Arbeitslosigkeit: Ringvorlesung der Fachbereiche Rechts- und Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2004 [1 ed.] 9783428515905, 9783428115907

Das vorliegende Buch ist das Ergebnis einer Ringvorlesung, die im Sommersemester 2004 an den Fachbereichen Rechts- und W

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Arbeitslosigkeit: Ringvorlesung der Fachbereiche Rechts- und Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2004 [1 ed.]
 9783428515905, 9783428115907

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u. Baßeler/M. Heintzen/L. Kruschwitz (Hrsg.) Arbeitslosigkeit

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 241

Arbeitslosigkeit Ringvorlesung der Fachbereiche Rechts- und Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2004

Herausgegeben von

Ulrich BaßeIer, Markus Heintzen und Lutz Kruschwitz

Duncker & Humblot . Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-11590-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Dieser Band fasst elf Vorträge zusammen, die im Sommersemester 2004 an der Freien Universität Berlin im Rahmen einer Ringvorlesung zum Thema "Arbeitslosigkeit" gehalten worden sind. Die Vorträge sind für die Drucklegung teilweise geringfügig überarbeitet und aktualisiert worden. Die von den Fachbereichen Rechts- und Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität organisierte Ringvorlesung sollte - ohne systematischen Anspruch - aus der Perspektive von Wissenschaft und Wirtschaft den Blick auf einzelne Aspekte eines Problems werfen, von dem man sagen kann, dass es der deutschen Gesellschaft unter den Nägeln brennt. Die Herausgeber danken den elf Referenten, dass sie ihre Vorträge für die Veröffentlichung in diesem Buch zur Verfügung gestellt und zu dessen zeitnahem Erscheinen beigetragen haben. Der Hanns Martin Schleyer-Stiftung, der Deutschen Bundesbank und PwC Deutsche Revision gilt unser Dank für die Förderung der Ringvorlesung und des vorliegenden Buches. Berlin-Dahlem, im Sommer 2004

Ulrich Baßeier Markus Heintzen Lutz Kruschwitz

Inhaltsverzeichnis Ulrich Baßeler; Markus Heintzen und Lutz Kruschwitz

Einführung ........................................................................

9

Jürgen Kromphardt

Wie gut sind die Vorschläge für Arbeitsmarktreformen begründet? .................

ll

Joachim Wieland

Rechtliche Maßnahmen zur Eindämmung von Arbeitslosigkeit

23

Burkhard Schwenker

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

41

Ulrich Eisenberg

Arbeitslosigkeit und Delinquenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

Georg Nassauer

Industriepolitik im Rahmen der Globalisierung und ihre Auswirkung auf die Arbeitslosigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

Wolfgang Roth

Globalisierung: Ursache der Arbeitslosigkeit?

99

Winfried Boecken

Flächentarifvertrag und Arbeitslosigkeit ...........................................

113

Joachim Scheide

Konjunktur, Wachstum und Arbeitslosigkeit .......................................

129

OUo Depenheuer

Das Individualrecht auf Arbeit. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . .. . . . . . . . . . .. .. .

143

Klaus F. Zimmermann und Karl Brenke

Arbeit für alle! Perspektiven einer neuen Wirtschaftspolitik. . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . .

159

Stichwortverzeichnis .................................................................

179

Autoren- und Herausgeberverzeichnis ................................................

183

Einführung Von Ulrich Baßeier, Markus Heintzen und Lutz Kruschwitz Die Arbeitslosigkeit ist das größte gesellschaftliche Problem der Bundesrepublik Deutschland. 1 In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag vom 29. Oktober 2002 heißt es darum: "Vordringliche Aufgabe in der beginnenden Legislaturperiode ist die große Reform der Arbeitsmärkte. Wir haben in Deutschland nicht nur eine zu hohe Arbeitslosigkeit. Wir haben auch zu viele Überstunden, zu viel Schwarzarbeit und zu viele offene, nicht besetzte Stellen. ,,2 Die Zahlen3 sind seit Jahren, auch im internationalen Vergleich, sehr hoch; im Juli 2004 waren beim Statistischen Bundesamt 4,36 Mio. erwerbslose Menschen erfasst; das entspricht einer Arbeitslosenquote von 10,5 %. An Perioden der Vollbeschäftigung oder gar des Arbeitskräftemangels, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auch gegeben hat, mag man sich kaum noch erinnern. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht, zu dem nach dem Stabilitätsgesetz von 1967 auch ein hoher Beschäftigungsstand gehört, befindet sich in einer Krise ohne absehbares Ende. Arbeitslosigkeit bietet kein Erkenntnisproblem: Die Ursachen und auch mögliche Abhilfen lassen sich relativ klar beschreiben. Zwar gibt es wenig beachtete Bereiche - als Beispiel sei auf den Beitrag von Ulrich Eisenberg über "Arbeitslosigkeit und Delinquenz" verwiesen - und wird manches als selbstverständlich nicht hinterfragt - so die Tarifautonomie, wie Otto Depenheuer deutlich macht, deren verfassungsrechtlicher Standort in Art. 9 Abs. 3 GG überbewertet und deren einschränkende Wirkung für die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verkannt werde. Wirtschaftspolitische Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind entweder nachfrage- oder angebotsorientiert. Die derzeit vorherrschenden angebotsI Zu sozialen Auswirkungen vgl. den ersten Annuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung "Lebenslagen in Deutschland", 2004. 2 "Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung", Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom 29. Oktober 2002, S. 8. Noch deutlicher die Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom 10. November 1998, S. 9: " ... , es ist kein Zweifel: Unser drängendstes und auch schmerzhaftestes Problem bleibt die Massenarbeitslosigkeit." 3 Vgl. etwa Statistisches Jahrbuch 2003 für die Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom Statistischen Bundesamt, 2003, S. 121 ff. mit Zahlenmaterial, das bis auf 1993 zurückreicht und u. a. nach Alter und Geschlecht von Arbeitslosen, Regionen und Dauer der Arbeitslosigkeit gegliedert ist. Aktuellere Zahlen im Internet unter www.destatis.de.

10

Ulrich Baßeier, Markus Heintzen und Lutz Kruschwitz

orientierten Argumente werden von Jürgen Kromphardt kritisch in Frage gestellt, der entsprechende Überlegungen lange auch im Sachverständigenrat zur Geltung gebracht hat. Burkhard Schwenker vertritt die Ansicht, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland nur dann spürbar zurückgehen wird, wenn es gelingt, dass die Unternehmen mit innovativen Technologien wachsen. Derzeit gehört Deutschland hinsichtlich seines Wirtschaftswachstums zu den Schlusslichtern. Oft wird die Ansicht vertreten, dass die Globalisierung eine wesentliche Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit darstellt. Wolfgang Roth legt dar, dass sich das weder theoretisch noch empirisch bestätigen lässt. Die Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung befindet sich nach Ansicht von Klaus Zimmermann dem Prinzip nach auf dem richtigen Weg. Sie müsste allerdings konsequenter und zügiger umgesetzt werden, wenn sie Erfolg haben wolle. Arbeitslosigkeit überfordert auch nicht die Steuerungsfähigkeit des politischen Systems; das macht der Beitrag von Joachim Wieland deutlich, in dem rechtliche Möglichkeiten zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit aufgezeigt werden. Gewerkschaftliches Engagement in den Betrieben und Flächentarifvertrag haben sich als konstruktiv im Sinne einer Problemlösung erwiesen; jedenfalls scheint der Flächentarifvertrag besser als sein Ruf; dazu die Beiträge von Georg Nassauer und Winfried Boecken. Arbeitslosigkeit scheint in erster Linie ein Problem von fehlendem politischem Veränderungswillen zu sein. Es reicht nicht aus, Probleme "auszusitzen" oder nur gegen Veränderungen zu sein - so im Sommer 2004 gegen "Hartz IV" -, ohne eine finanzierbare Alternative aufzuzeigen.

Wie gut sind die Vorschläge für Arbeitsmarktreformen begründet? Von ]ürgen Kromphardt

I. Einleitung: Die Ursachen der Wirtschaftsschwäche Deutschlands Es ist in Deutschland zurzeit sehr populär, nach Arbeitsmarktrefonnen zu rufen. Diese Forderung wird nicht nur auf nationaler Ebene von Politikern, Publizisten und Wissenschaftlern erhoben, sondern auch immer wieder von internationalen Behörden, so der EU-Kommission und der OECD. Sie ist ausgelöst durch die Wachstumsschwäche und die hohe Arbeitslosenzahl, die Deutschlands Wirtschaft seit der Mitte der 90er Jahre kennzeichnen. Diese Situation wird mit Titeln wie "Die rote Laterne'" oder "Ist Deutschland noch zu retten?,,2 charakterisiert und dramatisiert. Deutschlands Wachstumsschwäche führt dazu, dass unser Land im Lebensstandard, gemessen am BIP je Einwohner, zurückfallt und von Ländern überholt wird, von denen man das früher nicht erwartet hätte. Für dieses Zurückfallen werden vier Gruppen von Gründen angeführt: a) Die deutsche Vereinigung belastet die deutsche Wirtschaft mit hohen Sozialabgaben und Steuerlasten für die Transferzahlungen nach Ostdeutschland. Außerdem sind durch die aufgelaufene Staatsverschuldung auch die Zinslasten hoch. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Jahresgutachten 2002/03 in Zi. 339 ff. Berechnungen der EU-Kommission zustimmend zitiert, wonach rund ein Drittel der Differenz der Wachstumsraten in Deutschland im Vergleich zu den Partnerländern seit der Mitte der 90er Jahre auf die innerstaatlichen Transfers und deren Finanzierung zurückzuführen seien. Ein weiteres Drittel sei der tiefen Krise der Bauwirtschaft zuzurechnen. Diese ist zu einem großen Teil durch die überzogene steuerliche Förderung der Bauinvestitionen in Ost-Deutschland in den ersten Jahren nach der Vereinigung verursacht, die ihrerseits die Lage der öffentlichen Finanzen beeinträchtigt und zum Aufbau der Staatsverschuldung beigetragen hat. I

2

Hans Wemer Sinn im ifo-Schnelldienst, 55. Jg. Nr. 23 (Sonderausgabe), 2002. Ders., 5. korr. Auf!. München (Econ) 2004.

12

Jürgen Kromphardt

b) Deutschland hat gegenüber einigen Hochzinsländern, die jetzt zum Euroraum gehören, seinen früheren Vorteil eines niedrigen Zinsniveaus verloren; denn die nominalen Zinsen haben sich im Euroraum weitgehend angeglichen. Der frühere Vorteil Deutschlands hat sich sogar ins Gegenteil verkehrt, da sich zwar das Nominalzinsniveau weitgehend angeglichen hat, die Inflationsrate in Deutschland aber besonders niedrig ist, so dass die Realzinsen höher sind als in den anderen Mitgliedsstaaten des Euroraums. c) Durch die Alterung der Bevölkerung steigt die Belastung der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherungen. Da diese durch Sozialabgaben der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer finanziert werden, werden ohne Reformen die Arbeitskosten durch diese Lohnnebenkosten stark ansteigen. Deshalb sind Reformen bei der Rentenversicherung und bei der Krankenversicherung, die zumindest einen weiteren Anstieg der Beitragssätze verhindern, dringend erforderlich. d) Deutschland ist immer mehr dem globalisierten Wettbewerb ausgesetzt und passt sich an die daraus resultierenden Anforderungen zu langsam an. Von diesen vier Ursachenkomplexen haben die ersten bei den nichts mit dem Arbeitsmarkt zu tun; der dritte insoweit, als er die Lohnnebenkosten und damit indirekt den Arbeitsmarkt betrifft. Der vierte könnte ihn direkt betreffen, sofern die Globalisierung eine Reform der Arbeitsmarktverfassung erforderlich macht.

11. Ansätze für Reformen auf dem Arbeitsmarkt In der aktuellen Diskussion werden vor allem drei Bereiche genannt, die zu reformieren seien: Die Tarifverträge sollen mit dem Ziel einer generellen Lohnsenkung und einer größeren Lohnspreizung, insbesondere nach der Qualifikation der Arbeitnehmer flexibilisiert oder geschwächt werden; - Der Kündigungsschutz soll verringert, wenn nicht gar abgeschafft werden; - Staatliche Sozialleistungen sollen gesenkt werden, insbesondere durch - Verkürzung der Laufzeit des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer, - Reduzierung der Arbeitslosenhilfe auf das Sozialhilfeniveau, - Senkung der Sozialhilfe für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger. Von diesen drei Kürzungen sind die ersten beiden Gegenstände der Agenda 20 I 0 der Bundesregierung, die dritte Kategorie dagegen nicht, jedenfalls nicht in dieser generellen Form. Angesichts dieser weit reichenden Reformforderungen stellt sich die Frage, wie gut diese Forderungen begründet sind, so dass man sie akzeptieren muss, selbst wenn sie die wirtschaftlich Schwächeren in der Gesellschaft besonders stark treffen.

Wie gut sind die Vorschläge für Arbeitsmarktreformen begründet?

13

1. Muss das allgemeine Lohnniveau gesenkt werden?

Aus dem zunehmenden globalisierten Wettbewerb wäre die Notwendigkeit abzuleiten, das durchschnittliche Lohnniveau zu senken, wenn Deutschland diesem Wettbewerb nicht gewachsen wäre. Das Gegenteil aber ist der Fall; so lässt sich für die Gütermärkte feststellen (Güter umfassen stets Waren und Dienstleistungen): Deutschland weist die höchsten Exporte in der Welt auf, obwohl es ein deutlich kleineres Land ist als die USA. Die deutschen Exporte steigen insbesondere seit 1995 kräftig an (s. Abbildung 1). 180 170 160

-

• Binnennachfrage

-

-Exporte

.., .., .., ..,

140

120

uo

-

--.... ....

100 90

1991

1992

.., ., Exporte

I

150

130

.., ,

-

1993

.., .., 1994

..,

.,

1995

.., "

1996

,

"

--

"

1997

I

1998

1999

-

Binnen-

nachfra~ e

2000

2001

2002

Binnennachfrage: Inlandsverwendung ohne Vorratsveränderung in Preisen von 1995. Exporte: Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen in Preisen von 1995. Quelle: EU-Kommission (ab 2003 Prognose der EU-Kommission); Deutscher Grewerkschaftsbund.

Abbildung 1: Gespaltene Konjunktur 1991 bis 2003

Deutschland hat hohe Exportüberschüsse. Sowohl 2002 als auch 2003 betrug dieser Überschuss bei den Waren ca. 130 Mrd. Euro, denen bei den Dienstleistungen ein Defizit von 35 Mrd. Euro gegenüberstand, d. h. der gesamte Exportüberschuss erreichte einen Wert von ca. 95 Mrd. Euro jährlich. Das ist mehr als Westdeutschland in seinen besten Zeiten erreicht hat. Diese Überschüsse zeigen zugleich, dass es irreführend ist, die Exporterfolge, die von steigenden Importen begleitet sind, als Ausdruck einer Tendenz zu einer Basarökonomie klein reden zu wollen. Richtig ist, dass in den deutschen Exportgütern importierte Vorprodukte stecken; dieser Anteil steigt wegen der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung und beläuft sich inzwischen ungefähr auf 40 %. In den deutschen Exporten ist also ein inländischer Wertschöpfungsanteil von ca. 60 % enthalten.

14

Jürgen Kromphardt

Es werden also nicht nur Vorprodukte zusammengesetzt und weiterverkauft, sondern der deutsche Anteil an der Wertschöpfung ist deutlich höher als der ausländische, und solange die Exporte größer sind als die Importe, wird netto Wertschöpfung inländischer Arbeitnehmer exportiert. Dieser Außenbeitrag beläuft sich derzeit auf 4,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Zum internationalen Wettbewerb gehört auch der Wettbewerb um internationale Investitionen (Direktinvestitionen). Auch hier weist Deutschland keine schlechte Bilanz auf. In den Jahren 2000 bis 2003 investierten deutsche Unternehmen netto 57,7 Mrd. Euro im Ausland, während gleichzeitig die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland sich netto auf 73,3 Mrd. Euro beliefen, also deutlich höher lagen. Allerdings sind die Zahlen über Direktinvestitionen mit Vorsicht zu interpretieren; zum einen ist die Abgrenzung der Direktinvestitionen von Portfolioinvestitionen schwierig und willkürlich. So werden nach internationalen Vereinbarungen alle Beteiligungen an einem ausländischen Unternehmen von über 15 % als Direktinvestitionen gezählt, weil man vermutet, dass ab einer solchen Beteiligung das investierende Unternehmen die Absicht hat, die Geschäftspolitik der ausländischen Firma zu beeinflussen. Zum anderen sind die Zahlen durch Großtransaktionen verzerrt, so z. B. durch den Kauf von Mannesmann durch Vodafone. Ferner sind Direktinvestitionen im Ausland immer dann als positiv zu beurteilen, wenn sie dazu dienen, den deutschen Firmen ihre Exportmärkte besser zu erschließen (z. B. durch den Verkauf von bestehenden Vertriebsfirmen) oder zu sichern. Die Aussagekraft der Zahlen ist also begrenzt. Deutschland erzielt seine Exporterfolge, obwohl die Arbeitsstunde bei uns für die Unternehmen weltweit fast am teuersten ist. Im Jahr 2003 kostete sie in Westdeutschland 27,09 Euro. Dieser Betrag wurde nur von Norwegen mit 28,15 Euro und Dänemark mit 27,33 Euro übertroffen (umgerechnet zum Jahresdurchschnitt der amtlichen Devisenkurse)3. In dieser Situation befindet sich Westdeutschland schon seit Jahrzehnten; wie die Außenhandels zahlen belegen, wurden die hohen Arbeitskosten je Stunde durch entsprechend hohe Arbeitsleistung je Stunde (Stundenproduktivität) kompensiert. Welch geringe Bedeutung die Arbeitskosten je Stunde für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft haben, zeigt das Beispiel Ostdeutschland. Die ostdeutschen Unternehmen haben bekanntlich noch Nachholbedarf bei den Erfolgen auf den ausländischen Märkten und dies, obwohl die Arbeitskosten je Stunde in Ostdeutschland im Jahr 2003 nur 16,86 Euro betrugen 4 und damit weltweit an 16. Stelle liegen, sogar hinter den USA, dem Vereinigten Königreich, Japan und Irland. Hätten die Arbeitskosten eine Aussagekraft, dann müsste der Export in Ostdeutschland gewaltig boomen. Die ostdeutsche Wirtschaft ist jedoch durch eine erhebliche Exportschwäche gekennzeichnet. 3

4

Informationsdienst der deutschen Wirtschaft, IWD, 30. Jg. Nr. 35 vom 26.8.2004. ebenda.

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Wie gut sind die Vorschläge für Arbeitsmarktreformen begründet?

Entscheidend sind nämlich die Lohnstückkosten; diese behinderten die Wettbewerbsfahigkeit der deutschen Wirtschaft in den 90er Jahren nicht; dank zurückhaltender Lohnpolitik sind sie seitdem unter den wichtigsten Industrienationen am langsamsten gestiegen: Seit 1996, also seit Beginn der schwachen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland, blieb nur in Japan, das bis 2002 in einer tiefen Wirtschaftskrise steckte und aus dieser Krise trotz schrumpfender Lohnstückosten und sinkender Preise nicht herauskam, ihre Entwicklung hinter Deutschland zurück. Tabelle 1

Lohnstückkosten und BIP-Deflatoren 1996-2002 Land

Lohnstückkosten

Preisentwicklung')

1996-1998

1999-2002

1996-1998

1999-2002

Deutschland

-0,3

1,0

0,9

0,8

Euro-Gebiet

0,2

1,5

1,8

1,8

Vereinigtes Königreich

3,1

3,2

3,0

2,6

USA

1,5

1,6

1,7

1,8

Japan

-0,7

-0,8

-0,2

-1,7

a)

Änderung des Preisindex des Bruttoinlandsprodukts (des BIP-Deflators).

Quelle: OECD, Economic Outlook, Anhangtabelien.

Der Preisindex des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gibt die Preisentwicklung der inländischen Wertschöpfung an. Somit zeigt Tabelle 1 zugleich, dass die Unternehmen die schwache Entwicklung der Lohnstückkosten insbesondere von 1996 bis 1998 nicht voll in den Preisen berücksichtigt haben. Vielmehr stieg der BIPDeflator in diesen drei Jahren jährlich um durchschnittlich 0,9 %, während die Lohnstückkosten sogar zurückgingen. Nach den Zahlen der Tabelle 1 hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit in den Jahren seit 1996 bis 2002 verbessert. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Deutsche Bundesbank (s. Abbildung 2). In der Diskussion über die Gefahren des globalisierten Wettbewerbs wird auch insbesondere auf die schwierige Wettbewerbssituation gegenüber den osteuropäischen "Billiglohnländern" und anderen hingewiesen. Um dieses Argument bewerten zu können, zeigt Tabelle 2 die Außenhandelssalden nach Ländergruppen. Man ersieht daraus, dass Deutschland Exportüberschüsse auch gegenüber den mittel- und osteuropäischen Reformstaaten sowie gegenüber den sonstigen Entwicklungsländern und Reformstaaten erzielt. Die große Ausnahme bildet China, das aber bekanntlich die Importe deutlich stärker reglementiert als andere Länder.

Jürgen Kromphardt

16

Auf Basis der Deßatoren des Gesamtabsatzes gegenüber 19 Handelspartnern 85

Band langfristiger Durchschnitte

':~J'0.f\=

\05

HO H5

Gegenüber 19 Handelspartnern auf Basis ••.

85

••• VOD Preisdenatoren des Gesamtabsatzes

90 95 100 105

HO H5

UntemebmeDssektor

120

1975

1980

1985

1990

1995

2000

2004

Skala invertiert: Anstieg der Kurve (Rückgang der Werte) kennzeichnet Zunahme der Wettbewersfähigkeil. Quelle: Deutsche Bundesbank (2004): Monatsbericht Juni 2004.

Abbildung 2: Indikatoren der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im langfristigen Vergleich

Tabelle 2

Außenhandelssalden nach Ländern 2003 in Mrd. Euro EU Länder

+98,9

Andere Industriestaaten (ohne Reformstaaten)

+21,1

Mittel- und osteuropäische Reformstaaten

+ 3,6

China

- 6,8

Südostasiatische Schwellenländer

-

OPEC-Staaten

+ 6,7

Sonstige Entwicklungsländer und Reformstaaten

+ 8,1

Alle Länder

2,0

+129,6

Quelle: Monatsbericht März 2004 der Deutschen Bundesbank, Tab. X3.

} 120,0

} 9,6

Wie gut sind die Vorschläge für Arbeitsmarktreformen begründet?

17

Diese Zahlen entkräften zugleich die Schlussfolgerungen, die aus der Tatsache gezogen werden, dass immer wieder Unternehmen Teile ihrer Produktion und damit ihrer Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlegen. Die Exportüberschüsse gegenüber diesen Ländern bedeuten, dass mehr Arbeitsplätze durch den Export in diese Länder erhalten bleiben, als durch die Importe aus diesen Ländern verloren gehen. Daher kann mit dieser Verlagerung das Argument, das deutsche Lohnniveau sei zu hoch und dadurch würden Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet, nicht begründet werden. Denn verstärkte internationale Arbeitsteilung bedeutet, dass alle Länder mehr exportieren und mehr importieren. Dabei kauft Deutschland als Hochlohnland tendenziell die Produkte, die mit wenig qualifizierter Arbeit und relativ einfacher Technik hergestellt werden können, vermehrt im Ausland. Die entsprechenden inländischen Betriebe werden geschlossen, dafür expandieren andere Unternehmen, die Exportgüter herstellen. Dieser Strukturwandel trifft bestimmte westdeutsche Wirtschaftszweige schon seit langem. So sind z. B. in Westdeutschland von 1960 - 1994 in der Landwirtschaft, im Leder-, Textil- und Bekleidungsgewerbe sowie im Kohlenbergbau mehr als 70 % der ursprünglichen Arbeitsplätze abgebaut worden (für spätere Jahre werden diese Zahlen für das frühere Bundesgebiet nicht mehr ausgewiesen). Wenn jetzt deutsche Unternehmen ihre Arbeitsplätze durch eigene Entscheidung ins Ausland verlagern, um dort selbst weiter zu produzieren und die Vorprodukte nach Deutschland zu liefern, dann ist dies eine aktive Variante der Anpassung an diese langfristige Tendenz. Ohne die Verlagerung würde der inländische Betrieb geschlossen werden müssen und man würde die Vorprodukte von einem osteuropäischen Unternehmen kaufen. Bei der Verlagerung der Arbeitsplätze behält dagegen das deutsche Unternehmen die Produktion in der Hand, was für Deutschland u. a. den Vorteil hat, dass dieses Unternehmen seine Maschinen und Ausrüstung vermutlich in Deutschland kaufen wird. Bedenklich ist allerdings die Ausnutzung des Drohpotentials der Arbeitsplatzverlagerung in betrieblichen Auseinandersetzungen um die Benutzung von Öffnungsklauseln und um beschäftigungssichernde Sondervereinbarungen. Wenn viele Unternehmen vom Drohpotential der Globalisierung Gebrauch machen, wird das Lohnniveau in Deutschland tendenziell sinken, denn es wird die Drohung mit Arbeitsplatzverlagerung (die vielleicht gar nicht geplant ist) ausgenutzt, um die tariflich vereinbarten Löhne zu unterlaufen. Eine allgemeine Lohnsenkung bietet aber keine Lösung des Beschäftigungsproblems in Deutschland: denn was die Unternehmen auf der Kostenseite gewinnen, verlieren sie auf der Absatzseite. Niedrigere Löhne bedeuten niedrigere Lohnsumme, niedrigere Kaufkraft der Arbeitnehmer und damit einen schwächeren privaten Konsum, der - wie das Beispiel Deutschlands aktuell zeigt - auch auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen zurückwirkt, so dass sie trotz günstigerer Gewinnentwicklung ihre Investitionen nicht ankurbeln.

18

Jürgen Kromphardt

Da jeder Unternehmer, insbesondere wenn er bereits Produktionsstätten im Ausland besitzt, seine Belegschaft mit der Drohung einschüchtern kann, er müsse Teile seiner Produktion ins Ausland verlagern, ist es wichtig, dass Öffnungsklauseln in Tarifverträgen nur mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien angewendet werden dürfen, damit sie auf Ausnahme- und Notfälle beschränkt bleiben; denn dann müssen die Tarifparteien, die über wesentlich mehr Sachkenntnis und Informationen über die anderen Unternehmen der Branche verfügen, überzeugt werden, dass ein Ausnahmefall vorliegt. Auch die Folgekosten der deutschen Vereinigung mit ihren hohen Sozialabgaben und Steuerlasten sind kein Argument zugunsten der Forderung nach einem sinkenden Lohnniveau, denn die preisliche Wettbewerbsfähigkeit ist trotz dieser Belastung gegeben. Der Verlust des Zins vorteils und die Tatsache, dass Deutschland jetzt im Euroraum die höchsten Realzinsen hat, weil seine Inflationsrate am niedrigsten ist, bieten sogar ein Argument für höhere Lohnsteigerungen in Deutschland: Der internationale Vergleich, den Tabelle I ermöglicht, zeigt einen engen mittelfristigen Zusammenhang zwischen Lohnstückkosten und BIP-Deflator. Eine raschere Erhöhung der Lohnstückkosten würde daher in Deutschland auch die Inflationsrate erhöhen und damit den Nachteil bei den Realzinsen verringern.

2. Flexibilisierungsbedarf bei der Lohnstruktur

Bei der Lohnstruktur - insbesondere derjenigen nach der Qualifikation - bringt die zunehmende internationale Arbeitsteilung Flexibilisierungsbedarf mit sich, denn es gehen vor allem Arbeitsplätze für einfache Tätigkeiten mit einfacher und erprobter Technik verloren. Diese Arbeitsplätze können leicht ins Ausland verlagert werden, weil die ausgereifte Technik problemlos im Ausland installiert werden kann. Dann schlägt das niedrigere Lohnniveau durch, weil die Abweichungen bei der Produktivität geringer sind als die Unterschiede in der Bezahlung der Arbeitskräfte. Außerdem verschwinden derartige einfache Arbeitsplätze, insbesondere solche mit repetitiver Tätigkeit, durch Rationalisierung, weil sich solche Tätigkeiten am einfachsten durch Maschinen substituieren lassen. Technischer Fortschritt und Globalisierung wirken hier in die gleiche Richtung, so dass wenig qualifizierte Arbeitskräfte überdurchschnittlich stark von Arbeitslosigkeit betroffen werden, da sie ihre Qualifikationen gar nicht oder nicht mehr genug an die neuen Anforderungen anpassen können. Dieses Strukturproblem wird verstärkt durch die eingangs genannte zweite Ursache, nämlich die deutsche Vereinigung und ihre umfangreiche Finanzierung über die Sozialsysteme, die zu einer Erhöhung der Sozialabgaben geführt haben. Diese Sozialabgaben wirken aufgrund ihrer Anlage regressiv: Die prozentuale Belastung ist am größten (42 %) bei den niedrigen und mittleren Arbeitseinkommen (es gibt keine Freigrenze und keinen niedrigeren Anfangstarif, Ausnahme sind die 400-Euro-Jobs), hohe Einkommen sind dagegen dank der Beitragsbemessungsgrenze ab einem bestimmten

Wie gut sind die Vorschläge für Arbeitsmarktreformen begründet?

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Betrag von den Sozialabgaben ausgenommen. Derzeit liegt diese Grenze in der gesetzlichen Krankenkasse bei einem Bruttolohn von 3.450 Euro monatlich, der einem Arbeitsentgelt (Bruttolohn plus Arbeitgeberbeiträge) von 4.176 Euro entspricht. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung liegt die Beitragsbemessungsgrenze höher. Lohnanteile, die über diesen Betrag hinausgehen, werden überhaupt nicht belastet! Voll zu Lasten der Arbeitslosen geht das neuerdings von vielen Unternehmen versuchte und von manchen auch umgesetzte Vorgehen, die Senkung der Stundenlöhne ihrer Belegschaft dadurch schmackhaft zu machen, dass sie mit einer Verlängerung der durchschnittlichen Arbeitszeit verbunden wird, so dass der Monatslohn der Arbeitnehmer nicht sinkt, sie dafür aber länger arbeiten müssen. Selbst wenn die Senkung der Stundenlöhne sich in niedrigen Preisen niederschlägt und dies zu einer zusätzlichen Nachfrage nach dem jeweiligen Erzeugnis führt, so wird diese Zunahme im Regelfall geringer sein als die Mehrproduktion in der zusätzlichen Arbeitszeit. Insofern geht selbst bei zunehmender Summe der nachgefragten Arbeitsstunden die Zahl der zu ihrer Erbringung erforderlichen Beschäftigten zurück. Es werden also Leute entlassen, die Chancen der Arbeitslosen, in das Beschäftigungssystem hineinzukommen, werden weiter verringert. Dieser Weg ist daher als eindeutig beschäftigungsmindernd und gegen die Arbeitslosen gerichtet abzulehnen. Eine generelle Verringerung der Beitragssätze zu den Systemen der sozialen Sicherung ist jedoch kaum zu erhoffen, da wegen der alternden Bevölkerung sowohl die Belastung der Erwerbstätigen mit Rentenzahlungen als auch der Bedarf an Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung tendenziell zunimmt. Daher sind energische Reformmaßnahmen erforderlich, nur um die Beitragssätze konstant zu halten oder sie um ein geringes zu vermindern. Daher sollte erwogen werden, die Sozialabgabensätze nicht generell zu senken, sondern solche Senkungen gezielt auf die Bezieher niedriger Einkommen auszurichten.

3. Aufweichung oder Abschaffung des Kündigungsschutzes? Hinter der Forderung nach Aufweichung oder Abschaffung des Kündigungsschutzes können zwei Erwartungen stehen. Zum einen könne es durch einen geringeren Kündigungsschutz für Arbeitslose leichter möglich sein, in den Arbeitsmarkt hineinzukommen, falls die Unternehmer rascher bereit sind, neue Arbeitskräfte einzustellen, wenn sie sicher sind, dass sie sie gegebenenfalls auch wieder entlassen können, wenn sich herausstellt, dass die von den neu Eingestellten zu erbringende Arbeitsleistung doch nicht benötigt wird. Eine zweite Erwartung geht dahin, dass es durch einen gelockerten Kündigungsschutz den Unternehmern leichter wird, bisherige Outsider dadurch einzustellen, dass diese mit einer niedrigeren Entlohnung zufrieden sind und dafür bisherige Insider mit ihrem entsprechend höheren Lohnniveau zu entlassen.

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Jürgen Kromphardt

Sofern sich die Forderung nach einer Lohnsenkung auf die Erwartung eines rascheren Austausches von Arbeitskräften stützt, ist sie genauso wenig begründet wie die Forderung nach einer allgemeinen Lohnsenkung. Es nützt der Volkswirtschaft insgesamt wenig, wenn ein schwächerer Kündigungsschutz nur dazu führt, dass sowohl mehr Leute eingestellt als auch entlassen werden. Man erhält dann einen rascheren Austausch zwischen den Arbeitslosen und den Erwerbstätigen, ohne dass die Beschäftigung zunimmt und vermutlich auch ohne zunehmende Produktivität. Immerhin wird die Zahl der Langzeitarbeitslosen etwas geringer ausfallen. Die Hoffnung auf höhere Beschäftigung beruht auf der Erwartung, die Unternehmer würden eher das Risiko eingehen, jemanden einzustellen, wenn sie sicher sind, dass sie die Betreffenden notfalls auch wieder entlassen können. Diese Überlegung mag in manchen Fällen zutreffen; ihre Relevanz ist jedoch begrenzt, denn erstens sind betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland immer möglich und zweitens sind die kleineren Betriebe, in denen derzeit am ehesten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, unterhalb einer bestimmten Beschäftigungsschwelle (mal 5, mal 10 Beschäftigte) vom Kündigungsschutz bereits jetzt ausgenommen. Die Bedeutung des Kündigungsschutzes als Einstellungshindernis wird wohl sehr stark überschätzt, zumal der Kündigungsschutz nicht nur ein Einstellungs-, sondern auch ein Entlassungshindernis darstellt, so dass der Effekt auf die Beschäftigung von vornherein unbestimmt ist. Kündigungsschutz schützt nur gegen willkürliche Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, er verhindert aber nicht die Entlassungen.

4. Reformen bei der Arbeitslosenunterstützung und bei der Sozialhilfe

Die Reformen dieser Sozialleistungen für erwerbsfähige, aber nicht erwerbstätige Personen kann in dem Sinne auch zur Arbeitsmarktpolitik gerechnet werden, als diese Sozialleistungen eine Alternative zum Erwerbeinkommen darstellen und von daher die Entscheidung, erwerbstätig zu werden, beeinflussen können. Das Wort "können" ist hier wichtig, weil man nicht unterstellen kann und darf, dass Personen nur deswegen nicht arbeiten, weil das staatliche Alternativeinkommen genauso attraktiv ist wie das mögliche Erwerbseinkommen. Vielmehr gibt es eine große Zahl von Sozialhilfeempfängern, die gleichzeitig erwerbstätig wären, dort aber so schlecht bezahlt werden, dass ihr Monatseinkommen durch die Sozialhilfe auf das Existenzminimum aufgestockt werden muss. Diese Personen würden auch dann, wenn sie gar nicht erwerbstätig wären, dasselbe Einkommen im Monat zur Verfügung haben. Sie ziehen es aber vor, dennoch erwerbstätig zu sein, weil sie die Tatsache, erwerbstätig zu sein, sehr hoch einschätzen. Sie wägen nicht nur kurzfristig zwischen dem Erwerbseinkommen und dem Sozialeinkommen ab, sondern wollen sich durch die Teilnahme am Beschäftigungssystem trotz der derzeitig

Wie gut sind die Vorschläge für Arbeitsmarktreformen begründet?

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niedrigen Bezahlung die Chance eröffnen, später ihr Erwerbseinkommen, nachdem sie im Beschäftigungssystem Fuß gefasst haben, deutlich zu erhöhen. Empirische Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit positiv mit der Dauer der Arbeitslosenunterstützung korreliert, weil man es sich leisten kann, etwas länger nach einer geeigneten Stelle zu suchen, bevor man eine Arbeit, die einem nicht zusagt, annimmt. Mit diesem Zusammenhang lässt sich begründen, dass das Arbeitslosengeld, das früher generell nur für 12 Monate gewährt wurde, dann aber noch von der Regierung Kohl für ältere auf bis zu 32 Monate Bezugsdauer ausgedehnt wurde, jetzt wieder auf eine Bezugsdauer von 12 Monaten reduziert wird. Dadurch weiß jeder Arbeitslose, dass er nur 12 Monate Zeit hat, eine neue Stelle zu finden; andernfalls fällt er, sofern die "Bedarfsgemeinschaft", in der er lebt, bedürftig ist, auf die Arbeitslosenhilfe zurück, die nach den Hartz-IV-Reformen jetzt auf das Niveau der Sozialhilfe abgesenkt wird und dadurch nur noch das Existenzminimum sichert. Diese Absenkung wiederum ist legitim, da die Arbeitslosenhilfe keine Versicherungsleistung darstellt, für die der Bezieher während seiner Erwerbstätigkeit Beiträge geleistet hat, sondern ein aus Steuermitteln von allen Schichten der Bevölkerung finanzierter staatlicher Transfer. Da für Arbeitslosenhilfe wie für Sozialhilfe Bedürftigkeit vorausgesetzt wird, ist es schwierig zu begründen, weshalb es hier zwei parallele Systeme geben soll, von denen das eine sich auch an dem früheren Einkommen der jetzt Arbeitslosen orientiert, die Sozialhilfe dagegen nicht. Die Empörung, die die Hartz-IV-Gesetze ausgelöst haben, zeigt auch, dass die Bevölkerung wenig darüber informiert war, wie eng geschnitten der Mantel der Sozialhilfe ist, von dem bisher schon die Sozialhilfeempfänger leben mussten, ohne dass dies eine entsprechende Empörung ausgelöst hätte. Schließlich ist es auch legitim, von erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern zu verlangen, dass sie eine zumutbare Arbeit oder Weiterbildungsangebote annehmen, um aus der Sozialhilfe herauszukommen. Dieses Prinzip "fördern und fordern" ist sinnvoll, und von daher ist es berechtigt, Personen, die solche Angebot bekommen, aber ohne gute Begründung ablehnen, die Sozialhilfe ganz oder teilweise zu streichen. Das beschäftigungspolitische Ziel der Hartz-IV-Reform, den Betroffenen durch bessere Vermittlung Arbeitsplätze zu beschaffen, die sie dann auch trotz mancher Nachteile, die ihnen berufliche und räumliche Mobilität abverlangt, annehmen, wird allerdings nur erreicht werden, wenn Arbeitsplätze angeboten werden. Bevor die Agenda 2010 beschlossen wurde, behaupteten die Unternehmensverbände, es gäbe in Deutschland 1,7 Mio. nicht besetzbare Arbeitsplätze, so dass der Ruf nach besserer Vermittlung und mehr Druck auf die Arbeitslosen, solche Arbeitsplätze anzunehmen, plausibel klang. Nachdem nun die Agenda 2010, insbesondere Hartz-IV, Gesetz geworden ist, ist von 1,7 Mio. unbesetzbaren Arbeitsplätzen nicht mehr die Rede. Insofern werden Hoffnungen auf mehr Beschäftigung, die mit Hartz-IV verbunden sind, wohl nur in begrenztem Umfang in Erfüllung gehen.

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5. Senkung der Lohnnebenkosten durch Reformen bei den Sozialversicherungen

Die demographische Entwicklung führt tendenziell zu steigenden Ausgaben der Renten- und der Krankenversicherungen. Ohne Reformen führt diese Entwicklung zu steigenden Beitragssätzen. Die derzeitige Bundesregierung hat daher wichtige Reformschritte auf den Weg gebracht. Inwieweit diese ausreichen und welche weiteren Reformen (insbesondere im Gesundheitswesen) erforderlich sind - das ist ein weites Feld und würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

111. Fazit Die Darlegungen haben hoffentlich deutlich werden lassen, dass die Forderung nach Reformen des Arbeitsmarktes nur zum Teil begründet ist. Notwendig sind vor allem Reformen des Sozialsystems (bei den Sozialversicherungen und den Sozialleistungen), von denen positive Rückwirkungen auf den Arbeitsmarkt erwartet werden können. Weniger hilfreich wären Reformen der Regularien des Arbeitsmarktes selbst.

Rechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit Von Joachim Wieland

I. Einleitung Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist bedrückend. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland verharrt auf einern hohen Niveau. Von der üblichen Frühjahrsbelebung am Arbeitsmarkt kann 2004 nach den neuesten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit aus der letzten Woche kaum gesprochen werden. Die Zahl der Arbeitslosen ist im April 2004 nur um gut 100.000 auf 4,44 Millionen gesunken. 1 Rechnet man die saisonalen Einflüsse heraus, ist die Erwerbslosenzahl um 23.000 gestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen ist im Februar 2004 saisonbereinigt um 20.000 zurückgegangen. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen hat sich um 324.000 verringert, das sind mehr als 22 Prozent. Über 1,5 Millionen Menschen sind langzeitarbeitslos. Diese Zahl bedeutet im Vergleich zum Vorrnonat eine Steigerung um fast 13 Prozent. Nur wegen einer Änderung der Statistik erwartet die Bundesagentur für Arbeit mit 4,36 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 20.000 Arbeitslose weniger als im VOIjahr. Rechnet man die statistischen Effekte heraus, wird ein Anstieg der Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt um 60.000 prognostiziert. Erwerbstätig waren im Februar 2002 mit 37,6 Millionen Menschen mehr als 130.000 weniger als ein Jahr zuvor. Ein Blick auf die Zahl für Westdeutschland und für Ostdeutschland zeigt sofort, dass auf dem Arbeitsmarkt die Teilung Deutschlands noch immer fortlebt. 2,8 Millionen Arbeitslosen in Westdeutschland stehen 1,6 Millionen Arbeitslose in Ostdeutschland gegenüber. Die Arbeitslosenquote von 10,7 Prozent in Gesamtdeutschland spaltet sich in eine Arbeitslosenquote von 8,5 Prozent im alten Bundesgebiet und von 18,8 Prozent in den ostdeutschen Ländern einschließlich Berlins auf. Die Arbeitslosenquote ist in Ostdeutschland nach der Statistik also immer noch mehr als doppelt so hoch als in Westdeutschland. Von der Herstellung der inneren Einheit auf dem Arbeitsmarkt sind wir damit auch 14 Jahre nach der Wiedervereinigung noch weit entfernt. Auch der Ausbildungsstellenmarkt ist erschreckend schwach. Im März 2004 waren deutlich weniger Ausbildungsstellen bei der Bundesagentur für Arbeit I Alle Angaben laut statistischem Bundesamt unter: www.destatis.de.Stichwort: Arbeitsmarkt; zuletzt recherchiert am 14.06.2004.

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gemeldet als ein Jahr zuvor. Standen im März 2003 noch mehr als 390.000 Ausbildungs stellen zur Verfügung, hatte sich die Zahl ein Jahr später auf weniger als 370.000 Stellen verringert. 2 Gleichzeitig ist die Zahl der Bewerber um Ausbildungsstellen von 523.000 im März 2003 auf 538.000 im März 2004 angestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen in den Betrieben von 190.000 auf 172.000 gesunken. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht überraschend, dass die Zahl der unversorgten Bewerber um eine Ausbildungsstelle von 331.000 im März 2003 auf 339.000 im März 2004 angestiegen ist. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass angesichts der Zahl der gegenwärtig unbesetzten betrieblichen Ausbildungsstellen die Zahl der unversorgten Bewerber im Laufe des Jahres noch fühlbar abnehmen wird, bleibt eine deprimierend hohe Zahl von Jugendlichen ohne eine Ausbildungsstelle, die in der Folge mit einem deutlich höheren Risiko der Arbeitslosigkeit infolge fehlende Ausbildung rechnen müssen. Es überrascht nicht, dass angesichts der lang andauernden Misere auf dem Arbeitsmarkt und dem Markt für Ausbildungsstellen eine Vielzahl von Reformmaßnahmen diskutiert wird. Sie reichen von der gegenwärtig besonders umstrittenen Ausbildungsplatzabgabe über Forderungen nach einer Reform des Tarifvertragsrechts in Form einer Erweiterung des Günstigkeitsprinzips um die Arbeitsplatzsicherheit, nach wirksamen betrieblichen Öffnungsklause1n, nach einer weiteren Flexibilisierung des Kündigungsschutzes, nach einer Überprüfung der Mitbestimmungsregelungen bis hin zur Forderung nach verschiedenen steuerlichen Maßnahmen. Allen genannten Forderungen ist gemeinsam, dass sie das Recht als Mittel zur Eindämmung von Arbeitslosigkeit einsetzen wollen. Nun mag man zwar zweifeln, ob durch rechtliche Maßnahmen allein oder auch nur vorrangig die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft werden kann. 3 Die Steuerungsfähigkeit des Staates in seiner Funktion als Gesetzgeber darf gewiss nicht überschätzt werden. Zwar wird an die Politiker in der Bevölkerung und den Medien regelmäßig die Erwartung herangetragen, dass sie Maßnahmen ergreifen, die zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit führen. Diesen Erwartungen suchen die Politiker ganz unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit seit langem durch eine Vielzahl von Vorschlägen gerecht zu werden, die auf eine Belebung des Arbeitsmarktes nicht zuletzt durch eine Reform seines rechtlichen Rahmens zielen. Ein nicht geringer Teil der Vorschläge ist auch umgesetzt worden: Die Unterstützungsleistungen für Arbeitslose sind gekürzt und an strengere Voraussetzungen geknüpft worden. Die Bundesanstalt für Arbeit ist in die Bundesagentur für Arbeit umgewandelt worden und arbeitet selbst an einem neuen Selbstverständnis weg von der staatlichen Anstalt hin zu einem Serviceunternehmen. Die Hartz-Reformen 2 Angaben laut Berichten der Bundesagentur für Arbeit über den Arbeitsmarkt in Deutschland unter: www.arbeitsagentur.de. 3 Zu den Grenzen beschäftigungsschaffender Steuerpolitik des Staates, FriedrichlWiedemeyer, Arbeitslosigkeit - ein Dauerproblem, 1998, S. 180 ff.

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sind teils schon umgesetzt, teils sollen sie in naher Zukunft umgesetzt werden. Der Kündigungsschutz ist gelockert worden, auch steuerrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit sind ergriffen worden. Welche Wirkung alle diese Reformen gehabt haben, lässt sich nur schwer sagen. Jedenfalls haben sie das Problem Arbeitslosigkeit nicht gelöst. Es lässt sich aber umgekehrt auch nicht ausschließen, dass die Arbeitslosigkeit noch wesentlich höher wäre, wenn die erwähnten Reformmaßnahmen nicht ergriffen worden wären. Auch wenn man sicherlich davor warnen muss, die Wirksamkeit der Politik und Gesetzgebung zu Gebote stehenden Instrumente zu überschätzen, wird man doch nicht leugnen können, dass der rechtliche Rahmen einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes hat. Deshalb lohnt es sich, der Frage nachzugehen, welches die Grundlagen und Grenzen für die staatliche Regulierung des Arbeitsmarktes sind. Ich werde mich dazu im Folgenden zunächst kurz den Rahmenbedingungen zuwenden, denen der Gesetzgeber bei Maßnahmen zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit Rechnung tragen muss (11.). Daran schließen Überlegungen an, warum der Staat ungeachtet seiner begrenzten Handlungsmöglichkeiten und der vielfältigen Schwierigkeiten, auf die seine rechtlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit notwendig stoßen, den Arbeitsmarkt nicht sich selbst überlassen kann und darf (III.). In einem dritten Schritt unternehme ich eine Analyse des verfassungsrechtlichen Rahmens für rechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit (IV.). Auf dieser Grundlage werde ich mich mit der hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland (V.) und der Krise auf dem Ausbildungsstellenmarkt beschäftigen (VI.). Den letzten Teil meines Referats widme ich der Frage, ob und wie Arbeitslosigkeit mit Mitteln des Steuerrechts eingedämmt werden kann (VII.). Ganz am Schluss meiner Ausführungen wird ein kurzer Ausblick in die Zukunft stehen (VII!.).

11. Rahmenbedingungen Rechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit erweisen sich nicht zuletzt deshalb als besonders schwierig, weil die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf den Arbeitsmarkt in einem demokratischen Rechtsstaat begrenzt sind. Weder vermag der Staat als Gesetzgeber mit den ihm zu Gebote stehenden genuin hoheitlichen Mitteln von Befehl und Zwang Arbeitsplätze zu schaffen, noch ist ihm eine planwirtschaftliche Verwaltung des Arbeitsmarktes möglich. Soweit er überhaupt Einfluss auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes nehmen kann, muss er das Verhalten der Marktteilnehmer im Wesentlichen indirekt - sei es durch Anreize, sei es durch Abschreckung - zu beeinflussen suchen. Die staatlichen Lenkungsmöglichkeiten stoßen in einer globalisierten Wirtschaft sehr schnell an das Ende ihrer Effektivität. Arbeitskraft ist nicht globalisierbar. Während das Kapital sich in der modemen Weltwirtschaft fast unabhängig von Staats grenzen den Ort suchen kann, an dem ihm besonders hohe Renditechancen winken, verfügen Ar-

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beitnehmer und Arbeitslose nicht einmal annähernd über eine entsprechende Mobilität. Auch wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union weithin verwirklicht ist, steht deutschen Arbeitslosen die Möglichkeit des Ausweichens auf ausländische Arbeitsmärkte nur sehr begrenzt offen. Familiäre Bindingen, fehlende Sprachkenntnisse und Heimattreue stehen einer längerfristigen Beschäftigung im Ausland in den meisten Fällen entgegen. Zudem können deutsche Arbeitslose ihre Arbeitskraft nicht in Billiglohnländern zu den dortigen Tarifen anbieten, ohne dass jedenfalls ihre Familien in Deutschland in soziale Not geraten. Zu den Rahmenbedingungen rechtlicher Maßnahmen, die auf eine Eindämmung der Arbeitslosigkeit zielen, gehört auch, dass der Staat nur im Bereich des Öffentlichen Dienstes selbst Akteur des Arbeitsmarktes ist. Außerhalb des Öffentlichen Dienstes kann der Staat nicht selbst auf dem Arbeitsmarkt agieren, sondern ist darauf beschränkt, das Verhalten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu beeinflussen. Arbeitgeber streben als Unternehmer vorrangig nach Ertrag und Gewinn. Auch in Großunternehmen, die keine Unternehmer traditioneller Art kennen, sondern von Managern geleitet werden, die nicht gleichzeitig Eigentümer sind, besteht ein starker Druck der Kapitalgeber, die Ertragskraft der Unternehmen durch Senkung der Kosten - und das heißt regelmäßig: Verringerung der Arbeitsplätze - zu steigern. 4 Shareholder value 5 ist eine wichtige Richtmarke der Wirtschaft im Inund Ausland, auch wenn nicht selten in der Unternehmenspraxis eher Geld verbrannt als eine Steigerung des Werts der Anteile an dem Unternehmen erreicht wird. Auf der anderen Seite des Arbeitsmarktes sind die Arbeitnehmer bestrebt, ein möglichst hohes Arbeitsentgelt und den eigenen Arbeitsplatz zu erhalten. Nach den Gesetzen des Marktes nehmen also alle Akteure auf dem Arbeitsmarkt ohne Weiteres den Verlust von Arbeitsplätzen in Kauf, streben ihn häufig sogar an, wenn sie dadurch ihre Primärziele erreichen können. Das führt zu einem latenten Interessengegensatz zwischen den Akteuren des Arbeitsmarktes und dem Staat, der die Arbeitslosigkeit eindämmen will. Als Konsequenz dieser Gegebenheiten steht der Staat vor der Aufgabe, sich um die Schaffung von Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt zu bemühen, die den Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen zumindest nicht als hinderlich für die Gewinnerzielung und die Vergütungssicherung erscheinen lassen. Eine rechtliche Beeinflussung des Arbeitsmarktes ist folglich grundsätzlich nur in der Weise möglich, dass der Gesetzgeber die Eigeninteressen der Marktteilnehmer bei seinen Regulierungsbemühungen in Rechnung stellt. Das beschränkt seine Einwirkungsmöglichkeiten erheblich. Häufig ist der Staat gezwungen, auf den Arbeitsmarkt nicht mit seiner überlegenden Herrschaftsmacht einzuwirken, sondern mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräf4 Zur Beschäftigungsentscheidung der Unternehmen: Albaeh, Die Beschäftigungsentscheidung der Unternehmen- Arbeitslosigkeit aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in: Gahlen I Hesse I Ramser (Hrsg.), Arbeitslosigkeit und Möglichkeiten ihrer Überwindung, 1996, S. 83 ff. 5 Vgl. zu den ökonomischen Unternehmenszielen: Schierenbeck, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, 16. Aufl., 2003 S. 61 ff.

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ten von Gleich zu Gleich zu verhandeln. Das erfordert ein anderes rechtliches Instrumentarium als etwa das Polizeirecht oder das Baurecht.

111. Staatstheoretische Erwägungen Ungeachtet der immanenten Begrenzungen rechtlicher Einwirkungen auf den Arbeitsmarkt kann der Staat das wirtschaftliche Problem Arbeitslosigkeit nicht einfach der Gesellschaft überlassen. Das ergibt sich bereits aus staats- und verfassungstheoretischen Überlegungen. Der soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes ist für seine Realisierung darauf angewiesen, dass er von den Bürgerinnen und Bürgern in der Verfassungswirklichkeit als realisiert erkannt und deshalb positiv bewertet und angenommen wird. Die Verfassung des sozialen Rechtsstaats entfaltet aber für die Menschen keine große Anziehungskraft, denen in ihrem täglichen Leben die tatsächlichen Voraussetzungen für den Gebrauch von Freiheit und den Erwerb von Eigentum fehlen. "Für den Arbeitslosen ist Berufsfreiheit nutzlos. ,,6 Die im Grundgesetz garantierte freie Wahl der Ausbildungsstätte bleibt eine theoretische Verheißung für Bewerberinnen und Bewerber, die eine Lehrstelle oder einen Ausbildungsplatz in den von ihnen gewünschten Berufen jedenfalls in ihrer Heimat nicht finden.? Vor allem die hohe Arbeitslosenzahl in Ostdeutschland trägt die nicht zu unterschätzende und nicht selten bereits realisierte Gefahr der Staatsverdrossenheit mit sich. Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit werden nur dann als erstrebens- und schützenswerte Errungenschaften angesehen, wenn die Möglichkeit der Selbstverwirklichung in Ausbildung und Beruf nicht nur auf dem Papier steht, sondern sich auch im Alltagsleben als real erweist. Der Staat gerät bei hoher Arbeitslosigkeit als Garant sozialer Sicherheit sowie von Freiheit und Eigentum in ein kaum lösbares Dilemma: Er sieht sich in der Verfassung begründeten, berechtigten Erwartungen seiner Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt, deren Erfüllung er aber nicht gewährleisten kann, weil die ihm als genuines Handlungsmittel zur Verfügung stehende Ausübung von Hoheitsgewalt für die Beeinflussung des Arbeitsmarktes wenig taugt. 8 In der Konsequenz ist er gezwungen, sich das Wohlverhalten der Teilnehmer des Arbeitsmarktes zu erkau6 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Aufl., 1999, Rdn. 214; ders., Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes (1962), in: Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 557 ff.; vgl. auch Tettinger; Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, AöR 108 (1983), 92 (127). 7 Zur freien Wahl der Ausbildungsstätte BVerfGE 33, 303 (329), hierzu grundlegend: Häberle, Das BVerfG im Leistungsstaat. Die Numerus-c1ausus-Entscheidung vom 18.7. 1972, DÖV 1972, 729 ff. Vgl. auch Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band I, 2. Aufl., 2004, Art. 12 Rdn. 64 ff.; Tettinger; Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, AöR 108 (1983), 92 (110 ff.). 8 Aus systemtheoretischer Sicht: Willke, Die Steuerungsfunktion des Staates aus systemtheoretischer Sicht, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 685 (707 ff.).

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fen, mit denen er in Bündnissen für Arbeit paktiert. 9 Er muss ihnen Konzessionen auf anderen Politikfeldern machen lO und gerät in Gefahr, die Unabhängigkeit zu verlieren, die er für die Verwirklichung des Gemeinwohls benötigt. 11 In diesem Beziehungsgeflecht verstärkt sich der Einfluss organisierter Interessen. 12 Arbeitslose bilden aber tendenziell keine besonders mächtige und einflussreiche gesellschaftliche Gruppe. Ihre Interessen können sie regelmäßig nicht selbst durchsetzen, zumal sie durch ihre Arbeitslosigkeit von der Teilnahme am Arbeitsmarkt faktisch ausgeschlossen sind. Sie fragen Arbeit nach, die auf dem Markt nicht angeboten wird. Sie sind darauf angewiesen, dass der Staat sich zur Verwirklichung des Gemeinwohls ihrer Interessen annimmt, indem er auf einen hohen Beschäftigungsstand hinwirkt. Dabei muss er einerseits den autonomen Akteuren des Arbeitsmarktes hinreichend Raum zur Entfaltung lassen. Er muss ihre Freiheit aber andererseits dort begrenzen, wo das im Interesse des von ihm zu definierenden Gemeinwohls und der sozialen Gerechtigkeit geboten ist. Die Verfassung schreibt ihm nicht vor, wie er diese schwierige Gradwanderung bewältigt. Aus ihr lassen sich nur wenig genaue Wegweisungen ableiten. Der richtige Weg muss auch soweit, wie es um rechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit geht, in demokratisch legitimierten politischen Entscheidungen gefunden werden.

IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen Die Verpflichtung für ein hohes Beschäftigungsniveau zu sorgen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ist dem Verfassungsrecht der Europäischen Union, des Bundes und der Länder gemeinsam. Mit dem Vertrag von Amsterdam ist der EG-Vertrag um einen neuen Titel VIII "Beschäftigung" ergänzt worden. 13 Er konkretisiert das im Unionsvertrag genannte Ziel, ein hohes Beschäftigungsniveau zu fördern. 14 9 Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders. (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 291 (297 ff.); begriffsprägend zum kooperativen Staat Ritter, Der kooperative Staat, AöR 104 (1979), 389 ff.; kritisch zum Korporatismus Bertholdl Hank, Bündnis für Arbeit: Korporatismus statt Wettbewerb, 1999, S. 26 ff. 10 Ähnl. Grimm, Verbände, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl., 1995, § 15, S. 662; ders., Verbände und Verfassung, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, 1994, S. 241 (248 ff.). 11 Vgl. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 1970, insb. S. 46 ff. und 243 ff.; Steinberg, Pluralismus und öffentliches Interesse als Problem der amerikanischen und deutschen Verbandslehre, AöR 96 (1971), 482 ff. m. w. N.; Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, 1963, insb. S. 60 ff. 12 Zu diesen spezifischen Gefahren des Korporatismus siehe bereits NarrlNaschold, Theorie der Demokratie, 1971, S. 204 ff., insb. 237. 13 Dazu Roth, in: Bergmann/Lenz (Hrsg.), Der Amsterdamer Vertrag, 1998, Kap. 3, Rdn. 31 ff.; Fischer, Der Amsterdamer Vertrag zur Revision des Vertrages über die Europäische Union, JA 1997, 818 (819 f.); Lecheier, Die Fortentwicklung des Rechts der Europäischen Union durch den Amsterdamer Vertrag, JuS 1998, 392 (396).

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Im Entwurf der Verfassung für Europa ist der Beschäftigung ebenfalls ein eigener Abschnitt gewidmet. Nach Artikel I1I-97 arbeiten die Union und die Mitgliedstaaten auf die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie 15 und insbesondere auf die Förderung der Qualifizierung, Ausbildung und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer sowie der Fähigkeit der Arbeitsmärkte hin, auf die Erfordernisse des wirtschaftlichen WandeIns zu reagieren. 16 Damit soll das Ziel einer in hohem Maße weubewerbsfähigen Sozialen Marktwirtschaft erreicht werden, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt. Die Förderung der Beschäftigung wird als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse bestimmt. Zugleich verpflichtet sich die Union, zu einem hohen Beschäftigungsniveau beizutragen, indem sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und deren Maßnahmen in diesem Bereich unterstützt und erforderlichenfalls ergänzt. Den Mitgliedstaaten kommt also weiterhin die Hauptverantwortung für die Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus zu. Die Union unterstützt nationale Maßnahmen und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Auch das Grundgesetz bringt zum Ausdruck, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Ziel staatlicher Maßnahmen einem Auftrag der Verfassung entspricht. Indem das Grundgesetz Deutschland als sozialen Rechtsstaat l7 konstituiert, verpflichtet es den Bund und die Länder auf den Schutz der sozial Schwachen l8 und damit vor allem der Millionen Arbeitslosen. Der Staat darf sich von Verfassungs wegen nicht damit zufrieden geben, die Arbeitslosen finanziell zu unterstützen. 19 Vielmehr muss er sich bemühen, die Zahl der Arbeitsplätze durch aktive Arbeitsmarktpolitik zu vermehren. Das ist Voraussetzung für die Realisierung sozialstaatlicher Freiheit. Sie setzt als Bedingung der eigenen Entfaltung die Anerkennung durch andere voraus. 20 Gesellschaftlicher Maßstab der Anerkennung ist in unserer stark ökonomisch bestimmten Gesellschaft ganz wesentlich die Ar14 Vgl. Art. 2 EUV; Berg / Karpenstein, Änderungen der rechtlichen Grundlagen der EU durch den Vertrag von Amsterdam, EWS 1998, 77 (80); Lecheier, Die Fortentwicklung des Rechts der Europäischen Union durch den Amsterdamer Vertrag, JuS 1998,392 (396); Roth, in: Bergmann/Lenz (Hrsg.), Der Amsterdamer Vertrag, 1998, Kap. 3, Rdn. 36. 15 Im einzelnen Roth, in: Bergmann/Lenz (Hrsg.), Der Amsterdamer Vertrag, 1998, Kap. 3, Rdn. 51; Berg / Karpenstein, Änderungen der rechtlichen Grundlagen der EU durch den Vertrag von Amsterdam, EWS 1998,77 (80). 16 Zum Ganzen: Europäischer Rat in Köln, Juni 1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzenden, in: Bull.EU 6-1999, Ziff. 1.50.7 ff. 17 Grundlegend zum Sozialstaatsprinzip Gräschner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2,1998, Art. 20 (Sozialstaat); Sachs, in Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl., 2003, Art. 20 Rdn. 46 ff. 18 BVerfGE 5,85 (198); 40, 121 (133); 43, 13 (19), st. Rspr. 19 Zur materiellen Grundsicherung: BVerfGE I 97 (104 ff.); 82, 60 (85). Zur Problematik einer rein materiellen Unterstützung durch den Staat Gräschner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2, 1998, Art. 20, Rdn. 26; Neumann, Menschenwürde und Existenzminimum, NVwZ 1995,426 (428 ff.). 20 Gräschner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2,1998, Art. 20, Rdn. 27; ähnl. BVerfGE 100,271 (282 ff.).

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beit. 21 Wer nicht arbeitet, ist in seiner Anerkennung als selbstbestimmungsfähiges Subjekt nachhaltig gefährdet. Die Verfassung gibt dem Staat aber keinen konkreten Weg vor, auf dem er der Arbeitslosigkeit entgegenwirken muss. 22 Hier eröffnet sie vielmehr zu Recht einen weiten Raum politischer Gestaltung?3 Über den Erfolg oder den Misserfolg staatlicher Beschäftigungspolitik entscheiden die Wähler, nicht die Gerichte. Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet auch nicht notwendig zu Interventionen in den Arbeitsmarkt. 24 Vielmehr lässt es auch eine Politik der Deregulierung zu, die auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertraut. Umgekehrt steht es dem Gesetzgeber frei, den sozialstaatlichen Auftrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch andere als marktwirtschaftliche Instrumente zu erfüllen, wenn er eine derartige Politik für erfolgversprechend hält. Er hat sich auch insoweit nicht vor dem Bundesverfassungsgericht zu rechtfertigen, sondern vor den Wählerinnen und Wählern. Bekräftigt wird die sozialstaatliche Verpflichtung zur Beschäftigungsförderung durch die verfassungsrechtliche Bindung von Bund, Ländern und Kommunen an das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. 25 Ein hoher Beschäftigungsstand ist einer seiner vier Faktoren. Die schon lange anhaltende hohe Arbeitslosigkeit stellt eine nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts dar?6 Von einem hohen Beschäftigungsstand kann schon seit bald dreißig Jahren nicht mehr die Rede sein. Auch mit der Verpflichtung auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gibt das Grundgesetz dem Staat aber nur einen Rahmen für sein Handeln vor, aus dem sich kein Gebot ableiten lässt, bestimmte Einzelrnaßnahmen zu ergreifen. 27 Ausdrücklich auf die Beschäftigungsförderung und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bezogen sind die Landesverfassungen?S Sie gewährleisten zum Teil 21 Zu den verschiedenen Statusdimensionen des Berufs Fürstenberg, Normative Aspekte moderner Berufswirklichkeit, in: Ryffell Schwartländer (Hrsg.), Das Recht des Menschen auf Arbeit, 1983, S. 54 ff.; Schwartländer; Das Recht auf Arbeit-Leitidee der modernen Gesellschaft, S. 238 ff., 244, 253; Schneider; Freiheit des Berufs-Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), 1 (13). 22 BVerfGE 22, 180 (204); Gröschner; in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2, 1998, Art. 20, Rdn. 31. 23 Zum weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers: BVerfGE 10,354 (371); 59, 231 (263); 82, 60 (81). 24 Zu den verschiedenen Formen wirtschaftlicher Interventionen durch den Staat Scheuner; Die staatliche Intervention im Bereich der Wirtschaft, VVDStRL 11 (1954), S. 26 ff.; Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, JuS 1976,205 (206 f.). 25 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 11, 1980, § 45 IV 2, 3. 26 Vgl. dazu auch Frotscher; Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1994, S. 73. 27 Vgl. BVerfGE 79, 338. 28 Tettinger; in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl., 2003, Art. 12 Rdn. 13; dazu auch Scholz, Arbeitsverfassung, Grundgesetzreform und Landesverfassungsrecht, RdA 1993,249,254 f.

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ein Recht auf Arbeit29 , zum Teil verpflichten sie die Länder auch, darauf hinzuwirken, "dass sinnvolle und dauerhafte Arbeit für alle geschaffen und die Selbstentfaltung des Einzelnen gefördert,,30 wird. Vor allem die ostdeutschen Verfassungen, die bereits unter dem Eindruck einer hohen Arbeitslosigkeit entstanden sind 31 , heben nachdrücklich und ausführlich die Verantwortung und die Handlungspflichten des Staates hervor. Wie das Grundgesetz überlassen sie jedoch das "Wie" der Umsetzung dem demokratisch legitimierten politischen Prozess. 32 Als Schranke der staatlichen Kompetenzen in der Beschäftigungsförderung statuiert Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, solchen Vereinigungen beizutreten, ihnen fern zu bleiben oder sie zu verlassen. 33 Geschützt sind darüber hinaus auch die Koalitionen selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. 34 Im Zentrum des Schutzes steht die Tarifautonomie. 35 Ihr wesentlicher Zweck ist das Aushandeln von Tarifverträgen. 36 Das Bundesverfassungsgericht hat stets betont, dass sich der Staat im Bereich der Tarifautonomie grundsätzlich einer Einflussnahme enthält und die erforderlichen Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum großen Teil den Koalitionen überlässt, die sie autonom durch Vereinbarung treffen?7 Vom 29 Art. 166 Abs. 2 BayVerf; Art. 18 S. I BeriVerf; Art. 48 Abs. 1 BrandenbVerf; Art. 28 Abs. 2 HessVerf; Art. 24 Abs. I S. 3 Nordrhein-WestfVerf; Art. 53 Abs. 2 Rheinl-PfälzVerf; Art. 45 S. 2 SaarlVerf; Art. 7 Abs. I SächsVerf; Verfassungsgeschichtlich und rechtsvergleichend zur verfassungsrechtlichen Verbürgung eines "Rechts auf Arbeit" Sommermann, Staatszielbestimmungen zur Förderung von Arbeitnehmerinteressen, in: Grupp / Weth (Hrsg.), Arbeitnehmerinteressen und Verfassung, 1998, S. 95 ff. 30 Art. 39 Abs. 2 Sachs-AnhVerf; In inhaltlich vergleichbarer Form findet sich diese Formulierung auch in den Verfassungen von Bremen (Art. 49 S. 2), Mecklenburg-Vorpommem (Art. 17 Abs. 1) und Thüringen (Art. 36). 31 Feddersen, Die Verfassungsgebung in den neuen Ländern, DÖV 1992, 989 (997); Diercks, Soziale Grundrechte der neuen Landesverfassungen, LKV 1996, 231 (232). 32 Kutscha, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen in den neuen Landesverfassungen, ZRP 1993,339 (341). 33 BVerfGE 19,303 (312); 84, 212 (224); 93, 352 (357); 94, 268 (283). 34 BVerfGE 4,96 (101 f.); 17,319 (333); 84, 212 (224); 88, 103 (114); 93, 352 (357); 94, 268 (283). Aus dem zahlreichen Schrifttum Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Nachdruck der 20. Aufl., 1999, Rdn. 415; Höfling in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl., 2003, Art. 9 Rdn. 66; lahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, 1984, S. 29; Scholz in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 9 Rdn. 170,255. 35 BVerfGE 18, 18 (28); 44, 322 (341); 58, 233 (248); Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1969, S. 361; lahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, 1984, S. 29 f.; Reinemann/Schulz-Henze, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Koalitionsfreiheit-Widerspruch zum klassischen Grundrechtsverständnis oder richtungsweisende Trendwende?, JA 1995, 811 (812). 36 BVerfGE 84, 212 (224); 94, 268 (283) m. w. N. 37 BVerfGE 94, 268 (282); so auch schon BVerfGE 44, 322 (340).

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Grundgesetz gewährleistet ist damit ein Freiraum für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die sich nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben eigenverantwortlich über die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einigen müssen. Der Grundrechtsschutz ist besonders intensiv, wenn eine Materie aus Sachgründen am besten von den Tarifvertragsparteien geregelt werden kann, weil sie nach den Vorstellungen des Verfassungsgebers die gegenseitigen Interessen angemessener zum Ausgleich bringen als der Staat. 38 Andererseits hindert Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz den Staat nicht generell an Regelungen in dem von der Tarifautonomie geschützten Bereich. Der Gesetzgeber darf grundsätzlich auch das regeln, was Gegenstand von Tarifverträgen sein kann, soweit seine Regelung dem Schutz von Gemeinwohlbelangen dient, denen gleichermaßen wie der Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlicher Rang zukommt. 39 Verfassungsrechtlichen Rang in diesem Sinne genießt auch das Bemühen, den Arbeitslosen durch die Verschaffung von Arbeit zu helfen, die eigene Persönlichkeit zu entfalten und darüber Achtung und Selbstachtung zu erfahren. 40 Im Ergebnis begründet die Koalitionsfreiheit ein System regulierter Selbstregulierung. Hier wie auch an anderer Stelle entbindet die Selbstregulierung den Staat nicht von seiner Verantwortung, sondern weist ihm an Stelle einer Leistungs- eine Gewährleistungsverantwortung zu. Er kann sich auf eine Beobachtung des Arbeitsmarktes aus einer gewissen Distanz beschränken, solange er die Beschäftigungsförderung bei den Koalitionspartnern gut aufgehoben sieht. Er muss aber für die Interessen der Arbeitslosen eintreten, falls die Tarifpartner den Schutz der Arbeitslosen nicht hinreichend verwirklichen sollten. 41 In diesem Sinne spricht das Bundesverfassungsgericht von einer "Normsetzungsprärogative" der Koalitionen. 42 Gewerkschaften und Arbeitsgeberverbände sind nach dem Konzept des Grundgesetzes als Träger der Tarifautonomie zur Verwirklichung des Gemeinwohls unverzichtbar. Der Arbeitsmarkt ist gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit durch ein strukturelles Machtgefälle geprägt. Fast alle Arbeitnehmer sind existenziell davon abhängig, dass sie Abnehmer für ihre Arbeitskraft finden. Bei Arbeitslosigkeit steigt das Angebot an Arbeit, so dass die von den Arbeitnehmern erzielbaren Preise fallen. Die rechtliche Vertragsfreiheit findet unter diesen Umständen auf dem Arbeitsmarkt kein reales Substrat. In dieser Situation ermöglicht es die Koalitionsfreiheit den Arbeitnehmern, ihre Verhandlungspositionen zu verbessern. Auch wer BVerfGE 94, 268 (284 f.); 100, 271 (282 ff.). St. Rspr.; vgl. etwa BVerfGE 28, 243 (260 ff.); 57, 70 (98 f.); 84, 212 (224); 94, 268 (284); 100,271 (282 ff.). 40 BVerfGE 100, 271 (282 ff.). Grundsätzlich zu diesem Aspekt Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, 1976, S. 78 ff. 41 Vgl. dazu BVerfGE 50, 57 (108). 42 BVerfGE 44,322 (341, 347); 94, 268 (284); Scholz in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 9 Rdn. 269 ff.; ders., Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 167 f. 38

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mehr Markt im Arbeitsrecht fordert 43 , ist an die Grundentscheidung der Verfassung für die von der Koalitionsfreiheit intendierte kollektive Ordnung des Arbeitslebens gebunden. 44 Es ist Ökonomen von der Verfassung selbstverständlich nicht verwehrt, in den Koalitionen Kartelle zu sehen, deren Beseitigung sie für erforderlich halten, um der Privatautonomie im Arbeitsrecht zum Durchbruch zu verhelfen und so die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. 45 Es darf auch niemand daran gehindert werden, als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber auf sich allein gestellt den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt zu suchen. Das Grundgesetz bekennt sich in Art. 9 Abs. 3 aber "zu dem freiheitlichen Verfahren nicht nur individualer, sondern auch kollektiver Privatautonomie".46 Der Staat ist also nicht nur politisch gut beraten, sondern auch von der Verfassung darauf verpflichtet, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften die Möglichkeit zu geben, im Rahmen ihrer Tarifpolitik auf eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und eine Förderung der Beschäftigung hinzuwirken. Umgekehrt verpflichtet das Grundgesetz die Tarifpartner, bei ihren Regelungen diese Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Das Konzept der Verfassung ist eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit und nicht gegen die Koalitionen. Dieses Konzept basiert auf einer langen arbeitsverfassungsrechtlichen Tradition, mit der Deutschland in den letzten 100 Jahren keine schlechten Erfahrungen gemacht hat. Mir erscheint es zumindest sehr zweifelhaft, ob eine Reform des Tarifvertragsrechts in Form einer Erweiterung des Günstigkeitsprinzips um die Arbeitsplatzsicherheit die grundgesetzlich gewährleistete Tarifautonomie hinreichend achtet. Verlagert man die Zuständigkeit für die Aushandlung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen von den Koalitionen weg in die Betriebe, untergräbt man das Kräftegleichgewicht zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Unabhängig von der Verfassungsrechtslage scheint es mir aber auch ein Gebot politischer Klugheit zu sein, dass der Staat die Beschäftigungsförderung mit den Koalitionspartnern und nicht gegen die Koalitionspartner durchzusetzen versucht. Diese sind durch ihre Mitgliederstruktur legitimiert, und der Staat ist gut beraten, in das System regulierter Selbstregulierung nur in den Fällen einzugreifen, in dem die von der Verfassung vorgegebenen Gemeinwohlziele offenkundig verfehlt werden. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass sich die konkrete Arbeitsmarktpolitik des Staates nicht aus der Verfassung ableiten lässt, muss sie doch der im Sozialstaatsprinzip, der Verpflichtung auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht und 43 WEngels u. a., Mehr Markt im Arbeitsrecht, Schriftenreihe des Frankfurter Instituts für wirtschaftspolitische Forschung e.v., Band 10, 1986, S. 16 ff. 44 Badura, Das Recht der Koalitionen-Verfassungsrechtliche Fragestellungen, in: C. Müller (Hrsg.), Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Band 15, 1987, S. 17 (19); Schatz, in: Maunz! Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 9 Rdn. 164. 45 Carl Christian v. Weizsäcker, Deregulierung und Privatisierung als Ziel und Instrument der Ordnungspolitik, in: Vogel (Hrsg.), Deregulierung und Privatisierung, 1988, S. 11 ff.; vgl. auch Adameit, § 116 AFG und der Fernstreik, NJW 1987, 33 ff. 46 Schatz, in: Maunz ! Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 9 Rdn. 165.

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in der grundrechtlichen Schutzpflicht begründeten Verantwortung für die Beschäftigungsförderung gerecht werden. Dieser Verantwortung entspricht ein Bemühen des Staates, die Rechtsordnung beschäftigungsfreundlich zu gestalten. Insbesondere der Gesetzgeber muss prüfen, welche Folgen beschäftigungsrelevante Rechtsnormen für den Arbeitsmarkt haben. Nur so kann er seiner Verantwortung für einen hohen Beschäftigungsstand gerecht werden, auf den er in einer Marktwirtschaft nur indirekt Einfluss nehmen kann. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist ganz wesentlich in der Zeit der Vollbeschäftigung gestaltet worden. Arbeitslosigkeit war in dem Vierteljahrhundert nach 1949 kein Problem, das die Politik intensiv beschäftigt hätte. Dementsprechend müssen die verschiedenen Rechtsbereiche immer wieder darauf überprüft werden, ob sie im Sinne einer Bekämpfung der Arbeitslosigkeit reformiert werden können und sollen.

v. Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland An vorderster Stelle steht insoweit das Problem der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland. Hier liegt die Arbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Rechnet man die sogenannte Stille Reserve der nicht gemeldeten "entmutigten" Arbeitslosen hinzu und berücksichtigt man, wie viele Menschen aus diversen anderen Gründen nicht in der offiziellen Arbeitslosenstatistik erscheinen, ist in nicht wenigen Gebieten Ostdeutschlands bei realistischer Schätzung von einer faktischen Arbeitslosenquote von über 30 Prozent auszugehen. 47 Nur die finanziellen Folgen der katastrophalen Lage des Arbeitsmarktes werden - im Wesentlichen durch Transfers aus dem Westen - abgemildert. Die eigentlichen Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit vermögen Finanzleistungen für sich genommen nicht zu beseitigen. Das haben die letzten 14 Jahre gezeigt. In dieser Zeit sind über 1.250 Milliarden Euro in den Aufbau Ost geflossen. Über 53 Milliarden Euro sind seit der Wiedervereinigung der Infrastruktur Ostdeutschlands zugute gekommen. 48 Mit ihnen sind Autobahnen, andere Straßen, Bahnstrecken und Wasserstraßen, aber auch weit überdimensionierte Regionalflughäfen wie etwa in Leipzig / Halle gebaut worden. Mit Investitionszuschüssen von mehr als 30 Milliarden Euro sind zum Teil durchaus Dauerarbeitsplätze gesichert worden, zu einem erheblichen Teil sind aber auch ungeachtet dieser finanziellen Unterstützung Arbeitsplätze verloren gegangen. 49 Steuererleichterungen für Investitionen wurden in Höhe von 20 Milliarden Euro gewährt. Sie haben in manchen Fällen durchaus die Schaffung von Arbeitsplätzen - etwa in der Automobilindustrie oder in Chipfabri47 So hat Halle in Sachsen-Anhalt nach Berechnungen des Statistischen Amtes der EU mit 27 Prozent die höchste Arbeitslosigkeit Europas, vgl. Bericht "Tabuzone Ost" in: Spiegel Nr. 15/2004 vom 05. 04. 2004, S. 34. 48 Vgl. Bericht "Tabuzone Ost" in: Spiegel Nr. 15/2004 vom 05. 04. 2004, S. 27. 49 Vgl. Bericht "Tabuzone Ost" in: Spiegel Nr. 15/2004 vom 05. 04. 2004, S. 29.

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ken in Sachsen - gefördert. In vielen Fällen beschränkt ihre Wirkung sich jedoch auf Mitnahmeeffekte. 50 Die dreistellige Milliardensumme an Fördergeldern hat jedenfalls nicht verhindern können, dass die Bevölkerungszahl in Ostdeutschland mit Berlin von 18,1 Millionen Menschen 1991 auf 17 Millionen Menschen gesunken ist, während gleichzeitig die Bevölkerung in Westdeutschland von 61,9 Millionen Menschen auf 65,6 Millionen Menschen gewachsen iSt. 51 Die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommende Wanderungsbewegung bringt das strukturelle Problem des inneren Einigungsprozesses zum Ausdruck: Jüngere und leistungsfähigere Menschen sehen in Ostdeutschland keine Chance mehr und siedeln nach Westdeutschland über. Zurück bleiben vielerorts vor allem ältere Menschen, Kranke und sozial Schwache. Die Wanderungsbewegung hat eine Spirale in Gang gesetzt: Weil kaufkräftigere Bevölkerungsschichten Ostdeutschland verlassen haben, sinkt die Nachfrage, es wird nicht investiert und folglich entstehen auch keine Arbeitsplätze. 52 Diese Entwicklung wird sich durch die Osterweiterung der Europäischen Union verstärken. Nunmehr sinken auch die verbleibenden ökonomischen Anreize - etwa in Gestalt niedrigerer Löhne -, Arbeitsplätze in Ostdeutschland zu schaffen. Jenseits der deutschen Grenzen ist das Lohnniveau nicht nur deutlich niedriger als in Ostdeutschland, sondern die meisten Beitrittsländer schaffen auch mit niedrigen Steuersätzen vor allem bei der Unternehmensbesteuerung große Anreize für Unternehmen aus Westdeutschland und Westeuropa, ihre Produktion in die neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auszugliedern. 53 Die niedrigen Steuersätze sind für die Beitrittsländer möglich, weil das Niveau ihrer sozialstaatlichen Leistungen wesentlich niedriger liegt als in Deutschland und deshalb erheblich geringere Kosten verursacht. 54 Wichtige Infrastrukturvorhaben werden zudem in Zukunft von der Europäischen Union finanziert werden. Von den 56 Regionen die am I. Mai 2004 in die Europäische Union aufgenommen worden sind, sind 52 Regionen Ziel-Eins-Gebiete. 55 Auf diese Gebiete, in denen das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf unter 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts liegt, konzentriert die Vgl. Bericht "Tabuzone Ost" in: Spiegel Nr. 15/2004 vom 05. 04. 2004, S. 29. Vgl. Bericht "Tabuzone Ost" in: Spiegel Nr. 15/2004 vom 05.04.2004, S. 32. 52 Vgl. insgesamt hierzu Bericht "Tabuzone Ost" in: Spiegel Nr. 15/2004 vom 05. 04. 2004, S. 24 ff. 53 Grundlegend zum Steuerwettbewerb in der EU: Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., 2002, S. 284 ff.; Wieland, Steuerwettbewerb in Europa, EuR 2001, S. 119 ff.; Wacker, Europäischer Steuerwettbewerb im Kontext aktueller Steuerreformen, DSWR 2001, S. 199 ff.; Selling, Deutschland im Steuerwettbewerb der Staaten, IStR 2000, S. 579 ff.; Döm, Steuerwettbewerb, BuW 1999, S. 613 ff.; Voß, Die Grenzen des Steuerwettbewerbs in der EU, ZEuS 1999, S. 335 ff. 54 Vgl. Bericht "EU-Osterweiterung, Der Steuerwettbewerb ist schon in vollem Gang" in der FAZ vom 01. 04. 2004; "Neue Ära in Europas Steuerwettbewerb" im Handelsblatt Nr. 76/2004 vom 20. 04. 2004. 55 Vgl. Pressernitteilung der Europäischen Kommission, Reference: STAT / 03 / 10 vom 30.01. 2003. 50

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Union ihre Förderung. Von den 108 Millionen Einwohnern der mitte1- und osteuropäischen Länder leben über 98 Millionen in Ziel-Eins-Förderungsgebieten. Während Fläche und Bevölkerungszahl der Union am 1. Mai 2004 um ein Drittel zugenommen haben, hat sich das Bruttoinlandsprodukt lediglich um 5 Prozent erhöht. 56 Nur in Prag, Bratislava, Budapest und Zypern ist das Bruttoinlandsprodukt für eine Ziel-Eins-Förderung zu hoch. 57 Gleichzeitig ist der Gemeinschaftsdurchschnitt des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf durch den Beitritt so weit gesunken, dass die ostdeutschen Gebiete tendenziell aus der Förderung der Union herausfallen werden. Deutschland muss aber nicht nur die sich daraus ergebenen Verluste verkraften, sondern trägt als größter Nettozahler der Union mit schon jetzt über 11 Milliarden Euro pro Jahr58 zum Unionshaushalt und damit zu der Strukturförderung bei. Die Bundesrepublik finanziert also indirekt den Steuerwettbewerb wesentlich mit, der ein Wegbrechen der eigenen Steuersubstanz zur Folge hat. Die von Bundeskanzler Schröder und dem Bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber geforderte Festlegung von Mindeststeuersätzen in der Union 59 wird sich wegen des Einstimmigkeitsprinzips in der Steuerharmonisierung zumindest mittelfristig nicht realisieren lassen. Eine Harmonisierung der direkten Steuern in Europa hätte vor der Osterweiterung in Angriff genommen werden müssen, jetzt wird sie sich auf absehbare Zeit nicht durchsetzen lassen, obwohl ein einheitlicher Binnenmarkt auf eine Harmonisierung zumindest der Unternehmensbesteuerung drängt. Diese Perspektiven lassen es ebenso wie die beschriebenen volkswirtschaftlichen Mechanismen als unabweisbar erscheinen, die im Solidarpakt 2 für die Zeit bis 2019 festgelegten Mittel des Bundes zur Förderung Ostdeutschlands nicht, wie das gegenwärtig vielerorts geschieht, zur Linderung der Folgen der desolaten Wirtschaftssituation in Ostdeutschland einzusetzen, sondern zur Bekämpfung ihrer Ursachen. Das Finanzausgleichsgesetz gibt bislang nur vor, dass die Solidarpaktmittel für den Abbau teilungsbedingter Sonderlasten und den Ausgleich der unterproportionalen kommunalen Steuerkraft zu verwenden sind. Daran halten sich keineswegs alle ostdeutschen Länder. Vielmehr sehen sie sich durch die desolate Situation ihrer öffentlichen Finanzen gezwungen, sie zur Deckung von Haushaltslücken einzusetzen. Dem Sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt ist deshalb nachdrücklich zuzustimmen, wenn er jährliche neutrale Erfolgskontrollen fordert, dass die Solidarpaktmittel tatsächlich zur Förderung von Investitionen und damit 56 V gl. den Dritten Bericht der Europäischen Kommission über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt vom 18.2.2004, veröffentlicht unter dem Titel: Eine neue Partnerschaft für die Kohäsion, 2004, S. 138 ff.; siehe auch Wieland, Die Finanzordnung der Europäischen Union nach der Osterweiterung, 1Z 2004, 774 (777). 57 Pressemitteilung der Europäischen Kommission, Reference: STAT 103/1 0 vom 30. 1. 2003; vgl. auch lohn Bachtier; Die Neuordnung der Union, in: inforegio/Panorama Nr. 131 2004 vom 13.4.04, S. 7. 58 Vgl. BMF, Bundeshaushalt 2005, Tabellen und Übersichten, September 2004, Tabelle 12, S. 27; vgl. dazu auch Wieland, Die Finanzordnung der Europäischen Union nach der Osterweiterung, 1Z 2004, 774 (776). 59 V gl. Bericht "Angst vor den EU-Zwergen" in: Die Welt vom 20. 04. 2004.

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von Arbeitsplätzen eingesetzt werden. 6o Den ostdeutschen Ländern darf nicht die Eigenverantwortung in der Verwendung der Solidarpaktmittel genommen werden, sie müssen aber gesetzlich zu einer Evaluierung ihrer Bemühungen verpflichtet werden.

VI. Ausbildungsstellenmarkt Neben der hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist die Misere auf dem Ausbildungsstellenmarkt ein weiteres Problemfeld. Das duale System der Ausbildung in Deutschland wird allgemein als großer Standortvorteil betrachtet. Es ist statistisch erwiesen, dass das Risiko der Arbeitslosigkeit mit der zunehmenden Qualität der Ausbildung sinkt. Ein hoher Ausbildungsstandard ist ein Standortvorteil Deutschlands, der gerade nach der Osterweiterung gesichert werden muss, um die neuen Herausforderungen zu bestehen. Für den Staat stellt sich insoweit das Problem, dass über die Schaffung von Lehrstellen die Unternehmen entscheiden. Er ist folglich darauf beschränkt, das Angebot an Ausbildungsplätzen durch positive und negative Anreize zu beeinflussen. Die am 7. Mai 2004 im Bundestag verabschiedete Ausbildungsplatzabgabe 61 zielt darauf, die Ausbildungsverantwortung der Unternehmen durchzusetzen. Auch hier stellt sich die Frage, ob nicht der vorgeschlagene Ausbildungspakt ein wirksameres Instrument darstellt. Auch er könnte als System regulierter Selbstregulierung ausgestaltet werden. Der Staat könnte im Zusammenwirken mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften seiner Gewährleistungsverantwortung für den Ausbildungsstellenmarkt gerecht werden. Man kann also gewiss darüber streiten, ob die Regierungsmehrheit mit der Ausbildungsplatzabgabe das richtige Instrument gewählt hat. Dass aber angesichts der anhaltenden Negativentwicklung auf dem Ausbildungsstellenmarkt ein staatliches Handeln geboten ist, wird man kaum bestreiten können. Der Staat kann seiner aus der Verfassung folgenden Verantwortung für den Ausbildungsstellenmarkt nicht durch bloßes Zuschauen gerecht werden.

VII. Steuerrechtliche Instrumente Auch das Steuerrecht bietet vielfältige Ansätze für eine beschäftigungsfreundlichere Ausgestaltung. Ich kann hier nur zwei Problemfelder exemplarisch herausgreifen: Die steuerliche Absetzbarkeit von Aus- und Fortbildungskosten und die Reduzierung von Schwarzarbeit durch steuerliche Maßnahmen. Der Bundesfinanzhof hat seit Dezember 2002 in einer ganzen Reihe von Entscheidungen seine FAZ vom 08.05. 2004, S. 14. Plenarprotokoll unter: http://www.bundestag.de/bic / plenarprotokolle / pp / 109/ index, recherchiert am 14.06.2004. 60 61

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Rechtsprechung zur steuerlichen Berücksichtigung der Aufwendungen für die berufliche Bildung grundlegend geändert. 62 Diese Aufwendungen sind über viele Jahrzehnten hinweg nur in sehr engen Grenzen als Sonderausgaben steuerlich berücksichtigungsfähig gewesen. 63 Einkommensteuerrechtlich sind Bildungsaufwendungen seit einem Urteil des Reichsfinanzhofs aus dem Jahre 193764 den Kosten der privaten Lebensführung zugerechnet worden, die steuerlich nicht absetzbar sind. Seit Ende 2002 hat der Bundesfinanzhof auch steuerrechtlich die in der Lebenswirklichkeit längst vollzogene Abkehr von dem Konzept einer einmaligen Berufsausbildung für ein ganzes Arbeitsleben anerkannt. Während in der Zeit der Vollbeschäftigung eine in der Jugend erworbene gute Ausbildung vor Arbeitslosigkeit schützte, gewinnt in Zeiten der Arbeitslosigkeit die Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf wesentliche Bedeutung. 65 Für den Reichsfinanzhof war es 1937 selbstverständlich, dass der ursprünglich erlernte Beruf das gesamte Berufsleben lang auszuüben war. Die heutige Arbeitsmarktsituation erfordert es aber immer häufiger, umzulernen und die erforderlichen Kenntnisse für eine völlig anders geartete Berufstätigkeit zu erwerben. Dem hat der Bundesfinanzhof zunächst dadurch Rechnung getragen, dass er nunmehr Aufwendungen als Werbungskosten anerkennt, die für Umschulungsmaßnahmen zur Erzielung von Einkünften getätigt werden. 66 Wenig später hat der Bundesfinanzhof in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung auch Aufwendungen für ein berufsbegleitendes Erststudium als mögliche Werbungskosten oder Betriebsausgaben anerkannt und einen Bezug zur privaten Lebensführung verneint. 67 Mittlerweile ist auch ein Abzug von Werbungskosten möglich, wenn Arbeitnehmer sich in einem nicht ausgeübten Beruf weiterbilden. 68 Noch einen Schritt weiter ist der VI. Senat der Bundesfinanzhofs im Mai 2003 gegangen, als er auch Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung als Werbungskosten anerkannt hat. 69 Damit ist die tradierte Unterscheidung von Fortbildungs- und Ausbildungskosten aufgegeben worden. Das wird zunächst für den Staatshaushalt negative Konsequenzen haben. Die Mittel aus öffentlichen Kassen 62 Vgl. u. a. BFH vom 04.12.2002, BStBI. 11 2003, S. 403; BFH vom 17.12.2002, BStBI. 11 2003, S. 407; BFH vom 17. 12.2002, BFH/NV 2003, S. 476; BFH vom 13.02. 2003, BFH/NV 2003, S. 982; BFH vom 27.05.2003, BFH/NV 2003, S. 1320; BFH vom 27.05.2003, BFH/NV 2003, S. 1411. 63 Vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. 64 RStBI. 1937, S. 1089. 65 BFH vom 4. 12. 2002, BStBI. 11 2003, S. 403. 66 BFH vom 4.12.2002, BStBI. 11 2003, S. 403; BFH vom 17. 12.2002, BFH/NV 2003, S.476. 67 BFH vom 17. 12.2002, BStBl. 11 2003, S. 407; BFH vom 28. 01. 2003, BFH/NV 2003, S. 620; BFH vom 27. 05. 2003, BFH/NV 2003, S. 1320. 68 BFH vom 22. 07. 2003, BFH/NV 2003, S. 1381. 69 BFH vom 27. 05. 2003, BFH/NV 2003, S. 1119.

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dürften jedoch zielführender verwendet sein als manche steuerlichen Investitionsförderungen. Die begünstigten Steuerpflichtigen sind nämlich durch ihre Ausbildung wesentlich besser vor Arbeitslosigkeit geschützt. Das sollte der Steuergesetzgeber bei der gegenwärtig im Parlament beratenen einkommensteuerrechtlichen Neuordnung der Behandlung der Aufwendungen von Steuerpflichtigen für ihre Ausbildung berücksichtigen. Es erscheint sachgerecht, dass jedenfalls Aufwendungen für Bildungsrnaßnahmen, die nach der ersten Berufsausbildung oder nach einem Erststudium stattfinden, zum Abzug als Betriebsausgaben oder Werbungskosten zugelassen werden sollen. Ein weiteres Feld für die beschäftigungsfreundliche Ausgestaltung des Steuerrechts bilden die haushaltsnahen Dienstleistungen. Für Aufwendungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen erhält der Auftraggeber seit neue stern eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 vom 100 der Kosten, die allerdings auf höchstens 600 Euro jährlich begrenzt ist (§ 35a Abs. 2 EStG). Begünstigt sind Tätigkeiten, die "gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen".7o Hierzu gehören zum Beispiel auch die Leistungen von selbstständigen Putzhilfen, Gärtnern oder Fensterputzern, weiter Schönheitsreparaturen und Ausbesserungsarbeiten, etwa von Malern. Begünstigt sind auch Reinigungs- und pflegedienste oder die Betreuung von Kindern im Haushalt des Auftraggebers, soweit entsprechende Aufwendungen nicht bereits als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt worden sind. 71 Gerade im Bereich der Haushaltshilfe und der Kinderbetreuung hat sich in Deutschland ein kaum zu übersehender Schwarzmarkt entwickelt. Hier wäre der Gesetzgeber gut beraten, wenn er weniger auf Repression als auf steuerliche Anreize zur Rückführung dieser Beschäftigungsverhältnisse in die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Legalität setzte. Einen Ansatz bieten insoweit etwa die Regelungen über Minijobs. Da ein weitreichendes Amnestieangebot für die Hinterziehung von Kapitalerträgen möglich war, sollte der Steuergesetzgeber auch insoweit in der Lage sein, über seinen eigenen Schatten zu springen.

VIII. Ausblick Die aufgezeigten Beispiele müssen notwendig punktuell bleiben. Sie sollten aber verdeutlichen, dass der Staat in einer sozialen Marktwirtschaft zwar nur sehr begrenzt selbst als Akteur am Arbeitsmarkt auftreten und so die Nachfrage nach Arbeitskräften beeinflussen kann. Es ist aber durchaus in der Lage, durch eine beschäftigungsfreundliche Ausgestaltung der Rechtsordnung - sei es des Arbeitsrechts, sei es des Steuerrechts - seiner sowohl staatstheoretisch als auch verfassungsrechtlich begründeten Verantwortung für eine Förderung der Beschäftigung 70 71

BMF-Schreiben vom 14.08. 2003, BStBI. I 2003, S. 408, Rz. 4 ff. Vgl. Glanegger; in: Schrnidt (Hrsg.), EStG, 23. Aufl., 2004, § 35a, Rdn. 5 und 12.

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und eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gerecht zu werden. Europarecht und Verfassungsrecht weisen insoweit in die gleiche Richtung. Generell gilt, dass eine regulierte Selbstregulierung, verbunden mit finanziellen Anreizen, in einem sozialen Rechtsstaat das Mittel der Wahl sind, mit dem der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung für den Arbeitsmarkt gerecht werden kann und soll. Über konkrete Ausgestaltungen werden Politiker, Verbandsvertreter, Volkswirte und Juristen stets streiten. Dieser Streit ist in einer parlamentarischen Demokratie nicht nur legitim, sondern für die politische Willensbildung und die Rechtsetzung notwendige Voraussetzung. Die Vorgaben des Europarechts und des deutschen Verfassungsrechts können und sollen ihn nicht ersetzen. Sie weisen aber eine Richtung und setzen einen Rahmen für das gebotene Bemühen um eine Eindämmung von Arbeitslosigkeit auch durch rechtliche Maßnahmen.

Wege aus der Arbeitslosigkeit? Von Burkhard Schwenker

I. Die Faktenlage 1. Der Status quo Noch im Frühling 2004 war aus den Prognosen der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute gedämpfter Optimismus herauszulesen: Sie sagten bei der Zahl der Erwerbstätigen für das zweite Halbjahr eine leichte Aufwärtstendenz voraus. Sogar einen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen unter die 4-MillionenMarke hielt Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement für möglich. Dann aber folgte die Ernüchterung: Anfang August 2004 meldete die Bundesagentur für Arbeit (BA) 4.346.581 registrierte Arbeitslose, die Quote lag damit bei 10,5 %. Keine Wende auf dem Arbeitsmarkt in Sicht, so die klare Botschaft dieser Zahlen. Dabei wäre dies angesichts der dramatischen Situation auf dem Arbeitsmarkt und deren wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Konsequenzen dringend erforderlich. Der Blick auf die Statistik in Abbildung 1 zeigt, dass Deutschland bei der Arbeitslosigkeit schlechter abschneidet als die meisten anderen Industrienationen. Dies ist ein Hinweis dafür, dass die hohe Arbeitslosigkeit am Standort Deutschland nicht in erster Linie auf exogene Faktoren der Weltwirtschaft zurückzuführen ist, sondern zu einem beträchtlichen Teil "hausgemachte" Ursachen hat. Einige gravierende Symptome, die die kritische Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt illustrieren, seien an dieser Stelle herausgegriffen: der hohe Anteil der Langzeitarbeitslosen, das wachsende Niveau der Sockelarbeitslosigkeit, das schrumpfende Erwerbspersonenpotenzial sowie der Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitarbeitsplätze. Der Anteil der Erwerbspersonen, die länger als ein Jahr ununterbrochen arbeitslos sind, ist im internationalen Vergleich relativ hoch (vgl. Abbildung 2). Dieser hohe Prozentsatz so genannter Langzeitarbeitsloser ist ein alarmierendes Merkmal: Zum einen deutet er auf die fehlende Dynamik des Arbeitsmarktes hin. Zum anderen sinken mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit die Chancen, dass die Betroffenen einen neuen Arbeitsplatz finden: je länger die Arbeitslosigkeit, desto schlechter die Perspektiven für eine Wiedereingliederung in den regulären Arbeits-

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Burkhard Schwenker

markt. Dieser Zusammenhang gilt selbst dann, wenn die Konjunktur anzieht und die Nachfrage nach Arbeitskräften wieder steigt. Mit anderen Worten: Dem Großteil der Langzeitarbeitslosen könnte nicht einmal eine boomende Wirtschaft zu einem neuen Arbeitsplatz verhelfen. Arbeitslosenquote 2003 (%)

12,0

11,5

10,6

. Ö. .Ö·. .

Doöö

!,L ....;:;...............{. EWU 9.6 J

B

D

E

F

FIN

USA

NL

GB

Abbildung 1: Arbeitslosenquote im internationalen Vergleich

Der hohe Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit bringt auch mit sich, dass mit jeder Rezession die Sockelarbeitslosigkeit steigt (vgl. Abbildung 3). Dies ist ein weiterer Hinweis, dass vor allem strukturelle Probleme für die Misere auf dem deutschen Arbeitsmarkt verantwortlich sind. Im Ergebnis zieht dies dieselbe Konsequenz nach sich wie die Langzeitarbeitslosigkeit: Nach Einschätzung des ifo-Instituts blieben 85 % der Arbeitslosen selbst dann arbeitslos, wenn die Konjunktur steigt. Langzeitarbeitslosigkeit· 2002 (% aller Arbeitslosen)

61,3 50,4

D • > 12 Monate.

DODöö 42,4

E

NL

s

GB

eH

Abbildung 2: Anteil der Langzeitarbeitslosen im internationalen Vergleich

Ein weiteres Grundübel des deutschen Arbeitsmarktes ist das rückläufige Erwerbsarbeitsvolumen (vgl. Abbildung 4). Die Ursachenforschung für dieses Phänomen zu vertiefen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Deshalb an dieser Stelle dazu nur eine Bemerkung: Das stagnierende Wirtschafts wachstum in

43

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

Deutschland ist nicht in der Lage, das Produktivitätswachstum zu kompensieren. Außerdem wachsen beschäftigungsstarke Branchen im tertiären Sektor (Dienstleistungen) in Deutschland relativ langsam. Reales Wachstum, Arbeitslosenquote (0/0)

5.

1955

60

65

70

75

80

85

90

95

2000

REZESSION

2003

Abbildung 3: Entwicklung der Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland

Parallel zum Rückgang des Arbeitsvolumens sinkt die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten stark ab. Angesichts der Tatsache, dass das System der sozialen Sicherung in Deutschland jedoch auf eben dieser Art von Arbeitsverhältnissen basiert, hat dieser Trend besonders dramatische Konsequenzen, auf die im Folgenden bei den strukturellen Problemen des Standorts Deutschland eingegangen wird. Sektorales Arbeitsvolumen in Deutschland (Mio. Std.)

VERÄNDERUNG 1991-2001

Staat Private Dienstleistungen

Arbeitsvolumen Arbeitsplätze [%) absolut [Tsd.)

60.003

-5,2

Handel ! Verkehr Sekundärer Sektor Primärer Sektor

1991

2001

Abbildung 4: Entwicklung des Arbeitsvolumens in Deutschland nach Sektoren

44

Burkhard Schwenker

2. Strukturelle Probleme des Standorts Deutschland a) Hohe Lohnnebenkosten

Deutschland zählt zu den Ländern mit dem größten Abstand zwischen Bruttoarbeitskosten und Nettoverdiensten: In manchen Branchen mit ihren jeweils üblichen Lohnnebenkosten einerseits und je nach Höhe des Bruttoeinkommens und nach Familienstand des Arbeitnehmers andererseits sind die Bruttoarbeitskosten zwei- bis dreimal so hoch wie die Nettoverdienste. Im Schnitt liegt der Lohnaufschlag für die Finanzierung des Sozialstaats - in Form von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, zur Krankenkasse, zur Rente und zur Pflegeversicherung - bei rund 40 %. Damit zählt Deutschland zu den internationalen Spitzenreitern: Lagen hier 2002 die Lohnnebenkosten bei 42,3 % vom Bruttoarbeitslohn, betrugen sie in den USA 16,5 % und in Großbritannien sogar lediglich 15,2 %. Der im Zeitalter der Globalisierung zunehmende Wettbewerbsdruck zwingt Unternehmen dazu, im internationalen Maßstab konkurrenzfähig zu bleiben. Deshalb sind sie bestrebt, die Arbeitskosten so niedrig wie möglich zu halten. Angesichts der exorbitanten Lohnnebenkosten in Deutschland geht dieser Zwang zu Lasten der regulären, sozial versicherungspflichtigen Vollzeitarbeitsplätze: Deren Abbau schreitet kontinuierlich fort; entweder durch Stilllegung bzw. Verlagerung oder durch Umwandlung in Teilzeitbeschäftigungen oder "Mini-Jobs", die mit geringeren Lohnnebenkosten belastet sind. Diese Dynamik ergibt einen Teufelskreis: Je höher die Arbeitslosigkeit, desto höher die Kosten des Sozialstaats. Da die Finanzierung des Sozialstaats fast ausschließlich vom Produktionsfaktor Arbeit getragen wird, steigen die Arbeitskosten. Das wiederum beschleunigt den Abbau von Arbeitsplätzen bzw. behindert die Schaffung neuer. Unter anderen Vorzeichen würde sich diese Abwärts- in eine Aufwärtsspirale verwandeln: Studien beziffern den Effekt von 3 Prozentpunkten niedrigeren Sozialversicherungsbeiträgen mit einem Abbau der Arbeitslosigkeit um 550.000 bis 2006. (Es war übrigens das Ziel sowohl der letzten als auch der gegenwärtigen Bundesregierung, die Sozialversicherungsbeiträge in etwa dieser Größenordnung zu reduzieren - die Politik ist dabei aber gescheitert.) Ein weiterer Effekt der hohen Lohnnebenkosten und des damit verbundenen großen Abstands zwischen Arbeitskosten bzw. Bruttolöhnen und Nettoverdienst ist, dass der Anreiz zur Arbeitsaufnahme vermindert wird. Dies betrifft vor allem den Niedriglohnsektor: Hier ist die Differenz zwischen Nettoeinkommen und sozialen Transferleistungen gering. Hinzu kommt, dass gerade im Niedriglohnsektor kaum Arbeitsplätze existieren, die neben Lohn, Lohnsteuern und Unternehmergewinn noch Lohnnebenkosten in Höhe von etwa 40 % erwirtschaften. Da sie

45

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

kaum rentabel sind, werden solche Arbeitsplätze kaum noch angeboten - es sei denn, als Schwarzarbeit.

b) Stark reglementierter Arbeitsmarkt

Ein weiteres Hindernis für einen nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit stellt die Reglementierung des deutschen Arbeitsmarkts dar, die hierzulande trotz einiger kleiner Reformen in den zurückliegenden Jahren immer noch hoch ist, wenn man international vergleicht. Ein Forschungsschwerpunkt des kanadischen Fraser Instituts ist der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Freiheit (im Sinne einer geringst möglichen staatlichen Intervention in das Wirtschaftsgeschehen) und ökonomischer Prosperität von Volkswirtschaften. Jedes Jahr publiziert das Institut den Index "Economic Freedom of the World". Und jedes Jahr landet Deutschland im Teilindex "Regulation of Labor Markets" auf den hintersten Plätzen. Besonders negativ schlagen bei diesem Ranking die Regelungen beim Kündigungsschutz, die Lohnfestsetzung durch Flächentarifverträge sowie die Höhe und Dauer des Bezugs staatlicher Transferleistungen bei Arbeitslosigkeit zu Buche. Es zeigt sich also eine starke Korrelation zwischen einer starren Reglementierung des Arbeitsmarktes und der Verfestigung der Arbeitslosigkeit, gemessen am Anteil der Langzeitarbeitslosen: Teilindex "Arbeitsmarkt" aus Economic Freedom Index (Indexwert)

STARKE REGULIERUNG

1

Deut$chland 1,8

Frankreich Schweden Italien Spanien Polen China Großbritannien Japan USA Hong Kong

2,2 2,3 2,9 3,6 4,1

2

-.

4,4

6,1 6,4 6,8 8,7

.

3

4

5

6

KEINE REGULIERUNG RANG

7

8

9 (von 58) 58 57 56 54

l~

"i

"'" -&..

46

44 40

...... ~

14 11

tt

-~

........

KRITERIEN > Kündigungsschutz

> Zentralisierte

Lohnverhandlungen > Umfang der sozialen Sicherung > Dauer der sozialen Sicherung > Höhe der Sozialabgaben

7

Quelle: Fraser Institute.

Abbildung 5: Zusammenhang zwischen der starren Regulierung des Arbeitsmarktes und dem Anteil der Langzeitarbeitslosen

46

Burkhard Schwenker

c) Öffentlicher Sektor

Der Staat und seine Institutionen spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle als Standortfaktoren. Die erfolgreiche Entwicklung des privaten Sektors bedarf als Basis Rahmenbedingungen wie institutionelle und politische Stabilität, Rechtssicherheit oder eine gut ausgebaute Infrastruktur, um nur einige Indikatoren zu nennen. In den letzten Jahrzehnten ist es dem öffentlichen Sektor in Deutschland gelungen, diese Rahmenbedingungen zu schaffen. Insofern waren in der Vergangenheit die Aktivitäten des Staates durchaus eine Stärke Deutschlands. Inzwischen wird der öffentliche Sektor von vielen als Standortproblem wahrgenommen. Zu kritisieren sind dabei konkret vor allem der stetige Anstieg der Staatsquote, die zunehmende Staatsverschuldung sowie die daraus resultierende Ressourcenallokation des Staates. Welche Rolle der öffentliche Sektor in der deutschen Volkswirtschaft spielt, zeigt Abbildung 6. Die Staatsquote, also der Anteil der öffentlichen Ausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, liegt mit 49,3 % in Deutschland sehr hoch. Nun mag man einräumen, dass die Höhe der Staatsquote für sich genommen wenig aussagefähig ist. So betont auch der vom World Economic Forum (WEF) jedes Jahr veröffentlichte "Global Competitiveness Report", der die wirtschaftliche Entwicklung von 102 Staaten verfolgt, dass entscheidend sei, wie die Staats ausgaben eingesetzt werden. Dabei wird unterschieden zwischen produktiven Ausgaben, die positive Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung setzen, und unproduktiven Ausgaben ("wasteful spending"). Der Grundgedanke dieser Differenzierung lautet, dass "nützliche Staatsausgaben die Produktivität privater Unternehmen erhöhen, was zu einem steigenden Wirtschaftswachstum führt." Staatsquote 2003 (% vom BIP)

54,6

F

49,3

0

DDOÖODD 47,4

NL

47,1

GB

E

NL

USA

IRL

Abbildung 6: Staatsquote ausgewählter Länder im Vergleich

Leider spricht vieles dafür, dass die Staatsausgaben in Deutschland nicht als "produktiv" im Sinne der WEF-Definition bezeichnet werden können. Die Ausgaben der öffentlichen Hand fließen in Deutschland in hohem Maße in den Konsum und in den Schuldendienst und eben nicht in Investitionen. Dabei hängt von

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

47

der richtigen Allokation der knappen staatlichen Ressourcen der ökonomische Erfolg mit ab. Auch reduziert die zunehmende Staatsverschuldung die Spielräume für Investitionen. Die explizite Verschuldung des Staates beträgt derzeit 62,7 % des Bruttoinlandsprodukts - mit steigender Tendenz und entgegen der politischen Beteuerungen. In der Folge muss jeder siebte Steuer-Euro für Zinsen und Tilgung verwendet werden - oder in einer anderen Zahl: Der Schuldendienst der öffentlichen Hand beläuft sich etwa auf das Fünffache dessen, was Deutschland für Forschung und Entwicklung ausgibt. Statt in die Zukunft zu investieren, begleichen die Ausgaben der öffentlichen Hand Verpflichtungen aus der Vergangenheit oder sind bloße Transferzahlungen. Wird diese Akzentsetzung beibehalten, wird sie fatale Auswirkungen auf den Standort Deutschland haben. d) Rückstand in Hochtechnologien

Stark im Bereich hochwertiger Technologie, aber nicht Spitze in Spitzentechnik - so lautet, kurz gefasst, das Urteil des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zum Leistungsvermögen der deutschen Wirtschaft. Ähnlich der Befund der OECD in ihrem "Economic Survey of Germany 2004": Deutschland habe in geringerem Maße als andere führende Wirtschaftsnationen vom Boom neuer Technologien wie Informations- und Kommunikationstechnologie oder Biotechnik profitiert, "da die Innovationen sich weiterhin auf Sektoren wie Maschinenbau oder Automobilbau konzentrieren, in denen Deutschland schon seit langem eine starke Exportleistung vorzuweisen hat". Anders gewendet: Bei Innovationen in praktisch allen Branchen dieser sog. mittleren Technologien gehört Deutschland zur Weltspitze, wie die Patentstatistiken belegen. Allerdings verschleiert die Stärke in diesem Bereich die Innovationsschwäche der deutschen Wirtschaft in zukunftsrelevanten Sektoren. In den Hochtechnologiebranchen zeigt die Patentstatistik ein anderes Bild: Die USA meldeten im Jahr 2001 ungefähr viermal so viele Patente in der Halbleiter- und Biotechnik an wie Deutschland, rund dreimal so viele in der Medizintechnik (vgl. Abbildung 7). Wenn Deutschland seine Innovationsanstrengungen nicht stärker auf solche Sektoren konzentriert, droht es, den Anschluss in diesen wachstumsstarken Bereichen zu verpassen. Übrigens lässt sich gleiches auch zu den nicht von Statistiken erfassten Bereichen der hochwertigen und damit hochpreisigen Dienstleistungen (Finanzdienstleistungen, Marketing, Gesundheit etc.) sagen, wo die Innovationsleistung der USUnternehmen bezogen auf neue Angebote, neue Geschäftsmodelle etc. deutlich vorne liegen. Dabei spielen gerade die Hightech-Sektoren - etwa Informations- und Kommunikationstechnologie, Bio- und Gentechnologie, Automatisierungstechnik oder Mikroelektronik - auch in Deutschland eine Schlüsselrolle für eine positive Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung: Sie verzeichneten seit Mitte der 1990er

Burkhard Schwenker

48

Jahre ein jährliches Wachstum von fast 10 %. Das Wachstum, das Branchen mit einem geringen Input an Forschung und Entwicklung im gleichen Zeitraum lieferten, liegt dagegen bei unter 2 %. Die Zahlen zeigen deutlich: Je mehr Leistungsinnovation eine Volkswirtschaft erbringt, je höher also der Anteil an innovativen Produkten und Wirtschaftszweigen ist, desto besser sind die Auswirkungen auf Wachstum und Wohlstand des betreffenden Landes. Diesen engen Zusammenhang zwischen innovativen Wirtschaftsstrukturen und Wachstum zeigt Abbildung 8. Patentanmeldungen 2001 (Anzahl)

9.364 6.542 3.601

Halbleiler· technik •

iJ

6.987

5.585

Kommunikationstechnik

Bio· / Gentechnik

2.943 429 512 Medizintechnik

Lasertechnik

o ; USA

; Deutschtand

Abbildung 7: Vergleich der Patentanmeldungen nach Branchen zwischen Deutschland und USA Reales BIP-Wachstum 1991 - 2002 (0 % p.a.)

4 Finnland

3

p

=0,81

o

2 Italien High·Tech·Anteil

0 +---------,---------,---------,---------, [% der indirekten 10 14 18 22 Wertschöpfung] 6 Abbildung 8: Korrelation zwischen der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und dem Hightech-Anteil einer Volkswirtschaft

Es stimmt in diesem Zusammenhang sehr bedenklich, dass Deutschland Investitionen in Wissen, also in die unverzichtbare Grundlage von Kreativität und Innovationsfähigkeit, vernachlässigt: Lediglich 4,3 % des deutschen Bruttoinlands-

49

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

produkts fließen einer OECD-Berechnung über "knowledge-intensive investments" in die Bereiche Forschung und Entwicklung, Software und tertiäre Bildung (Fachhochschulen, Universitäten etc.). Die USA lassen sich diese Bereiche immerhin einen Anteil von 6,1 % ihres Bruttoinlandsprodukts kosten (v gl. Abbildung 9).

g 6,4

1,9 S

"Wissensausgaben" 2001 (% vom BIP)

6,1 2,7 1,5 1,9 USA 606,7

5,3

4,3

~~ 1,2 1,1

1,1

FIN

0

89,1

o o

F&E Software Tertiäre Bildung

Wissensausgaben [Mrd. EURI

Abbildung 9: Anteil der Wissensausgaben am Bruttoinlandsprodukt - Vergleich zwischen Schweden, den USA, Finnland und Deutschland

Der Zusammenhang zwischen den Aufwendungen für die Generierung von Wissen auf der einen Seite sowie zwischen dem makroökonomischen Wachstum auf der anderen Seite ist offensichtlich und in der Wissenschaft breit nachgewiesen. Die unterlassenen Investitionen in neues Wissen kommen der deutschen Volkswirtschaft deshalb auch teuer zu stehen. Ein Beispiel dafür: Bis 1994 war Deutschlands Außenhandelsbilanz für Know-how, also für Patente, Lizenzen und FuE-Leistungen, nahezu ausgeglichen. Inzwischen schließt sie mit einem Negativsaldo von über 2,8 Mrd. EUR. Wir bezahlen für die Innovationsschwäche also direkt mit Geld, das wir für den Import von Wissen ausgeben müssen. Noch gravierender jedoch sind die indirekten Kosten der Innovationsschwäche. Der Preis dafür ist ein geringeres Wirtschaftswachstum, höhere Arbeitslosigkeit und weniger Wohlstandswachstum. Schon längst ist der Standort gezwungen, diesen Preis zu bezahlen. Dies zeigt der Blick auf die alarmierende Entwicklung des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Deutschland hat seit Jahren das geringste Wachstum aller europäischen Volkswirtschaften (vgl. Abbildung 10). Und leider deutet nichts darauf hin, dass sich dieser Trend umkehrt. Die Überwindung dieser Wachstumsschwäche ist eine Herausforderung, die auf der wirtschaftspolitischen Agenda ganz oben stehen muss. Es ist der einzige Weg, um die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Aber auch wenn es als ökonomische Binsenweisheit gilt, dass neu es Arbeitsangebot nur dann entsteht, wenn die Wirtschaft wächst, so scheint diese Einsicht momentan nur begrenzt verbreitet.

50

Burkhard Schwenker BIP-Wachstum 1994-2003 (0 p.a.)

4,0 3,3

FIN

3,2

U00[J D USA

E

2,8

GB

2,2

F

2,0

1,4

11 D

Abbildung 10: Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts im internationalen Vergleich

11. Wachstum als unternehmerische Aufgabe Den eben beschriebenen Grundzusamrnenhang kann man dahin gehend konkretisieren, dass die Wirtschaft eines Landes nur dann wächst, wenn die Unternehmen am jeweiligen Standort wachsen. Vor dem Hintergrund dieser Prämisse befasst sich der folgende Exkurs auf die mikroökonomische Ebene mit dem Wachstum von Unternehmen. Zum einen werden die Faktoren herausgearbeitet, die den Wachstumsimperativ für Unternehmen begründen. Zum anderen werden anhand der Ergebnisse einer groß angelegten Studie, die Roland Berger Strategy Consultants unter den 1.700 weltweit führenden Unternehmen durchgeführt hat, Wachstumsstrategien und deren Erfolgsfaktoren aufgezeigt. Wachstum und die Steigerung des Unternehmenswerts waren und sind für jedes Unternehmen existenziell wichtige Ziele. Diese zu erreichen, ist schon in den ,,fetten Jahren" einer boomenden Konjunktur nicht einfach. Noch schwieriger gestaltet sich diese Herausforderung allerdings in den "mageren Jahren" der Stagnation oder gar Rezession. Aber gerade in solchen Phasen ist Wachstum für Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Jedoch ist damit nicht Wachstum um jeden Preis gemeint, wie es in der ökonomischen Stunn- und Drangphase der 90er Jahre propagiert und häufig praktiziert wurde. Auch das andere Extrem, in das man dann während der Rezession 2001 verfiel, erwies sich als Irrweg: Die Konzentration auf Downsizing und Kostenreduzierung gefährdete die Substanz vieler Unternehmen und wurde zu einem Hemmschuh weiteren Wachstums. Wie muss eine Strategie fonnuliert sein, mit der Unternehmen trotz zunehmenden Konkurrenzdrucks erfolgreich auf internationalen Märkten agieren können und die Unternehmen auf einen profitablen Wachstumskurs bringt? Dieser Abschnitt bietet eine Antwort auf diese Frage.

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

51

1. Grunde für den Wachstumsimperativ

Nach jahrelanger intensiver - und teilweise kontroverser - Diskussion hat sich das Konzept der wertorientierten Unternehmensführung, also die Ausrichtung der Unternehmensführung an dem Ziel der Wertsteigerung, durchgesetzt und ist heute gängige Praxis in zahlreichen Unternehmen. Auf Dauer kann Wertsteigerung eines Unternehmens nur auf Wachstum basieren. Fünf Gründe sind für diesen Wachstumsimperativ maßgeblich: a) Shareholder Value

Wertsteigerung im Rahmen des Shareholder-Value-Konzepts bedarf des Wachstums. Vereinfacht dargestellt, basiert der Shareholder-Value-Ansatz auf der Diskontierung zukünftiger Cashflows: Wachsen sie, wird (zusätzlicher) Wert geschaffen. Auf Dauer ist es jedoch nicht möglich, allein durch Restrukturierung oder Kostensenkung zukünftig stetig steigende freie Cashflows (das heißt Cashflows nach Bedienung bestehender Verpflichtungen) zu generieren, da die Potenziale zur Kostensenkung bei zunehmender Optimierung kleiner werden. Steigende Cashflows setzen damit Wachstum voraus. b) Economies of Scale

Sinkende Transaktionskosten und neue IT-gestützte Strategien der Unternehmensführung begünstigen große Unternehmen. Größenvorteile erhöhen das Wertsteigerungspotenzial eines Unternehmens beträchtlich: Economies of Scale sorgen für niedrige Kosten, zum Beispiel bei Produktion und Vertrieb. c) Globalisierung

Im Zeitalter der Globalisierung werden langfristig nur solche Unternehmen Erfolg haben, die sich den Herausforderungen der internationalen Märkte stellen und aus ihnen Nutzen ziehen können. Dies setzt Wachstum voraus, zumal für Unternehmen, die bislang noch keine internationale Orientierung hatten. Um weltweit liefern und globale Kostenvorteile ausnutzen zu können, brauchen Unternehmen eine bestimmte Größe. d) Sinkende Margen durch Wettbewerbsdruck

Der zunehmende Wettbewerbsdruck auf gesättigten Märkten lässt die Gewinnmargen sinken. Bleibt der Umsatz konstant, führt dies unausweichlich zu sinkenden Gewinnen. Gleich bleibende oder steigende Gewinne erfordern deshalb höhere Umsätze.

52

Burkhard Schwenker

e) Perspektiven für Mitarbeiter

Erfolgreiche, wachsende Unternehmen sind nicht nur im Rahmen des Shareholder-Value-Ansatzes für Investoren attraktiv. Wachstum motiviert auch die Mitarbeiter und zieht leistungsfähige Bewerber an, weil die Aussicht auf abwechslungsreiche Tatigkeiten, auf eine vielversprechende Karriere und eine attraktive Vergütung besteht. Motivation für die Beschäftigten und Anziehungskraft auf hoch qualifizierte Bewerber tragen zur Wertsteigerung bei, denn Humankapital zählt zu den wichtigsten Ressourcen eines Unternehmen. Dies gilt insbesondere für wissensintensive Unternehmen in entwickelten Volkswirtschaften.

2. Wachstumsstrategien in der Praxis

Um Wachstumsstrategien zu identifizieren, hat Roland Berger Strategy Consultants die weltweit führenden Unternehmen untersucht. Drei Aspekte standen dabei im Mittelpunkt: Wie wachsen diese Unternehmen? Welche Strategien liegen ihren überdurchschnittlichen Wachstumsraten zu Grunde? Und wie gelingt es erfolgreichen Unternehmen, profitabel zu wachsen. Um es vorweg zu nehmen: Wir konnten einen neuen Zusammenhang erkennen: Entscheidend ist es, Kostensenkung und Expansion parallel zu betreiben. Die "alte" V-Kurve (erst gesund schrumpfen, dann wachsen) gilt nicht mehr. Die Studie von Roland Berger Strategy Consultants betrachtete die 1.700 TopUnternehmen in der Triade, also 900 führende Unternehmen in Westeuropa, die 500 im US-Kapitalmarkt-Index S&P's 500 gelisteten Unternehmen sowie die im japanischen Börsenbarometer Nikkei-300 aufgeführten Gesellschaften. Analysiert wurden alle relevanten betriebswirtschaftlichen Indikatoren im Zeitraum 1991 bis 2003, insbesondere die Wachstumsraten der Umsätze und des Gewinns vor Steuern, des Unternehmens werts (gemessen als Total Shareholder Return, also Kurssteigerungen plus Ausschüttungen) sowie des Operating Cashflow, der Produktivität und die Entwicklung der Mitarbeiterarbeiterzahlen. Der für die Untersuchung gewählte Zeitraum deckt einen gesamten Konjunkturzyklus ab, beginnend mit der Überwindung der Rezession zu Beginn der 1990er Jahre über die anschließende Aufschwungphase und das globale Wachstumshoch ab 1998 sowie den erneuten Niedergang ab der zweiten Jahreshälfte 2000 bis zu den konjunkturell schwierigen Jahren 2001 bis 2003. Ein wesentliches Ergebnis der Studie ist, dass die Outperformer - das sind diejenigen Unternehmen, die sowohl im Umsatz als auch im Gewinn stärker wachsen als der Durchschnitt und deren Gewinn gleichzeitig schneller wächst als der Umsatz - im Untersuchungszeitraum eine wesentlich höhere Wertsteigerung erzielten als die übrigen Unternehmen. 26 % aller untersuchten Unternehmen gehören zu den Outperformern: Ihr Unternehmenswert ist mit einer Rate von durchschnittlich 17,5 % jährlich gewachsen, der Wert aller anderen Unternehmen dagegen nur mit

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

53

9,4 %. Und der Cashflow der Outperformer - und damit die Quelle für deren weiteres Wachstum - weist eine jahresdurchschnittliche Wachstumsrate von 56,5 % auf, während es die übrigen Firmen nur auf 39,9 % bringen. Auch bei anderen Indikatoren schneidet die Gruppe der Outperformer mit herausragenden Resultaten ab. Die Umsätze und der Vorsteuer-Gewinn der Outperformer wuchsen mit durchschnittlich 17,1 % bzw. 41,4 % p.a. - die übrigen betrachteten Unternehmen erreichten dagegen nur 5,7 % bzw. 10,1 % p.a. Die Zahl der von den Outperformern neu geschaffenen Arbeitsplätze erhöhte sich um durchschnittlich 12,9 % pro Jahr - gegenüber 3,9 % im übrigen Panel. Und die Produktivität in der Top-Gruppe stieg um durchschnittlich 5,7 % p.a. - bei den übrigen Unternehmen dagegen nur um 3,4 % (v gl. Abbildung 11).

o Wachstumsraten Triade 1991 - 2003 (% p.a. Median) UMSATZ

EBIT

PRODUK· TIVITÄT

FREE CASHFLOW

MITARBEITER

WERT (TOTAL SHARE· HOLDER RETURN)

56,5

[k 41 ,4

17,1

~ o

Outperfonner



5,7 3,4 ~

[I

12,9

ce

Übrige Untemehmen

Abbildung 11: Wachstumsraten von Unternehmen im Vergleich - Ergebnisse der Studie von Roland Berger Strategy Consultants

Die empirischen Ergebnisse unterstreichen zweierlei: Zum einen, dass Wachstum und Wertsteigerung nicht garantiert sind - wenn lediglich 26 % aller betrachteten Unternehmen sich signifikant abzusetzen vermögen, dann zeigt sich, welche Bedeutung einer guten Unternehmensführung im Wettbewerbsvergleich zukommt. Zum anderen wird klar, dass die erheblichen Unterschiede zwischen den Werten der Spitzengruppe und dem restlichen Feld ein unzureichend ausgeschöpftes Potenzial markieren, das Hoffnung auf neue unternehmerische Wachstumspotenziale rechtfertigt. Betrachten wir noch einmal die Outperformer. Hier war zu sehen: Um überdurchschnittliche Wertsteigerungsraten zu erreichen, müssen zusätzliche Umsätze überproportionale Gewinne generieren. Die Umsätze müssen daher entweder selbst besonders profitabel sein oder dazu beitragen, das Gesamtgeschäftssystem überprofitabel zu machen (über Synergievorteile, Cross Selling, Erreichung von Mindestgrößen, Shared Services usw.). Wenn Wert geschaffen werden soll, müssen die zusätzlichen Umsätze mindestens die Kapitalkosten verdienen. Das ist die Mindestgewinnschwelle für profi-

54

Burkhard Schwenker

tables Wachstum. Erfüllt das Umsatzplus diese Bedingung nicht, wird Wert vernichtet, d. h. es entsteht eine unprofitable Wachstumssituation. Für interne Wachstumsprojekte sind die Kapitalkosten der Benchmark, für externes Wachstum über Unternehmenskäufe gilt, dass die Akquisitionsprämie - also jener Preis, der über den eigentlichen Wert des zu kaufenden Unternehmens hinausgeht - nie größer sein darf als die prognostizierten Synergien (die es dann natürlich auch noch zu realisieren gilt). Da Wachstum in aller Regel Investitionen erfordert, muss entweder genügend freier Cashflow im Unternehmen sein (oder aber er muss rechtzeitig durch Restrukturierung und Optimierung geschaffen werden) oder die Passivseite muss Finanzierungsspielräume eröffnen. Beides bedeutet im Kern, dass nur profitable Unternehmen einen Wachstums- und Wertsteigerungskurs einschlagen können. An diesem Punkt lässt sich eine Formel des Wachstums ausmachen (vgl. Abbildung 12): Richtig gemanagtes Wachstum treibt sich selbst an, weil eine exzellente operative Performance - erkennbar beispielsweise an hoher Produktivität oder Stückkostenvorsprüngen - die Basis für höhere freie Cashflows bildet, die in Wachstum investiert werden können. Das Wachstum führt zu Skalen- und Erfahrungskurveneffekten sowie anderen Größenvorteilen wie Internationalität, Attraktivität für leistungsfähige Mitarbeiter und Bewerber usw. All dies erhöht die operative Leistungsfähigkeit weiter, was die Basis zusätzlicher freier Cashflows ist. Was nach einem Perpetuum mobile klingt, lässt sich tatsächlich als Handlungsmuster der Outperformer erkennen: Sie haben es verstanden, ihr Wachstum zu verstetigen. Sie sind besser als andere "wachstumsfähig", weisen also organisatorische Eigenschaften auf, mit denen sie ihren Erfolg systematisch wiederholen können. Und sie haben - basierend auf ihrem besonders profitablen Wachstum - eine signifikant höhere Wertsteigerung realisiert als ihre Wettbewerber: Die unternehmerische Kernfrage aus dieser Erkenntnis lautet: Wie ist ein solcher Prozess zu starten und wie kann er am Laufen gehalten werden? Exzellente operative Performance

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Investitionen in Wachstum Quelle: Roland Berger Stralegy Consullanls.

Abbildung 12: Verstetigung des Wachstumsprozesses

55

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

3. Wachstum und Restrukturierung als Einheit Ein wesentlicher Teil der Antwort liegt in der Erkenntnis, dass Wachstums- und Restrukturierungsinitiativen voneinander abhängen. Die Wachstumsformel in Gang zu setzen bedeutet, Geld in die Hand nehmen zu können - erforderlich ist also freier Cashflow. Um den zu gewinnen, muss ein Unternehmen eines tun: Intelligent die Kosten senken, das heißt wettbewerbsfähige Kostenstrukturen schaffen, ohne dabei Substanz zu vernichten. So werden die notwendigen Mittel freigesetzt, die anschließend wertsteigerndes Wachstum aktivieren können. 4. Die Top-Wachstumshebel der Outperformer Outperformer verfolgen nach unseren Analysen die gleichen sechs Wachstumsmuster wie andere Unternehmen auch. Ihre neue Qualität - und darin die besondere Herausforderung für das Management - aber liegt darin, sie gleichzeitig in zwei Zielrichtungen anzuwenden, so dass die Wachstumsformel in Gang gesetzt wird. Es geht darum, gemeinsam und parallel auf Wachstumsprozesse und die operative Wettbewerbsfähigkeit zu zielen (vgl. Abbildung 13) - nur so werden knappe Ressourcen optimal eingesetzt. In der Gleichzeitigkeit liegt gewissermaßen der unternehmerische "Trick", der die Top-Unternehmen von den weniger erfolgreichen abhebt. Die Ergebnisse geben ihnen Recht. WACHSTUMSRELEVANZ Neue Märkte Marktanteilsgewinne Bessere Leistungen durch Partnering, Konzentration auf Kernkompetenz Zugang zu neuen Märkten und I oder Kunden Differenzierung, besserer Service, längere Bindung Differenzierung, Vorsprung

KOSTENRELEVANZ GLOBALISIERUNG

Faktorkostenvorteile

PORTFOLIOFOKUSSIERUNG I Economies of scale, Cashflow, MARKTKONSOLIDIERUNG bessere Produktivitätssteigerung OUTSOURCING

NETZWERKBILDUNG

Fixkostensenkung, Variabilisierung von Kosten Ausgleich von Größennachteilen

KUNDENORIENTIERUNG

Einsparungen bei Kundengewinnungskosten

INNOVATION

Kostensenkung (Prozessinnovation I Produktivität)

Quelle: Roland Berger Strategy Consultants.

Abbildung 13: Wachstumshebel und ihre Wirkung in zwei Richtungen

Auch deutsche Konzerne haben die eben dargestellten Wettbewerbsmuster mit Erfolg eingesetzt. Der Arbeitsmarkt in Deutschland hat jedoch von diesem erfolg-

56

Burkhard Schwenker

reichen Wachstum auf Unternehmensebene bislang nicht profitieren können. Denn: Die Mitarbeiterzahlen der Unternehmen stiegen primär im Ausland, wie Abbildung 14 zeigt. Erfolgreiche untemehmerische Strategien, aber abgekoppelt von der Standortentwicklung - das zeigt, wie notwendig es ist, die strukturellen Wachstumsschwächen, die oben beschrieben wurden, anzugehen. Anteil der Auslandsmitarbeiter (%)

VW

SIEMENS

I

35 1 26 [

BASF Boseh

33 1

Siemens

31 1

441

1

373

143

~ 59 j

230 1990

33

DPWN 2002

417 247

180

46 1:=5~

Bayer

01985

49

IOSCH

o

229

60

124

170

120

105

2003

1990

2003

=Mitarbeiter Austand



= Mitarbeiter 0

Abbildung 14: Anteil der Auslandsmitarbeiter deutscher Konzerne in den Jahren 1985 und 2002 bzw. 1990 und 2003

5. Notwendigkeit und Chancen des Wachstumsimperativs Zum Abschluss des in diesem Abschnitt vorgenommenen Exkurses folgen hier fünf Thesen. Sie sprechen einerseits die Gründe des Wachstumszwangs für Unternehmen an, andererseits die Implikationen des erfolgreichen Wachstums für den Arbeitsmarkt und die Attraktivität des Standorts. - Für Unternehmen gibt es einen permanenten Wachstumszwang: Wer nicht wächst, verliert die unternehmerische Perspektive. Hohe Wettbewerbsintensität verschärft auch in Zukunft den Druck auf die Margen. Anhaltende Produktivitätssteigerungen durch konsequente und ununterbrochene Restrukturierung sind deshalb zwingend notwendig. - Die Kunst der Unternehmensführung liegt darin, Strategien zu finden und umzusetzen, die gleichzeitig die Grundlagen für Wachstum schaffen und auf Kostensenkung abzielen. Entscheidend ist dabei auch, dass nur profitables Wachstum zählt. Unternehmen, die dies beherrschen, gelingt es, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

57

- Damit das Wachstum der Unternehmen am Standort Deutschland stattfindet und hier neue Arbeitsplätze schafft, müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an diesem Standort attraktiv sein.

IH. Durch Wachstum zu weniger Arbeitslosigkeit Wie die Analyse in Abschnitt A dieses Beitrags zeigt, sind die Ursachen für die chronischen Probleme am deutschen Arbeitsmarkt eindeutig identifiziert: Hohe Lohnnebenkosten, die starke Regulierung des Arbeitsmarktes, der Anstieg und die Fehlallokation der Staatsausgaben, die schleichend zunehmende Innovationsschwäche. Die Diagnose, woran der Standort Deutschland krankt, ist also bekannt, insofern sollte auch der raschen Einleitung einer Therapie nichts entgegenstehen. Im Folgenden werden thesenartig Überlegungen formuliert, wo grundlegende Reformen in Deutschland ansetzen müssen und wie deren Umsetzung zu gestalten ist.

1. Die bisher durchgeführten Reformen gehen in die richtige Richtung,

aber zu langsam

Mit dem Start der Agenda 2010 hat die Regierung im März 2003 Reformen auf dem Arbeitsmarkt und der Sozialsysteme angestoßen. Die Arbeitsmarktreform setzte auf Flexibilisierung und erhöhte Zumutbarkeitsregelungen. Die Gesundheitsreform beinhaltet unter anderem Leistungskürzungen und mehr Eigenbeteiligung. Die Rentenreform ignoriert nicht länger den demografischen Wandel; außerdem wurde der Rentenanstieg verlangsamt und das Prinzip der Kapitaldeckung gestärkt. Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sowie die Forcierung des Prinzips "Fordern und Fördern" werden mit der Umsetzung von "Hartz IV" gegen vor allem in Ostdeutschland massive Widerstände zu Beginn 2005 angegangen. Auch in anderen Bereichen wurden einige Beschränkungen beseitigt oder abgemildert, die einen marktorientierten Wettbewerb behindert haben: Die Ladenöffnungszeiten wurden liberalisiert, das Rabattgesetz wurde abgeschafft und manche traditionelle Regelung im Handwerk aufgegeben, um nur einige Beispiele zu nennen. Gerade weil diese Reformschritte bislang kaum ökonomischen Erfolg zeigen, muss der eingeleitete Paradigmenwechsel mit hohem Tempo fortgeführt werden. Jetzt innezuhalten hieße, noch mehr von der wertvollen Zeit zu verlieren, die Deutschland im internationalen Vergleich während der zurückliegenden Jahre bereits verschenkt hat. Die Inhalte des notwendigen weiteren Programms zur Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland sind in Abbildung 15 dargestellt.

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ALTES PARADIGMA

NOTWENDIGES PARADIGMA

Umlageverfahren I "Generationenvertrag"

Einführung von Kapitaldeckung

Paritätisch finanzierte Sozialsysteme

Beginn der Eigenfinanzierung durch Arbeitnehmer

Umfangreiche staatliche Leistungen für alle

Fordern und Fördern

Staat als Vor· und Versorgeinstanz für Bürger

Dem eigenverantwortlichen Bürger mehr Geld überlassen

Abbildung 15: Alte und neue Paradigmen der Wirtschafts· und Sozialpolitik in Deutschland

2. Statt der oberflächlichen Behandlung der Symptome müssen die Ursachen des Wachstums- und Beschäftigungsproblems

angegangen werden

Dass ein nennenswerter Erfolg der bisherigen Reformbemühungen ausblieb, ist eigentlich nicht verwunderlich. Die bisherigen Maßnahmen beschränkten sich im Wesentlichen darauf, an den Symptomen herumzudoktern. Stattdessen wäre die Rückbesinnung auf volkswirtschaftliche Grundzusammenhänge geboten. Arbeitsplätze entstehen in Deutschland nur dann, wenn die Wirtschaft wächst. Eine Veröffentlichung des HWWA unterstreicht diese Aussage: "Eine wichtige Voraussetzung für mehr Beschäftigung, insbesondere Vollzeitarbeitsplätze, ist ein über einen längeren Zeitraum hinweg kräftiges Wirtschaftswachstum. Dafür ist es erforderlich, die Angebotsbedingungen hierzulande so zu verbessern, dass die Wachstumskräfte gestärkt werden." (Wirtschaftsdienst 6/2004). Nach der Einschätzung von Experten liegt die Beschäftigungsschwelle, das heißt die Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts, die erreicht werden muss, damit die Zahl der Beschäftigten zunimmt, bei etwa 1,8 %. Alle wirtschaftspolitischen Reformen müssen sich an der Zielsetzung orientieren, das Wachstumsproblem am Standort Deutschland zu lösen. Dafür gibt es keine kurzfristig wirkenden Patentrezepte. Bei Lösungsansätzen ist aber ein wesentlicher Zusammenhang zu berücksichtigen: Die Wirtschaft am Standort wächst nur dann, wenn die Unternehmen am Standort wachsen. Und dazu bedarf es entsprechender Rahmenbedingungen. Diese wieder zu schaffen, ist eine Herausforderung, der sich Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stellen müssen. Eine Schlüsselrolle dabei spielen die Intensivierung des Wettbewerbs, eine Erhöhung der Flexibilität sowie die Forcierung von Innovation. Ich möchte kurz - und ohne Anspruch auf Vollständig-

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

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keit - skizzieren, welche Maßnahmen auf den einzelnen Handlungsfeldern erforderlich sind:

a) Mehr Wettbewerb ist die beste Basis für den notwendigen Strukturwandel Um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wachstum zu schaffen, müssen die derzeit existierenden Beschränkungen des Wettbewerbs beseitigt werden. Dieser Ansatz geht von der Prämisse aus, dass in einer Marktwirtschaft der Wettbewerb die conditio sine qua non für die optimale Ressourcenallokation darstellt. Diesem Ziel dient eine Reihe von Maßnahmen, von denen hier lediglich einige exemplarisch herausgegriffen werden.

• [jjhne auf Betriebsebene aushandeln Die Entlohnung von etwa zwei Dritteln aller Beschäftigten in Deutschland wird durch Branchentarifverträge festgelegt. Dabei hat sich gezeigt, dass betriebsindividuell vereinbarte Lösungen in der Regel beschäftigungsfreundlicher sind. Diese Erkenntnis spiegelt sich sowohl in Öffnungsklauseln vieler Tarifverträge als auch in der Zunahme von Betriebsvereinbarungen wider. Letztere nehmen seit 1991 mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 7,6 % pro Jahr zu. • Existenzgründungen stimulieren Vor allem in den Segmenten soziale und unternehmerische Dienstleistungen sowie Hochtechnologie müssen Unternehmensgründungen gefördert werden. "Deutschlands Weg in die Wissensgesellschaft führt über junge und innovative Unternehmen" - dieser Einschätzung des Deutschen Industrie- und Handelstages ist uneingeschränkt zuzustimmen, denn Unternehmensgründungen sind ein wichtiger Stimulus für die wirtschaftliche Dynamik. Sie forcieren den technologischen Strukturwandel, also den Ersatz reifer oder überkommener Strukturen durch neue, moderne Arbeitsplätze. Umso alarmierender ist, dass in Deutschland seit 1999 immer weniger Unternehmen in forschungs- und wissensintensiven Wirtschaftszweigen gegründet wurden. Zudem liegt der Anteil der Erwerbsfähigen, die sich seit 1999 selbstständig gemacht haben oder an einer Unternehmensgründung beteiligt waren, hierzulande bei 5,2 %; in den USA gingen 10,5 % den Weg in die Selbstständigkeit. Damit gründen hierzulande wieder attraktiver wird, bedarf es entsprechender Maßnahmen, die die OECD folgendermaßen zusammenfasst: "Hindernisse beseitigen, durch die Vereinfachung des Steuersystems, durch weitere Schritte beim Abbau der bürokratischen Undurchsichtigkeit sowie durch eine Verringerung der Kosten, die durch die starke Regulierung des Arbeitsmarktes induziert werden" (Economic Survey ofGermany 2004). • Bürokratie abbauen Die Überregulierung behindert die Wirtschaft und die Bürger daran, ihr Leistungspotenzial voll zu entfalten. Vor allem Mittelständler und Existenzgründer empfinden die Bürokratie als Wettbewerbsnachteil. Zwei Beispiele dafür: Im

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Durchschnitt dauert eine Unternehmensgründung in Deutschland 45 Tage, während Existenzgründer dafür in den USA lediglich 4 und in Großbritannien 18 Tage aufwenden müssen. Außerdem betragen die durchschnittlichen Kosten einer Unternehmensgründung in Deutschland 1.429 USD. In anderen Ländern kommen Gründer billiger weg, nämlich mit 220 USD in den USA und mit 260 USD in Großbritannien (Angaben von 2002). • Wettbewerbsschranken reduzieren Fortgesetzte Deregulierung und Liberalisierung auf Dienstleistungs- und Produktmärkten und weitere Privatisierungen bauen Wettbewerbsschranken ab, die dynamische Wachstumsprozesse behindern. Die Erlöse aus Privatisierungen sollten zur Förderung von Innovationen verwendet werden.

b) Höhere Flexibilität unterstützt Unternehmen, sich aufwettbewerbsintensiven offenen Märkten zu behaupten

"Die Schnellen fressen die Langsamen" - dieses Zitat eines mittelständischen Unternehmers beschreibt so drastisch wie anschaulich die Bedingungen, denen Unternehmen heute auf den internationalen Märkten ausgesetzt sind. Angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks müssen Unternehmen in der Lage sein, sich schnell auf Veränderungen der Nachfrage, im Verhalten der Konkurrenz oder auf neue Technologien einzustellen. Dies verlangt Unternehmen eine neue Qualität der Flexibilität ab. Der regulatorische Rahmen, in dem die Unternehmen am Standort agieren müssen, muss diese Flexibilität zulassen. Für den Produktionsfaktor Arbeit sind deshalb Regelungen gefragt, die den Unternehmen mehr Spielraum für schnelle Kapazitätsanpassungen geben. Dazu gehören vor allem • Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitkonten, die einen flexiblen Arbeitseinsatz ermöglichen, • weitere Anpassungen des Kündigungsschutzes - denn nach wie vor ist der Kündigungsschutz in seiner jetzigen Form ein wesentliches Hindernis bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze, • mehr variable Elemente in der Entlohnung - Vergütungssysteme sollten in der Lage sein, die wirtschaftliche Situation des Unternehmens abzubilden, • flexible Gestaltungsmöglichkeiten von Arbeitsverträgen - die Schaffung von befristeten Arbeitsverhältnissen, Teilzeitarbeit und variable Arbeitszeit sollte erleichtert werden.

c) Innovationen heute sichern den Standort morgen und übermorgen

Die negativen Auswirkungen der Innovationsschwäche in Deutschland wurden in Abschnitt A bereits angesprochen. Um hier gegenzusteuern, bedarf es dringen-

Wege aus der Arbeitslosigkeit?

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der Initiativen zur Förderung von Innovation. Stellvertretend sind an dieser Stelle einige Maßnahmen aufgelistet:

• Bildungsinvestitionen als Fundamentfür zukünftigen Wohlstand Die von der OECD 2003 veröffentlichte Bildungsstudie hat den Zusammenhang zwischen Bildungsstand einerseits und Produktivität einer Volkswirtschaft andererseits eindeutig belegt. Ein Ergebnis der Studie ist, dass die Steigerung der Arbeitsproduktivität zu einem signifikanten Teil auf Verbesserungen des Bildungsstandes zurückzuführen ist. Im Umkehrschluss gilt aber auch, dass eine Vernachlässigung des Bildungssektors die Wettbewerbsfähigkeit mindert. Insofern ist es dringend geboten, die Bildungsinvestitionen in Deutschland zu forcieren. • Offensive für Investitionen in Forschung und Entwicklung In den 1980er Jahren stiegen in Deutschland die Ausgaben für Forschung und Entwicklung noch mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 7,3 % p.a. In der darauf folgenden Dekade waren es nur noch 3,4 %. Anders als der Staat hat die Privatwirtschaft ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Jahr 2001 stetig gesteigert; dieser Trend hat sich allerdings nicht fortgesetzt. Hat eine Volkswirtschaft jedoch den Anspruch, Innovationen zu fördern, müssen sowohl auf der mikro- als auch auf der makroökonomischen Ebene die dafür notwendigen finanziellen Ressourcen eingesetzt werden. Investitionsschwerpunkte sollten dabei insbesondere Zukunfts- und Querschnittstechnologien sein, weil sie das größte Potenzial bieten. • Rahmenbedingungen für" lebenslanges Lernen" Geht man von der Prämisse aus, dass das Humankapital in einer wissensbasierten Industriegesellschaft die alles entscheidende Ressource darstellt, liegt der Stellenwert der Weiterbildung während der Erwerbsphase auf der Hand. Hinzu kommt, dass sich die "Verfallsgeschwindigkeit" des Wissens enorm beschleunigt hat. Insofern stellt das "lebenslange Lernen" für Unternehmen und ihre Beschäftigten einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar. Damit sich dieser entfalten kann, müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, zum Beispiel eine entsprechende Infrastruktur oder die Möglichkeit von Sabbaticals zur individuellen Fortbildung. • Eifolge durch Kooperationen Ein weiteres Feld, um die Rahmenbedingungen für Innovationen zu verbessern, ist die Intensivierung von Kooperationen zwischen Forschung und Unternehmen. Anwendungsbezug und Praxistransfer könnten zum Beispiel durch Forschungsnetzwerke beschleunigt werden, deren Mitglieder von Universitäten und aus den FuE-Abteilungen von Unternehmen kommen. Die ersten derartigen Kooperationen haben sich bereits bewährt. Interorganisationelle Wissensnetzwerke sind aber nicht nur zwischen Hochschulen und Unternehmen denkbar. Auch FuE-Kooperationen zwischen Unternehmen sind möglich und notwendig, um die Technologie-Diffusion zu intensivieren.

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3. Der Standort Deutschland ist reformfähig, aber nur mit dem Mut zur Selbsterkenntnis und zu entschlossenem Handeln

Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Deutsche die Dramatik der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation noch nicht in ihrer ganzen Tragweite begriffen haben und sich der Illusion des Wohlstands-Status-quo hingeben. Mit dieser kollektiven Vogel-Strauß-Haltung, die auf einer diffusen Mischung aus Zukunftsängsten, Besitzstandswahrung und Lobby-Interessen basiert, können die Probleme hierzulande nicht grundlegend gelöst werden. Von selbst wird sich die verheerende Situation auf dem Arbeitsmarkt jedenfalls nicht verbessern. Die Prinzipien, nach denen der deutsche Sozialstaat bisher organisiert war, beruhen auf zwei Annahmen: Vollbeschäftigung und kontinuierlich hohes Wirtschaftswachstum. Diese Prämisse ist inzwischen obsolet, und Faktoren wie Globalisierung und demografischer Wandel lassen keinen Zweifel, dass die Rahmenbedingungen des Sozialstaats der 60er- und 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts sich auch nicht mehr einstellen werden. Dieser unerfreulichen Erkenntnis mussten sich auch andere Industriestaaten stellen (vgl. Übersicht in Abbildung 16). Die meisten Länder haben sich zur Lösung der strukturellen Probleme für eine Entkoppelung des Wohlfahrtsstaates von der Arbeitswelt entschieden. Und das Ergebnis gab ihnen Recht: In Staaten mit überdurchschnittlich hoher Beschäftigungsquote und unterdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit werden Sozialleistungen kaum noch vom Produktionsfaktor Arbeit aufgebracht. Es deutet also alles darauf hin - so auch die Resultate mehrerer internationaler Studien -, dass chronische Probleme am Arbeitsmarkt wie der hohe Anteil von Langzeitarbeitslosigkeit und ein hohes Niveau der konjunkturresistenten Sockelarbeitslosigkeit sehr eng damit zusammenhängen, wie der Sozialstaat finanziert wird. Entscheidend ist offensichtlich nicht der Umfang der staatlichen Sozialausgaben, sondern die Art und Weise, wie sie aufgebracht werden. Obwohl sich die Ausprägungen des Sozialstaats in den USA, Japan oder den skandinavischen Ländern stark unterscheiden, gibt es eine Gemeinsamkeit: Die Belastung des Faktors Arbeit ist gering - was sich trotz einer höheren Beschäftigungsquote in diesen Ländern in einer im Vergleich zu Deutschland deutlich niedrigeren Arbeitslosenquote niederschlägt. Die OECD hat deutschen Politikern und Unternehmern folgende Empfehlung ins Stammbuch geschrieben: "Die größten Herausforderungen liegen darin, die Konsolidierung des Staatshaushalts mit einer Reform des öffentlichen Sektors zu verbinden und die Fähigkeit der Wirtschaft zu stimulieren, Beschäftigung zu schaffen und das Wachstum der Produktivität zu erhöhen. Um Vertrauen zu bilden und Deutschlands traditionelle wirtschaftliche Stärke wiederherzustellen, müssen die Reformen ein in sich geschlossenes Konzept einer Neuorientierung der Wirtschaftspolitik liefern, die sowohl wachstums- und stabilitätsorientierte makroökonomische Maßnahmen als auch Strukturreformen beinhaltet." Die Umsetzung

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Wege aus der Arbeitslosigkeit?

der Refonnen müsse nach den Grundsätzen der Transparenz und Berechenbarkeit erfolgen (Economic Survey of Gennany 2004). DEUTSCHLAND

SKANDINAVIEN

GROSSBRITANNIEN

• Behutsamer Umbau

• Paradigmenwechsel bei großen Aufgabenblöcken (v.a. Arbeit, Soziales, Bildung Rente, Gesundheit)

• Staatseinschnitte - Privatisierung - Teilrückzug Staat (z.B. bei Tarif I Arbeit) - Innere Restrukturierung

Langsame Personalabschmelzung • Strukturstraffungen mit (etwas) Aufgabenkritik und Technikaufrüstung • Einspargetrieben, bottom up • Parallel: Regulierungszunahme, Schonbereiche

Deregulierung und mehr Privatinitiative bei fast allen Staatsaufgaben • Konsensfokussierte Reformen - aber mit Druck

• Harte Reformen mit Druck und Konflikten • Schon sehr früh - dadurch bestE Wettbewerbsposition in EU

Abbildung 16: Wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Paradigmenwechsel in Deutschland, Skandinavien und Großbritannien

In Zahlen gefasst, kann man die Sanierungsziele für den Standort Deutschland wie in Abbildung 17 darstellen: Bis 2010 soll der Anteil der Staatsquoten am Bruttoinlandsprodukt unter die 40-Prozent-Marke gedrückt werden, die Sozialquote auf etwa 26 %. Ebenfalls drastisch zu senken sind die Subventionen. Deutlich angehoben werden muss dagegen der Anteil, den Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung sowie Ausrüstungsinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt haben. 2002 [% VOM BIP]

.--D

Staatsquote

-

USA

REALLOKATIONSZIEL 2010

46,1

30,4

< 40

32,6

19,9

-26 1-_ _ _ __

Subventionsquote

1,6

0,4

Bildungsquote

5,3---

7,0

7,5

2,5

2,7

3,3

8,8

11,4

12,0

'._.

Sozialquote

.

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F&E-Aufwendungen Ausrüstungsinvestitionen

1-------

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