erfahrungen. Zunächst standen Borinski nur der bereits erwähnte Gerhard Kiel (1922–1998) zur Seite, der die FU von ihrer Gründung her kannte, sowie Gerd Doerry, der während seines philosophischen Studiums Erfahrungen in der Volkshochschularbeit gesammelt hatte. Doch 1960 habilitierte sich, von Marburg kommend, Carl-Ludwig Furck mit einer Arbeit über »Das pädagogische Problem der Leistung in der Schule« an der FU und wurde wissenschaftlicher Rat. Zuvor hatte schon Harald Scholtz als promovierter Historiker Erfahrungen sowohl in Schule und Erwachsenenbildung wie aus der Arbeit mit Werkstudenten in seine Assistententätigkeit im Institut und im Studentendorf eingebracht. 1960 wurde auch Rudolf Lennert (1904–1988), vom Wissenschaftlichen Landesprüfungsamt kommend, auf eine Professur berufen, die 1965 zu einer »ordentlichen« wurde. Seine Vita ist, ebenso wie die von Borinski, in die »Pädagogik in Selbstdarstellungen« aufgenommen

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worden, die L. Pongratz herausgegeben hat (Borinski in Band II, 1976, Lennert in Band III, 1978). Wie Borinski ausgewählte Aufsätze als »Dokumente aus 4 Jahrzehnten« veröffentlichen ließ unter dem Titel: »GesellschaftPolitik-Erwachsenenbildung« (1969), so hatte 1965 auch Lennert einige seiner Aufsätze »aus zwanzig Jahren« unter dem nicht gerade attraktiven Titel »Verschlossenheit und Verborgenheit, über Phänomene der inneren Erfahrung« drucken lassen. Die dritte ordentliche Professur wurde 1965 für Johannes Flügge (1905–1995) eingerichtet, der sich in Kiel mit einem Beitrag zur pädagogischen Anthropologie kurz zuvor habilitiert hatte. Für ihn kann wohl als charakteristisch angesehen werden, daß er seine Aufsätze meist in »Scheidewege«, einem Periodikum »für skeptisches Denken« veröffentlichte. Durch den Bau der Mauer kündigte sich ein Innovationsschub in Hinblick auf die West-Berliner Bildungseinrichtungen an. Man plante nicht nur die Ansiedlung eines Max-Planck-Instituts (MPI) für Bildungsforschung, sondern auch ein »Pädagogisches Zentrum« (PZ), das Schulpolitik wie Schulpraxis in enge Verbindung mit wissenschaftlicher Forschung bringen sollte. Der Motor des ersten war Hellmut Becker (1913–1993), Präsident des Deutschen Volkshochschulverbandes und Mitglied im »Deutschen Ausschuß«. Er wurde 1963 Honorarprofessor für »Soziologie des Bildungswesens«. Für die Leitung des zweiten ehrgeizigen Unternehmens suchte man Furck nach seinem Wechsel nach Hamburg zurückzugewinnen. Das erziehungswissenschaftliche Lehrangebot differenzierte sich zunehmend und bildete Schwerpunkte in drei Bereichen: Ausbildung der Gymnasiallehrer, der Sozialpädagogen und für die Erwachsenenbildung. Aus der räumlichen Enge der Boltzmannstraße 3 war das EWI mit seiner Bibliothek 1959 in die Steglitzer Grunewaldstraße 35 übersiedelt. 1964 erfolgte dann ein nochmaliger Wechsel: das Institut zog in die Arnimalle 11, die Bibliothek etwas später in das für das J. F. Kennedy-Institut umgebaute Schulgebäude in der Lansstraße 5–9. Die in der Arnimallee benachbarte Villa Nr. 9 mußte erst für Bibliothekszwecke umgebaut werden. Auch dieser Umzug im Sommer 1967 sollte nicht der letzte gewesen sein. Neben der Wirtschaftspädagogik an der WI-SO Fakultät, die Alfred Dörschel vertrat, der deshalb auch im »Pädagogischen Colloquium« präsent war, begannen nun auch andere fachdidaktische Lehrangebote. Die Historiker (mit Heinz Quirin und Franz Ansprenger) waren im Sommer 1960 die ersten. Ein Jahr später begann ein intensiverer Dozentenaustausch mit der Pädagogischen Hochschule Berlin (PHB). Wilhelm Richter (1901–1978) und Christian Friese (1902–1973) wurden 1965 und 1968 zu Honorarprofessoren ernannt. Von Wilhelm Richter wurde auch die Dissertation von Marion Klewitz zur »Schulreform in Berlin 1945 bis 1951« betreut. Gerade als ein Studienplan für Sozialpädagogen mit dem Ziel »MA« in Zusammenarbeit von Furck und Frau Anneliese Buß erarbeitet worden war, verließ Furck die FU, um 4 Jahre später (1965) als Leiter des PZ nach Berlin

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und als o. Professor an die FU zurückzukehren. In der Zwischenzeit nahm Klaus Mollenhauer (1928–1998) seine Stelle als »wissenschaftlicher Rat« ein. Auf seine Initiative hin entstand 1963 eine Arbeitsgruppe am Institut, die sich den wissenschaftstheoretischen Problemen der Erziehungswissenschaft widmete. Für die von ihm geplante Publikation »Grundfragen der Erziehungswissenschaft« war von nicht zu unterschätzender Bedeutung, daß Herwig Blankertz (1927–1983) 1964 das Ordinariat für Wirtschaftspädagogik übernahm. Er schrieb den Band »Theorien und Modelle der Didaktik« in dieser Reihe (1969). Mollenhauer wurde einer der profiliertesten Vertreter der Pädagogik, besonders der Sozialpädagogik, und ist deshalb 1993 von der Erziehungswissenschaft der FU mit dem »Doktor h.c.« geehrt worden. Die Zahl der Studierenden im Hauptfach Pädagogik stieg von 20 allmählich auf 78 (1968) an. Mollenhauer arbeitete mit Frau Buß und mit KarlHeinz Ingenkamp zusammen, welcher sich mit einem schulsozialpädagogischen Thema 1968 habilitierte: »Zur Problematik der Jahrgangsklasse«. Von der PH konnte Mollenhauer Wolfgang Kramp zur gemeinsamen »Einführung in die Erziehungswissenschaft« gewinnen, aber bald wurde er selbst an die PHB berufen. Ebenfalls von der PH kamen die Medizinerinnen Prof. Auguste Hoffmann und Prof. Annemarie Dührssen , die das Lehrangebot in Richtung Heilpädagogik/Jugendpsychiatrie erweiterten. Nachdem für die 1. Staatsprüfung der Lehramtsstudenten zwei Schulpraktika obligatorisch geworden waren, erforderte das von der Universität eine Auswertung. Eine solche boten Harald Scholtz und auch Adolf-Eugen Bongard an, bald unterstützt von Karl Bozek, der über ein Thema aus der Geschichte der Erwachsenenbildung bei Borinski promoviert worden war. Zu diesem Team kam 1965 als diplomierter Psychologe Diether Hopf, der nach sechs Jahren zum MPI für Bildungsforschung ging. Borinski sah wohl selber, daß das Lehrangebot einem Flickerlteppich glich. In Klammern wurden den Studierenden Lehrveranstaltungen anderer Institute und Fakultäten (vornehmlich der WI-SO) als anrechenbar angeboten. Deshalb trat er einer Kommission für Studienrefom bei, neben den Belastungen durch den Vorsitz in den bereits erwähnten Ausschüssen. Außer den fortgeführten »Pädagogischen Colloquia« richtete er 1964 ganztägige Klausurtagungen für die Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter ein. Das Gesetz über die Zusammenarbeit von FU und PH von 1966 förderte die Ernennung von Honorarprofessuren unter den Professoren der PH. Der Ernennung Wilhelm Richters folgten 1968 mit Friese und Frau Dührssen auch Erich E. Geißler; Dietrich Goldschmidt (1914–1998) war bereits 1963 Honorarprofessor für Soziologie an der WiSo-Fakultät geworden und bereicherte das Lehrangebot auf unterschiedlichen Gebieten. In der Psychologie wurde 1962 durch die Berufung des Schweizers Hans Aebli (1923 –1990) den psychologischen Aspekten der Didaktik (»Grundformen des Lehrens«, 1961)

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größeres Gewicht gegeben.(s. Michael Fuchs, Hans Aebli, zwischen Psychologie und Pädagogik, Aarau 2002). Die Rückkehr von C.-L. Furck nach Berlin und zum EWI ließ den Studiengang für Sozialpädagogen neue Konturen gewinnen durch die Zusammenarbeit mit dem ebenfalls aus Hamburg gekommenen Ernst-Günther Skiba, Frau Buß und mit C. Wolfgang Müller (zu dieser Zeit bereits Professor an der PH). Schon seit 1960 hatte sich auch Furck um ein neues Verständnis der Erziehungswissenschaft, nämlich als »Gesellschaftswissenschaft« bemüht, darin unterstützt von Dietrich Goldschmidt und dem Comenius-Institut in Münster (Ingeborg Röbbelen). Dort bot sich ein Forum für viele jüngere Erziehungswissenschaftler an, um Publikationen in der Reihe »Gesellschaft und Erziehung« vor der Drucklegung zu diskutieren. Furck ist aber zu einer wissenschaftstheoretischen Fundierung des Vorhabens nicht mehr gekommen.

C. Das Direktorium der Ordinarien und die Einrichtung eines Plenum

Die Leitung des Instituts wurde vom Sommersemester 1966 an von einem Direktorium aus 4 Ordinarien wahrgenommen mit Borinski als Vorsitzendem und einem »geschäftsführenden Assistenten«, wie es bereits seit 1959 üblich war. In den nächsten Semestern sollten Lennert, Flügge oder Furck den Vorsitz wechselnd übernehmen. Durch neu geschaffene Stellen für »Studienräte im Hochschuldienst« gab es Verstärkung für die Bewältigung der Aufgaben, die sich aus der pädagogischen Ausbildung der Lehramtsanwärter ergaben. Dr. Werner Schlotthaus, der amerikanische Erfahrungen einbrachte, und Stanislaus Graf v. Kalckreuth erhielten diesen Status. Außerdem wurde Oberschulrat Dr. Benno Schmoldt jetzt zum Lehrbeauftragten und blieb dies bis zu seiner Berufung 1976 als Professor an die PH Berlin. Die beiden »Abteilungen«, wurden ebenfalls von einem Ordinarius mit beigegebenen Assistenten geleitet: Furck leitete die für Sozialpädagogik, Borinski zusammen mit Joachim Dikau die Erwachsenenbildung. Dieser war 1967 an der Wi-So-Fakultät von Borinski und Blankertz über das Thema »Wirtschaft als Lehrgebiet der Volkshochschulen in Deutschland« promoviert worden. Beiden Bereichen, der Wirtschaftspädagogik wie der Erwachsenenbildung ist er verbunden geblieben. Der Stil des Umgangs und die wissenschaftlichen Fragestellungen blieben bis in die Zeiten der »Studentenbewegung« hinein und darüber hinaus weitgehend von Borinski geprägt. Er hat 18 Promotionsverfahren betreut, weit mehr als seine Kollegen. Zu seinem 65. Geburtstag erschien 1968, von Gerd Doerry in Verbindung mit G. Kiel und J. Dikau herausgegeben, die Festschrift »Politische Bildung in der Demokratie« (Colloquium Verlag Berlin) und gleichzeitig die bereits erwähnte Sammlung früherer Aufsätze, herausgegeben von J. Ehrhardt, H. Keim und D. Urbach. Währenddessen gingen die Aktivisten für eine »radikal demokratisierte Hochschule« (so Borinski) im Sommer 1967 mit einem »Provisorischen Ver-

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zeichnis« für eine »Kritische Universität« in die Offensive, angeführt von dem eben von Borinski promovierten Reinhart Wolff. Der damalige Rektor der FU, Hans-Joachim Lieber, erbat darüber von dem Senatsbeauftragten für politische Bildungsarbeit, Borinski, ein Gutachten, das er mit den Professoren Knauer und Löwenthal erstattete. Dieses veranlaßte den Rektor, dem studentischen Programm die Nutzung der Räume der FU zu untersagen. Eine Zwölf-Punkte-Erklärung von 50 Hochschullehrern hielt dagegen »vorerst administrative Maßnahmen gegen die Kritische Universität für unangebracht«. Zu den Unterzeichnern gehörten auch Blankertz, Furck und Lennert (Dokument 802 in: FU 1948–1973, Teil V, 1983). Peter Szondi kritisierte das Gutachten als eines »in eigener Sache«, denn es verteidigte Borinskis eigene Bemühungen um »die Studienreform, um die politische Bildungsarbeit und um die Erwachsenenbildung«, die er durch das Gutachten vor `radikaldemokratischer` Indoktrinierung schützen wollte (ebda. Dokument 800). Rückblickend sah Borinski sich deshalb 1977 herausgefordert zu einem Vergleich seines politischen Protests von 1927 im »Leuchtenburgkreis« mit dem Protest der Studenten von 1967 in dem von ihm und anderen »Leuchtenburgern« herausgegebenen Buch »Jugend im politischen Protest« (S. 162–170). Am EWI, dessen Lehrangebot in dieser Zeit noch hauptsächlich von »Begleitfach«-Studenten wahrgenommen wurde, schlug sich der Reformwille zunächst lediglich in der Einrichtung eines »Plenum« nieder. Es sollte lt. Protokoll vom 6.7.1967 Einfluß nehmen auf von Borinski bzw. Lennert geleiteten Fakultätsausschüsse für das Grund- und Begleitstudium, auf die Ausschüsse zur Studienreform und zur Reform der Prüfungsordnungen. Von den 34 zum Plenum Eingeladenen waren 6 Studenten. Diese bahnten durch eine Fragebogenaktion eine Kommentierung der Lehrangebote an, was sehr viel später, im Fachbereich 12, zur Regel wurde (Bibliographie FU 1948–1974 Nr. 451f.). Gleichzeitig bemühte sich Saul B. Robinsohn (1916–1972) um eine Aufwertung der Lehrerausbildung. Ihr suchte er durch sein Buch »Bildungsreform als Revision des Curriculum« (1967) und die Wiederbelebung der Diskussion um eine »Pädagogische Fakultät« in der »Zeit« (26.1./2.2.1968) Nachdruck zu verleihen. Er war vom Hamburger UNESCOInstitut für Pädagogik 1964 an das MPI für Bildungsforschung gekommen und wurde als Honorarprofessor für Vergleichende Erziehungswissenschaft am EWI tätig. Mit seinen Kollegen aus dem MPI, Goldschmidt und dem Schulforscher Wolfgang Edelstein, beteiligte er sich im Winter 1968 auch an der von Furck organisierten Ringvorlesung zu Problemen der Didaktik. Auf diesem Feld wurden jetzt auch die Mathematiker mit Lehrangeboten zur Mathematikdidaktik aktiv (Liermann/Letzner). Borinski hatte zusammen mit dem für die Hochschulpolitik verantwortlichen Senator, Prof. Werner Stein, im Oktober 1967 »Leitsätze für die Berliner Hochschulpolitik« für die Beschlußfassung im SPD-Landesvorstand vorbereitet. Dort war vom »Abbau überalterter hierarchischer und oligarchischer

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Strukturen« die Rede und von einer Demokratisierung, die es der Studentenschaft ermöglichen sollte, sich als »mitbestimmender Teil der Universität« zu empfinden, nicht als eine Art `klassenkämpferischer` Gegner (Dokumentation V, S.48). Der Abbau hierarchischer Strukturen sollte sich auch auf das Verhältnis der FU zur PH beziehen. Der Status einer »wissenschaftlichen Hochschule«, von der PHB mit Promotions- und Habilitationsrecht angestrebt (und 1975 erreicht), sollte nun durch paritätisch von PH und FU besetzte Berufungskommissionen vorbereitet werden. Bei der expansiven Politik der Stellenbesetzungen (die »Zeittafel« für 1972 nennt für dieses Jahr 29 neue Professorenstellen(!) in: Beiträge zur Geschichte der PHB, 1980, S. 50) erwuchs daraus eine große zeitliche Belastung vornehmlich für die Erziehungswissenschaftler, denn auch an der PHB sollte der Diplom-Studiengang für Erziehungswissenschaft eingerichtet werden. Dazu kam noch der weiterhin praktizierte Austausch in den Lehrangeboten zwischen den Hochschulen. Furck warb als Vorsitzender des Fachausschusses der KMK und der Westdeutschen Rektorenkonferenz für die Einführung des DiplomStudienganges für Erziehungswissenschaft im April 1967 auf einer Tagung der »Westdeutschen Universitätspädagogen« in Berlin um die Zustimmung auch dieses Gremiums für eine solche Neuerung. Zudem konnte Borinski auf der Folgekonferenz in Göttingen 1968 die Anerkennung von »Erwachsenenbildung« (EB) als Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Forschung und Lehre durchsetzen. So darf wohl von einem sehr wesentlichen Beitrag der FU zur Entwicklung dieses Studienganges gesprochen werden. Zusätzlich sprachen die Erfahrungen von E. G. Skiba dafür, daß sich die Sozialpädagogik als weitere Studienrichtung etablieren würde, hatte er doch in Hamburg an der Initiative von Curt Bondy zu einem »sozialpädagogischen Zusatzstudium« mit den Schwerpunkten »Arbeit mit Einzelnen«, »Arbeit mit Gruppen« mitgewirkt. Die DPO für Erziehungswissenschaft trat für die FU dann am 21.8.1969 in Kraft. Sie bescherte in den auf 1970 folgenden 3 Jahren der Erziehungswissenschaft die größte Zuwachsrate an Hauptfachstudenten an der FU: von 512 auf 1844 Einschreibungen im Sommer 1973 (Dokumentation VI, S. 14) . Die personellen und räumlichen Voraussetzungen für die Einrichtung des neuen Studienganges wurden aber keineswegs geschaffen. Lediglich eine Diplom-Psychologin, Christine Holzkamp, bot Lehrveranstaltungen in Empirie/Statistik an, die von der Prüfungsordnung im Grundstudium gefordert wurden. Später sind die Übungen in Statistik von »Teilzeitassistenten« und »wissenschaftliche Tutoren« durchgeführt worden. Denn auch am EWI wurde die von Brigitte Berendt propagierte Entwicklung vom studentischen zum wissenschaftlichen Tutor begrüßt. Ein Colloquium zur Hochschuldidaktik hatte im Winter 1968/69 dieses Feld den Erziehungswissenschaftlern erschlossen. Einführungen in empirische Forschungsmethoden wurden 1968

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auch von Hans-Ludwig Freese angeboten, der als Psychologe vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über »integrierte Gesamtschulen« an Untersuchungen für seine Dissertation über »Schulleistungsrelevante Merkmale der häuslichen Erziehungsumwelt von Jungen und Mädchen der 7. Klasse eines Gymnasiums« arbeitete. Er wirkte auch an den »Schulpädagogischen Übungen« mit, deren Weiterführung durch die Ernennung von Peter Nusser, einem Assessor des Lehramts, zum Assistenten weiter abgesichert wurde. Furck richtete für die Sozialpädagogen die erste Ringvorlesung ein, für die er auf Mitarbeiter aus dem PZ rechnen konnte, deren Dissertationen er betreute und teilweise als »Veröffentlichungen des PZ« bei Beltz verlegen ließ. Kurt Spangenberg, der seine Dissertation über »Gruppendynamik« bereits 1968 abgeschlossen hatte, dann Helmut Kentler (Jugendtourismus / Sexualpädagogik), Gustav Grauer / Hartmut Lüdtke (Jugend-Freizeitheime), Jürgen Zinnecker (weibliche Schülerrolle und Emanzipation der Frau), Bruno Schonig (kritische Einschätzung der historischen Darstellungen der Reformpädagogik), Franz Wellendorf (Sozialpsychologie der Schule). Sie alle machten sich in den bezeichneten Themenbereichen, die von der Studentenbewegung diskutiert wurden, einen Namen. Im Unterschied dazu galten die von Borinski betreuten Dissertationen der Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland (Bozek, Dikau, Klaus Meyer, Sobisiak, Urbach, Frau Pacher, Bicker) und England (Wolff, Frau Hecker) oder behandelten Erziehungsprobleme anderer Kulturen (Abir, Dagne, Liegle). Erst mit der Untersuchung über die »NS-Ordensburgen« (1967) von Harald Scholtz und der 1968 abgeschlossenen Dissertation von Johannes Ehrhardt über »Erziehungsdenken und Erziehungspraxis des Nationalsozialismus« begann die Erforschung der Problematik jener Zeit aus bildungshistorischer Perspektive. Scholtz, der als Akademischer Rat die Geschäftsführung am EWI in der Zeit des Plenums übernommen hatte, erhielt 1969/71 ein Habilitandenstipendium für die Darstellung der »NS-Ausleseschulen, Internatsschulen als Herrschaftsmittel des Führerstaates«. Das 1973 erschienene Buch hat Blankertz später in seiner »Geschichte der Pädagogik« als eine Untersuchung bezeichnet, »die als Einführung in den Gesamtzusammenhang der faschistischen Pädagogik gelesen werden kann« (1982, S. 314). Auch am Diskurs über die DDR-Pädagogik hat sich das EWI mit den Arbeiten von Voelmy (1968) und Mende (1970) beteiligt. Schon 1966 war durch die Dokumentation von Siegfried Baske (zusammen mit Frau Engelbert vom PZ), »Zwei Jahrzehnte Bildungspolitik in der Sowjetzone Deutschlands« vom OEI aus dieses Feld der Forschung erschlossen worden. Von den beginnenden Turbulenzen an der FU ließen sich zwei Professorinnen aus den USA nicht abschrecken, ein Semester in Berlin zu lesen: Sonja Karsen, die Tochter des Berliner Schulreformers Fritz Karsen, über den Gerd Radde (als Assistent von Wilhelm Richter und betreut von Rudolf Lennert) ein 1973 veröffentlichtes Buch schrieb, sowie Ursula Springer, die mit

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Saul Robinsohn »Curriculumreform international« diskutierte. Die Lehrangebote zur Jugendpsychiatrie von den Professorinnen der PH wurden jetzt von Klauspeter Hartmann und Waltraud Balla weitergeführt, zeitweilig ergänzt durch den Tiefenpsychologen Josef Rattner. Bei der Planung der Umstrukturierung der Universität ergaben sich bei den Psychologen unterschiedliche Optionen für den Fachbereich »Philosophie und Sozialwissenschaften« bzw. den für »Erziehungswissenschaften«. Darüber wird an anderer Stelle berichtet. Die am 20. Mai 1970 vom Kuratorium genehmigte Teilung der Psychologie hatte für das »EWI« zur Folge, daß es als Protest gegen diese Teilung zum ersten Mal »besetzt« wurde. Später ist das »Institut für Psychologie im Fachbereich 12« im »Scherk-Haus« in Steglitz untergebracht worden; es ist dann nur noch auf der Ebene des Fachbereichsrates zu einer Zusammenarbeit gekommen. Mit der Neugliederung endeten auch die Senatsausschüsse, deren Vorsitz Borinski, Lennert und Flügge innegehabt hatten. Noch vor den großen strukturellen Veränderungen des Jahres 1970 erlebte die 1965 gegründete »Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft« im April 1970 auf ihrem Kongreß in Berlin die politische Brisanz bildungspolitischer Entscheidungen, als sogar Schüler gegen den Rücktritt des für Schulen zuständigen Senators Evers demonstrierten.

D. Die Differenzierung der Erziehungswissenschaften und die Lokalisierung der »Allgemeinen Erziehungswissenschaft« in der Wissenschaftlichen Einrichtung 4 (WE 4)

Die Aufteilung in Fachbereiche und »Wissenschaftliche Einrichtungen« (WE) brachte eine institutionelle Trennung der früheren »Abteilungen« Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung als WE 3 von der (Allgemeinen) Erziehungswissenschaft und Schulpädagogik (WE 4) sowie von der Wirtschaftspädagogik (WE 2), deren Leitung von dem 1974 zur FU zurückgekehrten Joachim Dikau übernommen wurde. Er hatte, im Sinne der Anliegen von Borinski, den »Arbeitskreis universitäre Erwachsenenbildung« (AUE) mit begründet. Einen Einblick in die ›bewegte‹ Geschichte des Instituts für Wirtschaftspädagogik bietet für diese Zeit M. Ehrke in der Festschrift für Joachim Dikau, »In Bewegung« (AUE, Bielefeld 1994 S. 41 f). Diese WE wie auch die WE 1 (Leibeserziehung und Sportmedizin), die unter Peter Goeldel und Harald Mellerowicz nie die Diskussion mit den Pädagogen gesucht hatte, sowie die bereits erwähnte WE 5 (Institut für Psychologie am Fachbereich 12) werden in der weiteren Darstellung nicht mehr berücksichtigt. Furck hatte als Vorsitzender des Fachbereichs allen Grund, sich im Winter 1970 über die Vernachlässigung der Erziehungswissenschaft (und die räumliche Enge) zu beschweren, zumal die Emeritierung seiner Kollegen Borinski und Lennert, 1973 auch Flügges, in Aussicht stand. Zwar hatten sich Sieg-

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fried Baske und Gerhard Kiel habilitiert, doch ging Kiel als ordentlicher Professor für Pädagogik an die Hochschule für Musik, nahm an der FU aber weiter seine Privatdozentur wahr. Baske blieb weiterhin dem OEI verpflichtet, engagierte sich aber auch am Fachbereich 12, als Nachfolger von Furck sogar als dessen Vorsitzender. Von den Akademischen Räten nutzten Freese, Hopf und Scholtz, von der WE 3 Doerry und Skiba die Änderungen im Hochschullehrerrecht durch das Fachhochschulgesetz vom 27.11.1970, um sich 1971 zu Professoren ernennen zu lassen. So stellte einen echten Zugewinn im Lehrkörper nur Roland Reichwein dar, der die neu geschaffene Position eines Assistenzprofessors einnahm, bald gefolgt von Hansjörg Scheerer und Gerhard Arneth. Dieser war zusammen mit Frau Furck-Peters Assistent von Furck gewesen. Als Assistentinnen wurden neben ihr und der bereits erwähnten Frau Holzkamp noch Irmtraud Roeder und Hilde Schramm am EWI tätig. An der WE 3 wurde der 1970 promovierte Josef Olbrich Assistenzprofessor, als Assistent gab Gerhard Breloer dem Thema »Altenbildung« in der Erwachsenenbildung ein Profil. Den hochfliegenden Plänen des Jahres 1970 zum Ausbau des Instituts, nahe den Krohschen Planungen, stand zunächst die bereits erwähnte Entscheidung des politischen Senats entgegen , die Professuren an der PHB auszuweiten. So kam es 1973 nur zur Wiederbesetzung der Professur von Lennert durch Bernhard Schwenk (1928–1992), der sich mit einer bildungshistorischen Untersuchung: »Unterricht zwischen Aufklärung und Indoktrination« empfahl, und zur Einrichtung einer Professur für Soziologie der Erziehung für Hans Oswald. Er hatte sich 1968 als Pionier der Erforschung der »Jugend zwischen Auflehnung und Anpassung« (im 1973 von Wehling herausgegebenen Sammelband S. 116–147) erwiesen. Ebenfalls für Soziologie der Erziehung wurde als Ass. Prof. Peter Büchner zuständig, später Hans-Christian Harten. Die Einrichtung von »Fachdidaktischen Proseminaren« innerhalb des Lehrangebots der WE (für den Lateinunterricht durch Andreas Fritsch, für Deutsch durch Peter Schulz-Hageleit, der 1972 über seine Untersuchung »Denkerziehung im Geschichtsunterricht« bei Flügge promoviert wurde) kündigte bereits 1970/71 die Bemühungen um eine »integrierte Lehrerbildung« an, durch welche die fachdidaktischen Lehrangebote von FU und PHB zusammengeführt werden sollten. Daß der Schwerpunkt der Angebote noch in der Lehrerausbildung liegen mußte, erhellt die Zahl der Prüfungen im SS 1974. 17 Diplomprüfungen standen 146 »Allgemeine Prüfungen« von Lehramtsstudenten in Erziehungswissenschaft (und Philosophie) gegenüber. Doch auch eine enge Zusammenarbeit bei der Studienplanung zwischen WE 3 und 4 war geboten. Die langwierige Arbeit an den Studienplänen für den Magister- und Diplomstudiengang, insbesondere in den Sektionen Erwachsenenbildung, Sozialpädagogik, Schulpädagogik (Bildungsberatung, Curriculum) und betriebli-

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ches Ausbildungswesen im Hauptstudium wurde ebenso in Angriff genommen wie die Kommentierung der Lehrangebote. Die 1964 eingeführte Stufung in Pro-, Mittel- und Hauptseminare gab man jedoch 1972 wieder auf, weil sie der Tatsache nicht gerecht wurde, daß die Nachfrage der »Begleitfach«-Studenten noch immer überwog. Dieses Dilemma beeinträchtigte auch die Unterscheidung in Grund- und Hauptstudium, die sowohl für den Diplom-Studiengang wie für den (weiter beibehaltenen) Magister gelten sollte. Letzterer wurde immer weniger nachgefragt. Als eine Qualifikation für die Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bot sich zudem der Weg über eine Tätigkeit als »wissenschaftlicher Tutor« an. So fanden etwa DiplomSoziologen wie Heinz-Otto Gralki, Helmut Lukas und der Diplom-Kaufmann Folker Schmidt über Tutorien zur Empirie/Statistik ihren Weg zur Erziehungswissenschaft. Für das SS 72 waren als Hauptfachstudenten im Diplom- und Magisterstudiengang 1073 (nach der Universitätsstatistik sogar 1346) Studierende gemeldet, davon 413 im Hauptstudium in der WE 3. Für die zusätzliche Belastung durch die »Begleitfach«- Studenten bot erst die »Kapazitätsverordnung« von 1976 einen Berechnungsmodus an. Danach waren im SS 76 die 6581 für das Studienziel eines Lehramtes Eingeschriebenen zu einem Zehntel auf das Lehrdeputat anzurechnen, also wie 658 Hauptfachstudenten. Das wurde der Tatsache nicht gerecht, daß viele von ihnen die bereits erwähnten Schulpädagogischen Übungen durchliefen und alle für die Allgemeine Prüfung im Teilbereich Pädagogik vorzubereiten waren. Es ist also nicht übertrieben, von 1500 Studenten auszugehen, für die Übungen und Seminare vornehmlich in den drei Räumen der Arnimallee 11 geplant werden mußten. Ausweichmöglichkeiten bot das J. F. Kennedy-Institut, 1973, nach ihrem Umzug in die Arnimallee 9, auch die Bibliothek. Bei den Sprechstunden in der Arnimallee 11 kam es zu großen Warteschlangen. Die Statistik der Belegungen für das SS 74 weist für die WE 4 für 64 Seminare/Übungen 3174 Belegungen aus (nicht gerechnet die Vorlesung von Furck mit 344 Belegungen), also im Durchschnitt 50. Auch von der WE 3 wurde diese erschreckende Zahl fast erreicht: 43! Die Liste der Veröffentlichungen aus den Jahren 70–73 kann sich dennoch sehen lassen: sie weist von den 16 Professoren und Mitarbeitern der WE 4 47 Titel auf. Vorausgegangen war eine längere Beurlaubung von Flügge und Furck sowie von dessen Frau, was darauf hindeutete, daß im Lehrbetrieb mit beiden Ordinarien fortan nicht mehr zu rechnen war. Furck wurde von dem Göttinger Werner Hillebrecht (als Studienrat im Hochschuldienst) vertreten. Den Vorsitz im Fachbereich übernahm, wie bereits erwähnt, Baske. Er vertrat als ordentlicher Professor weiterhin die Vergleichende Erziehungswissenschaft, unterstützt von Uwe Bach und von Robinsohns Mitarbeiter Detlef Glowka, der sich über seine Forschungen zu »Schulreform und Gesellschaft in der Sowjet-Union 1958–1968« im Jahr 1972 habilitierte. Die Nachfolge von Kiel

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trat 1974 Gudrun Schiek aus Gießen an, die erste Professorin am Institut. Sie hatte durch die Thematisierung der Geschlechterfrage große Resonanz. Für die Organisation und wissenschaftliche Orientierung des pädagogischen Studiums der Lehrerstudenten (offiziell »Schulamtsbewerber«) wurde Klaus Riedel berufen. Er hat es in der Folgezeit verstanden, neben den »Schulpädagogischen Übungen«, die bisher nur durch einen aufwendig reproduzierten »Reader«: »Texte zur Schulpädagogik« miteinander verbunden waren, ein »Erziehungswissenschaftliches Orientierungsprojekt« zusammen mit G. Sattler zu entwickeln. Zu den Lehrveranstaltungen kamen bei der Begleitung des Praktikums Schulbesuche hinzu als eine der vielen Betätigungen »extra muros«, wie auch die wissenschaftliche Begleitung von Gesamtschulen. Erziehungswissenschaftler waren außerdem in Beiräten gefragt (etwa für Funkmedien oder in der Landeszentrale für politische Bildung), in der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz, beim Aufbau der Förderung für hochbegabte Kinder, im neu eingerichteten Schulvikariat der Evangelischen Kirche. Daneben gab es die hochschulinternen Ausschüsse wie Baukommission, die bereits erwähnten Berufungskommissionen an der PHB oder den in jenen Jahren aktuellen »Gesamthochschulrat«. Die wissenschaftliche Leitung unserer rasch wachsenden Bibliothek hatte Freese von Kiel übernommen. Das hochschulpolitische Engagement von Siegfried Baske brachte ihm nicht nur das Amt des Vizepräsidenten für Studienreform und die Integration der Lehrerbildung ein, sondern auch die Kandidatur für die Wahl des Präsidenten der FU, die 1976 jedoch auf den Germanisten Eberhard Lämmert fiel. Bernhard Schwenk übernahm dann als Vizepräsident die Aufgaben, die sich aus der in Aussicht genommenen Auflösung der PHB ergaben. Ein Anzeichen für die Entspannung im Verhältnis der FU zum Wissenschaftlichen Landesprüfungsamt kann darin gesehen werden, daß Referenten dieses Amtes (P. Gaude und J. Kamratowski) zu Lehrbeauftragten für Schulpädagogik wurden. Die Ausbildung der Schulpädagogen erhielt im übrigen durch die Bestellung eines Rechtsanwaltes, Klaus Dethloff, zum wissenschaftlichen Assistenten einen neuen Akzent (Schulrecht), der zuvor durch Ingo Richter nur sporadisch vorhanden war. Einen anderen neuen Akzent setzte 1974 die »Zentraleinrichtung Sprachlabor« durch Angebote zur Didaktik des fremdsprachlichen Unterrichts. 1974 entspannte sich auch die Raumsituation etwas. Die Verwaltung des Fachbereichs sowie die WE 3 konnten in die Arnimallee 12 einziehen, größere Vorlesungen konnten in der »Rostlaube« im Hörsaal 2 stattfinden. So auch die noch von Furck organisierten Ringvorlesungen. Für seinen Nachfolger Jürgen Raschert war das Umfeld nicht neu, zählte er doch wie auch Lothar Krappmann schon lange zu den Lehrbeauftragten aus dem MPI für Bildungsforschung, ebenfalls Peter-Martin Roeder, der 1978 zum apl. Professor ernannt wurde. Nicht nur die Zahl der Lehrbeauftragten nahm ständig zu, auch

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die der wissenschaftlichen Mitarbeiter. 1979/80 gab es für die 18 Professoren am Institut 33 wissenschaftliche Mitarbeiter unterschiedlicher Kategorien. Die große Schar der im Feld Empirie/Statistik arbeitenden Assistenzprofessoren, Assistenten und Tutoren erhielten einen Leiter in dem aus Trier kommenden Hans Merkens, dessen »Statistik für Pädagogen« 1975 erschienen war. Seine Abteilung »Empirie/Statistik« gliederte sich räumlich ebenso aus (Iltisstraße 7) wie die Abteilung »Bildungspolitik« von Jürgen Raschert (Habelschwerdter Allee 37) und die für »Erziehungs- und Bildungstheorie« des aus Münster berufenen Dieter Lenzen (Arnimallee 10). Gleichzeitig zog die Fachbereichsverwaltung in das Haus Kiebitzweg 19 um. Damit schien das einstige »EWI« nicht nur räumlich in Teilrepubliken zu zerfallen, bevor die Auflösung der PHB neue institutionelle Strukturen erforderlich machte. Dieser Tendenz suchte das Direktorium der WE 4 entgegen zu wirken, sowohl durch Einführungsveranstaltungen für die einzelnen Studiengänge und durch verstärkte Studienberatung. Dabei bestand freilich das Handicap, daß der Studienplan noch immer nicht vom politischen Senat abgesegnet war. In der Gliederung des Lehrangebots war er jedoch schon existent. Jeder Professor sollte in seinem Lehrangebot einen Beitrag zu folgender Gliederung leisten: 1. Einführungen, 2. gesellschaftliche Bedingungen von Sozialisations- Erziehungs- und Unterrichtsprozessen, 3. Theorie und Geschichte von Erziehung und Bildung einschließlich Vergleiche, 4. Wissenschaftstheorie und Forschungsmethoden. Im Hauptstudium der Studienrichtung Schule waren außerdem die Wahlpflichtfächer »Curriculum und Unterricht« oder »Schülerberatung, Bildungsberatung« zu berücksichtigen. Auch in der WE 3 machte sich eine ähnliche Dynamik bemerkbar. Ihr war bereits 1976 die »Arbeitsstelle Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung« mit Brigitte Berendt als Leiterin zugeordnet worden, welche mit einem eigenen Beitrag in diesem Band vertreten ist. Außerdem wurde eine »Familienberatungsstelle« eingerichtet. Dazu kam 1979 durch die Berufung von Kuno Beller noch eine Abteilung für Kleinstkindpädagogik. Beller hatte nämlich seit 1976 ein Fortbildungsprojekt in Sachen Kinderkrippe entwickelt und wurde darin vom Senat der Stadt unterstützt. Aus der Sicht eines Sozialpädagogen hat Wolfgang C. Müller in seinem Aufsatz »Von der Aufwertung pädagogischen Studiums und pädagogischer Berufe im Berlin der 70er Jahre« unter dem Titel »einmal Marx – einmal Bernfeld« das damalige »Projektstudium« im Zusammenhang mit den von Beller angeregten »Eltern-InitiativKindergärten« geschildert (Beller, 1992, S.143–154).

Verkürzt zitierte Literatur:

Schuppan, Sören, Berliner Lehrerbildung nach dem 2. Weltkrieg, 1990 Hesse, Alexander, Die Professoren und Dozenten der preußischen Pädagogischen Akademien (1926–1933) und der Hochschulen für Lehrerbildung (1933–l941). Weinheim 1995

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Waterkamp, Dietmar / Robert Ulich, Ideal Universalism. A German Emigrants Contribution to Educational Studies in USA. In: History of Educational Studies. Paedagogica Historica, Supplementary Series III,1. Gent 1998 Fritz Borinski, zwischen Pädagogik und Politik – ein historisch-kritischer Rückblick (hrg. von Jelich und Haußmann) = Geschichte und Erwachsenenbildung 12, Essen 2000 Universitäre Erwachsenenbildung in Berlin, hrg. von F. Borinski, 1971 Pädagogik in Selbstdarstellungen, hrg. von L. Pongratz II, Hamburg 1976, III 1978 Dokumentation FU Berlin, Hochschule im Umbruch 1948–1973, Teil V, 1967–1969, Teil VI, 1969–1973. Bibliographie FU Berlin 1948–1974. (Dokumentation 1973) Abhandlungen aus der PH Berlin VI, Beiträge zur Geschichte der PHB, Berlin 1980 In Bewegung. Dimensionen der Veränderungen von Aus- und Weiterbildung. Festschrift für J. Dikau, hg. von A. Fischer und G. Hartmann, AUE Bielefeld 1994 Beller 1992, Berlin und pädagogische Reformen, hg. von Kuno Beller, Berlin 1992

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Seit 1980 durchlief die Erziehungswissenschaft der FU hinsichtlich der personellen, disziplinären und strukturellen Entwicklung zwei völlig gegensätzliche Phasen. Einer außerordentlichen Expansion folgte eine stetig fortschreitende Reduktion. Die umfangreiche Erweiterung resultierte aus dem schon 1974 beschlossenen »Gesetz über die Schaffung der institutionellen Voraussetzungen der integrierten Lehrerausbildung in Berlin«, das nach mehrjährigen Verhandlungen über die Modalitäten seiner Realisierung am 1. April 1980 vollzogen wurde. Die Zahl der Pädagogik-Professoren mit vollem Lehrauftrag erhöhte sich damit in der FU sprunghaft von 19 auf 62 (Vorlesungsverzeichnis der FU SS 1980, S. 336.). Die Integration der PH-Professoren wurde ebenso wie die der Wissenschaftlichen Mitarbeiter und der etwa 3000 Studierenden ohne große Schwierigkeiten reibungslos verwirklicht. Sie verteilten sich im Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften auf nunmehr sechs wissenschaftliche Einrichtungen (WEen) bzw. Institute, und zwar 1. für Allgemeine und Vergleichende Erziehungswissenschaft mit 14 Professoren, 2. für Allgemeine Unterrichtswissenschaft mit 22 Professoren, 3. für Organisation, Verwaltung und Interaktion im Bildungswesen mit 8 Professoren, 4. für Arbeits- und Berufspädagogik mit 3 Professoren, 5. für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung mit 7 Professoren, 6. für Sonder- und Heilpädagogik mit 9 Professoren. Diese WEn- und Institutsstruktur bestand zwei Jahrzehnte und wurde am 1. Oktober 2000 zugunsten einer Neugliederung in stärker differenzierte Arbeitsbereiche aufgegeben. Außerdem entstand 1980 mit der PH-Integration ein Zentralinstitut für Unterrichtswissenschaften und Curriculumentwicklung, dem neben Mitgliedern des Fachbereichs Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften Fachdidaktiker für einzelne Fächer und Lernbereiche angehörten. Vergeblich versuchten die Mitglieder des Zentralinstituts, der Universität gegenüber ihre wichtige Brückenfunktion nahe zu bringen. Der erste Strukturplan der FU von 1998 sah die Auflösung des Zentralinstituts vor, die kurz darauf erfolgte.

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Ansonsten schritt die Integration sowohl bei der gemeinsamen Arbeit in den Selbstverwaltungsgremien wie auch bei der Gestaltung der Lehr- und Forschungsaufgaben gut voran. Entsprechend den Disziplinen verteilten sich die Professoren auf die WEn derart, daß drei von ehemaligen PHProfessoren, zwei von ehemaligen FU-Professoren dominiert und zwei ausgeglichen besetzt waren. Ebenso kamen bei der Wahl der Dekane die ehemaligen PH-Professoren Tobias Rülcker, Heinrich Kemper und Gerd Hoff zum Zuge. Schon nach kurzer Zeit wurden die ehemaligen PH-Professoren Peter Hübner und Heinrich Kemper zu Vizepräsidenten der FU gewählt. Für die erziehungswissenschaftliche Lehre und Forschung der FU war die PH-Integration auch insofern ein Gewinn, als die Bibliothek der ehemaligen PH mit geringen Abgaben fast vollständig an den Fachbereich Erziehungsund Unterrichtswissenschaften verlagert wurde. Die verschiedenen Bibliotheken des alten Fachbereichs umfaßten etwa 40 000 Bände. Diese wurden mit rund 260 000 Bänden der PH vereint. Der dazu im Bereich der Silberlaube errichtete Neubau mit einer Gesamtfläche von 3 800 qm und 260 Arbeitsplätzen wurde 1984 fertiggestellt. Im Sinne der Integrierten Lehrerausbildung bestritten der Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften (später Erziehungswissenschaft und Psychologie) und das Zentralinstitut für Unterrichtswissenschaften und Curriculumentwicklung das gesamte erziehungswissenschaftliche Lehrangebot für die zukünftigen Lehrer aller Stufen der allgemein- und berufsbildenden Schulen, d.h. von der Grundschule bis zum Gymnasium und zur Berufsschule. Nach wie vor gehörten neben der Lehrerausbildung auch die Studiengänge für Diplom-Pädagogen sowie zum Magister Artium und Dr. phil. zum erziehungswissenschaftlichen Lehrangebot. Im Diplomstudiengang traten einige neue Studienrichtungen hinzu. So konnte nun gewählt werden: a) der Studiengang Diplom-Pädagoge mit den Studienrichtungen Erwachsenenpädagogik, Kleinkindpädagogik, Schulpädagogik (im SS 1993 eingestellt), Sonderpädagogik (bis 1992) oder Sozialpädagogik, b) der Magister Artium als erstes oder zweites Hauptfach bzw. als eines von zwei Nebenfächern und c) der Promotionsstudiengang zum Dr. phil. Die rasante Zunahme an Studenten im Fachstudium Erziehungswissenschaft in den 1980er Jahren drückt sich in dreistelligen Zahlen bei Neuaufnahmen aus. Erst mit der Einführung eines NCs (1992) sinken die Aufnahmezahlen in den unteren zweistelligen Bereich ab (SS 1980: 234; SS 1990: 200; SS 1995: 11). In der Lehrerausbildung erweiterte sich das Spektrum außerordentlich und umfaßte alle Lehrämter bis zur Ersten Wissenschaftlichen Staatsprüfung des – Lehrers (L1), – Lehrers mit fachwissenschaftlicher Ausbildung in zwei Fächern (L2),

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– Lehrers an Sonderschulen, – Studienrats (L4), – Studienrats mit einer beruflichen Fachrichtung. Letzterer wurde ebenso wie der Studiengang zum Diplom-Handelslehrer nach wenigen Jahren eingestellt. Die Warnung vor der Aufnahme eines Lehramtsstudiums in den 1980er Jahren läßt sich in den absoluten Zahlen der Lehrerstudenten (L1, L2, L4) im ersten Fach ablesen (SS 1980: 7 157, SS 1990: 4 513, SS 1995: 4 222). Entsprechend der Empfehlung der Landeshochschulstrukturkommission vom November 1992 wurde die gesamte Sonderpädagogik von der FU an die Humboldt-Universität verlagert. In den 1990er Jahren begann die aus ständig steigenden Sparzwängen resultierende Praxis, freiwerdende Professuren in der Regel nicht mehr neu zu besetzen. So verringerte sich die Zahl der Erziehungswissenschaftler bis 2000 auf 30 und bis zum Sommersemester 2004 auf 22 Professuren. Der im April 2004 beschlossene Struktur- und Entwicklungsplan der FU sieht sogar die Reduktion auf 14 erziehungswissenschaftliche Professuren und zwei Juniorprofessuren vor. Die im einzelnen erst noch von einem systematischen Ansatz her zu definierenden Disziplinen sollen sich auf folgende vier Bereiche konzentrieren: – Allgemeine Fachrichtung, – Schule, – Grundschule und – Außerschulische Bildung und Erziehung. Mit dem Wintersemester 2004/05 tritt an die Stelle des Diplom- bzw. Magister-Studienganges weitgehend der eines Bachelor-Studienganges »Bildung, Erziehung, Qualitätssicherung«. Darauf aufbauende Masterstudiengänge werden derzeit entwickelt. Seit den 1980er Jahren wurden der Erziehungswissenschaft in den Forschungsberichten der FU-Präsidenten, der zuständigen Dekane und Kommissionen – gestützt auf inner- und außeruniversitäre Vergleiche – überdurchschnittliche Forschungsaktivitäten und steigende Einwerbungen von Drittmitteln bescheinigt. Als das Volumen der eingeworbenen Drittmittel im Jahre 1991 auf 3 644 392 DM anstieg, verfügte der Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften über den größten Drittmittelanteil unter allen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachbereichen der FU (6. Forschungsbericht 1988–1991, S. 36). Im Jahre 2000 wurden für die Durchführung von Einzelprojekten sogar über 5 Mio. € eingeworben (8. Forschungsbericht 1996–2001). Seit 1993 stand das Fach Erziehungswissenschaft der FU auf Platz 1 der Rangliste sämtlicher deutscher Universitäten (Forschung an der Freien Universität Berlin. Berlin 1993). Die Forschungsprojekte umfaßten inhaltlich ein breites Spektrum erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen. Wie der von E. K. Beller herausge-

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gebene erziehungswissenschaftliche Forschungsbericht für die 1980er Jahre zeigt, reichten die Themen von der Vorschulerziehung über alle Schulstufen und -typen bis zur Erwachsenenbildung. Von den einzelnen Disziplinen waren vor allem die Allgemeine, Historische, Vergleichende und die Empirische Erziehungswissenschaft sowie die Sozialpädagogik und die Pädagogische Anthropologie beteiligt (E .K. Beller, Weinheim 1989). Die weitaus bedeutendste Publikation der 1980er Jahre, für die über 6 Mio. DM eingeworben wurden, war die von Dieter Lenzen herausgegebene »Enzyklopädie Erziehungswissenschaft, Handbuch und Lexikon der Erziehung«. Sie erschien von 1982 bis 1986 in zwölf großformatigen Bänden von jeweils über 700 Seiten. Nicht als Abbildung der Disziplin-Struktur, sondern problemorientiert konzipiert, behandeln die ersten fünf Bände Fragen, die den Prozeß der Erziehung generell betreffen (Theorien und Grundbegriffe der Erziehung und Bildung, Methoden der Erziehungsforschung, Ziele und Inhalte der Erziehung und des Unterrichts, Methoden und Medien der Erziehung und des Unterrichts, Organisation, Recht und Ökonomie des Bildungswesens), während sich die weiteren Bände jeweils auf eine bestimmte Phase des Erziehungsprozesses konzentrieren (Erziehung in früher Kindheit, im Primarschulalter, im Jugendalter, zwischen Schule und Beruf, Ausbildung und Sozialisation in der Hochschule sowie Erwachsenenbildung). Eine herausragende Bedeutung erfährt die Enzyklopädie auch dadurch, daß sie bei allen Problemen internationale Entwicklungen berücksichtigt. Von den weiteren lexikalischen Veröffentlichungen ist vor allem das »Wörterbuch der Erziehung« von Christoph Wulf hervorzuheben. Es erschien bis 1989 bereits in sieben Auflagen. In den 1990er Jahren verbreiterte sich zunehmend die multidisziplinäre Teamarbeit, an der teilweise auch Wissenschaftler anderer Universitäten und Forschungsstätten mitwirkten. Im Forschungsbericht des FU-Präsidenten 1993/94 wurde unter den herausragenden Forschungsleistungen das von der DFG geförderte Projekt »Bildung und Schule im Transformationsprozeß von SBZ, DDR und neuen Ländern – Untersuchungen zu Kontinuität und Wandel« genannt, an dem Erziehungswissenschaftler der FU, der Humboldt-Universität (HU), der Technischen Universität und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung beteiligt waren und das von Hans Merkens (FU) und Dietrich Benner (HU) geleitet wurde. Es gliederte sich in sieben Teilprojekte mit vier historischen und drei empirischen Forschungsvorhaben. Das bedeutendste und am höchsten dotierte erziehungswissenschaftliche Forschungsprojekt war und ist das auf Empfehlung des Wissenschaftsrates eingerichtete »Interdisziplinäre Zentrum Lehr-/Lernforschung« (IZLL). Es hat, nachdem es seit dem Ende der 1990er Jahre unter der Leitung von Hans Merkens vorbereitet wurde, Anfang 2002 seine Arbeit aufgenommen. Es gehört mit bisher 14 Mio. € Drittmitteln zu den drittmittelstärksten Bereichen der FU und koordiniert u.a. im Auftrag der Bund-Länder-Kommission das

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von Gerhard de Haan geleitete, bundesweite Forschungsprojekt »Demokratie leben und lernen« (FU-Nachrichten 5–6/2002). Gerhard de Haan leitet seit 1999 auch die in seinem Arbeitsbereich Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung verankerte Koordinierungsstelle des Programms »21« der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK). Das Programm, das in den ersten vier Jahren mit 13 Mio. € vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, verfolgt das Ziel, »neue Lernkonzepte zur Nachhaltigkeit für allgemeinbildende Schulen« zu entwickeln und systematisch zu erproben. Das BLK »21«, an dem rund 200 Schulen aus 15 Bundesländern beteiligt sind, basiert auf drei Unterrichts- und Organisationsprinzipien: Innovation, Partizipation und Interdisziplinarität (Pressedienst Wissenschaft der FUB 20/2004). Die Ergebnisse der Forschungsprojekte wurden nicht nur in internen Arbeitsberichten fixiert, sondern auch in zahlreichen Aufsätzen, Monographien und Sammelbänden sowie in – von einzelnen oder mehreren Wissenschaftlern herausgegebenen – Publikationsreihen veröffentlicht. Was die Anzahl der Publikationen seit 1980 betraf, waren Dieter Lenzen und Christoph Wulf mit jeweils über 400 Titeln Spitzenreiter. Vielbändige Publikationsreihen gaben entsprechend ihren Forschungsschwerpunkten heraus: Siegfried Baske, Gerhard de Haan, Peter Hübner, Hans Merkens, Tobias Rülcker, Benno Schmoldt, Michael-Sören Schuppan und Christoph Wulf. Das publizistische Engagement zeigte und zeigt sich schließlich auch in der Mitherausgabe von erziehungswissenschaftlichen Zeitschriften (Forschung an der Freien Universität Berlin. Berlin 1993). Das hochschulpolitische Engagement der Erziehungswissenschaftler manifestierte sich vor allem in der Übernahme wichtiger Positionen in der Selbstverwaltung. Dies gilt für das Amt des Präsidenten der FU durch Dieter Lenzen und galt in den 1980er und 1990er Jahren für Vizepräsidentenämter durch Peter Hübner, Heinrich Kemper, Christine Keitel-Kreidt und Dieter Lenzen. Die Bereitschaft zu überregionaler Verantwortung zeigten u.a. Dieter Lenzen und Hans Merkens als Vorsitzende der Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Besonders intensiv waren und sind die Außenbeziehungen durch die Wahrnehmung von Gastprofessuren und die Pflege von Kooperationskontakten mit wissenschaftlichen Einrichtungen in fast allen europäischen Staaten, aber auch in Amerika, Asien und Australien, wie z.B. 2003: Jürgen Zimmer (Thailand), Christoph Wulf (Japan), Wolfgang Tietze (USA); 2004: Jürgen Zimmer (Thailand, Jordanien, Indonesien), Christoph Wulf (Japan), Christine Keitel-Kreidt (Australien), Jörg Ramseger (Südostafrika). Die meisten Erziehungswissenschaftler der FU pflegten und pflegen enge Verbindungen zu nationalen und internationalen Organisationen, so z.B. Gerhard de Haan als Vorsitzender des Nationalkomitees der UN-Dekade zur »Bildung für nachhaltige Entwicklung«, Christoph Wulf als Mitglied der Deutschen UNESCO-

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Kommission, als Vorsitzender des Netzwerks von 45 internationalen erziehungswissenschaftlichen Fakultäten und Forschungszentren und als Gründungssekretär der Education Commission of International Peace Research Association, Hans-Ludwig Freese als Vice-Chairman of SOPHIA (European Federation of Advancement of Doing Philosophy with Children), Peter Hübner als Mitglied der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates und als Leiter der Internationalen Konferenz der Europäischen Vereinigung für Lehrerbildung in Europa, Jürgen Zimmer als Vizepräsident der International Community Education Association. Der im April 2004 vom Kuratorium der FUB beschlossene »Struktur- und Entwicklungsplan« bescheinigte dem Fach Erziehungswissenschaft insgesamt eine positive Leistungsbilanz. Als gute Voraussetzung für die künftige Entwicklung wurde die Einbindung in die Wissensallianzen bzw. Wissenscluster »Lehr-/Lernforschung«, »Lebensqualität«, »Ökosystemdynamik«, »Mobilität, Migration und Internationalisierung« hervorgehoben (Strukturund Entwicklungsplan 2004, S. 26–30).

Quellen- und Literaturverzeichnis

Gesetz über die Schaffung der institutionellen Voraussetzungen der integrierten Lehrerausbildung in Berlin vom 13. Dezember 1974, in Kraft getreten am 21. Dezember 1974, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, S. 2826. Kuratorium der Freien Universität Berlin. Beschlußprotokoll über die 214. Sitzung des Kuratoriums (Sondersitzung) der Freien Universität Berlin am 17. März 1980. Präsident der Freien Universität (Hg), Freie Universität Berlin, Namens- und Vorlesungsverzeichnis, Sommersemester 1980 bis Sommersemester 2004. Berlin 1980 ff. Der Präsident der Freien Universität Berlin (Hg), Statistik 55, Studenten SS 1980; Statistik 113, Studierende SS 1990; Statistik 144, Studierende SS 1995. Fachbereichssprecher (Hg), Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaft, Forschungsbericht für die Zeit vom 1. April 1980 bis 31. März 1982. Berlin o. J. Forschungsbericht der FUB 4 (1981–1983), 5 (1984–1987), 6 (1988–1991), 7 (1992–1995), 8 (1996–2001). Forschungskommission des Fachbereichs Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften, Forschungsforum des Fachbereichs. Nr. 1 bis 6. Berlin (1983) ff. E. K. Beller (Hg), Forschung in den Erziehungswissenschaften. Weinheim 1989. Der Präsident der Freien Universität, Abt. VI (Hg), Forschung an der FUB: Erziehungswissenschaft, Sportwissenschaft. Berlin 1993. Der Präsident (Hg), Forschung 1993/94. Forschungsprojekte, Drittmittelbilanz.

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Bericht über Lehre und Studium des Dekans des Fachbereichs Erziehungswissenschaft, Psychologie und Sportwissenschaft an den Präsidenten der FUB vom 4. April 1996. Vorschläge und Materialien zur Selbstdarstellungsbroschüre der FUB herausgegeben vom Dekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaft, Psychologie und Sportwissenschaft. Februar 1998. FU-Nachrichten 5–6(2002). Struktur- und Entwicklungsplan für die Freie Universität Berlin. April 2004. Pressedienst Wissenschaft der FUB 20/2004.

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Wolfgang Schönpflug / Horst-Peter Brauns Fünfzig Jahre Psychologie an der Freien Universität Berlin

Die Psychologie an der Linden-Universität und ihre ersten Jahre an der FU (1922–1955)

Als der deutsche Kaiser abgedankt hatte, zog das Psychologische Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität in den Westflügel des Stadtschlosses. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren entfaltete sich dort eine experimentell gestützte Forschung, deren Erträge in der ganzen Welt als »Berliner Gestalttheorie« zu den maßgeblichen Beiträgen der modernen Psychologie gerechnet werden. Nach 1933 verließen unter dem Druck der nationalsozialistischen Verwaltung die Professoren Wolfgang Köhler und Kurt Lewin Deutschland. Das Psychologische Institut hatte damit seine führenden Köpfe eingebüßt und verlor an Profil. Die Nachfolge Köhlers als ordentlicher Professor und Institutsdirektor trat Oswald Kroh an. Seine Schwerpunkte waren die Entwicklungspsychologie sowie die Pädagogische Psychologie. Als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie war er federführend bei der Einführung der Diplomprüfungsordnung für Psychologen im Jahre 1941. Oswald Kroh lehrte bis zum Kriegsende an der Friedrich-WilhelmsUniversität. Indem er dort 1948 seine Stellung aufgab und sich der Freien Universität in Berlin-Dahlem anschloß, war das Fach Psychologie auch an der Neugründung vertreten. Aus der damaligen sowjetischen Besatzungszone rief man ihm nach, er sei mit seinem Wechsel nur der Amtsenthebung an der Berliner Universität zuvorgekommen; er sei politisch schwer belastet durch seine Verfehlungen während des Nationalsozialismus. Freilich wurden Kroh auch im Berliner Westen seine früheren Vorträge und Schriften vorgehalten, in denen er sich für eine »völkische Erziehung« im Sinne des herrschenden Nationalsozialismus eingesetzt hatte. Mit Bekenntnissen zur demokratischen Erziehung im Sinne der westlichen Alliierten übernahm er jedoch erneut eine führende Rolle in der Bildungspolitik. Kroh beteiligte sich an den Auseinandersetzungen zur Neugestaltung der Lehrerbildung im Westteil Berlins. Er entwarf den Plan für ein »Institut für wissenschaftliche Pädagogik« an der FU. Dieses Institut sollte für die Lehrerbildung der Stadt zuständig sein. Der Plan scheiterte. Die Aufgabe der Lehrerbildung wurde 1951 der Pädagogischen Hochschule in Lankwitz zugewiesen, die im Winter 1948/49 ihre Lehrtätigkeit aufgenommen hatte und eigene Lehrkapazität für Psychologie vorsah. Das Bemühen Krohs um Ver-

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bindung psychologischer Theorie und pädagogischer Praxis war bei zwei anderen Projekten erfolgreicher: Der (psychologischen wie pädagogischen) Ausbildung von Schulpsychologen und der Einrichtung eines Universitätsstudiums für Sozialarbeiter. Zugleich betrieb Kroh den Aufbau eines Psychologischen Instituts an der Freien Universität. Das Institut hatte zunächst seinen Sitz in der Gelfertstraße 36 und bot einen Diplomstudiengang in Psychologie an. 1951 wurde es ergänzt durch ein »Institut für psychologische Forschung« in der Altensteinstraße 44 a, das seinerseits eine Nachfolgeeinrichtung der »Forschungsstelle für Psychologie« des in Dahlem gelegenen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Erbforschung war. Der Aufbau einer Fachbibliothek machte – dank Übergabe alter Berliner Bestände und amerikanischer Spenden – deutliche Fortschritte. Aus den Studierenden und den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Instituts rekrutierte sich eine neue Generation von Wissenschaftlern, welche die Erneuerung der deutschen Psychologie im internationalen Maßstab zu ihrem Programm machten. Kroh hat sie in doppelter Hinsicht geprägt: Zum einen durch sein beharrliches Streben nach grundwissenschaftlicher Fundierung jedweder psychologisch-praktischer Tätigkeit sowie nach Reflexion der Bedeutung wissenschaftlicher Forschung für die Lebenswirklichkeit; zum anderen durch seine Unterscheidung zwischen »vorkritischer Bewußtheit« im Rahmen nicht problematisierten Alltagsverhaltens und »kritischer Bewußtheit« als Modus des wachen, problemzentrierten Stellungnehmens. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie ehrte Oswald Kroh und das Psychologische Institut der FU, indem sie 1955 ihren 20. Kongreß nach Berlin vergab. Kroh hat diesen Kongreß nicht mehr erlebt; er starb während der Vorbereitungen.

Ausbau und Zweiteilung (1955–1970)

Nach dem Tod Krohs waren es zunächst seine Mitarbeiter, welche die Kontinuität der Lehre wahrten. Genannt seien vor allem Rudolf Bergius, Joachim Franke, Klaus Holzkamp, Gerhard Kaminski und Kripal Singh Sodhi. Der aus der Berufsberatungspraxis kommende Bergius bot mit Sodhi Experimentalpraktika, Übungen zur Erziehungsberatung sowie Vorlesungen über Denkpsychologie und Psychodiagnostik an. In diese begannen aktuelle Ergebnisse amerikanischer Untersuchungen einzufließen. Doch folgte Bergius bereits 1959 einem Ruf nach München und von dort wenig später einem weiteren nach Tübingen. Kaminski führte neben grundwissenschaftlichen Praktika und Übungen Kurse zur Erziehungsberatung durch und verfaßte unter dem Titel »Das Bild vom Anderen« seine Dissertation über die Grundlagen psychologischen Diagnostizierens. Franke lehrte Sozialpsychologie. Dieses Angebot wurde in den Bereichen der Tiefenpsychologie, der Angewandten Psychologie und der Graphologie durch Lehraufträge erweitert. Als Lehrbeauftragte

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betätigten sich Carl Müller-Braunschweig, ein Freud-Schüler der ersten Generation, Maria Schorn sowie W. H. Müller. Nach einer Interimsleitung des Psychologischen Instituts durch den Philosophen Eduard May übernahm 1956 Kripal S. Sodhi dessen Geschicke. 1911 in Indien geboren, war Sodhi im Jahre 1937, vergeblich den schon in die USA ausgewanderten Wolfgang Köhler suchend, nach Berlin gekommen und hatte dort 1941 mit einer Arbeit zur »Dynamik des Tiefensehens« promoviert. Vor allem mit Wahrnehmungspsychologie befaßt, versah er bis 1945 die Assistentenstelle bei Kroh am Psychologischen Institut im Berliner Schloß. Beim Brand des Schlosses gingen auch Ergebnisse seiner jahrelangen Untersuchungen verloren. Nach einem USA-Aufenthalt bei Köhler, Crutchfield und Asch im Jahre 1948 wandte sich Sodhi verstärkt jenem Forschungsbereich zu, für den das Berliner Institut in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre weithin bekannt werden sollte: die empirisch-experimentelle Sozialpsychologie. Sodhis Habilitationsschrift »Urteilsbildung im sozialen Kraftfeld« aus dem Jahre 1953 folgten durch Drittmittel geförderte Studien über »Nationale Vorurteile«, an denen auch Bergius und Holzkamp beteiligt waren. 1960 erfolgte eine wichtige Neubesetzung: Hans Hörmann aus Göttingen nahm einen Ruf auf eine außerordentliche Professur an. Hörmann war vor allem mit experimentellen Studien auf den Gebieten der Persönlichkeits- und der Lernpsychologie hervorgetreten. Das Lehrangebot für das Sommersemesters 1961 wurde um Entwicklungspsychologie und Lernpsychologie bereichert, der Personalbestand durch drei aus Göttingen übernommene Assistenten vermehrt. Doch im gleichen Jahr erlitt das Instituts durch den plötzlichen Tod Sodhis einen empfindlichen Rückschlag. 1962 wurde Hörmann, der neben der Diagnostik zunehmend das Fach der Allgemeinen Psychologie vertrat, zu Sodhis Nachfolger als Ordinarius für Psychologie ernannt. Es gelang, die nunmehr freie außerordentliche Professur mit dem Piaget-Spezialisten und Pädagogen Hans Aebli zu besetzen. Die weiterhin als Assistenten tätigen Kaminski und Holzkamp setzten zusätzliche Akzente. Während Kaminski u.a. die für das Fach immer bedeutsamer werdende Ausbildung in Statistik übernahm, vertrat Holzkamp die Sozial- und Ausdruckspsychologie. Letzterer wandte sich darüber hinaus mit seiner Habilitationsschrift »Theorie und Experiment in der Psychologie« der Methodologie zu. In den sechziger Jahren wuchs der internationale Austausch des Instituts. Sein Ansehen stieg auch durch die zeitweilige Rückkehr von Wolfgang Köhler, der eine Honorarprofessur an der FU übernahm und in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste und seiner aufrechten politischen Haltung während der Zeit des Nationalsozialismus (s.o.) zum Ehrenbürger der FU ernannt wurde. Als im Jahre 1959 das Psychologische Institut neue Räume in der Grunewaldstr. 35 bezog, war es innerhalb der deutschsprachigen Psychologie zu einer führenden Position gelangt und hatte Anschluß an die internationale

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Psychologie gewonnen. Das zeigt sich nicht zuletzt an dem hohen Anteil von Artikeln, welche Institutsangehörige zum ersten großen, beim Verlag Hogrefe erscheinenden »Handbuch der Psychologie« beisteuerten. Das Institut besaß eine ansehnliche zeitgemäße personelle, räumliche und sächliche Ausstattung. Durch Hörmanns Mitarbeit in dem interdisziplinären Schwerpunkt »Lärmforschung« der Deutschen Forschungsgemeinschaft hatte es sich über den Universitätsetat hinaus beträchtliche Mittel erschlossen. Hörmann und mit ihm Aebli verankerten den Neubeginn in der damals international dominierenden angloamerikanischen Psychologie, in welcher behavioristische Theorienansätze und empirisch-experimentelle Methoden vorherrschten. Doch beteiligten sich beide Wissenschaftler zugleich an dem einsetzenden Übergang zur kognitivistischen Psychologie – Hörmann insbesondere durch seine 1967 erschienene »Psychologie der Sprache«. In Forschung und Lehre hatte die FU-Psychologie somit einen hohen Grad an Modernisierung erreicht; eine neue Generation von Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern begrüßte die Neuorientierung des Faches unter Hörmanns Anleitung als fruchtbaren Anfang nach Abschluß der Gründungs- und Aufbauphase. Der Erfolg der Berliner Psychologie zog Wegberufungen nach sich, die allerdings schnell ausgeglichen wurden. Aebli verließ nach knapp vierjähriger Tätigkeit Berlin und wechselte an die neu gegründete Universität Konstanz; später ging er nach Bern. Kaminski nahm einen Ruf nach Tübingen an. Den verwaisten Bereich der Pädagogischen Psychologie übernahm Klaus Holzkamp; er wurde auf ein zweites Ordinariat berufen und lehnte einen Ruf an die damals neu gegründete Universität Bochum ab. Zum Wintersemester 1968 wurde zum dritten Ordinarius für Psychologie Adolf Otto Jäger aus Gießen ernannt. Jäger hatte sich einen Namen in der Intelligenzforschung und Personalauslese gemacht; er war Autor eines bekannten Intelligenztests. Sein Lehrstuhl, dessen Einrichtung dem Institut einen weiteren beträchtlichen Zuwachs an Personal- und Sachmitteln einbrachte, war dem Schwerpunkt »Angewandte Psychologie, insbesondere der Arbeit und des Betriebes« gewidmet. Das Psychologische Institut hatte – wie andere deutsche Institute – Anteil an der überproportional wachsenden Nachfrage nach Studienplätzen im Fach Psychologie. In eine Sonderrolle geriet das Institut durch seine Zugehörigkeit zu einer Universität in einer eingemauerten Inselstadt. Außergewöhnlich, vielleicht sogar einzigartig gestaltete sich das Schicksal der FU-Psychologie für zwei Jahrzehnte unter dem Einfluß der Studentenbewegung, die sich nach dem Protest gegen die Notstandsgesetzgebung und den Vietnamkrieg gebildet hatte. Die an der FU modern und weitgehend nach amerikanischem Vorbild als Einzelwissenschaft konzipierte Psychologie wurde zu einem hervorstechenden Angriffsziel antiamerikanisch und marxistisch orientierter Gruppen; sie warfen dem Fach Bürgerlichkeit, Autoritätshörigkeit und Dienstbarkeit für herrschende Kräfte in Politik, Wirtschaft und Militär vor. Die an der

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FU 1967/1968 organisierte »Kritische Universität« bot die Plattform zur Konzeption einer alternativen »Kritischen Psychologie«, welche mit antiautoritärem und marxistischem Ansatz zugleich die »Abschaffung von Herrschaft« und die »Zerschlagung der (herrschenden) Psychologie« leisten sollte. Die alternative Psychologie zog die Mehrheit der politisch engagierten Studierenden und zahlreiche Mitglieder des Mittelbaus an. Sie fanden innerhalb der Professorenschaft bei Klaus Holzkamp Unterstützung. Fach- und hochschulpolitische Auseinandersetzungen beherrschten bald das Institut; insbesondere in Vollversammlungen entluden sich Konflikte. 1 Die Forderung

1 Als Fußnote zu einer Darstellung der akademischen Psychologie verdient der einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordene Schülerladen »Rote Freiheit« angeführt zu werden. Es sollte dies ein Projekt sein, welches die vermeintliche Lebensferne bürgerlicher Psychologie überwindet und einem gesellschaftskritisch verstandenen Verhältnis von Theorie und Praxis eine emanzipatorische Ausgestaltung gibt. In einem Kreuzberger Mietshaus richteten 1969 Studierende und jüngere Institutsmitarbeiter einen Raum für etwa ein Dutzend 10–14-jährige Schüler aus sozial schwachen Familien ein. In Diskussionen und Rollenspielen sollten sich die Schüler mit marxistischen Thesen auseinandersetzen; sie sollten vor allem Schule und Kirche, Polizei und Militär sowie Industrie und Handel als herrschende Kräfte in der Gesellschaft begreifen und auf den angeblich bevorstehenden Klassenkampf eingestimmt werden. Gruppenarbeit sollte zur Befreiung von sexuellen Restriktionen führen, weil diese als Wurzeln gesellschaftlicher Unterdrückung gedeutet wurden. Rhetorik und Praxis im Kreuzberger Schülerladen entsprachen antiautoritärer Erziehung, wie sie in den sechziger Jahren auch anderorts in Stadtteilarbeit geübt wurde. Die zugehörigen »Fickstunden« bedienten sich aus Sicht ihrer Veranstalter eines offenen, aus Sicht Außenstehender oft eines vulgären Jargons, dürften jedoch die Grenzen des später im Sexualkundeunterricht Möglichen selten überschritten haben. Aufgrund seines ideologischen Anspruchs, praxisrelevante Psychologie zu institutionalisieren, in die Rolle eines Vorreiters einer revolutionären Bewegung gedrängt, wurde der Schülerladen »Rote Freiheit« allerdings Gegenstand leidenschaftlicher Auseinandersetzungen. Diese wurden weit über die Universität hinaus in Presse und Fernsehen, im Abgeordnetenhaus von Berlin und vor Gericht ausgetragen. Veröffentlichungen von Protokollen mit politisch aufmüpfigen Versen sowie mit Zitaten, die damals als unerträglich obszön empfunden wurden, begründeten den Vorwurf der kommunistischen Indoktrination und der Verletzung des Jugendschutzes. Anderseits hatte Klaus Holzkamp als Institutsdirektor – überdies Ordinarius für Pädagogische Psychologie – formell die Leitung des Unternehmens übernommen, um die Zahlung der Kosten aus dem Etat der FU zu ermöglichen. Damit war der Schülerladen als Forschungsprojekt deklariert, und der Universitätspräsident verteidigte ihn unter Berufung auf die verfassungsmäßige Freiheit der Forschung. Die heftigen Auseinandersetzungen hatten den Schülerladen bereits praktisch lahm gelegt, als der Senator für Familie, Jugend und Sport im Jahre 1970 seine Schließung verfügte.

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nach »Herstellung der Einheit von politischer Information und sog. Lehrveranstaltung« mit entsprechenden »Konsequenzen für die grundlegende Umorganisierung des Instituts« meinte das Ende der bisher gepflegten Lehre und Forschung. Dies bestätigten nicht zuletzt die Besetzungen der Tutorenstellen, welche dem Institut aus dem neu geschaffenen Tutorenprogramm der Universität zuflossen; mit einer Ausnahme gingen sie alle an die Kandidaten der »Roten Zelle Psychologie«. Die Permanenz und Heftigkeit ungelöster Konflikte ließen einen geordneten Wissenschaftsbetrieb aussichtslos erscheinen. Hörmann zog sich verbittert aus den Verhandlungen zurück und nahm, nachdem er vorher Rufe aus Hamburg und Konstanz abgelehnt hatte, 1969 eine Professur an der Universität Bochum an. Eine Neubesetzung der Professur scheiterte an der Unvereinbarkeit der Vorstellungen über ihre zukünftige Zweckbestimmung. Angehörige des Mittelbaus, denen sich A. O. Jäger als Professor anschloß, entwarfen daher einen Plan zur Sicherung ihrer wissenschaftlichen Arbeit, der auf eine Teilung des Instituts hinauslief. Günstig für die Verwirklichung dieses Plans war die anstehende Neugliederung der Philosophischen Fakultät in mehrere Fachbereiche. Tatsächlich beschlossen die universitären Entscheidungsgremien – ungeachtet heftiger Proteste von Seiten der Verfechter der »Kritischen Psychologie« – im November 1970 die Auflösung des alten Instituts, verbunden mit der Einrichtung zweier neuer Wissenschaftlicher Einrichtungen: ein »Psychologisches Institut« (PI) am Fachbereich »Philosophie und Sozialwissenschaften I« sowie ein »Institut für Psychologie« (IfP) am Fachbereich »Erziehungswissenschaften«. Das erstgenannte Institut behielt den Standort in der Grunewaldstr. 35, das letztere Institut erhielt neue Räume in der Lepsiusstraße 89 sowie in der Kelchstraße 31, später auch in einem Neubau im damaligen Dietrich-Schäfer-Weg 6–10. Die Angehörigen des alten Psychologischen Instituts hatten die Wahl, sich dem neuen Psychologischen Institut oder dem Institut für Psychologie anzuschließen. Von der zweiten Option machten Professor Jäger, zwölf wissenschaftliche Mitarbeiter und ein Tutor Gebrauch. Jedes Institut sollte einen kompletten Diplomstudiengang anbieten; der Bedarf an Personal- und Sachmitteln verdoppelte sich daher. Tatsächlich wurde dieser Bedarf im Haushalt der Universität über zwei Jahrzehnte lang weitgehend berücksichtigt. Neubesetzungen konnten zügig vorgenommen werden. Die Teilung des Faches führte also – innerhalb der genannten Frist – zu einem in der deutschen Psychologie wohl einmaligen Kapazitätszuwachs.

Ein wissenschaftliches Projekt – wie seine Befürworter meinten – ist die »Rote Freiheit« allenfalls nach einem eng darauf zugeschnittenen Wissenschaftsverständnis gewesen. Aber das Unternehmen ist auch nicht in die Reihe menschenverachtender Experimente zu stellen – wie seine schärfsten Kritiker behaupteten.

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Das Psychologische Institut (1971–1995)

Die »Spaltung« der Psychologie war gegen den Willen einer knappen Mehrheit im (alten) Psychologischen Institut der Philosophischen Fakultät erfolgt, hatte aber für das (neue) Psychologische Institut am Fachbereich »Philosophie und Sozialwissenschaften I« den Vorzug, die Pläne einer radikalen Erneuerung des Faches im Dienste einer ebensolchen Umgestaltung der Gesellschaft ohne Fundamentalopposition in der eigenen Einrichtung verfolgen zu können. Der Bruch mit der bisherigen Forschungs- und Lehrpraxis, deren »bürgerliche« Prinzipien abgelehnt wurden, war vollzogen, die Beziehungen zur – ebenfalls als überwiegend bürgerlich abgelehnten – Fachwelt weitgehend unterbrochen. Das »PI« organisierte sich in Kollektive, Sektionen u. ä., um aus eigener Kraft eine gesellschaftskritische Psychologie zu entwickeln, die alsbald über die FU hinaus Resonanz finden sollte. Gleich oder ähnlich ausgerichtete Gruppen zur Förderung der Kritischen Psychologie entstanden auch an anderen deutschsprachigen Universitäten. Zwischen den lokalen Gruppen gab es einen regelmäßigen Austausch – vor allem bei den in Marburg stattfindenden Kongressen für Kritische Psychologie. Doch während anderorts die Kritische Psychologie eher eine marginale Erscheinung blieb, war sie am PI der FU für viele Jahre zentrale Doktrin; das PI der FU wurde so zum unbestrittenen Zentrum der Kritischen Psychologie. Gut dokumentierte Schwerpunkte der Kritischen Psychologie am PI innerhalb zweier Jahrzehnte waren: – Die Erarbeitung einer wissenschaftstheoretischen Basis, dem historischmaterialistischen Ansatz des sowjetrussischen Psychologen und Philosophen Leontiew folgend, – die Anwendung der erarbeiteten wissenschaftstheoretischen Konzepte auf verschiedene psychologische Lehrgebiete; zuerst in Angriff genommen wurden die Wahrnehmungs-, Motivations- und Sprachpsychologie sowie die Biologische Psychologie, – der Versuch, die gesellschaftliche Genese der Psychologie, einschließlich ihrer Praxis zu erklären, verbunden mit dem Verständnis von Psychologie als Instrument herrschender Kräfte, – die Entwicklung gesellschaftskritischer Formen und Ziele für psychologische Praxis, insbesondere im Dienste des Abbaus von Benachteiligung und Unterdrückung, – die Schaffung von gesellschaftlich fortgeschrittenen Arbeitsbedingungen im eigenen Institut, insbesondere durch viertelparitätische Mitbestimmung, – die Schulung in Kritischer Psychologie, insbesondere durch ein einheitliches Grundstudium und nachfolgende Projektarbeit. Die historisch-materialistische Analyse setzte bereits früh in der Phylogenese an und suchte psychische Leistungen wie Wahrnehmen und Denken zunächst als Anpassungen an natürliche und soziale Gegebenheiten zu erklären.

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Zum Gegenstand der kritischen Analyse wurde danach die zunehmende Vergesellschaftung, von der kollektiven Nahrungsbeschaffung der Naturvölker bis zur industriellen Produktion. Die Vergesellschaftung habe bisher die Trennung von Subjekt und Gesellschaft zur Folge gehabt und damit das Subjekt seiner menschlichen Besonderheit beraubt, sein Leben und seine Lebensbedingungen selbst zu bestimmen. Dies spiegele sich in den sozial vermittelten psychischen Funktionen wider, z.B. in Autoritätsbindung und Aggressivität. Die überlieferte Psychologie sei ein Instrument zur verharmlosenden Beschreibung des Psychischen und zu dessen gesellschaftskonformer, d.h. subjektfeindlicher Manipulation. Eine eigene Schriftenreihe (Forum Kritische Psychologie, das anfangs in »Das Argument« erschien), zahlreiche Aufsätze in sozialpolitischen Zeitschriften und interne Papiere waren der Entwicklung und Verteidigung der Kritischen Psychologie gewidmet. Eine Fülle von kritisch-emanzipatorischen Projekten suchten Erkenntnisse und Anwendungen in Praxisbereichen – zur antiautoritären Erziehung (Siegfried Schubenz), zur industriellen Produktion (Frigga Haug), zum Faschismus (Ute Osterkamp). Die Kritische Psychologie beeindruckte viele Studenten durch ihre ausdrucksstarke revolutionäre Rhetorik, durch ihre betonte Gesinnungsethik und durch vielfältige Mitwirkungsmöglichkeiten. Auch befreite die Fundamentalkritik an der »bürgerlichen Psychologie« von mancherlei Studienpflichten, denen Studierende außerhalb des PI oblagen. Von der Universität mit einer zunehmend großen Zahl, teilweise langfristig beschäftigter Mitarbeiter ausgestattet, besaß die Kritische Psychologie erhebliche Ressourcen und war nicht auf die Einwerbung von Drittmitteln angewiesen. In ihrem Streben nach einer einheitlichen theoretischen Konzeption, nach theoriegerechter Praxis und nach politisch-moralischer Rechtfertigung sowie in ihrer Abgrenzung von theoretischen, praktischen und politischmoralischen Alternativen bildete die Kritische Psychologie ein geschlossenes System, eine Schule. Unbestrittener Kopf dieser Schule war Klaus Holzkamp. Holzkamp war es auch vorbehalten, 1983 in einer umfänglichen Monographie »Grundlegung der Psychologie« das Resümee der ersten fünfzehn Jahre der Berliner Kritischen Psychologie zu ziehen. Allerdings war die Psychologie seit den Fünfzigerjahren international enorm gewachsen und hatte in Theorie und Praxis an Vielfalt gewonnen. Die Zeit der »großen Schulen« war in der Psychologie vorbei. Forschung und Studium waren bestimmt durch zunehmend eng zugeschnittene Paradigmen, die mitunter schnell wechselten. So nahm die internationale Fachwelt das Ringen um eine einheitliche und ultimative Psychologie an der Berliner Freien Universität durchaus mit Respekt zur Kenntnis. Doch konnte die Lehre an anderen Universitäten kaum Fuß fassen; »Holzkamp-Schüler« hatten außerhalb Berlins nur geringe Berufungschancen. Dies lag nicht zuletzt an dem Umstand, daß einige zentrale Thesen der Kritischen Psychologie dieser nicht allein zuzurechnen waren. Sie waren

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auch in Richtungen der von der Kritischen Psychologie befehdeten »bürgerlichen« Psychologie berücksichtigt (z. B die Forderung nach Selbstbestimmung der Persönlichkeit in humanistisch orientierten Theorien). Erhebliche Auswirkungen auf das Schicksal der Kritischen Psychologie hatte die Krise des Marxismus. Die maßgeblichen Vertreter der Kritischen Psychologie hatten nicht nur auf die Philosophie des historischen Materialismus gesetzt, sondern auch auf die Politik regierender sozialistischer Parteien. Der Institutsrat solidarisierte sich mit der Führung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), und bei Wahlen in Berlin (West) rief eine PIInitiative zur Stimmabgabe für die Sozialistische Einheitspartei Westberlin (SEW) auf. Als in den sozialistischen Ländern selbst Freiheitsbewegungen die dortige Unterdrückung anklagten und den Zusammenbruch der sozialistischen Regime herbeiführten, hatte das PI seinen Ruf als Stätte progressiver Politik verloren. Die Kritische Psychologie büßte selbst innerhalb des PI an Exklusivität ein. Neuberufene ordneten ihre wissenschaftliche Arbeit nicht mehr unbedingt dem marxistisch-kritischen Ansatz unter. Erfordernisse der Ausbildung verlangten Konzessionen. Vor allem durfte die Klinische Psychologie nicht vernachlässigt werden, die sich in den Siebzigerjahren zum beherrschenden Berufsfeld für Psychologen entwickelt hatte. Theoretisch wie praktisch erfahrene Experten für dieses Gebiet waren von außen zu gewinnen. So kamen mit der Professorin Anna Auckenthaler sowie den Professoren Jarg Bergold, Dieter Kleiber und Manfred Zaumseil Spezialisten für Therapie, Diagnostik und Prävention an das PI, welche gemeindenahe Modelle vermittelten, die durchaus mit der am PI betriebenen Kritischen Psychologie vereinbar waren, diese aber nicht spezifisch voraussetzten und fortentwickelten. Im Bereich der Grundlagenforschung wurde Rainer Bösel, ein früheres Mitglied des IfP, als Professor für Biopsychologie berufen; mit seinen neuropsychologischen Untersuchungen war das PI wieder regelmäßig in internationalen Fachzeitschriften vertreten. In seinem letzten großen Werk »Lernen« aus dem Jahre 1993 stellte Holzkamp den Subjektstandpunkt in den Mittelpunkt seiner Kritischen Psychologie und leitete damit zu einer unorthodoxen Betrachtung psychischer Prozesse über. Der herausgestrichene Standpunkt des Subjekts verdiente ja diese Bezeichnung nicht, würde er dem Subjekt nicht Freiheiten für die Zuerkennung von Bedeutungen, für Intentionen sowie für Handlungen gestatten. Dies öffnete den Weg zu einer Diskursiven Psychologie, welche sich die Prämissen der orthodoxen Kritischen Psychologie (z.B. deren Marxismus) zu eigen machen kann, aber nicht zu eigen machen muß. So haben sich am PI eklektische Varianten der Kritischen Psychologie gebildet, welche eher die Vielfalt der Postmoderne bereichern als die Einheitlichkeit eines geschlossenen Ansatzes durchzusetzen geeignet sind – wie Feministische Psychologie und Neopsychoanalyse. Mit solchen Ansätzen fanden die Berliner kritischen Psy-

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chologien seit den achtziger Jahren Anschluß an eine insbesondere in Nordund Südamerika hervortretende Critical Psychology, die Ideologie- und Gesellschaftskritik zu ihren Hauptzielen rechnet. Am Ende der Achtzigerjahre gab es also Gründe anzunehmen: Die Kritische Psychologie ist Teil des Profils der FU. Die Kritische Psychologie hat sich konsolidiert. Doch bildet sie einen Sonderweg, auf den eine große Universität sich nicht beschränken darf. Die Universitätsverwaltung geizte daher nicht mit Bestandsgarantien gegenüber den Vertretern der Kritischen Psychologie, drängte aber zugleich auf ein Ende der Exklusivität des PI.

Das Institut für Psychologie (1971–1995)

Das Institut für Psychologie im Fachbereich Erziehungswissenschaften war durchaus nicht unpolitisch, sondern vertrat die Grundsätze sozialliberaler Reformpolitik der Siebzigerjahre. Vor allem in seinem ersten Jahrzehnt dominierte eine basisdemokratische Machtverteilung. In sämtlichen Gremien und Kommissionen des Instituts waren die vier funktionalen Gruppen durch eigene Mitglieder vertreten. Das »IfP« verdankte seine Gründung einer Mittelbauinitiative, und Angehörige des Mittelbaus nahmen Ämter in Zentralgremien der Universität wahr. So besaß der Mittelbau über die lange Aufbauphase des IfP hinweg erhebliche Verwaltungs- und Entscheidungskompetenzen. Die Mehrzahl der in den ersten Jahren nach der Gründung neu ernannten Professorinnen und Professoren wurden aus einer Mittelbauposition berufen – oft kurz nach ihrer Promotion. Die übrigen neu Berufenen waren sog. Nichtordinarien von anderen Hochschulen, d.h. Habilitierte ohne eigenen sog. Lehrstuhl. Assistenzprofessuren waren den übrigen Professuren praktisch gleichgestellt. Die Hierarchie im Institut war flach, der zentrale Institutsrat stark und mit weitgehenden Zuständigkeiten ausgestattet. Bis 1974 waren zu dem anfänglich mit Adolf Otto Jäger besetzten Ordinariat folgende Hochschullehrer hinzugekommen: Hans-Joachim Grabitz (Mannheim, Sozialpsychologie), Albrecht Iseler (Mannheim, Persönlichkeitspsychologie), Marianne Manns (FU Berlin, Klinische Psychologie), Claus Möbus (Heidelberg, statistische Methodenlehre), Meinrad Perrez (Salzburg, Klinische Psychologie mit besonderer Berücksichtigung der Psychoanalyse), Wolfgang Schönpflug (Bochum, Allgemeine Psychologie), Bernhard Seiler (FU Berlin, Entwicklungspsychologie), Herbert Selg (Freiburg, Pädagogische Psychologie). Als damalige Assistenzprofessoren sind Hans Westmeyer (Münster, Wissenschaftstheorie und Diagnostik) sowie Siegfried Greif (FU Berlin, Organisationspsychologie und Intelligenzforschung) zu nennen. Es organisierten sich Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Problembereichen und mit unterschiedlichen theoretischen Ansätzen. Ihre verbindenden Momente waren pluralistische Toleranz in Orientierung am kritischen Rationalismus, Methodenbewußtsein vor dem Hintergrund wissenschaftstheoretischer Offenheit sowie Unverzichtbarkeit auf die empi-

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Psychologie

risch-experimentelle Methodik. Richtungskämpfe kamen nicht auf, doch waren Verteilungskämpfe unvermeidlich. Zur Konsolidierung trug vor allem die gemeinsame Aufgabe der Diplomausbildung bei. Kooperationen mit verwandten Arbeitsgruppen außerhalb Berlins bahnten sich an. Auseinandersetzungen mit dem PI spielten nur eine untergeordnete Rolle. Publikationen aus den frühen Siebzigerjahren zur Problematisierung der Holzkampschen Wissenschaftskonzeption sowie zu dem von der Kritischen Psychologie reklamierten Relevanzbegriff gehören zu den wenigen abgrenzenden Darstellungen der eigenen wissenschaftlichen Position. Gleichwohl blieb die Heftigkeit des Trennungskonflikts bei den Gründungsmitgliedern unvergessen, und außerhalb des Faches hielten sich Mutmaßungen über einen anhaltend erbitterten »Grabenkrieg« zwischen den Instituten. Die Jugendlichkeit des Lehrkörpers brachte häufige Wechsel mit sich. Dennoch war ein stetiges Wachstum festzustellen. Das Wachstum ließ sich mit dem Anstieg der Studentenzahl rechtfertigen. Wohl nie war der Lehrkörper des IfP größer als in den achtziger Jahren, nachdem mehrere Stellen für Lehrerausbildung aus der Pädagogischen Hochschule in das IfP integriert worden waren (s.u.). Zu dieser Zeit meldeten sich in jedem Semester allein für einen Platz im Diplomstudiengang Psychologie an der FU (PI und IfP zusammen) knapp 700 Bewerber, von denen nach Maßgabe der jeweiligen Kapazitätsberechnungen nur etwa jeder Siebente aufgenommen werden konnte. Unter den Professorinnen und Professoren der auslaufenden achtziger Jahre befanden sich nur noch wenige aus den ersten fünf Jahren des Instituts (s.o.). Zu einer Bereicherung der Austauschbeziehungen des IfP wurde die Einrichtung eines Forschungsbereichs für Psychologie und Humanentwicklung am nahe gelegenen Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Paul Baltes) sowie der Gerontologie am Fachbereich Humanmedizin der FU (Margret Baltes) im Jahre 1981. Eine besonders fruchtbare Kooperation ermöglichte das Graduiertenkolleg Entwicklungspsychologie, an dem sich – zusammen mit den zuletzt Genannten und weiteren Universitätsinstituten – die Abteilung Entwicklungspsychologie des IfP (Helgard Rauh) beteiligte. Die wissenschaftliche Arbeit am IfP spiegelte die Vielfalt der international sich lebhaft entwickelnden Psychologie wider. Es gab beständige Kontakte u Fachkollegen in westlichen wie in östlichen Ländern sowie in der DDR. Die besondere Verbundenheit mit der amerikanischen Psychologie fand ihren Ausdruck in der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Jerome Bruner (New School of Social Research, New York) und Albert Bandura (Stanford University), zwei weltbekannten Vertretern des Faches. An Forschungsprojekten, die sich durch längere Laufzeit, größere Beteiligung, Förderung durch Drittmittel (Deutsche Forschungsgemeinschaft, IG Metall, Umweltbundesamt, Industrie, Stiftungen) sowie stärkere Repräsentanz in der Fachliteratur auszeichnen, seien (grob geordnet nach ihrem Beginn) erwähnt:

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Wolfgang Schönpflug / Horst-Peter Brauns

– Intelligenz und Wissen (Adolf Otto Jäger). Wissensdiagnostik und empirische Untersuchungen zur Lösung komplexer Probleme. Gestützt auf faktorenanalytische Erhebungen sowie auf Experimente mit Simulationen von Problemsituationen wurden ein Strukturmodell der Intelligenz und ein neuer Intelligenztest entwickelt. – Verhaltensbeobachtung (Marianne Manns, Hans Westmeyer). Ein Projekt über verbale und nichtverbale Interaktionen in Kleingruppen (vor allem Eltern-Kind-Gruppen). Auf der Grundlage lerntheoretischer Ansätze wurden detaillierte Verhaltensprotokolle erstellt und nach zeitreihenanalytischen Modellen ausgewertet. – Streß am Arbeitsplatz (Siegfried Greif). In mehreren Betrieben der Metallindustrie wurde Art und Höhe der auftretenden Belastungen erhoben sowie die hierfür verantwortlichen Arbeits- und Umweltbedingungen festgestellt. Zusätzlich erforscht wurden Strategien zur Bewältigung und zur Prävention von Streß am Arbeitsplatz. – Verhaltensregulation (Wolfgang Schönpflug). Menschen verändern die Wahl ihrer Aufgaben, die Beschaffung von Information, ihre Anstrengung u.ä., und zwar je nach ihren Anforderungen und Fähigkeiten. Solche Veränderungen wurden in Laborexperimenten, die Computerarbeitsplätze simulierten, mit psychophysiologischen Methoden nachgewiesen. – Gesundheitspsychologie (Ralf Schwarzer). Längsschnittstudien zur Bewältigung von nicht-normativen kritischen Lebensereignissen (z.B. bei DDR-Übersiedlern) sowie zur Risikowahrnehmung und Gesundheitsvorsorge unter Berücksichtigung persönlicher und sozialer Ressourcen wie Selbstwirksamkeitserwartung und sozialer Rückhalt. – Neuropsychologie der Sprache (Angela Friederici). Organisation und Neurobiologie der Sprachverarbeitung und der Sprachproduktion. In einer Kombination von Messungen der Reaktionszeit und des Elektroenzephalogramms wurde der Zeitverlauf semantischer, syntaktischer und phonologischer Prozesse verfolgt. – Gruppenstruktur und Kommunikation (Hubert Feger). Aufgrund des Informationsflusses zwischen Individuen bilden sich Netzwerke (z.B. Freundeskreise). Zur Analyse der Struktur von Netzwerken und der in ihnen ablaufenden Austauschprozesse wurden mathematische Modelle entwickelt und in Felderhebungen sowie Simulationsexperimenten überprüft. Auf dem Höhepunkt seines Wachstums und seiner Leistungsfähigkeit gliederte sich das IfP in Arbeitsgruppen, die von Professoren geleitet waren. Verteilkämpfe traten dadurch in den Hintergrund. Entscheidungskompetenzen verlagerten sich vom zentralen Institutsrat zu den Arbeitsgruppen und damit zu den Hochschullehrern. Der Kollegialität zwischen den Mitgliedern (auch solchen aus verschiedenen Gruppen) tat dies keinen Abbruch. Doch die

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Psychologie

Gründer beklagten zu Recht ein Nachlassen des politischen Elans und der ursprünglich hohen Identifikation mit dem Gesamtinstitut.

Nachtrag: Nun doch Lehrerbildung an der FU

Im Jahre 1980 hat das Institut eine Erweiterung erfahren, die es selbst gar nicht geplant hatte. Unter dem Wissenschaftssenator Glotz wurde die Pädagogische Hochschule in Lankwitz aufgelöst. Ihre Mitglieder hatten die Wahl, an der Technischen Universität Berlin, der Hochschule der Künste oder der Freien Universität ihre Tätigkeit fortzusetzen. Für Vertreter der Psychologie waren an der FU nur Plätze im Fachbereich Erziehungswissenschaften vorgesehen. Fünf von ihnen – Walter Haseloff, Ludwig Issing, Hans-Manfred Ledig, Erich Perlwitz und Günther Seelig – optierten für die FU und wurden damit Mitglieder des IfP. Damit war – ohne Betreiben der FU – eingetreten, was Kroh in der Gründungsphase der Universität vergebens gefordert hatte: eine wissenschaftliche Fundierung des Lehrerberufs durch Lehrerausbildung an der Freien Universität. Die Zusage des Senators, die vier Psychologieprofessuren der FU für Lehrerbildung alsbald zu verdoppeln, wurde allerdings bereits zurückgenommen, als die Besetzungslisten für die vier neuen Professuren fertiggestellt waren. Eine CDU-FDP Koalition hatte den SPD-Senat abgelöst, und die neue Schulsenatorin Laurien wollte weder den Anteil der Psychologie in der Lehrerbildung erhöhen noch – was ebenfalls vorbereitet worden war – einen eigenen Studiengang für Studienräte mit dem Fach Psychologie an der Sekundarstufe für Gymnasien einrichten.

Neuorganisation und Zukunftsperspektiven

Die vor allem hochschulpolitisch motivierte Zweiteilung des Faches Psychologie an der Freien Universität hat die öffentliche Aufmerksamkeit in ungewöhnlichem Maße erregt. Man konnte in der Unterhaltung zweier miteinander konkurrierender Wissenschaftlicher Einrichtungen für dasselbe Fach einen löblichen Ausdruck staatlicher und akademischer Liberalität sehen. Doch wer bedurfte des Schutzes mehr: die an fachlichen Standards ausgerichtete Forschung und Lehre am IfP oder das Projekt der Erneuerung durch die Kritische Psychologie am PI? Dissidenten im früheren Ostblock konnten sich jedenfalls nicht genug über die Unterstützung der Staats- und Universitätsverwaltung für einen radikal oppositionellen Zweig der Wissenschaft wundern. Im eigenen Land war der Zustand der Teilung aber vielen ein Ärgernis – ein Ausdruck anhaltender Zerstrittenheit und einer hilflosen Befriedungspolitik, welche die Steuerzahler mehr als zumutbar belastete. Nach mehreren Initiativen aus dem politischen Senat und dem Präsidialamt der Universität unternahm 1979 Peter Glotz als Senator für Wissenschaft und Forschung den ersten wirksamen Schritt zur Zusammenführung der getrennten Studiengänge. Er berief eine Studienreformkommission für Psychologie – die erste dieser Art im Lande Berlin – mit Vertretern der Technischen

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Wolfgang Schönpflug / Horst-Peter Brauns

Universität sowie der beiden psychologischen Institute der FU. Unter dem Vorsitz des TU-Professors Klaus Eyferth entwarf die Kommission in neunzig protokollierten Sitzungen eine Studien- und Prüfungsordnung, welche in beiden zuständigen Fachbereichen der FU Zustimmung fand. Seit 1989 war der psychologische Studiengang an der FU – ungeachtet unterschiedlicher Zugehörigkeiten zu Fachbereichen und -instituten – einheitlich geregelt. Die langwierigen Auseinandersetzungen über die gemeinsame Prüfungsund Studienordnung bezeugten anhaltende Differenzen in der Forschungs-, Studien- und Prüfungspraxis. Doch waren die Institute in ihren Auffassungen und Stilen in sich nicht mehr homogen (s.o.). Verbindliche Institutsdoktrinen waren insbesondere am PI nicht mehr durchzusetzen. Dafür übernahmen Einzelpersonen und Gruppen die Verantwortung für Meinungen und Praktiken und konnten dabei, selbst wo sie nicht auf Zustimmung stießen, weitgehend mit Duldung rechnen. So gab es teilweise erhebliche Unterschiede in der Lehr- und Prüfungspraxis, die über den Spielraum der Studien- und Prüfungsordnung hinausgingen. Die augenscheinliche formale Vereinheitlichung der Ordnungen war für die Universitätsverwaltung freilich eine überragender Erfolg; tatsächliche Abweichungen wurden demgegenüber gering geachtet. Überhaupt bestanden einige Dissense weiter, die für die Teilung maßgeblich gewesen waren. Doch die Konfliktbereitschaft hatte erheblich abgenommen. Der von der Verwaltung und der besorgten Öffentlichkeit befürchtete »Grabenkrieg zwischen PI und IfP« flammte nicht auf. Sowohl PI als auch IfP waren eben keine zentralistisch ausgerichteten Wissenschaftlichen Einrichtungen. Sie hatten sich längst in funktionale Arbeitsbereiche untergliedert, in denen das Interesse an der ungestörten Fortführung der eigenen Projekte dominierte. Kooperationen erfolgten oft mit Partnern aus anderen Universitäten; innerhalb der FU nahmen die Kontakte zwischen Angehörigen der beiden psychologischen Institute zu. Kollegiale Manieren und Zurückhaltung bei Kritik wurden zu neuen Tugenden. Aggressiv geführte Richtungsdebatten kamen zum Erliegen. Nicht zu unterschätzen war der Umstand, daß im Jahre 1980 beide Institute ihre Standorte hatten aufgeben müssen, um Nachbarn in der damals neuen »Silberlaube« auf dem früheren Dahlemer Obstbaugelände zu werden. Die Mitwirkung an der Bauplanung (Norbert Manns für das IfP, Reinhard Stolpe für das PI) war übrigens eine der wenigen Gemeinsamkeiten, welche den Instituten verblieben waren. Mit dem Umzug in die Silberlaube war zudem die hervorragend ausgestattete Fachbibliothek wieder in einem gemeinsam genutzten Gebäude untergebracht. Es mehrten sich also die Gelegenheiten zu informellen Begegnungen. Zudem konnten Studierende leichter an Lehrveranstaltungen aus beiden Instituten teilnehmen. Weil Leistungsnachweise gegenseitig anerkannt wurden und – in begrenztem Umfang – auch Prüfer aus dem jeweils anderen Institut gewählt werden konnten, verwischten sich die Unterschiede zwischen den Studiengängen in den beiden Fachbereichen.

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Psychologie

Mit der Wiedervereinigung der Stadt gewannen finanzielle Argumente an Gewicht. Vier psychologische Studiengänge an den nunmehr jedermann zugänglichen drei Berliner Universitäten erschienen vielen Steuerbürgern untragbar. Daß die Organisation der Studiengänge die Kosten für das Psychologiestudium weitaus weniger in die Höhe trieb als die Zahl der Studierenden, war nur noch wenigen Einsichtigen zu vermitteln. Der Druck auf die FU wuchs, ihre beiden psychologischen Studiengänge zusammenzuführen. Eine mit auswärtigen Experten besetzte Hochschulreformkommission des Landes, die übrigens die gesamte Berliner Psychologie recht wohlwollend beurteilte, machte 1993 noch Vorschläge für eine Neuorganisation. Für die FU empfahl die Kommission, die Lehr- und Forschungskapazität der Psychologie zu erhalten, ja sogar noch aufzustocken. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Kommissionberichts beschloß die Universität die Auflösung von PI und IfP sowie die Neugründung von sechs fachlich bestimmten psychologischen Instituten in einem neuen Fachbereich »Erziehungswissenschaft, Psychologie, Sport«. Proteste von Seiten des Faches blieben schwach und verhinderten die Umsetzung des Beschlusses nicht. Damit war zum 1. April 1995 der vor allem hochschulpolitisch motivierte Zustand der Zweiteilung beendet. Die Neuorganisation des Studiengangs sollte durch eine personelle Erneuerung gefördert werden. Doch seit dem Beginn der Neuorganisation stagnieren selbst Wiederbesetzungen. Der Haushalt der FU schrumpfte dramatisch. Die Universität mußte sich auf eine Halbierung ihres Bestandes einstellen. Für die Psychologie sind inzwischen nur noch dreizehn Professuren vorgesehen. Dies bedeutet eine Einbuße von elf Professuren aus dem früheren Gesamtbestand. Erst nach Ablauf mehrerer Jahre wird die neue Planzahl von dreizehn Professuren durch fällige Abgänge unterschritten sein; erst dann ist die nächste Neuberufung möglich. Der finanzielle Einschnitt beeinträchtigt zugleich die Beschäftigung von wissenschaftlichen Mitarbeitern. Die Szene verdüstert sich vollends durch die jahrelange Weigerung der Verwaltungsgerichte, die erfolgten Kürzungen bei der Zulassung von Studierenden in Rechnung zu stellen. Wer also der FU-Psychologie eine glänzende Zukunft voraussagen will, ist gut beraten, das bevorstehende Jahrzehnt zu überschlagen. Ohne personelle Erneuerung und ohne Anpassung der Rahmenbedingungen ist die avisierte Neuordnung des Faches nicht zu schaffen. Oder gelingt sie doch? Vielleicht ist der Rückblick auf fünfzig Jahre FU eine Lektion in Optimismus. Wer hätte vor fünf Jahrzehnten eine erfolgreiche Bilanz in Forschung und Nachwuchsförderung für möglich gehalten, wie man sie zum fünfzigsten Jahrestag der Universität ziehen kann? Wäre voraussehbar gewesen, wie das Fach, kaum den Aufbaunöten entronnen, sich in existenzbedrohliche Positionenkonflikte stürzte? Warum sollten nicht auch in naher Zukunft noch Forschung und Lehre möglich sein, welche dem nächsten Aufschwung den Weg bereiten? Warum sollten die Bürger, die – oft kopfschüttelnd – einer innerlich zer-

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Wolfgang Schönpflug / Horst-Peter Brauns

rissenen Psychologie großzügige Unterstützung gewährt haben, einer konsolidierten Psychologie auf längere Frist das Notwendige verweigern, während sie zugleich das Fach mit Studienwünschen überschütten? Warum sollte der Standort Berlin nicht weiterhin Anreiz und Unterstützung verschaffen durch Kooperationen mit aller Welt ebenso wie mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen in der und um die Stadt selbst? Warum soll die in den vergangenen fünfzig Jahren bewiesene Innovationskraft des Lehrkörpers und der Studierenden erschöpft sein? Und schließlich: Warum sollte die FU als multidisziplinäre, international ausgerichtete Universität im Süden Berlins in ihrem sechsten Jahrzehnt nicht einen corps d´esprit entfalten, der auch der im Gleitflug befindlichen FU-Psychologie frischen Auftrieb gibt?

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Brigitte Berendt Hochschuldidaktik an der Freien Universität von den Anfängen 1965 bis 2012

Einleitung und Überblick a) Begriff und wesentliche Inhalte von Hochschuldidaktik, Stellenwert

Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) empfahl die Förderung von 15 Modellversuchen zur Hochschuldidaktik. Grundlage war die zwischen Bund und Ländern abgeschlossene »Rahmenvereinbarung zur koordinierten Vorbereitung, Durchführung und wissenschaftlichen Begleitung von Modellversuchen im Bildungswesen.« vom 07.05.1971. Unter den 15 Modellversuchen war das Entwicklungsforschungsprojekt der FU Berlin »Entwicklung, Erprobung und empirische Überprüfung eines Curriculums zur hochschuldidaktischen Aus- und Fortbildung an der Hochschule« (Laufzeit 01.04.1975–31.03.1979). Dieses war von der Autorin initiiert und geleitet worden. Der ausführliche Auswertungsbericht (BLK 1982) zu einzelnen Fragen der Hochschuldidaktik wurde von einer Projektgruppe erstellt. Mitglieder waren insbesondere von Schenk (BMBW), Skowronek (Universität Bielefeld / Psychologie), Weinert (Max-Planck-Institut für psychologische Forschung München). Die Einleitung führt zum Begriff Hochschuldidaktik aus: »Hochschuldidaktik als wissenschaftliches Aufgabengebiet entsteht aus den viel-

fältigen Anlässen und Notwendigkeiten, die Ausbildung an den Hochschulen weiterzuentwickeln und zu verbessern. Allgemein versteht man darunter alle Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu Lehr- und Lernprozessen im Hochschulbereich, was die Analyse von Zielsetzungen und institutionellen Bedingungen der Ausbildung einschließt. Dieses Aufgabengebiet wird unterschiedlich weit abgesteckt: Hochschuldidaktik in einem engeren Sinne, auch als ›Hochschulpädagogik‹ bezeichnet, bezieht sich auf die Ausgestaltung von Lernsituationen (soziale Organisation, Medien etc.) im vorgegebenen Rahmen bestehender Studienordnungen und Ausbildungsgänge: Hochschuldidaktik in einem weiten Sinne schließt neben den genannten hochschulpädagogischen Problemen auch allgemeinere ausbildungsrelevante Fragestellungen nach Struktur, Funktion und Wirkungen des Hochschul- und Wissenschaftssystems ein, so daß beispielsweise nicht nur die Ausbildungsleistungen der Hochschule,

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Brigitte Berendt sondern auch ihre umfassenderen gesellschaftlichen Funktionen zu untersuchen sind. 1 In diesem weiten Sinne sind – so der Auswertungsbericht – die Probleme der Hochschuldidaktik im Hinblick auf unterschiedliche allgemeine Bedingungs-, Analyse- und Handlungsebenen zu konzipieren: − Hochschule im gesellschaftlichen Zusammenhang − Rahmenbedingungen rechtlicher und institutioneller Art − Entwicklung von Studiengängen − Entwicklung von Studiengangelementen − Gestaltung von einzelnen Lehrveranstaltungen − Wechselwirkungen zwischen Studium, Lehre, Wissenschaft und Beruf.«

Unter »Bildungsplanerische Einordnung der Modellversuche zur Hochschuldidaktik« wird u.a. verwiesen auf eine Arbeitsgruppe des Hochschulausschusses der KMK, die sich bereits mit der Institutionalisierung der Hochschuldidaktik befaßte. 1972 richtete die DFG das Schwerpunktprogramm Hochschuldidaktik ein, 1976 hat das Hochschulrahmengesetz die fachbezogene und fachübergreifende Förderung der Hochschuldidaktik zu einem der Ziele der Neuordnung des Hochschulwesens bestimmt (§ 4, Abs. 3, Nr. 5 HRG). Wörtlich: »Die Studienreform, ständige Aufgabe der Hochschulen, soll gewährleisten, daß

die Formen der Lehre und des Studiums den methodischen und didaktischen Erkenntnissen entsprechen (§ 8, Abs. 1, Nr. 2 HRG); die Hochschulen wurden daher gesetzlich zur Förderung der Hochschuldidaktik verpflichtet (§ 8, Abs. 4, HRG); diese Aufgabenstellung wurde auch in den nachfolgenden Landeshochschulgesetzen verankert.«

Abschließend wird auf 22 Orientierungspunkte des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft von 1978 verwiesen, sowie darauf, daß das Thema Hochschuldidaktik auch in den Grundsätzen für Studium und Prüfung der ständigen Kommission für die Studienreform bei der KMK behandelt wird. In der »Kritischen Bibliographie zur Hochschuldidaktik« (Prior 1971) wurden von 1956 bis 1971 als Inhalte für die Kapitelüberschriften I bis XII 1200 Bücher und Aufsätze ausgewertet, von denen 200 ausgewählt und kommentiert wurden (unter diesen Berendt (1969) »18 Jahre Tutorenarbeit an der Freien Universität Berlin – Organisation, Erfahrungen, Experimente – Modelle zur Auflockerung großer Lehrveranstaltungen« mit einem Anhang »Untersuchung zweier Modelle in den Fächern Mathematik und Soziologie« von Sack, Kalusche, sowie Gabriel, Rothe). Die Inhalte der Kapitel der Bibliographie lauten: I II

Zum Strukturwandel der Universität und ihrer Lehre Hochschuldidaktik: (Definitionen und Themen, Aufgaben und Inhalte, Forschungsbericht und Initialisierung)

1 Vgl. Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Hochschuldidaktik: Die Lage der Hochschuldidaktik: Bericht und Materialien. Heft 74 der Reihe Hochschuldidaktische Materialien, Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik (AHD), Hamburg 1980.

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Hochschuldidaktik III Wissenschaftsdidaktik IV Curriculum V Motivation VI Lernprozeß VII »Hochschulreife« und Studienanfang VIII Lernende und Lehrende IX Gruppendynamik X Lehr- und Lernformen XI Unterrichtsforschung XII Leistungsmessungen und Prüfungen

Kapitel I beginnt mit »offiziellen Stellungnahmen« (u.a. Wissenschaftsrat 1960, 1966, 1968, 1970; WRK 1967 und »Zum Vergleich mit dem Hochschulwesen anderer Länder«). U.a. wird die immer noch aktuelle »Taxonomy of Educational Objectives« von Bloom 1956 erwähnt: auf sie wird im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozeß bei der Bestimmung von Kompetenzen als learning outcomes zurückgegriffen. Verschiedene weitere Veröffentlichungen aus der FU werden benannt: von Achtenhagen, Biglmaier, Blankertz, Issing, sowie Heimann (PH Berlin). In der von Lenzen und Schründer 1983 veröffentlichten Enzyklopädie Erziehungswissenschaften werden im Band 10 (Huber Hg.) Aufgaben und Leistungen der Hochschuldidaktik dokumentiert. Vorab analysiert Huber (S. 114– 138) die Stationen der Geschichte von der Gesellschaft für Hochschulpädagogik 1898 – 1934 bis zur Hochschuldidaktik der BRD. Zahlreiche Hochschuldidaktiker/innen stellen den Stand von 1983 dar. Neben ausgewählten Aufgabenfeldern und Leistungen (S. 307–450) enthalten Stichwortartikel ausführliche Zusammenfassungen über weitere Leistungen in verschiedenen hochschuldidaktischen Arbeitsbereichen mit ausführlichen Quellennachweisen zur Vertiefung (u.a. Berendt über Hochschullehrer-Fortbildung und Tutorenprogramme S. 521–524, 742–745). Eine Veröffentlichung von Wildt (2006) macht deutlich, daß die genannten Themenbereiche im wesentlichen auch heute noch Inhalte der Hochschuldidaktik sind. Allerdings sind mit den Empfehlungen und der »European Agenda for Change« von Europäischer Rektorenkonferenz und UNESCO-CEPES (1997, S. 10–12) die Inhalte der Hochschuldidaktik vor allem durch den Paradigmenwechsel »The Shift from Teaching to Learning« ergänzt worden. Dieser Wechsel vom Lehren zum Lernen ist im Rahmen des BolognaProzesses mit seinen Innovationen vor allem von Studium und Lehre von zentraler Bedeutung in den hochschulpolitischen Diskussionen und der hochschuldidaktischen Weiterbildung, Forschung, Beratung und Entwicklung durch z.Zt. 41 hochschuldidaktische Einrichtungen und 15 Netzwerke geworden (vgl. z.B. HRK 2008, Welbers, Gaus (Hg.) 2005: »The Shift from Teaching to Learning – Konstruktionsbedingungen eines Ideals«, sowie Ber-

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Brigitte Berendt

endt 2011 und 2006 mit zahlreichen Nachweisen betr. Umsetzungen in und Auswirkungen auf Studium und Lehre). Schlüsselbegriffe sind insbesondere die »Outcome-Orientierung« und »Studentenzentrierte Lehre«, die u.a. durch Rahmenvereinbarungen verbindlich geworden sind (Berendt 2006, Anhang).

b)

Von der Gründung des Arbeitskreises für Hochschuldidaktik / AHD 1967 durch den Hochschulverband bis zu Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik / dghd 2012

Wie aus der »Kritischen Bibliographie zur Hochschuldidaktik« (Prior 1971) und einer Veröffentlichung von Huber in »Wissenschaftsdidaktik« (v. Hentig et al. 1970) hervorgeht, reichen die Diskussionen um die Reform von Studium und Hochschullehre mit Hochschuldidaktik als Kernstück bis 1962 zurück. Huber (a.a.O, S. 43) benennt Beispiele für hochschuldidaktische Arbeit »Mit beträchtlichem Vorsprung haben medizinische Fakultäten (Tübingen: bedside teaching und Instruktoren, Hannover: Blockstudium und klinisches Internat) hochschuldidaktische Innovationen durchgeführt«. 1967 gründete der Hochschulverband durch Thieme den Arbeitskreis für Hochschuldidaktik / AHD. In diesem wurde zunächst eine Bibliographie und eine Fragebogenaktion zu methodischen Experimenten, sowie ein Seminar über Prüfungen erarbeitet; auf der ersten Jahresversammlung 1968 waren Lernpsychologie und kleine Gruppen das Thema, und der Vorsitzende Thieme unterstrich, »daß der Interessenschwerpunkt … bei den Methodenproblemen und bei der Ausrichtung neuer technischer Errungenschaften liege« (Huber 1970 unter Verweis auf AHD [Hg], Hochschuldidaktische Materialien, Heft 1, und erste hochschuldidaktische Aktivitäten in der BRD). Der genannte Arbeitskreis wurde 1971 umbenannt in »Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik« AHD wurde als Abkürzung beibehalten. Die AHD wurde 2008 umbenannt in »Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik / dghd«. Durch ihre Veröffentlichungsreihen, hochschuldidaktische Materialien und »Blickpunkt Hochschuldidaktik« wurden und werden nicht nur die jährlichen Tagungen dokumentiert, sondern auch wesentliche Ergebnisse von hochschuldidaktischer Weiterbildung, Forschung, Beratung und Entwicklung. Durch verschiedene AHD-Veröffentlichungen wurden Arbeitsvorhaben der Freien Universität Berlin einer großen Öffentlichkeit bekannt und beeinflußten damit hochschuldidaktische Entwicklungen an anderen Universitäten und Hochschulen der BRD. Hier einige Beispiele: − Als AHD-Blickpunkt 3 erschien »18 Jahre Tutorenarbeit an der Freien Universität Berlin: Organisation, Erfahrungen, Experimente, Modelle zur Auflockerung großer Lehrveranstaltungen« (Berendt 1969). Diese Veröffentlichung führte zu dem von der Stiftung Volkswagenwerk initiierten Schwerpunkt »Tutorenprogramme«. Die Beratung und Betreuung durch

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Hochschuldidaktik

Berendt, teilweise mit Canaris-Kelter bewirkten den Aufbau von Tutorenprogrammen an verschiedenen Universitäten der BRD (Einzelheiten: Stiftung Volkswagenwerk (Hg.) 1970–1973). − Ein »Vorschlag zur Gründung eines Zentralinstituts für Hochschuldidaktik an der Freien Universität« wurde von einer Arbeitsgruppe (Berendt, Frech, Schuller, Skuhr, Wilms-Posen, Zimmer) erarbeitet. Er wurde in Heft 18 der hochschuldidaktischen Materialien »Zur Lage der Hochschuldidaktik – Materialien zu Funktion, Planung und Organisation hochschuldidaktischer Zentren in der BRD« von Spindler und Walter 1971 veröffentlicht (a.a.O., S. 50–62). U.a. sollten die Ergebnisse der Studienreformkommission auf Universitätsebene (Leiter Borinski, Geschäftsführerin Berendt, Mitglieder u.a. Coper, Damerow, Lefèvre) und die Erfahrungen des Tutorenprogramms ausgewertet und integriert werden (a.a.O., S. 50). – Als AHD-Hochschuldidaktische Materialien wurden wesentliche Ergebnisse des Modellversuchs veröffentlicht: »Hochschuldidaktische Aus- und Fortbildung für Lehrende im Baukastensystem – Veranstaltungsmodelle, Strukturelemente« (Berendt 1980). Der stark nachgefragte 178 Seiten umfassende Band über das erste Entwicklungsforschungsprojekt in der BRD zur Professionalisierung in der Hochschullehre enthält ein ausführliches Literaturverzeichnis mit zitierten Veröffentlichungen, Überblick über 20 erarbeitete Beihefte von Berendt, Gralki, Hecht und Hoefert, sowie weiterführende in- und ausländische Veröffentlichungen zum Fokus hochschuldidaktische Aus-, Fort- und Weiterbildung. Im Zusammenhang mit dem Einsatz umfangreicher Mittel aus dem Qualitätspakt Lehre ist es z.Zt. wieder aktuell. – Dokumentationen über an der FU vorbereitete und durchgeführte AHDTagungen zu aktuellen Themen sind: »Neue Formen des Lehrens und Lernens »mit 500 Teilnehmenden (Berendt, Gralki 1978) und »Evaluation zur Verbesserung der Qualität der Lehre und weitere Maßnahmen« (Berendt, Stary (Hg.) 1993 / AHD Blickpunkt Hochschuldidaktik 95). Die Autorin koordinierte das von Berendt, Gasch, Huber, Ritter 1983 initiierte hochschuldidaktische Netzwerk. Seit 1978 vertrat sie AHD und die BRD im EG-/EU-Projekt »Staff Mobility«. Sie konzipierte gemeinsam mit Conrad, Piper, Veltmann die sogenannten Maidstone-Konferenzen für »Academic Staff Developers »(Hochschuldidaktiker/innen). Diese wurden 1978 bis 1997 als Fortbildungsveranstaltungen für den genannten Personenkreis in verschiedenen europäischen Ländern alle 2 Jahre durchgeführt. Weiterhin vertrat sie die AHD und BRD im deutsch-deutschen Kulturabkommen 1996–1998. Sie war Mitglied der AHD-Arbeitsgemeinschaft Curriculum, welche die noch 2012 geltenden »AHD-Leitlinien zur Modularisierung und Zertifizierung hochschuldidaktischer Weiterbildungsangebote« erarbeitete. Diese wurden von der Mitgliederversammlung der AHD 2005 beschlossen.

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Brigitte Berendt

Von 2001–2011 war sie stellvertretende Vorsitzende der AHD / dghd- Akkreditierungskommission /AKKO; seit 2012 ist sie Mitglied der dghdForschungskommission (Vorsitzender: Schaper).

c)

Relevanz von Hochschuldidaktik auf der internationalen Ebene.

d)

Inhalte des Beitrags zur Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität (Hg. Kubicki, Lönnendonker 2012)

Insbesondere hochschuldidaktische Aus-, Fort- und Weiterbildung erwies sich nicht nur national, sondern auch international (Academic Staff Development / Faculty Development) als besonders geeignete Maßnahme und als Bestandteil von Qualitätssicherung und -entwicklung von Hochschulen und Hochschullehre. Stellenwert und Nachfrage nehmen ständig zu (Berendt 2005, 2011). Diese Tendenz hatte bereits eine Untersuchung für die UNESCO über West- und Osteuropa ergeben (Berendt 1999). Die Aktivitäten der FU-Arbeitsstelle Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung in hochschuldidaktischer Weiterbildung, Forschung, Beratung und Entwicklung auch auf internationaler Ebene wurden besonders durch Drittmittelprojekte von DAAD, EU, GTZ und UNESCO gefördert. Besondere Außenwirkungen hatten die vergleichenden Forschungsarbeiten von Berendt über Academic Staff Development / Faculty Development und über Ergebnisse der Hochschul-Lernforschung seit 1967/68 im Hinblick auf Handlungsorientierungen für die Hochschullehre sowie einzelne Veranstaltungskonzepte (u.a. Berendt 1998). Hierauf aufbauende hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen, Beratungen und Entwicklungsarbeiten wurden auch an Universitäten Osteuropas, Afrikas und arabischer Staaten durchgeführt (vgl. englische Veröffentlichungen von Berendt seit 1981). Die FU-Arbeitsstelle wurde bereits 1996 wegen ihrer Beiträge zur internationalen Diskussion, Entwicklung und auch Forschung in der UNESCOVeröffentlichung über Higher Education Management, Training and Development als Centre of International Excellence bezeichnet (Davies 1996)

Der Beitrag beginnt mit »Erneuter Aufschlag 2012: Innovationen zur weiteren Verbesserung in Studium und Lehre an der FUB – Ausblick und Rückblick (Kap. 1)«. Es folgt ein Überblick über »Hochschuldidaktik in der BRD und Deutschland bis 2003« (Kap. 2). Danach werden Entstehung der Arbeitsstelle, Aufgaben und Konzept (Kap. 3) skizziert. Kap. 4 befaßt sich mit »Academic Staff Development« als Bestandteil von Qualitätssicherung und -entwicklung, sowie mit Einbindung und Außenwirkungen der FU-Arbeitsstelle in nationale und internationale Entwicklungen. Die Darstellung von weiteren Beispielen für Aktivitäten der Arbeitsstelle in verschiedenen Bereichen der Hochschuldidaktik auf institutioneller, regionaler, nationaler und internationaler Ebene

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Hochschuldidaktik

schließt sich an (Kap. 5). In Kap. 6 werden die institutionelle und personelle Absicherung des Arbeitsbereichs Hochschuldidaktik an der Freien Universität Berlin beschrieben. Kap. 7 skizziert Aktivitäten der Mitglieder der Arbeitsstelle nach 2003. Kap. 8 gibt einen Überblick über Entwicklungen 2008– WS 2011/2012, Kap. 9 über Hochschuldidaktik an Berliner Universitäten im WS 2011/2012. Es folgen einige Schlußbemerkungen und Ausblicke in Kap. 10.

1.

Erneuter Aufschlag 2012: Innovationen zur weiteren Verbesserung in Studium und Lehre an der FUB – Ausblick und Rückblick

1.1 Systemakkreditierung

Am 14.09.2011 hatte der Akademische Senat der FUB die Einführung der »Systemakkreditierung« beschlossen. Diese wurde insbesondere an der Johannes Gutenberg Universität Mainz / JGU bereits erfolgreich praktiziert. Die Veröffentlichungen der JGU (teilweise aus ihrer Homepage zu entnehmen) verdeutlichen u.a. den engen Zusammenhang der Systemakkreditierung mit Maßnahmen zur Verbesserung der Lehre. Der Mitinitiator und Leiter des Zentrums für Qualitätssicherung und -entwicklung sowie des Hochschulevaluierungsverbundes an der JGU zeigt in seiner aktuellen Veröffentlichung auf, daß und wie eine erfolgreiche Verknüpfung von hochschuldidaktischer Weiterbildung in Verbindung mit hochschuldidaktischer Forschung, Beratung und Entwicklung möglich und sinnvoll ist (Schmidt 2012). Ein Gespräch mit dem Vizepräsidenten für Lehre der FUB Bongardt ergab u.a., daß bereits Kontakte zur JGU aufgenommen wurden.

1.2 Weitere Verbesserung von Studium und Lehre aus dem Qualitätspakt: Ausblick

Am 28.02.2012 teilte der Präsident der FUB, Peter André Alt, unter »Neues aus Wissenschaft und Forschung«, (Beilage zum Tagesspiegel, S. B 1 für die FUB) mit: »11,3 Mio. Euro erhält die FUB bis Ende 2016 zusätzlich für die weitere Verbesserung von Studium und Lehre aus dem Qualitätspakt von Bund und Ländern (2. Bewilligungsrunde)«. Aus dem Qualitätspakt Lehre sollen Teilprojekte, die eng untereinander zusammenhängen, finanziert werden. Dazu der Präsident in der o.a. Mitteilung vom 18.02.2012: Teilprojekt 1 betrifft: die Begleitung der Studierenden bei der Bewältigung von Übergängen, die häufig besonders kritische Phasen für den Studienerfolg darstellen: In der 1. Phase werden Studieninteressierte vor der Wahl eines Studienfachs unterstützt; ein Selbsteinstufungstest (im Internet zugänglich) bietet

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Brigitte Berendt

»ideale Chancen im Hinblick auf subjektive Selbsteinschätzung und objektive Erwartungshorizonte« In der 2. Phase werden Studienanfänger/innen, die häufig noch nicht über die »erforderlichen Lernstrategien und Kompetenzen zur Streßbewältigung, Selbstmotivation und -reflexion verfügen«, durch Mentorenprogramme unterstützt: Studierende aus höheren Semestern werden in Vorbereitungskursen geschult, um die Betreuung von Erstsemestern zu übernehmen, methodische Kompetenzen werden vermittelt, geeignete Arbeitstechniken geübt, erfolgreiches Zeitmanagement erlernt. Teilprojekt 2 betrifft: den erweiterten Einsatz moderner Technologien und Medien in Studium und Lehre. Diesen »innovativen Bereich« – so Alt – hat die FUB »bereits vor einigen Jahren aufgebaut. Seine Weiterentwicklung soll – nicht zuletzt deshalb, weil Studierende dem e-Learning höchste Bedeutung für ihren individuellen Studienerfolg bescheinigt haben – dazu beitragen, lernzentrierte und lerngesteuerte Studieraktivitäten zu fördern. Es soll helfen, zeitlich und räumlich flexible Lernmöglichkeiten zu schaffen und die Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden unterstützen.« Teilprojekt 3 soll ein mehrstufiges Qualifizierungsprogramm für Nachwuchswissenschaftler/innen sein, das »Weiterbildungsangebote beispielsweise zu Verfahren und Methoden der Gestaltung von Lehr- und Lernarrangements mit der Beratung und dem Coaching durch erfahrene Dozenten verbindet.« Abschließend betont Alt, daß die Mittel von Bund und Ländern die Entwicklung und Umsetzung von universitätsweiten Gesamtkonzepten, aber keine Einzellösungen vorsehen.

1.3 Verbesserung von Studium und Lehre: Rückblick

Auf den an der FUB bereits vor einigen Jahren aufgebauten »innovativen Bereich« betr. den Einsatz moderner Technologien und Medien in Studium und Lehre wies der Präsident im Zusammenhang mit dem o.a. Teilprojekt 2 hin. Ergänzend könnte hinzugefügt werden, daß bezüglich der Teilprojekte 1 und 3 in Teilen der angeführten Beispiele sogar an der FU Pionierarbeit geleistet wurde, deren Anfänge bis nahezu 50 Jahre zurückgehen. Hier einige Beispiele: Betreuung von Erstsemestern durch Studierende aus höheren Semestern gab es bereits im WS 1951/52 im sogenannten »studentischen Tutorenprogramm«. Dieses begann mit acht Tutorengruppen, die Zahl stieg kontinuierlich bis auf 170 Tutorengruppen im Jahre 1968. Dieses Programm begann mit dem Ziel, als »Studienhelfergruppen, Studienanfängern bei der Überwindung der vielfältigen Schwierigkeiten zu helfen, die beim Übergang von der Schule auf die Universität entstehen«: ältere Studenten am Friedrich MeineckeInstitut bildeten mit Hilfe insbesondere der Professoren Berges und Herzfeld

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Hochschuldidaktik

die ersten 8 Gruppen (Berendt 1969, S. 5 ff.). 1953 ernannten Rektor und Senat Berges zum »Beauftragten für das studentische Gemeinschaftsleben«. Sie eröffneten so die Möglichkeit, Studienhelfern als studentischen Tutoren aus Mitteln der Ford-Foundation eine monatliche Aufwandsentschädigung zu zahlen (nach Erinnerung der Autorin 60 DM monatlich, von denen 20 DM – mit Zahlungsnachweisen – für Gruppentreffen abzurechnen waren). Aus den Sondermitteln waren außerdem die Universitätswochen zum Studium Generale und neu entstandene studentische Gemeinschaften (im Gegensatz vor allem zu traditionellen Studentenverbindungen) zu finanzieren. Seit SS 1953 waren die Tutoren dem »Beauftragten des Rektors und Senats für das studentische Gemeinschaftsleben« (zuerst Berges, zuletzt Herzfeld) zugeordnet. Der »Sekretär des Beauftragten …« war auch Beauftragte/r für das Tutorenwesen (Lieber, später Schulz-Popitz). Die Autorin trat 1962 die Nachfolge als Sekretär und Beauftragte für das Tutorenwesen an. Sie betreute das studentische Tutorenprogramm, organisierte sogenannte Universitätstage als Form des Studium Generale. Sie initiierte 1965 zusätzlich das wissenschaftliche Tutorenprogramm an der FUB. Durch dieses sollten im Einverständnis mit den Fakultäten zunächst Schwerpunktprogramme in denjenigen Fächern begonnen werden, »in denen vor allem die Massensituation in einigen Lehrveranstaltungen die Erprobung neuer Unterrichtsformen notwendig erscheinen ließ«. Die Mittel wurden 1965 auf 35 Gruppen beschränkt, schließlich laufend jährlich erhöht bis auf 165 im Jahre 1968. Die Beauftragte hatte hierfür einen gesonderten Titel im Universitätshaushalt zur Verfügung (Einzelheiten: Berendt 1969). Als Geschäftsführerin der Studienreform-Kommission der FUB (Leitung: Borinski) führte sie im Auftrag des Rektors eine Befragung über »Experimente, Maßnahmen und Pläne zur Studienreform« an der FU durch, und veröffentlichte diese (Berendt 1968). Sie beriet die Stiftung Volkswagenwerk und interessierte Antragsteller betr. die Förderung des Aufbaus von Tutorenprogrammen von SS 1968–SS 1972 an anderen Universitäten orientiert an FU-Beispielen (Einzelheiten vgl. Stiftung Volkswagenwerk (Hg.) 1970–1972). Kleingruppenarbeit an der FU wurde vor allem im Zusammenhang mit Massenveranstaltungen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, im Fach Germanistik und am Otto-Suhr-Institut eingerichtet. Am 2. Mathematischen Institut hatte Grotemeyer ein vielbeachtetes sogenanntes Übungsgruppenmodell eingeführt (Einzelheiten vor allem Berendt 1969, aber bereits 1967 und 1968). Studentische Tutoren, später wissenschaftliche Tutoren wurden von der Beauftragten für das Tutorenwesen in Gruppenterminen auf ihre Tätigkeiten vorbereitet. In weiteren Treffen wurden auftretende Probleme diskutiert, am Semesterende schickten die Tutoren/Tutorinnen Semesterberichte auf der Grundlage der an sie gesandten Fragebögen. Zusätzliche fachliche Vorberei-

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Brigitte Berendt

tungstermine für wissenschaftliche Tutoren / Tutorinnen wurden vom verantwortlichen Professor / von der verantwortlichen Professorin der jeweiligen Massenveranstaltung durchgeführt, teilweise mit Assistenten/Assistentinnen. Auf diese Weise wurden die Kleingruppen (Tutorien) mit den begleiteten Lehrveranstaltungen »verzahnt«. Die Autorin führte in diesem Zusammenhang erste hochschuldidaktische Werkstattseminare seit 1970, auch für am wissenschaftlichen Tutorenprogramm beteiligte Wissenschaftler/innen, durch. Teilweise waren an diesen Kollegen/Kolleginnen aus anderen Universitäten (insbesondere Hamburg: Schulz von Thun, Göttingen: Flechsig sowie Münster: Sader) beteiligt. Mitarbeit in Mentorenprogrammen (früher wie o.a. an der FU als studentische Tutorenprogramme bezeichnet) sowie Aus- und Fortbildung von Mentoren und vor allem Weiterbildung Lehrender in modernen Lehrmethoden waren seit den Anfängen hochschuldidaktischer Einrichtungen in den 1970er Jahren ein wichtiger Tätigkeitsbereich (Brandt 1976, Ewald, Figge 1976, Flechsig, Haller 1975 und Huber 1975). Seit 1970 hat die Autorin hochschuldidaktische Entwicklungsforschungsprojekte, Werkstattseminare, Netzwerke und Tagungen auf institutioneller, nationaler und seit 1981 auf internationaler Ebene konzipiert, organisiert, bzw. durchgeführt. Die genannten Aktivitäten wurden in der Regel ergänzt durch Beratungen, vor allem für Entwicklungsforschungsprojekte. Die Autorin konnte auf ihrem Erfahrungswissen mit Tutorenprogrammen aufbauen, sowie auf Ansätzen der Didaktik im Zusammenhang mit der Analyse und Planung von Unterricht, insbesondere von Bloom (1956), McKeachie (1963), Robinsohn (1969), und Schulz (1965). Arbeitskontakte bestanden vor allem zu Blankertz (1970), Flechsig, Ritter (1970), Huber (1968 / BAK: Kreuznacher Hochschulkonzept) und Sader (1970). Hilfreiche unterstützende zusätzliche Kompetenzen hatte Berendt durch die Ausbildung bei Cohn in Themenzentrierter Interaktion / TZI erwerben können, sowie durch ihre Teilnahme an einem umfangreichen Kurs über Gruppendynamik bei NTL / USA.

1.4 Institutionelle Verankerung des Modellversuchs als Folge positiver Bewertungen

Wie die BLK in ihrem Auswertungsbericht zum FU-Modellversuch konkretisierte, sollte dieser vorhandene Ansätze zur Verbesserung hochschuldidaktischer Aus- und Weiterbildung fortführen. Eine Frage von zentralem Interesse war, »wie fachdidaktisch bestimmte und fachübergreifende Lernziele gleichfalls das didaktische Handeln der Lehrenden bestimmen können« (BLK 1982, a.a.O., S. 18). Die von der BLK veröffentlichte »Auswertung des Modellversuchs zu einzelnen Fragen der Hochschuldidaktik« enthält den Bericht der Projektgruppe mit Materialien (S. 8–75). Mitglieder waren insbesondere von

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Hochschuldidaktik

Schenck (BMBW), Skowronek (Universität Bielefeld, Psychologie), Weinert (Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung). Der Bericht mit sehr positiver Bewertung des genannten FU-Modellversuchs enthielt Ausführungen zu a) Institutionelle Verankerung des Modellversuchs, b) Anlage c) Ergebnisse, d) Zusammenfassende Bewertung (S.48–52). Die Auswertung gibt einem Überblick über die FU-Veröffentlichung der Mitglieder des Modellversuchs Berendt, Gralki, Hecht, Hoefert zum Arbeitsbereich Hochschuldidaktik, sowie die von ihnen erstellten 19 Beihefte zum Modellversuch, betr. Grundlagen und Einzelaspekte (z.B. die »wissenschaftliche Begleitung«, »Konstruktionsprinzipien für Workshops«). Weiter werden die einzelnen Workshops und Evaluationsinventar vorgestellt. Im Bericht der BLK (S. 48) heißt es zu »Institutionelle Verankerung des Modellversuchs«:

»Der Modellversuch war zunächst dem Beauftragten für das Tutorenwesen beim Präsidenten der FU zugeordnet; während der Laufzeit wurde diese Stelle umgewandelt und als »Arbeitsstelle für Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung« dem Fachbereich Erziehungswissenschaften (12) WE 3 eingegliedert. Die Leiterin des Referats bzw. der Arbeitsstelle fungierte als einer der beiden Projektleiter. Ein Wissenschaftlicher Beirat aus vier Hochschullehrern des Fachbereichs Erziehungswissenschaften und der (ehemaligen) Pädagogischen Hochschule unterstützte die Arbeit des Modellversuchs.«

In Übereinstimmung mit dem genannten Fachbereich hatte das Kuratorium in einer ersten Entscheidung die Institutionalisierung und Zuweisung beschlossen, in einer zweiten die personelle und sächliche Ausstattung: Neben der Leiterin wurde die Ausstattung des Referats Tutorenwesen mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter und zwei halben Sachbearbeiterinnen-Stellen um zwei zusätzliche wissenschaftliche Mitarbeiter aufgestockt (vgl. auch 3.2). Die Autorin leitete von 1978–2001 die FU-Arbeitsstelle Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung. Danach war sie vor allem auf internationaler und nationaler Ebene aktiv, Projekte wurden fortgeführt und weiterentwickelt. Die Ergebnisse ihrer aktuellen Untersuchungen über »Academic Staff Development als Teil von Qualitätssicherung und -entwicklung im Kontext des Bologna-Prozesses – Entwicklungen hochschuldidaktischer Aus- und Weiterbildung 2008–2011 in Deutschland« wurden im November letzten Jahres veröffentlicht (Berendt 2011).

2.

Hochschuldidaktik in der BRD bis WS 2002/2003

Wie in der Einleitung erwähnt, dokumentierten neben Prior (1971), der Bund-Länderkommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung /BLK (1980) Lenzen und Schründer (1983) mit Band 10 der von ihnen herausgegebenen Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Aufgaben und Leistun-

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Brigitte Berendt

gen der Hochschuldidaktik. Huber analysiert a.a.O. (S. 114–138) die Stationen der Geschichte von der Gesellschaft für Hochschulpädagogik 1898–1934 bis zur Hochschuldidaktik der BRD in der Folge der Studentenbewegung ab 1968. Zahlreiche Hochschuldidaktiker/innen stellen Diskussionsstand und Reformkonzepte vor. Neben ausgewählten Aufgabenfeldern und Leistungen (S. 307–450) enthalten Stichwortartikel Zusammenfassungen über Leistungen mit ausführlichen Quellennachweisen zur Vertiefung (z.B. über Hochschullehrer-Fortbildung und Tutorenprogramme: Berendt, S. 521–524, 742– 745).

2.1 Inhaltliche Aufgaben und Leistungen

Inhaltliche Aufgaben und Leistungen von zunächst 17 (in der Regel in den 1970er Jahren gegründeten) hochschuldidaktischen Einrichtungen entsprechen den in der Einleitung genannten Inhalten. Mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten entwickelten sie ihre Profile. Der nationale Dachverband AHD (Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik) dokumentierte seit 1968 Aufgaben und Leistungen der Hochschuldidaktik (u.a. Reihe Blickpunkt Hochschuldidaktik). Er ist aus der Initiative des Hochschulverbandes 1968, dem Arbeitskreis Hochschuldidaktik, hervorgegangen. Die AHD führte u.a. regelmäßige Konferenzen durch und unterstützte Netzwerke. Die AHDAktivitäten förderten vor allem die Kooperation hochschuldidaktischer Einrichtungen untereinander, sowie mit den zuständigen Ministerien, mit Hochschulleitungen und Hochschullehrern/innen und Drittmittel-Geldgebern. Zusätzlich zu den 17 erwähnten hochschuldidaktischen Einrichtungen entwickelten sich zunehmend hochschuldidaktische Initiativen, die in der Regel durch Sondermittel der Länder zur Verbesserung der Qualität der Lehre gefördert wurden. Im WS 2000/2001 konnte die nationale, von der Autorin initiierte und geleitete AHD-Arbeitsgruppe »Qualifizierung für die Lehre« 34 dieser Initiativen feststellen. 2003 waren fast alle von ihnen im Universitätsoder Fachhochschulbereich als hochschuldidaktische Einrichtungen institutionalisiert. Hier einige Beispiele aus drei Bundesländern, die den »boom« der Hochschuldidaktik konkretisieren: In Baden-Württemberg wurden 2001 9 neue Zentren an Universitäten eingerichtet, die hochschuldidaktische Aus-, Fort- und Weiterbildung (mit Zertifizierung) flächendeckend durchführen. Im Fachhochschulbereich gab es entsprechende Veranstaltungen bereits seit mehr als 20 Jahren; die Teilnahme wurde für neu eingestellte Hochschullehrer/innen verpflichtend. In Bayern besteht im Fachhochschulbereich eine landesweit zuständige Einrichtung mit obligatorischen Veranstaltungen. 2003 hat der Bayerische Landtag für Lehrende an Universitäten die Teilnahme an hochschuldidaktischen Veranstaltungen zwingend vorgeschrieben (DRS 14/12534). Entsprechende Mittel stehen für alle Universitäten des Landes zur Verfügung. In Nordrhein-Westfalen besteht ein gemeinsam mit dem zuständigen Ministerium entwickeltes Netz-

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Hochschuldidaktik

werk der 16 Fachhochschulen. Im Universitätsbereich wurden 4 zusätzliche hochschuldidaktische Zentren (HDZ) zu den bereits vorhandenen 5 eingerichtet. Das HDZ Dortmund war hier mit der bundesweit besten personellen Ausstattung angesiedelt. Es verfügte über 2 C3-Professuren, eine JuniorProfessur, 5½ Planstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter/innen und das Sekretariat und 8–10 Drittmittel-Stellen. Auch wurde 2001 mit Mitteln der Hans-Böckler-Stiftung das Promotionskolleg »Wissensmanagement und Selbstorganisation im Kontext hochschuldidaktischer Lehr- und Lernprozesse« gegründet. 16 Kollegiaten/Kollegiatinnen gehörten ihm an.

2.2 Hochschuldidaktische Forschungsschwerpunkte

Hochschuldidaktische Forschungsschwerpunkte waren nach Feststellung einer Arbeitsgruppe der AHD vor allem: a) Organisationsentwicklung/ Institutionelles Umfeld hochschulischen Lehrens, Lernen und Forschens, b) Studentisches Lernen, c) Studiengangforschung, d) Fachkulturen, e) Hochschullehrer-Fortbildung und Personalentwicklung, f) Wirkungsforschung und Evaluation hochschuldidaktischer Weiterbildung. Hochschuldidaktische Forschungsergebnisse wurden vor allem durch Beratung, Aus-, Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen und gemeinsame Arbeitsvorhaben in den Fakultäten und Fachbereichen, den unterschiedlichen Fachkulturen und damit verbundenen Studiengängen konkretisiert. Im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozeß betrifft das vor allem die Entwicklung von Bachelor- und Master-Studiengängen, die Internationalisierung von Studiengängen und -abschlüssen, Evaluation und Akkreditierung. Im Hinblick auf Schlüsselqualifikationen geht es um Lehr- und Lernziele, die über die Vermittlung von Fachwissen entsprechend den Standards einer wissenschaftlichen Disziplin hinausgehen. Studierende sollen für lebenslanges Lernen motiviert werden und z.B. die hierzu erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeit zu selbstgesteuertem Lernen erwerben. Sie sollen zur Kreativität, zur Lösung von Problemen außerhalb bekannter Standard-Situationen, zu Kooperation und Anwendung neuer Informationstechnologien qualifiziert werden.

2.3 Ausführliche Dokumentation von Aufgaben und Leistungen

Zur Ergänzung der informativen und umfangreichen Publikationen von Prior (1971) , BLK (1980) und Lenzen, Schründer (1983) ist zusätzlich zu verweisen auf die HRK-Publikation »Directory der Hochschulforschung« von 2003. Sie informiert über Sachstand und institutionelle Basis von Hochschulforschung und Hochschuldidaktik (Überblick: Teichler, a.a.O. S. 9–23). Einzelne Forscher/innen sind u.a. mit Beispielen ihrer Aufgaben und Leistungen benannt (z.B. Berendt, S. 53–54). An der Universität Halle/Wittenberg entstand das Projekt des Instituts für Hochschulforschung »ids hochschule« –gefördert von der Stiftung Volkswa-

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Brigitte Berendt

genwerk. Das Forschungs-Informationssystem umfaßte auch die Publikationen aus der Hochschuldidaktik, die vom HDZ Dortmund eingearbeitet wurden. Ein Teil der nahezu 300 Veröffentlichungen aus der Arbeitsstelle Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung der FU ist in der zentralen Dokumentation erfaßt (Einzelheiten vgl. http://hsbs.hof.uni-halle.de). Eine Datenbank wurde von der AHD-Forschungskommission unter BülowSchramm (z.Zt. Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Hochschulforschung) begonnen. Beispiele der Hochschuldidaktik, vor allem für »Best Practice«, finden sich im »Handbuch Hochschullehre« (1994–2001), bzw. seit 2001 im »Neuen Handbuch Hochschullehre/NHHL«, einer Lose-Blatt-Sammlung mit regelmäßigen Ergänzungslieferungen des Raabe Verlages (Hg. Berendt, Voss, Wildt). Die Autorin hatte zunächst auf Bitten des Raabe Verlages an der Konzipierung des »Handbuch Hochschullehre« mitgearbeitet, und stellte das Konzept auf der Frankfurter Buchmesse vor. Anschliessend war sie als Beraterin und schliesslich Mitherausgeberin tätig und empfahl Voss und Wildt als Mitherausgeber.

3.

Entstehung der FU-Arbeitsstelle, Aufgaben und Konzept

3.1 Modellversuch 1974–1979 als Grundlage für Kuratoriumsbeschlüsse

Wie in der Einleitung erwähnt, wurden bereits seit 1970 an der FUB hochschuldidaktische Fortbildungsveranstaltungen für am wissenschaftlichen Tutorenprogramm Beteiligte durch die Autorin als Beauftragte von Rektor und Senat für das Tutorenwesen durchgeführt. Wegen der steigenden Nachfrage initiierte sie den Modellversuch »Entwicklung, Erprobung und empirische Überprüfung eines Curriculums zur hochschuldidaktischen Aus- und Fortbildung für Lehrende« und übernahm dessen Leitung. Das erste systematische Entwicklungsforschungsprojekt in der BRD in diesem Bereich (Wiss. Beirat: Bongardt, Dikau, Doerry) wurde von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung / BLK, dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft / BMBW und der FUB finanziell gefördert. Wissenschaftliche Mitarbeiter waren Gralki, Hoefert und Müller (vor Projektablauf durch Hecht ersetzt). Sachbearbeiterin war David (später folgte an ihrer Stelle Behrend). Das Ergebnis des Modellversuchs mit 35 Veranstaltungen und zusätzlichen Aktivitäten war ein Curriculum »im Baukastensystem«: Die einzelnen Bausteine erfassen jeweils nur einen ausgewiesenen Teilbereich, der nach Zielebenen oder Inhalten differenziert ist. Sie können von den Hochschullehrern zu einem »persönlichen Curriculum« zusammengestellt werden. Im laufenden Modellversuch nahmen pro Semester ca. 150 Hochschullehrer/innen, Angehörige des Mittelbaus, vereinzelt Tutoren/Tutorinnen teil.

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Hochschuldidaktik

Selbststudienmaterialien wurden z.T. als Seminar-Reader erstellt. Zusätzlich wurden zahlreiche Beratungen und Evaluationen (mit verschiedenen Beurteilungs- und Beobachtungsinstrumenten) durchgeführt. Mit dem Aufbau einer Bibliothek und Videothek wurde begonnen. Innerhalb der FUB bestand eine hohe Akzeptanz, außerhalb wurde der Modellversuch allgemein als sehr erfolgreich betrachtet (vgl. z.B. BLK 1982, S. 48–52). Insbesondere Baske als zuständiger Vizepräsident und der Fachbereichsrat des FB Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften befürworteten die Institutionalisierung des Arbeitsbereiches Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung am Fachbereich. (Die Ergebnisse des Modellversuchs enthält der Abschlußbericht mit 12 Beiheften; eine Zusammenfassung ist die Veröffentlichung von Berendt 1980 in der Reihe der AHD-Dokumentationen.) Hier einige Einzelheiten zu den Inhalten der Veranstaltungen: Zugrunde gelegt wurden Forschungsergebnisse, die zur Bestimmung von »effektiver Lehre« beitragen können, im Sinne der Erreichung von Zielen, die von Gesetzen und in Studienordnungen vorgegeben sind. Umfangreiche fachübergreifende und fachbezogene empirische Forschungsergebnisse über studentisches Lernen seit 1967/1968 wurden berücksichtigt. Wie können diese als Handlungsorientierungen für die Auswahl von Zielen, Inhalten, Methoden, Medien und Formen der Evaluation in unterschiedlichen Fächern genutzt werden? Wie können diese Handlungsorientierungen gezielt über hochschuldidaktische Weiterbildung und Beratungen in fachliche Lehrveranstaltungen und Curricula umgesetzt werden? (Antworten und Einzelheiten mit zahlreichen Quellennachweisen, d.h. auch Forschungsergebnissen aus den U.S.A., Großbritannien, Schweden und der BRD gingen später in die Veröffentlichungen im Zusammenhang mit der UNESCO-Weltkonferenz ein (vgl. Berendt 1998, 1999 und spätere Ausführungen in diesem Beitrag. Weiterhin Berendt 2000 im Sonderheft der Zeitschrift für Pädagogik / ZfP »Qualität und Qualitätssicherung in der Hochschule, S. 247–260.)

3.2 Kuratoriumsbeschlüsse als Grundlage von Institutionalisierung und Ausbau der Arbeitsstelle

Wegen der positiven Evaluationsergebnisse beschloß 1976 das Kuratorium der Freien Universität im laufenden Modellversuch den Arbeitsbereich Hochschuldidaktik als Arbeitsstelle dem FB Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften WE03 (später 05) zuzuordnen (vgl. auch 1.4). Die für das Arbeitsgebiet zur Verfügung stehende personelle, sächliche und räumliche Ausstattung wurde dem Fachbereich zweckgebunden zugewiesen. Das Kuratorium entband Berendt als Beauftragte für das Tutorenwesen von ihren bisherigen Aufgaben und übertrug ihr die Leitung der Arbeitsstelle. Als Aufgaben der Arbeitsstelle wurden insbesondere formuliert:

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Brigitte Berendt

– Fortbildung und Beratung zur Weiterqualifizierung in der Lehre für Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter aller Fachbereiche, – Beratung von Gremien und Arbeitsgruppen in allen Fragen der Reform von Studium und Ausbildung. Im WS 1978/79 beschloß das Kuratorium, wegen der erneuten positiven Ergebnisse des o.a. Entwicklungsforschungsprojekts die personelle Ausstattung für »Daueraufgaben in der hochschuldidaktischen Fortbildung und Beratung« zu erweitern: 3 zusätzliche Stellen IIa/Ib wurden (bei Wegfall einer Teilzeitassistentenstelle) der Arbeitsstelle als Dauerstellen zweckgebunden zugewiesen. So sollte ermöglicht werden, daß die »im Modell hochschuldidaktische Aus- und Fortbildung ausgewiesenen Maßnahmen in simultane Aktivitäten übersetzt werden können«. Die genannten, im Modellversuch tätigen Mitarbeiter/innen sowie Behrend und David als Sachbearbeiterinnen wurden eingestellt. Die bereits 1976 dem Fachbereich zweckgebunden zugewiesene räumliche Ausstattung umfaßte vier Räume in der Habelschwerdter Allee 34a, als sächliche Ausstattung einen bestimmten Betrag, der bei Bedarf vom Fachbereich ergänzt werden sollte. Für die positiven Entscheidungen waren nicht zuletzt einige Aktivitäten der Arbeitsstelle mit Außenwirkung wesentlich (z.B. der von der Arbeitsstelle vorbereitete und an der FUB 1978 durchgeführte nationale AHD-Kongreß »Neue Formen des Lehrens und Lernens« mit 500 Teilnehmenden und die o.a. Veröffentlichung Berendt, Gralki, Hecht, Hoefert (Hg.) 1979 »Hochschuldidaktik: Lehren und Lernen im Hochschulalltag«).

3.3 Umsetzung der Ergebnisse des Modellversuchs in ein Programm: Konzept der Arbeitsstelle

In den folgenden Jahren wurden die Mitglieder der Arbeitsstelle nicht nur zur individuellen Beratung für die Verbesserung von Lehrveranstaltungen herangezogen, sondern auch beratend als Experten für die Entwicklung weiterbildender Curricula. Studienangebote oder Studienreformprojekte (z.B. »Informatik«, »Aufbaustudium Dritte Welt«, »Psychosoziale Versorgung«, »Touristik«, »Modellstudiengang Medizin«, »Ausbildung von Tutoren am Fachbereich Rechtswissenschaften«). Anfragen von Lehrenden, Gremien und Arbeitsgruppen führten zu flankierenden Entwicklungsforschungsvorhaben. Die wesentlichen Merkmale des FU-Konzepts hochschuldidaktischer Aus-, Fort- und Weiterbildung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: a) Bedürfnisse der Lehrenden und der Institution (z.B. ihrer akademischen Gremien) sind die Basis für die Auswahl hochschuldidaktischer Maßnahmen allgemein. b) Verschiedene Forschungsaktivitäten und Maßnahmen werden bei der Bearbeitung hochschuldidaktischer Fragestellungen verknüpft (z.B. empirisch-analytische Untersuchungen, hochschuldidaktische Veranstaltungen,

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Hochschuldidaktik

Erstellung von Selbststudienmaterialien, punktuelle oder laufende Beratung). Hierbei werden aktuelle und relevante Forschungsergebnisse, insbesondere über studentisches Lernen und Effektivität der Lehre einbezogen. c) Die Bedürfnisse sind auch Grundlage für die Auswahl von Themen und Arbeitsmethoden in hochschuldidaktischen Veranstaltungen. In diesen wird nach einem im Modellversuch entwickelten Phasenmodell mit einem Problemlösungsansatz gearbeitet, um Lösungen für die Unterrichtspraxis der Lehrenden zu erarbeiten. Dabei wird sowohl den fachbezogenen Gegebenheiten als auch den unterschiedlichen Rahmenbedingungen Rechnung getragen. Veranstaltungen können fachübergreifend oder fachbezogen konzipiert sein. d) Werkstattseminare sind Fokus hochschuldidaktischer Aus-, Fort- und Weiterbildung.

3.4 Das Konzept der Werkstattseminare

Das erwähnte Phasenmodell hat sich als Konzept für Werkstattseminare als geeignet erwiesen, um die Unterrichtspraxis der Teilnehmer mit relevanten Forschungs- und Arbeitsergebnissen und auch mit dem Erlernen oder Vertiefen praktischer didaktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verbinden. Das Modell hat sich auch als anwendbar in unterschiedlichen kulturellen Kontexten (z.B. an Universitäten Osteuropas und Afrikas, sowie Syriens und Japans) erwiesen. (Einzelheiten sind u.a. den Veröffentlichungen Berendt 1980 und 1998, S. 324–326 mit Abbildung und praktischen Beispielen zu entnehmen; ebenfalls Berendt 2005).

4

»Academic Staff Development« als Bestandteil von Qualitätssicherung und -entwicklung – Einbindung der FUArbeitsstelle in nationale und internationale Entwicklungen

4.1 Empfehlungen nationaler und internationaler Gremien

Empfehlungen von KMK und HRK (1993), WISSENSCHAFTSRAT (1997), EUROPÄISCHER REKTORENKONFERENZ/CRE und UNESCO-CEPES (1997) und UNESCO (1998) haben mit unterschiedlichen Begründungen den Arbeitsbereich Hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildung als geeignete Maßnahme von Qualitätssicherung und -entwicklung ausgewiesen. Analysen und Erfahrungen vor allem an westeuropäischen Universitäten hatten ergeben, daß ein wichtiger Zusammenhang mit Lehrevaluationen besteht: Lehrevaluationen sind nur sinnvoll, wenn fehlende oder unzureichende Lehrkompetenzen durch hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildung verbessert werden können und die Hochschulen dieses finanziell und institutionell absichern. Insbesondere sei hier noch einmal verwiesen auf UNESCO-CEPES und die Europäische Rektorenkonferenz/CRE. Diese haben sich auf ihrer Tagung

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»European Agenda for Change for Higher Education in the XXIst Century« (Palermo 1997) sehr ausführlich mit dem Thema »Lehren und Lernen« befaßt. Hier einige Einzelheiten: Zur Vorbereitung der Tagung hatte UNESCO-CEPES die Autorin um die Durchführung von Untersuchungen über den Stand von Hochschul-Lehr- und -Lernforschung gebeten (sie wurden von UNESCO-CEPES veröffentlicht unter »How to Prepare and Bring About the Shift from Teaching to Learning through Academic Staff Development Programmes«: vgl. Berendt 1998) . Die Ergebnisse wurden auf der Tagung vorgestellt und diskutiert. Sie gingen in die Empfehlungen der sogenannten »European Agenda for Change« (CRE, UNESCO-CEPES (Eds.) 1997) ein: Weitere Einzelheiten unter 4.2 b). (Die Europäische Rektorenkonferenz CRE wurde später in European University Association / EUA umbenannt.) In der Veröffentlichung der European Agenda, also der Ergebnisse der Palermo-Tagung, (mit ca. 400 Präsidenten/Präsidentinnen und Rektoren/Rektorinnen) wird im Hinblick auf die Anforderungen der Informationsund Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert besonders die Notwendigkeit für eine strukturelle Entwicklung lebenslangen Lernens betont. Dieses vor allem im Hinblick auf die persönliche und professionelle Entwicklung sowie auf den Erwerb übertragbarer Schlüsselqualifikationen: »Es ist wichtig, die Zusammenhänge in der umfassenden ›educational chain‹ zu definieren, so daß Individuen unabhängig ihr eigenes Lernen managen können«. Weiter wörtlich in der European Agenda folgende Empfehlungen:

»Hochschulen sollten zunehmende Aufmerksamkeit darauf verwenden, Innovationsstrategien zu fördern, die sich auf die Organisation von Lerninhalten, Unterrichtsmaterialien und Lehrmethoden beziehen. Der Wechsel vom Lehren zum Lernen (,the shift from teaching to learning«) umfaßt u. a. selbstgesteuertes Lernen und die Definition vom Lehrenden als Förderer (coach) für dieses selbstgesteuerte Lernen«. Der Hinweis auf hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildungsprogramme schließt sich an: »Ein wesentlicher (crucial) Hebel für Veränderung ist eine kreative und gut definierte Personalpolitik, die Lehre als Karriere öffnet, unterstützt durch geeignete hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildungsprogramme.«

4.2 Einbindung der FU-Arbeitsstelle in nationale und internationale Entwicklungen und Außenwirkungen ab 1999 »Academic Staff Development als Bestandteil von Qualitätssicherung und –

entwicklung« war Gegenstand verschiedener Konferenzen, zu denen Berendt als Expertin zu Vorträgen mit Diskussionen eingeladen wurde: a) zum 2. nationalen Expertenseminar der HRK im Rahmen ihres Projekts »Qualitätssicherung« (Bonn 1999); zur 2. Arbeitstagung zur Evaluation an Hochschulen »Auf dem Weg zum Qualitätsmanagement«, durchgeführt von HRK und 8 Fachhochschulen (Berlin 2001; Organisation: Fachhochschule für Technik und Wirtschaft/FHTW); zur Tagung der Studienstiftung

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Hochschuldidaktik

b)

c)

d)

e)

des Deutschen Volkes »Die Hochschule als Bildungsraum« (Erfurt 2001); zum Impulsreferat auf der Jahrestagung des hochschuldidaktischen Dachverbandes Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik / AHD »Hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildung: Stand, Strukturen, Perspektiven« (Düsseldorf 2001). »The Shift from Teaching to Learning« (vgl. die o.a. Empfehlungen der European Agenda) ist ein weiteres Schlüsselthema, das zur Einbindung der Leiterin der FU-Arbeitsstelle in aktuelle Entwicklungen und Außenwirkungen führte. Auf Bitten der UNESCO hatte die Autorin vergleichende Untersuchungen in West- und Osteuropa über Academic Staff Development / ASD durchgeführt. Sie standen im Zusammenhang mit der UNESCO-Weltkonferenz über »Higher Education in the XXIst Century: Vision and Action«. Die erwähnte Mitarbeit im Vorfeld der European Agenda und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen in West- und Osteuropa (Berendt 1999) führten dazu, daß die Autorin das European Network Staff Development in Higher Education / ENSDHE auf der internationalen Podiumsdiskussion »Staff Development: A Continuing Mission« der UNESCOWeltkonferenz 1998 vertrat. Sie stellte ihre Forschungsergebnisse vor den Vertretern des afrikanischen, des arabischen und lateinamerikanischen Netzwerks zur Diskussion. Die genannten Untersuchungen und Ergebnisse der Autorin über den »Shift« und die Umsetzung in Academic Staff Development konnten zusätzlich bei verschiedenen internationalen Kongressen und Universitätsveranstaltungen zur Diskussion gestellt werden, zu denen die Autorin eingeladen wurde: Keynotes in Verbindung mit einem an der FU entwickelten Veranstaltungsmodell auf der IUT-Conference 2000 in Frankfurt, und auf der Konferenz der UNESCO und des Ministry of Higher Education Oman 2001 in Muscat/Oman (beide Konferenzen befaßten sich mit der Universitätsentwicklung im 21. Jahrhundert: Berendt 2000, 2001), zu Vorträgen in der Humboldt-Universität Berlin und an der Universität Erfurt 1999 und 2001. Verschiedene zusätzliche Veröffentlichungen entstanden, unter ihnen auch erbetene Beiträge für die Zeitschrift für Pädagogik / ZfP – Veröffentlichung »Qualität und Qualitätssicherung« von Helmke, Hornstein, Terhart (Hg.) und zu Festschriften für Huber und Wildt (Einzelheiten: Berendt 2000, 2002 ). Außerdem sind seit 2000 im Zusammenhang mit den Forschungsarbeiten konzipierte Werkstattseminare der Autorin »Ergebnisse der HochschulLernforschung und deren Umsetzung in ›effektive‹ und ›gute‹ Lehre (vom Lehren zum aktiven Lernen)« und »Aktive dialogische Lehr- und Lernformen für fachbezogene Planung, Durchführung und Evaluation von ›effektivem‹ Hochschulunterricht« AHD-akkreditierte Veranstaltungen (vgl.

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Brigitte Berendt

die Homepage der dghd mit weiteren Links zur Akkreditierungskommission / AKKO). f) Die Veranstaltung »Vom Lehren zum aktiven Lernen – ein forschungsorientierter Beitrag zur Praxis effektiver Hochschullehre« wurde von Berendt mit unterschiedlichen Schwerpunkten (orientiert an den jeweiligen Rahmenbedingungen und Teilnehmenden) als zweitägiges Werkstattseminar nicht nur in der BRD, sondern auch an verschiedenen Universitäten in Westeuropa (Kopenhagen, Stockholm), Osteuropa (Budapest, Ljubljana, Prag), Afrika (Ibadan, Roma, Nairobi) und den Philippinen (Manila) durchgeführt. g) Auf Vorträgen und in Seminaren im Rahmen der »1st Dortmund Spring School for Academic Staff Development/DOSS« (März 2004) wurden drei Veröffentlichungen von B. Berendt besonders häufig zitiert: Die genannten Untersuchungen für UNESCO »The Shift from Teaching to Learning«, der Beitrag über »gute«, effektive Lehre im ZfP-Sonderheft »Qualität und Qualitätssicherung in der Hochschule«, der Beitrag »Academic Staff Development als Bestandteil von Qualitätssicherung und -entwicklung« 1998, 2000 und 2002 (Preißer weist in einer aktuellen Veröffentlichung von 2011 darauf hin, daß Berendt den »Shift from Teaching to Learning« in Deutschland eingeführt habe).

5.

Weitere Aktivitäten und Aussenwirkung der FUArbeitsstelle Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung auf institutioneller, regionaler, nationaler und internationaler Ebene

5.1 Ausführliche Überblicke

Eine ausführliche Darstellung bis 1994 enthält der Bericht für die »externe« Kommission des Akademischen Senats zur Evaluation der Arbeitsstelle. Dieser war teilweise Grundlage für eine Veröffentlichung (Berendt 1995) in dem Sammelband von Pellert über »Universitäre Personalentwicklung. Internationale Trends und Erfahrungen«.

5.2 Aktivitäten auf institutioneller und regionaler Ebene a) Lehre, Forschung, Beratung, Entwicklung

Im Mittelpunkt standen hochschuldidaktische Werkstattseminare. Sie waren in der Regel zweitägig und umfaßten 16–20 Unterrichtsstunden. Bis WS 1991/92 wurden die Werkstattseminare von den Mitgliedern der Arbeitsstelle (Berendt, Gralki, Hecht, Stary, der 1983 den ausgeschiedenen Hoefert ersetzte) im Rahmen ihrer Lehrverpflichtungen durchgeführt. Das Sekretariat war mit Gretzschel und Yenal besetzt. Nach der Abordnung von Gralki und Hecht in die Abt. V der ZUV für das »Projekt Pro Lehre/PPL« für spezielle Evaluationsaufgaben im WS 1991/92

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Hochschuldidaktik

(vgl. 6.1) mußten personelle Änderungen vorgenommen werden. Ein Teil der Veranstaltungsangebote konnte durch Lehraufträge abgedeckt werden (3 pro Semester). Zusätzlich konnten als Dozenten und Dozentinnen Kollegen und Kolleginnen gewonnen werden, die die Veranstaltungen ohne Entgelt durchführten; Seit 01.12.1994 übernahm der neu eingestellte Marks mehrere Veranstaltungen. Die ausführlich kommentierten Veranstaltungsverzeichnisse der Arbeitsstelle ab SS 1999 weisen in der Regel 15 zusätzliche Dozenten/Dozentinnen aus. Das Programm SS 1999 / WS 1999/2000 weist 28 verschiedene Veranstaltungen aus (auf Anfrage). Das Modul »Einführungsveranstaltungen« sieht 2 Themen, das Modul »Planung und Durchführung von Hochschulunterricht« 16, das Modul »Zielgruppen-spezifische Veranstaltungen« 10 Themen vor. Die Themen entsprechen dem nationalen Kerncurriculum, das vom AHDArbeitskreis »Qualifizierung für die Lehre« (geleitet von Berendt) unter Mitwirkung von AHD-Vorstandsmitgliedern und Vertretern hochschuldidaktischer Einrichtungen 2000 verabschiedet worden war. Eine Auswahl von bis zu 28 Veranstaltungen wurde jeweils im kommentierten Veranstaltungsverzeichnis der Arbeitsstelle angeboten. Im Bedarfsfall wurden Parallelveranstaltungen durchgeführt, um die Teilnehmerzahlen aus didaktischen Gründen auf 15–20 zu begrenzen. Auf Anforderung von Fachbereichen, Instituten oder Graduiertenkollegs konnten darüber hinaus Veranstaltungen fachbezogen konzipiert und durchgeführt werden. Beratungen wurden als Einzelberatungen (z.B. Neukonzipierung von Lehrveranstaltungen), teilweise auch für Arbeitsgruppen (z.B. zur Konzipierung von Studiengängen und Projekten, zur Erwerbung von Drittmitteln) durchgeführt. Ein wichtiges Beispiel für hochschuldidaktische Entwicklung ist die Mitarbeit am Reformstudiengang Medizin in der Anfangsphase (Veröffentlichungen auf Anfrage). Beispiele für Forschungsprojekte nach Abschluß des Modellversuchs sind: – Probleme von Massenveranstaltungen/Lösungen durch Neue Formen des Lehrens und Lernens – Evaluation zur Verbesserung der Qualität der Lehre und weitere Maßnahmen – »Academic Staff Development« als Bestandteil von Qualitätssicherung und -entwicklung im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Analyse – »The Shift from Teaching to Learning« – Forschungsergebnisse über studentisches Lernen, Handlungsorientierungen für die Lehre. Auf internationaler Ebene: – Improving Teaching and Learning in African Universities / Faculty Development Programmes as a Field of Co-Operation between European and African Universities Charakteristisch für diese Projekte ist insbesondere:

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– Sie berücksichtigen Forschungs- und Arbeitsergebnisse vor allem westeuropäischer und amerikanischer Universitäten – Sie beinhalten eigene wissenschaftliche nationale und internationale Kongresse und Tagungen – Sie führen zur Entwicklung und Erprobung neuer Veranstaltungskonzepte hochschuldidaktischer Weiterbildung – Die Ergebnisse werden auf Vortragsveranstaltungen, nationalen und internationalen Tagungen und Kongressen zur Diskussion gestellt und sind Grundlage von Veröffentlichungen.

b) Weitere Aktivitäten

Begleitende Selbststudienmaterialien oder Reader wurden für alle durchgeführten Veranstaltungen erstellt, Bibliothek und Videothek im Rahmen der vorhandenen Mittel ausgebaut. Beratungen und Werkstattseminare führten häufig zu fachbezogenen Veranstaltungen oder Evaluationen von Lehrveranstaltungen als Nachfolgemaßnahme. Die Mitglieder der Arbeitsstelle waren an verschiedenen Gremien der Selbstverwaltung beteiligt.

c) Öffnung für Hochschullehrer/innen aus der Region, Kooperationsprojekt

Seit 1997 nahmen zunehmend Kollegen und Kolleginnen aus hochschuldidaktischen Projekten der Region Berlin-Brandenburg an Veranstaltungen der Arbeitsstelle teil. Auch erhielten Mitglieder der Arbeitsstelle immer wieder Einladungen, an der FUB entwickelte Werkstattseminare an Hochschulen der Region durchzuführen (HU, TU, TFH, FHVR, Ev. FH). 1999 initiierte die Arbeitsstelle deshalb das Regionalprojekt »LeKo«. Es wurde mit Unterstützung des FU-Präsidenten Lenzen für 2 Jahre durch das Präsidium finanziell unterstützt. Die Aktivitäten zur Vorbereitung eines Regionalverbundes Lehr- und Lernkompetenz der Länder Berlin und Brandenburg umfaßten u.a. die Erhebung von Ressourcen und hochschuldidaktischen Qualifizierungsangeboten. Die von Stary durchgeführte Internetrecherche von 25 Hochschulen in der Region ergab: Nur 3 Hochschulen boten hochschuldidaktische Weiterbildung an. Die FU-Arbeitsstelle verfügte demnach in der Region über die längsten Erfahrungen in hochschuldidaktischer Forschung, Beratung und Weiterbildung. Im laufenden Projekt wurden 2 Symposien (mit Vertretern/innen der zuständigen Vizepräsidenten/innen oder Vizerektoren/innen aus 15 Hochschulen der Region) durchgeführt. Eine erste regionale Fortbildungsveranstaltung fand mit 60 Teilnehmenden über »Lehre und Lernen mit neuen Medien« (vgl. Abschlußbericht Marks, Stary 2001) statt. Zwei gemeinsame Veranstaltungsverzeichnisse erschienen im WS 2001/2002 und SS 2002.

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Hochschuldidaktik

5.3 Aktivitäten auf nationaler Ebene a) Tätigkeiten in Gremien, bei wissenschaftlichen Zeitschriften

– Die Autorin war 1974–1979 Vertreterin des Landes Berlin in der Wissenschafts-Kommission »Versuch für das Fernstudium im Medienverbund«. – Zusammen mit H. Mandl vertrat sie im Rahmen des deutsch-deutschen Kulturabkommens 1987–1989 die BRD in einem Projekt zur Hochschulpädagogik/Hochschuldidaktik. – Sie war 1985–1991 und 1993–2001, J. Stary 1991–1993, Vorstandsmitglied des nationalen Dachverbandes AHD. – Von 1985–1999 war Berendt (wie bereits erwähnt) nationale Koordinatorin und Vertreterin der BRD im UNESCO-Projekt »Establishment of a National Network Staff Development in Higher Education/ENSDHE«. Sie erstellte jährliche Berichte über den Stand von »Academic Staff Development« in der BRD auf der Grundlage von Umfragen. – Sie wurde 2001 Stellvertretende Vorsitzende der nationalen Akkreditierungskommission der AHD, 2003 Mitglied der AHD-Arbeitsgruppe »Curriculum« (die 2005 als AHD-Kommission »Hochschuldidaktische Weiterbildung« fortgeführt wurde). – Sie war von 1992–2001 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats für die Zeitschrift »Das Hochschulwesen« – Sie war zunächst Beraterin für das Loseblattwerk »Handbuch Hochschullehre« (des Raabe Verlags) und wurde 2001 Mitherausgeberin (mit Voss und Wildt) des »Neuen Handbuch Hochschullehre« (seit April 2011 Szczyrba statt Voss).

b) Nationale Kongresse und Projekte/Arbeitstagungen und Symposien

– Berendt und Gralki konzipierten und leiteten den AHD-Kongreß 1978 an der FUB »Neue Formen des Lehrens und Lernens« (über 500 Teilnehmende, darunter Kollegen und Kolleginnen aus Großbritannien) – Berendt und Stary konzipierten und leiteten den AHD-Kongreß 1992 an der FUB: »Evaluation zur Verbesserung der Qualität der Lehre und weitere Maßnahmen« (200 Teilnehmende) – 1982 initiierte Berendt das Projekt »Entwicklung eines überregionalen Kooperationsmodells Hochschuldidaktische Aus- und Fortbildung zur beruflichen Weiterqualifizierung in der Hochschule« (Anschubfinanzierung durch das BMBW). Unter Federführung und Koordinierung der Leiterin der Arbeitsstelle wurde gemeinsam mit Gasch, Huber und Ritter der Aufbau eines ersten nationalen Netzwerks (»Verbund Lehren und Lernen«) der hochschuldidaktischen Einrichtungen begonnen. Zu Beginn der Erprobungsphase wurden die einzelnen Ergebnisse und geplanten Maßnahmen mit dem Senat der WRK diskutiert. Die WRK informierte ihre Mitgliedshochschulen über das Projekt und das gemeinsame Veranstaltungsangebot hochschuldidaktischer Einrichtungen der BRD. Wichtige Strategien waren der Austausch von Materialien und hochschuldidaktischen

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Fortbildner/innen, gemeinsame Veranstaltungen und ein Symposium an der FUB. In den Veranstaltungskatalog und Flyer wurden nur Veranstaltungen aufgenommen, die bestimmten Kriterien genügten und mindestens dreimal erfolgreich durchgeführt wurden. – Auf den jährlichen AHD-Kongressen leitete Berendt als nationale Koordinatorin im Rahmen des o.a. Europäischen Netzwerk ENSDHE der UNESCO die regelmäßigen Sitzungen der Arbeitsgruppe »Hochschuldidaktische Weiterbildung«. Mehrere Arbeitstagungen fanden zusätzlich an der FUB statt. – 1997 initiierte Berendt auf dieser Grundlage den erwähnten nationalen Arbeitskreis »Qualifizierung für die Lehre«. In diesem arbeiteten Vertreter/innen aus 8 hochschuldidaktischen Einrichtungen aktiv mit, darunter 4 Mitglieder des AHD-Vorstandes. Wesentliche Ergebnisse von 7 Sitzungen waren u.a. ein Kerncurriculum, ein Arbeitspapier »Förderung der Lehrkompetenz« im Zusammenhang mit der sog. Rostocker Erklärung der AHD, Konzipierung eines Symposiums an der FUB (Oktober 2000). Weitere bearbeitete Themen waren »Aktuelle Rahmenbedingungen ... «, »Erfolgskontrolle hochschuldidaktischer Weiterbildung/Langzeitwirkung«, »Perspektiven weiterer Arbeit unter besonderer Berücksichtigung der UNESCO-Weltkonferenz und der Entwicklung von Akkreditierung in Großbritannien«. Auf dem Symposium 2000 stellten Mitglieder hochschuldidaktischer Einrichtungen Veranstaltungen, die mehrfach erfolgreich durchgeführt waren, vor. Auf der Grundlage zusätzlicher eingereichter Materialien akkreditierte der AHD-Vorstand 19 Veranstaltungen. Die Ergebnisse und Diskussionen des von Berendt koordinierten Arbeitskreises gaben wichtige Impulse für die Entwicklung von »Academic Staff Development« auf nationaler Ebene. Sie führten 2001 auch zu der o.a. nationalen Akkreditierungskommission der AHD / AKKO.

c) Mitarbeit bei der Konzipierung und Durchführung hochschuldidaktischer Weiterbildungsprogramme an anderen Hochschulen

Im Zusammenhang mit den hochschuldidaktischen Weiterbildungsprogrammen für ausländische Hochschullehrer/innen der Universität Kassel gab es verschiedene Gasteinladungen und gemeinsame Veranstaltungen (u.a. in Ägypten 1989). An der Vorbereitung des vor einigen Jahren begonnenen Programms »UniStaff« war Berendt als beratende Expertin beteiligt. Auf Einladung wurden verschiedene in der FU-Arbeitsstelle entwickelte Werkstattseminare an anderen Hochschulen durchgeführt. Sie dienten teilweise als Starthilfe (u.a. für Weiterbildung der Fachhochschullehrer/innen in Baden-Württemberg; »Tage der Lehre« in Rostock; Pro Lehre der TH München). Teilweise ergänzten sie das Programmangebot hochschuldidaktischer Einrichtungen (z.B. in Mainz). Häufig wurden die Konzepte von Kollegen/Kolleginnen mit Variationen übernommen. In der Veröffentlichung AHD 2003 benennen Marks und Stary 21 weitere Hochschulen und in Berlin die HU, TFH, FHVR, Ev. FH als einladende Hochschulen.

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Hochschuldidaktik

5.4 Aktivitäten auf der internationalen Ebene a) Kooperation/Projekte mit der UNESCO

Die UNESCO initiierte 1985 den Aufbau des bereits erwähnten »European Network Staff Development in Higher Education/ENSDHE«, in das die Arbeitsstelle mit ihrer Leiterin als nationaler Koordinatorin und Vertreterin der BRD eingebunden wurde. Jährliche Konferenzen und nationale Berichte, Austausch von hochschuldidaktischen Fortbildnern und Materialien sowie bilaterale Unterprojekte waren wichtige Strategien des bis 1999 existierenden Netzwerks. Vereinzelt bestanden Kontakte zu entsprechenden Netzwerken Afrikas und Lateinamerikas. Die UNESCO beauftragte Berendt 1991 als Vertreterin des Europäischen Netzwerks an den Beratungen über ein arabisches Netzwerk teilzunehmen. In den folgenden Jahren führte sie auf Einladung des »Arab Network Staff Developmen/ANSD« Beratungen und Werkstattseminare durch und hielt keynote speeches über Forschungs- und Arbeitsergebnisse der FU-Arbeitsstelle, der BRD und europäischer Hochschulen. Themen auf Veranstaltungen in Alexandria, Al-Ain, Damaskus waren u. a.: »Staff Development: Helpful Strategies of Implementation«, »Evaluation«, »Curriculum Design«, »Research into Students’ Learning«. Weitere Beiträge wurden für Konferenzen in Bukarest und Moskau vorbereitet. (Im Zusammenhang mit der Vorbereitung ihrer Weltkonferenz 1998 »Higher Education in the XXIst Century« hatten UNESCO-CEPES und UNESCO Berendt – wie bereits erwähnt – mit Untersuchungen über »The Shift from Teaching to Learning« und »Staff Development in West and East Europe« beauftragt.)

b) Kooperation /Projekte mit der EG, EU

– 1978–1982 unterstützte die EG eine Arbeitsgruppe »Staff Mobility« der hochschuldidaktischen Einrichtungen Aachen (Brandt), FU-Berlin (Berendt), Kopenhagen (Conrad), London (Piper), Utrecht (Veltman). Das Projekt führte u. a. zu einem Materialien- und Dozentenaustausch und der Zusammenarbeit am DSE-Projekt zum Aufbau eines afrikanischen Netzwerks (vgl. c). Nicht zuletzt führte es zu regelmäßigen Fortbildungsveranstaltungen für hochschuldidaktische Fortbildner/innen aus 10 Ländern West- und Osteuropas (Einzelheiten vgl. d). – 1992 begann das TEMPUS-Projekt »Improving Teaching and Learning« zwischen den Universitäten FU-Berlin (vertreten durch die Arbeitsstelle), Ljubljana, Louvain-la-Neuve, Surrey. Die Arbeitskontakte führten zu Werkstattseminaren, Veranstaltungen und Beratungen in weiteren UNESCO- und TEMPUS-Projekten mit der Budapest University of Economics und der Universität Prag. – Die EG förderte die internationalen Veranstaltungen der Arbeitsstelle in Dubrovnik 1987 »Improving – Co-operation between European and African Universities« (30 Teilnehmende) und in Berlin 1990 »Advanced Study Courses for Key Persons and Cross-cultural Dialogues North South East

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West«. Letztere war von Stary und Berendt als EARDHE-Präsidentin vorbereitet und organisiert worden. Der Kongreß hatte mehr als 100 Teilnehmer/innen aus Afrika sowie arabischen, west- und osteuropäischen Ländern.

c) Kooperation /Projekte mit der DSE

– 1981–1987 wurde das DSE-Projekt »Improving Teaching and Learning in African Universities« von DSE Bonn durchgeführt. Die FU-Arbeitsstelle durch ihre Leiterin organisierte eine »study-tour« afrikanischer Hochschullehrer/innen in der BRD, arbeitete am Aufbau eines afrikanischen Netzwerks und an verschiedenen regionalen Veranstaltungen (in Kenia, Lesotho, Swaziland, Nigeria) mit. Die Leiterin erstellte einen Reader und führte 1987 in Berlin unter Mitarbeit von Hurley/Dublin und de Winter Hebron/Newcastle die Veranstaltung »Management and Organisation of Staff Development Units« durch (Berendt 1987). – In den Folgejahren wurden in der Arbeitsstelle durch die Autorin Konzepte hochschuldidaktischer Weiterbildung für die Zusammenarbeit mit Universitäten und Institutionen aus Marokko, Namibia und den Philippinen entwickelt. Entsprechende Veranstaltungen wurden teilweise bei der DSE Berlin, teilweise in Namibia und auf den Philippinen (zuletzt 1998) durchgeführt. In beiden Fällen wurden Personen ausgebildet, die für die Weiterbildung in der öffentlichen Verwaltung (z.B. im Arbeitsbereich Local Economic Promotion) zuständig waren. – DSE förderte auch Aktivitäten der FU-Arbeitsstelle mit der Universität Kassel (z.B. Vorträge und Werkstattseminare an den Universitäten Kairo und El Minha 1990).

d) Fortbildung der Fortbildner

Im Zusammenhang mit dem o.a. EG-Projekt »Staff Mobility« (1978–1982) initiierte Piper (London) 1978 die erste europäische Veranstaltung zur »Fortbildung der hochschuldidaktischen Fortbildner/innen«. Bis 1997 fanden die sog. Maidstone-Konferenzen alle zwei Jahre in unterschiedlichen europäischen Ländern statt. Die FU-Arbeitsstelle war durch ihre Leiterin an der Vorbereitung der Konferenzen in Hamburg, Oslo, Ljubljana beteiligt. Sie organisierte 1994 die Konferenz in Berlin. Mehrere Kollegen und Kolleginnen der Maidstone-Gruppe (u.a. aus Oslo) arbeiteten an dem vor einigen Jahren von Gibbs (Oxford) initiierten »International Consortium of Educational Development / ICED« mit. ICEDKonferenzen fanden und finden an verschiedenen europäischen, amerikanischen und australischen Universitäten statt.

e) Internationale Konferenzen zur Verbesserung des Lehrens und Lernens von IUT, EARDHE, ISSED

Seit den siebziger Jahren fanden und finden in verschiedenen Ländern Konferenzen statt, an denen die Arbeitsstelle in unterschiedlichen Funktionen beteiligt war.

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Hochschuldidaktik

– An mehreren Konferenzen der University of Maryland »Improving University Teaching/IUT« waren Mitglieder der Arbeitsstelle mit Vorträgen oder keynote speeches (z.B. Frankfurt/Main 2000) beteiligt. – Dies trifft auch für die von der EG geförderten internationalen Konferenzen der »European Association for Research and Development in Higher Education/EARDHE« zu, die während der Präsidentschaft von Berendt von der FU-Arbeitsstelle 1987 in Dubrovnik und 1990 in Berlin durchgeführt wurden. – 1993 führte die FU-Arbeitsstelle gemeinsam mit de Winter Hebron (Newcastle) in Berlin das 12. »International Seminar on Staff and Educational Development/ISSED« durch. Thema war »Urgent Problems in Higher Education and Approaches to Solutions«. – Die Arbeitsstelle war durch Berendt auch mit Referaten an ISSEDSeminaren (u.a. in der CSSR, Großbritannien; Kroatien) beteiligt. – Ebenfalls 1993 führte die Arbeitsstelle mit de Winter Hebron (s.o.) und Banta (Vice Chancellor der University of Indianapolis/USA) die 5. internationale Konferenz »Assessing Quality in Higher Education« durch. Berendt war eine der keynote-speakers.

f) Kooperation/Projekte 2000–2004 mit DAAD/BMZ und GTZ/EU

Im Zusammenhang mit den erwähnten seit 1989 bestehenden Arbeitskontakten mit arabischen Institutionen und Universitäten wurde Berendt um Mitarbeit bei Projekten in Syrien und Jordanien gebeten: – 1999 nahm die Universität Aleppo durch einen DAAD-Vertreter Kontakte zur FU-Arbeitsstelle auf, um ein gemeinsames Projekt »Neue Methoden in der Hochschuldidaktik« für syrische Hochschullehrer/innen, die in Deutschland (BRD und DDR) studiert hatten, durchzuführen. Gefördert von DAAD fanden u.a. 2000 und 2002 zwei Veranstaltungen in Aleppo statt, an denen jeweils 75–80 Hochschullehrer/innen teilnahmen. Die Vorlesungen und parallelen mehrtägigen Werkstattseminare 2000 umfaßten Basisthemen zu »Vom Lehren zum aktiven Lernen«, »Rhetorik«, »Prüfungen«, »Moderation«, »Neue Medien«. Auf der Grundlage der sehr positiven Evaluationsergebnisse wurde 2002 eine fachbezogene Aufbauveranstaltung durchgeführt. Themen waren Innovationen in den Studienfächern Architektur, Bauingenieurwesen, Biologie, Landwirtschaft und Medizin. Als Dozenten/Dozentinnen konnten 7 Kollegen/Kolleginnen aus hochschuldidaktischen Einrichtungen der Universitäten TU-Berlin, Bochum, Braunschweig, Hamburg sowie eine weitere ausgewiesene Expertin aus Cottbus gewonnen werden. Marks (FU-Arbeitsstelle) führte die Veranstaltung zur »Moderation«, Berendt die »Vom Lehren zum aktiven Lernen« und »Innovationen im Studienfach Medizin« durch. Bei dem letztgenannten Thema konnte sie auf ihren Erfahrungen beim Aufbau des »Reformstudiengangs Medizin« an der FUB (später an der Humboldt Univer-

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Brigitte Berendt

sität) und ihre langjährige Erfahrungen an der Universität Mainz zurückgreifen (Berendt 2005). – 2001 bat die GTZ Berendt (auf Empfehlung von Teichler), ein aus Mitteln der EU finanziertes Projekt »Academic Staff Development in Jordanian Universities« durchzuführen. Beratungen und Werkstattseminare für Vertreter/innen von 8 jordanischen Universitäten und dem »National Centre for Human Resources Development/NCHRD« führten zur Gründung von 5 hochschuldidaktischen Einrichtungen (mit einer Anschubfinanzierung aus Mitteln der Weltbank für »Faculty Development«). Für 2003 geplante follow-up -Beratungen (finanziert durch DAAD mußten von der Autorin abgesagt werden. (Einzelheiten Berendt 2005). – 2002 bat der DAAD im Zusammenhang mit dem BMZSchwerpunktbereich »Dialog der Kulturen« Berendt, eine Veranstaltung an der FUB zu konzipieren und durchzuführen. Sie wurde bei der Durchführung von Marks unterstützt. Am Colloquium »Arab-German Academic Co-operation – Institutional and Individual Perspectives« nahmen 13 Vertreter/innen arabischer Universitäten und Institutionen, 4 arabische Kollegen/Kolleginnen, die in Berlin arbeiten, und 19 deutsche Kollegen/Kolleginnen teil. Verschiedene »follow-up Maßnahmen« schlossen sich an.

6.

Institutionelle und personelle Absicherung des Arbeitsbereiches Hochschuldidaktik an der FUB – Rückblick

6.1 WS 1976/77 bis SS 2001

– Vom WS 1976/77 bis SS 1991 war die Absicherung durch FU-Mittel und Drittmittel gewährleistet. Die personelle Ausstattung umfaßte die durch die erwähnten Kuratoriumsbeschlüsse dem Fachbereich zweckgebunden zugewiesenen Stellen: 1 Leiterstelle I b BAT, 3 wiss. Angestellte II a / I b BAT und 2 halbe Sachbearbeiterinnenstellen V a BAT. Letztere wurden 1990 wegen der zunehmenden internationalen Aktivitäten in IV b BAT eingruppiert. – Von WS 1991/92 bis WS 1994/95 waren institutionelle und finanzielle Absicherung außerordentlich bedroht. Hierzu einige Angaben, die stark verkürzt werden: Im Zusammenhang mit dem vom Präsidenten im September 1991 initiierten »Projekt Pro Lehre / PPL« wurden 2 der 3 wiss. Angestellten (Gralki, Hecht) der Abteilung V der ZUV zugeordnet. Eine »pragmatische Zwischenlösung« sollte durch 3 Lehraufträge und eine 2/3Qualifizierungsstelle erreicht werden. Die Qualifizierungsstelle konnte jedoch erst zum September 1994 besetzt werden, nachdem eine interne, später eine externe Expertenkommission des Akademischen Senats (Vorsitzende: Hübner, bzw. Wagemann) die Arbeitsstelle mit sehr positiven Ergebnissen evaluiert hatten. Grundlage waren verschiedene Berichte,

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Hochschuldidaktik

Veröffentlichungen, Anhörungen und Diskussionen auch im Akademischen Senat. Wie in dem ausführlichen Bericht Berendt für die externe Expertenkommission im einzelnen ausgeführt, betrugen die Teilnehmerzahlen an Veranstaltungen der Arbeitsstelle mit Tagungen und Kongressen 2.285 im Zeitraum vom SS 1992 bis zum SS 1994; im FU-Bereich waren die Anmeldungen auf durchschnittlich 300 pro Semester angestiegen. Ein »Überleben« ist aus heutiger Sicht vor allem wegen der sehr starken Nachfrage und Teilnahme an Veranstaltungen der Arbeitsstelle, sowie durch die beschriebene Einbindung in nationale und internationale Drittmittel-Projekte, Netzwerke und zahlreiche Veröffentlichungen möglich gewesen. Nicht zuletzt war wesentlich für das »Überleben« die engagierte Mehrarbeit der zwei verbliebenen Wissenschaftler und von Yenal (diese hatte die halbe Stelle der ausgeschiedenen Gretzschel übernommen), sowie die Unterstützung durch 3 Lehrbeauftragte und bis zu 12 Kolleginnen und Kollegen, die unentgeltlich mitarbeiteten. – Von September 1994 bis zum SS 2001 konsolidierte sich nach der Einstellung von F. Marks auf die Qualifizierungsstelle und weitere DrittmittelProjekte die institutionelle und finanzielle Situation. Die Unterstützung durch den Akademischen Senat als Folge der erwähnten positiven Evaluationsergebnisse setzte sich fort. Entsprechend einem Ergänzungsvorschlag zur AS-Vorlage C 3543 / 99 stellte das Präsidium mit besonderer Unterstützung durch Präsident Lenzen zusätzliche Mittel für das in 5.1 c) erwähnte Projekt »Vorbereitung eines Regionalverbundes an Hochschulen des Landes Berlin und Brandenburg / LeKo« ab Dezember 1999 für 2 Jahre zur Verfügung.

6.2 Entwicklungen ab SS 2001

2001 galt an der FUB ein allgemeiner Ausschreibungs- und Einstellungsstop. Die gravierenden generellen Einsparungsmaßnahmen und Diskussionen um die damit verbundene Aufgabe von Arbeitsbereichen hielten an. In dieser Situation unterblieb die eingeleitete Ausschreibung der durch das Ausscheiden von Berendt ab 1.6.2001 frei werdenden Leiterstelle. Entscheidungen, in welcher Weise die FU-Arbeitsstelle und die von ihr auf der regionalen, nationalen und internationalen Ebene begonnenen Projekte weitergeführt werden sollten, waren zunächst nachrangig. Der vom Arbeitsbereich »Controlling« herausgegebene Bericht der Planungsgruppe Kosten- und Leistungsrechnung / PKLR vom 30.11.2001 enthält ein Protokoll zur Anhörung der FUArbeitsstelle (S. 198, 199) und Materialien . U.a. heißt es: »Nachdem die Leiterin dieses Arbeitsbereichs ausgeschieden ist, muß nach einer neuen institutionellen Anbindung gesucht werden.« Die Empfehlung der PKLR schlug vor, künftig ein Aufgabenfeld »Qualitätsmanagement Lehre und Evaluation« vorzusehen (S. 267).

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Brigitte Berendt

– Die offene Situation führte u.a. zu folgenden Entwicklungen: Im November 2001 lief der Vertrag von Marks aus; neue Mittel wurden nicht zur Verfügung gestellt. Die FB-Verwaltung teilte der Arbeitsstelle mit, sie habe bis April 2002 die seit 1972 der Beauftragten für Tutorenwesen, seit 1976 der Arbeitsstelle zur Verfügung stehenden Räume (Habelschwerdter Allee 34 a) zu räumen. Die umfangreiche Bibliothek mußte aufgelöst werden, da die Fachbereichsbibliothek aus Platzgründen nur ausgewählte Bestände übernehmen konnte. Im SS 2002 ließ sich Yenal in das Sekretariat Hübner versetzen, im SS 2003 übernahm Stary die »Pädagogische Werkstatt« am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie. – Die Arbeitsstelle wurde jedoch nicht durch Beschlüsse der zuständigen Gremien aufgelöst. Mit Sondergenehmigung konnte die Autorin die Drittmittelprojekte in Syrien und Jordanien durchführen und das erwähnte Colloquium »Arab-German Academic Co-operation« mit teilweiser Beteiligung der zuständigen Vizepräsidentin Klann-Delius durchführen.

7.

Aktivitäten der Mitglieder der FU-Arbeitsstelle auf internationaler, nationaler und institutioneller Ebene / Kooperation mit weiteren FU-Mitgliedern nach 2003

7.1 Internationale Ebene

Wie erwähnt, war die Autorin vor allem in internationale und nationale Entwicklungen eingebunden. Hier einige Beispiele: Im November 2006 referierte Berendt auf Einladung der Universität Bologna / Centro Interdipartimentale di Ricerche Educative über »Training Approaches for Improving Teaching Competencies of University Teachers in Germany (Context: Support of the Bologna Process)« als deutsche Vertreterin. Andere Kollegen vertraten auf der internationalen Konferenz »Learning to Teach in Higher Education: European Training Approaches« Dänemark, Portugal, Schottland und Schweden. Im März 2007 referierte Berendt auf Einladung der japanischen Universität Niigata (Research Institute for Faculty Development), der Universität Tokushima (Center for University Extension – Support, Research and Development Section of Higher Education), sowie der Universität Nagoya (Center for the Studies of Higher Education) über »Changes in European Higher Education – Support of the Shift from Teaching to Learning by Acadamic Staff / Faculty Development Programmes«. Auch führte sie in Tokushima ihr AHDakkreditiertes Werkstattseminar »Effective Teaching through Studentcentered Approaches and Methods of Active Learning« durch (Einzelheiten wurden in japanischer Sprache veröffentlicht: Berendt 2008 / das englische Manuskript ist auf Anfrage erhältlich). Die Einladungen erfolgten im wesentlichen aufgrund von Veröffentlichungen (Berendt 1998, 1999, 2001, 2005, 2006). Diese Publikationen waren

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Hochschuldidaktik

teilweise im Zusammenhang mit den o.a. Drittmittelprojekten (vgl. 5.4) entstanden. Die Vorträge konzentrierten sich auf die Entwicklung des Arbeitsbereichs im europäischen Kontext und den »boom« in einer Reihe von Bundesländern. Sie skizzierten die Verbindung von Ergebnissen der HochschulLernforschung seit 1967 / 1968 mit wesentlichen Merkmalen des BolognaProzesses (z.B. die Ausrichtung der Lehre an »Learning Outcomes« und »Competencies«, sowie »Student-centered Teaching«) einerseits, und mit »Professionalisierung der Lehre« durch hochschuldidaktischer Weiterbildung andererseits als wesentliche Maßnahme zur Qualitätssicherung. Die Vorträge stellten aber auch »erfolgreiche« Konzepte vor, die sich im Rahmen institutioneller, regionaler, aber auch internationaler Arbeitsvorheben der Arbeitsstelle als besonders geeignet erwiesen hatten, Hochschullehrer / innen zur Teilnahme an Veranstaltungen und weiteren hochschuldidaktischen Aktivitäten zu motivieren (Beispiele: Das Konzept der Arbeitsstelle in Verbindung mit der Entwicklung eines Curriculums; vor allem aber das Konzept der Werkstattseminare auf der Grundlage des o.a. Phasenmodells). Das erwähnte, auch in Japan durchgeführte Werkstattseminar erwies sich als besonders geeignet, um den »Shift from Teaching to Learning« im Zusammenhang mit der kritischen Analyse und Revision von Lehrveranstaltungen der Teilnehmenden zu demonstrieren (das Werkstattseminar war auch in anderen kulturellen Kontexten sehr positiv evaluiert worden, zuletzt im Zusammenhang mit dem erwähnten DAAD-Projekt mit der Universität Aleppo / Syrien). Die Kooperation mit der japanischen Universität Niigata wurde durch einen Berlin-Besuch des Vizepräsidenten für Ausbildung und Lehre der Universität Niigata, Kohno, im Mai 2007 vertieft. Auf besondere Anfrage wurden Gespräche mit Keitel-Kreidt als neu gewählte Vizepräsidentin für Lehre der FUB, Mackiewicz als Bologna-Beauftragten, sowie mit Reysen-Kustodis als Vertreterin der Zentralen Studienberatung geführt. Die Arbeitsbeziehungen mit der Kollegin Tsuda (Niigata) dauern an: Im Juni 2011 kam diese zu erneuten Arbeitsbesprechungen mit Berendt nach Berlin. – Im Juni 2007 referierte Berendt im Rahmen einer chinesisch-deutschen Kooperationstagung für Hochschulforschung an der Universität Dortmund über »International Co-operation in Academic Staff / Faculty Development: Examples and Conclusions for effective Approaches«. Außer 9 Kollegen / Kolleginnen aus Hochschulforschung und Hochschuldidaktik nahmen 15 Mitglieder der »National Association fort he Study of Higher Education / NASHE« aus 11 chinesischen Universitäten teil. Der Gegeneinladung der NASHE 2009 konnte sie nicht entsprechen, nahm aber 2011 an der zweiten deutschen Veranstaltung (ausgerichtet unter u.a. durch das Berliner Zentrum für Hochschullehre) in Berlin teil.

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– Eine Einladung des späteren Präsidenten von ICED Rue Domingo nach Barcelona zu einer keynote speech vor ca. 60 Kollegen und Kolleginnen aus Lateinamerika mußte Berendt absagen

7.2 Nationale Ebene

Auf der nationalen Ebene war die Autorin u.a. – wie erwähnt – Mitglied der AHD-Arbeitsgruppe »Curriculum«, die die AHD-Leitlinien zur Modularisierung und Zertifizierung hochschuldidaktischer Weiterbildungsangebote erarbeitete. Diese wurden 2005 von der Mitgliederversammlung verabschiedet, und sollen zur Standardisierung und Qualität hochschuldidaktischer Weiterbildungsangebote beitragen, wie bereits die Akkreditierung durch die AHDAKKO seit 2001. Berendt war, wie erwähnt, 10 Jahre stellvertretende Vorsitzende der AKKO und wurde im März 2012 Mitglied der dghd-Forschungskommission.

7.3 Institutionelle Ebene

Auf der institutionellen Ebene bestanden Arbeitskontakte zwischen Berendt, Stary, Hecht untereinander und vor allem mit Soellner, Junior-Professorin am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie für den 2003 neu eingerichteten Arbeitsbereich »Evaluation und Qualitätsmanagement«. Materialien der Arbeitsstelle und Veröffentlichungen wurden ihr und ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Lübeck für von diesen bearbeitete Themen und Aufgaben zur Verfügung gestellt (z.B. für das Projekt »lehrmail« mit 6 Fachbereichen, und für die Veröffentlichung »Qualitätssicherung durch hochschuldidaktisch ausgerichtete Personalentwicklungy). Hecht, Soellner und Lübeck sowie Stary haben Beiträge in dem von Berendt mitherausgegebenen »Neuen Handbuch Hochschullehre / NHHL« veröffentlicht (Kap. I.1.6, J.1.2, sowie A.1.2, C.2.8, E.3.4, G.5.5, H.2.1). Weitere Autoren / Autorinnen aus der FU konnten für höchst aktuelle Themen gewonnen werden, z.B. Thiel, Ficzko, Blüthmann (»Felz- Ein Instrument zur Erfassung der studienbezogenen Arbeitsleistung«, a.a.O. I.2.6), sowie Braun (»Das Berliner Evaluationsinstrument für selbst-eingeschätzte studentische Kompetenzen – Ergebnisse und Schlußfolgerungen für die Lehre« , Kap. I 1.9). Wex veröffentlichte u.a. »Aktuelle Rechtsfragen zum Bologna-Prozess, Teil I … und Teil II …« (a.a.O. K 2.6 und K 2.7), Blüthmann, Ficzko, Lepa und Thiel zu »Evaluation der Studienorganisation in den Bachelor-Studiengängen – Konstruktion eines Fragebogens« (I 2.8).

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Hochschuldidaktik

8.

Entwicklungen 2008 bis WS 2011/2012

8.1 Relevante Empfehlungen und Beschlüsse zur Verbesserung der Lehre und darauf basierende finanzielle Förderung.

Die im November 2011 erschienene Veröffentlichung der Autorin (Berendt 2011) enthält (S. 6–8 mit zahlreichen Verweisen) eine Chronik der Ereignisse von Bologna 1999 bis Leuven 2009 und die Vorbereitung auf Bukarest 2012 durch die o.a. HRK-Tagung im Oktober 2011. Als Meilensteine mit Relevanz für den weiteren Aufbau und Ausbau hochschuldidaktischer Einrichtungen werden die Aktivitäten seit 2008 benannt: Im Stifterverband und im Wissenschaftsrat (»Empfehlungen zur Verbesserung der Lehre«), in der KMK (»Wettbewerb Exzellente Lehre«), HRK und BMBF (Konferenz »Qualitätspakt Lehre«), Wissenschaftsrat (»Empfehlungen zur Verbesserung von Studium und Lehre«). Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats enthalten u.a. Hinweise (unter B II) auf die Professionalisierung der Lehrtätigkeit, auf eine deutlich auszubauende, fachlich differenzierte Lehr- Lernforschung, sowie (II, 2, S. 66, und II, 3, S. 69 ff.) die Einrichtung bzw. den Ausbau hochschuldidaktischer Einrichtungen zur Entwicklung von Lehrkompetenz, sowie die Etablierung von überregional arbeitenden Fachzentren für Hochschullehre. Sie verweisen auch auf die Anwendbarkeit von Scholarship of Teaching and Learning (Hinweis: In einer im NHHL erschienenen Veröffentlichung hat Huber Einzelheiten über Erfahrungen – vor allem im Ausland – mit diesem Ansatz untersucht: »Scholarship of Teaching and Learning – Forschung zum (eigenen) Lehren« (2012)). Im Kontext mit den o.a. Diskussionen setzte eine umfangreiche finanzielle Förderung durch verschiedene Institutionen ein, wie sie u.a. aus den aufschlußreichen Veröffentlichungen des HDZ Dortmund über seine Forschungsprojekte hervorgeht (z.B. Förderung durch die EU, Hans-BöcklerStiftung, Universitätsallianz-Ruhr: Einzelheiten sind dem journal hochschuldidaktik 20 des HDZ Dortmund, Jg. Nr. 1 , S.30 zu entnehmen). Die meisten Mittel wurden jedoch im Rahmen des »Qualitätspakt Lehre« vergeben. In einer Mitteilung des BMBF vom 13.12.2011 (vgl. http://www.bmbf.de/de/15375.php) heißt es zusammenfassend: »In zwei Förderrunden sichert der Qualitätspakt Lehre von Bund und Ländern …. eine Unterstützung für gute Studienbedingungen an den deutschen Hochschulen. Der Bund stellt hier für einen Zeitraum von 2011 bis 2020 insgesamt rund 2 Milliarden zur Verfügung … Insgesamt 186 Hochschulen aus allen 16 Bundesländern profitieren von dieser Förderung, darunter 78 Fachhochschulen und 30 Kunst- und Musikhochschulen.« Eine Übersicht (S. 2) enthält eine ausführliche Zahlenaufstellung – eine inhaltliche Aufstellung über geförderte Themenbereiche leider nicht. Diese ist z.Zt. auch nicht auf Anfrage erhältlich.

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Brigitte Berendt

Für Berlin wurde über die Anträge von drei Universitäten, drei Fachhochschulen, 4 Kunst- und Musikhochschulen positiv entschieden.

8.2 Aktivitäten und Stellungnahmen der HRK

Die Vorbereitung auf die Bologna-Ministerkonferenz 2012 in Bukarest war Gegenstand der internationalen Konferenz vom 25.–26.10.2011 über »New Perspectives for Master Study Programmes in Europe – Implementing the 2nd Cycle of Bologna – A European success story ?!« in Berlin. Diese Frage diskutierten rund 250 Expertinnen und Experten auf Einladung des Projekts nexus der HRK (gefördert vom BMBF). Eine Pressemitteilung der HRK vom 28.10.2011, ein Gesamtüberblick und einige Vortragsunterlagen (z.B. von Davies / EUA / Open University, UK, sowie ein Interview mit Pellert sind dem Internet zu entnehmen: http://www.hrk-nexus.de/ aktuelles/tagungsdokumentation/master-study-programmes/ sowie http://www. hrk.de/de/projekte_und_initiativen/125_6344.php). Die Ergebnisse der Konferenz werden als Empfehlungen der BolognaFollow-up-Group zur Vorbereitung der o.a. Ministerkonferenz 2012 übergeben. Aus der Zusammenfassung ergibt sich u.a. : – Die Masterprogramme weisen nach Einschätzung der Teilnehmenden trotz Vielfalt ein hohes Maß an gemeinsamen Strukturen auf. – Die Qualität der Studienangebote müsse anhand verständlicher Kriterien leicht zu beurteilen sein. – Der Master müsse noch stärker der Heterogenität der Studieninteressierten Rechnung tragen. – Bildungspolitik dürfe sich nicht darauf beschränken, neue Strukturen zu etablieren, sondern müsse die Studienbedingungen einer zunehmend heterogenen Studentenschaft nachhaltig verbessern. Insbesondere der letztgenannte Aspekt der nachhaltigen Verbesserung der Studienbedingungen einer zunehmend heterogenen Studentenschaft verstärkt vorangegangene Forderungen, mehr der Heterogenität der Studieninteressierten Rechnung zu tragen. Die wiederholt geforderte stärkere Berücksichtigung der Studierenden entspricht vor allem Aktivitäten der HRK und den Äußerungen ihrer Präsidentin Wintermantel 2011. Hier einige Einzelheiten: 2011 wurde das bis 2014 angelegte und vom BMBF geförderte »Projekt nexus – Konzepte und gute Praxis für Studium und Lehre« besonders aktiv (Einzelheiten: http://www.hrk.de/projekte_und_initiativen/5913.php). Unter Leitung von Zervakis umfassen die Projektaktivitäten u.a. Fachtagungen, Workshops, Arbeitsgruppen, Newsletters sowie Umfragen und Expertisen, weiterhin im Projekt erarbeitete »Handreichungen und Rezepte«. Als Handlungsfelder werden u.a. benannt: Lernergebnis und Kompetenzorientierung durch Studienprogramme, Diversitätsmanagement in Studium und Lehre.

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Hochschuldidaktik

Im Mai 2011 veröffentlichte nexus die 97-seitige Broschüre »Gute Lehre – Frischer Wind an Deutschen Hochschulen«, die Interessenten kostenlos bei der HRK anfordern können. Verantwortlich zeichnet Zervakis. Im Editorial nennt die HRK-Präsidentin wichtige Aspekte für den »Forderungskatalog für gute Lehre«. Interviews mit Wintermantel und Wildt (Leiter des renommierten hochschuldidaktischen Zentrums /HDZ der TU Dortmund) sind vor die Kapitel 1. Blickpunkt Lehre, 2. … Studierende, 3. … Hochschulen und Studierende gestellt. Wintermantel (a. a. O., S. 6,7) weist darauf hin, daß die Bologna-Reform die Bedeutung der Lehre steigere...«, damit »...ist ja unmittelbar die Frage der geeigneten Vermittlung von Wissen, Kenntnissen und Fähigkeiten durch die Lehre angesprochen.« Sie verweist aber auch auf notwendige gute Rahmenbedingungen, die eine »personelle Ausstattung, die mit den Studierendenzahlen und mit den gesellschaftlichen Anforderungen mitwächst«, umfaßt. Wintermantel betont weiter, man müsse Freiraum lassen für die Persönlichkeiten, die Vielfalt der Lehrformen und für die fachspezifischen Besonderheiten. Schließlich: »Es kommt darauf an, daß die Lehrenden sich auf die Lernenden einstellen und mit ihnen Problemlösungs-Fähigkeiten entwickeln.« In ihrem Beitrag »Qualität in Studium und Lehre« im Handbuch Qualität in Studium und Lehre /HQSL des Raabe Verlages (Wintermantel 2011) geht die HRK-Präsidentin auf weitere Einzelheiten ein. Sie betont in der Zusammenfassung, daß die Qualität von Lehre und Studium immer stärker in den Mittelpunkt der Lehre gerückt sei. »Einerseits geht es dabei um die Weiterentwicklung der externen Qualitätssicherung, von der Programmakkreditierung über die Systemakkreditierung hin zum institutionellen Audit. Andererseits wird an der internen Qualitätssicherung gearbeitet, indem Maßstäbe und Verfahren für eine studierendenzentrierte Lehre entwickelt und angewandt werden. Der Artikel faßt diese Diskussion aus Sicht der Hochschulen zusammen und skizziert die notwendigen Rahmenbedingungen«, so die Zusammenfassung am Beginn des Artikels. Wintermantel geht u.a. auf die Weiterentwicklung des Akkreditierungswesens (S. 2) und auf die Merkmale »guter Lehre« ein (S. 3). Hier betont sie als »weitgehenden Konsens über die Notwendigkeit pädagogischer Reformen: … Studierendenzentrierte, auf Ergebnisse hin orientierte Lehre soll die traditionelle, auf die Lehre und Input-Kriterien zugeschnittene Herangehensweise ersetzen«. Die Hervorhebung der Weiterqualifikation der Lehrenden und der aktiven Rolle der Studierenden wird konkretisiert u.a. durch die Benennung hochschuldidaktischer Zentren. Auf S. 4 hebt sie noch einmal hervor: »Gute Lehre ist mithin studierendenzentriert«. Sie verweist hierzu (S. 5) auf den heutigen Stand der Unterrichtsforschung.

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Brigitte Berendt

Die Ausführungen stehen im Einklang mit dem in der Fußnote 3 (S. 6) angegebenen Strategiepapier »Für eine Reform der Lehre an den Hochschulen«, beschlossen auf der Mitgliederversammlung der HRK am 22.04.2008 (HRK 2008). Die Empfehlungen entsprechen u.a. Ergebnissen der Diskussionen um hochschuldidaktische Forschung, Weiterbildung, Beratung und Entwicklung im AHD-Vorstand, der Akkreditierungskommission / AKKO und wesentlichen Aspekten der AHD-Leitlinien von 2005. Einzelheiten, auch von zwei Tagungen, waren vor allem aus drei AHD-, bzw. dghd-Veröffentlichungen zu entnehmen: »The Shift from Teaching to Learning« (Welbers, Gaus [Hg] 2005), einer Festschrift für Wildt mit 60 Beiträgen, sowie die Tagungsbände »Hochschuldidaktische Qualifizierung – Strategien und Konzepte im internationalen Vergleich« (Brendel, Kaiser, Macke [Hg] 2005) mit 26 Beiträgen und schließlich »Wandel der Lehr- und Lernkulturen« mit 14, teilweise 2007 und 2008 fertiggestellten Beiträgen (Schneider, Szczyrba, Welbers, Wildt (Hg.) 2009). Zusätzlich bestanden seinerzeit Arbeitskontakte zwischen dem für Lehre zuständigen Vizepräsidenten der HRK sowie HRK-Mitarbeitern (insbesondere denen der HRK-Förderstelle Bologna und des HRK-Projekts Qualitätssicherung) und Hochschuldidaktikern wie z.B. Huber: Hamburg bzw. Bielefeld, Wildt: Dortmund und Berendt / Wex: FU Berlin. Diese waren teilweise als Referenten zu HRK-Veranstaltungen eingeladen worden. Durch die Diskussionen über die Verbesserung der Lehre zieht sich der »Shift from Teaching to Learning« wie ein roter Faden, im Zusammenhang mit »Studierendenzentrierter oder interaktiver Lehre«, »aktivem Lernen«, »learning outcomes«. (Einzelheiten auch über Diskussionen auf europäischer Ebene vgl. Berendt 2006 mit zahlreichen Nachweisen). Wie bereits erwähnt (4.1), geht der Shift from Teaching to Learning, auch im Zusammenhang mit dem zunehmenden Stellenwert von hochschuldidaktischer Weiterbildung / ASD, zurück auf die Empfehlungen von Europäischer Rektorenkonferenz (damals CRE) und UNESCO-CEPES zur Vorbereitung der »European Agenda for Change« 1997 für die UNESCO-Weltkonferenz »Higher Education in the XXIst Century: Visions and Actions«.

8.3 Förderung der Hochschuldidaktik: Zunahme hochschuldidaktischer Einrichtungen 2011

Die Zunahme hochschuldidaktischer Einrichtungen und Netzwerke machte – wie erwähnt – eine Aufstellung des HDZ Dortmund (hd-on-line.de/links/ vom 30.05.2011) deutlich: 41 hochschuldidaktische Einrichtungen und 15 Netzwerke werden benannt. Die Institutionalisierungsformen / -strukturen für die Hochschuldidaktik wurden nach Befragung aller Hochschulen von Schmidt (2009) untersucht.

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Hochschuldidaktik

Einen Überblick über hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildungsprogramme gibt die o.a. Veröffentlichung Berendt 2011 mit zahlreichen Verweisen: Viele Programme, vor allem sogenannte Zertifikatsprogramme, orientieren sich an den o.a. im März 2005 in der Mitgliederversammlung des Fachverbandes verabschiedeten Leitlinien zur Modularisierung und Zertifizierung hochschuldidaktischer Weiterbildung (Einzelheiten: Berendt 2006, Anhang). Viele Angebote sind durch die Akkreditierungskommission / AKKO der AHD (jetzt dghd) akkreditiert. Aus Berlin wurde das TU-Angebot akkreditiert und im WS 2011/2012 reakkreditiert. Verschiedene Veranstaltungsangebote der Autorin und von Marks wurden ebenfalls akkreditiert (Einzelheiten sind der Homepage der dghd mit Link zur AKKO zu entnehmen). Webler (2009) führte eine Untersuchung über »Studienprogramme im Bereich der Kernaufgaben der Hochschuldidaktik« durch. Vorgestellt werden u.a. 15 hochschuldidaktische Zertifikatsprogramme. Die Programme umfassen 120 Std., 200–240 Std, einige sind noch umfangreicher (z.B. das Angebot der TU Berlin, der Leuphana Universität Lüneburg und der hochschuldidaktische Weiterbildungsstudiengang »Master of Higher Education« der Universität Hamburg: Einzelheiten bei den wiedergegebenen Berichten a.a.O. von Cremer-Renz und Jansen-Schulz, Rummler, Merkt).

8.4 Zunehmende Forschungsorientierung der Hochschuldidaktik

2011/2012 steht die Professionalisierung für die Hochschullehre durch hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildung im Vordergrund. Diese ist seit mehr als 40 Jahren mit hochschuldidaktischer Forschung, Beratung (Coaching) und Entwicklung eng verbunden (Einzelheiten vgl. Berendt 2011, S. 1–32). 2011/2012 ist auch eine große Anzahl von mit Drittmitteln geförderten Projekten der Hochschulforschung über weitere Themenbereiche festzustellen. Sie werden an hochschuldidaktischen Einrichtungen durchgeführt (vgl. z.B. die Homepages des HDZ Dortmund, sowie des ZHW der Universität Hamburg). Einen umfangreichen Überblick gibt der im Zusammenhang mit einer CHE-Tagung entstandene Sammelband »Der Bologna-Prozeß aus der Sicht der Hochschulforschung – Analysen und Impulse für die Praxis« (Nickel [Hg.] 2011 / Kostenloser Download über

http://www.che.de/downloads/CHE_AP_148_Bologna-Prozess_aus_ Sicht_der_Hochschulforschung.pdf )).

Die Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik / dghd stellt zunehmend hochschuldidaktische Forschung in den Vordergrund. Nach der 40., bereits forschungsorientierten Jahrestagung in München 2011 (vgl. Thielsch 2011, 2012) gab sie der 41. dghd-Jahrestagung (26. –28.09.2012 in Mainz) den Titel »Forschung im Fokus – Hochschullehre und Studium«. Die Tagung wurde vom Mainzer Zentrum für Qualitätssicherung (ZQ) der Johannes-Gutenberg Universität ausgerichtet, das, wie o.a. vor allem mit seinen Aktivitäten zur Systemakkreditierung – verbunden mit hochschuldidaktischen Maßnahmen –

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bekannt geworden ist (u.a. Schmidt 2012). Die Tagung mit mehr als 300 Teilnehmenden rückte die wissenschaftlichen Grundlagen einer evidenzbasierten und reflektierten Praxis in den Fokus. Ziel ist es, aktuelle Forschung und wissenschaftlich fundierte Konzepte über Studium und Hochschullehre, sowie damit verbundene Strukturen und Bedingungen zu präsentieren und im Hinblick auf die wirkungsvolle Gestaltung von Lehre und Studium zu diskutieren (vgl. hierzu dghd-Aktuell vom 08.02.2012 mit ausführlichen Angaben; das endgültige Programm und die Tagungsbroschüre sind u.a. über die Autorin erhältlich). Die Forschungsausrichtung der dghd wird auch in der Zusammenfassung ihres 2. Vorsitzenden und Vorsitzenden der dghd-Forschungskommission Schaper / Paderborn deutlich: Danach sind Ziele der Forschungskommission – Bestandsaufnahme zur hochschuldidaktischen Forschungslandschaft und Entwicklungsperspektiven – Wissenschaftliche Nachwuchsförderung, z.B. Angebot und Unterstützung von Promovendenforen auf Tagungen, Preis für exzellente Nachwuchsarbeiten – Positionierung der hochschuldidaktischen Forschung nach innen: gegenüber der dghd nach außen: gegenüber anderen Fachcommunities sowie gegenüber Förderakteuren und der Hochschulpolitik (Schaper auf der dghd-Mitgliederversammlung 2012)

9.

Hochschuldidaktik an Berliner Universitäten im WS 2011/2012

9.1 Der Ist-Zustand an der FU im WS 2011/2012

Die am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie 2003 eingerichtete Juniorprofessur für »Evaluation und Qualitätsmanagement ...« wird nach Auskunft der Fachbereichsverwaltung nicht weitergeführt. 2009 wurde Söllner (Juniorprofessorin) Professorin in Hildesheim, ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Lübeck wurde Professorin an der Evangelischen Fachhochschule Berlin. Ihre Homepages weisen zwar auch nach ihrem Ausscheiden hochschuldidaktische Aktivitäten und Veröffentlichungen auf, für das WS 2011/2012 bestehen aber jeweils andere Arbeitsschwerpunkte. Das Weiterbildungszentrum – Zentrale weiterbildende Dienstleistungseinrichtung (so die Homepage der FU-Einrichtung), bietet für Wissenschaftler/innen Seminare und Kurse »zur Erweiterung der individuellen Kompetenzen an. Diese Veranstaltungen bieten wissenschaftlichen Mitarbeitern/innen Gelegenheit zur Weiterentwicklung überfachlicher Kompetenzen für die Arbeit vor allem im Wissenschaftsbereich«. Das Zentrum bietet im Rahmen des Rhoda-Erdmann-Programms Seminare an, in denen insbesondere Schlüsselqualifikationen vermittelt werden.

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Hochschuldidaktik

Seit dem SS 2001 veranstaltet das Zentrum eine zweiwöchige Sommeruniversität für Wissenschaftler/innen aus Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen, sowie Hochschulabsolventen aus dem gesamten Bundesgebiet. Veranstaltungen (Workshops) umfassen z.B. »Schreiben in der Wissenschaft« bis »Rhetorikseminar«. Die Teilnehmerzahlen werden mit rund 8000 jährlich angegeben. Die wissenschaftliche und berufsbezogene Weiterbildung reicht vom eintägigen Seminar bis zum mehrjährigen Qualifizierungsprogramm. Nach einem ergänzenden Gespräch mit Schumacher als dem für das erstgenannte Programm Verantwortlichen wurden auch in den letzten Jahren nur einzelne hochschuldidaktische Veranstaltungen angeboten (z.B. von Marks), ein gesondertes Programm existiert nicht und ist auch nicht geplant. Ansatzpunkte für Forschung, Beratung und Entwicklung als weitere hochschuldidaktische Kernbereiche sind nicht erkennbar. Im Bereich multimedialen Lehrens und Lernens ist dagegen die Situation eine andere: Das Center für Digitale Systeme / Kompetenzzentrum für ELearning, E-Research und Multimedia (CeDiS) unterstützt u.a. die Einrichtungen der FU beim Einsatz digitaler Technik und Medien in Lehre und Forschung. Zum Angebot gehört auch ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm E-Learning. Apostolopoulos, Leiter der Einrichtung, und seine Mitarbeiterin Mußmann haben 2011 eine sehr gut besuchte zweitägige Tagung in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft e.V. (GMW) zu dem Thema »Grundfragen Multimedialen Lernens – meet the experts« durchgeführt. Die Ergebnisse sind im Internet abrufbar. Die Liste der Gäste, die Vorträge und Workshops übernommen hatten, umfaßte mit Bremer / Frankfurt/Main und Schulmeister / Hamburg eine Kollegin und einen Kollegen, die bereits in der zweiten und in der ersten Generation als Hochschuldidaktiker aktiv waren. Die Tagung machte deutlich, daß mit dem Ausbau des Bereichs ELearning und/oder Moderne Medien Hochschuldidaktik in Weiterbildung, Beratung und Entwicklung nicht ersetzt werden kann. Vor allem in den Workshops wurden Fragestellungen problematisiert, für die Kenntnisse und Fertigkeiten seit Jahren in Basismodulen der hochschuldidaktischen Weiterbildung erarbeitet werden (z.B. betr. Faktoren zur Analyse und Planung von Hochschulunterricht, Ursachen und Bearbeitungsansätze bei fehlender Lernbereitschaft Studierender). Auf der Tagung 2012 »Grundfragen Multimedialen Lernens – Von der Innovation zur Nachhaltigkeit« ergaben vor allem die Diskussionen im Plenum und in mehreren Workshops, daß z.Zt. bereits Kooperationen mit hochschuldidaktischen Einrichtungen in verschiedenen Formen bestehen (z.B. an der Universität Potsdam), und die Notwendigkeit eines Ausbaus im Interesse von Qualitätsverbesserungen und Nachhaltigkeit erkannt worden ist und daher angestrebt wird.

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Im Zusammenhang mit ihrer Herausgebertätigkeit für das Neue Handbuch Hochschullehre wird Berendt mit Marks und Stary, sowie Hecht weiter als NHHL-Autoren zusammen arbeiten. Thiel, Blüthmann und Watermann haben im NHHL (2012) den Artikel »Konstrunktion eines Fragebogens zur Erfassung der Lehrkompetenz (LeKo) veröffentlicht. Thiel und Blüthmann hatten das Projekt bereitsauf der Dortmund Spring School for Staff Developers / DOSS im März 2012 vorgestellt. Mit dem Leiter der CeDiS, Apostolopoulous, hat die Autorin früher bestehende Arbeitskontakte mit der Teilnahme an den GML-Konferenzen 2011, 2012 wieder aufgenommen. Erste Kontakte bestehen auch zum Vizepräsidenten für Lehre der FU, der den von Schmidt und Vegar veröffentlichten NHHL-Beitrag über »Hochschuldidaktische Weiterbildung im Kontext von Systemakkreditierung: Stellenwert und Perspektiven« 2012 erhalten hat.

9.2 Das Berliner Zentrum für Hochschullehre / BZHL

Das vom zuständigen Senator Zöllner initiierte Berliner Zentrum für HochschulLehre / BZHL entstand im engen Zusammenhang mit den o.a. Entwicklungen und nahm 2009 seine Arbeit auf. Das BZHL ist eine hochschulübergreifende Einrichtung von allen 13 staatlichen Hochschulen sowie staatlich anerkannter Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft. Die Finanzierung erfolgte zunächst bis Ende 2011 durch den Berliner Senat. Eine Verlängerung aus Sondermitteln wurde beschlossen – eine Dauerlösung scheint jedoch nach letzten Informationen noch nicht gefunden zu sein. Das Zentrum hat die Aufgabe, die Qualität der Lehre durch Angebote zur Qualifizierung von Lehrenden (Professoren/innen, wissenschaftlichen und künstlerisch-wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen, sowie Lehrbeauftragten) zu verbessern. Das Faltblatt »Lehren kann man lernen« gibt einen ersten Überblick: Im Mittelpunkt steht ein Zertifikatsprogramm in drei Modulstufen und 204 Arbeitseinheiten à 45 Minuten. Das Zertifikat kann in einem Zeitrahmen von bis zu drei Jahren erworben werden. Für die Lehrenden der beteiligten Hochschulen ist die Teilnahme kostenlos. Die Struktur ist an die AHD-Leitlinien von 2005 angelehnt und umfaßt die Module Grundlagen, Erweiterung, Vertiefung. Bescheinigungen gibt es »pro Modul«, vorher absolvierte hochschuldidaktische Veranstaltungen (regional, national, international, bzw. fachlich naheliegende und auf Lehre bezogene Qualifizierungsveranstaltungen können anerkannt werden). Auch ist die gegenseitige Anerkennung der Angebote des Netzwerks Studienqualität Brandenburg / sqb vorgesehen. Zusätzliche individuelle Weiterbildungsberatung und Coaching sind möglich. Ferner sind bedarfsorientierte Angebote für sogenannte strukturbildende Maßnahmen für Hochschulen vorgesehen (der

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programmatische Entwurf wurde von den Mitgliedern des Lenkungsausschusses und des wissenschaftlichen Beirats im SS 2009 verabschiedet. Ausführlicher auch http://www.bzhl.tu-berlin.de). Einzelheiten sind von Brendel in ihrem Artikel »Entstehung, Bestandsaufnahme und Perspektiven des Berliner Zentrums für Hochschullehre« zusammengefaßt (Brendel 2012): Die Arbeit des BZHL wurde vor allem von den Teilnehmenden sehr positiv gewertet, die Beteiligung anderer Hochschulen im Lenkungsausschuß und Wissenschaftlichen Beirat hat sich bewährt. Ebenfalls bewährt hat sich die Anbindung an die TU, insbesondere durch die aktive Unterstützung ihrer Vizepräsidentin Wendorf (die Finanzierung und Weiterführung nach Auslaufen der Sondermittel ist nach vorliegenden Informationen bisher noch nicht abschliessend geklärt. Z.Zt., d.h., ab WS 2012/13, wird die Arbeit fortgeführt).

9.3 Hochschuldidaktik an der TU Berlin

Seit 15 Jahren bietet die TU mit dem Weiterbildungsprogramm für das wissenschaftliche Personal in der Zentraleinrichtung Wissenschaftliche Weiterbildung und Kooperation (ZEWK) hochschuldidaktische Kurse an. Begleitende Angebote sind der didaktische Stammtisch, die hochschuldidaktische Ringvorlesung, sowie Coaching und Hospitationen. Im Dezember 2006 wurden der Einführungskurs »Teaching for University’s Best« und die Module »Förderung der Qualität der Lehre« von der Akkreditierungskommission AKKO der AHD akkreditiert. Empfehlungen der AKKO wurden bis zur ReAkkreditierung realisiert. Entsprechend den AHD-Leitlinien sind ein Basisund Vertiefungsmodul vorgesehen. Als zusätzliche Leistungsnachweise sind alternativ und optional möglich: Coaching, Lerntandem, Lehrportfolio, Lehrprojekt. Die Zertifizierung erfolgt in drei Stufen. (Einzelheiten vgl. Infobrief Wb, Nr. 27. April 2011).

9.4 Hochschuldidaktik an der Universität der Künste

Die Universität der Künste (UdK) führt in kleinerem Umfang hochschuldidaktische Weiterbildung mit dem BZHL durch, dessen wissenschaftlichem Beirat auch der Initiator hochschuldidaktischer Weiterbildung an der Udk, Erdmann angehört. Die Aktivitäten – so der immer noch verantwortliche Initiator – umfassen z.B. Veranstaltungen zur kollegialen Beratung, vereinzelt in-house Schulungen (auf Anfrage), sowie Aktivitäten zur Qualitätssicherung bzw. Verbesserung auf dem Feld der wissenschaftlichen / berufsbezogenen Weiterbildung (Studiengänge, Zertifikatskurse etc.).

10. Einige Schlußbemerkungen und Ausblicke

Als eine von 9 Exzellenz-Universitäten in der Forschung kann die Freie Universität sich mit den genannten 3 Teilprojekten und der Einführung der Systemakkreditierung jetzt auch im Sinne exzellenter Lehre positionieren und profilieren.

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Wie aus den Kapiteln 1 bis 9 hervorgehen dürfte, können sich die Kollegen und Kolleginnen der drei Teilprojekte dabei vor allem auf Hochschuldidaktiker / Hochschuldidaktikerinnen der ersten und zweiten Generation mit ihrem Erfahrungswissen in hochschuldidaktischer Weiterbildung, Forschung, Beratung und Entwicklung stützen. Insbesondere sind Konzepte, Handlungsorientierungen, sowie Methoden der Evaluation aus entsprechenden Veröffentlichungen zu entnehmen. In der Vergangenheit hat sich Kooperation in ihren verschiedenen Formen immer wieder bewährt, wie dies vor allem aus Veröffentlichungen von dghd / AHD hervorgeht. Das Neue Handbuch Hochschullehre / NHHL dokumentiert zusätzlich mit seiner großen Anzahl an Beiträgen und Autoren/Autorinnen die z.Zt. besonders nachgefragte Zusammenarbeit zwischen erster, zweiter und dritter Generation Hochschuldidaktiker/innen bei aktuellen Innovationen von Lehre und Studium. Die Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik / dghd mit ihren Kommissionen, Netzwerken und Arbeitsgruppen, den Jahrestagungen und ihren informierenden Newsletters (4 mal jährlich) ermöglicht Unterstützung und ggf. Vernetzung auch mit einzelnen Kollegen und Kolleginnen. Mit den o.a. Leitlinien und den Kriterien der Akkreditierungskommission / AKKO der dghd gibt sie Hinweise auf erarbeitete und erfolgreich angewandte Qualitätskriterien und Inhalte von Angeboten hochschuldidaktischer Weiterbildung. Anläßlich der erwähnten DOSS-Tagung, der dghd-Mitgliederversammlung und auch der Sitzung der dghd-Forschungskommission wurden vielfältige Aktivitäten und neue Ansätze ab SS 2012 diskutiert: Für ein Projekt »Scholarship of Teaching and Learning«, besonders im Sinne der Forschung über eigenes Lehren (vgl. Huber 2012) ist ein Handbuch geplant, das vor allem ausgewählte Beispiele für »Best Practice« aus dem NHHL enthalten soll. Für die stark nachgefragte hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildung für Hochschuldidaktiker/innen der dritten Generation sollen außerdem weitere Möglichkeiten geschaffen werden. Die Autorin schlug vor, gemeinsam mit Mitgliedern der Forschungskommission ein zweijähriges dghd-Fernstudienangebot zu konzipieren, das neben der Berufstätigkeit in einer hochschuldidaktischen Einrichtung absolviert werden kann. Sie selbst hat damit als Absolventin positive Erfahrungen in dem von Elton /UK initiierten und geleiteten Diplomstudium an der Universität Surrey »Practice of Higher Education« gemacht. Dieses enthält u.a. das Modul Forschung und regt zur Reflektion und Weiterentwicklung eigener Ansätze an. Das Thema der Diplomarbeit Berendt konnte z.B.thematisch an Problemen der eigenen hochschuldidaktischen Tätigkeit in Forschung, Weiterbildung, Beratung und Entwicklungansetzen: »Project How to teach large classes in universities – problems, approaches to solution«. Die Veröffentlichung schloß Materialien für einen Workshop ein. Ergänzend sei verwiesen auf die umfangreiche Veröffentli-

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chung Berendt, Stary 1987 (Hg.) über »Massenveranstaltungen – Probleme und Lösungsansätze«. Die Diskussionen auf der DOSS 2012 mit ihren vielfältigen keynotes, Workshops und interaktiven Tagungsmethoden machten auch die Notwendigkeit der Verknüpfung unterschiedlicher hochschuldidaktischer Aktivitäten im Kontext von Qualitätssicherung und -entwicklung von Lehre und Studium deutlich. In den Diskussionen wurde die Notwendigkeit der Verknüpfung hochschuldidaktischer Maßnahmen mit Systemakkreditierung angesprochen. Dies entspricht aktuellen Veröffentlichungen: Schmidt und Loßnitzer (2011) benennen z.B. in einer sehr umfangreichen Tabelle vier Ebenen der Qualität: (1) die einzelne Lehrveranstaltung, (2) Modul, (3) Studiengang, (4) Organisation & Rahmenbedingungen. Sie geben jeweils Beispiele für Qualitätsaspekte, Datenquellen und Erhebungsmethoden, Fragestellung, Probleme und Potentiale d.h. Beispiele), Qualitätsziel (ein Beispiel), Maßnahmen und Lösungen (Alternativen) (Einzelheiten: Schmidt und Loßnitzer a.a.O., S. 81– 82). Loßnitzer und Brehl beschreiben ebenfalls diskussionsanregende Wege zu »einer anderen Evaluationskultur an der Leuphana Universität Lüneburg« (Loßnitzer, Brehl 2011). Nickel (2011) entwickelt in dem von ihr herausgegebenen Band über die CHE-Tagung »Der Bologna-Prozeß aus der Sicht der Hochschulforschung – Analysen und Impulse für die Praxis« einen roten Faden mit Verknüpfungen. Diese betreffen insbesondere Hochschulforschung und hochschuldidaktische Forschung mit Lehre, Hochschulleitung und Hochschulmanagement: »Die Themenauswahl soll deutlich machen, daß der Bologna-Prozeß weit mehr ist als eine bloße Studienstrukturreform, nämlich ein tiefgreifender Organisations- und Personalentwicklungsprozeß« (a.a.O. S.8). Mansbrügge (Alfred Toepfer Stiftung F.V.S.) initiierte das Projekt »Lehre hoch n«, dessen Leitung sie auch übernahm: Die Programme von »Lehre hoch n« setzen auf Erfahrungen, Wissen und Praxis »der Lehrgestalter an den Hochschulen und holen Personen aus Hochschulleitung, -lehre, -management und -didaktik an einen Tisch«. Verschiedene Stiftungen führen im Bündnis »Lehre hoch n« ihre Erfahrungen und Projekte zusammen. Fokus des bis Ende 2012 angelegten Vorhabens ist, »ein Qualifizierungsnetzwerk der verschiedenen Funktionsträger zu etablieren mit dem Ziel, den Einzelnen im System Hochschule zu stärken, und das gemeinsame Handeln der verschiedenen Berufsgruppen für die Lehre zu befördern«. Mansbrügge (2012) gibt in ihrer Veröffentlichung einen interessanten Überblick über ein Projekt mit 32 unterschiedlichen Funktionsträgern, insbesondere ihre Netzwerktreffen und gemeinsamen Vorhaben. Ihr Artikel gibt auch interessante Impulse für positive Kooperationsformen unterschiedlicher Funktionsträger bei innovativen Projekten in Studium und Lehre (Hochschuldidaktiker/innen vor allem der ersten Generation dürften sich an oft un-

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erfreuliche »Grabenkämpfe« bei der Realisierung von später als Pionierleistungen anerkannten Reformvorhaben erinnern.) »Lehre hoch n« zeigt einen Weg, anstelle von Grabenkämpfen die eigenen Kräfte für künftige Entwicklungen konstruktiv einzusetzen. Weitere ebenfalls aktivierende Anregungen für künftige Entwicklungen ergeben sich auch aus dem von Lenzen – langjähriger Präsident der FUB, jetzt Präsident der Universität Hamburg – initiierten »Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität – Zukunftsfähigkeit in Forschung, Lehre, Bildung und Hochschulsteuerung«. Ziel des Zentrums ist es, zur Entwicklung und Ausgestaltung der Universität als einer »University for a Sustainable Future« beizutragen, und ihre Zukunftsfähigkeit in Forschung, Lehre, Bildung und Hochschulsteuerung sichern zu helfen. Das Projekt wird ebenfalls aus dem Qualitätspakt Lehre mit 12,8 Mio. € für 2010–2016 gefördert. Unter dem 08.03.2012 sind 15 Stellen ausgeschrieben, 43 Teilprojekte benannt. Auch ein ausführlicher Organisationsplan liegt vor (Stand: 14.03.2012). Im Mittelpunkt steht das »Postdoc-Kolleg«, in dem über Fächergrenzen hinweg Forschungsvorhaben mit Nachhaltigkeitsbezug http://www.unibearbeitet werden können (Einzelheiten: hamburg.de/unikolleg/aktuelles/index.html ). Merkt, z.Zt. Vorsitzende der dghd, ist stellvertretende Leiterin des neuen Kollegs. Gleichzeitig ist sie Leiterin des Zentrums für Hochschul- und Weiterbildung / ZHW derselben Universität. Das ZHW bietet u.a. den postgradualen Studiengang »Master of Higher Education« als eine intensive berufsbegleitende Weiterbildung an. Weitere Angebote enthält das Programm »BASIS Qualifikation« sowie ein Coaching-Programm. Zentrale hochschuldidaktische Forschungs-, Entwicklungs- und Beratungsfelder des ZHW betreffen e-learning, Qualitätsmanagement und Hochschulentwicklung. Hochschuldidaktische Forschungsprojekte werden ebenfalls durchgeführt (u.a. »Professionalisierung der Hochschullehre und Hochschuldidaktik«: Einzelheiten: Homepage des ZHW). Als Hochschuldidaktikerin der zweiten Generation gelingt es Merkt immer wieder, Veröffentlichungen und Personen der ersten, zweiten und dritten Generation zu verzahnen und damit zu vermeiden, »daß das Rad immer wieder neu erfunden wird«. Ein gutes Beispiel gibt ihre Veröffentlichung »Umstellung von Studiengängen im Bologna-Prozeß« mit Teil 1 »Problemfelder und ein Best-PracticeBeispiel der Universität Hamburg«, sowie Teil 2 »Grundlagen und Vorstellung eines Rahmenmodells« (Merkt 2011).

Fazit

Mit diesem Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität wurde versucht, am Beispiel der Hochschuldidaktik in Bezug auf Innovationen in Studium und Lehre vorliegende Forschungen, Erfahrungswissen, Handlungs-

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Hochschuldidaktik

orientierungen von Best Practice miteinander zu verknüpfen, um Neues aufzubauen, nicht immer im Sinne von Weiterentwicklung, sondern ggf. auch unter begründeter Verwerfung bisheriger Ansätze. Die Beschäftigung mit Hochschuldidaktik als Beitrag zur Qualitätssicherung und -entwicklung – vor allem unter den Bedingungen des BolognaProzesses und im Kontext der Kooperation mit unterschiedlichen Funktionsträgern – bleibt spannend. Die Wissenschaftsgeschichte der Hochschuldidaktik in Deutschland ist im März 2012 auch Thema eines geplanten Sammelbandes und einiger Dissertationen: Verschiedene Gespräche und ein erstes Interview mit der Autorin fanden bereits statt. Vor dem Beginn des WS 2012/13 wurden die aus dem Qualitätspakt Lehre bis 2016 zu finanzierenden zusätzlichen Stellen ausgeschrieben und teilweise besetzt. Es ist zu hoffen, dass die Drittmittel – wie schon einmal im Zusamemnhang mit Modellversuchen zur Hochschuldidaktik zu einer erneuten Institutionalisierung der Hochschuldidaktik an der FU führen, die mindestens 25 Jahre anhält. Kurz vor der Drucklegung dieses Beitrages erschien die hoch aktuelle 453 Seiten umfassende Dissertation von Ulrich (2013) mit einem Geleitwort von Hannover (FB Erziehungswissenschaft und Psychologie der FUB, Arbeitsbereich Schul- und Unterrichtsforschung). Die vom Springer Verlag (VS) veröffentlichte Arbeit basiert auf dem vom Verfasser geleiteten Programm« Optimierung der Lehre für Nachwuchswissenschaftler/innen der FUB« (Laufzeit Januar 2010–Februar 2011). Die Veröffentlichung »Strategisches Qualitätsmanagement in der Hochschullehre – Theoriegeleitete Workshops für Lehrende zur Förderung kompetenzorientierter Lehre« dürfte wichtige Impulse nicht nur für die FU, sondern auch für die Weiterführung der Hochschuldidaktik unter den andauernden günstigen Rahmenbedingungen, vor allem in Deutschland, geben (vgl. hierzu insbesondere die Homepage des BMBF mit verschiedenen Links; Stand 22.12.2012).

Quellennachweise (Auswahl)

Wegen der beschränkten Seitenzahl werden aus Platzgründen nicht alle im Text zitierten Veröffentlichungen in die Quellennachweise aufgenommen. Eine vollständige Liste der Veröffentlichungen der Autorin enthält ihre Homepage www.userpage.fu-berlin.de/~bberendt. Außerdem kann eine Liste mit hier nicht aufgeführten Veröffentlichungen bei der Autorin angefordert werden ([email protected]). Diese Liste enthält zusätzlich die Fundstellen der Homepages, die im Text nicht oder nicht ausführlich genannt wurden. Weitere Veröffentlichungen von Marks und Stary sind deren Homepages zu entnehmen.

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Brigitte Berendt

A Ältere Veröffentlichungen

AHD (2003) (Hg.), Hochschuldidaktik in Deutschland. DUZ-Spezial. Berlin (mit einem Beitrag von F. Marks / J. Stary, S. 17). Berendt, B. (1969), 19 Jahre Tutorenarbeit an der Freien Universität Berlin. Arbeitskreis für Hochschuldidaktik, Blickpunkt Hochschuldidaktik 3. Hamburg Berendt, B. (1980), Hochschuldidaktische Fortbildung der Lehrenden im Baukastensystem – Veranstaltungsmodelle, Strukturelemente. AHDHochschuldidaktische Materialien 78. Hamburg Berendt, B. (1995), 18 Jahre Arbeitsstelle Hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung an der Freien Universität Berlin – Konzept, Aktivitäten, Perspektiven. In: Pellert (Hg.) Universitäre Personalentwicklung. Internationale Trends und Erfahrungen. Innsbruck (S. 38–61) Berendt, B. (1998), How to Prepare and Bring About the Shift from Teaching to Learning through Academic Staff Development Programmes – Examples and Perspectives. In: UNESCO-CEPES (Eds.) Higher Education in Europe. Vol XXIII, No. 3. Bucharest (pp. 317–329) Berendt, B. (1999), Academic Staff Development in Europe – Relevance, Types of Programmes and Suggestions for Discussion prepared as a panelist for the the thematic debate on Staff Development: A Continuing Mission in the Context of the UNESCO World Conference on Higher Education in the XXIst Century. Paris 1998 . In: UNESCO (Eds.) World Conference on Higher Education in the XXI st Century, Vision and Action. Vol. IV: Higher Education Staff Development: A continuing Mission. Paris (pp. 30–40) Berendt, B. (2000), Was ist gute Hochschullehre? In: Zeitschrift für Pädagogik, Sonderheft 41, Teil IV: Qualität und Qualitätssicherung in der Hochschule. Weinheim, Basel (S. 247–260). Berendt, B. (2002), Academic Staff Development (ASD) als Bestandteil von Qualitätssicherung und -entwicklung. Zum aktuellen Stand hochschuldidaktischer Aus- und Weiterbildung. In: Berendt, B. / Voss, H.P. / Wildt, J. (Hg.), NHHL/Neues Handbuch Hochschullehre. Kap. L 2.1. Berlin, Stuttgart (Loseblattsammlung seit 2001) Berendt, B. (2005), Faculty Development in Syria and Jordan: Activities in the international context 2000–2004. In: Brendel, S. / Kaiser / K. Macke, G. (Eds.), Hochschuldidaktische Qualifizierung. Bielefeld (pp. 105–120) Berendt, B. (2006), Academic Staff Development im Kontext und zur Unterstützung des Bologna-Prozesses. Stellenwert und Stand hochschuldidaktischer Weiterbildung. In: Berendt, B. / Voss, H.P. / Wildt, J. (Hg.), Neues Handbuch Hochschullehre (Kap. L 2.2, S. 1–51), Berlin BLK (1982), Modellversuche zu einzelnen Fragen der Hochschuldidaktik. Bonn-Oedekoven (S. 48–52). Bloom, B. A. (1956), Taxonomie of Educational Objectives. New York

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Hochschuldidaktik

CRE, UNESCO-CEPES (Eds.) (1997), A European Agenda for Change. Papers on Higher Education. Bucharest, Paris (p. 11). Davies, J.L. (1996), Higher Education Management, Training and Development, Quality Indicators. In: UNESCO (Eds.). New Papers in Higher Education Studies and Research. No. 18, Paris (Para 90,7). HRK (Hg.) (2003), Directory der Hochschulforschung. Bonn (mit Hinweis auf B. Berendt, S. 53–54). KMK, HRK (1993), Umsetzung der Studienstrukturreform. Bonn (VII–VIII, und S. 1–l0). Lenzen, D. / Schründer, A. (Hg.) (1983), Enzyklopädie Erziehungswissenschaft. Bd. 10, Stuttgart Marks, F. / Stary, J. (2001), Abschlußbericht zum Projekt Vorbereitung eines Regionalverbundes Lehr- und Lernkompetenz an Hochschulen der Länder Berlin und Brandenburg. Berlin McKeachie W. I. (1963), Research on Teaching Methods. In: Cage, N.L. (ed), Handbook of Research on Teaching. Chicago Robinsohn, S. B. (1969), Bildungsreform als Revision des Curriculums. Berlin Schulz, W. (1965), Unterricht – Analyse und Planung. In. Heimann, P. / Otto, G. / Schulz, W. (Hg.), Unterricht – Analyse und Planung. Auswahl B, 1 / 2. Hannover. Welbers, U. 2003 (Hg.), Hochschuldidaktische Aus- und Weiterbildung. Bielefeld 2003 (mit 3 Beiträgen von B. Berendt, u.a. über Entwicklungsperspektiven, sowie Überblick über die Arbeitsstelle, S. 392–395). Wissenschaftsrat 1997, Empfehlungen zur Förderung des Hochschullehrernachwuchses. Köln (S. 149–150).

B Aktuelle Veröffentlichungen 2011 / 2012

Berendt, B. / Szczyrba, B. / Wildt, J. (Hg.), Neues Handbuch Hochschullehre / NHHL (Loseblatt-Sammlung seit 2001 mit z.Zt. 55 Ergänzungslieferungen), Berlin (Raabe Verlag) Berendt, B. (2011), Academic Staff Development als Teil von Qualitätssicherung und -entwicklung im Kontext des Bologna-Prozesses – Entwicklungen hochschuldidaktischer Aus- und Weiterbildung 2008–2011 in Deutschland, a.a.O. Kap. L 2.7 Brendel, S. (2012), Entstehung, Bestandsaufnahme und Perspektiven des Berliner Zentrums für Hochschullehre / BZHL, a.a.O., Kap. L 2.8 Huber, L. (2012), Scholarship of Teaching and Learning – Forschung zum (eigenen) Lehren , a.a.O. Kap. J 1.11 Loßnitzer, T. / Brehl, A., Auf dem Weg zu einer anderen Evaluationskultur – Entwicklungsorientierte Lehrveranstaltungsevaluation an der Leuphana Universität Lüneburg, a.a.O. , Kap. I 1.12

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Mansbrügge, A. (2011), Das Programm Lehre hoch n: Entstehung, Stand, Perspektiven, a.a.O. Kap. J 1.12 Merkt, M. (2011), Umstellung von Studiengängen im Bologna-Prozess; Teil 1: Problemfelder und ein Best-Practice-Beispiel der Universität Hamburg, a.a.O., Kap. J 2.14 Merkt, M. (2011), Umstellung von Studiengängen im Bologna-Prozess; Teil 2: Grundlagen und Vorstellung eines Rahmenmodells, a.a.O., Kap. J 2.15 Schmidt, U. / Vegar, M. (2012), Hochschuldidaktische Weiterbildung im Kontext von Systemakkreditierung: Stellenwert und Perspektiven, a.a.O. (im Druck) Niessing, M. / Thielsch, A. (2012), Lehrforschung wird Praxis: Ein persönlicher Rückblick auf die dghd-Jahrestagung 2011 und Vorschläge zur Qualitätssicherung, a.a.O. Kap. L 2.10 Thiel, F., Blüthmann / I., Watermann, R.(2012), Konstruktion eines Fragebogens zur Erfassung der Lehrkompetenz (LeKo), a.a.O., Kap. I 1.13 Thielsch, A. (2011), dghd-Jahrestagung und ProLehre Symposium. In: dghdNewsletter Ausgabe 2/2011, S. 8–9. Wex, P. (2011), Prüfungen unter den Bedingungen des Bologna-Prozesses – Rechtliche, bildungspolitische und verwaltungspraktische Aspekte, a.a.O., Kap. H 1.3

C Andere Veröffentlichungen

HRK-nexus (Hg.) (2011), Gute Lehre – Frischer Wind an Deutschen Hochschulen Nickel, S. (Hg.) (2011), Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung – Analysen und Impulse für die Praxis, CHE Gütersloh Preißer, R. (2011), Kompetenzorientierte Hochschuldidaktik. In: Bruckmann, F., Reis, O., Scheidler, M. (Hg.), Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Münster (S. 17–36) Schmidt, B. / Loßnitzer, T. (2011), Qualitätsmanagement in der Hochschule. In: Böttger, H. / Gien, G. (Hg.), Aspekte einer exzellenten Lehre. Bad Heilbrunn, (S. 77–94) Wintermantel, M. (2011), Qualität in Studium und Lehre. In: Benz, W., Kohler /, J., Landfried, K. (Hg.), Handbuch für Qualität in Studium und Lehre / HQSL Kap. B 4.4.(Loseblattsammlung mit Ergänzungslieferungen), Berlin (Raabe Verlag)

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Gerhard Göhler / Hubertus Buchstein Deutsche Hochschule für Politik / Otto-Suhr-Institut / Fachbereich Politische Wissenschaft Die ersten fünfzehn Jahre1

Das vierzigjährige Jubiläum der Wiederbegründung der Politikwissenschaft in Berlin gilt nicht einfach der Feier eines Faches, das sich wie andere Disziplinen im universitären Fächerkanon mehr oder weniger geruhsam entfaltet hat. Seine Entwicklung zur akademisch anerkannten Wissenschaft ist zugleich der Gang durch institutionelle Metamorphosen: Vor vierzig Jahren wurde die erstmals 1920 gegründete »Deutsche Hochschule für Politik (DHfP) nach Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg im Jahr 1949 wiedereröffnet, kurz nach der Neugründung der Freien Universität im Westteil der Stadt. Zehn Jahre später wurde die DHfP unter dem Namen »Otto-SuhrInstitut« in die Freie Universität eingegliedert, nach weiteren zehn Jahren in den heutigen »Fachbereich Politische Wissenschaft« der FU umgewandelt. Die verwickelte Institutionengeschichte deutet darauf hin, daß es erheblicher Auseinandersetzungen und Umwege bedurfte, bis sich Politikwissenschaft als voll akzeptierter Bestandteil im universitären Fächerkanon etablieren konnte.

Vorgeschichte und Eröffnung der Deutschen Hochschule für Politik

Die Wiedereröffnung der 1933 von den Nationalsozialisten übernommenen und 1940 als »Auslandswissenschaftliche Fakultät« in die damalige Berliner Universität eingegliederten DHfP war für das Nachkriegsberlin der erste Versuch, Politikwissenschaft als eigenständige wissenschaftliche Disziplin zu institutionalisieren. An den Hochschulen im sowjetischen Sektor der Stadt wurde Politik nur als unselbständiger Bestandteil des Historischen und Dialektischen Materialismus gelehrt, und die erst ein Jahr nach der DHfP geplante, aber in der tagespolitischen Dramatik des Jahres 1948 einige Wochen vor ihr eröffnete Freie Universität hatte keine eigene politikwissenschaftliche Fakultät. Das erste bekannte Dokument zur Wiederbegründung stammt vom Herbst 1947. Es handelt sich um ein Memorandum, das Otto Suhr, ein ehemaliger Dozent der alten DHfP und nun Vorsteher der Berliner Stadtverordnetenver1 Zuerst erschienen in: Bodo von Greiff / Gerhard Kiersch / Klaus Megerle (Hg.), Das OSI. Wissenschaft, Studium und Organisation am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin, Berlin 1989, S. 15–33.

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Gerhard Göhler / Hubertus Buchstein

sammlung angeregt und Walter Jaroschowitz, gleichfalls altgedienter Sozialdemokrat und Mitglied des Kulturpolitischen Ausschusses der Berliner SPD, verfaßt hatte. Der Entwurf sah vor, umstandslos an das bis 1933 gültige Konzept der »alten« Hochschule anzuknüpfen. Die Initiative zur Wiedergründung der DHfP blieb nach diesen ersten Diskussionen im Kreis um Otto Suhr eine rein Berliner Angelegenheit. Sie erfolgte, im Gegensatz zu gleichzeitigen Bemühungen in Hessen, ohne Anregung, Einflußnahme oder Absprache mit den westlichen Alliierten. Und auch nach dem Entwurf von Jaroschowitz blieben die ersten Gründungsaktivitäten von Berliner SPD-Politikern dominiert. Erst nachdem das Memorandum die Gremien der Partei erfolgreich passiert hatte, begann die Gruppe um Suhr -zu ihr zählten anfangs neben Walter Jaroschowitz der ehemalige DHfPAbsolvent Walther G. Oschilewski, Stadtrat Walter May und Siegfried Nestriepke –, in den anderen Berliner Magistratsparteien Verbündete für das Vorhaben zu suchen. Bewußt ausgespart blieb die SED. Mit der CDU und der liberalen LDPD waren sich die Aktivisten im sozialdemokratischen Kulturpolitischen Ausschuß einig in der Orientierung der Hochschule am westlichen Demokratieverständnis. Am 15. Januar 1948 waren die Absprachen zwischen den drei beteiligten Parteivertretern so weit gediehen, daß sie gemeinsam den Antrag in die Berliner Stadtverordnetenversammlung einbrachten, am hundertjährigen Revolutionsfeiertag – dem 18. März 1948 – die alte DHfP als Symbol der demokratischen Tradition wiederzueröffnen. Nicht zuletzt sollte damit ein weiteres Zeichen gesetzt werden gegen das von der SED vertretene Verständnis von Demokratie. Die Konzeption für die Hochschule wurde weiterhin im engen Kreise der nun mit Kurt Landsberg für die CDU und Hans Reif für die LDPD verstärkten Gruppe um Suhr entwickelt. Pläne von außerhalb, etwa der Vorschlag, eine Frauenhochschule für Politik anzugliedern oder sich auf die Diplomatenausbildung zu spezialisieren. blieben von den Gründern unbeachtet. Das große Vorbild war die »alte« Hochschule, an der die meisten von ihnen noch selbst gelehrt oder studiert hatten. Unterschiedliche Vorstellungen gab es eigentlich nur darüber, an »welche« alte DHfP man anschließen sollte: an die der frühen zwanziger Jahre, die sich vornehmlich als eine Stätte der Erwachsenenbildung begriffen hatte, oder die der frühen dreißiger Jahre, an der selbstbewußt von Politik als Wissenschaft gesprochen wurde. Auf Suhrs Anregung hin einigte man sich im Juni 1948 auf einen Kompromiß: Wie ihre Vorgängerin sollte die neue DHfP als Erwachsenenbildungsstätte für politische Angelegenheiten beginnen, mit der Aufgabe, Lehrern, Verwaltungsangestellten, Parteifunktionären, Journalisten oder Kommunalpolitikern die für das Funktionieren der Demokratie nötige politische Bildung zu vermitteln: »Der Schulbetrieb soll Volkshochschulcharakter haben«, hieß es in einer Entschließung der Vorbereitungsgruppe, »ist aber abzugrenzen vom Lehrcharakter der Volkshochschule. Die Lehrtätigkeit muß

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Das OSI: Die ersten 15 Jahre

ausschließlich wissenschaftlich bleiben, ohne daß die Vollständigkeit der Universitätsdidaktik angewandt wird«. Angesichts der Entwicklung ihrer Vorgängerin, wollte man die Tür also offen lassen für einen Verwissenschaftlichungsprozeß. Eine Bibliothek und ein Archiv sollten als ständige »Informationsquelle« eingerichtet werden, eine Auslandsabteilung sollte den Kontakt mit der Politikwissenschaft des westlichen Auslands suchen. und die Aufgabe der Hochschule wurde durchaus auch darin gesehen, eine »systematisch ausgebaute Lehrkunde der politischen Wissenschaft, einschließlich Staatslehre, Soziologie, Geschichte, Geographie usw. (zu betreiben), mit dem Ziel, Politik als Wissenschaft zu lehren«. Die leibliche Verkörperung der Gründungsmotive mit ihrer Stellung zwischen Erwachsenenbildung und Wissenschaft war Otto Suhr, der erste Direktor der neuen DHfP. Otto Suhr über das ursprüngliche Hochschulkonzept:

»Daß der auch an anderen Stellen erörterte Plan einer Hochschule für Politik zuerst und gerade in Berlin verwirklicht wird, ist kein Zufall. Denn diese Stadt hat sich in den letzten Jahren wirklich als eine hohe Schule der Politik in Deutschland erwiesen, und es zeigt den Ernst der politischen Kämpfer, wenn sie neben ihrer aktiven Rolle das Bedürfnis zum Eindringen in die tieferen Bedingungen und Zusammenhänge des politischen Lebens empfinden. Daß Berlin dabei an die in mancher Hinsicht bewahrte Tradition der DHfP vor 1933 anknüpfen kann, war zwar ein Vorteil, aber nicht ausschlaggebend, denn Wesen und Aufgabe dieser Schule werden ungleich stärker als bei anderen Schulen nicht von der Tradition, sondern von der Gegenwart bestimmt. Es kommt für den Politiker darauf an, sein Wissen zu aktualisieren und sein aktuelles Handeln durch Wissen zu stützen. So entscheidend Wille und Gesinnung in der Politik auch sein mögen – der dauernde Erfolg des Politikers (und jeder, der die öffentliche Meinung beeinflußt, ist in diesem Sinne Politiker) – hängt von seiner Einsicht in die tatsächlichen Daseinsbedingungen und in die Wirkungsmöglichkeiten seiner Maßnahmen ab. Was lehrbar und lernbar daran ist – und dieses Maß ist sehr weit gesteckt – wird die Hochschule für Politik zeigen. Intensiver auch als andere Schulen muß die Hochschule für Politik den Blick über die Ländergrenzen erweitern. Das lange unglückselige Abgeschlossensein Deutschlands von den geistigen Verbindungen der Welt mit seinen verhängnisvollen Folgen zwingt uns, die Fortschritte der politischen Wissenschaften des Auslandes nachzuholen und hei dem Neubau Deutschlands von anderen Ländern zu lernen. Die Anwesenheit der vier Mächte in Berlin hat die Stadt geradezu für eine Tribüne des Auslandes prädestiniert … Viele Vollstudenten äußern allerdings in erschreckender Weise eineindeutiges Streben nach Berechtigungsscheinen und Diplomen, dem die Hochschule für Politik kaum wie gewünscht Rechnung tragen kann. Der »Diplompolitiker« wäre ein Unding! … Die alte Hochschule hatte … in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt, Anwärter für den auswärtigen Dienst vorbereitet. Der neuen Hochschule fällt hier bei der gebotenen Zurückhaltung die besonders verantwortliche Aufgabe zu, ein Samenkorn für einen neuen Geist einer künftigen auswärtigen deutschen Politik zu legen. Zunächst sind aber die ›inneren Angelegenheiten‹ wichtiger! Eine

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Gerhard Göhler / Hubertus Buchstein solche Gruppe bilden die Journalisten und Reporter. Und tatsächlich will und soll die Hochschule eine Lücke in der Ausbildung für die Presse ausfüllen helfen. Schule und Zeitung ergänzen sich wechselseitig. Die Hochschule will das reichliche Material der Presse für ihre Arbeit auswerten – aber auch durch ihre Arbeit die Presse stützen. Eine dritte Gruppe setzt sich aus den Sozialpädagogen zusammen und folgt damit den Spuren der alten Hochschule, denn vor 1933 hat das Sozialpädagogische Seminar zum Rückgrat der Hochschule gehört. Es fehlt zunächst noch eine Gruppe, auf die aber die Hochschule zum mindesten als Gasthörer an einzelnen Vorlesungen und Übungen besonderen Wert legen muß, wenn sie ihr Programm erfüllen will: die Stadtverordneten und Bezirksverordneten, die Partei- und Gewerkschaftssekretäre. Auch wenn der praktisch tätige Politiker heute übermäßig angespannt und beansprucht ist, so bedarf unsere noch so tastende Demokratie der Bildung und Orientierung. Welcher Politiker könnte und müßte nicht lernen?! Die Hochschule hat den Ehrgeiz, zu einer Arbeitsstelle und einem Mittelpunkt für sachliche Politik zu werden – auf der sich die Politiker, die tätigen und die angehenden, über die Tatsachen verständigen sollen. Über die sachlichen objektiven Tatbestände läßt sich ein tragfähiger Boden gewinnen auf dem sich dann der Kampf der Parteien um die Erreichung ihrer Ziele in aller Lei2 denschaftlichkeit entwickeln mag.«

Ursprünglich sollte die Hochschule ihre Pforten im Mai 1948 öffnen. Daß die Gründungsvorbereitungen sich erheblich verzögerten, war in erster Linie den aktuellen politischen Vorgängen in und um Berlin geschuldet: Bereits zwei Tage nach den Revolutionsfeierlichkeiten am 18. März hatte Marschall Sokolowski die sowjetische Mitarbeit im alliierten Kontrollrat aufgekündigt; ab April häuften sich die Behinderungen im Verkehr von und nach der alten Hauptstadt; die am 22. April gegen das Votum der SED verabschiedete Berliner Verfassung, an deren Formulierung Suhr maßgeblich beteiligt war, konnte vorn Alliierten Kontrollrat schon nicht mehr bestätigt werden. Am 24. April stellte die sozialdemokratische Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung den Antrag, als Antwort auf die zunehmenden politischen Repressalien an der im Ost-Sektor der Stadt gelegenen Berliner Universität in den Westsektoren eine »Freie Universität« zu eröffnen. Dies hatte nicht unerhebliche Folgen für die Hochschulgründer, denn nun hatte in den Augen der Öffentlichkeit im Westteil der Stadt die FU den hochschulpolitischen Vorrang. Auf die aus heutiger Sicht naheliegende Idee, beide Gründungsvorhaben zusammenzulegen, kam damals niemand. Die Hochschulgründer wollten die alte autonome DHfP wiederbeleben, und die FUInitiatoren hatten genügend Probleme mit ihren hochschulreformerischen Vorstellungen, um sich nicht auch noch eine an den anderen deutschen Universitäten nicht vorhandene Fakultät für Politikwissenschaft zuzulegen. Überschattet wurden die Aktivitäten der DHfP Gründer schließlich vom politischen Hauptereignis des Jahres 1948: im Juni verhängten die Sowjets die

2 Auszug aus: Otto Suhr; Hochschule für Politik. In: »Die Welt« vom 11. Januar l949.

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Blockade über die Westsektoren der Stadt. Die Eskalation der folgenden politischen Ereignisse kulminierte in der bis Ende 1948 auf fast allen Ebenen durchgeführten Spaltung der Stadt. Um die DHfP trotz dieser widrigen Umstände und der prekären Finanzlage des Westteils eröffnen zu können, konstituierte sich im Juli ein überparteiliches Vorbereitungskomitee, das in Zeitungsanzeigen um Büchergeschenke und Geldspenden für die Hochschule bat. Als Eröffnungstermin wurde nun der Oktober anvisiert, aber angesichts der Blockade und der unsicheren politischen Situation in Berlin war es fast unmöglich, geeignete Dozenten aus Westdeutschland zu gewinnen. Erneut verschob man deshalb die Hochschuleröffnung und versuchte, wenigstens ein provisorisches Vorlesungsverzeichnis für ein verkürztes Einführungssemester zusammenzubekommen.

»Aufruf der Deutschen Hochschule für Politik vom September 1948: Die Berliner Stadtverordnetenversammlung hat bei der 100jährigen Wiederkehr des Revolutionstages von 1848 die Wiedererrichtung der Deutschen Hochschule für Politik beschlossen. Die Hochschule für Politik genoß ein hohes Ansehen, bis das Ende der Demokratie im Jahre 1933 auch ihr ein Ende setzte. Jetzt ist sie um der zukünftigen demokratischen Freiheit willen wieder aufzubauen. Die Hochschule für Politik soll eine Lehr- und Forschungsstätte der Wissenschaft von der Politik sein. Sie soll weder für noch gegen eine einzelne Partei arbeiten, aber die Funktion jeder Partei verdeutlichen. Mit leidenschaftlicher Objektivität gilt es, umfassende Kenntnisse als Grundlage zu vermitteln, um zum politischen Handeln zu erziehen. Die Hochschule für Politik wird Gelegenheit geben, in- und ausländische Repräsentanten unmittelbar zu hören. Sie strebt danach, die politische Literatur und Archive des Auslandes dem Studium zugänglich zu machen, die dem deutschen Volk seit der nationalsozialistischen Isolierung vorenthalten worden sind. Die Behandlung politischer Tagesfragen in offenen Diskussionen wird dazu dienen, gegensätzliche Auffassungen zu würdigen und eigene Standpunkte zu gewinnen. Die Hochschule für Politik wünscht als Hörer alle, die bereit sind, ernsthaft in ihr zu arbeiten. Sie erwartet insbesondere die Politiker und die lugend, Studenten und Gewerkschaftler, Lehrer, Fürsorger, Arbeiter und Angestellte beiderlei Geschlechts. Ohne formale Berechtigungsnachweise für die Aufnahme wird sie auch am Ende des Studiums keine Berechtigungen für berufliche Zwecke aussprechen. Die Deutsche Hochschule für Politik ruft heute zur Unterstützung auf. Sie wird als eine öffentliche Anstalt vorbereitet, die Notstände der Zeit aber erschweren ihre Errichtung. Die Unterzeichneten haben sich deshalb als vorläufiger Förderkreis zusammengeschlossen und bitten alle Mitbürger; Organisationen und Institute um tätige Mithilfe. Bücher, Zeitungsjahrgänge, geographisches Anschauungsmaterial, Dokumente und Briefe, die über politische Verhältnisse der Gegenwart und Vergangenheit Aufschluß geben, werden ebenso gebraucht wie Geldspenden. Louise Schröder, Jakob Kaiser, Karl von Lewinsky, Paul Löbe, M. Elisabeth Lüders, Walter May, Friedrich Meinecke. Hans Reif, Walter Schreiber, Otto Suhr, 3 Richard Thurnwald, Rudolf Wissell.«

3 Aus: »Das Sozialistische Jahrhundert« vom 15. September 1948.

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Die DHfP wurde schließlich am 15. Januar 1949 mit einem Festakt in der Cäcilienschule am Nikolsburger Platz eröffnet. Die Festansprachen vor der versammelten politischen Prominenz aus den Westsektoren hielten zwei ehemalige Dozenten der alten DHfP, der designierte Direktor der neuen Hochschule, Otto Suhr, und der spätere erste deutsche Bundespräsident, Theodor Heuss. In der Westpresse wurde die Hochschuleröffnung ausnahmslos begrüßt, die Tageszeitungen berichteten ausführlich über das Ereignis. Die östliche Seite reagierte ablehnend. Die Hochschule, so vermutete die »Tägliche Rundschau«, werde das Ausbildungszentrum des journalistischen Nachwuchses für die »Revolverpresse der Westmächte« sein. Die gespannte politische Atmosphäre der Blockadezeit verschonte seihst das Eröffnungszeremoniell nicht. Ein Veranstaltungsteilnehmer wurde während der Feierlichkeiten von der Polizei unter dem Verdacht auf »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« verhaftet, da ein anderer Besucher in ihm einen NKWD-Spitzel aus Halle zu erkennen glaubte.

Die DHfP: Politikwissenschaft auf dem Weg zur Universität

Die DHfP begann mit den Lehrveranstaltungen ihres provisorischen neunwöchigen Einführungssemesters am 17. Januar l949 in der Ricarda-Huch-Schule in der Sybelstraße. Über eigene Räume konnte sie erst Ostern 1949 verfügen, als sie in das Lignose-Haus in der Albrecht-Achilles-Straße 65 /66 umzog. Doch waren es gerade diese schwierigen Startbedingungen, die die rasche Identifikation des Lehrkörpers und der Studentenschaft mit der Hochschule bewirkten und die sie später immer wieder gern auf diese »Pionier-Ära« zurückblicken ließen. Zwei Rückblicke von Otto Suhr und Gert von Eynern:

»Ihr erstes Unterkommen in den dunklen Januartagen 1949 fand die neue Hochschule im Studentenhaus am Steinplatz in der damals gleichzeitig die eben erst aus dem Sowjetsektor übersiedelte Stadtverordnetenversammlung tagte. Die Vorlesungen fanden in der ungeheizten, fensterlosen Ricarda-Huch-Schule statt. Eine kleine Bibliothek aus den Restbeständen des ehemaligen deutschen Gemeindetages war an einem dritten Ort eingerichtet. Siebenhundertfünfzig Menschen drängten sich im Einführungssemester in den viel zu kleinen Räumen mit den Kinderbänken, oft nach langen Anmarschwegen in unbeleuchteten Straßen ohne Verkehrsmittel. Daß es unter den widrigen Verhältnissen ohne ausreichende Lehr- und Lernmittel überhaupt gelang. die zusammengewürfelte Schar junger Menschen, die meist nur das Kriegshandwerk gelernt hatten, zusammen mit bereits in Amt und Würden stehenden Politikern sehr unterschiedlicher Vorbildung zu fruchtbarer Arbeit zu führen, war vor allem den hauptamtlichen Dozenten zu danken, die sich vorn ersten Tage an zusammen mit dem Direktor zu einer pädagogisch4 wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft verbunden hatten.«

4 Aus: Otto Suhr; Zur Geschichte der Deutschen Hochschule für Politik (1952). In: Otto Suhr; Eine Auswahl aus Reden und Schriften. Berlin 1967, Seite 358–.359.

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Das OSI: Die ersten 15 Jahre »In der Technischen Universitär gab es damals zwei kleine Zimmer: dort saß die Hochschulverwaltung. In einem von ihnen residierten Fräulein Aermlich und Fräulein Dannenberg. Eine Viertelstunde entfernt in der Sybelstraße stand die RicardaHuch-Schule. Morgens ochsten da, und nach mittags auch eifrige Schüler und Schülerinnen. Dementsprechend war der Mief kalter Mief! Abends begab sich die DHfP in diese Atmosphäre. Trübes spärliches Licht. Die Studenten und Hörer versuchten, sich in die Kinderbänkchen zu zwängen. Sie beneideten uns Dozenten: wir durften uns bewegen, hatten Platz. Der entscheidende Grund für den Zulauf der Jungen zur DHfP war tiefer Natur, Diese Menschen vor allem die, die aus dem Osten kamen, hatten erlebt, was Politik für das Schicksal des Einzelnen, der Familie, der Nation bedeutet. Im Osten waren sie mit Schlagworten. mit pseudowissenschaftlicher ›Gesellschaftslehre‹ gefüttert worden. Bei uns wollten sie nun ernsthaft studieren, ›wie es eigentlich in Wirklichkeit ist‹. Manche hat zudem die Möglichkeit gelockt, bei uns ihr Studium beginnen zu können, ohne daß ihnen zuvor mit Brief und Siegel bescheinigt worden wäre, sie seien dazu ›reif‹, ohne Reifezeugnis also. Durch den Krieg waren ja zahllose Jugendliche um eine geregelte Ausbildung betrogen worden. Aber ein großer Teil von ihnen, besonders die etwas älteren Kriegsteilnehmer, besagen eine geistige und menschliche Reife, auf Grund derer sie sich zutrauten, ein Studium auch ohne abgeschlossene Oberschulbildung 5 durchführen zu können. Auch wir trauten es ihnen zu!«

Die Gestaltung der Hochschule lag von nun an in den Händen eines Hochschulsenats. der sich aus dem Hochschuldirektor Suhr und sechs hauptamtlichen Dozenten – den Abteilungsleitern – zusammensetzte. Der Senat war verantwortlich für alle konzeptionellen, finanziellen, inhaltlichen und personalpolitischen Fragen. Doch den entscheidenden Einflug auf die Zusammensetzung der Dozentenschaft halte bereits Otto Suhr genommen. Er war es, der nach seinen fachlichen Vorstellungen, aber auch nach politischer Opportunität und alter Freundschaft die Mitglieder des Senats zusammenstellte. Nach seinem inzwischen nach Kiel verschlagenen alten Freund Carl-Dietrich von Trotha ließ er regelrecht fahnden, und einen anderen alten Freund, Ernst Fraenkel, bestürmte er in regelmäßigen Briefen nach Korea, wegen der Hochschule nach Berlin zurückzukehren – ein Ansinnen, das schließlich auch Erfolg hatte. Eine weitere Gemeinsamkeit der Mitglieder des ersten Hochschulsenats wird sichtbar, fragt man nach ihren Aktivitäten in den Jahren zwischen 1933 und 45. Im Unterschied zu vielen anderen sozialwissenschaftlichen Instituten im westlichen Nachkriegsdeutschland finden sich im eigentlichen Gründungskreis der DHfP keine Emigranten. Ernst Fraenkel, Ossip K. Flechtheim und Richard Löwenthal stießen erst später zur Hochschule. Und im Unterschied zu so vielen Professoren der deutschen Universitäten – auch in Berlin, und zwar in beiden Teilen der Stadt – waren sie alle erwiesene Gegner des

5 Aus: Gert von Eynern (Gründungsprofessor}, Rede auf der Zehn-Jahresfeier der DHfP am 16. Januar 1959, MS. In, Otto-Suhr-Institut, Archiv und Dokumentation, Mappe Bio-Eynern I.

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NS-Regimes gewesen. Der erste Hochschulsenat der DHfP läßt sich geradezu als ein Gremium ehemaliger Widerstandskämpfer gegen das Dritte Reich bezeichnen. Suhr stand unumstritten im Zentrum nicht nur ob seiner Gründungsaktivitäten und seiner Position als Hochschuldirektor; seine Autorität he ruhte zu einem ganz wesentlichen Teil auch auf der Rolle, die er bis 1945 im Widerstand eingenommen hatte. Otto Suhr war nach 1933 in der Reichshauptstadt geblieben. Im Gegensatz zu seinen jüdischen Freunden Ernst Fraenkel und Franz L. Neumann, die in die Emigration flüchten mußten, wurde er nicht »rassisch« verfolgt, und so konnte er sich bis zum Schluß im sozialistischen Widerstand betätigen. Aktiv war er als Mitglied eines illegalen Gewerkschaftskomitees. Unter anderem hielt er Kontakt zum »Internationalen Sozialistischen Kampfhund«, an dem auch sein späterer Hochschulkollege Ossip K. Flechtheim mitarbeitete. Kurz vor Kriegsende tauchten Suhr und seine Frau Susanne unter. Sie hielten jedoch Kontakt zu Carl-Dietrich von Trotha und Gert von Eynern. Eynern war schon seit den zwanziger Jahren mit Suhr befreundet. Gegen Kriegsende wirkten Suhr, Eynern und Trotha in einem illegalen »Planwirtschaftlichen Arbeitskreis« mit, wo sie Konzepte für ein sozialistisches Nachkriegsdeutschland diskutierten. Trotha gehörte wiederum zum Kern einer andern Widerstandsgruppe, dem Kreisauer Kreis. Dort war ein viertes späteres DHfP-Senatsmitglied tätig, Otto Heinrich von der Gablentz. Gablentz war besonders beeinflußt vom religiösen Sozialismus. Als fünftes Senatsmitglied war auch Ernst Tillich, ein entfernter Verwandter des Theologen Paul Tillich, im kirchlichen Widerstand aktiv. Wegen seines Engagements im Rahmen der Bekennenden Kirche war er mehrere Jahre im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Der sechste schließlich, der sozialdemokratische Jurist Martin Draht, wurde 1933 sofort mit einem Berufsverbot belegt und blieb während der folgenden zwölf Jahre in Kontakt mit seinen Parteigenossen. In dieser facettenreichen Widerstandskultur bildete Otto Suhr eine Art Zentrum, denn seine Aufgabe für die Gewerkschaft war es, die Verbindungen zu den unterschiedlichen Widerstandsgruppen aufrecht zu erhalten. Inhaltlich war die Hochschule in sechs Abteilungen aufgegliedert. Trotha leitete die »Politische Meinung und Willensbildung«, Tillich die »Philosophie und Soziologie«, v. Eynern die »Wirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik«, v. d. Gablentz die »Soziale Ordnung und Sozialpolitik«, Draht die »Rechts -und Staatslehre« und Kurt Landsberg die »Geschichte und Geographie«. Die Hochschule versuchte zunächst, an ihrer vorrangigen Orientierung an der Erwachsenenbildung festzuhalten. Doch es gelang von Beginn an nicht, die angesprochenen Multiplikatoren in den Schulen, Parteien und Verwaltungen für das angebotene Abendstudium zu motivieren. Die Mehrzahl der eingeschriebenen Studenten waren sogenannte »Vollstudenten« (eine Anspielung auf ihren Status bei der Lebensmittelkartenzuteilung). Sie gehörten zu der Generation, die ihre Jugend im Krieg vergeudet fand und nun einen

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geschlossenen Studiengang mit anerkanntem Abschluß absolvieren wollte. Im Dezember 1948 hatten sich für das Einführungssemester nur dreißig Hörer für das Abendstudium beworben; einhundertvierzig wollten demgegenüber als Vollstudenten beginnen. Es bedurfte einer neuerlichen Zeitungskampagne, um die Zahlen etwas auszugleichen. Die unaufhaltsam fortschreitende weitere Verschiebung in der Zusammensetzung der Hörerschaft der nächsten Semester blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Konzeption der Hochschule. Man mußte, wollte man nicht einen drastischen Schwund der Hörerschaft in Kauf nehmen, schneller als ursprünglich vorgesehen ein universitätsadäquates Hochschulstudium anbieten. Bereits im April 1950 veranstaltete die DHfP eine Tagung, zu der sie alle westdeutschen Vertreter der neuen Politikwissenschaft einlud, um den ungeklärten disziplinären Status des neuen Faches zu diskutieren. Man schloß mit einer selbstbewußten Resolution, deren Formulierung im wesentlichen in Berlin vorbereitet worden war; insbesondere die vor allem von Otto Suhr geprägte Formel von der Politik als Wissenschaft der »Macht und Gesittung« fand sich später in den unterschiedlichsten Formulierungen wieder. Der einflußreichste Promoter des nun verstärkt einsetzenden Verwissenschaftlichungsprozesses war der bereits erwähnte Freund Otto Suhrs, Ernst Fraenkel, der 1951 aus der amerikanischen Emigration über Korea nach Berlin zurückkehrte. Fraenkel war es auch, der mit seinem Konzept von »Politikwissenschaft als Integrationswissenschaft« das Fachverständnis vieler Berliner Politologen der ersten fünfzehn Jahre entscheidend prägte. Ernst Fraenkel über die Probleme der Wissenschaft von der Politik:

»Eine Denkschrift über Probleme der Hochschule für Politik sollte von einer realistischen Analyse der gegenwärtigen Situation des Unterrichts der Political Science in Deutschland ausgehen. Nach meiner Ansicht sind die kennzeichnenden Merkmale, daß: a) unzureichend vorgebildete Studenten b) ein wissenschaftlich weitgehend undurchforschtes Gebiet c) unter Leitung von Dozenten, die fast ausnahmslos aus anderen Disziplinen stammen, d) ohne ausreichende Bibliotheks- und Forschungsmöglichkeiten e) bei völligem Fehlen der sonstwie üblichen Lehr-Lernbücher, Grundrisse etc. f) ohne finanzielle Mittel, sich das unumgängliche Quellenmaterial anzuschaffen, g) in weitgehender Unkenntnis des von ihnen im Examen verlangten Wissens h) ohne klare Vorstellung der praktischen Verwertungsmöglichkeiten des von ihnen zu erwerbenden Wissens zu beherrschen suchen. An ein solches Studium dieselben pädagogischen Maßstäbe anzulegen wie an das Studium einer eingefahrenen Disziplin, erscheint mir vom wissenschaftlichen Standpunkt unzulässig und vom pädagogischen Standpunkt unverantwortlich. Ausgangspunkt aller Erörterungen hat die Erkenntnis zu sein, daß die traditionellen Lehr- und Forschungsmethoden deutscher Universitäten dank der Besonderheit der Wissenschaft von der Politik im heutigen Deutschland nicht unkritisch auf das Studium dieser Wissenschaft übernommen werden dürfen. Die Unterrichtsmetho-

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Gerhard Göhler / Hubertus Buchstein den dieser neuen Wissenschaft dürfen sich ausschließlich durch sachliche und unter keinen Umständen durch taktische Erwägungen beeinflussen lassen. Das Studium der Wissenschaft von der Politik soll nicht ein Sammelsurium von Extrakten anderer Wissenschaften sein; es stellt das Studium einer selbständigen Disziplin dar, das allerdings die Beherrschung konkreten Wissens anderer Disziplinen voraussetzt. Die größte Gefahr der Wissenschaft von der Politik ist, daß irrtümlicherweise die Aneignung dieses Wissensstoffes als Studium der Wissenschaft von der Politik angesehen wird. Der Student der Wissenschaft von der Politik soll weder Geschichte, noch Geographie, noch Ökonomie, noch Recht, noch Soziologie 6 »studieren«; er soll Political Science studieren.«

Fraenkels Konzept von Politikwissenschaft als Integrationswissenschaft:

»Die Politikwissenschaft leitet ihren Anspruch, als selbständige Disziplin anerkannt zu werden, aus dem Bemühen ab, sieh nicht einseitig nur einer Betrachtungsweise zu verschreiben, sondern vielmehr durch die Integration verschiedenartiger Betrachtungsweisen – durch die Verwendung sowohl empirisch-deskriptiver als auch normativer Methoden – zu einem umfassenden und deshalb vertieften Verständnis politischer Phänomene zu gelangen. Die radikale Absage an jede monistische Betrachtungsweise des ›Politischen‹ beruht nicht zuletzt auf der Erkenntnis, daß die einseitige Betonung einer – wie auch immer gearteten – Deutungsmethode der Politik der geographischen in Form der Geopolitik, der biologischen in Form der Rassenlehre, der ökonomisch-soziologischen in Form des dialektischen Materialismus, der historischen in Form des konservativ-romantischen Quietismus, der juristischen in Form des apolitischen Bürokratismus (den Max Weber so leidenschaftlich verworfen hat) – nicht nur zu einer Perversion des politischen Denkens, sondern auch gerade wegen der Einseitigkeit der Ausgangsposition zu einer katastrophalen Verirrung des politischen Handelns zu führen vermag. Der Politikwissenschaft liegt es ob, zu fragen, ob in einem politischen Gemeinwesen die institutionellen, intellektuellen, wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Bedingungen erfüllt sind, die es ermöglichen, eine Lösung der jeweils anfallenden innen- und außenpolitischen Tagesprobleme zu erreichen, die den praktischen Bedürfnissen einer wirksamen Regierung lind Verwaltung und den Mindestanforderungen eines geläuterten Gemeinwohls Genüge tut. Sie hat gegebenenfalls dazu Stellung zu nehmen, welche Schritte notwendig und erfolgversprechend sind, um Fehlerquellen zu beseitigen, die dies zu erschweren oder gar zu vereiteln vermögen. Eine Politikwissenschaft, die nicht bereit ist, ständig anzuecken, die sich scheuen wollte, peinliche Fragen zu stellen, die davor zurückschreckt, Vorgänge, die kraft gesellschaftlicher Konvention zu arcana societatis erklärt worden sind, rücksichtslos zu beleuchten, und die es unterläßt, freimütig gerade über diejenigen Dinge zu reden, über die »man nicht spricht«, hat ihren Beruf verfehlt. Politologie 7 ist kein Geschäft für Leisetreter und Opportunisten.«

Der erste Schritt zum »Diplom-Studiengang« für Politikwissenschaft erfolgte mit der Umstrukturierung des Vorlesungsverzeichnisses für das Win-

6 Auszug aus einem Brief Ernst Fraenkels an Otto Suhr vom 5. Dezember 1952. Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Fraenkel.274/8. 7 Aus: Ernst Fraenkel, Die Wissenschaft von der Politik und die Gesellschaft. In: Gesellschaft – Staat – Erziehung, 8. Jg. 1963, S. 273–285.

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tersemester 1951/52. Die Zahl der Lehrveranstaltungen wurde beschränkt und auf die Themenbereiche konzentriert, die man zum eigentlichen Kerngebiet der Politikwissenschaft rechnete. Ihren vorläufigen Abschluß fand die fünfjährige konzeptionelle Debatte mit der Neugliederung der Hochschule zum Sommersemester 1953, in der die Fachinhalte der einzelnen Abteilungen neu zugeschnitten wurden. Die wichtigste Änderung war; daß mit neuen Abteilungsnamen zugleich dokumentiert werden sollte, daß es sich jeweils nicht um Einzelwissenschaften, sondern nur um Einzelaspekte einer einzigen »Wissenschaft von der Politik« handelte: der »Politologie«, wie sie von vielen in Berlin genannt wurde. Die neuen Abteilungen und ihre Leiter waren: Innenpolitik (Otto Suhr).Theorie der Politik (Otto Heinrich von der Gablentz), Überstaatliche Politik und vergleichende Lehre der Herrschaftsformen (Ernst Fraenkel), Politische Wirtschafts- und Soziallehre (Gert von Eynern), Politische Rechtslehre (Martin Draht), Außenpolitik (Eugen Fischer-Baling) und Geschichtliche und geographische Grundlagen der Politik (Kurt Landsberg). Ihren institutionellen Abschluß fand diese Entwicklung mit der förmlichen Auflösung der Hochschule durch ihre Eingliederung in die Freie Universität im Jahre 1959. Der Eingliederung ging ein jahrelanges Tauziehen zwischen FU und DHfP voraus. Anfangs wollte die Hochschule unbedingt ihre autonome Weimarer Tradition fortführen; dies weniger aus inhaltlichen Gründen oder aus Pietät der traditionsreichen Institution gegenüber, als vielmehr aus der handfesten Sorge der meisten Hochschuldozenten heraus, den ihnen an der DHfP zugebilligten schönen Titel »Professor« wieder zu verlieren oder als »wissenschaftlich unqualifiziert« gar nicht an die FU übernommen zu werden. Als sich die DHfP unter dem Druck sinkender Hörerzahlen 1951 zu einer engeren Bindung an die FU durchgerungen hatte, stellten sich nun Teile der FU quer, so daß sich der mühevolle Weg der Berliner Politikwissenschaft zu einer Universitätsdisziplin nur etappenweise realisieren ließ. Erste Etappe war die Anerkennung des Promotionsrechts an der FU für DHfP-Absolventen im April 1952. Die Hochschulabsolventen erhielten die Möglichkeit, wahlweise an der Juristischen, der Philosophischen oder der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät zu promovieren. An allen drei Fakultäten sollten dafür spezielle Lehrstühle errichtet werden, bei deren Berufung der DHIV Einflußrechte zugestanden wurden. Doch erst auf direkten politischen Druck des Berliner Senats, zu dem die Hochschule immer die engsten persönlichen Kontakte hatte – so waren beispielsweise ihr erster Direktor Suhr von 1955–57 und ihr Dozent Willy Brandt von 1957–1966 Regierende Bürgermeister der Stadt – stimmte die FU-Leitung der Regelung zu (und ignorierte dabei sogar einen abschlägigen Beschluß des Universitätskonvents). Analog zu den sechs Prüfungsfächern an der DHfP sollten sechs Lehrstühle an der FU eingerichtet werden. An der Philosophischen Fakultät bereitete dies keinerlei Probleme: sowohl Fraenkel wie Fischer-Baling erhielten umstandslos ihre Professur. Bei den beiden anderen Fakultäten wurde

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diese Frage zum dankbar wahrgenommenen Ansatzpunkt für weitere Grabenkämpfe. Die Juristen waren prinzipiell gegen das Vertragswerk und ließen den bei ihnen zu errichtenden Lehrstuhl bis 1956 schlicht unbesetzt; kein einziger Politologe der fünfziger Jahre erlangte den Dr. jur. Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät richtete ihre Vorbehalte nur gegen die vorgeschlagenen Personen Suhr, v. d. Gablentz und v. Eynern; bei letzterem dauerte es bis 1957, bis auch er den begehrten Lehrstuhl erhielt. Zweite Etappe war die Anerkennung des DHfP-Diploms als gleichwertig mit den Studienabschlüssen der FU (19. Juni 1956). Erst nach weiteren zweieinhalbjährigen Verhandlungen erfolgte dann als letzter Schritt die volle Eingliederung der Hochschule in die Universität. Am 1. April 1959 wurde sie offiziell der FU angegliedert. Sie fungierte, wofür sich insbesondere Fraenkel eingesetzt hatte, in der FU nun nicht als eigenständige Fakultät für Politikwissenschaft, sondern als »Interfakultatives Institut«. Fraenkel hoffte, die Politologie als Universitätsdisziplin werde so stärker auf ihre etablierten Nachbardisziplinen einwirken können.

Das Otto-Suhr-Institut: Etablierte Politikwissenschaft vor der Studentenbewegung

Ursprünglich war für die eingegliederte Hochschule der Name »TheodorHeuss-Institut« vorgesehen. Der frühe Tod von Otto Suhr am 30. August 1957 war jedoch der Grund, das Institut mit dem Namen Suhrs zu verbinden. Die Studenten der Politologie mußten sich nun an einer der drei am Interfakultativen Institut beteiligten Fakultäten immatrikulieren (die Wahl der Fakultät hatte indes nur praktische Bedeutung, wenn sie nach dem Diplom promovieren wollten). Das »OSI«, wie es abkürzend nun genannt wurde, erhielt zehn Lehrstühle, die bezeichnenderweise höchst ungleichgewichtig auf die Fakultäten verteilt waren. Die meisten Lehrstühle, nämlich fünf, waren in der Philosophischen Fakultät angesiedelt: Theorie und vergleichende Geschichte der politischen Herrschaftssysteme (Ernst Fraenkel), Theorie und vergleichende Geschichte der Auswärtigen Politik (Walter Hofer, ab 1961 Richard Löwenthal), Geschichtliche Grundlagen der Politik (Walter Bussmann, ab 1962 Gerhard Ritter), Geschichte der politischen Theorien (Gerhard Oestreich, ab 1963 Georg Kotowski), Geschichte und Theorie der Parteien und Interessengruppen (Ossip K. Flechtheim, ab 1962 Kurt Sontheimer). Vier Lehrstühle gehörten zur Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät: Theorie der Politik (Otto Heinrich von der Gablentz), Politische Wirtschaftslehre (Gert von Eynern), Innenpolitik (ab 1962 Ossip K. Flechtheim), Soziologie und Politische Wissenschaft (Otto Stammer). Nur ein Lehrstuhl – Staatsrecht und Politik – fiel auf die Juristische Fakultät (ab 1963 Klaus Stern). Das OSI war nach seiner Eingliederung in die FU die mit Abstand größte universitäre politikwissenschaftliche Institution in Deutschland. Den zehn

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Das OSI: Die ersten 15 Jahre

Berliner Lehrstühlen standen seinerzeit nur insgesamt neunzehn in der gesamten Bundesrepublik gegenüber. Unwiderruflich begannen nun die Jahre der Expansion, der Professionalisierung und der Ausdifferenzierung des Faches. Die Probleme mit dem Hörerschwund der fünfziger Jahre waren bald vergessen. Die Studentenzahl stieg steil und kontinuierlich von 300 bei der Eingliederung auf über 800 im Jahre 1965 an. Parallel zum Diplomstudiengang versuchte das OSI, die alte bildungspolitische Zielsetzung auf dem Sektor der Lehrerausbildung weiterzuführen. Zunächst nur als Fortbildungsmaßnahme für bereits praktizierende Lehrer gedacht, entwickelte sich daraus der heutige Hauptfachstudiengang zum »Sozialkundelehrer« als zweiter Strang der politikwissenschaftlichen Lehre. Publizistisch gehörte die Berliner Professorenschaft zu den Initiatoren der Gegengründung zu Adolf Grabowskis »Zeitschrift für Politik«. Im Jahre 1959 wurde die »Politische Vierteljahresschrift« gegründet, heute noch das Organ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW); drei der fünf Gründungsherausgeber – v. Eynern, Bracher und v. d. Gablentz – lehrten am OSI. In Berlin wurde ferner »Der Politologe« herausgegeben, eine Institutszeitschrift mit weniger hohem wissenschaftlichen Anspruch; sie erschien bis zur Aufspaltung in den späten sechziger Jahren in die Zeitschriften »Sozialistische Politik« und die »Berliner Zeitschrift für Politologie«. Mit der Schriftenreihe »Zur Politik und Zeitgeschichte« gab das OSI eine Publikationsreihe heraus, die sich speziell an Personen der politischen Bildungsarbeit wandte. Für das wissenschaftliche Publikum erschien die von Flechtheim und v. d. Gablentz betreute Reihe »Die Wissenschaft von der Politik«. Den aus Berliner Sicht wohl größten Publikationserfolg aber hatte das von Ernst Fraenkel und Karl Dietrich Bracher 1957 edierte politikwissenschaftliche Lexikon »Staat und Politik«, dessen Artikel fast alle aus der Feder von Berliner Dozenten stammten. Allein bis 1964 brachte der Band es auf eine Auflage von 250 000 Exemplaren. Die sichtbare Abrundung der Eingliederung war die Einweihung des neuen Institutsgebäudes in der Ihnestraße 21 am 7. Mai 1962. Das OSI war damit auch räumlich in unmittelbare Nähe zur FU gerückt. Der größte Teil der Neubaufinanzierung erfolgte durch eine 3,7 Millionen-DM-Spende des amerikanischen State-Department. Das neue Gebäude, in dem der »Fachbereich Politische Wissenschaft« auch jetzt noch ansässig ist, machte die endlich durchgesetzte universitäre Anerkennung auch nach außen sichtbar. Erschien der Bau mit seinem repräsentativen Hörsaal, den fünf Seminarräumen und den großzügigen Bibliothekseinrichtungen im Jahre 1962 noch reichlich dimensioniert, klagte man drei Jahre später schon wieder über Platzmangel und Überfüllung. Es schien, als hätten die Hochschulgründer ihr Ziel erreicht: die Politikwissenschaft war als Universitätsdisziplin anerkannt. ihre Dozentenschaft genoß ein öffentliches Ansehen, das auch Zeitungen gerne in ihren Spalten

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nutzten. Doch die Disziplin würde nicht ihren Namen verdienen, hätte sie nicht, wie schon bei der Wiedergründung der DHfP, auf politische Ereignisse mit der Sicherheit eines Seismographen reagiert. Die Gründungspolitologen der fünfziger Jahre vermochten sich in ihrem Erfolg nicht lange zu sonnen: Ab Mitte der sechziger Jahre zogen die ersten Wolken der studentischen Protestbewegung auf.

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Gerhard Göhler Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin: Schritte zur Professionalisierung

Es mag ein wenig verwegen klingen, eine Entwicklung von mehr als 60 Jahren, von 1949 bis 2012, unter ein einheitliches Motto zu stellen. Der Historiker wird immer auf die vielfältigen Stränge und Ausdifferenzierungen verweisen. Aber wie es scheint, gibt es doch einen roten Faden, wenn wir die Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin in den Jahren seit 1949 betrachten. Die Wiederbegründung der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) 1948/1949, ihre Eingliederung in die Freie Universität als Otto-SuhrInstitut (OSI) 1959, die Auseinandersetzungen 1968 und in der Folgezeit, verbunden mit einer großen Expansion in den 70er Jahren, die Umorientierung in Richtung auf Policy-Forschung in den 80er Jahren, die drastischen Reduktionen nach der deutschen Einheit in den 90er Jahren und schließlich die Konsolidierung und Neuformierung in den Jahren nach 2000: all das sind Schritte – nicht immer nur vorwärts gerichtete Schritte – zur Professionalisierung der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Was ist hier mit »Professionalisierung« gemeint? Akademische Fächer wie die Politikwissenschaft, die im Fächerkanon der deutschen Universitäten nicht alt-etabliert sind, schmücken sich gern mit diesem Prädikat, um ihre berufliche Effizienz und damit ihre Daseinsberechtigung zu untermauern. Aber Professionalisierung, wie sie hier den Leitfaden abgeben soll, meint mehr als bloß eine Ausrichtung der Politikwissenschaft auf die Berufspraxis. Selbstverständlich ist eine berufspraktisch orientierte Ausbildung notwendiger Bestandteil der Professionalisierung, aber darin geht sie nicht auf. Es wäre völlig verfehlt, Professionalisierung unter dem Schlagwort von »Ausbildung« einer berufsfernen »Bildung« entgegensetzen zu wollen. Professionalisierung meint vielmehr den Einsatz aller wissenschaftlichen Ressourcen, um entsprechend dem Stand der internationalen fachspezifischen Ausdifferenzierung und mit klarer Schwerpunktbildung sowohl grundlagen- als auch anwendungsorientiert zu forschen und zu lehren. Professionelle oder »professionalisierte« Wissenschaft in diesem Verständnis bietet ein Bildungserlebnis und ist zugleich Voraussetzung für eine sachgerechte Ausbildung. Mit diesem, letztlich normativen Verständnis soll die Entwicklung der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin als eine Entwicklung zur Professionalisierung nachgezeichnet, zugleich aber durchaus auch kritisch bewertet werden. Sicherlich wurde die Auseinandersetzung um Ziele und Inhalte der Politik-

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wissenschaft und der Kampf um ihre Selbstbehauptung angesichts restriktiver politischer Rahmenbedingungen nicht nur in Berlin geführt. Hier allerdings konzentrierten sich wie in einem Brennglas immer wieder die Konflikte; allein schon wegen ihrer dominanten Größe hat die Politikwissenschaft in Berlin für Deutschland immer wieder eine Vorreiterrolle gespielt.

1. Von der Wiederbegründung der DHfP zur Integrationswissenschaft

Was der Weg zur Professionalisierung konkret bedeutet, läßt sich bereits sehr gut in den 50er Jahren der Politikwissenschaft in Berlin ersehen. 1 Die DHfP wurde am 15. Januar 1949 wiedereröffnet, nachdem die 1920 gegründete erste DHfP 1933 gleichgeschaltet und wissenschaftlich bedeutungslos geworden war. 2 Initiator und erster Direktor war Otto Suhr, der spätere Regierende Bürgermeister Berlins. Die Hochschule knüpfte ausdrücklich an ihre Vorgängerin aus der Weimarer Republik an; ihr Hauptziel sah sie darin, zur Demokratie zu erziehen, und dies vor allem durch Fortbildung von Erwachsenen, vornehmlich solchen in politischen oder öffentlichen Funktionen. Sie zielte deshalb auf Gasthörer, die sich in Abendkursen weiterbilden sollten, und nicht auf ein Vollstudium zur Berufsausbildung junger Menschen. Entsprechend war auch die Dozentenschaft zusammengesetzt. Der Gründerkreis entstammte vornehmlich dem inneren Widerstand in Deutschland (Carl Dietrich von Trotha, Ernst Tillich, Gert von Eynern, Otto Heinrich von der Gablentz u.a.), nicht der Emigration – und das bedeutete, daß die Gründungsdozenten, unbeschadet ihrer intellektuellen Kapazität, in den vergangenen zwanzig Jahren selbst nicht geforscht und somit auch nicht an der internationalen Entwicklung des Fachs beteiligt gewesen waren. Es ist kein Zufall, daß das erste Kompendium über Politikwissenschaft zur Vorbereitung für die Prüfungen nicht von Dozenten, sondern von Studenten erarbeitet worden ist. Otto Suhr, der sich selbst die fachlichen Grundlagen durch eine AmerikaReise aneignen mußte, sah das Problem und war darüber alles andere als glücklich. Der Nachholbedarf wurde erst sukzessive mit gezielten Arbeiten zu politikwissenschaftlichen Grundthemen geschlossen, zuletzt mit dem voluminösen »Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland« von Thomas Ellwein aus dem Jahr 1963. Von Professionalisierung kann also bei der Wiederbegründung der DHfP durchaus keine Rede sein. Tatsächlich setzte aber sogleich eine Entwicklung in diese Richtung ein, und zwar in mehreren Strängen. (1) Von Seiten der Studentenschaft gab es erheblichen Andrang – allerdings nicht auf das vor allem angebotene Abendstudium mit Fortbildungs1 Vgl. dazu näher Göhler 1991. 2 Sie nahm übrigens eine ähnliche Entwicklung zu Akademisierung und Professionalisierung wie die wiederbegründete DHfP nach 1949, vgl. dazu Lehnert 1989 und 1991, Söllner 1996.

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charakter, sondern auf ein Vollstudium mit berufsqualifizierendem Abschluß. Die Institutsleitung wurde von dieser Entwicklung völlig überrascht, sie agierte zunächst reichlich hilflos und paßte sich erst nach etlicher Larmoyanz dem Trend zur Professionalisierung an. 1953 wurde das ursprünglich viersemestrige Aufbaustudium durch einen achtsemestrigen Diplomstudiengang abgelöst (die Absolventen durften sich »Inhaber des Diploms der Deutschen Hochschule für Politik« nennen, abgekürzt »IdDdD«), und nach vielfältigen Auseinandersetzungen gelang es 1956, dem Diplom zur Anerkennung als gleichwertiger universitärer Studienabschluß zu verhelfen. Mit der Freien Universität gab es langwierige Verhandlungen und Auseinandersetzungen um eine Eingliederung. Hauptstreitpunkt war die Übernahme der DHfPDozenten als Professoren an die Universität, wobei die etablierten Fakultäten immer wieder Vorbehalte gegenüber der wissenschaftlichen Qualität der künftigen Lehrstuhlinhaber geltend machten. Schließlich gelang es 1959 doch, die DHfP als »Otto-Suhr-Institut« (Otto Suhr selbst war 1957 verstorben) in der Form eines »interfakultativen Instituts« in die FU einzugliedern, mit Professuren in der philosophischen, der wirtschaftswissenschaftlichen und der juristischen Fakultät. Krönender sichtbarer Abschluß dieser Entwicklung war 1962 die Einweihung des neuen Institutsgebäudes in der Ihnestr. 21, in dessen großem Hörsaal auch heute wieder die Abschlußzeugnisse übergeben werden. (2) Die Hochschule war seit den 50er Jahren um die Ausbildung eines eigenen wissenschaftlichen Profils bemüht. Dies ging zusammen mit der Einrichtung von Lehrstühlen für Politikwissenschaft an den deutschen Universitäten und der bundesweiten Etablierung des Fachs Politikwissenschaft, an der Otto Suhr intensiv beteiligt war. Ein entscheidender Schritt war die dauerhafte Einbindung von Ernst Fraenkel, der als Emigrant seit 1951 an der DHfP zu lehren begann. Fraenkel entwickelte als Professor für Politikwissenschaft ab 1953 nicht nur die außerordentlich einflußreiche Lehre vom Neo-Pluralismus für das politische System der Bundesrepublik Deutschland, sondern er definierte erstmals das Fach Politikwissenschaft als eigenständige Disziplin. Aus der Not macht er eine Tugend: Da die etablierten Fächer – Soziologie, Jurisprudenz, Ökonomie etc. – in Deutschland beanspruchten, den sozialen Kosmos mit ihren Mitteln bereits abgedeckt zu haben (was Politikwissenschaft als eigenes Fach überflüssig machen würde, ohne daß politische Fragen ernsthaft wissenschaftlich erörtert worden wären), beanspruchte er für Politikwissenschaft den Charakter einer Integrationswissenschaft: »Die Politikwissenschaft leitet ihren Anspruch, als selbständige Disziplin anerkannt zu werden, aus dem Bemühen ab, sich nicht einseitig nur einer Betrachtungsweise zu verschreiben, sondern vielmehr durch die Integration verschiedenartiger Betrachtungsweisen – durch die Verwendung sowohl empirisch-deskriptiver

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Gerhard Göhler als auch normativer Methoden – zu einem umfassenden und deshalb vertieften 3 Verständnis politischer Phänomene zu gelangen.«

Politikwissenschaft faßt für jede politische Problemstellung die Sichtweisen und die Methoden zusammen, welche aus unterschiedlichen Disziplinen zur Aufklärung komplexer politischer Zusammenhänge beizutragen vermögen. (3) Parallel dazu wurde auf Betreiben des emigrierten ehemaligen DHfPDozenten Franz Neumann, inzwischen Professor an der Columbia University New York, bereits 1950 an der Freien Universität ein politikwissenschaftliches Forschungsinstitut eröffnet: das »Institut für politische Wissenschaft« (IfpW). Franz Neumann, der übrigens mit Ernst Fraenkel eng befreundet war, trieb die Sorge um, daß die DHfP aus eigenen Kräften kein internationales Forschungsniveau erreichen könnte. Die Gründung eines besonderen Forschungsinstituts sollte darum der Berliner Politikwissenschaft den internationalen wissenschaftlichen Anschluß ermöglichen. Leiter war zuerst der Emigrant Arkadij Gurland, später der innere Emigrant Otto Stammer. Trotz mancher Reibereien zwischen der DHfP und dem IfpW, insbesondere zwischen Fraenkel und Stammer, ergab sich aus dieser Doppelung eine intensive Lehre und Forschung, die in der neuen bundesdeutschen Politikwissenschaft führend war. Karl Dietrich Bracher mit seiner großen Studie über »Die Auflösung der Weimarer Republik« aus dem Jahr 1955 ist einer der herausragenden Repräsentanten dieser Frühzeit. Insgesamt haben wir es mit einem Prozeß der Akademisierung und Verwissenschaftlichung zu tun, der von unten, durch die Studierenden, und von außen, durch die Emigranten, angestoßen wurde. Die Gründer der DHfP haben sich erst widerstrebend, dann zunehmend engagiert dieser Entwicklung angeschlossen. Die Politikwissenschaft begab sich seit Ende der 50er Jahre erfolgreich auf den Weg zu einer etablierten wissenschaftlichen Disziplin. Das war der erste Schub der Professionalisierung.

2. Krisen der Integrationswissenschaft

Anfang der 60er Jahre hatte das OSI (als interfakultatives Institut) 12 Lehrstühle. Die »Integrationswissenschaft« war die geradezu offiziöse Doktrin. Aber bald darauf vollzog sich ein fundamentaler Wandel in der Selbsteinschätzung der Disziplin als Wissenschaft und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Zunächst nur unter der Oberfläche wahrnehmbar, führte er schließlich zu heftigen hochschulpolitischen Konflikten, in denen das OSI im Mittelpunkt stand. Für das Fach bedeutete dies eine erste Krise der Integrationswissenschaft.

3 Ernst Fraenkel, Die Wissenschaft von der Politik und die Gesellschaft (1963), in: Schneider 1967: 228 f.

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Die deutsche Politikwissenschaft war in der zweiten Hälfte der 60er Jahre doppelt herausgefordert. Zum einen wurde angemahnt, daß sie sich an Stelle einer angeblich »angestaubten« Institutionenlehre viel stärker der modernen sozialwissenschaftlichen Methoden und Modelle bedienen müsse, wie sie in den USA entwickelt wurden: empirische Sozialforschung für das alltägliche Geschäft, Systemtheorie für den theoretischen Überbau. Überbringer dieser Botschaft waren deutsche Politikwissenschaftler der zweiten Generation, die in den USA ihre wissenschaftliche Prägung erhalten hatten (so z.B. für Berlin Frieder Naschold, Wolf Dieter Narr und Ekkehart Krippendorff). Angemahnt wurde eine Professionalisierung des Fachs, die sich der fortgeschrittensten Methoden bedienen sollte, um wirklich praxisrelevant werden zu können. – Zum anderen wendete sich ein Teil der Disziplin in mehr oder minder reflektierter Weise dem Marxismus zu (häufig in Verbindung mit der beanspruchten Wende der Politikwissenschaft zur modernen Sozialwissenschaft). Auch hier stand die Forderung nach Professionalisierung im Sinne von Praxisbezug im Vordergrund. Nun allerdings mit der Volte, daß nur eine wirklich gesellschaftskritische, letztlich antikapitalistische und antiamerikanische Wissenschaft der Gesellschaft zur Emanzipation verhelfen könne. Als warnendes Menetekel stand stets der Vietnam-Krieg der USA im Hintergrund, in Deutschland wurde die Verabschiedung der Notstandsgesetze zum auslösenden Faktor. All das mündete in einen zunächst allgemein kulturkritisch, später zunehmend marxistisch und dogmatisch ausgerichteten Frontalangriff auf die Grundlagen von Politik, Gesellschaft und Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Die 68er Auseinandersetzungen in Deutschland mit ihren FolgeAuseinandersetzungen der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts sind in ihrer Bewertung heute wieder heiß umstritten. Das OSI stand 1968 zumindest symbolisch im Zentrum. Hier tobte der Kampf zwischen liberalen Reformern, die sich zunächst mühsam – und zwar pikanterweise mit Hilfe des Staates – gegen die alte Ordinarienuniversität durchsetzen mußten, und den auf grundlegende Systemveränderung drängenden radikalen Kräften. Im Brennpunkt stand Alexander Schwan, und er wurde zur tragischen Figur. Er führte am OSI die von ihm als überfällig erachtete Öffnung und Demokratisierung der Hochschule durch, geriet aber zugleich zunehmend in die Defensive gegenüber jenen Kräften, die in der Reform nur einen ersten Schritt zur grundlegenden sozialistischen Umgestaltung von Hochschule und Gesellschaft erblickten. Die Auseinandersetzungen zwischen Reformern und Revolutionären gipfelten in dem unrühmlichen Versuch, in einer »Schweinejagd« Alexander Schwan nach einem »Go in« aus dem Fenster zu werfen. Der Verfasser hat damals als Assistent von Alexander Schwan die Auseinandersetzungen selbst miterlebt und kann die damals überwiegend zur Schau getragene Arroganz und Intoleranz der Linken an der FU nur beklagen; aus diesem Grund sind die sehr weit reichenden gesellschaftlichen Veränderungen, die

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durch die »68er Generation« in Deutschland bewirkt wurden und die in ihrem Ausmaß und in ihrer Tragweite vermutlich nach wie vor unterschätzt werden, auch nur mit eher gemischten Gefühlen zu konstatieren. Bekanntlich radikalisierte sich die antiautoritäre Bewegung in den 70er Jahren zu neuen und bisher unerhörten Formen eines dogmatischen Autoritarismus in den »K-Gruppen«. Die Politikwissenschaft in Berlin blieb von solchen Auswüchsen weitgehend verschont, weil sich Dozentenschaft und Studierende am OSI trotz tiefer politischer Risse in der Abwehr solcher Auswüchse ziemlich einig waren. Das Krisenpotential der Politikwissenschaft wurde vielmehr innerwissenschaftlich fortgeschrieben, und so kam es zu einer zweiten Krise der Integrationswissenschaft in den 70er Jahren. Es handelt sich um den Siegeszug der »Policy-Forschung«. Diese Entwicklung verlief zunächst wenig spektakulär und wurde deshalb in ihrer Brisanz für das Fach nicht sogleich wahrgenommen. Dabei ist sie mit der ersten Krise der Integrationswissenschaft auf eine merkwürdige Weise verwoben. In jener wurde immer wieder der mangelnde Praxisbezug der Politikwissenschaft beklagt, Abhilfe sollte die konsequente Umformung der Politikwissenschaft zu einer modernen Sozialwissenschaft und – so jedenfalls der damalige Mainstream – zu einer emanzipatorischen, gesellschaftsverändernden Kraft erbringen. Aber die leitenden Modellvorstellungen – sei es die Systemtheorie mit ausgeklügelten Flußdiagrammen, sei es der globale marxistische Zugriff mit den kruden Versuchen einer rein formalen »Staatsableitung« aus dem »Kapital« – erwiesen sich sehr schnell als untauglich für einen brauchbaren Praxisbezug der Politikwissenschaft. Dieser war jedoch ersichtlich in der aufkommenden Policy-Forschung zu finden, in inhaltsgesättigten Analysen der – als solche treffend bezeichneten – »Bindestrich-Politiken«: Arbeitsmarkt-Politik, Umwelt-Politik, Gesundheits-Politik usw. Daß hierin nun zunehmend auch insgesamt das Heil der Politikwissenschaft gesucht und scheinbar auch gefunden wurde, bleibt allerdings unerklärlich ohne den Hintergrund einer Planungseuphorie der Gesellschaft der 70er Jahre, die in ihrer Vorstellung einer rationalen Gestaltung und Veränderbarkeit der Verhältnisse mit dem Impetus der 68er zutiefst verbunden war. Etwas überspitzt ließe sich über die Policy-Forschung der 70er Jahre sagen: Sie war Gesellschaftskritik, abzüglich Kulturkritik, und fortgesetzt mit empirischen Mitteln. Kritisch ging man an die Gesellschaft immer noch heran, aber man fragte weniger nach Ideologie als vielmehr den tatsächlichen Vorgängen – um diese nach Möglichkeit zu verändern. Nicht umsonst war die Policy-Forschung vor allem in der (reformorientierten) Sozialdemokratie beheimatet. Nun ist die Planungseuphorie der 70er Jahre längst verflogen, PolicyForschung aber gibt es immer noch und verstärkt, und dies aus gutem Grund. Sie stellt ohne jeden Zweifel die bestmögliche Form des Praxisbezugs der Politikwissenschaft dar, weil sie sich mit realen Problemen der Gesellschaft befaßt und wirklich weiß, wovon sie spricht. Sie hat damit erstmals nach den

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50er Jahren einen neuen Professionalisierungsschub der Politikwissenschaft bewirkt. Der Preis allerdings ist hoch, und es ist immer wieder zu fragen, ob er wirklich bezahlt werden sollte. Er liegt in der Zersplitterung der Politikwissenschaft in Spezialisten und eine Unzahl erforderlicher Spezialstudien. Politikwissenschaft droht zu einem Sachverständigenrat für Bindestriche zu verkümmern. Die Einheit des Fachs wird nirgendwo mehr sichtbar, und den Studierenden wird aufgegeben, das zusammen zu sehen, was die Wissenschaft selbst schon lange nicht mehr integriert. Es ist zugegebenermaßen etwas spekulativ, einen weiteren Zusammenhang zu konstruieren, der mehr ist als eine zeitliche Koinzidenz. Mit dem Aufstieg der Policy-Forschung beginnt der Abwehrkampf der Politikwissenschaft gegen politisch auferlegte Sparmaßnahmen. Das Otto-Suhr-Institut, von einem interfakultativen Institut zu einem eigenständigen »Fachbereich Politische Wissenschaft« aufgestiegen, hatte in der zweiten Hälfte der 70er Jahre seinen höchsten Personalbestand, seit Beginn der 80er Jahre begannen die Reduzierungen. Der Verfasser selbst hat als Dekan (damals hieß es »Sprecher«) im Jahr 1983 den ersten »Strukturplan« für die Politikwissenschaft vorgelegt und einvernehmlich verabschieden lassen. Dieser sah erhebliche Straffungen und Reduzierungen vor und sollte durchaus nicht der letzte bleiben ... Es gab sicherlich vielerlei Gründe, auch gute Gründe, den überbordenden Personalbestand des OSI auf überschaubare Größen zurückzuführen, denn es bestand auch erheblicher Wildwuchs in Form von persönlichen Pfründen, die nur dem eigenen Steckenpferd gewidmet waren. Insoweit ist die Höchstgröße von 40–50 Professuren, die das OSI zu Beginn der 80er Jahre erreicht hatte, kein entscheidender Indikator für seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit. Es wurde allerdings auch immer schwieriger, Kriterien für einen notwendigen Mindestbestand der Berliner Politikwissenschaft zu finden, weil die Professionalisierung des Fachs in seinem Kernbereich gescheitert und in die Bindestrich-Politiken der Policy-Forschung ausgewandert war. Die Anrufung einer Berliner Tradition der Integrationswissenschaft lief zunehmend ins Leere. Ein 1986 eigens veranstalteter Kongreß zum Verhältnis von Politikwissenschaft und Policy-Forschung hat das Dilemma sehr plastisch sichtbar gemacht. 4 Es hat auch Gegenbewegungen gegeben, so etwa den Versuch, über zentrale Themen wie »Institutionen« die Einheit des Fachs mit der Professionalität von Sachanalyse und Praxisbezug zu verbinden. 5 Die Berliner Politikwis4 Die Beiträge des Kongresses sind dokumentiert in Hartwich 1987; die Polarisierung von »Bildung« und »Ausbildung«, die den Kongreß beherrscht hat, geht aus heutiger Sicht am Problem einer Professionalisierung des Fachs vorbei. 5 Es handelt sich um das interdisziplinär ausgerichtete Schwerpunkt-Programm »Theorie politischer Institutionen«, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 1990–1996 aufgelegt wurde; Koordinator war der Verfasser.

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senschaft war hierbei nicht übermäßig engagiert, 6 aber sie wurde ohnehin aus einer ganz anderen Ecke gewissermaßen »kalt« erwischt. Seit 1989/90 stellte sich mit der deutschen Einheit und später mit der Einführung von Bachelor und Master im Zuge des Bologna-Prozesses die Professionalisierungsfrage für das OSI völlig neu.

3. Die Berliner Politikwissenschaft nach der deutschen Einheit: neue Rahmenbedingungen und neue Herausforderungen

Mit der deutschen Einheit hat die Politikwissenschaft – so sehr wir uns über die wiedererreichte Einheit freuten – durchaus auch »Pech gehabt«. Zum einen wurde ihre wissenschaftliche Prognose-Unfähigkeit im Falle der sozialistischen Systeme allgemein sichtbar. Der Mainstream der westdeutschen DDR-Spezialisten, nachzulesen in dem von Peter Christian Ludz im Auftrag des Bundesministeriums für innerdeutsche Angelegenheiten 1975 und in zweiter Auflage 1979 herausgegebenen »DDR-Handbuch«, hat im Bemühen um eine »realistische« Sicht der DDR die Systemdistanzen zur Bundesrepublik nur mehr wenig wahrgenommen. Um so mehr wurde man von den tatsächlichen Entwicklungen, vom nie geahnten ökonomischen Niedergang der DDR und den tatsächlichen Wünschen und Sehnsüchten ihrer Bürger überrascht. Das ist Pech für die Politikwissenschaft, denn meistens werden wissenschaftliche Ergebnisse nicht so sichtbar falsifiziert. Pech hatte aber auch das OSI als Institution. Professionalisierung wurde nämlich im Zuge des Neuaufbaus der Politikwissenschaft an den Universitäten der neuen Bundesländer neu definiert. Hier wurde es zwingend erforderlich, sich auf die Kerngehalte des Fachs zu besinnen, weil allzu ausdifferenzierte Stellenplanungen nicht realistisch finanzierbar waren. Das Ergebnis waren Variationen der drei Bereiche Politische Theorie, Politisches System und Internationale Beziehungen mit einigen zusätzlichen Spezialisierungen, und an dieser kompakten Strukturierung war die westdeutsche Politikwissenschaft, die ohnehin das Rekrutierungsmaterial stellte, mit ihren Fachvereinigungen erheblich beteiligt. 7 Professionalisierung wurde nun in einer soliden Standardausbildung gesehen, verbunden mit einigen wenigen weiter ausdifferenzierten thematischen Schwerpunkten. So hat sich in Deutschland ein Konsens darüber herausgebildet, was als unabdingbar und was als »Luxus« im Fach Politikwissenschaft anzusehen sei. Für das nach wie vor hoch ausdifferenzierte OSI bedeutete diese Entwicklung heftigen Gegenwind. In einem 6 Lt. Abschlußbericht des Koordinators stammten von insgesamt 27 Projekten 4 Projekte von Kollegen des Otto-Suhr-Instituts. 7 In den Jahren 1989–90 bemühte sich insbesondere die Deutsche Vereinigung für politische Wissenschaft um einen möglichst koordinierten Aufbau der Politikwissenschaft in der DDR / den neuen Bundesländern. Das ist ihr zunächst gelungen, bevor die neuen Länderverwaltungen ihre Eigendynamiken entwickelten.

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Gutachten des Wissenschaftsrats aus dem Jahre 2000, das sicherlich auch von einigen Ressentiments gegenüber einer früher vermeintlich »roten« Politikwissenschaft getragen war, wurde deshalb eine Ausstattung von 10–12 Professuren für ausreichend erachtet. Gemessen an der früher einmal erreichten Größe eine geradezu ungeheuerliche Vorstellung, und dies nicht nur für Nostalgiker. Die Krise der Außenwahrnehmung traf zusammen mit internen Berliner Restriktionen. Die Entscheidung des Berliner Senats, an der HumboldtUniversität parallel zum OSI eine gut ausgestattete Politikwissenschaft aufzubauen, war für das OSI äußerst folgenreich. Bedeutete der Ausbau der Humboldt-Universität für die Freie Universität insgesamt eine Halbierung der Professuren, so erwiesen sich die Auswirkungen auf die Geistes- und Sozialwissenschaften als noch gravierender. Mehr als ein Drittel des ursprünglichen Personalbestands ist hier nicht übrig geblieben, und es ist unklar, ob die Politik diese Konsequenzen gewollt, billigend in Kauf genommen oder einfach nicht gesehen hat. 8 Daß sich die Humboldt-Universität recht bald ebenfalls gravierenden Einschränkungen ausgesetzt sah, weil sich die Berliner Wissenschaftspolitik einfach übernommen hatte, und daß dabei die persönliche Zusammenarbeit der Kollegen beider Universitäten von Anfang an sehr gut funktionierte: All dies ändert nichts an dem objektiven Problem, daß der Aufbau einer neuen Politikwissenschaft in Berlin angesichts der beschränkten Finanzlage von Anfang an ein Nullsummenspiel war. Was die HumboldtUniversität gewann, verlor die Freie Universität, und umgekehrt. Welche Konsequenzen waren für das OSI daraus zu ziehen? Es erwies sich sehr schnell, daß sich an den neuen Größenordnungen kaum mehr rütteln ließ. So wurden neue Strukturpläne erarbeitet, die dieser Situation Rechnung trugen. Zuletzt verständigte man sich nach einer positiv ausgefallenen externen Evaluation auf eine Planung mit ca. 11 Professuren am OSI und 4 weiteren an den Regionalinstituten für Osteuropa, Nordamerika, Lateinamerika und Ostasien. 9 Das bedeutete drastische Einschnitte gegenüber allen vorherigen Strukturplanungen, 10 aber eine gerade noch vertretbare Breite in der Repräsentation des Fachs. Immerhin wurde das OSI inzwischen an der Freien Universität in der Konkurrenz der Fächer, nach den Worten des damaligen 8 Der Verfasser hat hierüber Anfang der 1990er Jahre mehrmals mit dem damaligen Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt gesprochen, aber keine klaren Auskünfte erhalten. 9 Das Konzept wurde 2002 vom Otto-Suhr-Institut unter dem Titel »Das neue OSI« verabschiedet und in den Folgejahren in neue Studienordnungen umgesetzt. 10 Inzwischen hatte das OSI angesichts seiner personellen Schrumpfung (viele Kollegen schieden aus Altersgründen aus, ihre Stellen wurden nicht wieder besetzt, wenn sie nicht im Strukturplan enthalten waren), den Status eines eigenständigen Fachbereichs eingebüßt und wurde nun Teil des neuen Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften.

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FU-Präsidenten, als einer der wissenschaftlichen »Leuchttürme« anerkannt. In manch schmerzhaften Auseinandersetzungen innerhalb des Instituts hat sich deshalb die Einsicht durchgesetzt, daß weniger die Größe an sich, die oftmals auch Wildwuchs bedeuten kann, sondern vielmehr das, was daraus gemacht wird, für das Institut entscheidend ist. Kann es allerdings Professionalität der Politikwissenschaft am OSI unter solchen Bedingungen überhaupt noch geben? Professionalität setzt immer Ausdifferenzierung und damit eine über den Kern erheblich hinausgehende Anzahl von Professuren voraus. Für die Politikwissenschaft im internationalen Maßstab ist das selbstverständlich. Nach diesem Kriterium markieren die 90er Jahre für das OSI sicherlich eine negativ verlaufende Entwicklung. Aber Professionalisierung kann sich nicht darin erschöpfen, einmal bestehende Strukturen zu erhalten. Für das OSI ging es deshalb darum, unter den neuen, restriktiven Bedingungen das Potential für professionell betriebene Politikwissenschaft am OSI neu zu definieren, um es wirklich auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. Das bedeutete eine konsequente Bündelung der Forschungsleistungen. Legt man als Kriterium für die Forschungskapazität die Höhe der eingeworbenen Drittmittel zugrunde, so war das OSI innerhalb der Freien Universität immer schon mit den besonders Drittmittel-starken Naturwissenschaften vergleichbar. Charakteristisch war aber zugleich eine Vielfalt von Forschungsaktivitäten, die mehr personenbezogen als institutionell wahrgenommen wurde. Das gilt auch im Vergleich mit anderen politikwissenschaftlichen Instituten in Deutschland. Im Gegensatz zur hohen Attraktivität der Studiengänge hat das OSI deshalb in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht das Profil eines Forschungszentrums der Politikwissenschaft in Deutschland erworben, wie es seiner Größe und dem wissenschaftlichen Umfeld in Berlin entsprechen würde. Ein Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft – anerkannter Ausweis höchster Forschungspotenz – konnte am OSI nicht angesiedelt werden. Das sollte sich nun ändern. Im neuen Jahrtausend gab es nun intensive Bemühungen, vornehmlich mit Ressourcen des OSI (und selbstverständlich darüber hinausgehend) einen neuen Sonderforschungsbereich für Politikwissenschaft zu etablieren. Dieser Sonderforschungsbereich mit dem Titel »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit: Neue Formen des Regierens?« wurde von der DFG bewilligt. Er hat 2006 seine Arbeit aufgenommen, 11 wurde ab 2010 für vier Jahre verlängert und bereitet nun 2012 den Antrag für eine letzte vierjährige Förderungsperiode vor. So ist die Forschung am OSI seitdem mehr durch Verbund als durch einzelne Personen profiliert, dieser Trend ist offenkundig.

11 Fragestellung und Forschungsziele des neuen Sonderforschungsbereichs sind vorgestellt in Risse/Lehmkuhl 2006.

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Eine weitere Herausforderung, die nicht minder an den Grundfesten des alten OSI rüttelte, brachte der Bologna-Prozeß für das Studium der Politikwissenschaft. Seine Grundidee ist die Herstellung einer internationalen Kompatibilität der Studiengänge durch die Aufgliederung in einen ersten, berufsqualifizierenden Abschluß des Bachelor (BA), in der Regel nach sechs Semestern, und die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Vertiefung durch den Master (MA) in weiteren vier Semestern. Damit verbunden ist eine strikte Modularisierung der Studienangebote, d.h. das Studium gliedert sich in einzelne Studieneinheiten auf, die jeweils abgeprüft und mit Leistungspunkten versehen werden, um die geforderte Gesamtpunktzahl zu erreichen. BA und MA sollen die alten Magister- und Diplomstudiengänge in Deutschland ablösen, die sich – so der Vorwurf – durch Unstrukturiertheit und überlange Studienzeiten auszeichneten. Der Diplomstudiengang am OSI war in dieser Hinsicht eigentlich wenig betroffen, er war auch bislang schon deutlich strukturiert und hatte mit real durchschnittlich 11 Semestern eine vergleichsweise kurze Studienzeit. Gleichwohl wurde auch auf das OSI seitens Politik und Universitätsspitze ein starker Druck ausgeübt, sich der neuen Philosophie anzuschließen. Das OSI versuchte, sich zugleich anzupassen und Bewährtes zu retten: einen BA/MA-Studiengang und einen Diplomstudiengang gleichermaßen anzubieten. So gibt es seit 2003 am OSI einen sechssemestrigen Bachelor für Politikwissenschaft ebenso wie einen reformierten neunsemestrigen Diplom-Studiengang. Beide Studiengänge sind in den ersten vier Semestern identisch, die Studierenden müssen sich also erst nach dem vierten Semester entscheiden, ob sie nach weiteren zwei Semestern mit dem Bachelor oder nach weiteren fünf Semestern mit dem Diplom abschließen. Auf diese Weise sollte den Anforderungen der Internationalisierung deutscher Studiengänge (Bachelor) und den Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt (Diplom) gleichermaßen Rechnung getragen werden. Die Zweifel allerdings, ob der Bachelor nach sechs Studiensemestern einen hinreichend professionalisierten Studienabschluß erbringen würde, sind nie verstummt, und anschließende Master-Studiengänge stehen immer nur einem Teil der BAAbsolventen offen (ganz abgesehen davon, daß sie per Saldo die Studienzeit wieder verlängern).

4. Nach der Konsolidierung: Professionalisierung – aber wie?

Insgesamt hat sich das OSI – so scheint es – den neuen Herausforderungen durchaus mit Erfolg gestellt. Die Forschung wurde gebündelt, die Lehre angepaßt. Aber sind das auch weitere Schritte in Richtung einer positiv zu bewertenden Professionalisierung? Da gibt es im Augenblick – auf dem Stand von 2012 – einige Zweifel. In der Forschung hat der errungene Sonderforschungsbereich, der im Kern ein politikwissenschaftlicher ist, die Forschungskapazität des OSI eindrücklich unter Beweis gestellt. Gleichwohl bringt er dem OSI, das stets den An-

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spruch hatte, die gesamte Politikwissenschaft zu präsentieren, auch erhebliche strukturelle Probleme. Er übt, was die Stellenstruktur betrifft, gewissermaßen eine Sogwirkung aus. Werden neue Stellen benötigt, gehen sie zuvorderst an den erfolgreichen Sonderforschungsbereich. So sind im Bereich der Internationalen Beziehungen neue Professuren hinzugekommen, während die Politische Theorie von zwei Professuren, darunter einer »Eckprofessur« (C4/W3), auf nur mehr eine Professur (W2) abgeschmolzen wurde. Das entspricht nun der Mindestausstattung eines jeden politikwissenschaftlichen Instituts, eine herausgehobene Rolle des OSI ist hier nicht mehr ersichtlich. Ähnliches gilt für Politische Soziologie und Politische Systeme. 12 Geradezu unvermeidlich scheint mit der Konzentration auf ein Forschungsfeld der Verlust an Breite verbunden zu sein, was dem traditionellen Anspruch des OSI, wie Politikwissenschaft zu vertreten sei, völlig widerspricht. Eine Lösung dieser objektiven Schwierigkeit ist derzeit nicht in Sicht. In der Lehre hat sich das erhoffte Patentrezept eines gleichzeitigen und integrierten Angebots von BA/MA und Diplom als eine Interimslösung erwiesen, die dem verordneten Trend des Bologna-Prozesses nicht standhalten konnte. Als Ersatz für den vollen Diplom-Studiengang gibt es inzwischen die Möglichkeit, an den BA einen Master in Politikwissenschaft anzuschließen, und für den Diplom-Studiengang werden keine Zulassungen mehr ausgesprochen – er läuft also aus. Es verbleibt der Bachelor, bezüglich seiner Qualität als berufsqualifizierender Abschluß weiter umstritten, und ein angefügter Master. Aber ob dieser am OSI oder anderswo absolviert wird, bleibt anheim gestellt – ebenso wie natürlich der MA Politikwissenschaft am OSI auch allen anderen BA-Absolventen offen steht. Die Freiheit der Wahl ist nicht zu beklagen; wohl aber stellt sich – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Professionalisierung – das Problem, daß ein kontinuierlicher Studienaufbau, wie ihn einst der Diplom-Studiengang geboten hat, in der Abfolge von BA/MA nicht mehr besteht. So geht die Politikwissenschaft am OSI – eingeengt durch Rahmenbedingungen, die sie entweder nicht beeinflussen will oder auch gar nicht kann – derzeit einen eher zwiespältigen Weg der Professionalisierung: in der Forschung vielleicht zu viel, in der Lehre vielleicht zu wenig. Was fehlt, ist ein gangbarer Mittelweg. Die Tradition des OSI verband mit dem Konzept der Integrationswissenschaft zumindest dem Anspruch nach stets einen Pluralismus der Ansätze und Fragestellungen für das gesamte Fach und sah hierin die eigentliche Stärke des Instituts. Eine Rückbesinnung auf diese Tradition könnte dabei helfen, nach aller Konsolidierung auch eine konsolidierte Professionalisierung zu finden. 12 Genaue Zahlen zum gegenwärtig geltenden Strukturplan können nicht genannt werden, da Institutsleitung und Fachbereichsverwaltung dem Verfasser, der von 1978 bis 2006 als Professor am OSI lehrte, keine derartigen Auskünfte geben.

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Tilman Fichter / Siegward Lönnendonker Historisch-empirische Politikforschung in Berlin Zur Frühgeschichte des Instituts für politische Wissenschaft der Freien Universität 1

Ein dokumentarischer Beitrag zur Frühgeschichte des IfpW unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse der in die USA emigrierten deutschen Sozialwissenschaftler auf die Entstehung der politischen Wissenschaft im Nachkriegsdeutschland Das Institut für politische Wissenschaft (IfpW) wurde am 28. Juli 1950 mit einer feierlichen Veranstaltung im Sitzungssaal der Stadtverordneten von Groß-Berlin in Anwesenheit von zahlreichen Professoren und Studenten der Freien Universität Berlin (FU) und der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) sowie den Vertretern der städtischen Verwaltung, der Parteien, der Gewerkschaften und der drei Westalliierten gegründet. In seiner Festansprache nahm der Direktor der DHfP, Dr. Otto Suhr, den zu erwartenden Widerstand – so u.a. einiger Mitglieder des Akademischen Senats der FU – gegen die Gründung eines unabhängigen Instituts für politische Wissenschaft, das die empirische Sozialforschung in Deutschland einführen sollte und das nicht in die traditionelle Universitätsstruktur eingefügt war, schon vorweg:

»Aber in demselben Augenblick, wo ich von der Notwendigkeit der Gründung eines Instituts für politische Wissenschaft spreche, höre ich den Chor der Zweifler und Skeptiker, die die Existenz einer Wissenschaft von der Politik zumindest in Deutschland bestreiten.« 2

Der Historiker Prof. Dr. James M. Read, Leiter der »Education and Cultural Relations Division« der amerikanischen Militärverwaltung in Deutschland (HICOG), der als Vertreter des Amerikanischen Hohen Kommissars auf der Gründungsfeier des Instituts sprach, erinnerte dagegen in seiner Rede an die »engen intellektuellen Beziehungen« zwischen der Staatswissenschaft in Deutschland und der Political Science in den Vereinigten Staaten:

»Fast alle großen amerikanischen politischen Wissenschaftler haben entscheidende Anregungen von den deutschen Staatswissenschaftlern erhalten. Eine der größten

1 Zuerst erschienen in: Sozialwissenschaftliche Forschungen – Arbeitsbericht des Zentralinstituts 6 der Freien Universität Berlin 1972–1975, München 1975, S. 1– 53. 2 Otto Suhr, »Die Wissenschaft von der Politik in Deutschland«, in: Archiv ZI 6, Akte Institut für politische Wissenschaft ›Gründungsfeier‹, S.1.

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Tilman Fichter / Siegward Lönnendonker Fakultäten für Political Science, nämlich die an der Columbia Universität in New York, ist in zweifacher Weise von der deutschen Staatswissenschaft beeinflußt worden. Prof. Franz Lieber, ein Emigrant vor dem Metternich-System, hatte die erste Professur für politische Philosophie an der Columbia-Universität und noch heute heißt der Lehrstuhl für politische Philosophie ›Lieber-Professur‹. Prof. John Burgess, der an der Berliner Universität studierte, hat aufgrund seiner deutschen Erfahrung die Political Science-Fakultät an der Columbia Universität eingerichtet, 3 die heute noch besteht.«

Nach der Gleichschaltung der deutschen Universitäten durch das nationalsozialistische Regime sei im Nachkriegsdeutschland nur noch wenigen bekannt, daß »die Deutschen des 19. Jahrhunderts ganz entscheidende Beiträge zur wissenschaftlichen Erforschung der politischen Phänomene beigetragen haben.« 4 Er berief sich besonders auf den schweizerischen Staatswissenschaftler Prof. Johann Caspar Bluntschli (1808–1881 ), den klassischen liberalen Parteitheoretiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der an der Heidelberger Universität lehrte: dieser habe nicht zuletzt mit seinen Werken »Allgemeines Staatsrecht« und »Politik als Wissenschaft« zum ersten Mal die »politische Parteienlehre« wissenschaftlich entwickelt. Reads Ausführungen dokumentieren, daß die Abteilung für Erziehung und Kultur beim Amerikanischen Hohen Kommissar in Deutschland sich bei der aktiven materiellen und politischen Unterstützung des Instituts für politische Wissenschaft ausdrücklich auf europäische und gerade auch auf die deutschen Entwicklungslinien dieser Wissenschaft beziehen konnte. Allerdings vertrat er die Auffassung, daß diese reiche Tradition in Deutschland bereits mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 abgebrochen sei, während man an den amerikanischen Universitäten die wissenschaftliche Erforschung der Politik weiter ausgebaut habe. Die Überwindung dieses Bruchs könne – so Read – nur durch eine inhaltliche Neubestimmung der Wissenschaft von der Politik geschehen: »Die Rückkehr der Wissenschaft der Politik nach Deutschland soll aber keines-

wegs eine Restauration bedeuten. Große neue Aufgaben stehen vor der politischen Forschung. Diese Aufgaben sehe ich in dreifacher Richtung. Zunächst wird es sich darum handeln, die jüngste deutsche politische Vergangenheit wissenschaftlich zu erforschen.« 5

In einer Polemik gegen solche Historiker, die »vor der wissenschaftlichen Analyse der jüngsten Geschichte zurückschrecken«, verlangte Read »echte kritische Analysen«, die »feststellen, warum es so geschehen ist, und wie es anders hätte geschehen können«. Systematische Analyse der jüngsten Geschichte definierte Read als die Erforschung des Versagens der Demokratie 3 James Read, »Glückwünsche im Namen der Amerikanischen Hohen Kommission«, in: Archiv ZI 6, a.a.O., S. 25 f. 4 ebda. 5 a.a.O., S. 26 f.

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in Deutschland und der Aufarbeitung der demokratischen Ansätze, Strömungen und Ideen in Deutschland. Zum zweiten forderte Read die »wissenschaftliche Erforschung der deutschen Gegenwart«. Diese Gegenwartsuntersuchungen setzten die Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung ebenso voraus, wie die Anwendung und Weiterentwicklung der empirischen Methoden. Als dritte »große Aufgabe«, die das Institut für politische Wissenschaft allerdings nur indirekt erfüllen könne, nannte Read die »Erziehung des Volkes zur Demokratie«. Diese drei Aufgaben, die im 19. Jahrhundert von der Philosophie, der Geschichts- und der Rechtswissenschaft erfüllt worden seien, müßten heute von der Wissenschaft der Politik angegangen werden. Denn die »großartigen Gedankensysteme der deutschen idealistischen Philosophie« hätten sich soweit von der Wirklichkeit entfernt, daß sie zu leeren Formeln zu entarten schienen. Die Geschichtswissenschaft wiederum sei zum größten Teil zu einer reinen Fachwissenschaft geworden, und die Rechtswissenschaft müsse – wenn sie ihre rechtsstaatliche Funktion ausüben wolle – wesentlich Normwissenschaft bleiben. Mit diesem von Prof. Read gesteckten Aufgabenkatalog für das Forschungsinstitut waren im wesentlichen Fragen angesprochen, die das Konzept der Demokratieforschung ausmachten – ein Ansatz, der von Otto Stammer für die Sozialwissenschaft in Deutschland ausformuliert worden ist und dem sich das Institut nicht nur in seiner Frühzeit, sondern bis zum heutigen Tage verpflichtet fühlt. Nicht zuletzt aufgrund der historischen Erfahrungen in Deutschland wurde dieses Konzept der Demokratieforschung entwickelt, und zwar in einer ständigen, mehr oder minder kritischen Auseinandersetzung mit den benachbarten sozialwissenschaftlichen Disziplinen, besonders mit dem juristischen Positivismus.

1. Die Konstruktion des privatrechtlichen Trägervereins

Nur wenige Stunden vor der offiziellen Gründungsfeier fand in den Amtsräumen des Stadtverordnetenvorstehers von Groß-Berlin, Dr. Otto Suhr (SPD), im Rathaus in Berlin-Schöneberg die Gründungsversammlung des Vereins »Institut für politische Wissenschaft e.V.« (IfpW) statt, auf der über die Gründung, die Feststellung der Satzung, die Wahl der Vorstandsmitglieder und deren Stellvertreter, die Wahl des wissenschaftlichen Leiters und die Festlegung des Termins der Arbeitsaufnahme entschieden wurde. An dieser nichtöffentlichen Gründungsversammlung nahmen der Kunst- und Kulturhistoriker Prorektor Prof. Dr. Edwin Redslob, der Jurist Prof. Dr. Martin Drath und der Betriebswirt Prof. Dr. Erich Kosiol vom Akademischen Senat der FU teil; für den Lehrkörper und Senat der DHfP der Direktor der Hochschule, Dr. Otto Suhr, und die Abteilungsleiter Dr. Otto Heinrich von der Gablentz, Dr. Carl-Dietrich von Trotha und Dr. Gert von Eynern. Wie auf der Mitgliederversammlung vom 19. November 1951 eindeutig festgestellt wurde, fun-

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gierten dabei lediglich Prof. Redslob und Dr. Suhr als Vertreter ihrer Hochschulen, während alle anderen als natürliche Personen an der Gründungsversammlung teilnahmen, so auch der spätere Senator für Volksbildung, der Volkswirtschaftler an der FU, Prof. Dr. Joachim Tiburtius (CDU). In § 1 der einstimmig verabschiedeten Vereinssatzung des Instituts für politische Wissenschaft wurde der Vereinszweck dieses ersten ausschließlich der politischen Wissenschaft dienenden Forschungsinstituts im Nachkriegsdeutschland folgendermaßen definiert: »Zweck des Vereins ist, das öffentliche Leben wissenschaftlich zu erforschen, ins-

besondere durch historische Untersuchungen und repräsentative Erhebungen. Der Verein hat das Recht, sich an anderen wissenschaftlichen Institutionen zu beteiligen und seine Untersuchungsergebnisse selbst oder durch andere zu veröffentlichen.« 6

Das wesentliche Strukturmerkmal der damaligen Satzung war, daß der Trägerverein als eingetragener privatrechtlicher Verein fungierte, dem einerseits die FU und die DHfP als korporative Gründungsmitglieder angehörten und andererseits eine Anzahl von natürlichen Personen, die aber faktisch in ihrer Vereinspolitik als Delegierte der beiden korporativen Mitglieder auftraten. Die zwei korporativen und die sechs natürlichen Gründungsmitglieder bildeten die erste Mitgliederversammlung, die den Vorstand und den wissenschaftlichen Leiter des Forschungsinstituts bestellte. Von den Vorstandsmitgliedern wurde später ein wissenschaftlicher Beirat berufen, mit der Aufgabe, die Durchführung der wissenschaftlichen Arbeiten zu begutachten. Die Anzahl der ordentlichen Mitglieder des eingetragenen Vereins Institut für politische Wissenschaft« sollte zwar bewußt nicht begrenzt werden; »natürliche Personen von wissenschaftlichem Ruf« und »wissenschaftliche Institutionen und Körperschaften des öffentlichen Rechts« sollten später noch die Möglichkeit des Beitritts haben. Allerdings sah der Paragraph vier der verabschiedeten Satzung für künftige Neuaufnahmen einstimmige Entscheidungen des Vorstandes vor. Diese Satzungskonstruktion gewährleistete, daß ein auch nur einem der beiden korporativen Mitglieder unliebsamer Antragsteller nicht Vereinsmitglied werden konnte. Da diese Entscheidung satzungsgemäß »nach freiem Ermessen« getroffen werden sollte, war der Vorstand im Falle der Ablehnung praktisch von einer Begründungspflicht entbunden. (Allerdings kam es niemals zu einer Ablehnung. Vielmehr bemühte sich das Institut um die Mitgliedschaft zahlungsfähiger Institutionen und Vereinigungen, z.B. der Industriegewerkschaften. Ober die Beteiligung an der Finanzierung einzelner Studien hinaus kam es jedoch zu keiner satzungsgemäßen Mitgliedschaft.) Darüber hinaus wurde den beiden korporativen Mitgliedern des Trägervereins in § 8 der Satzung das besondere Recht eingeräumt, zwei der drei 6 Archiv ZI 6, Akte Satzungen, Gründung, ›Juli 1950 bis Januar 1952‹, Satzungen des Instituts für politische Wissenschaft e.V., S.1.

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für den Vorstand vorgesehenen Kandidaten vorzuschlagen; das bedeutete in der Praxis, daß FU und DHfP zwei der Vorstandsmitglieder delegieren konnten: »Der Vorstand wird von der ordentlichen Mitgliederversammlung für ein Vereinsjahr gewählt und bleibt bis zur Neuwahl im Amt. Er besteht aus mindestens drei Personen, darunter je einem Beauftragten der FUB und der DHP …«

Weiterhin erhielten die Beauftragten der FU und DHfP durch das Vorschlagsrecht in § 12 faktisch die Möglichkeit, den Leiter des Instituts zu bestimmen: »Auf gemeinsamen Vorschlag des Beauftragten der FU und des Beauftragten der

DHP wählt die Mitgliederversammlung für die Dauer eines Jahres den wissenschaftlichen Leiter des Instituts.« 7

Der Organisationstypus eines privatrechtlichen Trägervereins, für den sich die Gründer in Berlin entschieden, garantierte den beiden korporativen Gründungsmitgliedern FU und DHfP und den sechs natürlichen Gründungsmitgliedern, die, wie gesagt, gleichzeitig Professoren der FU bzw. Dozenten der DHfP waren, tatsächlich eine weitgehende Kontrolle über alle wesentlichen Personalentscheidungen, die zukünftigen Haushaltspläne und die Forschungskonzeptionen des Instituts für politische Wissenschaft. Prof. Dr. Otto Stammer, wissenschaftlicher Leiter des IfpW vom 1. April 1955 bis zu seiner Emeritierung als ordentlicher Professor für Soziologie und Politische Wissenschaft an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Berlin am 31. März 1969, nannte im Rückblick, anläßlich des zehnjährigen Bestehens des IfpW, zwei Hoffnungen, die damals mit dieser Rechtsform verbunden waren: »Einmal wollte man damit die wissenschaftliche und organisatorische Selbstän-

digkeit der neuen Einrichtung sichern; zum anderen war man aber der Auffassung, daß für die zukünftige Finanzierung des Instituts die Vereinsform bessere Möglichkeiten böte. Zwar war die Unterstützung durch die amerikanischen Behörden in Deutschland und kurze Zeit später auch durch die beteiligten Hochschulen und das spätere Abgeordnetenhaus des Landes Berlin gewährleistet. Jedoch konnten damit die weitergespannten Pläne für den Aufbau und die Forschungsarbeit des Instituts finanziell noch keineswegs restlos sichergestellt werden. Man dachte damals auch an die mögliche Unterstützung der Institutsarbeit durch Institutionen der Wirtschaft und durch politische und gesellschaftliche Vereinigungen, denen die Möglichkeit eröffnet werden sollte, dem Verein als fördernde Mitglieder beizutreten. Diese Hoffnung erfüllte sich allerdings leider nicht.« 8

7 a.a.O., S. 2 f. 8 Otto Stammer, Zehn Jahre Institut für politische Wissenschaft, in: Politische Forschung. Beiträge zum zehnjährigen Bestehen des Instituts für politische Wissenschaft, Köln und Opladen 1960, (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft, Band 17), S. 178.

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In den ersten Institutionsvorstand wählten die acht Vereinsmitglieder einstimmig folgende Personen: Prof. Dr. Edwin Redslob für die FU Dr. Otto Suhr für die DHfP Dr. Otto Heinrich von Gablentz (DHfP) Zu deren Stellvertretern wurden Prof. Dr. Erich Kosiol für die FU Dr. Gert von Eynern für die DHfP gewählt. Außerdem ernannte die Gründungsversammlung einstimmig Dr. Otto Heinrich von der Gablentz ab 1. Oktober 1950 zum ersten wissenschaftlichen Leiter des Instituts. Folgende Wissenschaftler wurden in den wissenschaftlichen Beirat berufen: Prof. Dr. Alfred Weber, Heidelberg Prof. Dr. Dr. Franz L. Neumann, New York Prof. Dr. T. H. Marshall, London Prof. Dr. Robert Redslob, Straßburg. Die Versammlung beschloß, alle technischen Vorarbeiten möglichst schnell zu erledigen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die wissenschaftliche Forschungsarbeit im Institut am 15. Oktober 1950 aufgenommen werden könnte. 9

2. Initiatoren und Gründer

Wer sich heute um eine genauere Vorstellung von der ursprünglichen Konzeption für ein – unabhängig von den traditionellen Fakultäten der Universität in Deutschland arbeitendes – sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut bemüht, wie es am Ende der vierziger Jahre in Berlin und in New York diskutiert und im Sommer 1950 als IfpW in Berlin gegründet wurde, sollte sich die intellektuelle und politische Biographie seiner Initiatoren vor Augen führen. Franz L. Neumann, Otto Suhr, Arkadius Rolf Lang Gurland, Otto Stammer, Sigmund Neumann, Wolfgang Abendroth, Hermann Brill, Martin Drath u.a.m. waren engagierte Sozialwissenschaftler, deren intellektuelle Sozialisation nicht ausschließlich an der Universität stattgefunden hatte; sie waren wesentlich geprägt durch ihre Tätigkeit in der Arbeiterbewegung, besonders in den Gewerkschaften, ihre – meist fraktionelle – Arbeit in der SPD und im Verband der sozialistischen Studentengruppen Deutschlands und Österreichs, besonders aber durch ihre persönlichen Erfahrungen in den Jahren der Weitwirtschaftskrise und des Auflösungsprozesses der Weimarer Republik in den Jahren 1930 bis 1933. Das Scheitern der letzten parlamentarischen Mehrheitsregierung im Frühjahr 1930, die Ära Brüning, v. Papen, Schleicher und 9 Archiv ZI 6, Akte Satzungen ..., a.a.O., Protokoll über die Gründungsversammlung des Instituts für politische Wissenschaft am 28. Juli.

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schließlich die verfassungsrechtlich quasi »legale« Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 hatten Auswirkungen auf die Diskussion über den Parlamentarismus und die Funktion des Rechts in der bürgerlichen Gesellschaft. Offener Terror gegen die legalen Organisationen und Institutionen der Arbeiterbewegung zwang diese Sozialwissenschaftler, das Problem der politischen Machtbildung und Machtverteilung in der bürgerlichen Gesellschaft neu zu überdenken. So war z.B. auch die Institution des Berufsbeamtentums nun kein Diskussionstabu mehr. Schließlich hatten sie in den ersten Krisentagen nach der Machtübernahme 1933 selbst miterlebt, wie sich große Teile dieser monarchistisch-nationalkonservativen Berufskaste an die neuen Machtverhältnisse anpaßten. 10 Die Erfahrungen mit den Praktiken des NS-Regimes zwangen viele engagierte Wissenschaftler in die Emigration. Diejenigen, die in Deutschland blieben, erhielten Berufsverbot, mußten sich ihren Lebensunterhalt in Kleingewerbe, Industrie und Verwaltung verdienen und beteiligten sich z.T. auch aktiv am Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Im nachhinein erscheinen manchen der Initiatoren und Gründer des Instituts für politische Wissenschaft ihre – noch darzustellenden – damaligen Vorstellungen über die Aufgaben eines sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitutes, das nicht zuletzt den Auflösungsprozeß der Weimarer Republik und die Stufen der Machtübernahme kritisch aufarbeiten sollte, eher als eine Hoffnung, denn als eine tragfähige Konzeption, die eine eigenständige empirisch orientierte, systematische sozialwissenschaftliche Forschung auch gegen den Widerstand der klassischen Fakultäten hätte gewährleisten können. Viele der Fragen, die sich anläßlich des Scheiterns der Weimarer Republik und der Gewaltherrschaft des »Tausendjährigen Reiches« den Sozialwissenschaften stellten, blieben unbeantwortet. Anstelle einer empirischen und ideologiekritischen Forschungsarbeit trat, wie A. R. L. Gurland bereits im Jahr

10 Der Preußische Beamtenbund z.B., der die Interessen von 300 000 Staats- und Kommunalbeamten und Lehrern vertrat, forderte nach der Machtergreifung sofort eine Gehaltsangleichung der Beamten in den elf preußischen Provinzen an die des restlichen Reiches, anstatt gegen die illegalen Verhaftungsmaßnahmen der zur freiwilligen Polizeireserve avancierten SA und der zu diesem Zeitpunkt von Göring schon mühelos gleichgeschalteten Politischen Polizei in Preußen, der »Abteilung 1 A«, Kampfmaßnahmen einzuleiten. Nach Beendigung der offen terroristischen Bürgerkriegsphase von oben gab es laut einer offiziellen Zahlung im Deutschen Reich genau 26 789 »Schutzhäftlinge«, davon allein 14 906 in Preußen. Gerhard Schulz, »Die Anfänge des totalitären Maßnahmenstaates«, in: KarlDietrich Bracher/Wolfgang Sauer/Gerhard Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln und Opladen 1962, (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft, Band 14), S. 495 und S. 543).

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1952 befürchtete, nur allzu oft die »Spekulation über den Lauf und den Sinn der Geschichte«. 11 An einigen Situationen der Lebensgeschichte Franz L. Neumanns, den Otto Suhr auf einer Vorstandssitzung des Instituts für politische Wissenschaft als den »Vater des Instituts« bezeichnete, soll gezeigt werden, wie eng bei ihm Wissenschaft von der Politik und politische Praxis miteinander verknüpft waren. Franz L. Neumann, geboren am 23. Mai 1900 in Kattowitz/Oberschlesien, studierte Rechtswissenschaft in Breslau, Leipzig, Rostock und Frankfurt a.M.. In Leipzig trat er in den Verband sozialistischer Studentengruppen Deutschlands ein und nahm an den Kämpfen im November 1918 teil. 1927 gründete er – zusammen mit Ernst Fraenkel – in Berlin eine Rechtsanwaltspraxis, die vor allem die Interessen der Gewerkschaft der Bauarbeiter und des Metallarbeiterverbandes vertrat. Von 1928–1933 unterrichtete er außerdem als Dozent an der DHfP. Seit der Parteivorstand der SPD ihn 1932 zum Syndikus der Gesamtpartei bestellt hatte, »kämpfte er jetzt als politischer Anwalt gegen Willkürakte der Preußischen Regierung und der Reichsregierung: gegen Presseverbote, Auflösung von Versammlungen, Verhaftungen, Entlassungen von Beamten«. 12 Noch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 reichte er bis zu seiner Verhaftung Klagen gegen zahlreiche Rechtsbrüche ein. Am 8. Mai 1933 floh er nach England und ging im Mai 1936 an das nach New York emigrierte Frankfurter Institut für Sozialforschung an der Columbia University. Während er in der Weimarer Republik als auf Arbeit- und Tarifvertragsrecht spezialisierter Anwalt bekannt war, schrieb er in der Emigration auch rechtssoziologische und politischphilosophische Arbeiten. Sein Theoriebegriff war politisch bestimmt. »Politische Theorie«, so insistierte er, »darf nicht Selbstzweck und kann nicht wertfrei sein«. Ihre Aufgabe sei es, die in einer gegebenen Gesellschaft vorhandenen und von ihr unterdrückten realen Möglichkeiten der Freiheit zu bezeichnen und die Tendenzen zu untersuchen, die die bereits bestehenden Freiheiten bedrohen. 13 Zusammen mit Dr. Ossip K. Flechtheim, Dr. Otto Kirchheimer, Dr. Arkadius R. L. Gurland und Dr. Herbert Marcuse arbeitete er in New York an einer sozialhistorisch und klassenanalytisch angelegten

11 Arkadius Rudolf Lang Gurland, Politische Wissenschaft in Deutschland, Bericht für die Library of Congress, S. 1, Archiv ZI 6, unveröff. Übersetzung aus dem Englischen; Titel des Originals: Political Science in Western Germany, Thoughts and Writings, 1950 – 1952, hg. v. The Library of Congress, Washington 1952. 12 Helge Pross, Einleitung zu: Franz Neumann, Demokratischer und autoritärer Staat. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt/M. 1976, S. 11. 13 a.a,O., S. 16.

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Studie über den Nationalsozialismus in Deutschland: »Behemoth 14 – The Structure and Practice of National-Socialism«. 15 Im Mittelpunkt seiner sozioökonomischen Faschismusanalyse steht die These, daß die vier in Deutschland um die politische Macht konkurrierenden Herrschaftseliten – die Parteibürokratie der NSDAP, die Kaste der Ministerialbürokratie, der Generalstab der Deutschen Wehrmacht und die Spitzenverbände des Großkapitals – vorübergehend ein Elitenkartell gebildet hätten, weil sie einerseits seit der Periode der Weltwirtschaftskrise den organisierten Widerstand der Arbeiter befürchteten und andererseits ein gemeinsames ökonomisches Interesse an der militärischen Vorherrschaft Deutschlands in Europa hätten. Dieses Elitenkartell habe Deutschland in einen »Nicht-Staat« verwandelt, in dem es keine Menschenrechte mehr gebe, sondern nur noch das Prinzip der technisch-administrativen Rationalität. Dieses Bündnis der vier untereinander konkurrierenden Machteliten könne schon deshalb keine militärische oder innenpolitische Niederlage überleben, weil es nur eine ad hoc-Koalition zur gemeinsamen effektiven und terroristischen Unterdrückung und Ausbeutung der Massen darstelle. Wie viele andere antifaschistische, aus Deutschland nach Großbritannien, in die USA und in die Sowjetunion emigrierte Intellektuelle, stellte sich auch Franz L. Neumann in den Dienst einer ausländischen Regierung, die das nationalsozialistische Regime – im Rahmen der nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die UdSSR zustande gekommenen Anti-HitlerKoalition – von außen militärisch bekämpfte. Er entschloß sich zu diesem Schritt, nachdem er auch nicht mehr die geringste Hoffnung hegte, daß das nationalsozialistische Regime an seinen eigenen Widersprüchen zerbrechen würde, daß die illegalisierten Organisationen der Arbeiter oder der republikanische Teil des Bürgertums den NSMachtapparat zerschlagen könnte. Wie manche seiner Freunde wollte er wenigstens auf die Nachkriegspolitik der Westalliierten Einfluß nehmen. Im Auftrag des »Board of Economic Warfare« hatte Neumann zusammen mit Dr. Arkadius R. L. Gurland und Dr. Otto Kirchheimer eine Studie über das Schicksal des Kleinhandels im NS-Deutschland verfaßt (Senate Committee Print No. 14) und war dann bis zum Jahre 1946 Mitarbeiter des ersten Ge14 In der jüdischen Eschatologie und im Alten Testament sind Behemoth und Leviathan zwei mythische Ungeheuer aus dem Chaos und der Apokalypse. Der männliche Behemoth unterdrückt die Lebewesen auf dem Lande und die weibliche Leviathan die in der See. Nach den apokalyptischen Schriften erscheinen die beiden Ungeheuer in der Zeit vor dem Weltuntergang wieder und errichten arbeitsteilig eine Terrorherrschaft über alle Lebewesen. Beide werden schließlich von Gott vernichtet oder – einer anderen Leseart zufolge – bringen sich gegenseitig um. (Vgl. Buch Hiob 40,15–41,26; Psalm 74,14 und Jesaja 27,1). 15 Franz Neumann, Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism, London 1943.

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heimdienstes der Vereinigten Staaten, dem »Office of Strategie Services« (OSS). Nach der Übernahme des OSS durch das State Department wurde Neumann zuerst »Chief of the German Desk« im »Office of Intelligence Research«, später in derselben Abteilung »Chief of the Central European Branch« und »Assistant Chief« der »Division of Research on Western Europe«. 16 Seit 1947 lehrte Neumann zuerst als »Visiting Professor«, später als »Professor of Government« an der Columbia University in New York. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer übte er die Funktion eines offiziellen Beraters des US-State-Department aus und unternahm in dieser Eigenschaft verschiedene Reisen in die amerikanische Besatzungszone und in die Viersektorenstadt Berlin. In dieser Zeit arbeitete Prof. Dr. Franz L. Neumann als Verbindungsmann zwischen der Deutschlandabteilung im State Department und der Freien Universität Berlin eng mit der Abteilung für Erziehung und Kultur der amerikanischen Militärverwaltung in Frankfurt/M. zusammen. Sein Hauptaugenmerk richtete sich nicht zuletzt deshalb auf die Hochschulpolitik der amerikanischen Militärverwaltung, weil er im Interesse einer demokratischen Entwicklung eine qualitative Veränderung der Universitäten für notwendig hielt: Selbstverwaltung von Forschung und Lehre, Mitwirkung der Studenten an dieser Selbstverwaltung, neue Lehrinhalte und neue Wissenschaftsrichtungen. Eine Entnazifizierung, die lediglich die bürokratische Eliminierung von Nationalsozialisten aus Spitzenfunktionen in der Verwaltung, den Schulen, Hochschulen und der Presse erreicht hatte, konnte seiner Meinung nach nicht die Voraussetzungen schaffen, unter denen sich eine parlamentarisch-demokratische und antifaschistische Elite in Politik, Verwaltung und Wissenschaft durchsetzen würde. Ohne Abwendung vom staatstreuen Ordnungsdenken – und dies war undenkbar ohne eine Neubestimmung der Lehrinhalte an den Fakultäten – war die Demokratisierung der Universität unmöglich. Von daher forderte er auch in einem Vortrag am 2. Februar 1950 vor den Studenten und Dozenten der wiedereröffneten DHfP in Berlin die konsequente Abwendung der Wissenschaft von der ideologischen Tradition des »juristischen Positivismus«:

»Der Positivismus ... ist der Ausdruck des Sieges, des Obrigkeitsstaates. Ich will nun gar nicht leugnen, daß der Positivismus große Leistungen aufzuweisen hat. Laband und Anschütz sind leuchtende Sterne am Himmel des deutschen Staatsrechts. Für mich handelt es sich heute darum, den Sieg des Positivismus und das Verschwinden der Wissenschaft der Politik zu verstehen. Der politische Sinn des Positivismus ist die Akzeptierurig des Status Quo. Das bedeutet, daß man sich mit dem Ausschluß des Volkes von der politischen Willensbildung abfindet – mit Resignation durch die Liberalen, mit Oberzeugung durch die Absolutisten.« 17

16 Bei diesen Angaben stützten sich die Verfasser vor allem auf einen Briefwechsel zwischen Dr. Gurland und Prof. Dr. Ulrich Scheunen im September 1954. 17 Franz Neumann, Die Wissenschaft der Politik in der Demokratie, Berlin 1951 (Schriftenreihe der Deutschen Hochschule für Politik, H. 1, S. 6.

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Das rechtsstaatliche Verfassungsideal der positivistischen Staatsrechtslehrer und Denker garantiere zwar »dem Bürger ein Mindestmaß an Freiheit und Sicherheit«, gleichgültig, welche Regierungsform herrsche; andererseits habe aber gerade der deutsche Liberalismus den Rechtsstaat immer nur »als ein Substitut für die Demokratie« betrachtet:

»Auf den Kampf um die politische Freiheit verzichtet man, um sich die juristische Freiheit zu erhalten. Juristische Freiheit allein aber ist negativ, sie ist Verteidigung wohlerworbener Rechte. Der Bürger bleibt Untertan, an der Gestaltung des politischen Willens ist er nicht beteiligt. Sein Interesse war nur noch Verteidigung der erworbenen Rechte. Aus Politik wurde Jurisprudenz, aus der Wissenschaft der Politik – Rechtswissenschaft.« 18

Für Franz L. Neumann ist Politik vor allem »Kampf um die Macht«, und Machtbeziehungen könne man nicht in Rechtsverhältnisse auflösen. Rechtstechnisch habe sich der juristische Positivismus am Ende des 19. Jahrhunderts in einem negativen, juristischen Freiheitsbegriff niedergeschlagen; seit Hobbes erschöpfe sich für den Juristen der Freiheitsbegriff in der »juristischen Abwesenheit von Zwang«. Zwar bestehe für die Staatsbürger immer »eine Vermutung für die Freiheit«, da der Staat sein Eingriffsrecht beweisen müsse. Andererseits sei aber in Deutschland in der Praxis der Rechtsgedanke nie so ernst genommen worden, denn »allumfassend war die Praxis des Rechtsstaats ja niemals«. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Machteliten und Klassen seien niemals völlig rational und kalkulierbar gewesen. Folglich habe auch der bürgerliche Rechts- und Verfassungsstaat Ausnahmen mit Hilfe der Generalklausel zugelassen. »Im Allgemeinen Landrecht gewährte der berühmte 10,11,17 der Polizei Eingriffsmöglichkeiten, die sich schwer mit der Berechenbarkeitsidee des Rechtsstaates in Einklang bringen lassen. Und selbst im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 138, 242 usw.) konnte sich Macht gegenüber rationalen Rechtsbeziehungen durchsetzen. Ausnahmezustand, Belagerungszustand usw. sind ja rechtsstaatliche Einrichtungen, die es ermöglichen, das Gesamtinstitut des Rechtsstaates außer Kraft zu setzen, wenn es die Politik für notwendig erachtet.« 19

Tatsächlich sei die Praxis des Rechtsstaates in Deutschland auch im 20. Jahrhundert nie umfassend gewesen. Während der vier bürgerlichen Herrschaftsformen, die Deutschland in diesem Jahrhundert vor dem Zweiten Weltkrieg gekannt habe – konstitutionelle Monarchie, parlamentarische Monarchie, demokratisch-parlamentarische Republik und das NS- Regime – habe sich das freie Individuum immer dann der Staatsgewalt unterwerfen müssen, wenn die Aufrechterhaltung der Staatsgewalt politisch in Frage gestellt gewesen sei. Diese Praxis der Notverordnungen gipfelte in der Annahme des Ermächtigungsgesetzes durch die NSDAP und die bürgerlichen Parteien im Reichstag am 27. März 1933. 18 ebda. 19 a.a.O., S. 7.

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Der juristische Positivismus habe sich bei der Definition des Rechtsstaates von jeher damit begnügt, nicht nach dem Ursprung oder den Zielen eines Gesetzes, sondern nach seiner allgemeinen Form zu fragen. Aus der kritischen Analyse dieser Tradition der Wissenschaft in Deutschland folgt für Franz L. Neumann die Notwendigkeit der Entwicklung eines demokratischen Freiheitsbegriffes. Drei Dimensionen charakterisieren diesen Freiheitsbegriff: die juristische Freiheit als Element der politischen Freiheit; das geschichtliche Element, ohne das der Freiheitsbegriff sinnlos wäre, denn die Einsicht in die geschichtliche Bedingtheit der Freiheit verhindere ein Verharren in erstarrten Formen und zwinge dazu, die Wirklichkeit in jeder historischen Situation neu zu erforschen; als drittes Element der menschliche Wille, denn die historisch mögliche Freiheit könne nur durch die Aktion verwirklicht werden. 20 In der Bestimmung dieses demokratischen Freiheitsbegriffes dokumentiert sich zugleich die Hoffnung Franz L. Neumanns darauf, was Wissenschaft in Deutschland nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes leisten sollte. Dieser Anspruch ist auch in die Gespräche mit Otto Suhr und die Verhandlungen eingegangen, die zur Gründung des Instituts für politische Wissenschaft im Juli 1950 führten, zu dessen Konzeption und Realisierung Franz L. Neumann wesentlich beigetragen hat. Soweit den Autoren dieses Aufsatzes bekannt ist, war es ein informeller Kreis um Franz L. Neumann und Sigmund Neumann, der die ersten Vorstellungen über die Errichtung eines »Institute of Political Science« in Deutschland entwickelte und dies im US State Department und im Frankfurter Amt für öffentliche Angelegenheiten des Amerikanischen Hohen Kommissars (Office of Public Affairs) im Sommer 1949 zum ersten Male vorschlug. Am 22. Dezember 1949 fanden erste konkretere Vorbereitungsgespräche über die Institutionalisierung der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und die gemeinsame Gründung eines Forschungsinstituts für politische Wissenschaften durch die FU und die DHfP zwischen dem Rektor der FU, Prof. Dr. Edwin Redslob, der auf Einladung der »Carl Schurz Memorial Foundation« die USA besuchte, und dem Präsidenten der Columbia University, New York, General D. Eisenhower, statt. Zu dieser Zeit begannen in Berlin ebenfalls inhaltliche und organisatorische Diskussionen über ein solches Vorhaben, an denen sich u.a. Otto Suhr, Gert von Eynern und Otto Heinrich von der Gablentz von der DHfP beteiligten. Franz L. Neumann präzisierte seine Vorstellungen vor einem deutschen Hochschulgremium zum ersten Male zu Beginn des Jahres 1950. In seiner Eigenschaft als Vertrauensperson eines Komitees an der Columbia University, New York, zur FU und der Deutschlandabteilung des State Department für die Zusammenarbeit mit der FU und der DHfP reiste Franz L. Neumann im Januar und Februar 1950 nach West-Berlin, um an Ort und Stelle die 20 a.a.O., S. 8 f.

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hochschul- und bildungspolitische Situation zu analysieren. Am 1. Februar nahm er als Gast an einer Sitzung des Akademischen Senats der FU teil. Dort berichtete er den Senatsmitgliedern, daß er von der Columbia University und dem State Department beauftragt worden sei, sich in Berlin einen Überblick darüber zu verschaffen, wie der FU und der DHfP bei der Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Political Science geholfen werden könne. Dadurch solle die Grundlage für Entscheidungen in den Vereinigten Staaten geschaffen werden, aufgrund derer dann die Ford Foundation, die Rockefeller Foundation und das State Department die Einführung der Politikwissenschaft als Universitätsfach an der FU und die Errichtung eines Forschungsinstituts finanziell unterstützen könnten. Diese Hilfe werde zwar vorübergehend sein, voraussichtlich jedoch zunächst einmal für fünf Jahre gegeben werden, wahrscheinlich mit einer einmalig möglichen Verlängerung um weitere drei bis vier Jahre. Allerdings werde die Columbia University, New York, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch keine Beziehung zu einer deutschen Universität gesucht hätte, an einem wissenschaftlichen Kontakt zur FU nur dann Interesse entwickeln, wenn die FU »nicht nur eine andere Universität und insbesondere nicht nur eine andere deutsche Universität« werde. Die Columbia University beabsichtige aber unter keinen Umständen, irgendwelche inhaltlichen oder politischen Bedingungen mit ihrer Hilfe zu verbinden. Die zuständigen Universitätsgremien der Columbia University glaubten jedoch, daß es für die hochschulpolitische Entwicklung in Deutschland besonders wichtig sei, wenn die Politikwissenschaft in Forschung und Lehre von der FU aufgegriffen würde. Nach der Diskussion dieses Berichtes, in die Franz L. Neumann auch die Erfahrungen an der Pariser Sorbonne, die die Unzulänglichkeit einer nur interfakultativen Arbeit der Political Science erwiesen hätten, sowie erste Vorstellungen der Finanzierung durch das State Department und verschiedene Stiftungen einbrachte, beschloß der Akademische Senat auf Antrag des Rektors einstimmig die Einsetzung einer Kommission, der die Mitglieder eines bereits an der FU bestehenden Verbindungsausschusses der Juristischen und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, der Dekan, sowie ein anderes Mitglied der Philosophischen Fakultät und der Rektor als Vorsitzender angehören sollten. In einem weiteren einstimmigen Beschluß stimmte der Senat den Vorschlägen Franz L. Neumanns zu, insbesondere der Bitte an die Juristische und die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, »bei der Besetzung eines Lehrstuhls auf die Gewinnung eines besonderen Fachmanns für Political Science Gewicht zu legen«. Bei vorhandenen Mitteln sollte man der auch vom Rektor vorgeschlagenen Einrichtung eines Instituts

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zustimmen, »alles in der Absicht, später hieraus eine Fakultät für Political Science aufzubauen«. 21 Die Rede Franz L. Neumanns und die anschließende Diskussion sind nach dessen eigener Darstellung in seinem »Vorläufigen Bericht über meine Reise nach Berlin« vom 10. Februar 1950 weitaus härter gewesen, als es aus dem Protokoll der Senatssitzung hervorgeht. In dem Bericht heißt es:

»Ich hatte mit dem Senat der FU ein Treffen , ... Ich entschloß mich, sehr eindeutig zu argumentieren und erklärte ihnen: Die Vereinigten Staaten haben sowohl ein direktes Interesse an der FU als auch an der Hochschulausbildung im allgemeinen. Die FU bildet Studenten für das Öffentliche Leben aus. Wir wollen im öffentlichen Leben, besonders aber in der öffentlichen Verwaltung, zuverlässige Demokraten haben. Die Universitäten tun aber nichts, um demokratisch denkende Beamte auszubilden . ... Die Universitäten sind auch nicht in der Lage, einige der einfachsten Tatsachen über Deutschland wahrzunehmen, weil ihnen die empirische Forschung widerstrebt. Ich wies darauf hin, daß das Studium der Politischen Wissenschaft früher eine große Tradition unter dem Namen der Staatswissenschaft hatte ...« 22

Die im Protokoll der Senatssitzung nicht im einzelnen aufgeführten Vorschläge Franz L. Neumanns beinhalteten laut dessen Bericht:

»a) Politische Wissenschaft als Lehrfach einzurichten, b) zunächst einmal eine Abteilung für Politische Wissenschaft in der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft zu etablieren, c) zusammen mit der Hochschule für Politik ein Forschungsinstitut einzurichten, d) das Ziel anzustreben, langfristig eine Fakultät für Politische Wissenschaft zu gründen, e) sich das Ziel zu setzen, eine Abendschule an der FU einzurichten.« 23

Vor der Abfassung dieses Berichtes für die Columbia University und das State Department hatte Franz L. Neumann außer mit dem Akademischen Senat der FU auch Gespräche mit den Mitgliedern des Magistrats von GroßBerlin und dem Senat der DHfP, über die er ebenfalls ausführlich berichtete. Er schilderte außerdem die »intensiven Rivalitäten zwischen den Fakultäten der FU« und den »erbitterten und intelligenten Kampf der FU-Studenten« gegen die »Wiedergeburt der Korporationen und Altherrenschaften«. Im Mittelpunkt seines Berichts stand jedoch der Streit an den deutschen Universitäten über den akademischen Stellenwert der wissenschaftlichen Politikanalyse. Er untersuchte die konkreten institutionellen Rahmenbedingungen an der Philosophischen, Juristischen und Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, sowie an der Deutschen Hochschule für Politik für eine zukünftige Institutionalisierung der Politischen Wissenschaft als eines selb21 Hochschularchiv FUB, Akademischer Senat, Sitzungsprotokolle, Protokoll der Senatssitzung vom 1. Februar 1950, S. 2. 22 Franz L. Neumann, Prelim7nary Report ori my Trip to Berlin. Frankfurt/M., February 10.1950, S.6, Standort: National Archives, Suitland Depot, Maryland, OMGUS-Records, Lieferung 5, Kasten 3-1: Educational and Cultural Relat7ons Division, Visiting Expert Consultant. 23 ebda.

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ständigen Universitätsfaches bzw. einer gesonderten Fakultät (Political Science Faculty). Darüber hinaus machte er auch eine Reihe von abgestuften Vorschlägen für eine künftige Verschmelzung von DHfP und FU. Da dieser interne Report – dessen Existenz und Inhalt einer breiteren Universitätsöffentlichkeit bisher unbekannt ist – einige programmatische Aussagen und inhaltliche Anregungen des zu Beginn der fünfziger Jahre wahrscheinlich wichtigsten Deutschlandexperten des State Departments für Hochschulfragen enthält, geben die Verfasser dieses Aufsatzes einige Passagen aus diesem Report ausführlich wieder: »Politische Wissenschaft muß in die FU eingebracht werden. Dieses Fach muß von Dozenten mit einer absoluten politischen Integrität und akademischen Kompetenz gelehrt werden und durch die Einrichtung eines Forschungsinstituts für politische Wissenschaft ergänzt werden . . . » 24

Zur Eingliederung der DHfP in die FU und zur Institutionalisierung der Politikwissenschaft als eigenständige Hochschuldisziplin unterbreitete Franz L. Neumann folgendes konkrete Aktionsprogramm:

»1. Die Lehrkörper der Hochschule für Politik und der Freien Universität sollen zusammengelegt werden. Das heißt nicht und soll auch nicht heißen, daß alle Dozenten der Hochschule für Politik Universitätsprofessoren werden sollen. Es heißt vielmehr: a) daß Dozenten der FU, die auch an der Hochschule für Politik lehren, die Möglichkeit haben sollen, sich mit der neuen Fakultät für politische Wissenschaft an der FU zu assoziieren, b) daß Dozenten der Hochschule für Politik, die über eine wissenschaftliche Qualifikation verfügen, bis zu drei Jahren Zeit gegeben werden soll, um die Voraussetzung für ein Habilitationsverfahren zu erfüllen. Während dieser Periode sollen sie zu Lehrbeauftragten ernannt werden. c) Dozenten der Hochschule für Politik, deren professioneller Status für eine ordentliche Professur nicht ausreicht, sollen als Lehrbeauftragte oder, wenn sie die Qualifikation besitzen, zu Professoren honoris causa ernannt werden. d) Der neue Lehrkörper braucht einen fähigen Dekan, meine Wahl würde entweder auf Drath oder von Eynern oder Dr. A. R. L. Gurland aus New York fallen, Dr. Gurland wäre für beide Hochschulen akzeptabel. 2. Alle Studenten der Hochschule für Politik müssen von der FU übernommen werden: a) Wenn sie voll immatrikuliert sind und das Abitur gemacht haben, existieren keine Probleme. b) Wenn sie voll immatrikuliert sind, aber kein Abitur haben, sollten die Vorschläge der Gutachten zur Hochschulreform von der FU in Kraft gesetzt werden. c) Wenn sie mit kleiner Matrikel studieren oder nur Halbtagsstudenten sind, sollte ein Weiterbildungsprogramm in politischer Wissenschaft für sie organisiert werden...« 25

24 ebda. 25 a.a.O., S. 8 f.

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Zur Errichtung eines selbständigen Forschungsinstituts schlug Franz L. Neumann nicht nur eine zeitlich begrenzte finanzielle Unterstützung durch die großen nordamerikanischen Stiftungen vor, sondern entwickelte auch sehr detaillierte Personalvorschläge:

»4. An der FU sollte ein Forschungsinstitut für politische Wissenschaft eingerichtet werden. Es sollte finanziell unabhängig sein, vorzugsweise durch Stiftungsgelder aus den Vereinigten Staaten. Dr. Otto Suhr sollte Direktor werden. Er ist für diese Aufgabe qualifiziert, ist vollständig integer, besitzt viel Erfahrung und eine große Intelligenz. Er weiß, wie Forschungsarbeit geleitet werden muß. Dr. A. R. L. Gurland wäre der ideale wissenschaftliche Leiter (chief researcher). Das Institut sollte seine Arbeit zunächst mit weniger kostspieligen Projekten, die für Berlin wichtig sind, beginnen. Erst wenn das Institut Erfahrungen gesammelt hat, sollte es langsam expandieren. 5. Falls die Spende der US-Regierung an die FU den Betrag von DM 1 Million überschreitet, sollten DM 250 000 von dieser Summe für die Zusammenlegung der FU mit der Hochschule für Politik und die Errichtung eines Forschungsinstituts bereitgestellt werden. 6. Das oben entwickelte Projekt ist die anzustrebende Lösung. Sollte sie impraktikabel sein, müßte folgende Minimallösung durchgeführt werden: a) die FU sollte unverzüglich eine Abteilung für politische Wissenschaft in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät errichten. Dr. Gurland wäre für die FU auch im Hinblick auf diese Lösung akzeptabel. b) Ein Forschungsinstitut sollte als unabhängige Körperschaft gemeinsam von der FU und der Hochschule für Politik errichtet und geleitet werden. c) Die Hochschule für Politik sollte von uns finanziell unterstützt werden, auch wenn es sich dabei nur um eine Geschenksumme von DM 50 000 handelt.« 26

Für die weitere inhaltliche Konzeption hatte die Tagung der Deutschen Hochschule für Politik vom 16. bis zum 18. März 1950 eine nicht unwesentliche Funktion. Diese interne Arbeitstagung, die unter dem Thema »Die Wissenschaft im Rahmen der politischen Bildung« stand, wurde durch eine öffentliche Kundgebung eröffnet, bei der Oberbürgermeister Prof. Dr. Ernst Reuter die »Forderung des Politikers an die Wissenschaft und an die Hochschule« präzisierte. Anschließend begründeten Prof. Dr. Alfred Weber und Dr. Eugen Kogon die Notwendigkeit von Forschungsinstituten, von Lehrstühlen an den Universitäten und von selbständigen Hochschulen für die Wissenschaft von der Politik. 27 An der anschließenden Diskussion über die Begriffe, Methoden und Ziele der Wissenschaft von der Politik beteiligten sich Prof. Dr. Wolfgang Abendroth (Wilhelmshaven), Prof. Dr. Ludwig Bergstraesser

26 a.a.O., S. 9 f. 27 Die Hauptreferate von Alfred Weber und Eugen Kogon sowie eine im Verlauf der internen Arbeitstagung »unter lebhafter Beteiligung der Gäste« formulierte Schlußresolution sind veröffentlicht worden unter dem Thema der Tagung »Die Wissenschaft im Rahmen der politischen Bildung« als Heft 2 der Schriftenreihe der Deutschen Hochschule für Politik, Berlin 1950.

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(Darmstadt), Prof. Hermann L. Brill (Wiesbaden) sowie Dozenten und Studenten der DHfP. Ebenfalls auf ein selbständiges Forschungsinstitut zielte schon vorher der Vorschlag von Prof Dr. Sigmund Neumann, vor 1933 Dozent an der alten DHfP, der – nach einer dreimonatigen Rundreise durch die amerikanische Besatzungszone – in seinem Abschlußbericht »Status und Progress of Social Sciences in German Universities« 28 die Einrichtung eines Institutes anregte, in dem die Studenten in einem Trainingsprogramm sowohl die Methoden der empirischen Sozialforschung lernen als auch selbständig Feldforschung in Deutschland betreiben sollten. Er forderte die US-Regierungsstellen auf, ein »Institut für politische Wissenschaften« an der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg, das zunächst von diesem Modell ausgehen sollte, ideell und finanziell zu unterstützen:

»Verallgemeinert gesprochen kann man behaupten, daß es äußerst schwierig sein wird, Fakultäten für politische Wissenschaft innerhalb des Rahmens der deutschen Universität einzurichten. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist wahrscheinlich die Universität Heidelberg. Die dortige Philosophische Fakultät beschäftigt sich traditionell mit den Entwicklungen auf diesem Gebiete ... vorausgesetzt, daß die notwendige finanzielle Grundlage garantiert werden kann, könnte ein solches Institut ein Focus für die Ausbildung und Feldforschung werden.« 29

Ausschlaggebend für die Wahl des Standortes Heidelberg war sowohl das dort von Prof. Dr. Alfred Weber initiierte »studium generale« für Hörer aller Fakultäten als auch Sigmund Neumanns positiver Eindruck von dem im Wintersemester 1946 neugegründeten »Collegium Academicum«. In einem großen Barockbau, ehemals ein Jesuitencolleg, lebten und studierten damals 180 Studenten aller Semester und Fakultäten zusammen. Diese akademische Lebensgemeinschaft beruhte auf der – von Mitgliedern der ehemaligen bündischen Jugend in die Universität hineingetragenen – Idee, eine sich selbst verwaltende studentische Gemeinschaft in der Art eines amerikanischen Colleges zu entwickeln und mit diesem Schritt aktiv in die Diskussion über die Neugestaltung des studentischen Gemeinschaftslebens einzugreifen. Wie groß die Auswirkungen dieses Experiments auf das Denken der Studentengeneration in der Nachkriegszeit gewesen sind, zeigt die »Stellungnahme der Heidelberger Studentenschaft zur Hochschulreform« vom 8. März 1949, in

28 Sigmund Neumann, Final Report of Sigmund Neumann, 22. May 1949 – 22.August 1949.Status and Progress of Social Science in German Universities. – Standort: National Archives, Suitland Depot, Maryland, OMGUS-Records, Lieferung 5, Kasten 3-1: Educational and Cultural Relations Division, Visiting Expert Consultant. 29 a.a.O., S. 4.

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der sie sich mit den Vorschlägen des »Blauen Gutachtens« 30 zur studentischen Selbstverwaltung einverstanden erklärten:

»Die studentischen Lebensgemeinschaften, welche in der Zeit der Weimarer Republik an den deutschen Universitäten bestanden, lassen sich auf wenigstens vier Quellen zurückführen: die ständische Tradition der Corps, die burschenschaftliche Bewegung, die christliche Erneuerungsbewegung des 19. Jahrhunderts und die Jugendbewegung der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. In jeder dieser Formen hat sich ein wesentliches Stück studentischer Erziehung abgespielt. ... Die heutige Studentenschaft ist sich der Notwendigkeit, neue angemessene Formen der Lebensgemeinschaft zu entwickeln, bewußt. Solche Formen können nicht von oben her eingerichtet‹ werden, sondern sie müssen wachsen ...« 31

Sigmund Neumann setzte offensichtlich Hoffnungen in diese neuentwickelten Formen einer akademischen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft:

»Ein weiterer interessanter Versuch, der eine Unterstützung verdient, ist das ›Collegium Academicum‹. ... Es gibt ohne jeden Zweifel in der jungen Studentengeneration ein ungeheures Verlangen nach ähnlichen sozialen Experimenten und nach intensiven sozialen Kontakten der Studenten untereinander und zwischen den Fakultäten. Andererseits ist es aber, und nicht nur aus finanziellen Gründen, unmöglich, die Organisationsform des amerikanischen Colleges in Deutschland einfach zu adoptieren.« 32

Ausgehend von der gemeinsamen Zielvorstellung, nämlich der Initiierung eines Instituts für empirische Sozialforschung, hatten Franz L. Neumann und Sigmund Neumann jedoch unterschiedliche Präferenzen bei der Wahl des Standortes für das geplante Institut. Letztendlich war für das State Department die politische Situation im Nachkriegsdeutschland bei der Entscheidung für Berlin ausschlaggebend, weil von Berlin aus die Entwicklung der Herrschaftsverhältnisse in beiden Teilen Deutschlands besser untersucht werden konnte. Fast zur selben Zeit regte der Amerikanische Hohe Kommissar bei der hessischen Landesregierung eine trizonale Konferenz an, auf der über die Einführung des »studium generale« an allen Universitäten und Hochschulen beraten werden sollte. Diese Tagung fand dann am 10. und 11. September 1949 im Jagdschloß Waldleiningen im Odenwald unter dem Thema »Die politischen Wissenschaften an den deutschen Universitäten und Hochschulen«

30 Gutachten zur Hochschulreform, Hamburg 1948. Dieses Gutachten kam auf Anregung des britischen Militärgouverneurs, Generalleutnant Sir Brian Robertson, zustande. 31 »Mit den Vorschlägen im ›Blauen Gutachten‹ einverstanden«. Aus der Stellungnahme der Heidelberger Studentenschaft zur Hochschulreform, 8. März 1949, in: Die Universität und ihre Studentenschaft. Universitas magistrorum et scholarium. Versuch einer Dokumentation aus Gesetzen, Erlassen, Beschlüssen, Reden, Schriften und Briefen, zusammengestellt von Wolfgang Kalischer (Hrsg): Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, Jahrbuch 19661/1967, Essen-Bredeney, o.J., S. 315. 32 Sigmund Neumann, Final Report .... a.a.O., S, 2.

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statt. Fast alle Rektoren der Universitäten und Hochschulen waren damals anwesend und verabschiedeten mehrheitlich eine Entschließung, in der »die Einbeziehung der politischen Wissenschaften in den Studienplan der Universitäten und Hochschulen ... als unerläßlich und dringend« angesehen wurde. 33 Franz L. Neumann, Sigmund Neumann und Herbert Marcuse, um nur drei der bedeutendsten Deutschlandexperten des US State Department zu nennen, waren sich natürlich über die politische und gesellschaftliche Entwicklung im Nachkriegsdeutschland im klaren. Um nur an einige der wichtigsten Einschnitte in den drei westlichen Besatzungszonen zu erinnern: die Errichtung des bizonalen Wirtschaftsrates im Mai 1947, das endgültige Scheitern des zweiten Treffens des Rates der Außenminister im November/Dezember 1947 in London, die separate Währungsreform in den drei westlichen Besatzungszonen, die Berliner Blockade vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949, die Verkündigung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949, die Wahl des ersten Bundestages am 14. August 1949 und die Bildung einer CDU/CSU/FDP/DPRegierungskoalition unter Führung von Dr. Konrad Adenauer. Diese Ereignisse zeigten, daß sich gesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse in diesen Jahren durchsetzten, die ebenso wie die noch immer vorherrschenden konservativen Bildungsvorstellungen eine zügige Verwirklichung der Entschließung von Waldleiningen vorerst nicht erwarten ließen. Unter diesen politischen Voraussetzungen sahen Franz L. Neumann und seine Freunde in der Errichtung eines finanziell unabhängigen Instituts für politische Wissenschaft ein hochschulpolitisch besonders wichtiges und zugleich zu dieser Zeit noch realisierbares Ziel.

3. Das Institut für politische Wissenschaft

Otto Stammer wies in seinem Rückblick »Zehn Jahre Institut für politische Wissenschaft« darauf hin, daß es anfangs noch unterschiedliche Auffassungen über die Abgrenzung der Aufgaben des Instituts und über dessen Namen gegeben habe: »Man sprach zunächst von einem ›Institut für Staatswissenschaft‹; später tauchten Namen wie ›Institut für Sozialforschung‹ und ›Institut für politische Sozialforschung‹ auf. Erst im Mai 1950 wurde in einem von den Professoren Gert von Ey-

33 Die politischen Wissenschaften an den Deutschen Universitäten und Hochschulen. Gesamtprotokoll der Konferenz von Waldleiningen vom 10. und 11. September 1949, Hg v. hessischen Ministerium für Erziehung und Volksbildung, Wiesbaden, o.J., S. 1 55; vgl. auch Hans Kastendiek, »Desintegration einer Integrationswissenschaft«, Konstituierung und Wandel der westdeutschen Politologie, in: Bernhard Blanke, Ulrich Jürgens, Hans Kastendiek, Kritik der Politischen Wissenschaft. Analyse von Politik und Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1975, S. 62.

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Tilman Fichter / Siegward Lönnendonker nern und Otto Heinrich von der Gablentz vorbereiteten Arbeits- und Organisationsplan die Bezeichnung ›Institut für politische Wissenschaft‹ gewählt.« 34

Am 5. Juli 1950 stellte dann der Amerikanische Hohe Kommissar (HICOG) DM 200 000 für die Errichtung des Instituts für politische Wissenschaft bereit. Nicht zuletzt aufgrund der aktiven Unterstützung von Otto Suhr erklärte der Magistrat von Groß-Berlin am 7. Juli 1950 seine vorläufige Zustimmung zur Gründung des Forschungsinstituts und stellte außerdem am 20. Juli 1950 das obere Geschoß einer Villa in der Gelfertstraße 11 in Dahlem zur Verfügung. Die offizielle Zulassung des Instituts für politische Wissenschaft als »nicht-politische Organisation« durch den Oberbürgermeister Prof. Dr. Ernst Reuter erfolgte dann am 28. Juli 1950. Am 5. August 1950 fand die erste Sitzung des Institutsvorstandes statt. Angesichts der finanziellen Situation – zur bereits ausgezahlten Stiftung von HICOG war bis zu diesem Zeitpunkt nur noch eine kleinere Spende der Rockefeller Foundation in Höhe von $ 3 000 zugesagt worden – beschlossen die drei Vorstandsmitglieder einstimmig, daß der vierteljährliche Etat eine Grenze von DM 30 000 nicht überschreiten dürfe. Bis zum Jahresende sollten – neben einer Reihe von freien Mitarbeitern – fünf hauptamtliche wissenschaftliche Mitarbeiter, acht wissenschaftliche Hilfsassistenten und sieben Büro- und Bibliotheksangestellte eingestellt werden. Die drei Vorstandsmitglieder beschlossen auf ihrer ersten Sitzung auch einen vorläufigen Arbeitsplan, der folgende Forschungsschwerpunkte vorsah: »a) Die Berliner Wahlschlacht am 3. Dezember 1950 b) Der Berliner und seine Behörden c) Der Lebenskreis des Berliners d) Wer hatte die Macht in Deutschland im Jahre 1932 e) Die Monopolisierung der öffentlichen Meinung in der Ostzone« oder »Die wirkliche Leitung in den wirtschaftlichen Betrieben der Ostzone« 35 Auf Antrag von Otto Heinrich von der Gablentz und Otto Stammer diskutierte der Institutsvorstand auch die Modalitäten einer zukünftigen engeren Zusammenarbeit des Instituts mit der unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsgruppe »Arbeitslose Jugend«, die seit Herbst 1949 auf Anregung des amerikanischen Sozialforschers Prof. Dr. Nels Anderson (HICOG, Office of Labor Affairs) eine breit angelegte empirische Studie durchführte. (Die Mitarbeit der vier beteiligten Sozialwissenschaftler – Harold Hurwitz, Heinz Kluth, Irene von Reitzenstein und Erich Winkler – wurde bis Ende Dezember 34 Otto Stammer ... Zehn Jahre Institut für Politische Wissenschaft«, a.a.O., S. 177. 35 Archiv ZI 6, Mappe 1l (zusammengestellt von Dr. Rothenburg), S.3 und Akte IfpW-Vorstandssitzungen, Einladungen, Unterlagen, Protokolle ab August 1950, Vorstandssitzung vom 5. August 1950. Der Vorstand beschloß auf seiner ersten Sitzung außerdem: »Vertrauensleute der Parteien sollen nicht in den wissenschaftlichen Beirat genommen werden, wohl aber in einen Ausschuß für den Arbeitskreis: Wahlschlacht.«

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1950 durch eine finanzielle Unterstützung des »Office of Labor Affairs«, danach vom DGB-Bundesvorstand, Düsseldorf, Hauptabteilung Jugend, ermöglicht. 36 Resultat dieser Diskussion war die Umorganisation der Studiengruppe. Prof. Dr. Schelsky (Akademie für Gemeinwirtschaft Hamburg) sollte zukünftig die wissenschaftliche Leitung des Projekts übernehmen und das Institut für politische Wissenschaft stellte Harold Hurwitz zur Aufbereitung und Auswertung der Fragebögen zum 1. Januar 1951 als freien Mitarbeiter ein. Mit dem vorläufigen Arbeitsplan wurde bereits im August 1950 der Grundstein für die sich später herausbildenden und im Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ZI 6) weiterbestehenden Abteilungen gelegt: »Historische Abteilung« (später: Arbeitsbereich »Zeitgeschichtliche Forschung«); »Abteilung Parteien- und Verbändeforschung« (Arbeitsbereich »Bundesrepublik Deutschland- Forschung und -Archiv«); »Abteilung Sowjetzone« (Arbeitsbereich »DDR-Forschung und -Archiv«). Dazu kamen noch das von Otto Heinrich von der Gablentz initiierte Projekt: »Die Lebenskreise des Berliners« (informal groups) und eine Untersuchung von Dr. Walther Hofer zum Thema »Deutschland zwischen Ost und West«. Der Posten des stellvertretenden wissenschaftlichen Leiters des Instituts wurde vorläufig noch nicht besetzt; der Vorstand beschloß jedoch, Dr. Arkadius Rudolf Lang Gurland (New York) für die Mitarbeit beim Aufbau des Forschungsinstituts zu gewinnen, die genaueren Modalitäten jedoch mit ihm selbst nach seiner Ankunft in Berlin zu besprechen. Auf der folgenden Vorstandssitzung am 7. Oktober 1950 wurden drei wissenschaftliche Assistenten eingestellt, die die folgenden vorläufigen Arbeitsgruppen einrichten sollten: für die »Abteilung Wahlen« Dr. Stephanie Münke, für die »Abteilung 1932« Dr. Karl Dietrich Brecher und für die »Abteilung Osten« Dr. Ernst Richert. (Um auch die materiellen Bedingungen zu skizzieren, unter denen zu Beginn der fünfziger Jahre in Deutschland Wissenschaft betrieben wurde, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Monatsgehälter der drei wissenschaftlichen Assistenten zwischen DM 470 und DM 570 lagen.) Am 23. Oktober, zu Beginn des Wintersemesters 1950/51, nahmen fünf hauptamtliche wissenschaftliche Mitarbeiter, acht Hilfsassistenten (Doktoranden), sieben Sekretärinnen und Bibliotheksangestellte sowie einige studentische Hilfskräfte ihre Arbeit in den äußerst beengten räumlichen Verhältnissen im Hause Gelfertstraße 11 auf. 37 Die Bibliothek des Instituts im ausgebauten Dachgeschoß bestand in jenen Tagen aus rund 36 Für die Arbeitsgruppe »Arbeitslose Jugend« sollte das Institut künftig Räume zur Verfügung stellen. Vgl. auch: Arbeitslosigkeit und Berufsnot der Jugend, 2 Bde., Hg v. DGB-Bundesvorstand, Hauptabt. Jugend, erarbeitet von der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung von Jugendfragen unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Helmut Schelsky, Köln 1952. 37 Archiv ZI 6, »Tageskopien«, Mappe 1, August 1950 bis luli 1951.

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520 Bänden. Außerdem bezogen die Mitarbeiter der drei Arbeitsgruppen regelmäßig 24 deutschsprachige und ausländische Fachzeitschriften. Der wissenschaftliche Leiter von der Gablentz legte den Mitarbeitern am 6. November 1950 einen vorläufigen Entwicklungsplan vor, in dem er von der These ausging, daß das Institut entweder einen Ansatz zu einer Fakultät für politische Wissenschaft darstellen oder langfristig zu einer Forschungshochschule ausgebaut werden müsse. 38 wenn man den von der Gablentzschen Entwicklungsplan mit dem Konzept von Franz L. Neumann vergleicht, so fällt auf, daß der erste Teil identisch ist mit der von Franz L. Neumann noch im Februar dieses Jahres angestrebten Maximallösung, der Verschmelzung der DHfP mit der FU. Der zweite Teil seines Entwicklungsplans entspricht weitgehend der Neumannschen Minimallösung, mit der Modifikation, daß statt eines unabhängigen Forschungsinstituts hier eine eigenständige Forschungshochschule konzipiert wurde. Mit seinem Entwurf nahm also v. d. Gablentz die Vorstellungen von Franz L. Neumann wieder in die Planungsdiskussion hinein. Die drei Vorstandsmitglieder stellten am 18. November 1950 eine vorläufige Liste für die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates zusammen. Die endgültige Wahl der Beiratsmitglieder erfolgte später satzungsgemäß durch die Mitgliederversammlung des eingetragenen Vereins »Institut für politische Wissenschaft e.V.«. Aus Berlin sollten folgende Sozialwissenschaftler berufen werden: »Dr. Stammer als Soziologe, Prof. Dr, Tiburtius und Prof Dr. Meimberg als Nationalökonomen, Prof. Dr. Drath als Jurist, Prof. Dr. Herzfeld und Prof Dr. Fischer-Baling als Historiker, Prof Dr. Dovifat als Publizist. Von auswärts sollten persönlich berufen werden die Herren Prof. Dr. Brill (Frankfurt a.M.), Dr. Freund (Kiel), Prof Dr. Meyer (Wiesbaden), Dr. Dolf Sternberger (Frankfurt a.M.).« 39 Außerdem sollten Dr. John Brown Mason vom Office of Political Affairs, HICOG, und je ein Vertreter der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft (Wilhelmshaven-Rüstersiel) und der Hochschule für Politische Wissenschaften e.V. (München) im wissenschaftlichen Beirat vertreten sein. 40 Auf den ersten Blick erscheint diese personelle Zusammensetzung sehr heterogen und schien eine Gewähr dafür zu bieten, daß so gut wie alle damals relevanten sozialwissenschaftlichen Forschungsansätze pluralistisch nebeneinander vertreten seien. Es sollte sich aber schon bald darauf zeigen, daß die theoretische Inkonsistenz des wissenschaftlichen Bei38 ebda. 39 Archiv ZI 6, Akte IfpW-Vorstandssitzung. a.a.0. 40 ebda.; Wolfgang Abendroth sollte ursprünglich als Vertreter der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft, Wilhelmshaven-Rüstersiel, für den wissenschaftlichen Beirat des IfpW kooptiert werden. Nachdem Abendroth einen Ruf der Marburger Philipps-Universität angenommen hatte, bat v. d. Gablentz im Auftrag der Mitgliederversammlung des Ifpw e.V. Abendroth am 24.1.1951, jetzt nur noch für seine Person beizutreten.

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rates es diesem jedoch weitgehend unmöglich machte, auf die theoretische Diskussion im Hause Einfluß zu nehmen. Am 20. November 1950 traf Arkadius Rudolf Lang Gurland im Institut für politische Wissenschaft in Berlin ein, wo er sich sofort an den Vorarbeiten zur Studie über die »Geschichte und Analyse der Berliner Wahlen vom 3. Dezember 1950« beteiligte. Er kannte Otto Stammer bereits seit ihrer gemeinsamen Studienzeit in Leipzig im Jahre 1924. Beide, Stammer und Gurland, waren damals aktive Mitglieder der sozialistischen Studentengruppen Deutschlands und der SPD gewesen. Arkadius Rudolf Lang Gurland, geb. am 1. September 1904 in Moskau, hatte in Moskau und ab 1920 in Berlin das Gymnasium besucht. 1921 trat er der sozialistischen Proletarier-Jugend (SPJ) und im Frühjahr 1922 der USPD bei. Seit dem Vereinigungsparteitag der SPD/USPD im September 1922 gehörte er der SPD als Mitglied an. Nach seinem Abitur im Frühjahr 1922 studierte er an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Naturwissenschaften, trat in den Verband sozialistischer Studentengruppen ein und wurde im Wintersemester 1922/23 für ein Jahr zum Vorsitzenden der Berliner Gruppe gewählt. Von 1924 bis 1929 studierte er dann an der Universität Leipzig Nationalökonomie, Philosophie und Geschichte, arbeitete gleichzeitig als Redakteur bei verschiedenen sozialdemokratischen Zeitungen und Zeitschriften und promovierte 1929 an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig mit der sozialphilosophischen Arbeit: »Produktionsweise – Staat – Klassendiktatur, Versuch einer immanenten Interpretation des Diktaturbegriffs der materialistischen Geschichtsauffassung« und veröffentlichte diese Schrift 1930 unter dem Titel »Marxismus und Diktatur«. Im Vorwort zu »Marxismus und Diktatur« entwickelte er eine Argumentation, die für ihn charakteristisch ist und die er auch in den fünfziger Jahren wieder aufnahm, nämlich, daß die Rahmenbedingungen des Universitätsbetriebes in Deutschland es einem engagierten linken Sozialwissenschaftler unmöglich machten, seine Forschungsresultate in tagespolitisch zugespitzter Form an die Öffentlichkeit zu tragen, d.h., daß Wissenschaftlichkeit zugleich immer auch mit politischer Neutralität gleichgesetzt werde. Nicht nur sei der Forscher an bestimmte terminologische Konventionen gebunden, die Einhaltung eines unausgesprochenen Konsenses führe auch oft zu einer Abflachung der Argumentation selbst: »Den Bedingungen des heutigen Universitätsbetriebes angepaßt, konnte diese Arbeit nicht die politisch-propagandistische Gestalt und nicht die aktuelle Zuspitzung ausgeprägt bekommen, die die politische Bedeutung des Themas erfordert hätte.« 41

41 Arkadius Rudolf Lang Gurland, Marxismus und Diktatur, Leipzig 1930. Wiedererschienen als Raubdruck, o.O., o.J.

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Im Gegensatz dazu gebe es in anderen europäischen Ländern sehr wohl eine akademische Tradition, die vom Forscher nicht verlange, daß er seine wissenschaftliche Redlichkeit verleugne, sondern die es von ihm geradezu erwarte, daß er die Resultate seines Forschungsprozesses in der Darstellung so zuspitze, daß sie politisch relevant werden könnten. Ein wesentlicher Einschnitt in Gurlands Lebensgeschichte war, daß er im Juni 1931, als der SPD-Parteivorstand die beiden Mitherausgeber der Zeitschrift »Der Klassenkampf – Marxistische Blätter« 42, Max Seydewitz und Dr. Kurt Rosenfeld, aus der SPD ausschloß, nicht zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) übertrat, wie viele seiner politischen Freunde. Seydewitz und Rosenfeld hatten scharf gegen die Tolerierung der Notverordnungen – zuletzt am 5. Juni 1931 (Kürzung der Arbeitslosenversicherung) – durch die Sozialdemokratische Reichstagsfraktion protestiert. Gurland lehnte die Spaltung der SPD ab und versuchte vielmehr, durch die Gründung einer neuen Halbmonatsschrift »Marxistische Tribüne für Politik und Wirtschaft« dem innerparteilichen Widerstand gegen die Politik des Parteivorstandes eine neue Plattform zu verschaffen. Nachdem dieser Versuch bereits nach einem halben Jahr am bürokratischen Eingriff des SPD-Parteivorstandes gescheitert war, trat Gurland im Juli 1932 in die Redaktion der Chemnitzer SPD-Zeitung »Volksstimme« ein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte er nach Frankreich, wo er als Wirtschafts- und Sozialstatistiker arbeitete. Nach seiner Übersiedlung in die Vereinigten Staaten war er von 1940– 1945 Forschungsassistent am »Institut of Social Research« an der Columbia University in New York und außerdem Auslandsberater der Bibliothek des Amerikanischen Kongresses (»The Library of Congress«), Im Jahre 1947 bereiste Gurland im Auftrag des US War Department die amerikanische und britische Besatzungszone und verfaßte 1948/49 für das »Office of Foreign Labor Conditions« (US Department of Labor) ein »Handbuch über die Arbeitsbedingungen in Westdeutschland«. 43 Ähnlich wie Franz L. Neumann versuchte auch Gurland damals, die amerikanische Besatzungspolitik mit Reports und konkreten Vorschlägen so zu beeinflussen, daß der Spielraum für eine linke sozialdemokratische und ge42 Die Zeitschrift der »Klassenkampf – Marxistische Blätter« wandte sich an alle linksoppositionellen Fraktionen in der SPD und hatte besonders in Sachsen, Thüringen, Berlin und Breslau verhältnismäßig viele Leser, auch unter der Arbeiterschaft. Zu den Herausgebern gehörte auch der Austromarxist Prof. Dr. Max Adler, der damals einen großen Einfluß auf viele sozialistische Intellektuelle in Deutschland ausübte. Vgl. auch: Hanno Drechsler, Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung am Ende der Weimarer Republik, Meisenheim/Glan 1965,S. 21 ff. 43 Archiv ZI 6, Handbook on Labor Conditions in Western Germany; prepared by: Office of Foreign Labor Conditions, Bureau of Labor Statistics, U.S. Department of Labor, Washington D.C. June 1949.

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werkschaftliche Politik größer wurde. Im Rahmen dieses Aufsatzes kann diese These nicht weiter ausgeführt werden; die Autoren weisen jedoch darauf hin, daß Franz L. Neumanns Bestrebungen zentral auf die Demokratisierung der Hochschulen ausgerichtet waren, während Gurland dafür kämpfte, daß die Auflagen der amerikanischen Militärbehörden für die Gewerkschaftsarbeit möglichst schnell aufgehoben würden. Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten 1947 plante Gurland eigentlich, so bald als möglich wieder nach Deutschland zu reisen, um sich dort entweder im Raum Hannover oder im Ruhrgebiet aktiv am Wiederaufbau des Arbeiterbildungswesens oder der Gewerkschaftsbewegung zu beteiligen. Aufgrund einer Denunziation bei amerikanischen Regierungsstellen erhielt er jedoch bis zum Jahre 1950 kein Einreisevisum nach Westdeutschland. Erst nachdem seine ursprünglichen Pläne so am Widerstand der zuständigen Paßbehörde gescheitert waren, akzeptierte er im Frühjahr 1950 den Vorschlag von Franz L. Neumann und Otto Suhr, nach Berlin zu kommen, um dort ein Institut für empirische Sozialforschung mit aufzubauen. Als er Ende November 1950 in Berlin eintraf, kannte er den damaligen wissenschaftlichen Leiter, Otto Heinrich von der Gablentz, nur flüchtig; die späteren Konflikte zwischen beiden entwickelten sich erst in der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung in der folgenden Zeit. Schon am 20. Dezember 1950 legte Gurland einen Entwurf »zur Planung der Aufgaben und Arbeitsbereiche des Instituts für politische Wissenschaft« vor, der die laufende Beobachtung der gesellschaftlichen Prozesse und Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands und in seinen Nachbarländern vorsah. Die organisatorische Konsequenz dieses Forschungsprogramms hätte nach seiner Vorstellung eine Aufgliederung des Forschungsstabes in zwölf miteinander in Verbindung stehende Arbeitsgruppen sein müssen. Kurzfristig war ein solches Vorhaben mit all seinen organisatorischen Folgeproblemen aus finanziellen Gründen nicht realisierbar. Gurland hatte allerdings mit seiner Konzeption eine mittelfristige Perspektive für das Institut anvisiert.

4. Widerstände im Akademischen Senat

Der Widerstand eines Teils der Mitglieder des Akademischen Senats der FU gegen das neue Institut für politische Wissenschaft machte sich vor allem an zwei Punkten fest: einmal richtete er sich gegen den Haushaltsplan, der dem Institutsvorstand des IfpW am 18. November 1950 vorgelegen hatte, und zum zweiten gegen den Zeitpunkt der Gründung, die Verabschiedung der Satzung ohne Anhörung des Akademischen Senats und die seitherige Personalpolitik des Instituts. Um die damalige Atmosphäre der Auseinandersetzung im Akademischen Senat um das IfpW zu charakterisieren, werden im folgenden die

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entsprechenden Senatsprotokolle herangezogen. 44 Die Schärfe der Polemik und die aufbrechenden Ressentiments lassen vermuten, daß sich hinter dem Konflikt um das IfpW ein viel grundsätzlicherer Widerstand gegen die Institutionalisierung der Politischen Wissenschaft als akademischer Disziplin verbarg. Auf der Sitzung des Akademischen Senats am 6. Dezember 1950 gab der Rektor der FU, Prof. Dr. Hans Freiherr von Kress, ein Schreiben des Kuratorialdirektors Dr. Fritz von Bergmann vom 5. Dezember 1950 bekannt, in dem dieser den vom IfpW vorgelegten Haushaltsplan eingehend kritisierte. Der Wahlsenator der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, Prof Dr. Andreas Paulsen, protestierte erneut dagegen, daß der Senat seinerzeit keine Möglichkeit gehabt habe, auf die Gründung des Instituts und auf die Wahl seines Leiters Einfluß zu nehmen. Sein Einspruch sei damals auf ausdrücklichen Wunsch des Dekans der Philosophischen Fakultät, Prof Dr. Friedrich Goethert, zu Protokoll genommen worden. Darauf entgegnete der Prorektor der FU, Prof Dr. Edwin Redslob, von der Amerikanischen Militärregierung sei im Frühjahr 1950 für die Gründung des Instituts ein Betrag von DM 200 000 zur Verfügung gestellt worden. Später habe sich allerdings herausgestellt, daß diese Summe von dem für die FU insgesamt bestimmten Fonds nachträglich wieder abgezogen worden sei. Zum Zeitpunkt der Gründung des Instituts seien diese Finanzierungsmodalitäten dem Akademischen Senat noch unklar gewesen. Für Redslob ergab sich daraus die Konsequenz, daß die FU in Zukunft Kontrollrecht über die Aktivitäten des Instituts bekommen müsse. Mit dieser Verfahrensweise gab sich Paulsen offensichtlich jedoch nicht zufrieden, sondern kritisierte erneut aufs heftigste, daß der Akademische Senat keine Möglichkeit gehabt habe, sich zu der Institutsgründung zu äußern. Die Stellenbesetzung sei »nicht nach wissenschaftlichen Prinzipien« erfolgt. Dadurch werde der »Eindruck einer politischen Schiebung« erweckt. Außerdem könne die FU die unzweckmäßige Verwendung von amerikanischen Stiftungsgeldern unter keinen Umständen verantworten. Der Dekan der Juristischen Fakultät, Prof. Dr. Richard Lange, und der studentische Vertreter im Akademischen Senat, stud. jur. Rohde, unterstützten weitgehend die Vorbehalte Paulsens. Prof. Dr. Erich Kosiol, als Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät Mitglied des Akademischen Senats und zugleich stellvertretendes Mitglied des Institutsvorstandes des IfpW, berichtete anschließend über geplante und bereits angelaufene Forschungsprojekte im Institut. Seiner Meinung nach komme es jetzt darauf an, daß der Akademische Senat aktive und qualifizierte Vertreter in den Vorstand des IfpW entsende, da der wissenschaftliche Leiter seine Direktiven von diesem Vorstand erhalte. Eine 44 Hochschularchiv FUB, Akademischer Senat, Sitzungsprotokolle und Rektorat, Akte Nr. 2/2095/2, Rechtsausschuß 1954–1964, Verfassungsausschuß.

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weitere Einflußmöglichkeit für den Akademischen Senat biete der wissenschaftliche Beirat, der sich schon bald konstituieren werde. Paulsens Einwände, die Satzung des IfpW sei ohne vorherige Stellungnahme des Akademischen Senats angenommen worden, wies er mit dem Argument zurück, daß von amerikanischer Seite auf die juristische Selbständigkeit des Instituts besonderer Wert gelegt worden sei. Im übrigen könne auch er es nicht billigen, daß »bereits bei der Gründung Herr von der Gablentz sich als Leiter des Instituts geriert habe«. Dem heutigen Betrachter mag diese Argumentationsweise verwunderlich erscheinen angesichts der Tatsache, daß Kosiol gemeinsam mit Redslob, Drath und Tiburtius Herrn von der Gablentz wenige Stunden vor der offiziellen Gründungsfeier des IfpW am 28. Juli 1950 selbst mit zum ersten wissenschaftlichen Leiter des Ifpw ernannt hatte. Prorektor Redslob wies an dieser Stelle auf das befristete Mandat des wissenschaftlichen Leiters hin und gab zu bedenken, man habe darauf geachtet, daß die Vorstandsposten im IfpW mit solchen Personen besetzt würden, die an beiden Institutionen, FU und DHfP, lehrten und forschten und daß der Leiter des Instituts von der Gablentz dieses Qualifikationsmerkmal besitze. Die Teilnahme Paulsens im Beirat des IfpW sei durchaus erwünscht. Paulsens Einwände spitzten sich auf den Vorwurf zu, die politischen Instanzen hätten zusammen mit den amerikanischen Dienststellen unter »Umgehung der Universität« durch die Einrichtung eines juristisch selbständigen Forschungsinstituts, dessen Leiter darüber hinaus ohne Kenntnis der Universität bestellt worden sei, vergeblich die Rettung einer – erstmals im Frühjahr 1950 von Franz L. Neumann vorgeschlagenen – »Stiftung der Amerikaner« versucht. Schließlich formulierte Paulsen auf Vorschlag des Rektors von Kress einen Antrag, der einstimmig angenommen wurde: »Der Verfassungsausschuß wird gebeten, sich ein Bild der durch die Gründung des Instituts herbeigeführten rechtlichen Bindungen der Universität zu verschaffen und die Rechtsgrundlage des Instituts zu überprüfen.« 45

Kosiol räumte ein, die Gründung des IfpW sei »zweifellos überstürzt« worden. Er selbst sei hineingezogen worden, als nichts mehr zu ändern gewesen sei. Kosiol bestand darauf, daß nunmehr die Satzung des IfpW jedem Senatsmitglied zugänglich gemacht werde. In den Beirat sollten vom Senat sachlich interessierte Kollegen gewählt werden. »Vertreter von Parteien und Organisationen« hätten im Beirat »nichts zu suchen«. 46 Kosiols Interesse war, daß der Akademische Senat endlich die inzwischen geschaffenen Fakten zur Kenntnis nehmen und überprüfen solle, inwieweit die Satzung des IfpW es den universitären Gremien ermögliche, ihren Einfluß auf das Institut geltend zu machen. Sein zuletzt vorgebrachtes Argument richtete sich tatsächlich ge-

45 Hochschularchiv FUB, Akademischer Senat, a.a.O., Protokoll der Senatssitzung vorn 6.12.50., S. 10. 46 a.a.O., S. 9 f.

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gen die ursprüngliche Konzeption von Franz L. Neumann und Otto Suhr, die bewußt die traditionelle Abkapselung der deutschen Universität gegenüber der Gesellschaft durchbrechen wollten und deshalb durchaus daran gedacht hatten, beispielsweise die Industriegewerkschaften zu korporativen Mitgliedern des Trägervereins zu machen und ihnen so die Möglichkeit zu geben, ihre Fragestellungen in die Konzeption eines solchen Instituts einzubringen. Am Ende dieser mehrstündigen Diskussion beschloß der Akademische Senat, eine von Prof. Kosiol formulierte Entschließung dem IfpW mitzuteilen:

»Der Senat hält es für notwendig, 1. daß eine Oberprüfung des Satzungsentwurfs des Instituts unter dem Gesichtspunkt der Rechte und Pflichten beider Hochschulen erfolgt, 2. daß mit Rücksicht darauf, daß die Mittel, mit denen das Institut für politische Wissenschaften errichtet werden konnte, aus dem für die FU bestimmten Fonds der amerikanischen Militärregierung zur Verfügung gestellt worden sind, die Verwendung dieser Mittel im Einvernehmen mit der Kuratorialverwaltung der FU erfolgt.« 47

Mit diesem Beschluß verhinderte die – nach Meinung der Autoren – im Diskussionsprozeß um Hans Freiherr von Kress und Martin Drath sich bildende Fraktion, daß die FU ihre korporative Mitgliedschaft im Trägerverein »Institut für politische Wissenschaft e.V.« aufkündigte. Auf der anderen Seite sollte aber geklärt werden, welche Kompetenzen die FU und die DHfP bei der künftigen Personal- und Forschungspolitik des Instituts haben sollten. Die Vorschläge von Prof. Dr. Freiherr von Kress und von Prof. Dr. Martin Drath bestimmten die inhaltliche Diskussion auf der 5. Sitzung des Verfassungsausschusses der FU am 14. Dezember 1950. Sie forderten den Akademischen Senat auf, seinen Einfluß dahingehend geltend zu machen, daß der vorgesehene wissenschaftliche Beirat des IfpW so bald als möglich konstituiert würde, d.h., daß die nächste Mitgliederversammlung des Trägervereins sich über die personelle Zusammensetzung dieses Gremiums einigte. Die am IfpW interessierten Fakultäten sollten ihre Personalvorschläge für den wissenschaftlichen Beirat möglichst schnell beim Akademischen Senat einreichen. Es müsse sichergestellt sein, daß die Mehrheit der Beiratsmitglieder aus Berlin käme, und daß aus Westdeutschland und aus dem Ausland nur Persönlichkeiten zur Mitarbeit aufgefordert werden sollten, die tatsächlich ein aktives Interesse erkennen ließen. Sie hatten darüber hinaus Bedenken, ob es zweckmäßig sei, daß bei einem dreiköpfigen Vorstand der wissenschaftliche Leiter diesem Vorstand selbst angehörte. Auch bedeute es eine Benachteiligung der FU gegenüber der DHfP, daß automatisch der jeweilige Rektor dem Vorstand des IfpW angehöre, weil er »unter Umständen den Aufgaben des Instituts durch sein Fachgebiet sehr fern stehen kann, während von Seiten der DHfP regelmäßig ein spezieller Fachkenner für den Vorstand des Instituts

47 a.a.O., S.10.

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vorgeschlagen« werde. 48 Dieser Vorschlag lief auf die Entsendung eines ständigen Fachvertreters durch den Rektor der FU hinaus. Ein letzter Punkt war die Angleichung der laufenden Verwaltungsgeschäfte, einschließlich der Etataufstellung, an die Richtlinien der FU und DHfP. Auf der nächsten ordentlichen Sitzung des Akademischen Senats am 20. Dezember 1950 wurde das Verhältnis der FU zum IfpW erneut diskutiert. Nachdem auf der vorhergehenden Sitzung von einigen Mitgliedern des Akademischen Senats die Legitimität der Gründung des IfpW angezweifelt worden war, stand jetzt das »Befremden des Akademischen Senats darüber« im Mittelpunkt, »daß die FU bisher noch keinen Einblick in die wissenschaftliche Arbeit des IfpW habe nehmen können«. 49 Nachträglich war der Akademische Senat jetzt in seiner Mehrheit bereit, sein endgültiges Placet zur Gründung des IfpW zu geben, falls das Institut ein mit der Universität vergleichbares wissenschaftliches Niveau erreiche. Dies lief in letzter Konsequenz auf eine Zurückdrängung des Einflusses der DHfP auf das IfpW hinaus. Der Akademische Senat beschloß, daß die Philosophische und die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät je drei und die Juristische Fakultät zwei Delegierte für den wissenschaftlichen Beirat des IfpW benennen sollten. Auf seiner 7. Sitzung am 28. Dezember 1950 formulierte der Verfassungsausschuß der FU die Konsequenzen aus den bisherigen Diskussionen für den Akademischen Senat:

»1. daß er von der Gründung des Instituts in der erfolgten Form Kenntnis nimmt, 2. daß der Vorstand auf fünf Köpfe erweitert wird, 3. daß er die von der Universität vorzuschlagenden Vorstandsmitglieder benennen soll und die Vertreter der Universität instruiert, daß sie dementsprechend abstimmen sollen, 4. daß er die Vorschläge der Universität für den wissenschaftlichen Beirat aufstellt und ebenfalls die Vertreter der Universität in der Mitgliederversammlung dahin instruiert, daß sie ihre Vertreter wählen sollen, 5. daß er Kandidaten für den erweiterten Vorstand vorschlägt.« 50

Am selben Tag benannte der Akademische Senat auf einer außerordentlichen Sitzung die Mitglieder für den wissenschaftlichen Beirat des IfpW: für die Juristische Fakultät die Professoren Dr. Martin Drath und Dr. Ernst E. Hirsch, für die Philosophische Fakultät die Professoren Dr. Edwin Redslob, Dr. Emil Dovifat und Dr. Hans Herzfeld, für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät die Professoren Dr. Erich Kosiol, Dr. Joachim Tiburtius und Dr. Otto Stammer. Sollte der Vorstand des IfpW auf fünf Personen erweitert werden, so beschloß der Akademische Senat, Martin Drath

48 Hochschularchiv FUB, Rektorat, a.a.O., 5. Sitzung. 49 Hochschularchiv FUB, Akademischer Senat, a.a.O., Protokoll der Senatssitzung vom 20.12.1950, S. 8. 50 Hochschularchiv FUB, Rektorat, a.a,O., 7, Sitzung vom 28.12.1950, S. 1 f.

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als Vorstandsmitglied vorzuschlagen. So geschah es dann auch auf der nächsten Mitgliederversammlung des eingetragenen Vereins »Institut für politische Wissenschaft« am 19. Januar 1951, wo außer Martin Drath (FU) noch Gert von Eynern (DHfP) in den erweiterten Vorstand gewählt wurde. CarlDietrich von Trotha (DHfP) wurde zu einem von zwei stellvertretenden Vorstandsmitgliedern gewählt. Beide Stellvertreter sollten in Zukunft an allen Vorstandssitzungen teilnehmen, allerdings nur dann mit Stimmrecht, wenn sie Vertreterfunktion ausübten. All diese Eingriffe des Akademischen Senats führten jedoch nicht zu einer Veränderung des Stimmenverhältnisses im Vorstand des Ifpw zugunsten der FU. Im ersten Vorstand der IfpW standen zwei Mitglieder der DHfP einem Vertreter der FU gegenüber; jetzt nach der Neuwahl, waren es drei DHfP-Mitglieder und zwei FU-Vertreter. Die Auswirkungen des entschiedenen Vorgehens des Akademischen Senats zeigten sich dann aber in der Besetzung des wissenschaftlichen Beirats, in den die FU mehr Vertreter entsenden konnte, als sie zunächst erhofft hatte. Mit dieser detaillierten Darstellung des damaligen Diskussionsprozesses wollen die Verfasser auf das oft unausgesprochene Mißtrauen hinweisen, das sowohl in der Juristischen Fakultät als auch in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen sowie der Philosophischen Fakultät gegen die Wissenschaft von der Politik bestand. Andererseits fällt auf, daß immer dann, wenn Diskussionen über konkrete Forschungsprojekte stattfanden, gerade in diesen Kreisen ein Interesse sowohl an den Methoden als auch an den ersten Forschungsergebnissen der Politikwissenschaft vorhanden war. Dieses ambivalente Verhältnis resultierte aus der – wenn auch nicht immer eingestandenen – Einsicht der Vertreter der klassischen sozialwissenschaftlichen Disziplinen in die Problematik ihrer Erklärungsmodelle angesichts der gesellschaftspolitischen Entwicklung im 20. Jahrhundert.

5. Die Übergangsperiode

Am 27. Januar 1951 fand die erste Sitzung des »Berliner Kreises des wissenschaftlichen Beirats« statt. Von den Beiratsmitgliedern nahmen für die FU die Professoren Dr. Drath, Dr. Fischer-Baling, Dr. Herzfeld, Dr. Kosiol, Dr. Redslob und Dr. Stammer teil; für die DHfP Dr. von Eynern und Dr. Suhr,– f ür die Mitarbeiter des IfpW Dr. von der Gablentz, Dr. Gurland, Dr. Bracher, Dr. Münke und Dr. Richert, – außerdem Prof. Franz L. Neumann (Columbia University, N.Y.) und die beiden amerikanischen Erziehungsoffiziere Dr. Carl G. Anthon (Cultural Affairs Branch, Education Section) und Prof Dr. John D. Riedl (Chief Education Branch, H ICOG). Zunächst gab der wissenschaftliche Leiter von der Gablentz einen umfangreichen Arbeitsbericht, den er mit einer kurzen, aber parteilichen Interpretation der Paragraphen 8, 12 und 13 der Satzung über die Rechte und Pflichten des wissenschaftlichen Beirats einleitete:

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Zur Frühgeschichte des IfpW »Zunächst einen kurzen Auszug aus den Satzungen des Instituts über die Zusammensetzung des Beirats. Das Institut hat satzungsgemäß durch seine Mitgliederversammlung einen wissenschaftlichen Beirat zu wählen und dieser ... hat den Auftrag, den Arbeitsplan des Instituts vorzuschlagen. Zum Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats ist satzungsgemäß der wissenschaftliche Leiter des Instituts bestimmt ...« 51

Er wandte sich dann gegen eine Aufteilung der Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats in einen Berliner Kreis und einen Kreis der westdeutschen und ausländischen Gäste, denen man von vornherein unterstelle, daß sie weniger aktiv mitarbeiten könnten. »Der wissenschaftliche Beirat soll als ganzes tagen.« Der Institutionsvorstand habe sich nur dieses eine Mal dazu entschließen können, im kleineren Kreis zusammenzukommen, da, anläßlich der Gründungsversammlung der »Vereinigung von der Wissenschaft der Politik« am 11. Februar dieses Jahres in Bad Königstein, eine Sitzung des wissenschaftlichen Beirats geplant sei, die man inhaltlich vorbereiten wolle. In seinem Bericht über die Einrichtung der Arbeitsgruppen verteidigte von der Gablentz den mehr oder minder voluntaristischen Arbeitsansatz, dem keine Hypothesenformulierung vorausgegangen war.

»Aufgrund von Besprechungen hier im Vorstand haben wir die Arbeit auf drei Gebieten von vornherein begonnen, ohne zunächst einmal den theoretischen Rahmen festzulegen, in dem diese drei Arbeitsgebiete drinstehen.« 52

Die Auswahl dieser drei Arbeitsgebiete – »Abteilung Wahlen«, »Abteilung 1932« und »Abteilung Osten« – sei aber keineswegs zufällig zustande gekommen; sie habe sich den Mitarbeitern vielmehr aus der aktuellen politischen Situation in Deutschland gestellt. Grundsätzlich müßten jedoch auch die zentralen Begriffe und die Theorie der Politik im Institut aufgearbeitet werden, denn nur wenn die Sozialwissenschaftler in Deutschland wieder den Anschluß an die internationale Diskussion fänden, könne sich auch hier eine eigenständige, systematische, empirisch und theoretisch fundierte sozialwissenschaftliche Forschung entfalten. In der anschließenden Diskussion über den Arbeitsbericht setzte sich Franz L. Neumann mit den schon vorliegenden Teilen der Studie von Karl Dietrich Bracher über die »Machtverteilung im Jahre 1932« auseinander. Seiner Meinung nach gebe es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Geschichtswissenschaft und der Politikwissenschaft, was Erkenntnisinteresse und Methode betreffe. Aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen sei er zwar selbst an der Aufklärung der Situation von 1932 brennend interessiert; eine reine Deskription der Machtverteilung im Deutschen Reich zu jener Zeit, der keine zugespitzte politologische Fragestellung zugrunde liege, ergebe jedoch noch keine systematische Untersuchung zum Problem der politi51 Archiv ZI 6, Akte Wissenschaftlicher Beirat, Einladungen Protokolle, Januar 1951 bis Juli 1958 erste Sitzung vom 27. Januar 1951, S. 1. 52 a.a.O., S. 7.

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schen Macht. Arkadius R. L. Gurland wies darauf hin, daß in seinem ursprünglichen Entwurf »zur Planung der Aufgaben und Arbeitsbereiche des IfpW« durchaus Raum für konkrete historische Studien gegeben werde. Wenn aber eine Abteilung eine bestimmte historische Periode untersuche, so müsse sie zugleich die zusammenhängenden Problemkomplexe theoretisch erfassen, d.h. eine Abteilung, die die Herrschaftsstruktur und die Struktur der Machtausübung in der NS-Periode untersuche, müsse auch einen Beitrag zur Analyse dieser spezifischen Form eines totalitären Systems leisten. Für die jetzige Übergangsphase – in der die Politikwissenschaft in Deutschland sich gewissermaßen noch in ihrem Anfangsstadium befinde – habe er in seiner Denkschrift eine vorübergehende Arbeitsteilung im Institut vorgeschlagen, nämlich die Einrichtung einer ständigen Redaktionsabteilung, und zwar unter zwei Gesichtspunkten:

»Einmal unter dem Gesichtspunkt ... der wirklichen redaktionellen Bearbeitung und der sprachlichen Ausgestaltung dessen, was hier an Ergebnissen erarbeitet wird, zweitens aber auch in die Richtung einer Koordinierung der Problemstellungen innerhalb der Institutsarbeiten, d.h. eine Vorarbeit für die Gesamtarbeit: die Erarbeitung einer Theorie von der Politik.« 53

Der wissenschaftliche Beirat beschloß, Arbeitsgruppen zu bilden, die sich den drei bestehenden Abteilungen im Institut zuordnen und die begonnenen Studien begleiten und kritisch beraten sollten. Für die Wahlmonographie sollten Gert von Eynern und Emil Dovifat zuständig sein; für die Abteilung »Osten« Otto Stammer und Rudolf Meimberg, für die Arbeit über das Jahr 1932 Hans Herzfeld und Eugen Fischer-Baling. Außerdem beschlossen die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats, daß Arkadius R. L. Gurland Ende Februar ein Referat zum Thema »Fundierung der Wissenschaft von der Politik« halten sollte. Am 6. März 1951 wurde Dr. Gurland dann zum stellvertretenden Leiter des IfpW ernannt. Er legte am 1. Juli ein umfassendes Organisations- und Forschungsprogramm vor, in dem unter anderem auch die Herausgabe einer politikwissenschaftlichen Zeitschrift und einiger Handbücher mittelfristig projektiert war. 54 In der Folge kam es nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen akademischen und politischen Sozialisation von A. R. L. Gurland und

53 a.a.O., S. 66. 54 Archiv ZI 6, Organization and Research Program, July 1, 1951, S. 32: »In addition to publishing the growing out of research conducted within the framework of the Institute, a series of publications are envisaged, which should widen the range of the lnstitute’s activities and strengthen political science’s influence on German intellectual life and democratic education. As the only institution of its kind in postwar Germany, the Institute cannot elude responsibility in the sphere of political education in general, and civic education in particular. Plans have been rnade for scholarly periodical dedicated to the advancement and dissemination of political science ...«

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Zur Frühgeschichte des IfpW

O. H. v. d. Gablentz in Organisationsfragen und Fragen der Forschungsprioritäten zu Differenzen. Otto Heinrich Freiherr von der Gablentz, evangelisch, am 11. September 1898 in Berlin geboren, kam aus einer preußischen Offiziersfamilie. Nach seinem Studium der Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin und Freiburg/Br. promovierte er an der Universität Freiburg zum Dr. rer. pol.. Ab 1925 war v. d. Gablentz beim Statistischen Reichsamt in Berlin tätig, zuletzt als Referent für volkswirtschaftliche Bilanzen. 1934 erhielt er Berufsverbot und arbeitete dann in der Industrieverwaltung als Abteilungsleiter bei der Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie. Während der gesamten zwölf Jahre des nationalsozialistischen Regimes blieb er in Deutschland und war aktives Mitglied des Kreisauer Kreises und der Bekennenden Kirche. Nach dem militärischen Zusammenbruch des NS-Regimes entwickelte v.d. Gablentz zusammen mit Jakob Kaiser, Emil Dovifat, Johann Baptist Gradl und anderen Mitgliedern des Berliner CDU-Gründerkreises das Konzept eines Sozialismus aus christlicher Verantwortung. 1948 erhielt v. d. Gablentz einen Ruf an die DHfP als Leiter der Abteilung »Theorie der Politik«. Ein wichtiger Einschnitt in seinem Leben war die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die Erfahrung, daß Menschen nicht als freie Persönlichkeiten ihre Verantwortung in der Geschichte erkennen, sondern als bloße Exponenten ihres Standes handeln und auswechselbare Gestalten sind.

»Ein solcher Mann, der nicht als Person gehandelt hat, sondern als Typus, der soziologisch und psychologisch zu berechnen ist, war auch Hindenburg. Irgendein anderer alter General hätte es genau so gemacht.« 55

Die unbestechliche antinationalsozialistische Haltung von v. d. Gablentz war für Gurland die Basis des gegenseitigen menschlichen Respekts. Die ständigen Etatschwierigkeiten, die Notwendigkeit, immer wieder eine Balance zwischen den Mitgliedern der FU und der DHfP im wissenschaftlichen Beirat zustande zu bringen, der Legitimationsdruck, der auf dem Institut lastete, und die Vorstellung, daß nur durch eine schnelle Folge von wissenschaftlich-qualifizierten Veröffentlichungen diese Schwierigkeiten gemeistert werden könnten, führten jedoch zu Konflikten und unterschiedlichen Einschätzungen, die am Ende darauf hinausliefen, daß v. d. Gablentz am 30. Juli 1951 in einem Brief an Otto Suhr erklärte, er wolle für das IfpW künftig nur noch nebenamtlich tätig sein. Daraufhin stellte auch Gurland sein Amt als stellvertretender Leiter zur Verfügung. Am 31. Oktober 1951 schied v. d. Gablentz als hauptamtlicher wissenschaftlicher Leiter endgültig aus. Prof. Dr. Eugen Fischer-Baling (DHfP) und Prof. Dr. Otto Stammer (FU) wurden vorläufig mit der Geschäftsführung des IfpW betraut. Die wissenschaftliche Leitung ging provisorisch auf Prof. Dr. Martin Drath (FU), Dr. H. 0. v. d. Gabl55 Otto Heinrich von der Gablentz, Geschichtliche Verantwortung. Zum christlichen Verständnis der deutschen Geschichte, Stuttgart 1951, S. 45.

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entz (HHFP) und Dr. A. R. L. Gurland (IfpW) über. (Drath sollte Leiter einer neueinzurichtenden Arbeitsgruppe »Theorie von der Politik« werden; v. d. Gablentz leitete die von ihm initiierte »Arbeitsgruppe 1932« und Gurland war für die Arbeitsgruppen »Ostzone«, »Parteien und Machtgruppen« sowie das Archiv und die Bibliothek zuständig). Am 19. November 1951 beschloß die Mitgliederversammlung, bis zum 31. März 1952 keinen hauptamtlichen wissenschaftlichen Leiter zu bestellen, dem laut Satzung auch der Vorsitz im wissenschaftlichen Beirat zustand. Die Mitgliederversammlung berief für diese Zwischenzeit Prof. Dr. Otto Stammer (FU) zum Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats. Otto Stammer, geb. am 3. Oktober 1900, war in einem Leipziger Arbeiterviertel aufgewachsen. Er studierte an den Universitäten Berlin und Leipzig Staatswissenschaften, Geschichte und Zeitungskunde unter anderen bei Richard Schmidt und promovierte 1924 über das von Hermann Heller angeregte Thema »Der Staat bei Karl Marx und Friedrich Engels, gesehen als soziologisch-philosophischer, juristischer und politischer Staatsbegriff«. 1919 trat Otto Stammer in die SPD ein und war von 1921 bis 1924 Vorsitzender des Verbandes der sozialistischen Studentengruppen Deutschlands und Osterreichs; er gehörte außerdem der Leitung des Kartells republikanischer Studenten Deutschlands an. Durch sein Studium und sein politisches Engagement in der sozialistischen Studentenbewegung lernte er Rudolf Hilferding, Otto Bauer und Max Adler kennen. Im Sommer 1924 siedelte er nach Graz über und wurde Redakteur bei der austromarxistisch-orientierten Tageszeitung »Arbeiterwille«. Zur selben Zeit war er Leiter des Arbeiterbildungswesens in der Steiermark. 1930 kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm den Posten eines Leiters der Wirtschaftlichen Fachschule für Arbeiter und Angestellte (Arbeiterwirtschaftsschule) in Peterswaldau/Schlesien. Als Leiter des Arbeiterbildungswesens der SPD in Mittelschlesien und Kandidat der SPD für die Reichstagswahlen vom 6. November 1932 trat Otto Stammer auf zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen für seine Partei auf und richtete scharfe Angriffe gegen den Terror und die Ziele der Nationalsozialisten. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erhielt Otto Stammer Berufs- und Veröffentlichungsverbot. Nach einer kurzen Haftzeit arbeitete er in Leipzig zuerst als Kellner, später als technischer Betriebsleiter eines pharmazeutischen Werkes. Im Oktober 1949 habilitierte er sich an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät für das Fach Soziologie. Das Thema seiner Habil.Schrift lautete: »Ideologie und Geschichte. Eine Untersuchung über die Seinsweise des Geistigen im Verhältnis zur Gesellschaftlichkeit und zur Geschichtlichkeit des Menschen«. 1951 wurde er zum außerordentlichen Professor für Soziologie an die Wirtschaft- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der FU und 1955 zum ordentlichen Professor für Soziologie und Leiter der Abteilung für Politische Soziologie an der FU berufen.

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Zur Frühgeschichte des IfpW

Auf der Mitgliederversammlung des Ifpw am 19. November traten Gert von Eynern, Otto Heinrich von der Gablentz und Edwin Redslob von ihren Vorstandsposten zurück. Die Mitgliederversammlung wählte daraufhin Eugen Fischer-Baling, Hans Herzfeld und Otto Stammer in den Institutsvorstand. Prof. Stammer, den man in den folgenden Monaten für den Posten eines hauptamtlichen wissenschaftlichen Leiters des IfpW gewinnen wollte, erklärte auf der Vorstandssitzung am 23. Februar 1952, daß es seiner Meinung nach für die Zusammenarbeit im Institut nicht gut sei, wenn er die Leitung zu einem Zeitpunkt übernehme, wo die Umorganisation des Instituts aufgrund der bisherigen Erfahrungen zwar notwendig, aber noch nicht ausdiskutiert sei. Aufgrund einer längeren privaten Unterhaltung mit Gurland sei er zu dem Ergebnis gekommen, daß bei der faktischen Stellung Gurlands im Institut und dessen ständiger Arbeitsüberlastung sich sehr wahrscheinlich neue, wenn auch im Grunde vermeidbare Konflikte ergeben würden und eine neue Krise möglich sei. Um solche Schwierigkeiten auszuschließen, schlug Otto Stammer eine grundsätzliche Umorganisation des Instituts in mehrere selbständige Abteilungen vor. Diese selbständigen Abteilungen sollten in eigener Verantwortlichkeit ihre Forschungsarbeiten durchführen, während grundsätzliche Entscheidungen für längerfristige Forschungsperspektiven von Mitarbeitern aller Abteilungen gemeinsam ausdiskutiert und entschieden werden müßten. Otto Suhr hielt dieses Organisationsmodell nach einer gewissen Übergangszeit durchaus für realistisch. Im weiteren Diskussionsverlauf um die Frage der Verantwortlichkeit bei der Herausgabe der Schriften des Instituts für politische Wissenschaft wurde auf Anfrage von Otto Stammer vereinbart, daß das IfpW für den Charakter und die Stoßrichtung der gesamten Reihe verantwortlich sei, der oder die Autoren der einzelnen Bände jedoch für ihre Arbeiten in eigener Verantwortung zeichneten.

6. »Wahlkampf und Machtverschiebung«

Unter diesem Titel veröffentlichte das IfpW im April 1952 seine erste Wahlund Parteienstudie in der Schriftenreihe des Instituts. Mit ihrer Veröffentlichung wollten die Mitarbeiter den wissenschaftlichen Rahmen, die theoretischen Fragestellungen und die analytischen Möglichkeiten der zu diesem Zeitpunkt noch – sowohl an der Universität als auch in der Öffentlichkeit – stark umstrittenen Politikwissenschaft exemplarisch aufzeigen. Am 3. Dezember 1950 fand zum dritten Mal seit der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches eine Wahl in Berlin statt. Bereits Anfang Oktober 1950 wurde auf Vorschlag der Professoren Kosiol und Tiburtius eine empirische Studie über das Wählerverhalten der Berliner Bevölkerung und die Wahlkampfstrategien von SPD, CDU, FDP und fünf kleineren Parteien (Deutsche Partei, Konservative Partei, Unabhängige Sozialdemokratische Partei, Radikal-Soziale Freiheitspartei und Demokratisch-Konservative Mit-

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telstandspartei Deutschlands) angeregt. Die in den Westsektoren Berlins zugelassene SED beteiligte sich an diesen Wahlen nicht. Der Vorstand des IfpW beauftragte Dr, Stephanie Münke mit der Planung und Durchführung dieser empirischen Untersuchung. Dr. Münke hatte 1936 in Hamburg promoviert und von 1939 bis 1945 die Sozialabteilung eines Betriebes mit 12 000 Beschäftigten in der von der Deutschen Wehrmacht besetzten Slowakei geführt. Zwischen 1947 und 1948 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Ernst Schellenberg und seit 1948 als Assistentin am Volkswirtschaftlichen Institut der FU. Die empirisch angelegte Studie hatte im wesentlichen zwei Intentionen: sie sollte anhand einer monographischen Bearbeitung der Berliner Wahl von 1950 ein erster Schritt zu einer Gesamtanalyse des Parteiensystems in der Bundesrepublik und in West-Berlin sein und zweitens die Aussagefähigkeit der empirischen Sozialforschung unter Beweis stellen.

»Als die erste deutsche Forschungsinstitution auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Disziplin, die sich der Erkenntnis des Politischen widmet, sieht das Institut seine vordringliche Aufgabe darin, in dem ihm vorgezeichneten Erkenntnisbereich empirisches Tatsachenmaterial zusammenzutragen. Das mindert weder sein Interesse an theoretischer Erkenntnis, noch sein Bedürfnis, empirische Tatbestände zu systematisieren und zu interpretieren, über die Erschließung einer individuellen Situation hinaus generalisierende Schlüsse zu ziehen und über diese oder jene Kausalreihe oder die Regelhaftigkeit dieser oder jener Funktionsbeziehung allgemeine Aussagen zu machen.« 56

Im Vorwort zu dieser Studie, das von A. R, L. Gurland verfaßt worden war, wurde als das spezifisch Neue herausgestellt, daß es den Autoren dabei nicht nur um die Analyse von Meinungsbildungsprozessen in der Wählerschaft oder von Reaktionen verschiedener Wählerschichten auf bestimmte innen- oder außenpolitische Ereignisse angekommen sei, sondern auf eine »Synthese von Forschungsmethoden« und die »Berücksichtigung all der Forschungstechniken, die die benachbarten Gebiete in jahrzehntelanger Forschungstätigkeit ausgebildet haben«:

»Wie die Sphäre des Politischen viele Gebiete umschließt, die nicht Politik im eigentlichen Sinne sind, und auf viele andere übergreift, so bedient sich auch die Wissenschaft vom politischen Geschehen aller Methoden und Hilfsmittel, die von mehreren verwandten Disziplinen gefunden oder ausgebaut worden sind. Daß das kein hilflos eklektisches Vorgehen ist, sondern daß hier Phänomene, die auch soziologisch, psychologisch, sozialstatistisch, historisch, juristisch usw. betrachtet werden können, unter einem bestimmten Aspekt, dem der politischen Macht, einer

56 Stephanie Münke, Wahlkampf und Machtverschiebung. Geschichte und Analyse der Berliner Wahlen vom 3. Dezember 1950; Mitarbeit, Redaktion und Einleitung Dr. A.R.L. Gurland (Schriften des Instituts für Politische Wissenschaft, Band 1), Berlin 1952, S. X.

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Zur Frühgeschichte des IfpW letztlich synthetisierenden Behandlung zugeführt werden, möchte die in diesem Band dargestellte Untersuchung erweisen.« 57

In Gurlands Definition des Forschungsobjektes der politischen Wissenschaft wird die Abgrenzung zu anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen deutlich; denn die Wissenschaft von der Politik richte ihr Augenmerk zuerst und vor allem auf »die Prozesse der Entstehung, Erhaltung und Verlagerung von Macht«. Die Politikwissenschaft sei deshalb ihrem eigenen Selbstverständnis nach »kritisch gegenüber Machthabern, gegenüber institutionellen und gruppenmäßigen Vorrichtungen, die dazu dienen, Macht zu schaffen und zu behaupten«. Es sei die Aufgabe der Wissenschaft von der Politik als einer Art von Kontrollwissenschaft, »die Wirksamkeit und die sozialen Gehalte der Massenbeeinflussungsfaktoren – Propaganda, Erziehung, Ideologieverbreitung – aufzuzeigen, ihre eigentlichen Funktionen im Dienste bestimmender Machtinteressen jeder ideologischen Enthüllung zu entkleiden und die realen Sachverhalte in den Vordergrund zu rücken«. 58 Die Untersuchung der Wahl vom 3. Dezember 1950 wurde Anfang Oktober desselben Jahres als eine Reihe von empirischen Forschungen geplant und als solche auch durchgeführt. Gurland stellte den Band 1 der Schriftenreihe des IfpW als eine echte Kollektivarbeit vor. Über seine eigene Mitarbeit in der Redaktionsabteilung und die seines seit dem 15. April 1951 hauptamtlich angestellten Assistenten Klaus Schütz, der im wesentlichen für die stilistische Überarbeitung der empirischen Teile der Wahlanalyse verantwortlich war, gibt Gurland folgende Darstellung:

»Bei der Vorbereitung der Publikation wurde mit der Einschaltung einer vom Schreiber dieser Zeilen geleiteten Redaktionsabteilung eine Technik der wissenschaftlichen Edition angewandt, die in Deutschland bis jetzt im wesentlichen nur bei der Herausgabe von enzyklopädischen Werken Eingang gefunden hat. Es ging nicht nur um die literarische Formung der gewonnenen Ergebnisse, so wichtig diese im Forschungsbetrieb oft vernachlässigte Grundvoraussetzung der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse auch ist, sondern auch und vor allem um Kritik und Überprüfung des vorgelegten Materials und der aus ihm abgeleiteten Schlußfolgerungen. Der Redaktion fiel unter diesem Gesichtswinkel die Rolle eines Anklägers oder, wenn man will, eines Advocatus diaboli zu, der die Position des für die Untersuchung verantwortlichen zu attackieren und ihm die Beweislast zuzuschieben hatte. Angesichts der unvermeidlichen Lücken der geleisteten Forschungsarbeit ist gerade bei der vorliegenden Untersuchung der Beitrag der Redaktion, die unter Berücksichtigung vor allem amerikanischer Erfahrungen neue Gesichtspunkte hereinbrachte und dem Untersuchungsobjekt auch auf manchen Umwegen nachzu-

57 a.a.O., S. XIII. 58 a.a.0., S. XIV.

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Tilman Fichter / Siegward Lönnendonker spüren suchte, über eine technisch-kritische Editionsarbeit nicht unerheblich hinausgewachsen.« 59

In diesem Kontext entlasteten Gurland und Schütz den Forschungsstab von der Verantwortung für einige Kapitel, die Gurland der Redaktion auferlegte: es handelte sich um das 3. Kapitel mit dem summarischen Überblick über »Die ›alten‹ Parteien«, das 10. Kapitel über die »Beeinflussungsfaktoren« (Zeitungen, Presse, Rundfunk, Gewerkschaften, Kirchen etc.), das 11. Kapitel über »Das Wahlergebnis«, das mit einem »historischen Vergleich« mit den ersten Wahlen in Berlin während der Weimarer Republik abschließt (s.u.) und schließlich um das 12. Kapitel »Volk, Parlament und Regierung« mit einer zugespitzten Darstellung des Zustandekommens der Großen Koalition von SPD, CDU und FDP, die sich trotz ernsthafter politischer Differenzen hauptsächlich unter dem Eindruck der außenpolitischen Bedrohung Berlins zusammenschlossen. (Während der zweiten Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses hatten bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters überraschend der von der SPD vorgeschlagene Prof. Dr. Ernst Reuter und der von der CDU und der FDP gemeinsam vorgeschlagene Dr. Walther Schreiber je 62 Stimmen erhalten. Dieses Ergebnis einer Kampfabstimmung nach einer vorausgegangenen erbitterten Wahlschlacht war von einer Berliner Zeitung mit einem Foto aus dem Film »Das doppelte Lottchen« nach der Art der Wirsind-doch-alle-eine-große-Familie-Ideologie zur Idylle stilisiert worden. Viele Mitglieder der SPD empfanden die Übernahme dieses Bildes durch die Redaktionsabteilung der Wahlstudie ebenso wie deren Kommentar zum Wahlausgang als wenig solidarisch:

»Das ›doppelte Lottchen‹ war nicht, wie Reuter es nannte, eine ungewollte, aber tatsächliche Korrektur des Wahlergebnisses vom 3. Dezember 1950, sondern der sinngemäße Ausdruck der Remis-Situation, die aus dem Wahlergebnis entstanden war.« 60

Die »alten« Parteien: SPD, CDU, FDP Mit dem dritten Kapitel zum Thema »Die ›alten‹ Parteien« hatte A. R. L. Gurland zum besseren Verständnis der Vorgeschichte der SPD-Wahlniederlage am 3. Dezember 1950 – der Anteil der sozialdemokratischen Stimmen war von 64,5 % auf 44,7 % zurückgegangen – eine historische Skizze der drei »alten« Parteien (SPD, CDU, FDP) in die Studie eingearbeitet. Alt waren diese Parteien insofern, als sie von den Alliierten zuerst lizensiert worden waren. Alt waren sie auch, da in diesen drei Parteien »die Tradition der Parteigebilde der Weimarer Zeit fort(wirkte): sowohl in ihrer Haltung als auch –

59 a.a.O., S. XVIII. 60 a.a.0. S. 230.

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und vor allem – in der Zusammensetzung der Führungsschicht und im Organisationsaufbau.« 61 SPD: Gurland ging bei seiner Einschätzung der SPD in Berlin davon aus, daß sich der Berliner Landesverband der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands weder in seinen programmatischen Zielen noch in seiner Organisationsstruktur – auch nicht in der personellen Zusammensetzung seiner Führungsgruppe – von der Gesamtorganisation der SPD im Bundesgebiet und der seit 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone illegalisierten SPD qualitativ unterscheide. Die Partei lebe von ihrer Vergangenheit, die sich als ein Gemisch »revolutionärer Unversöhnlichkeit und reformerischen Aufbauwillens, puritanischer Prinziptreue und opportunistischer Anpassungsbereitschaft« in den Köpfen der Mitglieder und Funktionäre niedergeschlagen habe. Obwohl die gesamte Partei die Erfahrungen der Weimarer Republik, der Machtübernahme Hitlers und die Periode der Illegalität nicht aufgearbeitet habe, blieben die Mitglieder doch ihren Traditionen und dem sozialdemokratischen Milieu verhaftet, eine – wie Gurland es nannte – »Traditionskompanie der Weimarer Republik«.

»Die SPD hatte die Last des republikanischen Aufbaus und der Weimarer Krisenjahre getragen, trotz brutalem Terror und organisatorischer Zerschlagung durch die Nazijahre hindurch einen beachtenswerten moralischen Zusammenhalt bewahrt und sich nach 1945 nach schweren Menschenverlusten durch Verfolgung, Krieg und Emigration in einer Zusammensetzung wiedergefunden, die oft der von früher in hohem Maße glich. Nun wollte sie die demokratische Aufbaupartei werden, ohne das Ziel der sozialistischen Umgestaltung preiszugeben. Jedoch blieb es bei einigen tastend vorgetragenen Versuchen: Es gelang ihr nicht, ein konkretes Bild vom sozialistischen Neubau der Gesellschaft und eine klare Vorstellung von den Wirkungsmöglichkeiten einer Massenpartei in einer demokratischen Ordnung zu gewinnen.« 62

Hier ist zu bedenken, daß Arkadius R. L. Gurland wie auch sein damaliger Assistent Klaus Schütz SPD-Mitglieder sind und – ähnlich wie Franz L. Neumann – sich damals immer wieder die Frage stellten, warum die SPD, die Gewerkschaften und die linken Intellektuellen in den letzten Monaten der Weimarer Republik bei deren Verteidigung gegen den NS-Terror historisch versagt hatten. Gurland fand sich bis heute nicht mit der Tatsache ab, daß aufgrund des Kalten Krieges die Aufarbeitung der damaligen Niederlage nie stattfand und eine bruchlose Übernahme der traditionellen Inhalte und Organisationsformen erfolgte. Er sieht seine Aufgabe als sozialistischer Intellektueller auch heute noch in der notwendigen Aufarbeitung dieser Probleme, die sich in der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland gestellt haben und die nur allzuoft durch Tagespolitik überdeckt werden.

61 a.a.O., S. 22. 62 a.a.O., S. 23.

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Die Tatsache, daß die SPD in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg einerseits »Regierungs- und Verwaltungspartei« wurde, andererseits in der Zerreißprobe überleben wollte, in die sie durch die Maßnahmen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) zur Vereinigung von SPD und KPD geriet, führte zu einer organisatorischen Schwächung des SPD-Landesverbandes Berlin. Diese Schwierigkeiten, die sich noch durch die Entbehrungen und die psychischen Anspannungen der Berliner Bevölkerung während der Blockadezeit potenzierten, spiegelten sich konsequenterweise in der damaligen Schichtung der Mitglieder des Berliner Landesverbandes und dem wachsenden Einfluß der Mitglieder des öffentlichen Dienstes im Funktionärskörper der Partei wider: Der Anteil der Angestellten (zumeist waren es Behördenangestellte) (34,9 %), Techniker (3,6 %) und akademische Berufe (1,0 %) überwog bei den SPD-Mitgliedern den der Arbeiter (33,7 %), die andererseits die Hauptwählermasse der SPD ausmachten.

»Mit anderen Worten: die Berliner SPD, deren Hauptwählermasse nach wie vor in Arbeiterbezirken konzentriert ist, führt ihren politischen Kampf mit einem Organisations- und Repräsentationskern, dessen Schwergewicht im Personal der öffentlichen Verwaltung liegt. Ganz besonders im Wahlkampf 1950 hat sie sich nicht nur als Regierungspartei, sondern auch als Partei des Verwaltungsapparates zu verteidigen gehabt.« 63

Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten hätten den Eindruck einer »uneinheitlichen, unsicheren Politik« hervorgerufen, der auch durch die Wahlplattform, das »50-Punkte-Programm«, nicht hätte abgeschwächt werden können. Der Redaktionsstab des Bandes 1 der Schriftenreihe des IfpW kritisierte die Berliner SPD-Organisation als »ungelenk«; die Organisationsaufgaben habe sie nur unvollkommen zu lösen verstanden, sobald es sich nicht um die alte routinemäßige Arbeit gehandelt habe. »(Die Apparatur) entbehrt einer eindeutigen Abgrenzung der Aufgaben und Kompetenzen und leistet dem Ausweichen vor eindeutigen Entscheidungen Vorschub. Die Entfernung zwischen der Mitgliedschaft und den Spitzeninstanzen beeinträchtigt demokratische Meinungs- und Willensbildung und führt zur Teilnahmslosigkeit von erheblichen Teilen der Mitgliedschaft.« 64

Gurland konstatierte einen Überalterungsprozeß der SPD und einen zu geringen Anteil der Frauen an der Mitgliedschaft von nur 27 %, während die Frauen in Berlin 60,2 % der Wahlberechtigten stellten.

»Eine Technik direkter Einwirkung auf Berlins entscheidende Bevölkerungsgruppe ist von der sozialdemokratischen Organisation in den vergangenen Jahren nicht entwickelt worden.« 65

CDU: In fast allen westeuropäischen, am zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten waren – mit Ausnahme von Großbritannien – Mitte der vierziger Jah63 a.a.O., S. 28. 64 a.a.O., S. 29 f. 65 a.a.O., S. 31.

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re christlich-soziale oder christlich-demokratische Parteien entstanden, die nicht nur auf große Teile der katholischen Arbeiterschaft, sondern auch auf früher eher konservativ-nationalistisch orientierte, kleinbürgerliche Schichten eine Sogwirkung ausübten. Am Anfang dieser modernen bürgerlichen Massen- und Integrationsparteien standen einerseits christliche Widerstandszirkel (wie in Deutschland z.B. der »Kreisauer Kreis«) und die organisierte Résistance; andererseits die national denkenden, dem Staat gegenüber sich loyal verhaltenden Fraktionen des Bürgertums, die in die innere Emigration gegangen waren, und die nach der militärischen Niederlage des NS-Regimes versucht hatten, durch eine Aktionseinheit mit aktiven christlichen Widerstandskämpfern eine demokratische Legitimation zu erlangen. »Es war eine Reaktion sowohl auf den ethischen Nihilismus des Nationalsozialis-

mus und Faschismus als auch auf die moralische Rückgratlosigkeit, mit der sich unzählige Repräsentanten bürgerlicher Politik in den totalitären Ländern mit oder ohne unausgesprochene Vorbehalte den Machthabern anpaßten oder in von Naziheeren besetzten Ländern zu Collaborateuren wurden. An der Wiege der christlich-sozialen und christlich-demokratischen Parteien stand die Résistance, einerseits die aktive, sozial-radikale der jüngeren Intellektuellen, des niederen Klerus, der christlichen Gewerkschaftler, andererseits die passivere, frondierende, christlich-konservative der alten Oberschichten, der Honoratioren, der hohen Beamten, der Militärs. Beiden war weithin gemeinsam die Ablehnung eines hohlen Pseudo-Liberalismus schrankenloser Machtkonkurrenz, der das liberale Missionsbewußtsein des 19. Jahrhunderts längst preisgegeben hatte und dessen liberales Lippenbekenntnis skrupellose Profilsucht nur notdürftig verdeckte. Diese antiliberale Haltung, die sich mit scharfer Kritik an der Monopolwirtschaft eines unkontrollierten Konkurrenzkapitalismus verflocht, fand viele Berührungspunkte mit der Gesellschaftskritik und Soziallehre der katholischen Kirche und mit den sozialreformerischen Bestrebungen im Protestantismus. Sie suchte nach festen Grundlagen gesellschaftlicher Ordnung, nach einer Zähmung der anarchischen Kräfte einer Wettbewerbsgesellschaft, nach einer auf unumstößliches Recht gegründeten, festgefügten, in gewissem Sinne berufsständischen Gliederung des politischen und sozialen Bereichs. Hierin lag ein antikapitalistisches Element, aber auch eine Abgrenzung gegenüber sozialistischen Bestrebungen.« 66

Mit dem Ende des Dritten Reiches war auch das Ende des Zwangssyndikats der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und des Wehrwirtschaftsrates gekommen. Faktisch wurde jedoch vom Wirtschaftsrat (zunächst in Minden, später in Frankfurt/M.) und von den westlichen Militärbehörden die Zentralverwaltungswirtschaft der NS- und Kriegszeit bis zur Währungsreform im Juni 1948 beibehalten. Das Ende der Bewirtschaftung im Sommer 1948 und die Wiederherstellung eines freien Wettbewerbssystems führten – vor dem Hintergrund einer polemischen Auseinandersetzung mit Sozialausschüssen, SPD und KPD – in der CDU/CSU dazu, daß das antikapitalistische Denken 66 ebda.

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mehr und mehr an Bedeutung verlor. Gurland stellte die These auf, daß die Gründer der CDU in Berlin am 16. Juni 1945 ihre Legitimation ursprünglich aus den »Überlegungen und Besprechungen« aus der Zeit des Widerstandes gegen das NS-Gewalt-Regime hergeleitet hätten:

» ... aus einer Zeit, in der sich in Widerstandszentren, selbst in Gefängnissen und Konzentrationslagern, die Überzeugung Bahn gebrochen hatte, daß das politische Leben aus dem Geist einer weltanschaulich fundierten ethischen Haltung erneuert werden müsse, daß aber diese Erneuerung nicht auf konfessioneller Basis erfolgen und sich nicht am Vorbild einer konfessionell geprägten Partei – wie etwa das alte Zentrum oder der Konservativismus der Kaiserzeit – orientieren dürfe.« 67

Die drei Gruppen, die vor allem die Gründung der CDU bestimmt hätten (katholische Politiker des Zentrums, evangelische Politiker zum Teil aus dem Christlich-Sozialen Volksdienst und vom linken Flügel der Deutschnationalen Volkspartei und Mitglieder der Deutschen Demokratischen Partei (Deutsche Staatspartei)) seien bei der Gründung der CDU vom Konzept einer »Volkspartei« ausgegangen, um die Gründung vieler kleiner Parteien zu verhindern. Obwohl in der ersten Phase der sowjetischen Besatzungspolitik bei der CDU in der sowjetischen Besatzungszone eine unbewußte Anpassung an die von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) gebilligte »antifaschistische« Gesinnung nicht auszuschließen sei, habe der »ehrliche und unabhängige Wille zur Neugestaltung« die Berliner Organisation zum »Mittelpunkt freiheitlichen Widerstandes« werden lassen. Die Degradierung der CDU-Landesverbände in der sowjetischen Besatzungszone zu ausführenden Organen der Politik der SMAD habe zur organisatorischen Trennung des Landesverbandes Berlin von der »Ostzonen-CDU« geführt, »bis die politischen Verhältnisse in der Sowjetzone wieder eine unbehinderte und freie politische Tätigkeit zuließen« (Akten des Landesverbandes Berlin der CDU). In der folgenden Zeit habe der Berliner Landesverband der CDU bis zur Blockade versucht, auch im Interesse der Erhaltung der Parteiorganisation der »Ostzonen-CDU«, politisch vorsichtig zu lavieren. Aus taktischen Gesichtspunkten sei die antikapitalistische Konzeption als bindendes Glied herausgestellt worden. Nach der Blockade sei die Berliner CDU dann voll auf den Kampfkurs der CDU unter der Führung von Dr. Konrad Adenauer eingeschwenkt. Die Verschärfung der politischen Gegensätze zwischen CDU/CSU und SPD in der Bundesrepublik hätten das gute Einvernehmen der CDU zur SPD in Berlin negativ beeinflußt. Die wirtschaftliche Belebung, die Renaissance der »mehr oder minder freien Wettbewerbswirtschaft« und die »Erfolge der Liquidierung der Zwangswirtschaft, die den Stempel der CDU-Politik in der Bundesrepublik trugen«, hätten zu einem zunehmenden Desinteresse weiter Kreise der Bevölkerung an einer antikapitalistischen Politik geführt. 68 67 a.a.O., S. 33. 68 a.a.O., S. 36.

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In ihrer politisch-organisatorischen Struktur stelle die CDU einen quasi paradoxen Mischtypus aus konservativer Honoratiorenpartei und moderner Massenpartei dar:

»Sie ist weder eine Massenpartei mit dem Charakter oder doch zum mindesten der Tradition einer von dynamischer Mythosbeseeltheit – im Sinne Georges Sorels – getragenen sozialen Bewegung noch – im Sinne Max Webers – eine Honoratiorenpartei ohne organisierte Massengrundlage. Sie steht auch nicht in der Mitte zwischen beiden, sondern nähert sich in ihrer Struktur dem Typus der Honoratiorenpartei, nicht ohne jedoch über eine zahlenmäßig breite Mitgliedschaft als Fundament zu verfügen.« 69

Im Vergleich mit dem SPD-Landesverband Berlin unterschied sich der Landesverband der CDU nicht nur von der Mitgliederstruktur her, sondern auch durch seine Mitgliederstärke. Im Winter 1950 zählte dieser rund 10 500 Mitglieder, also nur wenig mehr als ein Viertel der Mitglieder in der Berliner SPD. Davon waren zwei Drittel keine Industriearbeiter, sondern a) 42,5 % Beamte und Angestellte; b) 13 % Selbständige aus Industrie, Handel und Handwerk; c) 11 % Angehörige der freien Berufe, Schüler und Studenten. Der Anteil der Arbeiter lag bei 10 % (unter Anrechnung des maximal errechenbaren Anteils von Arbeiterhausfrauen und Arbeiterinvaliden bei nicht mehr als 20 %). 36 % der CDU-Mitglieder in Berlin waren Frauen, d.h. etwa 10 % mehr als bei der SPD. Der CDU-Landesverband gliederte sich in nur locker zusammengefügte Kreisverbände, die sich jeweils eigene Kreissatzungen geben konnten. Die relative Autonomie der Kreisverbände, die im Jahre 1950 immerhin so groß war, daß die Kreisdelegiertenversammlungen die Besetzung von Parteiämtern auf der Kreisebene selbständig entscheiden konnten, war ein nicht zu übersehender Stimulus für die Mobilisierung der Mitglieder. Die Parteienstudie kam zu der Einschätzung, daß aufgrund der fehlenden Überorganisation sich Anzeichen für Apathie und Gleichgültigkeit in den zwölf CDU-Kreisverbänden nicht hätten ermitteln lassen. 70 FDP: Der politische Liberalismus in Deutschland nach 1945 sei, ähnlich wie im restlichen Europa, von vornherein bewußt gegen sozialistische oder christlich-soziale Bewegungen aufgetreten und habe die liberalen Ideen der Vergangenheit, nämlich das Recht auf Privateigentum, Meinungsfreiheit, Rechtssicherheit etc. offensiv erweitert um die programmatischen Forderungen des »Kampfes gegen den Kollektivismus«, der »freien Marktwirtschaft«, der Stärkung der Mittelschichten; in Berlin sei er darüber hinaus auch für die Wiedereinführung des Berufsbeamtentums und gegen die Einführung der Einheitsschule eingetreten. »Eine demokratisch-liberale Tendenz stand von Anfang an einer kapitalistischkonkurrenzwirtschaftlichen gegenüber. Humanistisch-aufklärerisch-liberales Gedankengut, betreut von dünn gesäten Gruppen kompromißloser Intellektueller, traf

69 a.a.O., S. 37. 70 a.a.O., S. 37 ff.

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Tilman Fichter / Siegward Lönnendonker zusammen mit realpolitisch-taktischen Bemühungen von Wirtschaftlern, Managern, Produktionsspezialisten, Bankleuten, Technikern, denen es im wesentlichen um Produktionsförderung und Rechtssicherheit ging. Schon im Ansatz waren Spannungen da. Es ging darum, ob Politik von Freiheitsphilosophen gemacht werden würde oder von parlamentarischen Sachwaltern wirtschaftlicher Interessen.« 71

Unter der Leitung ihres nationalkonservativen Landesvorsitzenden CarlHubert Schwennicke gewann die FDP bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen am 3. Dezember 1950 prozentual am meisten Stimmen hinzu. Sie erhielt 23%, d.h. 32 Sitze. Die CDU gewann 24,6%, d.h. 34 Sitze; der bürgerliche Block konnte also 66 Sitze erringen, während die Sozialdemokratie es nur auf 61 Sitze brachte. Die Hauptparolen der FDP in diesem Wahlkampf waren gewesen: »Kampf der ›sozialistischen‹ Einheitsschule« und »Kampf der ›sozialistischen‹ Einheitsversicherung«. (Ursprünglich hatte die FDP, die sich zuerst LDP genannt hatte, zusammen mit der SPD am 1. Juli 1948 in der Berliner Stadtverordnetenversammlung gegen die Stimmen der CDU-Fraktion noch für die Annahme des später von ihr bekämpften »Schulgesetzes für Groß-Berlin« gestimmt.) Ihre Redner griffen auf den Wahlveranstaltungen das »unwirtschaftliche und verschwenderische Einheitssystem der Sozialversicherung »an und polemisierten gegen das »Parteibuchbeamtentum Statt dessen forderte die FDP die Wiedereinführung des in Berlin 1945 abgeschafften Berufsbeamtentums:

»Den traditionellen liberalen Postulaten der Verwaltungsreform und der Selbstverwaltung durch Wahlbeamte, die in den Programmkatalog der SPD übergegangen waren, wurde die aus dem konservativen Ideenschatz stammende Vorstellung von einem charakterstarken Berufsbeamtentum entgegengestellt.« 72

Mit dieser Forderung machte sich die FDP auch ausdrücklich zur Fürsprecherin für die wegen ihrer NSDAP-Mitgliedschaft bei der Entnazifizierung amtsentfernten Beamten, ohne auf die Frage einzugehen, inwieweit diese ihren Eid auf die Verfassung der Weimarer Republik gebrochen hatten. Der Redaktionsstab der wahl- und parteiensoziologischen Studie sah in der damaligen sozialen Schichtung der FDP-Mitgliedschaft die objektive Grundlage für eine ganz bestimmte Interessenpolitik. Der Anteil der Angestellten (einschließlich der technischen und der im öffentlichen Dienst) betrug in der FDP allein 40,4 %; der der Selbständigen in Handel und Industrie 18,7 %; der der freiberuflich Tätigen und Studenten 18,2 %; der Anteil der Industriearbeiter lag mit nur 4,3% von allen im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien bei der FDP am niedrigsten. 73 Im 11. Kapitel der Studie kommt Gurland im Unterkapitel »Ein historischer Vergleich« zu dem Schluß, daß die politische Machtverschiebung im Dezember 1950 durch den fluktuierenden Teil der Wählerschaft, der nicht 71 a.a.O., S. 40. 72 a.a.O., S. 113. 73 a.a.O., S. 44 f.

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zum festen Wählerstamm einer bestimmten Partei gehörte, verursacht wurde. Nach einer ideologiekritischen Auseinandersetzung mit dem in der deutschen Presse verwendeten Begriff »politisches Treibholz« untersucht er die Bedeutung dieses »floating vote«. »Die Vorstellung von den nicht parteigebundenen Wählern als ›Treibholz‹ ist symptomatisch. Sie entstammt einer Periode, in der die relative Stabilität eines Parteiengleichgewichts und das Fortbestehen der traditionellen Parteiengebilde zum normalen Ablauf des politischen Geschehens gehörten. ... Seit jenen idyllischen Zeiten einer halbkonstitionellen Monarchie ist der Glaube an die Stabilität einer althergebrachten Parteienbalance erschüttert worden. ... Aber gerade angesichts einer Wahlentscheidung, in der allem Anschein nach das floating vote den Ausschlag gegeben hat, ist zu fragen, ob der von der fluktuierenden Wählerschaft bewirkte ›Erdrutsch‹ auch tatsächlich einer Auflockerung der überlieferten Parteienkonstellation gleichkommt.« 74 Denn jede der drei Parteien verkörpere eine »politische Orientierung von reichlich traditionellem Gepräge«, und hinter jeder dieser Parteien stehe eine soziale Gruppe oder Klasse mit einem System von ökonomischen Interessen und politischen Überzeugungen:

»einem sozialistischen (mit mehr oder minder ausgeprägtem Willen zur Umgestaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung), einem christlich-konservativen (mit größerer oder geringerer Betonung sozialen Neuordnungswillens) und einem kapitalistisch-liberalen (mit schwächerem oder stärkerem Nachdruck auf nationalliberal-alldeutscher oder demokratisch-freisinniger Überlieferung). Trotz organisatorischem Neubau (dessen Tragweite strittig sein kann), führt jede dieser Parteien die Linie dieser politischen Tradition weiter, die bis in die Weimarer Republik und sogar bis ins Kaiserreich zurückreicht. Es muß daher auch einmal untersucht werden, ob das Stärkeverhältnis, in dem diese Gebilde nach 1945 aufgetreten sind, in seiner anfänglichen Gestaltung und in den Veränderungen, die es seither erfahren hat, eine echte Um- oder Neugruppierung der politischen Kräfte zum Ausdruck bringt.« 75

Bei der typologischen Aufgliederung der führenden Parteien der Weimarer Zeit in einen sozialistischen, einen konservativ-christlichen und einen liberalen Block zeigten sich – bei all den notwendigerweise entstehenden Fehlern, die ein historischer Vergleich mit sich bringe – für Berlin »bemerkenswerte Parallelen« der Kräfteverteilung der ersten Berliner Wahlen in der Weimarer Republik zu denen nach 1945. Es stelle sich die Frage, ob nicht ähnliche Kräfte wie die vornationalsozialistischen Strömungen, die in den ersten Jahren der Weimarer Republik nach dem Scheitern des Kapp-Putsches im Schatten des konservativen Lagers standen, »heute im Schatten des liberalen Blocks einer aktiveren Zukunft entgegensehen.

74 a.a.O., S. 200. 75 a.a.O., S. 200 f.

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Tilman Fichter / Siegward Lönnendonker ... die Nachkriegs-FDP bringt ja gerade das extreme kapitalistische Manchestertum in seiner alten, auch dem kulturpolitischen Liberalismus wenig zugeneigten deutschen Abart und den demokratischen Sozialliberalismus unter einen Hut, und das nicht etwa in organischer Verschmelzung, sondern in latenter Spannung; der Vergleich ist demnach nicht ganz so unberechtigt, wie es auf den ersten Blick erscheint.« 76

Bei allen bestehenden Unterschieden erweise sich,

»daß der ›Erdrutsch‹ von 1950, der den sozialistischen Block von 64 auf 45 % zusammenschrumpfen ließ, 1921 seinen historischen Präzedenzfall gehabt hat: mit der Überwindung des ersten Nachkriegschaos zeigt die politische Balance 1950 dieselbe Kräfteverteilung an wie 1921. Hier scheint also nicht eine Auflockerung, sondern die Restauration einer überlieferten Parteienkonstellation eingetreten zu sein; es könnte sogar die Vermutung angestellt werden, daß der in ›revolutionären‹ Zeiten fluktuierende Teil der Wählerschaft in seine ›organische Normallage‹ zurückgeflutet ist.« 77

Im Mittelpunkt der hier in extenso zitierten Studie über die parteipolitische Konstellation in Berlin zu Beginn der fünfziger Jahre stand also die Frage nach den politischen und organisatorischen Ursachen für die Wahlniederlage des SPD-Landesverbandes Berlin. Weder die Ziele noch die Realität der US-amerikanischen bzw. der sowjetischen Deutschlandpolitik nach 1945 und mögliche Widersprüche in diesen Konzeptionen waren in die Untersuchung miteinbezogen. Der Redaktionsstab ging vielmehr von einer, zum Zeitpunkt ihrer Analyse gegebenen, innen- und außenpolitischen Situation aus, ohne sich allerdings mit diesem status quo zu identifizieren. Sein Erkenntnisinteresse richtete sich im wesentlichen auf die Frage, wie es geschehen konnte, daß die klassischen politischen Strömungen im deutschen Bürgertum – die sich nach der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Jahre 1945 nicht nur in einer Legitimationskrise befunden, sondern ihre moralische Legitimation aufgrund ihrer Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 vollständig verloren hatten – schon knapp fünf Jahre nach Kriegsende mehr Stimmen, sowohl bei der Wahl zum ersten Bundestag am 14. August 1949 als auch bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 3. Dezember 1950, auf sich vereinigen konnten als die Sozialdemokratie. Obwohl die SPD, neben der KPD, im Jahre 1945 die einzige Partei war, die als Gesamtpartei eine ungebrochene antinationalsozialistische Tradition in Anspruch nahm, war es ihr doch nicht gelungen, die republikanischen Teile der katholischen Arbeiterbewegung und die bürgerlich-demokratischen Kräfte, die vor 1933 der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) nahegestanden hatten, politisch und organisatorisch an sich zu binden. Stattdessen begaben sich die christlich-konservativen Oberschichten, die hohe Beamtenschaft und die Militärs in ein tendenziell opportunistisches Bündnis mit den christlichen Anti76 a.a.O., S. 202. 77 a.a.O., S. 203.

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faschisten, und dieses Amalgam aus bürgerlicher Kontinuität und antinationalsozialistischem Pathos erwies sich in den entscheidenden Nachkriegsjahren als tragfähig genug, Wählergruppen wie die christliche Gewerkschaftsbewegung und die Bauernverbände, die auch schon in der Weimarer Republik ihr traditionelles Wählerpotential gewesen waren, erneut für ihre politischen Ziele zu mobilisieren. Der Typus der CDU als einer überkonfessionellen, antinationalsozialistischen, in der Tradition der christlichen Soziallehre stehenden Massenpartei, bedeutet zwar insofern einen Bruch in der Geschichte der bürgerlichen Parteien in Deutschland, als dadurch die Zersplitterung des bürgerlichen Lagers in eine Kampfpartei des politischen Katholizismus, in eine offen imperialistisch auftretende, national-konservative Partei und in ein – in sich fraktioniertes – Lager des politischen Liberalismus in Form einer modernen Massen- und Integrationspartei überwunden werden sollte, Angesichts der antikapitalistischen Grundeinstellung großer Teile der christlichen Gewerkschaftsbewegung und der kleinbürgerlichen Schichten verzichtete das Kapital in der Gründungsphase der CDU/CSU auch noch weitgehend darauf, seine Interessen in den ersten programmatischen Erklärungen offensiv durchzusetzen, weil sonst die Sogwirkung auf diese Zielgruppen in Frage gestellt worden wäre. Nachdem sich bereits in der ersten Phase herausgestellt hatte, daß das Konzept einer bürgerlichen Blockpartei nicht zuletzt deshalb Erfolg versprach, weil die traditionelle Parteienbalance durch das NS-Regime zerstört worden war, zeigte sich aber, daß die SPD weder organisatorisch noch theoretisch in der Lage war, diese – ihr bisher fremd gebliebenen – Gruppen nun ihrerseits für ihre gesellschaftspolitischen Ziele zu gewinnen. Als diese Entwicklung durch den sich verschärfenden Ost-West-Konflikt und das Zerbrechen des antifaschistischen Einheitsmythos noch beschleunigt wurde, sah sich die SPD zunächst wieder einmal auf ihre traditionelle Wählerbasis, das Industrieproletariat, zurückverwiesen. Ausgehend von der hier prononciert wiedergegebenen Argumentationslinie untersuchte der Redaktionsstab der Studie »Wahlkampf und Machtverschiebung« am Beispiel des Berliner Landesverbandes der SPD die Frage, inwieweit die Organisationswirklichkeit, die Mitgliederstruktur und der Meinungs- und Willensbildungsprozeß in der SPD Konsequenzen aus den Wahlniederlagen möglich machten oder nicht. Ein großer Teil der Gründer, Initiatoren und ersten Mitarbeiter des IfpW stand in einer marxistischsozialdemokratischen Tradition; diese setzten sich aber gerade auch deshalb kritisch mit den historischen Erfahrungen der Arbeiterbewegung auseinander. Während für die meisten der in die Vereinigten Staaten emigrierten politisch engagierten Sozialwissenschaftler nach 1945 keine Alternative zur Zusammenarbeit der europäischen Arbeiterbewegung mit den westlichen Besatzungsmächten denkbar war, standen andere, die in Deutschland geblieben waren, dieser Zusammenarbeit, die letztendlich auf eine Westorientierung der Bundesrepublik hinauslief, sehr viel zurückhaltender gegenüber. Dieser ten-

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denzielle Konflikt spielte aber in der Gründungsphase des IfpW deshalb keine große Rolle, weil, wegen der Berlin-Blockade und anderer massiver Interessenkonflikte zwischen der UdSSR und den USA, diese Fragen zumindest kurzfristig durch tagespolitische Ereignisse überlagert wurden. Im Rahmen unseres Essays kann diese Problematik, die im Herbst 1951 im IfpW anhand einer geplanten Studie zum Thema »Neutralisierung (Deutschland zwischen Ost und West)« 78 andiskutiert wurde, nicht weiterverfolgt werden. Die Autoren der Wahl- und Parteienstudie kannten aufgrund ihrer Analyse der Parteienlandschaft der Berliner Nachkriegssituation die politischen und sozialpsychologischen Rahmenbedingungen für ihre wissenschaftliche Arbeit sehr genau. Viele der in unserem Aufsatz über die Gründungsphase des IfpW dargestellten Schwierigkeiten und persönlichen Differenzen können nicht allein auf die mehr oder minder zufälligen persönlichen Konstellationen zurückgeführt werden, sondern lassen sich nur vor dem Hintergrund der Nachkriegsgeschichte Berlins erklären. Darüber hinaus sahen wohl alle Mitarbeiter des Ifpw in seiner Gründungsphase die Aufgabe der Politikwissenschaft darin, das Verhältnis von Politik und Politikanalyse selbst zu einer zentralen Fragestellung dieser Disziplin zu machen. Der generelle Verdacht gegen die Politologie zu Beginn der fünfziger Jahre in Deutschland, sie sei unfähig gewesen, »die politische Wirklichkeit des westdeutschen Herrschaftssystems« 79 zu analysieren, nimmt, so scheint uns, die konkreten Forschungsergebnisse der Politikwissenschaft aus jener Zeit nicht ernst. Ob man mit den damals angewandten Untersuchungsmethoden und der Interpretation der Forschungsergebnisse aus der heutigen Sicht übereinstimmt, ist eine ganz andere Frage. Auf jeden Fall sind diese Studien aber nicht nur wichtige historische Dokumente aus der Frühphase der Wissenschaft von der Politik im Nachkriegsdeutschland; sie spiegeln auch das Selbstverständnis der Gründer, Initiatoren und ersten Mitarbeiter des IfpW wieder, die sich nicht nur als engagierte Sozialwissenschaftler verstanden, sondern auch als politische Akteure, die die Resultate ihrer politikwissenschaftlichen Forschung zum Ausgangspunkt für ihr politisches Handeln genommen haben. Der von uns vorgelegte dokumentarische Essay versteht sich als ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der westdeutschen Politologie, der auf einen Mangel in der bisherigen Aufarbeitung der Entstehungsphase der Politikwissenschaft hinweisen möchte. Mit der Studie »Wahlkampf und Machtverschiebung« wurde im 78 Archiv ZI 6, Akte »Neutralisierung (Deutschland zwischen Ost und West)«; Dr. Walther Hofer legte im Frühjahr 1951 auf Anregung des Institutsvorstandes einen Forschungsentwurf zum Thema »Die gegenwärtige Situation der Neutralisierungsbewegung in der Deutschen Bundesrepublik« im IfpW vor. Leiter der Arbeitsgruppe sollte Dr. Heinrich von der Gablentz werden, außerdem sollten Prof. Dr. Hans Herzfeld als Ordinarius für neuere Geschichte und mindestens drei wissenschaftliche Assistenten mitarbeiten. 79 Hans Kastendiek, »Desintegration einer Integrationswissenschaft«, a.a.O., S. 70.

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IfpW ein erster Versuch unternommen, – ausgehend von einem bestimmten wissenschaftstheoretischen Vorverständnis – der akademischen Öffentlichkeit in Deutschland die Leistungsfähigkeit eines selbständigen sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts und die Tragfähigkeit eines historisch und empirisch orientierten Forschungsansatzes vor Augen zu führen. Das Resultat war eine engagierte Wahl- und Parteienstudie mit dem Anspruch, unmittelbar die politische Diskussion zu beeinflussen.

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7. Die »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik«

Mit dem zweiten Band der Schriftenreihe des Instituts für politische Wissenschaft, einem Sammelband zum Thema »Faktoren der Machtbildung – Wissenschaftliche Studien zur Politik«, 80 versuchten die Mitarbeiter des IfpW im Mai 1952, gezielt auf die damals geführte hochschulpolitische Diskussion einerseits einzugreifen; andererseits wollten sie auf die fachinterne Auseinandersetzung auf der ersten öffentlichen Tagung der neugegründeten »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« über die Problemstellung, die analytischen Begriffe und die Methoden der sich konstituierenden Spezialdisziplin Politische Wissenschaft Einfluß nehmen. Die Bildung dieser Vereinigung war die Konsequenz von mehreren Tagungen und Konferenzen in den Jahren 1949–1951, in deren Verlauf sich die ersten Konturen der neuen Wissenschaft – sowohl was die personelle Zusammensetzung als auch die inhaltlichen Konzeptionen betraf – abzeichneten. Die Konferenz von Waldleiningen vom 10. und 11. September 1949, an der noch Vertreter aller geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen teilgenommen hatten, war nicht über die Empfehlung hinausgegangen, für die als »dringend« angesehene »Einbeziehung der politischen Wissenschaft in den Studienplan der Universitäten und Hochschulen ... Lehrstühle der politischen Wissenschaft« zu errichten. 81 Auf der Berliner Konferenz der DHfP vom 16. bis 18. März 1950, deren Teilnehmer schon fast ausnahmslos eine eigenständige westdeutsche Politikwissenschaft befürworteten, wurde dann die »Errichtung eigener Forschungszentren, Lehrstühle und Arbeitsgemeinschaften« als organisatorische Voraussetzung für die Etablierung der politikwissenschaftlichen Forschung und Lehre an den Universitäten und Hochschulen gefordert. 82 Um die bereits skizzierten Widerstände – besonders der klassischen Fakultäten – zu überwinden, wurde es für notwendig erachtet, eine Fachvereinigung zu bilden, mit dem Zweck, die bisher weitgehend nur auf regionaler Ebene wirksamen personellen Kontakte zu koordinieren; darüber hinaus sollte durch diese Gründung ein Diskussionsprozeß auf wissen80 Faktoren der Machtbildung – Wissenschaftliche Studien zur Politik. Mit Beiträgen von Karl Dietrich Bracher (Auflösung einer Demokratie/ Das Ende der Weimarer Republik als Forschungsprogramm), Martin Drath (Die Gewaltenteilung im heutigen deutschen Staatsrecht), Otto Heinrich von der Gablentz (Macht, Gestaltung und Recht – Die drei Wurzeln politischen Denkens), Arkadius Rudolf Lang Gurland (Politische Wirklichkeit und Politische Wissenschaft; und: Amerikanische Wahlanalysen Notizen zur neueren Fachliteratur) und Ernst Richert (Aus der Praxis totalitärer Lenkung/ Die politische Entwicklung im Kreis Schmalkalden 1945– 1949). Redaktion: A. R. L. Gurland (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft, Band 2) Berlin 1952. 81 Die politische Wissenschaft an den deutschen Universitäten und Hochschulen, a.a.O. (s.o.Anm.31) S. 155. 82 Die Wissenschaft im Rahmen der politischen Bildung, a.a.O. (s.o. Anm. 27, S. 27.

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schaftlichen Tagungen und in einer Zeitschrift für Politikanalyse in Gang gesetzt werden, in dem die Politikwissenschaftler im Nachkriegsdeutschland die Möglichkeit haben sollten, ihr Verständnis von den inhaltlichen Aufgaben ihres Fachs zu entwickeln. Ein weiterer Schritt in diese Richtung war die »Tagung über politische Wissenschaften an den deutschen Universitäten und Hochschulen« am 15. und 16. Juli 1950 in Königstein/Taunus. Neben den Empfehlungen für eine größere Berücksichtigung der politischen Wissenschaften in den Studienplänen der Hochschulen, für eine »planmäßige Zusammenarbeit« der Dozenten der benachbarten Disziplinen und für die Einführung der »Möglichkeit der Promotion auf dem Gebiet der Wissenschaft von der Politik« hielten die Teilnehmer der Konferenz es nun für notwendig, »eine Vereinigung zu bilden, deren Aufgabe es sein soll, einen regen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen den Vertretern der Wissenschaft von der Politik und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens herzustellen und die planmäßige Zusammenarbeit über die Aufgabe der politischen Wissenschaften zu fördern«. 83 Die Tagung bildete einen Ausschuß, der die geeignetste Organisationsform einer solchen Vereinigung auf nationaler Ebene herausfinden und die Gründung vorbereiten sollte. Nachdem daraufhin über ein halbes Jahr in dieser Angelegenheit wenig geschehen war, wurde die Gründungsversammlung überraschend für den 10. Februar 1951 vom vorbereitenden Ausschuß wieder nach Königstein einberufen. Laut Protokoll wurde der Zeitpunkt »aus Zweckmäßigkeitsgründen« festgesetzt, und zwar »nur zur Erledigung der Formalitäten«. Inzwischen hatte nämlich der Amerikanische Hohe Kommissar – offensichtlich um die Gründung der Vereinigung zu beschleunigen – eine Spende von ca. DM 25.000,- für einen Forschungsfonds in Aussicht gestellt; dadurch war die Einberufung der Gründungsversammlung dringend notwendig geworden, weil diese so schnell wie möglich einen Forschungsausschuß einrichten mußte: nur ein solcher Forschungsausschuß konnte die zu erwartenden Gelder verwalten. Der vorbereitende Ausschuß unterbreitete am 10. Februar 1951 Vorschläge für die personelle Besetzung des Forschungsausschusses und lud die von ihm vorgeschlagenen Mitglieder bereits von sich aus zu dieser Gründungsversammlung ein. Darüber hinaus waren außer den Teilnehmern der ersten Königsteiner Konferenz vom 15. und 16. Juli 1950 nur wenige Personen geladen, darunter der hessische Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD) – die hessische Landesregierung hatte die Kosten der Tagung über83 Archiv ZI 6, Akte, »Protokolle des IfpW und der ›Vereinigung ...‹ 1950–1954«, Entschließung vom 16. Juli 1950; auch abgedruckt in: Über Lehre und Forschung der Wissenschaft von der Politik, Gesamtprotokoll der Konferenz von Königstein vom 15. und 16. Juli 1950, Hg v. hessischen Ministerium für Erziehung und Volksbildung, Wiesbaden, o.J.

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nommen –, der hessische Kultusminister Ludwig Metzger, der ChefHistoriker von HICOG Prof. Harold Zink als Beobachter der International Political Science Association« (IPSA) und Prof. John Brown Mason, Leiter der »Division of Civil and Legislative Affairs« (HICOG), als offizieller Vertreter des Amerikanischen Hohen Kommissars in Deutschland. 84 Die Gründungsmitglieder – es waren ungefähr 35 – der »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« beschlossen eine Satzung, die in § 1 als Zweck des Zusammenschlusses festlegte: »Die Vereinigung hat die Aufgabe, Forschung und Lehre der Wissenschaft von der Politik zu fördern, auch durch Erfahrungs- und Meinungsaustausch mit dem Ausland. Die Vereinigung verfolgt weder parteipolitische Zwecke noch vertritt sie Berufsoder Standesinteressen. Sie hat auch keine Erwerbsabsichten, sondern erstrebt lediglich die im ersten Absatz genannten Zwecke.« 85

Zum Ehrenvorsitzenden wurde Geheimrat Prof Dr. Alfred Weber (Heidelberg), zum Vorsitzenden des aus sechs Mitgliedern bestehenden Vorstandes Prof. Dr. Alexander Rästow (Heidelberg) gewählt. Der Vorstand beauftragte Dr. Otto Suhr (DHfP, Berlin) mit der Geschäftsführung. (Neben Otto Suhr wurde vom IfpW noch das Mitglied des wissenschaftlichen Beirats Prof. Dr. Wolfgang Abendroth (Wilhelmshaven) in den Vorstand gewählt.) Im weiteren Verlauf der Gründungsversammlung präzisierte Otto Suhr im Namen des vorbereitenden Ausschusses die vordringlichen Aufgaben der Vereinigung: die Werbung unter allen Hochschullehrern, die Veranstaltung einer wissenschaftlichen Tagung und die Herausgabe einer Zeitschrift. Diesen Vorschlägen stimmte die Gründungsversammlung zu und legte gleichzeitig die Themen für die zunächst geplanten wissenschaftlichen Tagungen fest: für das Jahr 1951 »Der politische Führungsanspruch in der Demokratie«, für das Jahr 1952 »Das Problem der Bürokratie« und für das Jahr 1953 »Das Problem der Parteien«. 86 84 Archiv ZI 6, a.a.O., Kurzprotokoll der Gründungsversammlung der Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik vom 10.2.1951, S. 1. 85 Archiv ZI 6, a.a.O., Vereinigung der Wissenschaft von der Politik, Satzung § 1. 86 Otto Stammer hat 1955 in Zusammenhang mit der Gründung der »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« in seinem Beitrag »Politische Soziologie« darauf hingewiesen, daß »seit der Gründungskonferenz ... in Königstein, Februar 1951 ... der Ausdruck ›Wissenschaft von der Politik‹ als Sammelname für alle wissenschaftlichen Bestrebungen gebraucht wird, die Talbestände des politischen Lebens zu erforschen. In diesem Sinne ist die Politikwissenschaft eine ›Integrationswissenschaft‹. Zur Untersuchung spezifischer, das politische Geschehen und die machtzusammenhänge angehender Fragestellungen bedarf sie der Forschungsbeiträge seitens der verschiedenen Sozialwissenschaften.« Otto Stammer, Politische Soziologie, in: Arnold Gehlen und Helmut Schelsky (Hg), Soziologie Ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, Düsseldorf-Köln 1955, S. 328.

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Die eigentliche Diskussion entzündete sich auf der Gründungsversammlung jedoch über die Modalitäten der notwendig gewordenen Einrichtung eines Forschungsfonds der Politischen Wissenschaft. Vor allem wurde auf die Diskrepanz zwischen den in der Präambel des vorgelegten Stiftervertrages genannten Forschungsaufgaben und den in absehbarer Zeit verfügbaren finanziellen Mitteln verwiesen. Außerdem befürchteten einige der Gründungsmitglieder, daß durch die Spende des Amerikanischen Hohen Kommissars eine Festlegung der Politikwissenschaft in Deutschland auf die Forschungsmethoden der »direkten Beobachtung und Erkundung »erfolgen solle. Darauf erklärte Prof. Mason, daß der Umfang des Forschungsprogramms vorläufig begrenzt werden müsse und daß keinerlei Eingriffe in die Freiheit der Forschung beabsichtigt seien; jedes Forschungsprojekt solle in Eigenverantwortung des verantwortlichen wissenschaftlichen Projektleiters veröffentlicht werden. Die Versammlung gab daraufhin einstimmig ihre Zustimmung zum Abschluß eines Stiftervertrages und die Genehmigung für die Errichtung und Verwaltung des Forschungsfonds. 87 Anschließend wurden die vom vorbereitenden Ausschuß vorgeschlagenen Wissenschaftler in den Forschungsausschuß gewählt: Vorsitzender des aus sieben Mitgliedern bestehenden Ausschusses wurde Prof. Dr. Wolfgang Abendroth, zum Sekretär wurde Dr. Otto Heinrich von der Gablentz (DHfP, Berlin) gewählt.(Außer den Genannten gehörten dem Forschungsausschuß vom Ifpw noch das Mitglied des Vorstandes Prof. Dr. Martin Drath sowie die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats Prof. Dr. Hermann Louis Brill (Wiesbaden) und Prof. Dr. Otto Stammer (Berlin) als stellvertretende Mitglieder an.) Als korrespondierende ausländische Mitglieder wurden Prof. Dr. Arnold Brecht (New York), Prof. Dr. Karl Löwenstein (New York), Prof. John Brown Mason (Frankfurt/M.), Prof. Dr. Dr. Franz L. Neumann (New York) und Prof. Dr. James K. Pollock (Michigan) hinzugewählt. 88 87 In der Folge wurden aus diesem Fonds hauptsächlich die Arbeiten der von Dolf Stemberger geleiteten Heidelberger Studiengruppe über die parlamentarische Rolle der Parteien in der Bundesrepublik gefördert. 88 Archiv ZI 6, a.a.O., Kurzprotokoll der Gründungsversammlung der Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik vom lo.2.51., S. 2 ff. In einer offiziösen Darstellung der »Zeitschrift für Politik«, (Hans-Joachim Bloch, Die (deutsche) Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik, in: Zeitschrift für Politik, Jg.1 (Neue Folge), Heft 2, Berlin Juli 1954, S. 190 f) wird die Gründung der »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« auf drei Ereignisse zurückgeführt : 1. Das erste wichtige Ereignis sei die Gründung der »international Political Science Association« (IPSA) gewesen, die den »Wunsch, in Deutschland eine nationale Organisation zu bilden ... immer unterstützt« habe. (Tatsächlich bestanden jedoch gegen die Aufnahme einer deutschen Organisation starke Widerstände in der IPSA. Noch im Mai 1952 schreibt Otto Suhr in einem Protokoll, daß bis dahin we-

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Die spätestens für das Wintersemester 1951/52 geplante Berliner Tagung der »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« verzögerte sich jedoch bis ins Sommersemester 1952. A.R.L. Gurland, der auch an der Gründungsversammlung der Vereinigung am 10. Februar 1951 teilgenommen hatte, sah durch diese zeitliche Verschiebung eine Chance, die inhaltliche Konzeption des geplanten zweiten Institutsbandes so zu verändern, daß die einzelnen Beiträge auf den Diskussionsverlauf der Tagung Bezug nehmen konnten. Vor allem durch seinen eigenen – ursprünglich nicht vorgesehenen – Beitrag »Politische Wirklichkeit und Politische Wissenschaft« legte Gurland einen Vorschlag für die Konzeption und Perspektive der politischen Wissenschaft in Westdeutschland vor. 89 Daß er dieses Vorgehen in Diskussionen mit gen der »von Seiten Israels (erhobenen) Bedenken« kein Aufnahmeantrag gestellt worden sei. (Archiv ZI 6, a.a.O., Protokoll der a.o. Mitgliederversammlung der Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik vom 10.2.51, S. 2 ff) Erst auf dem IPSA-Kongreß am 8. und 9. September 1952 im Haag wurde die deutsche »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« bei einer Stimmenenthaltung aufgenommen. (Archiv ZI 6, a.a.O., Rundbrief Nr. 1 der Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik, Berlin März 1953, S. 4) 2. Das zweite für die Gründung der Vereinigung wesentliche Ereignis sei der Bericht der im Oktober 1949 von der Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK) eingesetzten Kommission zur »Frage der Einführung der politischen Wissenschaften an den deutschen Hochschulen und Universitäten« gewesen. (Aufgrund dieses Berichtes empfahl die WRK auf ihrer Sitzung am 2. März 1950 in Hannover die »Zusammenarbeit der mit solchen Aufgaben befaßten Dozenten an jeder Hochschule« und die Gründung einer »Vereinigung für die wissenschaftliche Behandlung politischer Probleme im Gebiete der Bundesrepublik« (Beschluß der Westdeutschen Rektorenkonferenz zum »Studium der Politischen Wissenschaften abgedruckt in: Dokumente zur Hochschulreform 1945–1954, bearbeitet von Rolf Neuhaus, Wiesbaden 1961, S. 41). 3. Das dritte wichtige Ereignis schließlich sei die erste Tagung der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin vom 16. bis 18. März 1950 und die Gründung des Instituts für politische Wissenschaft durch die FU und die DHfP gewesen. Mit der ersten »Feststellung« der Tagung sei das »Ringen um die Möglichkeit einer politischen Wissenschaft sui generis – wie es sich z.B. noch in der Konferenz von Waldleiningen gezeigt hatte – abgeschlossen« gewesen – (Diese Darstellung ist – wie in diesem Beitrag vorher gezeigt – unvollständig: Während die Konferenz von Waldleiningen in ihren Empfehlungen nur die Ergänzung der Studienpläne durch die politische Wissenschaft in Richtung eines Studium Generale zum Thema hatte, konstatierte die Berliner Tagung erstmals das Vorhandensein einer eigenständigen Disziplin Wissenschaft von der Politik. (Feststellungen der Berliner Tagung der DHfP 1950, in: Die Wissenschaft im Rahmen der politischen Bildung, a.a.O. (s.o.Anm.27 ), S. 27) 89 Noch am 11. September 1951 sah ein Plan für den zweiten Band der Institutsreihe unter dem programmatischen Thema »Auf dem Weg zu einer Wissenschaft von der Politik« außer den schließlich erschienenen Beiträgen von Bracher, Drath, v.d.

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Zur Frühgeschichte des IfpW

den Mitarbeitern und dem Vorstand des IfpW abgesichert hatte, zeigen die einzelnen Beiträge des Sammelbandes ebenso wie das Vorwort des Institutsvorstandes zu diesem Band:

»Dem Institut für politische Wissenschaft gereicht es ... zur besonderen Genugtuung, daß es diesen Sammelband gerade zur ersten Tagung der Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik vorlegen kann: es verbindet damit die Hoffnung, daß sich der Band als Anregung und Ansatzpunkt zur Schaffung einer Tribüne für wissenschaftlich-politische Diskussion – in Gestalt einer Zeitschrift – erweisen möge.« 90

8. Freiheit als Maxime der Politikwissenschaft

Gurland und seine Mitarbeiter nahmen in diesem Band die Auseinandersetzung wieder auf, die zwischen den engagierten Sozialwissenschaftlern aus der Emigration und dem Widerstand auf der einen Seite und der ersten Nachkriegsgeneration an den deutschen Hochschulen auf der anderen Seite über die Entstehung des Nationalsozialismus, die Machtübernahme und die Machtausübung durch das NS-Regime, das Verhältnis von Staat und Recht, die Verteilung von Macht im nationalsozialistischen System und die Funktion des Antisemitismus und des Terrors begonnen worden war. Gurland argumentierte in seinem Beitrag für die Berliner Tagung der »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« auf zwei Ebenen: auf der philosophischtheoretischen leitete er die unbedingte Notwendigkeit und Unteilbarkeit absoluter Freiheit der Meinung und der Information für jede Wissenschaft ab und zog daraus die Konsequenz für die politikwissenschaftliche Praxis: die Bedingungen unter den je gegebenen politischen Systemen zu erforschen, unter denen Freiheit objektiv möglich sei, d.h., aus dem Anspruch der Wissenschaft nach Freiheit ergab sich logisch der spezielle Forschungsgegenstand der Politischen Wissenschaft. Für ihn als Politikwissenschaftler, der seine Theorie auch konsequent als wissenschaftlicher Politiker in die Praxis umsetzen wollte, stellte sich der von manchen Sozialwissenschaftlern geäußerte Zweifel am Vorhandensein eines speziell politikwissenschaftlichen Forschungsgegenstandes nicht. »Wie wichtig ist politische Freiheit im Gesamtzusammenhang der Zeitsituation?« 91 Mit dieser zentralen Frage stellte Gurland das Wesen der Freiheit Gablentz und Richert noch einen Literaturbericht über wissenschaftliche Wahlanalysen von Stephanie Münke, einen Aufsatz über die »deutsche Neutralisierung« von Walther Hofer und einen ideologiekritischen Beitrag von Otto Stammer vor. Gurland selber wollte damals noch über ein Thema aus dem Gebiet des politischen Antisemitismus schreiben. (Archiv ZI 6, Akte »Protokolle, Vorstand, Mitglieder und Schriftwechsel dazu 1951–1958«, Plan für Band 2 der Schriften des Instituts für politische Wissenschaft vom 11.9.51.). 90 Faktoren der Machtbildung, a.a.O., S. 5. 91 a.a.O., S. 9.

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in den Mittelpunkt seines Aufsatzes. Ausgehend von der historischen Erfahrung, daß Freiheit oder Unfreiheit sich niemals auf das »politische System« beschränkten, sondern im gesellschaftlichen Leben allgegenwärtig seien, stellte er einen – wenn auch vielfach vermittelten – Zusammenhang zwischen »politischem Ordnungssystem und wissenschaftlicher Ausrichtung« fest, einen »Phasengleichklang« von Perioden politischer Freiheit und solchen der Unfreiheit, dem »Wechsel von vernunftgläubig-affirmativen und skeptischrelativistischen Grundhaltungen« in den Bereichen der Wissenschaften. 92 Da selbst bisher als absolut sicher geltende Naturgesetze hätten relativiert werden müssen und sich das naturwissenschaftliche Denken in eine Richtung entwickelt habe, in der es eine absolute Gewißheit der Wahrheit der gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr gebe, sondern nur noch der ständigen Überprüfung unterliegende veränderbare Annäherungen, könne auch politische Wissenschaft nicht möglich sein ohne uneingeschränkte Freiheit der Meinung und der Information, was auch und gerade die Freiheit des Irrtums einschließe. Dies hatte für Gurland unmittelbar politische Implikationen für die äußeren Bedingungen der Freiheit.

»Das Entschwinden der Kategorie der Gewißheit aus dem wissenschaftlichen Kategorienapparat offenbart die Unmöglichkeit der Wissenschaft in einem System, in dem Zweifel an den Inhalten von Staats wegen verkündeter Lehren nicht erlaubt sind. ... Ohne den Rettungsanker der Gewißheit hat Wissenschaft nur einen Weg, der zur Wahrheit führt: Freiheit der noch so hypothetischen Meinung und Freiheit der rücksichtslosen Kritik.« 93

Da Wissenschaft nicht losgelöst sei von gesellschaftlichen Verhältnissen, bestehe für den – den Machthabern unbequemen – Wissenschaftler nicht die Möglichkeit des zurückgezogenen Theoretisierens, solange er seinen Anspruch, Wissenschaft zu betreiben, nicht aufgeben wolle: d.h. die Pflicht zu konsequenter Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit, besonders da, wo Freiheit bedroht sei. Der Wissenschaft komme die besondere Verpflichtung zu, »die Bedrohung festzustellen und den Anteil der Wissenschaft am politischen Geschehen zu bestimmen«. 94 Unabhängig davon, daß die Wissenschaft dem einzelnen Wissenschaftler keine konkreten Handlungsanweisungen in bestimmten politischen Situationen geben könne, sei der einzige »zwingende Schluß«:

»... daß ein jeder sich entscheiden muß, ob er für Freiheit kämpfen oder auf echte Wissenschaft verzichten will. Dennoch fehlt es der logischen Klarstellung an Vollständigkeit. Der einzelne Wissenschaftler mag sich wohl zwischen Freiheit und Verzicht auf Wissenschaft entscheiden; die Wissenschaft kann das nicht: in dem Moment, da sie sich für den Verzicht auf Freiheit entscheidet, hat sie Selbstmord begangen, ist sie keine Wissenschaft mehr.

92 a.a.O., S. 13. 93 a.a.O., S. 21. 94 a.a.O., S. 22.

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Zur Frühgeschichte des IfpW Ihre Verpflichtung ist eindeutig. Es ist eine logische, keine moralische Verpflichtung, die die politische Entscheidung erzwingt. ... Nur muß ein Wissenschaftler, der sich gegen Demokratie entscheidet, vor Augen haben, daß von dem Augenblick an, da er sein politisches Ziel erreicht hat, er aufhören wird, politische Wissenschaft zu betreiben.« 95

Bei der Analyse der Bedingungen, unter denen Freiheit möglich sei, müsse die politische Wissenschaft als »Wirklichkeitswissenschaft« (Max Weber) ebenso vorgehen wie andere Sozialwissenschaften auch: von der empirischen Erfahrung ausgehend, müsse sie ihre Kategorien, Begriffe und Theorien entwickeln, insofern sei auch sie »Erfahrungswissenschaft« (Max Weber). Im Unterschied zu den anderen Sozialwissenschaften – und hier entkräftete Gurland den von den klassischen Fakultäten vorgebrachten Haupteinwand, der Forschungsgegenstand der politischen Wissenschaft werde schon durch andere sozialwissenschaftliche Disziplinen abgedeckt – könne politische Wissenschaft bei der Erforschung des ihr eigenen Gebietes, der »Prozesse der Entstehung, Erhaltung und Verlagerung von Macht« 96 auf ein umfangreiches speziell politikwissenschaftliches Arsenal von – besonders in den USA entwickelten – Arbeitstechniken und methodischen Verfahren verweisen, von denen vor allem zweien für die weitere Arbeit in Deutschland besondere Bedeutung zukomme: der quantitativen Semantik und der Erforschung gesellschaftlicher Meinungsbildungsprozesse. Mit deren Hilfe könnten endlich schon seit Jahrhunderten bekannte klassenspezifische, massenpsychologische Phänomene erklärt werden, die durch Manipulierung zur Erreichung von Macht entstanden seien, wie z.B.:

»Daß Menschen aus Schutz- oder Sicherheitsbedürfnissen entgegen ihren rationalen Interessen handeln, daß sie nicht selten der Versuchung erliegen, ihre Selbständigkeit, ihre Freiheit, ihre Rechte zu opfern, wenn sie dafür Sicherheit, Prestige, Geltung oder die Befriedigung anderer Bedürfnisse eintauschen ... « 97

95 a.a.O., S. 34 f. In diese Richtung hat Franz L. Neumann später das dritte Element seines Freiheitsbegriffes (vgl. o. Anm. 15), das »Willenselement« erweitert: »Politischer Epikureismus« könne die »notwendige und richtige Haltung« sein, wenn klar sei, daß keine Möglichkeit für die Verwirklichung eines subjektiv richtigen politischen Prinzips bestehe. Dann möge sich der »homo politicus ... tatsächlich zurückziehen und seinen Garten oder seine Gedanken kultivieren«; jedoch spiele diese »Feigheit und Gleichgültigkeit« den abgelehnten Machthabern in die Hände. Da politische Macht das Dasein des Menschen »in immer größerem Maße« bestimme, sei Beteiligung an der Politik selbst für diejenigen notwendig, die die »politische Macht für den Menschen fremd« hielten oder »ausschließlich als Privatmann« leben wollten. (Franz Leopold Neumann, Demokratischer und autoritärer Staat – Studien zur Politischen Theorie, Frankfurt am Main 1967, S. 125; erstmals erschienen 1953.) 96 vgl. o. Anm. 56. 97 Faktoren der Machtbildung, a,a.O., S. 31.

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Das von keiner anderen Sozialwissenschaft untersuchte Forschungsfeld des Verhältnisses von Freiheit, nicht verstanden als ideelle Freiheit an sich, sondern als real-konkrete Lebensbedingung, und Macht, verstanden als Konstituens der Verhältnisse, in denen Freiheit sich entfalten kann, bedarf – so Gurland – zu seiner Durchdringung der genauen Kenntnis der psychischen Mechanismen bei der Vorurteilsbildung, der Entstehung von Ängsten etc. sowie der institutionellen und nicht institutionellen Verfahren zur Erringung und Erhaltung von Macht:

»Das charakteristische Merkmal einer hochindustrialisierten Gesellschaft ist die Massenbasis der Herrschaftsordnung, der demokratischen sowohl wie der totalitären; in ihr bedürfen alle Machtstrukturen, die die Herrschaft von größeren oder kleineren Gruppen (Interessengruppen, Führungsschichten) verkörpern, einer demokratischen Legitimation. Die Herrschaft muß sich im Gewande nationaler oder allgemeiner Interessen präsentieren, d.h. sie muß verschleiert auftreten. Diese Verschleierung zu zerreißen, die tatsächlichen Machtverhältnisse bloßzulegen, die institutionellen und Massenbeeinflussungsmittel in all ihren Verflechtungen klar hervortreten zu lassen, ist demnach die vornehmste Aufgabe der politischen Wissenschaft.« 98

Da die gesellschaftlichen Interessenkonflikte in bürgerlichen Demokratien ebenso wie in »totalitären Staaten« – mit Ausnahme revolutionärer Übergangsperioden – immer und überall in Form von Kompromissen ausgetragen würden und, wie schon von Otto Kirchheimer 1941 festgestellt, in den bürgerlich-parlamentarischen Demokratien die Tendenz bestehe, Konfliktlösungen von den parlamentarischen Institutionen in die Exekutive zu verlagern 99, was wiederum der »Verschleierung von Macht« zugute komme, ergebe sich für die politische Wissenschaft ebenfalls die notwendige Aufgabe, neben Parlamenten, Regierungen, bürokratischen Apparaten, Parteien und wirtschaftlichen Macht- und Interessenvertretungen vor allem auch deren Rekrutierungsfelder zu analysieren; d.h. sowohl die gesellschaftliche und politische Sozialisation als auch die klassen- und schichtenspezifischen politischen Einstellungen der existierenden und sich neuformierenden Eliten. Der Band 2 der Schriftenreihe des Instituts für politische Wissenschaft erschien zu Beginn der Berliner Tagung der »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik«, jedoch blieb für die Tagungsteilnehmer nicht mehr genügend Zeit, ihn in die Diskussion mit einzubeziehen. 100

98 a.a.O., S. 36 f. 99 Otto Kirchheimer, Changes in the Structure of Political Compromise, in: Studies in Philosophy and Social Science, 1 X, 2, 194 1, S. 264 ff. 100 Von der Gablentz bemängelte in der Sitzung des wissenschaftlichen Beirats des IfpW am 4. Mai 1952, daß der Sammelband »in aller Eile« für die Tagung herausgebracht worden sei: »Es hat keinen Zweck, so etwas direkt zu Beginn einer Tagung vorzulegen, wenn die Tagungsteilnehmer es nicht so rechtzeitig erhalten, daß sie es vorher ansehen können.« (Archiv ZI 6, Akte »Protokolle des IfpW und der

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Zur Frühgeschichte des IfpW

Unmittelbar vor Beginn der Tagung fand am 2. Mai 1952 noch eine außerordentliche Mitgliederversammlung der Vereinigung statt, an der 65 der 112 Mitglieder teilnahmen. In der Sitzung wurde der geplante Verlauf der von HICOG finanziell unterstützten Tagung abgesprochen. Es fällt auf, daß keines der Referate der Tagung von einem Mitglied des IfpW gehalten werden sollte, obwohl die Berliner Mitglieder mit dem Band 2 der Institutsreihe einen inhaltlichen Beitrag geleistet hatten und sich auch eine Auswirkung der Tagung für ihre eigene Forschungsarbeit versprochen haben mußten. Die Referate gingen auf inhaltliche Fragen, wie sie im Sammelband »Faktoren der Machtbildung« aufgeworfen wurden, nicht ein, sondern beschränkten sich weitgehend auf den Versuch, die Legitimation der Wissenschaft von der Politik zu begründen. Die erste öffentliche Tagung der »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« am 2. Mai 1952 wurde mit einem Einführungsvortrag des Ehrenvorsitzenden Alfred Weber eröffnet, der sich mit dem Vorwurf auseinandersetzte, die Politikwissenschaft sei überflüssig. Anschließend befaßte sich Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss, unter dessen Schirmherrschaft die Tagung stattfand, in seinem Festvortrag »Formkräfte einer politischen Stilbildung« 101 mit der Veränderbarkeit und stetigen Entwicklung politischer Verhaltensmuster. Die eigentliche Tagung wurde durch die Vorträge von Prof Dr. Carl. F. Friedrich (Harvard-University), der aus den geschichtlichen Erfahrungen des Faschismus und des »Totalitarismus« die These ableitete, die politische Wissenschaft werde die zentrale Wissenschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert, und vom Vorsitzenden der Vereinigung Alexander Rüstow zum Thema »Weshalb Wissenschaft von der Politik ?« 102 eingeleitet. Anschließend wurden die einzelnen Arbeitsberichte diskutiert. 103 Wenn die theoretischen und methodischen Fragestellungen, die von den Mitarbeitern des IfpW im Band 2 der Schriftenreihe des Instituts systematisch zusammengefaßt worden waren, auch nicht den Diskussionsverlauf in der »Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik« strukturieren konnten, so haben sie doch die Vorarbeiten zu den Bänden 6 »Parteien in der Bundesrepublik« 104 und 7 »Wähler und Gewählte« 105 der Schriftenreihe des ›Vereinigung‹. 1950–1954«, Protokoll der Sitzung des wissenschaftlichen Beirats des IfpW vom 4.5.52., S. 6). 101 Theodor Heuss, Formkräfte einer politischen Stilbildung, in: Schriftenreihe der DHfP, Heft 8, Berlin 1952. 102 Alexander Rüstow, Weshalb Wissenschaft von der Politik ?, in: Zeitschrift für Politik, Jg. 1 (Neue Folge), Heft 2, Berlin Juli 1954, S. 131 ff. 103 Vor allem der Bericht von Dolf Stemberger über die Arbeitsergebnisse der von Ihm geleiteten Studiengruppe des Alfred-Weber-Instituts für Sozial- und Staatswissenschaft der Heidelberger Universität über die parlamentarische Rolle der Parteien in der Bundesrepublik. 104 Parteien in der Bundesrepublik – Studien zur Entwicklung der deutschen Parteien bis zur Bundestagswahl 1953. Mit Beiträgen von Max Gustav Lange (Die FDP –

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IfpW beeinflußt. Rückblickend erhalten die Studien »Wahlkampf und Machtverschiebung« und »Faktoren der Machtbildung« ihren Stellenwert in der Forschungsstrategie des Instituts, da sie sich als ersten Teil einer Gesamtanalyse des Parteiensystems im wesentlichen Teil Deutschlands nach dem Ende der NS-Ära und einer Gesamtanalyse der bürgerlichen Gesellschaft verstanden, die das IfpW in den folgenden Jahren würde leisten müssen. Da in unserem Essay nur die Gründungsphase des IfpW untersucht werden sollte, kann an dieser Stelle nicht untersucht werden, inwieweit dieser Anspruch tatsächlich eingelöst werden konnte.

Versuch einer Erneuerung des Liberalismus; und: Betrachtungen zum neuen deutschen Parteiensystem), Gerhard Schulz (Die CDU Merkmale ihres Aufbaus) und Klaus Schütz (Die Sozialdemokratie im Nachkriegsdeutschland) sowie Arnold Bauer (Die Bayernpartei als föderalistische Landespartei), Rudolf Holzgräber (Die DP – Partei eines neuen Konservativismus? ) und Martin Virchow (Der GB/BHE – ein neuer Parteientyp? ). Mit einer Einleitung von Sigmund Neumann (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft, Band 6), Stuttgart und Düsseldorf 1955. in diesem Zusammenhang sei auf das Nachwort von M. G. Lange hingewiesen, das die im Institut geführte Diskussion im wesentlichen zusammenfaßt. 105 (alt 108) Wolfgang Hirsch-Weber/Klaus Schütz, Wähler und Gewählte – Eine Untersuchung der Bundestagswahl 1953 und Mitarbeit von Peter Schran, Martin Virchow u.a. Mit einem Vorwort von Otto Stammer (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft, Herausgegeben vom wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Otto Stammer, Berlin, Band 7), Köln und Opladen 1957.

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Siegward Lönnendonker Das Institut für politische Wissenschaft / Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung 1

»Das 1950 gegründete »Institut für Politische Wissenschaft« (IfpW) wurde ursprünglich als Eingetragener Verein von der Freien Universität und der Hochschule für Politik getragen und mit der Eingliederung der Hochschule als interfakultative Einrichtung in der Form eines selbständigen Forschungsinstituts an der Freien Universität weitergeführt. Die finanzielle Situation blieb trotz der von der Hochschule für Politik und der Freien Universität zur Verfügung gestellten Mittel und von der Ford Foundation und der RockefeIler Foundation gewährten Spenden immer angespannt. 1957 wurde klar, daß ohne Unterstützung durch die öffentliche Hand und durch die Universität eine Fortführung der Forschung nicht mehr möglich war. Dazu war die Aufgabe der Rechtsform des eingetragenen Vereins und eine Eingliederung in die Freie Universität nötig, die am 1. April 1958 unter Beibehaltung der im Jahre 1950 festgelegten Aufgaben vollzogen wurde. Ein Jahr später folgte die Eingliederung der Deutschen Hochschule für Politik unter dem Namen Otto-Suhr-Institut. Beide Institute erhielten interfakultativen Status innerhalb der Universität. Nach dem Ausscheiden von Dr. Arkadius Rudolf Lang Gurland wurde Otto Stammer ab 1. Oktober 1954 zum Wissenschaftlichen Leiter gewählt. Anstelle der in den Jahren 1956/57 ausgeschiedenen Mitarbeiter Professor Dr. Max Gustav Lange, Dr. Ernst Richert, Dr. Otto Büsch, und Frau Carola Stern wurden als neue Mitarbeiter Dr. Gerhard Schulz (Historische Abteilung), Diplom-Politologe Hartmut Zimmermann und Dr. Peter Ludz (Abteilung Sowjetzone), Diplom-Politologe Wilfried Gottschalch (Abteilung Parteien, 1 Dieser Beitrag stützt sich weitgehend auf: Otto Stammer, Zehn Jahre Institut für politische Wissenschaft, in: Otto Stammer (Hg), Politische Forschung. Beiträge zum zehnjährigen Bestehen des Instituts für politische Wissenschaft. Köln u. Opladen 1960; Sozialwissenschaftliche Forschungen. Arbeitsbericht des Zentralinstituts 6 der Freien Universität Berlin 1972–1975, im Auftrag des Institutsrates zusammengestellt und bearbeitet von Ute Schmidt, München 1975; Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin (ZI 6), Forschungsbericht 1986 – 1991, Redaktion: Dr. Siegward Lönnendonker, Ina Petersen, Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Nr. 70, September 1991.

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Wahlen, Verbände) und Dr. Heinz Rothenburg als wissenschaftlicher Assistent des Institutsleiters gewonnen werden. 1958 wurde Prof Dr. Otto Stammer, Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie und Politische Wissenschaft, mit der Leitung des Instituts beauftragt. Damit war in Berlin der erste und für lange Zeit einzige Lehrstuhl für Politische Soziologie in Deutschland eingerichtet, der sich die Demokratieforschung und Erziehung der Bevölkerung zur Demkratie als Aufgabe gestellt hatte. Der Beschluß des Kuratoriums der Freien Universität vom 11.04.1970 faßte das damalige interfakultative »Institut für politische Wissenschaft« mit dem bis dahin zur wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät gehörenden (Wolfram Fischer-) »Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte« 2 zum »Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung« (ZI 6) zusammen, dem einzigen reinen Forschungsinstitut der Freien Universität. Der Zusammenschluß war nicht Ergebnis einer von beiden Instituten vorbereiteten oder gewünschten Zusammenarbeit, sondern geschah eher zufällig, da am Schluß der Einrichtung der neuen Fachbereiche diese beiden Institute noch übrig waren. Das ehemalige »Institut für politische Wissenschaft«, d.h. die Arbeitsbereiche »Bundesrepublik-Deutschland-Forschung und -Archiv«, »DDR-Forschung und -Archiv«, »Faschismus-Forschung« und die Bibliothek zogen 1991 von Schöneberg nach Lankwitz um, der Arbeitsbereich »Wirtschafts- und Sozialgeschichte« blieb in Dahlem. Der Personenbestand des neuen Zentralinstituts wuchs 1991 auf 109 Beschäftigte aus den Fachbereichen Politische Wissenschaft, Geschichtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaft, Philosophie und Sozialwissenschaften I und II und Rechtswissenschaft, davon: – 17 Professoren, – 38 Wissenschaftliche Mitarbeiter (einschließlich habilitierte), davon 8 Dauerstellen und 12 aus Drittmitteln bezahlt, – 24 Sonstige Mitarbeiter, – 27 Studentische Hilfskräfte, – 3 Gastforscher (durch Institutsratsbeschluß); darüber hinaus wirken eine größere Zahl von Forschern in Projektzusammenhängen als Gäste des Instituts mit. Nach den 1950/51 festgelegten drei Forschungsschwerpunkten – Machtverteilung in Deutschland am Ende der Weimarer Republik, Monopolisierung der öffentlichen Meinung in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Dezember 1950– 2 Zum »Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte« bzw. »Arbeitsbereich Wirtschafts- und Sozialgeschichte des ZI 6« s. Wolfram Fischer, Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Freien Universität Berlin 1955–2007, in Karol Kubicki/Siegward Lönnendonker (Hg.), Die Geschichtswissenschaften an der Freien Universität Berlin, Göttingen 2008, S. 77–102.

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Das IfpW / ZI 6

wurden drei feste Abteilungen gebildet: die »Historische Abteilung« unter Dr. Karl Dietrich Bracher (zugleich Stellvertreter des Wissenschaftlichen Leiters), die Abteilung »Parteien, Wahlen, Verbände« unter der Leitung des 1955 eingetretenen Dr. Wolfgang Hirsch-Weber und die Abteilung »Sowjetzone« unter Dr. Ernst Richert. (Eine ursprünglich von Dr. Otto Büsch geleitete Arbeitsgruppe »Rechtsradikalismus« wurde später der »Historischen Abteilung« eingegliedert.) Die sich in den ersten zehn Jahren bildenden Forschungskomplexe waren auch für die weitere Entwicklung des IfpW entscheidend:

»– Die Auflösung der Weimarer Republik und der Aufbau des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, – Strömungen des Rechtsradikalismus im heutigen Deutschland, – Entstehung und Strukturzusammenhang des kommunistischen Machtsystems in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, – Analyse von Wahlkämpfen und Wählerentscheidungen in Berlin und der Bundesrepublik, – Untersuchungen über die politische Funktion und das innere Gefüge deutscher Parteien, – Analyse der Einflußnahme von Interessenverbänden auf politische Institutionen und politische Entscheidungen.« 3

Neben dem auf diese Forschungskomplexe angewandten historischempirischen Ansatz mit der Notwendigkeit der Sichtung und Auswertung des erforderlichen Erfahrungsmaterials hat das Institut immer auch versucht, die theoretische Dimension im Auge zu behalten. Da jedoch noch keine geschlossene Theorie der demokratischen Gesellschaft und des politischen Geschehens entwickelt war, stellten die Autoren in den Hypothesen ihrer Studien in den meisten Fällen immerhin »Theorien mittlerer Reichweite« auf. Allerdings greifen einige Studien weiter: Zur Theorie der Macht, zum Übergang von einer demokratischen zur totalitären Herrschaft, zu den Grundzügen totalitärer Herrschaftsgestaltung und zum politischen Prozeß in der Demokratie geben z.B. Karl Dietrich Bracher, Arkadij Rudolf Lang Gurland, Martin Drath oder Jürgen Fijalkowski ideologiekritische Analysen über den geschichtlich-methodologischen Bezugsrahmen hinaus. Schon in Band 2 der Schriftenreihe des Instituts finden sich zwei theoretische Arbeiten zur Funktionsbestimmung der politischen Wissenschaft »in einem von der totalitären Bedrohung gekennzeichneten Zeitalter« (Stammer): A. R. L. Gurland, »Politische Wirklichkeit und politische Wissenschaft«, und O. H. von der Gablentz, »Macht, Gestaltung und Recht – die drei Wurzeln des politischen Denkens«. S. Neumann behandelt in Band 6 die Problematik einer allgemeinen Parteiensoziologie und eine Typologie der Parteien. Die Ergebnisse der Untersuchungen des Instituts wurden in der Reihe »Schriften des Instituts für politische Wissenschaft«, später »Schriften des 3 Otto Stammer, Zehn Jahre Institut für politische Wissenschaft, …, S. 194.

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Siegward Lönnendonker

Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung« (insgesamt 91 Bände) veröffentlicht. Neben diesen bestand für kleinere Schriften die 1987 begonnene Reihe »Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung« (bis 1991 70 Titel). Durch den Zusammenschluß mit dem »Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte« wurde die ursprünglich auf die politischen Strukturen der Gesellschaft konzentrierte Forschung wesentlich erweitert. In den folgenden Jahren widmeten sich die Mitarbeiter einer Fülle neuer Forschungsgegenstände, wobei besonders der Arbeitsbereichs BRD-Forschung und -Archiv an Bedeutung gewann, sowohl was die Einrichtung neuer Schwerpunkte betraf als auch deren Finanzierung durch Drittmittel. Unter folgenden Zielsetzungen wurde die Forschung des ZI 6 gefördert:

»– Konzipierung und Durchführung eigener politik- und sozialwissenschaftlicher Forschungsprojekte unter verstärkter Einwerbung von Drittmitteln. Die Projekte sollen empirisch und möglichst interdisziplinär angelegt sein. – Beratung und Unterstützung sonstiger sozialwissenschaftlicher Forschungsvorhaben. Das Institut ist eine sozialwissenschaftliche Dienstleistungseinrichtung; eine weitere Entwicklung in diese Richtung wird angestrebt. – Qualifizierung wissenschaftlichen Nachwuchses auf dem Gebiete der Forschung. – Vermittlung von Forschungsergebnissen in der Lehre in Kooperation mit Fachbereichen und anderen Zentralinstituten. – Pflege einer Forschungsbibliothek, von archivalischen Spezialsammlungen und Aufbau von sozialwissenschaftlichen Datenbanken im Zusammenhang mit den Forschungsschwerpunkten des Zentralinstituts.« (ZI 6, Forschungsbericht 1986– 1991)

Die Hochschullehrer kamen ihren Lehr- und Prüfungsverpflichtungen an ihren jeweiligen Fachbereichen nach, ebenso die wissenschaftlichen Mitarbeiter einschließlich der Drittmittelbeschäftigten, die wegen der immer ernster werdenden Finanzsituation der Universität bei steigenden Studentenzahlen zunehmend zur Lehre verpflichtet wurden. Das Zentralinstitut 6 war dann bis zu seiner Auflösung in vier Arbeitsbereiche gegliedert: – Arbeitsbereich Bundesrepublik-Deutschland-Forschung und -Archiv – Arbeitsbereich Deutsche-Demokratische-Republik-Forschung und -Archiv – Arbeitsbereich Vergleichende Faschismus-Forschung – Arbeitsbereich Wirtschafts- und Sozialgeschichte Die ersten drei Arbeitsbereiche waren aus den Abteilungen des ehemaligen Instituts für politische Wissenschaft hervorgegangen. Der vierte Arbeitsbereich entstammte dem Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1978 gelang es, Theo Pirker für das ZI 6 zu gewinnen, wo er die nächsten 13 Jahre den Vorsitz im Institutsrat innehatte.

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Das IfpW / ZI 6

Der Arbeitsbereich BRD-Forschung und -Archiv 4 Seit Ende der 60er Jahre unterlag das Institut einem Differenzierungsprozeß, wobei es allerdings der von Otto Stammer mitbegründeten Politischen Soziologie verpflichtet geblieben ist. Hervorgegangen aus der ehemals von Wolfgang Hirsch-Weber geleiteten Abteilung »Parteien, Wahlen und Verbände« des »Instituts für politische Wissenschaft« ist dem Arbeitsbereich BRDForschung und -Archiv seit den frühen 80er Jahren ein kaum überschaubares Feld unterschiedlicher Forschungsansätze zugewachsen. Es wurde ein Forschungsprojektschwerpunkt zur Entwicklung des westdeutschen Parteiensystems seit 1945 eingerichtet, in der Verbändeforschung richtete sich das Forschungsinteresse vor allem auf die deutschen Gewerkschaften und ihre Beziehungen zu den Parteien sowie auf die Rolle der Gewerkschaften in einzelnen Phasen der westdeutschen Nachkriegsentwicklung. Neue Forschungsprojekte zur Veränderung der Staatsfunktionen, der Planungsprozesse und der Verwaltungsstrukturen wurden initiiert. Anfang der 60er Jahre kam die Elitenforschung unter Dietrich Herzog dazu. Weiterhin untersuchte Harold Hurwitz im »Berlin-Projekt« die Einstellungsveränderungen in der Berliner Bevölkerung zwischen 1945 und 1972 und im Bereich der studentischen Bewegungen erstellten Siegward Lönnendonker und Tilman Fichter eine Dokumentation über die ersten 25 Jahre der Geschichte der Freien Universität. Damit einher ging eine Ausrichtung auf eine interdisziplinäre Kooperation, die im »Arbeitskreis Parteienforschung« und in fächerübergreifenden Forschungscolloquien der Gefahr der fachlichen Isolierung zu begegnen suchte. Die Erweiterung und die Verbesserung der Dokumentationstechniken der Archive des IfpW / ZI 6 (Parteienarchiv, Gewerkschaftsarchiv, Elitenarchiv und APO-Archiv des Bereichs »Bundesrepublik-Deutschland-Forschung und -Archiv« sowie das DDR-Archiv, die meisten einmalig auf der Welt) führte zu einer Vermehrung und Intensivierung der Dienstleistungen für die sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre an der Universität und darüber hinaus. Innerhalb der »aktiven Dokumentation« wurden schwer oder gar nicht zugängliche Daten und Dokumente aufbereitet und verfügbar gemacht (Dokumenten-Bände zur Parteienentwicklung und zur Wahlstatistik, FUDokumentation). Die Arbeitsgruppe »Methoden« stellte durch ihre Beratung und Mitwirkung bei der Erstellung, Neueinrichtung und Wartung von z.B. StandardRoutine-Programmen für Sozialwissenschaftler (SPSS, OSIRIS) einen wichtigen Dienstleistungsfaktor innerhalb der Gesellschaftswissenschaften dar.

4 Vgl. Bericht des Arbeitsbereiches BRD-Forschung und -Archiv, in: Sozialwissenschaftliche Forschungen. …, S. 123–214.

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Bereich »Parteien, Wahlen, Verbände« Das Hauptinteresse des aus der zunächst von Wolfgang Hirsch-Weber geleiteten Abteilung »Parteien, Wahlen, Verbände« des »Instituts für politische Wissenschaft« hervorgegangen Bereichs galt den politischen Einstellungen, Wahlen und Wahlverhalten sowie intermediären Institutionen, vor allem Parteien, Verbänden (insbesondere Gewerkschaften) und soziale Bewegungen. Die Projekte richteten sich inhaltlich an den gesellschaftlich-politischen Entwicklungen der Bundesrepublik aus und untersuchten schwerpunktmäßig die folgenden Problemkreise: 5

1. »Die Bedeutung von Wahlkämpfen und Wahlverhalten für den politischen Prozeß. Dabei geht es um sozialstrukturelle Determinanten (neuerdings insbesondere auch um die Abschwächung von Wählerbindungen infolge des sozialen Wandels), um Sachfragen (issues) und Kandidaten und schließlich um die Rolle der Massenkommunikation. Besondere Aufmerksamkeit gilt zudem theoretischen und methodischen Fragen der Wahlforschung.«

Nach der von Arkadius Rudolf Lang Gurland betreuten Studie von Stephanie Münke »Wahlkampf und Machtverschiebung. Geschichte und Analyse der Berliner Wahlen vom 3. Dezember 1950« (Band 1) und der Untersuchung der Bundestagswahlen 1953»Wähler und Gewählte« von Wolfgang Hirsch-Weber und Klaus Schütz (Band 7) haben Max Kaase und Hans-Dieter Klingemann alle Bundestagswahlen seit 1980 analysiert: »Wahlen und politisches System. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1980«, (Band 42); »Wahlen und politischer Prozeß. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1983« (Band 49), »Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1987« (Band 60), »Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1990« (Band 72), »Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1994« (Band 85). 2. Geschichte und Entwicklung des Parteiensystems der Bundesrepublik. Von wesentlicher Bedeutung sind der Strukturwandel des Parteiensystems, die Ursachen und Folgen der strukturellen Asymmetrie, die Funktion von Parteien im Prozeß der demokratischen Willensbildung und schließlich die Typologie des deutschen Parteiwesens. Als besonders wichtiger Aspekt erweisen sich seit den siebziger Jahren die vielfältigen Legitimationsprobleme des Parteiensystems und die wachsende Parteiverdrossenheit.« Hier erschien bereits 1955 in der Schriftenreihe als Band 6 der Titel »Parteien

in der Bundesrepublik. Studien zur Entwicklung der deutschen Parteien bis zur Bundestagswahl 1953« mit Beiträgen von Max Gustav Lange, Gerhard Schulz, Klaus Schütz, Arnold Bauer, Rudolf Holzgräber, Martin Virchow und einer Einleitung von Sigmund Neumann. 1973 haben Jürgen Dittberner und Rolf Ebbighausen den Band »Parteiensystem in der Legitimationskrise. Stu-

5 Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin (ZI 6), Forschungsbericht 1986 – 1991 …, S. 6 f.

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dien und Materialien zur Soziologie der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland« (Band 42) herausgegeben.

3. »Programmatik, Politik, Binnenstruktur und Bedeutung einzelner Parteien. Zunächst konzentrierten sich die Forschungen überwiegend auf die großen Parteien. Später wurden auch Kleinparteien einbezogen, wobei das Forschungsinteresse vor allem ihrer ambivalenten Rolle als zugleich destabilisierenden und integrationsfördernden Faktoren gilt.« Zu diesem Themenkomplex hat das Institut kontinuierlich gearbeitet. Es gilt, ein Kuriosum festzuhalten: Im Jahre 1975 entdeckten Tilman Fichter und Siegward

Lönnendonker während ihrer Arbeit an dem Beitrag über die Frühgeschichte des IfpW in den alten Akten im Keller eine Studie von Arkadius Rudolf Lang Gurland über die CDU/CSU, die seit dessen Weggang 1954 dort gelegen hatte und niemandem aus dem IfpW bekannt war! Dieter Emig nahm sich des Textes an, der dann erst im Jahre 1980 bei der Europäischen Verlagsanstalt erschien: »Die CDU/CSU: Ursprünge und Entwicklung bis 1953« von Arkadius Rudolf Lang Gurland und Dieter Emig. Unabhängig davon – und ohne von Gurlands Studie etwas zu wissen – arbeitete Alf Mintzel an seiner Untersuchung der CSU, die 1978 als Band 26 unter dem Titel »Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei. 1945–1972« erschien. Mintzel verfolgt, wie sich die CSU – parallel zum Anwachsen Bayerns zu einer Industriemacht – zu einer »Massen- und Apparat-Partei modernen Typs« wandelt. Besonders hervorzuheben sind noch das umfangreiche Werk »Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980« (Band 38 und 39) von Richard Stöss (Hg) und Ute Schmidts Analysen der West- und Ost-CDU (Band 51 und 81).

4. »Die Rolle von Verbänden im Willensbildungsprozeß und ihre Einflußnahme auf politische Institutionen und politische Entscheidungen. In den fünfziger Jahren wurde vor allem die Pressurepolitik von Verbänden, die Verbandsfärbung von Parteien und die Kräftekonstellationen zwischen Interessenverbänden, Gewerkschaften, Parteien, Parlamenten und staatlichen Bürokratien untersucht. Heute befaßt sich die Forschung hauptsächlich mit dem Wandel der industriellen Beziehungen, der Steuerung des Modernisierungsprozesses und mit korporativen Strukturen im politischen Prozeß.«

Den Wandel der Gewerkschaften »Von der Massenstreikdebatte zum Kampf um das Mitbestimmungsrecht« hatte zunächst Wolfgang HirschWeber in Band 13 »Gewerkschaften in der Politik« analysiert. Otto Stammer u. a. untersuchten speziell den Einfluß dieser Interessenvertreter bei einem Gesetzgebungsverfahren: »Verbände und Gesetzgebung. Die Einflußnahme der Verbände auf die Gestaltung des Personalvertretungsgesetzes« (Band 18) Für die späteren Untersuchungen stehen Band 78: »Jürgen Kädtler / Hans-Hermann Hertle, Sozialpartnerschaft und Industriepolitik. Strukturwandel im Organisationsbereich der IG Chemie-Papier-Keramik« und Band 87: »Rainer Weinert / Franz-Otto Gilles, Der Zusammenbruch des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Zunehmender Entscheidungs-

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druck, institutionalisierte Handlungsschwächung und Zerfall der hierarchischen Organisationsstruktur«.

5. »Geschichte der Arbeiterbewegung vor und nach 1945. Das Forschungsinteresse gilt dabei nicht der Historie als solcher, sondern dem Thema »Ende der Arbeiterbewegung«: der Integration der Arbeiterklasse in die moderne demokratische Industriegesellschaft, der Auflösung von Arbeitermilieus, der Einschmelzung ihrer kulturellen Traditionen und dem Bedeutungsverlust marxistischer und sozialistischer Denkformen. Untersuchungsgegenstand sind zudem der Funktionswandel der Institutionen der Arbeiterbewegung, ihre Wiederbegründung nach 1945, ihre Transformation von Klassenorganisationen zu intermediären Massenorganisationen und schließlich die Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten.«

In der Diskussion über die Geschichte der Arbeiterbewegung vor und nach 1945 stellte Theo Pirker die These vom Ende der Arbeiterbewegung auf. Rolf Ebbighausen und Friedrich Tiemann faßten die Diskussion im Institut als Herausgeber von Band 43 zusammen: »Das Ende der Arbeiterbewegung in Deutschland? Ein Diskussionsband zum sechzigsten Geburtstag von Theo Pirker«. Und im Juli 1990 dokumentierten Hans-Hermann Hertle, Jürgen Kädtler und Theo Pirker in Nr. 37 der »Arbeitshefte« des ZI 6 ein »Gespräch mit Dr. Karl Molitor, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie, über die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der chemischen Industrie« unter dem Titel: »Wir waren immer für Partnerschaft!«.

6. »Die Bedeutung von neuen sozialen Bewegungen im intermediären Bereich. In den letzten zehn Jahren entwickelte sich die »partizipatorische Revolution« zu einem wichtigen Gegenstand der Wahl-, Parteien- und Verbändeforschung. Ausgehend vom sozialen Wandel und den Legitimationsschwächen des Parteiensystems wurden Entstehung und Entwicklung einzelner Bewegungen, die Herausbildung von Bewegungsparteien, Institutionalisierungstendenzen in den neuen Bewegungen, die Dynamik von lokalen Bewegungsmilieus und das Verhältnis von Parteien und sozialen Bewegungen untersucht.«

(s. Bereich »APO und soziale Bewegungen«)

7. »Unter regionalen Gesichtspunkten befaßt sich der Bereich besonders mit Berlin-spezifischen Fragestellungen. … Dabei handelt es sich zum einen um die historischen Traditionen der Arbeiterbewegung in Berlin, sodann um die Bewährung des politischen Systems und seiner Institutionen im Abwehrkampf gegen den Kommunismus und drittens schließlich um die Reaktionen der Bevölkerung auf Berlin-Krisen und auf den globalen Wandel der internationalen Kräftekonstellation (bis hin zur Einheit Deutschlands).«

Nach den Bänden aus der Frühzeit des Instituts mit Berlin-spezifischen Fragestellungen – Renate Mayntz, Parteigruppen in der Großstadt. Untersuchungen in einem Berliner Kreisverband der CDU (Band 16), Kurt L. Shell, Bedrohung und Bewährung. Führung und Bevölkerung in der Berlin-Krise (Band 19) und Jürgen Fijalkowski u.a., Berlin – Hauptstadtanspruch und Westintegration (Band 20) – untersuchte Harold Hurwitz in der Reihe »De-

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mokratie und Antikommunismus in Berlin nach 1945« die Reaktionen der Bevölkerung auf Berlin-Krisen und auf den globalen Wandel der internationalen Kräftekonstellation: Harold Hurwitz, Die politische Kultur der Bevölkerung und der Neubeginn konservativer Politik (Bd. 1, 1983), Harold Hurwitz / Klaus Sühl, Autoritäre Tradierung und Demokratiepotential in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung (Bd. 2, 1984); Harold Hurwitz, Die Eintracht der Siegermächte und die Orientierungsnot der Deutschen 1945–1946 (Bd. 3, 1984); Harold Hurwitz, Die Anfänge des Widerstands (Bde 4 / 1 u. 4 / 2, 1990). (Der Forschungsbericht weist eine Auflistung von Forschungsperspektiven, 12 abgeschlossenen, 14 laufenden und 5 beantragten Forschungsvorhaben und ca. 60 Veröffentlichungen aus. Nachdem am 1. Oktober 1996 das Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung mit dem OSI vereint worden war, gründete Richard Stöss dort das »Otto-Stammer-Zentrum«, das an den Berliner Begründer der empirischen politischen Soziologie erinnern und die Tradition des Instituts für politische Wissenschaft fortführen will.)

Bereich »APO und soziale Bewegungen« Der Bereich dokumentierte und analysierte seit 1963 – zunächst privat, dann vom Leiter des IfpW, Prof. Dr. Otto Stammer, zum Sammlungsgebiet erklärt – die sich entwickelnde Studentenbewegung und später die außerparlamentarische Opposition der Bundesrepublik Deutschland. Er stützt sich auf Materialien von und über alle politischen Studentengruppen sowie Gruppierungen der außerparlamentarischen Opposition nach 1945 (Flugblätter, -schriften, Periodika, Presseberichte, Interna, Sitzungsprotokolle, Funkmanuskripte, Interviews usw.). Die hier erstellten Dokumentationen und Analysen beschäftigen sich mit Problemen der politischen Sozialisation im vor- und außerparlamentarischen Raum. Dabei werden Forschungsansätze des ehemaligen »Instituts für politische Wissenschaft« berücksichtigt, die sich im Gegensatz zur »traditionellen« politischen Soziologie und Politikforschung in Deutschland nicht nur mit den Zentralstellen politischer Macht beschäftigen, sondern auch Fragestellungen aus dem Bereich der sozialen und politischen Bewegungen thematisiert und untersucht haben. Auf dem Gebiet der politischen und kulturellen Sozialisation der Mitglieder und Sympathisanten der politischen Studentenverbände und anderer Gruppierungen sind andere Forschungsbereiche auf die Dokumentierung und Analyse der Herkunft politischer Führungskräfte angewiesen, auch und gerade wenn diese nicht über die »normalen« Organisationen sozialisiert wurden. Im Jahre 1973 stellten Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker – unter Mitarbeit von Claus Rietzschel – in nur einem Monat den ersten Band der

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Siegward Lönnendonker

FU-Dokumentation »Freie Universität Berlin 1948–1973 – Hochschule im Umbruch« fertig, die 1990 abgeschlossen wurde. 6 Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker schrieben 1977 die »Kleine Geschichte des SDS – Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von 1946 bis zur Selbstauflösung«, dessen 4. Auflage inzwischen in die Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen wurde. 7 Innerhalb des von der VW-Stiftung geförderten SDS-Projekts legten Bernd Rabehl u.a. mit der Arbeit »Provokationselite« die konzeptionelle Orientierung vor, die mit dem »Konzept der Generation mit besonderer Form provokatorischer Aktionen« den SDS eindeutig als eine politische Bewegung bestimmte, die nichts Geringeres im Sinne hatte, als die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik radikal zu verändern. Ein Symposium, auf dem zum letzten Mal alle Größen der antiautoritären Revolte miteinander diskutierten, wurde in Band 83 der Schriften des

ZI 6 dokumentiert. 8

Aus diesem Projekt entstand auch der erste Band der Geschichte des SDS (Band 91 der Schriften des ZI 6). 9

(Der Bereich gibt im Forschungsbericht 5 abgeschlossene, 3 laufende und 1 geplantes Projekt an sowie 10 Veröffentlichungen)

Bereich »Eliten« Der Forschungsbereich entwickelte sich Ende des sechziger Jahre, als die politisch-soziologische Elitenforschung in Deutschland – falls überhaupt vor6 Siegward Lönnendonker/Tilman Fichter unter Mitarbeit von Claus Rietzschel: »Freie Universität Berlin 1948–1973 – Hochschule im Umbruch« Teil I 1945–1949 »Gegengründung wozu?«, Berlin 1973 Teil II 1949–1957 »Konsolidierung um jeden Preis«, Berlin 1974 Teil III 1958–1964 »Auf dem Weg in den Dissens«, Berlin 1974 Teil IV 1964–1967 »Die Krise«, Berlin 1975 zusammen mit Jochen Staadt: Teil V 1967–1969 »Gewalt und Gegengewalt«, Berlin 1983 Peter Jahn/ Annemarie Kleinert/Jochen Staadt: Teil VI 1969–1973 »Die ungeliebte Reform« Berlin 1990. 7 Tilman Fichter/Siegward Lönnendonker, Kleine Geschichte des SDS – Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von 1946 bis zur Selbstauflösung, Berlin 1977; Dies., Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von Helmut Schmidt bis Rudi Dutschke, mit einem Vorwort von Wolfgang Kraushaar und einem Bildteil von Klaus Mehner, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2008. 8 Siegward Lönnendonker (Hg.), Linksintellektueller Aufbruch zwischen »Kulturrevolution« und »kultureller Zerstörung«. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in der Nachkriegsgeschichte (1946–1969). Dokumentation eines Symposiums. Opladen/Wiesbaden 1998. 9 Siegward Lönnendonker/Bernd Rabehl/Jochen Staadt, Die antiautoritäre Revolte – Der Sozialistische Deutsche Studentenbund nach der Trennung von der SPD, Band 1: 1960–1967, Wiesbaden 2002.

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handen – häufig ideologisch tabuisiert war, leisteten Mitglieder des Instituts für politische Wissenschaft bereits wichtige Vorarbeiten für eine moderne Elitenforschung. Darauf aufbauend wurde 1968/69 eine vom Landesamt für Forschung Nordrhein-Westfalens geförderte Untersuchung unter der Leitung von Dietrich Herzog über die Rekrutierung politischen Führungspersonals in der Bundesrepublik mit ihren »typischen Strukturen politischer Karriereverläufe, ihren berufssoziologischen Bedingungen sowie den Folgen der politischen Professionalisierung« durchgeführt. Herzog warnte vor einer Gefährdung der demokratischen Legitimation politischer Eliten, verursacht durch geringe Personalfluktuation und Stabilisierung der politischen Führungsschicht: »Politische Karrieren. Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen«. (Band 25) Eine zweite Entwicklungsphase des Forschungsbereichs begann, als Anfang der achtziger Jahre die Stiftung Volkwagenwerk ein Forschungsprojekt über die Berliner Wahlen von 1981 förderte, das über eine bloße Wählerumfrage hinausging, indem es auch schriftliche Befragungen der sich bewerbenden Kandidaten durchführte. (Der Forschungsbericht führt 2 laufende Forschungsprojekte und 13 Veröffentlichungen an. Dietrich Herzog verstarb am 14. Dezember 2001)

Bereich »Verwaltungsforschung« Der von Jürgen Fijalkowski initiierte Schwerpunkt »Verwaltungsforschung« wurde von den 1974 berufenen Helmut Wollmann und Peter Grottian um Studien über Stadt- und Regionalplanung erweitert, das Spezialarchiv ausgebaut. Die »Verwaltungsforschung« widmete sich bis in die frühen 80er Jahre Fragen der Policy-(Politikfeld-)Forschung, insbesondere zur Evaluierungsund Implementationsforschung, wobei sie durch den von ihr ausgelösten »Publikationsschub« und die von ihr organisierten nationalen wie internationalen Tagungen wesentlich zur Etablierung der anwendungsbezogenen Politik- und Verwaltungsforschung in der Bundesrepublik beitrug. Nach verstärkt empirischen Forschungsprojekten der Wohnungs-, Beschäftigungs- und Umweltpolitik auf kommunaler Ebene wandte sich der Bereich in den späten 80er Jahren dem Thema »Stadt und Sozialstaat« und deren sozioökonomischer Entwicklung, insbesondere der Dauerarbeitslosigkeit zu (Forschungsprojekt »Lokale Politik im Wohlfahrtsstaat«, von der Stiftung Volkswagenwerk gefördert; nationale und internationale Tagungen). In den späten 80er Jahren beschäftigte sich die Verwaltungsforschung in Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und der Universität Stockholm dem internationalen Vergleich der Entwicklung der angewandten Sozial- und Politikforschung in westlichen Industrieländern.

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Unter anderem mit einem Teilprojekt des DFG Förderungsschwerpunkts »Verwendungszusammenhänge sozialwissenschaftlichen Wissens« wurden Fragen der »Wissensverwendung von sozialwissenschaftlichem Wissen in Politik und Verwaltung« (»knowledge utilization«) verstärkt aufgegriffen. Das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt »Kommunale Aktionsverwaltung in Stadterneuerung und Umweltschutz« analysierte Probleme der Innovationsfähigkeit öffentlicher Verwaltung, wobei sich das Forschungsinteresse auf die institutionellen und »Policy«-Veränderungen in den neuen Ländern richtete. Ein – ebenfalls von der Hans-Böckler-Stiftung bewilligtes – Forschungsprojekt befaßte sich mit der Bildung und Funktionsweise von Beschäftigungsgesellschaften in den neuen Ländern. 1975 war Wollmann Mitbegründer des privaten »Instituts für Stadtforschung und Strukturpolitik«(IfS), seit 1983 gab er die Schriftenreihe »Stadtforschung aktuell« heraus. Zusammen mit Gerd M. Hellstern veröffentlichte er 1984 in der Schriftenreihe des Instituts den ersten Band des »Handbuchs zur Evaluierungsforschung« (Band 2 ist leider nicht mehr erschienen). (Helmut Wollmann erhielt 1993 einen Ruf an die HU.) Von Peter Grottian erschienen 1974 »Handlungsspielräume der Staatsadministration« und »Strukturprobleme staatlicher Planung«. Er engagierte sich neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer ehrenamtlich in vielen politischen Initiativen. Er und Wolf-Dieter Narr verzichteten jeweils auf ein Drittel ihrer Stelle und finanzierten damit eine Frauen-Professur am OSI.

Bereich »Regulative Funktionen Intermediärer Institutionen Der Bereich »Regulative Funktionen intermediärer Institutionen« baute auf dem im Jahre 1985 am ZI 6 eingerichtete Forschungsprojektschwerpunkt (FPS) »Planung und Kontrolle« und dem von der FNK seit dem Jahre 1989 geförderten Forschungsgebietsschwerpunkt »Regulative Funktionen intermediärer Institutionen« (Sprecher: Prof. Dr. Theo Pirker) auf und untersuchte das »Gehäuse der Institutionen« (Max Weber) im vereinigten Deutschland und in Europa. Mit dem Konzept der intermediären Institutionen führte der Bereich die Machtbildung in der ehemaligen DDR nach der deutschen Einigung und die Zusammenbrüche der Herrschaftssysteme in den ehemaligen Ostblockländern auf das Fehlen vergleichbarer institutioneller Strukturen zurück. Nach der Einigung sah der Bereich die Universitäten und besonders die Freie Universität vor spezielle Aufgaben gestellt, die Forschung in den nächsten Jahrzehnten in zunehmendem Maße an der Praxis, d.h. an der Verwertbarkeit für den Aufbau der Demokratie in den neuen Bundesländern auszurichten und so an die Tradition des Instituts für politische Wissenschaft anzuschließen: Demokratieforschung mit dem Ziel der Demokratisierung von Gesellschaft.

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Aus der Arbeit des Forschungsgebietsschwerpunktes wurden folgende Forschungsfelder bearbeitet: 1. Finanzkontrolle Neben der archivarischen Sicherung von Primärquellen konnte die Forschergruppe Praktiker der Finanzkontrolle zur Mitarbeit gewinnen – u.a. bei einem Symposion an der Freien Universität Berlin über die Bedeutung der Finanzkontrolle in Deutschland. Bei der Untersuchung der Organisation und Funktion des Rechnungshofes während der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und während des Krieges in den unterworfenen europäischen Staaten arbeitete der Bereich besonders mit dem Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie (RIOD) in den Niederlanden zusammen und führte mit ihm im Mai 1991 in Amsterdam ein internationales Symposion zum Thema »Das organisierte Chaos« durch. (s. dazu die Institutsbände 59: Nils Diederich u.a., Die diskreten Kontrolleure; 67: Theo Pirker (Hg), Die bizonalen Sparkommissare; 69: Rainer Weinert, »Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege« und 76: Franz-O. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß.) 2. Institutionen der Geldpolitik Die erstaunlich späte (grund-)gesetzliche Kodifizierung der Organisation und Funktionen der Bundesbank erschien den Forschern »als typisches und vor allem als eines der aufschlußreichsten Kriterien zur Bestimmung der Autonomie intermediärer Institutionen«, die sich auch noch im Rahmen der Harmonisierung der EG-Staaten gegen das Eingreifen und die Unterwerfung von außen zu verteidigen hatten. 3. Wirtschaftliche Interessenverbände / Gewerkschaften Geschichte, Organisation und Reorganisation der Gewerkschaften in der Bundesrepublik als zentrale Forschungsthemen wurden mit der abnehmenden Bedeutung der Tarifpolitik als zentrale Probleme von der Dominanz der Industriepolitik und der Funktionalisierung der Tarifpolitik und dem damit verbundenen politischen Bedeutungsverlust des DGB verdrängt. Bei der Untersuchung der Rolle und Funktion des FDGB konnten Primärquellen gehoben und gesichert werden. 4. Wirtschaftliche Selbstverwaltungsorgane (Industrie- und Handelskammern) Im Rahmen des FGS wurden die Institutionen der Industrie- und Handelskammer nach 1945 sowohl in den Westzonen Deutschlands als auch in der Sowjetischen Besatzungszone untersucht. (Institutsbände 78: Jürgen Kädtler / Hans-Hermann Hertle, Sozialpartnerschaft und Industriepolitik und 88: Nils Diederich / Ingeborg Haag / Georg Cadel, Industrie- und Handelskammern in den neuen Bundesländern. 5. Kommunen Für die neuen Bundesländer stellte sich die Problematik der sozialwissenschaftliche Untersuchung des »Schicksals der Kommunen« nach 1945 neu.

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Eine Analyse des Etablierungs- und Entwicklungsprozesses intermediärer Institutionen auf Gemeindeebene zeigte grundlegende Defizite von Demokratiepotential und Kenntnis der gesetzlichen Vorgaben auf Seiten der Bürger und bei den Gemeindevertretern. (Institutsbände 61: Wolfgang Jädicke u.a., Lokale Politik im Wohlfahrtsstaat und 80: Jürgen Kädtler u.a., Betriebsräte in Ostdeutschland. (1991 gibt es 10 abgeschlossene, 7 laufende und 8 beantragte Forschungsprojekte sowie 109 Veröffentlichungen. Theo Pirker verstarb am 31. August 1995)

Der Arbeitsbereich »Zeitgeschichte / Vergleichende Faschismusforschung« 10 In den 50er und Anfang der 60er Jahre hat sich die damalige »Historische Abteilung« unter der Leitung von Karl Dietrich Bracher und Gerhard Schulz der Erforschung der Endphase der Weimarer Republik und der Machteroberung durch die Nationalsozialisten gewidmet. Von den Bänden der Schriften des Instituts ist besonders der Band 4: »Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie« von K. D. Bracher mit einer Einleitung. von Hans Herzfeld als »Klassiker« hervorzuheben, dessen 1. Auflage von 1500 Exemplaren schon nach zehn Monaten vergriffen war. In Band 14: »Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933 / 34« gaben Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer und Gerhard Schutz auch eine gründliche Analyse des damaligen totalitären Herrschaftssystems. Mit der Übernahme der Leitung der Arbeitsgruppe durch Gilbert Ziebura wurde die außenpolitische Dimension stärker berücksichtigt. Allerdings fühlte sich das Institut noch der von F. Neumann, Hannah Arendt, Karl-Joachim Friedrich u.a. geführten »Totalitarismus«-Diskussion verpflichtet, in der das Verhältnis von Nationalsozialismus und Außenpolitik noch eine untergeordnete Rolle spielte. Da 1964 die Übernahme eines Lehrstuhls für Außenpolitik am Otto-Suhr-Institut anstand, setzte sich das Institut zum Ziel, einen Beitrag zur Untersuchung »demokratischer« und »totalitärer« Außenpolitik in den 30er Jahren zu leisten, am Beispiel der Rheinlandbesetzung vom März 1936. Dörte Doering und Adolf Kimmel (zuständig für Deutschland), Roland A. Höhne (Frankreich) sowie Gustav Schmidt (Großbritannien) und später Traute Rafalski (Italien) sollten durch eine »Faktoren-Analyse« das dynamische Zusammenwirken von »Handlungs- und Entscheidungsträgern« im Prozeß der außenpolitischen Entscheidungen untersuchen. Als sich jedoch zeigte, 10 Für die Jahre 1963–1973 vgl. Gilbert Ziebura, Die Entwicklung der Arbeitsgruppe »Zeitgeschichte« 1963 – 1973, in: Sozialwissenschaftliche Forschungen. …, S. 215–248.

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daß die Faktorenanalyse den Kausalzusammenhang zwischen den einzelnen Faktoren und deren Relevanz für den Entscheidungsprozeß nicht leisten konnte, trat die Frage nach dem Zusammenhang von Gesellschaftssystemen und außenpolitischer Orientierung in den Mittelpunkt der Untersuchung. Außenpolitik wurde stärker als Außenverhalten von Gesellschaftsformationen angesehen, das vom sozialökonomischen Entwicklungsstand und der innergesellschaftlichen Herrschaftsstruktur einerseits, zum anderen von internationaler Arbeitsteilung politisch-strategischer Lage abhängig ist. (S. 217 f) Das Projekt widmete sich den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die deutsche, französische und italienische Gesellschaft. R. Mayer wies Auswirkungen des Weltwirtschaftssystems auf seine unterschiedlichen Nationalwirtschaften in der Innen- und Außenpolitik sowie auf die zwischenstaatlichen Beziehungen nach. F. Luther unternahm eine Gesamtanalyse gegenseitiger Abhängigkeit von Ökonomie und Außenpolitik der USA und Großbritanniens. Bei den Länderstudien hat Dörte Doering das deutsche Wirtschaftssystem auf seine strukturellen und konjunkturellen Veränderungen von 1919 bis 1933 untersucht. Roland A. Höhne beschränkte sich in seinem Beitrag über die französische Außenpolitik auf die Analyse der strukturellen Bedingungen. Traute Rafalski beschrieb in ihrer Arbeit die faschistische Expansionspolitik am Beispiel der Bemühungen des italienischen Faschismus um die ökonomische und politisch-strategische Vormachtstellung in Südosteuropa (Band 45 der Institutsschriften). Timothy W. Masons Arbeit über die Sozialpolitik des NS-Regimes »Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft – Dokumente und Materialien zur deutschen Arbeiterpolitik 1936–1939« (Band 22), in der er die gesellschaftlichen und ökonomischen Widersprüche für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verantwortlich macht, zählt sicher zu den wichtigsten Publikationen zu diesem Themenbereich. Mason (Research Fellow am St. Antony’s College Oxford) setzte sich mit der Totalitarismustheorie von Karl-Joachim Friedrich auseinander. Er erklärte, daß keine neuere Untersuchung des Nationalsozialismus Friedrichs Behauptung belege, daß dieser »eine durchgebildete totalitäre Ideologie, die alle wesentlichen Aspekte der menschlichen Existenz umfaßte«, entwickelt habe. Ebensowenig treffend für das NS-Regime sei Friedrichs Merkmal einer »hierarchisch und oligarchisch organisierten« NSDAP, die »entweder über der Regierung« gestanden habe oder »vollkommen mit der Regierungsbürokratie verflochten« gewesen sei. Jede »antihistorische Formalisierung« verschleiere, daß die NSDAP mit ihren angeschlossenen Verbänden ein durchaus »pluralistisches« Gebilde dargestellt habe, das die gesellschaftlichen Interessenkonflikte aufgenommen und ausgetragen habe. In den folgenden Jahren, in denen die Stelle für »Vergleichende Faschismusforschung« ausgeschrieben war, bestimmten Frauen das Profil des Arbeitsbereichs, was sich auch in der Schriftenreihe niederschlug: Band 41:

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Carola Sachse arbeitete mit Tilla Siegel, Hasso Spode und Wolfgang Spohn über Herrschaftsmechanismen im Nationalsozialismus (Band 41), Traute Rafalski (s.o.) über den Italienischer Faschismus in der Weltwirtschaftskrise (Band 45), Gisela Bock über Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, zu Rassenpolitik und Frauenpolitik (Band 48) Tilla Siegel über Leistung und Lohn in der nationalsozialistischen »Ordnung der Arbeit« (Band 57). Außer diesen setzte sich Annemarie Tröger kämpferisch für den Erhalt des Arbeitsbereichs ein. 11 Leider gelang es nicht, Timothy W. Mason für das Institut zu gewinnen, 1983 erhielt Jürgen Falter den Ruf als Professor für Vergleichende Faschismusforschung. In den folgenden Jahren konzentrierte er die wissenschaftliche Arbeit auf die vier Schwerpunktgebiete »– Die Massenbasis des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich, – Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, – Fragen der gegenwartsbezogenen Wahl- und Einstellungsforschung, – Methodologische Probleme der Analyse historischer Massenbewegungen.« 12

Die Erforschung der Massenbasis des Nationalsozialismus erfolgte sowohl aus der Perspektive der Wähler als auch der der Parteimitglieder. (»Hitlers Wähler«, erschienen bei C.H. Beck, München 1991) Seit 1989 verlagerte sich das Schwergewicht auf die Untersuchung der NSDAP-Mitglieder zwischen 1925 und 1933. Die Untersuchungen des Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland, die mit den »Studien über die ›Sozialistische Reichspartei‹ (SRP)« von Otto Büsch und Peter Furth in den 1950er Jahren im IfpW begonnen hatte (Band 9), wurden im Bereich Vergleichende Faschismusforschung zunächst in Bezug auf rechtsextreme Einstellungen, Persönlichkeitskorrelate und Theorien des Rechtsextremismus wieder aufgenommen, dann auch die Wähler und Sympathisanten der Republikaner in Bayern, Berlin und auf bundesrepublikanischer Ebene betreffend. Ein von der DFG gefördertes Projekt der gegenwartsbezogenen Wahl- und Einstellungsforschung widmete sich sowohl der Analyse konkreter Wahlen als auch der Anwendung und Entwicklung bestimmter Erklärungsmodelle von Wählerverhalten. Ein weiterer Schwerpunkt war die Methodenentwicklung in der historischen Sozialforschung aufgrund der ungelösten Probleme bei der Überprüfung theoretischer Aussagen über die Massenbasis des Nationalsozialismus. (Im Forschungsbericht: Auflistung und Skizzierung von 9 abgeschlossenen und 22 laufenden Projekten sowie 34 Veröffentlichungen. 11 Annemarie Tröger verstarb am 18. Februar 2013. 12 Vgl. Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin (ZI 6), Forschungsbericht 1986 – 1991, …, S. 47.

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Jürgen Falter nahm 1993 einen Ruf an die Johannes-GutenbergUniversität in Mainz an und trat vor allem in Talk-Shows 13 und als Interpret von Wahlergebnissen auf.)

Der Arbeitsbereich »DDR-Forschung und -Archiv« 14 Bereits der dritte Band der Schriften des Instituts handelte über den Aufbau und die politische Funktion des Erziehungssystems der Sowjetzone Deutschlands und erschien unter dem Titel Totalitäre Erziehung zur Jahreswende 1953 / 54. Max Gustav Lange hat ihn verfaßt und Arkadius Rudolf Lang Gurland die Einleitung geschrieben. Die Reihe der Forschungsveröffentlichungen setzte sich fort – wieder mit Max Gustav Lange: »Wissenschaft im totalitären Staat. Die Wissenschaft der Sowjetischen Besatzungszone auf dem Weg zum ›Stalinismus‹« (mit einem Vorwort von Otto Stammer, Band 5), Joachim Schultz: »Der Funktionär in der Einheitspartei. Kaderpolitik und Bürokratisierung in der SED« (Band 8), und zwei Bänden von Ernst Richert: »Agitation und Propaganda. Das System der publizistischen Massenführung in der Sowjetzone« (in Zusammenarbeit mit Carola Stern und Peter Dietrich. Mit einem Vorwort von Otto Stammer, Band 10) und »Macht ohne Mandat. Der Staatsapparat in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands«(mit einer Einleitung von Martin Drath (Band 11). Peter Christian Ludz charakterisierte in Band 21 »Parteielite im Wandel. Funktionsaufbau, Sozialstruktur und Ideologie der SED-Führung« das politische System der DDR als »autoritär«, allerdings mit der Möglichkeit einer Abschwächung der der Systemunterschiede im Vergleich mit westlichen Industriestaaten. Ludz war kein Anhänger der damals vertretenen »Konvergenztheorie«, nach der hochindustrialisierte Gesellschaften weitgehend unabhängig vom politischen System vor ähnlichen technischen Problemen stünden, die sie zu ähnlichen organisatorischen Lösungen in Ökonomie und Politik zwängen. Die Diskrepanz zwischen den Notwendigkeiten der Organisation hochindustrialisierter Gesellschaften und den ideologischen Vorgaben kommunistischer Parteien, die schon Ernst Richert für die Sowjetzone festgestellt hatte, wies Ludz für die DDR nach. Hartmut Zimmermann, Peter Christian Ludz und Ernst Richert sahen bereits Anfang der sechziger Jahre die Schwierigkeit, unter Anwendung der Totalitarismus-Theorie die in der DDR fortschreitenden politischen und sozialen Veränderungen zu untersuchen. Um diese neue Situation zu analysieren, entwickelten sie einen methodischen Ansatz, die DDR sowohl »immanent« 13 Vgl. Jürgen W. Falter, Meine Abende bei Sabine Christiansen. Einige durchaus persönliche Reminiszenzen. In: Sascha Michel, Heiko Girnth (Hg.), PolitTalkshows – Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen, Bonn 2009. 14 Vgl. Hartmut Zimmermann, Bericht des Arbeitsbereiches DDR-Forschung und – Archiv , in: Sozialwissenschaftliche Forschungen …, S. 91–122.

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als auch kritisch zu untersuchen, sie also dabei an ihren eigenen Idealen und analytischen Kategorien zu messen. Diese kritisch-immanente Methode war zwar umstritten, setzte sich jedoch weitgehend gegen die damals noch meist platte Totalitarismus-Version (rot=braun) durch, zumal letztere eher als politisches Totschlag-Argument gegen kommunistische Systeme und für die Verherrlichung der westlichen Demokratie ins Feld geführt wurde. Dieser Ansatz bestimmte auf Jahrzehnte hinaus die DDR-Fotschung in der Bundesrepublik und Wert-Berlin. 1970 erteilte die sozialliberale Koalition Peter-Christian Ludz den Auftrag, die »Materialien zur Lage der Nation« zusammenzustellen. Das bedeutete für den DDR-Bereich des Instituts für politische Wissenschaft zusätzliche Mittel, deren Fluß bis zum Zusammenbruch der DDR anhielt. (Daß fast genau parallel dazu der wissenschaftliche Mitarbeiter Walter Völkel als IM »Rosenow«, der eine »Systematische Bibliographie von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern zur politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der SBZ / DDR seit 1945« erarbeitete, die Staatssicherheit der DDR über die westdeutsche DDR-Forschung informierte, war damals noch 15 nicht bekannt. ) (Peter-Christian Ludz verließ die FU im Jahre 1970 und nahm einen Ruf nach Bielefeld an.) Anknüpfend an die Fragestellungen von Ernst Richert und Peter Christian Ludz begann der Arbeitsbereich 1970 mit der Untersuchung des 1963 eingeführten »Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft« (NÖSPL) innerhalb des Forschungsgebiets »Fachwissen in der Politik. Studien zum Wandel des Herrschafts- und Gesellschaftssystems in der DDR seit 1963«. Im diesem von Hartmut Zimmermann geleiteten Forschungsprojekt wurde das neue Bildungssystem für die leitenden Kader untersucht, die sich nun mit früher als »bürgerlich« abgelehnten Wissenschaften wie Kybernetik, Organisationswissenschaft, Soziologie oder Systemtheorie einschließlich der Anwendung neuer Forschungsergebnisse in der Produktion beschäftigen mußten. Aus dem Projekt entstanden eine Reihe von Institutsbänden: Gert-Joachim Glaeßner, Herrschaft durch Kader. Leitung der Gesellschaft und Kaderpolitik in der DDR am Beispiel des Staatsapparates (Band 28); Gero Neugebauer, Partei und Staatsapparat in der DDR. Aspekte der Instrumentalisierung des 15 Vom 1. Juni 1960 bis zum 30. September 1962 war noch ein anderer »Inoffizieller Mitarbeiter« in der DDR-Abteilung des Instituts beschäftigt: IM »Erich«, mit bürgerlichem Namen Dietrich Staritz, eines der drei Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, die auch für die Stasi tätig waren. Vgl. Tilman P. Fichter / Siegward Lönnendonker: Dutschkes Deutschland – Der Sozialistische Deutsche Studentenbund, die nationale Frage und die DDR-Kritik von links, Essen 2011.

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Staatsapparats durch die SED (Band 29); Gert-Joachim Glaeßner / Irmhild Rudolph, Macht durch Wissen. Zum Zusammenhang von Bildungspolitik, Bildungssystem und Kaderqualifizierung in der DDR. Eine politischsoziologische Untersuchung (Band 30); Katharina Belwe, Mitwirkung im Industriebetrieb der DDR. Planung – Einzelleitung – Beteiligung der Werktätigen an Entscheidungsprozessen des VEB (Band 31). Hartmut Zimmermann, »die letzte Autorität … nach dem Weggang Ludz« (Rüdiger Thomas im Deutschland-Archiv), gab als wissenschaftlicher Leiter des Arbeitsbereichs 1985 das »DDR-Handbuch« heraus, ein lexikalisches Standardwerk über die DDR, und im Mai 1989 zusammen mit Werner Weidenfeld das von der Bundeszentrale für politische Bildung initiierte »Deutschland Handbuch«. Ein 1987 vorgelegtes Konzept nannte vier Problembereiche der Forschungsschwerpunkte des Arbeitsbereichs: – Mechanismen der Herrschaftssicherung, Struktur und Funktionsweise des politischen Systems; – Modernisierung und politische Entwicklung; – soziale und politische Konflikte und Formen der Interessenvertretung; – politisches System und politische Kultur. An diesem Forschungsprofil sollte die zukünftige Arbeit ausgerichtet werden: die Frage nach den Transitions- und Integrationsprozessen in Deutschland nach der Vereinigung. (Im Forschungsbericht werden 12 abgeschlossene, 6 laufende und 5 geplante Forschungsprojekte aufgelistet. Hartmut Zimmermann starb am 25. Mai 1995. Die im DDR-Bereich geplanten Projekte, die der neuen Situation der Einheit Deutschlands Rechnung tragen sollten, kamen wegen der Auflösung des Instituts nicht mehr zum Abschluß. Die letzten Monate waren darüber hinaus von Auseinandersetzungen mit dem neuen »Forschungsverbund SED-Staat« gezeichnet. s. dort.)

Eingeworbene FNK-Mittel und Drittmittel 1986–1991 Arbeitsbereich BRD-Forschung und -Archiv Parteien – Wahlen – Verbände: 4.792.000 DM APO und soziale Bewegungen: 601.970 DM Eliten / Wahlen: 532.181 DM Verwaltungsforschung: ca. 960.000 DM Bereich Regulative Funktionen intermediärer Institutionen: 3.177.000 DM Arbeitsbereich Vergleichende Faschismusforschung: 814.000 DM Arbeitsbereich DDR-Forschung und -Archiv: 1.605.150 DM Arbeitsbereich Wirtschafts- und Sozialgeschichte: ca. 178.000 DM _____________ Insgesamt 12.660.301 DM

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Bibliothek und Archive Von Anfang an widmete sich das Institut im besonderen Maße der Betreuung der ursprünglich von Dr. Gurland eingerichteten und gut ausgestatteten Fachbibliothek des Archivs. Die seit Ende 1958 für die Dauer von fünf Jahren aus einer Spende der Ford Foundation zur Verfügung stehenden Mittel ermöglichten eine wesentliche Erweiterung der inzwischen auf ca. 20 000 Bände angewachsenen Fachbibliothek durch Ankauf vor allem fremdsprachiger politikwissenschaftlicher Literatur und des Archivs durch zusätzlichen Bezug ausländischer wissenschaftlicher und politischer Zeitschriften und Zeitungen. Da die Bestände immer auf die Forschungen der Projekte ausgerichtet waren, unterschieden sie sich von den speziell für die Lehre angeschafften Beständen z.B. der Bibliothek des OSI. Mit der UB bestanden Absprachen der Erwerbungspraxis. Monographien und Broschüren sowie die bestandscharakteristischen zeitschriftenähnlichen Reihen befanden sich ausschließlich in der Bibliothek. Die Sammlungsschwerpunkte von Bibliothek und Archiven waren identisch. Die Archive sammelten Akten, Personaldaten, Presseberichte, Interviews, Manuskripte, Flugblätter und -schriften, Diskussionsvorlagen, Zirkulare Wahlkampfunterlagen, Sitzungsberichte und Protokolle, und auch amtliche Drucksachen. Der Zugang zu Bibliothek und Archiven war öffentlich. Die beiden Sammlungen »Menningen« und »Hieronimus« zur Konservativen Revolution bilden einen international einmaligen Bestand zur Erforschung antidemokratischer Strömungen seit etwa 1880, wobei die Sammlung Menningen mit etwa 10 000 Bänden die Bereiche Völkische, Jungkonservative, Bündische, Nationalrevolutionäre, Landvolk abdeckt, während die Sammlung Hieronimus etwa 7 000 Bände speziell zur Geschichte der politisch-religiösen Gruppierungen und Sekten (Neogermanen, Deutschgläubige, Deutsche Christen) der Völkischen Bewegung umfaßt. Beide Sammlungen waren durch Querverweise mit den Beständen des Rechtsextremismus des ZI 6 verbunden. Die DDR-Sammlung umfaßte einschließlich der Ost-Europa-Bestände ca. 50 000 Veröffentlichungen – die meisten aus der DDR – und bildete so den größten derartigen Bücherstandort außerhalb der DDR. Der Archivbereich »APO und soziale Bewegungen« ist zum umfassendsten Archiv dieser Art überhaupt angewachsen. Das Archiv stützt sich auf Materialien von und über alle politischen Studentengruppen sowie Gruppierungen der außerparlamentarischen Opposition nach 1945. Nach dem Rücktritt von Prof. Dr. Theo Pirker nach 13 Jahren Vorsitz von seinem Amte wählte das damalige Direktorium Prof. Dr. Niels Diederich einstimmig zum neuen Vorsitzenden. Nachdem Prof. Diederich wieder in den Bundestag gewählt worden war, gelang es den 19 Professoren des Instituts

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(Stand September 1991) weder im Frühjahr noch im Herbst 1991, einen Nachfolger oder auch nur einen Stellvertreter zu finden. Die vom politischen Senat der Universität auferlegten Sparmaßnahmen wirkten sich für das ZI 6 in katastrophalen Stellenstreichungen aus: Alle unbefristeten Stellen der wissenschaftlichen Mitarbeiter erhielten den kwVermerk, Professorenstellen wurden nach dem Tod, Weggang oder Erreichen der Altersgrenze der Inhaber nicht mehr besetzt. Auf seiner Sitzung am 28. 6. 1996 schließlich faßte das Kuratorium der Freien Universität Berlin den Beschluß zur Aufhebung des Zentralinstituts. Zu Bibliothek und Archiven hieß es dort: »Die Bibliothek und Archive des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung werden dem Bibliotheks- und Informationssystem des Fachbereichs Politische Wissenschaft verwaltungsmäßig und fachaufsichtlich zugeordnet.«

In einem Schreiben des damaligen Dekans an den Präsidenten, den Ersten und Dritten Vizepräsidenten, den Kanzler und den Direktor der Universitätsbibliothek vom 6. 8. 1996 hieß es noch, daß die Bestände zur empirischen Soziologie und zur Gewerkschaftspolitik »weiterhin gepflegt werden; die übrigen Bestände sollen am Standort Lankwitz zugänglich und benutzbar bleiben.« Und weiter:

»Die drei Spezialsammlungen (1. Parteien, Wahlen, Verbände, soziale Bewegungen; 2. DDR-Forschung; 3. Weimarer Republik, Konservative Revolution, Nationalsozialismus / Faschismus, S.L.) liegen in zentralen Arbeitsgebieten des Fachbereichs und im politikwissenschaftlichen und zeithistoriographischen Trend in Berlin. Sie sollen daher weder geteilt noch eingemottet werden. ... die Zugänglichkeit der Sammlungen ist zu sichern.«

Da wäre eine Rettung der einmaligen Bestände noch möglich gewesen. Am 24. 9. 1997 faßte der Fachbereichsrat jedoch folgenden Beschluß:

»1. Der FB prüft alle Möglichkeiten, die Bibliothek des ehem. ZI im Bestand der FU zu belassen. Zur näheren Prüfung wird folgende Kommission eingesetzt: Mielke, Steinbach, Stöss, Zehrer. … 2. Der FB erklärt sich einverstanden, die Bestände zum Thema Parteien, Gewerkschaften, soz. Bewegungen in die Bibliothek des FB einzugliedern. 3. Der FB befürwortet die Verhandlungen mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand über die dauerhafte Überlassung der Bestände des Themenkomplexes Konservative Revolution, Nationalsozialismus, Faschismus, Weimarer Republik.«

In der Prüfungskommission saß also genau Prof. Dr. Peter Steinbach, der die Verhandlungen mit sich selbst überprüfen sollte. Ohne daß die Kommission einen Bericht vorgelegt hatte. Am 22. 10. 1997 – die Kommission hatte nicht über eine einzige Prüfung einer Möglichkeit berichtet, es hatte eine einzige Sitzung stattgefunden – beschoß der Fachbereichsrat: »1. Der Fachbereich tut alles in seinen Möglichkeiten stehende, um die Bibliothek als Einheit zu erhalten mit Ausnahme der Bestände, die bereits per Vertrag vom 30.09.97 an die Gedenkstätte Deutscher Widerstand abgegeben wurden. ...«

Das war dann das Ende. Eine einzigartige Bibliothek, von deutschjüdischen Emigranten zur Erforschung der Ursachen und der Geschichte des

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Nationalsozialismus und der Etablierung demokratischer Verhältnisse in der Bundesrepublik und West-Berlin – mit allen speziellen Qualitäten einer Forschungsbibliothek – war damit besiegelt. Es setzte ein Zustand ein, den man nur als Fleddern bezeichnen kann: »Diese Zerstörung erscheint wie ein Akt der Barbarei«. 16 Die Leiterin der OSI-Bibliothek ließ z.B. die gebundenen Periodika des APO-Archivs mit Bibliothekssignaturen versehen, um sie in ihre Bibliothek einzugliedern, was verhindert werden konnte. Die »nicht gebundenen« nur hier gesammelten Materialien (Flugblätter, -schriften, Protokolle, Rundschreiben etc.) interessierten sie nicht. Daß eben die Verbindung dieser Periodika mit den »nicht gebundenen« Materialien den eigentlichen Wert dieses Archivs ausmacht, konnte oder wollte sie nicht verstehen. Aber die gerade erst angeschafften Karteikästen des ZI interessierten sie: die Karteikarten ließ sie in alte Kästen umfüllen und die geleerten neuen abtransportieren. Ohne Rücksprache mit den ZI-Mitarbeitern verfügte sie die Schließung der ZI-Bibliothek. Für 50 000 DM wurden Bücher an ein Antiquariat verhökert. Doch auch andere zeigten Interesse: Mitarbeiter der Universitätsbibliothek kamen vorbei, um die Bibliothek zu sichten – und Lücken in ihren Beständen aufzufüllen. Ganze Zeitschriftenbestände wurden verschenkt oder verkauft … Wenigstens ein Teil der im Bereich »Parteien, Wahlen, Verbände« gesammelten Bestände der Bibliothek und des Archivs des ZI 6 wurde ins OSI übergeführt und ist dort weiter zugänglich. Und Siegward Lönnendonker gelang es, die verschiedenen Versuche – auch aus dem ZI 6 – das APO-Archiv aufzulösen, abzuwehren und es an das Universitätsarchiv anzugliedern, wo es weiterhin benutzt wird (und er die Arbeit als ehrenamtliches Mitglied der FU auch heute noch in seiner alten Funktion begleitet). Die Bestände des DDRArchivs sind ausgelagert und nicht mehr zugänglich, die der ehemaligen »Historischen Abteilung«, Faschismus, Konservative Revolution, lagern in der Bibliothek der »Gedenkstätte Deutscher Widerstand« und können dort – in bemerkenswerter Entfernung von der FU – eingesehen werden (Herr Steinbach bezeichnete sich als deren Retter).

Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin (ehemals Schriften des Instituts für politische Wissenschaft) Mit Ausnahme der Bände 1, 2, 4, 5, 6 und 8 sind alle Bände im Westdeutschen Verlag Opladen erschienen. Bd. 1 Stephanie Münke, Wahlkampf und Machtverschiebung. Geschichte und Analyse der Berliner Wahlen vom 3. Dezember 1950–1952. (Duncker u. Humblot, Berlin; vergriffen) 16 Tilman Fichter, Nachruf auf eine Bibliothek, in: Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte, Mai 1998, S. 459.

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Das IfpW / ZI 6 Bd. 2 Faktoren der Machtbildung. Wissenschaftliche Studien zur Politik. Mit Beiträgen von Karl Dietrich Bracher, Martin Drath, Otto Heinrich von Gablentz, Arkadij Rudolf Lang Gurland, Ernst Richert. – 1952. (Duncker u. Humblot, Berlin; vergriffen) Bd. 3 Max Gustav Lange, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie. Mit einer Einleitung von Hans Herzfeld. – 6. Auflage 1978. (Ring-Verlag, Villingen) Bd. 4 Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie. Mit einer Einleitung von Hans Herzfeld. 5. Auflage Villingen / Schw.: Ring-Verl. 1971. XXI, 710 S. Bd. 5 Max Gustav Lange, Wissenschaft im totalitären Staat. Die Wissenschaft der Sowjetischen Besatzungszone auf dem Weg zum »Stalinismus«. Mit einem Vorwort von Otto Stammer. – 1955. (Ring-Verlag, Villingen; vergriffen) Bd. 6 Parteien in der Bundesrepublik. Studien zur Entwicklung der deutschen Parteien bis zur Bundestagswahl 1953. Mit Beiträgen von Max Gustav Lange, Gerhard Schulz, Klaus Schütz, Arnold Bauer, Rudolf Holzgräber, Martin Virchow. Mit einer Einleitung von Sigmund Neumann. – 1955. (Ring-Verlag, Villingen; vergriffen) Bd. 7 Wolfgang Hirsch-Weber / Klaus Schütz, Wähler und Gewählte. Eine Untersuchung der Bundestagswahlen 1953. Unter Mitarbeit von Peter Schran, Martin Virchow u.a. Mit einem Vorwort von Otto Stammer. – 1957. XXII, 462 S. (vergriffen) Bd. 8 Joachim Schultz, Der Funktionär in der Einheitspartei. Kaderpolitik und Bürokratisierung in der SED. Mit einer Einleitung von Otto Stammer. – 1956. (Ring-Verlag, Villingen; vergriffen) Bd. 9 Otto Büsch / Peter Furth, Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Studien über die »Sozialistische Reichspartei« (SRP). Mit einer Einleitung von Eugen Fischer-Baling. – 1958. IX, 309 S. (vergriffen) Bd. 10 Ernst Richert, Agitation und Propaganda. Das System der publizistischen Massenführung in der Sowjetzone. In Zusammenarbeit mit Carola Stern und Peter Dietrich. Mit einem Vorwort von Otto Stammer. – 1958. (vergriffen) Bd. 11 Ernst Richert, Macht ohne Mandat. Der Staatsapparat in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Mit einer Einleitung von Martin Drath. – 1958. 2., erweiterte und überarbeitete Auflage 1963. XLIV, 304 S. (vergriffen) Bd. 12 Jürgen Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat. Ideologische Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts. Mit einem Vorwort von Hans-Joachim Lieber. – 1958. XII, 222 S. (vergriffen) Bd. 13 Wolfgang Hirsch-Weber, Gewerkschaften in der Politik. Von der Massenstreikdebatte zum Kampf um das Mitbestimmungsrecht. Mit einem Vorwort von Otto Stammer. – 1959. XVI, 170 S. (vergriffen) Bd. 14 Karl Dietrich Bracher / Wolfgang Sauer / Gerhard Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933 / 34. – 1960. 2., durchgesehene Auflage 1962. XX, 1034 S. (vergriffen) Bd. 16 Renate Mayntz, Parteigruppen in der Großstadt. Untersuchungen in einem Berliner Kreisverband der CDU. Mit einem Vorwort von Otto Stammer. – 1959. X, 159 S. (vergriffen)

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Siegward Lönnendonker Bd. 17 Otto Stammer (Hg), Politische Forschung. Beiträge zum zehnjährigen Bestehen des Instituts für politische Wissenschaft. – 1960. XI, 272 S. (vergriffen) Bd. 18 Otto Stammer u.a., Verbände und Gesetzgebung. Die Einflußnahme der Verbände auf die Gestaltung des Personalvertretungsgesetzes. – 1965. VIII, 316 S. (vergriffen) Bd. 19 Kurt L. Shell, Bedrohung und Bewährung. Führung und Bevölkerung in der Berlin-Krise. – 1965. XVI, 480 S. (vergriffen) Bd. 20 Jürgen Fijalkowski / Peter Hauck / Axel Holst / Gerd-Heinrich Kemper / Alf Mintzel, Berlin – Hauptstadtanspruch und Westintegration. – 1967. VIII, 353 S. (vergriffen) Bd. 21 Peter Christian Ludz, Parteielite im Wandel. Funktionsaufbau, Sozialstruktur und Ideologie der SED-Führung. Eine empirisch-systematische Untersuchung. – 1968. 2., unveränderte Auflage 1968. 3. durchgesehene Auflage 1970. XXII, 438 S. (vergriffen) Bd. 22 Timothy W. Mason, Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft. Dokumente und Materialien zur deutschen Arbeiterpolitik 1936–1939. – 1975. LXIV, 129 S. Bd. 23 Dieter Hertz-Eichenrode, Politik und Landwirtschaft in Ostpreußen 1919– 1930. Untersuchung eines Strukturproblems in der Weimarer Republik. Mit einer Einleitung von Hans Herzfeld. – 1969. XVI, 352 S. (vergriffen) Bd. 24 Jürgen Dittberner / Rolf Ebbighausen (Hg), Parteiensystem in der Legitimationskrise. Studien und Materialien zur Soziologie der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. – 1973. 526 S. Bd. 25 Dietrich Herzog, Politische Karrieren. Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen. – 1975. 249 S. Bd. 26 Alf Mintzel, Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei. Mit einem Vorwort von Otto Stammer. – 1975. 776 S. 2. Auflage 1978. Bd. 27 Hartmut Kaelble / Horst Matzerath / Hermann-Josef Rupieper / Peter Steinbach / Heinrich Volkmann, Probleme der Modernisierung in Deutschland. Sozialhistorische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert. – 1978. 332 S. 2. Auflage 1979 Bd. 28 Gert-Joachim Glaeßner, Herrschaft durch Kader. Leitung der Gesellschaft und Kaderpolitik in der DDR am Beispiel des Staatsapparates. – 1977. 384 S. Bd. 29 Gero Neugebauer, Partei und Staatsapparat in der DDR. Aspekte der Instrumentalisierung des Staatsapparats durch die SED. – 1978. 236 S. Bd. 30 Gert-Joachim Glaeßner / Irmhild Rudolph, Macht durch Wissen. Zum Zusammenhang von Bildungspolitik, Bildungssystem und Kaderqualifizierung in der DDR. Eine politisch-soziologische Untersuchung. – 1978. 371 S. Bd. 31 Katharina Belwe, Mitwirkung im Industriebetrieb der DDR. Planung – Einzelleitung – Beteiligung der Werktätigen an Entscheidungsprozessen des VEB. – 1979. 245 S. Bd. 32 Richard Stöss, Vom Nationalismus zum Umweltschutz. Die Deutsche Gemeinschaft / Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher im Parteiensystem der Bundesrepublik. – 1980. 382 S. Bd. 33 Christiane Lemke, Persönlichkeit und Gesellschaft. Zur Theorie der Persönlichkeit in der DDR. – 1980. 155 S. Bd. 34 Gustav Schmidt, England in der Krise. Grundzüge und Grundlagen der britischen Appeasement-Politik (1930–1937). – 1981. 691 S.

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Das IfpW / ZI 6 Bd. 35 Gerd M. Hellstern / Hellmut Wollmann (Hg), Handbuch zur Evaluierungsforschung. Bd. 1. – 1984. 677 S. Bd. 36 Gerd M. Hellstern / Hellmut Wollmann (Hg), Handbuch zur Evaluierungsforschung. Bd. 2. (nicht erschienen) Bd. 37 Günter Erbe, Arbeiterklasse und Intelligenz in der DDR. Soziale Annäherung von Produktionsarbeiterschaft und wissenschaftlich-technischer Intelligenz im Industriebetrieb? – 1982. 224 S. Bd. 38 Richard Stöss (Hg), Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980. Bd. 1 AUD-EFP. – 1983. 1310 S. Bd. 39 Richard Stöss (Hg), Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980. Bd. 2 FDP-WAV. – 1984. 1270 S. Bd. 40 Michael Fichter, Besatzungsmacht und Gewerkschaften. Zur Entwicklung und Anwendung der US-Gewerkschaftspolitik in Deutschland, 1944–1948. – 1982. 306 S. Bd. 41 Carola Sachse / Tilla Siegel / Hasso Spode / Wolfgang Spohn, Angst, Belohnung, Zucht und Ordnung. Herrschaftsmechanismen im Nationalsozialismus. Mit einer Einleitung von Timothy W. Mason. – 1982. 341 S. Bd. 42 Max Kaase / Hans-Dieter Klingemann (Hg), Wahlen und politisches System. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1980. – 1983. 651 S. Bd. 43 Rolf Ebbighausen / Friedrich Tiemann (Hg), Das Ende der Arbeiterbewegung in Deutschland? Ein Diskussionsband zum sechzigsten Geburtstag von Theo Pirker. – 1984. 665 S. Bd. 44 Heinrich Volkmann / Jürgen Bergmann (Hg), Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung. – 1984. 356 S. Bd. 45 Traute Rafalski, Italienischer Faschismus in der Weltwirtschaftskrise. Zur Interdependenz von innerer und äußerer Politik (1925–1935). – 1984. 464 S. Bd. 46 Manfred Konukiewitz, Die Implementation räumlicher Politik. Eine empirische Untersuchung zur Koordination des Vollzugs raumwirksamer Maßnahmeprogramme. – 1985. 259 S. Bd. 47 Jürgen Bergmann / Jürgen Brockstedt / Hartmut Kaelble / Hermann-Josef Rupieper / Peter Steinbach / Heinrich Volkmann, Arbeit, Mobilität, Partizipation, Protest. Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. – 1986. 252 S. Bd. 48 Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik. – 1986. 494 S. Bd. 49 Hans-Dieter Klingemann / Max Kaase (Hg), Wahlen und politischer Prozeß. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1983. – 1986. 543 S. Bd. 50 Systematische Bibliographie von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern zur politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der SBZ / DDR seit 1945 auf der Grundlage der Bestände der Bibliothek des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin und von Beständen des Gesamtdeutschen Instituts – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben, Bonn., Bd. 1 Geschichte und politisches System der SBZ / DDR, nichtkommunistische Länder aus der Sicht der DDR, deutsche Frage. Bearbeitet von Walter Völkel unter Mitwirkung von Christiana Stuff. – 1986. 983 S., Bd. 2

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Bd. 51 Bd. 52 Bd. 53 Bd. 54 Bd. 55 Bd. 56 Bd. 57 Bd. 58 Bd. 59 Bd. 60 Bd. 61 Bd. 62 Bd. 63

Wirtschaft. – 1987. 935 S., Bd. 3 Gesellschaft, Bildung, Kirchen. – 1989. 945 S. Ute Schmidt, Zentrum oder CDU. Politischer Katholizismus zwischen Tradition und Anpassung. – 1987. 410 S. Tilman Fichter, SDS und SPD. Parteilichkeit jenseits der Partei. – 1988. 426 S. Klaus Sühl, SPD und öffentlicher Dienst in der Weimarer Republik. Die öffentlich Bediensteten in der SPD und ihre Bedeutung für die sozialdemokratische Politik 1918–1933. – 1988. 259 S. Dietrich Herzog / Bernhard Weßels (Hg), Konfliktpotentiale und Konsensstrategien. Beiträge zur politischen Soziologie der Bundesrepublik. – 1989. 344 S. Jürgen Bergmann / Jürgen Brockstedt / Rainer Fremdling / Rüdiger Hohls / Hartmut Kaelble / Hubert Kiesewetter, Regionen im historischen Vergleich. Studien zu Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. – 1989. 413 S. Gert-Joachim Glaeßner (Hg), Die DDR in der Žra Honecker. Politik – Kultur – Gesellschaft. – 1988. 689 S. Tilla Siegel, Leistung und Lohn in der nationalsozialistischen »Ordnung der Arbeit«. – 1989. 325 S. Zoltan Jákli, Vom Marshallplan zum Kohlepfennig. Grundrisse der Subventionspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1948–1982. – 1990. Nils Diederich / Georg Cadel / Ingeborg Haag / Heidrun Dettmar, Die diskreten Kontrolleure. Eine Wirkungsanalyse des Bundesrechnungshofs. – 1990. Max Kaase / Hans-Dieter Klingemann, Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1987. – 1990. Wolfgang Jaedicke / Kurt Ruhland / Ute Wachendorfer / Hellmut Wollmann / Holger Wonneberg, Lokale Politik im Wohlfahrtsstaat. Zur Sozialpolitik der Gemeinden und ihrer Verbände in der Beschäftigungskrise. – 1990. Christiane Lemke, Die Ursachen des Umbruchs 1989. Politische Sozialisation in der ehemaligen DDR. – 1991. 297 S. Bernhard Weßels, Erosion des Wachstumsparadigmas Neue Konfliktstrukturen im politischen System der Bundesrepublik? – 1991.

Die Reihe wurde noch bis Band 91 als »Schriften des Otto-Stammer-Zentrums« fortgesetzt (alle Bände sind im Westdeutschen Verlag erschienen): Bd. 64 Hartmut Kaelble (Hg), Der Boom 1948–1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa. Opladen 1992. 247 S. Bd. 65 Wolfram Fischer / Andreas Kunz (Hg), Grundlagen der Historischen Statistik von Deutschland. Quellen, Methoden, Forschungsziele. Opladen 1991. XI, 388 S. Bd. 66 Hans-Dieter Klingemann / Richard Stöss / Bernhard Weßels (Hg), Politische Klasse und politische Institutionen. Probleme und Perspektiven der Elitenforschung. Dietrich Herzog zum 60. Geburtstag. Opladen / Wiesbaden 1991. 481 S. Bd. 67 Theo Pirker (Hg), Die bizonalen Sparkommissare. Öffentliche Finanzkontrolle im Spannungsfeld zwischen Eigen- und Fremdinteresse während der Vorund Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland. Opladen 1992. 205 S.

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Das IfpW / ZI 6 Bd. 68 Günter Erbe, Die verfemte Moderne. Die Auseinandersetzung mit dem »Modernismus« in Kulturpolitik, Literaturwissenschaft und Literatur der DDR. Opladen 1993. 249 S. Bd. 69 Rainer Weinert, »Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege«. Der Rechnungshof des Deutschen Reiches 1938–1946. Opladen 1993. 184 S. Bd. 70 Hans-Dieter Klingemann / Wolfgang Luthardt (Hg), Wohlfahrtsstaat, Sozialstruktur und Verfassungsanalyse. Jürgen Fijalkowski zum 60. Geburtstag. Opladen 1993. 247 S. Bd. 71 Oskar Niedermayer / Richard Stöss (Hg), Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland. Opladen 1993. 347 S. Bd. 72 Hans-Dieter Klingemann / Max Kaase (Hg), Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1990. Opladen / Wiesbaden 1994. 665 S. Bd. 73 Dietrich Herzog / Hilke Rebenstorf / Bernhard Weßels (Hrsg), Parlament und Gesellschaft. Eine Funktionsanalyse der repräsentativen Demokratie. Opladen. 1993. 336 S. Bd. 74 Manfred Gailus / Heinrich Volkmann (Hg), Der Kampf um das tägliche Brot. Nahrungsmangel, Versorgungspolitik und Protest 1770–1990. Opladen 1994. 477 S. Bd. 75 Jürgen R. Winkler, Sozialstruktur, politische Traditionen und Liberalismus. Eine empirische Längsschnittstudie zur Wahlentwicklung in Deutschland 1871–1933. Opladen 1995. 478 S. Bd. 76 Franz-Otto Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß. Finanz- und Verwaltungskontrolle in den während des Zweiten Weltkrieges von Deutschland besetzten Gebieten. Opladen 1994. 156 S. Bd. 77 Hans-Dieter Klingemann / Lutz Erbring / Nils Diederich (Hg), Zwischen Wende und Wiedervereinigung. Analysen zur politischen Kultur in West- und Ost-Berlin 1990. Opladen 1995. 347 S. Bd. 78 Jürgen Kädtler / Hans-Hermann Hertle, Sozialpartnerschaft und Industriepolitik. Strukturwandel im Organisationsbereich der IG Chemie-Papier-Keramik. Opladen 1997. 342 S. Bd. 79 Harold Hurwitz, Die Stalinisierung der SED. Zum Verlust von Freiräumen und sozialdemokratischer Identität in den Vorständen 1946–1949. Opladen 1997. 514 S. Bd. 80 Jürgen Kädtler u.a., Betriebsräte in Ostdeutschland. Institutionenbildung und Handlungskonstellationen 1989–1994. Opladen 1997. 275 S. Bd. 81 Ute Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei? Die Ost-CDU im Umbruch 1989–1994. Opladen 1997. 406 S. Bd. 82 Dieter Segert / Richard Stöss / Oskar Niedermayer (Hg), Parteiensysteme in postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas. Opladen 1997. 433 S. Bd. 83 Siegward Lönnendonker (Hg), Linksintellektueller Aufbruch zwischen »Kulturrevolution« und »kultureller Zerstörung«. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in der Nachkriegsgeschichte (1946–1969). Dokumentation eines Symposiums. Opladen / Wiesbaden 1998. 336 S. Bd. 84 Christine Dörner / Klaudia Erhardt (Hg), Politische Meinungsbildung und Wahlverhalten. Analysen zum »Superwahl-jahr« 1994. Opladen / Wiesbaden 1998. 220 S.

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Siegward Lönnendonker Bd. 85 Max Kaase / Hans-Dieter Klingemann (Hg), Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1994. Opladen / Wiesbaden 1998. 669 S. Bd. 86 Nicht erschienen. Bd. 87 Rainer Weinert / Franz-Otto Gilles, Der Zusammenbruch des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Zunehmender Entscheidungsdruck, institutionalisierte Handlungsschwächung und Zerfall der hierarchischen Organisationsstruktur. Opladen / Wiesbaden 1999. 201 S. Bd. 88 Nils Diederich / Ingeborg Haag / Georg Cadel, Industrie- und Handelskammern in den neuen Bundesländern. Regionale autonome Interessenorganisationen im Prozeß der Neustrukturierung der Wirtschaft. Wiesbaden 2000. 285 S. Bd. 89 Ingrid Reichart-Dreyer, Macht und Demokratie in der CDU. Dargestellt am Prozeß und Ergebnis der Meinungsbildung zum Grundsatzprogramm 1994. Wiesbaden 2000. 318 S. Bd. 90 Hans-Dieter Klingemann / Max Kaase (Hg), Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1998. Wiesbaden 2001. 738 S. Bd. 91 Siegward Lönnendonker / Bernd Rabehl / Jochen Staadt, Die antiautoritäre Revolte. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund nach der Trennung von der SPD. Bd. 1 1960–1967. Wiesbaden 2002. 529 S.

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Klaus Schroeder Der Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin 1

I. Die Gründung des Forschungsverbundes: Motive und Ansprüche Der Zusammenbruch der DDR und die nachfolgende deutsche Wiedervereinigung eröffneten Geschichtswissenschaft und Sozialwissenschaften ein breites Forschungsfeld und ließen gleichzeitig Probleme und Defizite zeitgeschichtlicher, vor allem aber politikwissenschaftlicher DDR- und Deutschlandforschung zutage treten. Auch die Wissenschaftler der Freien Universität Berlin, die auf diesen Feldern arbeiteten, wurden von den Ereignissen überrascht: Die am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung angesiedelten DDR-Forscher unter Hartmut Zimmermann und Gert-Joachim Glaeßner konnten keine den neuen Herausforderungen angemessene Konzeption entwickeln; auch waren weder am Fachbereich Politische Wissenschaft noch am Fachbereich Geschichtswissenschaften diesbezügliche Aktivitäten erkennbar. In dieser Situation erlangte die Gründungsinitiative für eine Forschungsstelle, die sich systematisch mit der deutschen Teilungsgeschichte beschäftigen wollte, besondere Bedeutung. Aus einem bestehenden, aber eher unverbindlichen Arbeitszusammenhang von Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachbereichen und Instituten, die zur Geschichte der DDR oder zum Vereinigungsprozeß forschten, entstand die Vision, zu einer abgestimmten und institutionell verankerten Zusammenarbeit zu kommen. In diesem informellen Diskussionskreis aus Historikern, Politikwissenschaftlern und Soziologen konzentrierte sich die Auseinandersetzung mit der SED-Politik schon vor 1989 auf die Frage nach Herrschaftsformen und -methoden der DDR-Staatspartei. Die theoretischen Wurzeln dieser Debatte lagen u.a. in der marxistischen Stalinismuskritik. Die innersozialistische Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Gesellschaftsmodell speiste sich aus dem Vergleich der Verheißung der sozialistischen Utopie von der Überwindung der Herrschaft von Menschen über Menschen mit der totalitären Herrschaftspraxis. FU-Professoren wie Ossip K. Flechtheim und Richard Löwenthal, aber auch Theo Pirker standen in dieser Tradition der marxistischen Bolschewismuskritik.

1 Dieser Beitrag basiert auf verschiedenen Selbstdarstellungen des Forschungsverbundes, die aktualisiert und ergänzt wurden.

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Klaus Schroeder

Sowohl ihre wissenschaftliche Beschäftigung mit den Wandlungen des sowjetischen Kommunismus als auch ihre Analysen der deutschen Nachkriegsdemokratie waren durch eigene existentielle Erfahrungen mit den totalitären Herausforderungen der jüngsten Vergangenheit geprägt. In den frühen fünfziger Jahren entstand an der Freien Universität auch das Buch von Carola Stern über die SED und ihren Apparat. Stern hatte wie Wolfgang Leonhard, Hermann Weber und viele andere ehemalige SEDGenossen mit ihrer Partei gebrochen. Auch die ost- und mitteleuropäische Kritik an der kommunistischen Parteidiktatur wurde an der FU aufgenommen. So übersetzte etwa Helmut Wagner den 1963 verfaßten offenen Brief von Jacek Kuron und Karol Modzelewski an die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) – eine der scharfsinnigsten Analysen zur Rolle des zentralen Parteiapparates in den realsozialistischen Gesellschaften – und machte ihn der deutschen Öffentlichkeit zugänglich. Vor dem Hintergrund dieser Schriften erfolgte schon in den frühen 80er Jahren und verstärkt nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus eine erneute Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Totalitarismustheorien. Im März 1992 nahmen die erwähnten Vorstellungen einiger FUWissenschaftler, ihre Zusammenarbeit institutionell zu verankern, konkrete Gestalt an. Der Historiker Manfred Görtemaker, der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder und der Soziologe Manfred Wilke brachten drittmittelfinanzierte Projekte, die Soziologen Bernd Rabehl und Siegward Lönnendonker Vorarbeiten und geplante Vorhaben in die Initiative ein. Die schon bestehenden und geplanten drittmittelgeförderten Projekte sollten inhaltlich abgestimmt und organisatorisch verbunden werden. Die Untersuchung von Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des SED-Regimes bildete dabei den Rahmen für die in Aussicht genommene gemeinsame Forschungsarbeit. Da die Initiatoren der geplanten Forschungsstelle an verschiedenen Fachbereichen/Instituten ressortierten (FB Politische Wissenschaft, FB Philosophie und Sozialwissenschaften I, FB Geschichtswissenschaften sowie Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung) und sich auch von der Thematik her ein interdisziplinärer Zugang anbot, hatte der Forschungsverbund von Beginn an fachbereichsübergreifenden Charakter. FU-Präsident Johann W. Gerlach unterstützte den Verbund mit einer Grundausstattung (Räume, Sachmittel, studentische Hilfskräfte etc.). Im Jahre 1992 trat der Forschungsverbund SED-Staat mit einer Gründungserklärung an die Öffentlichkeit. Während die öffentliche Reaktion durchweg positiv ausfiel, protestierten der Fachbereich Politische Wissenschaft und das Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung (ZI 6) universitätsintern mit der Begründung, »übergangen« worden zu sein. Die zum Gründungszeitpunkt schon bestehenden Projekte und Arbeitszusammenhänge wurden von den Kritikern ebenso ignoriert wie das fachbereichsübergreifende und interdisziplinäre Konzept des Forschungsverbundes. Der Dekan des Fachbereichs Politische Wissenschaft,

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Der Forschungsverbund SED-Staat

der besonders lautstark gegen die Gründung des Forschungsverbundes protestierte und sogar eine Klage gegen dessen Errichtung vorschlug, entpuppte sich kurze Zeit später als langjähriger inoffizieller Mitarbeiter des MfS.

II. Forschungsschwerpunkte und -projekte 1992–2012 Die bisher abgeschlossenen und laufenden Projekte des Forschungsverbundes SED-Staat konzentrier(t)en sich auf ausgewählte Schwerpunkte der DDRGeschichte und des deutschen Wiedervereinigungsprozesses sowie auf die Kriegsfolgen im sowjetisch besetzten Gebiet (Vertreibung und Zwangsarbeit). Allgemein formuliert ging es um die Etablierung, Stabilisierung und Transformierung sozialistischer Diktaturen am Beispiel der DDR. Erste Ergebnisse der verschiedenen Projekte verdeutlichten frühzeitig den inneren Zusammenhang von Geschichte und Gegenwart. Der Vereinigungs- und Transformationsprozeß läßt sich ohne Bezug auf Strukturen und Entwicklungslinien der DDR ebenso wenig analysieren wie die Vor- und Gründungsgeschichte der DDR ohne die Berücksichtigung der vorausgegangenen nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Zerschlagung durch die Alliierten. Was anfangs Außenstehenden als eine verwirrende Vielzahl eher willkürlich zusammen gewürfelter Projekte erschienen sein mag, erwies sich in der konkreten Arbeit als nutzbringender Vorteil. Synergieeffekte ergaben sich insoweit nicht nur zwischen zeitgeschichtlichen Projekten, sondern speziell auch für Untersuchungen des Transformationsprozesses. Die Projekte des Forschungsverbundes können systematisch in neun Themenfeldern zusammengefaßt werden, wobei sich der innere Zusammenhang aus den genannten forschungsstrategischen Schwerpunkten ergibt.

Themenfeld 1: Errichtung und Aufrechterhaltung der Diktatur in der DDR durch die SED-Führung und ihren zentralen Parteiapparat Die Geschichte der SBZ / DDR wurde maßgeblich von der Politik der KPD / SED als Sachwalterin der sowjetischen Machtinteressen in Deutschland bestimmt. Bis 1990 konnte die Forschung Politik und Geschichte der SED nur bedingt aufhellen, waren doch unverzichtbare Quellenbestände wie das zentrale Parteiarchiv der SED nicht zugänglich. Die Untersuchungen zur SED stellten in den ersten Jahren zweifelsohne den Kern der Arbeit des Forschungsverbundes dar. Hierzu gehören die Nachkriegsplanungen der Moskauer Exil-KPD ebenso wie das Verhältnis von Partei und Staatssicherheit sowie vor allem die Analyse des zentralen Parteiapparates der SED, der bis zu seinem Ende 1989 das eigentliche Macht- und Regierungszentrum der DDR war. Von Anbeginn gaben sowohl in der Führung wie im zentralen Apparat der SED Funktionäre der KPD, die aus dem sowjetischen Exil gekommen waren, den Ton an.

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Die Veröffentlichung der Dokumente der KPD-Führung aus dem Moskauer Exil hat die Diskussion um die Vorgeschichte der DDR nachhaltig bereichert, wird hieraus doch deutlich, daß die programmatischen Planungen in einem engen Zusammenhang mit den interalliierten Kriegskonferenzen und der sowjetischen Deutschlandpolitik stehen. Die sowjetische KP-Führung sah die Aufgabe der KPD darin, nach dem alliierten Sieg über das nationalsozialistische Deutschland den anderen politischen Strömungen mit Hilfe der Blockpolitik die programmatischen und strategischen Konzepte der KPdSU aufzuzwingen. 2 Erstes Ziel der Sowjetunion bildete die »Ostorientierung« Deutschlands oder zumindest des von ihr besetzten Territoriums. Die KPD-Führung, die an ihrem Ziel der Errichtung eines »Sowjetdeutschland« festhielt, fügte ebenso unbeirrt die Bausteine für eine Einheitspartei der deutschen Arbeiterbewegung zusammen, die auf der ideologischen Grundlage des MarxismusLeninismus und der bolschewistischen Parteikonzeption ruhen sollte. Zur Umsetzung ihrer Besatzungspolitik benötigte die Sowjetunion politische Machtstrukturen, die kompatibel zu ihren eigenen waren. Von daher waren Gründung und Aufbau der SED als bestimmendes Machtzentrum die entscheidenden Voraussetzungen für Entstehung und Entwicklung des zweiten deutschen Staates als Teil des sowjetischen Imperiums. Die KPD / SEDFührung hätte ihre Politik ohne einen zentralen Apparat, der gleichermaßen als Vorgabe- und Kontrollinstanz wirkte, nicht umsetzen können, wie ein Sammelband des Forschungsverbundes aus dem Jahre 1998 verdeutlichte. 3 Heike Arnos verwies 2003 und 2006 in zwei weiteren Monographien auf zahlreiche bisher unbekannte Details aus dem Innenleben des SEDApparats. 4 Klaus Schroeder legte 1998 unter dem programmatischen Titel »Der SEDStaat« die erste nach der deutschen Vereinigung komplett neu erarbeitete Gesamtdarstellung der DDR-Geschichte vor, die seither in mehreren Auflagen erschienen ist 5 – im Frühjahr 2013 wird eine vollständig überarbeitete und ergänzte Fassung des Buches im Böhlau-Verlag veröffentlicht. Neben der Geschichte werden in ausführlichen Kapiteln die Strukturen der DDR dargestellt und analysiert und die Debatte um die theoretische Einordnung dieses 2 Vgl. Peter Erler / Horst Laude / Manfred Wilke (Hg), Nach Hitler kommen wir. Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland, Berlin 1994. 3 Vgl. die Beiträge in Manfred Wilke (Hg.): Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, Berlin 1998. 4 Heike Arnos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949–1963, Münster / Hamburg 2003; dies., Die Entstehung der Verfassung in der SBZ / DDR 1946– 1949, Münster/Hamburg 2006. 5 Klaus Schroeder (unter Mitarbeit von Steffen Alisch), Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft, München 1998 und 2000.

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deutschen Teilstaates zusammengefaßt und bewertet. Schroeder kennzeichnet den SED-Staat als »(spät-)totalitären Versorgungs- und Überwachungsstaat«, der Zeit seiner Existenz ein sowjetisierter deutscher Teilstaat blieb, der mit dem Ende des Kalten Krieges seine Existenzberechtigung verlor. Speziell für Schüler verfaßte Klaus Schroeder eine kurze Geschichte der DDR, die sowohl ihre prägenden Strukturen als auch ihre geschichtliche Entwicklung umfaßt. 6 Außerdem sind im Kontext dieses Themenfeldes Veröffentlichungen von Peter Erler zu den sowjetischen Internierungslagern 7 und zur Reemigration von KPD-Kadern aus dem Moskauer Exil, 8 mehrere Aufsätze und Artikel verschiedener Projektmitarbeiter zum Aufbau eines KPD-Nachrichtendienstes 9 sowie zum Verwaltungsaufbau8 erschienen. Jochen Staadt hat die Entmachtung und Ablösung von Walter Ulbricht rekonstruiert 10 und gemeinsam mit Reinhard Borgmann einen Spionagefall im ZK beschrieben. 11 Schon frühzeitig zeigte sich, daß Millionen Menschen nicht in der von der SED mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht errichteten sozialistischen Diktatur leben wollten. Viele von ihnen flohen gen Westen, andere leisteten Widerstand. Das bereits in den ersten Jahren nach Kriegsende von der Besatzungsmacht aufgebaute und von der DDR später weiterentwickelte Grenzregime konnte zwar die Flucht hunderttausender Menschen verhindern, aber durch das Schlupfloch Berlin gelang bis 1961 Millionen Menschen die Flucht nach West-Berlin. Nach der vollständigen Abriegelung der DDR gen Westen war die Flucht mit einem tödlichen Risiko verbunden. Wie das DDRGrenzregime aufgebaut und von 1949 bis 1989 »modernisiert« wurde und 6 Klaus Schroeder, Kompaktwissen. Die DDR. Geschichte und Strukturen, Reclam, Stuttgart 2011. 7 Vgl. z.B. Peter Erler, Zur Wirkung der sowjetischen Militärtribunale (SMT) in der SBZ/DDR 1945–1955, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 2/1996, S. 51 ff. 8 Vgl. z.B. Peter Erler, Heeresschau und Einsatzplanung. Ein Dokument zur Kaderpolitik der KPD aus dem Jahre 1944, in: Klaus Schroeder (Hg.), Geschichte und Transformation des SED-Staates. Beiträge und Analysen, Berlin 1994, S. 52 ff. 9 Vgl. Michael Kubina, In einer solchen Form, die nicht erkennen läßt, worum es sich handelt – zu den Anfängen der parteieigenen Geheim- und Sicherheitsapparate der KPD/SED nach dem Krieg, in: IWK Nr. 3/1996. Vgl. neben den Beiträgen von Peter Erler, Michael Kubina und Friederike Sattler in dem in Anmerkung 2 erwähnten Band sowie Hans-Peter Müller, Die Ersetzung des Berufsbeamtentums durch die Gesinnungsverwaltung. Ein Aspekt beim Aufbau der deutschen Volksdemokratie in der SBZ im Lichte der Akten des zentralen Parteiapparates der SED 1945 bis 1948, in: Heiner Timmermann (Hg), Diktaturen im Europa im 20. Jahrhundert – der Fall DDR, Berlin 1996, S. 133 ff. 10 Jochen Staadt, Ulbrichts letzter Machtkampf, in: Deutschland Archiv Nr. 5/1996, S. 686 ff. 11 Reinhard Borgmann / Jochen Staadt, Deckname Markus, Berlin 1998.

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welche Folgen (Tod, Verletzung, Inhaftierung usw.) es für Menschen hatte, die das »gelobte Land« verlassen wollten, wird im Rahmen eines umfassenden Forschungsprojektes von Sommer 2012 bis Ende 2015 untersucht werden.

Themenfeld 2: Die Deutschlandpolitik der SED Die Forschungen zur West- und Deutschlandpolitik der SED begannen mit einem von der FU aus Eigenmitteln finanzierten Forschungsvorhaben über Einflußversuche von SED und MfS auf West-Berliner Wissenschaftseinrichtungen. Obschon sich der Quellenzugang als äußerst schwierig erwies, konnten diverse Versuche zur Einflußnahme auf FU-Einrichtungen belegt werden. 12 Zusätzlich zu dieser Untersuchung, die einige Jahre später fortgesetzt wurde, 13 beschäftigen sich mehrere Forschungsprojekte mit den Entwicklungsstadien und Zielen der SED-Westpolitik. Die Arbeit von Jochen Staadt zur Westpolitik der SED 1960 bis 1970 hat die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion über dieses Thema geradezu provoziert, erlaubte sie doch einen Einblick in Konzeption, Intention und operative Umsetzung der geheimen Westarbeit der SED. 14 Insbesondere um die Frage der direkten Einmischung der SED in die westdeutsche Innenpolitik entbrannte eine heftige Kontroverse, die durch eine Expertise Staadts für die Enquête-Kommission des Bundestages »Aufarbeitung der Geschichte und Folgen der SED-Diktatur« verstärkt wurde. 15 In verschiedenen Veröffentlichungen Staadts wurde deutlich, in welchem Maße und mit welchen Mitteln die SED versuchte, durch den Aufbau eines Netzes von Vertrauensleuten in den politischen Institutionen der Bundesrepublik die westliche Deutschlandpolitik systematisch und zielstrebig durch ihre »Lobbyisten« zu beeinflussen. Verwandte Fragestellungen wurden auch in weiteren Veröffentlichungen von Mitarbeitern des Forschungsverbundes (z.T. in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus anderen Institutionen) thematisiert. Hans-Peter Müller stellte anhand der Akten des SED-Politbüros die Gründung der DKP 1968 als den Aufbau eines Interventionsapparats der SED für ihre Westarbeit in der 12 Vgl. Klaus Schroeder / Jochen Staadt (Hg), Im Westen nichts Neues? Dokumentation zur Diskussion um den Einfluß von SED, FDJ und MfS auf die Freie Universität Berlin, Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 18/1995. 13 Das Projekt unter Leitung von Jochen Staadt und Klaus Schroeder beschäftigt sich mit Berliner Wissenschaftseinrichtungen in Zeiten der Teilung. 14 Jochen Staadt, Die geheime Westpolitik der SED 1960 bis 1970. Von der gesamtdeutschen Orientierung zur sozialistischen Nation, Berlin 1993. 15 Jochen Staadt, Versuche der Einflußnahme der SED auf die politischen Parteien der Bundesrepublik nach dem Mauerbau, in: Enquete-Kommission (Hg), Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, Band V, 3, S. 2406 ff.

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Bundesrepublik dar; 16 Manfred Wilke und Hans-Hermann Hertle untersuchten das Verhältnis zwischen der SED und der IG Druck und Papier / IG Medien; 17 Uwe Bastian befaßte sich mit der »Bearbeitung« von Greenpeace durch das MfS, 18 Steffen Alisch hob die programmatische Bedeutung des »Instituts für internationale Politik und Wirtschaft« für die Westarbeit der SED hervor. 19 Im Rahmen dieses Themenfeldes wurden zudem zwei Dokumentationen veröffentlicht, die u.a. innerdeutsche Gespräche und Briefwechsel beinhalten. 20 Ein weiteres Projekt untersuchte die Verhandlungen zwischen Beauftragten des Berliner Senats und Vertretern der DDR-Regierung seit den 60er Jahren. In die daraus entstandenen beiden Monographien flossen nicht zuletzt die Früchte der Kooperation mit dem lange Jahre wichtigsten West-Berliner Verhandlungsführer, Senatsdirigent a.D. Gerhard Kunze, ein. 21 Seit 2010 werden in zwei Projekten die Berliner Hochschulen in Zeiten der Teilung und die Einflußnahme von SED und MfS auf die Westberliner Polizei untersucht.

Themenfeld 3: Die SED-Kirchenpolitik gegenüber der evangelischen Kirche Das erste Projekt im Rahmen dieses Themenfeldes war eine Zuarbeit für den »Stolpe-Untersuchungsausschuß« des Brandenburger Landtages. Die Auswertung der Dokumente legte Struktur und Entwicklungslinien des horizontal und vertikal gegliederten Apparates, den die SED seit 1954 zur Beherrschung der Kirche aufbaute und das mit ihm verbundene breit gefächerte Herrschaftskonzept von Repression und Integration offen. Als wichtigstes, die öf16 Hans-Peter Müller, Die Westarbeit der SED am Beispiel der DKP, in: EnqueteKommission (Hg), Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, Band V, 2, S. 1868 ff. 17 Manfred Wilke / Hans-Hermann Hertle, Das Genossenkartell. Die SED und die IG Druck und Papier / IG Medien. Dokumente, Frankfurt/Main-Berlin 1992. 18 Uwe Bastian, Greenpeace im unsichtbaren Visier des MfS. Kommentierte Dokumentation über die Ausnutzung und Bekämpfung der Umweltschutzorganisation Greenpeace und West-Berliner Alternativen durch die Staatssicherheit der DDR. Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 16/1995, Berlin 1995, sowie ders., Greenpeace in der DDR, Berlin 1996. 19 Steffen Alisch, Das Institut für Internationale Politik und Wirtschaft. »Imperialismusforschung« und SED-Westpolitik, Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 19 / 1996. 20 Vgl. Monika Deutz-Schroeder / Jochen Staadt (Hg.), Teurer Genosse! Briefe an Erich Honecker, Berlin 1994, und Jochen Staadt (Hg), Auf höchster Stufe. Gespräche mit Erich Honecker, Berlin 1995. 21 Vgl. Gerhard Kunze, Grenzerfahrungen, Berlin 1999 und Steffen Alisch, Die Insel sollte sich das Meer nicht zum Feind machen!, Stamsried/München 2004.

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fentliche und wissenschaftliche Debatte nachhaltig beeinflussendes Ergebnis konnte herausgearbeitet werden, daß das MfS in diesem Kontext als Instrument der SED-Kirchenpolitik fungierte. Die zentrale Schaltstelle für dieses Politikfeld bildete die »Arbeitsgruppe Kirchenfragen« des Parteiapparates, die einem ZK-Sekretär unterstand. Die von Mitarbeitern des Forschungsverbundes in diesem Zusammenhang gewonnenen Untersuchungsergebnisse fanden auch Eingang in verschiedene Expertisen für die schon erwähnte Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. 22 Die Kirchen waren in der Teilungsgeschichte die einzigen verbliebenen gesamtdeutschen Institutionen. Das galt selbst nach der Trennung der evangelischen Landeskirchen von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den neu gegründeten Bund der evangelischen Kirchen in der DDR (BEK), der die besonderen Beziehungen zur EKD der Bundesrepublik ausdrücklich festschrieb. 23 Der BEK war in all den Jahren seiner Existenz auf Finanzhilfen seitens der EKD angewiesen. Die SED-Kirchenpolitik besaß somit immer eine deutschlandpolitische Komponente. Aus der Beschäftigung mit diesem Themenfeld entstanden zwei Monographien: die Dissertation von Martin Goerner 24 sowie die Arbeit von Christian Sachse über politische Zuschriften an die ökumenische Versammlung 1987–1989. 25

Themenfeld 4: Die SED in den Systemkrisen des sowjetischen Imperiums Die Rolle der DDR und der SED im Ostblock, dargestellt an ihrem Verhalten in besonderen Krisensituationen des sowjetischen Imperiums, nahm von Beginn an eine wichtige Stellung in der Forschungsarbeit des Verbundes ein. Hierbei ging es zentral um die Fragen, ob und inwieweit die DDR ihrem Anspruch als »sozialistischer Friedensstaat« tatsächlich gerecht wurde und wie ihr Verhältnis zur sowjetischen Hegemonialmacht und den Reformprozessen in den »Bruderstaaten« war. Sowohl die Untersuchung zur Politik der SED in 22 Martin Goerner / Michael Kubina, Die Phasen der Kirchenpolitik der SED und die sich darauf beziehenden Grundlagenbeschlüsse der Partei- und Staatsführung in der Zeit von 1945/46 bis 1971/72, in: Enquete-Kommission (Hg), Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, Band VI, S. 615 ff. 23 Peter Maser / Manfred Wilke unter Mitarbeit von Martin Goerner und Michael Kubina, Die Gründung des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR. Materialien aus dem zentralen Parteiarchiv der SED und dem Archiv der Ost-CDU. Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 7/1994. 24 Martin Goerner, Die Kirche als Problem der SED. Strukturen kommunistischer Herrschaftsausübung gegenüber der evangelischen Kirche 1945 bis 1958, Berlin 1997. 25 Christian Sachse (Hg.), »Mündig werden zum Gebrauch der Freiheit«, Münster/Hamburg 2004.

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der »Polen-Krise« 1980 / 81 als auch die zu ihrem Verhalten beim Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei 1968 zeigten, daß die Parteiführung jeweils zu den »Falken« im sowjetischen Machtblock zählte, die eine harte und bedingungslose Einmischungspolitik verfolgten. Die Selbstkennzeichnung als »Friedensstaat« entpuppte sich hier, aber auch in vielfältigen Kooperationen mit Unterdrückungsapparaten in der »Dritten Welt«, als Legende. Die in der Buchreihe des Forschungsverbundes erschienenen Studien zu beiden Themen fand nicht nur in der Bundesrepublik, sondern gerade auch in Polen und Tschechien eine beachtliche öffentliche Resonanz. 26 In einem weiteren Sammelband analysierten Mitarbeiter des Forschungsverbundes in Kooperation mit ungarischen Wissenschaftlern vergleichend die Politik der Staatsparteien der DDR und Ungarns in der ersten Systemkrise des sowjetischen Blocks nach Stalins Tod. 27

Themenfeld 5: Die Wissenschafts- und Kulturpolitik der SED SMAD und SED trachteten von Beginn an danach, Wissenschaftler und Künstler in die ideologische und politische Umwälzung der Gesellschaft einzubinden. Die Vertreibung »bürgerlicher« Wissenschaftler und Künstler sowie die Gleichschaltung von Universitäten, Bildungseinrichtungen und Kulturinstitutionen zielten auf Etablierung und Institutionalisierung der dogmatischen Lehre und kompatibler Strukturen zur Ausbildung entsprechender Kader. 28 Das bereits unter dem Themenfeld 2 erwähnte Projekt zur Einflußnahme von SED und MfS auf West-Berliner Wissenschaftseinrichtungen wurde erweitert zu einer Untersuchung über die Berliner Universitäten und Hochschulen in den Jahren der Teilung, die sich an den zeitlichen Abläufen und politischen Zäsuren seit 1946 orientiert. In den Blick genommen werden die fundamentalen Unterschiede zwischen den West- und Ost-Berliner Wissenschaftseinrichtungen und die grenzüberschreitenden Diskurse zwischen akademischen Akteuren im geteilten Berlin. Denn trotz der politischen Teilung 26 Michael Kubina / Manfred Wilke (Hg), Hart und kompromißlos durchgreifen. Die SED kontra Polen 1980/81, Berlin 1995. 27 Geheimakten der SED-Führung über die Unterdrückung der polnischen Demokratiebewegung, Akademie-Verlag, Berlin 1995 sowie Lutz Prieß / Vaclav Kural / Manfred Wilke, Die SED und der »Prager Frühling« 1968. Politik gegen einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«, Berlin 1996. 28 Vgl. Andreas B. Hegedus / Manfred Wilke (Hg.), Satelliten nach Stalins Tod, Berlin 2000; Siegward Lönnendonker, Die Neu-/Wiedereröffnung der Universität Berlin und die Gründung der Freien Universität, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat, Nr. 5/1998; ders., Zum Erbe der Humboldt-Universität – Antwort an Rüdiger vom Bruch, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat, Nr. 17/2005.

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gab es über vier Jahrzehnte bis zur Wiedervereinigung ein permanentes Wechselspiel zwischen den Institutionen der freien Wissenschaft im Westen und den politisch indoktrinierten Lehreinrichtungen im Osten. Ost wie West definierten sich selbst durch den politischen Gegner und fürchteten Versuche der Unterwanderung. Ein Teil der Untersuchung behandelt das kulturelle, ideengeschichtliche und politische Beziehungsgeflecht, das Mauer und Stacheldraht zu überwinden half. Im Zentrum stehen dabei die Freie Universität und die Humboldt-Universität, aber auch die Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst, die Hochschule für Schauspielkunst sowie Teilbereiche der Akademie der Wissenschaften der DDR werden in die Analyse einbezogen. 29 Der totalitäre Gestaltungsanspruch der SED erfaßte bald den gesamten Bereich der Kultur. Kunstrichtungen und Künstler, die den ästhetischen und inhaltlichen Vorstellungen der Partei nicht folgten, wurden ausgegrenzt und vertrieben. Wie dieser Anspruch konkret und mit welchen Folgen umgesetzt wurde, analysierte ein Projekt, dass das Verhältnis zwischen Bildender Kunst und Parteiherrschaft in der DDR nach dem Mauerbau zum Untersuchungsgegenstand hatte. 30 Die SED baute mit der Staatlichen Kunstkommission – wie ein weiteres Forschungsprojekt offen legte 31 – ein Kontroll- und Lenkungsorgan auf, um gegen Individualismus und Widerspenstigkeit von Künstlern ihre antimoderne und antiwestliche Kulturpolitik durchzusetzen. 1954 übernahm das Kulturministerium die Funktion der Staatlichen Kunstkommission. An dem Anspruch, Kunst und Kultur umfassend zu lenken und zu kontrollieren, änderte sich bis zum Ende der DDR freilich nichts.

29 Vgl. z.B. Bernd Rabehl / Mechthild Günther, Wissenschaft und Universität als Ideologie: Zur Umwandlung und Funktionsweise der Humboldt-Universität als sozialistische Hochschule, in: Klaus Schroeder, Geschichte und Transformation des SED-Staates, a.a.O., S. 180 ff.; Bernd Rabehl, Die sowjetische Universität im Klassenkrieg, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 1/1996, S. 13 ff. sowie ders., Militarisierung und Modernisierung der Humboldt-Universität 1956 bis 1958, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 2/1996, S. 18 ff; Steffen Alisch, Die Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst (HfÖ) – eine wirtschaftswissenschaftliche Kaderschmiede der SED. Arbeitspapier des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 44/2010, Berlin 2010. 30 Vgl. die Beiträge in: Hannelore Offner / Klaus Schroeder (Hg), Eingegrenzt – ausgegrenzt. Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR 1961–1989, Berlin 2000. 31 Staadt, Jochen (Hg.), »Die Eroberung der Kultur beginnt!« Die staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR (1951–1953) und die Kulturpolitik der SED, Frankfurt am Main u.a. 2011.

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Themenfeld 6: Die Medienpolitik von SED und MfS Im Auftrag der ARD und des Axel-Springer-Verlages beschäftigten sich zwei Projekte mit den Aktivitäten der SED und des MfS gegenüber den bundesrepublikanischen Rundfunkanstalten und dem Springer-Verlag. Die nachrichtendienstlichen und verdeckten Aktivitäten der DDR wurden dabei als integraler Teil einer gesamtdeutschen Mediengeschichte begriffen. Deutlich wurde auch, daß die Einflußnahme von SED und MfS nur begrenzten Erfolg hatte. 32

Themenfeld 7: Widerständiges Verhalten und Opposition im SED-Staat SMAD und KPD / SED konnten ihre Herrschaft nur gegen den Willen breiter Bevölkerungskreise errichten. Die Geschichte des SED-Staates kann daher immer auch als eine Geschichte von Opposition, Dissidenz und Verweigerung geschrieben werden. Im Zeitverlauf veränderten sich Formen und Inhalte widerständigen Verhaltens. Die seitens des Forschungsverbundes durchgeführten Untersuchungen zu diesem Themenfeld konzentrierten sich vornehmlich auf die achtziger Jahre. Martin Jander hat in verschiedenen Veröffentlichungen umstrittene Thesen zu Rolle und Bedeutung der DDR-Opposition vorgelegt. 33 Das Ausmaß widerständigen Verhaltens läßt sich aber auch an den Eingaben von DDR-Bewohnern an den Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretär der Partei dokumentieren. 34 Wer sich den politischen Vorgaben der SED widersetzte und / oder seine eigene Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland betrieb, lief Gefahr, verfolgt und inhaftiert zu werden. Eine aktuelle Untersuchung des Forschungsverbundes beschäftigt sich mit der Geschichte der »Strafvollzugseinrichtung« Cottbus, eines besonders berüchtigten Gefängnisses, in dem in der DDR überwiegend politische Häftlinge inhaftiert waren; auch die NS-Zeit wird einbezogen. 35 32 Staadt, Jochen / Voigt, Tobias / Wolle, Stefan, Operation Fernsehen. Die Stasi und die Medien in Ost und West, Göttingen 2008; Staadt, Jochen / Voigt, Tobias / Wolle, Stefan, Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner, Göttingen 2009. 33 Vgl. Martin Jander, Formierung und Krise der DDR-Opposition, Berlin 1996; Martin Jander / Matthias Manrique / Barbara Strenge, DDR-Opposition in den 70er und 80er Jahren. Ein Beitrag zu Geschichte und Forschungsstand, in: Klaus Schroeder (Hg.), Geschichte und Transformation des SED-Staates, a.a.O., S. 233 ff. sowie Martin Jander / Klaus Schroeder, Verspätete Liebe zu seltenen deutschen Helden. Probleme und Perspektiven der Forschung zur DDR-Opposition, FAZ vom 19.8.1996. 34 Vgl. Jochen Staadt, Eingaben – Die institutionalisierte Meckerkultur in der DDR. Goldbrokat, Kaffee-Mix, Büttenreden, Ausreiseanträge und andere Schwierigkeiten mit den Untertanen, Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 24/1996, Berlin 1996. 35 Erste Ergebnisse in: Steffen Alisch (unter Mitarbeit von Bernhard Bremberger), Das Zentralgefängnis Cottbus. Vom nationalsozialistischen Frauenzuchthaus zur

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Themenfeld 8: Flucht und Vertreibung Der SED fehlte von Anfang an das Einfühlungsvermögen in den Schmerz der Vertriebenen und für ihren aussichtslosen und dennoch verständlichen Wunsch nach Rückkehr in ihre Heimat. Die Einbuße der deutschen Ostgebiete war nach offizieller DDR-Lesart der Preis für den Eroberungskrieg, den Hitler im Auftrag des deutschen Kapitals entfesselt hatte. Jegliches Erinnern an die verlorene Heimat im Osten, das über den privaten Bereich hinaus ging, stand unter dem Verdikt des Revanchismus, der geradewegs in einen neuen Krieg münden würde. Tatsächlich war die SED-Herrschaft selbst genauso ein Produkt Stalins wie dessen Grenzziehungen und Grenzverschiebungen in Ost-Mitteleuropa. Dieser Zusammenhang führte zwangsläufig dazu, daß Flucht und Vertreibung ein Tabu blieben, dem sich der Forschungsverbund in einem neuen Themenfeld widmet. 36 Ein Kooperationsprojekt des Forschungsverbundes mit russischen Partnern analysiert in diesem Zusammenhang das Schicksal deportierter deutscher Zivilverschleppter in der Sowjetunion 1944–1956.

Themenfeld 9: Vereinigungs- und Transformationsforschung Unmittelbar nach dem revolutionären Umbruch in der DDR und der deutschen Vereinigung setzte innerhalb der west-, aber auch der sich neu formierenden ostdeutschen Sozialwissenschaften ein regelrechter Wettlauf um Forschungsprojekte zur Transformation in Ostdeutschland ein. Viele Forschungsvorhaben standen indes unter der normativen Prämisse der Kritik an der Vereinigungspolitik der Bundesregierung und blendeten die Vorgeschichte der neuen Bundesländer geradezu systematisch aus. Die Arbeiten des Forschungsverbundes zum Vereinigungs- und Transformationsprozess bildeten hier ein Gegengewicht. In den Untersuchungen findet neben der Analyse des Verhaltens der heutigen sozialen und politischen Akteure immer auch die Vorgeschichte eine angemessene Berücksichtigung. Walter Heering und Klaus Schroeder untersuchten (zum Teil mit weiteren Mitarbeitern) den ambivalenten Wandlungsprozeß der Arbeitsbeziehungen in ostdeutschen Unternehmen, der die Neugestaltung industrieller Beziehungen in ganz Deutschland zukünftig nachhaltig beeinflussen dürfte. 37 In anderem »Strafvollzugseinrichtung« der DDR, Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 43/2009, Berlin 2009. 36 Vgl. dazu das Themenheft Nr. 20/2006 der Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat und Ute Schmidt, Flucht – Vertreibung – Deportation – Internierung. Erfahrungsberichte von Frauen in der Bundesrepublik und in der früheren DDR, Arbeitspapier des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 37/2007, Berlin 2007. 37 Walter Heering / Klaus Schroeder, Hohe Motivation und verhaltener Optimismus – Ergebnisse einer Befragung von Belegschaften und Geschäftsleitungen ostdeutscher Betriebe, in: dies., Transformationsprozesse in ostdeutschen Unternehmen,

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Kontext verdeutlichten Walter Heering und Klaus Schroeder, daß die Beschäftigungsprobleme von Frauen in Ostdeutschland in der öffentlichen Debatte stark überzeichnet werden und zudem weniger vereinigungsbedingt sind als zumeist unterstellt; ihre Wurzeln liegen vielmehr in einem in der DDR tradierten Verständnis geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. 38 Hans-Peter Müller und Manfred Wilke zeigten, wie westdeutsche Gewerkschaften die von der SED-Machtpolitik geprägte Situation in ostdeutschen Betrieben nicht wahrhaben wollten, weil sie die politische Dimension des Zusammenbruchs der DDR ausblendeten. 39 Die von Ulrich Hartmann, Stephan Herten und Klaus Schroeder erarbeitete prozeßbegleitende Studie zur geplanten Fusion von Berlin und Brandenburg legte die ebenfalls in der Vergangenheit wurzelnden Gründe des Scheiterns dieses Vorhabens offen. 40 Klaus Schroeder zog im Jahr 2000 eine Bilanz des deutschen Vereinigungsprozesses, die auf den Ergebnissen verschiedener Forschungsprojekte zur deutschen Teilungsgeschichte sowie den ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Dimensionen des Transformationsprozesses basierte. 41 Sechs Jahre später legte er eine erheblich erweiterte und veränderte Neufassung vor, in der er u.a. der Frage nachgeht, wieso mehr als anderthalb Jahrzehnte nach der deutschen Vereinigung noch von einer erheblichen politischen und mentalen Spaltung in Deutschland gesprochen werden muß. 42 In diesem umfangreichen Werk setzt sich Klaus Schroeder zudem mit den verschiedenen Bewertungen des Vereinigungsprozesses und unterschiedlichen Geschichtsbildern in Ost und West auseinander. Im Jahr 2010 veröffentlichte

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Berlin 1995, S. 143 ff. Peter Gut / Walter Heering / Joachim Rudolph / Klaus Schroeder, Normative Regulierung von Arbeit: Zum Wandel betrieblicher Arbeitsbeziehungen in Unternehmen der ehemaligen DDR, apt-papers Nr. 1 / 1993, FU Berlin; Walter Heering / Klaus Schroeder, Zur Neuordnung der Arbeitsbeziehungen in ostdeutschen Betrieben, in: Klaus Schroeder (Hg), Geschichte und Transformation des SED-Staates, a.a.O., S. 377 ff. Walter Heering / Klaus Schroeder, Zwischen Berufstätigkeit und Familie – Analysen und Stimmungsbilder zur Beschäftigungssituation von Frauen in Ostdeutschland, in: dies., Transformationsprozesse a.a.O., S. 17 ff. und Walter Heering / Klaus Schroeder, Die DDR war kein Bollwerk der Emanzipation. Legenden und Wirklichkeit im ostdeutschen Transformationsprozeß, Das Beispiel Frauenbeschäftigung, FAZ vom 21.12.1996. Hans-Peter Müller / Manfred Wilke, Braunkohlepolitik der Steinkohlegewerkschaft. Die Energiepolitik der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie im Vereinigungsprozeß 1990 bis 1994, Berlin 1996. Ulrich Hartmann / Stephan Herten / Klaus Schroeder, Land in Sicht?! Die Fusion von Berlin und Brandenburg, Aufbau-Verlag, Berlin 1996. Klaus Schroeder, Der Preis der Einheit. Eine Bilanz, München 2000. Vgl. Klaus Schroeder, Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung, Stamsried/München 2006.

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er erneut eine Bilanz des Wiedervereinigungs- und Transformationsprozesses. 43 Da Differenzen nach wie vor auch bei Jugendlichen zu konstatieren sind, die 1989/90 entweder noch gar nicht geboren waren oder sich im Kleinkindalter befanden, von der politischen Sozialisation im SED-Staat also nicht mehr direkt betroffen waren, hat der Forschungsverbund SED-Staat in mehreren empirischen Studien einen Ost-West-Vergleich von Mentalitäten, Einstellungen und Kenntnissen Jugendlicher durchgeführt. Ein erstes Forschungsprojekt verglich anhand von je zwei ost- und westdeutschen Kleinstädten die Haltungen zu Rechtsextremismus und Jugendgewalt. 44 Mit einer weiteren umfangreichen Befragung von mehr als 5.000 Schülern in Ost- und Westdeutschland versuchte der Forschungsverbund, den Grad der Ost-West-Differenzen hinsichtlich des DDR-Bildes von 16-17-jährigen zu erforschen. Darüber hinaus sollten die Schüler die beiden deutschen Teilstaaten im direkten Vergleich bewerten. Die Vorstellung erster überraschender Teilergebnisse (für Berlin) machte ebenso wie die umfassenden Ergebnisse bundesweit Schlagzeilen 45 und führte nicht nur zu Reaktionen im politischen Raum bei diversen Kultusministerien und der KMK, sondern regte eine mitunter hitzige öffentliche Debatte über die Behandlung des Themas generell an. Aus etwa 5.000 Zuschriften an die Verfasser der Studie, aber auch an diverse Medien, filterten Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder typische Kommentare heraus und veröffentlichten sie gemeinsam mit einer kurzen Zusammenfassung der Forschungsergebnisse. 46 Finanziert vom Beauftragten für Kultur und Medien (BKM), den Landeszentralen für politische Bildung in Bayern, Sachsen-Anhalt und NordrheinWestfalen sowie den Kultusministerien in Baden-Württemberg und Thürin43 Klaus Schroeder, Das neue Deutschland. Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört, wjs-Verlag, Berlin 2010. 44 Vgl. Klaus Schroeder unter Mitarbeit von Steffen Alisch, Susanne Bressan, Monika Deutz-Schroeder, Uwe Hillmer, Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland: Ein Ost-West-Vergleich, München 2003. 45 Vgl. Monika Deutz-Schroeder / Klaus Schroeder (unter Mitarbeit von Uwe Hillmer), Das DDR-Bild von Schülern in Berlin, Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 38/2007, Berlin 2007. Die weiteren Teilstudien sind ebenfalls als Arbeitspapiere des Forschungsverbundes erschienen (Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 39/2007, Nr. 40/2007 und Nr. 41/2007, alle Berlin 2007). Die Gesamtergebnisse der Befragung sind veröffentlicht in: Monika Deutz-Schroeder / Klaus Schroeder, Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDRBild von Schülern – ein Ost-West-Vergleich, München/Stamsried 2008. 46 Monika Deutz-Schroeder / Klaus Schroeder, Oh wie schön ist die DDR. Kommentare und Mazerialien zu den Ergebnissen einer Studie, Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2009.

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gen knüpfte eine Forschergruppe an die Studie zum DDR-Geschichtsbild von Schülern an und untersuchte von 2009 bis 2012 zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Schülern in ausgewählten Bundesländern. Hierbei ging es um Kenntnisse und Urteile über vier Systeme (Nationalsozialismus, DDR, alte Bundesrepublik, wiedervereinigtes Deutschland). Die Ergebnisse wurden im Sommer 2012 veröffentlicht und in den Medien breit rezipiert. 47

III. Leitungsstruktur und Bilanz Mit der Gründung des Forschungsverbundes ernannte der Präsident der Freien Universität Berlin Klaus Schroeder zum Leiter des Forschungsverbundes. Nach einer erfolgreichen Evaluation der Arbeiten des Forschungsverbundes durch auswärtige Wissenschaftler Ende der neunziger Jahre wurde der Forschungsverbund für einige Jahre gemeinsam von Klaus Schroeder und Manfred Wilke geleitet. Nach Erreichen des 65. Lebensjahres und seinem Ausscheiden aus der Fachhochschule für Wirtschaft verließ Wilke 2006 den Forschungsverbund. Seit diesem Zeitpunkt amtiert Klaus Schroeder wieder als alleiniger Leiter. Der Forschungsverbund wurde zunächst als befristeter Arbeitszusammenhang konzipiert. Nach fünf Jahren fand gemäß einer Vereinbarung zwischen dem Präsidenten der Freien Universität und der Leitung des Forschungsverbundes aus dem Jahre 1992 eine Evaluierung der Tätigkeit des Verbundes durch eine aus renommierten externen Wissenschaftlern bestehende unabhängige Kommission statt, die die Fortführung der Arbeit empfahl. Das FUPräsidium unter seinem Präsidenten Dieter Lenzen sicherte im Jahre 2006 zu, den Forschungsverbund bis zum Jahr 2014 mit Sachmitteln zu unterstützen. Überwiegend finanziert sich der Forschungsverbund jedoch nach wie vor über Drittmittel. In den neunziger Jahren, als die Drittmitteleinnahmen des Forschungsverbundes und anderer kleinerer Institute der FU noch gesondert ausgewiesen wurden, lag der Forschungsverbund mit seinen Drittmitteln zumeist an der Spitze dieser Institute. Bisher wurden mehr als 6 Mio. Euro eingeworben. Zuwender waren / sind u.a. die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Volkswagenstiftung, die Fritz-Thyssen-Stiftung, die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, die ARD, verschiedene Bundesministerien und Landeszentralen für politische Bildung. Der Forschungsverbund führte in Kooperation mit einigen Landeszentralen für politische Bildung seit Mitte der neunziger Jahre eine Vielzahl von Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen zur deutschen Teilungsgeschichte und zum Vereinigungsprozeß durch. Diese Zusammenarbeit soll auch in den nächsten Jahren fortgesetzt werden. Darüber hinaus kooperiert 47 Klaus Schroeder / Monika Deutz-Schroeder / Rita Quasten / Dagmar Schulze Heuling, Später Sieg der Disktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen, Frankfurt/Main u. a. 2012.

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der Forschungsverbund mit einer Reihe von Institutionen, die sich ebenfalls mit der Aufarbeitung der deutschen Teilungsgeschichte und dem Vereinigungsprozeß beschäftigen. Bis 2002 gaben Klaus Schroeder und Manfred Wilke im Akademie-Verlag Berlin die »Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin« (14 Bände) heraus. Die Reihe wird seit 2010 fortgesetzt und nun von Klaus Schroeder und Jochen Staadt herausgegeben. Seither sind vier Bände erschienen. Manfred Wilke fungierte als Herausgeber der Reihe »Diktatur und Widerstand« im LIT-Verlag Münster/Hamburg; Klaus Schroeder gab gemeinsam mit dem Historiker Peter März, die Reihe »Berlin & München, Studien zu Politik und Geschichte« beim Verlag Ernst Vögel, Stamsried/München, heraus. Bis Ende 2007 erschienen sechs Bände. Zahlreiche weitere, von Mitarbeitern des Forschungsverbundes verfaßte Bücher wurden in anderen Verlagen publiziert. 48 Zwischenergebnisse der Forschungsarbeit und Dokumentationen werden in der Reihe »Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat« veröffentlicht. Seit 1996 existiert darüber hinaus eine eigene Zeitschrift, die auch Autoren außerhalb des Forschungsverbundes offen steht. 49 Die jährlich erscheinende Universitätsbibliographie der FU enthält eine Übersicht über alle Veröffentlichungen von Forschungsverbund-Mitarbeitern.

IV. Der Forschungsverbund in hochschul- und tagespolitischen Auseinandersetzungen Der Forschungsverbund bemühte sich von Anfang an um die Analyse wichtiger, bisher eher vernachlässigter oder der Forschung bis zum Ende der DDR nicht zugänglicher Zusammenhänge, um die äußeren und inneren Voraussetzungen der vierzigjährigen Existenz der zweiten deutschen Diktatur im letzten Jahrhundert zu untersuchen. Forschungsstrategisch standen dabei die sowjetische Deutschland- und DDR-Politik, der Aufbau und die Entwicklung der totalitären Staatspartei SED sowie die innerdeutschen Bezüge und Wechselwirkungen im Vordergrund. Mit diesem Ansatz bezog die neue Einrichtung von Beginn an eine kontroverse Position zur »systemimmanenten« DDR-Forschung, die einen ihrer institutionellen und konzeptionellen Schwerpunkte an der FU besaß. 50 Nur wenig später versuchten Vertreter der kritisierten Richtung, mit heftigen und undifferenzierten Anwürfen gegen die Kritiker (»unseriöse For48 Siehe dazu die Homepage des Forschungsverbundes unter http://web.fuberlin.de/fsed; hier finden sich auch genaue Angaben über aktuelle Projekte und die derzeit beschäftigten Mitarbeiter. 49 ZdF / Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat, Gursky-Verlag Halle/Saale. 50 Vgl. Klaus Schroeder / Jochen Staadt, Der diskrete Charme des Status quo: DDRForschung in der Ära der Entspannungspolitik, in: Leviathan Nr. 1/1993, S. 24 ff.

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schung«, »Verharmlosung des Nationalsozialismus durch Kritik der DDR« u.a.) zu kontern. Insbesondere die erwähnten Bemühungen des Forschungsverbundes, die versuchte Einflußnahme von SED, MfS und FDJ auf die Freie Universität zu untersuchen, stießen vor allem bei Wissenschaftlern des OttoSuhr-Instituts (OSI) und des ZI 6 auf erbitterten Widerstand. Im Gefolge eines diesbezüglichen Vortrags von Jochen Staadt im Januar 1995 entwickelte sich eine heftige Kontroverse, in deren Verlauf die damalige Dekanin des OSI, Gesine Schwan, den Mitarbeitern des Forschungsverbundes im »Tagesspiegel« »ein prinzipielles Verständnis von Politik, das die Intrige zum Grundparadigma zwischenmenschlichen Verhaltens macht«, unterstellte. Peter Steinbach, damals Lehrstuhlinhaber für Historische Grundlagen der Politik am OSI, meinte vor »pauschalen Verdächtigungen ganzer Einrichtungen an der Freien Universität« warnen zu müssen, ohne irgendeinen Beleg für solcherlei Vorwürfe bringen zu können. Auch aus einer im Mai 1995 am Fachbereich Politische Wissenschaft stattfindenden Podiumsdiskussion resultierte keinerlei Annäherung der Kombattanten. 51 Zu einer weiteren Auseinandersetzung mit zum Teil denselben Protagonisten kam es, nachdem Wissenschaftler des Forschungsverbundes eine Revision der Darstellung des kommunistischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand gefordert hatten. Daraufhin wurde ihnen von Steinbach erneut »politische Hexenjagd« und »Methoden wie bei McCarthy« vorgeworfen. Ihren absoluten Tiefpunkt erreichte die Kampagne mit einer Veranstaltung des AStA der Freien Universität Berlin, in der – in Abwesenheit des »Angeklagten« – eine Art Tribunal gegen den Forschungsverbund veranstaltet wurde. Dieser bemühe sich laut Einladungstext des AStA zur Veranstaltung, »mit der Dämonisierung der DDR einen Beitrag zum staatsoffiziellen Geschichtsbild zu leisten«. Auf dem Podium saßen neben Steinbach auch der FU-Historiker Wolfgang Wippermann und der rechtspolitische Sprecher der PDS, Jens Uwe Heuer; dem Forschungsverbund aufgeschlossen gegenüberstehende Persönlichkeiten waren nicht eingeladen. Die Atmosphäre wurde von den Diskutanten derart aufgeheizt, daß es sogar zu einem körperlichen Angriff auf einen Mitarbeiter des Forschungsverbundes kam, der sich erdreistet hatte, in der Diskussion sprechen zu wollen. Weder die Veranstaltungsleitung noch einer der Podiumsteilnehmer verwahrten sich gegen diese Tätlichkeit. Doch auch mit derart brachialen Mitteln erreichten die Kritiker ihr Ziel der Zerschlagung des Verbundes nicht. Steinbach verließ das OSI entnervt gen Karlsruhe (inzwischen wechselte er nach erneut heftigen inneruniversitären Streitigkeiten nach Mannheim), Frau Schwan wurde nach einem vergeblichen 51 Vgl. die Dokumentation der Kontroverse in: Klaus Schroeder / Jochen Staadt (Hg), Im Westen nichts Neues? Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 18/1995, Berlin 1995.

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Versuch, FU-Präsidentin zu werden, einige Jahre später Rektorin in Frankfurt / Oder. 52 Mit der neuen Leitung des OSI wurde im Jahre 2004 ein modus vivendi vereinbart, woraufhin der Fachbereich Politische Wissenschaft auf die jahrelang vertretene Forderung nach Eingliederung des Forschungsverbundes in die eigenen Strukturen verzichtete, was die Atmosphäre deutlich entspannte. Auch die außerhalb der FU stehenden Kritiker, insbesondere vom Potsdamer Institut für Zeithistorische Forschung, mußten zur Kenntnis nehmen, daß sich der Forschungsverbund SED-Staat nunmehr fest in der Wissenschaftslandschaft etabliert hat. Einen neuen Versuch, alte Vorwürfe gegen den Forschungsverbund und seine Kritik an der systemimmanenten DDR-Forschung mit altbackenen Argumenten wiederaufzuwärmen, unternahm jüngst der in der Stiftung »Aufarbeitung der SED-Diktatur« für Veranstaltungen zum 20. Jahrestag der »friedlichen Revolution« zuständige Wittenberger Politologe Jens Hüttmann im Deutschland-Archiv. 53 Im nächsten Heft dieser Zeitschrift antworteten Klaus Schroeder und Jochen Staadt auf unbelegte Wertungen des Autors und erneuerten ihre Kritik an der systemimmanenten DDR-Forschung, die einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Verharmlosung der SED-Diktatur geleistet hat. 54 Zwar ist kaum zu erwarten, daß insbesondere Sympathisanten und Mitglieder der mehrfach umbenannten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (die sich zum Zeitpunkt der Drucklegung »Die Linke« nennt) auf weitere Frontalangriffe gegen wissenschaftliche Ergebnisse und das Personal des Forschungsverbundes verzichten werden, dennoch ist zu wünschen, daß in Zukunft stärker Sachargumente und weniger Polemiken vorgebracht werden. Gerade zeitgeschichtliche Forschung, die nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen und Interessen von Akteuren nie unumstritten ist, lebt von der produktiven Kontroverse, die neue Ergebnisse und Perspektiven für die Forschungsarbeit eröffnen kann. Der Forschungsverbund SED-Staat der 52 Vgl. die Darstellung der Auseinandersetzung in: Jochen Staadt, Manfred Wilke (Hg.), Nichts Neues im Westen? Kommentierte Dokumentation einer Auseinandersetzung um Geschichtspolitik und Geschichtsbilder vor und nach 1989 am Beispiel der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 28 / 1998. 53 Vgl. Jens Hüttmann, »De-De-Errologie« im Kreuzverhör der Kritik, in: Deutsch land-Archiv Nr. 4 / 2007, S. 673 ff. 54 Vgl. Klaus Schroeder / Jochen Staadt, Geschichtsbegradigung. Die »systemimmanente DDR-Forschung« soll besser gewesen sein als ihr Ruf, in: DeutschlandArchiv Nr. 5 / 2007, S. 890 ff. sowie umfassender und grundsätzlicher Klaus Schroeder, Die DDR-Forschung vor und nach 1989 / 90, in: Deutscher Bundestag (Hg.), Materialien der Enquete-Kommission: Überwindung der Folgen der SEDDiktatur im Prozeß der deutschen Einheit, Band IV, 2, S. 1522 ff.

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Freien Universität Berlin wird sich auch weiter darum bemühen, einen Beitrag zur Aufklärung über die deutsche Teilungsgeschichte und speziell der DDR-Geschichte zu leisten.

V. Ausgewählte Projekte 1. »Die Opfer des DDR-Grenzregimes – ein Forschungs- und Dokumentationsprojekt« (Laufzeit: 2012–2015) 2. »Das Zentralgefängnis Cottbus zwischen 1933 und 1989/90« (Laufzeit: 2010–2013) 3. »Einflussnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit auf die WestBerliner Polizei« (Laufzeit: 2009–2012) 4. »Kenntnisse, Bilder, Deutungen – das zeitgeschichtliche Bewusstsein Jugendlicher in Deutschland« (Laufzeit: 2009–2012) 5. »Deportierte deutsche Zivilverschleppte in der Sowjetunion (1944–1956)« (Laufzeit: 2007–2009) 6. »Kampagnen und Aktionen der SED und des MfS gegen den AxelSpringer-Verlag« (Laufzeit: 2007–2008) 7. »Operation Fernsehen« (Laufzeit: 2006–2007) 8. »Das Bild der DDR bei Schülern in Ost und West« (Laufzeit: 2005–2007) 9. »Die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Rundfunk- und Fernsehanstalten der beiden deutschen Staaten« (Laufzeit: 2002– 2004) 10. »Die Berlin-Politik der SED 1961–1989« (Laufzeit: 2001–2003) 11. »Entstehung und Entwicklung rechtsextremistischer Einstellungen und Verhaltensmuster in den neuen Bundesländern im Vergleich zu den alten Bundesländern« (Laufzeit: 2001–2003) 12. »Die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem Ministerium des Innern Kubas« (Laufzeit: 2001–2002) 13. »Transformationsstaaten in Mittel- und Osteuropa« (Laufzeit: 2001) 14. »Der Einfluss der SED auf die westdeutsche Friedenbewegung 1979– 1984 am Beispiel der Partei Die Grünen« (Laufzeit: 2000–2002) 15. »Die staatliche Kunstkommission der DDR« (Laufzeit: 1999–2001) 16. »Sozialistische Wehrerziehung als Herrschafts- und Sozialisationsinstrument der SED-Führung in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre« (Laufzeit: 1997–2000) 17. »Im Auftrag der Partei: Verfemte Kunst in der DDR« (Laufzeit: 1996– 1998)

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18. »Plan und Realität: Die westdeutsche und westeuropäische Friedensbewegung im politischen Kalkül der SED-Führung 1978–1983« (Laufzeit: 1996–1998) 19. »Die Parteiführung der SED und ihr zentraler Apparat. Zu Struktur, Funktion und Entwicklung der politischen Machtzentrale in der SBZ/DDR« (Laufzeit: 1994–1999) 20. »Die Deutschlandpolitik der SED« (Laufzeit: 1993–1999) 21. »Die SED und der 21. August 1968« (Laufzeit: 1993–1995) 22. »Die Gründung der SED – dargestellt aus den Akten der KPD« (Laufzeit: 1992–1993) 23. »Technologische Modernisierung und ökonomische Umstrukturierung. Betriebsbezogene Untersuchungen im Raum Dresden« (Laufzeit: 1990–1993)

VI. Ausgewählte Publikationen Alisch, Steffen, »Die Insel sollte sich das Meer nicht zum Feind machen!« Die Berlin-Politik der SED zwischen Bau und Fall der Mauer, Stamsried 2004 Deutz-Schroeder, Monika / Staadt, Jochen (Hg.), Teurer Genosse! Briefe an Erich Honecker, Berlin 1994 Deutz-Schroeder, Monika / Schroeder, Klaus, Soziales Paradies oder StasiStaat? Das DDR-Bild von Schülern – ein Ost-West-Vergleich, Stamsried 2008 Deutz-Schroeder, Monika / Schroeder, Klaus, Oh, wie schön ist die DDR. Kommentare und Materialien zu den Ergebnissen einer Studie. Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2009 Deutz-Schroeder, Monika / Quasten, Rita/Schroeder, Klaus / Schulze Heuling, Dagmar, Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen, Weimar/Köln/Wien 2012 Heering, Walter / Schroeder, Klaus, Transformationsprozesse in ostdeutschen Unternehmen. Akteursbezogene Studien zur ökonomischen und sozialen Entwicklung in den neuen Bundesländern, Berlin 1995 Schmidt, Ute, Bessarabien. Deutsche Kolonisten am Schwarzen Meer, Potsdam 2008 Schröder, Benjamin / Staadt, Jochen (Hg.), Unter Hammer und Zirkel. Repression, Opposition und Widerstand an den Hochschulen der SBZ/DDR, Frankfurt/Main u.a. 2011 Schroeder, Klaus, Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949–1990, München 1998 und 2000 Schroeder, Klaus, Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland: Ein Ost-West-Vergleich, Paderborn 2004

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Schroeder, Klaus, Das neue Deutschland. Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört, Berlin 2010 Schroeder, Klaus, Die DDR. Geschichte und Strukturen, Stuttgart 2011 Staadt, Jochen, Die geheime Westpolitik der SED, Berlin 1993 Wolle, Stefan, Aufbruch nach Utopia. Alltag und Herrschaft in der DDR 1961–1971, Berlin 2011

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Gernot Wersig (†) / Ulrich Neveling Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 1

1 Geschichtlicher Abriß 1.1 1928–1948: Vorgeschichte Schon bevor 1916 in Leipzig die erste zeitungswissenschaftliche Professur mit Karl Bücher in Deutschland eingerichtet worden war, hatte sich 1914 durch den damaligen Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Adolf von Harnack, auch in Berlin zunehmend das Interesse an einer Etablierung des Faches an der Friedrich-Wilhelms-Universität artikuliert. Allerdings war dies weniger das Interesse der Universität selber, sondern des Preußischen Kultusministeriums, insbesondere des Leiters des Presseamtes Martin Mohr. 1924 wurde an der Philosophischen Fakultät für Martin Mohr ein Lehrauftrag erteilt. Mohr strebte vor allem eine Integration von Wissenschaft und Praxis an. Er übernahm 1925 die Leitung des an der Universität eingerichteten »Deutschen Instituts für Zeitungskunde«, dessen Aufbau von einem Kuratorium aus Vertretern des Reichsverbandes der Deutschen Presse, des Vereins der Deutschen Zeitungsverleger und Adolf von Harnack aus dem Wissenschaftsbereich unterstützt wurde. Assistent von Mohr wurde Emil Dovifat. Emil Dovifat (1890–1969) aus Morsnet (bei Malmedy) hatte 1918 bei Bücher in Leipzig promoviert, dann aber zunächst eine journalistische Karriere realisiert. 1927 übernahm die »Deutsche Gesellschaft für Zeitungswissenschaft«, an deren Spitze der preußische Minister für Wissenschaft, Bildung und Kunst, Carl-Heinrich Becker, stand, die finanzielle Förderung des Instituts. Als 1927 Mohr verstarb setzte sich Becker dafür ein, ein zeitungswissenschaftliche Institut mit Ordinariat an der Universität einzurichten. Die Fakultät war sowohl damit als auch mit der vorgesehenen Besetzung durch Dovifat nicht einverstanden. Die vorläufige Leitung des Instituts übernahm Friedrich Berkau. Schließlich setzte Becker 1928 durch, daß Dovifat als außerordentlicher beamteter Professor für Zeitungswissenschaft eingesetzt und zum Direktor des Instituts, das weiterhin als An-Institut mit den genannten Finanzierungsquellen geführt wurde, ernannt wurde. Dovifat sah den Journalistenberuf als offenen Begabungsberuf, lehnte daher eine universitäre Journalistenausbildung ab, begann aber sofort mit zeitungswissenschaftlichen Weiterbildungsangeboten, die er auch nach dem 2. 1 Gernot Wersig verstarb am 4. Juli 2006 in Berlin.

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Gernot Wersig † / Ulrich Neveling

Weltkrieg in der Bundesrepublik zusammen mit den Verbänden organisierte. In der Zeit des Dritten Reiches entwickelte er vor allem eine »Zeitungslehre«. Seine Rolle im Dritten Reich ist umstritten, jedenfalls verblieb er auf seiner Position bis zum Kriegsende. Dovifat war ein tiefreligiöser Katholik und politisch in diesem Teil des Spektrums engagiert. Diese Grundeinstellung und sein Verharren während des Nationalsozialismus machten es ihm unmöglich, unter der sowjetischen Besetzung eine Reorganisation des Instituts an der Linden-Universität durchzuführen. Als es im April 1948 zur Relegierung dreier Studenten, Herausgeber und Chefredakteur der Studentenzeitschrift »Colloquium« durch die Universität auf Veranlassung der sowjetischen Besatzungsmacht kam, gehörte Dovifat daher zu den ersten, die die Linden-Universität verließen und im Westteil die Freie Universität Berlin aufbauten.

1.2 1948–1961: Der normative Anspruch Der Lehrbetrieb wurde schon im November 1948 vor der offiziellen Gründung der FU aufgenommen und im gleichen Monat wurde Emil Dovifat von der Philosophischen Fakultät zum Ordinarius für Publizistik und Direktor des neugegründeten »Instituts für Publizistik« berufen, das zunächst in einer Villa in der Boltzmannstr. 4 eingerichtet wurde (später zog es dann in den Bau der Universitätsbibliothek). Das Fach war damit universitär etabliert, denn das Institut war nun ein reguläres Universitätsinstitut im Haushaltsplan der Universität. Es hatte aber einen schweren Stand: Es war ein »Kleines Fach« mit wenigen Studenten, ihm fehlte die akademische Anerkennung und es konnte auf keinen etablierten akademischen Nachwuchs zurückgreifen. Vor allem aber fehlte ihm der Nachweis der Wissenschaftlichkeit und die theoretische Basis, die Dovifat anstrebte war auch weniger geeignet, diesen Nachweis gegenüber etablierten akademischen Fächern zu führen. Der Bezeichnungswechsel von der »Zeitungskunde« zur »Publizistik« war weniger einer Theorie der medial hergestellten Öffentlichkeit zu verdanken als der Auffassung, daß Publizistik gewissermaßen der Kampf zwischen der sich der Öffentlichkeit vermittelnden Persönlichkeit und einem eher widerspenstigen Publikum ist. Die publizistische Persönlichkeit führt die Öffentlichkeit mit Gesinnungskräften zu Tun und Handeln. Publizistikwissenschaft sollte diesen Prozeß normativ begleiten und vor allem die »Anpassungsjournalistik« bekämpfen. Dovifat demonstrierte dies vor allem durch seine Vorlesungen, in denen er die aktuellen Ereignisse im Spiegel der Publizistik analysierte, die für fast alle Studenten der Freien Universität Erlebnischarakter hatten, auch wenn sie andere politische Grundeinstellungen vertraten. Darüber hinaus verdeutlichte er aber auch, daß neben dem Zeitungsjournalismus das Fach Publizistik ein erhebliche breiteres Spektrum an öffentlichen politischen Meinungsäußerungsformen umfaßt: Rede und Rhetorik, Karikatur, Plakat, Film.

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Dovifat hatte auch sehr früh erkannt, daß die wissenschaftliche Aufarbeitung von Publizistik – mit welchen Methoden auch immer – von der Dokumentation der Materialien abhängig war. Mit Rheinwart Hinkel gewann er einen Archivar, der ein breit angelegtes Pressearchiv aufbaute, Spezialsammlungen wurden angelegt zu Karikaturen, Tonaufnahmen, Filmen (zumindest in Ansätzen). Das Fach war zunächst mit zwei Assistentenstellen ausgestattet, auf denen jedoch keine Habilitation gelang (wie an den anderen Instituten auch). Seit 1952 hatte Elisabeth Löckenhoff eine der Stelle inne. 1958 kam noch eine Akademische Ratsstelle dazu. Auch Dovifat hatte in der Zeit seines Ordinariats keine großen und beachteten Monographien vorlegen können, sein Hauptwerk (»Handbuch der Publizistik« in 3 Bänden, dessen ersten einleitenden und grundlegenden Band er selbst schrieb, erschien erst 1968–69 und war dann eigentlich unzeitgemäß), Zu den wichtigsten am Institut erarbeiteten Veröffentlichungen gehörten die Handbücher »Deutsche Presse« (1954, 1956 und 1961) sowie das »Handbuch der Auslandspresse, deren Herausgabe vom Bundespresseamt bzw. Auswärtigem Amt gefördert wurde. Als Verwaltungsdirektor des NWDR gelang es Dovifat auch Geld für empirische Studien zu Rundfunkprogrammen und zum Rundfunkhören zu beschaffen, die als erste rudimentäre Anfänge von Wirkungsforschung bezeichnet werden können. Als Dovivat 1959 emeritiert wurde, war das Fach in einem relativ schlechten Zustand: Es verfügte über keinen besonders bemerkenswerten wissenschaftlichen Bestand, der akademische Ruf war durch ein Übermaß und die Umstrittenheit von Promotionen (der einzige Abschluß zu dieser Zeit) belastet, Nachwuchs war nicht in Sicht, das Fach war mit etwa 100 Hauptfachstudenten immer noch ein kleines Fach. Die Nachfolgeregelung gestaltete sich daher schwierig, so daß Dovifat sich zwei Jahre selbst vertreten mußte.

1.3 1961–1968: Die Wendung zur empirischen Sozialwissenschaft Schließlich wurde 1961 eine mittelfristige Lösung gefunden: Fritz Eberhard. Eberhard (geb. als Helmut von Rauschenplat) hatte schon eine reichhaltige politische und publizistische Karriere hinter sich: 1920 promoviert in Nationalökonomie, dann Tätigkeit für den »Internationalen Sozialistischen Kampfbund«, 1933–37 im Untergrund, emigriert nach England und von dort aus Kampf gegen den Nationalsozialismus (als »Fritz Eberhard«), 1946 Abgeordneter im Württembergisch-Badischen Landtag, Mitglied des Parlamentarischen Rates (und damit einer der »Väter des Grundgesetzes«), 1948–58 Intendant des Süddeutschen Rundfunks. Eberhard war über 40 Jahre nicht mehr in einer Universität gewesen, wissenschaftlich praktisch nicht ausgewiesen, wobei allerdings für ihn ins Gewicht fiel, daß der Intendant Eberhard ein Pionier der empirischen Hörerforschung war und deren für den Südwestfunk ermittelten Ergebnisse in dem Band »Der Rundfunkhörer und sein Programm« zusammengefaßt hatte, und mit 64 zu alt, um verbeamtet zu werden.

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Daher wurde er nur zum Honorarprofessor ernannt und mit der Institutsleitung beauftragt. Die dadurch frei werdenden Mittel konnten für Lehraufträge und Gastdozenten genutzt werden. Politisch, menschlich, biographisch war Eberhard ein komplettes Gegenbild zu Dovifat, wissenschaftlich wurde er es ebenso – die nächsten Jahre waren gekennzeichnet durch den Widerstand seines (politisch einflußreichen) Vorgängers und seine Bemühungen um ein eigenes Profil des Instituts. Der Übergang wurde erleichtert durch die Mitarbeiter: Der Akademische Rat Günter Kieslich blieb noch eine Zeit, bis er durch Elisabeth Löckenhoff, eine Spezialistin für DDR-Medien, ersetzt wurde. Peter Heilmann war ein loyaler und engagierter Assistent (auch wenn er später als Stasi-Zuträger aufgedeckt wurde). Neue Mitarbeiter, die Eberhard gewann, waren entweder vielversprechender akademischer Nachwuchs, deren Namen man auch heute noch kennt (wie Hans Bohrmann, Hans-Helmut Prinzler, Hermann Meyn, Wilbert Ubbens) oder loyale Manager, die Eberhard den Rücken freihielten (wie Jörg Lingenberg, Rudolf Sülzer und besonders Manfred Kötterheinrich). Eberhard bracht von Berlin aus die deutsche Publizistikwissenschaft auf den Zukunftskurs einer empirischen Sozialwissenschaft, indem er die Grundlage für die empirische Kommunikations- und Medienforschung legte. Dies forcierte er vor allem auf drei Ebenen: – Einführung der in den USA entwickelten theoretischen Basis der Medienwirkungsforschung mit ihren starken Einflüssen aus der Sozialpsychologie mit Autoren wie Lazarsfeld, Lasswell, Festinger, Lewin, Klapper (zum großen Teil Emigranten aus Deutschland/Österreich), von denen einige auch in Berlin selbst vortragen konnten. – Zugrundelegung der Position Max Webers, der Werturteilsfreiheit, die gegen die normative Publizistik Dovifats gestellt wurde. – Konzentration auf die Methoden der empirischen Sozialforschung, etwa Umfrageforschung (Lehraufträge für Elisabeth Noelle-Neumann), vor allem aber die (kostengünstigere) Inhaltsanalyse (als Beispiel steht dafür eine breit angelegte Untersuchung zum inhaltlichen und formalen Aufbau von Tageszeitungen und Fernsehsendungen gemeinsam mit Renate Mayntz-Trier, 1964). Eberhard gelang es, für einzelne Projekte die finanzielle Unterstützung von Einrichtungen wie der Stiftervereinigung der Presse oder der Stiftung die Welt (hier vor allem durch persönliche Beziehungen zu deren Vorsitzenden, Dr. Alfred Frankenfeld) zu gewinnen. Die Mittel wurden vor allem eingesetzt, junge Wissenschaftler als sog. »wissenschaftliche Hilfskräfte« zu beschäftigen. Eberhard gelang es auch, für seine Doktoranden Stipendien zu beschaffen, vor allem durch die Stiftung Mitbestimmung und die Volkswagenstiftung, die auch Mittel für die Herausgabe der von ihm gegründeten Schriftenreihe »Abhandlungen und Materialen zur Publizistik« bereitstellten.

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Seit 1957 gab es den Magister Artium auch an der Freien Universität Berlin. Eberhard brachte die Publizistik dazu, als eines der ersten Fächer der Philosophischen Fakultät den Magister-Abschluß bei den Studenten akzeptabel zu machen. Auch hier wurde die Berliner Publizistik ein Wegbereiter in ganz Deutschland (wie auch in der Eberhard-Zeit der Fachverband Publizistik- und Zeitungswissenschaft im Verband deutscher Studentenschaften durchgängig von Berliner Studenten geleitet wurde). Aber er hat auch Ansätze von Dovifat weiterverfolgt: Der Dokumentationsgedanke wurde in zweifacher Hinsicht erweitert: Es entstand eine kleine Fachdokumentationsstelle mit studentischen Hilfskräften, die ab 1965 den »Publizistikwissenschaftlichen Referate-Dienst« herausgaben (Jörg Aufermann, Gernot Wersig, Ulrich Neveling), er unterstütze Hans-Werner Schober beim Aufbau eines eigenen Faches »Dokumentation« (später Informationswissenschaft). Die Dovifatsche Sicht auf die Meinungsäußerungsformen verfestigte sich bei Eberhard zur Sicht eines Systems vielfältiger Medien, bei denen sowohl die Rundfunkmedien stärker in den Vordergrund traten, als auch die anderen Medienfunktionen neben der politischen Willensbildung wie Kunst, Kultur, Bildung. Auch wenn Eberhard persönlich der politischen Linken verschrieben war, war er zurückhaltend bezüglich der Forderungen der Studentenbewegung zum Ende seiner Amtszeit hinsichtlich der stärkeren Integration von (polit)ökonomischen und kritischen Aspekten in das Studium. Aber unabhängig von der Studienstruktur war das Institut für Publizistik eine der treibenden Kräfte der Studentenbewegung, vor allem waren es die »Freunde der Publizistik e.V.«, ein Verein, der Lehrende und Lernende umfaßte (der sich praktisch in der gewerkschaftlichen Phase 1968 auflöste). Auch wenn er für das Fach revolutionär wirkte, Eberhard war nur als Übergangslösung gedacht. Bereits seit 1965 arbeitete eine Berufungskommission an einer regulären Lösung, behindert auf der einen Seite durch den nach wie vor anhaltenden Nachwuchsmangel des Faches (mit Kurt Koszyk war zumindest in Berlin endlich eine Habilitation gelungen, die aber dem Charakter des Faches in Berlin nicht entsprach), andererseits durch die sich artikulierenden studentischen Interessen. Mehrere Ansätze zur Besetzung des Ordinariats von den Randbereichen des Faches her (Sozialpsychologie, Politologie, Soziologie) wurden von den studentischen Protesten unterlaufen.

1.4 1968–1981: Konfrontationen mit Politik und Praxis Ende 1968 war eine Nachfolge für Fritz Eberhard mit Harry Pross gefunden – auch er ein ehemaliger Rundfunkmann (Chefredakteur von Radio Bremen). Pross schien eine gute Wahl zu sein: Er kam aus dem »linken« Bremen, hatte gerade ein Buch mit theoretischem Anspruch veröffentlicht (»Moral der Massenmedien. Prolegomena zu einer Theorie der Publizistik«) und wollte eine stärkere Praxisorientierung des Studiums erreichen. Mit Veröffentli-

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chungen wie »Die Zerstörung der deutschen Politik« (1959), »Vor und nach Hitler« (1962) und »Die deutsche Presse seit 1945« hatte er darüber hinaus wichtige Beiträge zur Herausbildung einer neuen kritischen Identität der Bundesrepublik Deutschland geliefert. Von vornherein bestand ein Mißverständnis über den Begriff »Praxis« zwischen Pross und der den Ton angebenden Mehrheit der Studierenden. Während letztere unter Praxis Qualifizierung für gesellschaftliche Veränderungen (und hier besonders in den Medien) verstanden, lag dem Pross’schen Konzept des »Kommunikationspraktikers« das Leitbild eines Wegweisers durch die Welt der Zeichen und Symbole zugrunde. Man traf sich bei dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Vermittlung berufsqualifizierender medienpraktischer Kenntnisse unter Ausklammerung des grundsätzlichen Dissenses. Das Kernproblem war, daß Pross zu dem Zeitpunkt kam, zu dem die Studentenbewegung auf ihrem Höhepunkt war, in dem sie in großen Bereichen der Universität – so auch in diesem Institut – nicht nur die Studierenden sondern auch den Mittelbau ideologisch vereinnahmt hatte. Am Institut dominierte über mehrere Jahre die »Aktionsgemeinschaft der Demokraten und Sozialisten« (ADS)(mit starker Bindung an die SEW). Der Geschäftsführende Assistent Hans Bohrmann, der von Eberhard übernommen wurde, gehörte zwar nicht dazu, aber der Rest des Mittelbaus koalierte mit oder tolerierte mehr oder weniger freiwillig die Praktiken angewandter Kaderpolitik (Ulrich Paetzoldt, Hendrik Schmidt, Ulrich Neveling, Günter Bentele, Manfred Knoche). Pross pflegte einen offenen Stil der Institutsleitung und unterzog sich den langwierigen und anstrengenden Prozeduren der Mitbeteiligung aller Gruppen in Form endloser Diskussionsprozesse. Obwohl er letztlich nahezu immer Entscheidungen in seinem Sinne herbeiführen konnte, verstand er die Fremdbestimmung über sein Zeitbudget zunehmend als unzumutbare Belastung. Die partielle Interessenidentität von Pross, Mittelbau und Studierenden hinsichtlich der stärkeren Praxisorientierung des Studiums wurde durch das einige Zeit so genannte »Berliner Modell« (weil es auch wieder den Entwicklungen an anderen Stellen in Deutschland vorgriff) als Studienplan in 1973 umgesetzt. Dieser Plan enthielt starke praxisorientierte Elemente wie eine »Fallstudie« als Einstiegsveranstaltung oder Labore (verzichtete aber auch nicht auf die damals nahezu unvermeidlichen Veranstaltungen zum »Kapital«). Eine Konsequenz der Neuausrichtung des Studiums war die Schaffung einer Professorenstelle für Medienpraxis, die 1974 mit Alexander von Hoffmann (ehemals »Spiegel«) besetzt wurde. Dazu wurden mit der Einheit Medienpraxis zwei Dauerstellen für Akademische Räte geschaffen, die speziell die praxisbezogenen Lehrveranstaltungen betreuen sollten. Schon vorher hatte Pross ein ganz anderes wesentliches Anliegen seiner Wissenschaftsauffassung realisiert. Er sah eine wesentliche Lücke der Publi-

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zistik im Bereich der Zeichentheorie als der Basis für Kommunikationswissenschaft und war damit wohl derjenige, der diese Basis von Berlin aus für Deutschland erschlossen hat (auch wenn es Ansätze dazu bereits in Münster gegeben hatte). Für diesen Bereich hat er bereits 1970 eine Professur für Kultursemiotik durchgesetzt, die mit dem tschechischen Emigranten Ivan Bystrina besetzt wurde. Die semiotische Fraktion wird später noch erweitert durch Marlene Posner-Landsch, die von der in die FU integrierten Pädagogischen Hochschule an das Institut wechselte. Das Fach und das Institut wuchsen innerhalb von zehn Jahren um ganze Dimensionen: 1968 gab es knapp 200 Hauptfachstudenten, 1978 über 600. Entsprechend erweiterte sich auch der Professorenstab: Als Folge des Berliner Hochschulgesetzes wird die Akademische Rätin Elisabeth Löckenhoff 1972 Professorin, es folgen Alexander von Hoffmann und – für die Schamfrist von drei Jahren – Jürgen Prott im Bereich Kommunikationssoziologie, Marlene Posner-Landsch und Ivan Bystrina für den semiotischen Bereich, 1980 dann Axel Zerdick für die Ökonomie der Massenkommunikation. 1969 wird das Institut vom Campus Dahlem verlegt, weil es inzwischen als Einlieger in der Universitätsbibliothek zu groß geworden war. Es teilte sich auf zwei Standorte auf: den Hauptsitz mit Bibliothek und Archiv am Roseneck, die meisten Mitarbeiter und Lehrräume am Rüdesheimer Platz. Mit der Neukonstituierung im Rahmen des Berliner Hochschulgesetzes von 1969 wird das Institut zum »Institut für Publizistik und Dokumentationswissenschaft«, weil die inzwischen 1968 entstandene Informations- und Dokumentationswissenschaft dem Institut zugeordnet wurde. Sie wurde von dem Honorarprofessor Hans-Werner Schober vertreten, nach dessen Tod 1975 wurde Gernot Wersig zu seinem Nachfolger berufen, und dieser übernahm 1977 auch für zwei Jahre die Rolle des Geschäftsführenden Direktors. Das gewachsene Institut, eine akademisch nicht mehr in Frage gestellte Publizistikwissenschaft, die zunehmende Bedeutung der Medien und eine glückliche politische und personelle Konstellation führen Anfang der achtziger Jahre zu einer langfristigen Perspektive, die auch insofern nötig wurde, als bekannt war, daß Harry Pross unbedingt 1983 ausscheiden wollte. 1979– 81 übernahm Hanno Hardt aus den USA eine Gastprofessur, die ihm praktisch die Führungsposition zuwies. Er handelte dann auch mit dem Kultursenator (Peter Glotz) einen Aufbauplan aus, der einen Ausbau auf bis zu 11 Professuren vorsah. Er hat dann aber einen im Rahmen dieser Planung an ihn ergangenen Ruf doch abgelehnt, wohl weil zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbar war, daß sich das Institut in einer Auflösungsphase befand.

1.5 1981–1995: Ausdifferenzierung und Diversifizierung Das Institut hielt das Wachstum nicht aus. Pross hatte sich in einer politischen Auseinandersetzung, die nicht die seine war, verschlissen. Die Semiotik, auf die Pross wissenschaftlich gesetzt hatte, konnte die verschiedenen

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Richtungen nicht zusammenhalten. Das Vakuum an Führung wurde vom Mittelbau gefüllt, der – wie auch die Professoren – Karriere-Interessen besser in kleinen Instituten umsetzen konnte. 1981 zerfiel nicht nur der legendäre Fachbereich 11 Philosophie und Sozialwissenschaften, den das Institut mit begründet hatte, sondern auch das Institut für Publizistik und Dokumentationswissenschaft. Im neugegründeten Fachbereich Kommunikationswissenschaften fanden sich drei Nachfolgeinstitute – Publizistik und Kommunikationspolitik (Zerdick, v. Hoffmann), Kommunikationssoziologie und -psychologie (Löckenhoff), Kommunikationstheorie und Semiotik (Pross, Bystrina, Posner-Landsch) – sowie der Arbeitsbereich Informationswissenschaft (und die Institute für Theaterwissenschaft und Bibliothekswissenschaft und Bibliothekarausbildung). Die Nachfolgeeinrichtungen des Instituts ziehen Anfang der 80er Jahre in das Hochschulgelände Lankwitz, das vorher überwiegend von der Pädagogischen Hochschule genutzt worden war. Die allgemein-politischen Verschiebungen zu Beginn der 80er Jahre lassen auch die Ausbauplanungen stocken. Erst eine bundesweit besetzte externe Kommission sorgte 1984 für einen Durchbruch durch eine Besetzung von drei Eckprofessuren, von denen man sich eine fachlich und politisch ausgewogene Konsolidierung des Faches erhoffte: Stephan Ruß-Mohl (ab 1985) für Journalistische Praxis und Redaktionsmanagement, Bernd Sösemann für Geschichte der öffentlichen Kommunikation (ab 1985), Lutz Erbring (ab 1986) für die empirische Kommunikations- und Medienforschung. Unberührt von der Aufteilung des Instituts liefen einige Aktivitäten weiter, insbesondere das Hauptprojekt, das gleichermaßen bei der Dovifatschen Tradition und den professionellen Nachwehen der 68er Bewegung anknüpfte: der Modellversuch Journalistenweiterbildung. An dessen Vorbereitung haben insbesondere v. Hoffmann und der Mittelbau (insbesondere Manfred Kötterheinrich und Ottfried Jarren) gearbeitet, um eine akademische Qualifikation für im Beruf befindliche Journalisten ohne Hochschulzugangsberechtigung zu schaffen. Dies wurde 1979 als Modellversuch eingerichtet und lief bis 1984. Die Einrichtung als Regelangebot verzögerte sich etwas, weil die FU nicht unbeträchtliche Mittel dafür sichern mußte (wofür es u.a. ein Votum des Berliner Abgeordnetenhauses gab). 1987 begann das Programm mit Ruß-Mohl als wissenschaftlichem Leiter. 1988 schied v. Hoffmann aus dem Institut aus. Im Jahrzehnt der Modellversuche gab es noch einen weiteren, der nur partiell dem Fach zuzurechnen war, das formal nur wenig beteiligt war – der Modellversuch Öffentlichkeitsarbeit wurde 1981–84 gemeinsam vom Fachbereich Kommunikationswissenschaften und dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften durchgeführt (Projektleiter Günter Haedrich und Gernot Wersig). Er endete anders als der zur Journalistenweiterbildung mit der eindeutigen Feststellung, daß die Thematik in die Erstausbildung integriert wer-

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den müßte. Dies geschah dann ab 1989 mit der Berufung von Barbara Baerns für dieses Gebiet. Obwohl der Weg zur empirischen Publizistikwissenschaft schon in den frühen sechziger Jahren beschritten wurde, kam erst in den achtziger Jahren mit Lutz Erbring ein professioneller Fachvertreter und wurde das Gebiet auch erst in der Studienordnung von 1986 stärker im Pflichtkanon verankert (erst jetzt ersetze die Methodenausbildung die Politische Ökonomie). Der dafür notwendige und in der Planung auch ausgewiesene Ausbau auf drei Professuren für Empirie und Methoden ließ allerdings etwas auf sich warten, da das Fach (das nun über den Dekan und den Fachbereichsrat koordiniert werden mußte) erst durch eine Phase der Stiftungsprofessuren ging, die teilweise die immer noch vorhandenen (bzw. neuen) politischen und fachlichen Differenzen zum Ausbruch brachten. 1988 stiftete die Stiftung Tagesspiegel der Freien Universität Berlin die Erik Reger-Professur, die zu gleichen Teilen der Germanistik und der Publizistik zur Verfügung stehen sollte. Sie wurde mit dem Literaturwissenschaftler Erhard Schütz besetzt, als Assistent wurde ebenfalls zu gleichen Teilen der Privatdozent der Germanistik Klaus Siebenhaar eingestellt. Gemeinsam mit dieser Stiftungsprofessur begründete die Stiftung ein Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturforschung (IKK), das besetzt sein sollte mit Sösemann, Schütz, Siebenhaar und der dem Institut zur Nachwuchsförderung zur Verfügung gestellten FiebigerProfessur für Exilpublizistik, die mit Hermann Haarmann besetzt wurde. Der Vertrag der FU mit der Stiftung Tagesspiegel über das IKK rief heftige Diskussionen im Fachbereichsrat hervor, so daß das IKK schließlich fachbereichsunmittelbar geführt wurde. Erhard Schütz wechselte Mitte der neunziger Jahre an die Humboldt-Universität. Klaus Siebenhaar gründete bald nach der Wende an die Hochschule für Musik Hanns Eisler ein Institut für Kultur und Medienmanagement (IKM), um dort den postgradualen Studiengang Kulturmanagement aufzubauen. Bei dieser Initiative wurde er sehr intensiv unterstützt von Hermann Haarmann, der am IKM inzwischen eine zusätzliche Professur für Kulturtheorie der Moderne wahrnimmt. Stephan Ruß-Mohl war von der Robert Bosch-Stiftung an die FU berufen worden und erreichte, daß die Robert Bosch Stiftung der FU eine Stiftungsprofessur für Wissenschaftsjournalismus zur Verfügung stellte. Diese konnte 1990 mit dem renommierten Wissenschaftspublizisten Winfried Göpfert besetzt werden. Anfang der neunziger Jahre war das Thema Kulturmanagement höchst aktuell und Schering stellte auf Initiative von Marlene PosnerLandsch dem Fach eine Stiftungsprofessur in Aussicht (als erste in Deutschland). Die Überlegungen zur möglichen Stellenbesetzung führten zu schweren auch allgemein-politischen Irritationen, in deren Verlauf die Professur vom Präsidenten der FU umgewidmet wurde.

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Die Diskussionen zeigten etwa drei Fraktionen, die um die Jahrzehntwende im Fach in Berlin existierten, die aber nicht identisch mit den drei Instituten waren: die Vertreter der praxisorientierten Bereiche (denen vor allem Praxisprojekte am Herzen lagen), die eher geisteswissenschaftlich Orientierten (die eher konservativ ausgerichtet waren) und die Sozialwissenschaftler (die eher der Linken zugerechnet wurden). Geisteswissenschaftler und Konservative standen der Empirie skeptisch gegenüber, diese mißtraute dem IKK. Die Besetzung einer speziellen Methodenstelle sowie einer zweiten Empirie-Stelle geriet in diese Differenzen, die erst 1994 mit der Berufung von Jürgen Weiß auf die Methodenstelle (und die Nichtbesetzung der zweiten Empirie-Stelle) eine gewisse Konsolidierung erfuhren. Dies konnte man sich insofern noch leisten, weil die erste große Sparwelle an der FU erst danach einsetzte, in der viele Fächer an der FU im Sollstellenplan um 20–40 % verringert wurden. Die Informationswissenschaft wurde ein Opfer dieser Sparwelle, ihre Reste wurden der Publizistik zugeschlagen. Letztlich überstand die Publizistik die Planungen der Entwicklungsplanungskommission relativ unbeschadet: Das Soll von 11 wurde auf 10 Professuren reduziert und entsprach dem Ist von 1995, die Mittelbau-Ausstattung wäre sogar eine gewisse Verbesserung gewesen.

1995– : Re-Integration und Konzentration Es war nicht nur der in den Querelen um die Empirie-Berufungen klar gewordene politische Druck, der dazu führte, daß das Institut für Publizistik neu gegründet wurde. Das Nebeneinander der drei Institute hatte dringend notwendige Reformen der Studienordnung behindert, die Entwicklung des Faches – insbesondere auch im Bereich der Neuen Medien – wurde durch die Institutsstruktur nicht mehr adäquat abgebildet, das Fach insgesamt hatte sich auch in der Bundesrepublik an vielen Stellen über die traditionelle Publizistikwissenschaft hinaus zu einer Kommunikationswissenschaft entwickelt, die auch andere Medien einbeziehen mußte (wie dies z.B. mit der Telefonforschung an der FU auch stattfand). Die Vorarbeiten für eine Neugründung eines Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit einem auch neu formulierten MagisterStudiengang begannen in einer gemeinsamen Kommission, die vom Dekan Gernot Wersig moderiert wurde. 1995 wurde der Fachbereich Kommunikationswissenschaft aufgelöst, das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft auf der Basis der Nachfolgeinstitute des 1981 aufgelösten Instituts für Publizistik wiedergegründet und dem Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaft I eingegliedert (mit Philosophie, Soziologie, Theaterwissenschaft). Es hätte auf der Basis des Sollstellenplans etliche Jahre eines echten »Vollbetriebs« vor sich gehabt: 10 Professoren, ein fast besetztes Mittelbauprogramm.

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Das veranlaßte in der Zeit des Vereinigungsaufbruchs die Initiativen zu neuen Erweiterungen: – die Erweiterung der Journalisten-Weiterbildung um das Europäische Journalisten Fellowship-Programm (Stipendien für überwiegend westeuropäische Journalisten für einen Projektaufenthalt in Berlin) und um das von dem Honorarprofessor Günter von Lojewski ins Leben gerufene Programm »Journalisten aus Rußland« (Stipendien für Nachwuchsjournalisten für ein halbjähriges Aufenthaltsprogramm). Diese Einheiten wurden mit der Journalisten-Weiterbildung zum »Journalisten-Kolleg« zusammengeschlossen und in einer Villa in Nähe der Silberlaube zusammengefaßt. – Entwicklung eines einjährigen Zusatzstudiums Wissenschaftsjournalismus mit Zertifikat. – Beteiligung am Europäischen Master´s Degree in Public Relations (Communication Management) – Maßgebliche Beteiligung am Uni-Radio, das von den Berliner Universitäten gemeinsam ins Leben gerufen wurde, aber praktisch an der FU residierte. Ab 1995 begannen Fach und Institut aber auch schon unter zwei besonderen Wachstumsbedingungen zu leiden: – Die Zahl der Studierenden war inzwischen auf eine erschreckende Menge von 1.800 Hauptfach- und ca. 1.000 Nebenfachstudenten (einschließlich der Diplom-Nebenfächler) gestiegen, zeitweilig bewarben sich in einem Semester 2.000 Interessenten auf 120 Studienplätze. Das Fach bot eine Mischung von strenger Empirie und Praxisorientierung an, wie es sie im deutschsprachigen Raum sonst nicht gab, so daß – zusammen mit der Anziehungskraft der Hauptstadt – die Zahl der Studienortwechsler und Quereinsteiger immer mehr zunahm. – Das Fach mußte – auch im Zusammenhang mit Anforderungen, die aus der Hauptstadtfunktion an es herangetragen wurden – immer differenziertere Bereiche abdecken, die personell nicht ausgewiesen waren: Kommunikationspolitik, Medienrecht, Kulturkommunikation, Organisationskommunikation, Neue Medien, Unterhaltungsmedien. Das Institut begann daher, sich in den neuen Bereichen mit Honorarprofessoren zu komplettieren. Noch aus den achtziger Jahren verfügte das Fach über Herbert Kundler (der praktisch für die gesamte Publizistik hilfreich war) und Siegfried Klaue (Wettbewerbs- und Kartellfragen). Neu hinzukamen bis 2004: Manfred Buchwald (ehem. Intendant Saarländischer Rundfunk), Günter von Lojewski (ehem. Intendant SFB), Matthias Prinz (Rechtsanwalt, der besonders im Bereich der Verletzung von Persönlichkeitsrechten bekannt wurde), Joachim Klewes (Öffentlichkeitsarbeit), Bernhard Graf (vor allem Museumsforschung und Kulturkommunikation), Manfred Güllner (Empiri-

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sche Kommunikations- und Medienforschung), Stefan Sorg (Organisationskommunikation). 1999 wurden im Zuge der Strukturreformen der Freien Universität die Fachbereiche neu gegliedert, das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft wurde mit der Politikwissenschaft, der Soziologie und der Ethnologie in den Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften überführt, dessen erster Dekan Axel Zerdick wurde. Um das Jahr 2000 schlugen dann die sich verschärfenden Sparmaßnahmen auch auf das Institut durch. In den Strukturbeschlüssen, in denen das Institut als ein wichtiger Solitär in Berlin gewürdigt worden waren, war allerdings das Journalisten-Kolleg nicht enthalten und es stand plötzlich vor der Situation, daß auf der einen Seite alle Mitarbeiterstellen strukturell nicht mehr gesichert waren, daß aber andererseits die gewachsenen Aufgaben eine halbe Hochschullehrerstelle, die das Institut dafür freigestellt hatte, zu überfordern schien. Stephan Ruß-Mohl zog daraus die Konsequenz und verließ die Universität Ende 2001. Zwar sprangen Axel Zerdick (für das EJF) und Jürgen Weiß (für die JWB) ein, gleichzeitig setzte aber ein faktischer Besetzungsstop im Mittelbau für eine deutlich höhere Belastung auch aller anderen Professoren. Mit Stephan Ruß-Mohl war der jüngste Professor ausgeschieden, der jüngste verbliebene war 55 Jahre alt. Der Abbauprozeß setzte sich 2003/4 fort: Aus Altersgründen schieden Barbara Baerns und Lutz Erbring aus, Axel Zerdick erlag der Überlastung zwei Tage vor seinem 63. Geburtstag. Der Mittelbau war 2004 nur noch mit weniger als 50 % der Planstellen besetzt. Unter diesen Bedingungen war es etwas gewagt, als eines der ersten Magisterfächer an der FU Berlin im WS 2003/4 einen neuen Bachelor-Studiengang einzuführen. Die zweite Sparwelle, die die FU für die Jahre 2006–2010 trifft, sieht eine Verringerung auf 8 Professuren vor. Mit der Realisierung dieser Vorgabe wird – einerseits eine Strukturveränderung notwendig sein, die einen Kompromiß suchen muß zwischen den fachlichen Veränderungen und den aus den Hauptstadtfunktionen erwachsenden Anforderungen, – andererseits eine schwierige Übergangsphase zu bestehen sein, in der die entstandenen Lücken irgendwie gefüllt werden müssen, aber in Konsequenz des eingeschlagenen Weges auch die Ablösung des Magisterstudiums durch mindestens ein Master-Angebot realisiert werden muß.

2.

Fachliche Projekte, Tendenzen, Entwicklungen

2.1 Journalismus und Redaktionsmanagement »Journalismus« war der Kern der Zeitungslehre und Publizistik auch bereits in der normativen Phase, davon zeugen die größeren Werke Dovifats (»Zei-

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tungslehre, »Handbuch der Publizistik«). Auch unter Eberhard und Pross – beides Rundfunkmacher – wurde dieser Bereich weiterbetrieben, bei Eberhard mit einem Schwerpunkt auf der Programmgestaltung (»Der Zuschauer und sein Programm«). Bei Pross wurde dann explizit mit Alexander von Hoffmann ein Gestalter berufen, der dies vor allem in die Lehre umsetzte (in Form von Laboren und Medienseminaren, für die die Einheit Medienpraxis eingerichtet wurde). Im Studienplan von 1973 (»Berliner Modell«) war fast das gesamte Hauptstudium medienpraktisch ausgerichtet, in den Studienordnungen von 1986 und 1995 werden zumindest im Grundstudium einige entsprechende Pflichtveranstaltungen und im Hauptstudium entsprechende Wahlmöglichkeiten ausgewiesen. Die Berufung von Stephan Ruß-Mohl ging davon aus, daß der Bereich »Journalismus und Medienmanagement« auch stärker wissenschaftlich reflektiert werden muß. Dabei schob sich vor allem der Gesichtspunkt der Qualitätssicherung in den Vordergrund.

2.2 Semiotik und Kommunikationstheorie Die von Harry Pross eingebrachte Semiotik war in den siebziger und achtziger Jahren mit bis zu drei Professuren der am besten ausgestattete Bereich. Ein wichtiger Ausgangspunkt war die als »Publizistik. Thesen zu einem Grundcolloquium« 1970 vorgestellte kommunikationstheoretische Grundposition, die allerdings im engeren Fach ebenso wenig größere Aufmerksamkeit fand wie die späteren Arbeiten von Pross zur »Signalökonomie« und die kultursemiotischen Arbeiten Ivan Bystrinas. Größere Wirkungen erzielten einige Arbeiten aus dem Mittelbau wie Günter Bentele (Semiotik und Massenmedien 1981) und Wulff (mit arbeiten zur Filmsemiotik), aber auch der Teil, den Harry Pross in dem gemeinsamen Band mit Hanno Beth zur »Einführung in die Kommunikationswissenschaft« 1976 zum Kommunikationsprozeß verfaßte. Nach dem Ausscheiden von Pross und Bystrina in den achtziger Jahren war Marlene Posner-Landsch die Vertreterin dieses Bereichs, die mit zeichentheoretischen Aspekten der Unternehmenskommunikation neue Bereiche nicht nur für die Zeichentheorie, sondern auch für die Einbeziehung der Unternehmenskommunikation in die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft erschließt.

2.3 Geschichte der öffentlichen Kommunikation In Dovifats Arbeiten war die historische Dimension immer ein selbstverständlicher Bestandteil und insbesondere pressehistorische Dissertationen waren üblich. Auch bei Eberhard wurde der Geschichte in Form von Assistenten wie Hans Bohrmann oder Wilbert Ubbens ein wichtiger Stellenwert eingeräumt und Kurt Koszyk erhielt nicht nur die Gelegenheit, seine histori-

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sche Habilitation in Berlin durchzuführen, seine vierbändige Pressegeschichte erschien auch in der von Fritz Eberhard herausgegebenen Reihe im Colloquium Verlag. In der politisierten Phase wurden die Schwerpunkte anders gelegt, so daß für die Strukturplanung der frühen achtziger Jahre ein historischer Nachholbedarf deutlich wurde, dem mit der von Bernd Sösemann besetzten Stelle für »Allgemeine Publizistik. Geschichte der öffentlichen Kommunikation« Rechnung getragen wurde. Wesentliche Projekte der historischen Forschung konzentrierten sich auf – Veranstaltungen zu Hugo von Hofmannsthal (1989), Theodor von Schön (1994), Geschichte Preußens (1989–96) – Editionen zu Theodor Wolff, Joseph Goebbels, Theodor von Schön – Dokumentationen zu Emil Dovifat, Fritz Eberhard, Geschichte der Massenmedien, Karikatur im 19./20.Jahrhundert, Publizistik im 3. Reich. Mit der Berufung von Hermann Haarmann konnte der Bereich Historische Publizistik – neben dem von ihm vertretenen Schwerpunkt Exil und Exilpublizistik – zusätzlich abgesichert werden: Seine Lehrveranstaltungen und Forschungen zur öffentlichen Kommunikation seit der Moderne umspannen so unterschiedliche Gegenstände wie institutionalisiertes Theater im 18. Jahrhundert, Theorie und Praxis der Geselligkeit, marxistische Medientheorien in zwanzigsten Jahrhundert oder literarische Öffentlichkeit nach 1945. – Eine kommentierte Dokumentation zur Satire in der Publizistik der Weimarer Publizistik, die sowohl die darstellenden Künste als auch die Literatur, Publizistik und Malerei umfaßt, erschien 1999. – Die Berliner Gesellschaft. Ein Sittenbild, gestern – heute – morgen (2000).

2.4 Empirische Kommunikations- und Medienforschung Die empirische Medienforschung begann mit dem Projekt zum inhaltlichen und formalen Aufbau von Tageszeitungen und Fernsehen im Oberseminar 1964 von Fritz Eberhard, finanziert von der Pressevereinigung für neue Publikationsmittel und der Werbung im Funk GmbH (gedruckt von der ErnstReuter-Gesellschaft). An die dabei gesammelten inhaltanalytischen Erfahrungen schlossen sich eine Reihe von Magisterarbeiten an. Bei Harry Pross kam es zu einigen Forschergruppen mit ZDF, WDR und SWF, besonders aufsehenerregend war das von Elke Baur betreute Projekt »Vier Wochen ohne Fernsehen«.

2.5 Ökonomie der Massenkommunikation, Kommunikationspolitik, Medienrecht Am Beginn der Betrachtung von Mediensystemen als Resultate ökonomischer, politischer und rechtlicher Entwicklungen standen die Gegenbilder:

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Dovifat thematisierte natürlich das Mediensystem und die Propagandaformen des dritten Reiches ausführlich. Bei Eberhard kam in der Person von Elisabeth Löckenhoff die Analyse des Systems der »Sowjetischen Besatzungszone« dazu, aber auch – insbesondere in Form von Lehraufträgen die Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Folge davon war, daß der Assistent Peter Heilmann nach seinem Ausscheiden von der Stiftung Volkswagenwerk ein Projekt zur Materialsichtung und -systematisierung der damals gerade akuten Diskussion zur Pressekonzentration erhielt (1968–9) und darüber auch eine größere Publikation vorlegte. Auch wenn das Projekt nicht formal vom Institut getragen wurde, waren doch die meisten seiner Mitarbeiter ehemalige oder aktuelle Mitarbeiter des Instituts (zu den Herausgebern des Bandes zählen Jörg Aufermann, C. Wolfgang Müller, Ulrich Neveling, Gernot Wersig). In den siebziger Jahren wurde zwar viel über (Polit)Ökonomie geredet, aber nicht geforscht. Prott, dessen Arbeitsbereich durchaus in diesem Bereich angesiedelt war, war zu kurz am Institut, um mehr als ein Bewußtsein für die Problematik zu schaffen. 1980 wurde dann Axel Zerdick auf die spezielle C2Stelle für Ökonomie der Massenkommunikation berufen. Im Zuge der Strukturplanungen zu Beginn der achtziger Jahre wurde schon deutlich, daß Ökonomie zwangsläufig die Ergänzung durch Kommunikationspolitik und Medienrecht braucht. Diese Bereiche hat Zerdick praktisch mitverwaltet. Anfang der neunziger Jahre scheiterte ein Versuch, eine einschlägige C4-Stelle zu besetzen, sie fiel dann der ersten Sparwelle zum Opfer. Dies führte dann zur Berufung von drei einschlägigen Honorarprofessoren. Größere Projekte waren insbesondere – Telefonforschung 1989–1997, Projektleitung Ulrich Lange (mehrere Auftraggeber, u.a. Telekom, Alcatel SEL) – Postleistungen im Vertriebssystem für Presseprodukte 1990–1996, mit Manfred Knoche (Auftraggeber Deutsche Post) – Entwicklung des Werbemarktes in Berlin und Brandenburg 1990–1996 (Auftraggeber Medienanstalt Berlin-Brandenburg). Kontinuierlich abgedeckte Forschungsthemen waren Medienkonzentration, Regulierung. Die spannendsten kommunikationspolitischen, ökonomischen und medienrechtlichen Probleme stellen sich im Kontext der Neuen Medien.

2.6 Öffentlichkeitsarbeit Mit dem Modellversuch Öffentlichkeitsarbeit gemeinsam mit dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften wurde versucht, ein Verständnis dieses Bereichs zu entwickeln, das nicht nur die praktische Durchführung von Öffentlichkeitsarbeit anzielt, sondern den Bereich Öffentlichkeitsarbeit auch wissenschaftlich in seinen Beziehungen zu Öffentlichkeit, Gesellschaft und Medien reflektiert. Von publizistikwissenschaftlicher Seite wurde der Modell-

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versuch wesentlich gestaltet durch Günter Barthenheier, der auch zusammen mit einem der Projektleiter ein seinerzeitiges Standardwerk vorlegte. Mit der Berufung von Barbara Baerns auf eine Professur für Theorie und Praxis des Journalismus und der Öffentlichkeitsarbeit 1989 konnte das Praxisfeld Öffentlichkeitsarbeit in den Magisterstudiengang als ein neuer Schwerpunkt erstmalig in Deutschland integriert werden. Das erforderte eine intensivere Erschließung der einschlägigen Praxiseinrichtungen, für die eine wissenschaftliche Reflexion ihrer Praxis eine neue und teilweise irritierende Entwicklung darstellte. Gleichzeitig galt es, wissenschaftliche Herangehensweisen an dieses Feld zu entwickeln und in empirisch zu bearbeitende Projekte umzusetzen. Dabei gab es folgende Schwerpunkte: – Beziehung Journalismus – Öffentlichkeitsarbeit – Qualitätssicherung, Qualitätskontrolle, Evaluation – Komparative Public Relations-Forschung – Beziehung PR-Agentur – Kunde als Dienstleistungsbeziehung.

2.7 Wissenschaftsjournalismus Schon in den achtziger Jahren wurden Fragestellungen der Wissenschaftsvermittlung an das breitere Publikum in er Informationswissenschaft aufgegriffen und dann später in Zusammenhang mit Museen und Science Centers weiterverfolgt. Daran konnte Winfried Göpfert 1990 anknüpfen, als er – aus der wissenschaftsjournalistischen Fernsehpraxis kommend – die Professur für Wissenschaftsjournalismus übernahm. Nach dem Willen des Stifters sollte dies ein Zusatzstudium Wissenschaftsjournalismus einschließen, das als einjähriger eigener Aufbaustudiengang angeboten wird. Nach einer Abschlußprüfung wird ein Zertifikat erteilt. Das immer wichtiger werdende Gebiet des Wissenschaftsjournalismus verfügte über fast keine eigene Forschungstradition, entwickelte aber schnell eine eigene Dynamik, weil das öffentliche Interesse sich schnell entwickelte und überschaubare Fragestellungen möglich waren. Der Arbeitsbereich hat kontinuierlich entsprechende Forschungsprojekte durchgeführt, insbesondere zu Themen wie – Medizinjournalismus in der Fachpublizistik und Tageszeitungen – BSE in den Medien – Computerzeitschriften – Verhältnis von Wissenschaftlern und Journalisten – Berufsverständnis von Wissenschaftsjournalisten – Umweltberichterstattung im Fernsehen – Public Health.

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Der Arbeitsbereich hat im universitären Bereich in Deutschland eine Alleinstellung und hat als einziges Gegenstück eine Forschungskapazität im Forschungszentrum Jülich, mit dem es eine enge Kooperation gibt.

2.8 Exilpublizistik Schon mit seiner Antrittsvorlesung zu Ovid am Schwarzen Meer wurde deutlich, daß Haarmann den Exil-Begriff sehr weit faßt: als eine der Grundbedingungen menschlicher Existenz unter der Maßgabe der Androhung von individueller oder staatlicher Gewalt. Der historischen Zeitspanne von 1933–1945 allerdings gilt seine besondere Aufmerksamkeit: – Internationale Symposien zum Exil und zur Inneren Emigration 1933– 1945 (alle 2 Jahre, gefördert durch die DFG und in Kooperation mit der Akademie der Künste Berlin), – Forschungen und Editionen, gefördert durch die DFG, zu Carl Einstein, Erwin Piscator und zu Hermann Budzislawski (Neue Weltbühne, Wien, Prag, Paris 1933–1938), – Im Jahr 2000 Gründung und Herausgabe der Schriftenreihe »akte exil«, die unbekanntes und unveröffentlichtes Archivmaterial vorlegt; inzwischen sind 8 Bände erschienen. – Förder- und Freundeskreis akte exil zur Unterstützung des Drucks der Schriftenreihe (2003).

2.9 Neue Medien Die Anwendungen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien waren seit Ende der siebziger Jahre das Thema der Informationswissenschaft, in der Publizistik entwickelte sich zunächst in Berlin kein besonderes Interesse dafür. Mit der Wiederbegründung des Instituts 1995 begann nicht nur die Wachstumsphase des Internet, sondern entwickelten sich auch zwei unterschiedliche Zugangswege zu einer Beschäftigung mit den »Neuen Medien«. Zum einen wurde das Feld Ökonomie/Politik/Recht der Medien zwangsläufig auf die neuen Medien verwiesen, die sich immer mehr als ein Kernproblem entwickelten. Axel Zerdick leistete hier wesentliche Beiträge auf zwei Ebenen – Als Sprecher des European Communication Council, der als Drittmittelprojekt an der FU Berlin mit Mitteln der MGM MediaGroup München organisiert wurde. Besondere Aufmerksamkeit zog die Erarbeitung einer Grundkonzeption der »Internet-Ökonomie« auf sich (1999). Das Erscheinen von »E.merging Media« (2004) hat er nicht mehr erlebt. Im Kontext der Alcatel SEL-Stiftung wurde in Berlin ein Verbundkolleg eingerichtet, dessen Sprecher er war.

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– Als Antragsteller und Sprecher des BMBF-Drittmittelrpojektes »Lernen in der New Economy« 2001 bis 2004 zur Entwicklung eines hochschul- und fachübergreifenden Online-Curriculums in Zusammenarbeit mit einer Reihe anderer Institute in Berlin (FU, HU, TU, FHTW), Bochum, Trier, Würzburg. Auf der anderen Seite waren es die Arbeiten von Gernot Wersig zum Komplex »Postmoderne, Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft«, die auf eine Weiterentwicklung und Zusammenführung von Kommunikations-, Gesellschafts- und Medientheorie abzielen, die den Bogen von den archaischen bis zu den neuen Medien spannt. Hier wurden auch die Traditionen der Technikfolgenforschung aus der Informationswissenschaft mit dem Akzent »Trendforschung« weitergeführt.

2.10 Kultur und Medien Der Komplex »Kultur und Medien« war spätestens seit Eberhards Zeiten ein zumindest unterschwelliges Thema: Lehraufträge thematisierten fast alle kulturellen Rundfunkgenres, der Kinofilm spielte eine große Rolle (z.B. HansHelmut Prinzler als Assistent). Pross versuchte, den Bereich durch die Kultursemiotik Bystrinas weiterzuentwickeln, bei Posner-Landsch wurde in den achtziger Jahren die Filmtradition weitergeführt. Mit dem IKK gab es einen kulturellen Seitenstrang, der den Zusammenhang von Literatur und Öffentlichkeit in der Geschichte thematisierte. Seite Mitte der neunziger Jahre verdichten sich die Arbeiten zu einer Struktur, in der insbesondere die anderen als die traditionellen Massenmedien als Ausgangspunkt für verschiedene kulturorientierte Herangehensweisen benutzt werden: – Hermann Haarmann lehrt und prüft kulturtheoretische und -philosophische Ansätze in ihrer Beziehung zu Medien wie Theater, Fotografie, Gärten. – Axel Zerdick hat relativ früh begonnen, das Telefon als Alltagsmedium zu untersuchen und in den letzten Jahren die Fragestellungen auf die Ökonomie der (vom Internet bedrohten) Unterhaltungsmedium Kino und Tonträger ausgedehnt. – Gernot Wersig hat bereits in den achtziger Jahren (mit Petra SchuckWersig) begonnen, Museen als Medien zu betrachten und das Konzept des Museumsmarketing in Deutschland erstmalig entwickelt, Die Museumsforschung wird seitdem kontinuierlich mit Bernhard Graf als Honorarprofessor weitergeführt, u.a. in dem von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Projekt zur technischen Außenrepräsentanz von Museen (Internet, CDROM), 1998–2000.

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

3.

Einrichtungen und Randgebiete

3.1 Dokumentation Die Anfänge der fachlichen Dokumentations- und Informationsarbeit reichen zurück bis Anfang der 60er Jahre. Auf Initiative der bei dem Fach Publizistik angesiedelten Honorarprofessur für Dokumentationswissenschaft (HansWerner Schober), die auch mit der Politischen Wissenschaft (O. Stammer) verbunden war, bildete sich ein »Arbeitsring Politische Dokumentation«, der Grundlagen für fachliche Informationsdienste für die Fächer Politische Wissenschaft, Publizistik und Soziologie erarbeitete. Ziel war die regelmäßige Veröffentlichung von fachlichen Referatediensten mit Auswertungen der einschlägigen Zeitschriftenliteratur. Verwirklicht werden konnte dieses Ziel für die Politische Wissenschaft (PolDok – Politische Dokumentation) und die Publizistik (Publizistikwissenschaftlicher Referate-Dienst »prd«). Obwohl beide Dienste von Anfang an unter materiell nur ungesicherten und unzureichenden Bedingungen erscheinen konnten, waren sie ziemlich langlebig poldok 1964–1989, prd 1965– 1984). Im »prd« wurden ca. 100 Zeitschriften (wissenschaftliche Fachzeitschriften, Verbandszeitschriften, Fachdienste, Kulturzeitschriften u.a. des deutschsprachigen Bereichs und die wichtigsten amerikanischen wissenschaftlichen Fachzeitschriften ausgewertet. Jährlich wurden etwa 2000–2500 Beträge erfaßt und inhaltlich (Fachsystematik, Autorenregister, Geographisches Register und Schlagwortregister) erschlossen. Nachdem der Referatedienst zunächst im Eigenverlag erschien, wurde er dann vom Westdeutschen Verlag und schließlich vom Verlag Dokumentation (K.G. Saur) herausgebracht. Die Auflage lag bei ca. 250 Exemplaren. Mitte der 70er Jahre begann die Bundesregierung ein Programm zur Förderung der Information und Dokumentation zu erarbeiten, das insbesondere auf die Verbesserung der Informationsflüsse in den Naturwissenschaften und den technischen Disziplinen abzielte. Aber es wurden auch die Geistes- und Sozialwissenschaften einbezogen. Im Rahmen der sog. Fachplanung vertrat das Institut für Publizistik der FU (in der Person von Ulrich Neveling) den Bereich Publizistik und Massenkommunikation. Die finanzielle Förderung des Bundes erstreckte sich auf die Entwicklung von Instrumenten zur Nutzung elektronischer Speichermedien für die fachliche Dokumentation und insgesamt wurden für ca. 10 Jahre entsprechende Sach- und Personalmittel bereitgestellt. Für den Bereich der Sozialwissenschaften gelang es nicht, ein eigenes sog. »Fachinformationszentrum« als Bund-Länder-Einrichtung zu etablieren. Erreicht wurde die Einsetzung des Informationszentrums Sozialwissenschaften (IZ Bonn), das fachlich für Soziologie und sozialwissenschaftliche Methoden zuständig war, als zentraler Koordinierungsstelle, an das andere Institutionen

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vertraglich angebunden wurden. Beim IZ wurde eine sozialwissenschaftliche Literaturdatenbank SOLIS eingerichtet, zu der die anderen Institutionen zuliefern. Mit der vertraglichen Anbindung an das IZ übernahm dann die FU nach Auslaufen der Bundesförderung gegen Ende der 80er Jahre die Finanzierung der nun als »Fachinformationsstelle Publizistik« firmierenden Arbeitsstelle. Die Fachinformationsstelle Publizistik, das Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund und das Fachreferat »Publizistik- und Kommunikationswissenschaft« der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen schlossen sich Ende der 80er Jahre zum »Informationsverbund Massenkommunikation« zusammen. Ziel war die Errichtung einer umfassenden Literaturdatenbank für den Bereich der Publizistik und Massenkommunikation bei der Fachinformationsstelle Publizistik. Die Datenbank umfaßt aktuell (Stand April 2004) 145.000 Literaturnachweise aus dem Erscheinungszeitraum seit 1980. Der jährliche Zuwachs der Datenbank liegt bei ca. 5000 Nachweisen, das Updating erfolgt im Vierteljahresrhythmus.

3.2 Informationswissenschaft 1966 wurde Hans-Werner Schober, der 1954 bei Dovifat über »Dokumentation von Zeitschriften« promoviert hatte, Honorarprofessor für Dokumentation. Bei der Bildung des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften wird das Fach als »Informations- und Dokumentationswissenschaft« geführt, zum Ende der achtziger Jahre firmiert es dann als »Informationswissenschaft«. Gernot Wersig – seit 1968 Assistent am Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation – fungierte faktisch als Assistent von Schober und wird 1971–4 zur Erarbeitung des Bundesförderungsprogramms Information und Dokumentation teilweise an das Bundesforschungsministerium abgeordnet. In dieser Zeit dominieren als Themen: Terminologieforschung, Theorie der Ordnungssysteme und Dokumentationssprachen, Informationssoziologie. Kooperationspartner und Forschungsförderer waren insbesondere DIN, UNESCO, Fédération Internationale de Documentation (dessen Ausbildungskommission jahrelang von Wersig geleitet wurde), Bundesinnenministerium, Umweltbundesamt, Deutsches Institut für Normung. 1975 verstarb Hans-Werner Schober, 1977 wird Gernot Wersig im Vorgriff auf einen Ausbau durch das Forschungsministerium zum C3-Professor berufen. 1977–84 wird der Arbeitsbereich vom Forschungsministerium gefördert: – 1977-80 Integrierte Ausbildungskonzeption für den Tätigkeitsbereich Bibliothek, Archiv, Dokumentation – 1980–81 Methodeninstrumentarium Besucherforschung

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

– 1981–84 Informationssysteme als informationspolitisches Gestaltungspotential und gesellschaftliche Entwicklungsstrategie. Organisierte Information und Kommunikation als Komponenten individueller und gesellschaftlicher Problembewältigung. Generell ging es zunächst um die Identifikation von Tendenzen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und ihren Auswirkungen zunächst auf die Organisation von Informationsprozessen, später auf kulturelle Institutionen und Alltagsgestaltungen. In der Folgezeit traten kulturelle Institutionen als Kommunikations- und Informationsinstanzen stärker in den Vordergrund, andererseits ging es um fragen des Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien in Organisationen. Hier gab es einige Jahre eine Zusammenarbeit mit der NEEF Kommunikationssysteme-Gruppe in Karlsruhe (Kommunikationsanalyse der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt). Diese Zweigleisigkeit bleibt auch bis 1995 erhalten. Einerseits die technikorientierten Forschungen wie – Künstliche Intelligenz und Wissensbasierte Systeme (z.B. in den Geowissenschaften). Dies wurde insbesondere von Ralf-Dirk Hennings als wissenschaftlichem Mitarbeiter und Privatdozent umgesetzt. – Arbeiten zur Büro-Kommunikation (z.B. in Japan, finanziert von der DFG und realisiert von Young Man Ko, jetzt Professor für Informationswissenschaft in Seoul). Zum anderen die Betrachtung von Museen und Ausstellungen als kulturelles Medium, für das das Konzept des Museums-Marketing erstmalig in Deutschland entwickelt wurde in einer Reihe aufeinander aufbauender Projekte: – Wirksamkeit öffentlichkeitswirksamer Maßnehmen für Museen und kulturelle Ausstellungen (Berlin-Forschung), 1986–7 – Museumsmarketing in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland (Robert Bosch-Stiftung), 1988–92, dann noch einmal für die USA neu betrachtet 1996. – Mitarbeit bei der Einrichtung des Studiengangs Museumskunde an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft. Ein dritter inhaltlicher Strang war seit 1977 (wo in dem Projekt zur Integrierten Ausbildungskonzeption auch einige Verfahren der Zukunftsforschung eingesetzt wurden) die Technikfolgenforschung, die sich insbesondere an der Frage der Akzeptanz der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in den achtziger Jahren organisierte. Diese Tradition der Zukunftsforschung konnte erfolgreich in den interdisziplinären Forschungsverbund »Lebensraum Stadt – Mobilität und Kommunikation in den Agglomerationen von heute und morgen« eingebracht werden, der 1990–94 von der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung organisiert wurde. In dem Gernot

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Wersig und Petra Schuck-Wersig vor allem die Flexibilisierung des Handelns in Verbindung zur Entwicklung des Freizeitverkehrs betrachteten. Von 1977 an war die Informationswissenschaft mit einer Ausbauplanung auf drei Professuren versehen, die jedoch nie realisiert wurde. 1995 sah die FU keine Möglichkeit mehr, den fachlich nunmehr unverzichtbaren Ausbau weiter zu verfolgen. Das Fach wurde daher eingestellt, bis 2000 wurde noch ein reduziertes Lehrprogramm angeboten, danach wurden noch für die verbleibenden Studieren Abschlußprüfungen durchgeführt.

3.3 Journalisten-Kolleg 3.3.1 Journalisten-Weiterbildung Die Journalisten-Weiterbildung – ein berufsbegleitendes Erststudium für im Beruf befindliche Journalisten – nahm von Anfang an (1987) eine Sonderstellung ein, weil das Studium keine Hochschulzugangsberechtigung voraussetzte und trotzdem (das allerdings erst etwas später) einen akademischen Grad anbot, der speziell für dieses Studium entworfen wurde: lic.rer.publ. Die Konzeption des Studiengangs basiert auf Erfahrungen, die Anfang der achtziger Jahre in einem Modellversuch gesammelt wurden. Das Lehrangebot ist eine Mischung aus Fernstudieneinheiten und Präsenzseminaren und zielt vor allem auf die Vermittlung von wissenschaftlichen Grundlagen und interdisziplinären Verknüpfungen sowie dem Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. Das Lehrprogramm umfaßt Geschichts-, Kommunikations-, Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft, ergänzt um Veranstaltungen zur wissenschaftlichen Methodik oder ressortspezifischen Spezialthemen. Das Programm wurde immer wesentlich von den Geschäftsführern mitgestaltet; Anfang der achtziger Jahre im Modellversuch von Günter Bentele und anderen sowie anschließend im Regelstudiengang von Ottfried Jarren (1987– 91), Gerhard Vowe (1991–98), Hartmut (1998–2001) und seit 2002 kommissarisch von Volker Gehrau. Die wissenschaftliche Leitung des Programms hatten: Alexander von Hoffmann (Modellversuch), Stefan Ruß-Mohl (1987– 2001) und seit 2001 kommissarisch Hans-Jürgen Weiß. Die Mitarbeiter waren entweder in den Forschungskontext von Stephan Ruß-Mohl eingebunden oder führten eigene Forschungen durch etwa zu Themen der Qualitätssicherung, amerikanischer Journalismus, Medienjournalismus, Selbstregulierung. 1994–45 wurde im Auftrag des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags die Multimediaberichterstattung in Publikumsmedien untersucht. Zudem hat der Studiengang Journalisten-Weiterbildung kontinuierlich sein Currikulum und seinen Erfolg evaluiert. Dazu wurden mehre Symposien durchgeführt und jeweils mit einem Bericht nach dem Modellversuch, nach 3 Jahren JWB sowie nach 10 Jahren JWB Bilanz gezogen. In den ersten zehn Jahren wurden insgesamt knapp 400 Studierende im Studiengang zugelassen, von denen 117 bis 1997 ein Examen erfolgreich ab-

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

gelegt hatten. Das entspricht einer Quote von über 40 Prozent erfolgreicher Studienverläufe. Bis 2002 wurden weitere 200 Studierende zugelassen. Von den insgesamt 600 Studierenden haben bislang 267 ein Examen gemacht. Hinzu kommen noch 42 Studierende, die voraussichtlich im Jahr 2004 ihr Examen machen werden sowie ca. 50 im Jahr 2005. Damit läge das endgültige Quote realisierter Abschlüsse zu Studienanfängern bei ca. 60 Prozent. Seit 1997 ist das Lehrangebot als eines der ersten an der FU kostenpflichtig. Bis 2002 war die Journalisten-Weiterbildung eine vom Institut unabhängige fachbereichsunmittelbare Einheit. Die Streichung der Stellen der wissenschaftlichen und sonstigen Mitarbeiter führte zur Unterstellung des gesamten Journalisten-Kollegs in die Zuständigkeit des Instituts, das die Stelle des Geschäftsführers aus seinem Sollstellenbestand sichern konnte. Aufgrund von Personalabgängen, deren Stellen nicht wieder besetzt werden konnten, wurde 2002 ein Zulassungsstop für Studierende beschlossen, so daß im Mai 2002 die vorerst letzten Studierenden zugelassen wurden. Diese Studierenden machen 2005 ihr Examen, womit dann das Lehrprogramm in der bisherigen Form im Studiengang Journalisten-Weiterbildung ausläuft.

3.3.2 Europäische Journalisten Fellowships

Mit der Verlagerung des Regierungssitzes nach Berlin intensivierte sich auch das Interesse der klassischen Massenmedien international an Berlin. Seit 1999 erhalten jedes Jahr zehn bis fünfzehn berufserfahrene Journalistinnen und Journalisten aus ganz Europa sowie den USA die Gelegenheit, einen zweisemestrigen Studienaufenthalt in Berlin zu verbringen. Jeder Fellow absolviert ein maßgeschneidertes Programm, in dessen Mittelpunkt die Arbeit an einem zuvor festgelegten Vorhaben steht: ein individuelles wissenschaftlich-journalistisches Rechercheprojekt, dessen Ergebnisse später publiziert werden sollen. In Europa ist das im Rahmen der EJF offerierte »Sabbatical« mit europäischem und transatlantischem Schwerpunkt ein bisher einmaliges Angebot für Journalistinnen und Journalisten. Das Programm wurde von Stephan Ruß-Mohl ins Leben gerufen, der bei Stiftungen und Unternehmen die Bereitschaft wecken konnte, in publizistische Qualität zu investieren und ein Beitrag zur europäischen Integration zu leisten. Nach dem Weggang von Stephan Ruß-Mohl übernahm Axel Zerdick die Europäischen Journalisten-Fellowships, nach seinem Tod konnte Lutz Erbring als wissenschaftlicher Leiter gewonnen werden. In den Jahren von 1999 bis 2004 nahmen 65 Journalistinnen und Journalisten aus 27 Nationen an dem Programm teil.

3.3.3 Journalisten aus Rußland Auf Initiative des Honorarprofessors Günther von Lojewski wurde 1999 das Programm »Journalisten aus Rußland« begonnen, in dem junge Journalisten – zunächst nur aus Rußland – als Stipendiaten des Deutschen Akademischen

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Austauschdienstes ein halbjährliches Seminar- und Praktikumsprogramm in Berlin und Brandenburg absolvieren. 2002 wurde das Programm auf Belorus und die Ukraine erweitert und in »Journalisten International« umbenannt. Bis 2003 haben über 100 Journalisten an dem Programm teilgenommen.

3.4 IKK

Mit der Einrichtung des Instituts für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften (IKK) gewann die FU Berlin zusätzliches Profil und Kompetenz. Neben internationalen Kooperationen (USA, England, Italien), zahlreichen Forschungs-(und Editions-)projekten, Veröffentlichungen, Vorlesungsreihen in öffentlichen Institutionen (Jüdische Volkshochschule, Urania und Jüdisches Museum Berlin) und Kongressen (u.a. in Kooperation mit dem Maison de France, Literaturhaus in Wien) engagierte sich das Institut insbesondere bei der Konzeption und Realisation von kulturgeschichtlich bzw. -politisch relevanten Ausstellungen (u.a. in der Akademie der Künste, im Deutschen Theater/Kammerspiele). Inszenierungen (wie z.B. die Oper Mahagonny anläßlich der Internationalen Brechttage 2003) vervollständigen das Angebot an die Studenten, in Projektgruppen praktische Kulturarbeit zu leisten. Die Infrastruktur und die Serviceleistungen des IKK nach innen, für die Studenten, und außen, für die Hauptstadt Berlin, sichern die Perspektive des Instituts, zumal es trotz der notwendigen Sparmaßnahmen bislang gelang, durch Drittmittel die Arbeit des IKK erfolgreich fortzuführen. (abgeschlossen im Jahre 2004)

4.

Literatur zur Geschichte der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin

Hachmeister, Lutz, Theoretische Publizistik. Studien zur Geschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland. Berlin 1987 Hoffmann, Alexander von, Aufbruch zur wissenschaftlichen Journalistenausbildung. .in: Arnulf Kutsch / Horst Pöttker (Hg), Kommunikationswissenschaft autobiographisch Publizistik Sonderheft 1/1997. Opladen 1997, S.161–183 Freie Universität Berlin, Pressedienst Wissenschaft 1/1978: IfP78, Institut für Publizistik und Dokumentationswissenschaft. Broschüre Berlin 1978 Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Broschüre Berlin 1997 Pross, Harry, Kommunikationstheorie für die Praxis, in: Arnulf Kutsch, Horst Pöttker (Hg), Kommunikationswissenschaft autobiographisch. Publizistik Sonderheft 1/1997. Opladen 1997, S. 120–13

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

Schuck-Wersig, Petra (Hg), Informationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Ein Fazit über 30 Jahre. Berlin: FAI, 2000 Sösemann, Bernd (Hg), Emil Dovifat. Studien und Dokumente zu Leben und Werk. Berlin 1998 Sösemann, Bernd (Hg), Fritz Eberhard. Rückblick auf Biographie und Werk. Stuttgart 2001 Verband Deutscher Studentenschaften, Zur Lage von Publizistik- und Zeitungswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin, Berlin 1965 u. 1967 Verband Deutscher Studentenschaften, Studienführer Publizistik, Berlin 1968

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Heiner Ganßmann Ein umgedrehtes U – Soziologie an der Freien Universität Berlin

»Eine institutionalisierte Dauerkontrolle gesellschaftlicher Verhältnisse in kritischer Absicht und in wissenschaftlicher Form – und nur das ist Soziologie als Fach –, rechtfertigt sich allein gegenüber einer Wirklichkeit, die überlieferten Normen immer wieder davonläuft, weil Richtung und Geschwindigkeit ihrer Transformationen von ihnen nicht mehr eingefangen werden. Eine derartige Wirklichkeit macht aber die freie, die offene Gesellschaft aus, die ... sich selber freie Räume ihrer eigenen Gestaltung zugesteht. ... Geschlossene Gesellschaften jedenfalls dulden weder Soziologie noch brauchen sie eine. Sie kommen mit Statistik, Jurisprudenz und Propaganda aus.« Helmut Plessner in seiner Eröffnungsansprache zum 14. Deutschen Soziologentag 1959 an der Freien Universität Berlin.

Vorbemerkung: Um nicht den Anschein zu erwecken, ich könne ein nach Objektivitätskriterien hinreichend distanzierter Beobachter der Geschichte der Soziologie an der Freien Universität sein, muß ich vorweg darauf hinweisen, daß ich sowohl als Student wie als wissenschaftlicher Mitarbeiter und dann Professor der Soziologie an dieser Geschichte aktiv beteiligt war. 1 1 Hier mehr Details: Im Sommersemester 1963 begann ich mein Soziologiestudium an der Freien Universität, mit den Nebenfächern Psychologie, Geschichte und Philosophie, später verdrängte Volkswirtschaftslehre die Psychologie. Das Diplom legte ich im Sommersemester 1969 ab, mit einer Arbeit bei Hans-Joachim Lieber über die Habermassche Marx-Rezeption. Im selben Jahr wurde ich als wissenschaftlicher Tutor für Soziologie bei Hans-Peter Dreitzel eingestellt. Mit der Konzeption und Ausarbeitung des Grundkurses »Wirtschaft und Gesellschaft« beschäftigt, bekam ich 1971 eine volle Stelle als wissenschaftlicher Assistent. Promoviert zum Dr. rer. pol. habe ich 1975 mit einer Arbeit zum Thema »Werttheoretische Alternativen und ihre Implikationen für die Theorie der bürgerlichen Gesellschaft«. Nach dem Auslaufen meiner Assistentenstelle war ich für ein Jahr arbeitslos, vertrat im Sommersemester 1977 eine vakante Professur in Bielefeld und trat im Herbst eine Stelle als Assistant Professor for Economics an der Graduate Faculty der New School for Social Research an. 1980 kam ich zurück auf eine Professur für Soziologie an der FU. Am Institut für Soziologie arbeitete ich bis 2009, zunächst in der »Kommission Produktion/Klassentheorie«, später in der Abteilung »Sozialstruktur und theoretische Grundlagen der Soziologie« mit den Schwerpunkten Wirtschaftssoziologie, politische Ökonomie und Sozialstaatsanalyse.

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Heiner Ganßmann

1983–86 war ich Sprecher des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften 1, 1990–92 geschäftsführender Direktor des Instituts für Soziologie, 1995–98 Dekan des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften 1 und 2003–06 erneut geschäftsführender Direktor. In der akademischen Selbstverwaltung habe ich mich nicht zuletzt engagiert, um die Entwicklung des Instituts für Soziologie so zu beeinflussen, daß es trotz gravierender interner Probleme und trotz der nach 1989 immer spürbareren Finanz- und Personalengpässe überlebensfähig bleiben konnte. Das ist mißlungen. Von einem Institut, dem in seiner hypertrophen Phase mehr als 20 Professoren, mehr als 50 Mittelbauern und mehr als 2000 Hauptfachstudierende angehörten, waren nach den Kürzungsbeschlüssen von 2003/04 nur noch eine Professur und ein kleiner Master-Studiengang »Europäische Gesellschaften« geplant 2 – eine Art Feigenblatt, wohl weil das Präsidium und der Akademische Senat der Freien Universität die Medienmeldung vermeiden wollten, man habe die Soziologie einfach dicht gemacht, wie einst Ceauscescu in Rumänien. Im Folgenden will ich versuchen, Gründe für diese Entwicklung der Soziologie auszumachen. Sie hat die Form eines umgedrehten U´s: am Anfang gab es einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre und Soziologie, am Ende gab es einen Lehrstuhl für Makrosoziologie, dazwischen war das Institut für Soziologie eines der größten FU-Institute. Einerseits halte ich die rabiate Schrumpfung des Instituts, die die Einstellung eines grund- und eigenständigen Studiengangs Soziologie für Berlin insgesamt bedeutete, nach wie vor für sachlich unangemessen und wissenschaftspolitisch unverantwortlich. Andererseits geht es dem Soziologen in mir darum zu verstehen, wieso die Außenwahrnehmung des Instituts und vielleicht die der Soziologie insgesamt so war, daß eine solche Entscheidung ihren Trägern nahelag. Dabei spielten, so meine Hauptthese, die wissenschaftlichen Leistungen des Instituts noch nicht einmal eine Nebenrolle.

Soziologie von Anfang an... Im ersten schmalen Vorlesungsverzeichnis der Freien Universität vom Wintersemester 1948/9 finden sich drei soziologische Lehrveranstaltungen, angeboten von Friedrich Bülow (über Grundlagen der Soziologie) und Otto Heinrich von der Gablentz (über die Soziale Frage) an der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät und von Hans-Joachim Lieber (zur Wissenssoziologie) an der Philosophischen Fakultät. Soziologie gab es also von Anfang an, nicht zuletzt weil es dem damaligen Selbstverständnis der FU entsprach, 2 Abegesehen von den drei Soziologie-Professuren an den Regionalinstituten und den nicht von der FU finanzierten S-Professuren; inzwischen (2012) ist die Personalausstattung dank einer Professur für Methoden und drei Juniorprofessuren wieder besser.

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Soziologie

»gerade auch jene Disziplinen« zu fördern, denen das »politisch gesellschaftliche Interesse der ersten Studentengeneration im Nachkriegsdeutschland« (Bülow/Stammer in einer Denkschrift von 1961) galt. Wer waren die frühen Vertreter des Fachs Soziologie an der FU? Man stelle sich eine gemeinsame Beratung der »interfakultativen Arbeitsgemeinschaft Soziologie« vor, die es ab 1950 gab. Anwesend sind 1953 Friedrich Bülow, Otto Stammer, Otto Heinrich von der Gablentz, Ernst Eduard Hirsch (1902–85) als Rechtssoziologe, Hans-Joachim Lieber und Stefanie Münke. Bülow 3 hat seine akademische Karriere im zweiten Anlauf in Leipzig ab 1933 (Parteieintritt 1.5.1933) durch Anpassung an braune Gesinnung eingeleitet und es sowohl zum letzten Dekan der landwirtschaftlichen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität unter den Nazis als auch zum Gründungsdekan der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der FU gebracht. Otto Stammer wurde als sozialdemokratischer Journalist und Dozent in Leipzig von den Nazis verfolgt, 1933 inhaftiert, konnte sich bis 1948 in der Industrie hocharbeiten, kam dann als Journalist und Dozent auch mit den neuen Machthabern in Ostdeutschland nicht zurecht, ging nach West-Berlin und habilitierte sich 1949 an der FU. Otto Heinrich von der Gablentz (1898–1972) war bis zum Ende der Weimarer Republik im Reichwirtschaftsministerium tätig und (nach eigenen Angaben) als Mitglied der Zentrumspartei enger Mitarbeiter von Heinrich Brüning. Er gehörte dem Kreisauer Kreis an und entkam nur knapp der Nazi-Justiz. Hirsch, der bis Mitte der 60er Jahre regelmäßig Rechtssoziologie lehrte, war 1933 in die Türkei emigriert und kam auf Betreiben Ernst Reuters 1952 zurück nach Deutschland. Von 1952–55 war er Rektor der FU. Der Jüngste in der Runde, Hans-Joachim Lieber, hatte als 22 jähriger 1945 an der Friedrich-Wilhelms-Universität promovieren können, war bei Eduard Spranger Rektoratsassistent und 1948 ein Mitgründer der FU. Man kann sich kaum vorstellen, daß in dieser Runde über die NaziHerrschaft, Judenverfolgung und Krieg, also über die jüngste Vergangenheit geredet werden konnte. Statt dessen betrieb man Soziologie, auch in gemeinsamen Colloquien. Stammer (1949), von der Gablentz (1949) und Lieber (1951) habilitierten sich, später auch Münke (1953). Alle – außer Stefanie Münke, die es nur zur apl. Professur brachte – stiegen relativ zügig auf und wurden Ordinarien. Die soziologischen Lehrveranstaltungen wurden ab 1951 im Vorlesungsverzeichnis gemeinsam aufgeführt, unbeschadet der unterschiedlichen Fakultätszugehörigkeit der Lehrenden – im WiSo-Verzeichnis 3 Bülows Rolle während der NS-Zeit an der Friedrich-Wilhelms-Universität wird ohne Abstriche negativ eingeschätzt: »Jemand wie Friedrich Bülow, der relativ spät die akademische Laufbahn begann, war .. zu allen Kompromissen mit den braunen Machthabern bereit und setzte ohne Bedenken die braune Trumpfkarte ein.« (Noack, Riedel 2005: 90)

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sogar an erster Stelle, was noch ein Verständnis von Soziologie als eine Art gemeinsamem Dach der Sozialwissenschaften insgesamt ausdrückte. Sehr früh strebten die Soziologen die Gründung eines interfakultativen Instituts für Soziologie an, lange ohne Erfolg. Von der Gablentz wanderte über die Hochschule für Politik zur Politikwissenschaft ab, Lieber wurde neben seiner Philosophie- und Soziologie-Professur zudem Direktor der soziologischen Abteilung des Osteuropa-Instituts, Stammer hatte ebenfalls zwei Standbeine, in Soziologie und politischer Wissenschaft. Das Fach vergrößerte sich schnell, sowohl was die studentische Nachfrage und das Lehrangebot angeht (bereits 15 Lehrveranstaltungen im Sommer 1951), als auch in der Breite der Forschung, die nicht zuletzt durch eigene Nachwuchskräfte wie Renate Mayntz (Habilitation 1957) und Dieter Claessens (Promotion 1957) bereichert wurde. Letzterer bot zuerst als Assistent Lehrveranstaltungen speziell zu empirischen Methoden an, während Frau Mayntz nicht nur die neueste amerikanische Soziologie kannte, sondern auch Felder wie Gemeinde- und Organisationssoziologie abdeckte, auf denen sie bereits Forschungserfahrungen erworben hatte. An der FU wurde sehr früh ein interfakultativer Diplomstudiengang Soziologie eingeführt (1957), nachdem auf dem Kölner Soziologiekongreß von 1954 eine entsprechende Musterordnung vorgestellt worden war. Für die Entwicklung des Fachs an der FU ist dabei nicht uninteressant, daß die FUDiplomprüfungsordnung im Gegensatz zur Musterordnung kein Vordiplom vorsah und nur wenige Pflichtleistungen festlegte: eine zweisemestrige Ausbildung in Methoden der empirischen Sozialforschung und das Absolvieren der »großen« Statistikklausur bei den Ökonomen. Daraus ergaben sich später zwei Probleme des Studiums. Ohne Vordiplom blieb der Studiengang im Aufbau für viele Studierende zu unstrukturiert. Und mangelnde Neigung oder Begabung bedeutete für noch mehr Studierende, daß die Statistikklausur eine große Hürde vor dem Erwerb des Diploms darstellte. Die Freie Universität unterschied sich von den (west-)deutschen Universitäten vor allem durch die gesetzlich verankerte volle Mitgliedschaft von Studentenvertretern in den Fakultäten, im akademischen Senat und im Kuratorium. Eine eher unterschwellige Bedeutung hatte eine hochschuldidaktische Neuerung, das Tutorensystem. Ältere Studenten betreuten bis zu 10 jüngere in seminarbegleitenden Arbeitsgruppen. Das ermöglichte das Lernen von selbständigem Lernen, so daß sich für viele, zumindest in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern, das Studium schwerpunktmäßig in selbstorganisierten Zusammenhängen abspielen konnte. Die studentische Politik gewann an Fahrt durch die Auseinandersetzungen um die Nicht-Zulassung schlagender Verbindungen. Sie kulminierten1963 in der Abwahl, durch Urabstimmung, des AStA-Vorsitzenden Eberhard Diepgen, der seine Mitgliedschaft in einer solchen Verbindung verschwiegen hatte. Die für die 60er Jahre typischen Konflikte um das sog. politische Mandat der über den AStA »zwangsorganisierten« Studentenschaft brachen auf, so-

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bald die Studenten und ihre Vertreter begannen, sich unbotmäßig zu äußern und aus dem politischen Konsens der Adenauer-Republik auszuscheren. Obwohl die FU ihrem Selbstverständnis nach von Anfang an nicht nur eine Lehr- sondern auch eine politische Bildungsanstalt sein sollte, hatten die Denkmuster des kalten Krieges dazu geführt, daß über die Frontstellung gegen den roten Totalitarismus die Verwicklungen in den braunen in der eigenen Vergangenheit ausgeblendet blieben. Erst nach einer langen Phase der Verdrängung konnten die Verbrechen der Nazi-Vergangenheit allmählich Anfang der 60er Jahre erfolgreich thematisiert werden: Wie kam es zu Antisemitismus, Judenvernichtung, Kriegsverbrechen und Terrorherrschaft der Nazis? Und als Folge drängte sich die Frage auf: Welche Rolle spielten dabei die deutschen Universitäten? 4 Ein erstes und wichtiges hochschulpolitisches Signal (1961) kam aus dem SDS: Die Denkschrift »Hochschule in der Demokratie«, mit weitreichenden Reformvorschlägen zum Abbau traditioneller, überwiegend dysfunktionaler Autoritätsanmaßungen im Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb. Abgesehen von dem späteren Rechts- und Politikwissenschaftler Ulrich K. Preuß waren die Autoren Wolfgang Nitsch, Claus Offe und Uta Gerhardt Soziologiestudenten. Kurz darauf erfolgte der Unvereinbarkeitsbeschluß der SPD gegenüber dem SDS, mit einerseits der Folge, daß der SDS keine Bundesförderung zur politischen Bildung mehr erhielt (aber Rückhalt von einigen, auch professoralen, Sozialwissenschaftlern) andererseits aber ein besonders während der Zeit der »Großen Koalition« zwischen CDU/CSU und SPD wichtiges Ansehen als radikale Oppositionskraft genoß.

»68« und die Folgen Die Studentenbewegung von 1965–70 griff zu ihrer Gesellschaftsdiagnose und zur Verortung der eigenen Position und Rolle in der Gesellschaft nicht auf das soziologische Standardrepertoire zurück, obwohl einige wichtige Berliner Studentenvertreter Soziologie studierten (z.B. Sigrid Rüger, Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Ulf Kadritzke, Hartmut Häussermann). Eine bedeutsame Rolle bei der Selbstvergewisserung spielte allenfalls die »Kritische Theorie« der älteren Frankfurter Schule, von der aus es deutliche Brücken zu marxistischen und psychoanalytischen Traditionen gab. An der Freien Universität bildeten sich zwei intellektuelle Zentren für die Beschäftigung mit Marx, einerseits die Lehrveranstaltungen von Lieber und seinen Assistenten Peter Furth, Margherita von Brentano und Wolfgang Fritz Haug, andererseits die von Otto Stammer und seinem Assistenten Wolfgang Schluchter. Hier entstanden nicht nur Arbeitskreise zur Marx-Lektüre, sondern mit den 4 Zur Beteiligung der Soziologie an entsprechenden Projekten vgl. Christel Hopf in Bude/Kohli 1989.

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Zeitschriften »Das Argument« und »Sozialistische Politik«, später »Prokla« auch Veröffentlichungsorgane zur Verbreitung der erarbeiteten Theoriestücke. Der Rückgriff auf Marx bedeutete, daß die Gesellschaftsdiagnose die Form der Kapitalismuskritik annahm, erweitert um Imperialismustheorie durch die Mobilisierung gegen den Vietnamkrieg. In etwas unbedachten Händen oder Köpfen wurde daraus schnell eine Selbstinterpretation der bewegten Studenten als Avantgarde im Klassenkampf, mit Bündnissuche in Richtung Proletariat. Solche Steilvorlagen wurden zwar schnell abgeschmettert. Als Stachel blieb jedoch das marxistische Postulat der Einheit von Theorie und Praxis. Es hinterließ das Gefühl, daß man zwar viel Praxis aber zu wenig Theorie für Gesellschaftsdiagnose und Eigenverortung hatte. Die Überschätzung der eigenen Praxis, die sich im wesentlichen auf Aktivitäten wie Demonstrationen, Teach- und Sit-ins beschränkte, wurde befördert durch die überzogenen Reaktionen der gesellschaftlichen Ordnungskräfte in Universität, Politik, Polizei und Justiz. Der Rückgriff auf die politisch von Gegnern wie Befürwortern instrumentalisierte und darum erst wieder freizulegende Theorie von Marx als eine Art Oppositionswissenschaft zwang allerdings zu der Einsicht, daß sie rekonstruiert und für die Analyse zeitgenössischer gesellschaftlicher Verhältnisse ausgebaut werden müßte. So führte zumindest ein Strang der Studentenbewegung zurück in die Universität und zum Projekt ihres Umbaus. Für die Soziologie bedeutete das zunächst, daß ihr vom eigenen Nachwuchs theoretisches und praktisches Versagen zugeschrieben wurde, nicht erst auf dem Frankfurter Soziologentag von 1968, sondern zuvor auf dem kleinen Feld der FU. Symptomatisch war die Konstellation, in der Hans-Joachim Lieber als neuer Rektor ab 1965 ausgerechnet in der Phase der ersten großen Demonstrationen, Teach-Ins und Sit-ins, von Amts wegen disziplinarisch gegen Studentenvertreter vorging, die häufig aus der Soziologie kamen. Wie später bei der Kandidatur für das erste Präsidentenamt von Lieber vs. Kreibich spielten sich mitunter merkwürdige innersoziologische Konflikte ab. Es gab aber auch einige wenige Professoren wie Ludwig von Friedeburg und Dietrich Goldschmidt (vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung), die die Kommunikation mit den Studenten aufrecht erhielten und öffentlich als Vermittler in Konflikten auftraten. Friedeburg ging jedoch schon 1966 zurück nach Frankfurt. Er war auch einer der wenigen, der sich schon durch seine Beteiligung an der Frankfurter Studie »Student und Politik« früh als Soziologe mit Studenten als Forschungsgegenstand befaßte. Ansonsten tauchten die gesellschaftlichen Probleme, die die Studentenbewegung interessierten, kaum im Lehrangebot auf, ebensowenig wie die Bewegung selbst als Gegenstand. (Eine erste Lehrveranstaltung von Ulf Kadritzke zum Thema Studentenbewegung findet sich erst 1970 im Vorlesungsverzeichnis, nachdem eine von Friedeburg initiierte empirische Untersuchung zu den Einstellungen der FU-Studenten abgeschlossen war. Ein Jahr zuvor hatte der Stammer-Assistent Ebbighausen noch eine

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Veranstaltung zu »Soziologischen Erklärungsversuchen des Phänomens der politischen Apathie« angeboten.) Mit der Parole »Marx an die Uni« sollte jedenfalls die Soziologie vom »Kopf auf die Füße« gestellt werden. Mit dem Berliner Hochschulgesetz von 1969 und der Bildungsexpansion wurde das punktuell möglich. Organisatorisch mit Viertel- oder Drittelparität gewappnet, dominierte der schnell ausgeweitete Mittelbau mehr oder weniger das Institut. Die Professoren zogen sich deutlich zurück. So vollzog sich Anfang der 70er Jahre ein schneller Wandel von den Strukturen der »Ordinarienuniversität« zu einem vom Mittelbau dominierten Institut. Es wurde neu gegliedert in fünf »Kommissionen«: Produktion/Klassentheorie, Staat/ Organisation/Planung, Sozialisation, Empirie/Statistik und Kommunikation. Die Reformen zielten auf Mitbestimmung und Demokratisierung. Die Lehre sollte in kleinen Gruppen stattfinden, in Anknüpfung an das Tutorensystem, das die FU auszeichnete: ältere Studenten begleiteten jüngere mit Arbeitsgruppen in Seminaren; das System wurde später erweitert um »wissenschaftliche Tutoren«, also seminarbegleitende Lehre durch Absolventen mit erstem Abschluß. Heftig umstritten war die Forderung: Wer lehrt, der prüft. Das Studium wurde durch obligatorische Grundkurse eingeleitet, womit eine Generation, die noch sehr frei studieren durfte, der Nachfolgegeneration ein ziemlich strammes Korsett verordnete. Nach von Friedeburg verließen auch Lieber und Mayntz, z.T. enttäuscht von den eigenen Assistenten, die Freie Universität. Die meisten verbliebenen Professoren zogen sich aus der Babelsberger Straße nach Dahlem oder auf Positionen der Doppelmitgliedschaft (im ZI 6, LAI, OEI) zurück. Ausnahmen waren Urs Jaeggi (ab 1972), Rolf Ebbighausen, Sebastian Herkommer. Am IfS wurde die Forderung »Marx an die Uni« sehr weitgehend erfüllt. Es war ein Zentrum der Organisation von »Kapital«-Lektürekursen, mit zeitweise über tausend Teilnehmern pro Woche. Dabei ging es um Versuche eigenständiger Marxinterpretation, unabhängig von den Verzerrungen und politischen Inanspruchnahmen des Kalten Krieges. Sie knüpfte an die Traditionen des »westlichen« Marxismus an. Linke, emigrierte und verfolgte Sozialwissenschaftler (nicht nur die der Frankfurter Schule) wurden wiederentdeckt, Verbindungen von Marxismus und Philosophie gesucht (»Marxismus als Kritik«, nach der Formel von Habermas), um eine marxistische, materialistische soziologische Theorie zu entwickeln. Da das Unternehmen von Forderungen der Studentenbewegung angetrieben war, bestand immer das Risiko einer erneuten Instrumentalisierung von Theorie, durch die es dann auch schnell zu Dogmatisierungen durch Überfrachtung mit politischen Ansprüchen kam. Die Zeit, in der eine öffentlichkeitswirksame, rationale, wissenschaftsorientierte Debatte um die Marxsche Theorie geführt werden konnte, blieb daher sehr kurz. 5 5 Vgl. zu dieser Phase der Institutsentwicklung die Beiträge in Bude/Kohli 1989.

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Die Studentenbewegung verlor ihren Schwung einerseits durch weniger gereizte und überzogene Reaktionen von Universität und Staat auf studentische Proteste, andererseits durch die eingeleitete Bildungsexpansion mit Öffnung der Universitäten. Nun begannen die Ausgeburten der »Organisationsfrage«, politische Studentensekten wie Maoisten, ADSen, RAF usw., ihre öffentliche Darstellung zu dominieren. So wurde das Unternehmen »Rekonstruktion der Kritik der politischen Ökonomie« wieder zurück in kleine Zirkel in der Universität verwiesen. Deren Arbeitsergebnisse ließen allerdings zunehmend die Hoffnungen auf eine systematisch auf das Marxsche Denken gestützte, umfassende Sozialwissenschaft, von der Sozialphilosophie über Psychologie und Soziologie bis zur Ökonomie, erodieren. Es gelang nicht, zentrale Thesen der Kapitalismuskritik, wie z.B. die Verschärfung der Klassenspaltung und die »Notwendigkeit« von systemgefährdenden Krisen, konsistent zu rekonstruieren. Das bedeutete nicht, daß man den Kapitalismus nicht mehr kritisieren konnte oder Krisen ausblieben. Aber die Kritik brauchte eine andere Grundlage als die Hoffnung auf das Mitreisen auf der Schleppe wissenschaftlich nachgewiesener, unausweichlicher, objektiver Entwicklungstendenzen hin zum Ende des Kapitalismus (für die einen) oder auf eine wiedererwachte Arbeiterbewegung (für die anderen). Da sich die Theorieentwicklung nicht in einem interessenneutralen Raum abspielte, sondern in der Universität als umkämpfter Institution, dauerte es nicht lange, bis das von »Marx an die Uni« hinterlassene Theorievakuum von der Konkurrenz gefüllt wurde. Nach überzogenem Strukturalismus wurde postmoderne Gegenaufklärung modern.

Die Massenuniversität Das Institut für Soziologie war Anfang der 1980er Jahre in einem schlechten Zustand. Es gab zu viele Studierende 6 (über 2000 mit Soziologie als Hauptfach) für die nominale Zahl von ca. 24 Professoren 7 und etwa doppelt so vie6 Die Entwicklung der Studierendenanzahl folgte einer umgekehrten U-Kurve. Im SS 1967 gab es knapp 600 Hauptfachstudierende und die Soziologie war nach den Immatrikulationszahlen, wenn man von Medizin und Jura absieht, das viertgrößte Fach an der FU, nach Germanistik, Volkswirtschaftslehre und Politischer Wissenschaft. Anfang der 70er Jahre gab es einen steilen Anstieg. Den prozentual höchsten Anteil erreichte die Soziologie mit 6% aller Studierenden Mitte der 70er Jahre, als die FU ca. 30 000 Studierende hatte und ca. 1800 davon Soziologie im Hauptfach studierten. Wenn man wieder von Medizin und Jura absieht, war die Soziologie damals das zweitstärkste Fach nach der Germanistik. Im Wintersemester 93/94 gab es doppelt so viele Studierende insgesamt, aber nur noch knapp 1500 davon in der Soziologie. Im 2005 eingerichteten Master-Studiengang »Europäische Gesellschaften« werden pro Jahr 45 Studierende zugelassen, so daß deren Gesamtzahl inklusive Doktoranden bei etwa 140 liegen dürfte. 7 Im Zeitraum 1948–2005 gab es am Institut für Soziologie und seinen Vorläufern insgesamt 31 Professoren (plus 2 apl. Professoren und 2 Professoren auf Zeit). Da-

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len Mittelbauangehörigen. Die Professoren befanden sich z.T. in einer Art innerer Emigration, ihr Engagement für Lehre war gering, während sich umgekehrt ein großer Teil des Mittelbaus in der Lehre zerrieb. Nicht zuletzt durch die Dominanz des Mittelbaus war das Gesamtinstitut ansonsten noch in den ideologischen Auflösungsformen der Studentenbewegung gefangen, mit Kontroversen zwischen Materialisten vs. Kulturalisten, Strukturalisten vs. Subjektivisten usw. usf. Symptomatisch war, daß die alte Grundkurskonzeption im Bereich Produktion/Klassentheorie, wonach es um eine exemplarische Gegenüberstellung der Theorieansätze von Marx vs. Max Weber gehen sollte, schlicht abgekürzt worden war zur Marx-Schulung 8, hauptsächlich weil die meisten jungen Lehrenden weder die Fähigkeit noch die Neigung hatten, sich auf Max Weber einzulassen. Damals war für jemand, der von Außen kam, die miserable Position des Instituts in der FU- und in der weiteren Wissenschaftslandschaft schnell erkennbar. Die in Fortsetzung der hochschulpolitischen Vorstellungen der Studentenbewegung unternommenen Reformen, die Organisation des Instituts durch demokratische Beteiligung aller Betroffenen an Entscheidungen, die Umsetzung angemessener didaktischer Konzepte (Lehre in kleinen Gruppen, Prinzip »Wer lehrt, der prüft«, intensive Betreuung der von waren 8 zugleich Professoren an den Regionalinstituten für Nordamerika-, Lateinamerika- und Osteuropaforschung, mit entsprechend geringerer Mitarbeit an den Belangen des Instituts für Soziologie. Formell vorgesehen war, daß jeweils die Hälfte der Lehr-, Forschungs-, und Selbstverwaltungsaufgaben für jedes der beiden Institute geleistet werden sollte. In der Praxis bot die Doppelmitgliedschaft, abhängig von der persönlichen Einstellung, große Rückzugsmöglichkeiten in das jeweils andere Institut. Trotz geringer Lehrverpflichtungen (2 SWS) spielten die sog. S-Professoren aus dem WZB, dem Wissenschaftskolleg und die Direktoren des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung eine wichtige Rolle (Jens Alber, Wolfgang van den Daele, Dietrich Goldschmidt, Karl-Ulrich Mayer, Wolf Lepenies, Friedhelm Neidhardt, Heike Solga und Wolfgang Zapf), vor allem für die hervorragende Bilanz des Instituts in der Nachwuchsförderung. Von den 32 Professoren (die Rede ist hier von Personen, nicht von Stellen!) des Instituts folgten 7 (v. Friedeburg, Lieber, Mayntz, Lepenies, Rammert, Joas und Kohli) auswärtigen Rufen und verließen die Freie Universität. Mit etwas Vorsicht kann man hier einen Selektionsmechanismus zu Lasten der FU am Werk sehen. Als Gegenstück paßt zu dieser Abwanderung, daß unter denjenigen, die dank des Hochschulgesetzes von 1969 aus Dauerstellen im Mittelbau mit einer schnellen Habilitation auf Professorenstellen übergeleitet wurden, m.W. nur Lepenies einem auswärtigen Ruf folgen konnte. 8 Im Studienplan von 1974 heißt es noch: »Die Erarbeitung von Grundbegriffen geschieht in der Form der Konfrontation prinzipiell verschiedener Denkansätze«. Ein paar Jahre später werden als Inhalte des Grundkurses »Wirtschaft, Gesellschaft, Staat« in einem Neuentwurf der Diplomprüfungsordnung nur noch »Kritik der politischen Ökonomie und materialistische Gesellschaftstheorie« als Inhalte genannt.

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schriftlichen Arbeiten, der große inhaltliche Aufschwung durch »Marx an die Uni«) waren alle gescheitert. Die allgemeine Öffnung der Universitäten hatte auch und besonders in der Soziologie zu einem massiven Ansturm von Studierenden geführt, auf den selbst die Freie Universität weder konzeptionell noch personell hinreichend vorbereitet war. Während Teile der Professorenschaft, je nach Fach mit mehr oder weniger Erfolg, an den traditionellen Formen einer Universität für die 4–5 % eines Jahrgangs mit Abitur festhielten, versuchten andere, dem zwar moralisch und politisch u.U. attraktive, aber weitgehend unrealistische Reformkonzepte entgegenzusetzen. Die Massenuniversität sah im Institut so aus, daß sich große Teile des Mittelbaus, inzwischen hauptsächlich auf Teilzeitstellen, in einem für die eigene wissenschaftliche Arbeit schädlichen Ausmaß in Lehre und Institutsorganisation und den dort generierten Konflikten engagierten, während sich Professoren entweder als Fließbandarbeiter im Prüfungswesen betätigten oder sich von diesem Betrieb fernhielten, sei es, um sich stärker in der Forschung zu engagieren, sei es, wie bei einer Minderheit, um außeruniversitäre Hobbies zu betreiben, oder sei es, um ihr Aktivitätsniveau insgesamt auf einer bequemen Stufe zu halten. Für die sich mit der Zeit weiter verschlechternde »geistige Situation« im IfS war nicht zuletzt eine Eigentümlichkeit der Personalstruktur verantwortlich, die sich aus der Kombination von Reform und plötzlicher Expansion der Universitäten ergeben hatte. Das, was Dietrich Goldschmidt einmal »Stellen des geachteten Verweilens« im Mittelbau genannt hatte, vor allem die Dauerstellen der wissenschaftlichen und akademischen Räte, wurde nicht nur abgeschafft, sondern den vorfindlichen Inhabern solcher Stellen wurden Professorenstellen angeboten, falls sie sich in relativ kurzer Zeit habilitieren konnten. Das gelang den meisten, mit dem Effekt, daß die Altersgruppe der um 1940 Geborenen Anfang der 70er Jahre Professorenstellen in einem Ausmaß (7 Stellen) und für eine Dauer besetzte, daß nicht nur die Aufstiegschancen des wissenschaftlichen Nachwuchses auf Jahrzehnte stark beeinträchtigt waren, sondern auch die mit diesem Nachwuchs normalerweise eingebrachten wissenschaftlichen Innovationen ausblieben. Diese Konstellation hatte den weiteren Effekt, daß die Anforderungen bezüglich in Publikationen dokumentierter Forschungsleistungen, die der Nachwuchs zu erbringen hatte, um erfolgreich zu sein, beträchtlich in die Höhe geschraubt wurden. Daraus folgte wiederum zweierlei: Erstens lernte der karriereorientierte Teil der Jungwissenschaftler relativ schnell, daß sich Engagement in der Lehre nicht auszahlt. Zweitens entstand ein starkes Gefälle zwischen den Qualifikationsanforderungen, die die real existierenden Professoren einstmals zu erfüllen hatten, und denen, die sie in ihrer Eigenschaft als »gate-keeper« des Systems dem Nachwuchs nolens volens auferlegten. Nicht zuletzt beförderte diese Konstellation eine Forschungsorganisation, in der die Professoren überwiegend Managementfunktionen wahrnahmen, während die eigentliche Forschung von

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einem Nachwuchs betrieben wurde, der die Professoren intellektuell-fachlich häufig nicht mehr ganz ernst nehmen konnte. Die Forschung entfernte sich damit als Ganze weiter von der Lehre, so daß sie weniger als je zuvor dem Humboldtschen Anspruch einer Einheit von Forschung und Lehre gerecht werden konnte. Statt an solchen Fiktionen festzuhalten, hätte man sich besonders in der Soziologie früh klar eingestehen können: In einer solchen Universitätslandschaft kann es Einheit von Forschung und Lehre nur noch auf der Ebene von Ober- oder Doktorandenseminaren geben. Die Einstiegsstudiengänge mußten unter den gegebenen Bedingungen einer unzureichenden Personalausstattung hingegen auf möglichst hohem Niveau verschult werden.

Nach 1989: Drei Berliner Universitäten und Geld für zwei... Während restaurative Reformen wie die Beseitigung demokratischer Partizipation in der Gruppenuniversität und die didaktisch unsinnige Rückkehr zum traditionellen Vorlesungsbetrieb mit Klausuren zur Überprüfung studentischer Lernwilligkeit in der Soziologie lange zäh abgelehnt wurden, sorgte nach 1989 der fiskalische Druck auch hier allmählich für die geforderte »Reformwilligkeit«. Die fünf alten »Kommissionen«, eine mit dem immer noch an die Periode marxistischer Dominanz erinnernden Namen »Produktion/Klassentheorie«, wurden Anfang der 90er Jahre abgelöst von drei Abteilungen: Sozialstruktur und Methoden; Politik und Entwicklung; Kultur, Subjektivität und Kommunikation. Inhaltlich ging es, angestoßen nicht zuletzt durch Begutachtungen durch universitäre Kommissionen für Lehre und Studium (1992) und Entwicklungsplanung (1997) um eine Neukonzeption des Grundstudiums über die Festlegung der erwünschten soziologischen Kompetenz. Zusätzlich zu einer dreisemestrigen Methoden- und Statistikausbildung wurden zwei jeweils zweisemestrige Pflichtvorlesungen »Sozialstruktur und Lebenswelt« und »Soziologische Theorie« mit Klausuren als Abschluß eingerichtet; außerdem obligatorische Praktika in möglichen Berufsfeldern und schriftliche Vereinbarungen zu den Studienschwerpunkten im Hauptstudium. Diese Institutsreform sollte personell abgesichert werden durch eine hochkarätige »Paketberufung« von drei Professoren, nach dem Vorbild der erfolgreichen Erneuerung des Instituts für Philosophie. Der Erfolg dieses Projekts war von viel gutem Willen abhängig, in der und gegenüber der Soziologie. Konnte man den damals unter Heckelmann als FU-Präsident und Kewenig als Wissenschaftssenator erwarten? Jedenfalls gab es zunächst grünes Licht von »Oben«. Die Zeit des allgemeinen Roll-back auf allen Ebenen der FU, die Mitte der 80er Jahre begonnen hatte 9, schien vorbei. Zwar gab es tatsäch9 Der ehemalige Vizepräsident und Jurist Uwe Wesel schlug 1986 die Gründung einer VVNoFU vor (Vereinigung der Verfolgten der Notgemeinschaft für eine

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lich eine Ausschreibung des Stellenpakets und eine Berufungskommission machte sich an die Arbeit, mit Renate Mayntz und Burkard Lutz als auswärtigen Mitgliedern. Es kam auch zu dem schon von Anfang an informell vereinbarten Berufungsvorschlag: Ein Dreierpaket mit Claus Offe, Wolfgang Schluchter und Andreas Diekmann auf den ersten Plätzen. Die Berufungen scheiterten jedoch, einerseits wegen geringer Konzessionsbereitschaft im IfS selbst (die Personalausstattung der neuen Stellen sollte größtenteils zu Lasten der alten ermöglicht werden), andererseits wegen mangelnder Unterstützung von Seiten der FU-Spitze, und vermutlich nicht zuletzt wegen mangelnder Begeisterung der Kandidaten für ein absehbar aufreibendes Engagement in Sachen FU-Soziologie unter den am Institut gegebenen Bedingungen. Dabei spielte auch die räumliche Isolierung des Instituts mit dem Standort weit weg vom Campus in der Babelsberger Straße in Wilmersdorf eine nicht unwesentliche Rolle. Die dort arbeitenden Soziologen hatten es leicht, sich in einer eigenen Welt zu wähnen, die mit dem Rest der Universität nur selektiv nach eigenen Wünschen zu tun hatte. Nach langwierigem Hin und Her kam es aus dem ersten »Paket« 1993 allein zur Berufung von Helmut Kromrey als Professor für Empirie und Methoden. Im gleichen Jahr wurde Helgard Kramer auf eine schon lange unbesetzt gebliebene »Frauenprofessur« berufen. Obwohl die erforderliche personelle Verstärkung auf der professoralen Ebene nur zu einem kleinen Teil gelang, waren die Reformen des Studiums meßbar erfolgreich. Das klar strukturierte Lehrangebot führte zu einer Verkürzung der Studienzeiten und Verringerung der »drop-out«-Quote. In verschiedenen Hochschul-Rankings schnitt das Institut überdurchschnittlich gut ab. Die Nachwuchsförderung war – vor allem auch durch die Zusammenarbeit mit dem WZB und dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung – außerordentlich erfolgreich, gemessen nicht nur an der bloßen Zahl der Promotionen und Habilitationen, sondern vor allem an der erfolgreichen Plazierung der FU-Absolventen in der gesamten deutschen Hochschullandschaft. 10 Man denke nur an so renommierte FU-Exporte wie Renate Mayntz, Claus Offe, Wolfgang Schluchter, Gertrud Nunner-Winkler, Wolf Lepenies, Axel Honneth oder Jens Beckert.

Freie Universität). Über Jahrzehnte ließen die Mitglieder von NoFU bzw. Liberaler Aktion im Akademischen Senat die Bemühungen der Soziologie um einen Ersatz der Diplom-Prüfungsordnung von 1957 immer wieder scheitern – häufig mit Vergnügen. 10 Einer mit Sicherheit unvollständigen Zählung nach wurden (bis 2005) 112 Absolventen des Instituts Professoren an in- und ausländischen Universitäten und Fachhochschulen (14), davon 28 Frauen.

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Wer braucht schon Soziologie? Die stetige Verbesserung der Leistungen des Instituts in Forschung und Lehre seit etwa Mitte der 90er Jahre macht die Tatsache, daß es dann durch die vom Akademischen Senat im WS 2003/4 gebilligten Kürzungsbeschlüsse der FULeitung praktisch aufgelöst wurde, um so erstaunlicher. Das wissenschaftliche Personal des Instituts, inzwischen Teil des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften, bestand zu dieser Zeit noch aus 10 Professoren (davon 5 extern) und 15 wissenschaftlichen Mitarbeitern. Die Altersstruktur der Professorenschaft war – aus den oben genannten Gründen – allerdings so, daß bald Neubesetzungen anstanden, um die zuletzt von der Entwicklungsplanung empfohlene Stärke von 6 (plus 3 in den Regionalinstituten) Professuren zu halten. Tatsächlich gab es 2003 deshalb noch einen großen Anlauf zu einer zweiten »Paketlösung«, d.h. die aufeinander abgestimmte gleichzeitige Berufung von drei Professoren, wieder mit einer durch renommierte externe Mitglieder (Robert Erikson, Jürgen Friedrichs, John Goldthorpe, KarlUlrich Mayer) verstärkte Berufungskommission, mit Anhörungen und Entscheidungen. Ergangen ist dann schließlich nur der Ruf an Jürgen Gerhards auf die – laut Planung einzige voll dem Institut zugeordnete – verbleibende Professur für Makrosoziologie. Ab Sommersemester 2004 gab es keine Neuzulassungen mehr für den Diplom-Studiengang Soziologie. Man kann den Kürzungsbeschluß einfach auf die bedrohliche Haushaltslage der Universität, also darauf zurückführen, daß das Auslaufen der Soziologie wegen der baldigen Pensionierung der meisten Professoren außergewöhnlich schnell haushaltswirksame Einsparungen ermöglichte. Aber diese Erklärung ist ein wenig zu einfach, weil die einzelnen Fächer unabhängig von solchen Faktoren wie Alterszusammensetzung der Professorenschaft sehr unterschiedlich behandelt wurden. Plausibler ist deshalb die Vermutung, daß bei dem Beschluß einerseits die Vorgeschichte des Instituts in der Freien Universität, andererseits der Status des Fachs als solcher eine Rolle gespielt hat. Die Vorgeschichte war – trotz häufiger Beteiligung von Soziologen an der Universitätsleitung 11 – deshalb ungünstig, weil das Institut, nicht zuletzt als Folge der Dominanz eines politisch links stehenden Mittelbaus in den 70er Jahren, im allgemeinen konservativen »roll back« an der FU ein Nest der Widerborstigkeit blieb. Man kann also ein Element von Rache für »68« vermuten, das aber angesichts der Umwandlungen des Instituts deutlich verspätet wirksam wurde. Denn jene Widerborstigkeit hatte ab Mitte der 90er Jahre nur noch wenig mit linken hochschulpolitischen Auffassungen, viel mit dem Fach zu tun. Erstens haben Soziologen von Berufs wegen ein gutes Gespür 11 Wenn man Hirsch als Rechtssoziologen dazuzählt, gab es zusammen mit Lieber und Kreibich immerhin drei Soziologen an der FU-Spitze und mit Peter Hübner (1981–8) und Hellmut Bütow (1984–90) zwei Vizepräsidenten.

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dafür, wann eine Rückkehr zu traditionellen Leitbildern oder die Anpassung einer Institution an externe Vorgaben in die allgemeinere gesellschaftliche Entwicklung paßt und wann nicht. In dieser Hinsicht fielen die Reaktionen der Fachvertreter auf restaurative Tendenzen (z.B. die Wiederentdeckung von Eliten und Ritualen) einerseits und mit modischem verbalem Schnickschnack verbrämte Anpassungen der Universität (von Exzellenzinitiativen bis zu unternehmerischem Gründergeist und Stiftungsprofessuren) an wissenschaftsfremde politische oder wirtschaftliche Interessen meistens negativ und manchmal laut aus. Zweitens ist es leider so, daß die Außendarstellung und wahrnehmung der Soziologie unter der Paradoxie leidet, daß einfache Wahrheiten über soziale Beziehungen und Verhältnisse, die eigentlich jeder aus Erfahrung kennt, erst dann als einfache Wahrheiten erscheinen, wenn sie tatsächlich jemand, im Zweifelsfall eine Soziologin, ausspricht. Daraus folgt häufig der Schluß, Soziologie könne jeder 12 und eine gesonderte Wissenschaftsdisziplin Soziologie sei überflüssig. Und so folgte die Geschichte der FU-Soziologie getreu dem soziologischen Theorem von W. I. Thomas, What people define as real will be real in its consequences.

Literatur Bude, H., M. Kohli (1989), Radikalisierte Aufklärung. Studentenbewegung und Soziologie in Berlin 1965 bis 1970, Weinheim: Juventa. Lieber, H. J. (1971), Ideologisch-gesellschaftliche Motive studentischer Opposition, in: H. Steffen (Hg), Die Gesellschaft in der Bundesrepublik, Bd. 2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 85–104. Lieber, H. J. (1989), Blick zurück. Biographisches zur Hochschulpolitik in Deutschland 1945–1982, FU Berlin. Noack, K. H. / S. Riedel (2005), Agrarökonomen der Berliner Universität 1933–1945, in: Vom Bruch, R /, C. Jahr /, R. Schaarschmidt (Hg), Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Bd. II: Fachbereiche und Fakultäten, Wiesbaden, Franz-Steiner Verlag.

12 Ein Beispiel für Do-it-yourself-Soziologie: Dieter Lenzen, als Präsident 2004 für Radikalschrumpfung der Soziologie an der FU verantwortlich, fungierte im gleichen Jahr als Herausgeber eines Sammelbandes mit dem Titel: »Irritationen des Erziehungssystems. Pädagogische Resonanzen auf Niklas Luhmann« (Frankfurt: Suhrkamp). Was davon fachlich aus soziologischer Perspektive zu halten war, kann man einer Besprechung des Buchs durch Jürgen Kaube (ein FU-Absolvent) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9.2.2004) entnehmen: »Lauter zerkratzte Gesichter«. Sie beginnt mit dem Satz: »Das Erziehungssystem ist keineswegs durch Niklas Luhmann irritiert, das wäre von beiden auch zuviel verlangt.«

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Günther Haedrich / Kristiane Klemm Willy Scharnow-Institut für Tourismus der Freien Universität Berlin

1. Gründungsphase des Instituts für Tourismus Das Institut für Tourismus der Freien Universität Berlin wurde 1983 gegründet, um Lehr- und Forschungsaufgaben im Bereich Tourismus wahrzunehmen. Der Institutsgründung war in den Jahren 1978 bis 1981 ein Modellversuch der Freien Universität vorausgegangen, der die Erprobung eines ergänzenden Aufbaustudiums »Tourismus mit Schwerpunkt Management und regionale Planung« zum Ziel hatte. Der damalige Planungsstab der Zentralen Universitätsverwaltung unter der Leitung von Traugott Klose und dem Präsidenten Rolf Kreibich bearbeitete Konzepte zur Flexibilisierung und Differenzierung von Studienangeboten. Ursprünglich war dabei an ein grundständiges Erststudium – einen sogenannten »Freizeitwirt« – gedacht worden. Eine 1977 einberufene eintägige Expertengesprächsrunde, bestehend aus Praktikern, FU-Fachwissenschaftlern sowie Berufsbildungsexperten, kam zu dem Ergebnis, daß das Studienangebot nicht als grundständiges Studium, sondern als Aufbau- oder Ergänzungsstudium für Hochschulabsolventen unterschiedlicher Fachrichtungen angeboten werden sollte. Einsatzmöglichkeiten für Hochschulabsolventen mit zusätzlichen Tourismus-/Freizeitkenntnissen wurden gesehen vor allem in den Bereichen Hotelbetriebsmanagement, Tourismusmarketing, Reiseleitung und Wissenschaftliche Reiseleitung, Kurund Bäderwesen, Entwicklungsländertourismus, der Fremdenverkehrsplanung sowie in Marktforschungsinstituten und anderen Dienstleistungsunternehmen. Die grundsätzliche Konstruktion des Modellversuchs stellte damit eine Verknüpfung der beiden konkurrierenden bildungspolitischen Zielsetzungen einer berufsbezogenen Spezialisierung und einer Entspezialisierung durch ein polyvalentes Grundstudium dar: Es wurde zwar auf ein konkretes Berufsfeld hin – Tourismusmanagement und regionale Planung – ausgebildet, diese Spezialisierung erfolgt jedoch erst nach einem Abschluß in einem traditionellen Studienfach. Nach dem erfolgreichen Abschluß des vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und dem Senator für Wissenschaft und Forschung Berlin geförderten Modellversuchs beschloß der Akademische Senat der Freien Universität Berlin 1982, das Ergänzungsstudium Tourismus als reguläres Studienangebot einzurichten.

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Günther Haedrich / Kristiane Klemm

Die Freie Universität Berlin hat als bisher einzige Hochschule in der Bundesrepublik einen Studiengang entwickelt, der in Forschung und Lehre mehrere wissenschaftliche Disziplinen verknüpfte und so der Vielgestaltigkeit des Tourismus – als soziales Phänomen auf der einen und als Wirtschaftsfaktor auf der anderen Seite – gerecht zu werden versuchte. Am Studiengang beteiligt waren die Fachbereiche Wirtschaftswissenschaft mit dem Arbeitsschwerpunkt Tourismusmanagement, die Geowissenschaften mit dem Schwerpunkt Regionale Tourismusplanung sowie die Geschichtswissenschaften mit dem Bereich Kulturwissenschaften bzw. Wissenschaftliche Reiseleitung und Historische Tourismusforschung. Damit knüpfte das Institut für Tourismus der Freien Universität an eine Aufgabe an, die zwar unter anderen Bedingungen, aber mit ähnlichen Zielsetzungen schon 1929 am Forschungsinstitut für den Fremdenverkehr an der Handelshochschule Berlin von Prof. Dr. Robert Glücksmann formuliert worden war: »Der Fremdenverkehr ist keine Wissenschaft, sondern eine Erscheinungsform des menschlichen Lebens. Aber er hat mit der Entwicklung der Mittel zur Überwindung des Raumes derartige Dimensionen angenommen, daß man aus der mehr gefühlsmäßigen Abschätzung, der empirisch laxen ›Konstatierung‹ herauskommen muß, um über seine Ursachen, Mittel und Wirkung zur klaren Erkenntnis zu kommen.«

Das Institut für Tourismus trägt einer Entwicklung Rechnung, die mit der stürmischen Zunahme des Tourismus sowie der qualitativen Veränderung des Reiseverhaltens einhergeht und vielfältige Lösungen in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft erfordert.

2. Lehre Tourismus als Studienfach ist in Deutschland eine relativ junge Disziplin und hat erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den 70er Jahren Eingang in Universitäten und Fachhochschulen gefunden. An den Universitäten sind davon vor allem die Disziplinen Geographie, Pädagogik und Sozialwissenschaft betroffen. An dem interdisziplinären Studiengang Tourismus der Freien Universität Berlin waren sowohl im einsemestrigen Grund- wie Hauptkurs verschiedene Disziplinen beteiligt. Die Wirtschaftswissenschaft konzentriert sich auf die ökonomischen Aspekte des Tourismus, hier speziell auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen unter besonderer Berücksichtigung der marktorientierten Unternehmensführung. Die Geographie befaßt sich mit den positiven und negativen räumlichen sowie sozio-ökonomischen Auswirkungen und Abhängigkeiten des Tourismus, außerdem mit der Überprüfung der Eignung und der Planung von Fremdenverkehrsgebieten. Die Geschichts- und Kulturwissenschaften leisten u.a. einen Beitrag zum Kulturtourismus und zur wissenschaftlichen Reiseleitung und -planung. Im Rahmen von so genannten Integrativen Veranstaltungen wurden Studi-

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Tourismus

eninhalte vermittelt, die sich keinem der oben genannten Studienschwerpunkte direkt zuordnen lassen bzw. die fachübergreifende Inhalte besitzen. Wichtiger Bestandteil der integrativen Lehrveranstaltungen war ein empirisches Studienprojekt, das die beiden Studienschwerpunkte Tourismusmanagement und regionale Fremdenverkehrsplanung miteinander verknüpfte und als direktes Beratungsprojekt beispielsweise für eine Tourismusdestination zu verstehen war. Darüber hinaus erhielten die Studierenden Einblick in die Berufspraxis durch Gastvorträge von Praktikern aus allen Bereichen der Branche. Die Internationalisierungstendenzen in der deutschen Hochschullandschaft haben dazu geführt, daß nach 19 Studiengängen mit Beginn des Wintersemesters 2004/2005 das Studienangebot als Masterstudiengang an der Freien Universität Berlin weitergeführt wurde. Mit Beginn des Wintersemesters 2008/2009 wurde der Studiengang wegen fehlender finanzieller und personeller Kapazitäten eingestellt. Nicht davon betroffen sind d ei Forschungsaktivitäten des Instituts.

3. Forschung - Forschungsaktivitäten Lehre und Forschung waren im Institut für Tourismus eng miteinander verzahnt, mit anderen Worten die Forschungsschwerpunkte des Instituts waren mit den Lehraufgaben abgestimmt und die Forschungsergebnisse flossen kontinuierlich in die Lehre ein. Entsprechend den beiden Schwerpunkten des Ergänzungsstudiums »Tourismus mit den Schwerpunkten Management und regionale Fremdenverkehrsplanung« sind die empirischen Forschungsprojekte auf die beiden Bereiche – Untersuchungen zum Freizeitverhalten der Berliner Bevölkerung sowie – Strategische Marketingplanung für touristische Organisationen fokussiert. Ein dritter Forschungsbereich befaßt sich in Übereinstimmung mit den übergeordneten Aufgaben des Ergänzungsstudiums Tourismus mit – Untersuchungen zur Aus- und Weiterbildung im Tourismus.

Untersuchungen zum Freizeitverhalten der Berliner Bevölkerung

Aus der Vielzahl der unter diese Überschrift einzuordnenden empirischen Untersuchungen werden folgende genannt: – Bestimmung von Gebieten mit besonderer Bedeutung für Freizeit und Erholung – Naherholung unter besonderer Berücksichtigung der stadtnahen Erholungsanforderungen der Bewohner Berlins sowie der Bewohner der Ober- und Mittelzentren des Landes Brandenburg. Auftraggeber: Gemeinsame Landesplanungsabteilung der Länder Berlin und Brandenburg, 1997 – Besucherbefragung der »Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg«.

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Diese Untersuchung wurde im Jahre 2004 zum zweiten Mal durchgeführt; auf diese Weise konnten unter anderem Ergebnisse aus der Befragung des Jahres 1998 fortgeschrieben werden. Auftraggeber: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg, 2004 – Das Ausflugsverhalten der Berliner Mit Hilfe dieser im Jahre 2004 zum vierten Mal durchgeführten empirischen Erhebung werden in regelmäßigen Abständen Veränderungen im Ausflugsverhalten der Berliner Bevölkerung untersucht. Auftraggeber: Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH, ADAC BerlinBrandenburg, Messe Berlin GmbH, Brandenburgischer Kurorte- und Bäderverband, Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club, 2004

Strategische Marketingplanung für touristische Organisationen

Beispielhaft werden an dieser Stelle folgende empirische Untersuchungen angeführt: – Zukünftige Nutzungskonzepte am Standort Preußen-Park Ziesar Inhalt dieses Forschungsprojekts war die Untersuchung der raumwirtschaftlichen Auswirkungen durch die Ansiedlung eines Freizeitparks sowie eines Factory Outlet Center auf dem Gelände des Preußen-Park Ziesar. Auftraggeber: EMG Entwicklungs- und Managementgesellschaft Berlin, 1996 – Entwicklungskonzept »Scharmützelsee 2000« Gegenstand des Auftrages war unter anderem die Positionierung der verschiedenen Gemeinden in der Region Scharmützelsee und – darauf aufbauend – ihre Eingliederung in ein touristisches Gesamtkonzept. Auftraggeber: Amt Scharmützelsee, 1997/98 – Engagement deutscher Tourismusunternehmen in den Ländern des Südlichen Afrika Ziel dieser Untersuchung war es unter anderem, grundlegende Kenntnisse über das gegenwärtige und geplante Investitionsverhalten deutscher Tourismusunternehmen in den Ländern des Südlichen Afrika zu erhalten. Auftraggeber: Büro des Vorsitzenden der Südlichen Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft (SAFRI), 1999

Aus- und Weiterbildung im Tourismus Neben der Analyse der sich ständig verändernden Aus-, Fort- und Weiterbildungsstruktur in den Dienstleistungssektoren Freizeit und Tourismus geht es hier vor allem um Fragen der langfristigen Qualitätssicherung von touristischen Organisationen:

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Tourismus

Berufe im Tourismus – Blätter zur Berufskunde Gegenstand dieser Untersuchung war die Erstellung von Materialien, die über alle wesentlichen Qualifikationsmöglichkeiten im Tourismus Auskunft geben. Diese Untersuchung wurde insgesamt viermal aktualisiert. Auftraggeber: Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, 4. Auflage, 1998 − Umweltgerechte Berufsausbildung in den neuen Bundesländern – Fallstudien als Grundlage zur Gestaltung von Bildungsmaßnahmen für umweltgerechte Tourismuskonzepte Die Ergebnisse dieser Untersuchung dienen als Ansatzpunkt zur Entwicklung von Konzepten für eine umweltgerechte Weiterbildung touristischer Entscheidungsträger. Auftraggeber: Bundesanstalt für Berufsbildung (BIBB) Berlin, gefördert durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, 1996 (Eine Auswahl von Veröffentlichungen sowie forschungsrelevanter Kommunikation ist unter Punkt 6 aufgeführt.)

4. Kooperationsabkommen mit der Willy Scharnow-Stiftung für Touristik, Frankfurt am Main Im März 1999 wurde zwischen dem Institut für Tourismus der Freien Universität Berlin und der Willy Scharnow-Stiftung, Frankfurt am Main, ein Kooperationsabkommen unterzeichnet, dessen Zielsetzungen einerseits die Verbreiterung und Vertiefung der Forschungsbasis des Instituts, auf der anderen Seite die Profilierung der Willy Scharnow-Stiftung für Touristik betreffen. Gleichzeitig wurde das Institut in »Willy Scharnow-Institut für Tourismus der Freien Universität Berlin« umbenannt. Willy Scharnow gilt als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte in der Tourismusbranche. 1953 gründete er die »Stiftung für internationale Länderkenntnis der Jugend«, die heutige Willy Scharnow-Stiftung für Touristik. Ziel dieser Stiftung ist es heute, die Kenntnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Reisebranche über fremde Länder und Menschen zu vertiefen. Außerdem verleiht die Stiftung jährlich den Willy Scharnow-Preis und unterstützt bzw. veranlaßt Projekte der Grundlagenforschung. In Zusammenarbeit mit der Willy Scharnow-Stiftung sind inzwischen folgende Forschungsprojekte realisiert worden, deren Ergebnisse jeweils in Berichtsform vorliegen:

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– Fort- und Weiterbildung in der Touristikbranche, 1999 – Strukturveränderungen in der Reisebüro- und Reiseveranstalterbranche, 2000 – Die Zukunft des Reisebüros aus Kundensicht, 2001 – Strategien zur Qualitätssicherung im Reisebüro in der aktuellen Branchensituation, 2002 – Struktur- und Verhaltensveränderungen im touristischen Markt, 2003 – Die Reisebürokunde »SO+«, 2005 – Informationsbeschaffung und Buchungsverhalten von Reisebürokunden der Altersgruppe 30–49 Jahre, 2005.

5. Historisches Archiv Seit 1986 widmet sich das Institut für Tourismus neben seinen Aufgaben in Lehre und Forschung auch der Sammlung von Materialien, die für die historische Reise- bzw. Tourismusforschung von Bedeutung sind. Damit nimmt das Institut ein Projekt wieder auf, das bereits 1929 von Robert Glücksmann, dem Gründer des damaligen Forschungsinstituts für den Fremdenverkehr an der Handelshochschule Berlin, als besonders wichtig empfunden wurde, aber niemals zustande kam. Das Archiv will die Verwendung tourismushistorischen Materials als Quelle für Forschung und Medien erleichtern und in zweifacher Weise fördern. Zum einen kann dies durch die Sammlung selbst, die ständig weiter ausgebaut wird, geschehen. So steht das Archivmaterial im Rahmen der zeitlichen und personellen Möglichkeiten des Instituts allen Interessierten aus Wissenschaft, Praxis und Publizistik zur Verfügung, einzelne Objekte werden auch für Ausstellungszwecke zur Verfügung gestellt. Zum andern verbindet sich mit dem Aufbau des Archivs auch das Projekt, einen systematisch gegliederten Zentralkatalog zu erstellen, der ein möglichst umfassendes Verzeichnis aller Sammlungen tourismus-historischen Materials in Deutschland enthält. Von 1997 bis 1999 wurde das Forschungsprojekt »Erfassung und Erschließung des Archivs für die Geschichte des Tourismus« von der Volkswagen-Stiftung mit ca. 250 000 DM finanziert. Damit wurden die vorhandenen Archivmaterialien im Hinblick auf ein historisch-kulturwissenschaftliches Dokumentations- und Forschungszentrum am Institut für Tourismus der Freien Universität Berlin aufgearbeitet und stehen nunmehr den Nutzern in Form einer Datenbank zur Verfügung. Den Grundstock des Archivs bilden die großen und bekannten privaten Sammlungen von Friedrich Burger, Franz Schwarzenstein und Walter Kahn. Der Ankauf dieser Sammlungen wurde durch Sondermittel der Freien Universität und durch die finanzielle Unterstützung von Reiseveranstaltern, Reiseverlagen und Privatpersonen ermöglicht. Das Archiv, das großen Zuspruch aus Wissenschaft und Praxis erfährt, wird nach wie vor durch zahlreiche Spenden unterstützt und aus Mitteln der Willy Scharnow-Stiftung, Frankfurt am Main, finanziert.

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Tourismus

6. Veröffentlichungen sowie forschungsrelevante Kommunikation 6.1

Buchveröffentlichungen

Haedrich, G. / C. Kaspar / K. Klemm / E. Kreilkamp (Hg.), TourismusManagement. Tourismus-Marketing und Fremdenverkehrsplanung, 3., völlig neu bearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage, Berlin/New York 1998 Spode, H. (Mithg.), Voyage. Jahrbuch für Reise- & Tourismusforschung, Köln Spode, H., Wie die Deutschen »Reiseweltmeister« wurden. Eine Einführung in die Tourismusgeschichte, Erfurt 2003, 160 S. 6.2

Beiträge zu Sammelbänden und wissenschaftlichen Zeitschriften

Eder, W., Antike und Tourismus. In: Koldewey-Gesellschaft, Bericht über die 40. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung (Wien 1998). Stuttgart 1999, S.50–57 Haedrich, G., Aktive Positionierung als Kernaufgabe der strategischen Markenführung.. In: Weiermair, K. / B. Pikkemaat (Hg.), Qualitätswahrnehmung und Qualitätszeichen im Tourismus. Berlin 2004, S. 217–228 Haedrich, G., Marketing für Kultur-Destinationen. In: Pechlaner, H. / K. Weiermair (Hg), Destinations-Management. Führung und Vermarktung von touristischen Zielgebieten. Wien 1999, S. 159–177 Klemm, K., Aus-, Fort- und Weiterbildung im Tourismus. In: Becker, C. und H. Job / Institut für Länderkunde (Hg.), Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg/Berlin 2000, S. 128–129 Klemm, K., Methoden von Orts- und Stadtbildanalysen. In: C. Becker / H. Hopfinger / A. Steinecke (Hg), Geographie der Freizeit und des Tourismus. München/Wien 2003, S. 515–527 Spode, H., Wie der Mensch zur Freizeit kam. Eine Geschichte des Freizeitverhaltens. In: Kultur & Technik. 25 (2001), S. 29–37 Spode, H., Der deutsche und weltweite Reiseverkehr in: Voyage 5, 2002, S. 153–160. 6.3

Forschungsrelevante Kommunikation

– Arbeitskreis »Freizeit- und Fremdenverkehrsgeographie« Auf Initiative des Instituts für Tourismus wurde 1986 der Arbeitskreis »Freizeit- und Fremdenverkehrsgeographie« der Deutschen Gesellschaft für Geographie gegründet. Die Ergebnisse der Sitzungen wurden in den Berichten und Materialien des Instituts für Tourismus veröffentlicht. Insgesamt sind 16 Bände zu unterschiedlichen Themen der Tourismus- und Freizeitentwicklung sowie zur Tourismusgeschichte erschienen. − Arbeitsgruppe »Tourismusgeschichte« Lange war die historische Entwicklung des Tourismus ein von Forschung

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und Wirtschaft stiefmütterlich behandeltes Thema. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurde 1987 auf Initiative des Instituts und des Studienkreises für Tourismus, Starnberg, die Arbeitsgruppe »Tourismusgeschichte« ins Leben gerufen. Sie fungierte seitdem – nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem historischen Archiv des Instituts – als Clearingstelle für alle Interessenten, insbesondere für Touristiker, Geschichtswissenschaftler und Journalisten sowie für Doktoranden und Diplomanden verschiedener Fächer. − Deutsche Gesellschaft für Tourismuswissenschaften Die zunehmende Bedeutung des Tourismus im deutschen Hochschulwesen und die steigende Anzahl von Tourismuswissenschaftlern führte im Jahr 1996 zu Überlegungen, eine deutsche Gesellschaft für Tourismuswissenschaften zu gründen, um einen intensiveren tourismuswissenschaftlichen Kontakt und Austausch zu fördern. Das Institut für Tourismus ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaften (DGT), die im Jahr 1996 in Dresden gegründet wurde.

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Personenregister

Abendroth, Wolfgang 147, 158, 164, 165, 195, 196 Abir 23 Achtenhagen, Frank 59 Adenauer, Konrad 161, 186 Adler, Max 166, 177 Aebli, Hans 18, 42 Aermlich, 115 Alber, Jens 295 Alisch, Steffen 237, 241, 243, 244, 247, 248, 251, 258 Alt, Peter André 64, 65 Anderson, Nels 162 Anschütz, Gerhard 152 Ansprenger, Franz 17 Anthon, Carl G. 173 Apostolopoulos, Nicolas 98, 99 Arendes, Cord 137 Arendt, Hannah 219 Arneth, Gerhard 25 Arnos, Heike 240 Asch 41 Auckenthaler, Anna 48 Aufermann, Jörg 265, 276 Bach, Uwe 27 Baerns, Barbara 270, 273, 277 Balla, Waltraud 23 Baltes, Margret 50 Baltes, Paul 50 Bandura, Albert 50 Banta, Trudy W. 85 Barthenheier, Günter 277 Baske, Siegfried 14, 23, 24, 27, 72

Baske,Siegfried 35 Bastian, Uwe 243 Bauer, Arnold 203, 211, 229 Bauer, Otto 177 Baur, Elke 276 Becker, Carl-Heinrich 261, 262 Becker, Hellmut 16 Beckert, Jens 298 Behrend 71, 73 Beller, E. K. 34, 37 Beller, Kuno 29 Belwe, Katharina 224, 231 Benner, Dietrich 34 Bentele, Ulrich 267, 274, 283 Benz, Winfried 108 Berendt, Brigitte 22, 28, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 95, 96, 99, 102, 105, 106, 107 Berges, Wilhelm 65 Bergius, Rudolf 12, 40, 41 Bergmann, Fritz von 168 Bergmann, Jürgen 232, 233 Bergold, Jarg 48 Bergstraesser, Ludwig 158 Berkau, Friedrich 261 Bernfeld, Siegfried 29 Beth, Hanno 274 Beyme, Klaus von 137 Bicker 23 Biglmaier, Franz 59 Blanke, Bernhard 137, 160

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Personenregister

Blankertz, Herwig 17, 19, 20, 23, 59, 67 Bleek, Wilhelm 137, 138 Bloom, B.A. 67, 106 Bloom, Benjamin Samuel 59 Bluntschli, Johann Caspar 142 Blüthmann, Irmela 91 Bock, Gisela 221, 232 Bohrmann, Hans 264, 267, 275 Bongard, Adolf-Eugen 18 Bongardt, Michael 64, 71 Borgmann, Reinhard 242 Borinski, Fritz 11, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 20, 21, 22, 24, 29, 61, 66 Bösel, Rainer 48 Botsch, Gideon 137 Böttger, Heiner 108 Bozek, Karl 18, 23 Bracher, Dietrich 148 Bracher, Karl Dietrich 122, 128, 173, 174, 193, 198, 207, 219, 228, 229, 230 Brandt, Dietrich 67 Brandt, Willy 120 Braun, Edith 91 Brauns, Horst-Peter 39 Brecht, Arnold 196 Brehl, Anke 102, 107 Breloer, Gerhard 25 Bremberger, Bernhard 248 Bremer 98 Brendel, Sabine 95, 100, 106, 107 Brentano, Margherita von 291 Bressan, Susanne 251 Brill, Hermann 147, 158, 164 Brill, Hermann Louis 196 Brockstedt, Jürgen 232, 233 Brown Mason, John 164

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Bruch, Rüdiger vom 300 Bruner, Jerome 50 Brüning, Heinrich 148, 289 Buchstein, Hubertus 7, 109, 137 Buchwald, Manfred 273 Bude, Heinz 291, 293, 300 Budzislawski, Hermann 278 Bülow, Friedrich 288, 289 Bülow-Schramm, Margret 71 Burgess, John 142 Büsch, Otto 205, 207, 222, 229 Buß, Anneliese 17, 18, 19 Bussmann, Walter 121 Bütow, Helmut 299 Bystrina, Ivan 267, 268, 269, 274, 279 Cadel, Georg 219, 233, 235 Canaris-Kelter, U. 61 Ceauscescu, Nicolae 288 Christiansen, Sabine 222 Claessens, Dieter 290 Cohn, Ruth 67 Conrad, Jan 62, 83 Coper, Helmut 61 Cordes, Uwe 12 Cremer-Renz, Christa 96 Crutchfield 41 Daele, Wolfgang van den 295 Dagne 23 Damerow, Peter 61 Dannenberg, 115 David 71, 73 Davies, J. L. 63, 93, 106 de Winter Hebron, Chris 84, 85 Dethloff, Klaus 27 Dettmar, Heidrun 233 Deutz-Schroeder, Monika 251, 252, 258 Diederich, Niels 226, 233, 234, 235

Personenregister

Diederich, Nils 218 Diekmann, Andreas 298 Diepgen, Eberhard 290 Dietrich, Peter 207, 216, 219, 223, 228, 229 Dikau, Joachim 19, 20, 23, 24, 29, 71 Dittberner, Jürgen 211, 230 Doering, Dörte 220 Doerry, Gerd 15, 16, 20, 25 Dörner, Christine 235 Dörschel, Alfred 17 Dovifat, Emil 164, 172, 175, 176, 261, 262, 263, 264, 265, 274, 275, 276, 281, 286 Draht, Martin 117, 120 Drath, Martin 144, 147, 157, 164, 169, 171, 172, 173, 177, 193, 196, 198, 208, 223, 228, 229 Dreitzel, Hans-Peter 287 Dührssen, Annemarie 18 Dutschke, Rudi 291 Ebbighausen, Rolf 211, 212, 230, 232, 292, 293 Eberhard, Fritz 263, 264, 265, 266, 267, 274, 275, 276, 279, 286 Edelstein, Wolfgang 21 May 41 Ehrhardt, J. 20 Ehrhardt, Johannes 23 Ehrke, M. 24 Einstein, Carl 278 Eisenhower, Dwight "Ike“ David 154 Ellwein, Thomas 126 Emig, Dieter 211 Erbe, Günter 231, 234

Erbring, Lutz 234, 269, 270, 273, 284 Erdmann, Johannes Werner 98, 101 Erhardt, Klaudia 235 Erhardt, Manfred 133 Erich“, IM (i.e. Dietrich Staritz) 224 Erikson, Robert 299 Erler, Peter 240, 241 Ewald, Günter 67 Eyferth, Klaus 52 Eynern, Gert von 115, 116, 117, 120, 121, 122, 126, 144, 147, 154, 157, 161, 172, 173, 175, 178 Falter, Jürgen W(ilfried). 221, 222 Feger, Hubert 51 Festinger 265 Fichter, Michael 231 Fichter, Tilman 7, 8, 141, 209, 211, 214, 215, 228, 232 Ficzko, Markus 91 Fiebiger 270 Figge, Udo L. 67 Fijalkowski, Jürgen 7, 137, 208, 213, 216, 229, 230, 234 Fischer, A. 29 Fischer, Wolfram 206, 233 Fischer-Baling, Eugen 120, 164, 173, 175, 177, 178, 229 Flechsig, Karl-Heinz 66, 67 Flechtheim, Ossip K. 116, 121, 122, 237 Flügge, Johannes 16, 19, 24, 25, 26 Fraenkel, Ernst 116, 118, 119, 120, 121, 122, 127, 128, 149 Franke, Joachim 40, 41

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Personenregister

Frankenfeld, Alfred 265 Freese, Hans-Ludwig 22, 24, 27, 36 Fremdling, Rainer 233 Freud, Sigmund 41 Freund 164 Friedeburg, Ludwig von 292, 293, 295 Friederici, Angela 51 Friedrich, Carl F. 203 Friedrich, Karl-Joachim 219, 221 Friedrichs, Jürgen 299 Friese, Christian 17, 18 Fritsch, Andreas 25 Froese, Leonhard 14 Fuchs, Michael 18 Furck, 25 Furck, Carl-Ludwig 16, 17, 19, 20, 21, 22, 24, 25, 26, 28 Furth, Peter 222, 229, 291 Gablentz, Otto Heinrich von der 117, 120, 121, 122, 126, 144, 147, 154, 161, 162, 163, 164, 165, 167, 169, 173, 174, 176, 177, 178, 191, 193, 196, 198, 202, 208, 228, 288, 289, 290 Gailus, Manfred 234 Ganßmann, Heiner 287, 288 Gasch, Bernd 62, 81 Gaude, P. 27 Gehrau, Volker 283 Geißler, Erich E. 18 Doerry 71 Gerhards, Jürgern 299 Gerhardt. Uta 291 Gerlach, Johann W. 238 Gien, Gabriele 108 Gilles, Franz Otto 218 Gilles, Franz-Otto 212, 234, 235

290

Girnth, Heiko 222 Glaeßner, Gert-Joachim 224, 231, 233, 237 Glotz, Peter 51, 52, 268 Glowka, Detlef 27 Goebbels, Joseph 275 Goeldel, Peter 24 Goerner, Martin 244, 245 Goethert, Friedrich 168 Göhler, Gerhard 7, 109, 125, 126, 137, 138 Goldschmidt, Dietrich 18, 19, 21, 292, 295, 296 Goldthorpe, John 299 Göpfert, Winfried 271, 277 Görtemaker, Manfred 238 Gottschalch, Wilfried 206 Grabitz, Hans-Joachim 49 Grabowski, Adolf 122 Graf, Bernhard 273, 280 Gralki, Heinz-Otto 26, 61, 62, 68, 71, 73, 78, 81, 87 Grauer, Gustav 22 Greif, Siegfried 49, 50 Greiff, Bodo von 109, 138 Gretzschel, Gisela 78, 87 Grotemeyer, Karl Peter 66 Grothe, Helmut 14 Grottian, Peter 216, 217 Güllner, Manfred 273 Günther, Mechthild 247 Gurland, Arkadius Rolf Lang 147, 149, 150, 151, 157, 158, 163, 165, 166, 167, 168, 173, 175, 176, 177, 178, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 188, 193, 197, 198, 199, 200, 201 Gurland, Arkadius Rudolf Lang 205, 207, 208, 210, 211, 222, 225, 229

Personenregister

Gurland, Rudolf Arkadij Lang 128 Haag, Ingeborg 218, 233, 235 Haan, Gerhard de 35, 36 Haarmann, Hermann 270, 275, 278, 279 Habermas, Jürgen 287, 293 Hachmeister, Lutz 285 Haedrich, Günter 270 Haedrich, Günther 301 Haller, Hans-Dieter 67 Harnack, Adolf von 261 Harten, Hans Christian 25 Hartmann, G. 29 Hartmann, Klauspeter 23 Hartmann, Ulrich 250 Hartwich, Hans-Hermann 131, 138 Haseloff, Walter 51 Hauck, Peter 230 Haug, Frigga 46 Haug, Wolfgang Fritz 291 Häussermann, Hartmut 291 Haußmann 29 Hecht, Heidemarie 61, 68, 71, 73, 78, 87, 91, 99 Hecker 23 Heering, Walter 249, 250, 258 Hegedus, Andreas B. 246 Heilmann, Peter 264, 276 Heimann, Paul 59, 107 Heller, Hermann 177 Hellstern, Gerd M. 217, 231 Helmke, Andreas 77 Hennings, Ralf-Dirk 282 Hentig, Hartmut von 60 Herkommer, Sebastian 293 Herten, Stephan 250 Hertle, Hans-Hermann 212, 213, 218, 234, 243

Hertz-Eichenrode, Dieter 230 Herzfeld, Hans 65, 164, 172, 173, 175, 178, 191, 219, 229, 230 Herzog, Dietrich 209, 216, 230, 233, 234 Hesse, A. 12 Hesse, Alexander 29 Heuer, Jens Uwe 255 Heuss, Theodor 114, 121, 202 Hilferding, Rudolf 177 Hillebrecht, Werner 26 Hillmer, Uwe 251 Hinkel, Rheinwart 263 Hirsch, Ernst Eduard 289, 299 Hirsch, Helmut 11 Hirsch-Weber, Wolfgang 203, 207, 209, 210, 212, 229, 230 Hitler, Adolf 266 Hobbes, Thomas 152 Hoefert, Hans-Wolfgang 61, 68 Hoefert, Wolfgang 71, 73, 78 Hofer, Walther 163, 191, 198 Hoff, Gerd 32 Hoffmann, Alexander von 267, 268, 269, 274, 283, 285 Hoffmann, Auguste 18 Hofmannsthal, Hugo von 275 Hohls, Rüdiger 233 Höhne, Roland A. 220 Holst, Axel 230 Holzgräber, Rudolf 203, 211, 229 Holzkamp, (Frau) 25 Holzkamp, Christine 22 Holzkamp, Klaus 40, 41, 42, 43, 44, 47, 48 Honneth, Axel 298 Hopf, Dieter 18, 25 Hörmann, Hans 41, 42, 44 Hornstein, Walter 77

291

Personenregister

Huber, Ludwig 59, 60, 62, 67, 69, 77, 81, 92, 95, 102, 107 Hübner, Peter 32, 35, 36, 87, 88, 299 Hurley, John 84 Hurwitz, Harold 162, 163, 209, 213, 234 Hüttmann, Jens 256 Ingenkamp, Karl-Heinz 18 Iseler, Albrecht 49 Issing, Ludwig 51 Issing, Ludwig J. 59 Jäckh, Ernst Friedrich Wilhelm 139 Jädicke, Wolfgang 219 Jaedicke, Wolfgang 233 Jaeggi, Urs 293 Jäger, Adolf Otto 43, 44, 45, 49, 50 Jahn, Peter 7, 215 Jahr, Christoph 287, 292, 294, 298, 300 Jákli, Zoltan 233 Jander, Martin 248 Jansen-Schulz, Bettina 96 Jaroschowitz, Walter 110 Jarren, Ottfried 269, 283 Jelich 29 Joas, Hans 295 Jung, Helene 15 Jürgens, Ulrich 137, 160 Kaase, Max 210, 232, 233, 234, 235 Kadritzke, Ulf 291, 292 Kädtler, Jürgen 212, 213, 218, 219, 234, 235 Kaelble, Hartmut 231, 232, 233 Kaiser, Jakob 114, 176 Kalckreuth, Stanislaus Graf von 19

292

Kaminski, Gerhard 40, 41, 42 Kamratowski, J. 27 Kanning, Fritz 13 Karsen, Fritz 23 Karsen, Sonja 23 Kastendiek, Hans 137, 160, 192 Keim, H. 20 Keitel-Kreidt, Christine 35, 36, 90 Kemper, Gerd-Heinrich 230 Kemper, Heinrich 32, 35 Kentler, Helmut 22 Kiel, Gerhard 13, 16, 20, 24, 27 Kiersch, Gerhard 109, 138 Kiesewetter, Hubert 233 Kieslich, Günter 264 Kimmel, Adolf 220 Kirchheimer, Otto 150, 151, 201, 202 Klann-Delius, Gisela 88 Klapper 265 Klaue, Siegfried 273 Kleiber, Dieter 48 Kleinert, annemarie 7 Kleinert, Annemarie 215 Klewes, Joachim 273 Klewitz, Marion 17 Klingemann, Hans-Dieter 210, 232, 233, 234, 235 Kluth, Heinz 162 Knauer 20 Knoche, Manfred 267, 276 Kogon, Eugen 158 Kohler, Jürgen 108 Köhler, Wolfgang 39, 41, 42 Kohli, Martin 291, 293, 295, 300 Kohno, Shoji 90 Konukiewitz, Manfred 232 Korenblat, Stephen D. 138

Personenregister

Kosiol, Erich 144, 147, 169, 170, 172, 173, 179 Koszyk, Kurt 266, 275 Kotowski, Georg 121 Kötterheinrich, Manfred 264, 269 Krämer, Gudrun 9 Kramer, Helgard 298 Kramp, Wolfgang 18 Krappmann, Lothar 28 Kraushaar, Wolfgang 215 Kreibich, Rolf 292, 299 Kress, Hans Freiherr von 168, 170, 171 Krippendorff, Ekkehart 129 Kroh, Oswald 11, 12, 13, 14, 25, 39, 40, 41, 52 Kromrey, Helmut 298 Kubicki, Karol 9, 63, 206 Kubina, Michael 241, 244, 245 Kundler, Herbert 273 Kunz, Andreas 233 Kunze, Gerhard 244 Kuron, Jacek 238 Kutsch, Arnulf 285, 286 Kutschenko, Karin 138 Laband, Paul 152 Lämmert, Eberhard 27 Landfried, Klaus 108 Landsberg, Kurt 110, 117, 120 Lange, Max Gustav 203, 205, 211, 222, 229 Lange, Richard 169 Lange, Ulrich 276 Lasswell 265 Laude, Horst 240 Laurien, Hanna-Renate 52 Lazarsfeld 265 Ledig, Hans-Manfred 52 Lefèvre, Wolfgang 61

Lehmkuhl, Ursula 135, 139 Lehnert, Detlev 126, 138 Lemke, Christiane 231, 233 Lennert, Rudolf 16, 19, 20, 23, 24, 25 Lenzen, Dieter 28, 34, 35, 36, 59, 68, 70, 80, 88, 103, 107, 253 Leonhard, Wolfgang 238 Leontiew 46 Lepa, Steffen 91 Lepenies, Wolf 295, 298 Lewin 265 Lewin, Kurt 39 Lewinsky, Karl von 114 Lieber, Franz 142 Lieber, Hans Joachim 65 Lieber, Hans-Joachim 20, 230 Lieber. Hans-Joachim 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 295, 299, 300 Liegle 23 Lietzmann, Hans 137, 138 Lingenberg, Jörg 264 Löbe, Paul 114 Löckenhoff, Elisabeth 263, 264, 268, 269, 276 Lojewski, Günter von 272, 273, 285 Lönnendonker, Siegward 2, 7, 8, 9, 63, 141, 205, 206, 209, 211, 214, 215, 228, 235, 238, 246 Loßnitzer, Tim 102, 107, 108 Löwenstein, Karl 196 Löwenthal, Richard 116, 121, 237 Lübeck, Dietrun 91, 97 Luckow, Max 12 Lüders, M. Elisabeth 114 Lüdtke, Hartmut 22

293

Personenregister

Ludz, Peter Christian 132, 206, 223, 224, 230 Lukas, Helmut 26 Luthardt, Wolfgang 234 Luther, F. 220 Lutz, Burkard 298 Mackiewicz, Wolfgang 90 Mandl, Heinz 81 Manns, Marianne 49, 50 Manns, Norbert 53 Manrique, Matthias 248 Mansbrügge, Antje 103, 107 Marcuse, Herbert 150, 161 Marks, Frank 78, 80, 83, 86, 87, 88, 96, 98, 99, 105, 107 Markus (i.e. 242 Marshall, T. H. 147 Märtin, Hans 13 Marx, Karl 29, 287, 291, 292, 293, 294, 295, 296 März, Peter 253 Maser, Peter 245 Mason, John Brown 164, 195, 196 Mason, Timothy Wright 220, 221, 230, 232 Matzerath, Horst 231 May 14 May, Walter 110, 114 Mayer, Karl-Ulrich 295, 299 Mayer, R. 220 Mayntz, Renate 213, 230, 290, 293, 295, 298 Mayntz-Trier, Renate 265 McCarthy, Joseph 255 McKeachie, Wilbert J. 67, 107 Megerle, Klaus 109, 138 Mehner, Klaus 215 Meimberg, Rudolf 164, 175 Meinecke, Friedrich 114

294

Mellerowicz, Harald 24 Mende 23 Merkens, Hans 28, 34, 35, 36 Merkt, Marianne 96, 104 Metzger, Ludwig 195 Meyer 164 Meyer, Klaus 23 Meyn, Hermann 264 Michel, Sascha 222 Mielke, Siegfried 227 Milch, Werner 14 Mintzel, Alf 211, 230 Missiroli, Antonio 138 Möbus, Claus 49 Modzelewski, Karol 238 Mohr, Arno 138 Mohr, Martin 261 Molitor, Karl 213 Mollenhauer, Klaus 17, 18 Müller, C. Wolfgang 276 Müller, Georg 13 Müller, H. W. 41 Müller, Hans-Peter 241, 243, 250 Müller, Wolfgang C. 29 Müller-Braunschweig, Carl 41 Münke, Stefanie 289 Münke, Stephanie 163, 173, 179, 180, 198, 210, 228 Mußmann, Ulrike 98 Narr, Wolf Dieter 129 Narr, Wolf-Dieter 217 Naschold, Frieder 129 Neidhardt, Friedhelm 295 Nestriepke, Siegfried 110 Neugebauer, Gero 224, 231 Neuhaus, Rolf 197 Neumann, Franz 219 Neumann, Franz Leopold 116, 128, 147, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 160,

Personenregister

161, 164, 167, 170, 173, 174, 183, 196, 200 Neumann, Sigmund 147, 153, 158, 159, 160, 161, 203, 208, 211, 229 Neveling, Ulrich 261, 265, 267, 276, 280 Nickel, Sigrun 96, 102, 108 Niedermayer, Oskar 234, 235 Nitsch, Wolfgang 291 Noack, K. H. 289, 300 Noelle-Neumann, Elisabeth 265 Noetzel, Thomas 139 Nunner-Winkler, Gertrud 298 Nusser, Peter 22 Oestreich, Gerhard 121 Offe, Claus 291, 298 Offner, Hannelore 247 Olbrich, Josef 25 Oppermann, Detlef 14 Oschilewski, Walther G. 110 Osterkamp, Ute 46 Oswald, Hans 11, 12, 25 Otto, Ernst 12 Otto, Gunter 107 Pacher 23 Paetzoldt, Ulrich 267 Papen, Franz von 148 Paulsen, Andreas 168, 169, 170 Paulsen, Anfreas 169 Pellert, Ada 78, 93, 105 Perlwitz, Erich 52 Perrez, Meinrad 49 Petersen 12 Petersen, Ina 205 Piper, D. W. 62, 83, 84 Pirker, Theo 209, 212, 213, 217, 218, 219, 226, 232, 234, 237 Piscator, Erwin 278 Plessner, Helmut 287

Pollock, James K. 196 Pongratz, L. 16, 29 Posner-Landsch, Marlene 267, 268, 269, 271, 274, 279 Pöttker, Horst 285, 286 Preisser, Rüdiger 77 Preißer, Rüdiger 108 Preuß, Ulrich K. 291 Prinz, Matthias 273 Prinzler, Hans-Helmut 264, 279 Pross, Harry 266, 267, 268, 269, 274, 276, 279, 286 Pross, Helge 149 Prott, Jürgen 268, 276 Quasten, Rita 252, 258 Quirin, Heinz 17 Rabehl, Bernd 215, 235, 238, 247, 291 Radde, Gerd 23 Rafalski, Traute 220, 221, 232 Rammert, Werner 295 Ramseger, Jörg 36 Raschert, Jürgen 28 Rästow, Alexander 195 Ratichius (i.e Ratke), Wolfgang 12 Ratke, Wolfgang 12 Rauh, Helgard 50 Rauschenplat, Helmut von (i.e. Fritz Eberhard) 264 Read, James M. 141, 142, 143 Rebenstorf, Hilke 234 Redslob, Edwin 144, 147, 154, 168, 169, 172, 173, 178 Redslob, Robert 147 Reger, Erik 270 Reichart-Dreyer, Ingrid 235 Reif, Reif 110, 114 Reitzenstein, Irene von 162 Retter, Hein 12

295

Personenregister

Reuter, Ernst 158, 162, 181, 182, 289 Reysen-Kustodis, Brigitte 90 Richert, Ernst 163, 173, 193, 198, 205, 207, 222, 223, 224, 229 Richter, Ingo 28 Richter, Wilhelm 17, 18, 23 Riedel, Klaus 27 Riedel, S. 289, 300 Riedl, John d: 173 Riekel, August 11 Rieter, Heinz 9 Rietzschel, Claus 7, 214 Ringer 13 Risse, Thomas 130, 135, 139 Ritter, Gerhard 121 Ritter, Ulrich Peter 62, 67, 81 Robinsohn, F. 67 Robinsohn, S.B.. 107 Robinsohn, Saul B. 20, 23, 27 Roeder, Irmtraud 25 Roeder, Peter-Martin 28 Rohde, Joachim 169 Rosenfeld, Kurt 166 Rothenburg, Heinz 206 Rudolph, Irmhild 224, 231 Rüger, Sigrid 291 Ruhland, Kurt 233 Rülcker, Tobias 32, 35 Rummler, Monika 96 Rupieper, Hermann-Josef 231, 232 Rupp, Hans-Karl 139 Ruß-Mohl, Stephan 269, 270, 273, 274, 283, 284 Rüstow, Alexander 203 Sachse, Carola 221, 231 Sachse, Christian 245 Sader, Manfred 66, 67

296

Sattler, Frederike 241 Sattler, G. 27 Sauer, Wolfgang 148, 219, 230 Schaarschmidt, R. 300 Schäffter, Ortfried 16 Schaper, Niclas 62, 97 Scheerer, Hansjörg 25 Schellenberg, Ernst 179 Schelsky, Helmut 163, 196 Schenck, Krafft von 67 Scheunen, Ulrich 151 Schiek, Gudrun 27 Schleicher, Kurt von 148 Schlotthaus, Werner 19 Schluchter, Wolfgang 291, 298 Schmidt 64, 96, 97, 108 Schmidt, Boris 108 Schmidt, Folker 26 Schmidt, Gustav 220, 231 Schmidt, Hendrik 267 Schmidt, Richard 177 Schmidt, Ute 205, 212, 232, 235, 249, 258 Schmidt, Uwe 99, 102 Schmoldt, Benno 35 Schneider, Heinrich 128, 139 Schneider, Rolf 95 Schober, Hans-Werner 265, 268, 280, 281, 282 Scholtz, Harald 16, 18, 23, 25 Schön, Theodor von 275 Schonig, Bruno 22 Schönpflug, Wolfgang 39, 49, 51 Schorn, Maria 41 Schramm, Hilde 25 Schran, Peter 203, 229 Schröder, Benjamin 258 Schröder, Louise 114 Schroeder, Klaus 237, 238, 241, 242, 244, 247, 248, 249, 250,

Personenregister

251, 252, 253, 254, 255, 256, 258 Schründer, Agi 59, 68, 70, 107 Schubenz, Siegfried 46 Schuck-Wersig, Petra 279 Schuk-Wersig, Petra 283, 286 Schulmeister 98 Schultz, Joachim 222, 229 Schulz von Thun, Friedemann 66 Schulz, Gerhard 25, 65, 66, 148, 203, 205, 211, 219, 229, 230 Schulz, Wolfgang 67, 107 Schulze Heuling, Dagmar 252, 258 Schulz-Hageleit, Peter 25 Schulz-Popitz, Cornelia 65 Schumacher 98 Schuppan 13 Schuppan, Michael-Sören 31, 35 Schuppan, Sören 29 Schütz, Erhard 270 Schütz, Klaus 181, 183, 203, 210, 211, 229 Schwan, Alexander 129, 130, 139 Schwan, Gesine 254, 255 Schwarzer, Ralf 51 Schwenk, Bernhard 25, 27 Schwennicke, Carl-Hubert 187 Seelig, Günther 52 Segert, Dieter 235 Seiler, Bernhard 49 Selg, Herbert 49 Seydewitz, Max 166 Shell, Kurt L. 213, 230 Siebenhaar, Klaus 270 Siegel, Tilla 221, 231, 233 Simmat, Gisela 9 Skiba, Ernst-Günther 19, 21, 25 Skowronek, Helmut 57, 67 Sobisiak 23

Sodhi, Kripal Singh 40, 41 Soellner, Renate 91 Sokolowski, Wassili 112 Solga, Heike 295 Söllner, Alfons 126, 139 Sontheimer, Kurt 121, 139 Sorel, Georges 186 Sorg, Stefan 273 Sösemann, Bernd 269, 270, 275, 286 Spangenberg, Kurt 22 Spode, Hasso 221, 231 Spohn, Wolfgang 221, 231 Spranger, Eduard 289 Springer, Ursula 23 Staadt, Jochen 7, 215, 235, 241, 242, 243, 244, 247, 248, 253, 254, 255, 256, 258 Stalin 246, 249 Stammer, Otto 122, 128, 143, 145, 146, 147, 161, 162, 164, 165, 172, 173, 175, 177, 178, 179, 195, 196, 198, 203, 205, 206, 207, 208, 209, 212, 214, 222, 223, 229, 230, 233, 280, 289, 290, 291, 292 Stary, Joachim 78, 80, 81, 83, 84, 88, 91, 99, 105, 107 Steffen, H. 300 Steinbach, Peter 227, 228, 231, 232, 254, 255 Stemberger, Dolf 196, 203 Stern, Carola 205, 223, 229, 238 Stern, Klaus 122 Sternberger, Dolf 164 Stolpe, Reinhard 53 Stöss, Richard 212, 214, 227, 231, 233, 234, 235 Strenge, Barbara 248 Stuff, Christiana 232

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Personenregister

Sühl, Klaus 213, 232 Suhr, Otto 109, 110, 111, 112, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 125, 126, 127, 137, 141, 143, 144, 147, 149, 153, 154, 157, 161, 167, 170, 173, 177, 178, 195, 197 Suhr, Susanne 116 Sülzer, Rudolf 264 Szczyrba, Birgit 95, 107 Szondi, Peter 20 Teichler, Ulrich 70, 86 Terhart, Ewald 77 Thiel, Felicitas 91, 99 Thielsch, Angelika 97, 108 Thieme 60 Thomas, Rüdiger 224 Thomas, William Isaac 300 Thurnwald, Richard 114 Tiburtius, Joachim 144, 164, 169, 172, 179 Tiemann, Friedrich 212, 232 Tietze, Wolfgang 36 Tillich, Ernst 117, 126 Tillich, Paul 117 Timmermann, Heiner 241 Tröger, Annemarie 221 Trotha, Carl Dietrich von 126 Trotha, Carl-Dietrich Ernst Wilhelm von 116, 144, 172 Trotha, Karl Dietrich von 117 Tsuda, Sumiko 90 Ubbens, Wilbert 264, 275 Ulbricht, Walter 242 Ulich, Robert 13, 29 Urbach, D. 20, 23 Vegar, Marijana 99, 108 Veltmann, P. 62 Virchow, Martin 203, 211, 229 Voelmy 23

298

Voigt, Tobias 248 Völkel, Walter 223, 232 Volkmann, Heinrich 231, 232, 234 Voss, Hans-Peter 71, 81, 106 Vowe, Gerhard 283 Wachendorfer, Ute 233 Wagemann, Karl-Helmut 87 Wagner, Helmut 238 Waterkamp 13 Waterkamp, Dietmar 29 Weber, Alfred 147, 158, 159, 195, 202, 203 Weber, Hermann 238 Weber, Max 119, 186, 200, 217, 265, 295 Webler, Wolf-Dietrich 96 Weidenfeld, Werner 225 Weinert, Franz Emanuel 57, 67 Weinert, Rainer 212, 234, 235 Weiß, Hans-Jürgen 283 Weiß, Jürgen 271, 273 Welbers, Ulrich 60, 95, 107 Wellendorf, Franz 22 Wendorf, Gabriele 100 Wersig, Gernot 261, 265, 268, 270, 272, 276, 279, 281, 282, 283 Wesel, Uwe 297 Weßels, Bernhard 233, 234 Westmeyer, Hans 49, 50 Wex, Peter 91, 95, 108 Wildermuth, Martin 139 Wildt, Johannes 59, 71, 77, 81, 93, 95, 106, 107 Wilke, Manfred 238, 240, 243, 245, 246, 250, 252, 253, 255 Winkler, Erich 162 Winkler, Jürgen R. 234

Personenregister

Wintermantel, Margret 93, 94, 108 Wippermann, Wolfgang 255 Wissell, Rudolf 114 Wolff, Reinhard 20, 23 Wolff, Theodor 275 Wolle, Stefan 248, 259 Wollmann, Helmut 216, 217, 231, 233 Wonneberg, Holger 233 Wulf, Christoph 34, 35, 36 Wulff 274 Yenal, Ilona 78, 87, 88 Young Man Ko 282

Zapf, Wilfgang 295 Zaumseil, Manfred 48 Zehrer, Sabine 227 Zerdick, Axel 268, 269, 273, 276, 278, 279, 284 Zervakis, Peter 93 Zeuner, Bodo 138, 139 Ziebura, Gilbert 219 Zimmer, Jürgen 36 Zimmermann, Hartmut 206, 222, 223, 224, 225, 237 Zink, Harold 195 Zinn, GeorgAugust 195 Zünder, Ralf 15

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